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Full text of "Vier philosophische Texte des Mahabharatam. In Gemeinschaft mit Otto Strauss aus dem Sanskrit übers. von Paul Deussen"

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VIER 

PHILOSOPHISCHE  TEXTE 
DES  MAHABHARATAM: 

samtsujAta-paevan  -  bhagavadgItA 

MOKSHADHAEMA  -  ANUGItA. 


IN  GEMEINSCHAFT  MIT  Dk.  OTTO  STRAUSS 
AUS  DEM  SANSKRIT  UBERSETZT 

VON 

Dr.  PAUL  DEUSSEN 

PROFESSOR    AN    DER    tJNIVKRSITAT    KIEL. 


LEIPZIG: 
F.  A.  BROCKHAUS. 

1906. 


PK 


C  z'p . 


a 


Bruck  von  F.  A.  Brockhaus  in  Leipzig. 


VOEWOET. 


V  or  einem  halben  Jahrhundert,  als  man  bei  den 
Worten  Veddnta  und  Sdnkhyam  nicht  sowohl  an  die 
Upanishadlehre  und  die  daraus  erwachsene  Re- 
flexionsphilosophie  der  epischen  Zeit,  als  viel- 
mehr  an  die  spateren  Systeme  dieses  Namens  dachte, 
pflegte  man  die  vorwiegend  durch  die  Bhagavadgita  be- 
kannte  Philosophie  des  Mahabharatam  ftir  eine  aus 
beiden  Systemen  zusammen^^mischte  X^ehre  zu  erklaren, 
und  noch  heute  fehlt/  es  nicht  an  namhaften  Yertretern 
einer  ahnlichen  An^chauuilgj  •  sfei  «s,  dais  man  der  aus 
den  Upanishad's  iit^erkommenen  vedantiscHen  Grund- 
lage  die  selbstandig  ftir  sich  entsprungenen  Saiikhya- 
lehren,  oder,  umgekehrt,  einem  urspriinglich  auf 
Saiikhyagrund  errichteten  Lehrsysteme  hinterher  Ve- 
dantagedanken  beigemischt  sein  lalst. 

Ohne  in  dieser  ftir  den  Entwicklungsgang  der  in- 
dischen  Philosophie  entscheidenden  Frage  ftir  jetzt  ein 
Urteil  zu  fallen,  woUen  wir  in  gegenwartigem  Werke 
die    vier    grofsen    Haupttexte    der   Mahabharataphilo- 


VI  Vorwort. 

Sophie  in  einer  lesbaren  und  getreuen  Ubersetzung  vor 
Augen  stellen  und  abwarten,  ob  sich  dem  Eindrucke 
dieser  Texte  gegentiber  die  herkommliche  Ansicht 
aufrecht  erhalten  lalst  oder  ob  die  Philosophic  des 
Mahabharatam ,  unbeschadet  der  mannigfachen  An- 
schauungen,  die  in  ihr  zu  Worte  kommen,  doch 
nicht  sowohl  als  eine  Mischphilosophie,  sondern 
vielmehr  als  eine  Ubergangsphilosophie  zu  be- 
zeichnen  ist,  namlich  als  die  Philosophie  des  epischen, 
zwischen  dem  Veda  und  dem  klassischen  Sanskrit 
stehenden  Zeitalters,  in  welchem  sich  der  Ubergang 
von  dem  Idealismus  des  Vedanta  zu  der  realistischen 
Denkweise  des  klassischen  Sankhyam  vor  unseren  Augen 
voUzieht.  Dieser  Ubergang,  welcher  durch  die  spateren 
Upanishad's,  Kathaka,  Qvetagvatara,  Maitrayaniya  u.  a. 
vorbereitet  wird,  findet  in  den  philosophischen  Texten 
des  Mahabharatam  nebst  den  nahe  verwandten  Stticken 
in  Manu  seine  naturgemafse  Fortentwicklung,  bis  er 
sich  schlielslich  zu  der  abgeklarten  Grestalt  kristalli- 
siert,  in  welcher  ihn  die  Saiikhya-Karika  vor  Augen 
stellt.  Die  aulsere  Prazision  und  Konzinnitat  dieser 
Haupturkunde  des  klassischen  Sankhyam  hatte  nicht 
dariiber  tauschen  soUen,  dais  wir  in  ihr  das  letzte 
Produkt  einer  langen  Entwicklung  zu  sehen  haben, 
welche  sich  vom  philosophischen  Standpunkte  aus  nur 
als  eine  stufenweise  zunehmende  Entartung  des  ur- 
spriinglichen  Idealismus  der  alteren  Upanishad's  ver- 
stehen  lafst. 


Vorwort.  "VH 

Eine  niihere  Darlegung  dieser  Verhaltnisse  muls 
der  dritten  Abteilung  meiner  allgemeinen  Geschichte 
der  Philosophie  vorbehalten  bleiben.  Wie  die  zweite 
Abteilung  dieses  Werkes  sich  auf  meine  Ubersetzung 
der  Sechzig  Upanishad's  grtindet,  so  hat  die  dritte  Ab- 
teilung zur  unumganglichen  Yoraussetzung  die  im 
folgenden  dargebotene  Ubersetzung  der  vier  philoso- 
phischen  Haupttexte  des  Mahabharatam.  Diese  letztere 
umfangreiche  und  muhsame  Arbeit  wiirde  mir  bei  der 
stark  erschtitterten  Gebrauchsfahigkeit  meiner  Augen 
nicht  wohl  moglich  gewesen  sein,  hatte  ich  mich  nicht 
im  ganzen  Verlaufe  des  Unternehmens  des  vierjahrigen 
treuen  Beistandes  meines  jungen  Freundes  und  ehe- 
maligen  Schiilers  Dr.  Otto  Strauls  zu  erfreuen  gehabt. 
Die  auf  dem  Titel  erwahnte  Gremeinschaft  ist  dahin 
zu  verstehen,  dais  wir  nach  den  entfernteren  Vor- 
bereitungen  gemeinschaftlich  die  Worte  des  indischen 
Grrundtextes  Vers  fiir  Vers  durchberaten  und  oft  erst 
nach  schweren  tjberlegungen  die  endgliltige  Fassung 
festgesetzt  haben.  Fiir  einen  kleinern  Teil  des  Granzen, 
die  Anugita,  habe  ich  in  gleicher  Weise  die  Mithilfe 
eines  andern  jungen  Freundes,  des  Dr.  Paul  Emile 
Dumont,  dankbar  anzuerkennen.  Fiir  die  endgliltige 
Fassung  wird  freilich  in  beiden  Fallen  zunachst  der 
Unterzeichnete    die   Verantwortung   zu   tragen   haben. 

Diese  Verantwortung  ist  keine  leichte,  da  sich  der 
Text  des  grofsen  Epos,  namentlich  im  Mokshadharma 
und  in  der  Anugita  stellenweise  in  einem  Zustande  be- 


VIII  Vorwort. 

findet,  welcher  es  nur  mit  Anstrengung  ermoglicht, 
den  Worten  des  Originals  einen  verstandlichen  Sinn 
abzugewinnen.  Der  Kommentar  des  Nilakantha  (von 
uns  als  Nil.  zitiert)  versagt  haufig  gerade  an  den 
schwierigsten  Stellen  und  ist  nur  mit  Vdrsicht  zu  ge- 
brauchen,  da  er  oftmals  offenbar  seine  spateren  An- 
schauungen  in  die  Worte  des  Originals  hineintragt. 
Noch  weniger  JSTutzen  konnte  aus  der  unter  dem  Namen 
des  Pratapa  Chandra  Ray  verofEentlichten  englisclien 
tjbersetzung  gezogen  werden,  unter  deren  Wortschwall 
mitunter  die  Worte  des  Sanskrittextes  gar  nicht  mehr 
wiederzuerkennen  sind.  Sehr  nahe  lag  haufig  die  Yer- 
suchung,  dem  Texte  durch  Konjekturen  aufzuhelfen. 
Aber  wir  haben  nur  im  aufsersten  Notfalle  von  diesem 
Mittel  Gebrauch  gemacht,  da  die  Konjekturalkritik 
erst  dann  wird  wirksam  einsetzen  konnen,  wenn  die 
diplomatische  Kritik  ihre  Aufgabe  gelost  haben  wird, 
wozu  bei  dem  Umfange  des  Riesenepos  und  der  Un- 
zahl  von  Hands chrif ten,  in  denen  es  in  Indien  ver- 
breitet  ist,  in  absehbarer  Zeit  wenig  Hoffnung  sein 
dtirfte.  Aber  selbst  wenn  es  gelingen  sollte,  die  Gre- 
nealogie  der  vorhandenen  Handschriften  zu  ermitteln 
und  aus  ihnen  die  altesterreichbare  Form  der  Uber- 
lieferung  herauszuschalen,  diirften  die  Schwierigkeiten 
nur  wenig  verringert  werden,  da  die  Fehler  oft  sehr 
alte  zu  sein  scheinen.  Am  besten  ist  die  Uberlieferung 
in  der  Bhagavadgita ,  und  auch  2,40  ist  eine  Textes- 
anderung,   wie   sie   zur   Rechtfertigung  unserer  Uber- 


Vorwort.  IX 

setzung  vorgenommen  werden  miilste,  keineswegs  not- 
wendig.  Wir  verzichten  daher  auf  den  allerdings 
schonen  Gredanken,  den  wir  hier  zu  finden  glaubten 
und  bitten,  dort  einfach  mit  der  Uberlieferung  zu 
lesen:  „Dann  gibt  es  ftir  dich  keinen  Mifserfolg  und 
keine  Widerwartigkeit  mehr."  Die  neueste  Uber- 
setzung  der  Bhagavadgita  durch  Richard  Garbe,  welche 
uns  erst  zuging,  als  die  unsrige  schon  langer  fertig- 
gestellt  war,  wurde  nachtraglich  noch  mit  Dank  be- 
nutzt,  und  auch  der  Leser  kann  sich  durch  Yergleich 
derselben  eine  Yorstellung  dariiber  bilden,  innerhalb 
welcher  Grrenzen  der  Urtext  der  Freiheit  des  Uber- 
setzers  Spielraum  lalst,  nur  dafs  dieser  Spielraum  in 
dem  am  wenigsten  bekannten  Mokshadharma  ein  be- 
deutend  grofserer  ist.  Wir  haben  auch  den  Moksha- 
dharma vollstandig  iibersetzt,  obgleich  zwischen  die 
philosophischen  Gredanken  zahlreiche,  mitunter  amii- 
sante,  stellenweise  auch  insipide  Erzahlungen  einge- 
flochten  sind,  welche  immerhin  dem  abendlandischen 
Leser  zur  Einfiihrung  in  die  indische  Art  zu  denken, 
zu  empfinden  und  die  Dinge  anzuschauen  nicht  un- 
willkommen  sein  diirften.  Uber  den  Zusammenhang  der 
von  uns  tibersetzten  vier  Texte  mit  dem  grofsen  Ganzen 
des  Mahabharatam  wird  die  von  Hermann  Jacobi 
herausgegebene  vortreffliche  Inhaltsangabe  dieses  um- 
fangreichsten  Dichterwerkes  aller  Zeiten  die  beste 
Orientierung  gewahren. 

Zum  Schlufs  sei  nur  noch  bemerkt,   dais  unsere 


X  Vorwort. 

tJbersetzung  an  die  alte  Bombay -Ausgabe  (Qakabdah 
1785)  sich  anschliefst,  von  welcher  sich  die  spateren 
Bombayer  Drucke,  soweit  wir  sie  verglichen  haben, 
nur  durch  eine  Anzahl  von  mehr  oder  weniger  sinn- 
storenden  Druckfehlern  unterscheiden.  Wo  wir,  von 
der  erwahnten  Bombay -Ausgabe  abweichend,  mit  der 
Calcuttaer  Ausgabe  1834  fg.  gegangen  sind,  deren 
Lesarten  allerdings  haufig  den  Eindruck  erleichtern- 
der  Konjekturen  machen,  ist  dies  jedesmal  von  uns 
angemerkt  worden. 

Kiel,  im  August  1906. 

Paul  Deussen. 


INHALT8VERZEICHNIS. 


Seite 

Vorwort V 

I.    SANATSUJATA-PARVAN. 

Adhy-aya  (ed.  Calc.) 

40.  Sanatsujata,   der  ewige  Jiingling,  erscheint  dem  Dhritarashtra 

und  belehrt  ihn 3 

41.  Der  Tod  ist  niclit,  Identitat  der  individuellen  und  hochsten  Seele  4 

42.  tjber  Maunam,  Tapas  und  Unzulanglichkeit  des  Veda ....  11 

43.  Uber  den  Brahmacarin  und  das  Wesen  des  Brahman  ....  18 

44.  Aufzahlung  von  Tugenden  und  Fehlern 23 

45.  Das  Schauen  des  Atman  im  Yoga 25 

II.    BHAGAVADGiTA. 
1—6.    Ethischer  Teil. 

1.  Verzagtheit  des  Arjuna  beim  Beginn  des  Kampfes 33 

2.  Krishna   belehrt   ihn:    Ewigkeit   des  Atman;   Kshatriyapflicht; 

Werk  ohne  Welthang 38 

3.  Interesseloses  Handeln,  Werke  notwendig  zum  Bestande  der  Welt  45 

4.  Das  Werk  als  ein  dem  Gott  dargebrachtes  Opfer 50 

5.  Der  Entsagende  weifs,  dafs  nur  die  Prakriti  wirkt 55 

6.  Der  Yoga  als  Weg  zur  Entsagung  und  Einswerdung  mit  Gott.  58 

7—12.    Theologischer  Teil. 

7.  Gott  als  Prakriti,  Jiva  und  hochstes  Wesen 63 

8.  Meditation  durch  Om  und  Yoga;  Eingehen  in  Gott 66 

9.  Gott  schafft  die  Welt  durch  Maya  und  steht  als  Aufseher  iiber  ihr  69 

10.  Alles  ist  Gottes  Machtentfaltung,  aus  ihm  stammt  alles  Schone 

und  Kraftige 73 

11.  Krishna   zeigt   sich  dem  Arjuna  als  Allgestaltiger   und  Allver- 

nichtender 77 

12.  Gottesverehrung,  Meditation,  moralischer  Wandel 84 


Xn  Inhaltsverzeichnis. 

Adhy&ya  (ed.  Calc.)  Seite 

13—18.    Psychologischer  Teil. 

13.  Kshetram,  Jhanam,  Jiieyam,  Prakriti,  Purusba 86 

14.  Beschreibung  der  drei  Guna's,  Befreiung  von  ihnen  als  hochste 

Aufgabe ' 89 

15.  Der  verganglicbe,  der  unverganglicbe  und  der  bochste  Purusba  92 

16.  Scbilderung  der  gottlicben  und  der  damoniscben  Lebensfiibrung  94 

17.  Der  dreifacbe  Glaube  und  seine  Betatigung.     Om,  Tad,  Sad   .  97 

18.  Zerlegung  des   menscblichen   Handelns;   Weg  zur  Vollendung, 

Verebrung  des  bocbsten  Wesens 100 

III.    MOKSHADHARMA. 

174.  Trostung  des  Konigs   Senajit  bei  Verlust   seines  Sobnes.     Die 

Hetare  Pingala Ill 

175.  (=:  278.)    Der  Vater  empfieblt  die  A^rama's,  sein  Sobn  die  Ent- 

sagung 118 

176.  ^ampaka  lobt  die  Armut.     Gefabren  des  Reicbtums     ....  122 

177.  Manki  und  die  Ocbslein.     Entsagung  als  Weg  zum  Gltick    .     .  125 

178.  Janaka  und  Mitbila.     Die  sechs  Merkworte  des  Bodbya  .     .     .  130 

179.  Entsagung  als  die  Losung  des  Ajagara 132 

180.  Der  arme  Kagyapa  von  Indra  als  Scbakal  getrostet  und  belebrt  137 

181.  VergeltuDg  der  Werke 142 

182.  Schopfung  der  Welt  durcb  den  Mdnasa  und  Kosmograpbie .     .  144 

183.  Entstebung  der  Elemente 148 

184.  Beseeltbeit  der  Pflanzen.     Die  Elemente  und  ibre  Qnalitaten  .  150 

185.  Die  fiinf  Prana's  im  menscblicben  Korper 154 

186.  Bestreitung  der  Existenz  des  Jiva 15G 

187.  Griinde  fur  die  Existenz  des  Jiva 158 

188.  Abstammung  aller  anderen  Kasten  von  den  Brabmanen   .     .     .  162 

189.  Cbarakteristik  der  vier  Kasten  und  Moraliscbes 164 

190.  Wabrbeit  und  Unwahrbeit,  Lust  und  Leid 166 

191.  Pflicbten  des  Brabmacarin  und  Gribastha 169 

192.  Vanaprastha  und  Parivrajaka.     Himmliscbe  und  irdiscbe  Welt.  173 

193.  Vorscbriften  fiir  den  guten  Lebenswandel 177 

194.  Elemente,  Organe,  Ksbetrajna,  Guna's,  Bindung  und  Erlosung.  180 

195.  Yogameditation  unter  Fesselung  des  Manas 187 

196.  Bescbrankter  Wert  des  Gebetsmurmelns 189 

197.  Gebetsmurmeln  in  selbstsiicbtiger  Absicbt  fiibrt  zur  Holle    .     .  192 

198.  Empiriscbe  Daseinsformen  als  Hollen  und  der  Atman  als  Himmel  193 

199.  Erlebnisse  eines  Gebetsmurmlers 195 

200.  Eingang  des  Gebetsmurmlers  in  den  Himmel 210 

201.  Werkfrucbt  und  Frucbt  der  Erkenntnis 214 

202.  Der  Atman,  die  Organe  und  Elemente 218 

203.  Atman,  Bbutatman,  Lingam  (Korper) 221 

204.  Erkenntnis  durcb  die  Sinne  und  reine  Erkenntnis 224 

205.  Scbmerz.     Buddbi  und  Manas.     Der  psycbiscbe  Komplex     .     .  226 


Inhaltsverzeichnis.  XIII 

Adhy&ya  (ed.  Calc.)  Seite 

206.  Die  Guna's,  der  Purusha  und  der  Hochste 229 

207.  Schopfung  der  Welten,  Gutter  und  Wesen  durch  Krishna    .     .  233 

208.  Schopfung  der  Gotter  und  Rishi's.     Ihre  Himmelsgegenden  .     .  237 

209.  Vishnu -Krishna  als  Eber  bekampft  die  Danava's 240 

210.  Krishna  schafft  die  Wesen.     Purusha  und  Evolutionsstufen  .     .  244 

211.  Avyaktam,  Vyaktam  und  Kshetrajua 249 

212.  Ahankara  und  Guna's  als  Quelle  des  Bosen 251 

213.  Rajas  und  Tamas.     Weib   und  Kind.     Organe  aus   dem  Willen 

entspringend 255 

214.  Brahmacaryam.     Adern  und  Samen 257 

215.  Reinheit  und  Bezahmung  als  Weg  zur  Brahmanwerdung.     .     .  260 

216.  Das  Manas  im  Wachen,  Schlaf  und  Traum 263 

217.  Prakriti,  Purusha  und  Brahman.     Tapas  und  Wissen  ....  266 

218.  Pafica^ikha  entwickelt  vor  Janaka  zunachst  die  Thesis  der  Ma- 

terialisten, 270 

219.  sodann  belehrt  er  iiber  Atman,  Entsagung,  Organe,  Guna's  und 

Erlosung '  ...  276 

220.  Preis  der  Selbstzucht  und  ihre  Fruehte 282 

221.  Das  wahre  Tapas  und  seine  Betatigung  im  Leben 284 

222.  Prahrada  bespricht  den  Gegensatz  von  Svabhava  (Prakriti)  und 

Purusha '    ...  286 

223.  Indra  befragt  den  Bali,  wie  ihm  nach  seinem  Bturze  zumute  sei  290 

224.  Bali  weist  auf  die  Notwendigkeit  alles  Geschehens  hin  (Kala)  .  293 

225.  Die  Qri  geht  von  Bali  zu  Indra,  der  sie  vierfach  verteilt      .     .  298 

226.  Der  gestiirzte  Kamuci  schopft  aus  der  Erkenntnis  der  Notwendig- 

keit  Gleichmut 303 

227.  Eine  andere  Version  von  Adhyaya  223  und  224 306 

228.  Ubergang  der  ^ri  von  den  Danava's  zu  den  Gottern   ....  318 

229.  Jaigishavya  zeigt  den  Weg  zur  wahren  Gliickseligkeit.     .     .     .  327 

230.  Narada  wird  als  ethisches  Ideal  geschildert 330 

231.  Vyasa  belehrt  den  ^uka  uber  die  Einteilung  der  Zeiten,      .     .  332 

232.  liber  die  Schopfung  der  Elemente  und  der  Welt  aus  Brahman 

und  ihre  Degeneration, 336 

233.  iiber  die  Auflosung  der  Welt  in  Brahman, 340 

234.  iiber  die  Pflichten  der  A^rama's  und  Beispiele  belohnter  Frei- 

gebigkeit, 342 

235.  aberVedastudium,OpferunddasethischeVerhaltendesBrahmanen,  346 

236.  iiber  Yoga  und   seine  Fruehte,  Avyaktam  und  Vyaktam,    San- 

khyam  und  Yoga, 349 

237.  iiber  die  Erkenntnis  als  Weg  zur  Erlosung  und  die  Klassifika- 

tion  der  Wesen, 354 

238.  iiber  Werke  und  ihre  zunehmende  Degeneration  in  den  Weltaltern,  357 

239.  uber  den  Atman  und  sein  Verhaltnis  zur  Leiblichkeit,     .     .     .  359 

240.  iiber  das  rechte  Verhalten  des  Yogin, 362 

241.  tiber  die  Bindung  durch  Werke  und  die  Erlosung  durch  Wissen,  366 

242.  iiber  die  Pflichten  des  Brahmaca.rin, 368 


XIV  Inhaltsverzeichnisi 

Adhy4ya  (ed.  Calc).  Seite 

243.  iiber  den  Grihastlia  und  seine  vier  Unterarten, 372 

244.  ilber  den  Vanaprastha  und  Sannyasin, .  375 

245.  iiber  den  Bhikshu  (Sannyasin), 378 

246.  iiber  die  Beruhigung  als  Frucht  des  Wissens, 383 

247.  iiber  die  Elemente  im  Korper,  die  psychischen  Organe  und  die 

Guna's, ^ 385 

248.  iiber  Manas  und  Buddhi,  den  Atman  und  die  Guna's, ....  388 

249.  iiber   die  Abschiittlung  der  Guna's   und  die  Erlangung  der  Er- 

kenntnis, 390 

250.  iiber  die  Konzentration  des  Geistes  und  ihre  Frucht   ....  392 

251.  iiber  moraliscbes  Verhalten  und  seine  Frucht, 394 

252.  iiber  die  Elemente  und  ihre  Verbreitung  im  Leibe,      ....  397 

253.  iiber  Lingam,  Sattvam,  Bhiitatman, 398 

254.  iiber  die  Begierde  als  Baum  und  den  Menschen  als  verseuchte 

Stadt, 400 

255.  und  anliangsweise  iiber  die  Qualitaten  von  Elementen,  Manas 

und  Buddhi 402 

257.  (B.  256.)   Narada  erzahlt,  wie  Gott  Brahman  die  Geschopfe  ver- 

brennen  woUte, 404 

258.  wie  auf  ^iva's  Bitte  das  Feuer  sich  in  die  Mrityu  verwandelte,  406 

259.  wie  Mrityu  sich  weigert,  die  Geschopfe  zu  vernichten,  und  wie 

die  von  ihr  vergossenen  Tranen  als  Krankheiten  die  Geschopfe 

wegraffen 408 

260.  Moralischer  Wandel  und  gutes  Gewissen  als  Folge 413 

261.  Skeptische  Einwendungen  gegen  die  Autoritat  der  Pflicht    .     .  416 

262.  Jajali   lafst   auf   seinem   Kopfe   die  Vogel  briiten  und   geht  zu 

Tuladhara 418 

263.  Tuladhara  fordert  statt  Askese  Schonung  der  Wesen, ....  423 

264.  statt  der  vedischen  nur  unblutige  Opfer 428 

265.  Die  Vogel  stimmen  ihm  zu  und  preisen  die  ^raddba  (Glaube) .  433 

266.  Ausspruche  des  Konigs  Vicakhyu  gegen  das  Tieropfer     .     .     .  436 

267.  Erzahlung  vom  Cirak&,rin ;  Kindespfiichten ;  Lob  der  Saumseligkeit  437 

268.  Gesprach  des  Dyumatsena  und  Satyavant  iiber  die  Todesstrafe  445 

269.  SyiimaraQmi  verteidigt  gegen  Kapila  die  Tieropfer, 449 

270.  sowie  den  Hausvaterstand  gegeniiber  der  Entsagung    ....  453 

271.  Kapila  lobt  die  alten  Zeiten  und  die  Entsagung 461 

272.  Der  Brahmane  und  Kundadhara:  Nicht  Reichtum,  sondern  Ge- 

rechtigkeit  und  Askese  sind  begehrenswert 466 

273.  Satya  und  die  Gazelle:  Verwerfung  des  Tieropfers 471 

274.  B5ses  und  Gutes,  Weltverdrossenheit  und  Erlosung     ....  474 

275.  Selbstbezahmung  als  Weg  zur  Erlosung 476 

276.  Elemente,  psychisclie  Organe  und  der  Atman 478 

277.  Janaka  preist  die  Besitzlosigkeit  und  Entsagung 482 

278  =  175 484 

279.  Das  Leben  des  Sannyasin  nach  Harita's  Vorschrift 484 

280.  Der  gesturzte  Vritra  weist  auf  die  Allmacht  der  Zeit  hin    .     .  486 


Ifthaltsverzeichnis.  XV 

Adhyftya  (ed.  Calc.)  Seite 

281.  Ugauas   preist   den  Vishnu   als   Allseele   und   klassifiziert    die 

Statten  der  Seelen  nach  den  Farben 490 

282.  Indra,  von  Qiva  als  Fieber  und  Vishnu  als  Donnerkeil   unter- 

stiitzt,  bekampft  den  Vritra 498 

283.  und  totet  ihn;  wird  von  der  Brahmahatya  befallen  und  von  ihr 

befreit 502 

284.  Daksha's  Opfer  wird  auf  Antrieb  der  Uma  von  ^iva's  Scharen 

gestort;  Entstehung  des  Fiebers  und  seine  Verteilung  .     .     .  509 

285.  Andere  Version  derselben  Erzahlung 515 

286.  Das  Qivasahasrandman.     ^iva's  Gnade  gegen  Daksha  ....  522 

287.  Grofse  Elemente;  korperliche  und  psychische  Organe;  der  Atman 

schaftit  die  Guna's 534 

288.  Samaiiga  lehrt:  Erkenntnis  befreit  vom  Leiden    ......  539 

289.  Vier  Lebensrichtungen  mit  gemeinsamer  Moral.     Warnung  vor 

schlechtem  Umgang    .         541 

290.  Arishtanemi  lehrt:   Loslosung  von  Welthang  und  Angehorigen 

macht  wahrhaft  frei 547 

291.  Geschichte  vom  U^anas  als  Qukra  (Planet  Venus,  Same) .     .     .  552 

292.  Paragara  lehrt  die  Vergeltung  der  Werke, 556 

293.  spricht  iiber  die  Frucht  guter  und  boser  Werke, 558 

294.  empfiehlt  Freigebigkeit  und  Rechtschaffenheit, 561 

295.  Schonung  des  ^udra  und  Befolgung  der  Kastenpflichten, .     .     .  563 

296.  schildert  die  Korruption  der  Sitten  und  ihre  Wiederherstellung 

durch  Q'iva, 566 

297.  warnt  vor  Egoismus  und  empfiehlt  die  Askese, 569 

298.  spricht   iiber   Mischkasten,   besondere   und  allgemeine   Kasten- 

pflichten, 572 

299.  iiber  Todesarten  und  Schicksale  nach  dem  Tode, 577 

300.  iiber  Nichtanhanglichkeit,  Leidenschaftslosigkeit,  Entsagung  und 

Askese 581 

301.  Brahman   als  Schwan  empfiehlt  Sanftmut,   Geduld  und  weitere 

Tugenden 587 

302.  Kraft,  Frucht,  Methode  und  Zauberkunst  des  Yogin    ....  592 

303.  Inbegriff  und  Eschatologie  der  hier  Saiikhyam  genannten  Atman- 

lehre 598 

304.  Evolution  des  Mahan  usw.  aus  dem  Urwesen  (Qiva,  Vishnu)     .  609 

305.  Der  Purusha  wahnt  sich  in  die  Prakriti  verstrickt  und  verfallt 

der  Wanderung 614 

306.  Purusha  und  Prakriti  mit  den  Mondteilen  verglichen  ....  618 

307.  Janaka's  Vergleich   von  Purusha   und   Prakriti   als  Mann  und 

Weib  durch  Vasishtha  widerlegt 620 

308.  Yogapraxis.    Der  Fiinfundzwanzigste  und  die  tibrigen  Sankhya- 

prinzipien 624 

309.  Das  Vergangliche  und  Unvergangliche;   der  Funfundzwanzigste 

im  Stande  der  Erweckung 629 

310.  Der  Sechsundzwanzigste  als  der  Erweckte;  wem  mitzuteilen     .  633 


XVI  Inhaltsverzeichnis. 

Adhyiya  (ed.  Calc.)  Seite 

311.  Schilderuiig  des  guten  Menschen 639 

312.  Vierundzwanzig   Evolutionsstufen    und    neun    Emanationen    im 

Sankhyam 641 

313.  Tag  und  Nacht  von  Brahman,  Brahman,  Ahankara  und  Elemen- 

ten,  Funktion  des  Manas 644 

314.  Stufenweise  Vernichtung  der  Welt  und  Eingang  in  ^amhhu      .  646 

315.  Organe,   Funktionen,   Schutzgottheiten.     Schilderung   der   drei 

Guna's 648 

316.  Verflechtung  der  Guna's.     Prakriti  und  Kshetrajha 650 

317.  Purusha  und  Prakriti  verschieden  und  doch  zusammen  wirkend .  652 

318.  Qualitathafter  und  qualitatloser  Yoga 655 

319.  Statten  nach  dem  Tode;  Vorzeichen  des  Todes 657 

320.  Yajnavalkya  erhalt  vom  Sonnengott  den  weifsen  Yajurveda  und 

beantwortet  die  Fragen  des  Vi^vavasu  iiber  den  Atman  der 

Sankhyalehre 660 

321.  Panca^ikha  iiber  die  Verganglichkeit  des  Lebens 671 

322.  Streitreden  zwischen  Konig  Janaka  und  der  Bettelnonne  Sulabha  673 

323.  Vyasa  belehrt  den  Quka  iiber  Verganglichkeit,   Pflichterfiillung 

und  Vergeltung 692 

324  =  181 701 

325.  Vyasa  tibt  Askese,  um  einen  iibermenschlichen  Sohn  zu  erhalten  702 

326.  Quka's  wunderbare  Geburt  und  Erziehung 704 

327.  ^uka's  Wanderung   nach  Mithila  und  Empfang   am   Hofe   des 

Konigs  Janaka 707 

328.  Janaka  belehrt  den  Quka  iiber  die  vier  A?rama's  und  die  Erlosung  711 

329.  Q!uka  wird  Schiiler  seines  Vaters  auf  dem  Himalaya.     Episode 

von  Skanda's  Lanze 716 

330.  Vyasa  und  ^uka  studieren  den  Veda.     Exkurs  iiber  die  sieben 

Winde 721 

331.  Narada  erteilt  dem  Quka  ethische  und  psychologische  Lehren,  726 

332.  spricht  buddhistisch  iiber  das  Leiden  und  seine  Heilung  durch 

Erkenntnis, 732 

333.  erortert  Verganglichkeit,   Zufalligkeit  und  Ungerechtigkeit  des 

Daseins.     Q'uka  nimmt  Abschied  von  Narada  und  Vyasa  .     .  735 

334.  guka's  Flug  zum  Himmel .  741 

335.  Vyasa  fliegt  dem  Quka  nach.     Entstehung  des  Echos  ....  744 

336.  Narada  sucht  in  Badarl  den  Nara  und  Narayana  auf,  die  dort 

den  Atman  verehren 748 

337.  Narada  geht  nach  ^vetadvipa.    Uparicara.    Das  Gesetzbuch  der 

Citra^ikhandin's 752 

338.  Opfer  des  Uparicara,  Besanftigung  des  Brihaspati  durch  die  Er- 

zahlung  von  den  weifsen  Mannern 758 

339.  Parteiischer  Schiedsspruch  und  Strafe  des  Uparicara   ....  764 

340.  N&rada  preist  den  grofsen  Purusha  mit  199  Namen     ....  768 

341.  Nfi.rayana  zeigt  sich  dem  Narada  und  teilt  ihm  seine  vier  Vyuha's 

und  seine  Avat^ra's  mit 770 


Inhaltsverzeichnis.  XVII 

Adhy&ya  (ed.  Calc.)  Seite 

342.  Narayana  belehrt  die  Gotter  und  Rishi's  tiber  die  Satzungen 

der  Aktivitiit  und  Passivitat 783 

343.  Identitat  von  ^iva  und  Vishnu.    Etymologie  der  Namen  Vishnu's  794 

344.  Entstehung  von  Agni  und  Soma.     Beispiele  fiir  die  Ubermacht 

der  Brahmanen.    Streit  und  Identifikation  Vishnu's  mit  Qiva's  800 

345.  Narada  berichtet  in  Badari  seine  Erlebnisse  in  ^vetadvipa .     .  818 

346.  Hervorgehen  der  Saiikhyaprinzipien  aus  Vishnu,  Eingang  in  ihn 

nach  dem  Tode ' 824 

347.  Opfer  auf  Vishnu   zielend;    die  Sohne    als  Lehrer  der  Vater; 

Vishnu  (Vrishdkapi)  und  die  drei  Pindah 827 

348.  Vyasa  als  Verfasser  des  Mdhdhhdratam.    Das  Rofsopfer.    Preis 

des  Vishnu 830 

349.  Brahman's  Entstehung  aus  Vishnu,  Vedenraub,   das  Rofshaupt 

als  Retter ' 832 

350.  Ekantin's  =  Satvata's.     Siebenmalige  Erneuerung  ihrer  Lehre. 

Die  vier  Vyuha's.     Sattvika's,  Vyamicjra's  und  Vaikarika's     .  841 

351.  Vyasa's  Abstammung.     Brahman  Weltschopfer  durch  Vishnu's 

Buddhi.    Sarasvata  Apantaratamas  als  Ordner  der  Veden .     .  849 

352.  Brahman  erklart  dem  Qiva  die  Einheit  und  Vielheit  der  Purusha's  856 

353.  tjber  den  hochsten  Purusha 859 

354—367.    Ein  Brahmane  forscht  nach  der  hochsten  Pfiicht  und  wird 

von  einem  Naga  durch  die  Erzahlung  von  dem  Eingange  des 
Ahrenlesers   in  die   Sonne   dariiber   belehrt,    dafs  Entsagung 

das  Hochste  sei 862 

IV.    ANUGiTA. 

16.  Krishna  erzahlt  dem  Arjuna,  was  ein  Siddha  uber  den  Weg  zu 

seiner  Vollendung  dem  Ka^yapa  mitgeteilt  habe 885 

17.  Uber  die  Auflosung  des  Leibes  und  die  Schicksale  nach  dem  Tode  890 

18.  Wesen  des  Jlva.     Brahman  schafEt.  das  Pradhanam 894 

19.  Weg  zur  Erlosung  und  Theorie  des  Yoga 898 

20.  Gesprache  eines  Brahmanen  mit  seiner  Frau  iiber  den  Korper, 

die  Prana's  und  das  Vaigvanarafeuer 904 

21.  Die  zehn  Organe  und  ihre  Objekte  als  Hotar^s  und  Havis  .     .  907 

22.  Die  sieben  Hotar's.     Verhaltnis  des  Manas  zu  den  Indriya's     .  911 

23.  Machtsphare  der  funf  Prana's  (Hotar's) 914 

24.  Entstehung  und  wechselseitiges  Verhaltnis  der  Prana's    .     .     .  917 

25.  Karanam,  karma,  kartar,  moksha  als  Hotar's 919 

26.  Narayana  (der  Atman)  als  Herr  im  Herzen  weilend     ....  921 

27.  Sansara  und  Brahman  als  Wildnis  und  Wald 923 

28.  Gesprach  eines  Adhvaryu  mit  einem  Yati  liber  die  Ahinsd .     .  926 

29.  Kartavirya  und  Rama.     Vernichtung  der  Kshatriya's   ....  929 

30.  Bekampfung  der  Sinne  als  der  starksten  Feinde  durch  Yoga    .  932 

31.  Sattvam,  Rajas  und  Tamas  als  Feinde.     Atman  und  Trishna     .  935 

32.  Konig  Janaka  als  alles  und  nichts  besitzend 937 

Deussen,  Mah&bb^ratam.  |j 


XVIII  Inhaltsverzeichnis. 

Adhyiya  (ed.  Calc.)  Seite 

33.  Schlufs  des  Gespraches  zwischen  demBrahmanen  und  seiner  Gattin,  940 

34.  sie  sind  Manas  und  BuddM  des  Krishna 941 

35.  Ein    Lehrer    belehrt    seine    Schiller    iiber    die    ftinfundzwanzig 

Prinzipien 942 

36.  Zusammensetzung  des  Leibes.     Tamas.     Avdicsrotas     ....  948 

37.  Das  Rajas.     Arvdksrotas 951 

38.  Das  Sattvam.     Urdhvasrotas 953 

39.  Verflechtung  der  Guna's.     Die  Prakriti 955 

40.  Der  Mahan,  der  Ahankara  und  die  Elemente 957 

41.  Ahankara  und  Prajapati 959 

42.  Die  psychischen  Organe,  Befreiung  von  ihnen  durch  Meditation  960 

43.  Verschiedenes.     Die  Organe  und  der  Atman 966 

44.  Ursprung  und  Ende  der  Wesen  im  einzelneu 970 

45.  Allegorie:  Das  Leben  als  Rad 972 

46.  Brahmacarin ,  Vanaprastha  und  Sannyasin ,   ihre  Pflichten   und 

ihr  Ziel 975 

47.  Entsagung  und  Erkenntnis ;  die  Welt  als  Baum,  der  zu  fallen  ist  980 

48.  Verbindung  und  Verschiedenheit  zwischen  Purusha  und  Sattvam  982 

49.  Befragung  des  Brahman  liber  den  wahren  Dharma 984 

50.  Ahiiisa  und  Jrianam.     Kshetrajna  und  Kshetram.     Die  Organe 

und  ihre  Eigenschaften 986 

51.  Die  Sinne  als  Rosse  und  verwandte  Allegorien.    Die  Erlangung 

des  Brahman  als  Ziel 991 

Index  bemerkenswerter  Nam  en  und  Begriffe 997 

Zitaten-Index 1009 

Stammtafel 1010 


AUSSPRAOHE. 

In  indischen  Wortern  ist 

c,    cli   wie   tsch,   tschli 
j,  jh    wie   dsch,    dschh 

zu  sprechen;  also:   Yddschnavalkya,  Tschhdndogya  usw. 

^  ist  ein  mittlerer  Laut  zwischen  s  (stets  scharf)  und  sli  (  =  sch). 


Die  Betonung  richtet  sich,  wie  im  Lateinischen,  nach  der  Quantitat 
der  vorletzten  Silbe;  ist  dieselbe  lang,  so  hat  sie  den  Akzent,  ist  sie 
kurz,  so  liegt  er  auf  der  drittletzten  Silbe  (e  und  o  sind  stets  lang). 


Nach  der  von  uns  befolgten  Schreibweise  sind  alle  Worter  auf  a 
Maskulina,  alle  auf  k  Feminina,  alle  auf  am  Neutra:  der  Veddnta, 
die  Mtmdhsd,  das  Sdnkhyam  (sc.  darqanam). 


I. 
SANAT8UJATA-PARVAN. 

Mah^bh&ratam  Buch  V,  Adhyaya  40-45,  Vers  1565-1790,  C. 
(=  Biich  V,  Adhyaya  41-46,  B.). 


Detjssen,  Mahftbliftratam. 


Adhyaya  40  (B.  41). 

Vers  1565-1576  (B.  1-12). 

Dhritarashtra  sprach: 

1.  (1565.)  Wenn,  o  Vidura,  irgend  etwas  ist,  was  durch 
deine  Rede  noch  nicht  gesagt  wurde,  das  sage,  indem  ich 
zuhore,  denn  Wunderbares  redest  du. 

Vidura  sprach: 

2.  (1566.)  0  Dhritarashtra,  jener  alte  ewige  Jiinghng, 
Sanatsujata,  hat  gesagt:  „Der  Tod  ist  nicht",  o  Bharata. 

3.  (1567.)  Er,  der  Beste  aller  Weisen,  wird  dir,  o  grolser 
Konig,  alle  Zweifel  des  Herzens,  die  geheimen  wie  die 
offenen,  losen. 

Dhritarashtra  sprach : 

4.  (1568.)  Weifst  du  das  nicht  besser,  was  mir  der  Ewige 
sagen  soil?  Sage  du  es  mir  doch,  o  Vidura,  wenn  deine 
Weisheit  nicht  schon  erschopft  ist. 

Vidura  sprach: 

5.  (1569.)  Ich  bin  aus  einem  Qudra-Schofs  geboren  und 
vermag  nichts  weiter  mehr  zu  sagen ;  aber  von  der  Weisheit 
jenes  Jiinglings  weifs  ich,  dafs  sie  eine  ewige  ist. 

6.  (1570.)  Denn  wer  in  einem  brahmaniscljen  Mutterschofse 
geweilt  hat,  der  ist,  auch  wenn  er  sehr  Geheimnisvolles  ver- 
kiindet,  dafiir  von  den  Gottern  nicht  zu  tadeln,  darum  sage 

ich  dir  dieses. 

Dhritarashtra  sprach: 

7.  (1571.)  Befrage  fur  mich,  o  Vidura,  jenen  Alten,  Ewigen, 
wie  sein  Zusammenkommen  mit  dieser  meiner  Leiblichkeit 
hier  moglich  ist. 

1* 


4  I.    Sanatsujiita-parTan. 

Vaigampayana  (der  Erzahler)  sprach: 

8.  (1572.)  Da  gedachte  Vidura  jenes  Weisen  von  geprie- 
senem  Wandel,  und  dieser,  erkennend,  dafs  man  seiner  ge- 
dachte, machte  sich  sichtbar,  o  Bharata. 

9.  (1573.)  Er  aber  empfing  ihn  mit  der  aus  dem  Eitual 
bekannten  Zeremonie,  und  nachdem  jener  sich  behagHch 
niedergelassen  und  ausgeruht  hatte,   sprach  Vidura  zu  ihm: 

10.  (1574.)  0  Heihger,  ein  Zweifel  besteht  in  dem  Herzen 
des  Dhritarashtra ,  welchen  ich  ihm  nicht  erklaren  kann,  so 
wolle  du  ihm  ihn  erklaren, 

11.  (1575.)  damit  dieser  Fiirst  der  Menschen,  seine  Er- 
klarung  vernommen  habend,  zu  einem  iiber  alle  Leiden  Er- 
habenen  werde,  dergestalt,  dafs  ihn  weder  Gewinn  noch  Verlust, 
weder  Liebes  noch  Hassenswertes ,  weder  Alter  noch  Tod, 

12.  (1576.)  weder  Furcht  noch  Unmut,  weder  Hunger  noch 
Durst,  weder  Ubermut  noch  Uberhebung,  weder  Unlust  noch 
Erschlaffung,  weder  Begierde  noch  Zorn,  weder  Schmalerung 
noch  Forderung  zu  iiberwaltigen  vermogen. 

So  lautet  im  Sanatsuj&ta-parvan  die  Bitte  dcs  Vidura 
(  Vidura -prdrthand). 


Adhyaya  41  (B.  42). 

Vers  1577-1620  (B.  1-46). 

VaiQampayana  (der  Erzahler)  sprach : 

1.  (1577.)  Da  geschah  es,  dafs  der  weise  Konig  Dhri- 
tarashtra, nachdem  er  jenes  von  Vidura  geaufserte  Wort 
verehrt,  verlangend  zum  grofsen  Atman  zu  werden,  den 
Sanatsujata  in  der  Einsamkeit  nach  der  hochsten  Erkennt- 
nis  befragte. 

Dhritarashtra  sprach : 

2.  (1578.)  0  Sanatsujata!  Was  ich  hier  als  deine  Be- 
hauptung  hore,  dafs  der  Tod  nicht  sei  —  die  Gotter  und 
die  Damonen  wurden  ja  Brahmanschiiler ,  um  den  Nicht- 
Tod  zu  erlangen  (Chand.  Up.  8,7  fg.)  —  welches  von  beiden 
[dies  Oder  das  GegenteilJ  ist  da  die  Wahrheit? 


Adhyaya  41  (B.  42).  5 

Sanatsuj&,ta  sprach: 
3.  (1579.)  Wonach  du  durch  die  Zeremonie  [oben,  Vers  1573] 
gefragt  hast,    ob    es  keinen  Tod  gebe  oder  das  Gegenteil, 
dariiber  vernimm,  was  ich  dir  sage,  o  Konig,  damit  du  keinen 
Zweifel  dariiber  habest. 

4.  (1580.)  Vernimm,  0  Fiirst,  hieriiber  beide  Wahrheiten 
[die  empirische  und  die  metaphysische].  Nur  aus  Ver- 
blendung  wird  der  Tod  von  den  Sangern  fiir  wahr  ge- 
halten.  Ich  aber  erklare  den  Tod  fiir  eine  Tauschung, 
und  fiir  die  Nicht -Tauschung  erklare  ich  das  Unsterblich- 
sein. 

5.  (1581.)  An  dieser  Tauschung  sind  die  Damonen  zu- 
grunde  gegangen,  durch  die  Nicht -Tauschung  gelangt 
man  zum  Brahmansein.  Der  Tod  ist  doch  nicht  wie  ein 
Tiger,  der  die  Menschen  verschHngt,  und  er  hat  doch 
nicht  eine  Gestalt,  die  man  wahrnehmen  konnte. 

6.  (  —  .)  Hingegen  ist,  wie  einige  lehren,  Yama  ein  von 
jenem  (Mrityu)  verschiedener  Todesgott,  Namhch  im 
Atman  wurzelnd  und  unsterbUch  ist  der  Brahmanwandel, 
wahrend  jener  Gott  in  der  Vaterwelt  sein  Reich  regiert, 
giitig  gegen  die  Guten,  nicht  giitig  gegen  die  Nicht-Guten. 

7.  (1582.)  Auf  sein  Geheifs  verbreitet  sich  iiber  die  Men- 
schen der  Zorn,  die  Tauschung  und  der  Tod,  der  seinem 
Wesen  nach  Begierde  ist.  Und  durch  die  Selbstsucht 
auf  Abwege  gefiihrt,  erlangt  keiner  Vereinigung  mit  dem 
Atman, 

8.  (1583.)  s6ndern  verblendet  leben  sie  unter  seiner 
[des  Todes]  Herrschaft,  und  von  hier  abgeschieden  ver- 
fallen  sie  derselben  wiederum  (Kath.  Up.  2,6).  Und  ihnen 
nach  geraten  die  Gotter  [vielleicht  die  Sinnesorgane] 
in  Verwirrung:  dann  nimmt  der  Todesgott  den  Namen 
Tod  an. 

9.  (1584.)  Indem  das  Werk  ihnen  vorschwebt,  indem 
sie  der  Frucht  der  Werke  nachtrachten ,  schreiten  sie 
auf  diesem  Wege  fort  und  kommen  nicht  iiber  den  Tod 
hinaus,  und  die  Seele,  die  Hingebung  an  heilsame  Zwecke 
verfehlend,  dreht  sich  im  Kreise,  den  Geniissen  hin- 
gegeben. 


Q  I.   SanatsujMa-parvan. 

10.  (1585.)  Dieses  ist  die  grofse  Verblendung  der 
Sinne:  des  Menschen  Gang  bewegt  sich  fort  und  fort 
im  Dienste  triigerischer  Zwecke,  und  die  innere  Seele 
von  diesem  Dienste  triigerischer  Zwecke  geschadigt 
und  ihrer  nur  bewufst  verehrt  die  Sinnenwelt,  die  sie 
umgibt. 

11.  (1586.)  Die  Begierde  ist  es,  welche  zuerst  die  Men- 
schen schlagt,  und  sie  zieht  Lust  und  Zorn  als  ihr  Ge- 
folge  schnell  hinter  sich  her,  diese  aber  fiihren  die  Toren 
dem  Tode  in  die  Arme,  wahrend  die  Einsichtigen  durch 
ihre  Einsicht  den  Tod  iiberwinden. 

12.  (1587.)    Man  unterdriicke  durch  die  Meditation  die 
r  -J               aufflatternden  [Liiste],  in  Unbekiimmertheit  sie  nicht  be- 

achtend;    einen  solchen  frifst  nicHt  gleichsam  der  zum 

Tode  gewordene  Todesgott,  ihn  der  solches  wissend  die 

Liiste  niederschlagt. 

13.  (1588.)  Der  Mensch,  welcher  den  Liisten  nachhangt, 
geht  hinter  ihnen  her  zugrunde;  wer  aber  die  Liiste  aus 
dem  Felde  schlagt,  der  schiittelt  von  sich  alien  [Siinden-] 
Staub  (Chand.  Up.  8,13). 

•  14.  (1589.)  Als  ein  lichtloses  Dunkel  sehen  die  Kreaturen 
diese  Holle  vor  sich;  wie  verblendet  laufen  sie  ihr  entgegen, 
indem  sie  leichtlich  wie  in  eine  Grube  hineinstiirzen. 

15.  (1590.)  Wenn  aber  ein  Mensch  hienieden  unverwirr- 
ten  Geistes  ist,  was  kann  dem  wohl  der  Tod  anhaben? 
Fiir  ihn  ist  er  gleichsam  ein  mit  Heu  ausgestopfter 
Tiger.  Und  um  nichts  anderes  sich  bekiimmernd,  o  Fiirst, 
griible  er  nicht  und  stofse  aus  von  sich  die  Lebenskraft 
[der  Liiste]. 

16.  (1591.)    Er    ist    Zorn    und   Habsucht,    ist    die    mit 
1 :  caS         Verblendung    behaftete    innere    Seele,    das    fiirwahr    ist 

der  Tod,  was  als  solches  in  deinem  Leibe  wohnt.  Wer 
erkannt  hat,  dafs  auf  diese  Weise  der  Tod  entsteht, 
wer  in  dieser  Erkenntnis  feststeht ,  der '  fiirchtet  sich 
K.  f  i*^  hienieden  vor  dem  Tode  nicht.  Der  Tod,  in  eines  sol- 
chen Bereich  gelangend,  wird  zunichte,  ahnlich  wie  der 
Mensch  zunichte  wird,  wenn  er  in  den  Bereich  des  Todes 
gelangt. 


Adhyaya  41  (B.  42).  7 

Dhritarashtra  sprach: 

17.  (1592.)  Sie  reden  doch  von  seligen  Welten,  von 
allerheiligsten ,  ewigen,  welche  der  Zwiegeborene  durch 
Opferwerk  erlange,  und  die  Veden  predigen,  dafs  diese 
das  hochste  Ziel  sind.  Wer  das  weifs,  wie  kann  der  um- 
hin,  das  Werk  zu  betreiben?  (lies:  na  upaiti). 

Sanatsujata  sprach; 

18.  (1593.)  Der  Nichtwissende  ist  es,  welcher  in  dieser 
Weise  dorthin  iibergeht,  und  auch  fiir  diesen  Fall  ver- 
heifsen  die  Veden  Erreichung  der  Zwecke ;  aber  nur  wer 
ohne  Streben  ist,  gelangt  zum  Hochsten.  Als  hochster 
Atman  geht  er  seinen  Weg,  jene  Wege  meidend. 

Dhritarashtra  sprach : 

19.  (1594.)  Wer  ist  es,  der  in  Verbindung  treten  konnte 
mit  jenem  Ungeborenen,  Alten,  wenn  dieser  Schritt  fiir 
Schritt  das  ganze  Universum  ist.  Was  ist  sein  Wirken, 
was  ist  seine  Freude,  das  sage  mir  alles,  du,  der  es  weifs, 
der  Walirheit  nach. 

Sanatsujata  sprach: 

20.  (1595.)  Grofse  Versiindigung  liegt  hier  in  der  Ver- 
bindung mit  der  Mannigfaltigkeit,  aber  durch  Verbindung 
mit  dem  Anfanglosen  wird  man  ewig.  Dabei  geht  seine 
Erhabenheit  in  keiner  Weise  verloren;  durch  die  Ver- 
bindung mit  dem  Anfanglosen  haben  ihr  Sein  die  Men- 
schen. 

21.  (1596.)  Was  nun  so  dieser  Heilige,  Ewige  ist,  der 
erschafft  durch  Verbindung  mit  dem  Wandelbaren  das 
Weltall.  Denn  fiir  so  grofs  erachtet  man  seine  Schopfer- 
kraft,  und  ebenso  entstehen  [aus  ihm]  im  Zusammenhang 
mit  dem  Schopfungsinhalt  die  Veden. 

Dhritarashtra  sprach: 

22.  (1597.)  Derer  sind  einige,  welche  in  dieser  [Schop- 
fung]  die  Pflichten  nicht  erfiillen,  und-  wieder  andere 
gibt  es,  welche  hienieden  die  Pflichten  erfiillen.     Wird 


8  I-   Sanatsujata-parvan. 

nun  wohl  die  Pflicht  durch  das  Bose  iiberwunden,   oder 
liberwindet  vielmehr  die  Pflicht  das  Bose? 

Sanatsujata  sprach: 

tj^  23.  (1598.)    Beiderlei  Vergeltung  wird  in   dieser  Welt 

'  /  i  «.V     verhangt,   solche  fiir  die  Pflichterfullung  und  solclie  fiir 
das  Gegenteil. 

24.  (1599.)  Aber  wer  in  jenem  [dem  Brahman]  fest- 
steht,  der  Weise  schlagt  durch  sein  Wissen  beiderlei  Voll- 
brachtes  fiir  immer  nieder.  Und  anderseits  wiederum 
erntet  die  Seele  das  Verdienst  der  guten  Werke,  und 
ebenso  erntet  sie,  wenn  es  zur  Reife  gekommen,  das 
vollbrachte  Bose. 

25.  (1600.)  1st  es  dazu  gekommen,  dann  wird  beides 
vermoge  des  Werkes  sicherlich  iiber  ihn  verhangt;  er 
[erntet  die  Frucht]  des  Guten  und  auch  des  Bosen  ver- 
moge seines  Werkes.    Aber  der  Weise  treibt  durch  die 

.  (•  {,  J       Pflicht  das  Bose  hienieden  von  sich ;  denn  die  Pflicht  ist 
das  Starkere,  das  bildet  seine  Richtschnur. 

Dhritar&,shtra  sprach: 

26.  (iGOi.)  Die  Himmelswelten,  welche  man  uns  ver- 
heifst  fiir  die  selbstvollbrachte  Pflicht,  uns,  den  Zwie- 
geborenen,  Gutes  Vollbringenden ,  die  ewigen  Welten, 
deren  Stufenreihe  verkiinde  mir  und  auch  die  ihnen  ent- 
gegengesetzten,  o  du  Wissender,  nicht  aber  wiinsche  ich 
vom  Werke  zu  horen. 

Sanatsujata  sprach: 

27.  (1602.)    Jene .  Brahmanen ,    welche  in   Erfiillung   ihrer 
"i       Pflicht   wetteifern,    wie  Starke   in  Betatigung  ihrer   Starke, 

diese  werden  von  hier  abscheidend  in  der  Brahmanwelt  glanzen. 

28.  (1603.)  Sie,  welche  in  Erfiillung  ihrer  Pflicht  wett- 
eifern, ihnen  wird  dieses  ein  Mittel  zur  Erlangung  der  Er- 
kenntnis,  und  solche  Brahmanen  gehen,  aus  dieser  Welt 
erlost,  in  den  Himmel,  in  die  himmlische  Dreiwelt  ein. 

29.  (1004.)  Von  einem  solchen  erklaren  die  vedakundigen 
Menschen,  dafs  sein  Wandel  vollkommen  sei;  nicht  soil  er 


Adhy&ya  41  (B.  42).  9 

irgendeinen  Menschen,   sei  es  einen  Fremden,   sei  es  eincn 
Nahestehenden,  sonderlich  beachten. 

30.  (1G05.)  Wo  er  aber  einen  besonders  ehren  will,  da 
moge  er  von  ihm,  dem  Brahmanen,  wie  man  in  der  Regen- 

'''     zeit  Gras  abrupft,  so  sein  Essen  und  Trinken   [annehmen]; 
davon  lebe  er  und  empfmde  keinen  Neid. 

31.  (1606.)  Wenn  aber  einer  ihm,  dem  Schweigenden, 
[statt  eines  Almosen]  mit  Unfreundlichkeit  oder  Drohung 
entgegenkommt,  wer  dann  sich  dabei  verhalt,  als  geschahe 
nichts  Besonderes ,  der  und  kein  anderer  ist  der  beste 
Mann. 

32.  (1607.)  Wenn  aber  einer  fiir  die  Person  des  schweigend 
Dastehenden  kein  Mitgefiihl  empfmdet,  eines  solchen  Brah- 
manen Habe  soil  er  nicht  geniefsen.  Das  gilt  fiir  die  Art, 
wie  Gerechte  sich  ernahren. 

33.  (1608.)  Wie  ein  Hund  das  eigene  Ausgebrochene  wieder 
verzehrt  fort  und  fort  zu  seinem  Schaden,  so  verzehren  jene 
[Nicht-Gebenden]  das  Ausgebrochene,  well  sie  auf  ihre  Uber- 
legenheit  trotzen. 

34.  (1609.)  „Mein  Wandel  soil  immer  unbekannt  bleiben", 
so  soil  der  Brahmane  denken.  Wer  aber  unter  seinen  Ver- 
wandten  wohnen  bleibt,  den  halten  die  klugen  Leute  fiir 
einen  Brahmanen. 

35.  (1610.)    Denn  welcher  ware  wohl  imstande,   geradezu 
^       seinen  Atman  zu  toten,  den  merkmallosen ,  unwandelbaren, 

reinen,  von  aller  Zweiheit  freien? 

36.  Denn  von  diesem   ausgehend   nimmt  das  Brahman 
il-*^'  auch  in   [dem  Leibe]   eines  Kshatriya  seinen  Wohnsitz  und 

blickt  aus  ihm  heraus. 

37.  (1611.)  Wer  den  anders  seienden  Atman  anders  [als 
er  ist]  auffafst,  welches  Bose  ist  von  dem  nicht  getan  worden, 
von  einem  Diebe,  der  den  Atman  beraubt. 

38.  (1612.)    Unermiidet,    nicht    nehmend,    besonnen,    un- 
.1^   gefahrdet,  gelehrt,  und  doch  als  ware  er  nicht  gelehrt,   das 

ist  der  Brahmane,  der  brahman wissende  Weise. 

39.  (1613.)  Nicht  reich  an  irdischer  Habe,  aber  reich  an 
gottlicher  Einsicht,  uniiberwindlich,  unerschiitterlich,  wer  so 
ist,  den  wisse  man  als  Wohnstatte  des  Brahman. 


10  I-   Sanatsujata-parvan. 

40.  (1614.)  Aber  jeder,  der  hier  auf  Erden  aller  Gotter 
als  gute  Wiinsche  gewahrender  sich  bewufst  ist,  der  kommt 
einem  Brahmanen  nicht  gleich,  sondern  in  jenem  [Gotter- 
dienst]  miiht  er  sich  mit  seinem  ganzen  Selbste  ab. 

41.  (1615.)  Aber  der,  welchen  sie  als  einen,  der  sich  nicht 
abmiiht,  erachten,  der  ist  wahrhaft  geachtet;  er  achte  sich 
nicht  fiir  einen,  der  geachtet  ist,  nicht  soil  nach  Achtung  er 
mit  Miihe  trachten. 

42.  (1616.)  Die  Welt  bewegt  sich  ja  immerfort  ihrer  Na- 
tur  gemafs,  wie  wenn  man  die  Augen  schliefst  und  wieder 
offnet;  aber  die  Wissenden  hienieden  achten  ihn,  und  da- 
durch  erachte  er  sich  als  geachtet. 

43.  (1617.)  Im  Unrechttun  gewandt,  betort  sind  in  dieser 
Welt  die  in  der  Maya  welt  Bewanderten;  mogen  sie  immer- 
hin  den  achten,  der  keine  Achtung  verdient,  und  die  der 
Achtung  Wiirdigen  verachten. 

44.  (1618.)  Denn  niemals  wohnen  beieinander  Weltruhm 
und  Einsiedlertum ;  dies  ist  die  Welt  des  Ruhmes,  jene  die 
des  Einsiedlertums ,  das  wissen  sie. 

45.  (1619.)  Das  Gliick  ist  hier  auf  Erden  eine  Wohnstatte 
der  Lust,  aber  in  Wahrheit  ist  es  nur  ein  Hindernis  auf 
dem  Wege.  Hingegen  das  brahmische  Gliick  ist  schwer 
zu  erlangen  fiir  solche,  welche  der  Erkenntnis  ermangeln, 
o  Fiirst. 

46.  (1620.)  Um  zu  diesem  zu  gelangen,  gibt  es,  so  sagen 
die  Guten,  vielfaltige,  aber  schwer  zu  offnende  Pforten;  sie 
sind:  Wahrhaftigkeit,  Gradsinn,  Schamhaftigkeit,  Bezahmung, 
Reinheit  und  Wissen;  diese  verhindern,  dafs  Verblendung 
entstehe  [B. :  belehren,  so  dafs  keine  Verblendung  entsteht]. 

So  lautet  im  Sanatsujftta-parvan  die  Eede  des  Sanatsujata 
(Sanatsujdta-vdkyam), 


■ij^mut^ 


Adhy^ya  42  (B.  43).  11 

Adhyaya  43  (B.  43). 

Vers  1621-1683  (B.  1-63). 

Dhritar^shtra  sprach: 

1.  (1621.)  Wessen  ist  jenes  einsiedlerische  (schweigende) 
Verhalten,  um  welche  Art  des  Schweigens  handelt  es  sich 
dabei?  Sage  du  mir,  der  du  es  weifst,  das  Wesen  des 
einsiedlerischen  Schweigens.  Ferner  sage  mir,  ob  der 
Weise  durch  Schweigen  zura  [Einsiedler-]  Schweigen  ge- 
langt,  und  wie,  o  Einsiedler,  man  dieses  Schweigen  hie- 
nieden  betreibt. 

Sanatsujata  sprach: 

2.  (1622.)  Sofern  die  Veden  mitsamt  dem  Verstande 
keinen  Eingang  bei  ihm  finden,  insofern  entsteht  sein 
Schweigen.  Namlich,  wenn  das  Wort  des  Veda  ertont, 
dann,  o  Fiirst,  ist  er  es  eben,  welcher  erglanzt,  weil  jenes 
[Vedawort]  sein  Wesen  ausmacht. 

Dhritarashtra  sprach: 
L-  3.  (1623.)  Wenn  einer,  der  den  Rigveda,  den  Yajurveda  und 

y  I    den  Samaveda  weifs,  Boses  tut,  wird  er  dann  von  dem  Bosen 
befleckt,  oder  wird  er  nicht  befleckt? 

Sanatsujata  sprach: 

4.  (1624.)  Nicht  die  Saman-Lieder,  noch  auch  die  Rigveda- 
Verse,  auch  nicht  die  Yajus-Spriiche  vermogen  einen  Toren 
vor  bosem  Werke  zu  behiiten.  Nicht  sage  ich  dir  die  Un- 
wahrheit. 

5.  (1625.)  Die  heiHgen  Lieder  retten  ihn  nicht  vor  dem 
Unheil,  den  Verblendeten,  in  Verblendung  Lebenden.  Wie 
die  Vogel  das  Nest  verlassen,  wenn  ihnen  die  Fliigel  ge- 
wachsen  sind,  so  verlassen  ihn  die  heiligen  Lieder,  wenn 
sein  Ende  gekommen  ist. 

Dhritarashtra  sprach: 

6.  (1626.)    Wenn  die  Veden  ohne  Pflichterfiillung  nicht  im- 
.     stande  sind,  ihn  zu  retten,   o  W^eiser,   warum  dann   dieses 

endlose  Gerede  der  Brahman  en? 


12  I.   Sanatsujata-parvan. 

Sanatsujata  sprach : 

7.  (1627.)  Vermoge  der  in  ihm.  [dem  Veda]  enthaltenen 
mannigfachen  Formen,  wie  Namen  usw.,  erglanzt  diese 
ganze  Welt ,  o  Grof smachtiger ;  die  Veden  zeigen  sie  auf 
und  erklaren  sie  vollstandig,  sie  legen  diese  ganze  Mannig- 
faltigkeit  dar. 

8.  (1628.)  Zu  diesem  Zwecke  wird  [vom  Veda]  das 
Tapas,  zu  diesem  Zwecke  das  Opfer  gelehrt,  weil  durch 
diese  beiden  der  Wissende  einen  Schatz  guter  Werke 
erlangt,  und  weil  er  durch  diesen  Schatz  das  Bose  nieder- 
schlagt  und  sodann  zu  einem  solchen  wird,  dessen  Atman 
durch  das  Wissen  erleuchtet  ist. 

9.  (1629.)  Denn  durch  das  Wissen  erlangt  der  Wissende 
den  Atman.  Hingegen  im  andern  Falle,  wenn  er  nach 
himmlischem  (lies :  svarga,  oder  varga  „gemeinem"  C.)  Lohne 
verlangt,  dann  rajfft  er  alles  zusammen,  was  er  im  Dies- 
seits  getan  hat,  geniefst  dafiir  im  Jenseits  und  kommt 
sodann  auf  seinem  Wege  wieder  zuriick. 

10.  (1630.)  Das  Tapas  wird  in  dieser  Welt  geiibt,  seine 
Frucht  wird  in  jener  genossen;  den  Brahmanen,  wenn  sie  in 
dem  sich  aufzuerlegenden  [dhatve  =  dhdtavya  Nil.)  Tapas  fest 
stehen,  werden  die  jenseitigen  Wei  ten  zuteil. 

Dhritarashtra  sprach: 

11.  (1631.)    AVie  kommt  es,  dafs  das  Tapas,  wenn  es  doch 

rein  ist,   gedeihlich  und  wiederum  nicht  gedeihlich  werden 

kann?    0  Sanatsujata,  das  erklare,  damit  auch  wir  dasselhe 

wissen. 

Sanatsujata  sprach: 

12.  (1632.)  Sundloses  Tapas,  das  ist  es,  was  man  reines 
Tapas  nennt,  und  dieses  reine  Tapas  ist  gedeihlich  und  ge- 
diehen. 

13.  (1633.)  Alles  das,  wonach  du  mich  fragst,  o  Fiirst, 
hat  das  Tapas  zur  Wurzel;  durch  Tapas  haben  die  Veda- 
wissenden  sogar  die  hochste  Unsterblichkeit  erreicht. 

DhritarS,shtra  sprach: 

14.  (1634.)  Erklare  mir,  was  fiir  Siinde  dem  Tapas  an- 
haften  kann,  denn  es  gibt,  wie  ich  hore,  ein  sundloses  [mit- 


Adhyaya  42  (B.  43).  13 

hin  audi  ein  siindhaftes]  Tapas,   damit  icli,  o  Sanatsujata, 
dieses  ewige  Geheimnis  erfahre. 

Sanatsuj&,ta  sprach : 

15.  (1635.)  Dasjenige  [ist  das  siindhafte],  welcliem  die 
zwolf  Mangel  und  ebenso,  o  Konig,  die  dreizehn  Nieder- 

7  trachtigkeiten  anhaften.  Hingegen  jene  anderen  [siind- 
losen]  Qualitiiten  sind  die  zwolf,  Pflicht  usw,,  welche 
aus  der  Lehre  der  Vater  von  den  Brahmanen  erkannt 
werden. 

16.  (1636.)  Zorn,  Liisternheit,  Habgier  und  Verblendung, 
Unstetheit,  Hartlierzigkeit,  Mifsgunst,  Diinkel,  Verdrossen- 
heit,  Begierde,  Neid  und  Heimtiicke,  das  sind  die  zwolf 
menschlichen  Fehter,  welche  von  den  Mensclien  allezeit 
zu  vermeiden  sind. 

17.  (1637.)  Jeder  einzelne  von  ihnen  umlauert  die  Men- 
schen,  o  Mannerstier,  nach  einer  Blofse  spahend,  wie  der 
Jager  das  Wild  [beschleicht]. 

18.  (1G38.)  Der  Prahlerisclie,  der  Begehrliche,  der  Hoch- 
miitige,  der  Nachtragende,  der  Wankelmiitige  und  der 
Schutzversagende  —  denen  liaften  die  sechs  bosen  Eigen- 
schaften  an,  welche  die  bosen  Menschen  betatigen,  ohne 
vor  der  Gefalir  [der  sie  sich  aussetzen]  zu  zittern. 

19.  (1639.)  Nur  an  sein  Vergniigen  zu  denken,  aus  Hoch- 
mut  unwillig  zu  sein,  seine  Freigebigkeit  zu  bereuen,  zu 
geizen,  allzu  schwachlich  zu  sein,  die  Schar  [der  Sinnen- 
freuden]  zu  riihmen,  die  Gattinnen  zu  liassen,  das  sind 
die  sieben  schlimmsten  Klassen  von  Menschenfeinden. 

20.  (1640.)  Pflichterfiillung,Wahrhaftigkeit,  Bezahmung, 
Tapas,  Selbstlosigkeit ,  Schamhaftigkeit,  Geduld,  Neid- 
losigkeit,  Opfern,  Almosengeben,  Festigkeit  und  Schrift- 
studium,  das  sind  die  zwolf  Geliibde  der  Brahmanen. 

21.  (1641.)  Wer  sich  durch  diese  zwolf  hervortut,  der 
wird  diese  ganze  Erde  beherrschen ;  wer  aber  mit  dreien, 
zweien  oder  nur  einer  von  ihnen  begabt  ist,  dem  wird 
Eigentum  zuteil,  so  soil  man  wissen. 

22.  (1642.)  Bezahmung,  Entsagung  und  Besonnenheit,  in 
diesen  liegt  Unsterblichkeit  beschlossen ;  sie  werden  als  Ein- 


14  I.    Sanatsujata-parvan. 

gangspforten  zur  Wahrheit  bezeichnet  von  Brahmanen,  welche 
weise  sind. 

23.  (1643.)  Die  Bezahmung  nun  befafst  achtzehn  Tugen- 
den.  [Wem  nicht  anhaften]:  Widerspenstigkeit  im  Tun  und 
Lassen,  Unwahrheit,  Mifsgunst,  Lust  und  Ausgehen  auf  Nutzen, 
Begelirlichkeit, 

24.  (1644.)  Zorn,  Verdrossenheit  und  Durst  ftrishndjy  Be- 
gierde,  Ohrenblaserei,  Selbstsucht,  Grausamkeit,  Selbstanklage, 
Verstimmtheit, 

25.  (1645.)    Vergefslichkeit ,     hochfahrendes    Wesen    und 
, -,        Selbstvergotterung ;   —  wer  von   diesen   Fehlern   befreit  ist, 

der  wird  von  den  Guten  ein  Bezahmter  genannt. 

26.  (1646.)  Unbesonnenheit  hat  achtzehn  Fehler,  Entsagung 
ist  von  sechsfacher  Art.  Erstere  [achtzehn]  werden  als  Gegen- 
satze,  namhch  als  Fehler  der  Unbesonnenheit  genannt. 

27.  (1647.)  Hoher  aber  steht  die  Entsagung.  Sie  ist  von 
sechs  Arten ;  von  ihnen  ist  die  dritte  schwer  zu  vollbringen ; 
mit  ihr  aber  befreit  man  sich  vom  Leid;  wer  sie  vollbringt, 
der  gewinnt  sich  einen  Freund  [B.  gewinnt,  was  ihm  ver- 
feindet  war]. 

28.  (1648.)  Hoher  aber  steht  die  Entsagung;  sie  ist  von 
sechs  Arten :  dafs  man  iiber  erlangtes  Gliick  sich  nicht  freut 
[ist  die  erste] ;  dafs  man  Opfer  und  gute  Werke  vollbringt, 
ist  die  zweite,  weil  diese  zu  der  vollstandigen  Begierdelosig- 
keit  gehoren. 

29.  (1649.)  Aber  die  Entsagung  in  bezug  auf  die  Lust, 
o  Fiirst  der  Konige,  das  ist  die  dritte  Art,  so  wird  gelehrt. 
Von  ihr  sagt  man  auch,  dafs  sie  unaussprechlich  sei;   das 

'O^r    ^^^  ^^^  dritte  Eigenschaft,  so  wird  gelehrt. 

30.  (1650.)  Dasjenige,  was  einem  zuteil  wird  durch  Ent- 
sagung in  bezug  auf  Giiter  und  durch  Nicht -Anhanglichkeit 
an  sie  aus  Lust,  [der  Nachsatz  fehlt  in  C.]  das  wird  einem 
nicht  auch  zuteil  durch  Giiter  und  auch  nicht  durch  An- 
hanglichkeit an  sie. 

31.  Und  wenn  auch  die  Werke  nicht  vollbracht  werden, 
so  ist  das  nicht  schlimm,  und  man  betnibe  sich  nicht  dar- 
iiber.  (i65i.)  Ubrigens  kann  auch  mit  alien  Tugenden  ver- 
bunden  sein,  wer  reich  an  Giitern  ist. 


Adhyaya  42  (B.  43).  15 

32.  Wenn  aber  Unerfreuliches  ihn  trifft,  so  wird  er  nie 
j^  dadurch  erschiittert  werden.  (1652.)  Sohne  und  Gattinnen,  so 
^\)    erwiinscht  sie  sind,  moge  er  niemals  fordern. 

33.  Dem  Wiirdigen,  wenn  er  etwas  fordert,  soil  er  es 
geben,  so  ist  es  recht.  (icss.)  Zu  einem  Besonnenen  wird  er 
durch  das  Folgende;  und  dieser  besitzt  acht  Eigenschaften : 

34.  Wahrhaftigkeit,  Meditation,  Versenkung,  Betriebsam- 
keit  und  Begierdelosigkeit,  {iGbQ  Ehrlichkeit,  Keuschheit  und 
Unbestechlichkeit. 

35.  Entsprechend  sind  die  Fehler  der  Unbesonnenheit, 
und  diese  Fehler  soil  man  meiden.  (i655.)  So  stelit  es  mit 
der  Entsagung  und  der  Besonnenheit,  und  diese  [letztere] 
besitzt  die  acht  Eigenschaften. 

36.  Acht  Fehler  sind  der  Unbesonnenheit  und  diese  Fehler 
0  (    soil  man  meiden.    (ig56.)  Wer  von  den  fiinf  Sinnen  und  von 

dem  Manas,  o  Bharata,  vom  Vergangenen  und  vom  Zukiinf- 
tigen  Befreiung  erlangt  hat,  dem  ist  wohl. 

37.  (1657.)  Sei  wahrhaften  Selbstes,  o  Fiirst  der  Konige; 
in  der  Wahrheit  wurzeln  die  [Himmels-JWelten;  sie  haben 
die  Wahrhaftigkeit  als  Pforte.  In  der  Wahrhaftigkeit  ist  die 
Unsterblichkeit  beschlossen. 

38.  (1658.)  Man  soil  die  Siinde  austilgen  und  das  Geliibde 
des  Tapas  befolgen;  das  ist  das  vom  Schopfer  beobachtete 
Verhalten  und  das  wahrhafte  Geliibde  der  Guten. 

39.  (1659.)  Wenn  man  von  jenen  Siinden  sich  befreit  und 
mit  jenen  Tugenden  angetan  ist,  das  ist  das  iiberaus  gedeih- 
liche,  lautere  Tapas. 

40.  (1660)  Und  wonach  du  mich  fragst,  o  Fiirst  der 
Konige,  darauf  sage  ich  dir  zusammenfassend :  dieses  ist  das 
gute  Werk,  welches  das  Bose  vertilgt,  und  welches  Geburt, 
Tod  und  Alter  abwehrt. 

Dhritarashtra  sprach: 

41.  (1661.)  Wer  die  vier  Veden  mit  den  [erganzenden] 
Erzahlungen  als  fiinftem  kennt,  der  Mensch  wird  am  hochsten 
gepriesen;  ebenso  andere,  welche  die  vier  Veden  kennen,  und 
wieder  andere,  welche  drei  Veden  studiert  haben, 

42.  (1662.)    und  wieder  andere,  welche  zwei  Veden,  welche 


16  I.    Sanatsujata-parvan. 

4.  einen  Veda  und  welche  gar  keine  Vedaverse  kennen.  Wer 
von  diesen  alien  ist  derjenige,  den  ich  als  den  wahrhaften 
Zwiegeborenen  betrachten  soil? 

Sanatsuj&.ta  sprach; 

43.  (1663.)  Wegen  der  Unkenntnis  des  einen  Zuwissenden 
(mit  C. :  vedyasya)  sind  jene  vielen  Veden  verfafst  worden, 
jenes  einen  Wahren,  o  Fiirst  der  Konige,  in  welchem  nur 
wenige  wurzeln. 

44.  (1664.)  Dies  ist  der  wahre  Veda ;  ihn  kennt  man  niclit 
und  lebt  in  demWahne:  „ich  bin  wissend".  Almosengeben, 
Vedastudium  und  Opfer,  das  alles  entspringt  aus  der  Be- 
gierde. 

45.  (1665.)  Und  derartiges  Verlangen  entsteht  bei  solchen, 
welche  vom  Wahren  abgefallen  sind.  Daraus  entspringt  die 
Ausbreitung  der  Opfer,  indem  man  sie  fiir  das  Wahre  halt. 

46.  (1666.)  Aus  Gedanken  entspringt  es  bei  dem  einen, 
aus  Worten  bei  dem  andern  oder  auch  aus  Werken.  Aus 
Verlangen  ist  der  Mensch  gemacht,  auf  Verlangen  griindet 
er  sich. 

47.  (1667.)    Weil  er  nicht  fest  an  jenem  Einen  halt,  darum 
:         betreibt  er  das  Weihegeliibde ;  es  ist  blofses  Wort,  aus  der 

Naturanlage  entsprungen.    Aber  fiir  die  Guten  ist  jenes  Wahre 
das  Hochste. 

48.  (1668.)  Das  Wissen  ist  etwas  Immanentes,  als  ein 
Transfcendentes  entsteht  das  Tapas.  Aber  einen  Zwie- 
geborenen, der  viel  studiert,  wisse  als  einen,  der  viele  Worte 
macht. 

49.  (1669.)  Darum,  0  Fiirst,  mogest  du  nicht  einen  wegen 
seines  vielen  Geredes  fiir  einen  Zwiegeborenen  ansehen,  und 
nur,  wer  von  dem  Wahren  nicht  abweicht,  den  sollst  du  an- 
€rkennen  als  einen  Brahmanen. 

50.  (1670.)    Die  heiligen  Lieder  namlich,  sie  hat  jener 
Atharvan  umgeben  von  der  Schar  der  grofsen  Weisen  vor- 
l  0  mals  gesungen;  sie,  welche  jene  heiligen  Lieder  kennen, 

wie  auch  welche  den  Veda  nicht  studiert  haben,  sie  alle 
wissen  nicht  die  Wesenheit  des  durch  den  Veda  (hier: 
die  Upanishad's,  Nil.)  Zuwissenden. 


Adhy^ya  42  (B.  43).  17 

51.  (1671.)  Denn  die  heiligen  Lieder,  o  Trefflichster 
der  Menschen,  entstehen  hier  durch  die  Anklammerung 
an  die  eigenen  Wiinsche.  Die  Kenner  der  heiligen 
Hymnen  und  sie,  welche  jene  [Veden]  nicht  studiert 
haben,  alle  diese  Edlen  gelangen  nicht  zu  dem,  was 
man  aus  dem  Veda  nicht  lernen  kann. 

52.  (1672.)  Mancher  ist  nicht  ein  Kenner  der  Veden, 
und  mancher  wiederum,  o  Fiirst,  kennt  sie.  Wer  die 
Veden  kennt,  der  kennt  darum  noch  nicht  das  Zu- 
wissende,  aber  wer  in  der  Wahrheit  feststeht,  der  er- 
kennt  das  Zuwissende. 

53.  (1673.)  Mancher  ist  nicht  ein  Kenner  der  Veden ; 
durch  das,  was   durch  Wissen  zu  erreichen  ist,  wissen 

J  I  [andere]  den  Veda,  aber  nicht  das  Unwifsbare.   Wer  den 

Veda  weifs,  der  weifs  nur  das  Wifsbare;  wer  das  Wifs- 
bare  weifs,  der  weifs  darum  noch  nicht  die  Wahrheit. 

54.  (1674.)  Wer  die  Veden  weifs,  der  weifs  zwar  das 
Wifsbare,  nicht  aber  wissen  ihn  [den  Atman]  die  Veda- 
kenner,  noch  audi  die  Veden.  Immerhin  wissen  durch 
den  Veda  das  Wissen  solche  Brahmanen,  welche  veda- 
kundig  sind. 

55.  (1675.)  Denn  was  die  Zweige  eines  Baumes  [fiir 
das  Aufsuchen  am  Himmel]  eines  kleinen  Teiles  der  Mond- 
sichel  sind,  das  sind,  wie  man  uns  lehrt,  die  Veden  fiir 
die  Erkenntnis  des  hochsten  Atman  als  das  wahre  Ziel. 

56.  (1676.)  Ich  erkenne  an  als  Brahmanen  einen  kundigen 
Erklarer;  er,  der  die  Bedenken  abgestreift  hat,  er  hellt  alle 
Zweifel  auf. 

57.  (1677.)  Nicht  moge  das  Suchen  nach  ihm  nach  Osten 
und  nicht  nach  Siiden  gehen,  nicht  herwarts  zu,  noch  weniger 
in  die  Quere;  nicht  soil  man  versuchen  ihn  irgendwie  [auf 
dem  Wege  der  Erkenntnis]  aufzuzeigen, 

58.  (1678.)  oder  irgendwie  Nachforschungen  iiber  ihn  an- 
zustellen  bei  den  ihm  entgegengesetzten  [vielheitlichenDingen], 
indem  man  somit  darauf  verzichtet,  ihn  im  Veda  zu  suchen,  — 
das  Tapas  schaut  ihn  als  den  Herrn. 

59.  (1679.)  Schweigend  soil  man  in  Verehrung  sitzen,  ohne 
sich  auch  nur  im   Geiste  zu  bewegen;   so   wende  dich  hin 

Deussen,  Mahftbharatam.  9 


18  I.    Sanatsujata-parvan. 

zu  jenem   Brahman,    welches    im   innern  Selbste   vernehm- 
bar  ist. 

60.  (1680.)  Nicht  durch  Schweigen  wird  man  zum  Muni, 
nicht  zum  Muni  durch  Wohnen  im  Walde,  sondern  wer  die 
Wesenheit  des  Selbstes  kennt,  der  wird  der  beste  Muni 
genannt. 

61.  (1G81.)  Durch  Analysis  aller  Dinge  wird  man  ein 
Analytiker  genannt;  well  er  diese  Analysis  von  Grund  aus 
analysierend  iibt,  darum  heifst  er  so. 

62.  (1682.)  Ein  Mann,  der  das  Wahrnehmbare  sieht  in 
diesen  Welten,  ist  ein  Allsehender,  aber  der  Brahmane,  der  in 
der  "Wahrheit  fest  steht  und  sie  erkennt,  ist  ein  Allwissender. 

63.  (1683.)  Und  audi  wer  in  der  Pflicht  usw.  beharrt,  kann 
auf  diese  Weise  das  Brahman  schauen,  wie  auch  der,  der  die 
Veden  der  Reihe  nach  treibt.  Dieses  sage  ich  dir  mit  tjber- 
zeugung. 

So  lautet  im  Sanatsujilta-parvan  die  Rede  des  Sanatsujata 
(Sanatsujdta-vdkyam). 


Adhy^ya  43  (B.  44). 

Vers  1684-1714  (B.  1-31). 

Dhritarashtra  spracli: 

1.  (1084.)  0  Sanatsujata,  jene  hochste  Lehre  vom 
Brahman,  die  allumfassende,  von  der  du  sprichst,  jene 
hochste,  freihch  schwer  zu  fassende  Mitteilung,  jene 
Rede  verkiinde  mir,  o  Fiirstensohn. 

Sanatsujata  sprach: 

2.  (1685.)  Nicht  von  einem  Eiligen  ist  jenes  Brahman 
zu  erfassen,  nach  welchem  mich  fragend  du  dich  so  iiber- 
aus  aufgeregt  zeigst.  Nur  dann,  wenn  das  Manas  in 
der  Buddhi  absorbiert  ist,  lafst  sich  diese  im  Denken 
zu   erfassende  Wissenschaft    durch  Brahmanwandel   er- 

langen. 

Dhritar&shtra  sprach : 

3.  (1686.)  Jene  unendliche,  ewige  Wissenschaft,  von 
der  du  sagst,  dafs  sie  nur  durch  Brahmanwandel  zu  ver- 


11^ 


Adhyaya  43  (B.  44).  19 

wirklichen  sei,  und  welche  unergreifbar  ist,  solange 
hienieden  die  Zeit  des  Wirkens  andauert,  wie  lafst  sie 
sich,  wie  lafst  sich  Brahmanheiligkeit ,  Unsterblichkeit 
erlangen  ? 

Sanatsujata  sprach: 
4.  (1687.)  Ich  will  dir  die  geheime  Wissenschaft  der 
Altvordern  verkiinden,  welche  durch  Einsicht  und  Brah- 
manwandel  von  ihnen  verwirklicht  wurde,  welche  erlangt 
habend  man  diese  sterbliche  Welt  aufgibt,  und  welche 
fiirwahr  nur  solchen  eigen  ist,  die  bei  einem  Lehrer  er- 
zogen  wurden. 

Dhritarashtra  spracli : 
5.  (1688.)    Wenn    diese    Wissenschaft    durch    Brahman- 
wandel  ohne  Schwierigkeit  erlangt  werden  kann,   von  wel- 
cher    Art   ist    dieser    Brahmanwandel ?    Das,    o   Brahmane, 
sage  mir. 

Sanatsujata  sprach : 

6.  (1689.)  Die,  welche  hienieden  in  den  Mutterleib 
eines  Lehrers  eingehend  und  zu  seiner  Leibesfrucht  wer- 
dend  den  Brahmanwandel  wandeln,  die  werden  hier  auf 
Erden  Urheber  der  Lehrbiicher,  und  nachdem  sie  den 
Leib  verlassen  haben,  gehen  sie  in  die  hochste  Gemein- 
schaft  ein. 

7.  (1690.)  In  dieser  Welt  fiirwahr  iiberwinden  sie  die 
Liiste,  indem  sie  dem  Feststehen  in  Brahman  mit  Aus- 
dauer  nachstreben;  diese  reifsen  schon  hienieden  den 
Atman  aus  dem  Leibe  heraus,  wie  den  Halm  aus  dem 
Schilfe  (Kath.  Up.  6,17),  und  stehen  fest  in  der  Wahrheit. 

8.  (1691.)  Den  Leib  erzeugen  diese  zwei,  der  Vater  und 
die  Mutter,  o  Bharata,  aber  die  Geburt,  welche  sie  erklaren 
als  aus  dem  Lehrer  geschehend,  die  ist  heilig,  die  ist  nicht 
alternd  und  unsterblich. 

9.  (1692.)  Ihn,  der  die  Ohren  (lies:  harnan)  anfiillt  mit 
Wahrheit,  das  Rechte  vollbringt,  Unsterblichkeit  gewahrt, 
den  soil  man  fiir  seinen  Vater  und  seine  Mutter  halten,  den 
soil  man  nicht  kranken,  indem  man  bedenkt,  was  er  an  einem 
getan  hat. 

2* 


20  I-    Sanatsujata-parvan. 

10.  (1693.)  Dem  Lehrer  soil  der  Schiiler  allezeit  griifsend 
nahen  und  um  Vedalehre  bitten,  rein  und  wohlbedaclitig ; 
er  soil  keinen  Hochmut  zeigen,  nicht  in  Zorn  geraten; 
das  ist  das  erste  Viertel  des  Brahmanwandels. 

11.  (1694.)  Wer  in  Lauterkeit  durch  die  stufenweise  Er- 
fuUung  der  Schiilerpflichten  die  Wissenschaft  erlangt,  fiir  den 
ist   dieses  das  erste  Viertel  seines  Brahmanwandelgeliibdes. 

12.  (1695.)  Dem  Lehrer  soil  er  Freude  machen  mit  seinem 
Gut  und  Blut,  in  Werken,  Gedanken  und  Worten,  dies  wird 
das  zweite  Viertel  genannt. 

13.  (1696.)  "Wie  sein  Wandel  gegeniiber  dem  Lehrer  ist, 
so  soil  er  sich  auch  gegen  die  Gattin  des  Lehrers  benehmen, 
und  wenn  er  dasselbe  Verhalten  auch  bei  dem  Sohne  des 
Lehrers  beobachtet,  dann  ist  das  das  zweite  Viertel. 

14.  (1697.)  Wenn  er  begreift,  dafs  sein  Selbst  durch 
den  Lehrer  geschaffen  wurde,  und  wenn  er  die  Bedeutung 
der  Worte  verstehend :  „Von  ihm  bin  ich  geschaffen 
worden",  von  dankbarer  Gesinnung  gegen  ihn  erfullt  ist, 
das  furwahr  ist  das  dritte  Viertel  des  Brahmanwandels. 

15.  (1698.)  Hat  er  die  Erkenntnis  erlangt,  so  soil  er 
seine  Abreise  nicht  vornehmen,  ohne  es  dem  Lehrer  ver- 
golten  zu  haben;  und  nicht  soil  er  etwa  denken:  „Ich 
tue  so  vieles  an  ihm",  noch  auch  sich  dessen  riihmen, 
das  furwahr  ist  das  vierte  Viertel  des  Brahmanwandels. 

16.  (1699.)  Durch  die  Zeit  erlangt  er  jenes  erste  Viertel 
und  zugleich  den  [Veda-]Inhalt;  das  zweite  Viertel  so- 
dann  durch  Anhanglichkeit  an  den  Lehrer;  wenn  er  in 
der  Anstrengung  bestandig  ist,  fallt  ihm  ein  weiteres 
Viertel  zu;  und  ein  letztes  Viertel  erreicht  er  aus  der 
Kenntnis  des  Schriftkanons. 

17.  (1700.)  Wenn  einer  die  zwolf  [Gebote],  Pflicht- 
erfiillung  usw.  zu  seinem  Wesen  gemacht  hat,  wenn  er 
auch  die  iibrigen  Telle  der  Lehre  und  [durch  sie]  Kraft 
gewonnen  hat,  dann  sagt  man  von  ihm,  sein  Brahman- 
wandel  ist  durch  Verbindung  mit  dem  Lehrer  und  durch 
Verbindung  mit  dem  Inhalte  des  Brahman  (des  Veda)  ein 
erfolgreicher. 


Adhy^ya  43  (B.  44).  21 

18.  (1701.)  Was  er,  indieserWeisegefordert,  empfangen 
hat,  dafiir  soil  er  dem  Lehrer  einen  Entgelt  bieten;  auf 

•  I-  diese  Weise  schlagt  er  den  tugendreichen  Wandel  der 
Guten  ein,  und  dasselbe  Verhalten  erstreckt  sich  audi 
auf  den  Sohn  des  Lehrers. 

19.  (1702.)  Wenn  er  hierin  beharrt,  so  gedeiht  er  nacli 
alien  Seiten  hin,  er  erlangt  viele  Sohne  und  eine  [ange- 

'-^  sehene]  Stellung;  die  Himmelsgegenden  und  Zwischen- 
himmelsgegenden  spenden  ihm  Regen,  und  die  Leute 
nehmen  als  Brahmanschiiler  bei  ihm  Wohnung. 

20.  (1703.)  Durch  einen  solchen  Brahmanwandel  haben 
die  Gotter  ihr  Gottsein,  haben  die  weisen  Rishi's,  die  gliick- 
lichen,  die  Brahmanwelt  erlangt. 

21.  (1704.)  Durch  ihn  wurde  den  Gandharven  und  Apsarasen 
'^ihre  Schonheit  zuteil,  durch  diesen  Brahmanwandel  wird  auch 

dem  Tage  die  Sonne  geboren. 

22.  (1705.)  Gleichwie  diejenigen,  welche,  nach  einem  be- 
stimmten  Elixier  trachtend,  durch  Erlangen  des  ersehnten 
Gegenstandes  [befriedigt  werden],  so  sind  jene  durch  die  Er- 
kenntnis  zu  einer  so  hohen  Stellung  als  solche  [die  sie  sind] 
gelangt. 

23.  (1706.)  Wer  dazu  seine  Zuflucht  nimmt  und  sich 
lautert,  o  Fiirst,  wer  seinen  ganzen  Leib  mit  Tapas  durch- 

'  ^  gluht,  der  gelangt  dadurch  als  Wissender  zur  Kindlich- 
keit  (Brih.  Up.  3,5),  und  er  iiberwindet  den  Tod,  wenn 
das  Ende  kommt. 

24.  (1707.)  Ein  Ende  habend  sind  die  Welten,  o  Fiirst, 
welche  jene  anderen  Menschen  durch  reine  Werke  ge- 
winnen ;  aber  wer  das  Brahman  weifs,  der  erlangt  durch 
dasselbe  das  All,  nicht  gibt  es  einen  andern  Weg  zum 
Gehen.    (Vaj.  Samh.  31,18.) 

Dhritarashtra  sprach : 

25.  (1708.)  Erscheint  es  als  weifs  oder  rot  oder  als 
schwarz  oder  dunkelfarbig  oder  braun  ?  Der  rechte  Brah- 
mane,  der  hier  als  ein  Wissender  es  schaut,  in  welcher 
Gestalt  schaut  er  jenes  Unsterbliche,  jene  unvergangliche 
Statte? 


22  I-    Sanatsujata-parvan. 

Sanatsujata  sprach : 

26.  (1709.)  Es  erscheint  als  weifs  oder  rot  oder  als 
schwarz  oder  eisenfarbig  oder  sonnenfarbig ;  es  weilt 
nicht  in  der  Erde,  nicht  im  Luftraum,  nicht  tragi  es 
im  Ozean  [als  Gewand]  das  Wasser. 

27.  (1710.)  Es  erscheint  nicht  in  den  Sternen,  hat  seinen 
Sitz  nicht  in  dem  Bhtze,  nicht  in  den  Wolken  ist  seine 
Gestalt  zu  sehen,  nicht  in  dem  Winde,  nicht  in  den  Gott- 
heiten,  nicht  in  dem  Monde  ist  es  zu  sehen,  noch  auch 
in  der  Sonne, 

28.  (1711.)  nicht  in  den  Versen  ist  es,  nicht  in  den 
Opferspriichen,  nicht  in  den  Atharvan-Liedern ;  nicht  ist 
es  zu  sehen  in  den  lauteren  Saman-Liedern,  im  Rathan- 
taram  oder  im  Barhadratham  [wohl  gleichBrihad],  oKonig; 
auch  nicht  einmal  im  Mahavratam  [doppelsinnig ,  auch: 
grofses  Geliibde]  schaut  man  jenes  Unwandelbare. 

29.  (1712.)  UniiberwindHch  ist  es,  hinausgelangt  iiber 
die  Finsternis  (VaJ.  Samh.  31,18),  und  auch  der  Tod  zer- 
geht  in  ihm,  wenn  das  Ende  kommt.  Es  ist  kleiner  an 
Gestalt  [als  das  Kleinste],  ist  vergleichbar  der  Schneide 
eines  Schermessers ;  und  doch  grofs  an  Gestalt,  [noch 
grolser]  als  die  Berge. 

30.  (1713.)  Das  ist  die  Grundlage,  dies  das  Unsterbliche, 
die  Welten,  dies  ist  das  Brahman,  dies  die  Herrlichkeit,  denn 
aus  ihm  sind  die  Wesen  entstanden  und  gehen  wieder  unter 
in  dasselbe. 

31.  (1714.)    Das  ist  das  Krankheitlose ,    Grofse,   Aus- 

gespannte,  Herrliche;  nur  auf  Worten  [beruhe]  seine  Um- 

wandlung,    so   erklaren  die  Weisen     (Chand.  Up.  6,1,3). 

Dieses,  worin  diese  ganze  Welt  gegriindet  ist,  —  die 

das  erkennen,  werden  unsterblich. 

So  lautet  im  Sanatsujata-parvan  die  Bede  des  Sanatsuj&ta 

(Sanatsiijdta-vdk-j/am). 


Adby^ya  44  (B.  45).  23 

£7ri^  C/i:    Aclhyaya  44  (B.  45). 

Vers  1715-1736  (B.  1-21). 

Sanatsuj&,ta  sprach: 

1.  (1715.)  Kummer  und  Zorn,  Begierde  und  Lust,  Hoch- 
mut  und  Schlaffheit,  Neid,  Verblendung,  Unbestandigkeit, 
Weichmiitigkeit ,  Verdrossenheit,  Feiglieit, 

2.  (171G.)  das  sind  die  zwolf  grofsen  Siinden,  welche  das 
Leben  der  Menschen  verderben;  (I7i7.)  sie  sind  es,  o  Fiirst 
der  Konige,  welche  die  Menschen,  den  einen  wie  den  andern, 
umlauern,  und  von  welchen  besessen  der  Mensch  mit  be- 
tortem  Bewufstsein  sich  fiir  das  Bose  entscheidet. 

3.  (1718.)  DerBegehrHche,  der  Gewalttatige,  der  Rauhe, 
der  Geschwatzige,  der  Zornmiitige  und  der  Prahlerische, 
das  sind  die  sechs  Menschen,  welche  von  menschenfeind- 
licher  Gesinnung  sind;  audi  wo  sie  eine  Veranlassung 
hatten,  erweisen  sie  doch  nicht  die  gebiihrende  Ehre. 

4.  (1719).  Der  Genufssiichtige,  der  Unbillige,  der  Hoch- 
miitige,  der  mit  seiner  Freigebigkeit  Prahlende,  der  Gei- 
zige  und  Schwache,  der  viel  sich  Riihmende,  der  sein 
Weib  Hassende,  diese  sieben  [acht?]  heifsen  die  iibel- 
gesinnten  Menschenfeinde. 

5.  (1720.)  Pflichterfullung,  Wahrhaftigkeit,  Tapas,  Be- 
zahmung,  Selbstlosigkeit,  Schamhaftigkeit,  Geduld  und 
Neidlosigkeit,  Almosengeben ,  Schriftstudium,  Festigkeit 
und  Geduld,  das  sind  die  zwolf  grofsen  Geliibde  des  Brah- 
manen. 

6.  (1721.)  Wer  von  diesen  zwolfen  nicht  abfallt,  der 
wird  diese  ganze  Erde  beherrschen ;  wer  aber  mit  dreien, 
zweien  oder  nur  einem  von  ihnen  begabt  ist,  dem  wird 
kein  Eigentum  zuteil ,  so  soli  man  wissen  [oben, 
Vers  1641,  das  gerade  Gegenteil]. 

7.  (1722.)  Bezahmung,  Entsagung,  Besonnenheit,  in  diesen 
besteht  Unsterblichkeit ;  sie  sind  eigen  denen,  welche  Brah- 
man als  Hochstes  schatzen,  den  Brahmanen,  welche  weise 
sind  (vgl.  Vers  1642). 


24  I-   Sanatsujata-parvan. 

8.  (1723.)  Die  Beleidigung ,  wahr  oder  nicht  wahr,  eines 
Brahmanen  ist  nicht  zu  billigen;  in  die  Holle  gehoren  sie, 
die  Menschen,  die  so  etwas  tun. 

9.  (1724.)  Unbesonnenheit  hat  achtzehn  Fehler,  wie  schon 
vorher  erwahnt  wurde  (Vers  1646),  namheh:  Menschenhafs, 
Widerspenstigkeit,  Verdrossenheit,  unwahre  Rede, 

10.  (1725.)  Lust  und  Zorn,  Unselbstandigkeit,  Verleumdung, 
Angeberei,  Vernachlassigung  des  Besitzes,  Streitsucht,  Selbst- 
sucht,  Tierqualerei, 

11.  (1726.)  Neid,  Ausgelassenheit,  hochfahrendes  Wesen, 
Verlust  der  Besonnenheit  und  Verdriefslichkeit,  —  darum  soil 
der  Weise  Unbesonnenheit  meiden,  denn  sie  ist  immer 
tadelnswert. 

12.  (1727.)  Was  aber  die  Freundschaft  betrifft,  so  soil 
man  wissen,  dafs  sie  aus  sechs  Tugenden  besteht:  dafs 
man  am  Wohlsein  des  Freundes  sich  freut,  dafs  man 
sich  bekiimmert,  wenn  es  ihm  iibel  geht,  dafs  man  dem 
Bittenden  auch  das  gibt,  was  einem  selbst  sehr  wert 
[B. :  schon  lange  eigenj  ist,  dafs  man  sogar  wohl  auch  das 
nicht  zu  Fordernde  gibt,  (1728.)  denn  auch  geliebte  Sohne, 
Schatze,  ja  sogar  die  eigene  Gattin  soil  man,  darum  ge- 
beten,  hingeben,  wenn  man  reinen  Sinnes  ist, 

13.  dafs  man  nach  Hingabe  seines  Besitzes  nicht  etwa 
aus  Verlangen  danach  [beim  Freunde]  wohnen  bleibt,  und 
dafs  man  an  der  Tat  selbst  seine  Freude  hat  und  Dankes- 
wiinsche  ablehnt. 

14..  (1729.)  Reich  an  Gut  und  reich  an  Tugenden  ist  der, 
welcher  in  dieser  Weise  das  Seinige  hingibt  als  ein  von  Giite 
(sattvamj  Erfiillter;  ein  solcher  halt  die  fiinf  Elemente  von 
seinen  fiinf  [entsprechenden  Sinnesorganen]  fern. 

15.  (1730.)  Dieses  vollbrachte  lautere  Tapas  ist  auch  dann 
aufwartsfiihrend ,  wenn  es  von  solchen,  die  des  Sattvam  er- 
mangeln,  aus  Wunsch  [nach  Lohn]  geiibt  wird. 

16.  (1731.)  Denn  die  Opfer  gedeihen  dadurch,  dafs  man 
die  Wahrheit  unterdriickt ,  mag  dies  von  dem  einen  in  Ge- 
danken,  von  einem  andern  in  Worten  oder  auch  in  Werken 
geschehen. 


Adhy&ya  44  (B.  45).  25 

17.  (1732.)  Aber  hoher  als  der  in  Wiinschen  sein  Endziel 
findende  Mensch  steht  der  Wunschlose,  besonders  wenn  es 
sich  um  einen  Brahmanen  handelt.  Was  sonst  noch  zu  sagen 
ist,  hore  weiter  von  mir. 

18.  (1733.)  Man  studiere  dieses  Grofse,  Riihmliche,  dafs 
alle  Umwandlungen  nur  Worte  sind  (Chand.  Up.  6,1,3), 
wie  die  Weisen  sagen.  In  [dem  Objekte]  dieser  Hin- 
gebung  ist  die  ganze  Welt  begriindet.  Wer  solches  weifs, 
der  wird  unsterblich. 

19.  (1734.)  Nicht  durch  das  Werk,  auch  nicht  durch 
das  Wohlgetane,  o  Fiirst,  kann  man  die  Wahrheit  er- 
werben,  erspenden  oder  eropfern.  Darum  geschieht  es, 
dafs  der  Tor  nicht  den  Nicht-Tod  erlangt  und  nicht  den 
Frieden,  wenn  es  zu  Ende  geht. 

20.  (1735.)  Schweigend  und  einsam  soil  man  verehren, 
ohne  sich  auch  nur  in  Gedanken  zu  bewegen;  man  soil  bei 
Lob  und  Tadel  Freude  und  Zorn  von  sich  fernhalten. 

21.  (1736.)  Dann  geht  man,  noch  hienieden  weilend, 
o  Fiirst,  schon  in  das  Brahman  ein  und  bekommt  es  nach 
und  nach  auch  in  den  Veden  zu  schauen.  Dieses  sage  ich 
dir  als  einer,  der  es  weifs. 

So  lautet  im  SanatsujAta-parvan  die  Kede  des  Sanatsujata 

(Sanatsujata-odkyarn). 


Adhyaya  45  (B.  46). 

Vers  1737-1790  (B.  1-31). 

Sanatsujata  sprach: 

1.  (1737.)  Was  jenes  Reine  ist,  das  grofse  glanzende 
Licht,  die  grofse  Herrlichkeit ,  das  fiirwahr  verehren  die 
Gotter,  aus  dem  erstrahlt  die  Sonne.  (1738.)  Ihn  schauen  die 
Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen. 

2.  (1739.)  Aus  jenem  Reinen  entsteht  das  Brahman  (der 
Veda),  durch  jenes  Reine  wachst  es  empor,  jenes  Reine  in- 
mitten  der  Lichter,  nicht  gliihend,  macht  die  Sonne  ergliihen. 
(1740.)  Ihn  schauen  die  Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen. 


26  !•   Sanatsujata-parvan. 

3.  (1741.)  Die  Wasser  [schuf  er],  und  aus  den  Wassern 
empor  inmitten  des  Gewoges  lehnen  sicli  an  den  Luftraum 
die  beiden  Goiter,  und  unermiidlich  als  der  Erleuohter  des 
Savitar  tragi  er  sie  beide,  die  Erde  und  den  Himrael. 
(1742.)  Ihn  schauen  die  Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen. 

4.  (1743.)  Und  diese  beiden  Goiiheiten,  die  Erde  und 
den  Himmel,  tragi  der  Eeine,  er  tragi  die  Himmels- 
gegenden,  tragi  die  Welt;  aus  ihm  sind  die  Himmels- 
gegenden  und  aus  ihm  rinnen  die  Strome,  aus  ihm  sind 
die  grofsen  Ozeane  geschaffen  worden.  (1744.)  Ihn  schauen 
die  Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen. 

5.  (1745.)    Er  isi  es,  den  die  am  Rade  des  rollenden,  ewig 

wirkenden  Wagens  befindlichen  Rosse  als  den  Glanzbringenden 

dahinfiihren,   ihn  den  Ilimmlischen ,   Alterlosen,   droben   am 

Himmel.   (i746.)  Ihn  schauen  die  Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen. 

6.  (1747.)    Nichi  isi  zu  schauen  die  Gestali  desselben, 

nicht  sieht  ihn  irgendwer  mit  seinem  Auge ;  nur  wer  ihn 

durcli  Herz  und  Sinn  und  Geisi  erkennt,  —  unsierblich 

werden,  die  ihn  also  kennen  (Kath.  Up.  6,9,  frei).    (1748.)  Ihn 

schauen  die  Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen. 

7.  (1749.)  Indem  sie  [die  Wesen]  den  von  Goitern  gehiiieien 
zwolfarmigen  Strom  [das  Naturleben  im  Laufe  des  Jahres] 
irinken  und  den  in  ihm  befindlichen  Honig  erblicken,  scharen 
sie  sich  hier  um  den  ungeheuren  [Strom].  (1750.)  Ihn  schauen 
die  Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen. 

8.  (1751.)  Jenen  Honig,  nachdem  sie  ihn  wahrgenommen, 
trinki  die  Biene  [die  Seele]  einen  halben  Monai  lang  [wahrend 
des  diesseitigen  Lebens  im  Gegensatz  zum  jenseitigen],  denn 
der  Herr  hat  ihn  unter  alien  Wesen  als  ein  Opfermahl  fiir 
sie  bereiigestellt.  (1752.)  Ihn  schauen  die  Yogin's,  den  Hei- 
ligen, Ewigen. 

9.  (1753.)  Zu  dem  Feigenbaume  mit  goldenen  Blaiiern 
(vgl.  Kath.  Up.  6,1)  treien  sie  heran  ohne  Fliigel;  und  nach- 
dem sie  bei  ihm  gefliigelt  geworden  [nachdem  sie  im  Ge- 
niefsen  der  Lebenserfahrung  die  erlosende  Erkenninis  gewonnen 
haben],  fliegen  sie  nach  alien  Richtungen  davon.  (1754.)  Ihn 
schauen  die  Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen. 


.  Adhyaya  45  (B.  46).  27 

10.  (1755.)  Aus  Vollem  schopfen  sie  Voiles,  aus  Vollem 
bereiten  sie  sich  Voiles;  sie  entnehmen  dem  Vollen  Voiles, 
und  doch  bleibt  das  Voile  iibrig.  (Brih.  Up.  5,1 ;  Sechzig  Upa- 
nishad's  S.  488.)  (1756.)  Ihn  schauen  die  Yogin's,  den  Hei- 
ligen,  Ewigen. 

11.  (1757.)  Aus  ihm  ist  fiirwahr  der  Wind  entsprungen, 
und  in  ihm  verbreitet  er  sich  immerfort,  aus  ihm  stammt 
Agni  und  Soma,  in  ihm  ist  ausgespannt  der  Lebensodem 
(vgl.  Taitt.  Up.  2,8). 

12.  (1758.)  Alles  soil  man  wissen  als  aus  ihm  entsprungen, 
aber  es  selbst,  jenes  Wesen,  konnen  wir  nicht  in  Worten 
fassen.    (1759.)  Ihn  schauen  die  Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen. 

13.  (1760.)  Den  Einhauch  verschlingt  der  Aushauch,  den 
Aushauch  verschlingt  der  Mond,  den  Mond  verschlingt  die 
Sonne,  die  Sonne  verschlingt  der  Hochste.  (i76i,)  Ihn  schauen 
die  Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen. 

14.  (1762.)  Nicht  einenFufs  darfherausziehen  der  Wander- 
vogel,  indem  er  aus  der  Flat  herausgeht  [die  Fiifse  sind  prdna 
und  ajidna,  durch  welche  Jiansa,  hier  die  hochste  Seele,  das 
Leben  des  Universums,  salilam,  unterhalt ;  vgl.  Atharvav.  11,4,21 
und  Gesch.  d.  Ph.  I,  1,  S.  304] ;  wenn  er  diesen  allverbreiteten 
[Fufs]  nach  oben  [herauszoge] ,  dann  wiirde  nicht  Tod  sein 
und  nicht  Unsterblichkeit  [nicht  Menschen  und  nicht  Gotter]. 
(1763.)  Ihn  schauen  die  Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen. 

15.  (1764.)  Der  Purusha,  zollhoch,  als  innere  Seele  (Kath. 
Up.  6,17),  durch  die  Verbindung  mit  dem  Liiigam  wan- 
dert  er  immerfort;  ihn  sehen  die  Toren  nicht,  wie  es 
sich  gehort,  den  Herrn,  den  Preiswerten,  Uranfanglichen, 
Glanzvollen.  (i765.)  Ihn  schauen  die  Yogin's,  den  Hei- 
ligen, Ewigen. 

16.  (1766.)  Mogen  sie  nun  ohne  die  Heilsmittel  oder 
mit  Heilsmitteln  ausgeriistet  sein,  jenes  [Lebensprinzip] 
ist  alien  Menschen  gemeinsam;  gemeinsam  ist  es  der 
unsterblichen  [Himmelswelt]  und  der  andern  [der  Welt 
der  Sterblichen] ;  in  ihm  erlangen  die  Erlosten  den  Brun- 
nen  des  Honigs  (vgl.  Rigv.  1,154,5).  (i767.)  Ihn  schauen 
die  Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen.     , 


28  I.    Sanatsujata-parvan. 

17.  (1768.)  Beide  Welten  mit  seiner  Wissenschaft  durch- 
dringend  geht  er  [der  Wissende]  dahin :  dann  ist  [so  gut 
wie]  dargebracht  auch  das  nicht  dargebrachte  Agniho- 
tram.  Moge  dir  deine  Brahmanschaft  nicht  mit  klein- 
lichem  Sinn  sich  umkleiden.  Erkenntnis  sei  sein  Name, 
welchen  die  Weisen  erlangen.  (i769.)  Ihn  schauen  die 
Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen. 

18.  (1770.)  So  beschaffen  ist  jener  hochherzige  Mensch 
fpurushaj,  weicher  das  [Opfer-]Feuer  verschlingt  (vgl.  Gesch. 
d.  Ph.  1,2,  S.  338);  fiirwahr  wer  diesen  Menschen  begreift 
[sein  Tun  wiirdigt] ,  dessen  Sache  leidet  hienieden  keinen 
Schaden.  (i77i.)  Ihn  schauen  die  Yogin's,  den  Heihgen, 
Ewigen. 

19.  (1772.)  Wenn  einer  tausendmal  tausend  Fliigel  aus- 
breitete  und  vorwartsfloge ,  der  wiirde  nur  zu  der  mittelsten 

'  ^  Mitte  [und  niemals  an  sein  Ende]  gelangen,  selbst  wenn  er 
schnell  ware  wie  ein  Gedanke.  (1773.)  Ihn  schauen  die  Yogin's, 
den  Heihgen,  Ewigen. 

20.  (1774.)  Nicht  ist  zu  schauen  die  Gestalt  desselben 
(Kath.  Up.  6,9) ,  aber  es  sehen  ihn  solche,  welche  ganz 
gereinigten  Wesens  sind ;  der  Gesetzte,  Verstandige  wird 
in  seinem  Geiste  nicht  gequalt;  sie,  welche  hinausziehen 
[in  den  Wald],  die  werden  unsterbHch.  (1775.)  Ihn  schauen 
die  Yogin's,  'den  Heihgen,  Ewigen. 

21.  (1776.)  Die  Menschen  durch  ihre  Schulweisheit, 
durch  ihr  Treiben  verkriechen  sich  wie  Schlangen  in 
ihren  Kliiften;  in  ihnen  verirren  sich,  wie  auf  einem 
Wege,  die  verwirrten  Menschen,  und  geraten  in  Wirr- 
sal  zu  ihrem  Schrecken.  (1777.)  Ihn  schauen  die  Yogins, 
den  Heihgen,  Ewigen. 

22.  (1778.)  Ich  werde  nicht  fiir  immer  in  Unehre  bleiben ; 
^Af\  i>tr     weder    Tod    noch    Nicht  -Tod    wird    mir   werden ,    noch 

auch  Unsterbhchkeit ;  Reales  und  Unreales  werden  gleich- 
mafsig    niedergehaUen    in    der    [ewigen]    ReaUtat;    die 
-  'J  Quelle    des    Seienden    und    des   Nicht- Seienden   ist    ein 

und  dieselbe.     (1779.)  Ihn  schauen  die  Yogin's,  den  Hei- 
ligen, Ewigen. 


Adhyaya  45  (B.  46).  29 

23.  (1780.)  Nicht  durch  gutes  noch  audi  durch  nicht- 
gutes  Werk  [ist  das  Heil  zu  erlangen];  beides,  wie  es 
unter  den  Menschen  herrscht,  wird  fiir  gleich  angesehen, 
und  das  gleiche  wisse  er  von  der  Unsterblichkeit;  wer 
so  bereitet  ist,  der  mag  nach  jenem  Honig  trachten. 
(1781.)  Ihn  schauen  die  Yogin's,  den  Heiligen,  Ewigen. 

24.  (1782.)  Nicht  qualen  hochmiitige  Reden  sein  Herz, 
nicht  qualt  es  seinen  Geist,  dafs  er  nicht  studiert,  nicht 
das  Agnihotram  dargebracht  hat;  die  Brahmanschaft 
wappne  ihn  mit  leichtem  Sinn  [anders  oben,  Vers  1768], 
Erkenntnis  [gebe  er]  ihm  als  Name,  welchen  die  Weisen 
erlangen.  (1783.)  Ihn  schauen  die  Yogin's,  den  Heihgen, 
Ewigen. 

25.  (1784.)  Wer  in  solcher  Weise  in  alien  Wesen,  wie  sie 
an  diesen  oder  jenen  Ort  gebunden  sind,  den  Atman  schaut, 
woriiber  sollte  der  sich  weiterhin  Kummer  machen? 

26.  (1785.)  Wie  mit  einem  grofsen  Wasserbehalter ,  in 
welchem  von  alien  Seiten  das  Wasser  zusammengeflossen 
ist,  so  steht  es  mit  alien  Veden  fiir  den,  welcher  den  Atman 
kennt  (vgl.  Kath.  Up.  4,14-15). 

27.  (178G.)  Der  Purusha,  zollhoch  an  Lange,  der  grofse 
Atman,  dieser  ist  nicht  sichtbar,  da  er  in  das  Herz  ein- 
gegangen  ist;  der  Ungeborene,  Tag  und  Nacht  Wan- 
dernde,  der  Unermiidliche,  diesen  iiberdenkt  der  Weise 
und  sitzt  da  in  Frieden. 

28.  (1787.)  Ich  bin,  wie  man  lehrt.  Mutter  und  Vater  und 
bin  audi  wiederum  der  Sohn;  und  ich  bin  auch  der  Atman 
(die  Seele)  in  allem,  was  nicht  ist  und  was  ist. 

29.  (1788.)  Ich  bin  der  Grofsvater,  der  ehrwvirdige,  bin 
der  Vater  und  der  Sohn,  o  Bharata ;  ihr  lebt  in  meinem  Atman, 
und  doch  seid  ihr  nicht  mein  und  ich  nicht  eiier. 

30.  (1789.)  Der  Atman  ist  meine  Statte,  der  Atman  ist 
meine  Wiege,  ihm  bin  ich  eingewoben  und  verwoben 
(Brih.  Up.  3,7) ,  mein  Standort  ist  das  Alterlose;  ich  bin 
ungeboren,  bin  unermiidlich  bei  Tag  und  bei  Nacht, 
mich  iiberdenkt  der  Weise  und  sitzt  da  in  Frieden. 


30  I-   Sanatsujata-parvan. 

31.  (1790.)  Kleiner  als  das  Kleinste  weilt  er  wohlgemut 
in  alien  Wesen,  in  dem  Wachenden  [und  Schlafenden] ;  ihn, 
den  Vater  wissen  sie  in  alien  Wesen  verborgen  in  der  Lotos- 
blume  (Chand.  Up.  8,1,1). 

» 

So  lautet  im  Sauatsujata-parvan  die  Kede  des  Sanatsujata 

(Sanatsiijata-v&kyam). 

Vollendet  ist  dieser  Sanatsuj^ta-Abschnitt. 


II. 
BHAGAVADGlTA. 

Mahabh^ratam  Bucli  VI,  Adhyaya  25-42,  Vers  830-1532,  C. 
(=  Buch  VI,  Adhyaya  25-42,  B.). 


I  (Adhyaya  25). 
Vers  830-878  (B.  1-47). 

Dhritarashtra  sprach: 

1.  (830.)  Als  im  heiligen  Lande,  im  Kurulande,  zusammen- 
trafen,  um  zu  kampfen  die  Meinigen  und  die  Pandava's,  was 
taten  sie  da,  o  Sanjaya? 

Sanjaya  sprach: 

2.  (831.)  Als  damals  Duryodhana  das  Heer  der  Pandava's 
in  Schlachtordnung  aufgestellt  sah,  da  trat  er,  der  Konig, 
zu  seinem  Lehrer  und  sprach  das  Wort: 

3.  (832.)  Sieh  dort,  o  Meister,  die  grofse  Schlachtreihe 
der  Pandusohne,  wie  sie  von  dem  Drupudasohne ,  deinem 
weisen  Schiiler,  aufgestellt  worden  ist.  • 

4.  (833.)  Da  sind  Helden  zu  sehen,  grofse  PfeilscMtzen, 
die  es  dem  Bhima  und  Arjuna  im  Kampfe  gleichtun,  da  sind 
Yuyudhana  und  Virata  und  Drupada  auf  grofsem  Streit- 
wagen, 

5.  (834.)  Dhrishtaketu,  Cekitana  und  der  heldenmiitige 
Konig  von  Kagi,  Purujit,  Kuntibhoja  und  Qaivya,  der 
Mannerstier, 

6.  (835.)  Yudhamanyu,  der  tapfere,  und  Uttamaujas,  der 
heldenmiitige,  der  Subhadrasohn  und  die  Draupadisohne,  alle 
auf  grofsen  Streitwagen. 

7.  (836.)  Welche  aber  von  den  Unsrigen  hervorragen,  als 
Anfiihrer  meines  Heeres,  diese  vernimm,  o  Bester  der  Zwie- 
geborenen,  ich  nenne  sie  dir,  damit  du  sie  kennst: 

8.  (837.)  Da  hist  du  selbst,  da  ist  Bhishma  und  Karna 
und   Kripa,    der    Sieger   im   Kampf,    da    sind   AQvatthaman 

Sexjssek,  Mah^bb&ratam.  3 


34  n.   Bhagavadgita. 

und  Vikarna  und  der  Sohn  des  Somadatta  mit  siegreichem 
Wagen , 

9.  (838.)  und  viele  andere  Helden,  die  mir  zuliebe  ihr 
Leben  wagen,  indem  sie  mit  mancherlei  Waffen  zum  Angriff 
schreiten,  des  Kampfes  alle  kundig. 

10.  (839.)  Unzulanglich  aber  ist  diese  unsere  Streitkraft, 
welche  von  Bhishma  gefiihrt  wird,  und  zulanglich  ist  die 
Streitmacht  jener  andern,   welche  von  Bhima  gefiihrt  wird. 

11.  (840.)  Darum  sollt  ihr  alle,  je  nach  eurer  Ordnung 
aufgestellt,  bei  alien  Waffengangen  euch  um  Bhishma  ge- 
schart  halten. 

12.  (841.)  Ihm  [dem  Duryodhana,  der  so  gesprochen]  er- 
fullte  der  Kuru-Alte,  der  Grofsvater  [Bhishma],  das  Herz  mit 
Freude,  indem  er,  der  Bufsereiche,  laut  wie  Lowengebriill, 
die  Muschel  blies. 

13.  (842.)  Nun  erdrohnten  machtig  die  Muscheln,  die 
Pauken  und  die  Trommeln,  die  Tamburins  und  Trompeten 
und  ein  gewaltiger  Larm  erhob  sich. 

14.  (843.)  Da  geschah  es,  dafs  [auch  auf  seiten  der  Gegner] 
Madhava  (Krishna)  und  der  Pandava  (Arjuna),  auf  einem 
grofsen,  von  weifsen  Kossen  gezogenen  Streitwagen  stehend, 
ihre  himmlischen  Muscheln  bliesen. 

15.  (844.)  Da  bli€s  der  Struppige  (Krishna)  die  Volker- 
versammelnde  [Muschel],  der  Beutemacher  (Arjuna)  die  Gott- 
gegebene  und  der  fiirchterliche  Wolfsbauch  (Bhima)  die  wie 
Kohrpfeifen  ertonende  grofse  Muschel; 

16.  (845.)  der  Konig  Yudhishthira ,  der  Sohn  der  Kunti, 
blies  die  Allsiegerin,  Nakula  und  Sahadeva  bliesen  die  Laut- 
schallende  und  die  Edelsteinblumige. 

17.  (846.)  Der  Konig  von  KaQi,  der  gewaltige  Bogen- 
schiitze,  und  Qikhandin  auf  grofsem  Streitwagen,  Dhrishta- 
dyumna  und  Virata  und  der  uniiberwindliche  Satyakasprofs 
(Yuyudhana), 

18.  (847.)  Drupada  und  die  Sohne  der  Draupadi,  o  Erde- 
herr,  und  der  Sohn  der  Subhadra  (Abhimanyu)  mit  grofsen 
Armen,  diese  bliesen  von  alien  Seiten  her,  jeder  einzelne,  ihre 
Muscheln. 

19.  (848.)   Dieser  Larm  zerrifs  die  Herzen  der  Anhanger 


I  (Adhy&ya  25).  35 

des  Dhritarashtra,  als  er  erdrohnend  Himmel  und  Erde  wider- 
hallen  machte. 

20.  (849.)  Als  darauf  der  mit  dem  Affen  in  der  Fahne 
(Arjuna)  die  Anhanger  des  Dhritarashtra  in  Schlachtordnung 
aufgestellt  sah,  und  als  schon  die  Geschosse  heriiber  und 
hiniiber  flogen,  da  machte  auch  er,  der  Sohn  des  Pandu 
(Arjuna),  seinen  Bogen  bereit, 

21.  (850.)  und  zu  dem  Struppigen  sprach  er,  o  Erdenherr, 
damals  dieses  Wort. 

Arjuna  sprach: 
(851.)  Halte  an,  o  Unerschiitterlicher,  meinen  Streitwagen 
in  der  Mitte  der  beiden  Heere, 

22.  damit  ich  jene  mustere,  welche  kampfbegierig  sich 
aufgestellt  haben,  (852.)  [und  sehe]  mit  wem  ich  in  dieser  ent- 
brannten  Schlacht  zu  kampfen  haben  werde. 

23.  Da  sehe  ich  sie,  welche  sich  dort  kampf bereit  ver- 
sammelt  haben  (853.)  und  dem  iibel  beratenen  Dhritarashtra- 
sohne  (Duryodhana)  zuliebe  mit  uns  kampfen  woUen. 

Sanjaya  sprach : 

24.  (854.)  Als  der  Struppige  (Krishna)  von  dem  Lockigen 
(Arjuna)  in  dieser  Weise  angeredet  worden  war,  o  Bharata, 
da  hielt  er  in  der  Mitte  der  beiden  Heere  den  trefflichsten 
Wagen  an, 

25.  855.)  und  angesichts  des  Bhishma,  des  Drona  und  aller 
Fiirsten  sprach  er:  „0  Sohn  der  Pritha,  siehe  da  driiben  die 
zusammengescharten  Kuru's". 

26.  (856.)  Da  sah  der  Prithasohn  sich  gegeniiberstehend 
Vater  und  Grofsvater,  Lehrer,  Oheime,  Briider,  Sohne,  Enkel 
und  Genossen, 

27.  (857.)  Schwiegervater  und  Freunde  in  den  beider- 
seitigen  Heeren.  Als  der  Sohn  der  Kunti  diese  sah,  wie  sie 
alle  als  Verwandte  sich  feindlich  gegeniiberstanden , 

28.  (858.)  da  wurde  er  von  tiefem  Mitleid  ergriifen  und 
verzagend  sprach  er  dieses  Wort. 

Arjuna  sprach: 
(859.)  Wenn  ich,  o  Krishna,  dort  meine  eigene  Verwandt- 
schaft  zum  Kampfe  bereit  aufgestellt  sehe, 


36  II-   Bhagavadgita. 

29.  dann  versagen  meine  Glieder,  mein  Mund  wird  trocken, 
(860.)  mein  ganzer  Leib  zittert  und  meine  Haare  strauben  sich. 

30.  Mein  Bogen  Gandiva  gleitet  aus  meiner  Hand,  und 
meine  Haut  brennt,  (86i.)  nicht  kann  ich  mich  aufrecht  halten 
und  mein  Sinn  verwirrt  sich. 

31.  Ich  sehe  widrige  Vorzeichen,  o  Vollhaariger,  (862.)  und 
ich  sehe  kein  Heil  darin,  meine  eigenen  Verwandten  im  Kampfe 
zu  tbten. 

32.  Ich  verlange  nicht  nach  Sieg,  o  Krishna,  nicht  nach 
Herrschaft  und  Freuden ;  (863.)  was  soil  uns  das  Keich,  o  Kuh- 
gewinner,  was  sollen  uns  Geniisse  oder  auch  das  Leben! 

33.  Diejenigen,  um  derentwillen  Herrschaft,  Geniisse  und 
Freuden  von  mir  gewiinscht  werden,  (864.)  die  stehen  mir  dort 
im  Kampfe  gegeniiber,  um  ihr  Leben  und  ihr  Vermbgen  zu 
verlieren, 

34.  sie,  welche  uns  Lehrer,  Vater,  Sohne,  und  Grofs- 
vater,  (865.)  Oheime,  Schwiegervater,  Enkel,  Schwager  und 
Verwandte  sind. 

35.  Diese  mag  ich  nicht  toten,  sollte  ich  auch  selbst 
getotet  werden,  o  Madhusudana,  (see.)  auch  nicht  um  der  Herr- 
schaft iiber  die  Dreiwelt  willen,  viel  weniger  wegen  der  iiber 
die  Erde. 

36.  Wenn  wir  die  Leute  des  Dhritarashtra  toten,  welche 
Befriedigung  kann  uns  das  gewahren,  o  Janardana!  (867.)  Die 
Siinde  wiirde  auf  uns  fallen,  wenn  wir  diese  bewaffnet  uns 
Entgegenkommenden  toteten. 

37.  Darum  diirfen  wir  die  Leute  des  Dhritarashtra,  die 
unsere  eigenen  Verwandten  sind  [mit  C],  nicht  tbten;  (8G8.)  denn 
wie  kbnnten  wir  wohlgemut  sein,  o  Madhava,  wenn  wir  unsere 
eigene  Verwandtschaft  getotet  haben. 

38.  Und  wenn  auch  jene,  deren  Geist  von  Begierde  ge- 
blendet  ist,  nicht  einsehen,  (869.)  welche  Schuld  wir  durch 
Vernichtung  unserer  FamiHe,  welche  Siinde  wir  durch  Verrat 
an  unsern  Freunden  auf  uns  laden, 

39.  wie  sollten  nicht  wir  erkennen,  dafs  wir  uns  dieser 
Siinde  enthalten  miissen,  (870.)  wir,  die  wir  die  Schuld  voraus- 
sehen,  o  Janardana,  welche  aus  der  Vernichtung  unsere 
Familie  hervorgeht! 


I  (Adhy^ya  25).  37 

40.  Werden  die  Familien  vernichtet,  so  gehen  die  ewigen 
[Opfer-]  Pflichten  der  Familien  zugrunde;  (87i.)  geht  die  Pflicht 
zugrunde,  so  iiberwaltigt  Pflichtlosigkeit  die  ganze  Familie. 

41.  Wenn  Pflichtlosigkeit  sie  iiberwaltigt,  so  werden  die 
Weiber  der  Familie  verderbt,  o  Krishna.  (872.)  Sind  erst  die 
Weiber  verderbt,  o  Abkommliug  des  Vrishni,  so  entsteht 
Vermengung  der  Kasten. 

42.  Vermengung  aber  fiihrt  zur  Holle  die  Familienver- 
derber  und  die  Familien  selbst.  (873.)  Dann  stiirzen  ihre  Vor- 
fahren,  wenn  die  Darbringungen  an  sie  von  Klofsen  und 
Wasser  unterbrochen  werden. 

43.  Durch  diese  Siinden  der  Familienverderber  und  durch 
die  Vermengung  der  Kaste  als  Folge  davon  (874.)  werden  die 
ewigen  Pflichten  der  Geschlechter  und  der  Familien  ent- 
wurzelt. 

44.  Werden  aber  die  Pflichten  der  Familien  unter  den 
Menschen  entwurzelt  sein,  o  Janardana,  (875.)  dann  fahren 
diese  sicherlich  zur  Holle,   so  ist  es  uns  iiberliefert  worden. 

45.  0  wehe !  Wir  sind  im  Begriffe  eine  grofse  Siinde  zu 
begehen,  (876.)  die  wir  aus  Begierde  nach  den  Freuden  der 
Herrschaft  unsere  eigenen  Verwandten  toten  wollen. 

46.  Fiirwahr!  Wenn  mich,  den  Waffenlosen,  ohne  dafs 
ich  ihnen  etwas  antue,  mit  den  Waffen  in  der  Hand  (877.)  die 
Leute  des  Dhritarashtra  im  Kampfe  toten  wiirden,  das  wiirde 
mir  noch  ertraglicher  sein. 

Safijaya  sprach: 

47.  (878.)  So  sprach  Arjuna  im  Schlachtgetiimmel,  setzte 
sich  auf  dem  Sitze  seines  Wagens  nieder  und  liefs  Pfeil  und 
Bogen  fallen,  im  Geiste  von  Kummer  erschiittert. 

So  lautet  in  der  BhagavadgitS,  die  Verzagtheit  des  Arjuna 
(Arjuna-viahdda). 


38  II-    Bhagavadgita. 

II  (Adhyaya  26). 

Vers  879-950  (B.  1-72). 

Sanjaya  sprach: 

1.  (879.)  Als  er  ihn  so  von  Mitleid  durchdrungen ,  die 
Augen  von  Tranen  erfiillt  und  getriibt  in  seiner  Verzagtheit 
sah,  da  sprach  zu  ihm  Madhusiidana  dieses  Wort. 

Der  Heilige  sprach: 

2.  (880.)  Woher  kommt  dir  in  gefahrlicher  Lage  diese 
Bestiirzung,  o  Arjuna,  die  eines  Edlen  unwiirdige,  den  Himmel 
verschliefsende ,  unriihmliche  ? 

3.  (881.)  Verfalle  nicht  in  Schwachlichkeit,  o  Sohn  der 

Pritha,  denn  sie  ziemt  dir  nicht.     Lafs  die  erharmhche  Her- 

zensschwachheit  fahren  und  erhebe  dich,  o  Bedranger  deiner 

Feinde. 

Arjuna  spracli: 

4.  (882.)  Wie  kann  ich  in  der  Schlacht,  o  Madhusudana, 
den  Bhishma  und  den  Drona  mit  meinen  Pfeilen  hekampfen, 
da  mir  heide  doch  ehrwiirdig  sind,  o  Feindetoter. 

5.  (883).  Wahrhch,  es  ware  mir  hesser,  die  hoch- 
wiirdigen  Lehrer  nicht  zu  toten  und  hier  auf  der  Welt 
Bettelbrot  zu  essen,  als  dafs  ich  die  Lehrer,  ohgleich 
sie  nach  unserm  Gut  trachten,  totete  und  Freuden  ge- 
nosse,  die  mit  Blut  hesudelt  sind. 

6.  (884.)  Fiirwahr,  wir  wissen  nicht,  was  wir  vorziehen 
mochten,  dafs  wir  sie  oder  dafs  sie  uns  hesiegen;  denn 
solche,  nach  deren  Totung  wir  selbst  nicht  leben  mochten, 
die  stehen  uns  feindlich  gegeniiber,  geschart  um  Dhrita- 
rashtra. 

7.  (885.)  Da  mein  Herz  in  der  Schwache  des  Mitleids 
befangen  ist,  und  mein  Geist  verwirrt  ist  iiber  das,  was 
meine  Pflicht  ist,  so  frage  ich  dich  danach,  was  das 
Kichtige  ist;  sage  es  mir  mit  Bestimmtheit;  ich  bin  dein 
Schiiler;  belehre  mich,  der  ich  dich  darum  angehe. 

8.  (886.)  Denn  ich  sehe  nicht,  was  von  mir  den  sinne- 
ausdorrenden  Kummer  fern  zu  halten  vermochte,   auch 


II  (Adhy&ya  26).  39 

wenn  ich  auf  Erden  ein  bliihendes  Reich  ohne  Neben- 
buhler,  auch  wenn  ich  die  Oberherrschaft  liber  die  Gotter 
erlangen  sollte. 

Sanjaya  sprach : 

9.  (887.)  Also  sprach  zum  Struppigen  der  Lockige,  der 
Feindeschreck  zum  Kuhgewinner :  „ich  mag  nicht  kampfen ! " 
und  schwieg. 

10.  (888.)  Da  war  es,  als  ob  der  Lockige  lachelte,  o  Bha- 
rata,  und  inmitten  der  beiden  Heere  sprach  er  zu  dem  Ver- 
zagenden  dieses  Wort. 

Der  Heilige  sprach: 

11.  (889.)  Du  beklagst  solche,  welche  nicht  zu  beklagen 
sind,  wenn  auch  deine  Reden  verstandig  sein  mogen;  iiber 
Tote  und  iiber  Lebende  klagt  der  Weise  nicht. 

12.  (890.)  Nie  war  die  Zeit,  da  ich  nicht  war,  da  du  nicht 
warst  und  alle  diese  Fiirsten,  und  nie  in  Zukunft  wird  die 
Zeit  kommen,  da  wir  allesamt  nicht  sind. 

13.  (891.)  Wie  fiir  den  Trager  eines  Leibes  in  diesem 
seinem  Leibe  Kindheit,  Mannheit  und  Greisenalter  ist,  so  ist 
fiir  ihn  auch  die  Erlangung  eines  neuen  Leibes ;  das  ist  dem 
Weisen  klar. 

14.  (892.)  Nur  die  Verbindungen  mit  dem  Stoffhchen, 
o  Sohn  der  Kunti,  bewirken  Kalte  und  Hitze,  Lust  und 
Schmerz;  sie  aber  kommen  und  gehen  und  sind  verganghch ; 
ertrage  sie,  o  Bharata,  mit  Geduld, 

15.  (893.)  Der  Mann,  den  diese  nicht  erschiittern,  o  Manner- 
stier,  der  Weise,  welcher  gleichmiitig  bleibt  bei  Lust  und 
Leid,  der  ist  reif  fiir  die  Unsterbhchkeit. 

16.  (894.)  Das  Nicht  -  Seiende  kann  nicht  werden,  das 
Seiende  kann  nicht  vergehen,  den  Unterschied  dieser  beiden 
[des  Nicht- Seienden  und  des  Seienden]  erkennen  die,  welche 
die  Wahrheit  schauen. 

17.  (895.)  Wisse,  dafs  das  unverganglich  ist,  durch  welches 
diese  ganze  Welt  ausgebreitet  wurde;  das  Zunichtewerden 
dieses  Unverganglichen  kann  keiner  bewirken. 

18.  (896.)  Verganglich  sind  diese  Leiber,  ewig  der,  welcher 


40  II-   Bhagavadgita.. 

den  Leib    beseelt;    unverganglich   ist   er  und  unermerslich* 

darum  kampfe,  o  Bharata. 

19.  (897.)  Wer  vermeint,  dafs  jemand  tote,  wer  vermeint, 

dafs  jemand  getotet  werde,  die  wissen  beide  nicht  die  Wahr- 

heit :  keiner  totet  und  keiner  wird  getotet.  (Kath.  Up.  2,19.) 
20.  (898.)  Nicht  wird  geboren  und  nicht  stirbt  einer 
jemals,  nicht  ist  er  entstanden  oder  wird  zukiinftig  ent- 
stehen ;  von  ewig  her  bleibt  ewig  er  der  Alte,  wird  nicht 
getotet,  wenn  den  Leib  man  totet.  (Kath.  Up.  2,18.) 
21.  (899.)  Wer  diesen  Unzerstorbaren ,  Ewigen,  Ungebo- 

renen,  Unverganghchen  weifs,  wie  konnte  der,  o  Sohn  der 

Pritha,  irgendeinen  toten  lassen,  wie  konnte  der  irgendeinen 

toten ! 

22.  (900.)  Gleichwie  ein  Mann  die  alten  Kleider  ab- 
legt  und  andere  neue  anzieht,  so  legt  der  Trager  des 
Leibes  (die  Seele)  die  alten  Leiber  ab  und  geht  in  andere 
neue  ein. 

23.  (901.)  Ihn  verwunden  nicht  Schwerter,  ihn  brennt 
nicht  das  Feuer,  ihn  netzen  nicht  die  Wasser,  ihn  trocknet 
nicht  der  Wind. 

24.  (902.)  Unverwundbar  ist  er  und  unverbrennbar,  nicht 
benetzbar  und  nicht  zu  trocknen,  ewig  ist  er  und  allgegen- 
wartig,  bestandig,  unbewegHch  und  immerwahrend. 

25.  (903.)  Unoffenbar  ist  er  und  unausdenkbar,  unwandel- 
bar  wird  er  genannt;  darum  wenn  du  ihn  als  solchen  kennst, 
darfst  du  niemandem  nachtrauern. 

26.  (904.)  Aber  auch  wenn  du  glaubst,  dafs  er  immer 
wieder  geboren  werde  und  immer  wieder  sterbe,  auch  dann, 
o  Grofsarmiger,  darfst  du  niemandem  nachtrauern. 

27.  (905.)  Dem  Geborenen  ist  der  Tod  gewifs,  dem  Ge- 
storbenen  die  Geburt;  darum  darfst  du  iiber  eine  unvermeid- 
Uche  Sache  keine  Trauer  empfmden. 

28.  (906.)  Das  Unoffenbare  als  Anfang  haben  die  Wesen, 
das  Offenbare  als  Mitte  und  das  Unoffenbare  als  Ende,  o  Bha- 
rata, was  ist  da  zu  bejammern? 

29.  (907.)  Wie  ein  Wunder  betrachtet  ihn  mancher, 
wie  ein  Wunder  verkiindigt  ihn  ein  anderer,  wie  von 
einem  Wunder  hort  von  ihm  ein  anderer,  und  auch  wenn 


II  (Adhygiya  26).  41 

er  von  ihm  gehort  hat,  versteht  ihn  doch  keiner  (vgl. 
Kath.  Up.  2,7). 

30.  (908.)  Der  Trager  des  Leibes  ist  ewig  unverletzbar  in 
dem  Leibe  eines  jeden,  o  Bharata;  darum  sollst  du  alle  Wesen 
nicht  betrauern. 

31.  (909.)  Aber  auch  wenn  du  an  die  dir  obliegende  Pflicht 
denkst,  darfst  du  nicht  schwanken,  was  du  zu  tun  hast.  Denn 
fiir  einen  Kshatriya  gibt  es  nichts  Hoheres  als  einen  pflicht- 
mafsigen  Kampf. 

32.  (910.)  Und  mit  Freuden,  o  Sohn  der  Pritha,  begriifsen 
die  Kshatriya' s  gleichwie  eine  zufallig  sich  ihnen  darbietende 
offene  Himmelspforte  einen  derartigen  Kampf. 

33.  (911.)  Wienn  du  hingegen  diesen  als  Pflicht  dir  ob- 
liegenden  Kampf  nicht  auf  dich  nehmen  wirst,  dann  vernach- 
lassigst  du  deine  Pflicht  und  deinen  Ruhm  und  wirst  in 
Schuld  geraten. 

34.  (912.)  Auch  wird  alles  dich  mit  ewiger  Schmach  iiber- 
haufen,  fiir  einen  Mann  von  Ehre  aber  ist  Schmach  schlimmer 
als  Tod. 

35.  (913.)  Auch  werden  sie,  welche  auf  grofsen  Streit- 
wagen  einherfahren,  argwohnen,  dafs  du  aus  Furcht  vom 
Kampfe  abgelassen  hast,  und  so  wirst  du  bei  solchen,  die 
dich  bisher  hoch  verehrten,  in  Geringschatzung  verfallen. 

36.  (914.)  Diejenigen  aber,  welche  dir  iibel  wollen,  werden 
viele  schmahliche  Reden  iiber  dich  fiihren  und  deine  Be- 
fahigung  tadeln;  was  aber  ware  schmerzlicher  als  das? 

37.  (915.)  Entweder  du  fallst  und  gehst  zum  Himmel  ein, 
Oder  du  siegst  und  geniefsest  die  Herrschaft  iiber  die  Erde, 
darum  stehe  auf,  o  Sohn  der  Kunti,  und  entschliefse  dich  zu 
kampf  en. 

38.  (916.)  Sei  doch  gleichgiiltig  gegen  Lust  und  Schmerz, 
gegen  Gewinn  und  Verlust,  gegen  Sieg  und  Niederlage  und 
bereite  dich  so  zum  Kampfe,  so  wirst  du  nicht  in  Schuld 
geraten. 

39.  (917.)  Diese  Ansicht  wurde  dir  vorgetragen  vom  Stand- 
punkte  der  berechnenden  Uberlegung  (sdnkhyamj .  —  Vernimm 
die  folgende  vom  Standpunkte    der  Hingebung  (yoga J   aus. 


42  II-    Bhagavadgita. 

Wenn  du  dir  diese  letztere  Ansicht  zu  eigen  machst,  o  Sohn 
der  Pritha,  so  wirst  du  dich  von  der  Gebundenheit  durch 
die  Werke  frei  machen. 

40.  (918.)  Dann  gibt  es  fiir  dich  keine  Hoffnung  mehr 
des  Emporkommens  [in  der  Seelenwanderung]  und  keine 
Mogliclikeit  des  Niederganges  [in  ihr],  Wer  auch  nur  ein 
weniges  von  dieser  Satzung  sich  aneignet,  den  rettet  sie  aus 
grofser  Not. 

41.  (919.)  Hier  gibt  es,  o  Liebling  der  Kuru's,  nur  eine 
Ansicht,  welche  Entschiedenheit  in  sich  tragt,  walirend  viel- 
verzweigt  und  endlos  die  Ansichten  der  Unentschiedenen  sind. 

42.  (920.)  Eine  blumenreiche  Rede  gibt  es,  welche  die 
Unweisen  verkiindigen,  sie,  welche  an  Vedareden  sich  letzen, 
o  Prithasohn,  und  behaupten,  dafs  es  nichts  anderes  gebe; 

43.  (921.)  sie,  welche  in  Werken  befangen,  zum  Himmel 
streben  und  jener  Rede  huldigen,  welche  als  Lolin  der  Werke 
eine  Neugeburt  verheifst  und  viel  Redens  macht  von  beson- 
deren  Zeremonien  zum  Zwecke  des  Genusses  und  der  himm- 
lischen  Herrlichkeit : 

44.  (922.)  Wer  durch  sie  seinen  Geist  verfiihren  lafst,  der 
klammert  sich  an  Genufs  und  himmlische  Herrlichkeit;  aber 
jene  Ansicht,  welche  Entschiedenheit  in  sich  tragt  und  auf 
Versenkung  [sich  griindet],  wird  ihm  nicht  zuteil. 

45.  (923.)  Im  Drei-Gunahaften  sind  die  Veden  befangen, 
du  aber,  o  Arjuna,  befreie  dich  vom  Drei-Gunahaften.  Sei  frei 
von  den  Gegensatzen  [des  empirischen  Daseins],  feststehend 
in  der  ewigen  Realitat,  frei  von  Erwerb  und  Besitz,  dem 
Atman  treu. 

46.  (924.)  Soviel  Nutzen  von  einem  Wasserbehalter  ist, 
in  welchem  von  alien  Seiten  das  Wasser  zusammengeflossen 
ist,  soviel  ist  in  alien  Veden  zu  fmden  fiir  einen  Brahmanen, 
welcher  die  Erkenntnis  besitzt  (vgl.  oben,  Sanatsujatiya, 
Vers  1785). 

47.  (925.)  Dein  Beruf  ist  es  freilich,  das  Werk  zu  tun, 
nicht  aber  nach  seinen  Friichten  zu  streben.  Lafs  nicht  die 
Frucht  der  Werke  deinen  Beweggrund  sein,  aber  verfalle 
auch  nicht  in  Untatigkeit. 


II  (Adhy&ya  26).  43 

48.  (926.)  Fest  in  der  Hingebung  fyogaj  vollbringe  die 
Werke,  aber  lafs  fahren  die  Anhanglichkeit  [an  ihren  Lohn], 
o  Siegreicher;  bleibe  gleichmiitig  beim  Gelingen  und  Mifs- 
lingen,  dieser  Gleichmut  wird  Yoga  (Hingebung)  genannt. 

49.  (927.)  Tief  steht  das  Werk  unter  der  Hingebung  an 
die  Erkenntnis,  o  Siegreicher;  in  der  Erkenntnis  suche  deine 
Zuflucht,  elend  sie,  welche  vom  Lohn  getrieben  werden. 

50.  (928.)  Wer  der  Erkenntnis  hingegeben  ist,  der  lafst 
hinter  sich  beides,  das  gute  und  das  bose  Werk ;  darum  gib 
dich  der  Hingebung  fyogaj  hin;  Hingebung  macht  auch 
tiichtig  zu  Werken. 

51.  (929.)  Die  Weisen,  der  Erkenntnis  hingegeben,  ver- 
zichten  auf  der  Werke  Prucht,  und  erlost  von  der  Fessel  der 
Geburten  gehen  sie  ein  zu  der  leidlosen  Statte. 

52.  (930.)  Wenn  deine  Erkenntnis  iiber  den  Wirrwarr  der 
Verblendung  hinausschreiten  wird,  dann  wirst  du  iiberdriissig 
werden  dessen,  was  du  aus  den  heiligen  Schriften  lernen 
kannst  und  gelernt  hast. 

53.  (931.)  Und  wenn  deine  Erkenntnis  sich  den  heiHgen 
Schriften  entgegensetzen  und  unerschiitterKch  in  der  Medi- 
tation feststehen  wird,  dann  wirst  du  den  Yoga  erlangen. 

Arjuna  sprach: 

54.  (932.)  Welches  ist  die  Beschreibung  des  in  der  Er- 
kenntnis Feststehenden  und  in  der  Meditation  Beharrenden, 
o  Vollhaariger,  was  wird  der  reden,  der  in  seinem  Geiste  fest 
ist,  wie  wird  er  sitzen  und  wie  wird  er  wandeln? 

Der  Heilige  spracli: 

55.  (933.)  Wenn  einer,  o  Sohn  der  Pritha,  alle  Begierden 
fahren  lafst,  die  in  sein  Herz  kommen,  und  nur  an  dem 
Selbste  (Atman)  und  durch  das  Selbst  seine  Preude  hat 
(Chand.  Up.  7,25,2) ,  der  wird  ein  in  der  Erkenntnis  Pest- 
stehender  genannt. 

56.  (934.)  Wenn  einer  im  Leiden  unerschiitterlich  und  in 
Preuden  frei  von  Begierde  bleibt ,  befreit  von  Leidenschaft, 
von  Purcht  und  Zorn,  er  wird  ein  im  Geiste  Fester,  wird  ein 
Muni  genannt. 


44  II-   BhagavadgitS,. 

57.  (935.)  Wer  allerwarts  frei  von  Anhaftung  ist,  mag  ihm 
dieses  oder  jenes  Erfreuliche  oder  Unerfreuliche  begegnen, 
wer  dann  weder  Freude  noch  Hafs  empfindet,  dessen  Er- 
kenntnis  ist  eine  feststehende. 

58.  (936.)  Und  wenn  ein  solcher  von  iiberallher,  wie  die 
Schildkrote  ihre  Glieder,  so  seine  Organe  von  ihren  Objekten 
gelost  in  sich  hereinzieht ,  dessen  Erkenntnis  ist  eine  fest- 
stehende. 

59.  (937.)  Die  Sinnendinge  kehren  sich  ab  von  der  Seele, 
die  sich  nicht  mehr  an  ihnen  nahrt,  und  hat  sie  ihren  Ge- 
schmack  nicht  mehr,  so  wird  auch  der  Geschmack  an  ihnen 
zunichte,  nachdem  sie  das  Hochste  geschaut  hat. 

60.  (938.)  Denn  auch  bei  einem  sich  beherrschenden  weisen 
Manne,  o  Sohn  der  Kunti,  reifsen  die  ungestiimen  Sinne  den 
Geist  gewaltsam  mit  sich  fort. 

61.  (939.)  Sie  alle  iiberwaltigend  soil  man  dasitzen,  hin- 
gegeben  und  mich  [den  Allgeist]  als  Hochstes  habend,  denn 
wer  seine  Sinne  in  der  Gewalt  hat,  dessen  Erkenntnis  ist 
eine  feststehende. 

62.  (940.)  Wenn  hingegen  ein  Mensch  an  die  Sinnen- 
geniisse  denkt,  so  bildet  sich  bei  ihm  eine  Anhanglichkeit  an 
sie;  aus  der  Anhanglichkeit  entsteht  Begierde,  aus  der  Be- 
gierde  entsteht  Zorn, 

63.  (941.)  aus  dem  Zorn  entsteht  Verblendung,  aus  der 
Verblendung  entsteht  Triibung  der  Erinnerung;  ist  erst  die 
Erinnerung  getriibt,  so  folgt  Verlust  der  Erkenntnis,  ist  die 
Erkenntnis  verloren,  so  ist  er  auch  selbst  verloren. 

64.  (942.)  Wer  aber  an  den  Sinnendingen  voriibergeht  mit 
Sinnen,  die  von  Liebe  und  Hafs  sich  losgemacht  haben  und 
seinem  Atman  untertan  sind,  dessen  Seele  beruhigt  sich  und 
geht  ein  zum  Frieden. 

65.  (943.)  Hat  er  aber  Ruhe  von  alien  Schmerzen,  so  ent- 
steht in  ihm  die  Resignation,  und  ist  erst  sein  Geist  beruhigt, 
dann  kommt  auch  alsbald  seine  Erkenntnis  zu  vollkommenem 
Feststehen. 

66.  (944.)  Wer  nicht  Hingebung  iibt,  hat  nicht  die  Er- 
kenntnis, wer  nicht  Hingebung  iibt,  hat  nicht  Verinnerlichung; 


II  (Adhy^ya  26).  45 

wer  nicht  Verinnerlichung  hat,  hat  keinen  Frieden,  wer  keinen 
Frieden  hat,  woher  kame  dem  Freude! 

67.  (945.)  Denn  wenn  die  Sinne  umherschwarmen  und  der 
Verstand  mit  ihnen  fortgezogen  wird,  dann  reifst  er  die  Er- 
kenntnis  mit  sich  dahin,  wie  der  Wind  ein  Schiff  auf  dem 
Wasser. 

68.  (946.)  Darum,  o  Grofsarmiger,  wenn  einer  seine  Sinne 
allerwarts  von  den  Sinnendingen  zuriickhalt,  dessen  Erkennt- 
nis  ist  eine  feststehende. 

69.  (947.)  "Was  Nacht  ist  fiir  alle  Wesen,  darin  ist  wach 
der  Selbstbezwinger,  und  worin  alle  Wesen  wach  sind,  das 
ist  Nacht  fiir  den  schauenden  Weisen. 

70.  (948.)  Gleichwie  die  Wasser  zur  Ruhe  kommen  in 
dem  vollen,  unerschiitterlichen  Ozean,  so  kommen  alle 
Begierden  in  ihm  zur  Ruhe,  und  er  erlangt  den  Frieden, 
nicht  aber  der,  welcher  von  Begierde  getrieben  wird. 

71.  (949.)  Der  Mann,  welcher  alle  Begierden  fahren  lafst 
und  ohne  Verlangen  dahinwandelt,  ohne  Ichbewufstsein  und 
ohne  Selbstsucht,  der  erlangt  den  Frieden. 

72,  (950.)  Dieses  ist  das  Feststehen  im  Brahman,  o  Sohn 
der  Pritha ;  wer  es  erlangt,  wird  frei  vom  Wahn,  und  in  ihm 
beharrend,  erreicht  er  zur  Zeit  des  Endes  das  Erloschen 
{nirvdnamj  in  Brahman. 

So  lautet  in  der  Bhagavadgit4  tjberlegung  und  Hingebung 

(Sdhkhya-yoga). 


Ill  (Adhyaya  37). 

Vers  951-993  (B.  1-43). 

Arjuna  sprach: 

1.  (951.)  Wenn  nach  deiner  Meinung,  o  Janardana,  die 
Erkenntnis  hoher  steht  als  das  Werk,  warum  spornst  du 
mich  dann  an  zu  einem  grausamen  Werke,   o  Vollhaariger  ? 

2.  (952.)  Durch  deine  widerspruchsvolle  Rede  verwirrst 
du  meinen  Geist;  sage  mir  doch  das  Eine  mit  Bestimmtheit, 
wodurch  ich  das  Heil  erlangen  kann. 


46  11. 

Der  Heilige  sprach: 

3.  (953.)  Zwei  Standpunkte  gibt  es  in  dieser  Welt,  wie 
ich  schon  vordem  gelehrt  habe,  o  Untadeliger :  Die  Hingebung 
an  die  Erkenntnis  ist  der  Standpunkt  der  Reflektierenden 
fSdnJchyaJ ,  die  Hingebung  an  das  Werk  ist  der  der  Yoga- 
Ubenden. 

4.  (954.)  Nicht  durch  Enthaltung  von  den  Werken  erlangt 
der  Mensch  die  Werkbefreiung,  und  nicht  durch  blofses  Weg- 
werfen  von  allem  gelangt  er  zur  VoUendung. 

5.  (955.)  Der  Mensch  kann  doch  nie  auch  nur  einen  Augen- 
bhck  bestehen,  ohne  Werke  zu  tun.  Denn  ein  jeder  wird 
auch  gegen  seinen  Willen  gezwungen  zu  wirken  durch  die 
seiner  Natur  fprdkritij  eingeborenen  Guna's  (Beschaffenheiten). 

6.  (956.)  Wenn  einer  zwar  die  wirkenden  Sinnesorgane 
im  Zaume  halt  und  miifsig  sitzt,  aber  in  seinem  Herzen  den 
Sinnendingen  nachhangt,  der  ist  betorten  Geistes  und  auf  fal- 
schem  Wege. 

7.  (957.)  Wer  hingegen  die  Sinne  durch  das  Manas  im 
Zaume  halt  und  dann,  o  Arjuna,  mittels  der  Tatorgane  sich 
dem  Tun  hingibt  ohne  Anhanglichkeit,  mit  dem  steht  es 
anders. 

8.  (958.)  Vollbringe  du  das  notwendige  Werk,  denn  das 
Tun  steht  hoher  als  das  Nichttun,  und  auch  der  Fortgang 
des  Korperlebens  ist  nicht  moglich,  ohne  dafs  man  Werke  tut. 

9.  (959.)  Auch  abgesehen  von  den  Werken,  welche  um 
der  Opferpflicht  willen  notwendig  sind,  bleibt  diese  Welt  an 
Werke  gebunden.  Darum,  o  Kuntisohn,  tue  das  Werk,  aber 
tue  es  ohne  Anhanglichkeit. 

10.  (9C0.)  Als  der  Schopfer  Prajapati  zugleich  mit  dem 
Opfer  vordem  die  Wesen  schuf,  da  sprach  er  zu  ihnen :  Durch 
dieses  sollt  ihr  euch  fortpflanzen ,  dieses  sei  euch  die  eure 
Wiinsche  erfiillende  Wunschkuh. 

11.  (961.)  Fordert  ihr  durch  das  Opfer  die  Gotter,  und 
die  Gotter  wiederum  sollen  euch  fordern;  indem  ihr  euch 
gegenseitig  fordert,  werdet  ihr  das  hochste  Gliick  erlangen. 

12.  (962.)  Denn  die  Gotter,  durch  eure  Opfer  gefordert, 
werden  euch  die  gewiinschten  Geniisse  gewahren;  wer  das 


Ill  (Adhyaya  27).  47 

von    ihnen    Gewahrte    geniefst,    ohne    ihnen    etwas    wieder- 
zugewahren,  der  ist  eben  ein  Dieb. 

13.  (963.)  Die  Guten  essen,  was  vom  Opfer  iibrigbleibt, 
und  werden  dadurch  von  alien  Siinden  gereinigt;  die  Bosen 
aber,  welche  nur  zu  ihrem  eigenen  Besten  kochen,  die  essen 
zu  ihrem  Verderben. 

14.  (964.)  Die  Wesen  entstehen  aus  der  Nahrung,  die 
Nahrung  entsteht  aus  dem  Regen  fparjanyaj,  der  Regen  ent- 
steht  aus  dem  Opfer,  das  Opfer  entsteht  aus  dem  Werke; 

15.  (965.)  das  Werk  entsteht  aus  dem  Vedaworte  {Brah- 
manj,  das  Vedawort  entsteht  aus  dem  Unverganglichen ;  so- 
mit  hat  das  allumfassende  fsarvagataj  Vedawort  allezeit  seinen 
Halt  im  Opfer. 

16.  (966.)  So  drelit  sich  das  Rad  im  Kreise,  und  wer  es 
nicht  in  Umdrehung  versetzt  hienieden,  der  fiihrt  ein  ruch- 
loses  Leben,  ist  ein  Tummelplatz  der  Sinne  und  lebt,  o  Sohn 
der  Pritha,  vergeblich. 

17.  (967.)  Aber  der  Mensch,  welcher  am  Atman  sich  freut, 
am  Atman  sich  ersattigt  und  am  Atman  sein  Geniige  fmdet 
(vgl.  Chand.  Up.  7,25,2.  Mund.  Up.  3,1,4),  fur  den  gibt  es  keine 
Pflicht  mehr. 

18.  (968.)  Er  hat  keinen  Zweck  im  Auge  bei  dem,  was 
er  tut,  er  hat  keinen  Zweck  im  Auge  bei  dem,  was  er  nicht 
tut;  und  bei  alien  Wesen  sucht  er  keinen  Stiitzpunkt  seiner 
Zwecke. 

19.  (969.)  Darum  betreibe  allezeit  die  obhegende  Pflicht 
ohne  Anhanglichkeit ;  denn  wer  ohne  Anhanglichkeit  seine 
Pflicht  erfiillt,  der  Mann  erlangt  das  Hochste. 

20.  (970.)  Nur  durch  ihre  Werke  sind  Konige  wie  Janaka 
zur  Vollendung  gelangt;  und  auch  darum  mufst  du  handeln, 
damit  du  die  andern  Menschen  [zu  ihrer  Pflicht]  anhaltst. 

21.  (971.)  Denn  was  der  an  hochster  Stelle  Stehende  tut, 
das  ahmen  die  iibrigen  Menschen  nach,  und  was  er  sich  als 
Richtschnur  erwahlt,  danach  richtet  sich  auch  das  Volk. 

22.  (972.)  Nicht  liegt  mir  [als  Allgeist],  o  Sohn  der  Pritha, 
in  alien  drei  Welten  irgend  etwas  ob,  was  ich  zu  tun  hatte, 
noch  gibt  es  fiir  mich  etwas  zu  erlangen,  was  ich  nicht  schon 
erlangt  hatte,  und  doch  betatige  ich  mich  in  Wirkungen. 


48  II-   Bhagavadgit^. 

23.  (973.)  Denn,  sollte  es  je  geschehen,  dafs  ich  nicht 
unermiidlich  tatig  ware,  so  wiirden,  o  Sohn  der  Pritha,  die 
Menschen  allerwarts  meinem  Beispiel  folgen. 

24.  (974.)  Alle  Welten  wiirden  in  Untatigkeit  verharren, 
wenn  ich  nicht  mein  Werk  voUbrachte,  und  ich  wiirde  Ver- 
wirrung  veranlassen  und  die  Geschopfe  hier  zugrunde  richten. 

25.  (975.)  Und  so  wie  die  Nichtwissenden  handeln  mit 
Anhanglichkeit  an  ihr  Werk  [und  seinen  Lohn] ,  so  soil  der 
Wissende  ohne  Anhanglichkeit  handeln,  um  [durch  sein  Bei- 
spiel] die  iibrigen  dazu  anzuhalten,  o  Bharata. 

26.  (976.)  Er  soil  die  Nichtwissenden,  die  noch  an  dem 
Werke  hangen,  in  ihrem  Bewufstsein  nicht  irre  machen;  er, 
der  Wissende,  soil  sie  veranlassen,  alle  Werke  mit  Freudig- 
keit  zu  tun,  indem  er  selbst  mit  Hingebung  sie  betreibt. 

27.  (977.)  Die  Werke,  wo  sie  auch  immer  geschehen, 
werden  getan  durch  die  Guna's  der  Prakriti,  aber  der  Mensch, 
in  seinem  Selbste  betort  durch  den  Ahankdra  (Ichbewufst- 
sein),  wahnt:  Ich  bin  der  Handelnde. 

28.  (978.)  Wer  aber  die  Wesenheit  kennt,  o  Grofsarmiger, 
der  macht  einen  Unterschied  zwischen  den  Guna's  und  dem 
[gunalosen]  Werke;  er  begreift,  dafs  die  Guna's  sich  unter 
den  Guna's  betatigen,  und  halt  sich  frei  von  Anhanglichkeit. 

29.  (979.)  Die  Menschen,  betort  durch  die  Guna's  der 
Prakriti,  sind  an  jene  Werke  der  Guna's  anhanglich,  sind 
tragen  Geistes  und  Halbwissende;  sie  moge  der  Ganzwissen- 
den  nicht  irre  machen. 

30.  (980.)  Mir  soUst  du  alle  Werke  weihen,  den  Geist  ge- 
richtet  auf  den  hochsten  Atman,  und  so,  von  Hoffnung  und 
Selbstheit  frei,  mogest  du  kampfen  ohne  Bekiimmernis. 

31.  (981.)  Die  Menschen,  welche  allezeit  diese  meine  Vor- 
schrift  befolgen,  im  Glauben  und  ohne  Murren,  die  gelangen 
sogar  durch  ihre  Werke  zur  Erlosung. 

32.  (982.)  Diejenigen  aber,  welche  murren  und  diese  meine 
Vorschrift  nicht  befolgen,  diese  in  allem  Erkennen  Betorte 
und  Besinnungslose  wisse  als  Verlorene. 

33.  (983.)  Betatigt  sich  doch  auch  der  Wissende  ent- 
sprechend  seiner  eigenen  Natur;  ihrer  Natur  (FrakritiJ  folgen 
alle  Wesen,  was  kann  da  Hemmung  ausrichten! 


Ill  (Adhyaya  27).  49 

34.  (984.)  Jedes  Sinnesorgan  steht  fest,  sei  es  in  Liebe, 
sei  es  in  Hafs,  seinem  Gegenstande  gegeniiber;  unter  diese 
beiden  soil  man  sich  nicht  beugen,  denn  beide  sind  hinter- 
listige  Feinde  des  Menschen. 

35.  (985.)  Besser  ist  es  die  eigene  Pflicht  ohne  Tiichtig- 
keit,  als  die  fremde  Pflicht  mit  Erfolg  zu  betreiben ;  ja,  es  ist 
besser  in  der  Erfiillung  der  eigenen  Pflicht  zugrunde  zu  gehen, 
Befassen  mit  fremder  Pflicht  bringt  Gefahr! 

Arjuna  sprach: 

36.  (986.)  Aber  durch  wen  wird  der  Mensch  angestiftet, 
das  Bose  zu  tun,  selbst  gegen  seinen  Willen,  o  Nachkomme 
des  Vrishni,  und  gleichsam  mit  Gewalt  dazu  gedrangt? 

Der  Heilige  sprach: 

37.  (987.)  Es  ist  die  Begierde,  es  ist  der  Zorn,  entspringend 
aus  dera  Guna  des  Rajas  (Leidenschaft),  ein  grofser  Fresser, 
ein  grofser  Bosewicht,  ihn  wisse  hienieden  als  den  wahren 
Widersacher. 

38.  (988.)  Wie  das  Feuer  vom  Rauch  umhiillt  wird,  wie 
Rostflecken  den  Spiegel  verdecken,  wie  der  Embryo  von 
der  Eihaut  umschlossen  wird,  so  ist  von  ihm  diese  ganze 
Welt  iiberzogen. 

39.  (989.)  Verdunkelt  wird  sogar  das  Wissen  des  Wissen- 
den  von  diesem  ewigen  Widersacher,  der  die  Gestalt  der 
Begierde  annimmt,  o  Sohn  der  Kunti,  und  ein  unersattliches 
Feuer  ist. 

40.  (990.)  Die  Sinnesorgane ,  das  Manas  und  die  Buddhi 
sind  sein  Standort ;  von  diesen  aus  verdunkelt  er  das  Wissen 
und  iiberschattet  die  Seele. 

41.  (991.)  Darum  vor  allem,  o  Stier  der  Bharata's,  bandige 
deine  Sinnesorgane  und  schlage  jenes  Bose  aus  dem  Felde, 
welches  Erkenntnis  und  Lebenserfahrung  vergiftet. 

42.  (992.)  Die  Sinnesorgane,  heifst  es,  sind  vorziiglich, 
vorziiglicher  als  die  Sinnesorgane  ist  das  Manas,  vorziighcher 
als  das  Manas  ist  die  Buddlii  (vgl.  Kath.  Up.  3,10.  6,7),  wer 
-aber  noch  vorziiglicher  als  die  Buddhi  ist,  das  ist  er  [der 
Atman]. 

Detjsbes,  Mahibh&ratam.  4 


50  II-   Bhagavadgita, 

43.  (993.)  Also  wisse  ihn  als  vorziiglicher  nocli  als  die 
Buddhi,  befestige  deinen  Atman  durch  den  [hochsten]  Atman 
und  bekampfe  jenen  Feind,  o  Grorsarmiger,  der  sich  in  die 
Begierde  kleidet  und  schwer  zu  fassen  ist. 

So  lautet  in  der  Bhagavadgita,  die  Hingebung  an  das  "Work 
(karma -yoga). 


IV  (Adhyaya  38). 

Vers  994-1035  (B.  1-42). 

Der  Heilige  sprach: 

1.  (994.)  Diese  ewige  Yogalehre  [der  Hingebung  an  das 
Werk]  habe  ich  dem  Vivasvant  (dem  Sonnengotte)  verkiindet, 
Vivas vant  lehrte  sie  dem  Manu,  Manu  dem  Ikshvaku. 

2.  (995.)  In  dieser  Weise  von  Geschlecht  zu  Geschlecht 
iiberliefert,  gelangte  diese  Yogalehre  zu  den  Konigsweisen, 
aber  im  Laufe  der  langen  Zeit  ging  sie  verloren,  o  Feind- 
bezwinger. 

3.  (996.)  Heute  aber  ist  dieser  uralte  Yoga  dir  von  mir 
mitgeteilt  worden,  denn  du  bist  mein  Verehrer  und  mein 
Freund,  daher  ich  dir  dieses  hochste  Geheimnis  [anvertraut 
habe]. 

Arjuna  sprach: 

4.  (997.)  Spater  ist  deine  Geburt,  friiher  die  Geburt  des 
Vivasvant,  wie  soil  ich  es  verstehen,  dafs  du  die  Lehre  ur- 
anfanghch  verkiindet  hast  (vgl.  Ev.  Joh.  8,  Vers  57-58). 

Der  Heilige  sprach: 

5.  (998.)  Zahlreich  sind  meine  vergangenen  Geburten  und 
auch  deine,  o  Arjuna;  mir  sind  sie  alle  bewufst,  dir  aber 
sind  sie  nicht  bewufst,  o  Feindbezwinger, 

6.  (999.)  Ungeboren  bin  ich  und  unverganglichen  Wesens^ 
bin  der  Gottherr  figvaraj  der  Geschopfe;  aber  indem  ich  ein- 
gehe  in  meine  eigene  Natur  fpralritij,  entstehe  ich  durch 
meine  Zauberkunst  fmdyd). 


IV  (Adhyaya  28).  51 

7.  (1000.)  Denn  jedesmal,  wenn  die  Gesetzlichkeit  welk 
geworden  ist,  o  Bharata,  und  Ungesetzlichkeit  iiberwaltet, 
dann  erschaffe  ich  selbst  mich  selbst. 

8.  (1001.)  Zur  Rettung  der  Guten  und  zur  Vernichtung 
der  Bosen  entstehe  ich  in  jedem  Weltalter,  um  die  Gesetz- 
lichkeit wieder  aufzurichten. 

9.  (1002.)  Gotthch  ist  meine  Geburt  und  gotthch  mein 
Werk ;  wer  das  in  Wahrheit  weifs,  der,  wenn  er  seinen  Leib 
verlafst,  geht  nicht  ein  in  eine  neue  Geburt,  zu  mir  geht  er 
ein,  o  Arjuna. 

10.  (1003.)  Viele  sind  ihrer,  welche  befreit  von  Leiden- 
schaft,  von  Furcht  und  Zorn,  zu  mir  werdend,  zu  mir  ihre 
Zuflucht  nehmend,  gelautert  durch  die  Askese  der  Erkennt- 
nis,  in  meine  Wesenheit  eingehen. 

11.  (1004.)  Und  in  dem  Mafse,  wie  sie  zu  mir  sich  hin- 
wenden,  in  demselben  Mafse  Hebe  ich  sie  wieder,  und  so 
wandeln  von  iiberallher,  o  Prithasohn,  die  Menschen  auf 
meinem  "VVege. 

12.  (1005.)  Nach  dem  Gelingen  der  Werke  trachten  ja 
[die  Menschen]  und  verehren  darum  die  Gotter ;  denn  schnell 
zeigt  sich  in  der  Menschenwelt  das  Gehngen,  welches  aus 
Werken  entspringt. 

13.  (1006.)  Ich  bin  es  ja,  der  die  vier  Kasten  schuf,  der 
die  Guna's  und  Werke  unter  sie  verteilte;  von  dem  allem, 
wisse,  bin  ich  der  Schopfer  und  docliNicht-Schopfer  fiir  und  fiir. 

14.  (1007.)  Denn  mich  beflecken  die  Werke  nicht,  weil  ich 
nicht  nach  der  Frucht  der  Werke  begehre;  wer  mich  als 
solchen  erkennt,  der  wird  durch  seine  Werke  nicht  gebunden. 

15.  (1008.)  Und  in  dem  Bewufstsein,  dafs  in  dieser  Weise 
das  Werk  geiibt  wurde,  auch  von  den  Altvordern,  welche 
nach  Erlosung  trachteten,  vollbringe  auch  du  das  Werk,  wie 
es  vordem  von  den  Altvordern  vollbracht  wurde. 

16.  (1009.)  Was  ist  das  Werk  und  was  das  Nicht-Werk? 
In  dieser  Frage  haben  auch  die  Weisen  geirrt.  Darum  will 
ich  dir  das  Werk  erklaren,  welches  erkannt  habend  du  vom 
tjbel  erlost  sein  wirst. 

17.  (1010.)  Man  mufs  dabei  merken  auf  das  (gute)  Werk 
und  man  mufs   merken  auf  das  Abwerk   (das  hose  Werk), 

4* 


52  II,   Bhagavadgita., 

auch  mufs  man  merken  auf  das  Nicht-Werk.    Tief  verborgen 
ist  das  Wesen  des  Werkes. 

18.  (1011.)  Wer  im  Werke  das  Nicht-Werk  sieht  und  im 
Nicht-Werke  das  Werk,  der  ist  ein  Weiser  unter  den  Menschen, 
ein  Hingegebener  (YoginJ,  ein  alle  Werke  VoUbringender. 

19.  (1012.)  Der,  dessen  ganzes  Tun  frei  ist  von  Liisten 
und  Wiinschen,  und  dessen  Werke  verbrannt  sind  durch  das 
Feuer  der  Erkenntnis,  den  nennen  die  Kundigen  einen  Weisen. 

20.  (1013.)  Er  hat  sich  frei  gemacht  von  der  Anhanghch- 
keit  an  die  Frucht  der  Werke,  ist  ewig  befriedigt,  frei  von 
der  Hoffnung  Kriicken;  ein  solcher,  auch  wenn  er  sich  mit 
Werken  befafst,  tut  doch  gar  nichts. 

21.  (1014.)  Er  ist  frei  von  Wiinschen,  hat  die  Gedanken 
in  sich  gebandigt,  hat  weggeworfen  alles,  was  an  das  Leben 
kettet,  nur  dem  Leibe  nach  tut  er  das  Werk,  und  obschon 
er  es  tut,  bleibt  er  doch  frei  von  Versiindigung. 

22.  (1015.)  Er  begniigt  sich  mit  dem,  was  der  Zufall  ihm 
darbietet,  ist  erhaben  iiber  die  Gegensatze  [des  Lebens]  und 
frei  von  Eigensucht,  gleichmiitig  bei  Gehngen  und  Mifshngen, 
und  obgleich  er  handelt,  verfallt  er  doch  nicht  der  Bindung. 

23.  (1016.)  Fiir  ihn,  der  die  Anhanghchkeit  hat  fahren 
lassen,  sich  frei  gemacht  hat  und  mit  seinem  Denken  fest- 
steht  in  der  Erkenntnis,  fiir  ihn,  der  das  Werk  nur  als  ein 
Opfer  betreibt,  ist  dasselbe  volHg  zunichte  geworden. 

24.  (1017.)  Brahman  ist  seine  Darbringung,  Brahman  seine 
Opferspeise,  Brahman  spendet  er  im  Feuer  durch  das  Brah- 
man, und  so  wird  er  eingehen  in  das  Brahman,  er,  dessen 
Meditation  dieses  Brahmanwerk  ist. 

25.  (lois.)  Einige  dieser  Hingegebenen  huldigen  dem  Opfer 
als  einem  den  Gottern  dargebrachten,  andere  hingegen  bringen, 
im  Brahmanfeuer  opfernd,  das  Opfer  selbst  zum  Opfer  dar  [sie 
verzichten  darauf]. 

26.  (1019.)  Wieder  andere  opfern  das  Gehor  und  alle  Sinne 
in  dem  Feuer  der  Selbstbezwingung,  und  noch  andere  opfern 
in  dem  Feuer  der  Sinne  das  Gehorte  und  alle  andern  Sinnen- 
dinge. 

27.  (1020.)  Und  abermals  andere  opfern  alle  Verrichtungen 
der  Sinnesorgane  und  alle  Verrichtungen  der  Lebenshauche 


IV  (Adhyaya  28).  53 

fprdnahj  in  dem  Yogafeuer  der  Selbstbezwingung,   welches 
von  der  Erkenntnis  angefacht  wird. 

28.  (1021.)  Manche  bringen  ihr  Vermogen  dar,  oder  sie 
opfern  durch  Kasteiung  oder  durch  Yoga  oder  durch  Veda- 
studium  und  Erkenntnis,  sie  alle  als  Bezwinger  mit  scharfem 
Geliibde. 

29.  (1022.)  Manche  auch  opfern  den  Aushauch  im  Ein- 
hauch  und  den  Einhauch  im  Aushauch  [die  Hemmung  des 
Aushauchens  wahrend  des  Einhauchens  gilt  ihnen  als  ein 
Opfer  desselben  und  umgekehrt],  indem  sie  den  Gang  des 
Aushauches  und  des  Einhauches  einschranken  und  die  Hem- 
mung des  Atmens  als  hochsten  Zweck  sich  setzen. 

30.  (1023.)  Andere  regeln  die  Ernahrung  und  opfern  die 
Lebenshauche  in  den  Lebenshauchen  [indem  beim  Pranagni- 
hotram,  Chand.  Up.  5,19—23,  die  Ernahrung  jedes  einzelnen 
Lebenshauches  als  eine  zeitweilige  Aufopferung  der  vier 
iibrigen  erscheint].  —  Alle  diese  sind  des  Opfers  kundig  und 
vernichten  durch  das  Opfer  ihre  Siinden. 

31.  (1024.)  Diejenigen,  welche  [in  dieser  Gesinnung]  das 
Amritam  (Nektar)  des  Opferrestes  geniefsen,  die  gehen  ein 
in  das  ewige  Brahman.  Nicht  einmal  diese  Erdenwelt  wird 
dem  Nichtopfernden  zuteil,  wieviel  weniger  die  andere,  o  Bester 
der  Kuru's! 

32.  (102.5.)  In  dieser  Weise  sind  mannigfache  Opfer  aus- 
gebreitet  in  dem  Munde  des  Brahman  [im  Veda,  der  sie  als 
ihr  Mund  offenbart].  Sie  alle  aber,  wisse,  wurzeln  in  dem 
Werk;   wenn  du  dies  erkannt  hast,  wirst  du  erlost  werden. 

33.  (1026.)  Aber  besser  als  das  aus  stofflichen  Dar- 
bringungen  bestehende  Opfer  ist  das  Opfer,  das  im  Erkennen 
besteht,  o  Bezwinger  der  Feinde;  das  ganze  Opferwerk  ohne 
Ausnahme,  o  Sohn  der  Pritha,  wird  vollbracht,  indem  man 
Erkenntnis  hat. 

34.  (1027.)  Dies  Wissen  erwirb,  indem  du  dich  niederlafst 
zu  des  Lehrers  Fiifsen,  indem  du  ihn  befragest  und  ihm 
dienest;  dann  werden  jene  Wissenden,  Wahrheitschauenden 
dich  das  Wissen  lehren. 

35.  (1028.)  Wenn  du  es  erlernt  hast,  das  Wissen,  so  wirst 
du  nicht  wiederum,  so  wie  jetzt,  der  Verblendung  [des  Samsara] 


54  II-   Bhagavadgita. 

verfallen,  o  Pandusohn,  das  Wissen,  vermoge  dessen  du  die 
Wesen  ohne  Ausnahme  schauen  wirst  in  dir  selbst  und  so- 
dann  in  mir. 

36.  (1029.)  Und  wenn  du  unter  alien  Bosewichtern  der 
argste  warest,  so  wirst  du  doch  mit  dem  Schiff  der  Erkennt- 
nis  alles  Schlimme  iiberschreiten. 

37.  (1030.)  So  wie,  o  Arjuna,  das  angeziindete  Feuer  das 
Brennholz  zu  Asche  macht,  so  macht  das  Feuer  der  Erkennt- 
nis  alle  Werke  zu  Asche. 

38.  (1031.)  Denn  es  gibt  auf  der  Welt  kein  Lauterungs- 
mittel,  welches  der  Erkenntnis  gleichkame,  und  dieses  findet 
der  im  Yoga  VoUkommene  von  selbst  mit  der  Zeit  in  seinem 
eigenen  Innern. 

39.  (1032.)  Der  Glaubige  erlangt  die  Erkenntnis,  wenn  er 
einzig  nach  ihr  trachtet  und  seine  Sinne  bezahmt,  und  hat 
er  die  Erkenntnis  erlangt,  so  geht  er  binnen  kurzem  zum 
hochsten  Frieden  ein. 

40.  (1033.)  Aber  der  Nichtwissende ,  Nichtglaubende ,  von 
Zweifel  Erfiillte  geht  zugrunde;  nicht  diese  Welt  und  nicht 
die  andere,  nicht  Freude  hat,  wer  erfiillt  von  Zweifel  ist. 

41.  (1034.)  Aber  wer  durch  den  Yoga  die  W^erke  ab- 
geworfen  und  durch  die  Erkenntnis  alle  Zweifel  von  sich 
gelost  hat  (Mund.  Up.  2,2,8),  wer  den  Atman  besitzt,  den 
binden  die  Werke  nicht  mehr,  o  Beutemacher. 

42.  (1035.)  Darum,  o  Bharata,  zerspalte  mit  dem  Schwerte 
der  Erkenntnis  jenen  im  Nichtwissen  wurzelnden,  in  deinem 
Herzen  wohnenden  Zweifel,  gib  dich  dem  Yoga  hin  und  er- 
manne  dich. 

So  lautet  in  der  Bbagavadgitd.  die  Hingobung  an  die  Erkenntnis 

(jndna-yoga). 


V  (Adhy^ya  29).  55 

V  (Adhyaya  39). 

Vers  1036-1064  (B.  1-29). 

Arjuna  sprach: 

1.  (1036.)  Du  riihmst,  o  Krishna,  den  Verzicht  auf  die 
Werke  und  wiederum  Hingebung  an  dieselben.  Was  ist  von 
diesen  beiden  das  Bessere?  Das  sage  mir  mit  Bestimmtheit. 

Der  Heilige  sprach: 

2.  (1037.)  Verzicht  auf  die  Werke  und  Hingebung  an  sie, 
beides  fiihrt  zum  hochsten  Heil;  aber  unter  ihnen  wird  der 
Verzicht  von  der  Hingebung  an  die  Werke  iibertroffen. 

3.  (1038.)  Der  ist  zu  wissen  als  ein  bestandig  Verzichtender, 
welcher  nicht  hafst  und  nicht  begehrt;  denn  frei  von  den 
Gegensatzen  [des  Lebens],  o  Grorsarmiger,  wird  er  leicht  von 
der  Bindung  erlost. 

4.  (1039.)  Nur  die  Toren  behaupten,  dafs  Sankhyam  (Weg 
der  Reflexion)  und  Yoga  (Weg  der  Verinneriichung)  ver- 
schieden  seien,  nicht  aber  die  Weisen.  Wer  auch  nur  eines 
von  ihnen  richtig  betreibt,  der  erlangt  die  Frucht  aller  beiden. 

5.  (1040.)  Die  Statte,  welche  von  den  Reflektierenden 
fsdnJchyaihJ  errungen  wird,  eben  diese  wird  auch  von  den 
Yoga-Ubenden  erlangt.  Eines  sind  das  Sankhyam,  und  der 
Yoga.    Wer  das  sieht,  der  ist  sehend. 

6.  (1041.)  Aber  das  Verzichten,  o  Grorsarmiger,  ist  schwer 
zu  erlangen,  wenn  es  nicht  vom  Yoga  ausgeht;  wahrend  der 
dem  Yoga  sich  hingebende  Weise  in  kurzer  Zeit  das  Brah- 
man erreicht. 

7.  (1042.)  Wer  dem  Yoga  sich  hingegeben  hat,  reinen 
Wesens,  besiegten  Wesens,  mit  bezahmten  Sinnen,  und  dessen 
Selbst  zum  Selbste  aller  Wesen  geworden  ist,  der  wird,  auch 
wenn  er  Werke  tut,  nicht  befleckt. 

8.  (1043.)  Wer  dem  Yoga  hingegeben  die  Wesenheit  er- 
kennt,  der  ist  sich  bewufst,  dafs  nicht  er  es  ist,  welcher 
iraendein  Werk  tut,  und  wenn  er  sieht  und  hort  und  fiihlt 
und  riecht,  wenn  er  ifst  und  wandelt,  schlaft  und  atmet, 


56  11-    BhagavadgitS,, 

9.  (1044.)  wenn  er  redet,  ausscheidet  und  greift,  die  Augen 
offnet  und  schliefst,  so  ist  er  sich  dabei  bewufst,  dafs  es  nur 
seine  Sinnesorgane  sind,  welche  sich  mit  den  Sinnendingen 
befassen. 

10.  (1045.)  Wer  so  handelt,  dafs  er  seine  Werke  dem 
Brahman  weiht  und  sich  von  dem  Hang  [nach  Lohn]  frei- 
gemacht  hat,  der  bleibt  vom  Bosen  unbefleckt,  wie  das  Lotos- 
blatt  vom  Wasser. 

11.  (1046.)  Nur  mit  dem  Leibe,  mit  dem  Manas  und  der 
Buddhi,  nur  mit  den  Sinnesorganen  allein  vollbringen  die 
Yogin's  das  Werk,  indem  sie  die  Anhanglichkeit  [an  den 
Lohn]  fahren  lassen,  um  ihre  Seele  (Atman)  reinzuhalten. 

12.  (1047.)  Der  dem  Yoga  sich  Hingebende  verzichtet  auf 
die  Frucht  der  "Werke  und  erlangt  den  unvergangHchen  Frie- 
den;  der  Nicht-Hingegebene  handelt  aus  Begierde,  ist  an- 
hangHch  an  den  Lohn  und  bleibt  gebunden. 

13.  (1048.)  Alle  Werke  mit  Bewufstsein  von  sich  werfend 
sitzt  er  da,  heiter  und  Herr  [seiner  Sinne],  der  Trager  des 
Leibes  in  der  Stadt  mit  den  neun  Toren  [dem  Leibe],  indem 
er  weder  handelt  noch  handeln  lafst. 

14.  (1049.)  Nicht  das  Tatersein  und  nicht  die  Werke  schafft 
der  Herr  der  Welt  [der  Purusha],  noch  auch  den  Zusammen- 
hang  zwischen  den  Werken  und  ihrem  Lohne,  vielmehr  ist 
es  die  eigene  Natur  fsvabhdva  =^prakritij,  die  sich  darin  betatigt. 

15.  (1050.)  Nicht  das  Bose  von  irgendwem  und  nicht  sein 
gutes  Werk  erkennt  der  Allmachtige  an  als  sein,  sondern  es 
ist  die  Verdunkelung  des  Wissens  durch  das  Nichtwissen, 
vermoge  dessen  die  Geschopfe  in  der  Irre  gehen. 

16.  (1051.)  Aber  diejenigen,  bei  denen  dieses  Nichtwissen 
vernichtet  ist  durch  die  Erkenntnis  des  Atman,  deren  Er- 
kenntnis  macht  ihnen  gleichwie  eine  Sonne  jenes  Hochste 
offenbar. 

17.  (1052.)  Dieses  erkennend,  dieses  als  ihr  Selbst  er- 
fassend,  in  diesem  feststehend,  dieses  als  hochstes  Ziel  habend, 
gehen  sie  ein  dorthin,  von  wo  es  keine  Wiederkehr  gibt,  sie, 
welche  durch  die  Erkenntnis  das  Bose  abgeschiittelt  haben. 

18.  (1053.)  In  dem  mit  Wissenschaft  und  Zucht  begabten 
Brahmanen,  in  dem  Ochsen,  in  dem  Elefanten,  ja  sogar  in 


V  (Adhyaya  29).  57 

dem  Hunde  und  in  dem  Hundefleischverzehrer  sieht  der  Weise 
eines  und  dasselbe. 

19.  (1054.)  Schon  hienieden  haben  sie  sich  das  All  erobert, 
deren  Geist  darin  fest  geworden  ist,  in  allem  das  Gleiche  zu 
sehen.  Denn  siindlos  ist  das  in  allem  gleichmafsig  vorhandene 
Brahman,  darum  sind  sie  fest  beliarrend  in  dem  Brahman. 

20.  (1055.)  Er  freut  sich  nicht,  wenn  ihm  Angenehmes  be- 
gegnet,  er  bleibt  unerschiittert,  wenn  ihn  Unangenehmes  trifft; 
festen  Sinnes  und  unbeirrt  kennt  er  das  Brahman,  steht  er 
im  Brahman  fest. 

21.  (1056.)  An  den  Beriihrungen  der  Aufsenwelt  hangt  sein 
Atman  nicht,  in  sich  selbst  findet  er,  was  ihn  begliickt;  der 
Hingebung  an  Brahman  mit  ganzer  Seele  ergeben  eriangt  er 
unvergangliches  Gliick. 

22.  (1057.)  Alle  Freuden,  welche  aus  der  Beriihrung  mit 
der  Welt  entspringen,  die  sind  eine  Quelle  der  Leiden,  sie 
haben  einen  Anfang  und  ein  Ende,  o  Kuntisohn,  nicht  freut 
sich  ihrer  der  Weise. 

23.  (1058.)  Wer  schon  hienieden  vor  der  Erlosung  vom 
Leibe  den  Sturm  zu  bewaltigen  weifs,  der  aus  Lust  und  Zorn 
entspringt,  der  ist  ein  Hingegebener,  ist  ein  gliickseliger  Mann. 

24.  (1059.)  Wer  in  sich  die  Freude,  in  sich  das  Ergotzen 
findet  und  in  sich  das  Licht,  der  ist  ein  Yogin,  und  zu  Brah- 
man geworden,  gelangt  er  zum  Erloschen  in  Brahman  fbrdhma- 
nirvdnamj. 

25.  (1060.)  Dieses  Erloschen  in  Brahman  erlangen  die 
Rishi's,  wenn  die  Siinde  vernichtet,  die  Zweiheit  abgeworfen, 
das  Selbst  bezahmt  ist,  sie,  welche  sich  am  Wohle  aller  Wesen 
erfreuen. 

26.  (1061.)  Fiir  die  von  Lust  und  Zorn  befreiten  Selbst- 
bezwinger,  die  ihre  Gedanken  im  Zaume  halten  und  den 
Atman  erkannt  haben,  tritt  ganz  und  vollstandig  [abhitas^ 
nach  (^aiikara:  im  Leben  und  Tode]  das  Erloschen  in  Brah- 
man ein. 

27.  (1062.)  Wer  die  Beriihrungen  der  Aufsenwelt  nach 
aufsen  zuriickdrangt  und  das  Augenmerk  auf  den  Punkt 
zwischen  den  Brauen  richtet  [wo  nach  Brahmasutra  1,2,32 
der  Sitz  des  Atman  ist],  wer  Einhauch  und  Aushauch  einander 


58  II-    Bhagavadgita. 

gleich  maclit  und   so  durch  das  Innere  der  Nase  streichen 
lafst, 

28.  (1063.)  wer  als  ein  Muni  Sinne,  Manas  und  Buddhi 
bezahmt,  der  Erlosung  als  hochstem  Ziel  zustrebt  und  Wiin- 
schen,  Fiirchten  und  Ziirnen  von  sich  abtut,  der  ist  fiir  immer 
erlost. 

29.  (1064.)  Und  indem  er  mich  erkennt  als  den  Empfanger 
aller  Opfer  und  Kasteiungen,  als  den  grofsen  Herrn  aller 
"Welten  und  als  den  Freund  aller  Wesen,  geht  er  ein  zum 
Frieden. 

So  lautet  in  der  Bhagavadgita,  Werkverziclit  und  WerkMngebung 
(karma  -  sannydsa  -  yoga). 


VI  (Adhyaya  30). 

Vers  1065-1111   (B.  1-47). 

Der  Heilige  sprach: 

1.  (1065.)  Wer  olme  auf  des  Werkes  Frucht  zu  bauen, 
das  Werk  voUbringt,  das  ihm  obliegt,  der  ist  ein  Sannyasin 
(Entsagender),  ist  ein  Yogin  (Hingegebener),  nicht  aber,  wer 
ohne  Opferfeuer,  ohne  Werke  ist. 

2.  (1066.)  "Was  man  Sannyasa  (Entsagung)  nennt,  das  wisse, 
ist  der  [wahre]  Yoga,  o  Pandusohn,  denn  keiner  ist  ein  Yogin, 
der  nicht  seinen  Wiinschen  entsagt  hat. 

3.  (1067.)  Fiir  den  Muni,  der  zum  Yoga  emporsteigen  will, 
ist  die  Tatigkeit  der  Weg;  fiir  ebendenselben ,  nachdem  er 
zum  Yoga  emporgestiegen  ist,  ist  der  Weg  die  Rulie. 

4.  (1068.)  Denn  wenn  einer  nicht  mehr  an  den  Sinnen- 
dingen,  nicht  mehr  an  den  Werken  hangt,  wenn  er  alien 
Wiinschen  entsagt  hat,  dann  ist  er  ein  zum  Yoga  Empor- 
gestiegener. 

5.  (1069.)  Man  reifse  heraus  das  Selbst  durch  das  Selbst 
[aus  dem  Ozean  des  Samsara],  nicht  lasse  man  das  Selbst 
[in  ihm]  versinken,  denn  ein  jeder  ist  der  Bundesgenosse 
seiner  selbst,  und  ein  jeder  ist  audi  ein  Feind  seiner  selbst. 

6.  (1070.)  Ein  Bundesgenosse  seiner  selbst  ist  er  dann, 
wenn  er  sein  Selbst  durch  das  Selbst  iiberwunden  hat;   so- 


VI  (Adhyaya  30).  59 

lange  aber  noch  die  Feindschaft  besteht  dessen,  was  [an  ihm] 
nicht  Selbst  ist,  solange  ist  einer  ein  Feind  seiner  selbst. 

7.  (1071.)  Wer  sein  Selbst  iiberwunden  hat  und  zur  Ruhe 
gelangt  ist,  in  dem  hat  das  hochste  Selbst  Wohnung  ge- 
nommen,  bei  Kalte  und  Hitze,  bei  Lust  und  Leid,  bei  Ehre 
und  Schande. 

8.  (1072.)  Wer  an  Erkenntnis  und  Wissen  sich  ersattigt^ 
erhaben  iiber  alles,  die  Sinne  gebandigt,  der  heifst  als  ein 
Hingegebener  Yogin,  gleichmiitig  blickt  er  hin  auf  Erd- 
klumpen,  auf  Steine  und  auf  Gold. 

9.  (1073.)  Bei  Freunden  und  Genossen,  bei  Feinden,  Gleich- 
giiltigen  und  Unparteiischen,  bei  Gegnern  und  Verwandten, 
bei  Guten  und  bei  Bosen  bleibt  er  gleichmiitig,  daran  erkennt 
man  ihn. 

10.  (1074.)  Als  Yogin  [urspriinglich :  ein  sich  Anschicken- 
der]  schicke  er  sich  an,  immerwahrend  in  der  Einsamkeit 
verharrend,  alleinstehend,  die  Regungen  seines  Herzens  ban- 
digend,  ohne  Hoffnung,  ohne  umgeben  zu  sein  von  den 
Seinen. 

11.  (1075.)  An  einem  reinen  Orte  errichte  er  fiir  sich  einen 
festen  Sitz,  nicht  zu  hoch  und  nicht  zu  niedrig,  iiberdeckt 
mit  Gewand,  Antilopenfell  und  Kugagras. 

12.  (1076.)  Daselbst  konzentriere  er  sein  Manas  auf  einen 
Punkt,  unterdriicke  die  Tatigkeiten  des  Denkens  und  der 
Sinne,  setze  sich  nieder  auf  den  Sitz  und  spanne  den  Yoga 
an  zur  Lauterung  seines  Selbstes. 

13.  (1077.)  In  gleichmafsiger  Richtung  Rumpf,  Kopf  und 
Hals  unbeweglich  haltend,  blicke  er  unentwegt  auf  seine 
Nasenspitze,  ohne  nach  den  Seiten  hinzusehen. 

14.  (1078.)  Beruhigten  Selbstes  und  frei  von  Furcht,  in 
dem  Geliibde  eines  Brahmanschiilers  beharrend,  sein  Manas 
bezahmend  und  an  mich  denkend,  sitze  er  da  im  Yoga,  mir 
einzig  ergeben. 

15.  (1079.)  In  dieser  Weise  allezeit  sich  selbst  anschickend 
und  seine  Gedanken  bandigend,  erlangt  der  Yogin  den  in  mir 
wurzelnden  Frieden,   dessen  letztes  Ende  das  Nirvdnam  ist. 

16.  (1080.)  Nicht  dem,  der  iibermafsig  ifst,  wird  der  Yoga 
zuteil,   aber  auch  nicht  dem,   der  ganz  und  gar  nicht  ifst, 


60  II-   Bhagavadgita. 

ebenso  nicht  dem,  o  Arjuna,  der  libermafsig  zu  schlafen  pflegt 
oder  zu  wachen. 

17.  (1081.)  Wer  aber  mafsig  in  Nahrung  und  Erholung 
ist,  mafsig  im  Wandeln  und  Handeln,  mafsig  im  Schlafen 
und  Wachen,  dem  wird  der  Yoga  zuteil,  der  schmerzstillende. 

18.  (1082.)  Wenn  der  Gedanke  geziigelt,  nur  auf  den  Atman 
gerichtet  ist,  wenn  einer  nicht  mehr  begehrend  ist  nach  irgend- 
welchen  Liisten,  dann  wird  er  ein  Yogabeflissener  genannt. 

19.  (1083.)  Wie  eine  an  windstillem  Ort  stehende  Lampe 
nicht  flackert,  dieses  Gleichnis  gilt  von  dem  Yogin,  der  seine 
Gedanken  unterdriickt  hat  und  seine  Seele  dem  Yoga  hingibt. 

20.  (1084.)  Wenn  das  Denken,  unterdriickt,  durch  den 
Yogadienst  zur  Ruhe  kommt,  wenn  man  nur  das  Selbst  durch 
das  Selbst  schauend  an  dem  Selbste  seine  Lust  hat, 

21.  (1085.)  wenn  man  jene  unendliche,  nur  von  der  Buddhi 
zu  erfassende,  iiber  die  Sinne  erhabene  Lust  empfindet  und 
in  diesem  Zustande  beharrend  nicht  von  der  wahren  Wesen- 
heit  abweicht, 

22.  (1086.)  wenn  man  das  ergriffen  hat,  von  dem  man  sich 
bewufst  ist,  dafs  es  nichts  anderes  Hoheres  zu  ergreifen 
gibt,  und  in  ihm  beharrend  auch  durch  schweres  Leiden 
nicht  erschiittert  wird, 

23.  (1087.)  das,  soil  man  wissen,  ist  der  von  der  Beriihrung 
mit  Leiden  freie  Zustand,  welchen  man  den  Yoga  nennt ;  und 
diesem  Yoga  soil  man  mit  Entschiedenheit  sich  hingeben, 
mit  unverdrossenem  Geiste  [anirvinnacctasd  mit  Qankara]. 

24.  (1088.)  Indem  man  auf  alle  aus  dem  Wunsch  ent- 
springenden  Liiste  ohne  Unterschied  Verzicht  leistet,  indem 
man  durch  das  Manas  die  Rotte  der  Sinnesorgane  von  alien 
Seiten  her  niederkampft, 

25.  (1089.)"  soil  man  vermittelst  der  mit  Festigkeit  er- 
griffenen  Buddhi  mehr  und  mehr  zur  Ruhe  kommen,  das 
Manas  in  dem  Atman  zum  Stillstande  bringen  und  gar  nichts 
mehr  denken. 

26.  (1090.)  Wohin  auch  immer  das  Manas,  das  wankel- 
miitige,  unbestandige,  ausschwarmen  mochte,  von  iiberallher 
moge  man  es  zwangsweise  in  dem  Atman  wieder  zum  Ge- 
horsam  zuriickfiihren. 


VI  (Adhy^ya  30).  61 

27.  (1091.)  Einen  solchen  Yogin,  der  sein  Manas  zur  Ruhe 
gebracht  hat,  erfiillt  die  hochste  Wonne,  ihn,  dessen  Leiden- 
schaft  (rajas)  beschwichtigt,  der  zu  Brahman,  dem  sundlosen, 
geworden  ist. 

28.  (1092.)  In  dieser  Weise  allezeit  sich  seinem  Atman  hin- 
gebend,  wird  der  Yogin,  von  Siinde  frei,  mit  Lust  die  in  der 
Einswerdung  mit  Brahman  hestehende,  uneridHche  Wonne 
erlangen. 

29.  (1093.)  Er  schaut  sein  eigenes  Selbst  in  alien  Wesen 
und  alle  Wesen  in  dem  eigenen  Selbst,  mit  seinem  Selbst 
dem  Yoga  hingegeben,  erblickt  er  iiberall  das  gleiche  Wesen. 

30.  (1094.)  Wer  mich  in  allem  sieht  und  alles  sieht  in 
mir,  dem  gehe  ich  nicht  verloren,  und  der  geht  mir  nicht 
verloren. 

31.  (1095.)  Wer  mich  verehrt  als  in  alien  Wesen  weilend 
und  in  der  Einheit  feststeht,  in  welcher  Lage  der  auch  immer 
sein  mag,  er  ist  ein  Yogin,  ist  in  mir. 

32.  (1096.)  Wer,  o  Arjuna,  wegen  der  Gleiclilieit  mit  dem 
eigenen  Selbste  iiberall  das  Gleiche  sieht,  sei  es  im  Gliick, 
sei  es  im  Ungliick,  er  ist  ein  vollendeter  Yogin. 

Arjuna  sprach: 

33.  (1097.)  Der  Yoga,  von  dem  du  lehrst,  o  Madhusudana, 
dafs  er  in  [dem  Bewufstsein]  der  Gleichheit  bestehe,  der 
kann  doch  wegen  der  Wankelmiitigkeit  nicht  von  bestandiger 
Dauer  sein. 

34.  (1098.)  Denn  wankelmiitig  ist  das  Manas,  o  Krishna, 
ungestiim,  gewaltig,  stark,  und  seine  Ziigelung,  wie  die  des 
Windes,  ist  schwer  zu  vollbringen. 

Der  Heilige  sprach: 

35.  (1099.)  Ohne  Zweifel,  o  Grofsarmiger,  ist  das  Manas 
schwer  zu  ziigeln  und  beweglich,  aber  durch  Ubung,  o  Kunti- 
sohn,  und  durch  Entsagung  wird  es  bezwungen. 

36.  (1100.)  Von  dem  freilich,  dessen  Selbst  ungebandigt 
ist,  ist  der  Yoga  schwer  zu  erlangen,  so  meine  ich;  wer  aber 
sich  selbst  in  Gehorsam  halt  und  beherrscht,  der  kann  ihn 
durch  das  rechte  Mittel  erlangen. 


62  II-   Bhagavadgita,. 

Arjuna  sprach: 

37.  (1101.)  Wenn  einer  sich  nicht  selbst  bezwingt,  wenn 
er  zwar  von  Glauben  erfiillt  isi,  aber  vom  Yoga  mit  seinem 
Manas  abfallt,  und  so  die  Yogavollendung  nicht  erreicht,  was 
wird,  o  Krishna,  aus  diesem? 

38.  (1102.)  Wird  er  nicht  beider  [der  Frucht  des  Glaubens 
und  des  Yoga]  verlustig  gehen  und  zerfliefsen,  wie  eineWolke, 
die  sich  zerteilt,  da  er,  o  Grofsarmiger,  ohne  Halt  und  auf 
dem  Pfade  zu  Brahman  hin  verirrt  ist? 

39.  (1103.)  Diesen  Zweifel,  o  Krishna,  mufst  du  mir  volHg 
losen,  denn  nicht  gibt  es  einen  aufser  dir,  der  diesen  Zweifel 
losen  konnte. 

Der  Heilige  spracli: 

40.  (1104.)  0  Prithasohn,  ein  solcher  ist  weder  in  dieser 
Welt  noch  in  der  andern  ein  Verlorener,  denn  nicht  kann 
irgendeiner,  der  etwas  Gutes  tut,  einen  schlimmen  Gang  gehen. 

41.  (1105.)  Daher  ein  solcher,  nachdem  er  die  Welten  der- 
jenigen,  welche  gute  Werke  getan,  erlangt  und  in  ihnen 
zahllose  Jahre  geweilt  hat,  darauf,  wenn  er  auch  des  Yoga 
verlustig  ging,  doch  in  einem  reinen  und  gliicklichen  Hause 
wiedergeboren  wird. 

42.  (1106.)  Oder  er  wird  sogar  geboren  in  der  Familie 
weiser  Yogin's;  und  das  ist  schwerer  als  alles  andere  in  der 
Welt  zu  erlangen,  dafs  man  einer  solchen  Geburt  teilhaft  wird. 

43.  (1107.)  Daselbst  erlangt  er  dieselbe  Einsicht,  die  er 
schon  in  seiner  friihern  Geburt  hatte,  o  Liebling  der  Kuru's, 
und  strebt  von  ihr  aus  weiter  hin  zur  VoUendung. 

44.  (1108.)  Vermoge  jener  seiner  friihern  Bemiihung  eben 
wird  er  auch  wider  Willen  fortgerissen,  ist  bestrebt  den  Yoga 
kennen  zu  lernen  und  kommt  ilber  das  blofse  Wortbrahman 
(Maitr.  Up.  6,22)  hinaus. 

45.  (1109.)  Und  wenn  er  mit  Ernst  weiterstrebt ,  wird  er 
sich  als  Yogin  von  der  Siinde  reinigen  und,  durch  mannig- 
fache  Geburten  gelautert,  endlich  den  hochsten  Weg  gehen. 

46.  (1110.)  Der  Yogin  steht  hoher  als  die,  welche  das 
Tapas  iiben,  hoher  audi  als  die,  welche  der  Erkenntnis  leben ; 
der  Yogin  steht  auch  hoher  als  die,  welche  die  Werke  be- 
treiben;  darum  werde  ein  Yogin,  o  Arjuna. 


VI  (Adhyaya  30).  63 

47.  (nil.)  Aber  unter  alien  Yogin's  ist  der,  welcher  sein 
inneres  Selbst  mir  hingibt  und  glaubig  mich  verehrt,  der 
mir  am  innigsten  Verbundene. 

So  lautet  in  der  BbagavadgltA  die  Hingebung  an  die  Selbstbezwingnng 

(dtma-samyaina-yoga). 


VII  (Adhyaya  31). 

Vers  1112-1141  (B.  1-30). 

Der  Heilige  spracli: 

1.  (1112.)  Wenn  du,  o  Prithasohn,  mit  deinem  Geiste  mir 
hingegeben  und  auf  mich  bauend  den  Yoga  betreibst,  so  wirst 
du  sicherlich  mich  voll  und  ganz  erkennen;  vernimm,  in 
welcher  Weise. 

2.  (1113.)  Ich  will  dir  jetzt  diejenige  Erkenntnis,  dasjenige 
Wissen  vollstiindig  mitteilen,  nach  dessen  Erkenntnis  hie- 
nieden  nichts  weiteres  mehr  zu  erkennen  iibrig  ist. 

3.  (1114.)  Unter  tausend  Menschen  gibt  es  kaum  einen, 
der  nach  VoUendung  strebt,  und  unter  diesen  Strebenden 
und  zur  Vollendung  Gelangenden  gibt  es  kaum  einen,  der 
mich  in  Wahrheit  erkennt. 

4.  (1115.)  Die  Erde,  das  Wasser,  das  Feuer,  der  Wind 
und  der  Ather,  das  Manas,  die  Buddhi  und  der  Ahankara, 
diese  machen  meine  Natur  fpraJcritiJ  aus,  sofern  sie  achtfach 
gespalten  ist. 

5.  (inc.)  Du  mufst  aber  wissen,  o  Grofsarmiger,  dafs  ich 
noch  eine  andere,  von  dieser  verschiedene,  hochste  Natur 
(pralmtij  habe,  welche  eine  lebendige  Seele  ist,  und  von  der 
diese  ganze  Welt  getragen  wird. 

6.  (1117.)  Diese  meine  Naturen  sind  der  Mutterschofs  aller 
Wesen,  das  merke  wohl,  ich  bin  fiir  diese  ganze  Lebewelt 
der  Ursprung  und  auch  der  Untergang. 

7.  (1118.)  Es  gibt,  o  Beutemacher,  nicht  irgend  etwas  an- 
deres,  welches  hoher  ware  als  ich;  wie  eine  Perlenreihe  an 
der  Schnur,  so  ist  an  mir  die  ganze  Welt  aufgereiht. 

8.  (1119.)  Ich  bin  der  Geschmack  in  den  Wassern,  o  Sohn 
der  Kunti,  ich  bin  der  Lichtglanz  in  Mond  und  Sonne,  ich 


64  II-   Bhagavadgita. 

bin    der  heilige  Laut  fomj  in  den  Veden,  bin  der  Ton  im 
Ather,  bin  in  den  Mannern  die  Manneskraft. 

9.  (1120.)  Ich  bin  der  reine  Geruch  in  der  Erde,  ich  bin 
das  Licht  in  des  Feuers  Glanz,  bin  das  Leben  in  alien  Wesen, 
bin  das  Tapas  der  Tapas-Ubenden. 

10.  (1121.)  Ich  bin,  das  sollst  du  wissen,  o  Prithasohn, 
der  ewige  Same  aller  Wesen,  ich  bin  der  Verstand  der  Ver- 
standigen,  bin  die  Kraft  der  Kraftvollen. 

11.  (1122.)  Ich  bin  die  Starke  der  Starken,  soweit  sie  sich 
von  Begier  und  Leidenschaft  frei  halt,  ich  bin,  o  Stier  der 
Bharata's,  die  Liebe  in  den  Wesen,  sofern  sie  dem  Gesetze 
nicht  zuwiderlauft. 

12.  (1123.)  Alle  sattva-artigen  Zustande,  alle  rajas-artigen 
und  alle  tamas-artigen  stammen  aus  mir,  das  sollst  du  wissen ; 
ich  bin  nicht  in  ihnen,  aber  sie  sind  in  mir. 

13.  (1124.)  Von  diesen  drei  auf  den  Guna's  beruhenden 
Zustanden  {hlidvahj  wird  diese  ganze  Welt  in  Verblendung 
gehalten  und  erkennt  nicht  mich,  der  ich  iiber  sie  erhaben 
und  unverganglich  bin. 

14.  (1125.)  Das  ist  jene,  meine  gottentstandene ,  aus  den 
Guna's  bestehende  Maya  (Blendwerk),  welche  schwer  zu  iiber- 
winden  ist;  wer  aber  zu  mir  seine  Zuflucht  nimmt,  der  schreitet 
iiber  jene  Maya  hinaus. 

15.  (1126.)  Nicht  aber  gelangen  zu  mir  die  Ubeltater,  die 
Verblendeten ,  der  Menschen  Niedrigste,  sondern  durch  die 
Maya  der  Erkenntnis  beraubt,  haben  sie  auf  eine  damonische 
Natur  ihr  Vertrauen  gesetzt. 

16.  (1127.)  Vier  Arten  sind,  o  Arjuna,  der  guten  Menschen, 
"welche  mich  verehren :  der  Bedrangte,  der  Erkenntnisdurstige, 
der  Giiterverlangende  und  der  Erkennende,  o  Stier  der  Bharata's. 

17.  (1128.)  Unter  ihnen  zeichnet  sich  aus  als  immer  hin- 
gegeben  und  nur  eines  verehrend  der  Erkennende,  denn  dem 
Erkennenden  bin  ich  lieb  iiber  alles,  und  er  ist  mir  lieb. 

18.  (1129.)  Hochstrebend  sind  alle  Genannten,  aber  der 
Erkennende  ist  mein  eigenes  Selbst,  so  sage  ich;  denn  er,  mit 
hingegebenem  Geiste,  vertraut  auf  mich  als  hochste  Zuflucht. 

19.  (1130.)  Wer  die  Erkenntnis  besitzt,  der  geht  am  Ende 
"vieler   Geburten  zu  mir  ein;    „dieses  Wei  tall  ist  Vasudeva" 


VII  (Adby^ya  31).  65 

(Krishna),    so    denkt    ein   solcher  Hochherziger ,    schwer    zu 
Findender. 

20.  (1131.)  Andere  liiDgegen,  deren  Erkenntnis  bald  durch 
diese,  bald  durch  jene  Begierde  fortgerafft  wird,  nehmen  ihre 
Zuflucht  zu  anderen  Gottheiten,  bald  dieser,  bald  jener  Notigung 
gehorchend,  genotigt  durch  ihre  eigene  Natur  fprdkritij. 

21.  (1132.)  Wer  immer,  irgendeiner  Gestalt  ergeben,  sie 
im  Glauben  zu  verehren  wunscht,  ich  bin  es,  der  einem  sol- 
chen  seinen  unerschiitterlichen  Glauben  verleiht. 

22.  (1133.)  Und  mit  diesem  Glauben  begabt,  sucht  er  jene 
Gottheit  giinstig  zu  stimmen  und  erhalt  von  ihr  die  Wiinsche, 
deren  Erfiillung  in  Wahrheit  nur  von  mir  verfiigt  wird. 

23.  (1134.)  Aber  die  Frucht,  welche  solche  Mehschen  von 
heschranktem  Geiste  erreichen,  ist  eine  endliche;  zu  den 
Gottern  gehen  sie,  welche  die  Gotter  verehren;  wer  mir  an- 
hangt,  der  kommt  auch  zu  mir. 

24.  (1135.)  Jene  Toren  wahnen,  dafs  ich  nur  das  Un- 
entfaltete  favyalitam,  prakritij  bin,  welches  zur  Entfaltung 
gelangt  sei;  mein  hochstes,  unvergangliches ,  uniibersteig- 
liches  Wesen  aber,  das  kennen  sie  nicht. 

25.  (113G.)  Nicht  jedem  bin  ich  erkennbar,  der  ich  von 
dem  Zauber  des  Yoga  umhiillt  bin;  diese  betorte  Welt  er- 
kennt  mich  nicht,  den  Unentstandenen ,  Unverganglichen. 

26.  (1137.)  Ich  kenne  die  vergangenen  Wesen  und  die 
gegenwartigen  und  die  zukiinftigen,  mich  aber  kennt  nie- 
mand,  o  Arjuna. 

27.  (1138.)  Durch  die  aus  Begierde  und  Hafs  entspringende 
Verblendung  in  den  Gegensatzen,  o  Bharata,  geraten  alle 
Wesen  der  geschaffenen  Welt,  o  Feindbezwinger,  in  die  Irre. 

28.  (1139.)  Diejenigen  Menschen  aber,  deren  Boses  durch 
heilige  Werke  ein  Ende  genommen  hat,  die  werden  befreit 
von  dem  Wahn  der  Gegensatze  und  verehren  mich  mit  un- 
erschiitterlichem  Geliibde. 

29.  (1140.)  Diejenigen,  welche  zu  mir  ihre  Zuflucht  nehmen 
und  nach  Erlosung  von  Alter  und  Tod  streben,  die  gelangen 
zur  Erkenntnis  des  Brahman,  des  ganzen  eigenen  Selbstes 
und  alles  Werks. 

Beussen,  Mah4bli4iatain.  ^ 


QQ  II.   Bliagavadgita. 

30.  (1141.)  Wer  aber  mich  erkennt  als  gegenwartig  in  den 
AVesen,  gegenwartig  in  den  Gottern  und  gegenwartig  im 
Opfer,  der  wird  mich  hingegebenen  Geistes  auch  dann  er- 
kennen,  wenn  es  mit  ihm  zu  Ende  geht. 

So  lautet  in  der  Bhagavadgit4  die  Hingebung  an  die  Erkenntnis 
(jhdna-yoga). 


VIII  (Adhyaya  33). 

Vers  1142-1169  (B.  1-28). 

Arjuna  sprach: 

1.  (1142.)  Was  ist  jenes  Brahman,  was  ist  das  eigene 
Selbst  und  was  ist  das  Werk  (oben,  Vers  ii4o),  o  hochster 
Geist,  und  was  ist  das  von  dir  (oben,  Vers  ii4i)  erwahnte 
Gegenwartigsein  in  den  Wesen  und  Gegenwartigsein  in  den 
Gottern? 

2.  (1143.)  Und  wie  kann  einer,  der  in  diesem  Leibe  ver- 
korpert  ist,  gegenwartig  in  den  Opfern  sein,  o  Madhusudana, 
und  wie  konnen  die,  welche  ihr  Selbst  bezwungen  haben, 
dich  erkennen,  wenn  es  mit  ihnen  zu  Ende  geht? 

Der  Heiiige  sprach: 

3.  (1144.)  Das  Brahman  ist  das  hochste  UnvergangHche ; 
unter  dem  eigenen  Selbste  ist  die  eigene  Natur  zu  verstehen; 
und  Werk  heilst  die  Opferspende,  welche  die  Beschaffenheit 
und  das  Entstehen  der  Wesen  bedingt. 

4.  (1145.)  Meine  Gegenwart  in  den  Wesen  ist  mein  fliefsen- 
des  Sein,  meine  Gegenwart  in  den  Gottern  ist  der  Purusha 
[mein  Sein  als  Purusha],  meine  Gegenwart  in  den  Opfern  ist 
mein  in  diesem  Leibe  verkorpertes  Ich,  o  Edelster  der  Ver- 
korperten. 

5.  (114G.)  Und  wer,  wenn  er  den  Leib  verlafst,  dahin- 
scheidet,  indem  er  in  seiner  letzten  Stunde  meiner  gedenkt, 
der  geht  in  meine  Wesenheit  ein,  daran  ist  kein  Zweifel. 

6.  (1147.)  Denn,  an  welches  Sein  denkend,  einer  zur  End- 
zeit  den  Leib  verlafst,  zu  diesem  Sein  geht  er  ein,  o  Kunti- 
sohn,  indem  er  jedesmal  zu  dessen  Natur  umgestaltet  wird. 


VIII  (Adhyaya  32).  67 

7.  (1148.)  Darum  mogest  du  zu  alien  Zeiten  an  mich  denken 
und  [deine  Pflicht  erfullend]  kampfen;  auf  mich  Sinn  und 
Verstand  richtend,  wirst  du  zu  mir  eingehen,  daran  ist  kein 
Zweifel. 

8.  (1149.)  Wer  mit  einem  durch  Studium  und  Yoga  hin- 
gegebenen,  niclit  zerstreuten  Geiste  den  hochsten,  himmlischen 
Purusha  iiberdenkt,  der  geht,  o  Sohn  der  Pritha,  zu  ihm  ein. 

9.  (1150.)  Wer  da  iiberdenkt  den  alien  Weisen,  den 
Gebieter,  den  Kleinern  als  das  Kleinste,  den  Schopfer 
des  Wei  tails,  den  unausdenkbaren,  sonnenfarbigen,  finster- 
nisjenseitigen, 

10.  (1151.)  wer  diesen  zur  Endzeit  mit  unentwegtem 
Geiste  durch  Verehrung  und  Yogakraft,  ihm  hingegeben, 
iiberdenkt,  indem  er  den  Prana  vollstandig  sammelt 
zwischen  den  Augenbrauen,  der  geht  zum  gottlichen 
hochsten  Geiste  ein. 

11.  (1152.)  Das  Unvergangliche  faksharam,  audi  die 
Silbe  omj,  welches  die  Vedakenner  sprechen,  in  welches 
die  leidenschaftfreien  Selbstbezwinger  eindringen,  nach 
welchem  verlangend  man  den  Lebenswandel  als  Brahma- 
carin  auf  sich  nimmt,  dieses  als  Wort  will  ich  dir  in 
einem  Inbegriffe  sagen  (vgl.  Kath.  Up.  2,15). 

12.  (1153.)  Wenn  einer  alle  Pforten  [des  Korpers]  schliefst, 
das  Manas  im  Herzen  zuriickhalt,  seinen  Lebenshauch  im 
Haupte  ansammelt,  und   so  die  Festigkeit  im  Yoga  erlangt, 

13.  (1154.)  wenn  ein  solcher,  die  Silbe  Om,  welche  das 
Brahman  bedeutet,  aussprechend  und  meiner  dabei  gedenkend, 
dahinscheidet,  indem  er  den  Leib  verlafst,  der  geht  den  hoch- 
sten Gang. 

14.  (1155.)  Wer  immerfort,  ohne  seine  Gedanken  auf  etwas 
anderes  zu  richten,  unentwegt  meiner  gedenkt,  fiir  einen  sol- 
chen  bestandig  sich  hingebenden  Yogin  bin  ich,  o  Sohn  der 
Pritha,  leicht  zu  erlangen. 

15.  (1156.)  Und  wenn  sie  zu  mir  gelangt  sind,  so  brauchen 
sie  nicht  einzugehen  in  eine  abermalige  Geburt,  in  eine  solche 
vergangliche  Behausung  der  Schmerzen,  sie,  die  hohen  Geistes 
die  hochste  VoUendung  erreicht  haben. 

5* 


g3  II.   Bhagavadgita. 

16.  (1157.)  Alle  Welten  bis  hinauf  zur  Brahmanwelt  sind 
[zur  Erde]  zuriickfiihrend ,  o  Arjuna;  wer  aber  zu  mir  ein- 
geht,  o  Sohn  der  Kunti,  fiir  den  gibt  es  keine  abermalige 
Geburt  mehr. 

17.  (1158.)  Wenn  man  erkannt  hat,  dafs  ein  Tag  des  Brah- 
man die  Dauer  von  tausend  Yuga's  (Weltaltern)  befafst  und 
dafs  seine  Nacht  ebenfalls  tausend  Yuga's  durch  dauert,  — 
die  Menschen,  die  das  erkannt  haben,  die  wissen  in  Wahr- 
heit,  was  Tag  und  Nacht  sind. 

18.  (1159.)  Bricht  der  Tag  an,  so  gehen  aus  dem  Un- 
entfalteten  alle  Entfaltungen  hervor,  bricht  die  Nacht  an,  so 
zergehen  sie  wieder  in  jenem,  was  das  Unentfaltete  heifst. 

19.  (1160.)  Diese  ganze  Schar  der  Wesen,  welche  wird 
und  immer  wieder  wird,  zergeht,  wenn  die  Nacht  anbricht, 
o  Sohn  der  Pritha,  und  sie  entsteht  wieder  beim  Anbruche 
des  Tages,  [beides]  gegen  ihren  Willen. 

20.  (1161.)  Aber  jene  andere  Wesenheit,  welche  hoher  als 
jenes  Unentfaltete,  auch  unentfaltet  und  ewig  ist,  die  geht 
nicht  zugrunde,  wenn  auch  alle  Wesen  zugrunde  gehen. 

21.  (1162.)  Diese  unentfaltete  Wesenheit  ist  es,  welche 
man  AJcshara  (unverganglich)  nennt  und  als  das  hochste  Ziel 
bezeichnet,  zu  welchem  gelangt  man  nicht  zuriickkehrt,  und 
das  ist  meine  hochste  Wohnstatte. 

22.  (1163.)  Das  ist,  o  Prithasohn,  jener  hochste  Purusha, 
der  durch  eine  nur  ihm  zugewandte  Verehrung  ergriffen  wird, 
der  alle  Wesen  in  sich  befafst  und  durch  den  dieses  ganze 
Weltall  ausgebreitet  ist. 

23.  (1164.)  Zu  welcher  Zeit  aber  hinscheidend  die  Yogin's 
zur  Nichtwiederkehr  oder  aber  zur  Wiederkehr  gelangen,  die 
Zeit,  o  Stier  der  Bharata's,  will  ich  dir  sagen. 

24.  (1165.)  Das  Feuer  als  Licht,  der  Tag,  die  helle  Monats- 
halfte,  die  sechs  Monate,  da  die  Sonne  nach  Norden  geht,  — 
auf  diesem  Wege  [dem  Gotterwege]  fortziehend,  gehen  die 
brahmanwissenden  Menschen  zu  Brahman  ein. 

25.  (1166.)  Der  Rauch,  die  Nacht,  die  dunkle  Monatshalfte, 
die  sechs  Monate,  da  die  Sonne  nach  Siiden  geht,  —  auf 
diesem  Wege  [dem  Vaterwege]  gelangt  der  Yogin  zu  dem 
Lichtreiche  des  Mondes  und  mufs  wieder  zuriickkehren. 


VIII  (Adhyliya  32).  69 

26.  (1167.)  Diese  beiden  Wege,  der  helle  und  der  dunkle 
[welche  aus  Chand.  Up.  5,3—10  ==  Brih.  Up.  6,2  ubernommen, 
aber  vom  Verfasser  mifsverstanden  werden],  bestehen  ewig 
fiir  die  Welt  der  Lebenden,  auf  dem  einen  gelangt  man  zur 
Nichtwiederkehr,   auf  dem  andem  kehrt  man  wieder  zuriick. 

27.  (1168.)  Keiner,  o  Prithasohn,  der  als  Yogin  diese  beiden 
Wege  kennt,  geht  in  der  Irre,  darum,  o  Arjuna,  sei  zu  alien 
Zeiten  des  Yoga  beflissen. 

28.  (1169.)  Alles,  was  als  Frucht  guter  Werke  fiir  Veda- 
studium,  Opfer,  Askese  und  Almosengeben  verheifsen 
wird,  das  alles  iiberschreitet ,  dieses  wissend,  der  Yogin 
und  gelangt  zu  der  hochsten,  uranfanglichen  Statte. 

So  lautet  in  der  Bbagavadgiti  die  Hingebung  an  den  grofsen  Geist 
(mahdpurusha  -  yoga). 


IX  (Adhyaya  33). 

Vers  1170-1204  (B.  1-34). 

Der  Heilige  sprach: 

1.  (1170.)  Dieses  aber  will  ich  als  Geheimnisvollstes  dir, 
der  du  mich  willig  anhorst,  verkiindigen,  eine  Erkenntnis, 
von  Wissen  begleitet,  welcbe  erkannt  habend,  du  erlost  werden 
wirst  von  dem  Ubel. 

2.  (1171.)  Ein  Konigswissen,  ein  Konigsgeheimnis  ist  dieses 
hochste  Lauterungsmittel ,  unmittelbar  verstandlich ,  heilig, 
leicht  auszufiihren  und  unverganglich. 

3.  (1172.)  Menschen,  welche  an  diese  Satzung  nicht  glau- 
ben,  0  Feindbezwinger,  gelangen  nicht  zu  mir  und  kehren 
zuriick  auf  dem  Wege  des  Todes  und  der  Seelenwanderung. 

4.  (1173.)  Von  mir  in  der  Gestalt  des  Unentfalteten  ist 
diese  ganze  Welt  ausgebreitet  worden.  Alle  Wesen  werden 
von  mir,  nicht  aber  werde  ich  von  ihnen  befafst. 

5.  (1174.)  Und  doch  werden  auch  wieder  die  Wesen  nicht 
von  mir  befafst,  da  siehst  du  meine  gottliche  Zauberkunst: 
Ich  trage  die  Wesen  und  bin  doch  nicht  in  den  Wesen  be- 
fafst, mein  Selbst  ist  der  Bildner  der  Wesen. 


70  n.   Bhagavadgita. 

6.  (1175.)  Wie,  von  dem  Raume  befafst,  der  grofse  Wind 
immerfort  nach  alien  Seiten  streicht,  so  werden  alle  Wesen 
von  mir  befafst,  das  sollst  du  merken. 

7.  (1176.)  Alle  Wesen,  o  Sohn  der  Kunti,  gehen  zuriick 
in  meine  Natur  fprakritij,  wenn  ein  Kalpa  (Weltperiode)  zu 
Ende  geht,  und  wiederum  bin  ich  es,  der  sie  am  Anfang  des 
nachsten  Kalpa  erschafft. 

8.  (1177.)  Immer  wieder  und  wieder  schaffe  ich,  auf  meine 
eigene  Natur  fprdkritij  mich  stiitzend,  diese  ganze  Schar  der 
Wesen  auch  gegen  ihren  Willen  (oben.  Vers  iieo)  kraft  meiner 
Prakriti. 

9.  (1178.)  Und  doch  binden  mich  diese  Werke  nicht,  oBeute- 
macher,  sondern  ich  sitze  da  wie  einer,  der  miifsig  ist,  und 
bin  nicht  in  diesen  Werken  befangen. 

10.  (1179.)  Durch  mich  als  Aufseher  [getrieben]  gebiert 
die  Prakriti  das  Bewegliche  und  Unbewegliche  [Menschen, 
Tiere  und  Pflanzen],  und  dies  ist  die  Ursache,  o  Kuntisohn, 
durch  welche  die  Welt  der  Lebenden  in  Umlauf  bleibt. 

11.  (1180.)  Gering  achten  mich,  wenn  ich  in  einen  mensch- 
lichen  Leib  eingehe,  die  Toren,  welche  mein  hochstes  Sein 
als  grofser  Gott  der  Wesen  nicht  kennen. 

12.  (1181.)  Ihr  Hojffen  ist  eitel,  ihre  Werke  sind  eitel,  ihr 
Wissen  ist  eitel;  unbesonnen  vertrauen  sie  auf  meine  damo- 
nische,  wider  go  tthche,  verblendende  Prakriti. 

13.  (1182.)  Aber  edelgesinnte  Menschen  vertrauen  auf  mich, 
o  Prithasohn,  auf  meine  gottliche  Prakriti,  und  verehren  un- 
entwegten  Geistes  das,  was  sie  als  den  ewigen  Ursprung  der 
Wesen  erkannt  haben. 

14.  (1183.)  Ohne  Unterlafs  preisen  sie  mich  und  streben 
zu  mir  festen  Geliibdes,  und  indem  sie  mir  glaubig  huldigen, 
verehren  sie  mich  in  bestandiger  Hingebung. 

15.  (1184  vacat.  1185.)  Audcro  verchren  mich,  indem  sie  mir 
ihre  Erkenntnis  als  Opfer  darbringen,  mich,  der  ich  als  Ein- 
heit  bestehe  und  vielfach  als  Besonderheit  nach  alien  Seiten 
mich  erstrecke. 

16.  (1186.)  Ich  bin  die  Opferhandlung,  bin  das  Gotteropfer 
und  Manenopfer,  ich  bin  der  Pflanzensaft ,  der  Spruch,  die 
Opferbutter,  das  Opferfeuer  und  zugleich  das  Geopferte. 


IX  (Adhyaya  33).  71 

17.  (1187.)  Ich  bin  der  Vater  dieser  Welt  und  die  Mutter, 
der  Schopfer,  der  Allvater,  ich  bin  des  Wissens  Inbegriff, 
das  Lauterungsmittel,  die  Silbe  Om^  bin  Ric,  Saman  und  zu- 
gleich  Yajus. 

18.  (1188.)  Ich  bin  das  Ziel,  der  Erhalter,  der  Herr,  der 
Zeuge,  die  Wohnstatte,  die  Zuflucht,  der  Freund,  ich  bin 
Entstehen  und  Vergehen,  der  Standort,  der  Hort,  der  ewige 
Same. 

19.  (1189.)  Ich  brenne  [als  Sonne],  ich  halte  den  Regen 
zuriick  und  lasse  ihn  stromen,  ich  bin  das  Unsterbliche  und 
der  Tod  [Gotter  und  Menschen],  bin  das  Seiende  und  das 
Nicht-Seiende,  o  Arjuna. 

20.  (1190.)  Von  mir  erflehen  die  Drei-Veda-Kenner,  die 
Somatrinker,  vom  Bosen  gelautert  und  das  Opfer  dar- 
bringend,  den  Weg  zum  Himmel,  und  sie  gelangen  zu 
der  heiligen  Welt  des  Fiirsten  der  Gotter  und  geniefsen 
im  Himmel  himmlische  Gotterfreuden. 

21.  (1191.)  Und  nachdem  sie  die  weite  Himmelswelt 
genossen  haben,  kehren  sie  nach  Verbrauch  ihrer  guten 
Werke  zur  Welt  der  Sterblichen  zuriick.  In  dieser  Weise, 
der  Satzung  der  drei  Veden  folgend  und  nach  Wiinschen 
verlangend,  erlangen  sie  Hingehen  und  Wiederkommen. 

22.  (1192.)  Die  Menschen  aber,  welche,  ihr  Denken  auf 
nichts  anderes  richtend,  mich  verehren,  diesen  allezeit  Be- 
flissenen  bereite  ich  Erwerb  und  Besitz  [des  Ewigen]. 

23.  (1193.)  Diejenigen  aber,  welche,  anderen  Gottern  an- 
hangend,  dieselben  glaubig  verehren,  auch  diese  verehren  in 
Wahrheit  mich,  o  Kuntisohn,  auch  ohne  dafs  eine  Vorschrift 
dafiir  vorherginge. 

24.  (1194.)  Denn  ich  bin  der  Geniefser  und  der  Herr  aller 
Opfer;  aber  sie  erkennen  mich  nicht  in  Wahrheit,  und  darum 
sinken  sie  herab  [im  Samsara]. 

25.  (1195.)  Zu  den  Gottern  gehen  die,  welche  den  Gottern 
anhangen,  zu  den  Vatern  die,  welche  den  Vatern  anhangen, 
zu  den  Damonen  die,  welche  die  Damonen  fhhutaj  verehren,  — 
wer  mich  verehrt,  der  geht  zu  mir. 

26.  (1196.)  Wer  auch  nur  ein  Blatt,  eine  Blume,  eine  Frucht, 
ein  Wasser  mir  verehrungsvoll  darbringt,  das  geniefse  ich, 


72  II-   Bhagavaclgit&,. 

wenn    es   mir   in  Verehrung  mit  hingegebenem  Geiste  dar- 
gebracht  worden  ist. 

27.  (1197.)  Was  du  tust,  was  du  ifst,  was  du  opferst  und 
was  du  schenkst  und  was  du  dir  als  Kasteiung  auferlegst, 
o  Sohn  der  Kunti,  das  mache  zu  einer  Gabe  an  mich. 

28.  (1198.)  Auf  diese  Weise  wirst  du  erlost  werden  von 
den  an  die  Werke  gekniipften  guten  und  schlimmen  Friichten, 
und,  magst  du  dich  der  Entsagung  oder  der  Hingebung  [an 
die  Werke]  widmen,  erlost  zu  mir  eingehen. 

29.  (1199.)  Fiir  alle  Wesen  bin  ich  der  Gleiche,  ich  habe 
keinen,  den  ich  basse,  und  keinen  Giinstling,  die  aber  in  Ver- 
ehrung mir  anhangen,  die  sind  in  mir  und  ich  bin  in  ihnen 
(vgl.  Ev.  Joh.  14,  Vers  20). 

30.  (1200.)  Und  ware  einer  gewesen  von  sehr  bosem  Wan- 
del,  der  mich  und  nichts  aufser  mir  verehrte,  der  mufs  als 
ein  Guter  gelten,  weil  er  sich  zur  rechten  Gesinnung  ent- 
schlossen  hat. 

31.  (1201.)  Er  wird  bald  ein  Rechtschaffener  und  geht  ein 
zum  ewigen  Frieden;  o  Kuntisohn,  das  lafs  dir  gesagt  sein, 
wer  mir  anhangt,  der  geht  nicht  verloren. 

32.  (1202.)  Denn  die,  welche  auf  mich  vertrauen,  o  Pritha- 
sohn,  auch  wenn  sie  von  schlechter  Geburt  sind,  auch  wenn 
sie  Weiber  oder  Vaigya's  oder  Qudra's  sind,  auch  solche  gehen 
den  hochsten  Gang  (Galater  3,28), 

33.  (1203.)  um  wieviel  mehr  heilige  Brahmanen  und  fromme 
Konigsweise !  Da  du  geraten  bist  in  diese  vergangliche,  freud- 
lose  Welt,  so  verehre  mich. 

34.  (1204.)  Auf  mich  richte  deinen  Geist,  mir  huldige,  mir 
opfere,  mich  verehre,  so  wirst  du,  in  dieser  Weise  dich  mir 
hingebend  und  mich  iiber  alles  schatzend,  zu  mir  eingehen. 

So  lautet  in  der  Bhagavadgltd. 

die  Hingebung  an  das  Eonigs^Yis6en  und  Eonigsgeheimois 

(rdjavidyd  -  rdjaguhija  -  yoga). 


X  (Adhy^ya  34).  73 

X  (Adhyaya  34). 

Vers  1205-1246  (B.  1-42). 

Der  Heilige  sprach: 

1.  (120B.)  Noch  welter,  o  Grofsarmiger ,  vernimm  meine 
allerhochste  Rede,  welche  ich  dir,  den  ich  liebe,  mitteilen 
will  aus  "Wohlwollen  fiir  dich. 

2.  (1206.)  Niclit  die  Scharen  der  Goiter,  niclit  die  grofsen 
Weisen  kennen  meinen  Ursprung,  denn  ich  bin  der  Anfang 
der  Gotter  und  der  grofsen  Weisen  alliiberall. 

3.  (1207.)  Wer  micli  weifs  als  den  Ungeborenen,  den  An- 
fanglosen,  als  den  grofsen  Herrn  der  Welt,  der  lebt  unter 
den  Menschen  ohne  Verblendung  und  wird  von  allem  Bosen 
erlost. 

4.  (1208.)  Verstand,  Wissen,  Besonnenheit,  Geduld,  Wahr- 
haftigkeit,  Bezahmung,  Ruhe,  Lust,  Schmerz,  Entstehen  und 
Nichtsein,  Furcht  und  Furchtlosigkeit , 

5.  (1209.)  Schonung,  Gleichmut,  Zufriedenheit ,  Askese, 
Freigebigkeit,  Ehre  und  Schande,  —  alle  diese  einzelnen  Zu- 
stande  fbJidvdhJ  der  Wesen  entspringen  aus  mir. 

6.  (1210.)  Meines  Wesens  sind  die  sieben  vorweltlichen 
grofsen  Weisen  und  die  vier  Manu's,  sie  sind  meine  geistigen 
Sohne,  deren  Weltschopfung  diese  Wesen  sind. 

7.  (1211.)  Wer  diese  meine  Machtentfaltung  und  Zauber- 
kunst  fyogaj  in  Wahrheit  erkennt,  der  wird  mit  unerschiitter- 
lichem  Yoga  angetan,  daran  ist  kein  Zweifel. 

8.  (1212.)  Ich  bin  der  Ursprung  des  Weltalls,  aus  mir  ent- 
wickelt  sich  das  Weltall,  das  wissen  die  Weisen  und  ver- 
ehren  mich,  in  Liebe  mir  hingegeben. 

9.  (1213.)  An  mich  denkend  und  mir  das  Leben  hingebend, 
ermahnen  sie  sich  gegenseitig,  riihmen  mich  fort  und  fort 
und  finden  in  mir  ihre  Befriedigung  und  Freude. 

10.  (1214.)  Solchen  Menschen,  wenn  sie,  auf  Grund  ihrer 
Liebe  zu  mir,  mir  immerfort  hingegeben  und  anhanglich  sind, 
verleihe  ich  jene  Vertiefung  der  Erkenntnis,  durch  welche 
sie  zu  mir  gelangen. 


74  II.    Bhagavadgita. 

11.  (1215.)  Und  aus  Mitleid  mit  ihnen  gehe  ich  in  ihr  Wesen 
ein  und  vernichte  die  aus  dem  Nichtwissen  entsprungene 
Finsternis  durch  die  leuchtende  Fackel  der  Erkenntnis. 

Arjuna  sprach^ 

12.  (1216.)  Das  hochste  Brahman,  die  hochste  Statte,  das 
hochste  Lauterungsmittel  bist  du,  o  Herr;  fiir  den  ewigen, 
himmlischen  Purusha,  fiir  den  Urgott,  den  ungeborenen,  all- 
durchdringenden, 

13.  (1217.)  erklaren  dich  alle  die  Weisen  und  der  Gotter- 
weise  Narada  nebst  Asita,  Devala  und  Vyasa,  und  auch  du 
selber  sagst  es  mir. 

14.  (1218.)  Alles  das  nehme  ich  als  wahr  an,  was  du  mir 
sagst,  o  Vollhaariger ,  denn  weder  Gotter  noch  Damonen, 
o  HeiHger,  kennen  deine  Entstehung. 

15.  (1219.)  Nur  du  allein  kennst  dich  selbst  durch  dich 
selbst,  o  hochster  Geist,  du  Wesenbildner,  du  Wesenherr,  du 
Gottergott,  du  Weltgebieter. 

16.  (1220.)  So  sage  es  mir  ohne  Vorbehalt,  denn  himm- 
hsch  sind  deine  Machtentfaltungen,  durch  welche  Macht- 
entfaltungen  du,  die  Welten  durchdringend,  dastehst. 

17.  (1221.)  Wie  kann  ich  als  Yogin  dich  erkennen,  dar- 
iiber  sinnend  fiir  und  fiir,  und  in  welcherlei  Wesensformen 
bist  du,  o  Heiliger,  von  mir  zu  iiberdenken? 

18.  (1222.)  Erklare  mir  noch  mehr,  o  Janardana,  in  Aus- 
fiihrhchkeit  deine  Zauberkunst  (yoga)  und  Machtentfaltung, 
denn  wenn  ich  dir  zuhoren  darf,  bietet  mir  selbst  Ambrosia 
kein  Geniige  mehr. 

Der  Heilige  sprach: 

19.  (1223.)  Wohlan!  ich  will  sie  dir  verkiinden,  dennliimm- 
lisch  sind  meine  Entfaltungen ,  —  im  ganzen  und  grofsen, 
o  Bester  der  Kuru's,  denn  meiner  Ausbreitung  ist  kein  Ende. 

20.  (1224.)  Ich  bin,  o  Lockiger,  die  Seele,  die  in  der  Tiefe 
aller  Wesen  weilt,  ich  bin  der  Anfang  der  Wesen,  bin  ihre 
Mitte  und  ihr  Ende, 

21.  (1225.)  Ich  bin  Vishnu  unter  den  Aditya's,  bin  unter 
den  Lichtern  die  strahlende  Sonne,  bin  Marici  unter  den 
Marut's,  ich  bin  unter  den  Gestirnen  der  Mond. 


X  (Adhyaya  34).  75 

22.  (1226.)  Icli  bin  der  Samaveda  unter  den  Veden,  bin 
Vasava  (Indra)  unter  den  G(3ttern,  das  Manas  unter  den  Sinnes- 
organen,  der  Geist  in  den  Wesen. 

23.  (1227.)  Ich  bin  Qaiikara  (Qiva)  unter  den  Rudra's,  bin 
der  Schatzeherr  (Kubera)  unter  den  Yaksha's  und  Rakshas', 
der  Gott  des  Feuers  unter  den  Vasu's,  der  Gotterberg  Meru 
unter  den  Bergen. 

24.  (1228.)  Unter  den  Hauspriestern,  o  Prithasohn,  wisse, 
bin  ich  Brihaspati,  unter  den  Heerfiihrern  Skanda  (Kriegsgott), 
unter  den  Wassern  der  Ozean. 

25.  (1229.)  Ich  bin  Bhrigu  unter  den  grofsen  Weisen,  bin 
die  eine  Silbe  fomj  unter  den  Worten,  unter  den  Opfern  bin 
ich  das  Opfer  des  Murmelns,  unter  den  Bergen  bin  ich  der 
Himalaya. 

26.  (1230.)  Unter  alien  Baumen  bin  ich  der  Agvattha  (Ficus 
religiosaj,  unter  den  Gotter weisen  Narada,  unter  Gandharva's 
Citraratha,  unter  den  Seligen  der  rote  Weise  [Jcapilo  munih, 
vgl.  Qvet.  Up.  5,2;  der  rote  Weise  ist  Hiranyagarbha]. 

27.  (1231.)  Unter  den  Rossen  wisse  mich  als  Uccaih(?ravas, 
der  zugleich  mit  dem  Amritam  entstand,  unter  den  edelsten 
Elefanten  als  Airavata,  unter  den  Menschen  als  Konig. 

28.  (1232.)  Unter  den  Waffen  bin  ich  der  Donnerkeil,  unter 
den  Kiihen  die  himmlische  Wunschkuh,  ich  bin  der  zeugende 
Liebesgott,  bin  Vasuki  unter  den  Reptilien. 

29.  (1233.)  Unter  den  Schlangen  bin  ich  Ananta  (Schlange 
des  Vishnu),  unter  den  Seeungeheuern  Varuna,  unter  den  ab- 
geschiedenen  Vatern  bin  ich  Aryaman,  unter  den  Zwingherren 
Yama  (der  Hollenfiirst). 

30.  (1234.)  Unter  den  Daitya's  bin  ich  Prahlada,  fiir  die 
Zahlenden  bin  ich  die  Zeit,  unter  den  Waldtieren  der  Lowe, 
unter  den  Vogeln  der  Vogel  des  Vishnu. 

31.  (1235.)  Ich  bin  der  Wind  unter  den  Luftreinigern, 
Rama  unter  den  Waffentragern,  unter  den  Meertieren  bin  ich 
der  Delphin,  unter  den  Fliissen  die  Ganga. 

32.  (1236.)  Ich  bin  Anfang,  Mitte  und  Ende  der  Schopfungen, 
unter  den  Wissenschaften  bin  ich  das  Wissen  vom  hochsten 
Atman,  ich  bin  die  These  der  Disputierenden. 


76  II.   Bhagavadgita,. 

33.  (1237.)  Unter  den  Lauten  bin  ich  der  a-Laut,  unter 
den  zusammengesetzten  Wortern  die  kopulative  Zusammen- 
setzung  (dvanda)^  ich  bin  die  unvergangliche  Zeit,  ich  bin 
der  Schopfer  mit  Angesichtern  nach  alien  Seiten. 

34.  (1238.)  Ich  bin  der  alles  dahinraffende  Tod,  ich  bin 
die  Entstehung  dessen,  was  entsteht,  ich  bin  unter  den  weib- 
Uchen  Gotterwesen  die  Ehre,  die  Schonheit  und  die  Rede, 
die  Erinnerung,  die  Weisheit,  die  Festigkeit  und  die  Geduld. 

35.  (1239.)  Unter  den  Saman's  bin  ich  das  Brihatsaman, 
unter  den  Metren  die  Gayatri,  unter  den  Monaten  der  Marga- 
Qirsha  (der  erste  Monat  im  Jahre),  unter  den  Jahreszeiten 
bin  ich  die  Blumenreiche. 

36.  (1240.)  Unter  dem,  was  triigt,  bin  ich  das  Wiirfelspiel, 
ich  bin  der  Glanz  der  glanzenden  Dinge,  ich  bin  der  Sieg, 
die  Entschlossenheit,  die  Giite  fsattvamj  der  Guten. 

37.  (1241.)  Unter  den  Vrishnisohnen  bin  ich  Vasudeva 
(Krishna),  unter  den  Pandava's  bin  ich  der  Beutemacher 
(Arjuna),  unter  den  Weisen  bin  ich  Vyasa,  unter  den  Meistern 
bin  ich  der  Meister  Uganas. 

38.  (1242.)  Ich  bin  die  Rute  der  Ziichtigenden ,  bin  die 
Staatsklugheit  der  nach  Sieg  Strebenden,  das  Schweigen  der 
Geheimnisse,  bin  das  Wissen  der  Wissenden. 

39.  (1243.)  Und  was  bei  alien  lebenden  Wesen  der  Same 
ist,  das  bin  ich,  o  Arjuna;  es  gibt  kein  Wesen ,. beweglich 
Oder  unbeweglich,  welches  ohne  mich  ware. 

40.  (1244.)  Kein  Ende  ist  meiner  himmlischen  Macht- 
entfaltungen ,  o  Feindbezwinger,  und  nur  andeutungsweise 
habe  ich  dir  diese  Auseinandersetzung  meiner  Machtentfaltung 
mitgeteilt. 

41.  (1245.)  Alles,  was  machtig  und  gut,  alles,  was  schon 
und  liraftvoU  ist,  das  aUes,  sollst  du  wissen,  entsteht  als  ein 
Teil  aus  meiner  Kraft. 

42.  (1246.)  Aber  was  soil  dir  dieses  vielerlei  Wissen,  o  Ar- 
juna! Ich  beharre  und  trage  mit  einem  Teile  von  mir  die 
ganze  Welt  der  Lebenden. 

So  lautet  in  der  Bhagavadglti  die  Zauberkunst  der  Machtentfaltung 
(vibhuti-yoga). 


XI  (Adhy&ya  35).  77 

XI  (Adhyaya  35). 

Vers  1247-1301  (B.  1-55). 

Arjuna  sprach: 

1.  (1247.)  Dieweil  du  aus  Gnade  gegen  mich  diese  hochste 
geheimnisvolle  Rede,  die  da  lieifst  die  Rede  vom  hochsten 
Atman,  mitgeteilt  hast,  darum  ist  meine  Betorung  von  mir 
gewichen. 

2.  (1248.)  Denn  ich  habe  ausfiihrlich  nun  vernommen  den 
Ursprung  und  Vergang  der  Wesen  von  dir,  o  Lotosaugiger, 
und  die  unvergangliche  Majestat. 

3.  (1249.)  So  wie  du  nun  in  dieser  Weise  dich  selbst  ge- 
schildert  hast,  o  hochster  Gott,  so  mochte  ich  deine  gottUche 
Gestalt  schauen,  du  hochster  Geist. 

4.  (1250.)  Wenn  du  es  fiir  moghch  haltst,  dafs  dieselbe 
von  mir  gesehen  wird,  o  Gebieter,  dann  zeige  du  mir,  o  Herr 
des  Yoga,  dein  unverganghches  Selbst. 

Der  Heilige  sprach : 

5.  (1251.)  Siehe,  o  Prithasohn,  meine  Gestalten  hundert- 
fach  und  tausendfach,  die  mannigfaltigen,  himmlischen,  welche 
mancherlei  Farben  und  Formen  zeigen. 

6.  (1252.)  Siehe  die  Aditya's,  die  Vasu's,  die  Rudra's,  die 
Agvin's  und  die  Marut's,  siehe,  o  Bharata,  viele  nie  zuvor 
gesehene  Wundergestalten, 

7.  (1253.)  siehe  hier  gegenwartig  vereinigt  die  ganze  Welt 
des  Beweglichen  und  Unbeweglichen  in  meinem  Leibe, 
o  Lockiger,  und  was  du  sonst  noch  zu  sehen  wiinschst. 

8.  (1254.)  Aber  du  wirst  mich  nicht  mit  diesem  deinem 
eigenen  Auge  sehen  konnen  [lies:  gaJcshyase  mit  Schlegel]; 
ich  gebe  dir  ein  himmlisches  Auge,  mit  dem  soUst  du  meine 
gottliche  Zauberkunst  sehen. 

Sanjaya  (der  Erzahler)  sprach: 

9.  (1255.)  Nachdem  so,  o  Konig,  der  Herr  der  grofsen 
Zauberkraft  Hari  (Vishnu -Krishna)  gesprochen  hatte,  zeigte 
er  dem  Sohne  der  Pritha  seine  hochste  gottliche  Gestalt, 


78  II.   BhagavadgM.- 

10.  (1256.)  mit  vielen  Miindern  und  Augen,  mit  vielen 
wunderbaren  Anblicken,  mit  vielem  himmlischem  Schmucke, 
mit  himmlischen  geziickten  Waffen  von  mancherlei  Art, 

11.  (1257.)  ihn,  den  mit  himmlischen  Kranzen  und  Ge- 
wandern  angetanen,  mit  himmlischen  Wohlgeriichen  gesalb- 
ten,  alle  Wunder  in  sich  hefassenden,  unendlichen,  nach 
alien  Seiten  seine  Angesichter  kehrenden  Gott. 

12.  (1258.)  Wenn  am  Himmel  auf  einmal  der  Glanz  von 
tausend  Sonnen  sich  erhobe,  ein  solcher  Glanz  wiirde  ahn- 
lich  sein  dem  Glanze  jenes  Hochsinnigen. 

13.  (1259.)  Daselbst  schaute  der  Sohn  des  Pandu  in  dem 
Leibe  des  Gottes  der  Gotter  die  ganze  Welt  in  einem  befalst 
in  ihren  mannigfachen  Teilen. 

14.  (1260.)   Und  von  Erstaunen  erfiillt,   mit   gestraubtem 

Haare,  verneigte  sich  der  Ge winner   der  Giiter  mit   seinem 

Haupte  vor   dem   Gotte,    legte   seine  Hande   zusammen  und 

sprach : 

Arjuna  sprach: 

15.  (1261.)  Ich  sehe,  o  Gott,  in  deinem  Leibe  alle  Gotter 
und  die  Schar  der  mannigfachen  Wesen,  den  Gottherrn 
Brahman  auf  seinem  Lotossitze  und  alle  Rishi's  und  die 
himmlischen  Schlangengotter. 

16.  (1262.)  Ich  sehe  dich  mit  vielen  Armen,  Leibern, 
Miindern  und  Augen,  deine  Gestalt  nach  alien  Seiten  ins 
Unendliche  erstreckend,  kein  Ende,  keine  Mitte  und  keinen 
Anfang  deiner  sehe  ich,  o  Allgott,  AUgestaltiger. 

17.  (1263.)  Mit  Diadem,  mit  Keule  und  mit  Diskus  in 
einer  Fiille  von  Glanz,  nach  alien  Seiten  hinflammend, 
sehe  ich  dich,  den  schwer  zu  Schauenden,  den  nach  alien 
Seiten  wie  flammendes  Feuer  und  Sonnen  Strahlenden, 
Unermefslichen. 

18.  (1264.)  Du  bist  das  hochste  Unvergangliche ,  das 
soil  man  wissen,  du  bist  der  hochste  Hort  dieser  ganzen 
Welt,  du  bist  der  unwandelbare  Hiiter  der  ewigen  Ge- 
setze,  du  bist  von  mir  erkannt  worden  als  der  unver- 
gangliche Purusha. 

19.  (1265.)  Ich  sehe  dich  als  ohne  Anfang,  Mitte  und 
Ende,  von  unendlicher  Tapferkeit,  niit  unendlichen  Armen, 


XI  (Adhyliya  35).  79 

mit  Sonne  und  Mond  als  Augen,  mit  dem  lohenden  Opfer- 
feuer  als  Mund,  mit  deiner  Glut  das  ganze  Weltall  durch- 
gliihend. 

20.  (1206.)  Alles  dies  hier,  was  zwischen  Himmel  und 
Erde  liegt,  und  alle  Weltenraume  sind  erfiillt  von  dir, 
dem  Einen.  Die  Dreiwelt,  o  Hochsinniger,  sieht  diese 
deine  wunderbare,  furchtbare  Gestalt  und  erzittert. 

21.  (1-267.)  Hier  diese  Scharen  von  Gottern  gehen  ein 
in  dich,  und  andere,  voll  Furcht,  lobsingen  dir  mit  zu- 
sammengelegten  Handen;  „sei  uns  gegriifst",  so  sprechen 
Scharen  von  grorsen  Weisen  und  Vollendeten,  und  preisen 
dich  mit  liberstromenden  Lobgesangen. 

22.  (1268.)  Die  Rudra's,  Aditya's,  Vasu's  und  Sadhya's, 
die  Vigve  Devah,  die  beiden  Agvin's,  die  Marut's,  die 
Geniefser  der  Totenspende,  die  Gandharva's,  Yaksha's, 
Asura's  und  Siddha's,  in  Scharen  schauen  sie  dich  an 
und  alle  staunen. 

23.  (1269.)  Deine  grofse  Gestalt,  deine  vielen  Miinder 
und  Augen,  o  Grofsarmiger,  deine  vielen  Arme,  Schenkel 
und  Fiifse,  deine  vielen  Leiber,  deine  vielen,  klaffenden 
Zahne,  —  die  Welten  sehen  sie  und  erbeben,  und  so 
auch  ich. 

24.  (1270.)  Wenn  ich  dich  sehe,  wie  du  bis  zum  Himmel 
aufreichst,  flammend  und  vielfarbig,  mit  aufgerissenem 
Rachen,  mit  gliihenden  grofsen  Augen,  so  erzittert  meine 
innere  Seele,  o  Vishnu,  und  ich  finde  keine  Fassung  und 
keine  Ruhe. 

25.  (1271.)  Und  wenn  ich  deine  Miinder  mit  klaffendem 
Gebifs  sehe,  wie  sie  dem  Weltuntergangsfeuer  vergleich- 
bar  sind,  so  unterscheide  ich  die  Himmelsrichtungen  nicht 
mehr  und  finde  mir  keine  Rettung;  sei  gnadig,  o  Herr 
der  Gotter,  der  du  die  Welt  der  Lebenden  erfiillst! 

26.  (1272.)  Auch  sie  [gehen  ein]  in  dich,  die  Sohne 
dort  des  Dhritarashtra,  alle  mitsamt  den  iibrigen  Scharen 
der  Erdeherren,  Bhishma  und  Drona  und  jener  Wagen- 
lenkersohn  (Karna),  und  ebenso  die  auf  unserer  Seite 
stehenden  vorziigHchsten  Kampfer, 


80  II'   Bhagavadgita. 

27.  (1273.)  sie  alle  stiirzen  eilig  in  deine  zahneklaffen- 
den  furclitbaren  Raclien,  und  manche  von  ihnen  scheinen 
schon  mit  zermalmten  Hauptern  zwischen  deinen  Zahnen 
zu  hangen. 

28.  (1274.)  Wie  die  vielen  Wasserstiirze  der  Strome 
auf  den  Ozean  zueilen,  so  stiirzen  diese  Helden  der  Men- 
schenwelt  in  deine  ringsum  flammenden  Rachen. 

29.  (1275.)  Wie  Miicken  sich  zu  ihrem  Verderben  mit 
"beschleunigter  Eile  in  ein  flammendes  Feuer  stiirzen,  so 
stiirzen  sich  die  Welten  zu  ihrem  Verderben  mit  be- 
schleunigter  Eile  in  deine  Rachen. 

30.  (1276.)  Du  ziingelst,  indem  du  die  gesamten  Wel- 
ten ringsum  in  deine  gliihenden  Rachen  hineinschlingst, 
und  deine  furchtbaren  Flammen,  o  Vishnu,  erfiillen  mit 
ihrem  Lichtglanz  die  ganze  Welt  und  setzen  sie  in 
Gluten. 

31.  (1277.)  Erldare  mir,  wer  du  hist,  der  du  diese 
furchtbare  Gestalt  tragst,  Verehrung  sei  dir,  o  hochster 
Gott,  sei  mir  gnadig !  Dich,  den  Uranfanglichen,  mochte 
ich  erkennen,  denn  ich  begreife  nicht,  wie  du  dich  be- 
tatigst. 

Der  Heilige  sprach: 

32.  (1278.)  Ich  bin  die  Zeit,  welche  in  ihrem  Fortschrei- 
ten  den  Untergang  der  Welt  bewirkt,  und  betatige  mich 
hienieden  darin,  dafs  ich  die  Menschen  hinwegraffe ;  und 
auch  ohne  dich  wiirden  sie  alle  nicht  am  Leben  bleiben, 
sie,  welche  in  Schlachtreihen  als  Kampfer  gegeniiber- 
stehen. 

33.  (1279.)  Deshalb  erhebe  dich,  erwirb  dir  Ruhm,  be- 
siege die  Feinde,  geniefse  die  gliickliche  Herrschaft. 
Schon  langst  sind  diese  hier  von  mir  erschlagen,  du 
sollst  nur  mein  Werkzeug  sein,  du  auch  mit  der  linken 
Hand  Gewandter. 

34.  (1280.)  Drona,  Bhishma,  Jagadratha,  Karna  und 
die  anderen  Kampfeshelden  sind  schon  von  mir  erschlagen, 
so  erschlage  du  sie  ohne  Zagen;  kampfe,  denn  du  wirst 
die  Wider sacher  in  der  Schlacht  besiesen. 


XI  (Adhy&ya  35).  81 

Saujaya  (der  Erzahler)  sprach: 

35.  (1281.)  Als  dieses  Wort  des  Vollhaarigen  der  Diadem- 
trager  mit  zusammengelegten  Handen  und  zitternd  gehort 
hatte,  da  sprach  er  in  Ehrfurcht  weiter  zu  Krishna  mit 
stammelnder  Stimme,  vol!  Angst  und  Schrecken,  indem 
er  sich  verneigte. 

Arjuna  sprach: 

36.  (1282.)  Mit  Recht  geschieht  es,  o  Struppiger,  dafs 
die  Welt  bei  deinem  Namen  sich  erfreut  und  an  ihm 
hangt,  dafs  die  bosen  Geister  von  Furcht  ergriffen  nach 
alien  Seiten  fliehen  und  dafs  alle  Scharen  der  Vollendeten 
dir  Verehrung  zollen. 

37.  (1283.)  Und  wie  sollten  sie  sich  dir  nicht  beugen, 
o  Hochsinniger ,  der  du  alter  selbst  als  der  Gott  Brah- 
man, der  du  der  Urschopfer  bist;  du,  o  unendlicher  Herr 
der  Gotter  und  Welterfiiller,  du  bist  jenes  Hochste,  Un- 
vergangliche ,  das  da  ist  und  zugleich  nicht  ist. 

38.  (1284.)  Du  bist  der  Erstlingsgott,  der  Purusha,  der 
Alte,  du  bist  der  hochste  Hort  dieses  Weltalls,  der  Wisser 
alles  Wifsbaren  und  die  hochste  Statte;  durch  dich  ist 
dieses  Weltall  ausgebreitet,  o  Unendlichgestalteter. 

39.  (1285.)  Du  bist  Vayu,  Yama,  Agni,  Varuna  und 
der  Mondgott,  du  bist  Prajapati  und  der  Ururvater  der 
Welt.  Verehrung  sei  dir,  Verehrung  tausendfach  und 
abermals  und  weiter  Verehrung  um  Verehrung! 

40.  (1286.)  Verehrung  sei  dir  von  Osten  und  von  Westen, 
Verehrung  dir  von  alien  Seiten,  du  Allseitiger!  Unend- 
lich  ist  deine  Kraft,  unermefslich  dein  Heldentum,  du 
durchdringst  die  Welt  nach  alien  Seiten,  darum  bist  du 
der  Allseitige. 

41.  (1287.)  Wenn  ich,  dich  blofs  fur  einen  Freund 
haltend,  ohne  Umschweife  zu  dir  geredet  habe  mit  den 
Worten:  „du  Krishna,  du  Yadava,  du,  der  du  mein  Freund 
bist";  wenn  ich  in  dieser  Weise,  da  ich  diese  deine  Maje- 
stat  nicht  kannte,  aus  Unbedacht  oder  mit  Vertraulich- 
keit  gesprochen  habe, 

Seussek,  Mah&bhATatam.  g 


82  II.   Bhagavadgita. 

42.  (1288.)  Oder  wenn  ich  scherzweise  dir  beim  Lust- 
wandeln,  Lagern,  Sitzen  oder  Speisen  niclit  die  gebiihrende 
Ehre  erwiesen  habe,  sei  es  dafs  du  allein  mit  mir  warst, 
o  Unerschiitterlicher,  oder  in  Gegenwart  von  diesen  dort^ 
so  bitte  ich  dich  um  Verzeihung,  dich,  den  Unermefslidien. 

43.  (1289.)  Du  bist  der  Vater  der  Welt,  des  Beweg- 
lichen  und  Unbeweglichen ,  du  von  ihr  zu  verehren  als 
Meister  und  mehr  als  Meister;  dir  ist  keiner  gleich,  viel 
weniger  iiberlegen  in  den  drei  Welten,  o  unvergleichlich 
Gewaltiger. 

44.  (1290.)  Darum  neige  ich  mich,  werfe  meinen  Leib 
vor  dir  nieder  und  bitte  dich,  den  preiswerten  Gottherrn, 
um  Gnade ;  wie  der  Vater  mit  dem  Sohne,  wie  der  Freund 
mit  dem  Freunde,  wie  der  Liebende  mit  der  Geliebten 
mogest  du,  o  Gott,  mit  mir  Nachsicht  haben. 

45.  (1291.)  Ich  bin  entzuckt,  indem  ich  sehe,  was  ich 
friiher  nie  gesehen,  und  zugleich  ist  mein  Geist  von  Furcht 
erschiittert.  Zeige  mir,  o  Gott,  diese  deine  Gestalt,  er- 
zeige  mir  die  Gnade,  du  Gottherr,  der  du  die  Welt  der 
Lebenden  erfiillst. 

46.  (1292.)  Mit  dem  Diadem,  mit  der  Keule,  mit  dem 
Diskus  in  der  Hand  mochte  ich  dich  auch  einmal  sehen,^ 
erscheine  mir  in  dieser  Gestalt,  mit  vier  Armen,  o  Tausend- 
armiger,  Allgestaltiger. 

Der  Heilige  spracli: 

47.  (1293.)  Aus  Gnade,  o  Arjuna,  habe  ich  dir  diese 
meine  hochste  Gestalt  gezeigt  durch  meines  Selbstes 
Zauberliraft,  die  aus  Glanz  bestehende,  voile,  unendliche, 
uranf angliche ,  welche  aufser  dir  keiner  je  an  mir  ge- 
schaut  hat. 

48.  (1294.)    Nicht   durch   Veda,    Opfer   und    Studium, 
.  nicht   durch  Schenken,   nicht  durch  Zeremonien,   nicht 

durch  furchtbare  Askese  kann  ich  in  solcher  Gestalt 
in  der  Menschenwelt  gesehen  werden  aufser  von  dir, 
o  Kuruheld. 

49.  (1295.)  Keine  Bestiirzung,  kein  verwirrtes  Wesen 
soil  dich  liberkommen,  wenn  du  diese  meine  so  furcht- 


XI  (Adhy^ya  35).  83 

bare  Gestalt  sehen  wirst;  befreit  von  Furcht  vielmehr 
und  erfreuten  Herzens  soUst  du  diese  meine  Gestalt 
schauen. 

Safijaya  (der  Erzahler)  sprach: 

50.  (1296.)  Nachdem  Vasudeva  mit  diesen  Worten  dem 
Arjuna  ja  gesagt  liatte,  zeigte  er  ihm  sodann  weiter  seine 
Gestalt,  und  da  er  von  Furcht  erfullt  wurde,  flofste  er 
ihm  wieder  Mut  ein,  indem  er  wiederum  in  seiner  milden 
Gestalt  erschien,  der  Hochherzige. 

Arjuna  sprach: 

51.  (1297.)  Indem  ich,  o  Janardana  (Heimsucher  der  Men- 
schen),  diese  deine  menschliche  und  milde  Gestalt  wiederum 
sehe,  bin  ich  nun  wieder  zur  Besinnung  gelangt  und  zu  mir 
selbst  zuriickgekommen. 

Der  Heilige  sprach: 

52.  (1298.)  Jene  schwer  zu  schauende  Gestalt,  in  der  du 
mich  gesehen  hast,  —  auch  die  Gotter  sind  allezeit  verlangend, 
mich  in  dieser  Gestalt  zu  schauen. 

53.  (1299.)  Nicht  durch  Veden,  nicht  durch  Askese,  nicht 
durch  Gaben  und  nicht  durch  Opfer  kann  einer  es  erreichen, 
mich  in  der  Gestalt  zu  schauen,  in  der  du  mich  erblickt  hast. 

54.  (1300.)  Aber  durch  Verehrung,  die  mir  allein  gewidmet 
ist,  kann  einer,  o  Arjuna,  in  dieser  Weise  mich  erkennen, 
mich  schauen,  wie  ich  bin,  und  in  mich  eingehen,  o  Schreck 
der  Feinde. 

55.  (1301.)  Wer  meine  Werke  tut,  mich  als  das  Hochste 
hat  und  mich  verehrt  ohne  Anhanglichkeit  an  die  Welt,  wer 
ohne  Feindschaft  ist  gegen  alle  Wesen,  der  kommt  zu  mir, 
o  Pandusohn. 

So  lautet  in  der  BhagavadgltA  daa  Schauen  der  AUgestalt 

(vt<;varupa  -  dar^anam). 


84  II-   Bhagavadgita. 

XII  (Adhyaya  36). 

Vers  1302-1321   (B,  1-20). 

Arjuna  sprach: 

1.  (1302.)  Die,  welche  in  dieser  Weise  iramerfort  hingegeben 
dir  in  Verehrung  huldigen,  und  die,  welche  dem.  Unvergang- 
lichen,  Unoffenbaren  huldigen,  welche  von  diesen  sind  am 
meisten  der  Hingebung  (yoga)  kundig? 

Der  Heilige  sprach: 

2.  (1303.)  Die,  welche  ihren  Geist  in  mich  vertiefen  und 
mich  in  bestandiger  Hingebung  verehren,  erfiillt  von  dem 
hochsten  Glauben,  diese  sind  es,  welche  ich  fiir  die  mir  am 
meisten  Hingegebenen  erachte. 

3.  (1304.)  Die  hingegen,  welche  das  Unvergangliche,  Un- 
aussprechliche ,  Unofltenbare  verehren,  das  Allgegenwartige 
und  Unausdenkbare,  das  Allerhochste,  Unwandelbare,  Feste, 

4.  (1305.)  indem  sie  die  Schar  der  Sinnesorgane  bandigen 
und  auf  alle  Dinge  mit  Gleichmut  blicken,  auch  diese  an  dem 
Wohlsein  aller  Wesen  sich  Freuenden  gelangen  sicherlich 
zu  mir. 

5.  (1306.)  Aber  grofser  ist  die  Miihe  derer,  welche  ihren 
Geist  an  das  Unoffenbare  anhangen,  denn  nur  schwer  ist  der 
unoffenbare  Weg  fiir  die  Verkorperten  zu  erlangen. 

6.  (1307.)  Die  aber,  welche  alle  ihre  Werke  auf  mich 
werfen  und  mich  fiir  das  Hochste  erachten,  mich  mit  einer 
auf  nichts  anderes  gerichteten  Hingebung  meditieren,  verehren, 

7.  (1308.)  fiir  diese,  die  ihren  Geist  in  mich  versenken, 
werde  ich,  o  Sohn  der  Pritha,  alsbald  zum  Erretter  aus  dem 
Ozean  des  Todes  und  der  Seelenwanderung. 

8.  (1309.)  Mir  also  gib  deinen  Sinn  hin,  in  mich  vertiefe 
deinen  Geist,  so  wirst  du  bei  mir  Wohnung  nehmen  nach 
diesem  Dasein,  daran  ist  kein  Zweifel. 

9.  (1310.)  Kannst  du  aber  dein  Denken  nicht  dauernd  in 
mich  versenken,  dann  suche  mich,  o  Beutemacher,  wenigstens 
durch  Hingebung  an  die  Ubung  zu  erreichen. 


XII  (Adhyliya  36).  85 

10.  (1311.)  Bist  du  aber  auch  zu  dieser  Ubung  nicht  fahig, 
so  halte  dich  an  die  mir  geweihten  Werke,  denn  auch,  wenn 
du  um  meinetwillen  die  Werke  vollbringst,  wirst  du  die  VoU- 
endung  erreichen. 

11.  (1312.)  Bist  du  aber  auch  dieses  zu  tun  und  der  Hin- 
gebung  an  mich  zu  leben  nicht  imstande,  so  bezwinge  deinen 
Geist  und  leiste  wenigstens  Verzicht  auf  die  Frucht  aller  Werke. 

12.  (1313.)  Denn  hoher  als  die  Ubung  steht  das  Erkennen, 
hoher  als  das  Erkennen  die  Meditation,  hoher  als  die  Medita- 
tion die  Entsagung  in  betreff  des  Lohnes  der  Werke,  der 
Entsagung  folgt  der  Friede  auf  dem  Fufse. 

13.  (1314.)  Wer  gegen  alle  Wesen  ohne  Hafs,  freundschaft- 
lich  gesinnt  und  mitleidvoll  ist,  frei  von  Selbstsucht  und  Ich- 
bewufstsein,  gleichmiitig  in  Lust  und  Leid,  geduldig, 

14.  (1315.)  zufrieden,  immer  hingegeben,  bezahmten  Selb- 
stes  und  festen  Entschlusses  auf  mich  gerichtet  mit  Sinn 
und  Geist  und  mir  ergeben  ist,  der  ist  mein  Freund. 

15.  (1316.)  Von  dem  die  Menschen  nicht  beunruhigt  wer- 
den  und  wer  von  Menschen  nicht  beunruhigt  wird,  wer  frei 
von  den  Beunruhigungen  der  Freude,  des  Verdrusses  und  der 
Furcht  ist,  der  ist  mein  Freund. 

16.  (1317.)  Wer,  ohne  die  Welt  zu  beachten,  rein,  tiichtig, 
gleichgiiltig,  frei  von  Erregung,  auf  alle  Zwecke  verzichtend 
sich  mir  hingibt,  der  ist  mein  Freund. 

17.  (1318.)  Wer  nicht  sich  freut  und  nicht  hafst,  nicht 
trauert  und  nicht  begehrt  und  verzichtend  auf  Angenehmes 
und  Unangenehmes  voU  Hingebung  ist,  der  ist  mein  Freund. 

18.  (1319.)  Wer  gleichgiiltig  ist  gegen  Feind  und  Freund, 
gegen  Ehre  und  Schande,  gegen  Kalte  und  Hitze,  gegen  Lust 
und  Schmerz,  frei  von  Anhanglichkeit, 

19.  (1320.)  wer  gleichmiitig  ist  bei  Tadel  und  bei  Lob, 
still,  zufrieden  mit  allem,  wie  es  kommt,  ohne  Heimat,  festen 
Glaubens  und  voll  Hingebung,  der  ist  mein  Freund. 

20.  (1321.)  Die  aber,  welche  dieses  heilige,  von  mir  mit- 
geteilte  Amritam  (Ambrosia)  verehren  und  im  Glauben  mir 
anhangen  und  huldigen,  die  sind  vor  alien  meine  Freunde. 

So  lautet  in  der  Bhagavadglta  die  Hingebung  an  die  Verehrnng 
(bhakti-yoga). 


86  II.    Bhagavadgita. 

XIII  (Adhyaya  37). 

Vers  1322-1355  (B.  1-34). 

Arjuna  sprach: 
(1322.)*   Die  Prakriti  und  den  Purusha,  den  Ort  und  den 
Ortskenner,  das  Wissen  und  das  Zuwissende,  dieses  wiinsche 
ich  zu  verstehen,  o  Vollhaariger. 

Der  Heilige  sprach: 

1.  (1323.)  Dieser  Korper,  o  Kuntisohn,  wird  als  der  Ort 
(hshetramj  bezeichnet;  den,  der  sich  desselben  bewufst  ist, 
nennen  die  Kundigen  den  Ortskenner  (hshetrajnaj . 

2.  (1324.)  Der  Ortskenner,  das  sollst  du  wissen,  in  alien 
Orten  bin  ich,  o  Bharata;  die  Erkenntnis  des  Orts  und  des 
Ortskenners,  das  erst  ist  wahre  Erkenntnis,  so  sage  ich. 

3.  (1325.)  Was  dieser  Ort  ist,  von  welcher  Art,  welchen 
Umwandlungen  unterworfen  und  woher  er  stammt,  und  hin- 
wiederum,  wer  er  (der  Ortskenner)  ist  und  von  welcher  Macht, 
das  vernimm  in  der  Kiirze  von  mir, 

4.  (1326.)  wie  es  vielfach  von  den  Vedadichtern  in  mancher- 
lei  Liedern  im  einzelnen  besungen  worden  ist,  und  durch  die 
von  Griinden  begleiteten,  klar  dargelegten  Worte  der  Lehr- 
spriiche  iiber  das  Brahman  fbrahmasutraj. 

5.  (1327.)  Die  grofsen  Elemente,  der  Ahaiikara  (der  Ich- 
macher),  die  Buddhi,  das  Avyaktam  [das  Unentfaltete ,  die 
Prakriti],  die  [mit  Einschlufs  von  Manas]  elf  Indriya's  und 
die  fiinf  Objekte  der  Indriya's; 

6.  (1328.)  ferner  Begierde,  Hafs,  Lust,  Schmerz,  das  [korper- 
liche]  Aggregat,  Bewufstsein  und  Festigkeit,  —  damit  ist  in 
summarischer  Weise  der  Ort  fkslietramj  mit  seinen  Umwand- 
lungen bezeichnet. 

7.  (1329.)  Demut,  Ehrlichkeit,  Schonung,  Nachsicht,  Gerad- 
sinnigkeit,  Verehrung  des  Lehrers,  Reinheit,  Standhaftigkeit, 
Selbstbeherrschung, 


*  Dieser  Vers  steht  in  C,  wird  in  B.  als  unecht  bezeichnet  und  fehlt 
in  den  Separatausgaben. 


XIII  (Adhy^ya  37).  87 

8.  (1330.)  Entsagung  den  Sinnendingen,  Freiheit  vom  Ich- 
bewufstsein,  Einsicht  in  das  Leiden  und  die  Mangel  von  Ge- 
burt,  Tod,  Alter  und  Krankheit, 

9.  (1331.)  Nicht-Anhanglichkeit  [an  die  Welt],  Nicht-Ge- 
bundensein  an  Kind,  Weib,  Haus  und  dergleichen,  bestandige 
Gleichmiitigkeit  der  Gedanken  bei  erwiinschten  und  un- 
erwiinschten  Wechselfallen, 

10.  (1332.)  unerschiitterliche  Verehrung  fiir  mich  ohne  Hin- 
gebung  an  einen  andern,  Aufsuchen  einsamer  Orte,  Unlust  zu 
menschlicher  Gesellschaft, 

11.  (1333.)  Standhaftigkeit  in  der  Erkenntnis  des  hochsten 
Selbstes  und  Auffassen  dei:  Wahrlieitserkenntnis  als  Zweck,  — 
dieses  wird  bezeichnet  als  das  Wissen;  als  Nichtwissen  das, 
was  davon  verschieden  ist. 

12.  (1334.)  Nun  will  ich  dir  erklaren,  was  das  Zuwissende 
ist,  welches  erkennend  man  die  Unsterblichkeit  eriangt.  Es 
ist  das  anfanglose  hochste  Brahman;  dieses  wird  bezeichnet 
als  das  weder  Seiende  noch  Nicht-Seiende. 

13.  (1335.)  Nach  allwarts  ist  es  Hand,  Fiifse,  nach  allwarts 
Augen,  Haupt  und  Mund,  nach  alien  Seiten  hin  horend,  die 
Welt  umfassend  steht  es  da  {=  Qvet.  Up.  3,16). 

14.  (1336.)  Durch  aller  Sinne  Kraft  scheinend  und  doch 
von  alien  Sinnen  frei  [bis  hierher  Qvet  Up.  3,17],  ohne  [Welt-] 
Anhanglichkeit  und  doch  Trager  des  Weltalls ,  ohne  Guna's 
und  doch  Geniefser  der  Guna's. 

15.  (1337.)  Aufserhalb  der  Wesen  ist  es  und  innerhalb, 
ist  das  Bewegliche  und  das  Unbewegliche ;  wegen  seiner  Fein- 
heit  ist  es  unerkennbar,  es  ist  das  Feme  und  ist  das  Nahe. 

16.  (1338.)  Ungeteilt  wohnt  es  in  den  Wesen  und  doch 
als  ware  es  geteilt,  es  ist  zu  wissen  als  die  Wesen  erhaltend, 
vernichtend  und  hervorbringend. 

17.  (1339.)  Es  ist  auch  das  Licht  der  Lichter  (Brih.  Up. 
4,4,16),  es  wird  das  Finsternisjenseitige  (vgl.  Vaj.  Samh.  31,18) 
genannt.  Es  ist  das  Wissen,  das  Zuwissende,  durch  Wissen 
zu  Erlangende,  es  weilt  im  Herzen  eines  jeden. 

18.  (1340.)  Damit  sind  in  der  Kiirze  erklart  der  Ort,  das 
Wissen  und  das  Zuwissende.  Wer  mich  verehrt  und  dies 
erkennt,  der  geht  in  meine  Wesenheit  ein. 


88  II-    Bhagavadgita. 

19.  (1341.)  Du  sollst  wissen,  dafs  die  Prakriti  und  ebenso 
der  Purusha  beide  anfanglos  sind;  von  den  Umwandlungen  aber 
und  den  Guna's  wisse,  dafs  sie  aus  der  Prakriti  entspringen. 

20  (fehlt  in  C).  Als  Ursache  von  Wirkung,  Werkzeug 
(lies:  Jcarana)  und  Tatersein  gilt  die  Prakriti,  als  Ursache 
des  Geniefserseins  von  Lust  und  Schmerz  gilt  der  Purusha. 

21.  (1342.)  Der  Purusha,  in  der  Prakriti  weilend,  geniefst 
namlich  die  aus  der  Prakriti  entsprungenen  Guna's;  sein  Be- 
haftetsein  mit  den  Guna's  ist  die  Ursache  fiir  sein  Geboren- 
werden  in  einem  guten  oder  schlechten  Mutterschofs. 

22.  (1343.)  Zuschauer,  Bewilliger,  Erhalter,  Geniefser,  grofser 
Herr  und  hochster  Atman,  mit  diesen  Worten  wird  in  diesem 
Leibe  der  Purusha,  welcher  der  Hochste  [das  hochste  Prinzip] 
ist,  genannt. 

23.  (1344.)  Wer  in  dieser  Weise  den  Purusha  wie  auch 
die  Prakriti  mitsamt  ihren  Guna's  versteht,  der  wird,  in  welcher 
Lage  er  sich  auch  immer  befinden  mag,  nicht  wieder  geboren. 

24.  (1345.)  Manche  schauen  mittels  der  Meditation  [des 
Yoga]  das  Selbst  durch  sich  selbst  in  sich  selbst,  andere  er- 
kennen  es  durch  Hingebung  an  die  Reflexion  fsdnhhyamj,  noch 
andere  durch  Hingebung  an  das  [uninteressierte]  Werk. 

25.  (1346.)  Noch  andere,  welche  nicht  in  dieser  Weise  zur 
Erkenntnis  durchdringen ,  horen  [iiber  den  Atman]  von  an- 
deren  und  verehren  ihn,  und  auch  diese  iiberschreiten  den 
Tod,  wenn  sie  sich  an  das  gehorte  Veda  wort  als  Hochstes 
halten. 

26.  (1347.)  Wo  nur  immer  ein  Wesen  entsteht,  ein  un- 
bewegliches  oder  bewegliches,  da  geschieht  dies  durch  Ver- 
bindung  des  Ortskenners  mit  dem  Ort,  das  wisse,  o  Bharatastier. 

27.  (1348.)  Wer  aber  in  alien  Wesen  den  hochsten  Gott 
wohnen  sieht,  der  nicht  vergeht,  wenn  sie  vergehen,  wer  den 
sieht,  der  ist  wahrhaft  sehend. 

28.  (1349.)  Denn  indem  er  allerwarts  denselben  Gott  wohnen 
sieht,  wird  er  nicht  sich  selbst  durch  sich  selbst  verletzen 
wollen,  und  so  geht  er  den  hochsten  Weg. 

29.  (1350.)  Wer  einsieht,  dafs  die  Werke  allerwarts  nur 
durch  die  Prakriti  vollbracht  werden,  und  dafs  der  Atman 
Nicht -Tater  ist,  der  ist  wahrhaft  sehend. 


XIII  (Adhy&ya  37).  89 

30.  (1351.)  Wenn  einer  erkennt,  dafs  die  Besonderheit  der 
Wesen  in  jenem  Einen  ihren  Standort  hat  und  von  ihm  her 
sich  ausbreitet,  der  geht  in  das  Brahman  ein. 

31.  (1352.)  Vermoge  seiner  Anfanglosigkeit  und  Gunalosig- 
keit  wird  jener  unvergangHche  hochste  Atman,  obgleich  er 
im  Leibe  weilt,  o  Kuntisohn,  doch  nicht  zu  einem  Tater  und 
wird  nicht  befleckt. 

32.  (1353.)  Wie  der  alldurchdringende  Ather  wegen  seiner 
Feinheit  nicht  befleckt  wird,  so  wird  auch  der  den  ganzen 
Korper  durchdringende  Atman  doch  nicht  durch  ihn  befleckt. 

33.  (1354.)  So  wie  die  eine  Sonne  diese  ganze  Welt  er- 
leuchtet,  so  erleuchtet,  o  Bharata,  der  Ortsbewohner  den  ganzen 
Ort  (Leib). 

34.  (1355.)  Wer  mit  dem  Auge  der  Erkenntnis  in  dieser 
Weise  die  Verschiedenheit  des  Ortes  und  des  Ortskenners, 
sowie  die  Losgelostheit  der  Wesen  von  der  Prakriti  erkannt 
hat,  der  geht  zum  Hochsten  ein. 

So  lautet  in  der  Bhagavadgit& 

die  Hingebung  an  die  Unterscheidung  von  Ort  und  Ortskeuner 

(kshetra  -  kshetrajna  -  vibhdga-yo(/a). 


XIV  (Adhyaya  38). 
Vers  1856-1382  (B.  1-27). 

Der  Heilige  sprach: 

1.  (1356.)  Als  Hochstes  will  ich  dir  weiter  verkiindigen 
die  Wissenschaft,  welche  von  alien  Wissenschaften  die  oberste 
ist,  und  durch  deren  Erkenntnis  alle  Muni's  von  hier  zur 
hochsten  Vollendung  eingegangen  sind. 

2.  (1357.)  Indem  sie,  auf  diese  Wissenschaft  gestiitzt,  zur 
Wesenseinheit  mit  mir  gelangt  sind,  werden  sie  bei  der  Neu- 
schopfung  der  Welt  nicht  wiedergeboren  und  brauchen  beim 
Weltuntergang  nicht  zu  zittern. 

3.  (1358.)  Mein  Mutterschofs  ist  das  grofse  Brahman  [hier 
die  Prakriti  bedeutend],  in  dieses  lege  ich  den  Keim,  und 
daraus  geschieht  die  Entstehung  aller  Wesen,  o  Bharata. 


90  n.  Bhagavadgita. 

4.  (1359.)  "Was  auch  immer  fiir  Gestalten  in  alien  Mutter- 
schofsen  entstehen  mogen,  fiir  sie  alle  ist  der  Mutterschofs  das 
grofse  Brahman,  und  ich  bin  der  den  Keim  verleihende  Vater. 

5.  (1360.)  Sattvam,  Rajas  und  Tamas,  das  sind  die 
Guna's,  welche  aus  der  Prakriti  hervorgehen ;  sie  sind  es, 
o  Grofsarmiger ,  welche  in  dem  Leibe  den  unverganglichen 
Trager  des  Leibes  gebunden  halten. 

6.  (1361.)  Unter  diesen  ist  das  Sattvam  vermoge  seiner 
Makellosigkeit  erhellend  und  leidlos,  es  bindet  durch  die  Be- 
xiihrung  mit  der  Lust  und  durch  Beriihrung  mit  der  Erkennt- 
nis,  o  Untadeliger. 

7.  (1362.)  Das  Rajas,  wisse,  ist  seinem  Wesen  nach  Leiden- 
schaft  und  entspringt  aus  Beriihrung  mit  der  Begierde  ftrishndj ; 
es  bindet,  o  Kuntisohn,  den  Leibtrager  durch  die  Beriihrung 
mit  den  Werken. 

8.  (1363.)  Das  Tamas,  wisse,  entspringt  aus  dem  Nicht- 
wissen  und  wirkt  betaubend  auf  alle  Leibtrager;  es  bindet  die- 
selben,  o  Bharata,  durch  Unbesonnenheit,  SchlaffheitundSchlaf. 

9.  (1364.)  Das  Sattvam  bringt  in  Beriihrung  mit  der  Lust, 
das  Rajas  mit  dem  Werke,  o  Bharata,  das  Tamas  hingegen 
umhiillt  das  Bewufstsein  und  bringt  daher  in  Beriihrung  mit 
der  Unbesonnenheit. 

10.  (1365.)  Das  Sattvam  entsteht,  o  Bharata,  indem  es 
Rajas  und  Tamas  iiberwaltigt,  das  Rajas,  indem  es  Sattvam 
und  Tamas,  das  Tamas,  indem  es  Sattvam  und  Rajas  iiber- 
waltigt. 

11.  (1366.)  Wenn  durch  alle  [Sinnes-]  Pforten  in  diesem 
Leibe  das  Licht  als  Erkenntnis  eindringt,  dann  nimmt  das 
Sattvam  iiberhand,  das  mufs  man  wissen. 

12.  (1367.)  Begierde,  Tatigkeit,  Unternehmen  von  Werken, 
Unruhe,  Verlangen,  diese  sind  es,  welche  entstehen,  wenn  das 
Rajas  iiberhand  nimmt,  o  Bester  der  Bharata's. 

13.  (1368.)  Verdunkelung ,  Untatigkeit,  Unbesonnenheit, 
Verblendung,  diese  entstehen,  wenn  das  Tamas  iiberhand 
nimmt,  o  Kurusprofs. 

14.  (1369.)  Wenn  der  Verkorperte  dahinscheidet,  nachdem 
das  Sattvam  iiberhand  genommen  hat,  dann  gelangt  er  zu 
den  fleckenlosen  Welten  der  Weisesten. 


XIV  (Adhy&ya  38).  91 

15.  (1370.)  Stirbt  einer  unter  der  Herrschaft  des  Rajas,  so 
wird  er  unter  werkhaften  Menschen  wiedergeboren ;  kommt 
er  um  unter  der  Herrschaft  des  Tamas,  so  wird  er  in  dumpfen 
Mutterschofsen  wiedergeboren. 

16.  (1371.)  Die  Frucht  des  guten  Werkes  gilt  fiir  sattva- 
haft  und  fleckenlos,  die  Frucht  des  Rajas  ist  Leiden,  die  Frucht 
des  Tamas  Nichtwissen. 

17.  (1372.)  Aus  dem  Sattvam  entsteht  Wissen,  aus  dem 
Rajas  Begierde,  aus  dem  Tamas  Unbesonnenheit  und  Ver- 
blendung,  sowie  das  Nichtwissen. 

18.  (1373.)  Nach  oben  gehen  die  im  Sattvam  Stehenden, 
in  der  Mitte  weilen  die  Rajashaften,  die  in  der  Betatigung 
des  untersten  Guna  lebenden  Tamashaften  gehen  nach  unten. 

19.  (1374.)  Wenn  einer  als  Einsichtiger  erkennt,  dafs  kein 
anderer  Tater  als  die  Guna's  vorhanden  ist,  und  wenn  er  den 
weifs,  der  erhaben  iiber  die  Guna's  ist,  der  geht  in  meine 
Wesenheit  ein. 

20.  (1375.)  Der  Verkorperte,  diese  drei  Guna's,  die  der 
Ursprung  des  Korpers  sind,  hinter  sich  lassend,  wird  von 
Geburt,  Tod,  Alter  und  Leiden  befreit  und  erlangt  die  Un- 
sterblichkeit. 

Arjuna  spracb : 

21.  (1376.)  Mit  welchen  Merkmalen,  o  Herr,  ist  der  be- 
haftet,  der  diese  drei  Guna's  iiberschritten  hat?  Welcher  Art 
ist  sein  Wandel  und  wie  kann  er  iiber  diese  drei  Guna's 
hinausgelangen  ? 

Der  Heilige  sprach: 

22.  (1377.)  Wenn  einer,  o  Pandusohn,  Erhellung,  Tatig- 
keit  und  Verblendung  [die  Aufserungen  der  drei  Guna's] 
nicht  hafst,  wo  sie  ihm  entgegentreten ,  und  nicht  ersehnt, 
wo  sie  ihm  fehlen, 

23.  (1378.)  wenn  er,  gleichwie  ein  Miifsiger  dasitzend, 
durch  die  Guna's  nicht  aus  der  Fassung  gebracht  wird,  und 
in  der  Erkenntnis,  dafs  nur  die  Guna's  es  sind,  die  ihr  Wesen 
treiben,  abseits  steht,  ohne  bewegt  zu  werden, 

24.  (1379.)  wenn  er  gleichmiitig  in  Leid  und  Lust  in  sich 
feststehend,  Erdklumpen,  Steine  und  Gold  fiir  einerlei  haltend, 


92  II-   Bhagavadgita. 

Liebes  und  Unliebes  fiir  gleich  erachtend,  standhaft  bleibt  und 
gleichgiiltig  dagegen,  ob  man  ihn  tadelt  oder  lobt, 

25.  (1380.)  wenn  er  gleichmiitig  ist  bei  Ehre  und  Unehre, 
gleichmiitig  zwischen  den  Parteien  der  Feinde  und  Freunde 
und  auf  alle  Unternehmungen  verzichtet,  ein  solcher  hat  die 
Guna's  iiberwunden. 

26.  (1381.)  Und  wer  mit  unentwegter  hingebender  Ver- 
ehrung  mir  anhangt,  der  ist,  nachdem  er  jene  Guna's  iiber- 
wunden hat,  tauglich  zur  Brahmanwerdung. 

27.  (1382.)  Denn  ich  bin  das  Fundament  des  unsterbUchen, 
unvergangKchen  Brahman,  der  ewigen  Satzung  und  der  un- 
getriibten  SeHgkeit. 

So  lautet  in  der  Bhagavadgltft 

die  Hingobung  an  die  Unteischeidung  der  drei  Guna's 

(guna  -  traya  -  vibhdga  -  yoga). 


XV  (Adhyaya  39). 

Vers  1383-1402  (B.  1-20). 

Der  Heilige  sprach: 

1.  (1383.)  Es  ist  (Kath.  Up.  6,1)  die  Rede  von  dem  un- 
verganglichen  Agvatthabaum  fFicus  religiosaj*,  welcher  die 
"Wurzel  oben  und  die  Zweige  nach  unten  hat;  seine  Blatter 
sind  die  heihgen  Lieder,  wer  ihn  kennt,  der  ist  vedakundig. 

2.  (1384.)  Seine  Aste  erstrecken  sich  nach  oben  und 
nach  unten,  aus  den  Guna's  erwachsend,  seine  Zweige 
sind  die  Sinnendinge;  nach  unten  zu  strecken  sich  aus 
seine  Wurzeln,  getrieben  durch  die  Werke,  in  der  Men- 
schenwelt. 

3.  (1385.)  Zwar  wird  seine  Gestalt  hienieden  nicht,  wie 
sie  geschildert  wird,  erkannt,  nicht  sein  Ende,  nicht  sein 
Anfang  und  nicht  sein  Standort,  aber  indem  man  jenen 
Agvattha  mit  wohl  erstarkter  Wurzel  durch  das  feste 
Messer  der  NichtanhangHchkeit  [an  die  Welt]  abschneidet, 


*  Schon  derVerfasserscheintirrtiimlichandenNyagrodha  (Ficusindica) 
zu  deiiken;  vgl.  die  Anmerkung  zu  K^th.  Up.  6,1,  Sechzig  Upanishad's  S.  284. 


XV  (Adhy^ya  39).  93 

4.  (1386.)  soil  man  sodann  jene  Statte  ausforschen,  zu 
welcher  eingegangen  man  nicht  wieder  zuriickkehrt,  mit 
dem  Gedanken:  zu  ihm,  dem  uranfanglichen  Purusha, 
nehme  ich  meine  Zuflucht,  von  welchem  die  alte  Welt- 
entwicklung  ausgegangen  ist, 

5.  (1387.)  Frei  von  Diinkel  und  Wahn  nach  Besiegimg 
der  Siinde  der  Weltanhanglichkeit ,  bestandig  in  dem 
hochsten  Atman,  die  Begierden  verabschiedend,  von  den 
Gegensatzen,  die  da  heifsen  Lust  und  Schmerz,  erlost, 
gehen  sie  frei  von  Verblendung  zu  jenem  unvergang- 
lichen  Orte  ein. 

6.  (1388.)  Dort  leuchtet  nicht  die  Sonne,  nicht  der  Mond, 
noch  auch  das  Feuer  (vgl.  Kath.  Up.  5,15),  wohin  gelangend 
sie  nicht  zuriickkehren ;   das  ist  meine  hochste  Wohnstatte. 

7.  (1389.)  Ein  unverganglicher  Teil  von  mir  ist  es,  was, 
in  der  Lebewelt  zur  individuellen  Seele  geworden,  die  in  der 
Prakriti  wurzelnden  [fiinf]  Sinne  mit  Manas  als  sechstem  an 
sich  heranzieht. 

8.  (1390.)  Wenn  er  als  Herr  sich  des  Leibes  bemachtigt 
und  wenn  er  wieder  aus  ihm  auszieht,  dann  streicht  er  bin, 
indem  er  jene  an  sich  rafft,  wie  der  "Wind  die  Diifte  von  dem 
Orte,  wo  er  weilte. 

9.  (1391.)  Indem  er  iiber  Ohr,  Auge,  Gefiihl,  Geschmack 
und  Geruch  sich  zum  Herrn  aufwirft  und  ebenso  iiber  das 
Manas,  gibt  er  sich  dem  Genufs  der  Sinnendinge  bin. 

10.  (1392.)  Mag  er  ausziehen,  mag  er  weilen,  mag  er,  von 
Guna's  umkleidet,  geniefsen,  die  Verblendeten  seben  ibn  nicht, 
es  schauen  ihn  die,  deren  Auge  die  Erkenntnis  ist. 

11.  (1393.)  Die  Yogin's,  wenn  sie  sich  abmiihen,  schauen 
ihn,  wie  er  in  ihnen  selbst  weilt;  die  aber  unbereiteten  Geistes 
sind,  auch  wenn  sie  sich  abmiihen,  die  Unverstandigen, 
schauen  ihn  nicht. 

12.  (1394.)  Der  Glanz,  der,  in  der  Sonne  weilend,  die  ganze 
Welt  erleuchtet,  und  der  in  dem  Monde,  der  im  Feuer  weilt, 
dieser  Glanz,  wisse,  ist  der  meine, 

13.  (1395.)  In  die  Erde  eingehend  erhalte  ich  die  Wesen 
durch  meine  Kraft;  ich  bringe  alle  Pflanzen  zum  Gedeihen, 
ich  werde  zum  Soma,  dem  saftreichen. 


94  II-   Bhagavadgita. 

14.  (1396.)  Ich,  zu  dem  Verdauungsfeuer  geworden,  gehe 
ein  in  den  Leib  der  Lebenden,  und,  von  Aushauch  und  Ein- 
hauch  begleitet,  verdaue  ich  die  vier  Arten  der  Speise  [Ge- 
trunkenes,  Gelecktes,  Gekautes  und  Verschlungenes]. 

15.  (1397.)  Ich  bin  eingegangen  in  das  Herz  eines  jeden, 
von  mir  stammt  Erinnerung  und  Erkenntnis,  sowie  deren 
Verlust,  auch  bin  ich  es,  der  durch  alle  Veden  zu  erkennen 
ist,  ich  bin  der  Schopfer  des  Vedanta  und  der  Kenner 
des  Veda. 

16.  (1398.)  Es  gibt  in  der  Welt  diese  beiden  Purusha's, 
den  verganghchen  und  den  unverganghchen ;  der  vergang- 
Hche  sind  alle  Wesen,  der  unvergangliche  wird  der  an  der 
Spitze  stehende  genannt. 

17.  (1399.)  Der  hochste  Purusha  aber  ist  ein  anderer,  er 
wird  der  hochste  Atman  genannt ;  eingehend  in  die  drei  Wel- 
ten,  tragt  er  sie  als  unverganglicher  Gottherr. 

18.  (1400.)  Weil  ich  dem  Verganglichen  iiberlegen  und, 
als  auch  iiber  das  Unvergangliche  erhaben,  der  Hochste  bin, 
darum  werde  ich  in  der  Welt  und  im  Veda  gefeiert  als  der 
hochste  Purusha. 

19.  (1401.)  Wer  mich  in  dieser  Weise  unbetort  erkennt 
als  hochsten  Purusha,  der  weifs  [in  mir]  alles  und  verehrt 
mich  vermoge  seines  Allbewufstseins ,  o  Bharata. 

20.  (1402.)  Damit  ist  von  mir,  o  Untadeliger,  diese  ge- 
heimnisvolle  Lehre  verkiindigt  worden ;  wer  diese  erkennt,  der 
hat  Erkenntnis,  der  hat  das  zu  Erreichende  erreicht,  o  Bharata. 

So  laatet  in  der  Bhagavadgita  die  Hingebung  an  den  hSchsten  Purusha 
(purushottama  -  yoga). 


XVI  (Adhyaya  40). 

Vers  1403-1426  (B.  1-24). 

Der  Heilige  sprach: 

1.  (1403.)  Furchtlosigkeit,  Reinheit  des  Wesens,  Erkennt- 
nis, Hingebung,  Bestandigkeit ,  Freigebigkeit ,  Bezahmung, 
Opfer,  Vedastudium,  Askese,  Geradsinnigkeit, 

2.  (1404.)   Schonung,  W^ahrhaftigkeit ,  Nichtziirnen,  Ent- 


XVI  (Adhy^ya  40).  95 

sagung,  Nicht-Hinterbringen,  Mitleid  mit  den  Wesen,  Nicht- 
Begehrlichkeit ,   Milde,  Schamhaftigkeit ,  Nicht-Unstetsein, 

3.  (1405.)  Energie,  Geduld,  Festigkeit,  Sauberkeit,  Harm- 
losigkeit,  Nicht-Uberhebung,  —  diese,  o  Bharata,  werden  dem 
zuteil,  welcher  fiir  ein  gottliches  Geschick  geboren  ist. 

4.  (1406.)  Hinterlist,  Stolz,  Hochmut,  Zorn,  Schroffheit, 
Nichtwissen,  —  diese  dem,  der  fiir  ein  damonisches  Geschick 
geboren  ist,  o  Prithasohn. 

5.  (1407.)  Das  gottliche  Geschick  fiihrt  zur  Erlosung,  das 
damonische  zur  Bindung.  Klage  nicht,  o  Sohn  des  Pandu, 
du  bist  fiir  ein  gotthches  Geschick  geboren. 

6.  (1408.)  Zwei  Wesen sschopfungen  gibt  es  in  dieser  Welt, 
die  gotthche  und  die  damonische;  die  gottliche  ist  ausfiihr- 
lich  besprochen  worden,  vernimm  von  mir  die  damonische, 
o  Prithasohn. 

7.  (1409.)  Die  damonischen  Menschen  wissen  nicht,  was 
sie  tun  und  lassen  sollen.  Nicht  Reinheit,  nicht  guter  Wandel, 
nicht  Wahrheit  ist  bei  ihnen  zu  finden. 

8.  (1410.)  Sie  behaupten,  dafs  die  Welt  ohne  Wahrhaftig- 
keit,  ohne  tragenden  Grund,  ohne  Gott  sei,  nicht  entstanden 
durch  geregelte  Abkunft  und  nichts  anderes  als  Geschlechts- 
lust  zur  Ursache  habend. 

9.  (1411.)  In  dieser  Anschauung  sich  verhartend,  mit  ver- 
derbter  Seele,  mit  schwacher  Einsicht  werden  sie  geboren 
als  Ubeltater  der  Welt  zum  Schaden,  die  Bosewichter. 

10.  (1412.)  Schwer  zu  ersattigender  Lust  huldigend,  von 
Hinterlist,  Hochmut  und  ToUheit  erfiillt,  in  ihrer  Verblendung 
eine  bose  Wahl  wahlend,  gehen  sie  dahin  in  unreinenGrundsatzen. 

11.  (1413.)  Auf  mafsloses,  zum  Verderben  ausschlagendes 
Denken  sich  stiitzend  und  den  Genufs  der  Liiste  fiir  das 
Hochste  haltend,  sind  sie  iiberzeugt,  dafs  es  nichts  weiter  gebe. 

12.  (1414.)  Von  hundert  Stricken  der  Hoffnungen  gebunden, 
nichts  Hoheres  als  Begierde  und  Zorn  kennend,  streben  sie 
schrankenlos  nach  Aufhaufung  von  Giitern,  um  ihren  Liisten 
zu  fronen. 

13.  (1415.)  „Diesen  Wunsch  habe  ich  heute  erreicht,  diesen 
„hoffe  ich  zu  erlangen,  dieses  Gut  habe  ich  und  dieses  wird 
„mir  wiederum  zuteil  werden. 


96  II-   Bhagavadgit^,. 

14.  (1416.)  ,,dieser  Feind  ist  von  mir  getotet  worden  und 
„andere  werde  ich  noch  toten,  ich  bin  Herr,  Geniefser,  voll- 
„kommen,  machtig  und  gliicklich, 

15.  (1417.)  „ich  bin  reich,  hochgeboren,  welcher  andere 
„kame  mir  gleich,  ich  werde  opfern,  werde  schenken,  werde 
„geniefsen",  so  sprechen  sie,  vom  Nichtwissen  betort. 

16.  (1418.)  Von  mancherlei  Gedanken  umhergetrieben ,  in 
das  Netz  der  Verblendung  verstrickt  und  den  Geniissen  der 
Lust  anhangend,   stiirzen   sie  in  die  unsaubere  Holle  hinab. 

17.  (1419.)  Sich  selbst  die  Ehre  gebend^  hochfahrend,  von 
Keichtumsdiinkel  und  Tollheit  besessen,  bringen  sie  Opfer, 
die  es  nur  dem  Namen  nach  sind,  triigerisch  und  den  Vor- 
schriften  nicht  entsprechend. 

18.  (1420.)  Gestiitzt  auf  Selbstsucht,  Kraft,  Stolz,  Lust 
und  Zorn,  hassen  sie  mich  in  ihren  eigenen  und  in  fremden 
Leibern,  die  Norgler. 

19.  (1421.)  Ich  stiirze  sie,  die  hassenden,  grausamen,  nied- 
rigsten  Menschen,  ich  stiirze  sie  auf  ihrer  Wanderung  ohne 
Unterlafs,  die  Unsauberen,  in  damonische  Mutterleiber. 

20.  (1422.)  Und  in  einen  daraonischen  Mutterleib  geraten, 
verblendet  von  einer  Geburt  zur  andern,  finden  sie  mich  nicht, 
o  Kuntisohn,  und  gehen  den  tiefsten  Weg. 

21.  (1423.)  Dreifach  ist  jene  Pforte  der  Holle,  welche  die 
Seele  vergiftet,  als  Begierde,  als  Zorn,  als  Liisternheit,  darum 
soil  man  diese  drei  meiden. 

22.  (1424.)  Aber  der  Mann,  o  Kuntisohn,  der  erlost  ist 
aus  diesen  drei  Pforten  der  Finsternis,  betreibt  das  Heil  seiner 
Seele  und  geht  den  hochsten  Weg. 

23.  (1425.)  Hingegen  der,  welcher  die  Vorschriften  des 
Gesetzes  von  sich  wirft  und  nach  eigenem  Belieben  wandelt, 
der  kann  nicht  die  Vollendung,  nicht  das  Gliick  und  nicht 
den  hochsten  AVeg  erreichen. 

24.  (1426.)  Darum  moge  in  der  Bestimmung  dessen,  was 
zu  tun  und  was  zu  lassen  ist,  das  Gesetz  deine  Richtschnur 
sein;  erkennend,  was  vom  Gesetze  vorgeschrieben  ist,  mogest 
du  hienieden  dein  Werk  ausfiihren. 

So  lautet  in  der  Bhagavadgitft 

der  UnterBchied  des  gottlichcn  und  damonisohen  Loses 

(daiva  -  dsura  -  sampad  -  vibhdga). 


XVII  (Adhy^ya  41).  97 

XVII  (AcUiyaya  41). 

Vers  1427-1454  (B.  1-28). 

Arjuna  sprach: 

1.  (1427.)  Wie  aber  steht  es  mit  denen,  o  Krishna,  welche 
zwar  die  Vorschrift  des  Gesetzes  von  sich  werfen,  aber  im 
Glauben  Verehrung  iiben?  Auf  welchem  Boden  stehen  sie, 
auf  dem  des  Sattvam,  des  Rajas  oder  des  Tamas? 

Der  Heilige  sprach: 

2.  (1428.)  Dreifach  ist  der  Glaube  der  Verkorperten ,  wie 
er  aus  ihrer  Naturbeschaffenheit  entspringt:  er  ist  sattva- 
artig,  rajas-artig  und  tamas-artig,  dariiber  vernimm. 

3.  (1429.)  Der  Glaube,  o  Bharata,  ist  bei  einem  jeden  seiner 
Wesenheit  entsprechend ;  aus  Glaube  bestelit  der  Mensch,  wie 
einer  glaubt,  so  ist  er  (vgl.  Mokshadharma  9458). 

4.  (1430.)  Die  Sattva-artigen  verehren  die  Gotter,  die  Rajas- 
artigen  die  Halbgotter  und  Damonen,  die  iibrigen  aber,  die 
tamas  -  artigen  Menschen,  verehren  die  Geister  und  die  Ge- 
spensterscharen. 

5.  (1431.)  Diejenigen  Menschen,  welche  eine  furchtbare, 
aber  nicht  vom  Gesetz  vorgeschriebene  Askese  iiben  und  da- 
bei  behaftet  mit  Heuchelei  und  Selbstsucht  und  von  Lust, 
Leidenschaft  und  Gewalttatigkeit  erfiillt  sind, 

6.  (1432.)  diese  Torichten  qualen  nur  die  im  Leibe  ver- 
sammelte  Schar  der  Elemente  und  mich,  der  ich  in  ihrem 
Leibe  weile;  deren  Entschliefsung,  das  sollst  du  wissen,  ist 
eine  damonische. 

7.  (1433.)  Dreifach  aber  ist  audi  die  Nahrung,  die  jedem 
lieb  ist,  und  ebenso  sein  Opfer,  seine  Askese  und  sein  Schenken. 
Vernimm,  was  deren  Unterschied  ist. 

8.  (1434.)  Die  Nahrungsmittel,  die  das  Leben,  Tiichtigkeit, 
Kraft,  Gesundheit,  Lust  und  Behagen  vermehren,  und  welche 
als  saftreich,  olig  oder  fest  das  Herz  starken,  die  werden  von 
sattvahaften  Menschen  geliebt, 

Deussen,  MahAbh&ratam.  7 


98  II.   Bhagavadgita. 

9.  (1435.)  Die  Nahrungsmittel,  die  einen  stechenden,  sauern, 
salzigen,  erhitzenden,  scharfen,  rauhen  und  brennenden  Ge- 
schmack  haben,  sind  bei  rajasbaften  Menschen  beliebt  und 
veranlassen  Schmerz,  Beschwerde  und  Krankheit. 

10.  (1436.)  Abgestandeiie,  schal  gewordene,  iibelriechende, 
iibertagige,  iibrig  gelassene  und  nichtopferwiirdige  Speisen 
werden  von  den  tamashaften  Menschen  geliebt. 

11.  (1437.)  Ein  Opfer,  welches  im  Hinbhck  auf  die  Vor- 
schrift  dargebracht  wird  von  solchen,  welche  nicht  nach  Lohn 
verlangen,  sondern  sich  dazu  entschhef sen ,  weil  man  eben 
opfern  mufs,  ein  solches  Opfer  ist  sattvahaft. 

12.  (1438.)  Ein  Opfer  hingegen,  welches  mit  Absicht  auf 
den  Lohn  oder  aus  Heuchelei  dargebracht  wird,  ein  solches 
Opfer,  o  Bester  der  Bharata's,  ist  rajashaft. 

13.  (1439.)  Ein  Opfer,  welches  nicht  vorschriftsmafsig,  ohne 
Spenden  von  Speise,  ohne  Vedaspriiche,  ohne  Opferlohn  und 
ohne  Glauben  daran  dargebracht  wird,  ein  solches  Opfer  nennt 
man  tamashaft. 

14.  (1440.)  Verehrung  der  Gotter,  Brahmanen,  Lehrer  und 
Weisen,  Keinheit,  Geradheit,  Keuschheit  und  Nicht- Schadigung, 
diese  bilden  die  Askese  des  Leibes. 

15.  (1441.)  Eine  nicht  Aufregung  veranlassende,  wahrhafte, 
freundliche  und  heilsame  Rede,  sowie  die  Betreibung  des  Veda- 
studiums,  diese  bilden  die  Askese  der  Rede. 

16.  (1442.)  Heiterkeit  des  Gemiites,  Milde,  Schweigen, 
Selbstbeherrschung ,  Reinheit  des  Herzens,  diese  bilden  die 
Askese  des  Geistes. 

17.  (1443.)  Diese  dreifache,  aus  hochster  Glaubigkeit  ge- 
iibte  Askese,  wenn  sie  von  Menschen  ohne  Verlangen  nach  Lohn 
und  mit  Hingebung  geiibt  wird,  nennt  man  sattvahafte  Askese. 

18.  (1444.)  Eine  Askese,  welche  um  der  Hochschatzung, 
Bewunderung  und  Verehrung  willen  mit  Heuchelei  geiibt  wird, 
eine  solche  heifst  rajashaft,  ist  wankelmiitig  und  unbestandig. 

19.  (1445.)  Eine  Askese,  welche  aus  verblendeter  Ent- 
schliefsung  die  Selbstqual  unternimmt,  oder  auch  um  einen 
andern  zu  iiberbieten,  eine  solche  heifst  tamashaft. 

20.  (1446.)  Eine  Gabe,  welche  in  dem  Bewufstsein,  dafs 
man  geben  mufs,  am  rechten  Ort  zur  rechten  Zeit  der  rechten 


XVII  (Adhyaya  41).  99 

Person,  ohne  dafs  sie  es  vergelten  kann,  erwiesen  wird,  eine 
solche  Gabe  heifst  sattvahaft. 

21.  (1447.)  Hingegen  eine  Gabe,  welche  um  einer  Gegen- 
leistung  willen  oder  im  Hinblick  auf  einen  Lohn  mit  "Wider- 
streben  geschenkt  wird,  eine  solche  Gabe  heifst  rajashaft. 

22.  (1448.)  Eine  Gabe,  welche  am  unrechten  Orte  zur  un- 
rechten  Zeit  der  unrechten  Person  mit  Geringschatzung  oder 
Verachtung  dargeboten  wird,  eine  solche  Gabe  heifst  tamashaft. 

23.  (1449.)  Om,  Tat,  Sat  (Om,  Dieses,  das  Seiende),  das 
gilt  als  die  dreifache  Bezeichnung  des  Brahman,  und  kraft 
dieser  wurden  in  der  Vorzeit  die  Brahmanen,  Veden  und 
Opfer  in  ihre  Stellung  eingesetzt. 

24.  (1450.)  Darum  werden  die  vorgeschriebenen  Ubungen 
von  Opfer,  Gabe  und  Askese  allezeit  von  Bekennern  des 
Brahman  damit  begonnen,  dafs  sie  den  Laut  Om  aussprechen. 

25.  (1451.)  Tat  (dieses  sc.  Brahman),  mit  diesem  Worte 
werden  ohne  Absicht  auf  Lohn  die  mannigfachen  Verrich- 
tungen  von  Opfer,  Askese  und  Gaben  von  solchen  dargebracht, 
welche  nach  Erlosung  verlangen. 

26.  (1452.)  Das  Wort  Sat  (das  Seiende)  wird  gebraucht, 
um  die  Realitat  und  die  Giite  [des  Brahman]  zu  bezeichnen, 
und  so  wendet  man,  o  Prithasohn,  das  Wort  Sat  auch  auf 
eine  riihmliche  Handlung  an. 

27.  (1453.)  Sat  heifst  auch  die  Beharrlichkeit  in  Opfer, 
Askese  und  Gaben,  und  so  wird  auch  das  um  ihrer  willen 
unternommene  Werk  als  sat  (seiend,  gut)  bezeichnet. 

28.  (1454.)  Was  aber  an  Opfer,  Gaben,  Askese  und  Werken 
ohne  Glauben  dargebracht  wird,  das,  o  Sohn  der  Pritha,  heifst 
asat  (nicht  seiend,  nicht  gut)  und  ist  nichtig  sowohl  nach 
dem  Tode  als  auch  schon  hier. 

So  lautet  in  der  Bhagavadgitd.  die  dreifache  Einteilung  des  Glaubens 
(graddhd  -  traya  -  vibhdga  -  yoga). 


100  II.   Bhagavadgita. 

XVIII  (Adhyaya  42). 

Vers  1455-153'2  (B.  1-78). 

Arjuna  sprach: 

1.  (1455.)  Das  Wesen  der  Verzichtung  wiinsche  ich  zu 
wissen,  o  Grofsarmiger,  und  das  der  Entsagung,  o  Struppiger, 
insbesondere,  o  Bezwinger  des  Ke<?in. 

Der  Heilige  sprach: 

2.  (1456.)  Unter  Verzichtung  verstehen  die  Weisen  das 
Verzichten  auf  Werke,  die  mit  dem  Wunsch  nach  Lohn  ver- 
richtet  werden ,  wahrend  das  Entsagen  hinsichtlich  der  Frucht 
aller  Werke  von  den  Weisen  Entsagung  genannt  wird. 

3.  (1457.)  Einige  Weise  lehren,  dafs  man  dem  Werke  als 
einer  Siinde  entsagen  miisse,  andere  behaupten,  dafs  dem 
Opfern,  dem  Geben  und  der  Askese  als  Werken  nicht  zu  ent- 
sagen sei. 

4.  (1458.)  Hore  hieruber  meine  Entscheidung  in  betreff  der 
Entsagung,  o  Bester  der  Bharata's;  denn  die  Entsagung, 
o  Tiger  unter  den  Mannern,  wird  als  eine  dreifache  geriihmt. 

5.  (1459.)  Dem  Opfern,  dem  Geben  und  der  Askese  als 
Werken  ist  nicht  zu  entsagen,  sondern  sie  sind  zu  betreiben, 
denn  Opfern,  Geben  und  Askese  sind  die  Lauterungsmittel 
der  Weisen. 

6.  (1460.)  Aber  auch  diese  Werke  sind  nur  in  der  Weise 
zu  tun,  dafs  man  der  Anhanglichkeit  und  dem  Lohne  ent- 
sagt;  dieses,  o  Prithasohn,  ist  mein  entschiedenes  und  end- 
giiltiges  Erachten. 

I'i4'^-  (1461.)  Hingegen  ist  es  nicht  moglich,  auf  ein  not- 
wendiges  Werk  zu  verzichten,  und  wenn  einem  solchen  aus 
blofsem ^ Wahne  entsagt  wird,  so  heifst  dies  eine  tamashafte 
Entsagung. 

8.  (1462.)  Wenn  hingegen  einer  einem  Werke,  weil  es  mit 
Schmerz  verbunden  ist,  aus  Furcht  vor  der  korperlichen  Be- 
schwerde] entsagt,  der  libt  eine  rajashafte  Entsagung  und  wird 
denLohn  der  Entsagung  nicht  erlangen. 


XVIII  (Adhy^ya  42).  101 

9.  (1463.)  Wenn  hingegen,  o  Arjuna,  ein  notwendiges  Werk 
nur  in  dem  Bewufstsein,  dafs  es  Pflicht  sei,  vollbracht  wird, 
indem  man  dabei  der  Anhanglichkeit  und  dem  Lohne  entsagt, 
so  heifst  diese  Entsagung  eine  sattvahafte. 

10.  (1464.)  Ein  unangenehmes  Werk  nicht  zu  meiden  und 
an  einem  angenehmen  nicht  zu  hangen,  das  ist  das  Zeichen 
eines  vom  Sattvam  durchdrungenen,  weisen  und  vom  Zweifel 
befreiten  Entsagers. 

11.  (1465.)  Denn  solange  man  an  den  Leib  gebunden  ist, 
kann  man  den  Werken  nicht  vollstandig  entsagen ;  wer  aber 
der  Frucht  der  Werke  entsagt,  der  verdient  den  Namen  eines 
Entsagers. 

12.  (1466.)  Dreifach,  namhch  unerwiinscht,  erwiinscht  und 
gemischt,  ist  die  Frucht  des  Werkes  fiir  die  Nichtentsagenden 
nach  dem  Tode,  in  keiner  Weise  aber  fiir  die,  welche  ver- 
zichtet  haben. 

13.  (1467.)  Erfahre  von  mir,  o  Grofsarmiger,  dafs  es  fol- 
gende  fiinf  Ursachen  sind,  durch  welche  nach  dem  auf  Re- 
flexion fsdfilxhyamj  gestiitzten  Lehrbegriff  alle  Werke  zustande 
kommen : 

14.  (1468.)  Erstens  die  Lage,  sodann  der  Tater  und  ferner 
das  Organ,  dazu  die  mannigfachen  Betatlgungen  im  einzelnen 
und  schliefslich  als  Fiinftes  das  Schicksal. 

15.  (1469.)  Was  fiir  ein  Werk  auch  immer  ein  Mann  mit 
Korper,  Worten  oder  Gedanken  unternehmen  mag,  sei  es  ein 
vorschriftsmafsiges  oder  das  Gegenteil,  zu  dem  wirken  diese 
fiinf  Ursachen  zusammen. 

16.  (1470.)  Wenn  nun,  da  dem  so  ist,  einer  sich  selbst  allein 
als  Tater  ansieht,  der  hat  nicht  die  vollstandige  Erkenntnis 
und  entbehrt  als  ein  Ubelberatener  der  richtigen  Ansieht. 

17.  (1471.)  Derjenige,  dessen  Natur  nicht  der  Selbstsucht 
verfallen,  dessen  Einsicht  nicht  getriibt  ist,  ein  solcher,  wenn 
er  auch  diese  ganze  Welt  totete,  totet  doch  nicht  und  ist 
nicht  gebunden. 

18.  (1472.)  Das  Erkennen,  das  Erkannte  und  der  Erkenner, 
in  diesen  liegt  der  dreifache  Antrieb  zum  Handeln;  das  Tun, 
die  Tat  und  der  Tater,  in  diesen  liegt  die  dreifache  Summe 
der  Handlung. 


102  II-   Bhagavadgita. 

19.  (1473.)  Die  Erkenntnis,  die  Tat  und  der  Tater  werden 
je  nach  den  Guna's  als  dreifach  in  der  Aufzahlung  der 
Guna's  erklart;  in  welcher  Weise,  auch  das  sollst  du  von  mir 
erfahren. 

20.  (1474.)  Diejenige  Erkenntnis,  durch  welche  man  in 
alien  Wesen  die  eine  unvergangliche  Wesenheit  erblickt, 
welche  ungeteilt  in  den  geteilten  weilt,  diese  Erkenntnis, 
wisse,  ist  sattvahaft. 

21.  (1475.)  Diejenige  Erkenntnis,  welche  in  der  Vereinze- 
lung  mancherlei  besondere  Wesenheiten  in  alien  Wesen  er- 
kennt,  diese  Erkenntnis,  wisse,  ist  rajashaft. 

22.  (1476.)  Diejenige  Erkenntnis,  welche  sich  ohne  Grund 
an  ein  einzelnes  Geschopf,  als  ware  es  das  Ganze,  anklam- 
mert,  gegen  den  Tatbestand  und  in  kleinlicher  Weise,  diese 
Erkenntnis  wird  bezeichnet  als  tamashaft. 

23.  (1477.)  Ein  notwendiges  Werk,  welches  ohne  Anhang- 
lichkeit  und  ohne  Leidenschaft  und  Hafs  getan  wird  von 
einem  solchen,  der  nicht  nach  Lohn  verlangt,  ein  solches 
Werk  heifst  sattvahaft. 

24.  (1478.)  Hingegen  ein  Werk,  welches  von  einem  nach 
Erfiillung  seines  Wunsches  Verlangenden  oder  auch  von  einem 
vom  Bewufstsein  des  eigenen  Ich  Erfiillten  mit  grofser  An- 
strengung  getan  wird,  ein  solches  wird  als  rajashaft  bezeichnet. 

25.  (1479.)  Ein  Werk,  welches  blindlings  und  ohne  Riick- 
sicht  auf  die  Folgen,  den  Verlust,  die  Schadigung  und  die 
cigene  Leistungsfahigkeit  unternommen  wird,  ein  solches 
Werk  heifst  tamashaft. 

26.  (1480.)  Ein  Tater,  welcher  frei  von  Anhanglichkeit, 
frei  von  Prahlerei,  mit  Standhaftigkeit  und  Energie  begabt 
und  dabei  im  Gelingen  wie  im  Mifslingen  immer  sich  gleich- 
bleibend  ist,  ein  solcher  Tater  heifst  sattvahaft. 

27.  (1481.)  Ein  Tater,  welcher  leidenschaftlich,  nach  dem 
Lohne  seines  Tuns  trachtend,  begehrlich,  zum  Schadigen  ge- 
neigt  und  unrein  ist,  dazu  nicht  frei  von  Freude  und  Trauer, 
ein  solcher  Tater  wird  bezeichnet  als  rajashaft. 

28.  (1482.)  Ein  Tater,  welcher  ohne  Hingebung,  gemein 
gesinnt,  halsstarrig,  verschlagen,  andere  herabwiirdigend,  trag, 
kleinmiitig,  saumsehg  ist,  ein  solcher  Tater  heifst  tamashaft. 


XVIII  (Adhy^ya  42).  103 

29.  fi483.)  Nunmehr  vernimm  die  nach  den  Guna's  drei- 
fache  Einteilung  der  Buddlii  und  der  Festigkeit,  wie  ich  sie 
erschopfend  im  einzelnen,  o  Beutemacher,  darlegen  werde. 

30.  (1484.)  Eine  Buddhi,  welche  zur  rechten  Zeit  anzu- 
fangen  und  aufzuhoren,  zu  tun  und  zu  lassen,  zu  schauen 
und  nicht  zu  schauen  weifs  und  dazu  der  Bindung  und  der 
Erlosung  kundig  ist,  eine  solclie  Buddhi,  o  Sohn  der  Pritha, 
heifst  sattvahaft. 

31.  (1485.)  Eine  Buddhi,  durch  welche  man  das  Rechte 
und  das  Unrechte,  das  Zutuende  und  das  Zulassende  nicht, 
wie  es  sich  verhalt,  erkennt,  eine  solche  Buddhi,  o  Pritha- 
sohn,  heifst  rajashaft. 

32.  (I486.)  Eine  Buddhi,  welche,  von  Finsternis  umhiillt, 
das  Falsche  fiir  das  Rechte  halt  und  alle  Dinge  umgekehrt  sieht, 
als  sie  sind,  eine  solche  Buddhi,  o  Prithasohn,  heifst  tamashaft. 

33.  (1487.)  Eine  Festigkeit,  durch  welche  man  die  Ver- 
richtungen  von  Manas,  Prana  (Lebenshauch)  und  Indriya's 
(Sinnesorgane)  kraft  einer  unentwegten  Yogahingehung  fest- 
macht,   eine  solche  Festigkeit,  o  Prithasohn,  ist  sattvahaft. 

34.  (1488.)  Eine  Festigkeit,  o  Arjuna,  durch  die  man  an 
dem  Guten,  Angenehmen  und  Niitzlichen  mit  Anklammerung 
und  Verlangen  nach  Lohn  festhalt,  eine  solche  Festigkeit, 
o  Prithasohn,  heifst  rajashaft. 

35.  (1489.)  Eine  Festigkeit,  durch  die  ein  Ubelberatener 
nicht  loslassen  will  von  Schlaf,  Furcht,  Kummer,  Verzagtheit 
und  Unbesonnenheit,  eine  solche  Festigkeit  gilt  als  tamas- 
haft, o  Prithasohn. 

36.  (1490.)  Nunmehr  vernimm  von  mir,  o  Stier  der  Bharata's, 
die  Lehre  von  der  dreifachen  Lust.  Eine  Lust,  an  welcher 
man  sich  auch  bei  ihrer  Wiederkehr  erfreut  und  zur  Befreiung 
von  Leiden  gelangt, 

37.  (1491.)  und  welche  am  Anfang  wie  Gift  und  am  Ende 
der  Ambrosia  vergleichbar  ist,  eine  solche  Lust,  welche  aus 
der  Heiterkeit  der  Seele  und  des  Bewufstseins  entspringt, 
wird  sattvahaft  genannt. 

38.  (1492.)  Eine  Lust,  welche  vermoge  der  Verbindung  der 
Sinne  mit  den  Sinnendingen  am  Anfang  der  Ambrosia  vergleich- 
bar und  am  Ende  wie  Gift  ist,  eine  solche  Lust  heifst  rajashaft. 


104  II.   Bhagavadgita,. 

39.  (1493.)  Eine  Lust,  welche  zu  Anfang  und  in  ihrem 
Verlaufe  die  Seele  verblendet  und  aus  Schlaf,  Tragheit  und 
Unbesonnenheit  entspringt,  eine  solche  Lust  heifst  tamashaft. 

40.  (1494.)  Es  gibt  keine  Wesenheit  weder  auf  der  Erde, 
noch  im  Himmel  unter  den  Gottern,  welche  von  diesen  drei 
aus  der  Prakriti  entspringenden  Guna's  frei  ware. 

4L  (1495.)  Die  Aufgaben  der  Brahmanen,  Kshatriya's,  Vai- 
Oya's  und  (^udra's,  o  Feindbezwinger,  sind  unterschieden  nach 
den  in  ihrer  Naturanlage  hervortretenden  Guna's. 

42.  (1496.)  Kuhe,  Bezahmung,  Askese,  Reinheit,  Geduld 
und  Rechtschaffenheit,  Wissen,  Wissenschaft  und  positiver 
Standpunkt,  das  ist  die  aus  seiner  Natur  entspringende  Auf- 
gabe  des  Brahmanen. 

43.  (1497.)  Heldenmut,  Energie,  Standhaftigkeit,  Tiichtig- 
keit  und  Ausharren  im  Kampfe,  Freigebigkeit  und  Herrscher- 
macht,  das  ist  die  aus  seiner  Natur  entspringende  Aufgabe 
des  Kshatriya. 

44.  (1498.)  Ackerbau,  Viehzucht  und  Handel  ist  die  aus 
seiner  Natur  entspringende  Aufgabe  des  Vaigya ;  die  Aufgabe 
des  Qudra^  wie  sie  aus  seiner  Natur  entspringt,  besteht  im 
Dienen. 

45.  (1499.)  Die  Vollendung  erreicht  der  Mensch,  indem  er 
sich  an  der  ihm  gewordenen  Aufgabe  erfreut;  wie  er  durch 
die  Freude  an  seiner  Aufgabe  zur  Vollendung  gelangt,  das 
vernimm. 

46.  (1500.)  Ihn,  aus  welchem  der  Ursprung  der  Wesen  ist 
und  durch  welchen  dieses  Weltall  ausgebreitet  wurde,  wer 
diesen  dadurch  ehrt,  dafs  er  die  ihm  gewordene  Aufgabe  er- 
fiillt,  der  Mensch  gelangt  zur  Vollendung. 

47.  (1501.)  Besser,  ist  es  die  eigene  Pflicht  ohne  Tiichtig- 
keit  als  die  fremde  Pflicht  mit  Erfolg  zu  betreiben  (=  Vers  98o) ; 
wer  die  durch  seine  Natur  ihm  auferlegte  Aufgabe  erfiillt,  der 
verfallt  nicht  in  Siinde. 

48.  (1502.)  Die  angeborene  Aufgabe,  o  Kuntisohn,  soil  man 
nicht  fahren  lassen,  auch  wenn  sie  mit  Schuld  behaftet  ist,  denn 
alles  Tun  ist  von  Schuld  umhiillt  wie  das  Feuer  vom  Rauche. 

49.  (1503.)  Wer  in  seinem  Bewufstsein  ohne  Weltanhang- 
lichkeit,  allerwarts  sich  selbst  iiberwunden  habend,  frei  von 


XVIII  (Adhyliya  42).  105 

Begierde  ist,  der  erreicht  durch  Entsagung  die  hochste  Voll- 
endung  der  Werklosigkeit. 

50.  (1504.)  Wie  der,  welcher  die  Vollkommenheit  erlangt 
hat,  eben  damit  das  Brahman  erlangt,  das,  o  Kuntisohn,  ver- 
nimm  von  mir  in  der  Kiirze,  wie  es  der  hochste  Standpunkt 
des  Wissens  ist. 

51.  (1505.)  Mit  gelauterter  Erkenntnis  begabt,  sein  Selbst 
mit  Festigkeit  ziigelnd,  auf  die  Sinnendinge,  Tone  usw.,  ver- 
zichtend,  Leidenschaft  und  Hafs  abwerfend, 

52.  (1506.)  die  Einsamkeit  suchend,  leichte  Nahrung  zu 
sich  nehmend,  Worte,  Leib  und  Gedanken  bezahmend,  die 
Hingebung  an  die  Meditation  allezeit  als  das  Hochste  er- 
achtend  und  die  Leidenschaftslosigkeit  errungen  habend, 

53.  (1507.)  befreit  von  Selbstsucht,  Gewalttatigkeit,  Stolz, 
Begierde,  Zorn  und  Famihenanhang, —  so  wird  man  selbst- 
los  und  beruhigt  zur  Brahmanwerdung  reif. 

54.  (1508.)  Wer  aber  Brahman  geworden,  dessen  Geist  ist 
heiter,  er  trauert  nicht  und  verlangt  nicht ;  gleichmiitig  gegen 
alle  Wesen,  ergreift  er  meine  Verehrung  als  Hochstes. 

55.  (1509.)  Durch  die  Verehrung  erkennt  er  mich,  meine 
Grofse  und  wer  ich  bin,  dem  Wesen  nach;  hat  er  mich  aber 
dem  Wesen  nach  erkannt,  so  geht  er  sogleich  in  dasselbe  ein. 

56.  (1510.)  Und  indem  er  allezeit  alle  seine  Werke  tut  im 
Hinblick  auf  mich,  erlangt  er  durch  meine  Gnade  die  ewige, 
unvergangliche  Statte. 

57.  (1511.)  Indem  du  im  Geiste  alle  Werke  auf  mich  wirfst, 
mich  als  Hochstes  erachtest,  sollst  du,  gestiitzt  auf  Erkennt- 
nis und  Hingebung,  allezeit  meiner  gedenken. 

58.  (1512.)  Meiner  gedenkend  wirst  du  durch  meine  Gnade 
alle  Schwierigkeiten  iiberwinden;  wenn  du  aber  aus  Eigen- 
willen  nicht  auf  mich  horst,  wirst  du  zugrunde  gehen. 

59.  (1513.)  Wenn  du  dich  auf  deinen  Eigenwillen  versteifst 
und  dir  vornimmst,  nicht  zu  kampfen,  so  ist  dieser  dein  Ent- 
schlufs  ein  vergeblicher ;  deine  Natur  wird  dich  dazu  zwingen. 

60.  (1514.)  Bist  du  aber  durch  die  aus  deiner  eigenen  Natur 
entspringende  Aufgabe  gebunden,  dann  wirst  du,  o  Kuntisohn, 
das,  was  du  aus  Verblendung  nicht  tun  willst,  auch  gegen 
deinen  Willen  tun  miissen. 


106  II.    Bhagavadgita. 

61.  (1515.)  Der  Herr  aller  Wesen  wohnt,  o  Arjuna,  in  der 
Gegend  ihres  Herzens  und  wirbelt  alle  Wesen  herum,  als 
waren  sie  durch  die  Maya  an  einem  Rade  befestigt. 

62.  (1516.)  Zu  ihm  begib  dich  in  Schutz  mit  deinem  ganzen 
Sein,  0  Bharata,  dann  wirst  du  durch  seine  Gnade  die  hochste 
Ruhe  und  die  ewige  Statte  erlangen. 

63.  (1517.)  Damit  ist  dir  das  Wissen,  welches  geheimer 
als  das  Geheime  ist,  von  mir  mitgeteilt  worden;  iiberdenke 
es  bei  dir  voll  und  ganz  und  tue,  was  du  willst. 

64.  (1518.)  Hore  noch  weiter  von  mir  das  allergeheimste, 
hochste  Wort ;  ich  liebe  dich  gar  sehr,  darum  will  ich  sagen, 
was  zu  deinem  Heile  dient. 

65.  (1519.)  An  mich  denke,  mir  hange  an,  mir  huldige, 
mich  verehre,  und  du  wirst  zu  mir  gelangen,  ich  verspreche 
es  dir  wahrhaftig,  denn  du  bist  mir  lieb. 

66.  (1520.)  Lafs  alle  Satzungen  dahinten,  nimm  zu  mir 
allein  deine  Zuflucht,  ich  werde  dich  von  allem  Ubel  erlosen, 
trauere  nicht! 

67.  (1521.)  Diese  Rede  darfst  du  niemals  einem  mitteilen, 
der  nicht  asketisch  gesinnt,  der  nicht  fromm,  der  nicht  ge- 
horsam  ist,  und  auch  niemandem,  der  gegen  mich  murrt. 

68.  (1522.)  Wer  aber  dieses  hochste  Geheimnis  solchen 
darlegt,  welche  mich  verehren,  der  beweist  mir  damit  die 
hochste  Verehrung  und  wird  unzweifelhaft  zu  mir  eingehen. 

69.  (1523.)  Es  ist  keiner  unter  den  Menschen,  der  mir 
etwas  Lieberes  erwiese  als  eben  ein  solcher,  und  kein  anderer 
als  ein  solcher  wird  mir  auf  der  Welt  lieber  sein. 

70.  (1524)  Und  wer  diese  heilige  Unterredung  zwischen 
uns  beiden  studieren  wird,  der  hat  mir  damit  das  Opfer  der 
Erkenntnis  dargebracht,  so  denke  ich  dariiber. 

71.  (1525.)  Und  auch  der  Mann,  welcher  glaubig  und  ohne 
Ubelwollen  dieses  hort,  der  wird  nach  seiner  Befreiung  vom 
Leibe  die  herrlichen  Welten  derer  erlangen,  deren  Tun 
heilig  war. 

72.  (1526.)  Bast  du  nun,  o  Sohn  der  Pritha,  dieses  von 
mir  mit  ungeteilter  Aufmerksamkeit  vernommen?  Und  ist 
die  Verblendung  des  Nichtwissens  von  dir  gewichen,  o  Gut- 
gewinner  ? 


XVIII  (Adhyaya  42).  107 

Arjuna  sprach : 

73.  (1527.)  Gewichen  ist  die  Verblendung ,  empfangen  ist 
die  Kunde  von  mir  durch  deine  Gnade,  o  Unerscliutterlicher ; 
fest  stehe  ich  und  frei  von  Zweifel ;  ich  werde  tun  nach  deinera 
Worte. 

Sanjaya  (der  Erzahler)  sprach: 

74.  (1528.)  Also  habe  ich  diese  Unterredung  zwischen  dem 
Vasudevasohne  und  dem  hochherzigen  Sohne  der  Pritha  an- 
gehort,  die  wunderbare,  haarstraubende. 

75.  (1529.)  Nachdem  ich  durch  die  Gnade  des  Vyasa  dieses 
hochste  Geheimnis  iiberkommen  habe,  den  Yoga,  wie  der  Herr 
des  Yoga,  Krishna,  ihn  selbst  unmittelbar  verkiindet  hat, 

76.  (1530.)  so  habe  ich,  o  Konig,  indem  ich  mich  immer 
wieder  und  wieder  an  dieses  wunderbare,  heihge  Zwiegesprach 
zwischen  dem  VoUhaarigen  und  Arjuna  erinnere,  jedesmal 
aufs  neue  meine  Freude  daran. 

77.  (1531.)  Und  indem  ich  mich  immer  wieder  und  wieder 
erinnere  an  die  wunderbare  Erscheinung  des  Hari  (Vishnu), 
erfiillt  mich  grofses  Staunen,  o  Fiirst,  und  ich  freue  mich 
daran  stets  wieder  aufs  neue. 

78.  (1532.)  Auf  wessen  Seite  Krishna,  der  Herr  des  Yoga, 
auf  wessen  Seite  der  bogentragende  Sohn  der  Pritha  steht, 
da  ist  Heil,  Sieg,  Gedeihen  und  ein  festes  Verhalten,  so 
glaube  ich. 

So  lautet  in  der  Bhagavadglt&  die  zur  Erlosung  fiihrende  Entsagung 
(rnoksha  -  sannydsa  -  yoya). 


III. 
MOKSHADHAEMA. 

Mahabharatam  Buch  XII,  Adhy^ya  174-367,  Vers  6457-13943,  C. 
(=  Buch  XII,  Adhyaya  174-365,  B.). 


Aclhyaya  174  (B.  174). 

Vers  6457-6521  (B.  1-63). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (6457.)  Die  schonen  Gesetze,  soweit  sie  sich  auf  das 
Gesetz  fiir  Konige  beziehen,  wurden  von  dir,  dem  Grofsvater, 
mitgeteilt;  das  vortrefflichste  Gesetz  der  asketisch  Lebenden 
mogest  du,  o  Fiirst,  mir  nun  verkiinden. 

Bhishma  sprach: 

2.  (6458.)  Allerstreckend  sind  die  Verordnungen  des  Ge- 
setzes ;  auch  fiir  den,  der  lebt  und  nicht  dahingeschieden  ist, 
gibt  es  einen  Lohn  fiir  seine  Askese ;  viele  Tore  hat  das  Ge- 
setz, und  auch  hienieden  ist  seine  Erfiillung  nicht  ohne  Frucht. 

3.  (6459.)  Aber  welcher  Art  auch  der  Gegenstand  sein 
mag,  iiber  welchen  irgendeiner  zur  Gewifsheit  gelangt,  so 
erkennt  er  dadurch  doch  nur  eben  diesen  Gegenstand,  o  Bester 
der  Bharata's,  und  keinen  andern. 

4.  (6460.)  In  welcher  Weise  man  auch  immer  das  morsche 
Gewebe  dieser  Welt  iiberschauen  mag,  auf  jede  Weise  ent- 
springt  daraus  Abwendung  von  ihr,   daran  ist  kein  Zweifel. 

5.  (6461.)  Und  da  somit  die  Welt,  o  Yudhishthira,  als 
mit  vielen  MSngeln  behaftet  sich  erweist,  so  mufs  ein  ver- 
standiger  Mann  doch  wohl  nach  einem  Mittel  trachten,  sein 
Selbst  von  ihr  zu  erlosen. 

Yudhishthira  sprach: 

6.  (6462.)  Wenn  man  sein  Vermogen  verloren  hat,  oder 
wenn   einem  Weib,   Sohn   oder  Vater  gestorben  ist,   durch 


112  III.   Mokshadharma. 

welche  Erkenntnis  kann  man  den  Kummer  abschiitteln  ?    Das, 
o  Grofsvater,  sage  mir. 

Bhishma  sprach : 

7.  (64G3.)  Wenn  man  sein  Vermogen  verloren  hat,  oder 
wenn  einem  Weib,  Sohn  oder  Vater  gestorben  ist,  so  moge 
man  durch  den  Gedanken:  „Je  nun,  es  ist  ein  Schmerz!" 
zur  Abwerfung  des  Kummers  gelangen. 

8.  (6464.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  wie  zum  Senajit  ein  ihm  befreundeter  Brahmane 
gekommen  und  mit  ihm  gesprochen  habe. 

9.  (6465.)  Zu  diesem  Konige,  den  er,  gequalt  von  Kummer 
iiber  seinen  Sohn,  vor  Schmerz  aufser  Fassung  und  nieder- 
geschlagenen  Geistes  sah,  sprach  der  Brahmane  dieses  Wort : 

10.  (6466.)  Warum  bist  du  doch  so  ganz  und  gar  ver- 
stort,  warum  klagst  du,  wo  du  selbst  zu  beklagen  bist,  da 
sie  ja  doch  auch  dich  beklagen  werden  und  dann  selbst  als 
beklagenswert  denselben  Weg  gehen  miissen. 

11.  (6467.)  Du  selbst,  0  Fiirst,  und  ich  und  alle,  die  dir 
huldigen,  wir  alle  werden  dorthin  gehen,  woher  wir  ge- 
kommen sind. 

Senajit  sprach: 

12.  (6468.)  Was  ist  das  fiir  eine  Erkenntnis,  was  fiir  eine 
Askese,  o  Brahmane,  was  fiir  eine  Meditation,  o  Askesereicher, 
was  fiir  ein  Wissen  und  was  fiir  eine  Schriftgelehrsamkeit, 
welche  erlangt  habend,  du  nicht  aufser  Fassung  kommst? 

Der  Brahmane  sprach: 

13.  (6469.)  Sieh  doch  hin,  wie  die  Wesen  auf  den  hochsten, 
mittleren  und  tiefsten  Stufen  alliiberall  bei  dieser  oder  jener 
Sache  hienieden  in  Schmerz  verstrickt  sind. 

14.  (6470.)  Auch  dieses  mein  Selbst  hier  ist  nicht  mein, 
oder  auch  die  ganze  Erde  ist  mein,  und  wie  sie  mein  ist, 
gehort  sie  auch  den  anderen,  so  denke  ich  und  bleibe  un- 
erschiittert.  (6471.)  Diese  Erkenntnis  erlangt  habend,  freue 
ich  mich  nicht  und  betriibe  mich  nicht. 

15.  Wie  ein  Stiick  Holz  und  ein  anderes  Stiick  Holz  sich 
zusammenfinden  in  dem  grofsen  Weltmeere  (6472.)  und,  nach- 


Adhyaya  174  (B.  174).  113 

dem  sie  sich  zusainmengefunden,  sich  wieder  trennen,  so  steht 
es  mit  dem  Zusammenkommen  der  Wesen. 

16.  Ebenso  steht  es  mit  Kindern  und  Kindeskindern,  mit 
Bekannten  und  Verwandten.  (6473.)  Liebe  zu  ihnen  soil  man 
nicht  fassen,  denn  die  Trennung  von  ihnen  ist  sicher. 

17.  Aus  der  Unsichtbarkeit  herbeigekommen  und  wiederum 
in  die  Unsichtbarkeit  zuriickgegangen ,  (6474.)  kennt  ein  an- 
derer  nicht  dich  und  kennst  du  nicht  ihn ;  wer  bist  du  denn, 
dafs  du  etwas  beklagen  solltest? 

18.  Aus  der  Qual  der  Begierde  ftrishndj  entsteht  der 
Schmerz,  aus  der  Qua!  des  Schmerzes  entsteht  die  Lust, 
(6475.)  und  aus  Lust  entsteht  wiederum  Schmerz,  so  ist  es, 
und  abermals  Schmerz. 

19.  Der  Lust  unmittelbare  Folge  ist  Schmerz,  des  Schmer- 
zes unmittelbare  Folge  ist  Lust;  (6476.)  Lust  und  Schmerz  bei 
den  Menschen  roUen  um  wie  ein  Rad. 

20.  Wenn  du  aus  der  Lust  in  den  Schmerz  geraten  bist, 
so  wirst  du  aus  ihm  wiederum  in  die  Lust  geraten ;  (6477.)  man 
kann  nicht  immerfort  Schmerz  empfmden  und  man  kann 
nicht  immerfort  Lust  empfinden  (vgl.  Platon,  Phadon  p.  60 B). 
[Das  Folgende  nur  in  C.j  Der  Korper  ist  die  Heimstatte  so- 
wohl  des  Schmerzes  als  auch  der  Lust. 

21.  (6478.)  Der  Korper  ist  die  Heimstatte  fiir  die  Lust, 
und  ebenso  fiir  den  Schmerz  ist  die  Heimstatte  der 
Korper ;  welcher  Art  auch  das  Werk  sein  mag,  das  man 
mit  seinem  Korper  vollbringt,  jedenfalls  erlangt  nur  durch 
ihn  der  Mensch  jenes  [Lust  und  Schmerz]. 

22.  (6479.)  Und  auch  das  Leben  entsteht  zugleich  mit 
jenem  Korper;  beide  entfalten  sich  zugleich,  und  beide  gehen 
zugleich  zugrunde. 

23.  (6480.)  Durch  vielfaltige  Fallstricke  der  Begierden  haben 
sich  die  Menschen  in  den  Sinnendingen  verfangen,  und,  ohne 
ihren  Zweck  erreicht  zu  haben,  lassen  sie  nach,  wie  Damme 
aus  Sand  im  Wasser. 

24.  (6481.)  Wie  das  Sesamkorn  um  des  Oles  willen,  wird 
alles  in  dem  Miihlrade  der  Schopfung  ausgequetscht,  nach- 
dem  man  durch  die  Olmiiller  hineingeraten  ist,   das   heifst 

Deussen,  Mah4bh4ratam.  « 


114  in.   Mokshadharma. 

durch    die    aus   dem  Nichtwissen   entsprungenen   Charakter- 
schwachen  [Mega,  vgl.  Yogasutra  2,3). 

25.  (6482.)  Der  Mann  hauft  auf  sich  das  bose  Werk  um  seines 
Weibes  willen,  aber  er  allein  verfallt  dadurch  in  Charakter- 
fehler,  die  dem  Menschen  im  Jenseits  wie  im  Diesseits  anhaften. 

26.  (6483.)  An  Kindern,  Weibern  und  Familie  hangen  alle 
Menschen;  sie  gehen  unter  in  dem  schlammigen  Meere  der 
Sorgen,  wie  alte  Waldelefanten  im  Schlamm. 

27.  (6484.)  Bei  Verlust  der  Kinder,  bei  Verlust  des  Ver- 
mogens  oder  auch  der  Freunde  und  Verwandten  empfindet 
man  einen  sehr  grofsen  Schmerz,  einem  Waldbrandfeuer  ver- 
gleichbar,  o  Herr.  (6485.)  Vom  Schicksal  abhangig  ist  diese 
ganze  Welt  in  Lust  und  Leid,  in  Werden  und  Vergehen. 

28.  Mag  einer  keine  Freunde  haben  oder  Freunde  haben, 
mag  er  Feinde  oder  Bundesgenossen  haben,  (6486.)  mag  er 
weise  sein  oder  der  Weisheit  bar,  sein  Gliick  empfangt  er 
durch  das  Schicksal. 

29.  Freunde  reichen  nicht  aus,  um  gliicklich,  Feinde 
reichen  nicht  aus,  um  ungliicklich  zu  machen;  (6487.)  Weis- 
heit reicht  nicht  aus,  um  reich,  Reichtum  reicht  nicht  aus, 
um  gliicklich  zu  werden. 

30.  Klugheit  geniigt  nicht  zur  Erlangung  von  Reichtum, 
Dummheit  hindert  nicht  am  Erfolg;  (6488.)  diesen  Verlauf  des 
Weltlaufes  begreift  der  Weise  und  nicht  der  Tor. 

31.  Den  Verstandigen  und  Mutigen,  den  Betorten  und 
Feigen,  den  Stumpfen  und  den  Weisen,  (6489.)  den  Schwach- 
ling  und  den  Starken,  wen  es  trifft,  dem  fallt  das  Gliick  in 
den  Schofs. 

32.  Die  Kuh  gehort  dem  Kalbe  und  dem  Hirten  und  dem 
Eigentiimer  und  dem  Diebe;  (6490.)  wer  die  Milch  von  ihr 
trinkt,  dem  gehort  die  Kuh,  das  ist  gewifs. 

33.  Die  Allertorichtesten  im  Leben  und  die  Allerweisesten, 
(6491.)  diese  haben  leicht  Erfolg,  aber  der  zwischen  beiden 
Stehende  hat  zu  leiden. 

34.  Der  weise  Mann  freut  sich  an  den  Extremen,  nicht 
freut  er  sich  an  dem  Mittelmafsigen.  (6492.)  In  der  Erlangung 
eines  Extrems  findet  man  das  Gliick,  das  Leid  liegt  zwischen 
den  beiden  Extremen. 


Adhy^ya  174  (B.  174).  115 

35.  Diejenigen  aber,  welche  zum  Gliicke  der  Erkenntnis 
gelangt,  iiber  die  Gegensatze  erhaben  und  frei  von  Selbst- 
sucht  sind,  (6493.)  diese  erschiittert  weder  Gliick  noch  Ungliick 
irgendwann. 

36.  Hingegen  diejenigen,  welche  noch  nicht  zur  Erkennt- 
nis gelangt,  aber  iiber  die  Stufe  der  Verworrenheit  schon 
hinausgeschritten  sind,  (6494.)  diese  sind  es,  welche  iibermafsig 
sowohl  Freude  als  audi  Qual  erfahren  miissen. 

37.  Die  Verworrenen  sind  immer  vergntigt,  wie  Gotter- 
scharen  im  Himmel,  (6495.)  vermoge  ihres  grofsen  Hochmutes 
und  ihres  Stolzes,  diese  Toren. 

38.  Die  Lust,  wenn  sie  in  Tragheit  besteht,  endigt  im 
Schmerz,  der  Schmerz,  wenn  er  in  Tatigkeit  besteht,  fiihrt 
zur  Lust,  (6496.)  mi  thin  wohnt  Gedeihen  und  Gliick  bei  dem 
Tatigen  und  nicht  bei  dem  Tragen. 

39.  Aber  mag  es  sich  nun  um  Lust  oder  um  Schmerz, 
um  Angenehmes  oder  Unangenehmes  handeln,  (6497.)  das 
Errungene  soil  man  als  ein  Errungenes  hochhalten  in  seinem 
Herzen  und  sich  nicht  niederzwingen  lassen. 

40.  Tausend  Anlasse  zu  Kummer  und  hundert  Anlasse 
zur  Furcht  (6498.)  beschleichen  Tag  fiir  Tag  den  Verworrenen, 
nicht  den  Weisen. 

41.  Wer  verstandig  ist,  Erkenntnis  gewonnen  hat,  naoh 
Schriftwissen  trachtet,  frei  von  Mifsgunst,  (6499.)  bezahmt  und 
Herr  seiner  Sinne  ist,  einen  solchen  Mann  beriihrt  der  Kum- 
mer nicht. 

42.  Auf  diese  Erkenntnis  stiitze  sich  der  Weise  und 
iiberwache  seine  Gedanken,  (6500.)  dann  kennt  er  den  Auf- 
gang  und  Untergang  der  Welt,  und  kein  Schmerz  kann  ihn 
anriihren. 

43.  Aus  welcher  Veranlassung  auch  immer  ein  Kummer 
entstehen  mag  oder  eine  Qual  oder  ein  Leid  (650i.)  oder  eine 
Gemiitsaufregung,  dasjenige,  woraus  sie  entspringen,  soil  man 
von  sich  abtun,  und  ware  es  ein  Glied  des  eigenen  Korpers 
(Ev.  Matth.  5,29). 

44.  Wo  irgend  etwas  ins  Werk  gesetzt  wird  aus  egoisti- 
scher  Gesinnung,  (6502.)  da  wird  man  diese  als  den  ganzen 
Inbegriff  des  Leidens  fmden. 


116  III.   Mokshadharma. 

45.  Was  man  auch  immer  an  Begierden  wegraumt,  ihr 
Raum  wird  von  Gliick  ausgefiillt.  (6503.)  Der  Mann  aber, 
welcher  hinter  den  Begierden  herlauft,  der  geht  auch  hinter 
den  Begierden  her  zugrunde. 

46.  Alles  Gliick,  was  aus  Erfiillung  der  Wiinsche  in  der 
Welt,  und  alles,  was  an  grorsem  Gliick  im  Himmel  sein  mag, 
(6504.)  alle  beide  wiegen  nicht  den  sechzehnten  Teil  des  Gliickes 
auf,  welches  in  der  Vernichtung  der  Begierde  ftrislmdj  besteht. 

47.  Alles  gute  Werk  und  alles  bose,  was  in  einer  friihern 
Verkorperung  begangen  worden  ist,  (6505.)  das  wird  einem 
jeden  zuteil,  sei  er  ein  Weiser  oder  ein  Tor  oder  ein  Held, 
so  wie  es  begangen  worden  ist. 

48.  In  dieser  Weise  fiirwahr  ist  alles,  das  Angenehme 
und  Unangenehme,  (6506.)  bei  den  Seelen  in  Umlauf  mit  Leid 
und  Lust. 

49.  Auf  diese  Erkenntnis  sich  stiitzend  sitzt  er,  der  Tiich- 
tige,  behaglich  da.  (6507.)  Vor  alien  Begierden  moge  er  sich 
hiiten,  die  Begierden  [C. :  den  Zorn]  moge  er  hinter  sich  werfen. 

50.  Er,  der  sich  im  Herzen  regt,  er,  der,  wenn  er  er- 
starkt  ist,  als  Tod  im  Geiste  lebt,  (esos.)  Zorn  ist  sein  Name, 
so  wird  er,  weilend  im  Leibe  der  Verkorperten,  von  den  Weisen 
genannt. 

51.  Wenn  einer  von  iiberallher  die  Begierden  in  sich  zu- 
sammenkrampft,  wie  die  Schildkrote  ihre  Glieder,  (6509.)  dann 
wird  er  als  das  Selbst  in  seinem  Selbste  das  Selbstlicht  schauen. 

52.  Wenn  einer  sich  vor  niemand  fiirchtet  und  niemand 
sich  vor  ihm  fiirchtet,  (65io.)  wenn  er  nicht  mehr  begehrt  und 
nicht  mehr  hafst,  dann  geht  er  in  das  Brahman  ein. 

53.  Wenn  er  beides  aufgibt,  das  Wahre  und  das  Un- 
wahre,  Schmerz  und  Freude,  Furcht  und  Mut,  wenn  er  Liebes 
und  Nichtliebes  hinter  sich  lafst ,  (65ii.)  dann  wird  er  be- 
ruhigten  Geistes  leben. 

54.  Wenn  er  als  weiser  Mann  alien  Wesen  keinerlei 
Ubles  zufiigt,  (6512.)  weder  in  Werken,  noch  in  Gedanken 
oder  Worten,  dann  geht  er  in  das  Brahman  ein. 

55.  Sie,  welche  von  Torichtgesinnten  schwer  aufgegeben 
wird,  sie,  welche  nicht  altert  mit  dem  Alternden ,  (esis.)  jene 
Krankheit,   welche  nur  mit  dem  Leben  selbst  zu  Ende  geht, 


Adhy&ya  174  (B.  174).  117 

es  ist  die  Begierde  ftrisJindJ;   wohl   dem,   der  sich  von  ihr 
befreit. 

56.  Dariiber  hort  man  die  Verse;  o  Fiirst,  die  einst  von 
der  Pingala  dariiber  gesungen  wurden,  (6514.)  wie  sie  in  der 
Zeit  des  Elends  zu  dem  ewigen  Gesetze  gelangte. 

57.  Als  namlich  die  Buhlerin  Pingala  beim  Stelldichein 
von  ihrem  Geliebten  im  Stiche  gelassen  worden  war,  (6515.)  da 
wufste  sie  in  ihrem  Elend  ihren  Geist  zur  Ruhe  zu  bringen. 

Pingala  sprach: 

58.  (6516.)  Ich  war  versessen  auf  einen  Geliebten,  der  nicht 
auf  mich  versessen  war,  und  habe  ihn  lange  Zeit  gehegt  im 
Innersten  als  meinen  Liebling,  aber  bisher  liatte  ich  ihn  nicht 
durchschaut. 

59.  (6517.)  Von  nun  an  werde  ich  das  Haus  mit  der  einen 
Saule  (dem  Rumpf)  und  den  neun  Toren  verschlossen  halten, 
denn  welche  konnte  jetzt  noch  von  dem  Geliebten,  wenn  er 
hierher  kame,  glauben,  dafs  er  ein  Geliebter  sei. 

60.  (6518.)  Ich  Hebe  nicht,  und  wenn  sie  unter  dem  Schein 
der  Liebe  kommen,  die  Schelme,  die  dem  Hollendamon  Naraka 
gleichenden,  so  sollen  sie  mich  nicht  wieder  betriigen,  ich 
bin  erweckt  worden,  ich  bin  wach. 

61.  (6519.)  Auch  Ungliick  kann  zum  Glilck  ausschlagen 
vermoge  des  Schicksals  oder  der  Werke  in  einer  friihern  Ge- 
burt;  ich  bin  erwacht,  ich  bin  frei  von  sinnlichen  Gestalten, 
ich  bin  jetzt  nicht  mehr  eine,  welche  die  Sinne  nicht  iiber- 
wunden  hatte. 

62.  (6520.)  Der  Hoffnungsfreie  schlaft  sanft,  Hoffnungs- 
freiheit  ist  das  hochste  Gliick,  denn,  die  Hoffnung  mit  Nicht- 
Hoffnung  vertauscht  habend ,  schlaft  ruhig  die  Pingala. 

Bhlshma  sprach: 

63.  (6521.)  Durch  diese  und  andere,  von  Griinden  begleitete 
Gesprache  des  Brahman  en  wieder  aufgerichtet ,  freute  sich 
der  Konig  Senajit  und  war  zufrieden. 

So  lautet  im  Mokshadharma 

die  ErzaUung  vom  Gesprache  des  Brahmauen  mit  Seuajit 

{brdhmana  -  Senajit  -  samvdda). 


118  III.   Mokshadharma. 

Adhyaya  175  (B.  175).* 

Vers  6522-6561  (B.  1-39). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (6522.)  In  dieser  hinfliefsenden  Zeit,  welche  den  Unter- 
gang  aller  Wesen  herbeifiihrt,  was  lafst  sich  da  als  das  Beste 
erreichen,  das  sage  mir,  o  Grofsvater. 

Bhishma  sprach: 

2.  (6523.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlicli  die  Unterredung  eines  Vaters  mit  seinem 
Sohne;  diese  vernimm,  o  Yudhishthira. 

3.  (6524.)  Ein  gewisser  Zwiegeborener,  o  Sohn  der  Pritha, 
welcher  seine  Freude  im  Vedastudium  fand,  hatte  einen  ver- 
standigen  Sohn,  welcher  Medhavin  (der  Verstandige)  mit  Na- 
men  hiefs. 

4.  (6525.)  Da  sprach  zu  seinem  an  der  Betreibung  des 
Vedastudiums  sich  erfreuenden  Vater  der  Sohn,  welcher  der 
Erlosung,  des  Guten  und  des  Nutzens  kundig  und  in  dem 
Wesen  der  Welt  erfahren  war. 

Der  Sohn  sprach: 

5.  (6526.)  Was  mufs  wohl,  o  Vater,  ein  weiser  und 
verstandiger  Mann  tun?  Denn  schnell  hinfallig  ist  das 
Leben  der  Menschen.  Das  sage  mir,  o  Vater,  wie  es 
sich  in  Wahrheit  verhalt,  in  richtiger  Ordnung,  damit 
ich  meine  Pflicht  erfiillen  kann. 

Der  Vater  sprach: 

6.  (6527.)  Mein  Sohn,  nachdem  einer  im  Stadium  des 
Brahmacarin  die  Veden  studiert  hat,  soil  er  Sohne  er- 
streben  zur  Siihnung  fiir  seine  Vater  und,  nachdem  er 
die  Feuer  angelegt  und  nach  Vorschrift  die  Opferhand- 
lungen  betrieben  hat,  soil  er  in  den  Wald  gehen  und 
sich  bemiihen,  ein  Muni  zu  werden. 


*  Nahezu  identisch  mit  Adhyaya  278. 


Adhyaya  175  (B.  175).  119 

Der  Sohn  sprach: 

7.  (6528.)  Da  die  Welt  so  heimgesucht  wird  und  vollig 
abgegrenzt  ist,  und  da  die  Nicht-Vergeblichen  dahinfliehen, 
was  redest  du  da,  als  warest  du  weise? 

Der  Vater  sprach: 

8.  (6529.)  Wie  soil  denn  die  Welt  heimgesucht  und  wo- 
durch  soil  sie  abgegrenzt  sein,  und  wer  sind  hier  die  Nicht- 
Vergeblichen,  welche  dahinfliehen?  Wovor  willst  du  mich 
bange  machen? 

Der  Sohn  sprach: 

9.  (6530.)  Vom  Tode  ist  die  Welt  heimgesucht,  ^urch  das 
Alter  wird  sie  abgegrenzt,  und  die  Tage  und  Nachte  sind  es, 
welche  dahinfliehen;  ist  dem  nicht  so?  Warum  begreifst  du 
das  nicht? 

10.  (6531.)  Und  die  Nachte  sind  es  ja  doch,  welche  als 
die  Nicht-Vergeblichen  [als  die  uns  altern  Machenden]  immer- 
fort  kommen  und  gehen.  Wo  ich  dieses  weifs,  dafs  namlich 
der  Tod  keinen  Stillstand  kennt,  (6532.)  was  kann  ich  mir 
davon  versprechen,  dafs  ich,  von  dem  [vedischen]  Wissen 
umhiillt,  dahinginge? 

11.  Wenn  es  wahr  ist,  dafs  das  Leben  immer  kiirzer 
wird,  indem  eine  Nacht  nach  der  andern  verstreicht,  (6533.)  dann 
diirfte  der  Einsichtige  weiter  audi  von  dem  Tage  finden,  dafs 
er  unfruchtbar  sei. 

12.  Wer  mochte  da  Freude  finden,  wo  er  doch  wie  ein 
Fisch  in  seichtem  Wasser  ist ;  (6534.)  noch  ehe  er  seine  Wiinsche 
erfiillt  sieht,  iiberkommt  den  Menschen  der  Tod. 

13.  Wie  einen  der  Blumen  pfliickt,  so  wird  ihn,  wahrend 
sein  Geist  anderswohin  gerichtet  ist,  (6535.)  der  Tod  be- 
schleichen,  wie  eine  Wolfin  das  Lamm,  und  mit  seinem 
Raube  davoneilen. 

14.  Heute  noch  tue,  was  zu  deinem  Besten  dient;  moge 
diese  Zeit  nicht  [ungenutzt]  iiber  dich  hinweggehen.  (6536.)  Denn 
ehe  noch  die  Aufgaben  erfiillt  sind,  reifst  einen  der  Tod  mit 
sich  fort. 

15.  Was  morgen  zu  tun  ist,  das  tue  man  lieber  heute, 
am  Vormittage  lieber,  was  nachmittags  zu  tun  ist,  (6537.)  denn 


120  ni.    Mokshadharma. 

der  Tod  wartet  nicht,  ob  einer  sein  Werk  vollendet  hat  oder 
nicht. 

16.  Denn  wer  weifs,  wessen  Todesstunde  lieute  sein  wird? 
(6538.)  Schon  der  Jiingling  gewohne  sich,  seine  Pflicht  zu  tun, 
denn  das  Leben  ist  verganglich.  Erfiillte  Pflicht  bringt  Ruhm 
auf  Erden  und  im  Jenseits  Gliicksehgkeit. 

17.  (6539.)  Denn  von  Verblendung  besessen  miiht  einer 
sich  ab  fiir  Weib  und  Kind;  aber  ob  er  dabei  das  Ziel  er- 
reicht  oder  nicht,  diesen  ganzen  Wohlstand  mufs  er  abgeben. 

18.  (6540.)  Wenn  der  Mensch  mit  Kindern  und  Herden 
gesegnet  ist  und  sein  Herz  daran  hangt,  dann,  wie  der  Tiger 
eine  schlarf'ende  Antilope,  holt  ihn  der  Tod. 

19.  (6541.)  Noch  ist  er  dabei,  zu  sammeln,  noch  sind  seine 
Begierden  nicht  gesattigt,  da,  wie  der  Tiger  ein  Stiick  Vieh 
raubt,  holt  ihn  der  Tod. 

20.  (6542.)  „Dies  ist  getan,  dies  mufs  getan  werden  und 
jenes  andere  ist  halb  getan",  so  ist  einer  in  Bestrebungen 
und  Befriedigungen  befangen,  da  unterwirft  ihn  sich  der  Tod. 

21.  (6543.)  Den  Menschen,  ehe  er  noch  die  Frucht  seiner 
getanen  Geschafte  einheimst,  ihn,  der  von  seinem  Geschafte 
den  Namen  tragt,  ihn,  der  sein  Herz  an  Pelder  und  Waren 
und  Hauser  hangt,  holt  der  Tod. 

22.  (6544.)  Mag  er  schwach  oder  stark  sein,  ein  Held  oder 
ein  Feigling,  dumm  oder  klug,  ihn,  ehe  er  noch  an  das  Ziel 
aller  seiner  Wiinsche  gelangt  ist,  holt  der  Tod. 

23.  (6545.)  Tod  und  Alter,  Krankheit  und  Leiden,  wie  sie 
aus  vielen  Ursachen  hervorgehen,  da  diese  dem  Korper  nach- 
stellen,  wie  kannst  du  da  unerschiittert  bleiben? 

24.  (6546.)  Jeden,  der  geboren  ist,  iiberkommen  am  Ende 
Tod  und  Alter ;  diesem  Paare  sind  alle  Wesen,  die  unbeweg- 
lichen  (Pflanzen)  und  beweglichen,  verfallen. 

25.  (6547.)  Eine  Pforte  fmukhamj  des  Todes  ist  die  Ge- 
schlechtslust  des  im  Dorfe  Wohnenden  [Grihastha],  aber  ein 
Sammelpunkt  der  Gotter  ist  der  Wald  [als  Aufenthalt  des 
Vanaprastha] ,  so  sagt  die  Schrift. 

26.  (6548.)  Ein  fesselnder  Strick  ist  die  Geschlechtslust 
des  im  Dorfe  Wohnenden.  Die  Guten  durchschneiden  ihn 
und  entkommen,  die  Bosen  durchschneiden  ihn  nicht. 


Adhyaya  175  (B.  175).  121 

27.  (6549.)  Wer  die  Kreaturen  nicht  verletzt,  weder  durch 
Gedanken,  noch  durch  Worte,  noch  durch  seinen  Korper,  der 
wird  auch  nicht  verletzt  von  Lebewesen,  welche  Leben  und 
Besitz  rauben  [nach  B.]. 

28.  (6550.)  Kein  Mensch  vermag  das  heranziehende  Heer 
des  Todes  jemals  zuriickzuschlagen  ohne  die  Wahrheit;  das 
Unwahre  mufs  man  aufgeben  [nach  B.],  denn  in  der  Wahr- 
heit ist  das  Unsterbliche  gegriindet. 

29.  (C551.)  Darum,  wer  im  Geliibde  der  Wahrheit  wandelt, 
Hingebung  an  die  Wahrheit  als  das  Hochste  hat,  in  wahrer 
UberHeferung  und  bestandiger  Bezahmung  verharrt,  der  iiber- 
windet  durch  die  Wahrheit  den  Tod.  •* 

30.  (6555.)  Beides,  das  Nicht -mehr-sterben-miissen  und 
das  Sterben-miissen,  hat  seine  Grundlage  in  der  Verkorperung; 
das  Sterben-miissen  kommt  von  der  Verblendung,  durch  die 
Wahrheit  kommt  das  Nicht-mehr-sterben-miissen. 

31.  (6553.)  Ich,  der  ich  niemanden  schadige,  nach  Wahr- 
heit verlange,  Begierde  und  Zorn  von  mir  abgetan  habe,  bei 
Leid  und  Lust  gleichmiitig  und  friedfertig  bin,  ich  werde 
von  dem  Tode  frei  werden,  wie  ein  Unsterblicher, 

32.  (6554.)  An  der  Beruhigung  als  Darbringung  mich  er- 
freuend,  bezahmt,  in  der  Verehrung  des  Brahman  beharrend, 
als  ein  Muni  Rede,  Gedanken  und  Werke  als  Opfer  dar- 
bringend,  so  werde  ich  auf  dem  Nordwege  der  Sonne  [dem 
Devayana]  dahingehen. 

33.  (6555.)  Wie  konnte  einer  wie  ich  mit  Totung  ver- 
bundene  Tieropfer  darbringen  wollen?  Wie  konnte  er  als 
weiser  Mann  endliche  Frucht  habende  Korperopfer  darbringen, 
als  ware  er  ein  blutgieriger  Damon? 

34.  (6556.)  Derjenige,  welcher  Worte  und  Gedanken  immer- 
fort  vollstandig  [im  Yoga]  versenkt  hat,  wer  Askese,  Ent- 
sagung  und  Wahrheit  besitzt,  der  wahrlich  erlangt  das  All. 

35.  (6557.)  Kein  Auge  kommt  der  Wissenschaft  gleich, 
keine  Askese  der  Wahrheit,  kein  Ungliick  kommt  der  Leiden- 
schaft,  kein  Gliick  der  Entsagung  gleich. 

36.  (6558.)  In  meinem  Selbste  durch  mein  Selbst  geboren, 
in  mir  selbst  feststehend,  auch  ohne  Nachkommen,  werde  ich 


122  III.    Moksliadharma. 

nur  in  dem  Selbste  leben,  Nachkommenschaft  hilft  mir  nicht 
zur  Rettung  (vgl.  Brih.  Up.  4,4,22). 

37.  (6559.)  Fiir  einen  Brahmanen  steht  kein  Reichtum 
so  hoch  wie  Einheit,  Gleichmut,  Wahrhaftigkeit ,  Giite, 
Festigkeit,  Nichtstrafen  und  Rechtschaffenheit  und,  nach 
und  nach,  in  ihrem  Gefolge  Abstehen  von  den  AVerken. 

38.  (6560.)  Was  sollen  dir  Reichtum,  was  Verwandte, 
was  sollen  dir,  o  Brahmane,  Weiber,  da  du  sterben  mufst? 
Den  Atman  suche,  der  in  die  Hohle  [des  Herzens]  ein- 
gegangen  ist.  Wohin  sind  deine  Vorvater  und  dein  Vater 
gegangen  ? 

Bhishma  sprach: 

39.  (6561.)  Wie  es  der  Vater  tat,  nachdem  er  dieses  Wort 
des  Sohnes  vernommen  hatte,  so  mogest  auch  du,  o  Fiirst, 
wandeln,  Wahrheit  und  Recht  fiir  das  Hochste  haltend. 

So  lautet  im  Mokshadharma  das  Gesprach  zwischen  Vater  und  Sohn 
(pitd-putra-samvdda). 


Adhyaya  176  (B.  176). 

Vers  6562-6585  (B.  1-23). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (6562.)  Die  Reichen  und  die,  welche  besitzlos  sind,  leben 
dahin ,  beide  in  ihrer  Weise.  Was  fiir  Freuden  und  Leiden 
ergeben  sich  daraus  fiir  sie  und  in  welcher  Weise? 

Bhishma  sprach: 

2.  (6563.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  welche  herriihrt  von  Qampaka,  der  schon  hie- 
nieden  erlost  und  zur  Ruhe  gelangt  war. 

3.  (6564.)  Einstmals  sprach  zu  mir  ein  gewisser  Brahmane, 
der  sich  der  Entsagung  ergeben  hatte,  und  der  von  einem 
bosen  Weibe,  von  schlechter  Kleidung  und  Hunger  geplagt  war : 

4.  (6565.)  Den  Menschen,  wie  er  hier  in  der  Welt  ent- 
standen,  treffen  von  Geburt  an  mancherlei  Leiden  und  Freuden. 


Adhyaya  176  (B.  176).  123 

5.  (6566.)  Was  audi  immer  von  diesen  beiden  ihn  auf  dem 
einen  oder  andern  Wege  geleiten  mag,  wenn  ihn  Freude  trifft, 
soil  er  sich  nicht  freuen,  wenn  ihn  Leid  trifft,  sich  nicht  be- 
schwert  fiihlen. 

6.  (G567.)  Du  gelangst  doch  nicht  zu  dem,  was  zu  deinem 
Heile  dient,  noch  dazu,  dafs  du  Herr  deiner  selbst  bist,  da 
du,  obgleich  [in  Wahrheit]  einen  begierdelosen  Atman  habend, 
das  Joch  eben  immerdar  zu  tragen  hast. 

7.  (6568.)  Wenn  du  als  besitzlos  umbers treiohst,  so  wirst 
du  es  dir  mit  Behagen  schmecken  lassen;  der  Besitzlose 
schlaft  behaglich  und  steht  ebenso  wieder  auf. 

8.  (6569.)  Besitzlosigkeit  ist  ein  Gliick  in  der  Welt,  sie 
ist  forderlich,  heilsam  und  vor  Krankheiten  schiitzend;  sie 
ist  der  wahre  Weg,  um  keine  Feinde  zu  haben,  der  so  schwer 
und  doch  wieder  so  leicht  zu  fmden  ist. 

9.  (6570.)  DemBesitzlosen,  Reinen,  injeder  HinsichtWohl- 
gewappneten,  —  wenn  ich  auf  alle  drei  Welten  blicke,  so  fmde 
ich  nichts  in  ihnen,  was  dem  gleichkame. 

10.  (6571.)  Die  Besitzlosigkeit  und  die  Konigsherrschaft 
habe  ich  auf  einer  Wage  gegeneinander  abgewogen;  die  Ar- 
mut  hatte  das  Ubergewicht  und  war  auch  der  Konigsherr- 
schaft an  Trefflichkeit  iiberlegen. 

11.  (6572.)  Zwischen  Besitzlosigkeit  und  Konigsherrschaft 
besteht  dieser  sehr  grofse  Unterschied,  dafs  der  Reiche  immer- 
fort  in  Angst  lebt,  als  hatte  ihn  schon  der  Tod  im  Rachen. 

12.  (6573.)  Uber  den  haben  nicht  das  Feuer,  nicht  wovor 
man  unversehrt  zu  bleiben  wiinscht,  nicht  der  Tod,  nicht  die 
Damonen  Gewalt,  wer  durch  Verzicht  auf  Besitz  sich  frei- 
gemacht  hat  und  ohne  Wiinsche  lebt. 

13.  (6574.)  Wahrlich,  wer  immer  nach  Belieben  herum- 
streicht,  ohne  Streu  schlaft,  mit  den  Armen  als  Kopfkissen 
und  ohne  Sorge,  den  preisen  die  Himmelsbewohner  gliicklich. 

14.  (6575.)  Der  Reiche,  besessen  von  Zorn  und  Habgier, 
von  Sinnen  gebracht,  mit  spahendem  Seitenblick,  vertrock- 
neten  Mundes,  bosartig  die  Brauen  zusammenziehend, 

15.  (6576.)  sich  auf  die  Lippen  beifsend,  zornmiitig,  von 
barscher  Rede,  —  wer  mochte  dem  gern  seine  Aufwartung 
machen,  auch  wenn  er  einem  die  ganze  Erde  schenken  wollte. 


124  ni.   Mokshadharma. 

16.  (6577.)  Das  fortwahrende  Zusammenwohnen  mit  dem 
Gliick  verblendet  einen  unverstandigen  Menschen;  das  Gliick 
fegt  seine  Besonnenheit  hinweg,  wie  der  Wind  die  Wolke  im 
Herbste. 

17.  (6578.)  Dann  packt  ihn  der  Schonheitsdiinkel  und  der 
Reichtumsdiinkel :  „ich  bin  hochgeboren,  ich  bin  vollkommen, 
ich  bin  ein  Ubermensch"  fndsmi  JcevalamdnushahJ. 

18.  (6579.)  Durch  die  genannten  drei  Ursachen  wird  sein 
Denken  in  Verwirrung  gebracht,  und  trotz  seinem  Haften 
[am  Irdischen]  verschleudert  er  die  von  den  Vorfahren  auf- 
gehauften  Genursmittel,  (6580.)  und,  heruntergekommen ,  halt 
er  es  fur  recht,  andern  das  Ihre  zu  rauben. 

19.  Und  nachdem  er  das  Mafs  iiberschritten  hat  und 
von  iiberallher  raubt,  (658i.)  verjagen  ihn  die  Konige,  wie  die 
Jager  mit  ihren  Pfeilen  ein  wildes  Tier. 

20.  So  geschieht  es,  dafs  diese  Leiden,  bald  diese,  bald 
jene,  hienieden  den  Menschen  (6582.)  in  mannigfacher  Weise 
anfallen,  wie  auch  die,  welche  aus  der  Antastung  seines  Leibes 
entspringen. 

21.  Aus  Einsicht  in  diese  iiberaus  grofsen  Leiden  moge 
man  sich  dem  Bettelstande  ergeben,  (6583.)  indem  man  ver- 
achtet,  was  in  der  Welt  Branch  ist  bei  den  Sicherstehenden 
und  bei  denen,  die  in  unsicherer  Lage  sind. 

22.  Wer  nicht  entsagt  hat,  kommt  nicht  zum  Gliick, 
wer  nicht  entsagt  hat,  kommt  nicht  zum  Hochsten,  (6584.)  wer 
nicht  entsagt  hat,  schlaft  nicht  in  sicherer  Ruhe,  entsage 
allem  und  sei  gliicklich. 

23.  So  wurde  dies  ehedem  in  Hastinapuram  mir  dar- 
gelegt  von  dem  Brahmanen  (6585.)  ^ampaka,  darum  halte  ich 
die  Entsagung  fiir  das  Hochste. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  &esang  des  Qamp&ka 

((^ampdka-gitd). 


Adhyaya  177  (B.  177).  125 

Adhyaya  177  (B.  177). 

Vers  6586-6639  (B.  1-54). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (6586.)  "Wenn  einer,  nach  grofsen  Dingen  strebend,  den 
Reichtum  nicht  erlangt  und  doch  von  Durst  nach  Reichtum 
beherrscht  wird,  was  mufs  der  tun,  um  gliicklich  zu  werden? 

Bhishma  sprach: 

2.  (6587.)  Wenn  einer  in  alien  Lagen  Gleichmut,  unauf- 
geregtes  Wesen  und  Wahrhaftigkeit,  o  Bharata,  dazu  Welt- 
verdrossenheit  und  Unternehmungslosigkeit  besitzt,  der  ist 
ein  gliickliclier  Mann. 

3.  (6588.)  Die  erwahnten  fiinf  Worte  wurden  von  den  Alten 
zur  Beruhigung  des  Gemiites  mitgeteilt;  das  ist  der  Himmel 
und  die  Gerechtigkeit ,  das  wird  fiir  das  allerhochste  Gliick 
gehalten. 

4.  (6589.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  was  aus  Weltiiberdrufs  Manki  vor- 
getragen  hat.     Das  vernimm,  o  Yudhishthira. 

5.  (6590.)  Manki  strebte  nach  Reichtum  und  war  in  diesem 
Streben  ein  Mai  ums  andere  Mai  gescheitert.  Da  kaufte  er 
mit  einem  geringen  Reste  seines  Vermogens  ein  Paar  junge 
Ochsen. 

6.  (6591.)  Diese  beiden  jungen  Ochsen  waren,  fest  mit- 
einander  verbunden,  ins  Freie  gebracht  worden,  um  ein- 
gefahren  zu  werden ;  da  rannten  sie  plotzlich  auf  ein  Kamel 
zu,  welches  gerade  kniete,  und  nahmen  es  in  die  Mitte. 

7.  (6592.)  Als  sie  sich  nun  an  die  Schultergegend  des  Ka- 
mels  herandrangten ,  wurde  dieses  ungeduldig,  sprang  auf, 
rifs  die  beiden  Ochslein  in  die  Hohe  und  lief  mit  grofser 
Geschwindigkeit  davon. 

8.  (6593.)  Da  nun  Manki  sah,  wie  seine  beiden  Ochslein 
von  dem  wiitenden  Kamel  fortgeschleppt  wurden  und  den 
Erstickungstod  starben,  da  sprach  er  folgendes  Wort: 

9.  (6594.)  Es  hilft  nichts,  nach  Reichtum  zu  streben,  der 
einem  vom  Schicksal  nicht  gegonnt  wird,   selbst  wenn  man 


126  in.   Mokshadharma. 

tiichtig   ist  und  mit  Glauben  ausgerustet  und  sein  Streben 
mit  aller  Macht  verfolgt. 

10.  (6595.)  Duroh  die  Kettung  an  das  Unheil  meiner  Werke 
in  einem  friihern  Dasein  habe  ich,  obgleich  mich  bemiihend, 
doch,  wie  ihr  seht,  da  es  mich  einmal  treffen  sollte,  das  vom 
Schicksal  verhangte  Ungliick  erlitten. 

11.  (6596.)  Dafs  es  [das  Kamel]  auf  ungliicklichem  Wege 
dahingeht,  indem  es  meine  Ochslein  immerfort  wiirgt,  dafs 
es  sie  in  die  Hohe  rifs  und  auf  einem  Abwege  davonlief,  das 
ist  ein  Verhangnis,  wie  die  Erschlagung  der  Krahe  durch 
die  Palmfrucht. 

12.  (6597.)  Wie  zwei  Schmuckstiicke  des  Kamels  baumeln 
meine  lieben  Ochslein;  es  ist  eine  Fiigung  des  Schicksals; 
wenn  das  Gewalt  braucht,  ist  die  Menschentat  fiir  nichts. 

13.  (6598.)  Aber  selbst  wenn  irgend  einmal  das,  was  man 
Menschentat  nennt,  in  Frage  kommen  sollte,  so  wird  sich 
auch  das,  wenn  man  weiter  nachforscht,  als  Schicksal  heraus- 
stellen. 

14.  (6599.)  Darum  mufs  einer,  der  hier  auf  der  Welt  gliick- 
lich  zu  werden  wiinscht,  sich  der  Weltentsagung  zuwenden; 
der  schlaft  ruhig,  wer  entsagt  und  die  Hoffnung  auf  Zwecke 
und  Mittel  aufgibt. 

15.  (6600.)  Ach,  wie  richtig  ist  das  von  Quka  gesagt 
worden,  als  er  sich  von  allem  losmachte  und  aus  dem  Hause 
seines  Vaters  in  den  grofsen  Wald  hinauszog! 

16.  (6601.)  Gesetzt,  einer  erlangte  alle  seine  Wiinsche, 
und  gesetzt,  einer  verzichtete  auf  sie  ganz  und  gar,  so  ist 
der  Erlangung  aller  Wiinsche  der  Verzicht  auf  dieselben  vor- 
zuziehen. 

17.  (6602.)  Noch  nie  ist  irgend  jemand  vordem  gelangt 
bis  zum  Ziel  seiner  Unternehmungsgeliiste ;  im  Leibe  und 
wahrend  des  Lebens  ist  bei  einem  Toren  der  Durst  ftrishndj 
bestandig  im  Wachsen. 

18.  (6603.)  Wende  dich  ab  von  den  Unternehmungs- 
geliisten,  beruhige  dich,  indem  du  entsagst,  o  Begehrhcher; 
mehr  als  einmal  bist  du  schon  angefiihrt  worden,  und  willst 
trotzdem  nicht  entsagen? 


Adliyaya  177  (B.  177).  127 

19.  (6604.)  Wenn  ich  [die  Begierde]  auch  nicht  bei  dir 
auszurotten  bin,  und  wenn  du  auch  in  dieser  Weise  an  mir 
dich  ergotzest,  so  maclie  mich  doch  nicht  torichterweise  aus 
Habsucht  zu  deinem  Bundesgenossen,  du  nach  Reichtum  Be- 
gehrender. 

20.  (6605.)  Immer  aufs  neue  haufst  du  Schatze  auf  und 
verlierst  sie  immer  wieder  und  wieder.  Schhefshch  mufst 
du  Tor  doch  einmal  das  Streben  nach  Reichtum  von  dir  ab- 
tun,  o  du  nach  Reichtum  Begehrender. 

21.  (6606.)  0  weh  liber  meine  [des  Begehrenden]  Torheit, 
der  ich  [o  Begierde]  dein  Spielzeug  gewesen  bin.  Mochte 
denn  wolil  jemals  in  dieser  Weise  ein  Mensch  sich  in  die 
Sklaverei  von  anderen  begeben? 

22.  (6607.)  Noch  niemals  haben  friiher  oder  spater  Lebende 
die  Grenze  der  Begierden  erreicht;  aber  nachdem  ich  alle 
Unternehmungsgeliiste  habe  fahren  lassen,  bin  ich  erweckt 
worden  und  bin  jetzt  wach. 

23.  (6608.)  Gewifs  ist  dein  Herz,  o  Kama  (Begierde),  von 
diamantener  Harte,  da  es,  von  hundert  Ungliicksf alien  ge- 
troffen,  nicht  in  hundert  Stiicke  zerspringt. 

24.  (6609.)  Ich  kenne  dich  sehr  wohl,  o  Kama,  und  alles, 
was  dir  lieb  ist;  solange  ich  danach  trachte,  was  dir  lieb 
ist,  fmde  ich  nicht  in  mir  selbst  das  Gllick. 

25.  (6610.)  0  Kama,  ich  kenne  deine  Wurzel,  du  ent- 
springst  aus  dem  Verlangen;  ich  werde  nach  dir  kein  Ver- 
langen  haben,  und  du  wirst  keine  Wurzeln  bei  mir  schlagen. 

26.  (6611.)  Das  Trachten  nach  Reichtum  ist  nicht  be- 
gliickend,  und  hat  man  ihn  erlangt,  so  ist  die  Sorge  nur  um 
so  grofser  geworden ;  das  Entbehren  des  erlangten  ist  [bitter] 
wie  der  Tod,  mag  man  ihn  verloren  oder  gar  nicht  gehabt 
haben. 

27.  (6612.)  Entgeht  er  uns  [paritydge  mit  B.],  so  erreichen 
wir  nicht,  was  wir  wiinschen,  und  was  konnte  schmerzlicher 
als  das  sein!  Haben  wir  ihn  aber  erlangt,  so  sind  wir  doch 
nicht  zufrieden  und  begehren  immer  weiter. 

28.  (6613.)  Besitz  ist  nur  dursterregend,  siiTs  wie  das  Wasser 
der  Gaiiga,  aber  dies  fiihrt  zu  meinem  Verderben ;  ich  bin  er- 
wacht;  —  entsage! 


128  in.   Mokshadharma. 

r 

29.  (6614.)  Die  Schar  von  Wesen,  welche  diesen  meinen 
Leib  umdrangt,  die  moge  sich  fortscheren ,  wohin  sie  will, 
und  bleiben,  wo  es  ihr  beliebt. 

30.  (6615.)  Ich  habe  bier  keine  Freude  mehr  an  euch,  die 
ihr  mich  mit  Begierde  und  Verlangen  beschleicht;  darum. 
streife  ich  alle  Begierden  von  mir  ab  und  nehme  meine  Zu- 
flucht  zur  Wahrheit. 

31.  (6616.)  Alle  Wesen  in  meinem  Leibe  sehend  und  in 
dem  Herzen  meiner  selbst,  und  die  Erkenntnis  im  Yoga, 
die  Wahrheit  in  der  Schrift,  das  Herz  im  Brahman  fest- 
haltend, 

32.  (6617.)  werde  ich  meine  Zeit  hinbringen  ohne  Anhang- 
lichkeit,  gliicklich,  nicht  mehr  an  der  Welt  krankend,  so  dafs 
du  [o  Begierde]  mich  nicht  mehr  so  wie  friiher  in  Schmerzen 
versenken  wirst. 

33.  (6618.)  Fiir  mich,  der  ich  von  dir  herumgestofsen 
wurde,  gibt  es  keinen  andern  Ausweg,  denn  du,  o  Kama, 
bist  allezeit  die  Quelle  von  Durst,  Kummer  und  Miihsal. 

34.  (6619.)  Verliert  man  sein  Vermogen,  so  kommt  ein 
noch  argeres  Leid  dazu,  schlimmer,  wie  ich  glaube,  als  alles 
andere,  indem  die  Verwandten  und  Freunde  den,  der  sein 
Vermogen  verloren  hat,  verachten. 

35.  (6620.)  Aber  schlimmer  noch  als  tausend  Verachtungen 
sind  die  dem  Reichtum  anhaftenden  libel,  und  das  bifschen 
Gliick,  was  im  Reichtum  steckt,  auch  das  wird  nur  unter 
Leiden  gespendet. 

36.  (6621.)  Er  hat  Geld,  so  denkend  von  einem  Menschen, 
erschlagen  ihn  mit  Vorliebe  die  Rauber;  sie  qualen  ihn  mit 
mancherlei  Martern  und  halten  ihn  immerfort  in  Angst. 

37.  (6622.)  Die  Begehrlichkeit  nach  Reichtum  ist  ein  Leiden, 
davon  habe  ich  mich  schon  lange  iiberzeugt;  was  du  auch 
immer  vornehmen  magst,  es  sei  was  es  wolle,  darin  stofst 
du  auf  Hindernisse. 

38.  (6623.)  Du  kennst  das  wahre  Wesen  nicht  und  bist 
ein  Tor,  schwer  zu  befriedigen,  ein  unersattliches  Feuer;  du 
weifst  nicht  mehr  zu  unterscheiden ,  was  leicht  zu  erlangen 
und  was  schwer  zu  erlangen  ist. 

39.  (6624.)   0  Kama,  wie  eine  schwer  zu  sattigende  HoUe 


Adhyaya  177  (B.  177).  129 

willst  du  mich  in  Leiden  verstricken,    aber  jetzt  kann  ich 
nicht  noclimals  ein  von  dir  Besessener  werden. 

40.  (0625.)  Zur  Weltentsagung  habe  ich  mich  gewendet, 
weil  ich  durch  Zufall  verier,  was  mein  war;  nachdem  ich 
vollkommene  Enthaltung  von  allem  Tun  erlangt  habe,  brauche 
ich  nicht  mehr  Begierden  nachzutrachten. 

41.  (6626.)  Ubergrofse  Plagen  iiberwinde  ich  dadurch;  ich 
denke  nicht  mehr  wie  ein  Unverstandiger,  sondern  herunter- 
gebracht  durch  den  Verlust  meines  Besitzes,  ruhe  ich,  am 
ganzen  Leibe  ohne  Beschwerde. 

42.  (6627.)  Ich  gebe  dich  auf,  o  Kama,  indem  ich  alle 
Herzenswiinsche  fahren  lasse,  weiterhin  wirst  du,  o  Kama, 
keine  Wohnung  in  mir,  keine  Freude  an  mir  finden. 

43.  (6628.)  Wenn  sie  mich  schmahen,  werde  ich  geduldig 
sein,  werde  nicht  wieder  verletzen,  wenn  ich  verletzt  werde; 
bin  ich  bei  Feinden,  so  werde  ich  Freundhches  reden  und 
ihrer  Unfreundlichkeit  keine  Beachtung  schenken. 

44.  (6629.)  Zufrieden,  mit  gefesteten  Sinnen  und  immer 
lebend  als  hatte  ich  erreicht,  was  ich  wollte,  so  seiend,  werde 
ich  nicht  tun,  was  du  wiinschest,  o  Kama,  der  du  mein 
Feind  bist. 

45.  (6630.)  Weltentsagung,  Heiterkeit  des  Gemiits,  Zu- 
friedenheit,  Ruhe,  Wahrhaftigkeit,  Bezahmung,  Geduld  und 
Mitleid  mit  alien  Wesen,  die,  wisse,  habe  ich  erreicht. 

46.  (6631.)  Darum  sollen  Wunsch,  Begierde,  Durst  und 
Jammer  von  mir  weichen,  der  ich  Grund  gefunden  habe,  denn 
jetzt  habe  ich  mich  gegriindet  auf  die  Wahrheit. 

•  47.  (6632.)  Aufgebend  Wunsch  und  Begierde,  habe  ich 
nunmehr  das  Gliick  gefunden;  von  nun  an  werde  ich  nicht 
mehr  unter  der  Herrschaft  der  Begierde  stehen  und  Schmerz 
■erleiden  als  Nicht-Herr  meiner  selbst. 

48.  (6633.)  Soweit  einer  mit  den  Begierden  aufraumt,  so- 
weit  fiillt  sich  ihr  Platz  mit  Gliick;  wer  unter  der  Herrschaft 
der  Begierde  steht,  der  gerat  immerfort  in  Leiden. 

49.  (6634.)  Alle  mit  Begierde  verkniipfte  Leidenschaft 
{rajasj^  die  ein  Mensch  von  sich  abstofst,  ist  aus  Begierde 
^nd  Zorn  entspringendes  Leiden,  ist  Schamlosigkeit  und 
Freudlosigkeit. 

Dkusben,  Mah&bh&ratam.  9 


130  HI.    Mokshadharma. 

50.  (6635.)  Ich  habe  in  Brahman  meinen  Grund  gefunden, 
Ibin  wie  ein  kiihles  Wasser  mitten  in  der  Sommerhitze,  ich 
bin  beruhigt,  volhg  ausgeloscht  fparinirvdmij ,  lauter  Gliick 
umfangt  mich. 

51.  (6636.)  Was  in  der  Welt  vorhanden  ist  an  Gluck,  das 
aus  der  Lust  entspringt,  und  was  an  grofsem  himmhschem 
Gliicke  vorhanden  ist,  diese  wiegen  alle  beide  nicht  den  sech- 
zehnten  Teil  auf  von  dem  Gliick,  welches  aus  Vernichtung 
des  Durstes  ftrishndj  entspringt. 

52.  (6637.)  Den  Kama  als  selbsiebenten  und  argsten  Feind 
niedergeworfen  habend,  werde  ich  die  unbezwingliche  Burg 
des  Brahman  erobern  und  gliicklich  wie  ein  Konig  in  ihr  sein. 

53.  (6638.)  Zu  dieser  Erkenntnis  gelangend,  erreichte  Maiiki 
die  Weltentsagung ,  indem  er  auf  alle  Begierden  verzichtete 
und  das  Brahman  als  grofses  Gliick  erreichte. 

54.  (6639.)  Weil  ihm  seine  Ochslein  verloren  gingen,  ge- 
langte  damals  Maiiki  zur  Unsterblichkeit ;  er  schnitt  die  Wurzel 
der  Begierde  durch,  damit  erlangte  er  grofses  Gliick. 

So  lautet  im  Mokshadbarma  der  Gesang  des  Maiiki 
(Manki-gitd). 


Adhyaya  178  (B.  178). 

Vers  6640-6652  (B.  1-13). 

Bhishma  sprach: 

1.  (6640.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  welche  vorgetragen  wurde  von  Janaka,  dem  Konig 
der  Videha's,  da  er  zur  Ruhe  gelangt  war. 

2.  (6641.)  Unendlich  fiirwahr  ist  mein  Reichtum,  dieweil 
ich  gar  nichts  besitze;  selbst  wenn  Mithila  in  Flammen  auf- 
geht,  gibt  es  nichts  mehr,  was  mir  verbrennen  konnte. 

3.  (6642.)  Hierbei  fiihrt  man  auch  die  Sammlung  von  Merk- 
wortern  des  Bodhya  an,  welche  zum  Zwecke  der  Entsagung 
vorgebracht  worden  war;  diese  vernimm,  o  Yudhishthira. 

4.  (6643.)  Der  Konig  Nahusha  befragte  den  zur  Ruhe  ge- 
langten  Weisen  Bodhya,  der  aus  Uberdrufs  an  der  Welt  zur 


Adhy^ya  178  (B.  178).  131 

Ruhe   gekommen   war   und    die  Erkenntnis    der  Lehrbiicher 
satt  hatte: 

5.  (6644.)  Belehre  mich,  o  grofser  Weiser,  iiber  die  Unter- 
weisung  der  Beruhigung,  und  welcher  Erkenntnis  du  nach- 
gesonnen  hast,  durch  die  du  so  ruhig  und  heiter  dahingehst. 

Bodhya  sprach: 

6.  (6645.)  Mit  Unterweisung  befasse  ich  mich  nicht  und 
belehre  auch  niemand  hienieden,  aber  ein  Merkwort  fiir  die- 
selbe  will  ich  dir  sagen,  das  moge  von  dir  selbst  weiter  iiber- 
dacht  werden. 

7.  (6646.)  Die  Pingala,  der  Seeadler,  die  Schlange,  das 
Weiden  der  Antilopen  im  Walde,  der  Pfeilschnitzer ,  das 
Madchen,  diese  sechs  sind  meine  Lehrer. 

Bhishma  sprach: 

8.  (6647.)  Die  Hoffnung,  o  Konig,  tut  uns  Gewalt  an,  Frei- 
heit  von  Hoffnung  ist  das  hochste  Gltick;  die  Hoffnung  zur 
Nichthoffnung  gemacht  habend,  schlaft  Piiigala  sanft  [vgl. 
Sankhya- Sutra  4,11]. 

9.  (6648.)  Als  ein  Seeadler  einen  andern  Seeadler  sah,  der 
sich  eines  Fleischstiickes  bemachtigt  hatte  und  von  solchen, 
die  ohne  Beute  waren,  getotet  wurde,  da  verzichtete  er  auf 
die  Beute  und  lebte  gliicklich  weiter  [ahnlich,  aber  anders 
ib.  4,5  und  Bhagavata-Puranam  11,9,2]. 

10.  (6649.)  Das  Bauen  eines  Hauses  macht  Not  und  nie- 
mals  Freude ;  die  Schlange  schlupfte  in  das  von  einem  andern 
gebaute  Haus  und  lebt  gliicklich  [vgl.  Sankhya- Sutra  4,12]. 

11.  (6650.)  Gliicklich  leben  die  Einsiedler,  welche  sich  an 
die  Ernahrung  durch  Erbetteltes  halten,  ohne  dafs  sie  irgend- 
einem  Wesen  ein  Leid  an  tun,  wie  die  Antilopen,  wie  die  Vogel. 
[Der  Kommentar  denkt  bei  sdranga  an  Bienen,  vielleicht  mit 
Riicksicht  auf  ib.  4,13,  Bohtlingk  an  eine  Vogelart.] 

12.  (6651.)  Ein  Mann,  der  einen  Pfeil  schnitzte,  hatte  seinen 
Geist  so  sehr  auf  den  Pfeil  gerichtet,  dafs  er  sogar  den  Konig, 
der  nahe  an  ihm  vorbeiging,  nicht  bemerkte  [ib.  4,14  und 
Qahkara  zu  Vedanta-Sutra  3,2,10,  unsere  Ubersetzung  S.  517], 


132  ni.  Mokshadharma. 

13.  (6652.)  Wo  viele  sind,  da  entsteht  immer  Streit,  wo 
zwei  sind,  ist  die  Unterredung  gesichert;  ich  werde  mich  fiir 
mich  allein  halten,  wie  die  kleine  Muschel  des  Madchens 
[welches  ihr  Muschelarmband  bis  auf  eine  Muschel  entfernte, 
damit  ihre  Gaste,  fiir  welche  sie  Reis  zerstampfte,  nicht  durch 
das  Geklapper  gestort  wiirden;  vgl.  Saiikhya- Sutra  ib.  4,9 
und  Nilakantha  zu  unserer  Stelle,  der  schon  die  Geschichte 
ahnlich  erzahlt,  wie  sie  Garbe  laut  seiner  deutschen  Uber- 
setzung  der  Saiikhya- Sutra's  p.  254  aus  dem  Kreise  der 
Benares -Pandit's  miindlich  sich  berichten  liefs]. 

>  So  lautet  im  Mokshadharma  der  Gesang  des  Bodhya 

(Bodhya-gitd). 


Adhyaya  179  (B.  179). 

Vers  6653-6689  (B.  1-37). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (6653.)  Durch  welchen  Wandel,  o  du  des  Wandels 
Kundiger,  kann  einer  frei  von  Kummer  auf  der  Erde  leben, 
und  was  mufs  ein  Mann  in  der  Welt  tun,  damit  er  zu  dem 
hochsten  Wege  gelange? 

Bhishma  sprach: 

2.  (6654.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Unterredung  des  Prahrada  und  des 
Einsiedlers  Ajagara. 

3.  (6655.)  Einen  gewissen  umherpilgernden  Brahmanen, 
von  tiichtigen  Gedanken  und  frei  von  Ungemach,  befragte 
der  Konig  Prahrada,  er,  der  Verstandige,  den  um  seines  Ver- 
standes  Willen  Geschatzten. 

Prahrada  sprach: 

4.  (6656.)  Auf  dich  selbst  gegriindet,  kraftig  [C.  und  Nil. : 
reinj,  milde,  bezahmt,  ohne  Neuerungssucht  und  ohne  Mifs- 
gunst,  wohlberedt,  selbstbewufst  und  verstandig,  so  ziehst 
du,  weiser  Mann,  dahin,  einem  Kinde  gleich. 


Adhyaya  179  (B.  179).  133 

5.  (6657.)  Du  verlangst  nach  Geschenken  und  bist  audi 
nicht  bekiimmert,  wenn  man  dir  nichts  schenkt,  und,  allezeit 
zufrieden,  o  Brahmane,  verachtest  du  nichts  (avamanyasej. 

6.  (6658.)  Und  wahrend  die  Geschopfe  durch  den  Strom 
des  Lebens  fortgerissen  werden,  erscheinst  du  wie  einer,  der 
sich  keine  Gedanken  dariiber  macht,  und  der  iiber  das 
Streben  nach  dem  Guten,  Angenehmen  und  NiitzHchen  er- 
haben  ist. 

7.  (6659.)  Nicht  bist  du  her  hinter  dem  Guten  und  Niitz- 
Hchen, und  nicht  bewegst  du  dich  im  Angenehmen;  unbe- 
kiimmert  um  die  Sinnendinge  gehst  du  dahin,  frei  wie  ein 
blofser  Zuschauer  fsakshinj. 

8.  (6660.)  Welches  ist  deine  Weisheit,  deine  Schriftgelehr- 
samkeit,  dein  Lebenswandel ,  o  Einsiedler?  Das  sage  mir 
geschwind,  o  Brahmane,  und  was  du  hienieden  fur  das 
Heil  haltst. 

Bhishma  sprach: 

9.  (6661.)  Nachdem  der  auf  die  Gesetzmafsigkeit  in  der 
Welt  sich  verstehende  Weise  also  befragt  worden  war,  sprach 
er  zu  Prahrada  mit  geschmeidiger,  zielbewufster  Rede  wie  folgt : 

10.  (6662.)  Siehe,  o  Prahrada!  iiber  die  Entstehung  der 
Wesen,  wie  sie  zwecklos  erfolgt,  iiber  ihr  Schwinden,Wachsen 
und  Vergehen  empfmde  ich  weder  Freude  noch  Aufregung. 

11.  (6663.)  Als  aus  Naturnotwendigkeit  hervorgehend  mufs 
man  alle  Entstehungen  betrachten,  und  aus  Naturnotwendig- 
keit gehen  sie  alle  zugrunde,  ich  empfmde  keine  Freude  iiber 
irgend  etwas. 

12.  (6664.)  Siehe,  o  Prahrada,  die  Verbindungen,  wie  sie 
auf  Trennungen  hinauslaufen ,  und  die  Sammlungen,  wie  sie 
mit  Verlorengehen  endigen!  Ich  hange  mein  Herz  nicht  an 
irgend  etwas. 

13.  (6665.)  Wenn  einer  sieht,  wie  die  trefflich  ausgestatteten 
Wesen  zugrunde  gehen,  wenn  einer  das  Entstehen  und  Ver- 
gehen beobachtet,  was  bleibt  ihm  da  librig,  was  er  wohl  tun 
mochte  ? 

14.  (6666.)  Auch  bemerke  ich,  wie  nacheinander  auch  die 
Wassertiere  zugrunde  gehen,  die  grofsen  sowohl  wie  die  kleinen 
Leiber  in  dem  grofsen  Ozean. 


134  ni.   Mokshadharma. 

15.  (66G7.)  Fiir  die  beweglichen  und  unbeweglichen  Wesen, 
o  Gebieter  der  Damonen,  welche  auf  der  Erde  leben,  sehe  ich 
deutlich  den  Tod,  der  ihnen  von  alien  Seiten  droht. 

16.  (6668.)  Und  auch  den  die  Luft  durchstreifenden  Vogeln, 
o  Bester  der  Danava's,  steht,  wenn  die  Zeit  kommt,  der  Tod 
bevor,  wenn  sie  auch  noch  so  stark  sind. 

17.  (6669.)  Und  auch  die  am  Himmel  hinwandelnden  Lichter, 
die  kleinen  wie  die  grofsen,  sehe  ich  herabstiirzen,  wenn  die  Zeit 
gekommen  ist  (vgl.  Maitr.Up.1,4.  Sechzig  Upanishad's  S.  317). 

18.  (6670.)  Indem  ich  sah,  wie  die  Wesen  von  dem  Tode 
verfolgt  werden,  gelangte  ich  als  Wissender,  der  das  Ziel 
erreicht  hat,  zur  Erkenntnis  von  der  Gleichheit  aller  Wesen 
und  schlafe  nun  ruhig. 

19.  (6671.)  Auch  einen  grofsen  Schmaus,  wenn  ich  ihn 
zufallig  erlange,  lasse  ich  mir  sphmecken,  und  wiederum  liege 
ich  viele  Tage  da,  ohne  etwas  zu  essen. 

20.  (6672.)  Man  bietet  mir  manchmar  vortreffliche  und 
reichliche  Nahrung  an,  manchmal  mafsige,  manchmal  spar- 
liche,  und  manchmal  kommt  es  iiberhaupt  nicht  dazu. 

21.  (6673.)  Manchmal  kaue  ich  an  Kornern,  oder  ich  esse 
Olkuchen  oder  verzehre  Reis  und  Fleisch,  vornehme  und  ge- 
ringe  Nahrung,  wie  es  kommt. 

22.  (6674.)  Manchmal  liege  ich  auf  einem  Polster,  und 
dann  wieder  schlafe  ich  auf  der  Erde,  manchmal  wird  mir 
auch  ein  Bett  in  einem  Palaste  zuteil. 

23.  (6675.)  Ich  kleide  mich  in  Lumpen,  in  hanfene  oder 
leinene  Kleider  oder  in  Tierfelle,  und  gelegentlich  trage  ich 
sehr  kostbare  Gewander. 

24.  (6676.)  Wenn  mir  ein  erlaubter  Genufs  zufallig  sich 
bietet,  so  verschmahe  ich  ihn  nicht,  trachte  ihm  aber  auch 
nicht  nach,  wenn  er  schwer  zu  erlangen  ist. 

25.  (6677.)  Den  Unerschiitterlichen ,  Unverganglichen, 
Seligen,  Kummerlosen,  Reinen,  Unvergleichlichen ,  im 
Geiste  der  Weisen  Weilenden,  von  den  Toren  nicht  Ge- 
liebten  und  nicht  Gesuchten,  —  dieser  Losung  des  Aja- 
gara  folge  ich  in  Reinheit. 

26.  (6678.)  Der  in  seinem  Denken  Unentwegte,  Un- 
erschiitterliche ,    nach    eigener    Satzung    seinen    Wandel 


Adhy^ya  179  (B.  179).  135 

Regelnde,  das  Hochste  und  Tiefste  Kennende,  von  Furcht, 
Leidenschaft,  Begierde  und  Verblendung  Freie,  —  dieser 
Losung  des  Ajagara  folge  ich  in  Reinheit. 

27.  (6679.)  Ihn,  welcher  nicht  [wie  die  individuellen 
Wesen]  den  Genufs  einer  bestimmten  Frucht  [der  Werke] 
zu  essen  und  zu  trinken  hat,  ihn,  der  nur  vermoge  der 
Umwandlung  durch  die  Schopfung  in  Raum  und  Zeit 
zerteilt  wird,  den  Herzerfreuenden ,  von  Unedeln  nicht 
Verehrten,  —  dieser  Losung  des  Ajagara  folge  ich  in 
Reinheit. 

28.  (6680.)  Den  Menschen,  welcher  von  der  Begierde 
ftrishndj  bald  nach  diesem,  bald  nach  jenem  iiberwaltigt 
wird,  und  welcher,  wenn  er  nicht  zu  Reichtum  kommt, 
verzweifelt,  wenn  man  einen  solchen  durch  Erkenntnis 
der  wahren  Wesenheit  weise  sich  vor  Augen  fiihrt,  — 
dieser  Losung  des  Ajagara  folge  ich  in  Reinheit. 

29.  (6681.)  Wenn  man  vielfach  beobachtet,  wie  auf 
dieser  Welt  um  des  Gel  des  willen  in  jammerlicher  AVeise 
der  edle  Mensch  sich  an  den  unedeln  hangt,  und  wenn 
man  sodann  im  Lichte  der  Seelenruhe  seiner  selbst  sich 
bewufst  und  ruhig  bleibt,  —  dieser  Losung  des  Ajagara 
folge  ich  in  Reinheit. 

30.  (6682.)  Lust  und  Leid,  Verlust  und  Gewinn  des 
Vermogens,  Vergniigen  und  Mifsvergniigen,  Sterben  und 
Leben,  all  das  erkenne  ich  in  Wahrheit  als  vom  Schick- 
sal  verhangt,  —  dieser  Losung  des  Ajagara  folge  ich  in 
Reinheit. 

31.  (6683.)  Wenn  ich  frei  von  Furcht,  Leidenschaft, 
Verblendung  und  Stolz,  begabt  mit  Festigkeit,  Einsicht 
und  Verstand,  beruhigt  beobdchte,  wie  die  Menschen  die 
zur  Reife  gekommene  Werkfrucht  geniefsen,  —  dieser 
Losung  des  Ajagara  folge  ich  in  Reinheit. 

32.  (6684.)  Indem  ich  ohne  festes  Lager  und  festen  Sitz, 
durch  Naturanlage  schon  mit  Bezahmung,  Selbstiiber- 
windung,  Geliibde,  Wahrheit  und  Reinheit  begabt  und 
von  der  Anhaufung  der  Werkfrucht  befreit,  mich  dessen 
freue,  —  dieser  Losung  des  Ajagara  folge  ich  in  Reinheit. 


136  III.   Mokshadharma. 

33.  (6685.)  Wenn  ich  sehe,  wie  einer  sich  liinreifsen 
lafst,  um  dem  Leiden  zu  entgehen,  von  Gegenstanden 
des  Strebens,  wahrend  ich  die  Erkenntnis  eriangt  habe 
und  in  mir  selbst  feststehe  (lies:  dtmasamsthah),  wahrend 
jener  von  Durst  erfiillt  ist  und  ohne  die  Macht,  sein 
Manas  zu  ziigeln,  —  dieser  Losung  des  Ajagara  folge 
ich  in  Reinheit. 

34.  (6686.)  Als  ich,  meinem  Herzen  nebst  Rede  und 
Verstand  nicht  nachgebend,  die  Schwererreichbarkeit  von 
Liebem  und  Lust  und  ihre  VergangHchkeit,  dieses  beides 
iiberschaute ,  —  dieser  Losung  des  Ajagara  folge  ich  in 
Reinheit. 

35.  (6687.)  Jenes  von  den  Verstandigen  vielfach  Be- 
sprochene  und  auch  von  den  Dichtern,  die  den  Ruhm 
des  Atman  verkiindigen,  die  das  Tiefe  erforschen  durch 
eigenes  und  fremdes  Denken  und  erkennen,  wie  das  eine 
hier  und  das  andere  dort  ist, 

36.  (6688.)  indem  ich  dieses  iiberblickte  und  zugleich 
den  Abgrund,  welchem  unverstandige  Menschen  auf  dieser 
Welt  zueilen,  so  freue  ich  mich  unter  den  Menschen  iiber 
das  Unendliche,  welches  das  jenseitige  Ufer  endloser 
Siinde  ist,  ich,  der  ich  Siinde  und  Begierde  im  Zaume 
halte. 

Bhishma  sprach: 

37.  (6689.)  Wer  hier  als  ein  hochsinniger  Mann  die 
von  Ajagara  befoTgte  Losung  sich  zur  Richtschnur  nimmt, 
indem  er  seine  Leidenschaft  ziigelt,  der  fiirwahr  wird, 
frei  von  Furcht,  Begierde,  Verblendung  und  Zorn,  im 
Gliick  diesen  Wandel  befolgen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  des  Ajagara  mit  Frahi&da 
(Ajagara  -  Prahrdda  -  samvdda). 


Adhyaya  180  (B.  180).  137 

Adhyaya  180  (B.  180). 

Vers  6690-6744  (B,  1-54). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (6690.)  Verwandte,  Tatigkeit,  Keichtum  oder  Wissen, 
welches  von  diesen  dient  hienieden  dem  Menschen  als  Stiitze, 
o  Grofsvater  ?  Das  sollst  du  mir,  dem  Fragenden,  beantworten. 

Bhishma  sprach: 

2.  (6691.)  Das  Wissen  ist  die  Stiitze  der  Wesen,  das  Wissen 
gilt  als  hochster  Gewinn,  das  Wissen  ist  das  Allerbeste  auf 
der  Welt,  das  Wissen  gilt  den  Guten  als  Himmel. 

3.  (6692.)  Durch  Wissen  gelangte  ja  auch  Bali  zu  Reich- 
tum,  als  seine  Herrlichkeit  zertriimmert  war,  und  ebenso 
Pralirada,  Namuci  und  Maiiki;  was  gibt  es  Hoheres  als  das 
Wissen  ? 

4.  (6693.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Unterredung  zwischen  Indra  und 
KaQyapa.    Diese  vernimm,  o  Yudhishthira. 

5.  (6694.)  Ein  gewisser  Vai^ya  hatte  mit  seinem  Wagen 
den  Kagyapa,  der  ein  scharfes  Geliibde  beobachtete,  den  Sohn 
eines  Rishi,  zu  Fall  gebracht,  er,  der  Reiche  und  Stolze  den 
Asketen. 

6.  (6695.)  Dieser,  gequalt,  da  er  hingefallen  war,  sprach 
darauf,  im  Zorne  sich  selbst  vergessend:  „Ich  will  sterben, 
fiir  einen  Armen  hat  das  Leben  auf  dieser  Welt  keinen  Zweck." 

7.  (6696.)  Als  er  nun  so,  zu  sterben  verlangend,  dasafs, 
lautlos  und  ohne  Gedanken,  da  nahte  ihm  Indra  in  Schakal- 
gestalt  und  redete  den  in  seinem  Geiste  Erschiitterten  {kshuhdha 
mit  C.)  an. 

8.  (6697.)  Alle  Wesen  allerwarts  trachten  danach,  als  Men- 
schen geboren  zu  werden,  und  wenn  sie  das  Menschensein 
erlangt  haben,  so  freuen  sich  alle  darauf,  Brahmanen  zu 
werden. ' 

9.  (6698.)  Du  bist  ein  Mensch  und  ein  Brahmane,  hist  so- 
gar  ein  Schriftgelehrter,  o  Kagyapa ;  nachdem  du  dieses  schwer 


138  ni.    Mokshadharma. 

zu  Erlangende  erreicht  hast,  darfst  du  dich  nicht  versundigen 
und  sterben  wollen. 

10.  (6699.)  Aller  Reichtum  verleitet  zur  Geringschatzung, 
das  ist  ein  wahres  Schriftwort;  du  hast  eine  Daseinsform, 
mit  der  man  sich  wohl  zufrieden  geben  konnte,  wahrend  du 
sie  aus  Begehrhchkeit  geringschatzt. 

11.  (6700.)  0  iiber  das  Gliick  derer,  welchen  in  diesem 
Dasein  Hande  beschieden  sind,  ich  beneide  iiber  die  Mafsen 
die,  welche  Hande  haben. 

12.  (6701.)  Wir  Schakale  beneiden  die,  welche  Hande  haben, 
so  wie  du  den  Reichtum.  Hande  zu  erhalten,  dariiber  hinaus 
gibt  es  kein  grofseres  Gliick. 

13.  (6702.)  Weil  wir  keine  Hande  haben,  o  Brahmane, 
konnen  wir  uns  keinen  Dorn  ausziehen,  und  auch  die  Tierchen, 
die  uns  oben  und  unten  am  Leibe  beifsen,  mochten  wir  lieber 
nicht  durch  Wegjucken  schadigen. 

14.  (6703.)  Hingegen  die,  welchen  die  Gotter  Hande  mit 
zehn  Fingern  gegeben  haben,  konnen  die  beifsenden  Insekten 
von  ihrem  Korper  ablesen  und  durch  Kratzen  verscheuchen. 

15.  (6704.)  Sie  konnen  sich  auch  gegen  Regen,  Winter 
und  Hitze  schiitzen  und  erfreuen  sich  der  Kleidung  und  Nah- 
rung,  eines  angenehmen  Lagers  und  windgeschiitzten  Obdachs. 

16.  (6705.)  Und  die  Erde  beherrschend ,  leben  sie  froh  in 
der  Welt  und  lassen  andere  fiir  sich  arbeiten,  und  mit  vielen 
Mitteln  machen  sie  dieselben  sich  untertanig. 

17.  (6706.)  Diese  freilich,  welche  keine  Sprache  besitzen, 
bemitleidenswert ,  von  kurzer  Lebensdauer  und  ohne  Hande 
sind,  miissen  diese  Leiden  erdulden;  zum  Gliick  steht  es  nicht 
so  mit  dir,  o  Muni. 

18.  (6707.)  Du  bist  zum  Gliick  kein  Schakal,  kein  Wurm, 
keine  Maus,  keine  Schlange,  kein  Frosch  oder  sonst  ein  aus 
schlechtem  Mutterschofs  Entsprossener. 

19.  (6708.)  Schon  um  dieses  Vorzugs  willen  mufst  du  froh 
sein,  o  Kagyapa,  um  wieviel  mehr,  da  du  unter  alien  Ge- 
schopfen  als  Brahmane  am  hochsten  stehst. 

20.  (6709.)  Mich  beifsen  diese  Insekten,  zu  deren  Beseitigung 
ich  nicht  die  Macht  habe,  weil  mir  die  Hande  fehlen.  Sieh 
doch  diesen  meinen  Zustand  an! 


Adhyaya  180  (B.  180).  139 

21.  (6710.)  Und  doch  behaupte  ich  nicht,  dafs  es  nicht 
auszuhalten  sei,  und  ich  gebe  diesen  meinen  Leib  nicht  auf, 
denn  jch  mochte  nicht  aus  ihm  einem  noch  schlechtern  Mutter- 
schofse  verfallen. 

22.  (6711.)  In  einen  mittlern  unter  den  schlechten  Mutter- 
schofsen  bin  ich  gelangt,  indem  ich  in  den  einer  SchakaHn 
einging.  Es  gibt  aber  noch  viel  mehr  andere  schlechtere 
unter  den  schlechten  Mutterschofsen. 

23.  (6712.)  Freilich  gibt  es  einige,  welche  durch  ihre  Ge- 
burt  gliicklicher  sind,  aber  auch  andere,  die  um  vieles  un- 
gliicklicher  sind;  ich  sehe  aber  nicht,  dafs  irgendeinem 
irgendwo  auf  der  Welt  ein  absolutes  Gliick  zuteil  geworden 
ware. 

24.  (6713.)  Sind  die  Menschen  erst  reich  geworden,  so 
wiinschen  sie  weiterhin  Konige  zu  sein;  aus  Konigen  wollen 
sie  Gotter  werden,  und  sind  sie  erst  Gotter,  so  mochten  sie 
gar  Indra  sein. 

25.  (6714.)  Gesetzt,  du  warest  reich,  so  warest  du  doch 
noch  nicht  Konig,  noch  nicht  eine  Gottheit,  und  hattest  du 
das  Gottsein,  ja  selbst  das  Indrasein  erlangt,  so  wiirdest  du 
auch  dann  noch  nicht  zufrieden  sein. 

26.  (6715.)  Durch  Erlangung  von  Wiinschen  ist  keine 
Sattigung  zu  finden,  der  Durst  ftrisJmd)  ist  durch  kein  Wasser 
zu  stillen,  er  wird  nur  um  so  brennender,  wie  das  Feuer  durch 
Holzscheite. 

27.  (6716.)  Freilich,  wohl  hast  du  auch  Kummer,  aber 
ebensosehr  hast  du  auch  Freude,  und  so  hast  du  beides, 
Lust  und  Leid,  was  ist  da  zu  bejammern? 

28.  (6717.)  Hat  man  sie  einmal  abgeschnitten,  die  Wurzel 
aller  Begierden  und  Bemiihungen,  die  Schar  der  Erkenntnis- 
organe,  [und  halt  sie  gefangen]  wie  Vogel  in  einem  Kafig, 

29.  (6718.)  so  haben  wir  doch  dann  keinen  zweiten  Kopf, 
um  ihn  abzuschneiden,  und  keine  dritte  Hand ;  was  nicht  ist, 
das  haben  wir  auch  nicht  mehr  zu  fiirchten. 

30.  (6719.)  Ein  Verlangen  kann  nicht  irgendwo  mehr  ent- 
stehen,  wenn  man  seinen  Geschmack  nicht  mehr  kennt,  denn 
nur  aus  dem  Beriihren,  Sehen  oder  Horen  entsteht  das  Ver- 
langen. 


140  in.   Mokshadharma. 

31.  (6720.)  Du  [als  Brahmane]  denkst  nicht  mehr  daran, 
den  Palmwein  zu  trinken  und  die  Latvavogel  zu  schmausen, 
und  doch  gibt  es  keinen  Leckerbissen ,  der  diese  beiden 
iibertrafe. 

32.  (6721.)  Und  was  es  auch  sonst  noch  geben  mag,  das 
sich  fiir  irgendeines  unter  den  Wesen  zur  Speise  eignet,  was 
auch  immer  du  friiher  niemals  geschmeckt  hast,  daran  hast 
du  auch  keine  Erinnerung. 

33.  (6722.)  Nichts  zu  essen,-  nichts  anzufassen  und  nichts 
anzuschauen,  darin  besteht  die  Bezahmung  eines  Menschen, 
so  meine  ich,  und  sein  Heil,  daran  ist  kein  Zweifel. 

34.  (6723.)  FreiHch  sind  die,  welche  Hande  haben,  dadurch 
machtig  und  reich;  aber  durch  die  Menschen  selbst  werden 
die  Menschen  in  Knechtschaft  gebracht 

35.  (6724.)  und  werden  immer  wieder  aufs  neue  mit  den 
Qualen  des  Todes  und  der  Gefangenschaft  bedrangt;  freihch 
freuen  sie  sich  auch  anderseits  und  jubeln  und  lachen. 

36.  (6725.)  Andere  wiederum,  die  durch  ihre  Arme  machtig 
sind,  Wissenschaft  erworben  haben  und  Verstand  besitzen, 
fiihren  einen  elenden,  schlechten  Lebenswandel ,  dessen  sie 
sich  schamen  soUten. 

37.  (6726.)  Auch  gewinnen  sie  es  wohl  iiber  sich,  einen 
andern  Lebenswandel  zu  fiihren,  doch  nur  soweit  es  durch 
ihre  eigenen  Werke  [in  einer  friihern  Geburt]  bedingt  ist;  — 
aber  dem  ist  so,  weil  es  einmal  sein  mufs. 

38.  (6727.)  Kein  Pulkasa  und  kein  Candala  [obgleich  den 
niedrigsten  Kasten  angehorig]  wunscht  seinen  Leib  zu  ver- 
lassen ;  vielmehr  freut  er  sich  dieser  seiner  Geburt ;  so  grofs, 
siehst  du,  ist  ihre  Verblendung  fmdydj. 

39.  (6728.)  Wenn  du  die  Menschen  siehst,  wie  sie  ge- 
brechlich  und  lendenlahm  und  krank  sind,  so  bist  du  doch 
mit  voUstandigen  GHedern  ausgestattet  und  schon  durch  deine 
Geburt  ein  reicher  Mann,  o  Kagyapa. 

40.  (6729.)  Wenn  doch,  o  Brahmane,  dein  Korper  ohne 
Leiden  und  ohne  Krankheit  ist,  und  deine  GHeder  vollstandig 
sind,  und  du  auch  nicht  unter  den  Leuten  beschimpft  wirst, 

41.  (6730.)  nicht  durch  irgendeine  Nachrede,  die  Grund 
hat  und  dir  Abbruch  tut,  so  ermanne  dich  zu  deiner  Pflicht, 


Adhyaya  180  (B.  180).  141 

o  brahmanischer  Weiser,  und  wolle  nicht  deinen  Leib   auf- 
geben. 

42.  ((5731.)  Wenn  du,  o  Brahmane,  dieses  horst  und  meinen 
Worten  Glauben  schenkst,  so  wirst  du  fiir  den  im  Veda  be- 
fohlenen  Pflichtwandel  einen  vorziiglichen  Lohn  eriangen. 

43.  (6732,)  Das  Vedastudium  und  die  Pflege  der  Feuer 
mogest  du  sorgfaltig  beobachten,  dazu  Wahrhaftigkeit ,  Be- 
zahmung,  Freigebigkeit,  dann  brauchst  du  keinen  zu  beneiden. 

44.  (6733.)  Alle  solche,  welche  das  Vedastudium  betreiben 
und  zum  Opfern  und  Opfernlassen  gelangt  sind,  wie  konnten 
die  es  dir  wohl  nachmachen  und  sich  harmen  oder  an  Un- 
edles  denken! 

45.  (6734.)  Sie  mogen  ja,  sobald  sie  es  wiinschen,  zu  ihrer 
Erbolung  grofse  Lust  eriangen,  und  geboren  unter  einem 
gliicklichen  Sterne,  an  einem  gliicklichen  Tage  und  zur  gliick- 
lichen  Stunde,  (6735.)  beeifern  sie  sich  in  dem  Streben  nach 
Opfer,  Freigebigkeit  und  Nachkommenschaft ,  je  nachdem 
ihnen  die  Moglichkeit  dazu  gegeben  ist. 

46.  Andere  freilich,  die  unter  einem  damonischen  Sterne, 
an  einem  schlimmen  Tage  und  zur  schlimmen  Stunde  ge- 
boren sind,  (6736.)  geraten  in  einen  damonischen  Mutterschofs, 
wo   sie  des  Opferns  und  der  Nachkommenschaft  entbehren. 

47.  Ich  war  so  ein  kleiner  Pandit,  ein  Griibler  und  Veda- 
tadler,  (6737.)  ein  Anhanger  der  argumentierenden  Dialektik, 
die  nichts  taugt. 

48.  Ich  argumentierte  mit  Griinden,  und  trat  in  den  Ver- 
sammlungen  als  Redner  auf  in  rasonierender  Weise,  (6738.)  ein 
lauter  Schreier  war  ich  und  einer,  der  in  den  Reden  iiber 
Brahman  die  Zwiegeborenen  niederredete, 

49.  ein  Nihihst,  ein  Allbezweifler ,  ein  Narr,  der  sich  fiir 
einen  Gelehrten  hielt.  (6739.)  Dafiir  ist  mir  dies  als  Frucht 
erwachsen,  dafs  ich  ein  Schakal  bin,  o  Zwiegeborener. 

50.  Und  geschieht  es  je,  so  kann  es  doch  nur  in  Hun- 
derten  von  Tagen  und  Nachten  von  jetzt  an  erfolgen,  (6740.)  dafs 
ich,  der  ich  ein  Schakal  bin,  wieder  in  einen  menschlichen 
Mutterschofs  gelange. 

51.  Dann  wiirde  ich  zufrieden  sein  und  sorgsam  und 
mich  an  Opfern,  Geben  und  Askese  erfreuen,    (6741.)  wiirde 


142  in.    Mokshadharma. 

nur  erforschen,  was  man  erforschen  darf,  und  wiirde  meiden, 
was  zu  meiden  ist. 

52.  Darauf  erhob  sich  der  Einsiedler  Kagyapa  und  sprach 
zu  jenem :  (6742.)  „0,  wie  bist  du  erfahxen  und  vol!  Weisheit", 
so  sprach  er  mit  Bewunderung. 

53.  Dann  betrachtete  der  Brahmane  ihn  mit  seinem  durch 
Erkenntnis  weitsehenden  Auge  (6743.)  und  sah,  dafs  er  unter 
den  Gottern  der  Gott  Indra  und  der  Gemahl  der  Qaci  war. 

54.  Da  verehrte  KaQyapa  den  mit  Falben  Fahrenden 
(6744.)  und,  von  ihm  entlassen,  begab  er  sich  in  seine  Wohnung. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  des  Schakals  mit  E^^yapa 
(srigdla -  Kd^yapa- sanwdda). 


Adhyaya  181  (B.  181). 

Vers  6745-6764  (B.  1-20). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (6745.)  Wenn  Almosen  gespendet  und  geopfert  und 
Askese  geiibt  worden  ist,  oder  auch  Gehorsam  gegen  die 
Lehrer,  das  sage  mir,  o  Grolsvater  [was  daraus  folgt]. 

Bhlshma  sprach: 

2.  (674G.)  Vermoge  des  in  das  Ungliick  verstrickten  Atman 
gerat  das  Manas  in  Siinde,  und  indem  es  seine  Aufgabe  in 
unreiner  Weise  voUbringt,  wird  es  einer  elenden  Welt  zu- 
gewiesen. 

3.  (6747.)  Aus  Mifswachs  in  Mifswachs,  aus  Not  in  Not, 
aus  Gefahr  in  Gefahr,  aus  Gestorbensein  in  weiteres  Sterben 
geraten  die  armsehgen  Ubeltater. 

4.  (6748.)  Hingegen  von  Fest  zu  Fest,  von  Himmel  zu 
Himmel,  von  Lust  zu  Lust  gelangen  die  Glaubigen,  Bezahm- 
ten,  Reichbegliickten,  Wohltuenden. 

5.  (6749.)  Mitten  unter  wilden  Tieren,  unter  Elefanten  und 
auf  ungangbaren  Wegen,  unter  Schlangen,  Dieben  und  Ge- 
fahren  mit  gebundenen  Handen  gehen  dahin  die  Unglaubigen, 
was  konnte  schhmmer  sein ! 


Adhyaya  181  (B.  181).  143 

6.  (6750.)  Hingegen  die,  welche  Gastfreundschaft  an  Fretin- 
den  und  Gottern  iiben,  freigebig  sind  und  ihren  Freunden 
wohlgesinnt,  die  wandeln  auf  dem  friedevollen  Wege  der 
Atmanhaften  mit  tiichtigen  Handen. 

7.  (6751.)  Wie  die  Spreu  unter  dem  Weizen,  wie  die 
Puppen  unter  den  Schmetterlingen ,  so  sind  unter  den  Men- 
schen  diejenigen,  welche  sich  nicht  von  der  Pflicht  antreiben 
lassen. 

8.  (6752.)  Auch  wenn  einer  sehr  schnell  lauft,  holt  ihn 
sein  Schicksal  ein,  es  liegt  neben  ihm,  wenn  er  schlaft,  wer 
er  auch  sei,  entsprechend  seinen  Taten. 

9.  (6753.)  Es  steht  neben  ihm,  wenn  er  steht,  und  wenn 
er  geht,  so  geht  es  ihm  nach,  es  vollbringt  das  Werk  des 
Wirkenden,  wie  sein  Schatten  begleitet  es  ihn. 

10.  (6754.)  Was  fiir  ein  Werk  und  wie  es  irgend  jemand 
vordem  betrieben  hat,  das  hat  er  einzig  und  allein  jedesmal 
zu  biifsen  als  seinem  Atman  auferlegt. 

11.  (6755.)  Diese  Schar  der  Wesen,  welche  die  Frucht 
ihrer  eigenen  Werke  [als  zuriickzuzahlendes  Pfand]  hinter- 
legt  haben  und  von  ihrem  eigenen  Schicksal  bewacht  werden 
[wie  Gefangene],  wird  von  iiberallher  durch  die  Zeit  fort- 
geschleppt. 

12.  (6756.)  So  wie  Bliiten  und  Friichte,  auch  ohne  ange- 
trieben  zu  werden,  ihre  Zeit  im  Jahre  einhalten,  so  auch  die 
vordem  begangene  Tat. 

13.  (6757.)  Hochschatzung  und  Geringschatzung,  Gewinn 
und  Verlust,  Schwinden  und  Wachsen,  wie  sie  sich  begeben 
haben,  so  kehren  sie  wieder,  jedesmal  wenn  die  Schicksals- 
frist  zu  Ende  geht. 

14.  (6758.)  Durch  das  eigene  Selbst  wird  das  Leid  ver- 
hangt,  durch  das  eigene  Selbst  wird  die  Lust  verhangt ;  nach 
Einbettung  in  einem  Mutterleibe  wird  die  Frucht  der  friihern 
Verkorperung  genossen. 

15.  (6759.)  Was  einer  Gutes  oder  Boses  tut,  sei  es  als 
Kind,  als  Jiingling  oder  als  Greis,  dafiir  erlangt  er  in  eben- 
demselben  Zustande  die  Vergeltung. 

16.  (6760.)  Wie  unter  tausend  Kiihen  das  Kalb  seine  Mutter 
herausfindet,  so  verfolgt  die  friiher  begangene  Tat  ihren  Tater. 


144  ni.    Mokshadharma. 

17.  (6761.)  Ein  Kleid,  welches  an  seinem  Saume  nafs  wurde, 
wird  nachmals  rein  durch  die  Waschtatigkeit ;  so  wird  auch 
denen,  welche  sich  [zu  ihrer  Lauterung]  mit  Fasten  abqualen, 
dafiir  ein  langes,  ein  unendliches  Gliick  zuteil. 

18.  (6762.)  Denjenigen,  welche  durch  langwierige,  in  einem 
Biifserhain  geiibte  Askese  die  Siinde  durch  dieses  Wohlver- 
halten  abwerfen,  gehen  ihre  Wiinsche  in  Erfiillung. 

19.  (6763.)  Wie  der  Zug  der  Vogel  in  der  Luft  und  der 
Fische  im  Wasser  nicht  mit  den  Augen  verfolgt  werden  kann, 
so  auch  der  Weg  derer,  welche  die  Erkenntnis  hesitzen. 

20.  (6764.)  Fort  mit  weiteren  Zurechtweisungen  und  mit 
der  Aufzahlung  von  Ubertretungen ;  man  voUbringe  in  schoner 
und  angemessener  Weise,  was  zum  Heile  der  Seele  dient. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  hunderteinundachtzigste  AdhyAya. 


Adhyaya  183  (B.  183). 

Vers  6765-6803  (B.  1-38). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (6765.)  Woraus  ist  diese  ganze  Lebewelt  des  Unbeweg- 
lichen  und  Beweglichen  geschaffen,  und  in  wen  geht  sie  beim 
Weltuntergange  ein?    Das  sage  mir,  o  Grofsvater. 

2.  (6766.)  Von  wem  ist  diese  Welt  mit  Ozeanen,  Himmels- 
zelt,  Bergen,  Wolken,  Erde,  Feuer  und  Wind  geschaffen  worden  ? 

3.  (6767.)  Auf  welche  Weise  wurden  die  Wesen  geschaffen, 
auf  w^elche  Weise  die  Einteilungen  in  Kasten,  wie  kam  deren 
Reinheit  und  Unreinheit  zustande  und  wie  das  Gesetz  fiber 
Gutes  und  Boses? 

4.  (6768.)  Von  welcher  Art  ist  die  Seele  der  lebenden 
Wesen,  und  auf  welchem  Wege  gehen  sie,  wenn  sie  ge- 
storben  sind,  aus  dieser  Welt  in  jene  Welt?  Das  alles  mogest 
du,  0  Herr,  uns  verkiinden. 

Bhishma  sprach: 

5.  (6769.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Belehrung,  welche  von  Bhrigu  dem 
ihn  befragenden  Bharadvaja  erteilt  wurde. 


Adhyaya  182  (B.  182).  145 

6.  (6770.)  Als  Bharadvaja  den  grofsen  Weisen  Bhrigu  strah- 
lend  und  von  grofser  Kraft  auf  dem  Gipfel  des  Kailasa  sitzen 
sah,  da  befragte  er  ihn  wie  folgt: 

7.  (6771.)  Von  wem  ist  diese  Welt  mit  Ozeanen,  Himmels- 
zelt,  Bergen,  Wolken,  Erde,  Feuer  und  Wind  geschaffen 
worden  ? 

8.  (6772.)  Auf  welche  Weise  wurden  die  Wesen  geschaffen, 
auf  welche  Weise  die  Einteilungen  der  Kasten,  wie  kam  deren 
Reinheit  und  Unreinheit  zustande  und  wie  das  Gesetz  iiber 
Gutes  und  Boses? 

9.  (6773.)  Von  welcher  Art  ist  die  Seele  der  lebenden 
Wesen,  und  auf  welchem  Wege  gehen  sie,  wenn  sie  gestorben 
sind,  in  die  andere  Welt  und  [zuriick]  in  diese?  Das  alles 
mogest  du  uns  verkiindigen. 

10.  (6774.)  Als  der  Heilige  in  dieser  Weise  von  Bharadvaja 
nach  diesem  Problem  befragt  wurde,  da  erklarte  der  brahman- 
ahnliche  Brahmanweise  ihm  alles. 

Bhrigu  sprach: 

11.  (6775.)  Der  Urspriingliche,  der  da  heifset  Mdnasa  (der 
Geistige),  dessen  Offenbarung  von  den  grofsen  Weisen  ver- 
nommen  wurde,  der  anfanglose  und  endlose  Gott,  der  unteil- 
bare,  nicht  alternde  und  nicht  sterbende, 

12.  (6776.)  der  da  genannt  wird  der  Unoffenbare  favydktaj, 
der  Ewige,  Unzerstorbare,  Unvergangliche,  von  welchem  ge- 
schaffen die  Wesen  geboren  werden  und  sterben, 

13.  (6777.)  dieser  Gott  schuf  zuerst  den  mit  Namen  Malidn 
(der  Grofse)  Genannten ;  der  Mahan  schuf  den  Ahankdra  und 
dieser  wiederum,  der  Heilige,  darauf 

14.  (6778.)  ihn,  der  da  Ather  fdMgamJ  genannt  wird,  er, 
der  Herr,  der  alle  Wesen  tragt;  aus  dem  Ather  entstand 
das  Wasser,  aus  dem  fliissigen  Elemente  Feuer  und  Wind, 
und  (6779.)  aus  der  Verbindung  von  Feuer  und  Wind  entstand 
dann  weiter  die  Erde. 

15.  Darauf  wurde  von  dem  durch  sich  selbst  Seienden 
eine  aus  Kraft  bestehende  himmlische  Lotosblume  geschajffen ; 
(6780.)  aus  dieser  Lotosblume  entstand  der  Gott  Brahman,  der 
aus  den  Veden  bestehende,  der  Umfasser, 

Seussen,  Mah4bh4ratam.  \() 


146  ni.    Mokshadharma. 

16.  der,  welcher  AhahMra  genannt  wird,  der  als  die  Seele 
von  alien  Wesen  die  Wesen  schuf,  (6781.)  er  in  der  Tat  ist 
jener  kraftvolle  Brahman,  von  welchem  diese  fUnf  Elemente 
herstammen. 

17.  Die  Berge  heifsen  seine  Knochen,  sein  Fett  und 
rieisch  ist  die  Erde,  (6782.)  die  Ozeane  sind  sein  Blut  und 
der  Ather  (^dJcdgamJ  ist  sein  Bauch, 

18.  der  Wind  ist  sein  Odem,  seine  Korperwarme  das 
Feuer,  die  Strome  sind  seine  Adern,  (6783.)  Agni  und  Soma, 
die  Sonne  und  der  Mond,  werden  als  seine  Augen  gepriesen; 

19.  der  Himmel  droben  ist  sein  Haupt,  die  Erde  seine 
Fiifse,  die  Himmelsgegenden  seine  Arme.  (6784.)  Schwer  er- 
kennbar  ist  dieser  unausdenkbare  Atman,  sogar  fiir  die 
Seligen,  daran  ist  kein  Zweifel. 

20.  Er  wird  als  der  heilige  Vishnu  gepriesen,  als  der 
Unendliche ;  (6785.)  als  das  Selbst  aller  Wesen  weilt  er  in  den 
Wesen,  schwer  erkennbar  fiir  die,  deren  Selbst  nicht  be- 
reitet  ist, 

21.  er,  der  den  Ahankdra  erschuf  zum  Zweck  der  Ent- 
stehung  aller  Wesen,  (6786.)  er,  aus  dem  alles  das  geworden 
ist,  wonach  ich  hier  von  dir  gefragt  wurde. 

Bharadv&,ja  sprach : 

22.  (6787.)  Von  dem  Himmelszelte  und  von  den  Himmels- 
gegenden, von  dem  Erdboden  und  von  dem  Feuer,  welches 
sind  die  Mafse  von  diesen?  Diesen  Zweifel  lose  mir  der 
Wahrheit  gemafs. 

Bhrigu  sprach: 

23.  (6788.)  Unendlich  ist  jener  Raum  fdkdgamj,  bewohnt 
von  Seligen  und  Gottheiten,  erfreulich,  mit  mancherlei  Wohn- 
statten  iibersat,  dessen  Grenze  unerreichbar  ist. 

24.  (6789.)  Oberhalb  ihres  Machtbereiches  und  unterhalb 
werden  Mond  und  Sonne  nicht  mehr  gesehen,  dort  sind  die 
Gotter  ihr  eigenes  Licht,  glanzend  wie  die  Sonne  und  strah- 
lend  wie  das  Feuer. 

25.  (6790.)  Und  auch  sie  sehen  nicht  die  Grenze  des 
machtig  ausgebreiteten  Himmelszeltes,  weil  dieselbe  schwer 


Adhyftya  182  (B.  182).  147 

erreichbar,  well  sie  endlos  ist,  das  lerne  von  mir,  der  du  mir 
die  Ehre  gibst. 

26.  (6791.)  Nach  oben  aber  und  immer  weiter  nach  oben 
hin  wird  von  flammenden,  selbstleuchtenden  Wesen  jener 
Weltraum  angefiillt,  der  auch  von  Gottern  nicht  ausmefsbar  ist. 

27.  (6792.)  An  der  Grenze  der  Erde  aber  sind  die  Meere, 
an  der  Grenze  der  Meere  herrscht  Finsternis,  wie  es  heifst, 
an  der  Grenze  der  Finsternis  ist  das  Wasser,  wie  sie  sagen, 
und  an  der  Grenze  des  Wassers  ist  Feuer. 

28.  (6793.)  An  der  Grenze  der  Unterwelt  ist  Wasser,  an 
der  Grenze  des  Wassers  wohnen  die  Schlangenfiirsten ,  an 
ihrer  Grenze  kommt  wieder  der  Weltraum  und  an  der  Grenze 
des  Weltraums  wiederum  Wasser. 

29.  (6794.)  Dieses  als  Grenze  habend  ist  der  Umfang  des 
Heiligen  und  des  Wassers,  schwer  zu  erkennen  auch  von 
den  Gottern  des  Feuers,  des  Windes  und  des  Wassers. 

30.  (6795.)  Die  Erscheinungen  des  Feuers,  Windes,  Was- 
sers und  der  Erde  werden  gegen  den  Ather  [nur  darum] 
abgegrenzt  und  von  ihm  unterschieden,  weil  man  die  Wahr- 
heit  [die  Einheit  des  Seienden]  nicht  erkennt  fatattvadarcandtj. 

31.  (6796.)  Und  auch  die  Weisen  lehren  in  den  verschie- 
denen  Lehrbiichern,  in  dem  Ozean  der  drei  Wei  ten,  die  Di- 
mensionen,  wie  sie  eben  dargelegt  worden  sind. 

32.  (6797.)  Aber  wer  konnte  fiir  das  Unsichtbare,  Unbetret- 
bare  einen  Mafsstab  ausfindig  machen!  Wenn  doch  sogar 
der  Machtbereich  der  Seligen  und  der  Gotter  ein  begrenzter 
ist,  (6798.)  dann  ist  der  Name  des  Unendlichen  nur  bildlich 
zu  verstehen,  wo  das  Wort  „unendlich"  gebraucht  wird 

33.  von  dem  diesem  Namen  entsprechenden  hoch- 
sinnigen  Mdnasa  [vgl.  oben  Vers  6775]. 

34.  (6799.)  Wenn  aber  auch  eine  gottliche  Gestalt  abnimmt 
und  wieder  zunimmt,  welcher  andere  [aufser  den  Gottern] 
kann  das  wissen,  und  ware  dieser  andere  auch  ein  den  Gottern 
Gleicher. 

35.  (6800.)  Aus  jener  Lotosblume  wurde  er  geschaffen,  der 
allwissende,  korperlich  gewordene  hehre  Gott  Brahman,  der 
aus  Gerechtigkeit  bestehende,  anfangliche,  hochste  Prajapati. 

10* 


X48  HI-    Mokshadharma. 

Bharadvaja  sprach: 

36.  (6801.)  Wenn  er  aus  der  Lotosblume  entsprungen  ist, 
so  ist  doch  die  Lotosblume  das  Al teste,  und  doch  sagst  du, 
o  Herr,  dafs  der  Gott  Brahman  der  Anfangliche  ist,  das  ist 
mein  Bedenken. 

Bhrigu  sprach: 

37.  (6802.)  Es  ist  die  Gestalt  des  Mdnasa,  welche  in  das 
Sein  als  der  Gott  Brahman  eingegangen  ist,  und,  um  ihm 
einen   Sitz  zu  bereiten,  wird  die  Erde  Lotosblume  genannt. 

38.  (6803.)  Von  dieser  zu  einer  Samenkapsel  sich  zu- 
spitzenden  Lotosblume  streckt  sich  der  Gotterberg  Meru  in 
den  Himmel  hinauf  und,  mitten  darauf  stehend,  schafft  der 
Herr  der  Wesen  die  Welten. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Bhrigu  und  Bharadvaja 
(Bhrigu  -  Bharadodja  -  samvdda). 


Adhyaya  183  (B.  183). 
Vers  6804-6820  (B.  1-17). 

Bharadv&,ja  sprach: 

1.  (6804.)  Wie  hat  der  Herr  jene  mannigfaltige  Schopfung 
der  Wesen  geschaffen,  der  Gott  Brahman,  als  er  mitten  auf 
dem  Meru  stand?    Das  sage,  o  Bester  der  Zwiegeborenen. 

Bhrigu  sprach: 

2.  (6805.)  Der  Mdnasa  (der  Geistige)  schuf  durch  seinen 
Geist  die  mannigfache  Schopfung  der  Kreaturen,  und  zwar 
wurde  zum  Zwecke  der  Erhaltung  der  Wesen  zuerst  geschaffen 
das  Wasser. 

3.  (6806.)  Dieses,  welches  das  Leben  aller  Wesen  ist,  durch 
welches  die  Geschopfe  gedeihen  und  von  welchem  verlassen 
sie  zugrunde  gehen,  von  ihm  ist  dieses  Weltall  umgeben. 

4.  (6807.)  Die  Erde,  die  Berge,  die  Wolken  und  was  sonst 
noch  an  festen  Gestalten  vorhanden  ist,  alles  das  ist,  dies 
soil  man  wissen,  von  Wasserart,  weil  das  Wasser  ihm  als 
Trager  dient. 


Adhyaya  183  (B.  183).  149 

Bharadvaja  sprach: 

5.  (6808.)  Wie  ist  das  Wasser  entstanden?  Und  wie  das 
Feuer  und  die  Luft?  Und  wie  wurde  die  Erde  geschaffen? 
Dariiber  bin  ich  in  grofsem  Zweifel. 

Bhrigu  sprach: 

6.  (6809.)  In  einem  Weltalter  des  Brahman  batten  sich 
einstmals,  o  Brahmane,  die  Brahmanweisen  versammelt;  da 
entstand  unter  den  Hochsinnigen  ein  Zweifel  tiber  die  Ent- 
stehung  der  Welt. 

7.  (6810.)  Da  standen  sie,  in  Meditation  versenkt,  schweigend 
und  unbeweglich,  ohne  Nahrung,  den  Wind  trinkend,  so  stan- 
den die  Zwiegeborenen  hundert  gottliche  Jahre  da. 

8.  (6811.)  Da  traf  ihr  aller  Ohr  eine  von  Brahman  kom- 
mende  Stimme,  die  gottliche  Sarasvati  (Rede)  entstand  da 
vom  Himmel  her. 

9.  (6812.)  Vordem  stand  es  so,  dafs  der  unbewegliche, 
unendliche,  einem  Berge  vergleichbare  Ather  fdJcdgamJ,  in 
welchem  Mond,  Sonne  und  Wind  untergegangen  waren,  gleich- 
sam  wie  eingeschlafen  aufglanzte. 

10.  (6813.)  Aus  ihm  entstand  das  Wasser,  wie  in  einer 
Finsternis  eine  zweite  Finsternis,  und  sodann  durch  Aus- 
quetschung  des  Wassers  entstand  der  Wind. 

11.  (6814.)  So  wie  ein  Gefafs,  solange  es  ungestort  bleibt, 
dasteht  ohne  einen  Ton  von  sich  zu  geben,  wird  es  aber  mit 
Wasser  gefullt,  so  macht  der  [entweichende]  Wind  es  ertonen, 

12.  (6815.)  ebenso  geschah  es,  dafs  an  dem  unmittelbar 
vom  Wasser  umschlossenen  Himmelsende  der  Wind,  indem 
er  die  Flache  des  Wassers  durchbrach,  mit  Gerausch  nach 
oben  entwich. 

13.  (6816.)  Dieser  Wind  also,  der  durch  die  Ausquetschung 
des  Wassers  entstanden  war,  streicht  dahin,  und,  indem  er 
zu  der  Statte  des  Athers  gelangt  ist,  kommt  er  doch  nicht 
zur  Ruhe. 

14.  (6817.)  Bei  dieser  Reibung  zwischen  Wind  und  Wasser 
wurde  das  entziindete  Glut  habende,  sehr  gewaltige,  mit  Spitz- 
flammen  nach  oben  strebende  [Feuer]  offenbar  und  befreite 
den  Himmelsraum  von  der  Dunkelheit. 


150  in.   Mokshadharma. 

15.  (6818.)  Dann  verbiindete  sich  das  Feuer  mit  dem  Wind 
und  trieb  das  Wasser  in  den  Weltraum  hinauf  [als  Wolken], 
das  Feuer  aber  durch  seine  Verbindung  mit  dem  Winde  ver- 
dichtete  sich  [zum  Sonnenfeuer]. 

16.  (6819.)  Was  von  dem  in  den  Weltraum  emporgedrunge- 
nen  (lies:  nipatatah)  Wasser  an  weiterer  Feuchtigkeit  zuriick- 
blieb,  die  gelangte  zur  Verdichtung  und  wurde  zur  Erde. 

17.  (6820.)  Diese  Erde  ist  fiir  die  Safte,  fiir  alle  Geriiche, 
fiir  die  Feuchtigkeiten ,  sowie  auch  fiir  die  lebenden  Wesen 
anzusehen  als  der  Mutterschofs,  in  welchem  alles  erzeugt  wird. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  TJnterredung  zwischen  Bhrigu  und  Bharadv4ja 
(Bhrigu -  Bharadvdja  -  sainvdda). 


Adhyaya  184  (B.  184). 

Vers  6821-6865  (B.  1-44). 

Bharadvaja  sjirach: 

1.  (6821.)  Es  gibt  diese  fiinf  Elemente,  welche  der  Gott 
Brahman  ehedem  schuf,  von  welchen  diese  Welten  erfiillt  sind 
und  welche  als  die  grofsen  Elemente  fmahabhutdnij  bezeichnet 
werden. 

2.  (6822.)  Da  jener  Hochweise  doch  Tausende  von  Ge- 
schopfen  erschaffen  hat,  wie  ist  es  zu  verstehen,  dafs  es  dabei 
nur  fiinf  Elemente  gibt? 

Bhrigu  sprach: 

3.  (6823.)  Nur  auf  jene  unmefsbar  grofsen  bezieht  sich 
das  Wort  „grors";  die  iibrigen  Wesen  {hhutdnij  gelangen 
[durch  die  Mahabhutani]  zur  Entstehung,  darum  ist  nur  fiir 
jene  [funf]  das  Wort  „MahdbMta''  zutreffend. 

4.  (6824.)  Bewegung  ist  der  Wind,  Weite  der  Ather,  Hitze 
das  Feuer,  Fliissigkeit  das  Wasser,  Kompaktheit  die  Erde; 
der  Leib  besteht  aus  alien  funf  Elementen. 

5.  (6825.)  So  ist  aus  diesen  fiinf  Elementen  zusammen- 
gefiigt  das  Unbewegliche  (Pflanzen)  und  das  Bewegliche  (Tiere 
und  Menschen) ;  das  Gehor,  der  Geruch,  der  Geschmack,  das 
Gefiihl  und  das  Gesicht  heifsen  die  Sinne. 


Adhyaya  184  (B.  184).  151 

Bharadvaja  sprach: 

6.  (6826.)  Aber  wenn  wirklich  sowohl  das  Unbewegliche 
als  das  Bewegliche  aus  den  fiinf  Elementen  zusammengesetzt 
ist,  wie  kommt  es,  dafs  in  dem  Korper  der  Unbeweglichen 
(der  Pflanzen)  die  fiinf  Elemente  nicht  zum  Vorschein  kommen? 

7.  (6827.)  Denn  bei  den  Baumen,  da  sie  weder  Warme  noch 
Bewegung,  sondern  in  Wahrheit  nur  Festigkeit  haben,  sind 
doch  in  ihrem  Korper  nicht  alle  fiinf  Elemente  nachweisbar. 

8.  (6828.)  Sie  horen  nicht,  sie  sehen  nicht,  sie  haben  kein 
Bewufstsein  von  Geruch  und  Geschmack  und  ebenso  kein 
Gefiihl ;  wie  konnen  sie  also  aus  den  fiinf  Elementen  bestehen  ? 

9.  (6829.)  Da  die  Baume  weder  fliissig  noch  feurig,  noch 
erdig,  noch  auch  windhaft  sind,  noch  auch  den  Raum  [den 
sie  einnehmen]  ausmessen  konnen,  so  konnen  sie  doch  nicht 
aus  den  Elementen  gebildet  sein. 

Bhrigu  sprach: 

10.  (6830.)  Wenn  auch  die  Baume  fest  sind,  so  haben  sie 
doch  ohne  Zweifel  Akaga  [Raum,  d.  h.  eine  Beziehung  zum 
Weltraum],  denn  sie  haben  immerfort  die  Moglichkeit,  ihre 
Bliiten  und  Friichte  [in  den  Raum]  hinaus  zu  entfalten. 

11.  (6831.)  Vermoge  der  Warme  verwelkt  das  Blatt  (lies: 
parnam),  die  Rinde,  die  Frucht  und  die  Bliite;  sie  verwelkt 
und  fallt  ab,  folglich  ist  im  Baume  Gefiihl  fspargaj  vorhanden. 

12.  (6832.)  Durch  den  Larm,  welchen  der  Wind,  das  Feuer 
[beim  Waldbrande]  und  der  Donner  machen,  werden  Friichte 
und  Bliiten  zerstort;  der  Larm  wird  durch  das  Gehor  wahr- 
genommen,  folglich  horen  die  Baume. 

13.  (6833.)  Die  Schlingpflanze  umwindet  den  Baum  und 
kriecht  nach  alien  Seiten ;  ohne  Gesicht  aber  kann  man  seinen 
Weg  nicht  finden,  folglich  sehen  die  Pflanzen. 

14.  (6834.)  Ferner,  durch  gute  und  schlechte  Geriiche  und 
durch  mancherlei  Ausraucherung  werden  die  Pflanzen  gesund 
und  bliihend,  folglich  haben  sie  Geruchssinn. 

15.  (6835.)  Da  er  mit  seinen  Wurzeln  das  Wasser  trinkt, 
da  er  [durch  unmafsigen  Genufs]  krank  wird  und  in  der 
Krankheit  [durch  Arznei]  geheilt  wird,  so  mufs  der  Baum 
auch  Geschmacksvermogen  besitzen. 


152  in.   Mokshadharma. 

16.  (6836.)  Da  die  Pflanze  [z.  B.]  durch  den  Stengel  der 
Lotosblume  als  Mund  das  Wasser  in  die  Hohe  zieht,  so  mufs 
sie  mit  Luft  versehen  sein,  um  es  mittels  der  Wurzeln  empor- 
zusaugen. 

17.  (6837.)  Da  sie  fiir  Lust  und  Schmerz  empfanglich  sind 
und,  wenn  abgeschnitten,  wieder  ausschlagen,  so  erkenne  ich 
daran,  dafs  die  Baume  eine  Seele  f'jivaj  besitzen,  ein  un- 
beseeltes  Wesen  facaitanyamj  gibt  es  nicht. 

18.  (6838.)  Wenn  dadurch  das  Wasser  aufgesogen  worden 
ist,  so  verdauen  es  Feuer  und  Wind,  und  vermoge  der  Assimi- 
lation der  Nahrung  bildet  sicli  klebriger  Saft  und  Wachstum. 

19.  (6839.)  Was  weiter  die  beweglichen  Wesen  betrifft, 
so  enthalten  sie  alle  in  ihrem  Korper  die  fiinf  Elemente,  und 
sie  lassen  sich  alle  einzeln  unterscheiden ,  sofern  durch  sie 
der  Korper  sich  bewegt. 

20.  (6840.)  Die  Haut,  das  Fleisch,  die  Knochen,  das  Mark 
und  die  Sehnen  als  Fiinftes,  der  Komplex  dieser  Bestandteile 
macht  am  Korper  das  Erdige  aus. 

21.  (6841.)  Der  Glanz  [des  Korpers]  ist  Feuer,  ebenso  der 
Zorn,  das  Auge  und  die  Korperwarme,  und  da  das  Feuer 
auch  die  Verdauung  bewirkt,  so  sind  die  korperlichen  Wesen 
im  Besitze  von  fiinf  Feuern. 

22.  (6842.)  Das  Ohr,  die  Nase,  der  Mund,  das  Herz  und 
die  Eingeweide,  diese  fiinf  Bestandteile  im  Korper  der  lebenden 
Wesen  riihren   [vermoge  ihrer  Hohlraume]   vom  Akaga  her. 

23.  (6843.)  Als  Schleim,  als  Galle,  als  Schweifs,  als  Fett 
und  als  Blut  sind  in  fiinffacher  Form  die  Wasser  allezeit  in 
dem  Leibe  der  Lebenden  vorhanden. 

24.  (6844.)  Durch  den  Prana  wird  der  Lebende  in  Bewegung 
gesetzt  fpramyatej,  durch  den  Vyana  strengt  er  sich  an  fvyd- 
yacchatej,  der  Apana  geht  nach  unten,  der  Samana  hat  seinen 
Sitz  im  Herzen. 

25.  (6845.)  Durch  den  Udana  haucht  er  seine  Seele  aus 
und  durch  Verteilung  [des  Prana  auf  die  Stimmorgane]  redet 
er ;  in  dieser  Weise  veranlassen  diese  fiinf  Winde  die  Lebens- 
tatigkeiten  der  Verkorperten. 

26.  (6846.)  An  der  Erde  nimmt  der  Verkorperte  die  Quali- 
tat  des  Geruchs  wahr,  an  den  Wassern  die  des  Geschmacks, 


Adhy&ya  184  (B.  184).  153 

durch  Licht  und  Auge  nimmt  er  die  Gestalt  wahr  und  durch 
den  Wind  das  Gefuhl. 

27.  (6847.)  AIs  Geruch,  Gefiihl,  Geschmack,  Gesicht  und 
Gehor  werden  die  Qualitaten  der  fiinf  Elemente  bezeichnet. 
Zunachst  werde  ich  die  Eigenschaften  des  Geruches  in  aus- 
fiihrlicher  Darlegung  mitteilen. 

28.  (6848.)  AIs  angenehm  und  unangenehm,  als  siifs,  als 
stechend,  muffig,  stickig,  olig,  kratzend  und  rein, 

29.  (6849.)  in  dieser  Weise  ist  als  neunfach  zu  erkennen 
die  der  Erde  angehorige  Vielheit  der  Geriiche.  Das  Licht 
sieht  man  mit  den  Augen,  des  Gefiihls  wird  man  sich  be- 
wufst  durch  den  Wind. 

30.  (6850.)  Aufser  dem  [Geruche]  gelten  als  Qualitaten  Hor- 
barkeit,  Fiihlbarkeit ,  Sichtbarkeit  und  Schmeckbarkeit.  Ich 
will  dir  jetzt  die  Kenntnis  der  Geschmacke  mitteilen;  ver- 
nimm  sie,  wie  ich  sie  dir  sage. 

31.  (6851.)  Der  Geschmack  wird  von  den  beriihmten  Weisen 
als  vielfach  gelehrt,  als  siifs,  salzig,  bitter,  herb,  sauer  und 
stechend. 

32.  (6852.)  Dies  ist  die  sechsfache  Einteilung  des  Ge- 
schmacks,  er  gilt  als  Qualitat  des  Wassers.  —  Das  Feuer 
hat  die  drei  Qualitaten  der  Horbarkeit,  Fiihlbarkeit  und  Sicht- 
barkeit. 

33.  (G853.)  Das  Licht  [als  Sehkraft]  sieht  die  Gestalten, 
die  Gestalten  aber  sind  von  vielerlei  Art:  kurz  und  lans;, 
dick,  viereckig  und  rund  (lies:  anuvrittavdnj, 

34.  (6854.)  weifs  und  schwarz,  rot,  gelb  und  dunkelrot, 
fest,  glatt,  geschmeidig,  schliipfrig,  weich  und  hart. 

35.  (6855  a.)  In  dieser  Weise  hat  die  Gestalt  als  Qualitat 
des  Lichts  sechzehn  Unterarten.  —  (cssia.)  Der  Wind  hat  die 
zwei  Qualitaten  der  Horbarkeit  und  Fiihlbarkeit. 

36.  (6855  b.)  Die  Qualitat  des  Windes  ist  die  Fiihlbarkeit, 
diese  ist  von  vielerlei  Art :  (6856.)  Warm,  kalt,  angenehm  und 
unangenehm,  feucht,  rein, 

37.  ferner  hart,  weich,  rauh,  leicht,  schwer  und  durch- 
dringend  ftaraj,  (6857b.)  in  dieser  Weise  wird  die  Fiihlbarkeit 
als  Qualitat  des  Windes  zwolffach  gerechnet. 


154  III.   Mokshadharma. 

38.  (6858.)  Weiter  wird  gelehrt,  dafs  der  Ather  nur  eine 
Qualitat,  namlich  die  der  Horbarkeit,  besitzt.  Die  Einteilung 
des  Tons,  welche  eine  mannigfaltige  ist,  will  ich  dir  sagen. 

39.  (C859.)  Shadja,  Kishabha,  Gandhara,  Madhyama  und 
Dhaivata,  ferner  Paficama  und  endlich  Nishadavan  [die  sieben 
Tone  der  indischen  Tonleiter]; 

40.  (G860.)  so  wird  als  siebenfach  die  aus  dem  Ather  ent- 
springende  Qualitat  erklart.  Er  befindet  sich  mit  seiner 
Herrschermacht  iiberall  und  so  auch  in  Pauken  und  anderen 
Instrumenten. 

41.  (6861.)  Von  Tamburins,  von  Pauken  und  von  Muscheln, 
vom  Donner  und  vom  Wagen,  und  auch  sonst  von  jedem 
Tone,  der  gehort  wird,  sei  es  von  einem  lebenden  oder  leb- 
losen  Wesen,  (6862.)  von  diesen  alien  gilt,  dafs  sie  in  seinen 
[des  Athers]  Bereich  gehoren. 

42.  So  ist  denn  von  mannigfacher  Art  der  aus  dem  Ather 
entspringende  Ton.  (6863.)  Von  dem  aus  dem  Ather  geborenen 
Tone  gilt,  dafs  man  ihn  neben  den  Qualitaten  des  Windes, 

43.  und  auch  wenn  diese  nicht  in  Bewegung  gebracht 
sind,  wahrnimmt,  jedoch  ihn  nicht  wahrnimmt,  wenn  sie  ihm 
feindlich  entgegenstehen.  (6864.)  Immer  aber  gilt,  dafs  die 
Elemente  sich  durch  die  andern  Elemente  in  ihrer  Wirkung 
verstarken. 

44.  Von  ihnen  sind  Wasser,  Feuer  und  Wind  in  dem 
Verkorperten  immer  wach,  (6865.)  denn  sie  sind  die  Wurzel 
des  Korpers  und  befinden  sich  in  ihm,  indem  sie  die  Lebens- 
hauche  durchdringen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Bhrigu  und  Bharadv&ja 
(Bhrigu  -  Bharadedja  -  samvdda) . 

Adhyaya  185  (B.  185). 

Vers  6866-6882  (B.  1-17). 

Bharadvaja  sprach : 
1.  (6866.)   Wie  kann,  o  Herr,  auf  der  Grundlage  des  erdigen 
Elements  das  im  Korper  befindliche  Feuer  bestehen  und  wie 
kann   sich  in  ihm  der  Wind   durch   eine  besondere  Art  von 
Hohlraumen  bewegen? 


Adbyaya  185  (B.  185).  155 

Bhrigu  sprach: 

2.  (6867.)  Ich  will  dir,  o  Brahmane,  den  Weg  des  Windes 
erklaren,  o  Untadeliger,  und  wie  dieser  Wind  die  Leiber  der 
Lebenden  mit  Macht  in  Bewegung  setzt. 

3.  (6868.)  Das  Feuer  hat  seinen  Sitz  im  Kopfe,  von  wo 
aus  es  den  Korper  beschiitzt,  der  Prana  aber  bewegt  sich, 
indem  er  im  Kopfe  und  im  Feuer  sich  befindet. 

4.  (6869.)  Er  ist  das  Geschopf ,  die  Seele  aller  Wesen,  ist 
der  ewige  Purusha,  er  ist  Manas,  Buddhi  und  Ahankara,  ist 
die  "VVesen  und  auch  das  Objekt. 

5.  (6870.)  Da  dem  so  ist,  so  wird  der  Lebende  nach  alien 
Richtungen  bin  von  dem  Prana  [als  allgemeinem  Lebens- 
prinzip]  in  Bewegung  gesetzt;  hinterher  aber  [d.  h.  nach  der 
Geburt]  verfolgt  jeder  [der  fiinf  Prana' s]  vermoge  des  Sa- 
mana  den  ihm  eigentiimlichen  Weg. 

6.  (6871.)  Indem  er  sich  stiitzt  auf  die  Blasenoffnung  und 
den  Darm  und  sich  anschliefst  an  das  Verdauungsfeuer ,  be- 
wegt er  sich,  auch  sofern  er  Harn  und  Kot  abfiihrt,  als  der  Apana. 

7.  (6872.)  Denjenigen  aber,  welcher  sich  bei  Anstrengung, 
Tatigkeit  und  Kraft  in  diesen  dreien  als  einer  betatigt,  den 
nennen  die  des  innern  Selbstes  kundigen  Menschen  den  Udana. 

8.  (6873.)  Derjenige  Wind  hingegen,  welcher  in  alle  Ge- 
lenke  eingegangen  ist  in  den  Leibern  der  Menschen,  der  wird 
bezeichnet  als  Vyana. 

9.  (6874.)  Wiederum  wird  das  in  den  Korperstoffen  ver- 
breitete  Feuer  angefacht  durch  den  Samana;  darin,  dafs  er 
die  Safte,  die  Korperstoffe  und  die  Fliissigkeiten  fdoshaj  in 
Bewegung  versetzt,  hat  er  seine  Aufgabe. 

10.  (6875.)  Hingegen  zwischen  Apana  und  Prana  und  an- 
gefacht von  Prana  und  Apana  voUbringt,  auf  seinen  Standort 
[den  Nabelkreis]  konzentriert,  das  Feuer  die  vollstandige  Ver- 
dauung. 

11.  (6876.)  Vom  Munde  anfangend  [lies;  dsyddi]  und  am 
Ende  im  After  auslaufend,  erstreckt  sich  der  Guda  (Ein- 
geweide)  genannte  Kanal ;  aus  diesem  entspringen  alle  iibrigen 
Kanale  in  den  Lebewesen. 

12.  (6877.)  Aus  dem  Zusammentreffen  der  Prana's  entsteht 
ein   Zusammentreffen   [mit   dem  Verdauungsfeuer] ;    und  die 


156  ni.    Mokshadharma. 

Korperwarme  ist,  so  soil  man  wissen,  das  Feuer,  welches  die 
Speise  der  lebenden  Wesen  verdaut. 

13.  (6878.)  Durch  die  Gewalt  des  Feuers  dahinfahrend, 
wird  der  Prana  am  Ende  des  Darms  zuriickgetrieben ,  und 
indem  er  wiederum  nach  oben  strebt,  schiirt  er  [seinerseits] 
das  Feuer  an. 

14.  (6879.)  Unterhalb  des  Nabels  befindet  sich  der  Pakva- 
<?aya  (Sitz  der  verdauten  Nahrung),  oberhalb  der  Amagaya 
(Sitz  der  unverdauten  Nahrung) ;  in  dem  Nabel  als  Mitte  des 
Korpers  haben  alle  Prana' s  ihren  Sitz. 

15.  (6880.)  Auslaufend  von  der  Mitte  des  Herzens,  fiihren 
alle  (lies:  sarvdh)  Adern  in  die  Quere,  nach  oben  und  nach 
unten  die  aus  der  Nahrung  gewonnenen  Safte,  wobei  sie  von 
den  zehn  Prana's  [den  fiinf  erwahnten  nebst  Naga,  Kurma, 
Krikara,  Devadatta,  Dhananjaya  (Vedantasara  §  99  Bohtl.}] 
angetrieben  werden. 

16.  (6881.)  Dies  ist  auch  der  Weg  der  Yogabeflissenen, 
auf  welchem  sie  zu  jenem  Orte  [der  Erlosung]  aufsteigen, 
sie,  welche  die  menschliche  Schwache  iiberwunden  haben, 
gleichmiitig  und  bestandig  sind,  nachdem  sie  ihren  Atman 
im  Haupte  gesammelt  haben  fddadhan!). 

17.  (6882.)  Das  in  dieser  Weise  iiber  alle  Prana's  und 
Apana's  verteilte  Feuer  wird  [vorher]  jedesmal  in  jenem  [dem 
Kopfe]  zur  Entflammung  gebracht,  in  welchem  es  wie  in  einem 
Feuertopfe  angelegt  wurde. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwiechen  Bhrigu  und  BharadvAja 
(Bhrigu -  Bharadedja -  samvdda). 


Aclhyaya  186  (B.  186). 
Vers  6883-6897  (B.  1-15). 

Bharadvaja  sprach: 

1.  (6883.)  Wenn  der  Wind  dasjenige  ist,  was  belebt 
^prdnayatej ,  so  ist  es  auch  der  Wind,  welcher  bewegt  und 
atmet  und  redet,  somit  ist  die  Annahme  eines  Jiva  (einer 
individuellen  Seele)  unnotig. 


Adhyaya  18G  (B.  186).  157 

2.  (6884.)  Wenn  das  Vorhandensein  der  Korperwarme  vom 
Feuer  herriihrt,  und  wenn  mittels  des  Feuers  verdaut  wird, 
so  ist  es  auch  das  Feuer,  welches  die  Verdauung  vollendet; 
somit  ist  die  Annahme  eines  Jiva  unnotig. 

3.  (688B.)  Wenn  ein  Mensch  sich  auflost,  so  ist  von  einem 
Jiva  nichts  zu  bemerken,  soildern  es  ist  nur  der  Wind,  der 
ihn  verlafst,  und  das  Vorhandensein  der  Korperwarme,  welches 
verloren  geht. 

4.  (6886.)  Wenn  der  Jiva  windartig  ware  oder  wenn  eine 
Verbindung  desselben  mit  dem  Winde  stattfande,  dann  miifste 
er,  anzusehen  wie  ein  Windwirbel,  im  Verein  mit  den  Scharen 
der  Winde  dahinfahren. 

5.  (6887.)  Und  wenn  eine  Verbindung  mit  dem  Winde 
statthatte,  und  wenn  er  darum  [durch  Losung  der  Verbindung] 
zugrunde  gehen  soil,  [so  ist  dagegen  daran  zu  erinnern,  dafs] 
ein  Gefafs  mit  Wasser,  weil  es  von  dem  grofsen  Meere  ab- 
getrennt  worden  ist,  [darum  doch  nicht  vergeht,  sondern  fort- 
besteht]  als  ein  anderes. 

6.  (6888.)  Und  wiirde  man  wohl  Wasser  in  einen  Brunnen 
oder  eine  Fackel  in  ein  Feuer  hineinwerfen  ?  So  wie  diese, 
hineingelangt,  schnell  zunichte  werden  wiirden,  so  wiirde  auch 
er,  der  Jiva,  zunichte  werden,  [wenn  er  als  eine  Art  Wind 
den  Korperwinden  beigemischt  worden  sein  sollte]. 

7.  (6889.)  Wozu  braucht  man  bei  diesem  Korper,  da  er 
von  den  fiinf  [Elementen]  erhalten  wird,  noch  [aufser  ihnen 
als  sechstes]  ein  Leben  anzunehmen,  da  doch,  wenn  das  eine 
oder  andere  von  diesen  fiinfen  fehlt,  bei  den  vier  librigen  das 
ganze  Aggregat   (lies:  sangraha)  nicht  mehr  bestehen  kann. 

8.  (6890.)  Das  Wasser  im  Korper  verschwindet,  wenn  man 
keine  Nahrung  zu  sich  nimmt,  der  Wind,  wenn  man  das 
Atmen  hemmt,  der  Ather,  wenn  man  die  Hohlraume  [im 
Korper]  zerstort,  das  Feuer  schwindet,  wenn  man  nicht  ifst; 

9.  (6891.)  wenn  man  von  Krankheit  und  Blasse  gequalt 
wird,  so  geht  das  erdige  Element  in  die  Briiche;  kurzum, 
wenn  das  eine  oder  andere  von  ihnen  Not  leidet,  so  geht  das 
Aggregat  in  die  fiinf  auseinander. 

10.  (6892.)  Und  wenn  der  Korper  in  die  Fiinfheit  der  Ele- 
mente  zertallt,  welchem  von  diesen  lauft  der  Jiva  nach?    Wo- 


158  III.   Mokshadharma. 

durch  macht  sich  iiberhaupt  der  Jiva  bemerklich?    Hort  er 
vielleicht,  oder  spricht  er?  — 

11.  (6893.)  Wenn  einer  sagt:  diese  [den  Brahmanen  ge- 
schenkte]  Kuh  wird  mir  in  der  andern  Welt  zur  Rettung 
dienen,  und  wenn  der,  welcher  die  Kuh  geschenkt  hat,  ge- 
storben  ist,  wem  soil  denn  da  die  Kuh  zur  Rettung  dienen? 

12.  (6894.)  Wenn  doch  sowohl  die  Kuh  als  auch  der, 
welcher  sie  annahm  (lies:  pratigrahitd)  und  der,  welcher  sie 
gab,  alle  zusammen  schon  hier  der  Vernichtung  anheimfallen, 
wie  sollen  sie  sich  da  [im  Jenseits]  wieder  begegnen? 

13.  (6895.)  Wenn  einer  von  Vogeln  verzehrt  wurde  oder 
von  einem  Berge  abstiirzte  oder  vom  Feuer  verzehrt  wurde, 
woher  soil  der  zu  neuem  Leben  kommen? 

14.  (6896.)  Wenn  von  einem  abgehauenen  Baume  die  Wur- 
zel  nicht  wieder  ausschlagt,  sondern  nur  sein  Same  sich  fort- 
pflanzt,  wie  soUte  da  ein  Toter  wiederkommen  ? 

15.  (6897.)  Nur  der  Same,  der  einst  sich  ergofs,  ist  es, 
der  hier  seinen  Kreislauf  vollendet;  die  Toten  sind  tot  und 
dahin;  nur  aus  Samen  entwickelt  sich  neuer  Samen. 

So  lautet  im  Mokshadharma.  der  Angrifl  gegen  die  Natur  der  Seele 
(jtva-  svarUpa-  dkshepa). 


Adhyaya  187  (B.  187). 

Vers  6898-6929  (B.  1-31). 

Bhrigu  sprach: 

1.  (6898.)  Es  gibt  keinen  Vergang  des  Jiva  (der  indivi- 
duellen   Seele),  noch  auch  des  Geschenkten  oder   des  Voll- 

,brachten.     Der  Lebende  geht  in  einen  andern  Leib  ein,  und 
nur  der  Korper  zerfallt. 

2.  (6899.)  Nicht  vergeht  der  in  einen  Leib  eingegangene 
Jiva,  wenn  der  Leib  vergeht,  sondern  er  ist  wie  ein  Feuer, 
nachdem  das  Brennholz  verbrannt  ist. 

Bharadvaja  sprach: 

3.  (6900.)  Wenn  seine  Vernichtung  nur  insofern  nicht  zu- 
gegeben  wird,  wie  die  eines  solchen  Feuers,  so  ist  zu  erwidern, 


Adhyaya  187  (B.  187).  159 

dafs  ja  auch  das  Feuer  nach  Verzehrung  des  Brennholzes 
nicht  mehr  wahrzunehmen  ist. 

4.  (6901.)  Er  wird  zunichte,  sage  ich  und  betrachte  ihn 
wie  das  ohne  Brennholz  erlbschende  Feuer,  von  dem  man 
nicht  sagen  kann,  wohin  es  gehe,  welch  ein  Beweis  dafiir 
vorhanden  sei  und  welches  sein  Aufenthaltsort  sein  moge. 

Bhrigu  sprach: 

5.  (6902.)  So  wie,  wenn  man  ihm  kein  Brennholz  mehr 
zufiihrt,  das  Feuer  nicht  mehr  wahrnehmbar,  sondern  wegen 
seines  Ubergegangenseins  in  den  Ather  schwer  zu  erfassen, 
weil  ohne  feste  Statte,  ist, 

6.  (6903.)  ebenso  befmdet  sich  der  Jiva,  wenn  er  den  Leib 
verlassen  hat,  in  einem  dem  Ather  ahnlichen  Zustande,  wird 
aber  wegen  seiner  Feinheit  nicht  wahrgenommen ,  wie  der 
Schein  jenes  Feuers,  daran  ist  nicht  zu  zweifeln. 

7.  (6904.)  Namlich  das  im  Korper  befmdliche  Feuerelement 
hat  die  Aufgabe,  die  Prana's  zu  stiitzen,  denn  der  Jiva  mufs 
unterstutzt  werden ;  dieses  die  Winde  im  Korper  unterstiitzende 
Feuer  erstickt,  wenn  der  Atmungsprozefs  gehemmt  wird. 

8.  (6905.)  Ist  aber  dieses  Feuer  im  Korper  erloschen,  so 
wird  der  Leib  bewufstlos,  und  niederstiirzend  geht  er  in  das 
Erdelement  iiber,  denn  sein  gewiesener  Gang  ist  die  Erde. 

9.  (6906.)  Denn  von  alien  Kreaturen,  mogen  sie  beweglich 
[als  Menschen  und  Tiere]  oder  unbeweglich  [als  Pflanzen] 
sein,  geht  der  Wind  iiber  in  den  Ather,  und  das  Feuer  folgt 
ihm  nach.  (6907.)  Wahrend  die  genannten  drei  eine  Einheit  bil- 
den,  so  nehmen  die  beiden  iibrigen  ihren  Standort  in  der  Erde. 

10.  Wo  der  Ather  ist,  da  ist  auch  der  Wind,  und  wo 
der  Wind  ist,  da  ist  auch  das  Feuer;  (6908.)  diese  drei  mufs 
man  als  gestaltlos  wissen,  obwohl  sie  die  Gestalt  der  Ver- 
korperten  ausmachen  [helfen]. 

Bharadvaja  sprach: 

11.  (6909.)  Wenn  Feuer,  Wind,  Erde,  Ather  und  Wasser 
in  den  Verkorperten  wahrgenommen  werden,  welches  Merk- 
mal  in  ihm  lafst  auf  den  Jiva  schliefsen?  Das  sage  mir, 
o  Untadeliger. 


160  III.   Mokshadharma. 

12.  (6910.)  Wahrend  der  Leib  aus  jenen  fiinfen  besteht, 
durch  jene  fiinf  sich  erfreut  und  durch  die  Erkenntniskraft 
jener  fiinf  zu  einem  bewufsten  wird,  so  mochte  ich  wohl 
wissen,  welcher  Art  da  noch  die  Funktion  des  Jiva  sein  soil. 

13.  (6911.)  Wenn  der  Leib,  der  ein  Aggregat  von  Fleisch 
und  Blut,  eine  Anhaufung  von  Fett,  Sehnen  und  Knochen 
ist,  in  seine  Teile  zerlegt  wird,  so  wird  dabei  von  einem  Jiva 
doch  nichts  wabrgenommen. 

14.  (691-2.)  Ist  aber  der  Leib  obne  Jiva  nur  aus  den  fiinf 
Elementen  zusammengesetzt,  wer  ist  es  dann,  so  konnte  man 
einwenden,  der  bei  korperlichem  oder  geistigem  Schmerze  sich 
des  Leides  bewufst  wird? 

15.  (6913.)  Nun,  ist  es  etwa  der  Jiva,  der  das  Gesprochene 
hort?  Hort  man  es  nicht  vielmehr  mit  den  Ohren,  o  grofser 
Rishi,  und  sogar  dann  noch,  wenn  das  Manas  unaufmerksara 
ist?     Der  Jiva  ist  also  doch  iiberfliissig. 

16.  (6914.)  Alles,  was  iiberhaupt  zu  sehen  ist,  sieht  man 
durch  das  mit  dem  Manas  verbundene  Auge;  und  freilich, 
wenn  das  Manas  verwirrt  ist,  so  sieht  das  Auge  und  sieht 
doch  nicht. 

17.  (6915.)  Man  sieht  nicht  und  man  riecht  nicht,  man 
hort  nicht  und  redet  nicht,  man  empfmdet  keine  Beriihrung  und 
keinen  Geschmack,  sobald  man  vom  Schlafe  iiberkommen  ist. 

18.  (6916.)  Wer  ist  es,  [etwa  der  Jiva?]  der  dann  sich 
freut  und  ziirnt  und  sich  bekiimmert  und  fiirchtet  und  wiinscht 
und  denkt  und  hafst  und  redet? 

Bhrigu  sprach : 

19.  (6917.)  Bei  dem  alien  vermag  der  aus  den  fiinf 
Elementen  zusammengefiigte  Leib  nichts,  und  nur  der 
innere  Atman  regiert  ihn ;  er  empfindet  die  Geriiche,  Ge- 
schmacke,  Gerausche,  die  Beriihrung,  die  Gestalt  und  was 
sonst  noch  fiir  Qualitaten  vorhanden  sein  mogen. 

20.  (6918.)  Wer  in  dem  aus  den  fiinf  Elementen  be- 
stehenden  Korper  die  fiinf  Qualitaten  wahrnimmt,  das  ist 
der  alle  Glieder  durch waltende  innere  Atman ;  er  empfindet 
Leid  und  Lust  im  Leibe,  und  hat  er  sich  losgetrennt, 
so  empfindet  der  Korper  nicht  mehr. 


Adhy^ya  187  (B.  187).  161 

21.  (6919.)  Wenn  keine  Sichtbarkeit,  Fiihlbarkeit  und  keine 
Warme  des  Korperfeuers  mehr  vorhanden  ist,  dann,  nach 
Erloschen  des  Korperfeuers,  verliifst  der  Atman  den  Leib,  aber 
er  vergeht  nicht, 

22.  (6920.)  Diese  ganze  Welt  ist  aus  den  [Ur-]Wassern 
gebildet,  und  die  Wasser  sind  die  Gestalt  der  Verkorperten ; 
in  ihnen,  in  alien  Wesen  weilt  der  Atman,  der  Manasa,  der 
Gott  Brahman,  der  Weltschopfer. 

23.  (6921.)  Der  Atman,  sofern  er  mit  den  aus  der  Prakrit 
stammenden  Guna's  verbunden  ist,  wird  der  Kshetrajna  (Orts- 
kenner)  genannt;  sofern  er  aber  von  diesen  befreit  ist,  wird 
er  als  Paramdtman  bezeichnet. 

24.  (6922.)  Ihn  erkenne  als  den  Atman,  der  seiner  Natur 
nach  das  Heil  aller  Welten  fordert  [vgl.  Platons  Idee  des 
Guten],  und  der  sich  in  diesem  Leibe  niedergelassen  hat  wie 
ein  Wassertropfen  auf  der  Lotosblume. 

25.  (6923.)  Ihn,  der  seiner  Natur  nach  immerfort  das  Heil 
der  Welt  fordert,  erkenne  als  den  Kshetrajfia,  aber  Tamas, 
Kajas  und  Sattvam,  diese  wisse  als  seine,  des  Jiva,  Guna's. 

26.  (6924.)  Sofern  er  [der  Atman]  mit  Geistigkeit  aus- 
gestattet  ist,  bezeichnet  man  den  Jiva  als  seine  Wesens- 
beschaffenheit ;  er  ist  es,  der  sich  bewegt  und  alles  sich 
bewegen  macht,  hoher  als  diesen  [den  Jiva]  bezeichnen 
ihn  die  Kenner  der  Leiblichkeit  als  den,  welcher  alle 
sieben  Welten  {bhur,  bhuvah^  svar,  mahar,  janas,  tapas, 
satyamj  in  Gang  gebracht  hat. 

27.  (6925.)  Nicht  wird  der  Jiva  zunichte,  wenn  er  sich 
von  dem  Leibe  trennt,  falsch  ist  es,  was  die  Toren  sagen: 
„er  ist  tot",  sondern  der  im  Korper  verborgene  Jiva  zieht 
aus  ihm  aus,  und  der  Zerfall  in  die  Halbzehnheit  [der 
Elemente]  ist  nur  seine  Lostrennung  vom  Leibe. 

28.  (6926.)  So  weilt  in  alien  Wesen  er  versteckt  und  wan- 
delt  in  der  Verhiillung ;  dem  scharfsten  Denken  nur  sichtbar, 
dem  feinsten  derer,  die  die  Wahrheit  sehen  [frei  nach  Kath. 
Up.  3,12]. 

29.  (6927.)  Ihm  gibt  sich  in  friiheren  und  spateren  Nachten 
(d.  h.  Zeiten)  der  Weise  immerfort  im  Yoga  hin ;  mafsig  sich 

Dkussen,  Mahabharatam.  11 


i[g2  HI-   Mokshadharma. 

A 

nahrend  und  reinen  Herzens  schaut  er  alsdann  den  Atman 
in  sich  selbst. 

30.  (6928.)  Nach  Klarung  seines  Denkens  steht  er  von 
guten  und  bosen  Werken  ab  und  beruhigten  Selbstes  im 
Selbste  weilend  erlangt  er  selige  Ewigkeit. 

31.  (6929.)  Der  Manasa  Agni  (das  geistige  Feuer)  in  den 
Leibern  wird  Jiva  genannt;  er  ist  eine  Schopfung  des  Praja- 
pati,  der  ihn  zum  innern  Selbst  der  Wesen  bestimmte. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Darlegung  der  Natur  der  Seele 
(jiva-svarupa-nirApanam) . 


Adhyaya  188  (B.  188). 

Vers  6930-6949  (B.  1-20). 

Bhrigu  sprachi 

1.  (6930.)  Zuerst  also  erschuf  der  Gott  Brahman  Brah- 
manen  als  Prajapati's,  welche  sich  aus  eigener  Kraft  ent- 
wickelten  und  an  Glanz  dem  Sonnenfeuer  gleichkamen. 

2.  (6931.)  Darauf  bestimmte  der  Herr  Wahrheit,  Gerechtig- 
keit,  Askese  und  das  ewige  Brahman  (die  rehgiose  Andacht), 
sowie  den  guten  Wandel  und  die  Eeinheit  fiir  den  Himmel 
[d.  h.  als  zum  Himmel  fiihrend]. 

3.  (6932.)  Darauf  wurden  die  Gotter,  die  Danava's  (gotter- 
feindliche  Wesen),  die  Gandharva's  (himmlische  Genien),  die 
Daitya's  (bose  Geister),  die  Asura's  (Damonen)  und  die 
grofsen  Schlangen,  die  Yaksha's  (Halbgotter),  die  Rakshasa's 
(Kobolde),  die  Schlangen,  die  Pigaca's  (Unholde)  und  die 
Menschen, 

4.  (6933.)  namlich  Brahmanen,  Kshatriya's,  Vaigya's  und 
(^udra's,  o  Bester  der  Zwiegeborenen,  sowie  die  iibrigen  Klassen 
der  Wesenscharen  von  ihm  geschaffen. 

5.  (6934.)  Die  Farbe  [varna,  auch  Kaste)  der  Brahmanen 
ist  weifs,  die  der  Kshatriya's  rot,  die  der  Vaigya's  gelb  und 
die  Farbe  der  Qudra's  schwarz. 

Bharadvaja  sprach: 

6.  (6935.)  Wenn  bei  den  vier  Kasten  der  [moralische] 
Kastencharakter  fvarnaj   nach   der  Farbe   fvarnaj   eingeteilt 


Adhyaya  188  (B.  188).  163 

werden  soil,  so  folgt  doch  daraus,  dafs  bei  alien  Kasten  schon 
eine  Vermengung  der  Kasten  [und  ihres  moralischen  Charak- 
ters]  eingetreten  sein  mufs. 

7.  (6936.)  Denn  Liebe,  Zorn,  Furcht,  Habgier,  Kummer, 
Sorge,  Hunger  und  Ermiidung,  das  kommt  doch  bei  uns  alien 
vor,  wozu  also  die  Einteilung  in  Kasten? 

8.  (6937.)  Schweifs,  Harn  und  Kot,  Sclileim,  Galle  und 
Blut,  alles  dies,  der  ganze  Korper  ist  bei  alien  fortwahrendem 
Wechsel  unterworfen,  wozu  also  die  Einteilung  in  Kasten? 

9.  (6938.)  Von  beweglichen  Wesen  und  ebenso  von  den 
unbeweglichen  gibt  es  unzahlige  Arten,  welche  alle  von  ver- 
schiedenem  Aussehen  sind,  wie  kann  man  da  die  Kasten 
[gerade  als  vier]  bestimmen? 

Bhrigu  sprach: 

10.  (6939.)  Urspriinglich  besteht  keine  Verschiedenheit  der 
Kasten,  brahmisch  ist  die  ganze  Welt  der  Lebenden,  aber 
das,  was  urspriinglich  von  Gott  Brahman  geschaffen  war,  das 
ist  infolge  der  Werke  in  das  Kastenwesen  auseinandergegangen. 

•11.  (6940.)  Sie,  welche  Lust  und  Genufs  lieben,  scharf, 
zornmiitig  und  Freunde  von  Gewalttat  sind,  ihre  urspriing- 
liche  Pflicht  vergessen  und  ihre  Glieder  mit  Blut  befleckt 
haben,  das  sind  Brahmanen,  welche  in  das  Kshatriyatum 
herabgesunken  sind. 

12.  (6941.)  Jene  anderen,  welche  aus  der  Viehzucht  ihren 
Unterhalt  gewinnen,  von  gelber  Farbe,  vom  Ackerbau  lebend, 
auch  sie  betreiben  nicht  mehr  ihre  urspriingliche  Obliegen- 
heit,  sondern  sind  Brahmanen,  welche  in  das  Vaigyatum  herab- 
gesunken sind. 

13.  (6942.)  Und  endlich  jene,  welche  an  Schadigung  und 
Liige  sich  freuen,  habgierig  sind  und  alle  Geschafte  zu  ihrem 
Unterhalt  betreiben,  die  Schwarzen,  von  der  Reinheit  Ab- 
gefallenen,  das  sind  Brahmanen,  welche  in  das  (^udratum 
herabgesunken  sind. 

14.  (6943.)  In  dieser  Weise  geschah  es,  dafs  Brahmanen, 
durch  derartige  Werke  getrennt,  in  die  anderen  Kasten  ge- 
raten  sind,  und  nicht  immer  ist  ihnen  Frommigkeit  und  Opfer- 
werk  benommen  gewesen. 

11* 


164  in.   Mokshadharma. 

15.  (6944.)  So  sind  alle  diese  vier  fcaturo  fiir  catvdroj  Kasten 
solche,  denen  das  gottliche  Vedawort  anvertraut  worden  war, 
die  urspriinglich  als  Brahmanen  erschaffen  waren,  aber  aus 
Habgier  in  das  Nichtwissen  herabgesunken  sind. 

16.  (6945.)  Die  Brahmanen  aber  sind  die,  welche  der  hei- 
ligen  Lehre  treugeblieben  sind;  ihre  Askese  ist  unvergang- 
lich,  indem  sie  immerfort  das  heilige  Wort  hochhalten  so- 
wie  die  Geliibde  und  die  Selbstbezahmungen. 

17.  (6946.)  Sie,  welche  das  Vedawort,  das  hochste,  ge- 
schaffene,  nicht  kennen,  das  sind  die  Nicht-Brahmanen ,  von 
ihnen  aber  gibt  es  mannigfache ,  voneinander  verschiedene 
Arten  hier  und  dort. 

18.  (6947.)  Da  gibt  es  Pigaca's  (Unholde),  Rakshasa's  (Ko- 
bolde),  Gespenster  und  mancherlei  barbarische  Geschlechter, 
die  Erkenntnis  und  Wissen  verloren  haben  und  einen  Wandel 
nach  eigenem  Geliiste  fiihren. 

19.  (6948.)  So  wurden  die  Geschopfe  derartig,  dafs  sie  die 
Weise  der  Brahmanen  und  die  Bestimmung  gemafs  ihren 
eigenen  Werken  [in  einer  friiheren  Weltperiode]  an  sich 
trugen,  von  den  Rishi's  kraft  der  ihnen  einwohnenden  Askese 
geschaffen,  die  einen  von  diesen,  die  anderen  von  jenen. 

20.  (6949.)  Das  ist  die  aus  dem  Anfangsgotte  entsprungene, 
in  Gott  Brahman  wurzelnde,  unverganghche  und  ewige  Schop- 
fung,  welche  die  geistige  fmdnasV  genannt  wird  und  das  Ver- 
kniipftsein  mit  der  heiligen  Pflicht  als  Hochstes  hat. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Darleguug  der  Kasteneinteilung 
(varna  -  vibhdga  -  kathanarn). 


Adhyaya  189  (B.  189). 

Vers  6950-6967  (B.  1-18). 

Bharadvaja  sprach: 

1.  (6950.)  Wodurch  wird  einer  ein  Brahmane  oder  ein 
Kshatriya,  o  Bester  der  Zwiegeborenen ,  oder  ein  Vaigya 
oder  Qudra,  o  Brahmanen weiser?  Das  erklare,  o  Bester  der 
Redner. 


Adhyaya  189  (B.  189).  165 

Bhrigu  sprach: 

2.  (6951.)  Wer  durch  die  Geburtszereraonie  und  die  iibrigen 
AVeihen  geheiligt  und  rein  ist,  mit  dem  Vedastudium  begabt 
und  in  den  sechs  taglichen  Werken  feststehend, 

3.  (6952.)  wer  in  reinem  Wan  del  durchaus  beharrt,  von 
Resten  sich  nahrt  {vighasdgwj  und  dem  Lehrer  lieb  ist,  alle- 
zeit  seine  Geliibde  halt  und  die  Wahrheit  iiber  alles  schatzt, 
der  wird  ein  Brahmane  genannt. 

4.  (6953.)  Der,  bei  welchem  Wahrhaftigkeit,  Freigebigkeit, 
Treue,  Wohlwollen,  Schamhaftigkeit ,  Barmherzigkeit  und 
Askese  gesehen  werden,  der  gilt  fur  einen  Brahmanen. 

5.  (6954.)  Wer  hingegen  die  der  Zerstorung  dienenden 
Werke  iibt,  am  Vedastudium  teilnimmt,  am  Geben  [den  Brah- 
manen] und  am  Nehmen  [von  den  Untertanen]  Freude  hat, 
der  wird  ein  Kshatriya  genannt. 

6.  (6955.)  Wer  hingegen  an  Handel,  Viehzucht,  Ackerbau 
und  Geben  [an  die  Brahmanen]  sich  freut  und  rein  ist,  auch 
mit  dem  Vedastudium  begabt,  der  wird  als  einVai^ya  bezeichnet. 

7.  (6956.)  Wer  endlich  sich  damit  zufrieden  gibt,  alles  zu 
essen,  alle  Handlungen  verrichtet  und  unrein  ist,  des  Veda 
entbehrt  und  ohne  guten  Wandel  ist,   der  heifst  ein  Qudra. 

8.  (6957.)  Dies  ist  die  Charakteristik  des  Qudra,  und  sie 
trifft  auf  einen  Zwiegeborenen  nicht  zu ;  [ohne  sie]  wiirde  der 
^udra  nicht  Qudra  und  der  Brahmane  nicht  Brahmane  sein. 

9.  (6958.)  Durch  alle  Mittel  sich  der  Begierde  und  des 
Zornes  zu  enthalten,  das  ist  das  Lauterungsmittel  alles  Wis- 
sens,  sowie  auch  dafs  man  sein  Selbst  im  Zaume  halt. 

10.  (6959.)  Diese  beiden  [Begierde  und  Zorn],  welche, 
wenn  sie  aufkommen,  das  Heil  vernichten,  soil  man  mit  der 
ganzen  Kraft  seines  Wesens  fernhalten, 

11.  soil  allezeit  sein  Wohlbefinden  vor  Zorn  und  seine 
Askese  vor  Selbstsucht  bewahren,  (6960.)  sowie  seine  Wissen- 
schaft  vor  Hochmut  und  Verachtung  und  sich  selbst  vor  Un- 
besonnenheit. 

12.  Der,  dessen  Bestrebungen  alle  ohne  Verbindung  mit 
Wiinschen  erfolgen,  o  Zwiegeborener,  (696i.)  dessen  ganzes 
Opfer  im  Entsagen  besteht,  der  ist  ein  Entsagender,  der  ist 
ein  Weiser 


166  ni.   Mokshadharma. 

13.  Ohne  irgendein  Wesen  zu  schadigen,  moge  er  dahin- 
gehen,  indem  er  den  Weg  der  Freundlichkeit  wandelt,  (6962.)  und 
indem  er  alien  Anhang  von  sich  abtut,  moge  er  durch  seine 
Erkenntnis  die  Sinne  besiegen;  dann  wird  er  eine  von  Rum- 
mer freie  Stellung  hienieden  erreichen  und  Furchtlosigkeit 
im  Jenseits. 

14.  (6963.)  Beharrlich  in  der  Askese,  sich  bezahmend,  ein 
Muni,  das  eigene  Selbst  beherrschend,  das  Uniiberwundene 
zu  iiberwinden  trachtend,  so  soil  man  sein,  und  ohne  An- 
hanglichkeit  an  alles,  woran  das  Herz  hangt. 

15.  (6964.)  Alles,  was  von  den  Sinnen  erfafst  werden  kann, 
das  gehort  zum  Vyaktam  (zur  entfalteten  Natur),  das  ist  ge- 
wifs;  das  Avyaktam  (die  unentfaltete  Natur),  das  soil  man 
wissen,  lafst  sich  nur  aus  Anzeichen  erkennen,  da  sie  iiber- 
sinnlich  ist. 

16.  (6965.)  Nicht  soil  man  im  Mifstrauen  [gegen  Veda  und 
Lehrer]  dahingehen,  sondern  sein  Manas  im  Vertrauen  fest- 
machen,  das  Manas  aber  halte  man  nieder  in  dem  Prana,  und 
den  Prana  mache  man  fest  in  Brahman. 

17.  (6966.)  Aus  Weltverdrossenheit  wende  man  sich  dem 
Nirvanam  zu,  und  nicht  sorge  man  sich  iiber  irgend  etwas^ 
denn  als  ein  Gliick  erlangt  der  Brahmane  durch  die  Welt- 
verdrossenheit das  Brahman. 

18.  (6967.)  Dann  ist  er  allezeit  mit  Reinheit  verbunden, 
mit  gutem  Wandel  begabt  und  voll  Mitgefiihl  fiir  die  Wesen. 
Das  ist  das  Merkmal  des  wahren  Zwiegeborenen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Darlegung  der  Natur  der  Kasten 
(carna  -  svarupa  -  kathanam). 


Adhyaya  190  (B.  190). 

Vers  6968-6983.    (B.  1-16.) 

Bhrigu  sprach: 
1.  (6968.)   Das  Satyam   (die  Wahrheit)   ist  Brahman,  das 
Satyam  ist  Askese,  das  Satyam  schafft  die  Geschopfe,  durch 
das  Satyam  wird  die  Welt  getragen,  durch  das  Satyam  geht 
man  zum  Himmel  ein. 


Adhyaya  190  (B.  190).  167 

2.  (6969.)  Die  Unwahrheit  ist  von  der  Art  des  Tamas 
(Finsternis),  durcli  das  Tamas  wird  man  nach  unten  gefiihrt, 
von  dem  Tamas  verschlungen  sieht  man  nicht  das  Licht, 
well  man  von  Tamas  umhiillt  ist. 

3.  (6970.)  Der  Himmel  ist  Licht,  so  sagt  man,  und  die 
Holle  ist  Finsternis ;  Wahrheit  und  Unwahrheit,  beide  werden 
von  den  auf  der  Erde  Wandelnden  ergriffen. 

4.  (6971.)  Dementsprechend  ist  auch  der  Lauf  der  Welt 
Wahrheit  und  Unwahrheit,  Recht  und  Unrecht,  Licht  und 
Finsternis,  Leid  und  Lust. 

5.  (6972.  Prosa.)  Dabei  steht  es  so:  die  Wahrheit  ist  das 
Recht,  das  Recht  ist  das  Licht,  das  Licht  ist  die  Lust;  hin- 
gegen:  die  Unwahrheit  ist  das  Unrecht,  das  Unrecht  ist  die 
Finsternis,  die  Finsternis  ist  das  Leid. 

6.  (6973.)  Hierbei  wird  bemerkt:  Aus  korperiichem  und 
geistigem  Leid  und  aus  Lust,  die  aus  dem  Leide  hervorgeht, 
besteht  die  Weltschopfung,  das  sehen  die  Weisen  und  lassen 
sich  nicht  betoren. 

7.  (6974.)  Darum  strebt  der  Weise  nur  danach,  sich  vom 
Leid  zu  befreien,  denn  die  Lust  der  Wesen  ist  etwas  Hin- 
faUiges,  sowohl  in  dieser  Welt  als  auch  in  der  andern. 

8.  (6975.)  Wie  das  Licht  des  vom  Rahu  verschlutigenen 
Mondes  [bei  der  Mondfinsternis]  nicht  leuchtet,  so  geht  die  Lust 
der  von  der  Finsternis  ftamasj  iiberwaltigten  Wesen  zugrunde. 

9.  (6976.  Prosa.)  Was  nun  die  Lust  betrifft,  so  wird  ge- 
lehrt,  dafs  sie  zweifach  sei,  namlich  korperlich  und  geistig. 
Es  geschehen  aber  sowohl  in  dieser  als  in  jener  Welt  die 
Entwicklungen  der  Dinge,  wie  iiberliefert  wird,  um  der  Lust 
willen,  denn  iiber  diese  hinaus  gibt  es  keine  vorziiglichere 
Frucht  der  Dreiheit  von  Bestrebungen  [nach  dem  Angenehmen, 
Niitzlichen  und  Guten];  dabei  aber  dient  die  spezielle  Quali- 
tat  des  Angenehmen  den  Qualitaten  des  Guten  und  Niitz- 
lichen zum  Antrieb.  Diese  beiden  sind  die  Ursachen,  aus 
denen  jenes  [das  Angenehme]  hervorgeht,  und  sie  werden  in 
Angriff  genommen  um  der  Lust  willen  als  Zweck. 

Bharadvaja  sprach: 

10.  (6977.  Prosa.)  Wcun  du,  o  Herr,  behauptest,  dafs  die 
Liiste  am  hochsten  stehen,  so  nehmen  wir  das  nicht  an.    Denn 


168  III.    Mokshadharma. 

jenen  Weisen,  welche  im  Mahdn  feststanden,  ware  jene  be- 
sondere  Qualitat  des  Angenehmen  nicht  unerreichbar  gewesen, 
und  doch  trugen  sie  nach  ihr  kein  Verlangen.  Ferner,  was 
den  Schopfer  der  drei  Welten,  den  Gott  Brahman,  den  Herrn, 
betrifft,  so  lehrt  die  Schrift,  dafs  er  ganz  allein  im  Tapas 
sich  hielt.  Auch  ist  zu  bemerken,  dafs  der  Brahmacarin 
sich  keineswegs  dem  Angenehmen  und  der  Lust  hingibt. 
EndUch  erinnere  ich  daran,  dafs  der  heihge  Herr  des  Welt- 
alls,  der  Gatte  der  Uma,  den  Kama  (Liebesgott),  als  er  ihm 
zu  nahen  wagte,  durch  die  an  ihm  vollzogene  Korpervernich- 
tung  zur  Kuhe  bettete.  Darum  sage  ich :  Von  jenen  Hoch- 
sinnigen  ist  diese  Qualitat  [des  Angenehmen]  nicht  ergritfen 
worden,  und  wenn  du  behaupten  solltest,  dafs  sie  eine  so 
ausgezeichnete  Art  von  Qualitat  nicht  batten  haben  konnen, 
so  nehme  ich  dies  von  dir,  o  Ehrwiirdiger,  nicht  an.  Wenn 
du  aber  behauptest,  dafs  es  nichts  Hoheres  gabe  als  die  Lust, 
so  ist  zu  bemerken,  dafs  nach  allgemeiner  Annahme  das  Ent- 
stehen  der  Frucht  von  zweifacher  Art  ist,  sofern  durch  gute 
Werke  Lust  und  durch  bose  Leid  erlangt  wird. 

Bhrigu  sprach: 

11.  (6978.  Prosa.)  Dagegen  ist  zu  bemerken:  Aus  der  Un- 
wahrheit  ist  die  Finsternis  ftamasj  hervorgegangen,  und  von 
der  Finsternis  verschlungen  wenden  sich  die  Menschen  dem 
Bosen  zu  und  nicht  dem  Guten,  und  in  Zorn,  Habgier,  Grau- 
samkeit,  Unwahrheit  usw.  versunken,  konnen  sie  natiirlich 
weder  in  dieser  Welt  noch  im  Jenseits  zur  Lust  gelangen; 
vielmehr  werden  sie,  mit  mancherlei  Krankheit,  Gebrechen 
und  Qualen  iiberschiittet,  von  Totung,  Fesselung  und  anderen 
Noten,  sowie  von  den  durch  Hunger,  Durst  und  Ermiidung 
verursachten  Qualen  gequalt.  Auch  werden  sie  von  den  aus 
Kegen,  Wind,  iibergrofser  Hitze  und  libergrofser  Kalte  ent- 
springenden  Befiirchtungen  und  von  korperlichen  Schmerzen 
heimgesucht,  und  nicht  weniger  werden  sie  von  den  aus  Unter- 
gang  von  Verwandten  und  Reichtum  und  aus  der  Trennung 
von  ihnen  entsprungenen  geistigen  Schmerzen  iiberkommen, 
sowie  von  anderen,  welche  Alter  und  Tod  ihnen  bereiten. 

12.  (6979.  Prosa.)   Nur  der  aber,  welcher  von  diesen  korper- 


Adhyaya  190  (B.  190).  169 

Jiclien  und  geistigen  Leiden  nicht  beriihrt  wird,  kann  die  Lust 
geniefsen ;  im  Himmel  aber  kommen  dergleichen  Mangel  nicht 
vor,  und  dort  befinden  sie  [die  Guten]  sich  eben. 

13.  (6980.)  Ein  angenehmer  Wind  weht  im  Himmel  und 
ein  lieblicher  Geruch  begleitet  ihn.  Dort  gibt  es  nicht  Hunger, 
nicht  Durst,  nicht  Qualen,  nicht  Alter  und  nicht  Schlechtigkeit. 

14.  (6981.)  Im  Himmel  herrscht  ewige  Lust,  auf  Erden 
beides.  Lust  und  Leid;  in  der  Holle,  so  heifst  es,  ist  nur 
Leid.     Lust  hingegen  ist  jenes   hochste  Gefilde  der  Seligen. 

15.  (6982.)  Die  Erde  ist  die  Gebarerin  aller  Wesen,  und 
ihr  ahnlich  sind  die  Frauen,  der  Mann  hingegen  ist  fiir  sie 
Prajapati,  und  sein  Same  ist  von  Feuerart. 

16.  (6983.)  So  ist  diese  Weltschopfung  vor  Zeiten  von 
Gott  Brahman  geordnet  worden ;  die  Geschopfe  leben  ihr  nach, 
ein  jeder  von  seinen  friiheren  Werken  umhiillt. 

So  lautet  im  MokBhadharma  die  Unterredung  des  Bhrigii  mit  Bharadv^ja 
(Bhrigu  -  Bharadcdja  -  samvdda). 


AdhyAya  191  (B.  191). 

Vers  6984-7001  (B.  1-18). 

Bharadvaja  sprach: 

1.  (6984.)  Welcher  Lohn  wird  in  Aussicht  gestellt  fiir  Frei- 
gebigkeit,  Pflichterfiillung  und  guten  Wandel,  fiir  wohldurch- 
gefiihrte  Askese,  fiir  Vedastudium  und  fiir  Opfer? 

Bhrigu  sprach: 

2.  (6985.)  Durch  Opfer  wird  das  Bose  beschwichtigt,  durch 
Vedastudium  der  hochste  Frieden  erreicht,  durch  Almosen- 
geben  erlangt  man  Freuden,  wie  es  heifst,  und  durch  Askese 
den  Himmel. 

3.  (6986.)  Das  Almosengeben  aber  ist,  wie  gelehrt  wird, 
von  zweifaeher  Art,  je  nachdem  es  um  des  Jenseits  willen 
Oder  fiir  das  Diesseits  geschieht;  alles,  was  von  Guten  ge- 
spendet  wird,  das  erwartet  sie  im  Jenseits. 


170  III.    Mokshadharma. 

4.  (6987.)  Aber  was  von  Nichtguten  gespendet  wird,  diese 
Gabe  wird  schon  hier  vergolten.  In  welcher  Gesinnung  einer 
die  Gabe  gibt,  dementsprechend  erlangt  er  die  Frucht. 

Bharadvaja  sprach: 

5.  (6988.)  Worin  besteht  fiir  jeden  der  Wandel  in  der 
Pflicht  und  was  ist  das  Kennzeichen  der  Pflicht?  Wie  viel- 
fach  ist  ferner  die  Pflicht  ?  Das  mogest  du,  o  Herr,  mir  sagen. 

Bhrigu  sprach: 

6.  (6989.)  Weise  Menschen  geben  sich  dem  Wandel  in  der 
ihnen  obliegenden  Pflicht  bin  und  erlangen  als  Lohn  den 
Himmel;  wer  es  anders  macht,  der  ist  ein  Tor. 

Bharadvaja  sprach: 

7.  (6990.)  Das  System  der  vier  Lebensstadien  ist  vor  Zei- 
ten  von  Brahmanweisen  eingerichtet  worden.  Jedes  derselben 
hat  einen  ihm  eigentiimlichen  Wandel;  den  soUst  du  mir  er- 
klaren. 

Bhrigu  sprach: 

8.  (6991.  prosa.)  Vor  Zeiten  wurden  von  dem  erhabenen 
Gotte  Brahman,  da  er  das  Heil  der  Welt  im  Auge  hatte,  um 
der  Erhaltung  der  Pflicht  willen  die  vier  Lebensstadien  vor- 
gezeichnet.  Hierbei  bezeichnet  man  als  das  erste  Lebens- 
stadium  das  Wohnen  in  der  Familie  eines  Lehrers.  Es  be- 
steht darin,  dafs  man  sein  Selbst  vollstandig  durch  Reinheit, 
Weihen,  Bezahmung  und  Gelubde  bandigt,  beide  Dammerungen 
und  in  ihnen  die  Gottheiten  der  Sonne  und  des  Feuers  ver- 
ehrt,  Triigheit  und  Schlaffheit  fahren  lafst,  durch  Begriifsung 
des  Lehrers,  sowie  durch  Studieren  und  Horen  des  Veda  sein 
inneres  Wesen  lautert,  die  drei  taglichen  Waschungen  be- 
treibt,  durch  Pflege  des  Brahmacarya-Feuers,  durch  Gehorsam 
gegen  den  Lehrer  und  durch  beharrliches  Betteln  und  Er- 
nahrung  durch  Erbetteltes  vollstandig  zum  Bewufstsein  seiner 
innern  Seele  gekommen  ist,  ohne  Widerstreben  A^ort  und  Be- 
fehl  des  Lehrers  befolgt  und  das  dafur  durch  die  Gnade  des 
Lehrers  empfangene  Vedawissen  als  das  Hochste  schatzt. 


Adhyaya  191  (B.  191).  171 

9.  (6992.)   Dariiber  ist  auch  dieser  Vers: 

Der  Zwiegeborene ,  welcher  den  Lehrer  sich  freundlich 
stimmt  und  von  ihm  den  Veda  erlangt,  der  erlangt  als  Frucht 
den  Himmel,  und  sein  geistiges  Wesen  kommt  zur  VoU- 
endung. 

10.  (6993.  Prosa.)  Den  Stand  des  Hausvaters  nun  welter 
bezeichnet  man  als  das  zweite  Lebensstadium,  die  Merkmale 
des  richtigen  Wandels  in  diesem  wollen  wir  nunmehr  voll- 
standig  auseinandersetzen.  Fiir  solche,  welche  aus  der  Schiiler- 
schaft  zuriickkehren ,  sich  eines  guten  Lebenswandels  be- 
fleifsigen  und  nach  der  Frucht  eines  gemeinschafthchen  Wan- 
dels  in  der  [Ehe-]  Pflicht  verlangen,  wird  der  Wandel  als 
Hausvater  vorgeschrieben.  Denn  in  ihm  wird  das  Gute,  Niitz- 
liche  und  Angenehme  erlangt.  Indem  man  mit  Riicksicht  auf 
die  Erlangung  dieser  Dreiheit  in  vorwurfsfreier  Tatigkeit  zu 
Reichtum  gelangt,  soil  man  mittels  dieses  Reichtums  —  mag 
er  vorwiegend  durch  Unterricht  im  Veda  gewonnen  sein  oder 
durch  einen  Brahmanweisen  erzaubert,  oder  aus  den  Schatzen 
der  Berge  erworben,  oder  infolge  Opferns  an  Gotter  und  Manen 
und  Betreibens  der  Bezahmung  durch  die  Gnade  der  Gotter 
verliehen-  sein  —  als  Hausvater  den  Hausvaterstand  antreten. 
Denn  diesen  erklart  man  fiir  die  Wurzel  aller  Lebensstadien. 
Denn  auch  fiir  diejenigen,  welche  in  der  Familie  des  Lehrers 
wohnen  bleiben,  und  fiir  die  anderen,  welche  als  Pilger 
umherziehen  und  der  zwangsmafsigen  Pflicht  eines  unter- 
nommenen  Geliibdes  obliegen,  auch  fiir  diese  werden  die  Zu- 
teilungen  von  Almosen  und  Spenden  aus  dem  Hausvater- 
stande  bestritten. 

11.  (6994.  Prosa.)  Und  auch  fiir  die  Waldeinsiedler  ist  eine 
Beisteuer  von  Sachen  [durch  den  Hausvater]  angebracht,  denn 
so  wenigstens  pflegen  meist  diese  Guten,  mit  guter  Wege- 
kost  versehen  und  nur  mit  Vedastudium  beschaftigt,  zum 
Besuche  von  heiligen  Badeplatzen  und  zur  Besichtigung  der 
Gegenden  die  Erde  zu  durchstreifen,  und  ihnen  gebtihrt  gast- 
liche  Aufnahme  durch  Aufstehen,  Entgegengehen,  Begriifsen, 
nichtverdriefsliches  Spenden  von  Worten  und  Anbieten  eines 
angenehmen  starkenden  Sitzes  und  eines  angenehmen  Lagers- 
nebst  Verpflegung. 


172  III.   Mokshadharma. 

12.  (6995.)   Dariiber  ist  auch  der  Vers: 

Wenn  ein  Gast  mit  getauschter  Hojffnung  vor  einem  Hause 
umkehrt,  so  iibertragt  er  seine  bosen  Werke  auf  dessen  Be- 
sitzer  [vgl.  Ev.  Matth.  10,14]  und  nimmt  dessen  gute  Werke 
mit  sich  fort. 

13.  (6996.  Prosa.)  Auch  werden  in  diesem  Stande  [des  Haus- 
vaters]  die  Gotter  durch  Opfer werke  erfreut,  die  Vater  durch 
Vorsetzen  [des  Manenopfers],  die  Rishi's  durch  Betreiben,  An- 
horen  und  Behalten  der  Wissenschaft  und  Prajapati  durch 
Erzeugung  von  Nachkommen. 

14.  (6997.)   Und  dariiber  sind  zwei  Verse : 

Aus  Zartgefiihl  fiir  alle  Wesen  sollen  die  Reden  fiir  das 
Ohr  liebhch  khngen;  Qualen,  Schlagen  und  hartes  Anfahren 
ist  das  dabei  zu  Tadelnde. 

15.  (6998.)  Hochmut,  Selbstsucht  und  Falschheit  wird  ge- 
tadelt,  hingegen  ist  Nicht-Schadigung,  Wahrhaftigkeit  und 
Enthaltung  von  Zorn  eine  Askese,  die  alien  Lebensstadien 
geziemt. 

16.  (6999.  Prosa.)  Auch  ist  dabei  [in  Betracht  zu  ziehen] 
das  Trachten  nach  Schmiickung  mit  Kranzen  und  nach  be- 
standiger  Freude  an  Kleidern  und  Salben,  nach  Tanz,  nach 
Ergotzung  des  Ohres  durch  Gesang  und  Musik  und  Erfreuung 
<les  Auges  durch  liebHche  Anblicke,  ferner  der  Genufs  mannig- 
facher  Gaumenfreuden ,  wie  Essen,  Schmausen,  Schlecken, 
Trinken  und  Schliirfen,  Freude  an  eigenen  Belustigungen 
und  Streben  nach  Geschlechtsgenufs. 

17.  (7000.)  In  wessen  Hausvaterstande  eine  bestandige  Ent- 
wicklung  von  tiichtigen  Leistungen  in  der  Dreischar  [des 
Guten,  Niitzlichen  und  Angenehmen]  statthat,  der  kann  die 
Freuden  der  Erde  geniefsen  und  doch  den  Gang  der  Meister 
gehen. 

18.  (7001.)  Wenn  ein  Hausvater,  auch  ein  solcher,  der  auf 
Ahrenlesen  angewiesen  ist,  an  dem  Wandel  in  der  eigenen 
Pflicht  seine  Freude  hat  und  das  Streben  nach  Lust  und  Ge- 
nufs von  sich  abtut,  fiir  den  ist  der  Himmel  nicht  schwer  zu 
«rlangen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  des  Bhrigu  mit  Bharadvaja 
(Bhrigu  -  Bharadvdja  -  samvdda). 


Adhyaya  192  (B.  192).  ITS 

Adhyaya  193  (B.  193). 

Vers  7002-7031  (B.  1-27). 

Bhrigu  sprach: 
1.  (7002  Prosa.)  Die  Waldeinsiedler  (vdnaprasthdhj  nun  aber 
sind  diejenigen,  welche  ihre  Pflicht  dadurch  betreiben,  dafs 
sie  heilige  Badeplatze  und  Flufsmiindungen  besuchen,  wah- 
rend  sie  in  abgelegenen,  von  Antilopen,  Biiffeln,  Ebern,  Tigern 
und  Waldelefanten  belebten  Waldern  Askese  iiben,  und  in- 
dem  sie  den  Genufs  der  im  Dorfe  iiblichen  Nahrung  und 
Kleidung  aufgeben,  auf  wildwachsende  Krauter,  Friichte, 
Wurzeln  und  Blatter  beschrankt,  mancherlei  kargliche  Nah- 
rung finden,  hingegen,  an  einem  Orte  weilend,  auf  Erde, 
Steinen,  Kies,  Geroll,  Sand  und  Asche  sich  lagern,  ihren 
Korper  in  Graser,  Binsen,  Felle  und  Baumbast  kleiden,  Kopf- 
haare,  Bart,  Nagel  und  Korperhaare  wachsen  lassen,  zu  be- 
stimmter  Zeit  die  Abwaschungen  vornehmen,  in  nicht  zu  ver- 
saumenden  Zeiten  Spenden  und  Opfer  darbringen,  iibrigens 
vor  Brennholz,  vor  Darbringung  von  Kugagras  und  Blumen, 
sowie  vor  Abwaschung  der  Opfergerate  Ruhe  haben,  durch 
den  Widerstand  gegen  Kalte,  Hitze,  Regen  und  Wind  die 
ganze  Haut  voll  Risse  haben,  durch  die  mannigfachen  Askesen, 
Observanzen,  Wanderungen,  Befolgungen  und  ObHegenheiten 
ganz  ausgetrocknet  an  Fleisch,  Blut,  Haut  und  Knochen  sind 
und,  die  Standhaftigkeit  iiber  alles  schatzend,  der  ewigen  Reah- 
tat  ergeben,  ihren  Korper  dahinschleppen. 

2.  (7003.)  Wer  aber  mit  Strenge  diesen  von  den  Brahman- 
weisen  vorgeschriebenen  Wandel  einhalt,  der  verbrennt  wie 
ein  Feuer  seine  Siinden  und  erobert  schwer  zu  erobernde 
Welten. 

3.  (7004.  Prosa.)  Was  nun  endhch  den  Lebenswandel  der 
Parivrajaka's  (Heimatlosen)  betrifft,  so  steht  es  damit  folgender- 
mafsen :  Indem  sie  Opferfeuer,  Habe,  Weib  und  Anhang 
im  Stich  lassen  und  in  Anhanglichkeit  an  den  Atman  die 
Fesseln  der  Neigung  abschiitteln,  wandern  sie  heimatlos  um- 
her,  (7005.)  und  wahrend  sie  Erdschollen,  Steine  und  Gold  fiir 
gleich  aohten ,  ihren  Geist  nicht  mehr  an  die  Produkte  der 


174  III-  Mokshadharma. 

Dreiheit  [des  Guten,  Niitzlichen,  Angenehmen]  hangen,  mit 
gleicher  Gesinnung  auf  Feinde,  Freunde  und  Gleichgultige 
blicken,  gegen  Pflanzen,  Lebendgeborenes ,  Eigeborenes, 
Schweifsgeborenes  und  Keimgeborenes ,  gegen  alle  diese 
Wesen  in  Gedanken,  Worten  und  Werken  ohne  Falsch  sind 
und  ohne  eigene  Behausung  Berge,  Sandbanke,  Baumwurzeln 
Oder  Gottertempel  als  Aufenthalt  wahlen,  so  mogen  sie  um 
des  Unterkommens  willen  zwar  eine  Stadt  oder  ein  Dorf  auf- 
suchen,  so  jedoch,  dafs  sie  in  einer  Stadt  nur  fiinf  Nachte, 
in  einem  Dorfe  nur  eine  Nacht  verweilen,  und  wenn  sie,  um 
ihr  Leben  zu  fristen,  einkehren,  so  soUen  sie  nur  die  Hauser 
von  unbescholtenen  Zwiegeborenen  besuchen,  una  von  dem 
in  die  Almosenschale  gelegten,  nichtgeforderten  Almosen  zu 
leben,  abstehend  von  Liebe,  Zorn,  Stolz,  Habgier,  Verblen- 
dung,  Lamentieren,  Trug,  Nachrede,  Hochmut  und  Schadigung. 
4.  (7006.)  Auch  sind  dariiber  folgende  Verse: 
Wer  als  Muni  so  lebt,  dafs  er  alien  Wesen  Furchtlosig- 
keit  einflofst,  fiir  den  entsteht  keine  Furcht  vor  irgendeinem 
Wesen. 

5.  (7007.)  Indem  er  das  Agnihotram  in  seinem  eigenen 
Leibe  aufnimmt,  opfert  er  dem  Feuer  seines  Leibes  in 
dem  eigenen  Munde,  und  als  Brahmane  durchstreift  er 
die  Welt  mittels  der  als  Almosen  ihm  iibergebenen  Opfer- 
spenden  fiir  die  [in  ihm]  geschichteten  Feuer. 

6.  (7008.)  Wer  in  der  genannten  Weise  das  Lebens- 
stadium  der  Erlosung  betreibt,  indem  er  rein  und  wohl- 
bereiteten  und  befreiten  Geistes  ist,  der  Mensch  gelangt 
zur  Brahmanwelt,  wie  ein  Feuer,  welches  aus  Mangel  an 
Brennholz  erloschen  ist  [d.  h.  er  gelangt  zum  Nirvanam]. 

Bliaradv&,ja  sprach: 

7.  (7009.)  Uber  diese  Welt  hinaus  gibt  es  eine  hohere 
Welt,  so  lehrt  die  Schriftoffenbarung,  aber  nicht  die  Wahr- 
nehmung;  diese  Welt  mochte  ich  kennen  lernen,  das  mogest 
du,  o  Herr,  mir  erklaren. 

Bhrigu  sprach: 

8.  (7010.)  Auf  der  nordlichen  Seite  des  Himalaya,  der 
heiligen,    mit    alien  Trefflichkeiten  ausgestatteten ,    befindet 


Adhyaya  192  (B.  192).  175 

sich,  wie  gelehrt  wird,  jene  heilige,  friedvolle  und  freudvolle 
hohere  Welt. 

9.  (7011.)  Dort  namlich  sind  die  Menschen,  welche  frei 
von  bosen  Werken,  rein,  vollig  makellos,  ohne  Begierde  und 
Verblendung  sind,  ohne  dafs  ihnen  ein  Ubel  zustofst. 

10.  (7012.)  Das  ist  das  dem  Himmel  gleiche  Land,  dort 
sind,  wie  gelehrt  wird,  die  schonen  Vorziige  zu  fmden;  zur 
Zeit,  wo  man  dort  ist,  hat  der  Nioht-Tod  die  Oberhand,  und 
keine  Krankheiten  kommen  einem  m'ehr  zu  nahe. 

11.  (7013.)  Dort  besteht  keine  Begierde  mehr  nach  frem- 
den  Weibern,  der  Mann  begniigt  sich  mit  seinem  eigenen 
Weibe,  dort  wird  nicht  mehr  gegenseitig  gemordet,  und  es 
besteht  kein  Stolz  auf  Reichtum  mehr ;  (70i4.)  die  Ungerechtig- 
keit  hat  nicht  mehr  die  Oberhand,  und  ein  Zweifel  ficht  keinen 
mehr  an. 

12.  Dort  tritt  die  Frucht  der  guten  Werke  augenschein- 
lich  zutage;  (70i5.)  man  ist  wohlversehen  mit  Speise,  Trank 
und  Sitz  und  wohnt  in  Palasten  als  Wohnungen. 

13.  [Anders  ist  es  hienieden :]  Einige  sind  von  alien  Liisten 
umgeben  und  mit  Goldgeschmeide  geschmiickt,  (70i6.)  wahrend 
es  anderen  nur  eben  gelingt,  ihr  Leben  zu  fristen, 

14.  und  manche  konnen  nur  mit  grofser  Anstrengung 
ihren  Lebensunterhalt  finden.  (7017.)  Einige  freilich  halten 
schon  hienieden  die  Pflicht  als  Hochstes,  andere  aber  er- 
niedrigen  [ihre  Mitmenschen] ;  einige  sind  gliicklich ,  andere 
ungliicklich,  die  einen  reich,  die  anderen  arm. 

15.  (7018.)  Hienieden  herrschen  Miihe,  Furcht,  Torheit, 
scharfer  Hunger  und  Habgier,  in  den  Menschen  durch  die 
Giiter  entfacht,  durch  welche  die  Unweisen  sich  betoren 
lassen. 

16.  (7019.)  Hienieden  gibt  es  manche  Arten  des  Erwerbs, 
je  nachdem  einer  des  Guten  oder  des  Bosen  beflissen  ist;  der 
Weise,  der  dies  beides  unterscheidet,  wird  nicht  vom  Ubel 
befleckt. 

17.  (7020.)  Betriigerei,  Gemeinheit,  Dieberei,  iible  Nach- 
rede,  miirrisches  Wesen,  Verletzung  und  Schadigung  der  Mit- 
menschen, Zwischentragerei  und  Liige, 

18.  (7021.)  wer  derartiges  betreibt,  dessen  asketisches  Ver- 


176  III.    Mokshadharma. 

dienst  ist  verloren,  aber  dem  Weisen,  der  sich  nicht  mit  der- 
gleichen  befafst,  gedeiht  dadurch  die  Askese. 

19.  (7022.)  In  dieser  Welt  ist  vielfache  Sorge  um  pflicht- 
mafsiges  und  pflichtwidriges  Tun;  hier  ist  die  Statte  der 
Werke,  wer  in  dieser  Welt  hier  das  Gute  oder  Bose  tut, 
(7023.)  der  erlangt  durch  das  Gute  Gutes,  und  Boses  erlangt, 
wer  es  anders  treibt. 

20.  Prajapati  und  die  Gotter  nebst  der  Schar  der  Rishi's 
haben  hier  vor  Zeiten  (7024.)  geopfert.  Nachdem  sie  Askese 
zum  Opfer  gebracht,  sind  sie  gelautert  zur  Brahmanweli  erapor- 
gestiegen. 

21.  Der  nordliche  Teil  der  Erde  ist  von  alien  der  hei- 
ligste  und  schon;  (7025.)  dort  werden  die  hier  lebenden  Men- 
schen  wiedergeboren ,  soweit  sie  heilige  Werke  voUbracht 
haben, 

22.  nachdem  man  ihnen  die  letzte  Ehre  erwiesen  hat; 
andere  hingegen  [werden  wiedergeboren]  in  Tierleibern, 
(7026.)  wenn  ihr  Leben  dahin  ist;  und  noch  andere  gehen  auf 
der  Erde  zugrunde, 

23.  die  sich  gegenseitig  aufzufressen  geneigt  sind,  die, 
in  Habgier  und  Verblendung  befangen,  (7027.)  auf  dieser  Erde 
sich  herumtreiben,  solche  gehen  nicht  in  die  nordliche  Gegend. 

24.  Aber  die,  welche  als  sich  selbst  bezahmende  Brah- 
manschiiler  ihre  Lehrer  verehren,  (7028.)  die  kennen  als  Weise 
den  Weg  zu  alien  Welten. 

25.  Damit  ist  jene  von  Gott  Brahman  eingesetzte  Welt- 
ordnung  in  der  Kiirze  von  mir  dargelegt  worden.  (7029.)  Fiir- 
wahr,  wer  weifs,  was  in  der  Welt  Recht  und  Unrecht  ist, 
der  ist  ein  Weiser. 

Bhishma  sprach: 

26.  (7030.)  Als  in  dieser  Weise,  o  Konig,  der  askesereiche 
Bharadvaja  von  Bhrigu  belehrt  worden  war,  da  verehrte  er, 
der  hochst  Rechtschaffene,  den  Bhrigu  mit  Bewunderung. 

27.  (7031.)  Damit  ist  dir,  o  Konig,  die  Schopfung  der  Welt 
verkiindigt  worden  ganz  und  gar,  o  du  Hochweiser.  Was 
wiinschest  du  weiter  zu  horen? 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unteriedang  des  Bhrigu  mit  Bhaxadv^ja 

(Bhrigu-  Bharadodja-samvdda). 


Adhyaya  193  (B.  193).  177 

Adhyaya  193  (B.  193). 

Vers  7032-7065  (B.  1-33). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (7032.)  Die  Kegel  des  guten  Wandels  facdraj^  oVaterchen, 
von  dir  erklart,  o  Untadeliger,  die  mochte  ich  horen,  o  Pflicht- 
kundiger,  denn  ich  schatze  dich  als  einen,  der  alles  weifs. 

Bhishma  sprach: 

2.  (7033.)  Diejenigen,  welche  einen  schlechten  Wandel 
fiihren,  sich  schlecht  benehmen,  schlechte  Einsicht  haben  und 
Gewalttatigkeiten  lieben,  die  werden  die  Nichtguten  genannt, 
die  Guten  hingegen  sind  die,  welche  sich  durch  einen  guten 
Wandel  (dcdrq)  auszeichnen. 

3.  (7034.)  Diejenigen  Menschen,  welche  auf  offener  Strafse, 
umgeben  von  Kiihen  oder  umgeben  von  Getreide  ihren  Kot 
Oder  Urin  nicht  entleeren,  die  sind  anstandig. 

4.  (7035.)  Wenn  man  die  vorgeschriebene  Reinigung  voll- 
zieht  und  die  Spendung  an  die  Gotter,  das  nennt  man  die 
Pllicht  der  Menschen;  man  soil  keinen  Flufs  durchschreiten, 
ohne  sich  zu  waschen; 

5.  (7036.)  man  soil  allezeit  die  Sonne  verehren,  auch  nicht 
mehr  bei  Sonnenaufgang  schlafen ;  man  soil  abends  und  mor- 
gens  stehend  das  Dammerungsgebet  murmeln,  das  friihe  und 
das  andere; 

6.  (7037.)  man  soil  erst  essen,  nachdem  man  die  Fiinf 
[Hande,  Fiifse,  Mund]  benetzt  hat,  nach  Osten  gerichtet  und 
Schweigen  beobachtend ;  man  soil  die  zum  Essen  vorgesetzte 
Speise  nicht  bemangeln  und  das  Schmackhafte  als  schmack- 
haft  geniefsen. 

7.  (7038.)  Man  soil  die  Hande  waschen,  wenn  man  von 
Tische  aufsteht,  man  soil  nicht  mit  nassen  Fiifsen  in  der 
Nacht  schlafen,  so  hat  es  der  Gotter- Rishi  Narada  als  Merk- 
mal  eines  guten  Wandels  verkiindigt. 

8.  (7039.)  Eine  heilige  Gegend,  einen  Ochsen,  eine  Gotter- 
wohnung,  einen  Kreuzweg,  einen  Brahmanen,  einen  Heiligen 

Dbtjbskn,  Mahftbhftratam.  •  12 


X78  III-   Mokshadharma. 

und  einen  geweihten  Baum  soil  man  beim  Vorbeigehen  immer 
zur  Rechten  haben. 

9.  (7040.)  Wenn  ein  Mann  mit  alien  Gasten,  mit  Boten, 
mit  seiner  Familie  dasselbe  Essen  teilt,  so  wird  er  von  seinen 
Leuten  gepriesen. 

10.  (7041.)  Es  ist  dem  Menschen  vom  Veda  gesetzt,  dafs  er 
abends  und  morgens  seine  Mahlzeit  nimmt,  ein  Essen  in  der 
Zwischenzeit  ist  nicht  vorgesehen,  und  so  lange  soil  man  niich- 
tern  bleiben. 

11.  (7042.)  Wer  zur  Zeit  des  Opferns  das  Opfer  bringt, 
zur  Zeit  der  Empfanglichkeit  beiwohnt  und  keine  fremde  Frau 
besucht,  der  Mann  ist  weise  und  heiligen  Wandels. 

12.  (7043.)  Als  Ambrosia  gilt  gemeiniglioh ,  als  das  Herz 
der  Mutter,  was  von  einem  Brahmanen  iibrig  gelassen  ist; 
als  solches  verehren  es  die  Leute,  die  guten  Menschen  aber 
scharen  sich  um  das  wahrhaft  Gute. 

13.  (7044.)  Ein  Mensch,  der  [zum  Zwecke  des  Opfers]  die 
Erde  zertritt  und  das  Gras  ausrauft,  ein  Mensch,  der  an  den 
Nageln  kaut  [das  mit  den  Nageln  zerrissene  Opferfleisch  kaut, 
Nil.],  der  ist  ein  Ewigunreiner  [wortlich:  einer,  der  sich  nie 
nach  dem  Essen  den  Mund  ausspiilt],  ist  wie  ein  angepflock- 
ter  Papagei  und  kommt  auch  hienieden  nicht  zu  langem  Leben. 

14.  (7045.)  "Wer  vom  Fleischessen  sich  losgesagt  hat,  der 
soil  auch  kein  durch  das  Opfer  geweihtes  Fleisch  essen; 
ebensosehr  wie  beliebiges  Fleisch,  wie  Riickenfleisch  [spricli- 
wortlich  fiir  iible  Nachrede]  soil  er  es  verraeiden. 

15.  (7046.)  Sei  es  im  eigenen  Lande,  sei  es  im  fremden, 
den  Gast  soil  man  nicht  hungern  lassen;  hat  man  die  Frucht 
eines  zu  bestimmten  Zwecken  veranstalteten  Opfers  erlangt, 
so  soil  man  sie  als  den  Lehrern  gehorig  diesen  zukommen 
lassen. 

16.  (7047.)  Den  Lehrern  soil  man  einen  Sitz  bieten  und 
die  Begriif sung  gewahren ;  wer  die  Lehrer  ehrt,  der  wird  mit 
langem  Leben,  mit  Ruhm  und  Schonheit  begliickt. 

17.  (7048.)  Man  soil  weder  die  aufgehende  Sonne,  noch 
auch  ein  fremdes  Weib,  wenn  es  nackt  ist,  ansehen ;  die  ge- 
setzliche  Begattung  soil  man  immer,  und  zwar  im  Verborgenen, 
ausiiben. 


Adhyaya  193  (B.  193).  179 

18.  (7049.)  Das  Herz  von  allem,  was  heilig  ist,  ist  die 
heilige  Person,  das  Herz  von  allem,  was  rein  ist,  ist  das 
reine  Feuer;  rein  ist  alles,  was  ein  echter  Arya  tut,  sogar 
das  Beriihren  von  Haaren. 

19.  (7050.)  Jedesmal,  wenn  man  sich  wiedersieht,  soil  man 
die  Frage  nach  dem  Wohlbefmden  stellen;  morgens  und 
abends  die  Brahmanen  zu  begriifsen  ist  Vorschrift. 

20.  (7051.)  Bei  einem  Gotteshause,  unter  Kiihen  und  bei 
arztlicher  Behandlung  von  Brahmanen,  beim  Vedastudium 
und  beim  Essen  soil  man  die  rechte  Hand  gebrauchen. 

21.  (7052.)  Die  Verehrung  der  Brahmanen  am  Abend  und 
am  Morgen  der  Vorschrift  gemafs,  das  glanzt  als  die  Ware 
aller  Waren,  das  wird  geriihmt  als  der  Acker  aller  Acker, 
(7053.)  als  das,  was  die  Feldfrucht  vervieltaltigt,  das  gilt  unter 
allem  Fahren  als  das  Fahren  mit  Kiihen, 

22.  das  soil  man  immer  als  erlangte  Sattigung  beim 
Essen  und  Trinken,  (7054.)  das  soil  man  ansehen  als  die  gute 
Zubereitung  bei  Milchspeisen,  Reissuppen  und  Sesambrei. 

23.  Wenn  einer  beim  Bartscheren  begriffen  ist,  oder  beim 
Niesen,  Baden  oder  Essen,  so  soil  man  ihm,  (7055.)  wie  auch 
alien  Kranken,  ein  langes  Leben  wiinschen. 

24.  Man  soil  nicht  gegen  die  Sonne  gewendet  harnen 
oder  seinen  eigenen  Kot  beschauen;  (7056.)  man  soil  es  ver- 
meiden,  neben  einem  Weibe  zu  liegen  oder  mit  ihr  zusammen 
zu  essen. 

25.  Das  Duzen  und  das  Nennen  beim  Namen  soil  man 
bei  Respektspersonen  vermeiden,  (7057.)  Geringeren  und  Gleich- 
stehenden  gegeniiber  ist  es  nicht  tadelnswert. 

26.  Das  aufsere  Gebaren  schon  verrat  das  bose  Ge- 
wissen  der  Ubeltater,  (7058.)  sofern  sie  sich  ihres  Bosen  be- 
wufst  sind,  und  sie  sind  verloren,  auch  wenn  sie  sich  unter 
der  Menge  zu  verbergen  suchen. 

27.  Das  mit  Bewufstsein  begangene  Bose  sucht  der  des 
Veda  Unkundige  zu  verheimlichen,  (7059.)  aber  wenn  ihn  auch 
die  Menschen  nicht  sehen,  so  sehen  ihn  doch  die  droben  im 
Himmel. 

28.  Das  von  dem  bosen  Menschen  verheimlichte  Bose 
schlagt  aus  zum  Bosen ;  (7060.)  das  aus  Rechtschaffenheit  ver- 

12* 


180  III.    Mokshadharma. 

heimlichte  Gute  schlagt  aus  zum  Guten;  das  von  dem  Recht- 
schaffenen  begangene  Gute  schlagt  aus  zum  Guten. 

29.  (7061.)  Wohl  mag  der  Tor  hier  sich  nicht  an  das 
Bose  erinnern,  welches  er  getan  hat,  und  doch  folgt  es 
ihm,  auch  wenn  der  Tater  sich  wandelt.  Wie  Rahu 
den  Mond  verfolgt,  so  verfolgt  den  Toren  sein  hoses  Werk. 

30.  (7062.)  Die  Werkmasse,  welche  in  der  Hoffnung  [auf 
Lohn]  aufgehauft  wurde,  wird  [im  Jenseits]  nicht  ohne  Leiden 
[liber  ihr  Schwinden]  genossen ;  darum  riihmen  es  die  Weisen 
nicht  und  brauchen  nicht  [wie  jene]  auf  den  Tod  zu  warten. 

31.  (7063.)  Die  Weisen  erklaren,  dafs  das  Gute  aller  Wesen 
auf  Gesinnung  beruhend  frndnasa)  sei,  darum  soil  man  bei 
alien  Wesen  der  Gesinnung  nach  Wohlwollen  walten  lassen. 

32.  (7064.)  Die  Pflicht  mufs  jeder  allein  iiben,  in  der  Pflicht- 
erfullung  gibt  es  keine  Gemeinschaft ,  [man  iibt  sie,]  indem 
man  sich  nur  an  das  Gesetz  halt,  was  kann  dabei  ein  Ge- 
fahrte  tun? 

33.  (7065.)  Das  Gesetz  ist  die  Lebensquelle  fiir  die  Men- 
schen,  wie  fur  die  Gotter  im  Himmel  das  Amritam,  durch 
die  Gesetzeserfiillung  erlangt  man  nach  dem  Tode  den  Genufs 
ewiger  Wonne. 

So  lautet  im  Mokshadbaxma  die  Vorschrift  fiir  den  guten  Lebenswandel 
(dcdra-vidin). 


Adhyaya  194  (B.  194). 

Vers  7066-7128  (B.  1-63). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (7066.)  Das,  was  an  dem  Menschen  hier  bemerkt  und 
mit  dem  Namen  des  innern  Selbstes  belegt  wird,  was  und 
wie  dieses  innere  Selbst,  ist,   das  erklare  mir,  o  Grofsvater. 

2.  (7067.)  Woher  ist  ferner  dieses  Weltall  mit  Unbewea:- 
lichem  und  Beweglichem  geschaffen  worden,  und  wie  ver- 
schwindet  es  beim  Weltuntergange  ?  Das  sollst  du  mir  jetzt 
sagen,  o  Brahmane. 


Adhyaya  194  (B.  194).  l81 

Bhishma  sprach: 

3.  (7068.)  Das,  was  man  das  innere  Selbst  nennt,  nach 
dem  du  mich  fragst,  o  Prithasohn,  das  will  ich  erklaren, 
o  Freund,  als  das  allerbeseligendste  Gliick. 

4.  (7069.)  Als  mit  Schopfung  und  Vergang  behaftet  wird 
€S  von  den  Lehrern  geschildert;  der  Mensch,  welcher  es  er- 
kannt  hat,  findet  in  der  Welt  Freude  und  Gliickseligkeit, 
<7070.)  und  audi  eine  Frucht  desselben  gibt  es,  und  das  ist 
das  Wohlwollen  gegen  alle  Geschopfe. 

5.  Die  Erde,  der  Wind,  der  Ather,  das  Wasser  und  das 
Licht  als  fiinftes,  (70710  dies  sind  die  grofsen  Elemente  fmahd- 
bhutdnij,  welche  der  Ursprung  und  der  Vergang  aller  Wesen 
•sind. 

6.  In  das,  woraus  sie  [die  Wesen]  geschaffen  sind,  da- 
iiinein  kehren  sie  auch  immer  wieder  und  wieder  zurtick, 
<7072.)  namlich  in  die  grofsen  Elemente  [aus  ihrer  voriibergehen- 
den  Gestaltung]  als  Wesen,  wie  die  Wellen  des  Ozeans. 

7.  Wie  eine  Scbildkrote  ihre  Glieder  aus  sich  heraus- 
streckt  und  wieder  in  sich  hereinzieht,  (7073.)  so  schafft  der 
Bhutatman  (Element-Atman)  die  Wesen  und  zieht  sie  wieder  ein. 

8.  Er,  der  Wesensschopfer,  ist  es,  welcher  die  in  alien 
Wesen  vorhandenen  fiinf  grofsen  Elemente  (7074.)  geschaffen 
hat,  aber  seine  Wesensverschiedenheit  von  diesen  erkennt 
der  Jiva  (die  individuelle  Seele)  nicht. 

9.  Der  Ton,  das  Gehor  und  die  Ohroffnungen,  diese  drei 
sind  aus  dem  Ather  als  ihrem  Ursprung  entstanden.  (7075.)  Aus 
dem  Winde  aber  sind  das  Gefiihl,  die  Bewegung  und  die 
Haut,  diese  drei,  entsprungen. 

10.  Die  Gestalt,  das  Auge  und  das  Brennen,  das  ist  das 
dreifache  Feuer.  (7076.)  Der  Geschmack,  die  Feuchtigkeit  und 
die  Zunge,  diese  werden  als  die  drei  Qualitaten  des  Wassers 
bezeichnet. 

11.  Der  Geruch,  die  Nase  und  der  Leib,  das  sind  die 
drei  Qualitaten  der  Erde;  (7077.)  das  sind  die  fiinf  grofsen 
Elemente  und  als  sechstes  gilt  das  Manas. 

12.  Die  Sinne  und  das  Manas  sind  fiir  einen  die  Er- 
kenntnisorgane,  o  Bharata ;  (7078.)  als  siebente  gilt  die  Buddhi 
und  der  Kshetrajfia  ist  der  achte. 


182  in.    Mokshadharma. 

13.  Das  Auge  dient  dem  Sehen,  das  Manas  erhebt  die 
zweifelnde  Uberlegung,  (7079.)  die  Buddhi  hat  als  Aufgabe  die 
Entscheidung ,  der  Kshetrajna  steht  als  Zuschauer  da. 

14.  Er  schaut  alles,  was  oberhalb  der  Fufssohlen,  was 
hierher  zu  und  was  nach  oben  ist,  (708O.)  von  ihm,  das  sollst 
du  wissen,  ist  diese  ganze  Welt  innerlich  durchdrungen. 

15.  Die  Aufgabe  der  Menschen  ist  es,  die  Sinnesorgane 
vollstandig  kennen  zu  lernen,  (708i.)  denn  auch  Tamas,  Rajas 
und  Sattvam,  diese  Wesenheiten,  beruhen  darauf  [auf  Er- 
kenntnis  der  Sinne]. 

16.  Der  Mensch,  welcher  sie  durch  seine  Erkenntnis  er- 
kannt  hat  und  dazu  das  Kommen  und  Gehen  der  Wesen 
(7082.)  erwagt,  der  gelangt  nach  und  nach  zur  hochsten  Ruhe. 

17.  Die  Buddhi  fiihrt  die  Eigenschaften  [gundn  mit 
Vers  8989  zu  lesen]  an,  und  sie  fiihrt  auch  die  Sinnesorgane 
(7083.)  samthch  mit  dem  Manas  als  sechstem  an;  gabe  es  keine 
Buddhi,  wie  konnten  die  Eigenschaften  bestehen! 

18.  Somit  ist  diese  ganze  Welt  des  Unbeweglichen  und 
Beweglichen  aus  ihr  [der  Buddhi]  bestehend ;  (7084.)  [mit  ihr] 
vergeht  sie  und  entsteht,  somit  erweist  sie  sich  als  so  [durch 
die  Buddhi  bedingt]. 

19.  Dasjenige,  wodurch  sie  [die  Buddhi]  sieht,  das  ist 
das  Auge,  wodurch  sie  hort,  das  wird  das  Ohr  genannt, 
(7085.)  wodurch  sie  riecht,  das  ist  die  Nase,  und  den  Geschmack 
erkennt  sie  durch  die  Zunge. 

20.  Durch  die  Haut  empfmdet  sie  die  Gefiihle,  die  Buddhi 
ist  es,  welche  sich  jedem  einzelnen  Falle  anpafst,  (7086.)  sofern 
sie  irgend  etwas  begehrt,  wird  sie  zum  Manas. 

21.  Namlich  funffach  sind  die  Stiitzpunkte  der  Buddhi, 
je  nach  dem  besondern  Zwecke,  (7087.)  und  diese  nennt  man 
die  Sinnesorgane;  iiber  ihnen  thront  der  Unsichtbare  [der 
Kshetrajfia]. 

22.  Die  Buddhi,  wenn  sie  im  Menschen  wohnt,  befindet 
sich  in  drei  Zustanden;  (7088.)  manchmal  empfangt  sie  Lust 
[durch  das  Sattvam],  manchmal  wird  sie  in  Leid  versetzt 
[durch  das  Rajas], 

23.  manchmal  befindet  sie  sich  so,  dafs  sie  weder  von 
Lust  noch  von  Unlust  beriihrt  wird   [vermoge  des  Tamas]; 


Adhyaya  194  (B.  194).  183 

(7089.)  und  so  geschieht  es,   dafs  die  Buddhi  im  Geiste  der 
Menschen  sich  in  drei  Zustanden  befindet. 

24.  Sie  ist  es,  welche  diesen  Zustanden  verwandt  diese 
drei  Zustande  iiberwindet,  (7090.)  wie  der  wellenreiche  Ozean 
als  Herr  der  Fliisse  deren  grofsen  Zustrom. 

25.  Nachdem  die  Buddhi  liber  die  Zustande  hinausgelangt 
ist,  verweilt  sie  in  dem  Manas  als  ihrem  Zustande.  (709i.)  Dann 
aber  regt  sich  das  Rajas  und  iiberkommt  diesen  Zustand. 

26.  Dann  setzt  sie  alle  Sinnesorgane  in  Tatigkeit;  [der 
folgende  Halbvers  fehlt  in  C]  und  weiterhin  iiberkommt  die 
Wesenheit  des  Tamas  das  Sattvam,  indem  es  sich  an  dessen 
Lust  heranmacht. 

27.  (7092.)  Das  Sattvam  ist  Lust,  das  Rajas  ist  Leid,  das 
Tamas  ist  Dumpfheit,  so  sind  diese  drei;  alle  in  der  Welt 
herrschenden  Zustande  bestehen  aus  diesen  dreien  im  Verein. 

28.  (7093.)  Damit  babe  ich  dir,  o  Bharata,  das  ganze  Wesen 
der  Buddhi  erklart;  es  ist  aber  Aufgabe  des  Weisen,  alle 
Sinne  zu  iiberwinden. 

29.  (7094.)  Sattvam,  Rajas  und  Tamas  sind  bei  den  Leben- 
den  allezeit  zusammenhangend ,  und  dementsprechend  ist  in 
den  Wesen  eine  dreifache  Empfindung  [von  Lust,  Leid  und 
Gleichgiiltigkeit]  vorhanden, 

30.  (7095.)  namlich  die  auf  das  Sattvam,  die  auf  das 
Rajas  und  die  auf  das  Tamas  beziigliche,  o  Bharata;  als  Lust 
empfunden  wird  der  Guna  des  Sattvam,  als  Schmerz  der  des 
Rajas;  (7096.)  beide  kommen  mit  dem  Guna  des  Tamas  ver- 
bunden  zur  Verwirklichung. 

31.  Wenn  nun  etwas  als  angenehm  im  Korper  oder  im 
Geiste  sich  kundgibt,  (7097.)  so  muls  man  dies  daraus  erklaren, 
dafs  die  Empfindung  fiir  das  Sattvam  sich  geltend  macht. 

32.  Wenn  hingegen  etwas  als  unangenehm  uns  beriihrt, 
indem  es  Unlust  erregt,  (7098.)  so  soil  man  denken,  das  Rajas 
macht  sich  geltend,  und  es  nicht  beachten  oder  sich  darum 
kiimmern. 

33.  Und  endlich  wenn  etwas  als  Dumpfheit  undeutlich 
in  das  Bewufstsein  tritt,  (7099.)  ohne  recht  erschlossen  oder 
erkannt  werden  zu  konnen,  das  soil  man  als  Tamas  auffassen. 

34.  Freude,  Befriedigung,  Wonne  und  Freiheit  von  Sorgen, 


184  III.    Mokshadharma. 

(7100.)  WO  diese  auftreten,   da  sagt  man,  dafs  die  Qualitaten 
des  Sattvam  sich  so  oder  so  betatigen. 

35.  Unbefriedigung,  Qual,  Kummer,  Begierde  und  Un- 
geduld,  (7101.)  diese,  mag  man  ihre  Griinde  kennen  oder  nicht, 
werden  angesehen  als  Merkmale  des  Rajas. 

36.  Als  Diinkel,  Verblendung,  Unbesonnenheit,  Schlaf 
und  Tragheit,  (7102.)  als  eines  oder  das  andere  von  diesen, 
machen  sich  die  verschiedenen  Eigenschaften  des  Tamas 
geltend. 

37.  Wer  das  weitschweifende,  viel  herumstreifende,  Ver- 
langen  und  Zweifel  hegende  (7103.)  Manas  gut  in  der  Zucht 
halt,  der  ist  gliicklich  im  Diesseits  und  im  Jenseits. 

38.  Zwischen  dem  Sattvam  [als  Hauptvertreter  der  Pra- 
kriti]  und  dem  Kshetrajna  [dem  Purusha],  zwischen  diesen 
beiden  schwer  erkennbaren  besteht  der  Unterschied,  (7104.)  dafs 
ersteres  die  Qualitaten  aus  sich  hervorgehen  lafst,  letzterer 
aber  nicht. 

39.  Gleichwie  die  Miicke  und  der  Feigenbaum  [auf  dem 
sie  sitzt]  immerfort  verbunden  (7105.)  zu  sein  scheinen,  so  ist 
auch  die  Verbindung  von  Sattvam  und  Kshetrajna; 

40.  denn  wiewohl  sie  ihrer  Natur  nach  verschieden  sind, 
so  sind  sie  doch  allezeit  verbunden ;  (7106.)  wie  der  Fisch  und 
das  Wasser,  so  sind  auch  diese  beiden  verbunden. 

41.  Die  Guna's  kennen  nicht  den  Atman,  aber  er  kennt 
die  Guna's  allesamt,  (7107.)  jedoch  als  der  Erkenner  der  Guna's 
glaubt  er,  dafs  sie  mit  ihm  vermengt  sind. 

42.  Aber  um  seine  Schritte  zu  beleuchten,  tut  mit  den 
Sinnesorganen  und  der  Buddhi  als  siebentem,  (7108.)  obwohl 
diese  unbeweglich  und  unbewufst  sind,  der  Atman  seine 
Schritte  fpadamj,  wie  mit  einer  Leuchte. 

43.  Das  Sattvam  namlich  lafst  die  Qualitaten  aus  sich 
hervorgehen,  und  der  Kshetrajfia  schaut  sie  an,  (7109.)  das  ist 
die  bestandige  Verbindung  dieser  beiden,  des  Sattvam  und 
des  Kshetrajna. 

44.  Das  Sattvam  und  der  Kshetrajna  haben  keine  ge- 
meinschaftliche  Basis,  (7110.)  der  letztere  vermischt  sich  nie- 
mals  mit  Sattvam,  Manas  und  alien  Qualitaten. 

45.  Wenn  er  mittels  des  Manas  die  Ziigel  der  Qualitaten 


Adhyaya  194  (B.  194).  185 

regiert,  (7iii.)  dann  leuchtet  sein  eigenes  Wesen  durch,  wie 
ein  brennendes  Licht  in  einem  Topfe. 

46.  Wer  nun  die  aus  der  Prakriti  stamraende  Tatigkeit 
aufgibt  und  als  Einsiedler  allezeit  am  Atman  seine  Freude 
hat  [Chand.  Up.  7,25,2],  (7112.)  der  wird  zum  Atman  aller 
Wesen,  darum  geht  er  den  hochsten  Gang. 

47.  Wie  ein  Wasservogel  durch  das  Wasser  nicht  be- 
netzt  wird,  (7113.)  in  ahnHcher  Weise  lebt  unter  den  Wesen 
der,  welcher  die  Erkenntnis  erlangt  hat. 

48.  Also  moge  der  Mensch  durch  seine  Einsicht  in  dieser 
Weise  sich  von  seiner  eigenen  Natur  lossagen,  (7ii4.)  nicht 
mehr  jammernd,  nicht  mehr  sich  freuend,  gleichmiitig  und 
frei  von  Selbstsucht. 

49.  Wer  aber  durch  die  Verbindung  mit  seiner  eigenen 
Natur  gefesselt  bleibt,  der  lafst  immer  wieder  die  Guna's  aus 
sich  hervorgehen,  (7ii5.)  wie  die  Spinne  den  Faden;  die  Guna's 
sind  als  der  Faden  anzusehen. 

50.  Sind  sie  [im  Tode]  zerfallen,  so  werden  sie  doch  nicht 
zunichte,  denn  ihre  Vernichtung  wird  nicht  wahrgenommen 
(7116.)  durch  Sinneswahrnehmung ;  freilich  ist  die  Sache  iiber- 
sinnlich,  es  wird  aber  durch  Folgerung  fanumdnamj  bewiesen 
[dafs  sie  fortbestehen]. 

51.  So  entscheiden  sich  die  einen,  wahrend  die  anderen 
behaupten,  dais  sie  vernichtet  werden.  (7117.)  Man  moge 
beides  iiberlegen  und  sich  entscheiden,  wie  man  will, 

52.  Jedenfalls  moge  man  diesen  festen ,  aus  den  Ver- 
zweigungen  der  Buddhi  bestehenden  Herzensknoten  (7118.)  losen 
und  heiter  dasitzen  und  keinen  Kummer  mehr  empfinden,  da 
der  Zweifel  gelost  ist. 

53.  Obgleich  sie  befleckt  sind,  erlangen  sie  die  VoU- 
endung,  wie  Manner  einen  vollen  Flufs  erlangen  (7119.)  und 
in  ihm  eintauchen,  wohl  wissend  [dafs  sie  dadurch  rein 
werden],  und  du  mufst  wissen,  dafs  es  die  Erkenntnis  ist, 
welche  dies  vollbringt. 

54.  Durch  einen  grofsen  Flufs  wird  einer  auch  dann  ge- 
qualt,  wenn  er  das  [zu  erreichende]  Ufer  sieht,  das  ist  nicht 
anders,    (7120.)  hingegen  [in  unserm  Falle]  wird  einer  nicht 


186  in.   Mokshadharma. 

gequalt,  well  er  die  Wahrheit  kennt,  sondern  die  Frucht  im 
Auge  habend  schwimmt  er  hiniiber. 

55.  So  ist  es  mit  denen,  welche  den  innern  Atman  er- 
kennen  als  reine  und  hochste  Erkenntnis. 

56.  (7121.)  Der  Mann,  welcher  das  hier  stattfmdende  all- 
gemeine  Hingehen  und  Wiederkommen  der  Wesen  erkennt 
und  erwagt,  der  erlangt  aus  dieser  Erkenntnis  sodann  nach 
und  nach  die  Beruhigung. 

57.  (7122.)  Wer  die  Dreiheit  [von  Angenehmem,  Niitzlichem 
und  Gutem]  erkannt  hat  und  mit  Bewufstsein  sich  von  ihr 
lossagt  und  immer  sucht  mit  hingegebenem  Geiste,  der  schaut 
die  Wesenheit  und  wird  frei  von  Verlangen. 

58.  (7123.)  Der  Atman  kann  nicht  geschaut  werden  mittels 
der  Sinne,  welche  zersplittert  hierhin  und  dorthin  sich  zer- 
streuen  und  schwer  zu  bandigen  sind  von  solchen,  deren 
Atman  nicht  bereitet  ist. 

59.  (7124.)  Wer  dieses  weifs,  der  ist  weise,  welches  andere 
Kennzeichen  gabe  es;  denn  dieses  erkannt  habend  sind  sich 
die  Weisen  bewufst,  ihre  Aufgabe  erfiillt  zu  haben. 

60.  (7125.)  Wer  dieses  weifs,  fiir  den  gibt  es  keine 
Furcht  mehr,  wahrend  die  Nichtwissenden  in  grofser 
Furcht  verharren.  Einen  hohern  Weg  gibt  es  fiir  keinen, 
nach  erreichter  Tiichtigkeit  preisen  sie  seine  Unvergleich- 
lichkeit. 

61.  (7126.)  Wer  da  handelt  ohne  vorangehende  Ab- 
sicht  und  zugleich  abstofst,  was  er  vordem  getan  hat, 
fiir  den  besteht  beides  nicht  mehr,  die  Unlust  und  noch 
weniger  die  Lust.  Das  bewirkt  an  einem  hienieden  voU- 
standig  [die  Erkenntnis]. 

62.  (7127.)  Dann  ist  der  Mensch  dieser  kranken  Welt 
iiberdriissig ;  das  bewirkt  an  einem  hienieden  vollstandig 
[die  Erkenntnis]. 

63.  Siehe  in  der  Welt,  indem  du  dich  aus  ihr  zuriick- 
ziehst,  wie  in  ihr  die  kranken  Menschen  bald  dies,  bald 
jenes  vielfach  bejammern;  (7128.)  siehe  in  ihr  auch  Ge- 
sunde,  welche  es  nicht  bejammern,  es  sind  die,  welche 


Adhyaya  195  (B.  195).  187 

jenen  zweifachen  Weg   der  Guten  kennen   [die   Stufen- 
erlosung  auf  dem  Devayana  und  die  voile  Erkenntnis]. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Lehre  vom  innern  Selbste 

(adhijdtnia-kathanaiii). 


Adliyaya  195  (B.  195). 

Vers  7129-7150  (B.  1-22). 

Bhishma  sprach: 

1.  (7129.)  Wohlan/ich  will  ihn  dir  verkiinden,  o  Pritha- 
sohn,  den  vierfachen  Meditationsyoga,  welchen  erkannt  habend 
schon  hienieden  die  grofsen  Weisen  zur  ewigen  Vollendung 
gelangen. 

2.  (7130.)  In  der  "Weise  betreiben  die  Yogin's  die  Medita- 
tion, wie  sie  richtig  betrieben  werden  mufs,  die  grofsen  Wei- 
sen, welche  an  Erkenntnis  sich  sattigen  und  ihren  Geist  auf 
das  Nirvanam  richten. 

3.  (7131.)  Sie  kehren  nicht  zuriick,  o  Sohn  der  Pritha, 
wenn  sie  erlost  sind  von  der  Schuld  des  Samsara.  Getilgt 
ist  die  Schuld  ihrer  Geburt,  fest  stehen  sie  in  ihrer  eigenen 
"Wesenheit. 

4.  (7132.)  Ohne  Zweiheit  sind  sie,  bestandig  in  der  Reali- 
tat  beharrend,  befreit,  in  der  Bezahmung  ausharrend.  Was 
ohne  Anhanglichkeit  ist,  unwidersprechlich  und  dem  Herzen 
Ruhe  gewahrend, 

5.  (7133.)  darin  soil  der  Muni  durch  Meditation  das  ihn 
umklammernde  Manas  auf  einen  Punkt  konzentrieren  und 
fesseln,  indem  er  zugleich  die  Schar  der  Sinnesorgane  zu- 
sammenrollt  und  dasitzt  wie  ein  Stiick  Holz. 

6.  (7134.)  Nicht  mehr  soil  er  den  Ton  mit  dem  Ohr  er- 
fassen,  nicht  mehr  die  Gefiihle  mit  der  Haut  empfinden 
Oder  die  Gestalten  mit  dem  Auge  oder  die  Geschmacke  mit 
der  Zunge  erkennen. 

7.  (7135.)  Und  auch  von  alien  Empfindungen  des  Geruchs 
soil  abstehen  durch  die  Meditation  der  Yogawissende ;  alles 
dies,  was  die  Fiinfschar  [der  Sinne]  in  Aufregung  bringt,  soil 
er  tapfer  von  sich  ablehnen. 


188  III.    Mokshadharma. 

8.  (7136.)  Sodann  soil  er  mit  Geschick  die  Fiinfschar  in 
■dem  Manas  beschliefsen  und  das  umherschweifende  Manas 
mitsamt  den  fiinf  Sinnen  zur  Ruhe  bringen. 

9.  (7137.)  Das  Manas,  das  zerfahrene,  haltlose,  fiinftorige, 
immer  bewegliche,  soil  zuerst  der  Weise  auf  dem  Wege  der 
Meditation  in  sich  zur  Ruhe  bringen. 

10.  (7138.)  Wenn  er  die  Sinne  mitsamt  dem  Manas  zu- 
sammengerollt  hat,  das  wird  als  erste  Stufe  der  Meditation 
von  mir  bezeichnet. 

11.  (7139.)  Dann  wird  ihm  das  sechste,  schon  innerlich  in 
ihm  eingeschlossene  [Manas]  noch  zucken,  wie  der  geziickte 
Blitz  in  der  Wolke. 

12.  (7140.)  Wie  ein  beweglicher  Wassertropfen  auf  dem 
Blatte  nach  alien  Seiten  bin  und  her  rollt,  so  ist  dann  auch 
«ein  Manas,  wenn  er  auf  dem  Wege  der  Meditation  wandelt. 

13.  (7141.)  Auch  wenn  es,  fiir  einen  Augenblick  einiger- 
mafsen  zur  Ruhe  gebracht,  auf  dem  Wege  der  Meditation 
zum  Stillstand  kommt,  wird  das  Manas  wieder  auf  den  Pfad 
■des  Windes  hinausschweifen,  dem  Winde  vergleichbar. 

14.  (7142.)  Unverdrossen  und  unbekiimmert,  frei  von  Schlaff- 
heit  und  Selbstsucht,  soil  er  das  Manas  wiederum  zur  Ruhe 
bringen  durch  die  Meditation,  er,  der  Meditationskundige. 

15.  (7143.)  Dann  entstehen  Bedenken,  Erwagen  und  Zweifel 
in  dem  Muni,  wenn  er  zum  ersten  Male  die  Meditation  von 
Anfang  an  in  Gang  bringt. 

16.  (7144.)  Aber  auch  wenn  er  durch  sein  Manas  belastigt 
wrird,  soil  er  die  Andacht  durchfiihren ;  nicht  moge  der  Muni 
verdrossen  werden,  sondern  das  Heil  seiner  Seele  schaffen. 

17.  (7145.)  Wie  Haufen,  die  aus  Staub,  Asche  oder  Schutt 
geschichtet  sind,  wenn  man  sie  plotzlich  mit  Wasser  be- 
^iefst,  nicht  sogleich  zusammenbacken, 

18.  (7146.)  oder  wie  trockenes  Mehl,  wenn  es  etwas  feucht 
geworden  ist,  doch  noch  nicht  zusammenklumpt ,  aber  nach 
und  nach  doch  dieses  alles  allmahlich  eine  feste  Masse  bildet, 

19.  (7147.)  so  wird  er  auch  nur  nach  und  nach  die  Schar 
-der  Sinnesorgane  zusammenknaulen  und  sie  allmahlich  zu- 
«ammenhalten,  —  dann  wird  er  vollig  zur  Ruhe  kommen. 

20.  (7148.)   Nachdem   er  aus  freien   Stiicken   sein   Manas 


Adhyaya  195  (B.  195).  18& 

und  die  Fiinfschar  in  dieser  Weise,  o  Bharata,  zunachst  auf 
dem  Wege  der  Meditation  zum  Stillstande  gebracht  hat,  dann 
kommt  er  durch  fortgesetzten  Yoga  zur  Ruhe. 

21.  (7149.)  Nicht  kann  durch  Menschenwerk ,  nicht  kann 
durch  irgendeine  Gottergabe  jemand  zu  der  Sehgkeit  ge- 
langen,  die  der  besitzt,  welcher  so  sein  Selbst  liberwaltigt  hat. 

22.  (7150.)  In  dieser  Sehgkeit  begriffen,  wird  er  die  Aus- 
iibung  der  Meditation  geniefsen,  und  so  gehen  die  Yogin's 
ein  in  das  von  Krankheit  freie  Nirvanam. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Beschreibung  dea  Toga 

(yo^a  -  lathanani). 


Adhyaya  196  (B.  196). 

Vers  7151-7173  (B.  1-23). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (7151.)  Das  Wesen  der  vier  Lebensstadien  ist  von  dir 
erklart  worden,  sowie  auch  die  Konigspflichten ;  auch  hast  du 
viele,  auf  mancherlei  beziighche  Erzahlungen  im  einzelnen 
mitgeteilt. 

2.  (7152.)  Ich  habe  die  von  dir  mitgeteilten  Geschichten 
und  die  an  sie  gekniipften  Belehrungen  vernommen,  o  Hoch- 
weiser.  Aber  ein  gewisser  Zweifel  kommt  mir,  den  mogest 
du,  o  Herr,  mir  losen. 

3.  (7153.)  Ich  mochte,  o  Bharata,  belehrt  werden  iiber  die 
Frucht,  welche  die  Murmler  der  Gebete  erlangen;  welche 
Frucht  wird  fiir  die  Gebetsmurmler  verheifsen  und  wo  haben 
sie  ihren  Platz? 

4.  (7154.)  Auch  die  ganze  Kegel  des  Gebetsmurmelns  mogest 
du  mir  erklaren,  o  UntadeHger,  und  ob  unter  dem  Worte 
Gebetsmurmler  etwa  eine  Vorschrift  der  Tatigkeit  der  Re- 
flexion fsdnkhyamj  oder  der  Hingebung  fyogaj  zu  verstehen  ist, 

5.  (7155.)  oder  ob  es  eine  Vorschrift  des  Opferns  bedeutet; 
was  ist  unter  dem  Gebetsmurmeln  zu  verstehen?  Das  alles 
mogest  du  mir  erklaren,  denn  ich  erachte  dich  fiir  einen,  der 
alles  weifs. 


190  III.    Mokshadharma. 

Bhishma  sprach: 

6.  (7156.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Oeschichte,  namlich  was  sich  ehemals  begeben  hat  zwischen 
Yama,  Kala  und  einem  Brahmanen  [vgl.  Adhy.  199]. 

7.  (7157.)  Was  aber  die  Reflexion  fsdrilchyam)  und  die  Hin- 
gebung  (yoga)  betrifft,  welche  von  den  die  Erlosung  kennenden 
Weisen  erwahnt  werden,  so  liegt  im  Vedanta  nur  die  Ent- 
sagung  vor ,  und  gegen  das  Gebetsmurmeln  (7i58.)  wenden 
sich  die  Vedaworte ;  nur  die,  welche  die  Beruhigung  gefunden 
haben,  stehen  im  Brahman  fest. 

8.  Was  aber  die  Reflexion  und  die  Hingebung  betrifl't, 
von  dem  die  Weisen,  iiberall  dasselbe  Sehenden  reden,  (7159.)  so 
sind  auch  diese  beiden  zwei  Wege,  welche  gangbar  sind,  aber 
nicht  von  der  Schrift  gelehrt  werden. 

9.  Fiir  das,  was  in  der  Schrift  gelehrt  wird,  o  Konig, 
kann  auch  eine  Begriindung  durch  jene  beiden  gegeben  wer- 
den, (7160.)  auch  in  ihnen  wird  die  Versenkung  des  Geistes 
und  ebenso  die  Bekampfung  der  Sinne  gelehrt. 

10.  Wahrhaftigkeit ,  Pflege  der  Feuer,  Aufsuchen  ent- 
legener  Orte,  (7i6i.)  Meditation,  Askese,  Bezahmung,  Geduld, 
Nichtmurren,  mafsige  Ernahrung, 

11.  Zuriickziehung  von  den  Sinnendingen,  mafsiges  Reden 
und  Beruhigung,  (7162.)  das  ist  das  Opfer,  welches  fordert. 
Nun  hore  auch  das,  welches  hemmt, 

12.  und  inwiefern  das  Werk  des  Gebete  murmelnden 
Brahmacarin  hemmt,  (7i63.)  das  alles  moge  man  vollstandig, 
so  wie  es  gesagt  ist,  reiflich  iiberlegen. 

13.  Wer  den  hemmenden  Weg  betritt,  mag  er  ihm  klar 
oder  unklar  sein,  den  Weg,  der  keine  feste  Stiitze  gewahrt, 

14.  (7164.)  der  wird,  wenn  auch  auf  einem  Haufen  von 
KuQagras  sitzend,  Kugagras  in  der  Hand  haltend,  mit  Kuga- 
gras  auf  dem  Kopfe,  von  Kugagras  umgeben  und  in  dieser 
Umgebung  auch  noch  von  KuQagras  bedeckt, 

15.  (7165.)  dennoch  den  Sinnendingen  frohnen, — dieSinnen- 
dinge  aber  soil  man  nicht  ehren,  sondern,  Gleichmiitigkeit 
durch  das  Manas  gewinnend,  im  Manas  das  Manas  bergen. 

16.  (7166.)  Dann  meditiert  man  im  Denken  das  Brahman, 
wobei  man  immerhin   einen   guten   Samhitaspruch   murmeln 


Adhyaya  196  (B.  196).  191 

mag.    Oder  einer  verzichtet  auch  auf  diesen  und  verharrt  in 
der  Absorption. 

17.  (7167.)  Dann  fordert  er  die  Meditation,  indem  er  sich 
dabei  auf  die  Meditation  des  Samhitaspruches  stiitzt,  und  mit 
reinem  Herzen,  durch  Askese  gezahmt,  Hafs  und  Liebe  in 
sich  vernichtet. 

18.  (7168.)  Dann  wird  er,  ohne  Leidenschaft,  Verblendung 
und  Zweiheitlichkeit,  nicht  trauern  und  nicht  anhangen,  und 
nicht  mehr  Tater  sein  von  Ursachen  oder  von  Wirkungen, 
das  steht  fest. 

19.  (7169.)  Dann  wird  er  nicht  mehr  das  Manas  in  Ver- 
bindung  mit  dem  Ahankara  irgendwohin  aussenden,  nicht 
mehr  beschaftigt  sein  mit  dem  Greifen  von  Dingen,  nicht 
hochmiitig  und  doch  nicht  untatig. 

20.  (7170.)  Die  Tatigkeit  der  Meditation  als  Hochstes 
schatzend,  hingegeben,  meditationsreich ,  die  Meditation  mit 
Entschlossenheit  betreibend,  so  wird  er  in  der  Meditation  die 
Absorption  erzeugen  und  dann  auch  jene  [Meditation]  nach 
und  nach  aufgeben. 

21.  (7171.)  Wenn  er  in  diesem  Zustande  mit  Freudigkeit 
jede  Entsagung  vollbracht  hat,  dann  lafst  er  wunschlos  seine 
Lebenshauche  fahren  und  geht  ein  in  einen  brahmischen  Leib. 

22.  (7172.)  Oder  auch,  falls  er  alsdann  nicht  wiinschen 
sollte,  einen  Brahmanleib  zu  bewohnen,  so  steigt  er  empor 
und  weilt  auf  dem  Wege  [dem  Devayana],  aber  geboren  wird 
er  nicht  wieder. 

23.  (7173.)  Und  in  der  Erkenntnis  des  Atman  beharrend, 
beruhigt  geworden  und  frei  von  Krankheit,  geht  er  leiden- 
schaftslos  in  den  unsterblichen  reinen  Atman  ein. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  ErSrterung  liber  den  Gebetsmurmler 
(jdpaka  -  updkhydnam). 


192  ni.   Mokshadharma. 

Aclhyaya  197  (B.  197). 

Vers  7174-7186  (B.  1-13). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (7174.)  Du  hast  davon  gesprochen,  inwieweit  die  Er- 
langung  des  hochsten  der  Wege  auch  fiir  die  Gebetsmurmler 
moglich  ist ;  aber  das  ist  doch  nur  der  eine  Weg,  den  sie  geheii 
konnen;  gehen  sie  wohl  auch  einen  andern? 

Bhishma  sprach: 

2.  (7175.)  Vernimm  mit  Aufmerksamkeit,  o  Konig,  einen 
Weg  der  Gebetsmurmler,  o  Herr,  auf  dem  sie  in  mancherlei 
Hollen  fahren,  o  Mannerstier. 

3.  (7176.)  Derjenige  Gebetsmurmler,  der  nicht  vorher  be- 
treibt,  was  wir  soeben  besprochen  haben,  der  ist  einseitig 
dem  Opferwerke  zugewendet  und  fahrt  in  die  Holle. 

4.  (7177.)  Wenn  er  aus  Hochmut  das  Werk  betreibt,  nicht 
erfreuend  und  nicht  erfreut,  ein  solcher  Gebetsmurmler  fahrt 
zur  Holle,  daran  ist  kein  Zweifel. 

5.  (7178.)  ^lle,  welche  aus  Selbstsucht  handeln,  fahren 
zur  Holle;  ein  Mensch,  der  die  andern  verachtet,  wird  der 
Holle  verfallen. 

6.  (7179.)  Wer  hingegen  in  seiner  Torheit  unter  vorher- 
gehender  Absicht  das  Gebetsmurmeln  vollzieht,  der  wird  da- 
fiir  jedesmal  in  den  Leib  eingehen,  auf  den  sein  leidenschaft- 
liches  Verlangen  gerichtet  ist. 

7.  (7180.)  Und  auch  wenn  bei  den  Veranstaltungen  zur 
Erlangung  von  iibernatiirlichen  Kraften  der  Gebetsmurmler 
sich  in  diese  vergafft,  so  gereicht  ihm  das  zur  Holle,  und 
er  kann  nicht  von  ihr  freikommen. 

8.  (7181.)  Ein  solcher  Gebetsmurmler  vollzieht  in  seiner 
Torheit  das  Gebetsmurmeln  aus  leidenschaftlichem  Verlangen, 
und  er  wird  dafiir  jedesmal  in  den  Leib  eingehen,  auf  den 
sein  leidenschaftliches  Verlangen  gerichtet  ist. 

9.  (7182.)  Unverstandig  und  ohne  erlangte  Einsicht  ist  er 
in  seinem  unsteten  Manas;  einen  unsteten  Weg  wandelt  er 
Oder  gerat  in  die  Holle. 


Adhy^ya  197  (B.  197).  193 

10.  (7183.)  Ohne  erlangte  Einsicht  als  ein  Tor  gerat  der 
Gebetsmurmler  in  Verblendung,  und  aus  der  Verblendiing 
fahrt  er  in  die  Holle;  ist  er  dort,  dann  wird  er  jammern. 

11.  (7184.)  Ich  weifs,  was  ich  will,  so  denkt  der  Gebets- 
murmler und  murmelt  sein  Gebet;  er  ist  nicht  voll  von  seiner 
Sache,  ist  ihr  nicht  hingegeben  und  fahrt  in  die  Holle. 

Yudhishthira  sprach: 

12.  (7185.)  Unverganglich  ist  jenes  Hochste,  Unoffenbare, 
in  Brahman  Kuhende  [der  Atman];  wenn  ein  Gebetsmurmler 
zu  diesem  wird,  warum  mufs  auch  ein  solcher  hienieden  wieder 
in  einen  Korper  eingehen? 

Bhlshma  sprach: 

13.  (7186.)  Viele  HoUen  werden  fur  mangelhafte  Erkennt- 
nis  in  Aussicht  gestellt.  Selbst  wenn  die  Gebete  in  loblicher 
Weise  gemurmelt  werden,  so  haften  diesem  Tun  doch  immer- 
hin  derartige  Fehler  an. 

So  lautet  Im  Mokshadharma  die  Eiortervmg  Ubex  den  Gebetsmurinler 

(jdpal-a  -  updkhydnam). 


Adhyaya  198  (B.  198). 

Vers  7187-7197  (B.  1-11). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (7187.)  Was  ist  das  fiir  eine  Holle,  in  welche  der  Ge- 
betsmurmler fahrt?  Das  schildere  mir;  Wifsbegierde  erfiillt 
mich,  0  Konig,  darum  soUst  du  es  mir  sagen. 

Bhishma  sprach: 

2.  (7188.)  Du  bist  erzeugt  als  ein  Sprofs  des  Gottes  der 
Gereehtigkeit  ("DharmaJ,  du  bist  von  Natur  iiberaus  gerecht, 
so  vernimm  denn  mit  Aufmerksamkeit,  o  Untadeliger,  die 
Rede,  welche  sich  griindet  auf  die  Wurzel  der  Gereehtigkeit. 

3.  (7189.)   Jene  Orte  der  Gotter  von  hochster  Wesenheit 

Decbben,  Mah&bb&Tatam.  13 


194  III.   Mokshadharma. 

mit  mancherlei  Standorten  und  Farben,   mit  mancherlei  Ge- 
stalten  und  Friichten, 

4.  (7190.)  jene  himmlischen ,  nach  Belieben  zu  durch- 
wandelnden  Palaste  und  Hallen,  jene  mannigfachen  Spiel- 
platze,  0  Konig,  und  goldenen  Lotosteiche 

5.  (7191.)  der  vier  Welthiiter,  des  Venusplaneten  und  des 
Jupiter,  der  Winde  und  der  Gesamtgotter,  der  Vollendeten 
und  der  A<?vin's, 

6.  (7192.)  der  Rudra's,  Aditya's,  Vasu's  und  der  anderen 
Himmelsbewohner,  das  sind  eben,  o  Freund,  die  Hollen,  die 
Verhiillungen  des  Ortes  des  hochsten  Atman. 

7.  (7193.)  Dieser  Ort  aber  ist  furchtlos,  kausalitatlos, 
nicht  von  Plagen  erfullt,  frei  von  den  zweien  [Lust  und  Un- 
lust] ,  frei  von  den  dreien  [Guna's] ,  frei  von  den  achten 
[Sinne,  Manas,  Buddhi,  Avidya]  und  den  anderen  dreien  [Ob- 
jekt,  Subjekt  und  Tatigkeit  des  Erkennens], 

8.  (7194.)  frei  von  den  vier  Merkmalen  [der  Sichtbarkeit, 
Horbarkeit,  Denkbarkeit,  ErkennbarkeitJ ,  frei  von  den  vier 
Ursachen,  frei  von  den  vier  Erkenntnisgriinden  [Wahrneh- 
mung,  Folgerung,  Tradition  und  Vergleich],  ohne  Freude, 
ohne  Wonne,  ohne  Kummer  und  ohne  Ermiidung. 

9.  (7195.)  Eine  Zeit  gibt  es  dort,  und  doch  ist  die  Zeit 
nicht  Herr,  sondern  Er  ist  der  Herr  iiber  die  Zeit,  o  Konig, 
und  der  Gebieter  des  Himmels. 

10.  (7196.)  Wer  die  Absolutheit  des  Atman  erlangt  hat, 
der  geht  dorthin  und  trauert  nicht.  Von  dieser  Art  ist  die 
hochste  Statte,  und  die  Hollen  sind  von  jener  Art. J 

11.  (7197.)  Damit  habe  ich  dir  alle  Hollen  nach  ihrem 
Wesen  erklart;  weil  sie  jenen  hochsten  Ort  verhiillen,  werden 
sie  die  Hollen  genannt. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Erorterang  iiber  den  Gebetsmurmlei 
(jdpaka-updkhydnam). 


Adhyaya  199  (B.  199).  195 

Adhyaya  199  (B.  199). 

Vers  7198-7329   (B.  1-128). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (7198.)  Es  wurde  dir  einstmals  die  zwischen  Kala, 
Mrityu  und  Yama  mit  Ikslivaku  und  einem  Brahmanen  ge- 
pflogene  Unterredung  erzahlt;  die  mogest  du,  o  Herr,  mir 
mitteilen. 

Bhishma  sprach: 

2.  (7199.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlicli  was  sich  zwischen  Ikshvaku,  dem  Sohne 
des  Surya  (Sonne)  und  einem  Brahmanen  hegeben  hat, 

3.  (7200.)  sowie  auch,  was  sich  zwischen  Kala  und  Mrityu 
begeben  hat;  das  vernimm  von  mir,  wie  zwischen  ihnen  alien 
und  an  welchem  Orte  die  folgende  Unterredung  statt- 
gefunden  hat. 

4.  (7201.)  Es  war  einmal  ein  Brahmane,  ein  Gebets- 
murmler,  in  der  Pflicht  bewandert  und  von  grofsem  Ruhme, 
die  sechs  Vedanga's  [Lautlehre,  Kultus,  Grammatik,  Wort- 
schatz,  Metrik,  Astronomic;  Mund.  Up.  1,1,5]  kennend,  von 
grofsem  Wissen,  ein  Sohn  des  Pippalada  und  Abkommling 
des  Kugika. 

5.  (7202.)  Ihm  war  iiber  dem  Studium  der  sechs  Vedanga's 
eine  iibernatiirliche  Erkenntnis  zuteil  geworden ;  und  auch  in 
den  Veden  war  er  beschlagen,  am  Fufse  des  Himalaya 
wohnend. 

6.  (7203.)  Er  iibte  eine  mit  Reden  verbundene  fsodyaj^ 
heilige  Askese,  indem  er  mit  Selbstzwang  die  Samhita 
murmelte,  und  unter  dieser  Kasteiung  gingen  ihm  tausend 
Jahre  dahin. 

7.  (7204.)  Da  liefs  sich  die  Gottin  vor  ihm  leibhaftig  sehen 
und  sprach:  „ich  bin  mit  dir  zufrieden";  er  aber,  da  er  be- 
schaftigt  war,  sein  Murmelgebet  in  Drehung  zu  erhalten, 
schwieg  still  und  erwiderte  ihr  nichts. 

8.  (7205.)    Aus  Mitleid    mit    ihm   erwies   sich    die   Gottin 

13* 


196  ni.    Mokshadharma. 

ilim  freundlich,  und  sie,  die  Mutter  des  Veda,    ehrte   sein 
Murmelgebet. 

9.  (7206.)  Als  er  aber  mit  Murmeln  fertig  und  aufgestanden 
war,  warf  er  sich  mit  dem  Kopfe  zu  den  Fiifsen  der  Gottin 
nieder,  und  er,  der  Pflichttreue ,  sprach  zu  der  Gottin  dieses 
Wort: 

10.  (7207.)  Zur  gliicklichen  Stunde,  o  Gottin,  bist  du  mir 
gnadig  und  bist  mir  sichtbar  erscbienen;  wenn  du  mir  aber 
gnadig  bist,  so  moge  sich  dein  Geist  an  meiner  Murmelung 
erfreuen. 

Savitri  sprach: 

11.  (7208.)  Was  verlangst  du,  o  Brahmanenweiser,  und 
was  wiinschest  du,  das  ich  dir  tun  soil?  Sprich  es  aus,  o 
Bester  der  Murmler,  es  soil  dir  alles  zuteil  werden. 

12.  (7209.)  So  von  der  Gottin  angeredet,  sprach  der  pflicht- 
kundige  Brahmane:  Auf  mein  Murmeln  bezieht  sich  der 
Wunsch,  den  ich  hege,  namlich  dafs  es  gedeihen  moge  fort 
und  fort, 

13.  (7210.)  und  dafs  die  Absorption  meines  Geistes,  o 
Schone,  zunehmen  moge  Tag  fiir  Tag.  Da  sprach  die  Gottin 
milde:  So  sei  es! 

14.  (7211.)  Und  weiter  sprach  noch  dieses  die  Gottin  aus 
Wohlwollen  zu  ihm:  Du  soUst  nicht  in  die  Holle  fahren, 
wohin  die  Gewaltigsten  der  Brahmanen  gegangen  sind. 

15.  (7212.)  Du  sollst  gelangen  zu  der  Statte  des  Brahman, 
der  ursachlosen,  tadellosen;  das  vollbringe  ich,  und  du  sollst 
zu  dem  werden,  um  was  ich  heute  von  dir  gebeten  wor- 
den  bin. 

16.  (7213.)  Mit  Selbstzwang  murmele,  der  Sache  ganz  hin- 
gegeben,  und  [der  Gott  des  Rechtes]  Dharma  wird  zu  dir 
treten,  und  Kala  [der  Gott  der  Zeit]  und  Mrityu  und  Yama 
[die  Gotter  des  Todes]  werden  sich  bei  dir  einfinden. 

17.  (7214.)  Und  es  wird  eine  Unterredung  stattfmden  hier- 
selbst  zwischen  dir  und  ihnen,  heiliger  Pflicht  gemafs. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach  t  : 

(7215.)  So  sprach  die  heilige  Gottin  und  ging  in  ihre  Be- 
hausung  zuriick. 


Adhyaya  199  (B.  199).  197 

18.  Und  wieder  sitzt  der  Brahmane  murmelnd  da  hundert 
gottliche  Jahre  lang,  (7216.)  immer  bezahmt,  den  Zorn  iiber- 
windend,  mit  Wahrheit  vereint  und  ohne  Neid. 

19.  Und  als  diese  Selbstbezwingung  vollbracht  war,  da 
geschah  es,  dafs  vor  des  weisen  Brahmanen  (7217.)  Augen  er- 
freut  der  Gott  Dharma  diesem  Zwiegeborenen  erschien. 

Dharma  sprach: 

20.  (7218.)  0  Zwiegeborener,  erkenne  mich  als  den  Gott 
Dharma;  dich  zu  besuchen  bin  ich  gekommen,  und  was  als 
Lohn  dieses  deines  Murmelns  erlangt  worden  ist,  das  ver- 
nimm  von  mir. 

21.  (7219.)  Alle  Welten  sind  von  dir  erobert  worden,  die 
gottlichen  sowohl  als  die  menschlichen,  und  zu  alien  Be- 
hausungen  der  Gotter  wirst  du,  o  Guter,  emporsteigend  ge- 
langen. 

22.  (7220.)  Lasse  dein  Leben  fahren,  o  Muni,  und  gehe 
ein  in  die  von  dir  gewiinschten  Welten;  sobald  du  deinen 
Leib  aufgegeben  hast,  wirst  du  diese  Welten  erlangen. 

Der  Brahmane  sprach: 

23.  (7221.)  Was  sollen  mir  diese  Welten,  o  Dharma?  Geh 
du  nur  hin,  wohin  es  dir  beliebt!  Meinen  Leib,  den  viel  Leid 
und  Lust  enthaltenden,  will  ich  nicht  aufgeben,  o  Herr. 

Dharma  sprach : 

24.  (7222.)  Notwendigerweise  freilich  mufst  du  deinen  Leib 
aufgeben,  0  Stier  unter  den  Muni's,  steige  doch  auf  zum 
Himmel,  0  Brahmane;  oder  was  mochtest  du  denn  sonst,  0 
Untadeliger  ? 

Der  Brahmane  sprach: 

25.  (7223.)  Ich  finde  keinen  Gefallen  daran,  ohne  meinen 
Leib  im  Himmel  zu  wohnen,  0  Herr;  geh  nur,  o  Dharma, 
ich  trage  kein  Verlangen  danach,  ohne  Leib  in  den  Himmel 
einzugehen. 


198  ni.    Mokshadharma. 

Dharma  sprach : 

26.  (7224.)  Hore  auf,  deinen  Sinn  auf  den  Korper  zii 
richten,  gib  deinen  Leib  auf  und  werde  gliicklich.  Gehe  ein 
in  die  staubfreien  Welten,  wohin  gelangt  du  nicht  mehr 
trauerst. 

Der  Brahmane  sprach : 

27.  (7225.)  Ich  habe  meine  Freude  am  Gebetsmurmeln ,  o 
Herrlicher,  was  sollen  mir  die  ewigen  Welten!  mit  meinem 
Leibe  will  ich  in  den  Himmel  gehen  oder  gar  nicht,  o  Herr. 

Dharma  sprach : 

28.  (7226.)  Wenn  du  deinen  Leib  nicht  aufgeben  willst^ 
dann  sieh  einmal,  o  Zwiegeborener,  da  kommen  Kala  und 
Mrityu  und  Yama,  um  dich  zu  besuchen. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach: 

29.  (7227.)  Da  kamen  Vaivasvata  (Yama),  Kala  und  Mrityu 
zu  dreien,  o  Herr,  zu  diesem  herrlichen  Brahmanen  und 
sprachen  folgendermafsen. 

Yama  sprach: 

30.  (7228.)  Fiir  diese  wohldurchgefiihrte  Askese  und  fur 
deinen  guten  Lebenswandel  wird  dir  Erlangung  der  schonsten 
Frucht  zuteil,  ich,  der  Gott  Yama,  spreche  dich  an. 

KS,Ia  sprach: 

31.  (7229.)  Entsprechend  diesem  Gebetsmurmeln  ist  als 
hochste  Frucht  dir  zuteil  geworden,  dafs  dir  die  Zeit  (MlaJ 
gekommen  ist,  zum  Himmel  aufzusteigen.  Ich,  Kala  [der 
Gott  der  Zeit],  bin  zu  dir  gekommen. 

Mrityu  sprach: 

32.  (7230.)  Wisse  mich,  o  Pflichtkundiger,  als  Mrityu  (Tod) 
leibhaftig  hier  erschienen,  um,  von  Kala  (Zeit)  aufgefordert, 
dich,  o  Brahmane,  heute  von  hier  abzuholen. 


Adhyaya  199  (B.  199).  199 

Der  Brahmane  sprach: 

33.  (7231.)  Willkommen  heifse  ich  den  Sohn  der  Sonne 
und  den  hochherzigen  Kala,  den  Mrityu  und  den  Dharma! 
Was  ist  es,  das  ich  fiir  euch  ausrichten  soil? 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach: 

34.  (7232.)  Nachdem  er  ihnen  sodann  dort  bei  der  Zu- 
sammenkunft  die  Ehrengabe  und  das  Fufswasser  dargeboten 
hatte,  sprach  er  hocherfreut:  Was  kann  ich  mit  meinen 
Kraften  fiir  euch  tun? 

35.  (7233.)  Zu  derselben  Zeit  geschah  es,  dafs  der  auf  der 
Wallfahrt  zu  einem  heiligen  Badeplatze  begriffene  Ikshvaku 
dorthin  kam,  wo  jene,  o  Herr,  sich  versammelt  hatten. 

36.  (7234.)  Nachdem  der  Konigsweise  sie  alle  geehrt  und 
sich  vor  ihnen  verneigt  hatte,  richtete  er,  der  Beste  der 
Konige,  an  alle  die  Frage  nach  ihrem  Wohlbefinden. 

37.  (7235.)  Ihm  hot  sodann  der  Brahmane  einen  Sitz  nebst 
Fufswasser  und  Ehrengabe,  und  nachdem  er  sich  nach  seinem 
Wohlbefinden  erkundigt,  sprach  er  zu  ihm  das  Wort: 

38.  (7236.)  Sei  willkommen,  o  grofser  Konig,  sage,  was 
du  hier  wiinschen  magst!  Was  kann  ich  aus  eigener  Kraft 
fiir  dich  tun?   Das  mogest  du,  o  Herr,  mir  mitteilen. 

Der  Konig  sprach: 

39.  (7237.)  Ich  bin  ein  Konig  und  du  ein  Brahmane,  und 
dieweil  du  ausdauernd  bist  in  den  sechs  Werken  [Opfern 
fiir  sich  und  fiir  andere,  Lernen  und  Lehren,  Geben  und 
Empfangen],  so  mochte  ich  dir  irgend  etwas  Riihmliches 
schenken;  sage  mir,  was  es  sein  soil. 

Der  Brahmane  sprach: 

40.  (7238.)  Von  zweierlei  Art  sind  die  Brahmanen,  o  Konig, 
und  von  zweierlei  Art  ist  auch  die  Pflicht,  wie  gelehrt  wird. 
Es  gibt  Zugewandte  und  Abgewandte,  ich  bin  vom  Geschenk- 
empfangen  abgewandt. 

41.  (7239.)  Gib  du  die  Geschenke  denen,  die  ihnen  zu- 
gewandt  sind,  o  Mannerherr.  Ich  nehme  keine  Geschenke 
an,    aber    was   wiinschest   du,    was    kann    ich    dir    geben? 


200  ni.   Mokshadharma. 

(7240.)   Sage  du,  o  Bester  der  Fiirsten,  was  kann  ich  durch 
meine  Askese  fur  dich  erwirken? 

Der  Konig  sprach: 

42.  (7241.)  Ich  bin  ein  Kshatriya,  und  das  Wort  „gib" 
kenne  ich  nicht.  Wir,  o  Bester  der  Brahmanen,  sagen  nur: 
Gib  uns  einen  Kampf! 

Der  Brahmane  sprach: 

43.  (7242.)  Du  freust  dich  an  deiner  Pflicht  und  wir  an 
der  unserigen,  o  Fiirst;  darin  ist  zwischen  uns  kein  Unter- 
schied,  so  betreibe  denn,  was  dir  erwiinscht  ist. 

Der  Konig  sprach: 

44.  (7243.)  Du  hast  vorher  gesagt,  dafs  du  mir  nach 
eigener  Kraft  etwas  geben  wollest.  Nun,  so  bitte  ich  dich, 
gib  mir,  o  Brahmane,  die  Frucht  deines  Gebetsmurmelns. 

Der  Brahmane  sprach: 

45.  (7244.)  Du  sagst  ja  selbst,  dafs  deine  Rede  immer  nur 
verlangt  nach  Kampf;  mit  mir  gibt  es  nichts  zu  kampfen; 
warum  forderst  du  nun  doch  wieder  etwas? 

Der  Konig  sprach: 

46.  (7245.)  Es  heifst  von  den  Brahmanen,  dafs  sie  die 
Rede  als  Donnerkeil  fiihren,  wahrend  die  Kshatriya's  von 
der  Starke  ihres  Armes  leben;  und  hier  hat  sich,  o  Brah- 
mane, ein  scharfer  Redekampf  zwischen  mir  und  dir  ent- 
sponnen. 

Der  Brahmane  sprach: 

47.  (7246.)  Das  war  soeben  mein  Versprechen,  so  sage, 
was  soil  ich  dir  geben  nach  meinen  Kraften;  ich.  will  es  dir 
geben,  o  Fiirst  der  Konige,  wofern  es  in  meiner  Macht  steht, 
ohne  Verzug. 

Der  Konig  sprach: 

48.  (7247.)  Was  jenes  durch  voile  hundert  Jahre  von  dir, 
dem  Murmelnden,  vollbrachte  Murmeln  ist,  die  Frucht,   die 


Adhyaya  199  (B.  199).  201 

dir  dafiir  zukommt,  die  gib  mir,  wofern  du  anders  willens 
bist,  zu  geben. 

Der  Brahmane  sprach: 

49.  (7248.)  So  nimm  von  mir  entgegen  die  hochste  Frucht, 
die  von  mir  ermurmelt  worden  ist,  und  empfange  die  Halfte 
der  Frucht  desselben  ohne  Bedenken. 

50.  (7249.)  Oder  du  magst  auch  allenfalls,  o  Konig,  die 
ganze  Frucht  meines  Murmelns  hinnehmen,  wenn  du  sie 
ganz  zu  haben  wiinschest. 

Der  Konig  sprach: 

51.  (7250.)  Es  handelt  sich  um  das  Ganze  mit  Verlaub, 
als  ich  das  Ermurmelte  erbat.  Lebewohl!  ich  gehe  nun, 
aber  sage  mir,  was  ist  die  Frucht  dessen,  was,  du  mir  ge- 
schenkt  hast? 

Der  Brahmane  sprach: 

52.  (7251.)  Welche  Frucht  dafiir  erlangt  wird,  das  weifs 
ich  nicht,  aber  ich  habe  dir  gegeben,  was  ich  ermurmelt 
habe ;  hier  Dharma,  Kala,  Tama  und  Mrityu  sind  des  Zeugen. 

Der  Konig  sprach: 

53.  (7252.)  Wenn  ich  die  Frucht  dieser  Observanz  nicht 
kenne,  was  kann  sie  mir  dann  helfen.  Wenn  du  mir  nicht 
die  Frucht  deiner  Observanz,  die  du  im  Murmeln  libtest, 
nennen  kannst,  (7253.)  dann  soil  der  Brahmane  die  Frucht  be- 
halten,  ich  mag  nicht,  was  zweifelhaft  ist. 

Der  Brahmane  sprach: 

54.  (7254.)  Ich  nehme  kein  weiteres  Reden  an;  ich  habe 
die  Frucht  davon  verschenkt,  und  mein  Wort  ist  entscheidend, 
o  Konigsweiser ,  fiir  das,  was  heute  zwischen  mir  und  dir 
abgemacht  worden  ist. 

55.  (7255.)  Bei  meinem  Murmeln  habe  ich  niemals  eine 
vorgefafste  Absicht  gehabt;  wie  soUte  ich  also,  o  Tiger  unter 
den  Konigen,  die  Frucht  meines  Murmelns  kennen? 

56.  (7256.)  Du  hast  nur  gesagt:  „gib  mir",  und  ich  habe 
gesagt:  „ich  will  es  dir  geben";   mein  Wort  will  ich  nicht 


202  III.    Mokshadharina. 

verleugnen,  so  bleibe  auch  du  bei  der  Wahrheit  und  sei  be- 
standig. 

57.  (7257.)  Oder  willst  du  das  Wort,  welches  ich  heute 
gesprochen  habe,  nicht  wahr  machen,  dann  wiirde  es  ein 
grofses  Unrecht  sein,  welches  du,  o  Konig,  fahrlassiger- 
weise  begehst. 

58.  (7258.)  Es  ziemt  sich  aber  nicht  fiir  dich,  eine  fahr- 
lassige  Eede  zu  fiihren,  o  Feindbezwinger,  und  andererseits 
•ist  es  auch  mir  unmoglich,  meine  Zusage  Liigen  zu  strafen. 

59.  (7259.)  Auch  ist  von  mir  ohne  Bedenken  versprochen 
worden,  es  zu  geben;  so  nimm  denn  auch  du  es  ohne  Be- 
denken an,  wenn  du  anders  bei  der  Wahrheit  bleiben  willst. 

60.  (7260.)  Du  kamst  ja  doch  hierher,  o  Konig,  und  er- 
batest  die  i'rucht  meines  Murmelns;  ich  habe  sie  dir  iiber- 
lassen;  so  nimm  sie  denn  an,  bleibe  auch  du  standhaft  bei 
der  Wahrheit. 

61.  (7261.)  Fiir  den  ist  nicht  diese  Welt  und  nicht  die 
andere,  der  rettet  nicht  seine  Vorfahren  [vom  Verderben] 
und  noch  weniger  seine  Nachkommen,  welcher  einer  fahr- 
lassigen  Rede  huldigt. 

62.  (7262.)  Ihn  retten  nicht  die  Friichte  des  Opfers  und 
nicht  Gabon,  noch  auch  Selbstbezahmung;  so  gewifs,  wie 
das  in  der  andern  Welt  gilt,  so  gilt  es  auch  hier,  o  Mannerstier. 

63.  (7263.)  Mag  einer  Askesen  betrieben  haben,  mag  einer 
noch  weiter  Askesen  betreiben  wollen,  durch  diese,  und  waren 
es  hundert  oder  hunderttausend,  steht  er  nicht  hoher  als 
durch  die  Wahrheit. 

64.  (7264.)  Die  Wahrheit  ist  das  eine  unvergangliche 
Brahman,  die  Wahrheit  ist  die  eine  unvergangliche  Askese, 
die  Wahrheit  ist  das  eine  unvergangliche  Opfer,  die  Wahr- 
heit ist  die  eine  unvergangliche  Schriftoffenbarung. 

65.  (7265.)  Die  Wahrheit  halt  Wache  in  den  Veden,  die 
Wahrheit  bringt  nach  der  Uberlieferung  den  hochsten  Lohn, 
aus  Wahrheit  entspringen  Gerechtigkeit  und  Bezahmung,  in 
der  Wahrheit  ist  das  Weltall  gegriindet. 

66.  (7266.)  Wahrheit  sind  die  Veden  und  Vedanga's,  Wahr- 
heit   sind   die    Upanishadlehren    und    die   Ritualvorschriften, 


Adhyaya  199  (B.  199).  203 

Wahrheit  ist  der  Wandel  im  Geliibde,  und  Wahrheit  ist  der 
heilige  Laut  Om. 

67.  (72G7.)  Wahrheit  ist  die  Erzeugung  der  Lebewesen, 
Wahrheit  ist  ihre  Fortpflanzung,  durch  Wahrheit  braust  der 
Wind  heran,  durch  Wahrheit  gliiht  die  Sonne. 

68.  (7268.)  Durch  Wahrheit  brennt  das  Feuer,  auf  Wahr- 
heit ist  der  Himmel  gegriindet,  Wahrheit  sind  Opfer,  Askese, 
Veden,  Singlaute,  Spriiche  und  heilige  Eede. 

69.  (7269.)  Auf  die  Wage  wurden  gelegt  die  Gerechtigkeit 
und  die  Wahrheit,  so  ist  uns  erzahlt  worden;  sie  halten  sich 
das  Gleichgewicht ,  aber  auf  Seiten  der  Wahrheit  ist  da& 
Ubergewicht. 

70.  (7270.)  Woraus  die  Gerechtigkeit  entspringt,  daraus 
entspringt  auch  die  Wahrheit,  alles  gedeiht  durch  die  Wahr- 
heit; warum,  o  Konig,  willst  du  unwahres  Werk  tun? 

71.  (7271.)  Mache  dein  Gemiit  fest  in  der  Wahrheit,  o 
Konig,  tue  nicht,  was  unwahr  ist;  warum  willst  du  unedel 
sein  und  dein  Wort  „gib"  unwahr  machen? 

72.  (7272.)  Wenn  du  die  von  mir  geschenkte  Frucht  der 
Murmelung  nicht  annehmen  wirst,  o  Fiirst,  dann  wirst  du 
deinen  Pflichten  abtriinnig  werden  und  so  von  Welt  zu  Welt 
umherirren. 

73.  (7273.)  Wer  verspricht  und  dann  nicht  geben  will, 
und  wer  bittet  und  dann  nicht  annehmen  will,  diese  sind 
beide  unaufrichtig,  wolle  du  nicht  fahrlassig  handeln. 

Der  Konig  sprach: 

74.  (7274.)  Man  mufs  kampfen  und  beschiitzen,  darin  be- 
steht  ja  doch  die  Pflicht  des  Kshatriya,  o  Brahmane;  „Ge- 
bende"  heifsen  die  Kshatriya's,  wie  kann  ich  von  dir  etwas 
annehmen ! 

Der  Brahmane  sprach: 

75.  (7275.)  Ich  verlange  nicht  dich  giinstig  zu  stimmen, 
o  Konig,  ich  habe  nicht  dein  Haus  aufgesucht,  sondern  du 
bist  hierher  gekommen  und  hast  mich  um  etwas  gebeten; 
wie  kannst  du  es  nun  jetzt  nicht  annehmen  wollen? 


204  ni.   Mokshadharma. 

Dharma  sprach: 

76.  (7276.)  Kein  Streit  sei  zwischen  euch;  wisset  mich 
hierher  gekommen  als  den  Gott  der  Gerechtigkeit ;  der  Brah- 
mane  ist  gebunden  durch  das  Geben  und  seine  Friichte,  der 
Konig  durch  die  Wahrheit  und  ihre  Fruclit. 

Der  Himmel  sprach: 

77.  (7277.)  Ich,  der  Himmel,  bin  leibhaftig  hierher  ge- 
kommen, das  soUst  du  wissen,  o  Fiirst  der  Konige,  kein 
Streit  sei  zwischen  euch,  ihr  habt  beide  gleiche  Friichte  [zu 
erwarten]. 

Der  Konig  sprach: 

78.  (7278.)  Ich  habe  mit  dem  Himmel  nichts  zu  schaffen, 
gehe  bin,  o  Himmel,  wie  du  gekommen  bist;  will  aber  der 
Brahmane  [in  den  Himmel]  gehen,  so  kann  er  von  der  von 
mir  erworbenen  Frucht  Gebrauch  machen. 

Der  Brahmane  sprach: 

79.  (7279.)  Wenn  auch  in  der  Kindheit  von  mir  aus  Un- 
wissenheit  die  Hand  ausgestreckt  wurde  [um  zu  nehmen],  so 
betreibe  ich  doch  jetzt,  wenn  ich  meine  Samhita  murmle, 
eine  Pflicht,  bei  der  dies  Merkmal  [der  Hoffnung  auf  Lohn] 
wegfallt, 

80.  (7280.)  und  mich,  der  ich  schon  seit  lange  [von  der 
Hoffnung  auf  Lohn]  abgewandt  bin,  wie  kannst  du,  o  Konig, 
mich  wiederum  zu  einem  Begehrlichen  machen  woUen!  Aus 
eigenem  Antriebe  werde  ich  tun,  was  ich  zu  tun  habe,  ich 
mag  nicht  eine  Frucht  von  dir  iibernehmen,  o  Konig. 

81.  (7281.)  Ich  befleifsige  mich  der  Askese  und  des  Stu- 
diums  und  bin  dem  Nehmen  von  Geschenken  abgeneigt. 

Der  Konig  sprach: 

(7282.)  Wenn  doch  einmal  die  hochste  Frucht  der  Murme- 
lung  von  dir  weggegeben  ist,  so  schlage  ich  vor,  dafs  alles, 
was  an  Frucht  uns  beiden  angehort,  uns  beiden  gemein- 
schaftlich  gehoren  soil. 

82.  (7283.)   Die  Brahmanen  haben  ja  den  Beruf,  Geschenke 


Adhyaya  199  (B.  199).  205 

anzunehmen,  aber  wer  aus  einer  Konigsfamilie  stammt,  der 
ist  ein  Gebender.  Wenn  du,  o  Brahmane,  im  Veda  gelernt 
hast,  was  Recht  ist,  so  sei  damit  einverstanden ,  dafs  die 
Frucht  uns  beiden  gemeinschaftlich  gehort. 

83.  (7284.)  Oder  wenn  du  nicht  willst,  dafs  wir  sie  beide 
gemeinschaftlich  genief sen ,  so  nimm  du  meine  Frucht  an 
und  eigne  dir  das  von  mir  verdiente  Gute  an,  wenn  du  mir 
eine  Gunst  erweisen  willst. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach: 

84.  (7285.)  Da  geschah  es,  dafs  zwei  Manner  von  mifs- 
gestaltetem  Aussehen  herankamen,  sich  anfassend  und  in 
schlechte  Lumpen  gehiillt,  und  zueinander  sprachen. 

85.  (7286.)  Der  eine  sprach :  Du  bist  es  mir  nicht  schuldig ; 
der  andere  sprach:  Ich  bin  es  dir  doch  schuldig;  dariiber 
streiten  wir  uns,  aber  hier  der  Konig  soil  Schiedsrichter  sein. 

86.  (7287.)  Ich  sage  die  Wahrheit,  du  schuldest  mir  nichts, 
0  Herr.  —  Du  sagst  nicht  die  Wahrheit,  ich  bin  es  dir  wohl 
schuldig. 

87.  (7288.)  So  erhitzten  sich  beide  sehr  und  sprachen  zum 
Konige:  Entscheide  du  (lies  parihsha)^  damit  wir  nicht  hier 
als  zwei  Bescholtene  dastehen  (lies  sydva). 

Der  Unformige  sprach: 

88.  (7289.)  Ich  bin  dem  Mifsgestalteten  hier,  o  Tiger  unter 
den  Mannern,  den  Lohn  fiir  eine  Kuh  schuldig,  ich  will  ihn 
ihm  geben,  und  der  Mifsgestaltete  will  ihn  nicht  von  mir 
annehmen,  o  Erdeherr. 

Der  Mifsgestaltete  sprach: 

89.  (7290.)  Der  Unformige  hier  ist  mir  durchaus  nichts 
schuldig,  o  Mannerherr,  er  redet  zu  dir,  was  falsch  ist  und 
nur  den  Schein  der  Wahrheit  hat,  o  Mannerherr. 

Der  Konig  sprach: 

90.  (7291.)  Unformiger!  was  schuldest  du  ihm  denn?  das 
mogest  du  mir  sagen.  Nachdem  ich  es  gehort  habe,  werde 
ich  dementsprechend  entscheiden,  das  ist  bei  mir  beschlossen. 


206  in.    Mokshadharma. 

Der  Unformige  sprach : 

91.  (7292.)  Hore  es  mit  Aufmerksamkeit,  o  Konig,  wie  ich 
-es  dem  Mifsgestalteten  da  schuldig  geworden  bin,  o  Konigs- 
weiser,  hore  es  ausfiihrlich,  o  Mannerherr. 

92.  (7293.)  Um  von  diesem  das  Gesetz  zu  erlernen,  hatte 
ich,  0  Untadehger,  eine  schone  Milchkuh  ihm,  dem  Brah- 
manen,  geschenkt,  o  Konigsweiser,  ihm,  welcher  der  Askese 
und  des  Vedastudiums  beflissen  war. 

93.  (7294.)  Und  auch  das  durch  ihre  Schenkung  erworhene 
religiose  Verdienst  erhalt  er  von  mir,  freilich  ohne  gefragt 
zu  sein  [ob  er  es  annehmen  wolle],  Und  der  Mifsgestaltete 
hat  doch  mir   [die  Belehrung]   gegeben   aus  reinem  Herzen! 

94.  (7295.)  Darum  habe  ich,  um  auch  meinerseits  rein  da- 
zustehen,  eine  weitere  gute  Tat  getan ;  ich  habe  namhch  zwei 
rotbraune,  ihre  Kalber  liebende,  reichlich  milchende  Kiihe 
gekauft, 

95.  (7296.)  und  die  sind  von  mir  diesem  Ahrenleser  (armen 
Schlucker)  iiberlassen  worden.  Da  namhch  von  ihm  jenes 
[die  Belehrung]  vorschriftsmafsig  und  glaubenstreu  [geleistet 
worden  war],  so  will  ich  hingegen,  o  Herr, 

96.  (7297.)  der  ich  sie  angenommen  habe,  dafiir  heute  ihm 
eine  zweifache  Frucht  schenken.  So  mufs  es  doch  sein,  o 
Tiger  unter  den  Mannern !  Wer  ist  hier  nun  unschuldig  und 
wer  ist  schuldig? 

97.  (7298.)  Um  diese  Sache  sind  wir  in  Streit  und  haben 
uns  zu  dir  hierher  begeben;  du  magst  nun  in  deiner  Ent- 
scheidung  gerecht  oder  ungerecht  verfahren,  jedenfalls  bringe 
uns  in  Ordnung. 

98.  (7299.)  Und  wenn  er  meine  Gabe  nicht  annehmen 
will,  wie  sie  von  dem  hier  [von  mir]  gegeben  worden  ist, 
so  wirst  du,  o  Herr,  hier,  der  du  charakterfest  hist,  uns 
beide  auf  den  richtigen  Weg  leiten. 

Der  Konig  sprach : 

99.  (7300.)  Warum  willst  du,  Mifsgestalteter ,  nicht  an- 
nehmen, was  dir  gegeben  und  geschuldet  wurde;  da  es  dir 
-zuerkannt  worden  ist,  so  nimm  es  an  und  ohne  Zogern. 


Adhyaya  199  (B.  199).  207 

Der  Mifsgestaltete  sprach: 

100.  (7301.)  Jener  behauptet  mir  etwas  schuldig  zu  sein, 
ich  aber  habe  gesagt,  ioh  wolle  es  [die  Belehrung]  ihm  geben, 
folglich  ist  er  mir  jetzt  nichts  schuldig  und  mag  gehen,  wo- 
hin  er  will. 

Der  Konig  sprach: 

101.  (7302.)  Wenn  jener  dir  etwas  gibt  und  du  es  niclit 
annimmst,  so  scheint  mir  das  unbillig;  fiir  strafbar  halte  ich 
dich,  dariiber  ist  gar  kein  Zweifel. 

Der  Mifsgestaltete  sprach: 

102.  (7303.)  Was  ich  ihm,  o  Konig,  gegeben  habe,  wie 
kann  ich  das  wieder  annehmen  ?  Gesetzt  aber  ich  bin  im  Un- 
rechte,  so  magst  du,  o  Herr,  eine  Strafe  gegen  mich  erkennen. 

Der  Unformige  sprach: 

103.  (7304.)  Wenn  du  auf  keine  Weise  dazu  zu  bringen 
bist,  anzunehmen,  was  ich  dir  gebe,  so  wird  dich  der  Konig 
hier  dazu  zwingen,  welcher  ein  Schiedsrichter  ist  iiber  das 
Recht. 

Der  Mifsgestaltete  sprach: 

104.  (7305.)  Wie  kann  ich  das  Gut,  welches  ich,  darum 
gebeten,  gab,  wieder  an  mich  nehmen?  Gehe  hin,  Unformi- 
ger,  ich  beurlaube  dich. 

Der  Brahmane  sprach: 

105.  (7306.)  Du  hast  gehort,  o  Konig,  was  diese  beiden 
gesprochen  haben,  darum  mufst  auch  du  das,  was  ich  dir 
versprochen  habe  [die  Frucht  der  Murmelung],  ohne  Bedenken 
annehmen. 

Der  Konig  sprach: 

106.  (7307.)  Da  die  erwahnte  grofse  Streitsache  dieser 
beiden  schwer  zu  ergriinden  ist,  wie  kann  fiir  dich  als 
Murmler  eine  Bestatigung  daraus  entnommen  werden? 

107.  (7308.)  Wenn  ich  freilich  nicht  annehmen  will,  was 
ein  Brahmane  mir  gibt,  so  werde  ich  nicht  umhin  konnen, 
mich  mit  einem  grofsen  Unrecht  zu  beflecken. 


208  in.   Mokshadharma. 

108.  (7309.)  Sodann  sprach  der  Konigsweise  zu  jenen 
beiden :  Ihr  werdet  weggehen,  nachdem  euer  Streit  entschieden 
ist.  Da  ihr  mich  hier  jetzt  angegangen  habt,  so  darf  die 
Konigspflicht  nicht  vernachlassigt  werden. 

109.  (7310.)  Die  Konige  miissen  die  ihnen  obliegende  Pflicht 
wahrnehmen,  daran  ist  kein  Zweifel.  Ich  war  nicht  bei  mir 
selbst,  als  die  schwer  zu  verstehende  Pflicht  der  Brahmanen 
mich  liberkam  [so  dafs  ich  ein  Geschenk  annahm]. 

Der  Brahmane  sprach: 

110.  (7311.)  Nimm  es  an,  ich  bin  es  dir  schuldig;  du  hast 
es  erbeten  und  ich  habe  es  dir  zugesprochen ,  und  wenn  du 
es  nicht  annimmst,  o  Konig,  so  werde  ich  dich  verfluchen, 
das  steht  fest. 

Der  Konig  sprach: 

111.  (7312.)  Wehe  iiber  die  Konigspflicht,  welcher  diese 
Entscheidung  des  Rechtshandels  hier  obliegt,  und  die  ich  um 
dieser  Sache  willen  ausiiben  mufs,  indem  ich  mich  frage,  wie 
kann  es  etwas  gleich  Schweres  geben? 

112.  (7313.)  Noch  nie  habe  ich  friiher  diese  meine  Hand 
ausgestreckt,  um  etwas  hineinzulegen ,  aber  nunmehr  gebe 
ich  zu,  o  Brahmane,  dafs  du  mir  das,  was  du  mir  schuldig 
bist,  geben  magst. 

Der  Brahmane  sprach: 

113.  (7314.)  Alle  Tugend,  soviel  ihrer  ist,  die  von  mir 
durch  das  Murmeln  der  Samhita  erworben  wurde,  das  alles 
nimm  von  mir  an,  wenn  ich  liberhaupt  irgend  etwas  habe. 

Der  Konig  sprach: 

114.  (7315.)  Genug  (Hes  alam),  dies  ist,  o  Brahmane,  in 
meine  Hand  gelangt,  so  moge  es  bilhg  sein,  dafs  es.uns  ge- 
meinschafthch  gehore,  das  kannst  du,  o  Herr,  annehmen. 

Der  Unformige  sprach: 

115.  (7316.)  Wisse,  dafs  wir  beiden  Biegierde  und  Zorn 
sind,  die  wir  dich  in  Aufregung  versetzt  haben ;   da  du  aber 


Adhyaya  199  (B.  199).  209 

das  Wort  „gemeinschaftlich"  ausgesprochen  hast,  so   sollen 
die  gleichen  Welten  dir  und  ihm  gehoren, 

116.  (7317.)  Jener  ist  dir  nichts  schuldig,  sondern  du  bist 
nur  auf  die  Probe  gestellt  worden.  Hier  sind  Kala,  Dharma 
und  Mrityu,  ferner  Begierde  und  Zorn,  und  endlich  ihr  beiden 
[zu  diesem  Zwecke  versammelt]. 

117.  (7318.)  Dir,  der  du  alles  nach  seinem  gegenseitigen 
inneren  Wesen  gepriift  hast,  [kommen  sie  zu,]  so  gehe  denn 
ein  in  die  Welten,  die  du  durch  dein  Tun  verdient  hast,  so- 
fern  du  willst. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach : 

118.  (7319.)  Die  Frucht,  welche  die  Murmler  erlangen,  die 
habe  ich  dir  aufgezeigt  und  das  Ziel,  den  Ort  und  die  Welten, 
wie  sie  von  dem  Murmler  errungen  werden. 

119.  (7320.)  Wer  die  Samhita  studiert,  der  geht  ein  zu 
dem  hochsten  Gott  Brahman,  oder  er  gelangt  zu  Agni,  oder 
auch  er  geht  ein  in  die  Sonne. 

120.  (7321.)  Und  wenn  er  sich  bei  ihnen  einer  lichtartigen 
Natur  erfreut,  so  erwirbt  er  sich  ihre  Qualitaten,  von  Liebe 
zu  ihnen  geblendet. 

121.  (7322.)  Und  ebenso  wenn  er  im  Monde  und  im  Winde 
in  einen  erdigen  oder  atherischen  Leib  eingeht,  wohnt  er  bei 
ihnen  voU  Liebe  und  bewegt  sich  in  ihren  Qualitaten. 

122.  (7323.)  Oder  wenn  er  bei  ihnen  von  Liebe  sich  be- 
freiend  ins  Zweifeln  kommt  und  nach  dem  Hochsten,  Unver- 
ganglichen  verlangt,  so  geht  er  weiter  zu  diesem  ein. 

123.  (7324.)  Und  von  Unsterblichkeit  zu  Unsterblichkeit 
gelangend,  beruhigt  geworden  und  selbstlos,  zu  Brahman  ge- 
worden  und  frei  von  Zweiheit  ist  er  selig,  beruhigt  und 
ohne  Leid. 

124.  (7325.)  Dann  geht  er  ein  zu  der  Brahmanstatte,  von  der 
keine  Wiederkehr  ist,  zu  der  einen,  die  das  Unvergangliche 
heifst,  zu  dem  schmerzlosen,  alterlosen  und  beruhigten  Orte. 

125.  (7326.)  Zu  dem  von  den  vier  Merkmalen  [den  vier 
Erkenntnisnormen]  freien,  sowie  von  den  sechs  [Schwachen] 
und  von  den  sechzehn  (Sechzig  Upanishad's  S.  571)  freien 
Purusha  emporsteigend  (hes  adhihramya) ,  gelangt  er  in  den 
Ather. 

Beussek,  Mab&bh&ratam.  14 


210  in.   Mokshadharma. 

126.  (7327.)  Oder  wenn  er  von  Liebe  erfiillt,  es  nicht  will, 
so  wird  er  Herrscher  iiber  dieses  Wei  tall,  und  was  er  be- 
gehrt,  das  erlangt  er  durch  seinen  Willen. 

127.  (7328.)  Oder  wenn  er  hinblickt  auf  die  Welten  alle, 
welche  HoUen  heifsen,  so  kann  er  sich  auch.  in  ihnen  frei 
von  Verlangen  und  von  allem  losgebunden  erfreuen. 

128.  (7329.)  Damit  habe  ich  dir,  o  grofser  Konig,  das  Ziel 
des  Murmlers,  wie  es  ist,  vollstandig  erklart;  was  wiinschest 
du  noch  weiter  zu  horen? 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Erzahlung  vom  Murmler 

(jdpaka  -  updkhydnam). 


Adhyaya  300  (B.  300). 

Vers  7330-7364  (B.  1-34). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (7330.)  Was  taten  damals  weiter  nach  der  Beendigung 
dieser  Unterredung  die  beiden,  der  Brahmane  und  auch  der 
Konig?    Das  sage  mir,  o  Grofsvater. 

2.  (7331.)  Oder,  nachdem  jene  beiden  dort  zusammen- 
gekommen  waren,  wie  du  erzahlt  hast,  was  folgte  darauf 
etwa  fiir  eine  Unterredung  dieser  beiden,  oder  was  haben  sie 
sonst  getan? 

Bhishma  sprach: 

3.  (7332.)  Nachdem  er  mit  dem  Worte:  „so  sei  es"  zu- 
gestimmt  [Vers  73i8]  und  den  Dharma,  so  wie  auch,  o 
Herr,  den  Yama,  Kala,  Mrityu  und  Svarga,  diese  Wiirdigen, 
verehrt  hatte, 

4.  (7333.)  nachdem  er  auch  die  andern  Brahmanenstiere, 
welche  dort  zusammengekommen  waren,  vorher  alle  durch 
Neigen  des  Hauptes  verehrt  hatte,  sprach  dieser  Zwiegeborene 
zu  dem  Konige  wie  folgt: 

5.  (7334.)  0  Konigsweiser,  nunmehr  mit  jener  Frucht  aus- 
gestattet,  gehe  du  ein  in  die  Hochstheit,  ich  aber,  von  dir 
entlassen,  will  weiter  fortmurmeln. 

6.  (7335.)   Denn  schon  vordem  wurde  mir  dieser  Wunsch 


Adhydya  200  (B.  200).  211 

von  der  Gottin  gewahrt  [oben  Vers  7208  fg.] ,  o  Hochmach- 
tiger,  indem  sie,  o  Herr  des  Volkes,  sprach:  „Moge  der 
Glauben  an  dein  Murmeln  dir  immer  treu  bleiben." 


Der  K5nig  sprach: 

7.  (7336.)  Wenn  auch  in  dieser  Weise  [durch  Ubertragung 
der  Frucht  an  mich]  deine  VoUendung  der  Frucht  beraubt 
wurde  und  der  Glaube  an  das  Murmeln  in  dir  fortbesteht, 
so  komme,  o  Priester,  und  erlange  mit  mir  die  Frucht  fur 
dein  Murmeln. 

Der  Brahmane  sprach: 

8.  (7337.)  Grofse  Anstrengung  ist  [von  uns  beiden]  ge- 
macht  worden  in  Gegenwart  von  jenen  alien;  zusammen, 
gleichen  Teil  an  der  Frucht  habend,  gehen  wir  beiden  nun- 
mehr  dahin,  wohin  unser  Weg  uns  fiihrt. 

[Bhishma  sprach:] 

9.  (7338.)  Als  der  Herr  der  dreifsig  [Gotter]  den  Ent- 
schlufs  dieser  beiden  erkannte,  da  kam  er  mit  den  welt- 
hiitenden  Gottern  herbei,  sowie  ferner  auch 

10.  (7339.)  die  Seligen,  die  Vigve  Devah,  die  Marut's  und 
machtig  grofse  Musikinstrumente,  sowie  die  Fliisse,  die  Berge, 
die  Meere  und  mancherlei  heilige  Orte, 

11.  (7340.)  ferner  die  Askesen  und  die  Lehre  der  Verbin- 
dung  [von  Gott  und  Seele],  die  Veden,  die  Lobgesange,  die 
Savasvati  [Gottin  der  Rede],  Narada  und  Parvata,  [die 
Gandharven]  Vigvavasu,  Haha  und  Huhu, 

12.  (7341.)  sowie  der  Gandharva  Citrasena  nebst  den 
Scharen  seiner  Umgebung,  auch  die  Schlangen,  die  Vollende- 
ten,  die  Muni's,  der  Gottergott,  Prajapati, 

13.  (7342.)  Vishnu  und  der  unausdenkbare,  tausendkopfige 
Gott  [der  Purusha,  Rigveda  10,90]  kam  herbei.  Dabei  liefsen 
sich  horen  im  Luftraume  Pauken  und  sonstige  Musikinstru- 
mente, o  Herr. 

14.  (7343.)  Es  erfolgten  daselbst  himmlische  Blumenregen 
von  diesen  Hochherzigen  her,  es  tanzten  Scharen  von  Apsaras 
hier  und  dort  iiberall. 

14* 


212  ni.    Mokshadharma. 

15.  (7344.)  Da  sprach  in  korperlicher  Gestalt  Svarga  (der 
Himmel)  zu  dem  Brahmanen  das  folgende  Wort:  du  bist  ein 
AUvoUendeter,  Hochbegliickter ,  und  auch  du,  o  Konig,  bist 
ebenso  ein  Vollendeter. 

16.  (7345.)  Darauf,  o  Konig,  bewirkten  jene  beiden  in  einer 
sich  einander  unterstiitzenden  Weise  das  Abtun  der  Sinnen- 
dinge  von  sich  beiderseits. 

17.  (7346.)  Und  nachdem  die  beiden  ihren  Prana,  Apana, 
Udana,  Samana  und  Vyana  in  dieser  Weise  in  ihrem  Manas 
zum  Stillstand  gebracht  hatten,  versenkten  sie  ihr  Manas  in 
ihren  beiderseitigen  [zentralen]  Lebenshauch  [den  Mukhya- 
prana], 

18.  (7347.)  Und  nachdem  sie  diesen  zur  Fixierung  gebracht 
hatten  an  der  Nasenwurzel  unterhalb  der  Augenbrauen,  hielten 
sie  ihn  durch  Zusammenziehung  der  Augenbrauen  mitsamt 
dem  Manas  daselbst  fest. 

19.  (7348.)  Mit  unbeweghchen  Korpern  und  festem  Blicke 
in  Meditation  versunken  und  sich  selbst  iiberwunden  habend, 
verlegten  die  beiden  ihren  Atman  in  das  Haupt. 

20.  (7349.)  Da  spaltete  er  [der  Atman]  die  Gaumengegend 
des  hochsinnigen  Brahmanen  und  ging  als  eine  machtige 
Lichtflamme  zum  Himmel  empor. 

21.  (7350.)  Ringsumher  aber  erhob  sich  ein  allgemeiner 
Ausruf  der  Bewunderung  „haha" !,  und  jenes  Licht,  von  Lob- 
gesangen  begleitet,  ging  ein  zum  Gotte  Brahman. 

22.  (7351.)  Da  sprach  der  Urvater  zu  jenem  Lichte:  sei 
willkommen!,  indem  er  ihm,  dem  spannegrofsen  Purusha 
[Sechzig  Upanishad's  S.  144  fg.],  entgegen  ging,  o  Volkerherr. 

23.  (7352.)  Und  weiter  sprach  er  noch  das  liebliche  Wort : 
Gleiche  Frucht  haben  die  Gebetsmurmler  mit  den  Yoga- 
iibenden,  daran  ist  kein  Zweifel. 

24.  (7353.)  Was  den  Yoga  betrifft,  so  hegt  vor  aller  Augen 
die  Erkenntnis  der  Frucht  fiir  jene,  die  ihn  iiben;  den  Ge- 
betsmurmlern  aber  sei  noch  als  eine  besondere  Auszeichnung 
das  Emporsteigen  [zu  mir]  beschieden. 

25.  (7354.)  So  nimm  denn  in  mir  Wohnung!  So  sprach 
er  iind  belehrte  ihn  des  weiteren  fort  und  fort.  Da  ging  in 
seinen  Mund  hinein  der  von  Leid  befreite  Brahmane. 


Adhyaya  200  (B.  200).  213 

26.  (7355.J  Und  auch  der  Konig  ging  auf  diese  Weise 
ebenso  wie  der  Brahmanentiger  in  den  heiligen  Urvater  ein. 

27.  (7356.)  Darauf  begriifsten  die  Gotter  den  durch  sich 
selbst  Seienden  und  sprachen :  Den  Gebetsmurmlern  aber  sei 
noch  als  eine  besondere  Auszeichnung  das  Emporsteigen  fzu 
dirj  beschieden. 

28.  (7357.)  Um  der  Gebetsmurmler  willen  geschah  diese 
Bemiihung,  dafs  wir  hierher  gekommen  sind;  beide  [die 
Murmler  und  die  Yogin's]  verehren  dich  gleichmafsig,  beide 
empfangen  von  dir  die  gleiche  Frucht. 

29.  (7358.)  Heute  fiirwahr  tritt  es  zutage,  dafs  der  Yoga- 
Ubende  und  der  Gebetsmurmler  eine  grofse  Frucht  ernten; 
alle  Welten  iiberschreitend  diirfen  sie  wandern,  wo  es  ihnen 
beliebt. 

Der  Gott  Brahman  sprach: 

30.  (7359.)  Auch  der,  welcher  die  Mahasmriti,  und  der, 
welcher  die  schone  Anusmriti  studiert  [nach  Nil.  die  Sarnhitti 
und  die  sechs  Vedaiiga's,  vielleicht  ist  die  Rezitation  und 
kiinftige  Rezitation  unserer  Stelle  gemeint],  auch  diese  beiden 
mogen  zu  der  Weltgemeinschaft  mit  mir  eingehen. 

31.  (73G0.)  Und  wer  dem  Yoga  ergeben  ist,  auch  von  dem 
gilt  es,  daran  ist  kein  Zweifel ;  auf  dieselbe  Weise  wird  auch 
er  nach  dem  Ende  des  Leibes  meine  Welten  erlangen.  (736i.) 
Ich  breche  auf,  und  auch  ihr  moget  hingehen  an  euren  Ort 
zum  gliicklichen  Gelingen. 

Bhishma  sprach: 

32.  (7362.)  So  sprach  der  Gott  und  verschwand,  und  auch  die 
Gotter  griifsten  sich  und  gingen  ein  jeder  in  seine  Wohnstatte. 

33.  (7363.)  Und  auch  alle  die  anderen  Hochherzigen,  nach- 
dem  sie  ihrer  Pflicht  ehrenvoll  geniigt  batten,  gingen  hinter 
ihnen  her,  o  Konig,  alle  mit  hocherfreutem  Geiste. 

34.  (7364.)  So  steht  es  mit  der  Frucht  der  Gebetsmurmler 
und  das  ist  der  Weg,  der  ihnen  verkiindigt  worden  ist  der 
Schrift  gemafs,  o  grofser  Konig!  —  Was  wiinschest  du  nun 
weiter  zu  horen? 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Erzahlung  vom  Murmler 
(jdpaka  -  updkhydnam). 


214  ni.   Mokshadharma. 

Adhyaya  301  (B.  301). 

Vers  7365-7393  (B.  1-27). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (7365.)  Was  ist  die  Frucht  der  Hingebung  an  die  Er- 
kenntnis,  der  Veden  und  der  Bezahmung,  und  wie  ist  der 
Bhutatman  (die  empirische  Seele)  erkennbar?  Das  sage  mir, 
o  Grofsvater. 

Bhishma  sprach: 

2.  (7366.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Unterredung  zwischen  Manu,  dem 
Vater  der  Geschopfe,  und  dem  grofsen  Rishi  Brihaspati. 

3.  (7367.)  Dem  Prajapati,  dem  Oberherrn  der  Geschopfe, 
stellte  der  Vorziiglichste  in  der  Schar  der  Gotterweisen, 
der  grofse  Weise  Brihaspati,  folgende  Frage  in  der  Vor- 
zeit,  indem  er  sich  als  Schiiler  vor  ihm  als  Lehrer  ver- 
neigte. 

4.  (7368.)  Was  die  Weltursache  ist,  von  wo  die  Opfer- 
satzung  ausging,  und  welche  Frucht  die  Weisen  der  Er- 
kenntnis  zuschreiben,  sowie  was  durch  den  Wortlaut  der 
Hymnen  nicht  zum  Verstandnis  gebracht  worden  ist,  das 
sage  mir,  o  Heiliger,  wie  es  ist. 

5.  (7369.)  Was  von  den  Kennern  der  Klugheitsregeln, 
der  heihgen  Uberheferung  und  der  Mantra's  als  die  durch 
mancherlei  Opfer  und  Schenken  von  Kiihen  zu  erlangende 
Frucht  [verheifsen],  und  was  als  solche  von  jenen  Grofsen 
geschatzt  wird,  was  ist  das  und  wie  wird  es  oder  wo 
sich  verwirklichen  ? 

6.  (7370.)  Woher  entstanden  sind  die  Erde,  die  Erd- 
geborenen,  der  Wind,  der  Luftraum,  die  Wasserbewohner 
und  das  Wasser,  sowie  der  EQmmel  und  die  Himmels- 
bewohner?  Diese  alte  Lehre  telle  mir  mit,  o  Heiliger. 

7.  (7371.)  Die  Quelle,  aus  der  der  Mensch  das  Wissen 
zu  gewinnen  sucht,  aus  dieser  entspringt  auch  die  auf 
den  Zweck  des  Wissens  gerichtete  Betatigung.  Ich  aber 
kenne  dieses  hochste  Urspriingliche  nicht  und  weifs  nicht, 
ob  ich  einen  irrtiimlichen  Weg  der  Betatigung  einschlage. 


Adhyaya  201  (B.  201).  215 

8.  (7372.)  Obgleich  ich  die  Sammlung  der  Kic's  und 
Saman's,  sowie  die  Yajus,  die  Metren,  den  Gang  der  Ge- 
stirne  und  die  Worterklarung  studiert  habe,  nebst  Gram- 

matik,  Ritual  und  Lautlehre,  so  kenne  ich  doch  nicht 

den  Ursprung  der  Wesen. 

9.  (7373.)  Das  alles  mogest  du  mir,  o  Herr,  erklaren 
mit  allgemeinen  Worten  und  in  seinen  Besonderheiten, 
das  also  mogest  du  mir,  o  Herr,  darlegen,  und  welche 
Frucht  aus  der  Erkenntnis  oder  aus  den  Werken  ent- 
springt, 

10.  (7374.)  und  wie  die  Seele  aus  dem  Korper  heraus- 
fahrt,  und  wie  sie  wieder  in  einen  neuen  Korper  eingeht. 

Manu  sprach: 
(7375.)  Alles,  was  einem  lieb  ist,  das  nennt  man  Lust, 
und  Schmerz  wird  das  Unerwiinschte  benannt; 

11.  und  „das  Erwiinschte  moge  mir  zuteil  werden, 
das  andere  moge  mir  fern  bleiben",  diesem  Wunsche 
zuliebe  ist  die  Werkvorschrift  gegeben  worden.  (7376.) 
Aber  „das  Erwiinschte  und  das  Unerwiinschte  moge  mir 
beides  nicht  zuteil  werden",  wer  so  denkt,  dem  zuliebe 
ist  die  Erkenntnisvorschrift  gegeben  worden. 

12.  Die  wunschbehafteten  Hingebungen  an  das  Werk 
werden  im  Veda  gelehrt;  nur  wer  von  ihnen  sich  frei 
gemacht  hat,  erlangt  das  Hochste ;  (7377.)  aber  der  Mensch, 
der  nach  Lust  begehrend  auf  dem  mannigfaltigen  Pfad 
der  Werke  dahinwandelt,  der  fahrt  zur  Holle. 

Brihaspati  sprach: 
(7378.)    Also   Erwiinschtes   und   Unerwiinschtes ,   Lust 
und  Schmerz,  der  auf  diese  gerichtete  Wunsch  schwebt 
dem  Menschen  vor,  wenn  er  Werke  vollbringt? 

Manu  sprach: 

13.  (7379.)  Nur  wer  von  ihnen  sich  frei  gemacht  hat, 
ist  in  das  Hochste  eingegangen;  um  jener  willen  aber 
ist  die  Werkvorschrift  gegeben  worden;  den  Wunsch- 
haften  gefallt   die  Hingebung  an  die  Werke;   wer  von 


216  III.    Mokshadharma. 

ihnen    sich    frei    gemacht    hat,    der    ergreift    damit    das 
Hochste. 

14.  (7380.)  Entflammt  durch  Werke,  die  ihn  selbst  und 
anderes  zum  Ziele  haben,  bewegt  sich  der  nach  Lust 
Strebende  glanzend  in  der  Pflicht ;  aber  als  ein  von  dem 
Pfade  der  Werke  Fernliegendes  erlangt  man  das  wunsch- 
lose  hochste  Brahman. 

15.  (7381.)  Die  Wesen  sind  erschaffen  durch  den 
Wunsch  fmanasj  und  durch  das  Werk,  und  diese  beiden 
sind  als  "die  guten  Wege  bei  den  Leuten  beliebt;  das 
Werk  scheint  ihnen  teils  ewig,  teils  verganglich  zu  sein, 
aber  nur  das  Aufgeben  der  Wiinsche  ist  die  Ursache 
zur  [Erreichung  des  Ewigen],  und  eine  andere  gibt 
es  nicht. 

16.  (7382.)  Vermoge  seines  eigenen  Atman  [sieht  er], 
wenn  sein  Atman  nicht  mehr  von  Finsternis  umhiillt  ist, 
so  wie  das  Auge  der  Fiihrer  ist,  wenn  die  Nacht  weicht ; 
sein  Wissen  aber  ist  mit  der  Tugend  des  Erkennens  aus- 
gestattet,  und  er  sieht,  dafs  das  Werk  unschon  und  zu 
vermeiden  ist. 

17.  (7383.)  Schlangen,  scharfe  Grasspitzen  und  Brunnen- 
locher  meiden  die  Menschen,  wenn  sie  sie  erkannt  haben ; 
aber  aus  Unkenntnis  geraten  manche  in  sie  hinein ;  siehe, 
welch  ausgezeichnete  Frucht  in  dem  Erkennen  liegt! 

18.  (7384.)  Aber  der  vollstandige  und  vorschriftsmafsig 
verwendete  Hymnus,  ferner  die  vorgeschriebenen  Opfer 
und  der  dabei  gespendete  Opferlohn,  das  Spenden  von 
Nahrung  und  die  Meditation  des  Geistes,  —  funffach,  so 
sagen  sie,  ist  das  Werk  und  seine  Frucht. 

19.  (7385.)  Tugendhaft  ist  das  Werk,  wie  die  Veden 
sagen,  um  seinetwillen  ist  der  Hymnus  da,  den  das  Werk 
voraussetzt,  ist  die  Vorschrift  da,  das  Vorgeschriebene 
und  seine  Erfassung  mit  dem  Verstande,  aber  bei  allem 
dem  ist  der  verkorperte  Atman  der,  welcher  die  Frucht 
geniefst. 

20.  (7386.)  Tone,  Gestalten  und  schone  Geschmacks- 
empfindungen ,  schone  Beriihrungen  und  Geriiche,  iiber 


Adhyaya  201  (B.  201).  217 

diese  ist  ein  Mensch"  Herr,  auch  elie  er  zum  Orte  [der 
Vergeltung]  gelangt  ist,  denn  eine  derartige  Frucht  wird 
ihm  sicher  zuteil  in  der  durch  seine  Werke  verdienten 
Welt. 

21.  (7387.)  Alle  Werke,  die  einer  mit  seinem  Korper 
vollbringt,  deren  Frucht  erlangt  er,  indem  er  wieder  mit 
einem  Korper  verbunden  wird;  nur  der  Korper  ist  der 
Tummelplatz  der  Lust,  und  auch  des  Schmerzes  Tummel- 
platz  ist  nur  der  Korper. 

22.  (7388.)  Alle  Werke,  die  einer  mit  seiner  Rede  voll- 
bringt, deren  Frucht  erlangt  er  durch  die  Rede;  und  alle 
Werke,  die  einer  durch  sein  Manas  vollbringt,  deren 
Frucht  erlangt  einer,  indem  er  mit  einem  Manas  ver- 
bunden ist. 

23.  (7389.)  Je  nachdem  einer  die  Qualitat  der  Werke 
betreibt,  nach  ihrer  Frucht  begehrend  und  auf  die  Frucht 
der  Werke  versessen,  dementsprechend  wird  er  mit  dieser 
Qualitat  verkniipft  und  geniefst  die  gute  oder  schlechte 
Frucht  seines  Werkes. 

24.  (7390.)  Wie  ein  Fisch  der  Stromung  nachfolgt,  so 
folgt  der  Mensch  dem  von  ihm  vorher  begangenen  Werke 
nach;  aber  nur  an  dem  guten  Werke  erlebt  er  Freude, 
aber  keine  Freude  erlebt  an  der  Ubeltat  die  erhabene 
Seele. 

25.  (7391.)  Nachdem  du  erfahren  hast,  woher  diese 
ganze  Lebewelt  entsprungen  ist,  und  woran  Selbst- 
bewufste  vorbeigehen,  so  mogest  du  auch  das,  was  durch 
den  Wortlaut  der  Hymnen  nicht  zum  Verstandnis  ge- 
bracht  worden  ist,  dieses,  was  das  Hochste  ist,  ver- 
nehmen  von  mir,  der  ich  es  dir  sage. 

26.  (739-2.)  Das  von  Geschmack  und  den  mancherlei 
Geriichen  Freie,  das  Tonlose,  Unberiihrbare,  Unsichtbare, 
Ungreifbare,  Unoffenbare,  Farblose,  Eine,  dieses  hat  die 
fiinf  Arten  der  Geschopfe  erschaffen. 

27.  (7393.)  Was  nicht  Weib,  noch  Mann,  noch  auch 
ein  Neutrum  ist,  nicht  seiend,  noch  auch  nichtseiend 
und  auch  nicht  seiend  und  nichtseiend  zugleich,  was  die 


218  ni.   Mokshadharma. 


tl 


brahmanwissenden  Menschen  scliauen,  dieses  Unvergang- 
liche  vergeht  nicht,  das  soUst  du  merken. 

So  lautet  im  Mokshadbarma  die  UnterTedang  zwischen  Manu  und  Bribaspati 
(Manu  -  BrUiaspati  -  samvdda). 


Aclhyaya  203  (B.  302). 

Vers  7394-7416   (B.  1-23). 

Manu  sprach:- 
1.  (7394.)    Aus  dem  Unverganglichen  ist  der  Ather  ent- 
standen,  aus  diesem  der  Wind,  aus  diesem  das  Feuer,  aus 
diesem  das  Wasser,  aus  dem  Wasser  die  Erde,  auf  der  Erde 
entsteht  die  Welt  der  Lebenden. 

2.  (7395.)  Aus  diesen  Leibern  in  das  Wasser  iiber- 
gehend  und  aus  dem  Wasser  zu  Feuer,  Wind,  Ather  ge- 
worden,  kehren  jene,  welche  das  [wahre]  Wesen  besitzen, 
nicht  aus  dem  Ather  zuriick,  sondern  erlangen  die  hochste 
Erlosung. 

3.  (7396.)  Nicht  warm  ist  es  und  nicht  kalt,  nicht 
weich,  noch  hart,  nicht  sauer,  herb,  siifs  oder  bitter, 
nicht  horbar,  nicht  riechbar  und  nicht  sichtbar  ist  jene 
hochste  Wesenheit. 

4.  (7397.)  Es  kennt  der  Leib  das  Gefiihl,  die  Zunge 
den  Geschmack,  die  Nase  die  Geriiche,  es  kennen  die 
Ohren  die  Tone  und  das  Auge  die  Gestalten,  nicht  aber 
erfassen  jenes  Hochste  die  Menschen,  welche  nicht  den 
hochsten  Atman  kennen. 

5.  (7398.)  Abkehrend  den  Geschmackssinn  von  den  Ge- 
schmacken,  die  Nase  vom  Geruch,  die  Ohren  von  dem 
Tone,  die  Haut  von  der  Beriihrung  und  das  Auge  von 
der  Eigenschaft  der  Sichtbarkeit,  schaut  man  das  Hochste, 
die  eigene  Selbstwesenheit. 

6.  (7399.)  Dasjenige  aber,  durch  welches  ergreifend 
man  etwas  tut,  dasjenige,  in  welchem  man  diese  Tatig- 
keit  anhebt,  dasjenige,  in  welchem  und  durch  welches 
einer  zum  Tater  von  etwas  wird,  was  die  Ursache  ist,  das 
erkennen  jene  Weisen  als  ein  [blofses]  Aggregat. 


Adhyaya  202  (B.  202).  219 

7.  (7400.)  Aber  dasjenige,  was  alldurchdringend  und 
allvollbringend  ist,  was  von  Liedern  [wie  Brahmabindu- 
Up.  12,  nach  Nil.]  gefeiert  in  der  Welt  bestehen  bleibt, 
was  die  Allursache  ist  und  als  hochste  Seele  wirkend,. 
das  ist  es,  was  verschieden  ist  von  dem,  was  Ursache 
und  Wirkung  heifst. 

8.  (7401.)  Denn  so  wie  ein  Mensch  durch  seine  eigenen 
[lies  sva]  Werke  Gutes  und  Schlimmes  unfehlbar  er- 
langt,  so  wird  in  guten  und  schlimmen  Verkorpeningen 
vermoge  der  aus  den  eigenen  Werken  entspringenden 
Trucht  die  Wissenschaft  [von  dem  Hochsten]  gebunden 
(latent). 

9.  (7402.)  Wie  eine  vorher  angeziindete  Fackel,  indem 
sie  leuchtet,  dem,  was  sie  nicht  ist,  Sichtbarkeit  verleiht,. 
so  streben  hier  die  in  den  Fackeln  der  fiinf  Sinne  sich 
verzweigenden  Baume,  wenn  sie  von  der  Erkenntnis  ent- 
ziindet  werden,  nach  dem  Hochsten  bin. 

10.  (7403.)  Und  wie  von  einem  Konige  beauftragt  die 
vielen  Minister  seine  Autoritat  im  einzelnen  zum  Aus- 
druck  bringen,  so  sind  in  den  L^eibern  fiinf  einzelne 
Richtungen  der  Erkenntnis  vorhanden,  aber  Er  ist  ihr 
Oberherr. 

11.  (7404.)  Wie  die  Flammen  des  Feuers,  wie  die  Stofse 
des  Windes,  wie  die  Strahlen  der  Sonne  und  die  Wasser 
der  Strome  bin  und  her  wogend  gehen  und  kommen,  so 
steht  es  auch  mit  den  Korpern  der  Verkorperten. 

12.  (7405.)  Und  wie  einer,  der  die  Axt  ergriffen  hat, 
nicht  den  Ranch  und  das  Feuer  sieht,  die  in  dem  [zu 
spaltenden]  Holze  verborgen  schlummern,  so  kann  einer 
den  Leib  mit  Bauch,  Handen  und  Fiifsen  zerschneiden 
und  sieht  doch  nicht  das,  was  von  dem  allem  verschie- 
den ist. 

13.  (7406.)  Wie  aber  einer,  der  eben  jene  Holzscheite 
aneinander  reibt,  durch  ihre  Verbindung  den  Ranch  und 
das  Feuer  zu  sehen  bekommt,  so  sieht  der  Verstandige,. 
zugleich  mit  Sinnen  und  Geist  Behaftete,  als  ein  Er- 
weckter  [lies  budhah  mit  C]  das  Hochste,  namlich  jene 
seine  eigene  Wesenheit. 


220  III.    Mokshadharma. 

14.  (7407.)  Und  wie  man  etwa  im  Traume  den  eigenen 
Leib  auf  die  Erde  herabgestiirzt  sieht  als  verschieden 
von  dem,  was  man  in  Wirklichkeit  ist,  so  geht  der  mit 
den  Sinnesorganen,  mit  Manas  und  mit  Buddhi  Behaftete 
[beim  Tode]  aus  dem  einen  Liiigam  (hier  gleich  Korper) 
in  ein  anderes  Liiigam  iiber. 

15.  (7408.)  Durch  die  Zufalligkeiten,  Entstehen,  Wachs- 
tum  und  Vergehen  wird  jener  hochste  Verkorperte  nicht 
betroffen,  sondern  wandert  unsichtbar  aus  einem  Lingam 
in  ein  anderes  Lingam  vermoge  der  Behaftung  mit  der 
Frucht  der  Werke. 

IG.  (7409.)  Nicht  mit  dem  Auge  sieht  man  die  Gestalt 
des  Atman,  und  nicht  gelangt  man  irgendwie  dazu,  ihn 
zu  beriihren,  auch  ist  er  es  nicht,  der  durch  jene  fOrgane] 
eine  Wirkung  vollbringt;  sie  konnen  ihn  nicht  sehen, 
wohl  aber  sieht  er  sie. 

17.  (7410.)  So  wie  in  der  Nahe  eines  flammenden  Feuers 
irgendeiner  [z.  B.  ein  Eisenklumpen  nach  Nil.]  die  aus 
der  Glut  herriihrende  Erscheinungsform  annimmt,  aber 
aufser  ihr  keine  andere  Beschaffenheit  der  Gestalt  zu- 
gleich  mit  iibernimmt,  so  wird  an  einem  Menschen  nur  die 
eine  Erscheinungsform  [namlich  die  Geistigkeit,  caitanyam] 
desselben  [des  Atman]  sichtbar  [nicht  aber  Allwissen- 
heit,  Allgegenwart  usw.,  vgl,  auch  Maitr.  Up.  3,3;  Sechzig 
Upanishad's  S.  324]. 

18.  (7411.)  Und  so  geht  auch  der  Mensch,  nachdem 
er  den  Leib  verlassen  hat,  unsichtbar  in  eine  andere 
Korperlichkeit  ein;  und  indem  er  seinen  Leib  in  den 
grofsen  Elementen  zuriicklafst,  so  iibernimmt  er  dann 
eine  [neue]  auf  jenen  [den  grofsen  Elementen]  beruhende 
Erscheinungsform. 

19.  (7412.)  Sodann  geht  der  Leibtrager  (die  Seele)  ein 
in  die  von  alien  Seiten  zusammengebrachten  Ather,  Wind, 
Feuer,  Wasser  und  Erde,  und  die  Sinnesorgane  wie 
Ohren  usw.,  mit  ihrer  betreffenden  Aufgabe  sich  be- 
fassend,  von  vielen  Seiten  unterstutzt,  nehmen  ihre  fiinf 
Qualitaten  an. 

20.  (7413.)   Das  Ohr  iibernimmt  sie  aus  dem  Ather,  der 


Adhyaya  202  (B.  202).  22^1 

Geruchsinn  aus'  der  Erde,  feuerartig  ist  sodann  die  Sicht- 
barkeit  wie  auch  die  Verdauung;  die  auf  das  Wasser 
sich  stiitzende  Energie  wird  sodann  Geschmack  [lies 
rasah  mit  C]  genannt ,  und  windartig  ist  die  Qualitat, 
die  sich  zum  Gefiihl  gestaltet. 

21.  (7414.)  In  den  grofsen  Elementen  wohnen  die  fiinf 
[Qualitaten]  und  ebenso  wohnen  sie  als  die  Zwecke  der 
fiinf  Sinnesorgane  in  den  Sinnesorganen.  Diese  alle  aber 
folgen  dem  Manas  nach,  das  Manas  wiederum  der  Buddhi 
und  die  Mati  (Buddhi)  der  Selbstnatur  (svabhdvaj. 

22.  (7415.)  "Was  an  guten  oder  bosen  Werken  oder 
sonstwie  getan  worden  ist,  das  nimmt  er  auf  in  seinen 
Leib;  dem  Manas  folgen  nach  die  hohen  und  die  niedri- 
gen  Taten,  wie  die  Wassertiere  dem  Strome  in  seinem 
Laufe. 

23.  (7416.)  So  wie  das  fliichtig  Voriibergehende  in  den 
Gesichtskreis  des  Blickes  eintritt,  und  wie  ein  Grofs- 
gestalteter  als  klein  erscheint,  und  wie  man  seine  eigene 
Wesenheit  [im  Spiegel]  als  Gestalt  erschaut,  so  geht  das 
Hochste  in  den  Gesichtskreis  der  Buddhi  ein. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Manu  und  Brihaspat 

(Manu -  Bnhaspati-  samvdda). 


Adhyaya  ^03  (B.  303). 

Vers  7417-7439  (B.  1-23). 

Manu  sprach : 

1.  (7417.)  Aber  dasjenige,  was,  zunachst  von  den  Sinnes- 
organen umhiillt,  die  ihm  angehefteten  Guna's  lange  Zeit 
in  der  Erinnerung  nicht  los  werden  kann,  dieses,  nam- 
lich  die  hochste  Selbstwesenheit ,  erscheint  weiterhin, 
nachdem  die  Sinnesorgane  gehemmt  sind,  in  der  Gestalt 
der  Buddhi. 

2.  (7418.)  Solange  einer  nicht  imstande  ist,  die  gleich- 
zeitig  und  zu  verschiedenen  Zeiten  von  alien  Seiten  her 
auf  ihn  eindringenden  Sinnendinge  vollig  zu  verachten,. 


222  III-   Mokshadharma. 

solange  bewegt  er,  der  Weise,  sich  in  der  veranderlichen 
Welt;  darum  ist  er,  der  Eine,  Hochste,  ein  Verkorperter. 

3.  (7419.)  In  das  Rajas,  das  Tamas  und  in  das  Sattvam 
als  drittes,  in  diese  verschiedenen,  seinen  Standort  bilden- 
den  Guna's  geht  er  ein;  so  geschieht  es,  dafs  der  Ver- 
korperte  in  die  Sinnesorgane  hineinfahrt,  wie  der  Wind 
in  das  im  Brennholze  lodernde  Feuer. 

4.  (7420.)  Nicht  durch  das  Auge  kann  man  die  Gestalt 
des  Atman  schauen,  nicht  schaut  ihn  der  Tastsinn,  ein 
Sinn  nach  dem  andern  [schaut  ihn  nicht],  auch  ist  kein 
Wahrnehmen  desselhen,  welches  das  Ohr  als  Kennzeichen 
hat,  durch  das  Gehor  moglich;  er  schaut,  was  in  dieser 
Weise  [durch  das  Sinnesorgan]  getan  wird,  das  Organ 
aber  fallt  dahin  [wird  als  nichtig  erkannt]. 

5.  (7421.)  Das  Ohr  und  die  iibrigen  Organe  sehen  nicht, 
sondern  jeder  sieht  seinen  Atman  durch  den  Atman;  er  als 
allwissend  und  allschauend,  er  als  allwissend  schaut  jene. 

6.  (7422.)  Wie  die  andere  Seite  des  Himalaya,  wie  die 
Riickseite  des  Mondes,  so  ist  es  nie  von  Menschen  vorher 
gesehen  worden,  aber  darum  ist  es  doch  nicht  nicht. 

7.  (7423.)  Ebenso  ist  in  den  Wesen  jener  subtile  Bhut- 
4tman  (Element-Atman) ,  der  den  Erkenntnis- Atman  in  sich 
enthalt,  nie  mit  Augen  vorher  gesehen  worden,  aber  darum 
ist  er  doch  nicht  nicht. 

8.  (7424.)  So  wie  die  Leute  die  Zeichnung  im  Monde,  ob- 
gleich  sie  sie  sehen,  doch  nicht  herausfinden,  ebenso  ist  jenes 
zwar  vorhanden,  aber  nicht  hervortretend ;  doch  kann  man 
nicht  sagen,  dafs  es  nicht  das  Hochste  sei. 

9.  (7425.)  Die  Weisen,  auf  den  Gang  der  Sonne  merkend, 
sehen  mit  dem  Auge  des  Geistes  die  gestalthafte  Sonne,  auch 
wo  sie  vor  dem  Aufgang  oder  nach  dem  Untergang  keine 
Gestalt  zeigt. 

10.  (7426.)  Ebenso  suchen  mit  der  Leuchte  des  Verstandes 
die  sehr  Weisen  das  Entfernte  sich  nahe  zu  bringen,  so  dafs 
€s  erkennbar  wird  und  die  Erkenntnis  sich  darauf  richten  kann. 

11.  (7427.)  Denn  es  kann  ja  doch  ohne  das  richtige  Mittel 
kein  Zweck  erreicht  werden,  wie  ja  auch  die  am  Wasser  Leben- 
den  nur  mittels  gestrickter  Netze  die  Fische  fangen  konnen. 


Adhy^ya  203  (B.  203).  223 

12.  (7428.)  So  wie  der  Fang  von  Wild  durch  Wild,  von 
Vogeln  durch  Vogel,  von  Elefanten  durch  Elefanten  bewerk- 
stelligt  wird,  so  wird  das  zu  Erkennende  durch  die  Erkennt- 
nis  ergriffen. 

13.  (7429.)  Nur  die  Schlange  ist  ja  auch  imstande,  die 
Fufsspuren  (paddnj  der  Schlange  zu  sehen,  wie  wir  horen; 
ebenso  sieht  man  in  den  Gestalten  durch  die  Erkenntnis  den 
in  den  Gestalten  weilenden  zu  Erkennenden. 

14.  (7430.)  Wie  die  Sinnesorgane  nicht  imstande  sind,  die 
Sinnesorgane  wahrzunehmen ,  so  ist  auch  hier  der  hochste 
Verstand  nicht  imstande,  das  Hochste,  zu  Verstehende  zu 
sehen. 

15.  (7431.)  So  wie  der  Mond  in  der  Neumondsnacht  nicht 
gesehen  wird,  weil  ein  Merkmal  fehlt,  er  aber  darum  nicht 
vernichtet  ist,  so,  wisse,  ist  es  mit  dem  Verkorperten. 

16.  (7432.)  Denn  in  der  Neumondsnacht  ist  der  Mond  nicht 
sichtbar,  weil  seine  Behausung  verschwunden  ist;  ebenso  ist 
jener  Verkorperte  nicht  wahrnehmbar,  wenn  er  von  der  Kor- 
perlichkeit  befreit  ist. 

17.  (7433.)  Und  so  wie,  einen  andern  Raum  erlangt  habend, 
der  Mond  wieder  glanzt,  so  glanzt  der  Verkorperte  wieder, 
nachdem  er  einen  andern  Korper  (lingamj  erlangt  hat. 

18.  (7434.)  Entstehen,  Wachsen  und  Schwinden  desselben 
wird  durch  den  Augenschein  wahrgenommen ,  aber  dies  ist 
nur  der  Fall  beim  Monde,  nicht  aber  bei  jenem  Verkorperten. 

19.  (7435.)  Wie  durch  die  Kraft  seines  Entstehens  und 
Wachsens  der  Mond  als  solcher  auch  in  der  Neumondsnacht 
erschlossen  wird,  so  steht  es  auch  mit  dem  Gestalteten. 

20.  (7436.)  Wie  die  Finsternis,  wenn  sie  den  Mond  be- 
schleicht  und  wieder  freigibt,  nicht  gesehen  wird,  siehe,  so 
ist  es  mit  dem  Verkorperten,  wenn  er  [den  Korper]  loslafst 
und  wieder  in  ihn  hineinschleicht. 

21.  (7437.)  Wie  die  Finsternis  nur  vermoge  ihrer  Verbin- 
dung  mit  Mond  und  Sonne  sichtbar  ist,  so  wird  vermoge 
seiner  Verbindung  mit  dem  Korper  der  Verkorperte  als  solcher 
erkannt. 

22.  (7438.)  Wie  Rahu,  nachdem  er  von  Sonne  und  Mond 
[die   er  verschlungen  hatte]   losgekommen  ist,  nicht   wahr- 


224  III.    Mokshadharma. 

genommen  wird,  so  wird,  nachdem  er  vom  Korper  losgekommen 
ist,  der  Verkorperte  nicht  wahrgenommen. 

23.  (7439.)  Und  wie  der  Mond,  nachdem  er  in  der  Neu- 
mondsnacht  geweilt  hatte,  wieder  mit  den  Mondhausern  ver- 
bunden  wird,  so  wird  [der  Verkorperte],  nachdem  er  vom 
Korper  befreit  ist,  mit  den  Friichten  seines  Werkes  verbunden. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Manu  und  Brihaspati 
(Manu-  Brihaspati  -  samvdda). 


Adhyaya  204.  (B.  204). 

Vers  7440-7459  (B.  1-20). 

Manu  sprach: 

1.  (7440.)  So  wie  im  Traume  dieser  sichtbare  Leib  daliegt 
und  das  Geistige,  das  mit  den  Sinnesorganen  verbundene  Be- 
wufstsein,  umherschweift  [vgh  Brih.  Up.  4,3,13],  ebenso  ist 
es  auch  nach  dem  Tode  mit  dem,  was  entsteht,  und  dem, 
was  vergeht. 

2.  (7441.)  Wie  einer  in  ruhigem  Wasser  mit  dem  Auge 
seine  Gestalt  sieht,  so  sieht  man,  weil  die  Sinne  zur  Ruhe 
gebracht  sind,  mit  der  Erkenntnis  das  zu  Erkennende. 

3.  (7442.)  Und  wie  ebenderselbe ,  wenn  jenes  Wasser  be- 
wegt  ist,  seine  Gestalt  nicht  mehr  sieht,  ebensowenig  ftathd) 
kann  man  im  aufgeregten  Zustande  der  Sinnesorgane  das  zu 
Erkennende  durch  die  Erkenntnis  schauen. 

4.  (7443.)  Durch  Nichtwissen  wird  Buddhilosigkeit  bewirkt, 
durch  Buddhilosigkeit  wird  das  Manas  mitfortgerissen ,  wird 
aber  das  Manas  verdorben,  so  werden  seine  fiinf  Abkomm- 
linge  [die  Indriya's]  mitverdorben. 

5.  (7444.)  Wer  sich  am  Nichtwissen  erfreute  und  in  die 
Sinnendinge  versenkt  war,  der  wird  [nach  dem  Tode]  nicht 
erfreut,  sondern  in  einer  mit  der  unsichtbaren  Werkfrucht 
behafteten  Weise  kehrt  sein  Bhutatman  zu  den  Sinnendingen 
zuriick. 

6.  (7445.)  Eine  Abscheidung  von  dem  Durste  ftarsha) 
fmdet  hienieden  nicht  statt  fiir  den  Menschen  fpurushaj  wegen 


Adhyaya  204  (B.  204),  225 

seines  Beschmutztseins.     Erst  dann  erlischt  der  Durst,  wenn 
die  Siinde  zu  Ende  gegangen  ist. 

7.  (7446.)  Aber  wegen  der  Befangenheit  und  des  Zuflucht- 
suchens  des  Ewigen  in  den  Sinnendingen  und  weil  einer  mit 
dem  Manas  anderes  [als  er  sollte]  verlangt,  gelangt  er  nicht 
zu  dem  Hochsten. 

8.  (7447.)  Die  Erkenntnis  geht  dem  Menschen  auf,  wenn 
das  bose  Werk  vernichtet  wird,  dann  schaut  er  wie  in  einer 
klaren  Spiegelflache  sich  selbst  in  sich  selbst. 

9.  (7448.)  Wer  den  Sinnesorganen  die  Ziigel  schiefsen  lafst, 
der  leidet;  wer  ebendieselben  bandigt,  dem  ist  es  wohl;  darum 
soil  man  von  den  Objekten  der  Sinnesorgane  sich  selbst  durch 
sich  selbst  ziigelnd  zuriickhalten. 

10.  (7449.)  Den  Sinnesorganen  steht  das  Manas  voran,  und 
hoher  als  dieses  ist  die  Buddhi;  hoher  als  die  Buddhi  ist  das 
Bewufstsein  fjndnamj,  hoher  als  das  Bewufstsein  steht  das 
grofse  Prinzip  [mahat  sc.  tattvam,  d.  h.  der  Mahan]. 

11.  (7450.)  Aus  dem  Unentfalteten  [d.  h.  der  PrakritiJ  geht 
hervor  das  Bewufstsein,  aus  diesem  die  Buddhi,  aus  dieser 
das  Manas  [wie  Kath.  Up.  3,10-11,  mit  Einschiebung  von 
jndnam];  das  Manas,  mit  Ohr  usw.  sich  verbindend,  erkennt 
richtig  die  Tone  usw, 

12.  (7451.)  Wer  diese,  die  Tone  usw.,  aufgibt  und  mit 
ihnen  alle  iibrigen  Entfaltungen  [vyaMayah  als  Akkusativ!], 
namlich  die  aus  der  Prakriti  entspringenden  Scharen,  fahren 
lafst,  der,  indem  er  diese  loslafst,  erlangt  Unsterblichkeit. 

13.  (7452.)  So  wie  der  Sonnengott,  wenn  er  aufgeht,  den 
Kranz  der  Strahlen  aus  sich  ausbreitet,  und  wenn  er  unter- 
geht,  das  alles  wieder  in  sich  selbst  hereinzieht, 

14.  (7453.)  ebenso  geschieht  es,  dafs  das  innere  Selbst,  in 
den  Korper  eingehend,  nachdem  es  mit  den  Strahlen  der 
Sinnesorgane  die  fiinf  Qualitaten  der  Sinnesorgane  erreicht 
hat,  zuriickkehrend  wieder  untergeht. 

15.  (7454.)  Den  durch  das  Werk  gewiesenen  Weg  wird 
einer  immer  wieder  und  wieder  gefiihrt  und  erlangt  die  Frucht 
der  Werke,  nachdem  er  die  aus  ihnen  hervorgehende  Be- 
schaffenheit  erlangt  hat. 

16.  (7455.)   Die  Sinnendinge  kehren  sich  ab  von  der  Seele, 

Dbussen,  Mah^bh&Tatam.  15 


226  m.    Mokshadharma. 

die  sich  nicht  mehr  an  ihnen  nahrt,  und  indem  sie  nicht  mehr 
geschmeckt  werden,  geht  auch  der  Geschmack  an  ihnen  ver- 
loren  fiir  einen,  der  das  Hochste  geschaut  hat. 

17.  (7456.)  Wenn  die  Buddhi,  von  den  Quahtaten  ihres 
Wirkens  befreit,  im  Manas  weilt,  dann  geht  dieses  ein  in  das 
Brahman,  indem  es  in  eben  demselben  untergeht. 

18.  (7457.)  Dann  geht  man  ein  in  die  nicht-fiihlende,  nicht- 
horende,  nicht-schmeckende ,  nicht-sehende,  nicht-riechende 
und  nicht-denkende  hochste  Wesenheit. 

19.  (7458.)  In  dem  Manas  versinken  die  Gestalten,  das 
Manas  aber  geht  ein  in  die  Mati  (Buddhi),  die  Mati  geht 
ein  in  das  Bewufstsein  fjndnamj,  das  Bewufstsein  in  das 
Hochste. 

20.  (7459.)  Nur  durch  die  Sinnesorgane  kann  das  Manas 
sich  betatigen,  nicht  kann  das  Manas  die  Buddhi  erkennen, 
nicht  die  Buddhi  das  Unentfaltete,  aber  das  Feine  [der  AtmanJ 
schaut  sie  alle. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredang  zwisohen  Manu  xinA  Bribaspati 
(Manu  -  Brihaspati  -  samvdda) . 


Adhyaya  305  (B.  305). 

Vers  7460-7485  (B.  1-26). 

Manu  sprach : 

1.  (7460.)  Wenn  ein  Schmerzanfall,  sei  es  ein  korperlicher 
oder  geistiger,  sich  einstellt,  gegen  den  eine  Anstrengung 
nichts  ausrichten  kann,  so  soil  man  sich  nicht  weiter  um  ihn 
kiimmern. 

2.  (7461.)  Das  ist  das  Heilmittel  des  Schmerzes,  dafs  man 
sich  nicht  um  ihn  kiimmert,  denn  wenn  man  iiber  ihn  griibelt, 
so  drangt  er  sich  auf  und  wachst  nur  noch  mehr  an. 

3.  (7462.)  Durch  Denken  soil  man  den  geistigen  Schmerz 
l)ekampfen,  wie  den  korperlichen  durch  Arzneimittel ,  denn 
dazu  ist  die  Erkenntnis  fahig ;  man  soil  es  den  Kindern  nicht 
gleichtun. 

4.  (7463.)   Verganglich  ist  Jugend,  Schonheit,  Leben,  Be- 


Adhyaya  205  (B.  205).  227 

sitzanhaufung,  Gesundheit  und  Zusammensein  mit  Freunden; 
der  Weise  soil  nicht  danach  trachten. 

5.  (7464.)  Man  soil  nicht  als  einzelner  klagen  iiber  das 
Leid,  das  das  ganze  Land  betrifft,  sondern  ohne  zu  klagen 
soil  man  ihm  abhelfen,  wenn  man  ein  Heilmittel  ersieht. 

6.  (7465.)  Im  Leben  iiberwiegt  das  Leid  die  Lust,  daran 
ist  kein  Zweifel,  und  fur  einen,  der  noch  an  den  Sinnen- 
dingen  klebt,  ist  vermoge  seiner  Verblendung  der  Tod  un- 
erwiinscht. 

7.  (7466.)  Der  Mensch,  welcher  beides,  Leid  und  Lust, 
aufgibt,  der  erlangt  das  unendliche  Brahman;  solche  Weisen 
klagen  nicht. 

8.  (7467.)  Mit  Schmerz  werden  die  Schatze  erworben,  und 
auch  ihre  Bewahrung  macht  keine  Freude ;  mit  Schmerz  werden 
sie  erlangt,  um  ihren  Verlust  soil  man  sich  nicht  kiimmern. 

9.  (7468.)  Die  Erkenntnis  entspringt  aus  dem  Erkenntnis- 
objekte,  das  wisse,  und  das  Manas  besitzt  die  Qualitat  des 
Erkennens,  es  ist  mit  dem  Organ  der  Erkenntnis  ausgeriistet, 
und  nach  ihm  tritt  die  Buddhi  in  Tatigkeit. 

10.  (7469.)  Wenn  die  mit  der  Qualitat  ihrer  Tatigkeit  aus- 
geriistete  Buddhi  im  Manas  sich  betatigt,  dann  wird  durch 
Erkenntnis,  Hingebung  und  Versenkung  das  Brahman  erkannt. 

IL  (7470.)  Solange  diese  Buddhi  mit  den  Qualitaten  be- 
haftet  ist,  beschaftigt  sie  sich  auch  nur  mit  den  Qualitaten 
und  gleitet  von  dem  andern  [dem  Brahman]  ab,  wie  Wasser 
von  einem  Berggipfel. 

12.  (7471.)  Aber  wenn  sie  die  qualitatlose  Meditation,  die 
schon  vorher  da  war,  im  Manas  [weilend]  erlangt,  dann  wird 
das  Brahman  erkannt,  wie  der  Goldstrich  auf  dem  Probierstein. 

13.  (7472.)  Aber  wenn  das  Manas,  nachdem  es  vorher  sich 
fortreifsen  liefs  durch  den  Anblick  der  Sinnendinge,  nicht 
mehr  achtet  auf  die  Qualitaten  des  vor  Augen  Liegenden,  dann 
gewinnt  es  einen  Einblick  in  das  Qualitatlose. 

14.  (7473.)  Alle  jene  Pforten  verschliefsend,  gelangt  man, 
im  Manas  stehend  und  im  Manas  die  Konzentration  bewirkend, 
zu  jenem  Hochsten. 

15.  (7474.)  Wenn  die  grofsen  Elemente  durch  Aufhebung 

15* 


228  in.   Mokshadharma. 

ihrer  Qualitaten  zunichte  werden,  dann  nimmt  die  Buddhi  die 
Sinnesorgane  in  sich  auf  und  verharrt  im  Manas. 

16.  (7475.)  Wenn  diese  Buddhi  im  Manas  verharrt  und 
sich  im  Innern  desselben  halt  und  dabei  mit  der  Quahtat  der 
Entschhelsung  begabt  ist,  dann  bemachtigt  sie  sich  des  Manas. 

17.  (7476.)  Und  wenn  das  vorher  mit  den  QuaHtaten  des 
Quahtathaften  belastete  Manas  zur  Quahtat  der  Meditation 
gelangt,  dann  lafst  es  alle  jene  QuaHtaten  fahren  und  er- 
langt  das  Quahtatlose. 

18.  (7477.)  Aber  was  die  Erkenntnis  des  Unentfalteten  be- 
trifft,  so  ist  ein  entsprechendes  Schauen  desselben  nicht  mog- 
lich.  Denn  wo  kein  Abdruck  einer  Fufsspur  vorhanden  ist, 
wer  kann  da  eines  Gegenstandes  habhaft  werden? 

19.  (7478.)  Durch  Askese,  durch  Schlufsfolgerung,  durch 
Tugenden,  durch  edle  Geburt  und  durch  Schriftgelehrtheit 
soil  man  dem  hochsten  Brahman  nachstreben  mit  reinem 
innern  Geiste. 

20.  (7479.)  Von  Qualitaten  frei  geht  man  aufserhalb  der- 
selben  dem  guten  Wege  nach  zu  dem,  was  zwar  wegen  Er- 
mangelung  der  Qualitaten  oder  seiner  Natur  nach  unerforsch- 
lich  ist,  aber  doch  dem  Erkennbaren  sich  ahnlich  macht. 

21.  (7480.)  Dann  erlangt  die  Buddhi,  die  sich  bisher  in 
den  Qualitaten  bewegt  hatte,  wegen  ihrer  Qualitatlosigkeit 
das  Brahman  und  kehrt  zuriick  von  ihrem  Behaftetsein  mit 
den  Qualitaten  [die  dann  in  ihr  schlummernj  wie  das  Feuer 
im  Brennholze. 

22.  (7481.)  So  wie  die  fiinf  Sinne  [etwa  im  Schlafe]  von 
ihren  Tatigkeiten  frei  werden,  so  wird  auch  das  hochste 
Brahman  frei,  welches  hoher  ist  als  die  Prakriti. 

23.  (7482.)  In  dieser  Weise  treten  alle  Verkorperten  aus 
der  Prakriti  hervor,  und  bei  ihrer  Abkehr  von  derselben  kehren 
sie  zuriick  und  gehen  in  den  Himmel  ein. 

24.  (7483.)  Der  Purusha,  die  Prakriti,  die  Buddhi,  die 
Sinnesobjekte  fvishaydhj  und  die  Sinnesorgane  findriydnij, 
der  Ahankara  und  (!)  das  Ichbewufstsein  fabhimdna) ,  das  ist 
der  Komplex,  welcher  ein  Wesen  fhhidamj  genannt  wird. 

25.  (7484.)  Die  urspriingliche  Entstehung  dieses  Komplexes 
geht  hervor  aus  der  Prakriti  fpradhdnamj,  die  sekundare  halt 


Adhyaya  205  (B.  205).  229 

sich  an  die  gegenseitige  Paarung,  durcheinander  ohne  Unter- 
schied. 

26.  (7485.)  Dann  wird  aus  gutem  Verhalten  Gliickseligkeit 
gewonnen  und  aus  bosem  Unseligkeit ;  der  mit  Leidenschaften 
Behaftete  geht  ein  in  die  Prakriti,  aber  leidenschaftlos  soil 
der  sein,  welcher  das  Wissen  besitzt. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Manu  und  Brihaspati 

(Manu  -  Bnhaspati  -  samvdda). 


Adhyaya  306  (B.  206). 

Vers  7486-7517  (B.  1-32). 

Manu  sprach: 

1.  (7486.)  Solange  die  fiinf  [Indriya's]  samt  dem  Manas 
mit  jenen  fiinfen  [den  Qualitaten]  verbunden  sind,  wird  jenes 
Brahman  gesehen  werden,  wie  ein  Faden,  der  sich  durch  einen 
Edelsteinschmuck  durchzieht. 

2.  (7487.)  Und  wie  es  dann  wieder  derselbe  Faden  ist,  der 
ein  Goldgeschmeide  durchzieht  oder  in  Perlen,  Korallen  oder 
in  einem  tonernen  Schmuck  erscheint, 

3.  (7488.)  so  erscheint  in  Ochsen,  Pferden  und  Menschen 
oder  in  Elefanten  und  Antilopen,  ja  auch  in  Wiirmern  und 
Schmetterlingen  der  durch  seine  eigenen  Werke  in  sie  ge- 
bannte  Atman. 

4.  (7489.)  Und  je  nach  dem  Korper,  in  welchem  er  lebt, 
und  je  nach  dem  Werke,  welches  er  in  ihm  vollbringt,  dem- 
entsprechend  erlangt  er  durch  diese  oder  jene  Verkorperung 
die  eine  oder  die  andere  Frucht. 

5.  (7490.)  Wie  die  Erde,  die  doch  nur  einen  Geschmack 
hat,  sich  den  Zwecken  der  verschiedenen  Pflanzen  anpafst, 
so  bringt  die  Buddhi  den  jeweiligen  innern  Atman  zur  Er- 
scheinung,  indem  sie  sich  dabei  nach  seinen  Werken  richtet 
[oder:  so  richtet  sich  die  den  innern  Atman  zur  Erscheinung 
bringende  Buddhi  nach  den  jeweiligen  inneren  Werken]. 

6.  (7491.)   Nach  der  Erkenntnis  richtet  sich  das  Verlangen, 


230  in.    Mokshadharma. 

nach  dem  Verlangen  die  Absicht,  nach  der  Absicht  das  Werk, 
das  Werk  als  Wurzel  habend  ist  sodann  die  Frucht, 

7.  (7492.)  Die  Frucht  geht  zuriick  auf  das  Werk,  das  Werk 
auf  das  Erkennbare,  das  Erkennbare  auf  die  Erkenntnis,  die 
Erkenntnis  auf  das,  was  ist  und  nicht  ist. 

8.  (7493.)  Wenn  die  Erkenntnisse  und  ihre  Friichte,  wenn 
die  Erkenntnisobjekte  und  auch  die  Werke  zugrunde  gegangen 
sind,  dann  bleibt  als  Frucht  das  Wissen  als  eine  Erkenntnis, 
die  auf  das  Erkenntnisobjekt  sich  griindet. 

9.  (7494.)  Dieses  ist  das  grofse  hochste  Wesen,  welches 
die  Yogin's  schauen ;  ihn,  der  im  Atman  weilt,  schauen  nicht 
die  Unverstandigen ,  deren  Verstandnis  in  den  Guna's  be- 
fangen  ist. 

10.  (7495.)  Grofser  als  die  Erscheinungsform  der  Erde  ist 
die  der  Wasser ;  grofser  als  die  Wasser  ist  das  Feuer,  grofser 
als  das  Feuer  der  Wind, 

11.  (7496.)  grofser  als  der  Wind  ist  der  Ather,  hoher  als 
dieser  steht  das  Manas,  grofser  als  das  Manas  ist  die  Buddhi, 
grofser  als  die  Buddhi  wird  die  Zeit  genannt; 

12.  (7497.)  grofser  als  die  Zeit  ist  jener  heilige  Vishnu, 
der  diese  ganze  Welt  beherrscht;  nicht  Anfang,  nicht  Mitte, 
nicht  Ende  gibt  es  dieses  Gottes. 

13.  (7498.)  Weil  er  ohne  Anfang,  ohne  Mitte  und  ohne 
Ende  ist,  ist  er  der  Unvergangliche ;  er  ist  erhaben  iiber  alle 
Leiden,  denn  das  Leiden  ist  etwas  Endliches. 

14.  (7499.)  Er  ist  das  hochste  Brahman,  ist  die  Heimat, 
die  hochste  Statte;  die,  welche  zu  ihm  gelangen,  werden  er- 
lost  von  dem  Reiche  der  Zeit  und  gehen  in  die  Erlosung  ein. 

15.  (7B00.)  Sie  leuchten  hervor  unter  den  Guna's;  weil 
gunalos,  ist  dariiber  erhaben  das  Hochste;  die  wahre  Pflicht 
hat  als  Merkmal  Einkehr  in  sich,  dadurch  wird  man  reif  fur 
die  Unendlichkeit. 

16.  (7501.)  Die  Hymnen,  Opferspriiche  und  Lieder  des  Veda 
stiitzen  sich  auf  den  Korper,  schweben  auf  der  Zungenspitze, 
sind  miihsam  zu  gebrauchen  und  verganglich. 

17.  (7B02.)  Nicht  aber  gilt  von  Brahman,  dafs  es  auf  den 
Korper  sich  stiitzend  entstehe,  nicht  gilt  von  ihm,  dafs  es 


Adhyaya  206  (B.  206).  231 

miihsam  zu  gebrauchen  sei,  auch  hat  es  weder  Anfang,  Mitte, 
noch  Ende. 

18.  (7503.)  Einen  Anfang  haben  die  Hymnen,  einen  An- 
fang die  vedischen  Lieder  und  Opferspriiche,  und  was  einen 
Anfang  hat,  das  nimmt  auch  ein  Ende;  von  dem  Brahman 
aber  gibt  es  keinen  Anfang. 

19.  (7504.)  Und  weil  es  anfanglos  und  endlos  ist,  ist  es 
ohne  Ende  und  unverganghch ,  und  weil  es  unverganglich 
ist,  ist  es  frei  von  Leiden,  keine  Gegensatze  enthaltend  und 
daher  das  Hochste. 

20.  (7505.)  Vermoge  ihres  Verhangnisses ,  ihrer  Ratlosig- 
keit  und  ihrer  Kettung  an  die  Werke  sehen  die  Menschen 
nicht,  wodurch  sie  zu  seiner  Statte  gelangen  konnen. 

21.  (7506.)  Denn  weil  der  Mensch  mit  den  Sinnendingen 
behaftet  ist  und  in  ihnen  etwas  ewig  [auch  in  der  Brahman- 
welt]  Fortdauerndes  sieht  und  somit  in  seinem  Herzen  nach 
etwas  anderm  trachtet,  darum  gelangt  er  nicht  zum  Hochsten. 

22.  (7507.)  Was  sie  hier  als  Guna's  [der  Prakriti]  sehen, 
danach  trachten  die  niedrigen  Menschen  und  verlangen  nicht 
nach  dem  Hochsten,  weil  es  gunalos  ist,  sie  aber  nach  den 
Guna's  begehren. 

23.  (7508.)  Wer  aber  in  die  niederen  Guna's  (Qualitaten) 
verstrickt  ist,  wie  sollte  der  auch  nur  hohere  Guna's  er- 
kennen,  —  nur  durch  Folgerung  ist  es  ja  zu  erkennen  —  wie 
sollte  er  durch  die  Guna's  als  seine  Glieder  das  Hochste  erlangen? 

24.  (7509.)  Durch  feines  Denken  erkennen  wir  es,  durch 
die  Rede  konnen  wir  es  nicht  ausdriicken;  denn  der  Geist 
mufs  durch  den  Geist  erfafst  werden  und  das  Sichtbare  durch 
das  Sehen. 

25.  (7510.)  Durch  die  Erkenntnis  lautert  man  die  Buddhi, 
durch  die  Buddhi  das  Manas  und  durch  das  Manas  die  Schar 
der  Organe,  so  erlangt  man  das  Hochste. 

26.  (7511.)  Wer  durch  die  Buddhi  freigemacht  und 
durch  das  Manas  gekraftigt  worden  ist,  der  kann  zu  dem 
Wunschlosen,  Gunalosen  gelangen,  aber  hienieden  in  ihrer 
Verstorung  bleiben  die  Menschen  von  dem  Hochsten  aus- 
geschlossen,  wie  der  Wind  von  dem  Feuer,  welches  im 
Brennholze  schlummert. 


232  m.   Mokshadharma. 

27.  (7512.)  Wenn  die  Guna's  zertrilmmert  und  Trennung 
von  ihnen  erreicht  ist,  dann  richtet  sich  der  Geist  fmanasj 
immerfort  auf  das,  was  fiir  die  Buddhi  zu  hoch  und  zu 
tief  ist;  auf  diese  Weise  vorgehend,  gelangt  man  beim 
Abstreifen  der  Guna's  zum  Brahmanleibe. 

28.  (7513.)  Der  Purusha,  unentfalteten  Wesens,  nach- 
dem  er  die  Werke  entfaltet  hat,  geht  zur  Zeit  des  Endes 
wieder  in  die  Unentfaltetheit  ein,  zusammen  mit  den  Or- 
ganen,  welche  wachsen  und  wieder  hinwelken,  entwickelt 
auch  er  sich,  nach  Beheben  sich  gestaltend. 

29.  (7514.)  Mit  alien  Sinnesorganen  verbunden  und 
einen  Korper  erlangt  habend,  stiitzt  er  sich  auf  die  fiinf 
Elemente;  weil  er  dazu  nicht  imstande  ist  vermoge  des 
Werks,  geht  er  hienieden  nicht  zu  Ihm,  von  Ihm  ver- 
lassen,  der  das  Hochste,  Ewige  ist, 

30.  (7515.)  Der  Mensch  sieht  nicht  das  Ende  dieser 
Erde,  und  doch  wird  ihr  Ende  kommen,  das  sollst  du 
wissen;  sie  [wohl:  die  Werke]  verschlagen  ihn,  den  in 
Verwirrung  geratenen  Hochsten,  wie  der  Wind  ein  Schiff 
auf  dem  Meere. 

31.  (7516.)  Wie  die  Sonne,  nachdem  sie  sich  mit  einer 
Beschaffenheit  versehen  hat,  frei  von  dieser  Beschaffen- 
heit  wird,  indem  ihr  Strahlenkranz  schwindet,  so  geht 
ein  Muni,  wenn  er  hienieden  das  Unterschiedlose  erlangt 
hat,  zu  dem  qualitatlosen,  unverganglichen  Brahman  ein. 

32.  (7517.)  Den  nicht  [in  den  Samsara]  Eingegangenen, 
der  das  hochste  Ziel  der  Wohlgesinnten  ist,  den  durch 
sich  selbst  Seienden,  den  Hort  alles  Entstehens,  den  Un- 
verganglichen, dieses  Ewige,  Unsterbliche ,  Unvergang- 
liche,  Bestandige,  wer  dieses  erkennt,  der  erlangt  die 
hochste  Unsterblichkeit. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischeu  Manu  und  Brihaspati 
(Manu  -  Brihaspati  -  savwdda). 


Adhyaya  207  (B.  207).  233 

Adhyaya  207  (B.  207), 

Vers  7518-7566  (B.  1-49). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (7518.)  0  hochweiser  Grofsvater!  Von  dem  lotosaugigen, 
unerschutterliclien  Weltschopfer,  dem  unerschaffenen  Vishnu, 
dem  Ursprung  und  Vergange  der  Wesen, 

2.  (7519.)  von  dem  Narayana,  dem  Struppigen,  dem  Kuh- 
gewinner,  dem  Uniiberwindliclien ,  von  diesem,  dem  Voll- 
haarigen,  wiinsche  ich,  o  Bester  der  Bharata's,  der  Wahrheit 
gemafs  zu  horen. 

Bhishma  sprach : 

3.  (7520.)  Mitgeteilt  wurde  diese  Sache  von  Rama,  dem 
Sohn  des  Jamadagni,  der  sie  erzahlte,  und  von  dem  Gotter- 
weisen  Narada  und  von  Krishna  und  von  Dvaipayana  (Vyasa). 

4.  (7521.)  Asita  und  Devala,  o  Freund,  und  der  bufsereiche 
Valmiki  und  Markandeya  erzahlen  von  dem  Kuhgewinner  ein 
grofses  Wunder. 

5.  (7522.)  Der  Vollhaarige  (Krishna),  o  Bester  der  Bharata's, 
wird  mit  vielen  Namen  bezeichnet  als  der  Heihge,  der  Gott, 
der  Herr,  der  Purusha,  das  All,  der  AUdurchdringende. 

6.  (7523.)  Was  aber  die  Brahmanen  in  der  Welt  wissen 
von  dem  Trager  des  hornernen  Bogens  (Vishnu-Krishna),  von 
dem  Hochherzigen,  das  vernimm,  o  Yudhishthira,  du  mit  den 
langen  Armen. 

7.  (7524.)  Und  was,  o  Fiirst  der  Menschen,  die  Kenner 
des  Altertums  an  Taten  betreifend  den  Kuhgewinner  erzahlen, 
die  will  ich  dir  berichten. 

8.  (7525.)  Er,  das  Selbst  der  Wesen,  das  grofse  Selbst 
und  der  hochste  Purusha,  hat  die  grofsen  Elemente,  Wind 
[lies:  vdyuni],  Feuer,  W^asser,  Ather  und  Erde,  nacheinander 
geschaffen. 

9.  (7526.)  Und  er,  der  Herr  und  Meister  aller  Wesen,  nach- 
dem  er  die  Erde  geschaffen  hatte,  schuf  sich  eine  Behausung 
in  den  Wassern,  er,  der  hochherzige,  hochste  Purusha. 

10.  (7527.)    Der  alle  Krafte  in   sich  befassende,   hochste 


234  III-    Mokshadharma. 

Purusha,  in  dieser  Behausung  liegend ,  schuf  als  Erst- 
geborenen  aller  Wesen  den  Sankarshana  [nach  Nil.  gleich 
Ahaiikara] ; 

11.  (7528.)  ihn  hat  er  als  Trager  aller  Wesen  mittels  seines 
Manas  geschaffen,  so  haben  wir  vernommen,  und  dieser  tragi 
die  Wesen,  beide,  die  vergangenen  und  die  zukiinftigen. 

12.  (7529.)  Darauf  entstand  in  diesem  Grofsarmigen,  Hoch- 
herzigen,  nachdem  er  in  die  Erscheinung  getreten  war,  in 
seinem  Nabel  eine  sonnengleiche,  himmlische  Lotosblume. 

13.  (7530.)  In  dieser  Lotosblume  entstand,  die  Himmels- 
gegenden  bestrahlend ,  der  heilige  Gott  Brahman,  o  Freund, 
der  Urvater  aller  Wesen. 

14.  (7531.)  Und  weiter  entstand  in  diesem  Grofsarmigen, 
Hochherzigen ,  nachdem  er  in  die  Erscheinung  getreten  war, 
mittels  des  Tamas  ein  grofser  Damon  mit  Namen  Madhu. 

15.  (7532.)  Diesen  Gewaltigen,  Gewalttatigen ,  gewaltige 
Werke  Unternehmenden  erschlug  der  hochste  Purusha,  dem 
Gotte  Brahman  Genugtuung  verschaffend. 

16.  (7533.)  Und  weil  er,  o  Freund,  diesen  erschlagen  hatte, 
so  nannten  ihn  alle  Gotter,  Danava's  und  Menschen  den 
Madhusudana  (Madhutoter) ,  ihn,  den  Stier  unter  dem  Volke 
der  Satvant's. 

17.  (7534.)  Weiterhin  schuf  der  Gott  Brahman  als  seine 
geistigen  Sohne  die  den  Daksha  als  Siebenten  Habenden, 
Marici,  Atri,  Ahgiras,  Pulastya,  Pulaha  und  Kratu. 

18.  (753B.)  Marlci  als  Erstgeborener  zeugte,  o  Freund,  als 
Erstgeborenen  den  Kagyapa,  als  seinen  geistigen  Sohn,  den 
kraftvollen  Brahmankundigsten. 

19.  (7536.)  Und  noch  vor  Marici  hatte  Gott  Brahman  aus 
seiner  Zehe  einen  erschaffen,  und  der  war,  o  Bester  der  Bha- 
rata's,  der  Daksha  genannte  Schopfer  der  Wesen. 

20.  (7537.)  Ihm  wurden  zunachst,  o  Bharata,  als  dem 
Schopfer  der  Wesen  dreizehn  Tochter  geboren,  von  diesen 
war  die  Al  teste  die  Diti. 

21.  (7538.)  Und  der  die  Unterschiede  aller  Pflichten  ken- 
nende,  unbefleckte  Ehre  habende,  hochberiihmte  Sohn  des 
Marici,  der  KaQyapa,  o  Freund,  wurde  ihrer  aller  Gatte. 

22.  (7539.)   Und  nachdem  der   sehr  Gliickliche   mit  ihnen 


Adhyaya  207  (B.  207).  235 

zehn  weitere  Tochter  gezeugt  hatte,  gab  er,  der  Daksha,  der 
Schopfer  der  Wesen,  sie  dem  Dharma,  er,  der  Dharmakundige. 

23.  (7540.)  Die  Soline  des  Dharma  waren  die  Vasu's,  die 
unermefslich  kraftigen  Rudra's,  die  Vigve  Devah,  die  Sadhya's 
und  die  Marutvant's,  o  Bharata. 

24.  (7541.)  Auch  waren  da  noch  siebenundzwanzig  weitere, 
von  jenen  verschiedene ,  jiingere  Tochter  [des  Daksha],  und 
zum  Gatten  von  ihnen  alien  wurde  der  sehr  gliickliche  Soma. 

25.  (7542.)  Aber  jene  anderen  [dreizehn  Frauen  des  Kagyapa] 
gebaren  Gandharva's,  Rosse,  Vogel,  Kiihe,  Kimpurusha's, 
Fische,  Pflanzen  und  Baume. 

26.  (754.^.)  Aditi  gebar  die  Aditya's  als  die  Besten  der 
Gotter  von  grofser  Kraft;  unter  ihnen  war  es  Vishnu,  der 
als  Zwerg  entstand  und  auch  als  der  Herr,  Govinda,  geboren 
wurde. 

27.  (7544.)  Durch  das  Ausschreiten  des  Vishnu  wurde  das 
Gliick  der  Gotter  vermehrt,  und  die  Danava's  wurden  besiegt, 
wie  auch  die  damonische  Nachkommenschaft  der  Diti. 

28.  (7545.)  Namlich  Danu  hatte  die  Danava's  mit  Vipra- 
citti  als  Oberstem  erzeugt,  Diti  aber  hatte  alle  die  Damonen 
von  grofser  Macht  geboren. 

29.  (7.546.)  Madhusudana  schuf  Tag  und  Nacht,  die  Zeit 
den  Jahreszeiten  entsprechend,  den  Vormittag  und  den  Nach- 
mittag,  dies  alles  bildete  er. 

30.  (7547.)  Nachdem  er  meditiert  hatte,  schuf  er  die  Wolken, 
sowie  das  Unbewegliche  und  Bewegliche,  imd  auch  die  ganze 
Erde  mit  ihrem  Inhalt  schuf  er  durch  seine  grofse  Kraft. 

31.  (7548.)  Dann  weiter  schuf  der  sehr  gliickliche  Krishna, 
o  Yudhishthira,  als  Beste  ein  Hundert  Brahmanen,  aus  seinem 
Munde  schuf  sie  der  Herr, 

32.  (7.549.)  und  aus  seinen  Armen  hundert  Kshatriya's, 
aus  seinen  Schenkeln  hundert  Vaigya's  und  aus  seinen  Fiifsen 
hundert  Qudra's  schuf  der  Vollhaarige,  o  Stier  der  Bharata's. 

33.  (7550.)  Und  nachdem  er,  der  Askesereiche,  in  dieser 
Weise  die  vier  Kasten  hervorgebracht  hatte,  bildete  er  als 
Aufseher  aller  Wesen  den  Schopfer  selbst, 

34.  (7551.)  den  Verleiher  des  Vedawissens,  den  unermefs- 
lich glanzenden  Gott  Brahman.    Und  als  Aufseher  der  Geister- 


236  HI.    Mokshadharma. 

und  Miitterscharen  schuf  er  den  Gott  mit  den  seltsamen  Augen 
[virupaksha,  d.  h.  ^iva]. 

35.  (7552.)  Ferner  schuf  der  alle  Wesen  Beseelende  den 
Ziichtiger  der  Bosen  und  Beherrscher  der  Vater,  den  Gerechtig- 
keit  Ubenden  [Yama],  sowie  auch  den  schatzhiitenden  Herrn 
des  Reichtums  [Kubera]. 

36.  (7553.)  Auch  schuf  der  Herr  als  Beschiitzer  der  See- 
tiere  den  Varuna,  den  Herrn  der  Wasser,  und  als  Aufseher 
aller  Gotter  bildete  er  den  Vasava  [Indra]. 

37.  (7554.)  Solange  jedesmal  bei  den  Menschen  die  Lust 
bestand,  einen  Korper  zu  tragen,  solange  lebten  sie  damals, 
und  es  bestand  keine  Furcht  vor  Yama  [dem  Todesgotte]. 

38.  (7555.)  Auch  bestand  fur  sie,  o  Stier  der  Bharata's, 
noch  nicht  der  Branch  der  Begattung,  sondern  auf  ihren 
blofsen  Wunsch  hin  entstand  ihnen  Nachkommenschaft. 

39.  (7556.)  Dann  aber  in  der  Zeit  des  Weltalters  Treta 
entstand  die  Nachkommenschaft  durch  blofse  Beriihrung,  und 
auch  fiir  die  damals  Lebenden  bestand  noch  nicht  der  Brauch 
der  Begattung,  o  Mannerfiirst. 

40.  (7557.)  Aber  in  dem  Zeitalter  Dvapara  entstand  unter 
den  Menschen  der  Brauch  der  Begattung,  o  Herr,  und  in  dem 
Zeitalter  Kali,  o  Konig,  gerieten  die  Menschen  in  Zwietracht. 

41.  (7558.)  Jener  (Krishna)  wird  der  Herr  der  Wesen, 
o  Freund,  und  der  gute  Aufseher  [von  den  Frommen]  ge- 
nannt.  Nun  aber  will  ich  dir,  o  Kuntisohn,  diejenigen  nennen, 
welche  sich  nicht  um  ihn  kiimmern;  das  vernimm. 

42.  (7559.)  Es  sind  als  Bewohner  des  Siidens,  o  Bester 
der  Manner,  alle  Andhraka's,  die  Guha's,  Pulinda's,  (^abara's, 
Cucuka's  und  Madraka's. 

43.  (7560.)  Es  sind  aber  auch  Bewohner  des  Nordens,  auch 
diese  will  ich  dir  nennen :  die  Yauna's,  Kamboja's,  Gandhara's, 
Kirata's  und  Barbara's. 

44.  (7561.)  Diese,  o  Freund,  leben  als  Ubeltater  auf  dieser 
Erde  und  haben  Gebrauche,  o  Mannerherr,  wie  die  Hunde- 
kocher,  Krahen  und  Geier. 

45.  (7562.)  Diese,  o  Freund,  lebten  noch  nicht  im  Welt- 
alter  Kritam  auf  dieser  Erde,  sondern  erst  vom  Weltalter 
Treta  an  entstanden  diese  Volker,  o  Stier  der  Bharata's. 


Adhyaya  207  (B.  207).  237 

46.  (7563.)  Nun  aber,  nachdem  diese  furchtbare  Welt- 
periode  der  Dammerung  angebrochen  war,  gerieten  die  Konige 
aneinander  und  griflPen  sich  gegenseitig  an. 

47.  (7564.)  In  dieser  Weise  hat,  o  Bester  der  Kuru's,  jener 
von  dem  Hochsinnigen  ans  Licht  gebrachte  Gotterweise  Narada, 
der  alle  Welten  Schauende,  den  Gott  verkiindigt. 

48.  (7565.)  Und  Narada  war  es  auch,  welcher  die  Hochst- 
heit  des  Krishna  erkannte,  o  Mannerherr,  und  seine  Ewig- 
keit,  0  Grofsarmiger,  der  Wahrheit  nach,  o  Stier  der  Bharata's. 

49.  (7566.)  Und  darum  ist  jener  grofsarmige,  wahrhaft 
tapfere  Vollhaarige,  der  Unausdenkbare ,  Lotosaugige;  nicht 
ist  er  ein  blofser  Mensch. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Entstehung  aller  Wesen 

(tarva  -  bhita  -  utpatti). 


Adhyaya  308  (B.  208). 

Vers  7567-7603  (B.  1-37). 

Yudhishthira  sprach; 

1.  (7567.)  Welche  Herren  der  Geschopfe  sind  vordem  ge- 
wesen,  o  Stier  der  Bharata's,  und  welche  hochbegliickten 
Rishi's  werden  je  nach  den  einzelnen  Himmelsgegenden  liber- 
liefert? 

Bhishma  sprach: 

2.  (7568.)  Vernimm,  o  Bester  der  Bharata's,  das,  wonach 
du  mich  fragst,  welche  Herren  in  dieser  Welt  gewesen  sind, 
und  welche  Rishi's  fur  die  einzelnen  Himmelsgegenden  er- 
wahnt  werden. 

3.  (7569.)  Als  erster  war  der  eine  Heilige,  durch  sich  selbst 
Seiende,  der  ewige  Gott  Brahman,  von  Brahman  aber  stammen 
sieben  hochherzige,  durch  sich  selbst  seiende  Sohne: 

4.  (7570.)  Marici,  Atri,  Angiras,  Pulastya,  Pulaha,  Kratu 
und  [an  Stelle  des  oben  Vers  7B34  erwahnten  Daksha]  der 
hochbegliickte  VaQishtha,  vergleichbar  dem  durch  sich  selbst 
Seienden. 

6.  (7571.)    Als    sieben   Brahman's    werden   diese   in    dem 


238  in.    Mokshadharma. 

Puranam  mit  Gewifsheit  bezeugt.     Weiter  will  ich   dir  nun 
alle  Herren  der  Geschopfe  mitteilen. 

6.  (7572.)  Aus  dem  Geschlechte  des  Atri  entsprang,  dem 
Stamme  des  Gottes  Brahman  angehorig,  der  ewige,  heilige 
Pracinabarhis ;  von  ihm  stammen  die  zehn  Pracetas. 

7.  (7.573.)  Diese  zehn  hatten  einen  Sohn,  den  Daksha  ge- 
nannten  Herrn  der  Geschopfe,  welcher  in  der  Welt  zwei 
Namen  fiihrt,  indem  er  Daksha  und  auch  Ka  genannt  wird. 

8.  (7574.)  Von  Marici  stammt  sein  Sohn  Kagyapa,  und 
auch  er  hat  zwei  Namen;  die  einen  kennen  ihn  als  Arishtanemi, 
die  andern  als  Kagyapa. 

9.  (7575.)  Von  Atri  stammte  als  leiblicher  Sohn  der  herr- 
liche  Konig  Soma,  der  Held,  welcher  zehn  gottliche  Welt- 
.alter  durch  Verehrung  iibte. 

10.  (7576.)  Auch  Aryaman,  der  heilige,  und  seine  Sohne, 
o  Herr;  diese  werden  als  Gesetzgeber  und  als  Weltschopfer 
genannt. 

11.  (7577.)  (^agabindu  aber  hatte  zehntausend  Gattinnen, 
o  Unerschiitterlicher,  und  von  jeder  einzelnen  von  ihnen 
wurden  tausend  Sohne  geboren. 

12.  (7578.)  In  dieser  Weise  entsprangen  von  diesem  Hoch- 
sinnigen  zehnmal  hunderttausend  Sohne;  diese  alle  erkennen 
keinen  andern  Herrn  der  Geschopfe  [als  ihren  Stammvater]  an. 

13.  (7579.)  Diese  Nachkommenschaft  des  Qagabindu  be- 
zeugen  die  alten  Weisen,  und  dieses  grofse  Geschlecht  des 
Herrn  der  Geschopfe  war  der  Ursprung  des  Vrishnistammes. 

14.  (7580.)  Damit  sind  die  beriihmten  Herren  der  Geschopfe 
dargelegt.  Weiter  will  ich  dir  von  den  Gottern  reden,  welche 
die  Dreiwelt  regieren. 

15.  (7581.)  Bhaga,  Anga  und  Aryaman,  Mitra,  sowie  auch 
Varuna  und  Savitar,  Dhatar  und  der  grofsmachtige  Vivasvant, 

16.  (7582.)  Tvashtar,  Pushan  und  Indra  und  als  zwolfter 
wird  Vishnu  genannt,  diese  zwolf  Aditya's  sind  Sohne  des 
Ka<?yapa. 

17.  (7583.)  Nasatya  und  Dasra  werden  uberHefert  als  die 
beiden  AQvin's,  diese  sind  Sohne  des  Martanda,  des  hoch- 
sinnigen  achten  [Aditya,  d.  h.  des  Vivasvant]. 

18.  (7584.)   Diese  wurden  vordem  als  Gotter  und  als  die 


Adhyaya  208  (B.  208).  239 

zwei  Arten  der  Vater  bezeichnet  [die  Prajapati's  als  Vater 
der  Welt  und  die  Sohne  der  Gotter,  welche  von  den  durch 
sie  belehrten  Gottern  Vater  genannt  wurden].  Der  Sohn  des 
Tvashtar  war  der  herrliche,  hochberiihmte  Vigvarupa; 

19.  (7585.)  ferner  Aja  Ekapat,  Ahi,  Bradhna,  Virupaksha 
und  Raivata,  Hara,  Bahuriipa  und  Tryambaka,  der  Herr  der 
Gotter, 

20.  (7586.)  Savitra  und  Jayanta  und  der  unbesiegbare 
Pinakin.  Schon  oben  wurden  die  hochbegliickten  acht  Vasu's 
genannt. 

21.  (7587.)  Diese  so  gearteten  Gotter  stammen  von  Manu, 
dem  Herrn  der  Geschopfe.  Diese  wurden  vordem  als  Gotter 
und  als  die  zwei  Arten  der  Vater  bezeichnet. 

22.  (7588.)  An  Charakter  und  Jugend  verschieden  war  die 
Schar  der  Siddha's,  und  von  ihr  verschieden  die  der  Sadhya's; 
Ribhu's  und  hinwiederum  Marut's  wird  eine  Schar  von  Gottern 
genannt. 

23.  (7589.)  Als  solche  werden  auch  jene  Vigve  Devah  er- 
wahnt,  sowie  die  Agvin's.  Die  Aditya's  sind  die  Kshatriya's 
unter  diesen  [Gottern],  die  Marut's  die  VaiQya's. 

24.  (7590.)  Die  Agvin's  hingegen  gelten  fur  Qudra's,  haben 
aber  ungeheure  Askese  betrieben ;  und  endlich  die  von  Angiras 
stammenden  Gotter  sind  die  Brahmanen  unter  ihnen,  das  ist 
gewifs. 

25.  (7591.)  In  dieser  Weise  wird  das  Vierkastensystem 
auch  in  betreff  der  Gotter  gelehrt.  Wer  nun,  nachdem  er 
morgens  aufgestanden,  diese  Gotter  preiset, 

26.  (7592.)  der  wird  von  allem  Bosen,  mag  es  von  ihm 
selbst  stammen,  oder  von  anderen  herriihren,  befreit.  Yava- 
krita,  Raibhya,  Arvavasu  und  Paravasu, 

27.  (7593.)  Kakshivant,  der  Sohn  der  Ugij,  und  Bala,  der 
Sohn  des  Angiras,  der  Rishi  Kanva,  der  Sohn  des  Medhatithi, 
sowie  Barhishada, 

28.  (7594.)  diese  Schopfer  der  Dreiwelt,  wohnen,  sowie 
auch  die  sieben  Rishi's,  im  Osten.  Unmuca  und  Vimuca 
und  der  heldenmiitige  Svastyatreya, 

29.  (7595.)  Pramuca,IdhmavahaundderheiligeDridhavrata, 
ferner  Agastya,  der  askesereiche  Sohn  des  Mitra  und  Varuna, 


240  ni.    Mokshadharma. 

30.  (7596.)  diese  Brahmanweisen  halten  sich  allezeit  auf 
in  der  siidlichen  Gegend.  Ushaiigu,  Kavasha,  Dhaumya, 
Parivyadha,  der  Held, 

31.  (7597.)  auch  Ekata,  Dvita  und  Trita,  die  grofsen 
Weisen,  und  der  heilige  Sohn  des  Atri,  der  machtige  Sarasvata, 

32.  (7598.)  alle  diese  Hochherzigen  wohnen  in  der  west- 
lichen  Himmelsgegend.  Atreya,  Vasishtha  und  der  grofse 
Weise  Kagyapa, 

33.  (7599.)  ferner  Gautama,  Bharadvaja  und  Vigvamitra, 
der  Sohn  des  Kugika,  sowie  des  hochherzigen  Ricika  heiliger 
Sohn, 

34.  (7600.)  Jamadagni,  diese  siehen  wohnen  in  der  nord- 
lichen  Himmelsgegend.  Damit  sind  alle  die  kraftvoU  Kraf- 
tigen  nach  ihrer  Himmelsgegend  aufgezahlt, 

35.  (7601.)  die  hochherzigen  Zeugen  [der  Weltschopfung] 
und  Schopfer  der  Welten.  In  dieser  Weise  wohnen  diese 
Hochherzigen,  ein  jeder  in  seiner  Himmelsgegend. 

36.  (7602.)  Wer  sie  anruft,  der  wird  von  allem  Bosen  er- 
lost,  indem  er  sich  dadurch  unter  den  Schutz  derjenigen 
Himmelsgegend  stellt,  welcher  jeder  einzelne  von  ihnen  an- 
gehort. 

37.  (7603.)  Er  wird  erlost  von  allem  Bosen  und  geht  be- 
gliickt  nach  Hause. 

So  latitet  im  Mokshadharma  die  Glilcksformel  der  Himmelsgegeudeu 
(di\dm  svaslikam). 


Adhyaya  209  (B.  209). 

Vers  7604-7640  (B.  1-36). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (7604.)  0  weiser  Grofsvater,  du  walirhaft  Tapferer  im 
Kampfe,  ich  wiinsche  in  Vollstandigkeit  zu  horen  von  Krishna^ 
dem  ewigen  Gotte, 

2.  (7605.)  und  welches  seine  iiberaus  grofse  Kraft  und 
welches  sein  vordem  vollbrachtes  Werk  ist.  Das  alles  sage 
mir  der  Wahrheit  gemafs,  o  du  Stier  unter  den  Mannern. 


Adhyaya  209  (B.  209).  241 

3.  (7606.)  Sage  mir,  wie  der  Herr,  in  einen  Tierschofs 
eingegangen,  sich  zur  Erscheinung  brachte,  und  durch  welche 
Grofstat-Gewahrung  dies  geschah,  das  verkiindige  mir,  o 
Grofsmachtiger. 

Bhishma  sprach: 

4.  (7607.)  Einstmals  auf  die  Jagd  gegangen  weilte  ich  in 
der  Einsiedelei  des  Markandeya;  daselbst  sah  ich  Scharen 
von  Muni's,  welche  zu  Tausenden  umhersafsen. 

5.  (7608.)  Diese  erwiesen  mir  Ehre  durch  eine  Honigspende, 
ich  aber  nahm  die  Ehrenerweisung  entgegen  und  sprach  den 
Eishi's  meinen  Dank  aus. 

6.  (7609.)  Daselbst  wurde  von  dem  grofsen  Weisen  Kagyapa 
folgende  Geschichte  erzahlt.  Diese  herzerquickende ,  himm- 
lische  Erzahlung  vernimm  mit  aufmerksamem  Geiste. 

7.  (7610.)  Einstmals  geschah  es,  dafs  die  Obersten  der 
Danava's,  von  Zorn  und  Begierde  erfiillt,  von  Kraft  trunken, 
zu  Hunderten  mit  Naraka  an  der  Spitze,  dafs  diese  grofsen 
Damonen 

8.  (7611.)  und  noch  viele  andere  Danava's  von  arger  Wild- 
heit  im  Kampfe  es  nicht  ertrugen,  das  hochste  Gedeihen  der 
Gotter  zu  sehen. 

9.  (7612.)  Die  Gotter  aber  und  die  Gotterweisen,  von  den 
Danava's  bedrangt,  fanden  keinen  Schutz,  o  Konig,  indem 
sie  hierhin  und  dor  thin  fliichteten. 

10.  (7613.)  Da  sahen  die  Bewohner  des  Himmels  die  Erde 
in  bedrangter  Lage,  wie  sie  von  den  Danava's,  den  furcht- 
bar  gestalteten,  grofsmachtigen,  ganz  iiberdeckt  war 

11.  (7614.)  und,  von  dieser  Last  gedriickt,  freudlos  und 
schmerzgequalt  versank.  Da  sprachen  die  geangstigten  Sohne 
der  Aditi  zum  Gotte  Brahman  folgendermafsen :  * 

12.  (7615.)  Wie  werden  wir,  o  Brahman,  der  Vergewalti- 
gung  durch  die  Danava's  Meister  werden?  Da  sprach  der 
durch  sich  selbst  Seiende :  Ich  habe  hierfiir  schon  einen  Aus- 
weg  vorbereitet. 

13.  (7616.)  Ganz  erfiillt  von  ihrem  Werte,  ihrer  Gewalt 
und  ihrer  Tollheit  bemerken  sie  nicht,  die  Toren,  den  Vishnu, 
dessen  Erscheinung  noch  verborgen  ist, 

Detjssen,  Mah&bh^ratam.  \Q 


242  ni.    Mokshadharma. 

14.  (7617.)  den,  wenn  er  die  Gestalt  eines  Ebers  annehmen 
wird,  auch  von  Unsterblichen  unbezwingbaren  Gott.  Der 
wird  im  Sturm  dorthin  eilen,  wo  jene  gemeinen  Danava's 

15.  (7618.)  in  die  Erde  eingedrungen,  die  Furchtbaren,  zii 
Tausenden  weilen,  und  wird  sie  zur  Ruhe  bringen.  Als  dies 
die  vortreffliohen  Gotter  horten,  freuten  sie  sich. 

16.  (7619.)  Darauf  nahm  der  sehr  kraftige  Vishnu  die  Ge- 
stalt eines  Ebers  an,  drang  in  die  Erde  ein  und  ging  auf  die 
Sohne  der  Diti  los. 

17.  (7620.)  Als  nun  die  Ditisohne  allesamt  dieses  nicht- 
menschliche  Wesen  sahen,  da  erhoben  sie  sich  alle  mit  Ge- 
walt  und  Ungestum,  vom  Todesgotte  (Kala)  verblendet. 

18.  (7621.)  Darauf  stiirmten  sie  alle  im  Verein  auf  den 
Eber  los  und  packten  ihn ;  und  voU  Zorn  zerrten  sie  den  Eber 
von  alien  Seiten. 

19.  (7622.)  Aber  die  Danava-Fiirsten,  obgleich  mit  grofsen 
Leibern  und  von  grofser  Tapferkeit  und  hochfahrend  vermoge 
ihrer  Kraft,  vermochten  ihm  nichts  anzutun,  o  Herr. 

20.  (7623.)  Da  gerieten  die  Danava-Fiirsten  in  Staunen 
und  in  Furcht  und  begrijffen  zu  Tausenden,  dafs  ihr  eigenes 
Selbst  Gefahr  zu  laufen  drohte. 

21.  (7624.)  Da  geschah  es,  dafs  der  Obergott  der  Gotter, 
von  Yoga  erfiillt  und  als  Lenker  der  Yoga-Anschirrung  zum 
Yoga  greifend,  o  Bester  der  Bharata's,  dafs  er,  der  Heilige, 
damals 

22.  (7625.)  ein  grofses  Gebriill  ausstiefs  und  dadurch  die 
Daitya's  und  Danava's  in  Verwirrung  brachte,  ein  Gebriill, 
von  welchem  die  Welten  und  alle  zehn  Himmelsgegenden 
widerhallten. 

23.  (7626.)  Durch  diesen  widerhallenden  Ton  entstand  eine 
Erschiitterung  der  Welten,  die  Gotter  mit  Indra  an  der  Spitze 
gerieten  in  der  Welt  in  grofsen  Schrecken, 

24.  (7627.)  und  die  Lebewelt  war  ganz  starr  damals,  die 
unbewegliche  und  die  bewegliche,  durch  dieses  Gebriill  in 
Bestiirzung  geratend, 

25.  (7628.)  und  alle  die  Danava's,  durch  dieses  Gebriill  in 
Furcht  versetzt,  stiirzten  leblos  nieder,  betaubt  durch  die 
Kraft  des  Vishnu. 


Adhyaya  209  (B.  209).  243 

26.  (7629.)  Und  auch  in  die  Unterwelt  stieg  der  Eber  hinab 
und  zerrifs  mit  seinen  Klauen  das  Gefiige  von  Fleisch,  Fett 
und  Knoohen  der  Gotterhasser. 

27.  (7630.)  Aber  wegen  jenes  grofsen  Gebriills  fnddaj 
wurde  er  Sanatana  (der  Ewige)  genannt,  er,  der  lotos- 
entsprossene,  grofse  Yogin,  der  Lehrer  und  Fiirst  der  Wesen. 

28.  (7631.)  Da  liefen  alle  die  Gotterscharen  zum  Urvater 
und,  bei  ihm  angelangt,  sprachen  die  Hochherzigen  zum  Herrn 
der  Welt: 

29.  (7632.)  Was  ist  das  fiir  ein  Gebriill,  o  Gott,  wir  kennen 
es  nicht,  o  Herr?  Was  ist  es  mit  ihm,  und  von  wem  kommt 
das  Gebriill,  durch  welches  die  Welt  ins  Wanken  ge- 
bracht  wird 

30.  (7633.)  und  Gotter  und  Danava's  in  Verwirrung  ge- 
raten  vermoge  seiner  durchdringenden  Macht?  In  diesem 
Augenblicke  erhob  sich  in  der  Gestalt  des  Ebers  Vishnu, 
(7634.)  0  Grofsarmiger,  er,  der  von  grofsen  Weisen  Gepriesene. 

Der  Allvater  sprach: 

31.  (7635.)  Der  die  Danava-Herren  niedergeworfen  hat,  der 
sehr  erhabene,  sehr  kraftige,  dieser  Gott,  der  grofse  Yogin, 
der  Beseeler  und  Bildner  der  Wesen, 

32.  (7636.)  der  Herr  aller  Wesen,  der  Yogin,  der  Muni, 
das  Selbst  des  Selbstes,  —  bleibt  getrost!  —  es  ist  Krishna, 
der  Vernichter  aller  Hindernisse. 

33.  (7637.)  Er  ist  es,  der  dieses  iiberaus  wohltatige,  un- 
mogliche  Werk  vollbracht  hat,  der  unermefslich  Glanzende, 
nunmehr  in  seine  Wesenheit  Zuriickgekehrte,  der  sehr  Gliick- 
liche,  sehr  Leuchtende, 

34.  (7638.)  der  Lotosnablige,  der  grofse  Yogin,  der  hoch- 
herzige  Bildner  der  Wesen.  Keine  Qual,  keine  Furcht,  kein 
Kummer  iiberkomme  euch,  o  Beste  der  Gotter! 

35.  (7639.)  Er  ist  der  Schopfer,  ist  die  Majestat  und  ist 
auch  die  Vernichtung  bewirkende  Zeit.  Von  ihm,  der  die 
Wei  ten  erhalt,  von  dem  Hochherzigen  ist  jenes  Gebriill  aus- 
gestofsen  worden. 

36.  (7640.)   Und  er,  der  Grofsarmige,  wird  in  alien  Welten 

16* 


244  ni.   Moksliadharma. 

verehrt,   der  Unerschiitterliche ,   Lotosaugige,    der   Ursprunj 
aller  Wesen,  der  Gottherr. 

So  lautet  im  Mokshadharma  das  Spiel  in  der  Erde 
(antar  -  bh'&mi  -  vikridanam) . 


Adhyaya  310  (B.  310). 

Vers  7641-7688   (B.  1-46). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (7641.)  Den  hochsten  Yoga  der  Erlosung,  o  Freund,  er- 
klare  mir,  o  Bharata;  ihn  wiinsche  ich  der  Wahrheit  gemafs 
zu  erkennen,  o  Bester  der  Redenden. 

Bhishma  sprach : 

2.  (7642.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Unterredung  eines  Schiilers  mit  seinem 
Lehrer  in  betreff  der  Erlosung. 

3.  (7643.)  Einem  Brahmanen,  der  dasafs  als  Lehrer,  als  vor- 
ziiglicher  Weiser,  als  eine  Fiille  von  Glanz,  hochherzig,  sein 
Wort  haltend,  seine  Sinne  bezahmend, 

4.  (7644.)  diesem  nahte  ein  iiberaus  verstandiger ,  heils- 
bediirftiger,  sehr  aufmerksamer  Schiller,  umfafste  seine  Fiifse 
und  sprach,  indem  er  mit  zusammengelegten  Handen  vor 
ihm  stand: 

5.  (7645.)  Wenn  du  zufolge  meiner  Verehrung  mir  gnadig 
bist,  0  Heiliger,  so  mogest  du  mir  einen  grofsen  Zweifel,  den 
ich  hege,  aufklaren:  (7646.)  Woher  bin  ich  und  woher  bist 
du?  Diese  wichtigste  Frage  mogest  du  mir  vollstandig  be- 
antworten. 

6.  Und  wie  kommt  es,  o  Bester  der  Zwiegeborenen ,  da 
doch  alle  Wesen  unter  den  gleichen  Bedingungen  stehen, 
(7647.)  dafs  ihr  regelrecht  verlaufendes  Vergehen  und  Wieder- 
geborenwerden  in  so  entgegengesetzter  Weise  stattfindet? 

7.  Und  auch  was  der  Veda  dariiber  sagt,  und  was  die 
wpltjich^^  j^r,;alle  verbindliche  Tradition  [der  Smriti]  davon 


Adhyaya  210  (B.  210).  245 

lehrt,  (7648.)   das,  o  Weiser,  mogest  du  mir  alles  der  Wahr- 
heit  gemafs  erklaren. 

Der  Lehrer  sprach: 

8.  (7649.)  Vernimm,  o  hochverstandiger  Schiller,  dieses 
hochste  Brahmangeheimnis ,  und  was  das  Gute  ist  an  alien 
Wissenschaften  und  heiligen  Uberliefeningen ,  sofern  es  das 
innere  Selbst  betriflPt. 

9.  (7650.)  Der  Sohn  des  Vasudeva  (Krishna)  ist  jenes 
Hochste,  ist  der  Mund  der  ganzen  Brahmanoffenbarung;  er  ist 
Wahrheit  und  Wissen,  ist  Opfer,  Ausharren,  Bezahmung  und 
Kedlichkeit. 

10.  (7651.)  Er  ist  es,  den  die  Vedakenner  als  den  Purusha, 
den  ewigen  Vishnu  wissen,  als  den  Urheber  von  Schopfung 
[sarga  mit  C.)  und  Vergang,  als  das  unoffenbare,  ewige 
Brahman. 

11.  (7652.)  So  vernimm  dieses  heilige  Wort,  die  Erzah- 
lung  betreffend  den  Vrishnisprofs  (Krishna).  Ein  Brahmane 
mufs  von  Brahmanen  gehort  werden,  ein  Krieger  von  Kriegern, 

12.  (7653.)  ein  Vaigya  mufs  von  Vaigya's  gehort  werden 
und  ein  (^udra,  wenn  er  hochsinnig  ist,  von  (^udra's.  Du 
sollst  die  Majestat  des  Gottergottes,  des  Vishnu  von  unermefs- 
licher  Kraft,  — 

13.  (7654.)  wiirdig  dessen  bist  du  —  du  sollst  den  schonen, 
hochsten  Vrishnisprofs  kennen  lernen,  der  das  Rad  der  Zeit 
ist,  den  Anfanglosen,  Endlosen,  der  Sein  und  Nichtsein  als 
Merkmale  an  sich  tragt. 

14.  (7655.)  In  ihm,  dem  Herrn  aller  Wesen,  dreht  sich 
die  Dreiwelt  wie  ein  Rad.  Jenes  unvergangliche,  unoffenbare, 
unsterbliche,  ewige  Brahman  (7656.)  bezeichnen  sie,  o  Manner- 
tiger,  als  den  Vollhaarigen,  den  Stier  unter  den  Mannern. 

15.  Er  hat  die  Vater,  Gotter  und  Rishi's  und  ebenso  die 
Halbgotter  und  Kobolde,  (76B7.)  die  Schlangen,  Damonen  und 
Menschen  geschaffen,  er,  der  Hochste,  Unvergangliche. 

16.  Und  er  hat  auch  die  Vedavorschriften  und  die  ewigen 
Weltgesetze,  (7658.)  nachdem  er  Vergang  und  Neuschopfung 
bewirkt,  zu  Anfang  der  Weltalter  wiederum  geschaffen. 

17.  So  wie  in  einer  Jahreszeit  die  mannigfachen  Attribute 


246  in.   Mokshadharma. 

der  Jahreszeit  im  Umlaufe  der  Zeit  (7659.)  zur  Erscheinung 
kommen,  bald  die  einen,  bald  die  andern,  so  ist  es  mit  den 
Zustanden  fhhdvaj  am  Anfange  der  Weltalter. 

18.  Und  was  inuner  irgendwann  durch  Fiigung  der  Zeit 
zu  Anfang  der  Weltalter  zum  Vorschein  kommt  (7660.)  an 
Wissen,  das  gelangt  zur  Entstehung,  indem  es  nach  Ordnung 
des  Weltganges  geboren  wird. 

19.  Was  am  Ende  eines  Weltalters  an  Veden  und  epi- 
schen  Gedichten  latent  geworden  war,  (7661.)  das  haben  grofse 
Weise  [im  neuen  Weltalter]  vor  Zeiten  kraft  ihrer  Askese 
empfangen,  begnadet  damit  durch  den  durch  sich  selbst 
Seienden. 

20.  Als  Vedakenner  weifs  [den  Veda]  der  Heilige,  die 
Vedanga's  weifs  Brihaspati,  (7662.)  und  der  Bhrigusohn  hat 
das  Lehrbuch  der  Lebensfiihrung  zum  Heile  der  Welt  ver- 
kiindet. 

21.  Die  Musikwissenschaft  weifs  Narada,  die  Kriegs- 
wissenschaft  Bharadvaja,  (7663.)  den  Lebenslauf  der  Gotter- 
weisen  Gargya,  die  Heilkunde  Krishnatreya. 

22.  Die  mannigfachen  Lehrbiicher  der  Logik  wurden  von 
diesen  und  jenen  Lehrern  gelehrt,  (7664.)  und  alles,  was  an 
Argumenten,  heiligen  Uberlieferungen  und  gutem  Lebens- 
wandel  gelehrt  worden  ist,  das  soil  man  verehren. 

23.  Jenes  anfanglose  hochste  Brahman  wissen  nicht 
Gotter  und  nicht  Weise,  (7665.)  nur  einer  weifs  es,  der  heilige 
Schopfer,  Narayana,  der  Herr. 

24.  Von  Narayana  stammen  die  Scharen  der  Rishi's  so- 
wie  die  obersten  Gotter  und  Damonen,  (7666.)  auch  die  alten 
Konigsweisen  und  das  hochste  Heilmittel  der  Schmerzen. 

25.  Wenn  nun  die  Prakriti  die  vom  Purusha  (Narayana) 
verwalteten  Zustande  (hhdvaj  gebiert,  (7667.)  dann  entwickelt 
sich  die  durch  sie  vorher  mit  den  Ursachen  ihrer  Entstehung 
ausgestattete  Welt. 

26.  Wie  an  einer  Fackel  andere  Fackeln  tausendfach 
sich  entziinden,  (7668.)  so  gebiert  die  Prakriti  und  wird  doch 
wegen  ihrer  Unerschopfhchkeit  nicht  vermindert. 

27.  Aus  dem  Unentfalteten  (der  Prakriti)  entsteht  die 
werkbedingte  Buddhi,  und  sie  erzeugt  den  Ahankara;  (7669.)  aus 


Adhyaya  210  (B.  210).  247 

dem  Ahaiikara  [entspringt]   der  Ather,  aus  dem  Ather  ent- 
steht  der  Wind, 

28.  aus  dem  Wind  das  Feuer,  aus  diesem  das  Wasser, 
und  aus  dem  Wasser  geht  die  Erde  hervor ;  (767o.)  diese  acht 
sind  die  Grundnaturen  und  in  ihnen  ist  die  Welt  gegriindet. 

29.  Der  Erkenntnisorgane  sind  fiinf,  sowie  auch  fiinf 
Tatorgane,  (767i.)  ferner  fiinf  Objekte  fvishayaj  und  das  eine 
Manas  als  Sechzehntes,  im  Bereiche  des  [aus  den  Grund- 
naturen] Umgewandelten. 

30.  Auge,  Ohr,  Haut,  Augen,  Zunge  und  Nase  sind  die 
Erkenntnisorgane;  (7672.)  Fiifse,  Entleerungs-  und  Zeugungs- 
organ,  Hande  und  Kede  sind  die  Tatorgane  (Jcarmani,  im 
Dual!) 

31.  Ferner  sind  da  Ton,  Gefiihl,  Gestalt,  Geschmack  und 
Geruch,  (7673.)  und  als  das  sie  alle  durchdringende  Geistes- 
organ  soil  man  das  Manas  wissen. 

32.  Zur  Erkenntnis  des  Geschmacks  dient  die  Zunge, 
zum  Sprechen  die  Rede;  (7674.)  vermoge  seiner  Verbindung 
mit  den  mannigfachen  Organen  ist  das  Manas  die  ganze 
[fiinfzehnfach]  entfaltete  Natur. 

33.  Von  diesen  sechzehn  soil  man  wissen,  dafs  sie,  ein 
jedes  an  seinem  Teil,  Gottheiten  sind,  (7675.)  welche  den  in 
den  Leibern  weilenden  Urheber  der  Erkenntnis  verehren. 

34.  Demnach  ist  der  Geschmack  die  Qualitat  des  Wassers, 
der  Geruch  die  Qualitat  der  Erde,  (7676.)  das  Gehor  die  Quali- 
tat des  Athers  und  das  Gesicht  die  Qualitat  des  Feuers;  das 
Gefiihl  soil  man  wissen  als  Qualitat  des  Windes  in  alien 
Wesen  jederzeit. 

35.  (7677.)  Das  Manas  gilt  fUr  eine  Qualitat  des  Sattvam, 
das  Sattvam  aber  ist  aus  dem  Unentfalteten  geboren;  darum 
soil  der  Weise  dieses  [das  Sattvam]  erkennen  als  das,  was 
zu  ihrem  Selbste  geworden  in  alien  Wesen  weilt.[ 

36.  (7678.)  Diese  Wesenheiten  fhhdvaj  tragen  die  ganze 
Welt  mit  allem  Beweglichen  und  Unbeweglichen ;  sie  aber 
griinden  sich  auf  den  von  Leidenschaft  frajasj  freien  Gott, 
den  man  noch  hoher  stellt  als  die  Prakriti. 

37.  (7679.)  Die  heilige  Stadt  mit  den  neun  Toren  [der 
Leib]    ist  von  diesen  Wesenheiten    erfullt;   in  ihr  liegt,  sie 


248  III-   Mokshadharma. 

durchdringend,  das  grofse  Selbst  fmahdn  dtmdj;  darum  wird 
es  der  Purusha  genannt. 

38.  (7680.)  Nicht  alternd  und  unsterblich  ist  dieser,  als 
Entfaltetes  und  Unentfaltetes  wird  er  bezeichnet;  alldurch- 
dringend  ist  er,  gunabehaftet  und  unerkennbar,  er  ist  die 
Grundlage  der  Guna's  in  alien  Wesen. 

39.  (7681.)  So  wie  eine  Fackel,  mag  sie  klein  oder  grofs 
sein,  ihrem  Wesen  nach  Licht  ist,  so  soil  man  das  Erkennt- 
nisselbst  fjndna-dtmanj  als  den  Purusha  in  alien  Geschopfen 
erkennen. 

40.  (7682.)  Er  ist  es,  der  fiir  das  Ohr  das  zu  Erkennende 
erkennbar  macht,  er  ist  es,  der  da  hort  und  der  da  sieht; 
Ursache  dieses  Tuns  ist  dieser  Leib,  er  aber  ist  der  Bewirker 
aller  Werke. 

41.  (7683.)  Wie  das  im  Holz  latente  Feuer,  auch  wenn 
man  das  Holz  spaltet,  nicht  zu  sehen  ist,  so  wird  dieser  im 
Korper  weilende  Atman  nur  durch  den  Yoga  gesehen. 

42.  (7684.)  Wie  namlich  das  Feuer,  wenn  man  das  Holz 
durch  eine  Vorrichtung  reibt,  sichtbar  wird,  so  wird  dieser 
im  Korper  weilende  Atman  nur  durch  den  Yoga  gesehen. 

43.  (7685.)  Wie  das  Wasser  an  den  Flufs  gebunden  ist, 
wie  die  Strahlen  an  die  Sonne,  wie  diese,  weil  an  sie  ge- 
kniipft,  sie  begleiten,  so  verbal  ten  sich  die  Korper  zu  den 
Verkorperten. 

44.  (7686.)  Daran,  dafs  bei  der  Versenkung  in  den  Schlaf 
der  Atman  mit  den  fiinf  Sinnen  verbunden,  den  Korper  ver- 
lassend,  umherschweift,  daran  wird  er  als  der  Atman  erkannt. 

45.  (7687.)  Durch  das  Werk  [wenn  seine  Frucht  abgelaufen 
ist]  wird  die  Erscheinung  verdrangt,  und  durch  das  Werk 
wird  sie  [im  neuen  LebenslaufJ  wieder  wahrgenommen,  durch 
das  Werk  wird  sie  in  einen  neuen  Zustand  versetzt,  durch 
das  selbstbegangene,  iiberaus  machtige  Werk. 

46.  (7688.)  Wie  aber  die  Seele  aus  einem  Leibe,  nachdem 
sie  ihn  verlassen,  in  einen  andern  eingeht,  demgemafs  will 
ich  dir  diesen  andern  erklaren,  namlich  die  durch  ihre  eigenen 
Werke  wiedergeborene  Schar  der  Wesen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  Varshneya  als  das  innere  Selbst 
(Vdnhneya-adhydtmam). 


Adhyaya  211  (B.  211).  249 

Adhyaya  211  (B.  211). 

Vers  7689-7706  (B.  1-17). 
Bhishma  sprach : 

1.  (7689.)  Die  vier  Arten  der  unbeweglichen  und  beweg- 
lichen  Wesen  haben  aus  dem  Unentfalteten  ihre  Entstehung, 
und  in  das  Unentfaltete  gehen  sie  wieder  unter.  (7690.)  Das 
Unentfaltete  als  Merkmal  habend,  von  Natur  an  das  Un- 
entfaltete als  Wesen  habend  ist  das  Manas. 

2.  Wie  der  grofse  Baum  in  dem  Samenkorn  des  Feigen- 
baumes  verborgen  liegt  (7691.)  und,  nachdem  er  sich  daraus 
entwickelt  hat,  sichtbar  wird,  so  ist  die  Entstehung  des  Ent- 
falteten  aus  dem  Unentfalteten. 

3.  Wie  das  ungeistige  Eisen  auf  den  Magnetstein  zu- 
eilt,  (7692.)  und  wie  die  aus  ihrer  eigenen  Natur  als  Ursache 
entsprungenen  Wesenheiten  zu  etwas  anderm  derartigen 
[magnetartigen  hinstreben], 

4.  so  werden  die  aus  dem  Unentfalteten  als  Bewirker 
geborenen  Wesenheiten  ("bhdvaj,  welche  das  Merkmal  ihrer 
Ursache  an  sich  tragen  (7693.)  und  ohne  Bewufstsein  sind, 
durch  das  Beseelende  als  Ursache  zu  einem  Komplexe  ver- 
bunden. 

5.  Damals  war  nicht  die  Erde,  nicht  Ather,  Himmel  und 
Wesen,  nicht  dieRishi's,  nicht  Gotter  undDamonen,  (7694.)  nichts 
anderes  war,  ausgenommen  die  Seele;  jene  [genannten]  aber 
batten  sich  noch  nicht  der  [spater]  mit  ihnen  aggregierten 
Seele  genaht, 

6.  der  urspriinglichen ,  ewigen,  allgegenwartigen ,  das 
Manas  erzeugenden,  merkmallosen ,  (7695.)  noch  nicht  durch 
Erkennen  und  Wirken  charakterisierten ,  —  dieses  ist  das 
Merkmal  der  [Seele  als]  Weltursache. 

7.  Diese  [Weltursache]  verband  sich  namlich  mit  den 
[materiellen]  Ursachen  und  bewirkte  ein  Aggregat  ihrer  Wir- 
kungen;  (7696.)  wodurch  dieses  anfang-  und  endlos'e  grofse 
Weltrad  sich  in  Umdrehung  befmdet. 

8.  Seine  Nabe  ist  das  Unentfaltete,  seine  Speichen  sind 
das    Entfaltete,    sein    Radkranz    sind    die    Umwandlungen, 


250  in.   Mokshadharma. 

(7697.)  regiert  wird  dieses  Rad  von  der  Seele  ("kshetrajnaj,  mit 
oliger  Achse  dreht  es  sich  um  ohne  Fehl. 

9.  Weil  seine  Achse  geblt  ist,  darum  wird  in  diesem 
Rade  die  ganze  Welt  der  Lebenden  zermalmt  wie  Sesam- 
korner  (7698.)  von  den  aus  dem  Nichtwissen  entspringenden 
Geniissen,  wie  von  Olmiillern,  die  dazu  angestellt  sind. 

10.  Dieses  Werk  vollbringt  sie  [die  Welt  der  Lebenden] 
wegen  der  Begierde  ftarsJiaJ  und  wegen  ihres  Umschlungen- 
seins  vom  Ahankara.  (7699.)  In  der  Verkniipfung  von  Ursache 
und  Wirkung  wird  dieses  [die  Begierde  und  das  Umschlungen- 
sein]  als  der  Grund  erklart. 

11.  Nicht  erkennt  die  Ursache  die  Wirkung,  und  die 
Wirkung  erkennt  nicht  die  Ursache,  (7700.)  sondern  es  ist  die 
Zeit,  welche  bei  diesem  Tun  mittels  Entfaltung  der  Wirkung 
die  bewirkende  Ursache  bildet. 

12.  Durch  diese  Ursache  sind  miteinander  verbunden  die 
schaffenden  Potenzen  und  ihre  Umwandlungen ;  (7701.)  beide 
stehen  in  Beziehung  zueinander,  indem  sie  immerfort  vom 
Purusha  regiert  werden. 

13.  Und  [nach  dem  Tode  ist  es  die  individuelle  Seele, 
welche]  von  rajasartigen  und  tamasartigen  Beschaffenheiten 
fbhdvaj  herabgezogen  und,  von  der  Gewalt  der  Ursache  ge- 
trieben,  (7702.)  der  hochsten  Seele  {hshetrajnaj  nachfolgt,  wie 
der  Staub,  der  vom  Winde  aufgewirbelt  wird. 

14.  Sie  aber  wird  von  jenen  Beschaffenheiten  nicht  be- 
riihrt,  noch  auch  diese  von  ihr,  der  Hohen;  (7703.)  wie  ja 
audi  der  an  sich  staublose  Wind  nicht  staubartig  werden 
kann. 

15.  So  soil  der  Weise  diesen  Unterschied  erfassen  zwischen 
dem  Sattvam  [als  Vertreter  der  Prakriti]  und  dem  Kshetrajna; 
(7704.)  wenn  er  mit  Fleifs  sich  dieser  Sache  hingibt,  wird  er 
er  nicht  wieder  in  die  Prakriti  verfallen. 

16.  Diesen  aufgetauchten  Zweifel  loste  der  heilige  Bishi, 
(7705.)  und  so  soil  man  nach  einer  Kunde  ausschauen,  welche 
den  von  ihm  gegebenen  Andeutungen  entsprechend  ist. 

17.  Gleichwie  die  vom  Feuer  gerosteten  Samenkorner 
nicht  wieder  keimen  konnen,   (7706.)  so  wird  der  Atman  mit 


Adhyaya  211  (B.  211).  251 

den  durch  die  Erkenntnis  verbrannten   Ubelstanden   fklegaj 
nicht  mehr  behaftet. 

So  lautet  im  Mokshadharma  VArshneya  als  das  innere  Selbst 

(Vdrshneija  -  adliydtritam). 


Adhyaya  313  (B.  313). 

Vers  7707-7741  (B.  1-33). 

Bhishma  sprach: 

1.  (7707.)  So  wie  die  auf  Tatigkeit  zielende  Lebensregel 
[von  den  gewohnlichen  Menschen]  vollstandig  begriffen  wird, 
ebenso  haben  die,  welche  in  der  Erkenntnis  fest  gegriindet 
sind,  kein  Wohlgef alien  an  irgendeinem  andem  Prinzip. 

2.  (7708.)  Schwer  zu  finden  sind  Vedakenner,  die  in  den 
Vedaworten  vollstandig  bewandert  sind ;  aber  wegen  der  Grofse 
des  Ansporns  {prayojanamahattvat  mit  C.)  streben  sie  dem 
vielgepriesenen  Wege  nach. 

3.  (7709.)  Hingegen  ist  dieses  [kontemplative]  Verhalten, 
weil  es  von  edlen  Menschen  befolgt  wurde,  untadelig;  dieses 
ist  die  Erkenntnis,  durch  welche  man,  nachdem  man  sie  er- 
griffen  hat,  den  hochsten  Gang  geht. 

4.  (7710.)  Die  verkorperte  Seele  nimmt  aus  Verblendung 
allerlei  Anhangsel  an  und  verbindet  sich  mit  Zustanden  {hhavaj^ 
wie  Zorn  und  Begierde,  welche  aus  dem  Rajas  und  Tamas 
entspringen. 

5.  (7711.)  Darum  soil  man  in  dem  Streben,  seinen  Leib 
zu  erhalten,  nichts  Unlauteres  begehen,  denn  wer  durch  sein 
Werk  sich  eine  Blofse  gibt,  der  wird  die  schonen  Welten 
nicht  erlangen. 

6.  (7712.)  Wie  das  mit  Erz  vermischte  Gold,  solange  es 
noch  nicht  ausgeschmolzen  ist,  nicht  erglanzt,  so  leuchtet 
auch  das  Wissen  nicht  auf,  solange  es  noch  erscheint  als 
nicht  aus  der  Unreinheit  ausgeschmolzen. 

7.  (7713.)  Und  wer  noch  am  Unrecht  festhalt  und  aus 
Begierde  von  Lust  und  Zorn  sich  treiben  lafst,  der,  auch 
wenn  er  den  rechten  Weg  betreten  hat,  geht  doch  mitsamt 
seinem  Anhange  zugrunde. 


252  in.    Mokshadharma. 

8.  (7714.)  Darum  moge  einer  nicht  aus  leidenschaftlicher 
Lust  den  Sinnendingen ,  wie  Tonen  usw.,  nachhangen;  denn 
Zorn,  Freude  und  Verzweiflung  werden  eines  aus  dem  andern 
geboren. 

9.  (7715.)  Da  dieser  Leib  aus  fiinf  Elementen  besteht  und 
aus  Sattvam,  Rajas  und  Tamas  gebildet  ist,  was  kann  einer 
dabei  sagen,  wen  kann  er  mit  Lobpreis  erheben,  wen  kann 
er  tadelnd  anfahren? 

10.  (7716.)  Torichte  Menschen  geraten  in  eine  Abhangig- 
keit  von  Beriihrung,  Gestalt,  Geschmack  usw.,  und  weil 
sie  nur  dieses  Wissen  besitzen,  begreifen  sie  nicht,  dafs  ihr 
leibliches  Selbst  eine  erdartige  Qualitat  ist. 

11.  (7717.)  So  wie  ein  Lehmhaus  nur  mit  Lehm  iiberschmiert 
wird,  ebenso  schiitzt  sich  dieser  aus  Erde  gebildete  Leib  vor 
dem  Untergange  nur  durch  erdentstammende  Produkte. 

12.  (7718.)  Honig,  01,  Milch,  Butter,  Fleisch,  Salz  und 
Melasse,  Getreidekorner ,  Friichte  und  Wurzeln,  sowie  auch 
das  Wasser  sind  erdentstammende  Produkte. 

13.  (7719.)  Wie  einer,  der  in  der  Wildnis  wohnt,  seinem 
Verlangen  nachgibt  und  von  den  Dorfbewohnern  Speise  an- 
nimmt,  auch  wenn  sie  nicht  wohlschmeckend  ist,  um  nur 
sein  Leben  zu  fristen, 

14.  (7720.)  so  moge  der,  welcher  in  der  Wildnis  des  Sam- 
sara  wohnt  und  Kasteiungen  mit  Bifer  betreibt,  um  der  Fristung 
des  Lebens  willen  Nahrung  einnehmen,  wie  der  Kranke  die 
Arznei. 

15.  (7721.)  Mit  Wahrhaftigkeit,  Reinheit,  Geradheit,  Ent- 
sagung,  Hoheit  und  Mut,  mit  Geduld  und  Festigkeit,  mit 
Einsicht,  Verstand  und  Enthaltsamkeit 

16.  (7722.)  soil  man  alle  Gemiitszustande  (hhava)  betrach- 
ten  als  von  aufsen  herandringend  und  zur  Sinnenwelt  gehorig 
und  nach  Frieden  suchend  mit  heiterem  Geiste  seine  Sinne 
bezahmen. 

17.  (7723.)  Aber  verwirrt  durch  Sattvam,  Rajas  und  Tamas, 
werden  die  Menschen  wie  Rader  gewaltsam  im  Kreise  um- 
gewirbelt  infolge  ihres  Nichtwissens. 

18.  (7724.)  Darum  moge  man  die  Fehler,  welche  aus  dem 
Nichtwissen  entspringen,  griindlich  prufen  und  das  aus  dem 


Adhy^ya  212  (B.  212).  253 

Nichtwissen    hervorgehende    Ubel,    namlich    den    Egoismus 
fahankdraj  meiden. 

19.  (7725.)  Die  grofsen  Elemente,  die  Sinnesorgane  und 
die  Guna's,  Sattvam,  Rajas  und  Tamas,  ja  die  ganze  Drei- 
welt  mitsamt  dem  tgvara,  das  alles  grundet  sich  auf  den 
Egoismus  fahafiharaj . 

20.  (7726.)  So  wie  hienieden  die  regelmafsig  verlaufende 
Zeit  die  Eigenschaften  der  Jahreszeiten  zur  Erscheinung  bringt, 
so,  wisse  man,  bringt  der  Egoismus  an  den  Wesen  ilire  Werke 
hervor. 

21.  (7727.)  Das  Tamas  soli  man  begreifen  als  verblendend, 
schwarz,  aus  Nichtwissen  entspringend,  und  ebenso  [das  Satt- 
vam und  Rajas]  als  mit  Lust  und  Schmerz  verkniipft;  als 
solche  soil  man  alle  die  drei  Guna's  wissen. 

22.  (7728.)  Nun  vernimm  folgendes  als  die  Qualitaten  des 
Sattvam,  des  Rajas  und  des  Tamas.  Heiterkeit,  Zufriedenheit, 
welche  aus  der  Freudigkeit  entspringt,  Zweifelsfreiheit,  Festig- 
keit  und  Erinnerung,  (7729.)  diese  wisse  als  die  Qualitaten  des 
Sattvam,  und  die  folgenden  als  die  des  Rajas  und  Tamas. 

23.  Sie  sind  Begierde,  Zorn,  Unbesonnenheit,  Liistern- 
heit,  Verblendung,  Furcht  und  Schlaffheit,  (7730.)  sowie  Ver- 
zagtheit,  Kummer,  Unlust,  Hochmut,  Stolz  und  unedle  Ge- 
sinnung. 

24.  Indem  man  von  diesen  und  anderen  Fehlern  die 
Schwere  oder  Leichtigkeit  in  Betracht  zieht,  (7731.)  priife  man 
daraufhin  seinen  eigenen  Zustand  im  einzelnen  fort  und  fort. 

Yudhishthira  sprach : 

25.  (7732.)  Welche  Fehler  werden  durch  das  Manas  ab- 
gestreift,  und  welche  werden  durch  die  Buddhi  gelockert, 
welche  stellen  sich  immer  wieder  und  wieder  ein,  und  gegen 
welche  ist  zufolge  der  Verblendung  das  Ankampfen  nahezu 
fruchtlos  ? 

26.  (7733.)  Und  welches  sind  die  Eigenschaften,  deren 
Starke  oder  Schwache  man  durch  Vernunft  und  Griinde  ab- 
wagen  soil?  Dariiber,  0  Freund,  besteht  bei  mir  Zweifel, 
den  lose  mir,  o  Grofsvater. 


254  in.    Mokshadharma. 

Bhishma  sprach: 

27.  (7734.)  Indem  er  die  Fehler  mit  der  Wurzel  ausrottet, 
wird  einer  gereinigten  Selbstes  von  ihnen  erlost;  er  vernichtet 
das  ihm  Angeborene,  wie  Eisen  das  aus  Eisen  Bestehende 
vernichtet,  (7735.)  und  indem  er  so  sein  Selbst  bereitet  hat, 
geht  [das  ihm  Anhaftende]  mitsamt  den  angeborenen  Fehlern 
zugrunde. 

28.  Das  Rajashafte  und  Tamashafte,  sowie  auch  das 
siindlose,  dem  reinen  Selbste  Angehorige,  (7736.)  das  alles 
bildet  den  Samen  der  Verkorperten ;  das  Sattvam  hat  der 
Atmanhafte  mit  ihnen  gemeinsam. 

29.  Darum  soil  der  Atmanhafte  das  Rajas  und  das  Tamas 
abstreifen;  (7737.)  dann  gelangt  sein  Sattvam,  von  Rajas  und 
Tamas  befreit,  zur  fleckenlosen  Reinheit. 

30.  Hingegen  diirfte  man  sagen,  dafs  das  Vedahafte  zur 
Erlangung  des  Atman  ein  schlechter  Weg  ist,  (7738.)  vielmehr 
ist  es  die  Ursache  dafiir,  dafs  man  ihn  nicht  erlangt  und  ein 
unreines  Gesetz  [durch  Tieropfer  usw.]  beobachtet. 

31.  Das  Rajas  ist  es,  durch  welches  man  die  mit  Un- 
recht  behafteten  Werke  ergreift  (7739.)  und  auf  Zwecke  Ge- 
richtetes  iiber  die  Mafsen  verfolgt  und  alle  Begierden. 

32.  Durch  das  Tamas  hingegen  pflegt  das,  was  mit  Ge- 
liisten  verbunden  ist  und  aus  Zorn  entspringt,  derjenige, 
(7740.)  der  an  Schadigung  und  Zerstreuung  sich  ergotzt,  trage 
und  dem  Schlafe  ergeb^n. 

33.  Und  endHch,  wer  im  Sattvam  feststeht,  der  schaut 
die  sattvahaften,  reinen  Gemiitszustande  (hhdvaj  und  griindet 
sich  auf  sie;  (7741.)  dieser  ist  der  fleckenlose,  gliicksehge  Ver- 
korperte,  begabt  mit  Glauben  und  Wissenschaft. 

So  lautet  im  Mokshadharma  Y&rshneya  aU  das  innere  Selbst 

(  Vdrshneya  -  adfiydtmam). 


Adhyaya  213  (B.  213).  255 

Adhyaya  313  (B.  213). 

Vers  7742-7763  (B.  1-21). 

Bhlshma  sprach: 

1.  (7742.)  Durch  Rajas  wird  die  Verblendung  bewirkt  und 
durch  Tamas,  o  Stier  der  Bharata's;  [aus  ihr  folgen]  Zom, 
Habgier,  Furcht  und  Hochmut,  wer  diese  zur  Ruhe  bringt, 
der  ist  rein. 

2.  (7743.)  Den  obersten,  hochsten  Atman,  den  unvergang- 
lichen,  ewigen  Gott  Vishnu,  der  im  Unentfalteten  seinen  Stand- 
ort  hat,  den  wissen  sie  als  den  besten  Gott. 

3.  (7744.)  In  die  von  ihm  ausgehende  Illusion  fmdydj  ver- 
strickt,  der  Erkenntnis  beraubt  und  ohne  Besonnenheit  sind 
die  Menschen;  wegen  dieser  Verblendung  ihrer  Erkenntnis 
verfallen  sie  in  Zorn. 

4.  (7745.)  Durch  den  Zorn  geraten  sodann  in  Begierde,  in 
Habsucht  und  Verblendung  die  Menschen,  in  Stolz,  Hochmut 
und  Egoismus  und  durch  den  Egoismus  zu  Werken; 

5.  (7746.)  durch  die  Werke  in  die  Fesseln  der  Weltliebe, 
durch  die  Weltliebe  sodann  in  Kummer,  und  indem  sie  von 
Lust  und  Schmerz  zum  Tun  angetrieben  werden,  verstreichen 
ihnen  die  Augenblicke  des  Daseins  in  Geburt  und  Ungeburt 
(Tod). 

6.  (7747.)  Von  der  Zeugung  an  das  Wohnen  im  Mutter- 
leibe,  die  Entstehung  aus  Samen  und  Blut,  welche  von  Kot 
und  Urin  benetzt  und  durch  die  Entstehung  aus  dem  Blute 
unsauber  ist, 

7.  (7748.)  das  sind  die  Dinge,  durch  welche  der  von  Be- 
gierde (trishndj  Uberwaltigte  gebunden  wird,  und  indem  er 
diese  bei  sich  herumgehen  lafst,  wird  er  begreifen :  die  Weiber 
sind  es,  welche  das  Gewebe  des  Samsara  fortsetzen. 

8.  (7749.)  Sie  sind  von  Natur  {prdkrityd  mit  C.)  das  Acker- 
land  fhshetramj ,  die  Manner  sind  ihrem  Wesen  nach  die 
Kshetrajfia's  (Kenner  des  Ackerlandes,  auch  Seelen).  Darum 
soil  der  Mann  sie  ohne  Unterschied  ganz  besonders  meiden. 

9.  (7750.)  Denn  verschmitzt  sind  sie  und  von  schreck- 
licher  Art  und  betoren   den  Unkundigen;   sie   sind  ganz  in 


256  III.   Mokshadharma. 

Rajas  ver sunken  und  eine  ewige  Verkorperung  der  Sinnlich- 
keit  findriydndmj . 

10.  (7751.)  Aus  dieser  in  ihnen  verkorperten  Leidenschaft 
als  Samen  entstehen  die  Kinder,  und  wie  man  die  aus  dem 
eigenen  Leibe  geborenen  und  doch  nicht  als  das  eigene  Selbst 
zu  bezeichnenden  Wiirmer  aus  dem  Leibe  entfernt,  (7752.)  so 
soil  man  die  als  eigenes  Selbst  bezeichneten  und  doch  nicht 
dieses  Selbst  seienden,  Kinder  genannten  Wiirmer  von  sich 
fernhalten. 

11.  Aus  dem  Samen  und  dem  Blutsafte  entstehen  aus 
dem  Korper  die  Nachkommen,  (7753.)  sei  es  durch  Naturnot- 
wendigkeit  oder  durch  den  Zusammenhang  mit  Werken  in 
einer  friiheren  Geburt ;  der  Weise  wird  ihnen  keine  Beachtung 
schenken. 

12.  Das  Rajas  ist  dem  Tamas  eingefiigt  und  das  Sattvam 
griindet  sich  auf  das  Rajas;  (7754.)  das  [aus  alien  dreien  be- 
stehende]  Unentfaltete  ist  der  Standort  des  Bewufstseins  und  hat 
[potentiell]  als  Merkmale  in  sich  die  Buddhi  und  den  Ahaiikara. 

13.  Dieses  Unentfaltete  nennt  man  den  Samen  der  Ver- 
korperten, und  dieser  Same  heifst  individuelle  Seele  (jwa)\ 
(7755.)  durch  die  Werke  [in  einer  friiheren  Geburt]  im  Verein 
mit  der  Zeit  erhalt  sich  der  Samsara  in  Umdrehung. 

14.  So  wie  die  Seele  im  Traume  sich  nur  mittels  des 
Manas  ergotzt,  als  hatte  sie  einen  Leib,  (7756.)  so  wird  sie  nur 
durch  die  die  Werke  als  Keim  habenden  Qualitaten  in  einem 
Mutterleibe  empfangen. 

15.  Jedes  Organ,  welches  aus  dem  Werke  als  Samen  zum 
Aufkeimen  gebracht  wird,  (7757.)  das  wird  aus  dem  Egoismus 
(ahanMroJ  durch  den  von  Geschlechtstrieb  frdgaj  erfiillten 
Willen  geboren. 

16.  Aus  dem  Verlangen  frdgaj  nach  dem  Tone  entsteht 
das  Ohr  bei  der  sich  gestaltenden  Seele  (7758.)  und  aus  dem 
Verlangen  nach  Gestalten  das  Auge,  aus  dem  Wunsch  zu 
riechen  das  Geruchsorgan ; 

17.  und  ebenso  verhalt  sich  zum  Beriihren  die  Haut. 
,Der  Wind  nimmt  seinen  Standort  in  Prana  und  Apana,  (7759.) 
(diese  nebst]  Vyana,  Udana  und  Samana  bewirken  zu  fiinfen 
die  Erhaltung  des  Leibes.  [ 


.    Adhyaya  213  (B.  213).  257 

18.  Mit  den  zugleich  entstehenden,  aus  den  Werken  ent- 
spriefsenden  Gliedern  wird  der  Mensch  von  der  Korperfiille 
umhiillt  geboren,  (7760.)  mit  den  Gliedern,  welche  Schmerz, 
korperlichen  und  geistigen  Schmerz,  als  Anfang,  Mitte  und 
Ende  haben. 

19.  Der  Schmerz  entspringt  aus  der  Anklammerung  an 
das  Dasein,  und  er  wird  durch  den  Eigendlinkel  gesteigert; 
(7761.)  durch  Entsagung  wird  Befreiung  von  dem  allem  er- 
reicht,  und  wer  die  Befreiung  erkennt,  der  wird  erlost. 

20.  Im  Rajas  nur  haben  die  Organe  beides,  ihren  Ur- 
sprung  und  Vergang;  (7762.)  umsichtig  moge  der  Weise  ein- 
herwandeln,  wie  es  sich  gebiihrt,  mit  der  Lehre  als  Auge. 

21.  Dann  werden  die  Erkenntnisorgane  frei  von  Begierde 
nicht  mehr  nach  den  Sinnendingen  streben,  (7763.)  und  indem 
sie  ihre  Organe  dahinten  lafst,  wird  die  Seele  nicht  wiederum 
einen  Kiirper  anzunehmen  brauchen. 

So  lautet  im  Mokshadfaarma  Varshneya  als  das  innere  Selbst 
C  Vdrshneya  -  adhydtiiiam). 


Adhyaya  214  (B.  314). 

Vers  7764-7792  (B.  1-29). 

Bhishma  sprach: 

1.  (7764.)  Nun  will  ich  dir  das  Mittel  verkiinden  der  Wahr- 
heit  gemafs;  wer  mit  der  Lehre  als  Auge  die  Prinzipien  er- 
kennend  dahinwandelt ,  o  Konig,  der  wird  das  hochste  Ziel 
erlangen. 

2.  (7765.)  Unter  alien  Wesen  gilt  fiir  das  hochste  der 
Mensch,  unter  den  Menschen  stehen  am  hochsten  die  Zwie- 
geborenen,  unter  den  Zwiegeborenen  die  Kenner  des  Veda. 

3.  (7766.)  Sie  sind  zum  Selbste  aller  Wesen  geworden, 
sind  allwissend  und  allschauend;  die  Brahmanen,  welche  die 
Lehre  des  Veda  kennen,  sind  iiber  den  Sinn  der  Wesenheit 
zur  Gewifsheit  gelangt. 

4.  (7767.)  Wie  einer,  dem  das  Auge  fehlt,  auf  seiner  Wan- 
derung  in  Not  gerat,  so  ist  in  dieser  Welt  einer,  dem  das  Wissen 
fehlt.    Darum  sind  die  Wissenden  den:  anderen  iiberlegen. 

Decssen,  Mahabhiratam.  J7 


258  HI.    Mokshadharraa. 

5.  (7768.)  Die  Freunde  der  Satzungen  verehren  der  heiligen 
Uberlieferung  gemafs  diese  oder  jene  Satzungen;  ihr  Ziel  ist 
nicht  das  gleiche  [wie  das  der  Wissenden],  aufser  dafs  sie 
folgende  Tugenden  erlangen: 

6.  (7769.)  Reinheit  in  Rede,  Leib  und  Gedanken,  Geduld, 
Wahrhaftigkeit,  Festigkeit  und  Erinnerung  [sind  ihnen  eigen] ; 
und  die  aller  Satzungen  Kundigen  weisen  schone  Tugen- 
den auf. 

7.  (7770.)  Aber  jene  Verkorperung  des  Brahman,  welche 
Brahmanwandel  genannt  wird,  steht  hoher  als  alle  Satzungen, 
und  nur  durch  diesen  geht  man  den  hochsten  Gang 

8.  (7771.)  zu  demjenigen,  welches  von  der  Verkniipfung 
mit  Merkmalen  frei  und  des  Tones  sowie  der  Beriihrung  er- 
mangelnd  ist,  welches  durch  das  Ohr  zum  Horen  und  durch 
das  Auge  zum  Sehen  wird, 

9.  (7772.)  welches  im  Sprechen  der  Rede  sich  betatigt, 
aber  dem  Verstande  entriickt  ist.  Mit  Einsicht  soil  man  sich 
entschlielsen  zu  dem  siindlosen  Brahmanwandel; 

10.  (7773.)  wer  ihn  vollkommen  verwirklicht,  der  gelangt 
zur  Brahmanwelt,  der  mittelmafsig  Strebende  hingegen  ge- 
langt zu  den  Gottern,  und  wer  nur  ein  geringes  Streben  betatigt, 
der  wird  als  Bester  der  Zwiegeborenen,  als  Weiser  geboren. 

11.  (7774.)  Schwer  zu  verwirklichen  ist  der  Brahman- 
wandel, vernimm  das  Mittel,  welches  dazu  dient.  Wenn  das 
Rajas  sich  entflammt  und  machtig  emporstrebt,  soil  der  Zwie- 
geborene  es  dampfen. 

12.  (7775.)  Einem  Gesprache  iiber  die  Weiber  soil  er  nicht 
zuhoren,  sie  auch  nicht  ansehen,  wenn  sie  unbekleidet  sind; 
beim  zufalligen  Anblicke  solcher  iiberkommt  (durhaldn  dviget 
mit  C.)  schwache  Menschen  das  Rajas. 

13.  (7776.)  Gerat  er  in  Leidenschaft,  so  soil  er  sich  der 
Fastenbufse  (kricchra,  vgl.  Manu  XI,  213)  unterziehen;  wird 
er  sehr  von  ihr  befallen,  so  soil  er  sich  ins  Wasser  setzen; 
geschieht  es,  wahrend  er  in  Schlaf  versunken  ist,  so  soil  er  in 
Gedanken  dreimal  das  Siindentilgungsgebet  (aghamarshanam, 
angebhch  Rigveda  X,  190,  vgl.  jedoch  Brih.  Up.  6,4,4-5) 
murmeln. 

14.  (7777.)  Auf  diese  Weise  wird  er  die  aus  dem  innern 


Adhyaya  214  (B.  214).  259 

Rajas  entsprungene  Siinde  verbrennen  als  ein  Verstandiger 
mittels  des  mit  Erkenntnis  begabten  angespannten  Geistes. 

15.  (7778.)  Wie  an  eine  an  Leichen  und  Unreines  schmie- 
dende,  unzerreifsbare  Fessel,  so  soil  er  sich  selbst,  der  in  den 
Leib  eingegangen  ist,  wissen  als  an  die  Fessel  des  Leibes 
geschmiedet. 

16.  (7779.)  Den  Wind,  die  Galle,  den  Schleim,  das  Blut, 
die  Haut,  das  Fleisch,  die  Sehne  und  den  Knochen,  das  Mark 
und  den  ganzen  Korper  emahren  die  Safte  der  Menschen  ver- 
ffiittelst  des  Adernetzes. 

17.  (7780.)  Man  mufs  wissen,  dafs  es  im  Korper  zehn  Ge- 
fafsleitungen  gibt,  welche  den  fiinf  Sinnen  ihre  Qualitaten 
zufiihren;  von  diesen  aus  verbreiten  sich  andere  feine  Kanale 
tausendfach. 

18.  (7781.)  So  geschieht  es,  dafs  diese  Aderfliisse,  indem 
sie  die  Safte  spenden  (wohl  rasadd  zu  lesen),  den  Ozean  des 
Korpers  zu  ihrer  Zeit  ernahren  wie  die  Fliisse  den  Ozean. 

19.  (7782.)  Von  ihnen  befindet  sich  eine  Ader  mitten  im 
Herzen,  welche  die  Wunschleitende  fmanovahdj  heifst;  diese 
lost  bei  den  Mannern  den  aus  dem  Willen  entsprungenen 
Samen  aus  alien  GHedern  heraus. 

20.  (7783.)  Von  ihr  abhangend  verbreiten  sich  die  Gefafse 
in  alien  Gliedern,  indem  sie  [z.  B.]  in  die  Augen  gelangen 
und  ihnen  die  Lichtqualitat  zufiihren. 

21.  (7784.)  Gleichwie  die  in  der  Milch  enthaltene  Butter 
mittels  der  Quirlstabe  herausgequirlt  wird,  so  wird  im  Korper 
mittels  der  aus  dem  Willen  gebildeten  Quirlstabe  der  Same 
herausgequirlt, 

22.  (7785.)  Und  so  wie  das  aus  dem  Willen  entspringende 
Rajas  auch  im  Schlafe  das  Manas  liberkommt,  ergiefst  beim 
Manne  die  wunschleitende  fmanovahdj  Ader  aus  dem  Korper 
den  aus  dem  Willen  erzeugten  Samen. 

23.  (7786.)  Der  heilige  Atri,  der  grofse  Weise  hat  dieses 
als  den  Ursprung  des  Samens  erkannt.  Weil  der  Same  aus 
drei  Quellen  [dem  Saft  rasa^  der  Ader  manovahd  und  dem 
Willen  samJcalpa  nach  Nil.]  entspringt  und  dabei  Indra  als 
Schutzgott  hat,  darum  wird  er  auch  [hier  und  Vers  8377]  In- 
driyam  genannt. 

17* 


260  ni.   Mokshadharma. 

24.  (7787.)  Wer  so  die  Natur  des  Samens,  der  die  Ver- 
mischung  der  Wesen  bewirkt,  begriffen  hat,  der  wird  befreit 
von  Leidenschaft,  verbrennt  seine  Siinden  und  braucht  nicht 
einen  neuen  Leib  anzunehmen. 

25.  (7788.)  Er  erlangt  den  Gleichgewichtszustand  der 
Guna's  [in  dem  sie  zur  Ruhe  kommen],  und  indem  er,  nur  den 
Gang  des  Leibes  unterhaltend,  die  Lebenshauche  in  die  wunsch- 
leitende  Ader  fmanovalidj  mittels  des  Manas  hineinstofst, 
wird  er  zur  Zeit  des  Endes  erlost. 

26.  (7789.)  Es  bildet  sich  das  Wissen  des  Manas  und  das 
Manas  selbst  wird  lichtvoll,  leidenschaftslos  und  ewig,  nach- 
dem  es  in  den  Hochherzigen  durch  den  Mantra  [den  Laut  om 
nach  Nil.]  zur  Voilendung  gelangt  ist. 

27.  (7790.)  Darum  soil  man,  um  jenes  [Rajas]  nieder- 
zuwerfen,  nur  fleckenlose  Werke  tun,  dann  lafst  man  Rajas 
und  Tamas  hienieden  zuriick  und  wandelt  den  erwiinschten 
Weg. 

28.  (7791.)  Dann  geht  das  vom  Jiingling  erworbene  Wissen 
in  die  Kraftlosigkeit  des  Greisenalters  ein,  und  gereift  an  Ein- 
sicht  erlangt  man  mit  der  Zeit  geistige  Kraft. 

29.  (7792.)  So  wie  einer  auf  die  Bindung  durch  die  Guna's 
wie  auf  einen  beschwerlichen  Weg,  den  er  hinter  sich  hat, 
zuriickblickt,  so  hat  er  die  Fehler  hinter  sich  gebracht  und 
erlangt  die  Unsterblichkeit.  i 

So  lautet  im  Mokshadharma  Varshneya  als  das  innere  Selbst 
(  Vdrshneya  -  adhydtmam). 


Adhyaya  315  (B.  215). 

Vers  7793-7820  (B.  1-27). 

Bhishma  sprach: 

1.  (7793.)  Die  Menschen ,  welche  den  iibel  endigenden 
Sinnendingen  anhangen,  sinken  herab,  aber  die  Hochherzigen, 
welche  nicht  an  ihnen  hangen,  gehen  den  hochsten  Gang. 

2.  (7794.)   Von   Geburt,  Tod,  Alter  und  Schmerzen,  von 


Adhyaya  215  (B.  215).  261 

Krankheiten  und  geistigen  Schwachen  die  Welt  durchdrungen 
sehend,  moge  der  Weise  nach  Erlosung  streben. 

3.  (7795.)  An  Rede,  Gedanken  und  an  Leib  rein  moge  er 
sein,  und  ohne  Selbstsucht,  beruhigt,  erkenntnisreich ,  als 
Bet  tier  und  unbekiimmert  wird  er  glucklich  dahinwandeln. 

4.  (7796.)  Und  wenn  er  sich  auf  einer  Anhanglichkeit 
seines  Geistes  betrifft  aus  Mitleid  mit  den  Geschopfen,  so 
moge  er  auch  hierauf  keine  Riicksicht  nehmen,  indem  er  be- 
greift,  dafs  die  Welt  der  Lebenden  die  Frucht  ihrer  eigenen 
Werke  biifst. 

5.  (7797.)  Was  an  guten  Werken  getan  worden  ist  oder 
je  nach  Umstanden  an  bosen,  das  erntet  der  Mensch;  darum 
soil  man  gute  Werke  vollbringen  in  Reden  {vdg  mit  C),  Ge- 
danken und  Taten. 

6.  (7798.)  Nicht-Sohadigung,  Wahrhaftigkeit  und  Recht- 
schaffenheit  gegen  alle  Wesen,  Geduld  und  Behutsamkeit, 
wer  diese  iibt,  der  wird  gliicklich. 

7.  (7799.)  Darum  soil  man  einen  durch  Einsicht  in  Samm- 
lung  gehaltenen  Verstand  unter  den  Wesen  betatigen;  wer 
diese  hochste,  alle  Wesen  erfreuende  Pflicht 

8.  (7800.)  als  den  Ausweg  aus  dem  Leiden  erkannt  hat, 
der  ist  allweise  und  glucklich;  darum  soil  man  einen  durch 
Einsicht  in  Sammlung  gehaltenen  Verstand  unter  den  Wesen 
betatigen. 

9.  (7801.)  Man  soil  nicht  verachten  und  nicht  begehren, 
nichts  Ziigelloses,  Ungehoriges  denken,  dann  wird  man  mit 
erfolgreicher  Anstrengung  seinen  Geist  in  der  Erkenntnis  zur 
Ruhe  bringen,  (7802.)  dann  wird  er  sich  nicht  vergeblich  mit 
Reden  abmiihen,  dann  entwickelt  sich  in  lieblicher  Weise 

10.  die  Freude  am  Reden,  die  heilsame  Rede  und  die 
Riicksicht  auf  das  verborgene  Gesetz;  (7803.)  dann  wird  er 
wahre  und  heilsame  Rede  fiihren,  welche  nicht  absprechend  ist, 

11.  welche  frei  von  Schmutz  ist,  nicht  rauh,  nicht  feind- 
selig  und  nicht  verleumderisch ;  (7804.)  derartiges  und  Spar- 
liches  soil  man  sprechen  mit  nicht  zerfahrenem  Geiste. 

12.  An  Reden  gekettet  ist  der  Samsara,  und  wenn  er  in 
leidenschaftlichen  Reden  sich  ergeht,   (7805.)  so  wird  er,  ob- 


2^2  ni.    Mokshadbarma. 

gleich    sein   Manas    durch    Einsicht   gefordert   ist,    dennoch 
tamas-artige  Werke 

13.  vermoge  seiner  Organe,  die  ja  aus  dem  Rajas  ent- 
sprungen  sind,  in  seinem  Tun  vollbringen.  (7806.)  Dann  gerat 
er  in  Leid  in  dieser  Welt  und  verf  allt  der  HoUe ;  darum  soil 
man  mit  Denken,  Rede  und  Leib  die  Festigkeit  seines  Atman 
betatigen. 

14.  (7807.)  Als  eine  mannigfach  zusaramengesetzte  Last 
tragt  man  [den  Samsara]  —  wie  wenn  sie  von  Raubern  fort- 
geschleppt  wird  in  einer  Gegend,  die  sie  als  gefahrlich  er- 
kennen  —  so  tragen  unweise  Menschen  den  Samsara. 

15.  (7808.)  Und  wie  der  Rauber  ebendiese  Last  von  sich 
wirft  und  in  eine  ungefahrliche  Gegend  gelangt,  so  wirft 
einer  die  Werke  des  Rajas  und  Tamas  von  sich  ab  und  ge- 
langt zum  Heile. 

16.  (7809.)  In  zweifelsfreier  Weise,  des  Strebens  ledig  und 
von  allem  Anhang  erlost,  abgesondert  lebend,  wenig  essend, 
Askese  iibend  und  die  Sinne  bezahmend, 

17.  (7810.)  durch  Erkenntnis  die  Beschwerden  verbrannt 
habend,  seines  Unternehmens  sich  freuend  und  seines  Atman 
sich  bewufst,  so  erlangt  man  mit  nicht  abschweifendem  Geiste 
jenes  Hochste. 

18.  (7811.)  Voll  Festigkeit  und  seines  Selbstes  sich  be- 
wufst, soil  man  frei  von  Zweifel  seine  Buddhi  ziigeln,  soil 
man  das  Manas  durch  die  Buddhi  ziigeln  und  die  Sinne 
wiederum  durch  sein  Manas. 

19.  (7812.)  Wenn  einer  so  seine  Sinne  ziigelt  und  sie  der 
Herrschaft  des  Manas  unterwirft,  dann  leuchten  die  Gott- 
heiten  [der  Sinnesorgane]  hervor  und  gehen  freudig  ein  zu 
ihrem  Herrn  [dem  Manas]. 

20.  (7813.)  Und  aus  dem  mit  ihnen  verbundenen .  Manas 
leuchtet  sodann  das  Brahman  hervor,  und  indem  auch  das 
Sattvam  nach  und  nach  schwindet,  wird  man  tauglich  zur 
Brahmanwerdung. 

21.  (7814.)  Oder  sie  kommt  nicht  zur  Entwicklung,  —  dann 
moge  man  es  durch  Fortwebung  des  Yoga  versuchen  und 
das,  wodurch  dem  das  Gewebe  Fortwebenden  ein  Erfolg  zu- 
tejl  wird ,  betreiben. 


Adhyaya  215  (B.  215).  263 

22.  (7815.)  Auch  sind  da  Korner,  Fnichtschleim,  Olkuchen, 
Gemiise  und  Gerstengriitze,  sowie  Wurzeln,  Friichte  und  Er- 
betteltes,  das  moge  er  abwechselnd  geniefsen. 

23.  (7816.)  Auch  eine  sattva-artige  Beschrankung  der  Nah- 
rung  nach  Ort  und  Zeit  moge  man  dabei  wohlbedachtig  be- 
folgen ,  dies  ist  der  Entwicklung  fdrderlich. 

24.  (7817.)  Was  sich  entwickelt,  das  moge  man  nicht 
hemmen ;  nach  und  nach  wie  ein  Feuer  moge  man  zum  Brennen 
bringen  dies  von  dem  Wissen  Begleitete ;  dann  wird  der  Sonne 
gleich  das  Wissen  aufleuchten. 

25.  (7818.)  Das  Wissen  wird  iiberwaltigt  von  dem  Nicht- 
wissen,  alle  drei  Welten  werden  von  ihm  iiberwaltigt  und 
das  durch  Erkenntnis  gewonnene  Wissen  wird  durch  das 
Nicht -Wissen  herabgezogen. 

26.  (7819.)  Durch  Isoherung  und  Hingebung  ohne  Murren 
erkennt  man  das  Ewige,  und  die  Befreiung  von  jenen  beiden 
[empirischem  Wissen  und  Nicht- Wissen]  erkennend,  wird  raian 
frei  von  Leidenschaft  und  der  Erlosung  teilhaft. 

27.  (7820.)  Uber  das  Leben  hinauskommend  und  Alter  und 
Tod  iiberwindend,  erlangt  er  jenes  ewige,  unsterbliche  Brah- 
man, welches  jenes  Unzerstorbare  und  Unvergangliche  ist. 

Ho  lantet  im  Mokshadharma  Ydrehneya  als  dag  innere  Selbst 
C  VdrsJmeya  -  adhydtmam). 


Adhyaya  216  (B.  316), 

Vers  7821-7841  (B.  1-20). 

Bhishma  sprach: 

1.  (7821.)  Von  dem,  welcher  einen  fleckenlosen  Brahman- 
wandel  bestandig  zu  beobachten  wiinscht,  mufs  mit  aller 
Kraft  der  Schlaf  gemieden  werden  in  Anbetracht  der  im 
Traume  moglichen  Siinden. 

2.  (7822.)  Denn  im  Traume  wird  die  Seele  von  Rajas  und 
Tamas  iiberwaltigt,  und  auch  einem,  der  sonst  frei  von  Be- 
gehren  ist,  ergeht  es,  als  ware  er  in  einen  andern  Leib  hinein- 
gefahren. 


264  ni.    Mokshadharma. 

3.  (7823.)  Weil  das  Wachen  sich  um  das  Wissen  bemiiht, 
findet  es  um  der  Forschung  willen  ununterbrochen  statt, 
und  wegen  seiner  Versessenheit  auf  die  Erkenntnis  wacht 
einer  nachtlos  immerfort. 

4.  (78-24.)  Hier  konnte  einer  fragen:  Was  ist  das  doch 
fiir  ein  Zustand,  der  im  Traume  gleichsam  Objekte  schafft, 
und  wo  die  Seele  trotz  des  Schwindens  der  Sinne  sich  bewegt, 
als  geschahe  es  mit  einem  Korper. 

5.  (7825.)  Hierauf  dient  zur  Antwort:  Wie  Hari  (Vishnu), 
der  Herr  des  Yoga,  dieses  auffafst,  dementsprechend  schil- 
dern  es  zutreffenderweise  die  grofsen  Rishi's. 

6.  (78-26.)  Obgleich  die  Sinnesorgane  ermattet  sind,  schweift 
doch  der  Traum  iiberall  hin,  so  sagen  die  W^eisen;  denn  da 
das  Manas  nicht  auch  geschwunden  ist,  so  hat  es,  wie  sie 
sagen,  dieses  oder  jenes  Traumgesicht. 

7.  (7827.)  Auch  bei  dem  Wachenden  entsteht  in  dem  durch 
Tatigkeit  in  Anspruch  genommenen  Manas  die  Vorstellung, 
und  je  nachdem  nun  ein  Vorwiegen  der  W^iinsche  stattfindet, 
dementsprechend  ergeht  sich  das  Manas  im  Traume. 

8.  (7828.)  Der  von  Verlangen  beseelte  Geist  erlangt  dabei 
aus  den  unzahHgen  Lebenslaufen  im  Samsara  jenes  Ge- 
wiinschte,  denn  der  oberste  Purusha  ist  sich  alles  dessen 
bewufst,  was  im  Manas  verborgen  Hegt. 

9.  (7829.)  Oder  wenn  es  von  den  Guna's  herriihren  und 
durch  Werke  bedingt  sein  soDte,  alles  legen  die  Wesen  an 
den  Tag,  was  und  wie  es  als  Manas  gestaltet  worden  ist. 

10.  (7830.)  Dann  iiberkommen  die  aus  dem  Rajas,  Tamas 
oder  auch  Sattvam  stammenden  Qualitaten  je  nach  dem  Zu- 
sammenhang  mit  ihnen  den  Menschen,  in  welchem  die  Frucht 
desunmittelbarvorhergehendenLebenszurErscheinungkommt. 

11.  (7831.)  Dann  sehen  die  Menschen  wegen  ihres  Nicht- 
wissens  die  aus  Wind,  Galle  und  Schleim  aufsteigenden 
[Erscheinungen]  vermoge  ihrer  aus  Rajas  und  Tamas  hervor- 
gegangenen  Zustande,  und  auch  derartiges  gilt  fiir  unver- 
meidUch. 

12.  (7832.)  Alles,  was  einer  als  Erzeugnis  des  Manas  vor- 
stellt,  das  sieht  bei  Beruhigung  der  Sinnesorgane,  wenn  sich 
ein  Traumbild  einstellt,  das  erregte  Manas. 


Adhyaya  216  (B.  216).  265 

13.  (7833.)  Uberall  hin  dringend,  bewegt  sich  in  alien  Wesen 
ohne  Hindernis  das  Manas  vermoge  der  Macht  des  Atman; 
den  soil  man  wissen  [als  den  eigentlichen  Urheber],  denn 
alle  Sinnengotter  sind  im  Atman. 

14.  (7834.)  In  dem  Manas  ist  eine  verborgene  Pforte,  und 
in  ihm  schlummert-,  in  den  Menschenleib  eingehend,  alles 
Seiende,  Nicht-Seiende  und  Unentfaltete  als  Traumgesicht ; 
(7835.)  aber  den,  welcher  als  Selbst  aller  Wesen  in  den  Wesen 
weilt,  diesen  weifs  man  als  die  Naturbeschaffenheit  des  innern 
Selbstes. 

15.  Und  wenn  einer  mit  seinem  Manas  vermoge  seines 
Wunsches  eine  gottliche  Beschaffenheit  zu  erlangen  wiinscht, 
(7836.)  so  wisse  er,  dafs  eine  solche  auf  der  Gnade  des  Atman 
beruht,  denn  alle  Gotter  sind  im  Atman  enthalten. 

16.  Und  so  ist  das  wie  eine  Sonne  jenseits  der  Finsternis 
(Tamas)  Leuchtende  durch  Tapas  bedingt.  (7837.)  Es  ist  die 
alle  drei  Welten  erschaffende  Seele,  es  ist,  wenn  die  Finsternis 
gewichen  ist,  der  grofse  Herr  [der  Gott  Brahman]. 

17.  Denn  das  Tapas  steht  unter  dem  Schutz  der  Gotter 
und  das  tapas -schadigende  Tamas  unter  dem  der  Damonen. 
(7838.)  Das  ist  es,  was  die  Gotter  und  was  die  Damonen  be- 
htiten,  und  seine  Kenntnis  gilt  als  das  Merkmal  des  wahren 
Wissens. 

18.  Sattvam,  Rajas  und  Tamas  weifs  man  als  die  Quali- 
taten  der  Gotter  und  Damonen;  (7839.)  das  Sattvam  soil  man 
wissen  als  die  Qualitat  der  Gotter,  die  beiden  anderen  als 
Qualitaten  der  Damonen. 

19.  Jenes  Brahman  ist  das  hochste  Wissen,  das  unsterb- 
liche,  unvergangliche  Licht;  (7840.)  die,  welche  es  mit  be- 
reitetem  Geiste  erkennen,  gehen  den  hochsten  Weg. 

20.  Soviel  kann  man  argumentierend  mit  dem  Auge  des 
Wissens  erschauen  [durch  Sankhyam],  (784i.)  oder  auch  lafst 
sich  das  unvergangliche  Brahman  erkennen  mittels  Einziehung 
der  Sinnesorgane  [im  Yoga]. 

So  lautet  im  Mokshatlharma  Varshiieya  als  das  iunere  Selbst 
(Vdrxhneya  -  adkijatmam). 


266  ni.    Mokshadharma. 

AdhyAya  317  (B.  217). 

Vers  7842-7880  (B.  1-38). 

Bhishma  sprach: 

1.  (7842.)  Der  kennt  das  hochste  Brahman  nicht,  der  nicht 
die  Vierheit  [Traum,  Tiefschlaf,  attributhaftes  und  attribut- 
loses  Brahman  nach  Nil.]  kennt  und  das,  was  als  entfaltete 
und  unentfaltete  Wesenheit  von  dem  hochsten  Weisen  ver- 
kiindet  worden  ist. 

2.  (7843.)  Das  Entfaltete  hat  als  Endpunkt  den  Tod,  das 
soil  man  wissen,  das  Unentfaltete  ist  die  unsterbliche  Statte. 
Die  Satzung,  welche  als  Merkmal  die  Tatigkeit  hat,  ist  von 
dem  Weisen  Narayana  erklart  worden. 

3.  (7844.)  In  ihr  sei  das  All  gegriindet,  die  Dreiwelt  mit 
Beweglichem  und  Unbeweglichem ;  hingegen  sei  die  Satzung, 
welche  die  Nichttatigkeit  als  Merkmal  habe,  das  unentfaltete, 
ewige  Brahman. 

4.  (7845.)  Und  auch  Prajapati  hat  die  Satzung  der  Tatig- 
keit erklart:  Tatigkeit  fiihrt  zur  Wiederkehr,  Untatigkeit 
fiihrt  den  hochsten  Weg. 

5.  (7846.)  Diesen  hochsten  Gang  weifs  der  Einsame,  welcher 
die  Untatigkeit  als  Hochstes  schatzt,  dem  die  Erkenntnis  alle- 
zeit  als  hochstes  Prinzip  gilt,  der  das  Gute  und  das  Bbse 
iiberschaut. 

6.  (7847.)  Darum  soil  man  diese  beiden  erkennen,  das  Un- 
entfaltete [die  Prakriti]  und  den  Purusha,  aber  auch  das- 
jenige,  was  vom  Unentfalteten  und  Purusha  verschieden  und 
noch  grofser  als  beide  ist  [das  hochste  Brahman]. 

7.  (7848.)  Diesen  Unterschied  soil  der  Weise  ganz  be- 
sonders  im  Auge  behalten;  jene  beiden  sind  beide  ohne  An- 
fang  und  Ende  und  beide  ohne  Merkmale. 

8.  (7849.)  Beide  sind  ewig  und  unw^andelbar  und  grofser 
als  alles,  was  grofs  ist;  hierin  sind  beide  gleich,  ebenso  aber 
gibt  es  weiter  einen  Unterschied  zwischen  beiden. 

9.  (7850.)  Namlich  der  Prakriti,  welche  ihrer  Natur  nach 
schopferisch  ist  und  als  Wesen  die  drei  Gunas  hat,  entgegen- 


Adhyaya  217  (B.  217).  267 

gesetzt  ist  die  Charakteristik  des  Kshetrajfia  (Purusha),  das 
soil  man  wissen. 

10.  (7851.)  Ihn  wisse  man  als  den,  welcher  die  Entfaltungen 
der  Prakriti  anschaut  und  frei  von  den  Guna's  ist.  Unfafs- 
bar  sind  jene  beiden  Purusha's  [der  Purusha  und  das  hochste 
Brahman],  weil  sie  keine  Merkmale  haben,  und  beide  sind 
unzusammengesetzt  [kein  Aggregat]. 

11.  (7652.)  Hingegen  hat  die  Geburt  als  Merkmal  die  Zu- 
sammensetzung,  und  wie  sie  durch  die  Werke  [einer  friihern 
Geburt]  ergriffen  wird,  so  geschieht  auch  mittels  der  Organe 
die  Fortentwicklung  der  Werke  und  alles  dessen,  worin  der 
Tater  sich  betatigt;  (7853.)  dabei  wird  er  durch  Worte  und 
Namen  bezeichnet,  indem  man  [unterscheidend]  fragt:  wer 
bin  ich  und  wer  ist  jener  dort? 

12.  Gleichwie  einer,  der  einen  Turban  tragt,  sein  Haupt 
mit  drei  Tuchstreifen  umwickelt,  (7854.)  so  ist  auch  die  ver- 
korperte  Seele  umwickelt  mit  Sattvam,  Rajas  und  Tamas. 

13.  Darum  soil  man  wissen,  dafs  die  Vierheit  [die  Seele 
in  ihren  vier  Zustanden,  oben  Vers  7842]  von  den  genannten 
Ursachen  [den  Guna's]  umschlungen  ist.  (7855.)  Je  nachdem 
einer  sich  dessen  richtig  bewufst  wird,  verfallt  er  zur  End- 
zeit  nicht  der  Verblendung. 

14.  Nach  himmlischer  Seligkeit  verlangend,  moge  er  mit 
Hoheit  und  rein  an  Geist  (7856.)  in  furchtbaren  korperlichen 
Ubungen  ein  siindloses  Tapas  betreiben. 

15.  Die  Dreiwelt  ist  von  Tapas  durchdrungen  vermoge 
des  in  ihr  enthaltenen  Lichtelements,  (7857.)  und  die  Sonne 
wie  der  Mond  glanzen  am  Himmel  vermoge  des  Tapas. 

16.  Dieses  Licht  des  Tapas  ist  das  Wissen,  es  wird  in 
der  Welt  als  Tapas  geriihmt ;  (7858.)  denn  diejenige  Tatigkeit, 
welche  das  Rajas  und  Tamas  niederschlagt,  macht  das  Wesen 
des  Tapas  aus. 

17.  Der  Brahmanwandel  und  die  Nicht-Schadigung  heifst 
das  korperliche  Tapas,  (7859.)  die  Bezahmung  von  Rede  und 
Gedanke  wird  zutreffend  das  geistige  Tapas  genannt. 

18.  Die  Nahrung,  welche  den  der  Sitte  kundigen  Zwie- 
geborenen  zu  sich  zu  nehmen  erlaubt  ist,  ist  eine  besondere, 


268  ni.    Mokshadharma. 

(7860.)  und  durch  Einschrankung  der  Ernahrung   kommt  das 
rajas-artige  Bose  im  Menschen  zur  Ruhe. 

19.  Seine  Organe  gelangen  zur  Abwendung  von  der 
Sinnenwelt,  (786i.)  darum  soil  man  nur  soviel  [zur  Ernahrung] 
annehmen,  wie  zu  diesem  Zwecke  erforderlich  ist. 

20.  Dann  wird  er  zur  Zeit  des  Endes  vermoge  allmah- 
licher  Steigerung  seiner  Kraft  riistig  (786-2.)  mit  so  zuberei- 
tetem  Geiste  das  Wissen  erwerben,  welches  hinreicht  [zur 
Erlosung]. 

21.  Von  Rajas  sich  befreiend  wird  dann  der  Verkorperte, 
obgleich  noch  mit  dem  Korper  behaftet,  wie  ein  Ton  [im 
Ather]  dahinwandeln,  (7863.)  und  mit  einem  durch  Geschafte 
nicht  mehr  gestorten  Sinn  wird  er,  leidenschaftslos ,  wenn 
auch  noch  in  der  Prakriti  stehend, 

22.  vom  Korper  aus  behutsam  wandelnd,  von  dem  letzten 
Reste  der  Korperlichkeit  frei.  (7864.)  Durch  Ursachen  bedingt 
ist  jederzeit  die  Schopfung  der  Wesen  wie  auch  ihr  Vergang. 

23.  Wenn  aber  die  Erkenntnis  des  Hochsten  eingetreten 
ist,  kehrt  die  Notwendigkeit  [von  Geburt  und  Tod]  nicht 
mehr  wieder  (7865.)  fiir  diejenigen,  welche  Ende  und  Anfang 
des  Daseins  erkennen  und  unentwegt  faviparymjamj  [im  Yoga] 
dasitzen. 

24.  Andere  hingegen  klammern  sich  hartnackig  an  ihre 
Leiber  test,  schranken  ihre  Gedanken  auf  ihren  eigenen  Ver- 
stand  ein,  (7866.)  und  von  dem  schon  erreichten  Standpunkte 
herabfallend  verehren  sie  jene  [Gotter  der  Sinnesorgane] 
wegen  deren  Feinheit. 

25.  Und  so  gehen  sie  bin,  wie  sie  gekommen  sind;  in 
solchem  Falle  wird  die  Erkenntnis  nur  mit  dem  eigenen  Ver- 
stande  [statt  durch  den  Yoga]  erstrebt.  (7867.)  Mancher  hin- 
gegen iiberdenkt  wohlbereiteten  Geistes  das  Ende  des  Leibes, 
ohne  sich  auf  ihn  zu  verlassen; 

26.  andere  wiederum  sind  mit  Hingebung  und  Festig- 
keit,  wie  es  sich  gebtihrt,  Verehrer  des  Realen  [des  attribut- 
haften  Brahman  nach  Nil.],  (7868.)  oder  sie  beschaftigen  sich 
mit  der  hochsten  Gottheit,  mit  dem  Unverganglichen,  das  da 
heifset  der  Blitz  (Vaj.  Samh.  32,2  und  Kena-Up.  3,29), 

27.  dieses  verehren  sie  zur  Zeit  des  Endes,  nachdem  sie 


Adhyftya  217  (B.  217).  269 

ihre  Siinde  durch  Tapas  verbrannt  haben.    (786!>.)   Alle  diese 
Hochherzigen  gehen  den  hochsten  Gang. 

28.  Die  feine  Verschiedenheit  derselben  moge  man  priifen 
mit  dem  Auge  der  Lehre.  (787o.)  Einen  solchen,  wenn  er  das 
Ende  des  Leibes  erreicht  hat,  soil  man  wissen  als  Hochsten, 
Erlosten,  Anhanglosen, 

29.  als  vom  Luftraum  noch  verschieden  [an  Grofse],  als 
festhaltend  mit  seinem  Geiste  an  der  Beharrlichkeit.  (7871.) 
Solche  also  werden  von  der  Welt  der  Sterblichen  erlost,  da 
sie  mit  ihrem  Denken  am  Wissen  festhalten. 

30.  Zu  Brahman  geworden  und  frei  von  Rajas  gehen  sie 
sodann  den  hochsten  Gang.  (7872.)  So  beschreiben  das  Gesetz  als 
den  einzigen  Weg  die  Menschen,  welche  des  Veda  kundig  sind. 

31.  Indem  sie  ihrem  Wissen  entsprechend  die  Verehrung 
iiben,  gehen  sie  alle  den  hochsten  Gang,  (7873.)  und  die,  wel- 
chen  das  von  Triibung  freie,  unerschiltterliche  Wissen  zuteil 
wird,  auch  diese  gehen  zu  den  hochsten  Welten;  sie  werden 
erlost  entsprechend  ihrer  Kraft. 

32.  (7874.)  Zu  dem  heiligen,  unentstandenen  himmlischen 
Vishnu,  der  da  das  Unentfaltete  heifst,  gehen  mit  Liebe  die, 
welche  rein  an  Erkenntnis,  gesattigt  und  frei  von  Wiin- 
schen  sind. 

33.  (7875.)  Und  da  sie  den  Hari  (Vishnu)  als  in  ihnen 
selbst  weilend  erkannt  haben,  kehren  sie  nicht  zuriick,  son- 
dern  sind  unverganglich ,  und  jenen  hochsten  Ort,  den  un- 
zerstorbaren,  unverganglichen  erlangt  habend,  freuen  sie  sich. 

34.  (7876.)  Darin  besteht  diese  Erkenntnis,  dafs  jenes 
iiber  Sein  und  Nicht -Sein  erhaben  ist,  und  dafs  die  ganze 
Welt  in  den  Banden  des  Durstes  ftrishndj  befangen  sich  wie 
ein  Rad  im  Kreise  dreht. 

35.  (7877.)  Wie  das  Fadengewebe  der  Lotosknollen  von 
einem  Ende  zum  andern  den  Knollen  allenthalben  durchzieht, 
so  durchzieht  das  anfang-  und  endlose  Fadengewebe  des 
Durstes  den  Korper  allezeit. 

36.  (7878.)  Wie  ein  Nahender  mit  der  Nadel  den  Faden 
durch  das  Gewand  hindurch  fadelt  fsamsdrmjati),  so  wird  das 
Fadengewebe  des  Samsara  von  der  Nadel  des  Durstes  durch- 
zogen. 


270  HI.    Mokshadharma. 

37.  (7879.)  Wer  die  erschaffene  Welt  und  die  Prakriti  und 
auch  den  ewigen  Purusha  in  richtiger  Weise  unterscheidet, 
der  ist  frei  vom  Durst  und  wird  erlost. 

38.  (7880.)  Dieses  Erieuchtende,  Unsterbliche  hat  der 
heilige,  weise  Narayana  aus  Mitleid  mit  den  Wesen  verkiin- 
digt,  er,  der  das  Ziel  der  Welt  ist. 

So  laiitet  im  Mokshadharma  Varshneya  als  das  innere  Selbst 
C  Vdrs>ineya  -  adhydtrnain). 


Adhyaya  318  (B.  318). 

Vers  7881-7929  (B.  1-49). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (7881.)  Auf  welchem  Wege,  o  Kenner  der  Wege,  ist 
Janaka,  der  Konig  von  Mithila,  der  erlosungskundige,  in  die 
Erlosung  eingegangen,  indem  er  die  Geniisse  der  Menschen 
von  sich  warf? 

Bhishma  sprach: 

2.  (7882.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  auf  welchem  Wege  jener  des  Rechten 
Kundige  zu  grofser  Gliickseligkeit  gelangt  ist. 

3.  (7883.)  Der  Konig  Janaka  [nach  Nil.  ein  Nachkomme 
des  Janaka  mit  Namen  Janadeva],  der  Oberherr  des  Volkes 
in  Mithila,  war  dem  Nachdenken  iiber  die  Pflichten  hin- 
gegeben,  welche  iiber  die  Korperlichkeit  hinausfiihren. 

4.  (7884.)  In  seinem  Hause  wohnten  bestandig  hundert 
Lehrer,  welche,  in  den  verschiedenen  Lebensstadien  stehend, 
iiber  deren  besondere  Pflichten  Belehrung  erteilten, 

5.  (7885.)  Aber  mit  ihrer  Erklarung  in  betreff  des  Zu- 
standes  nach  dem  Tode  und  der  Wiedergeburt  nach  dem 
Tode  war  er,  der  an  der  heiligen  Uberlieferung  Festhaltende, 
namentlich  sofern  es  sich  um  das  Wesen  des  Atman  han- 
delte,  nicht  zufrieden. 

6.  (7886.)  Da  geschah  es,  dafs  ein  Anhanger  des  Kapila, 
ein  grofser  W^eiser,  mit  Namen  Pancagikha,  indem  er  die  ganze 
Erde  durchstreifte,  auch  nach  Mithila  kam. 


Adhyaya  218  (B.  218).  271 

7.  (7887.)  Dieser  war  in  der  Erklarung,  welche  die  Er- 
kenntnis  des  Wesens  aller  Satzungen  des  Weltverzichts 
fsannydsaj  betrifft,  von  sehr  entschlossener  Sinnesart,  iiber 
die  Gegensatze  erhaben  und  frei  von  Zweifeln. 

8.  (7888.)  Er  war  der,  welchen  sie  als  einzig  unter  den 
^¥eisen,  als  nicht  iiberwaltigt  von  Begierde  unter  den  Men- 
schen  riihmen  und  welcher  dem  ewigen  Heile,  dem  unend- 
lichen,  schwer  zu  erreichenden,  nachforschte. 

9.  (7889.)  Und  wenn  die  Sankhya's  den  Kapila  als  den 
hochsten  Weisen  und  Schopferherrn  preisen,  so  glaube  ich, 
dafs  jener  [Pancagikha]  leibhaftig  fsvayamj  in  dessen  [Ka- 
pila's]  Gestalt  die  Welt  in  Erstaunen  setzt. 

10.  (7890.)  Er  war  der,  welchen  sie  als  den  ersten  Schiiler 
des  Asuri,  als  den  Langlebenden  riihmen;  der,  welcher  in 
dem  Lande  der  funf  Strome  ein  tausendjahriges  Somaopfer 
abgehalten  hatte. 

11.  (7891.)  Als  er  dieses  dort  abhielt  und  zu  ihm,  dem 
Kapilasprofs ,  ein  grofser  Kreis  sich  scharte,  da  geschah  es, 
dafs  er,  der  funf  Strome  der  Sinne  (Qvet.  Up.  1,5)  Kundige 
und  in  dem  fiinftagigen  Somaopfer  Erfahrene, 

12.  (7892.)  der  Fiinfkundige,  fiinffach  Tatige,  Fiinftugend- 
hafte,  PaiicaQikha  (Fiinfflammige)  Genannte,  ihnen  verkiindigte 
das  im  hochsten  Sinne  reale  Unentfaltete,  welches  dem 
Purusha  als  Standort  dient. 

13.  (7893.)  Hatte  doch  auch  schon  [sein  Lehrer]  Asuri, 
als  er  wegen  seiner  Abhaltung  einer  langen  Somafeier  und 
noch  mehr  wegen  seiner  Askese  befragt  worden  war,  die  Ent- 
faltung  von  Seele  fhshetrajnaj  und  Leib  {hshetramj  als  ein 
Gottschauender  erkannt. 

14.  (7894.)  Denn  was  als  jenes  eine,  unvergangliche  Brah- 
man in  seinen  mannigfachen  Erscheinungsformen  geschaut 
wird,  dieses  Ewige  hatte  schon  Asuri  auf  diesem  Erdkreise 
ergriffen. 

15.  (789.5.)  Und  dessen  Schiiler  war  Paficagikha  geworden, 
seitdem  er  mit  der  Milch  eines  Menschenweibes  aufgezogen 
worden  war.  Denn  zu  der  Familie  [des  Asuri]  gehorte  eine 
Brahmanin  mit  Namen  Kapila, 

16.  (7896.)   und  indem  er  (PancaQikha]  zu  ihr  in  das  Ver- 


272  UI-    Mokshadharma. 

haltnis  eines  Sohnes  trat,  trank  er  an  den  Briisten  dieses 
Weibes;  auf  diese  Weise  wurde  er  der  Abstammung  von 
Kapila  teilhaft  und  der  unverganglichen  Erkenntnis. 

17.  (7897.)  So  hat  mir  der  Heilige  die  Entstehung  des 
Kapilasprosses  [Pancagikha] ,  seine  Abstammung  von  Kapila 
und  seine  uniibertreffliche  AUwissenheit  erklart. 

18.  (7898.)  Zu  dem  billig  denkenden  Konig  Janaka  also 
war  der  rechtskundige  [Pancagikha],  nachdem  er  die  hochste 
Erkenntnis  erkannt  hatte,  getreten  und  hatte  dessen  hundert 
Lehrer  durch  seine  Argumente  in  Verlegenheit  gebracht. 

19.  (7899.)  Janaka  aber,  von  der  Darlegung  des  Kapila- 
sprosses ganz  entziickt,  entliefs  seine  hundert  Lehrer  und 
folgte  ihm  nach. 

20.  (7900.)  Diesem  nun,  der  aufs  beste  vorbereitet  war 
und  sich  pflichtmafsig  verneigt  hatte,  erklarte  er  [Panca<?ikha] 
die  hochste  Erlosung,  wie  sie  im  Sankhyam  dargelegt  wird. 

21.  (7901.)  Und  nachdem  er  das  Abstehen  von  den  Kasten 
besprochen  hatte,  erklarte  er  das  Abstehe^  von  den  Werken ; 
und  nachdem  er  das  Abstehen  von  den  Werken  besprochen 
hatte,  erklarte  er  das  Abstehen  vom  Weltall. 

22.  (7902.)  Und  auch  sie  lehrte  er,  um  deren  Willen  die 
Befassung  mit  Pflichten  und  das  Reifen  der  Frucht  der  Werke 
ist,  jene  kein  Vertrauen  verdienende,  verganglich-schwankende, 
haltlose  Verblendung. 

23.  (7903.)  Namlich:  da  die  Vernichtung  in  unmittelbarer 
Wahrnehmung  gesehen  und  von  aller  Welt  bezeugt  wird,  so 
ist  damit  auch  der,  welcher  auf  Grund  der  Schrift  behauptet, 
dafs  es  ein  Hoheres  gabe,  widerlegt. 

24.  (7904.)  Denn  der  Nicht-Atman  [zu  dem  man  sterbend 
wird]  ist  der  Tod  des  Atman,  ja  schon  die  Beschwerde,  die 
als  Greisenalter  auftritt,  ist  Tod.  Und  wenn  einer  aus  Ver- 
blendung an  einen  Atman  glaubt,  so  ist  diese  gegnerische 
Meinung  ungereimt. 

25.  (7905.)  Und  wenn  dem  so  ware,  dann  kann  auch  etwas 
sein,  was  nach  dem  Weltlaufe  unmoglich  ist,  wie  wenn  einer 
z.  B.  behaupten  wollte,  der  Konig  hier  werde  niemals  altern 
und  nie  sterben. 

26.  (7906.)   Oder  behauptet  man,   dafs  es  mbglicherweise 


Adhyaya  218  (B.  218).  273 

so  sei  Oder  nicht  so  sei,  indem  ein  dafur  entscheidendes  Merk- 
mal  nicht  vorliege,  so  frage  ich,  ob  man  wohl  so  etwas  be- 
haupten  kann,  wenn  man  sich  nur  an  den  sichern  Gang  des 
Weltlaufs  halt? 

27.  (7907.)  Die  Wahrnehmung  ist  denndoch  wohl  die  Wurzel 
fiir  beide,  fur  die  Argumentation  und  audi  fiir  die  Uberlieferung, 
und  eine  heilige  Uberlieferung,  die  mit  der  Wahrnehmung  in 
Widerspruch  steht,  sowie  auch  eine  derartige  Argumentation 
sind  gar  nichts. 

28.  (7908.)  Uberall  wo  es  sich  um  eine  solche  Folgerung 
handelt,  sagen  wir,  fort  mit  ihr  (hritamj  und  auch  mit  dem, 
der  sich  die  Dinge  so  zurecht  legt !  Nein,  die  Seele  ist  nichts 
anderes  als  der  Korper  und  als  solche  nach  der  Meinung  der 
Nihilisten  fndstikaj  festgestellt. 

29.  (7909.)  Dafiir  sprechen :  die  Samenkraft  in  dem  Feigen- 
baumkerne,  das  Vorhandensein  der  Butter  schon  in  der  ver- 
dauten  Nahrung,  das  Geborenwerden  [durch  materielle  Ur- 
sachen],  die  Erinnerung  [an  materielle  Vorgange],  der  Magnet- 
stein,  der  [das  Sonnenlicht  einsaugende]  Suryakantastein  und 
das  Verdampfen  des  Wassers. 

30.  (7910.)  [Auf  diese  Behauptung  des  Materialisten  er- 
widert  der  Idealist:]  Sowohl  das  Verlassen  des  Leibes  [durch 
die  Seele],  nachdem  der  Tod  eingetreten  ist,  als  auch,  dafs 
man  die  [immateriellen]  Gotter  anruft,  dafs  die  Werke  beim 
Tode  zunichte  werden  miifsten  [was  durch  die  Frucht,  die 
sie  bringen,  widerlegt  wird],  sind  sichere  Beweise  [fiir  die 
Existenz  einer  Seele]. 

31.  (7911.)  Alle  jene  Griinde  des  Gegners  grlinden  sich 
auf  materielle  Vorgange;  es  ist  aber  nicht  statthaft,  das  Im- 
materielle  mit  dem  Materiellen  auf  gleiche  Stufe  zu  stellen. 

32.  (7912.)  Andere  wiederum  [nach  Nil.  die  Buddhisten] 
sagen:  Es  ist  vielmehr  das  Nichtwissen,  welches  bei  der  Neu- 
geburt  die  Ursache  der  Betatigung  in  Werken  ist,  es  ist  viel- 
mehr Begierde  und  Verblendung,  es  ist  vielmehr  die  Khech- 
tung  unter  die  Siinden. 

33.  (7913.)  Das  Nichtwissen,  so  sagen  sie  weiter,  ist  das 
Ackerland,  und  das  Werk  wird  dabei  al&  del*  Same  betrachtet, 

Peussen,  Mah&bh^ratain.  \^ 


274  liJ-    Mokshadharma. 

der  Durst  ftrishndj  ist  die  Zeugung  und  das  Zusammenkleben 
dieser  [drei]  ist  die  Wiedergeburt. 

34.  (7914.)  Und  wenn  einer  verschwunden  oder  verbrannt 
oder  zerstiickelt  ist  und  dem  Tode  verfallen,  dann  entsteht 
aus  jenem  [Zusammenkreben]  ein  neuer  Leib;  dieses  nennen 
sie  die  Wesensvernichtung. 

35.  (7915.)  Und  wenn  [der  Neuentstandene]  nach  seiner 
Natur,  Geburt,  seinen  guten  Werken  und  Zwecken  ein  anderer 
ist,  kann  man  wohl  von  einem  sagen,  er  ist  derselbe  [wie 
in  einer  friiheren  GeburtJ,  oder  soil  man  annehmen,  dafs  alles 
durcheinander  geht? 

3().  (7910.)  Und  ferner,  wenn  dem  so  ware,  welches  Inter- 
esse  kann  man  an  den  Anstrengungen  des  Schenkens,  der 
Wissenschaft  und  der  Askese  haben,  wenn  das  von  einem 
vollbrachie  Werk  in  alles  mogliche  andere  iibergehen  kann  ? 

37.  (7917.)  Auch  wiirde  folgen,  dafs  einer  hienieden  in- 
folge  des  von  andern  friiher  Begangenen  (prdkkritaih  mit  C.) 
Leiden  zu  erdulden  hatte.  Nein!  mag  einer  im  Gliick  oder 
im  Ungliick  leben,  mafsgebend  fiir  das  Unwahrnehmbare  mufs 
doch  das  Wahrnehmbare  sein  [wo  jeder  seines  Gluckes 
Schmied  ist]. 

38.  (7918.)  Wenn  dem  so  ware  [konnte  der  Gegner  sagen], 
dann  konnte  man  auch  den  Korper  mit  Morserstosseln  zer- 
stampfen  und  erwarten,  dafs  er  darauf  neu  entstiinde.  Nein ! 
das  Bewufstsein,  welches  ein  anderes  ist,  mufs  auch  ein  ver- 
schiedenes  sein,  da  so  etwas  [die  Fortdauer  des  vernichteten 
Bewufstseins  in  der  neuen  Geburt]  nicht  moglich  ist. 

39.  (7919.)  Und  wie  der  Augenschein  lehrt,  dafs  Jahres- 
zeiten,  Jahre,  ein  ganzes  Weltalter,  dafs  Kalte  und  Warme, 
Erwiinschtes  und  Unerwiinschtes  dahinschwinden ,  so  ist  es 
auch  mit  der  Wesensvernichtung. 

40.  (7920.)  W^enn  einer  vom  Greisenalter  uberkommen  wird 
und  dem  vernichtenden  Tode  verfallt,  dann  stiirzt  nach  und 
nach  alles,  was  schwach  geworden  ist,  wie  bei  einem  Hause 
zusammen. 

41.  (7921.)  Sinnesorgane,  Manas,  Lebenshauch,  Blut,  Fleisch 
und  Knochen,  alles  geht  nach  und  nach  zugrunde  und  kehrt 
in  sein  Element  zuriick. 


Adhyaya  218  (B.  218).  275 

42.  (7922.)  Audi  wiirde  es  eine  Unterbrechung  des  Welt- 
laufes  sein,  wenn  Schenken  und  Opferpflicht  einen  [jenseiti- 
gen]  Lohn  brachten,  und  auf  einen  Lohn  zielen  doch  die 
Vedaworte  hin,  ebensogut  wie  die  weltlichen  Bestrebungen. 

43.  (7923.)  So  stellen  sich  bei  einem  richtigen  Denken 
die  vielfachen  Griinde  ein,  und  hat  man  erkannt,  dafs  dieses 
so  ist  und  jenes  so  ist,  so  gibt  es  keine  Wahrnehmung,  die 
dem  widersprache. 

44.  (7924.)  Aber  jene  [Gegner],  welche  hin  und  her  iiber- 
legen  und  dieser  oder  jener  Meinung  zulaufen,  werden  es  ja 
erleben,  dafs  einmal  ihr  Verstand  still  steht  und  wie  ein 
Baum  hinfallig  wird. 

45.  (7925.)  So  werden  denn  alle  Menschen  durch  ihre 
Zwecke  und  audi  durch  Zweckloses  gequalt ;  durch  die  Veda- 
Lehren  werden  sie  [von  der  Wahrheit]  abgelenkt  wie  Ele- 
fanten  durch  ihre  Treiber. 

46.  (792G.)  So  geschieht  es,  dafs  viele  hier,  indem  sie 
lechzenden  Mundes  nach  Zwecken  trachten,  welche  ihnen 
ewige  Seligkeit  schaffen  sollen,  sich  damit  nur  in  noch 
grofseres  Leid  stiirzen ;  denn  wenn  sie  auch  allem  Locken- 
den  entsagen,  verfallen  sie  doch  der  Herrschaft  des  Todes. 

47.  (7927.)  Was  sollen  dem  verganglichen  Menschen, 
dessen  Leben  so  unsicher  ist,  Verwandte  niitzen,  was  ein 
Anhang,  von  dem  er  sich  trennen  mufs!  Ihm,  der,  alles 
dieses  verlassend,  dahingeht  und,  wenn  er  dahingegangen 
ist,  nicht  wiederkommt! 

48.  (7928.)  Erde,  Ather,  Wasser,  Feuer  und  Wind  er- 
halten  den  Korper  in  seinem  Bestande  fort  und  fort.  Wer 
dies  bedenkt,  wie  soUte  der  sich  freuen;  dagegen,  dafs 
er  verganglich  ist,  gibt  es  keinen  Schutz. 

49.  (7929.)  Indem  der  Mannerfiirst  [Janaka]  dieses  un- 
fehlbare  Wort,  das  untriigliche,  hoclist  heilsame,  dessen 
Zeuge  er  geworden  war,  mit  Erstaunen  priifend  be- 
trachtete,  ging  er  dazu  iiber  wiederum  in  folgender  Weise 
zu  fragen. 

So  lautet  im  Mokshadbaimu 
ia  der  Bede  des  Pafica(;ikha  die  Bekampfung  der  Ketzer 

(Pancap'kha-vdkije  pdshanda-khandanam). 

18* 


276  III-    Mokshadharma. 

Adhyaya  319  (B.  219). 

Vers  7930-7983  (B.  1-52). 

Bhishma  sprach: 

1.  (7930.)  Der  Konig  Janaka  aber,  in  dieser  Weise  von 
dem  hochst  Weisen  belehrt,  befragte  ihn  abermals  iiber  das 
Sein  Oder  Nichtsein  nach  dem  Tode. 

Janaka  sprach : 

2.  (7931.)  0  Heiliger,  wenn  keiner  nach  dem  Tode  ein 
Bewufstsein  behalt  [wie  schon  Yajnavalkya  Brih.  Up.  2,4,12 
lehrt],  was  kann,  wenn  dem  so  ist,  Nichtwissen  oder  Wissen 
fiir  eine  Bedeutung  haben? 

3.  (7932.)  Dann  steht  es  doch  fest,  dafs  alles  vernichtet 
wird,  und  bedenke  auch  dieses,  o  Bester  der  Zwiegeborenen, 
welchen  Unterschied  es  dann  begriinden  kann,  wenn  einer 
unbesonnen  oder  besonnen  war. 

4.  (7933.)  Wenn  nur  bei  denen,  welche  entstanden  sind, 
Nichtvermengung ,  und  bei  denen,  welche  zugrunde  gehen, 
Vermengung  [der  Individuahtat]  stattfindet,  fiir  wen  arbeitet 
man  dann  und  hofft  man  dann?  Welchen  Bescheid  kann 
man  der  Wahrheit  gemafs  darauf  geben? 

Bhishma  sprach : 

5.  (7934. j  Zu  ihm,  der  von  Finsternis  umgeben,  verwirrt 
und  gleichsam  krank  war,  sprach,  um  ihn  durch  seine  Worte 
wieder  zu  beruhigen,  der  Weise  Pancagikha  folgendermarsen : 

6.  (7935.)  Es  steht  nicht  fest,  dafs  hienieden  alles  ver- 
nichtet wird,  und  es  steht  auch  nicht  fest,  dafs  es  fortbesteht ; 
jedenfalls  ist  der  Mensch  eine  Zusammenraffung  von  Korper, 
Sinnesorganen  und  Manas,  (7936.)  welche  gesondert  besteht, 
wenn  man  sich  auch  bei  den  Handlungen  wechselseitig  auf- 
einander  stiitzt. 

7.  Die  Elemente  sind  [das  Folgende  nach  C]  fiinffach: 
Wassei ,  Ather,  Wind,  Lichtelement  fjyotishoj  und  Erde; 
(7937.)  diese  bestehen  durch  ihre  eigene  Natur  und  werden 
vermoge  ihrer  eigenen  Natur  getrennt. 


Adhyaya  219  (B.  219).  277 

8.  Ather,  Wind  und  Hitze,  das  fliissige  und  das  erdige 
Element,  (7938.)  die  Zusammenraffung  dieser  fiinf  bildet  den 
Korper  und  er  ist  nicht  einheitlich. 

9.  Das  Bewufstsein,  die  Korperwarme  und  der  Korper- 
wind,  diese  bilden  die  dreifache  Summe  ihrer  Produkte; 
(7939.)  die  Sinnesorgane  und  die  Sinnendinge,  ihre  Eigenart, 
die  Wahrnehmung  und  das  Manas,  Aushauch  und  Einhauch 
und  was  aus  dem  allem  hervorgeht,  das  sind  die  Bestand- 
teile,  welche  sich  auf  jene  drei  stiitzen. 

10.  (7940.)  Das  Horen  und  Fiihlen,  Zunge,  Gesicht  und 
Nase,  diese  fiinf  Sinnesorgane  sind  ihre  [der  Elemente],  das 
Manas  (cittamj  als  Fiihrer  habende  Qualitaten. 

11.  (7941.)  Dabei  ist  ein  mit  Bewufstsein  verbundenes, 
dreifaches,  beharrliches  Geistiges  (cetand)  tatig,  welches  man 
bezeichnet  als  [1]  Lust  empfindend,  [2]  Schmerz  empfindend, 
sowie  [3]  als  schmerzlos  und  lustlos. 

12.  (7942.)  Ton  und  Beriihrung,  Gestalt,  Geschmack  und 
Gerucli,  diese  Wesenheiten  dienen  bis  zum  Tode  bin  als  fiinf 
oder  [mit  Einschlufs  der  Funktion  des  Manas]  als  sechs 
Qualitaten  dem  Vollbringen  der  Erkenntnis. 

13.  (7943.)  Neben  ihnen  steht  die  Ausbreitung  der  Werke 
[durch  die  Karmendriya's]  und  die  Feststellung  der  Bedeutung 
aller  Wesenheiten  [durch  die  Buddhi];  diese  nennt  man  das 
hochste  Reine,  audi  Buddhi,  und  das  grofse  Unvergangliche. 

14.  (7944.)  Wer  dieses  Aggregat  der  Guna's  [Sattvam, 
Rajas,  Tamas]  als  das  Wesen  des  Atman  ansieht,  fiir  den 
kommt,  weil  er  die  Dinge  unrichtig  sieht,  unendliches  Leiden 
nicht  zum  Aufhoren. 

15.  (7945.)  Wer  sie  hingegen  als  das  Nichtselbst  erkennt 
und  spricht:  sie  sind  nicht  ich  und  sind  nicht  mein,  auf 
welchen  Grund  sich  stiitzend  konnte  dann  die  Fortsetzung 
des  Leidens  von  statten  gehen? 

16.  (7946.)  Nunmehr  sollst  du  die  allerhochste  Entsagungs- 
lehre,  welche  den  Namen  „die  alles  zermalmende"  fiihrt,  ver- 
nehmen,  welche  ausgesprochen  zu  deiner  Erlosung  dienen  wird. 

17.  (7947.)  Diese  Entsagung  in  bezug  auf  alle,  auch  auf 
die  [als  Pflicht]  auferlegten  Werke,  gilt  jederzeit  unter  den 
Irregeleiteten  fiir  eine  schmerzvoUe  Plage. 


278  in.    Mokshadharma. 

18.  (7948.)  Im  Verzicht  auf  die  Opfersubstanzen  bestehen 
die  Werke,  im  Verzicht  auf  das  Genielsen  die  Geliibde,  im 
Verzicht  auf  Lust  besteht  Askese  und  Hingebung,  im  Ver- 
zicht auf  alles  die  hochste  Erringung. 

19.  (7949.)  Zu  diesem  Verzichten  auf  alles  wird  dieser  und 
kein  zweiter  Weg  gelehrt,  der  zum  Aufgeben  des  Leidens 
fiihrt,  auf  anderm  Wege  diirfte  es  schwer  erreichbar  sein. 

20.  (7950.)  Nachdem  ich  die  fiinf  Erkenntnisorgane  ge- 
nannt  habe,  zu  welchen  sich  im  Bewufstsein  Manas  als  sechstes 
gesellt,  so  will  ich  nunmehr  die  fiinf  Tatorgane  aufzahlen,  zu 
welchen  sich  die  Kraft  fhdlamj  als  sechstes  gesellt. 

21.  (7951.)  Die  Hande  sind  das  Organ  des  Handelns,  die 
Fiifse  das  Organ  des  Gehens,  der  Penis  das  der  Zeugung 
und  Wollust,  der  Anus  ist  das  Organ  der  Entleerung. 

22.  (795-2.)  Die  Rede  endlich  dient  zur  Artikulierung  der 
Tone,  so  wird  sie  [die  Tat]  von  den  fiinf  Organen  geleitet. 
Das  also  sind  die  elf  Organe.  Man  soil  das  Manas  alsbald 
mitsamt  der  Buddhi  von  sich  loslosen. 

23.  (7953.)  Die  Ohren,  der  Ton  und  der  Verstand  fcittam 
=  manasj,  diese  drei  [wirken  zusammen]  beim  Auffassen 
durch  das  Gehor;  entsprechend  ist  es  beim  Fiihlen,  ent- 
sprechend  beim  Sehen,  entsprechend  beim  Schmecken  und 
Riechen. 

24.  (7954.)  So  sind  diese  fiinf  Qualitaten  dreifach  zum 
Zwecke  ihrer  Auffassung,  weil  sich  dieses  dreifache  Zusammen- 
wirken  der  Reihe  nach  bei  ihnen  einstellt. 

25.  (7955.)  Als  sattva-artig,  rajas -artig  und  tamas-artig, 
als  diese  drei  treten  hervor,  indem  sie  alles  zustande  bringen, 
[jene  Wesenheiten]  in  welchen  somit  ein  dreifaches  Empfinden 
herrscht. 

26.  (7956.)  Als  Freude,  Befriedigung ,  Wonne,  Lust  und 
beruhigtes  geistiges  Verbal  ten,  mogen  sie  nirgendwoher  oder 
irgendwoher  stammen,  als  diese  wird  der  sattva-artige  Guna 
gedacht. 

27.  (7957.)  Unbefriedigtheit,  Qual,  Kummer,  Begierde  und 
Unduldsamkeit,  diese  treten  hervor  als  Merkmale  des  Rajas, 
mogen  sie  einen  [aufsern]  Grund  haben  oder  nicht. 

28.  (7958.)  Nichtunterscheidung,  Verblendung,  Unbesonnen- 


Adhyaya  219  (B.  219).  279 

heit,  Schlaf  und  Schlaffheit,  wie  sie  auch  immer  [entstanden  J 
sein  mogen,  sind  die  mannigfachen  Qualitaten  des  Tamas. 

29.  (7959.)  Was  nun  mit  Befriedigung  verkniipft  ist,  sei 
es  im  Korper,  sei  es  im  Geiste,  das  ist  der  sattva-artige  Zu- 
stand,   dementsprechend  hat  man  dieses  zu  beriicksichtigen. 

30.  (7960.)  Was  aber  mit  Nichtbefriedigung  verbunden 
ist  und  einem  IJnlust  bereitet,  in  diesem  tritt  das  Rajas  her- 
vor;  da  dem  so  ist,  moge  man  auch  dies  bedenken. 

31.  (7961.)  Was  aber  mit  Verblendung  verbunden  ist,  sei 
es  im  Korper,  sei  es  im  Geiste,  was  des  Nachdenkens  und 
des  Bewufstseins  entbehrt,  das  soil  man  als  das  Tamas  be- 
trachten. 

32.  (7962.)  Das  Gehor  stiitzt  sich  auf  den  Ather  und  der 
Ton  stiitzt  sich  auf  das  Gehor ;  jene  beiden  [Ather  und  Gehor] 
werden  bei  Erkenntnis  des  Tones  nicht  bewufst,  mag  dabei 
das  Bewufstsein  [mana^]  tatig  sein  oder  das  Gegenteil  statt- 
finden. 

33.  (7963.)  Ebenso  [namlich  dafs  nur  die  Empfindung, 
nicht  aber  das  Element  und  die  ihm  entsprechende  Tatig- 
keit  in  das  Bewufstsein  treten]  steht  es  mit  Haut,  Augen, 
Zunge  und  Nase  als  funftem  bei  dem  Fiihlen,  Sehen,  Schmecken 
und  Riechen ;  sie  alle  sind  Bewufstsein,  das  Bewufstsein  aber 
ist  Manas. 

34.  (7964.)  Bei  diesen  Zehnen  findet  ein  mit  ihrer  Tatig- 
keit  gemeinsames  Wirken  [des  Manas]  statt.  Dieses,  das 
Erkenntnisorgan  fcittam  =  manasj  soil  man  wissen  als  elftes, 
und  die  Buddhi  ist  das  zwolfte. 

35.  (7965.)  Wenn  diese  [Buddhi,  Manas  und  Sinne]  nicht 
zusammen wirken ,  so  liegt  es  daran,  dafs  das  Tamas-artige 
nicht  beseitigt  worden  war;  besteht  aber  ihr  gemeinsames 
Wirken,  so  ist  das  die  normale  Betatigung. 

36.  (7966.)  Aber  auch  der,  welcher  die  schwer  erkenn- 
baren  Sinnesorgane  infolge  vorheriger  Belehrung  durch  den 
Veda  wahrnimmt  und  iiberdenkt,  kommt  zu  keiner  voll- 
standigen  Erfassung,  solange  er  mit  den  drei  Guna's  be- 
haftet  ist. 

37.  (7967.)  Dasjenige  Manas  fcittamj  namlich,  welches  vom 
Tamas   behindert,    [vor-]  schnell   zusammenfassend    und   up- 


280  III.    Moksliadharma. 

-sicher,  ein  Aufhoren  [des  Zusammenwirkens]  im  Korper  ver- 
schuldet,  das  nennen  die  Weisen  ein  tamas-behaftetes. 

38.  (7968.)  Und  auch  jenes  Manas,  welches  auf  Grund  der 
heiligen  Uberlieferungen  nicht  das  Elend  [des  irdischen  Da- 
seins]  iiberblickt,  nimmt  auch  hier  [wie  bei  Betrachtung  der 
irdischen  Realitat]  nur  gleichsam  das  durch  Tamas  sich  ent- 
faltende  Unwahre  [der  vedischen  Theologie]  wahr. 

39.  (7969.)  Der  hiermit  dargelegte,  auf  den  eigenen  Werken 
[einer  friihern  Geburt]  sich  griindende  Guna  [das  Tamas] 
bleibt  zuweilen  vollstandig  herrschend,  wahrend  er  bei  einigen 
schwindet. 

40.  (7970.)  Somit  bezeichnen  die  nach  der  innern  Seele 
Forschenden  das  [korperhche]  Aggregat  als  den  Ort  fksetramj ; 
hingegen  wird  die  im  Geiste  ruhende  Wesenheit  [des  Purusha] 
der  Ortskenner  fhshetrajnaj  genannt. 

41.  (7971.)  Aber  da  dem  so  ist,  worin  besteht  die  Los- 
losung,  und  wie  kann  sie  ewig  sein,  da  doch  alle  Geschopfe 
aus  ihrer  eigenen  Natur  heraus  und  infolge  von  Griinden 
[ihrer  AVerke  in  einer  friihern  Geburt]  sich  betatigen  miissen? 

42.  (7972.)  Wie  die  zum  Ozean  eilenden  Fliisse  ihre  Formen 
und  Namen  aufgeben  [Mund.  Up.  3,2,8],  und  die  Stromungen 
des  Ozeans  dieselben  in  sich  aufnehmen,  so  ist  die  Wesens- 
vernichtung  zu  denken. 

43.  (7973.)  Da  dem  so  ist,  woher  kann  dann  aber  im  Zu- 
stande  nach  dem  Tode  wiederum  ein  [individuelles]  Bewufst- 
sein  entstehen,  da  die  Seele  doch  [mit  dem  All]  verfliefst  und 
vollstandig  [von  dem  All]  umschlungen  wird. 

44.  (7974.)  Wer  diese  Erkenntnis  von  der  Erlosung 
besitzt  und  frei  von  Unbesonnenheit  nach  dem  Atman 
forscht,  der  wird  nicht  mehr  von  den  unerwiinschten 
Friichten  der  Werke  befleckt,  dem  Blatte  der  Lotospflanze 
vergleichbar,  wenn  es  mit  Wasser  benetzt  wird. 

45.  (7975.)  Wenn  der  Mensch  befreit  von  den  starken 
Fesseln,  geschmiedet  durch  die  Familie  und  den  Gottes- 
dienst,  Lust  und  Schmerz  hinter  sich  lafst,  dann  geht 
er,  erlost  und  frei  von  Charaktereigenschaften,  den 
hochsten  Gang. 

46.  (7976.)   Gestiitzt  auf  die  Autoritat  der  Schrift  und 


Adhyaya  219  (B.  219).  281 

die  Verheifsungen  der  heiligen  Lehre  bleibt  er  ruhig  und 
lafst  sich  durch  die  Furcht  vor  Alter  und  Tod  nicht  mehr 
schrecken.  Sein  gutes  Werk  schwindet,  sein  boses  hat 
ihn  verlassen  und  die  dadurch  bedingte  Frucht  ist  ver- 
nichtet.  (7977.)  Und  so  geht  er  ein  zu  dem  fleckenlosen, 
merkmalfreien  Ather,  und  in  ihm  weilend  verharrt  er  in  dem 
Grofsen  als  ein  Schauender  und  frei  von  Anhanglichkeit. 

47.  Wie  eine  sich  hin  und  her  wendende  Spinne, 
wenn  ihr  der  Faden  bricht,  herabgefallen  in  Ruhe  ver- 
weilt,  (7978.)  so  lafst  der  Erloste  das  Leid  fahren  und  zer- 
stiebt  wie  ein  Erdklofs,  wenn  er  auf  einen  Stein  trifft 
[Brih.  Up.  1,3,7]. 

48.  Wie  der  Hirsch,  wenn  er  sein  altes  Geweih  ab- 
wirft,  wie  die  Schlange,  wenn  sie  ihre  Haut  (7979.)  ab- 
streift,  fortgeht,  ohne  zuriickzublicken ,  so  wirft  der  Er- 
loste das  Leid  von  sich. 

49.  Wie  der  Vogel  einen  ins  Wasser  stiirzenden  Baum 
verlafst  und  herabfliegt,  ohne  sich  an  ihn  zu  halten, 
(7980.)  so  verlafst  jener  [Erloste]  Lust  und  Leid  und  geht 
von  ihnen  befreit  ohne  Charaktereigenschaften  den  hoch- 
sten,  allerhochsten  Gang. 

50.  (7981.)  Auch  gibt  es  ein  Lied,  welches  von  einem 
Fiirsten  von  Mithila  gesungen  wurde,  als  er  sah,  wie 
seine  Stadt  vom  Feuer  verzehrt  wurde:  „Furwahr,  da 
brennt  nichts  von  dem  Meinigen !"  Dieses  sprach  der  Fiirst 
des  Landes  selbst. 

51.  (7982.)  Als  der  Konig  diese  nektargleiche  Rede  ge- 
hort  hatte,  welche  von  Paficaqikha  selbst  zu  ihm  ge- 
sprochen  worden  war,  da  priifte  er  alles  und  wurde  sich 
klar  iiber  seinen  Zweck  und  wandelte  hin,  hochbegliickt 
und  frei  von  Kummer. 

52.  (7983.)  W^er  diese  Darlegung  iiber  die  Erlosung 
rezitiert,  o  Yudishthira,  und  sie  ebenso  wie  jener  immer- 
fort  im  Sinne  hat,  der  erfahrt  keine  Widerwartigkeiten, 
keine  Leiden  und  wird  erlost  wie  der  Konig  von  Mithila, 
als  er  sich  an  den  Kapilasprofs  gewandt  hatte. 

So  laiitot  im  Moksbadharma  die  Rede  des  Pafica(,ikha 
(ranca^il-lia  -  vdkyam). 


282  in.    Mokshadharma. 

Adhyaya  '^'^O  (B.  '^'>0). 

Vers  7984-8003  (B.  1-20). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (7984.)  Durch  welches  Tun  eriangt  man  Lust,  durch 
welches  Tun  eriangt  man  Leid,  durch  welches  Tun  wandelt 
der  Vollkommene  furchtlos  in  der  Welt,  o  Bharata? 

Bhishma  sprach: 

2.  (7985.)  Die  Selbstzucht  ist  es,  welche  die  dem  Schrift- 
wort  nachdenkenden  Alten  anempfehlen  sowohl  alien  Kasten 
als  auch  besonders  den  Brahmanen. 

3.  (7986.)  Wer  keine  Selbstzucht  besitzt,  dem  geht  das 
Gedeihen  [diesem  Mangel]  entsprechend  nicht  vonstatten; 
Werk,  Askese  und  Wahrhaftigkeit,  das  alles  ist  in  der  Selbst- 
zucht begriindet. 

4.  (7987.)  Die  Selbstzucht  steigert  die  Energie,  die  Selbst- 
zucht wird  ein  Lauterungsmittel  genannt ;  frei  von  Siinde  und 
Furcht  fmdet  der  Selbstzucht  iibende  Mensch  das  Grofse. 

5.  (7988.)  Mit  Lust  schlaft  ein,  wer  die  Selbstzucht  be- 
sitzt und  mit  Lust  wacht  er  wieder  auf;  mit  Lust  verkehrt 
er  in  der  Welt  und  sein  Gemiit  ist  in  Ruhe. 

6.  (7989.)  Die  Energie  wird  durch  Selbstzucht  aufrecht 
erhalten,  und  wer  durch  sie  energisch  geworden,  kommt  zu 
Gelingen;  in  sich  selbst  sieht  er  allezeit  viele  und  mannig- 
fache  Feinde. 

7.  (7990.)  Wie  vor  Raubtieren  fiirchten  sich  die  Wesen 
stets  vor  denen,  die  keine  Selbstzucht  besitzen,  und  um  sie 
zu  ziigeln,  ist  der  Konig  von  dem  Schopfer  erschaffen  worden. 

8.  (7991.)  Hoher  als  alle  [vier]  Lebensstadien  steht  die 
Selbstzucht,  und  die  Frucht,  welche  an  die  Pflichterfiillung 
in  ihnen  sich  kniipft,  wird  in  noch  hbherem  Malse  dem  Selbst- 
zucht Ubenden  zuerkannt. 

9.  (7992.)  Ich  will  die  Merkmale  derjenigen  verkiindigen, 
die  in  der  Selbstzucht  Erfolg  haben ;  sie  sind  Nichtkleinmiitig- 
keit,  Nichtungestiim ,  Zufriedenheit  und  glaubige  Gesinnung, 

10.  (7993.)   Freiheit  von  Zorn,  bestandige  Geradheit,  ohne 


Adhyaya  220  (B.  220).  283 

Grofssprecherei  und  Hochmut,  Ehrung  des  Lehrers,  Nicht- 
norgeln,  Mitgefiihl  mit  den  "Wesen  und  Freiheit  von  Hinterlist, 

11.  (7994.)  Enthaltung  von  Klatscherei,  Liige,  Lob  und 
Tadel.  Nur  nach  dem  Guten  begehrend  sei  sein  Trachten, 
nicht  [richte  er]  sein  Verlangen  auf  erhoffte  Dinge. 

12.  (7995.)  Sein  Umgang  sei  mit  solchen,  die  keine  Peind- 
schaft  hegen,  gleichmiitig  bleibe  er  bei  Tadel  und  Lob,  von 
gutem  Wandel,  charaktervoll,  beruhigten  Geistes,  seiner  selbst 
gewifs  und  sich  beherrschend. 

13.  (7996.)  Dann  wird  er  freundliche  Behandlung  erfahren 
und  nach  dem  Tode  in  den  Himmel  eingehen;  er  hilft  alien 
Wesen  bei  dem,  was  ihnen  Schwierigkeiten  macht,  und  ist 
voll  Freudigkeit  und  begliickt. 

14.  (7997.)  Wer,  so  bedacht  auf  das  Wohl  aller  Wesen, 
keinen  Menschen  hafst,  der  wird,  wie  ein  grofser  See  von 
Wellen  nicht  bewegt,  an  Erkenntnis  sich  sattigend  in  Ruhe 
verharren. 

15.  (7998.)  Wer  sich  nicht  raehr  vor  den  Wesen  furchtet, 
und  vor  welchem  alle  Wesen  sich  nicht  mehr  fiirchten,  der 
wird  von  ihnen  alien  geehrt,  der  ist  selbstzuchtbesitzend 
und  weise. 

16.  (7999.)  Er  freut  sich  nicht,  wenn  er  Grol'ses  erreicht 
hat,  er  klagt  nicht,  wenn  ihn  ein  Ungliick  trifft,  so  ist  er 
mit  seinem  Wissen  sich  bescheidend,  so  wird  er  ein  Selbst- 
zucht  iibender  Brahmane  genannt. 

17.  (8000.)  Mit  Schriftwissen  begabt,  von  guten  Werken 
umgeben  und  rein  und  allezeit  in  Zucht  sich  haltend,  ge- 
niefst  er  ihre  grofse  Frucht. 

18.  (8001.)  Nicht -Norgeln,  Nachsicht,  Gemiitsruhe,  Zu- 
friedenheit  und  freundliches  Reden,  Wahrhaftigkeit ,  Frei- 
gebigkeit  und  Kummerlosigkeit,  das  ist  der  Weg,  den  Ubel- 
gesinnte  nicht  zu  finden  wissen. 

19.  (8002.)  Begierde  und  Zorn,  Habsucht,  Neid  gegen 
andere,  Prahlerei,  Begierde  und  Zorn  bemeistert  er,  keusch 
und  die  Sinne  bezahmend, 

20.  (8003.)  so  schreitet  mutig  dahin  in  der  furchtbaren 
Finsternis  der  Brahmane  mit  scharfem  Gelubde ;  seine  Stunde 


284  ni.  Moksliadharma. 

ersehnend    moge    er    in    der   Welt    wallen,    ohne   Mifserfolg, 
seines  Atman  gewifs. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  I'reia  der  Selbstzucht 
(dama  -pra^amsd). 


A€lhyaya  331  (B.  331). 

Vers  8004-8020  (B.  1-17). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (8004.)  Dafs  die  in  einem  Geliibde  begriffenen  Zwie- 
geborenen  in  der  bekannten  Weise  die  Opferspeise  geniefsen 
als  Nahrung,  dem  Brahmanenbrauche  zuliebe,  wie  ist  das  zu 
beurteilen,  o  Grofsvater? 

Bhishma  si^rach : 

2.  (8005.)  Sowohl  diejenigen,  welche  die  im  Veda  be- 
fohlenen  Geliibde  nicht  betreiben  und  essen,  indem  sie  ihren 
Geschaften  nachgehen,  als  audi  diejenigen,  welche  den  Veda- 
worten  entsprechend  essen,  beide  sind  ihrem  Geliibde  ab- 
triinnig  geworden  (lies  mit  C. :  luptd/j),  o  Yudhishthira. 

Yudhishthira  sprach : . 

3.  (8006.)  Das  Fasten,  was  das  gemeine  Volk  so  mit  dem 
Namen  des  Tapas  (Askese)  bezeichnet,  ist  dieses  das  Tapas, 
o  grofser  Konig,  oder  wenn  nicht,  was  ist  denn  Tapas? 

Bhishma  sprach: 

4.  (8007.)  Was  die  Leute  fiir  Tapas  halten,  indem  man 
einen  Halbmonat  durch  fastet,  das  ist  vielmehr  nur  eine 
Schadigung  des  Leibesbestandes  und  wird  von  guten  Men- 
schen  nicht  als  Tapas  angesehen. 

5.  (8008.)  Entsagung  und  Demut,  diese  gelten  als  hochstes 
Tapag;  [wer  sie  hat]  der  hat  das  fortwahrende  Fasten,  der 
hat  die  bestandige  Keuschheit. 

6.  (8009.)  Bin  Einsamer  sei  allezeit  der  Brahmane,  eine 
Gottheit  sei  er  allezeit,  fiir  seine  Familie  sorgend,  seine  Pflicht 
liebend  allezeit  und  ohne  Schlafrigkeit,  o  Bharata. 

7.  (8010.)   Allezeit    enthalte    er    sich    der   Fleischnahrung, 


Adhyaya  221  (B.  221).  285 

allezeit  wirke  er  lauternd,   allezeit  labe  er  sich  an  Amritam, 
indem  er  Gotter  und  Gaste  ehrt. 

8.  (8011.)  Allezeit  nahre  er  sich  von  Restspeise,  allezeit 
erfiille  er  das  Gastgeliibde ;  glaubig  sei  er  allezeit,  voll  Ehr- 
erbietung  gegen  Gotter  und  Brahmanen. 

Yudhishthira  sprach: 

9.  (8012.)  Wie  kann  er  das  fortwahrende  Fasten,  wie  kann 
er  die  bestandige  Keuschheit  haben,  wie  kann  er  allezeit 
Restspeise  essen  und  das  Gastgeliibde  erfiillen? 

Bhishma  sprach: 

10.  (8013.)  Wer  zwischen  der  Morgenmahlzeit  und  der 
Abendmahlzeit  zwischendurch  nicht  nochmals  ifst,  der  hat 
das  fortwahrende  Fasten. 

11.  (8014.)  Wenn  er  zur  gesetzten  Zeit  die  Gattin  besucht, 
dann  hat  der  Brahmane  die  bestandige  Keuschheit,  der  Mann, 
welcher  immerdar  die  Wahrheit  redet  und  immer  der  Er- 
kenntnis  obliegt. 

12.  (8015.)  Er  soil  nicht  ohne  Not  Fleisch  essen  oder  auch 
der  Fleischnahrung  sich  ganz  enthalten,  immerfort  spendend 
und  lauternd,  nicht  schlafrig  und  nicht  bei  Tage  schlafend. 

13.  (8016.)  Wer  immerfort  nur  dann  ifst,  nachdem  seine 
Leute  und  seine  Gaste  gesattigt  sind,  der  labt  sich  an  reinem 
Amritam,  das  wisse,  o  Yudhishthira. 

14.  (8017.)  Der  Zwiegeborene,  welcher  allezeit  nicht  ifst, 
bevor  jene  gegessen  haben,  der  hat  durch  dieses  Nichtessen 
sich  den  Himmel  erworben. 

15.  (8018.)  Wer  das  von  Gottern,  Vatern,  Angehorigen  und 
(jrasten  Ubriggelassene  ifst,  der  heifst  ein  Restspeise-Esser. 

16.  (8019.)  Die  so  leben,  denen  gehoren  die  unendlichen 
Welten,  und  mit  Gott  Brahman  denselben  Sitz  teilend,  wan- 
deln  sie,  von  Apsaras  bedient,  als  Himmelsbewohner  umher. 

17.  (8020.)  Sie,  welche  in  Gemeinschaft  mit  den  Gottern 
und  Vatern  geniefsen,  die  freuen  sich  an  Kindern  und  Kindes- 
kindern  und  ihrer  ist  der  hochste  Gang. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  nacb  dem  Amritam 
(anirita  •  prdgnikam). 


286  III.    Mokshadliarma. 

Adhj  aya  '422  (B.  222). 

Vers  8021-8057.     (B.  1-37.) 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (8021.)  Das  in  dieser  Welt  begangene  Werk,  sei  es 
gut  Oder  bose,  welches  den  Purusha  (Mensch,  Seele)  bindet 
durch  Bindung  an  die  Frucht,  o  Bharata, 

2.  (8022.)  ist  dessen  Tater  der  Purusha  oder  nicht?  Dar- 
iiber  besteht  Zweifel;  dieses  wiinsche  ich  der  Wahrheit  ge- 
mafs  von  dir,  o  Grofsvater,  zu  vernehmen. 

Bhishma  sprach : 

3.  (8023.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich,  o  Yudhishthira,  die  Unterredung  zwischen 
Prahrada  und  Indra. 

4.  (8024.)  Den  nicht  anhanglichen ,  von  Bosem  befreiten 
aus  guter  Familie  geborenen,  der  Schrift  sehr  kundigen,  an- 
spruchslosen ,  selbstlosen,  in  der  Wahrheit  festen,  sich  an 
Verpflichtung  freuenden, 

5.  (802.'>.)  Tadel  und  Lob  gleichachtenden ,  bezahmten,  in 
einem  einsamen  Hause  wohnenden,  Ursprung  und  Vergang 
der  beweglichen  und  unbeweglichen  Wesen  kennenden, 

6.  (8026.)  nicht  ziirnenden  und  nicht  sich  freuenden  iiber 
Liebes  und  Unliebes,  auf  beides,  mochte  es  Gold  oder  Erd- 
klumpen   sein,  gleichmafsig  blickenden, 

7.  (8027.)  in  der  Erkenntnis  des  Seelenheils  festen,  Klar- 
heit  errungen  habenden,  das  Hochste  und  Tiefste  unter  den 
Wesen  kennenden,  alles  wissenden,  auf  alles  gleichmiitig 
blickenden, 

8.  (8028.)  diesen  Prahrada,  wie  er  einsam  und  mit  be- 
zahmten Sinnen  dasafs,  suchte,  um  seine  Erkenntnis  zu  er- 
lernen,  der  Gott  Qakra,  (Indra)  auf  und  sprach  zu  ihm: 

9.  (8029.)  Alle  Tugenden,  um  deren  willen  ein  Mann  in 
der  Welt  geehrt  wird,  o  Konig  [nripa  mit  C),  alle  diese 
Tugenden  sehen  wir  unverlierbar,  o  Herr,  verwirklicht  in  dir. 

10.  (8030.)   Und  auch  dein  Bewufstsein  erscheint  [so  rein], 


Adhyaya  222  (B.  222).  287 

wie  das  der  Kinder  zu  sein  pflegt.    Der  du  den  Atman  iiber- 
denkst,  was  haltst  du  hienieden  fiir  das  Heil? 

11.  (8031.)  Mit  Stricken  gebunden,  aus  deiner  Stellung 
verstofsen,  in  die  Hand  deiner  Feinde  gegeben  und  vom 
Gliick  verlassen,  o  Prahrada,  bist  du  in  einer  beklagens- 
werten  Lage  und  klagst  doch  nicht. 

12.  (8032.)  Kommt  es  daher,  weil  du  die  Erkenntnis  ge- 
wonnen  hast,  o  Daityafiirst,  oder  wegen  der  Festigkeit  deines 
Charakters,  dafs  du,  o  Prahrada,  wohlgemut  bleibst,  obgleich 
du  dich  selbst  im  Ungliick  siehst? 

V6.  (8033.)  Als  der  Weise,  zur  Klarheit  Gekommene  mit 
diesen  Worten  von  jenem  [Indra]  angespornt  worden  war, 
da  antwortete  er  mit  sanfter  Stimme,  indem  er  seine  Er- 
kenntnis an  den  Tag  legte. 

Prahrada  sprach: 

14.  (8034.)  Wer  das  Entstehen  und  Vergehen  der  Wesen 
nicht  begreift,  der  mag  wegen  seiner  Torheit  dariiber  staunen, 
wer  sie  begreift,  der  wird  nicht  staunen. 

15.  (803o.)  Vermoge  der  Natur  fsvabJidva  =^  pralcritij  ent- 
stelit  und  vergeht  alles,  was  ist  und  nicht  ist;  fiir  den  Purusha 
aber  gibt  es  keinen  Zweck. 

16.  (8036.)  Und  da  es  keinen  Zweck  des  Purusha  gibt,  so 
ist  kein  Purusha  je  ein  Tater,  aber  obgleich  er  selbst  nie- 
mals  ein  Tater  ist,  so  besteht  doch  hienieden  der  Wahn, 
als  wenn  er  es  sei. 

17.  (8037.)  Wer  nun  seinen  Atman  fiir  den  Tater  halt  des 
Guten  oder  Bosen,  dessen  Bewufstsein  ist  mangelhaft  und 
erkennt  die  Wahrheit  nicht,  so  meine  ich. 

18.  (8038.)  Ware,  o  Qakra,  der  Purusha  der  Tater,  dann 
wiirden  unfehlbar  die  von  ihm  zu  seinem  Gliicke  gemachten 
Anstrengungen  zum  Ziele  fiihren,  und  er  wiirde  niemals  dies 
Ziel  verfelilen. 

19.  (8039.)  Abwendung  des  Unerwiinschten  und  Nicht- 
Abwendung  des  Gewiinschten  zeigt  sich  ja  als  Ziel  bei  alien 
Strebenden;   wie  sollte  also  der  Purusha  ein  Ziel  verfolgen! 

20.  (8040.)  Ein  Zustandekommen  des  Unerwiinschten  und 
ebenso  ein  Gelingen  des  Erwiinschten  sehen  wir  bei  manchen 


288  ni.   Mokshadhaj-ma. 

ohne  Anstrengung  eintreten;  dies  gescliieht  durch  die  Natur 
fsvahJidvaJ. 

21.  (8041.)  Manche,  die  wohlgestalteter  und  verstandiger 
sind,  miissen,  wie  die  Erfahrung  zeigt,  von  Mifsgestalteten 
und  weniger  Verstandigen  die  Eriangung  von  Giitern  erbitten. 

22.  (8042.)  Wo  nun  alle  Eigenschaften,  die  guten  wie  die 
schlechten,  nur  in  die  Erscheinung  treten,  indem  sie  durch 
die  Natur  in  Gang  gebracht  werden,  wie  konnte  da  irgend 
jemand  Grund  haben,  auf  etwas  stolz  zu  sein! 

23.  (8043.)  Alles  dies  wird  durch  die  Natur  bewirkt,  dies 
ist  meine  feste  Uberzeugung ,  welche  sich  auf  den  Atman 
griindet,  und  fiir  mich  gibt  es  keine  andere  Erkenntnis 
als  diese. 

24.  (8044.)  Andrerseits  besteht  die  Ansicht,  dafs  das  Er- 
langen  einer  guten  oder  bosen  Frucht  durch  [friihere]  Werke 
bedingt  sei;  darum  will  ich  dir  die  ganze  Tragweite  der 
Werke  erklaren,  vernimm  sie  von  mir. 

25.  (804.5.)  So  wie  eine  Krahe,  indem  sie  ifst,  das  Vor- 
handensein  von  Nahrung  [den  anderen  Krahen]  kundmacht, 
so  bekunden  alle  Werke  nur  die  Natur  [aus  der  sie  hervor- 
gehen]. 

26.  (8046.)  Wer  nur  die  Entfaltungen  erkennt  und  nicht 
die  hochste  Prakriti,  der  mag  wegen  seiner  Torheit  dariiber 
staunen,  wer  sie  begreift,  der  wird  nicht  staunen. 

27.  (8047.)  Fiir  einen,  der  mit  Sicherheit  begreift,  dafs 
alles  Seiende  auf  der  Welt  nur  aus  der  Natur  hervorgehe, 
was  kann  dem  noch  Stolz  oder  Hochmut  anhaben? 

28.  (8048.)  Ich  kenne  alle  Pflichtvorschriften  und  auch  die 
Verganglichkeit  der  Wesen ,  darum,  o  Qakra ,  trauere  ich 
nicht,  denn  alles,  was  auf  dieser  Welt  existiert,  geht  einmal 
zu  Ende. 

29.  (8049.)  Frei  von  Selbstsucht  und  Ichbewufstsein,  ohne 
Wiinsche,  von  Banden  frei,  in  mir  selbst  gegriindet  und  los- 
gelost,  schaue  ich  hin  auf  Entstehen  und  Vergehen  der  Wesen. 

30.  (8050.)  Wem  die  Erkenntnis  geworden  ist,  wer  be- 
zahmt,  frei  vom  Durst  (trishndj  und  frei  von  Wiinschen  ist, 
fiir  den,  o  Qakra,  gibt  es  kein  Bemiihen  mehr,  indem  er  die 
unvergangliche  Statte  schaut. 


Adhyaya  222  (B.  222).  289 

31.  (8051.)  In  der  Prakriti  und  in  dem,  was  aus  ihr  ent- 
standen  ist,  ist  nichts,  das  ich  liebte  oder  liafste,  ist  nie- 
mand,  den  ich  fiir  einen  Feind  hielte  oder  der  auf  mich  An- 
spriiche  erheben  konnte  fmamdyatej. 

32.  (8052.)  Nicht  in  der  Hohe,  nicht  in  der  Tiefe,  noch  in 
der  Mitte  irgendwo  ist  etwas,  das  ich  begehrte,  o  Qakra, 
nichts  habe  ich  zu  tun  mit  den  Gegenstanden  der  Erkenntnis, 
nichts  mit  der  Erkenntnis  und  dem  Wissen. 

^akra  sprach: 

33.  (8053.)  Wodurch  diese  Erkenntnis  gewonnen,  wodurch 
diese  Kuhe  erlangt  wird,  das  Mittel  sage  mir  an,  der  ich 
dich  geziemend  frage,  o  Prahrada. 

Prahr§,da  sprach: 

34.  (8054.)  Durch  Geradheit,  durch  Besonnenheit ,  durch 
Heiterkeit,  durch  Selbsthaftigkeit  und  durch  Beachtung  dessen, 
was  die  Alten  lehrten,  o  Q'akra,  erlangt  der  Mensch  das  Grofse. 

35.  (8055.)  Durch  die  Natur  fsvabhdvaj  erlangt  man  die 
Erkenntnis,  durch  die  Natur  gelangt  man  zur  Beruhigung, 
durch  die  Natur  nur  besteht  diese  ganze  Welt  und  alles, 
was  du  erblickst. 

36.  (8056.)  Als  der  Fiirst  der  Daitya's  so  gesprochen  hatte, 
geriet  Qakra  in  Erstaunen,  und  voll  Freude,  o  Konig,  zollte 
er  dieser  Rede  Verehrung. 

37.  (8057.)  Und  nachdem  er  den  Daityafiirsten  gepriesen 
hatte,  nahm  er,  der  Herr  und  Gebieter  der  drei  Welten,  von 
dem  Fiirsten  der  Damonen  Abschied  und  begab  sich  in  seine 
Behausung. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwiscben  (^'akra  und  Prahr&da 
(Qakra  -  Prahrdda  -  samvdda). 


Deussen,  Mah&bh^ratam.  19 


290  HI-   Mokshadharma. 

Adhyaya  22li  (B.  22ii), 

Vers  8058-8087  (B.  1-30). 

Yudhishthira  spracli : 

1.  (8058.)  Wie  beschaffen  ist  das  Bewufstsein,  mit  welchem 
ein  Fiirst,  der  aus  seiner  gliicklichen  Lage  gestiirzt  wurde, 
auf  der  Erde  lebt,  nachdem  er  durch  die  Schlage  des  Kala 
(der  Zeit)  zermalmt  ist?    Das  sage  mir,  o  Grofsvater. 

Bhishma  sprach: 

2.  (8059.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Unterredung  des  Vasava  (Indra)  mit 
Bali,  dem  Sohne  des  Virocana. 

3.  (8060.)  Dem  Urvater  sich  nahend  und  vor  ihm  mit  zu- 
sammengelegten  Handen  niederfallend,  befragte  ihn  Vasava, 
nachdem  er  schon  alle  Damonen  besiegt  hatte,  nach  dem  Bali. 

4.  (8061.)  Ihn,  dem  sein  Reichtum,  obwohl  er  ihn  abgab, 
niemals  verloren  ging,  diesen  Bali  fmde  icli  nicht,  o  Gott 
Brahman;  sage  mir,  wo  Bali  weilt. 

5.  (8062.)  Er  ist  der  Windgott  und  ist  Varuna,  ist  die 
Sonne  und  ist  der  Mond,  er  warmt  als  Agni  die  Wesen  und 
er  ist  auch  das  Wasser. 

6.  (8063.)  Diesen  Bali  finde  ich  nicht,  o  Gott  Brahman; 
sage  mir,  wo  Bali  weilt.  Er  geht  [als  Sonne]  unter  und  er 
erhellt  die  Weltgegenden. 

7.  (8064.)  Er  lafst  den  Regen  regnen  je  nach  der  Zeit  un- 
ermiidlich.  Diesen  Bali  finde  ich  nicht,  o  Gott  Brahman; 
sage  mir,  wo  Bali  weilt. 

Uer  Gott  Brahman  sprach: 

8.  (8065.)  Es  ist  dir  nicht  gut,  o  Machtiger,  dafs  du  nach 
ihm  fragst;  aber  wenn  man  gefragt  wird,  soil  man  nicht 
die  Unwahrheit  sagen,  darum  will  ich  dir  sagen,  wo  Bali 
weilt. 

9.  (8066.)  Mag  er  unter  den  Kamelen  zu  finden  sein  oder 
unter  den  Rindern,  den  Eseln  oder  den  Pferden,  er  wird  als 
der  Beste  seiner  Art  in  einem  leeren  Hause  [als  Einsiedler] 
weilen,  o  Gemahl  der  Qaci. 


Adhyaya  223  (B.  223).  291 

(,"akra  (Indra)  spracli: 

10.  (8067.)  Wenn  ich,  o  Gott  Brahman,  mit  dem  Bali  in 
einem  leeren  Hause  zusammentreffe,  soil  ich  ihn  dann  toten, 
Oder  soil  ich  ihn  nicht  toten?  Dariiber,  o  Brahman,  be- 
lehre  mich, 

Der  Gott  Brahmau  sprach: 

11.  (80(5S.)  Nicht  mogest  du,  o  (^akra,  den  Bali  toten,  nicht 
verdient  Bali  getotet  zu  werden,  vielmehr  nach  seiner  Lebens- 
regel,  o  (^akra,  magst  du  ihn,  soviel  es  dir  beliebt,  fragen, 
o  Vasava. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach: 

12.  (8069.)  Nachdem  der  Heilige  so  zu  ihm  gesprochen 
hatte,  durchstreifte  der  grofse  Indra  auf  dem  Kiicken  seines 
Elefanten  Airavata  die  Erde,  von  Herrlichkeit  umgeben. 

13.  (8070.)  Da  sah  er  den  Bali,  in  die  Gestalt  eines  Esels 
gehiillt,  so,  wie  es  ihm  von  dem  Heiligen  beschrieben  worden 
war,  in  einem  leeren  Hause  wohnend. 

Qakra  sprach : 

14.  (8071.)  Der  du  in  den  Mutterschofs  einer  Eselin  ge- 
raten  bist  und  Getreidehiilsen  verzehrst,  o  Danava,  wird  diese 
deine  ganz  niedrige  Geburt  von  dir  beklagt  oder  nicht? 

15.  (8072.)  Unansehnlich ,  ach!  sehe  ich  dich,  in  die  Ge- 
walt  deiner  Feinde  geraten,  von  Gliick  und  Freunden  ver- 
lassen,  deiner  Mannhaftigkeit  und  Tapferkeit  verlustig. 

16.  (8073.)  Dafs  du  so  mit  tausend  Wagen  und  von  An- 
gehorigen  umgeben,  alle  Welten  erwarmend,  dahinzogst,  ohne 
dich  um  uns  zu  kiimmern, 

17.  (8074.)  und  dafs  die  Daitya's,  von  dir  angefiihrt,  sich 
unter  deiner  Herrschaft  ausbreiteten ,  und  dafs  die  Erde  un- 
gepfliigt  zu  ernten  erlaubte,  das  alles  geschah  unter  deiner 
Oberherrschaft. 

18.  (8075.)  Und  heute,  wo  dich  dieses  Mifsgeschick  ge- 
troffen  hat,  beklagst  du  es  da  oder  beklagst  du  es  nicht? 
Als  du  noch  dastandest  am  ostlichen  Ufer  des  Ozeans  mit 
[libermutigem]  Ziingeln, 

19.  (8076.)   wie  war    dir    damals,    wenn   du  Reichtum  an 

19* 


292  III.   Mokshadharma. 

deine  Angehorigen  verteiltest,  zumute?  Als  vor  dir  zu  Tau- 
senden  geschart  gottliche  Frauen  tanzten, 

20.  (8077.)  indem  du  viele  Jahresreihen  hindurch  lust- 
wandelnd  vor  Gliick  strahltest,  Frauen,  alle  mit  Lotos  bekranzt, 
alle  von  goldgleichem  Glanze, 

21.  (8078.)  wie  war  dir  damals  und  wie  ist  dir  heute  zu- 
mute, o  Fiirst  der  Danava's?  Du  hattest  einen  sehr  grofsen 
Sonnenschirm  aus  Gold  und  mit  Edelsteinen  geschmiickt, 

22.  (8079.)  und  vor  dir  tanzten  siebenmal  sechstausend 
Gandharven;  einen  machtig  grofsen  Opferpfosten  hattest  du, 
ganz  aus  Gold,  wenn  du  opfertest 

23.  (8080.)  und  aus  diesem  Anlafs  zehntausend  Myriaden 
von  Kiihen  verschenktest ,  je  tausend  mit  einem  Male;  wie 
war  dir  damals,  o  Daitya,  zumute? 

24.  (8081.)  Und  als  du  als  Opferherr  die  ganze  Erde  durch- 
wandeltest,  indem  du  deinen  Mafstab  iiber  sie  ausstrecktest, 
wie  sah  es  damals  in  deinem  Herzen  aus? 

25.  (8082.)  Ich  sehe  nicht  mehr  deinen  goldenen  Trink- 
becher,  nicht  mehr  den  Sonnenschirm  und  die  beiden  Facher, 
ich  sehe  nicht  mehr,  o  Fiirst  der  Damonen,  den  Kranz,  welchen 
dir  Gott  Brahman  schenkte. 

Bali  sprach: 

26.  (8083.)  Nicht  siehst  du  mehr  meinen  goldenen  Trink- 
becher,  nicht  mehr  den  Sonnenschirm  und  die  beiden  Facher, 
nicht  wirst  du  mehr  sehen,  o  Vasava,  den  Kranz,  welchen 
mir  Gott  Brahman  schenkte. 

27.  (8084.)  Du  fragst  nach  meinen  Kleinodien,  die  in  der 
Hohle  verborgen  sind.  Wenn  meine  Zeit  da  sein  wird,  dann 
wirst  du  sie  sehen. 

28.  (8085.)  Aber  es  geziemt  deinem  Ruhme  und  deiner 
hohen  Abkunft  nicht,  dafs  du,  der  du  im  Gliicke  bist,  mir, 
der  ich  nicht  im  Glucke  bin,  dies  prahlend  in  Erinnerung 
bringen  willst. 

29.  (8086.)  Denn  nicht  trauern  im  Leid  und  nicht  freuen 
sich  im  Gliick  diejenigen,  welche  Erkenntnis  erlangt  und  am 
Wissen  sich  gesattigt  haben,  die  Weisen,  welche  gelernt 
haben  geduldig  zu  sein. 


Adhj  aya  223  (B.  223).  293 

30.  (8087.)  Du  aber  prahlst,  o  Stadtezerstorer,  mit  ge- 
meinem  Verstande;  wenn  du  erst  sein  wirst  wie  ich,  dann 
wirst  du  nicht  mehr  so  sprechen. 

So  lautet  im  Mokebadharma  die  Unterredung  zwischen  Bali  uud  Indra 
(Bali  -  Vdsava  -  samvdda) . 


Adhyaya  *^24  (B.  '^24). 

Vers  8088-8147  (B.  1-60). 

Bhishma  sprach : 

1.  (8088.)  Wiederum  sprach  Qsikra  lachelnd  dieses  Wort 
zu  ihm,  der  wie  eine  Schlange  zischte,  und  setzte  die  Rede 
fort,  0  Bharata. 

Q'akra  sprach: 

2.  (8089.)  Dafs  du  so  mit  tausend  Wagen  und  von  An- 
gehorigen  umgeben,  alle  Welten  erwarmend,  dahinzogst,  ohne 
dich  um  uns  zu  kiimniern, 

3.  (8090.)  und  dafs  du  jetzt  diesen  deinen  so  klagliciien 
Zustand  siehst,  o  Bali,  wo  du  von  Angehorigen  und  Freunden 
verlassen  bist,  beklagst   du  das  oder  beklagst  du  es  nicht? 

4.  (8091.)  Nachdem  du  vordem  unvergleichliche  Freude 
hattest  und  die  Welten  in  deiner  Gewalt  standen,  beklagst 
du  da  diesen  Zusammenbruch  deiner  aufsern  Macht  oder  be- 
klagst du  ihn  nicht? 

Bali  sprach: 

5.  (8092.)  Weil  ich  in  dieser  Welt  nur  Vergangliches  sehe 
infolge  des  Gesetzes  des  Umschwungs  der  Zeit  ('Mia J,  darum, 
o  Qakra,  klage  ich  nicht,  denn  alles  hienieden  ist  endlich. 

6.  (8093.)  Endlich  sind  diese  unsere  Leiber  und  die  der 
iibrigen  Wesen,  o  Herr  der  Gotter,  darum,  o  Qakra,  beklage 
ich  nicht,  was  ohne  meine  Schuld  herbeigefiihrt  ist. 

7.  (8094.)  Das  Leben  und  der  Leib  werden  bei  der  Geburt 
zusammen  geboren,  wachsen  beide  zusammen  und  gehen  zu- 
sammen  wieder  beide  zugrunde. 

8.  (8095.)  Denn  keinerlei  Beunruhigung,  da  ich  einen  der- 
artigen   entblofsten    Zustand   gegen    meinen   Willen    erlangt 


294  III.    Mokshadharma. 

habe  und  mir  dessen  bew  uf st  bleibe  —  welcherlei  Beunruhigung 
konnte  mir  werden,  da  ich  dies  weifs! 

9.  (8096.)  Der  Tod  ist  das  Endziel  der  Wesen,  wie  der 
Ozean  das  Endziel  der  Fliisse;  die  Menschen,  welche  dies 
nicht  vollstandig  begreifen,  gehen  in  der  Irre,  o  Donnerkeil- 
bewaffneter. 

10.  (8097.)  Die  nun,  welche  dies  nicht  erkennen  und  der 
Leidenschaft  und  Verblendung  huldigen,  verzagen,  wenn  sie 
ins  Elend  geraten,  denn  ihr  Verstand  lafst  sie  im  Stiche. 

11.  (8098.)  Wen  aber  sein  Verstand  nicht  verlafst,  der 
stofst  alle  Siinde  von  sich  ab  und  frei  vom  Bosen  ergreift 
er  das  Gute  (sattvam)  und  kommt  im  Guten  beharrend  zur 
Kuhe. 

12.  (8099.)  Diejenigen  hingegen,  welche  sich  vom  Guten 
abwenden  und  immer  wieder  und  wieder  geboren  werden, 
werden  jammerlich  gequ^lt,  indem  sie  durch  diese  Zwecke 
hier  sich  angetrieben  fiihlen. 

13.  (8100.)  Gliickerlangung  und  Ungliick,  Leben  und  Tod, 
die  Friichte  der  Lust  und  des  Leides  verabscheue  ich  nicht 
und  begehre  sie  auch  nicht. 

14.  (8101.)  Ein  Toter  totet  einen  Toten,  wenn  ein  Mensch 
den  andern  totet,  „irr  gehen  dieser  wie  jener"  (Kath.  Up.  2,19), 
der,  welcher  totet,  und  der,  welcher  getotet  wird. 

15.  (8102.)  Wenn  einer  totend  und  siegend  mannhafte 
Taten  vollbringt,  so  ist  nicht  er  der  Tater,  sondern  ein 
[anderer]  Tater  ist  es,  der  die  Tat  vollbringt. 

16.  (8103.)  Wer  ist  es  denn,  der  beides,  Vergang  und 
Neuentstehung  der  Welt,  macht?  Von  einem  Gemachten 
wird  jenes  [menschliche  Werk]  gemacht,  und  sein  eigent- 
licher  Tater  ist  ein  anderer. 

17.  (8101.)  Aus  Erde,  Feuer,  Ather,  Wasser  und  Wind 
als  lunftem,  aus  diesen  sind  die  Wesen  entsprungen,  was 
ware  da  zu  beklagen! 

18.  (8105.)  Der  sehr  Weise  und  der  Unweise,  der  Starke 
und  der  Schwache,  der  Ansehnliche  und  der  Unansehnliche, 
der  Gliickliche  und  der  Unglilckliche,  — 

19.  (8106.)  alles  verleiht  ihnen  Kala  (die  Zeit),  welcher 
tief  gegriindet  ist  in  ihrer  eigenen  Kraft;  und  da  dies  alles 


Adhyaya  224  (B.  224).  295 

unter  der  Herrschaft  des  Kala  steht,  wie  sollte  ich  mich  be- 
unruhigen,  da  ich  dieses  weifs. 

20.  (8107.)  Der  Mensch  verbrennt  nochmals,  was  schon 
verbrannt  war,  getotet  wird  von  ihm,  was  schon  getotet  war, 
vernichtet  wird  das  schon  vorher  Vernichtete  und  ergriffen 
das,  was  zu  ergreifen  vorher  bestimmt  war. 

21.  (8108.)  Keine  Insel  ist  hier  zu  sehen,  kein  jenseitiges 
Ufer  und  kein  diesseitiges ,  keine  Grenze  erbhcke  ich  dieser 
gotthchen  Ordnung,  so  sehr  ich  dariiber  nachdenke. 

22.  (8109.)  Ja,  wenn  es  nicht  der  Fall  ware,  dafs  Kala 
(die  Zeit)  vor  meinen  Augen  vernichtete,  dann  konnte  ich 
vielleicht,  o  Gemahl  der  (^aci,  Freude  und  Stolz  und  Zorn 
hegen. 

23.  (8110.)  Du  aber,  da  du  mich  Hiilsen  kauen,  in  einem 
menschenleeren  Hause  wohnen  und  Eselsgestalt  tragen  siehst, 
kommst  zu  mir  und  beschimpfst  mich! 

24.  (8111.)  Wollte  ich  es,  so  konnte  ich  ja  meine  Gestalten 
noch  vielfach  umwandeln  und  so  furchtbar  machen,  dafs  du 
bei  ihrem  Anblicke  vor  mir  fliehen  wiirdest. 

25.  (8112.)  Kala  (die  Zeit)  ist  es,  der  alles  nimmt,  Kala, 
welcher  alles  gibt,  durch  Kala  wird  alles  verhangt;  tue  dir 
nichts  auf  deine  Mannhaftigkeit  zugute. 

26.  (8113.)  Ehemals  zitterte  alles,  wenn  ich  ziirnte,  o  Stadte- 
zerstorer,  jetzt  aber  erkenne  ich,  o  Qakra,  dafs  ein  ewiges 
Gesetz  diese  Welt  regiert. 

27.  (8114.)  Sieh  auch  du  es  so  an  und  verfalle  nicht  in 
Bewunderung  deiner  selbst;  Entstehung  und  Macht  stehen 
nimmermehr  bei  uns  selbst. 

28.  (8115.)  Kindisch  ist  dein  Geist,  heute  noch  ebenso  wie 
vordem.  Besinne  dich,  o  Mach tiger,  und  komme  zu  einer 
verstandigen  Auffassung. 

29.  (8116.)  Gotter  und  Menschen,  Vater,  Gandharven, 
Schlangen  und  Kobolde  standen  alle  unter  meiner  Herrschaft, 
das  alles  weifst  du,  o  Vasava. 

30.  (8117.)  „Verehrung  sei  der  Himmelsgegend,  in  welcher 
Bali,  der  Sohn  des  Virocana,  weilt!"  mit  solchen  Worten 
kamen  sie  auf  mich  zu,  in  ihrem  Geiste  durch  Selbstsucht 
verblendet. 


296  m.    Mokshadharma. 

31.  (8118.)  Ich  bin  dariiber  nicht  betriibt,  nicht  iiber 
nieinen  Sturz,  o  Gemahl  der  Qaci.  Denn  mir  ist  das  sichere 
Bewufstsein  geworden,  dafs  ich  unter  der  Gewalt  eines 
[andern]  Herrn  stehe. 

32.  (8119.)  Die  Erfahrung  zeigt,  wie  ein  Hochgeborener, 
an  Ansehen  und  Majestat  Eeicher  mitsamt  seinen  Angehorigen 
oft  im  Leiden  lebt,  denn  es  mufste  so  sein. 

33.  (8120.)  Und  wiederum  zeigt  die  Erfahrung,  wie  ein 
niedrig  Geborener,  der  noch  dazu  torichten  Sinnes  und  von 
schlechter  Art  war,  o  ^akra,  mitsamt  seinen  Angehorigen 
oft  in  Freuden  dahinlebt,  denn  es  mufste  so  sein. 

34.  (8121.)  Ein  schones,  edelgestaltetes  Weib  lebt  oft  im 
Ungliick,  o  Qakra,  und  eine  andere,  die  unansehnhch  und 
mifsgestaltet  ist,  lebt  im  Gliick. 

35.  (8122.)  Es  ist  nicht  unser  Werk,  o  Qakra,  und  ist, 
o  Qakra,  nicht  dein  Werk,  dafs  es  dir  so  ergeht,  o  BUtz- 
schleuderer,  und  dafs  es  uns  so  ergangen  ist. 

36.  (8123.)  Nicht  ist  dieses  Werk  von  dir  (bhavatd  mit  C.) 
gewirkt  worden,  oder  meines;  sei  es  Gliick  oder  sei  es  Un- 
gliick, es  wird  gewirkt  durch  den  Umschwung  [der  Zeit]. 

37.  (8124.)  Ich  sehe  dich  als  Herrscher  und  Gotterkonig 
feststehend,  im  Gliicke  und  im  Glanze  donnernd  iiber  mir. 

38.  (8125.)  Hatte  nicht  Kala  mich  in  dieser  Weise  iiber- 
mannt,  so  wiirde  ich  dich  heute  mitsamt  deinem  Donnerkeil 
mit  meiner  Faust  niederstrecken. 

39.  (8126.)  Aber  es  ist  jetzt  keine  Zeit  zu  tapferen  Taten, 
die  Zeit  der  Beruhigung  ist  gekommen.  Kala  ist  es,  der 
alles  ordnet,  Kala,  der  alles  zur  Reife  bringt. 

40.  (8127.)  Wenn  mich  Kala  iiberkommen  hat,  der  ich  als 
Fiirst  der  Danava's  geehrt  war,  welchen  andern,  der  da 
donnert  und  leuchtet,  wird  er  nicht  iiberkommen? 

41.  (8128.)  Ich  war  es,  der  ich  als  nur  einer  die  Krafte 
von  euch  zwolf  hochmachtigen  Aditya's  alien  gestiitzt  habe, 
o  Gotterkonig. 

42.  (8129.)  Ich  ziehe  die  Wasser  empor  (dpah  Ace!)  und 
schiitte  sie  herab,  o  Vasava,  ich  erwarme  die  drei  Welten, 
und  ich  allein  erleuchte  sie. 


Adhyaya  224  (B.  224).  297 

43.  (8130.)  Icli  erhalte  und  ich  zerstore,  ich  gebe  und  ich 
nehme,  ich  umfasse  und  ich  bandige  als  Herr  und  Gebieter 
in  den  Welten. 

44.  (8131.)  Diese  Herrschermacht  ist  mir  jetzt  benommen, 
o  Herr  der  Gotter,  von  der  Heeresmacht  des  Kala  bin  ich 
gestiirzt  worden,  und  das  alles  erglanzt  mir  nicht  mehr. 

45.  (8132.)  Nicht  ich  bin  der  Tater  und  nicht  du  bist  es, 
und  auch  kein  anderer  ist  der  Tater,  o  Gemahl  der  Qaci; 
durch  den  Zeitumschwung  werden  die  Welten  beherrscht,  o 
Qakra,  wie  es  der  Zufall  fiigt. 

46.  (8133.)  Ihn,  dessen  M'ohnung  Monate  und  Halbmonate, 
dessen  Gewand  Tag  und  Nacht,  dessen  Pforten  die  Jahres- 
zeiten,  dessen  Giebel  das  Jahr  ist  [varsha  mit  C),  soil  man, 
wie  die  der  Lebenswissenschaft  kundigen  Menschen 

47.  (8134.)  sagen,  als  dieses  Weltall  betrachten,  wie  einige 
Menschen  ihn  ihrer  Weisheit  [lehren],  und  die  fiinf  Seiten 
dieser  Betrachtung  konnte  ich  [nach  Taitt.  Up.  2,  wo  jede 
der  fiinf  Hiillen  des  Brahman  fiinffach  zergliedert  wird]  noch 
fiinffach  umschreiben. 

48.  (8135.)  Aber  tief  und  unergriindlich  ist  das  Brahman 
wie  ein  grofser  Wasserozean,  als  anfanglos  und  endlos  schildern 
sie  es,  als  das  Unwandelbare  und  das  Wandelbare. 

49.  (8136.)  Als  eingehend  in  das  Lihgam  [den  die  Seele 
umhiillenden  psychischen  Apparat]  und  doch  als  jenes  an 
sich  Liiigalose,  als  den  Unwandelbaren  betrachten  ihn  die 
Menschen,  welche  die  Wahrheit  schauen. 

50.  (8137.)  Wenn  sie  aber  behaupten,  dafs  er,  der  Heilige, 
die  Umwandlung  der  Wesen  bewirke  [die  Weltursache  sei], 
so  darf  doch  nicht  soweit  gegangen  werden  [das  Kausalitats- 
gesetz  findet  auf  Brahman  keine  Anwendung],  noch  auch 
[bis  zu  der  Frage],  woraus  er  wiederum  entstanden  sei. 

51.  (8138.)  Er  ist  das  Ziel  aller  Wesen,  wohin  konnte 
einer  gehen,  wenn  nicht  zu  ihm,  der  auch  von  einem  Laufen- 
den  nicht  zu  iiberholen  ist,  ja,  der,  auch  wenn  er  still  steht, 
nicht  iiberholt  werden  kann  (vgl.  tga  Up.  4). 

52.  (8139.)  Ihn  nehmen  alle  Sinne,  fiinffach  wie  sie  sind, 
nicht  wahr,  ihn  nennen  einige  Agni,  einige  Prajapati, 

53.  (8140.)   ihn  bezeichnen  andere  als  Jahreszeiten,  Monate 


298  HI.    Mokshadliarina. 

und  Halbmonate,  als  Tage  und  Momente,  als  Vormittag,  Nach- 
mittag  oder  Mittag, 

54.  (8141.)  oder  auch  als  Stunde,  indem  sie  ihn  den  einen 
in  vielfacher  Weise  benennen,  du  aber  wisse  ihn  als  Kala 
(die  Zeit),  in  dessen  Gewalt  die  ganze  Welt  ist. 

55.  (8142.)  Viele  tausend  Indra's,  o  Vasava,  die  mit  Kraft 
und  Mannheit  ausgestattet  waren,  wie  du,  o  Gatte  der  Qaci, 
sind  schon  voriibergegangen. 

56.  (8143.)  Und  auch  dich,  o  (^'akra,  den  Ubermachtigen, 
den  Gotterkonig,  den  Kraftstrotzenden ,  wird,  wenn  die  Zeit 
da  ist,  der  grolsmachtige  Kala  zur  Ruhe  bringen, 

57.  (8144.)  der  diese  ganze  Welt  verschlingt;  darum,  o 
(^akra,  bleibe  ruhig;  nicht  von  mir,  noch  von  dir  oder  von 
den  friiheren  ist  es  moglich,  ihn  abzuwehren. 

58.  (8145.)  Diese  hochste  konigliche  Herrlichkeit,  von  der 
du  dir  bewufst  bist,  sie  erlangt  zu  haben,  wenn  du  glaubst, 
dafs  die  in  deiner  Gewalt  stehe,  so  irrst  du  dich;  sie  steht 
in  niemandes  Gewalt. 

59.  (814C.)  Denn  sie  stand  in  der  Hand  von  tausend  Indra's, 
welche  weit  vortrefflicher  waren  als  du;  mich  hat  die  un- 
stete  verlassen  und  ist  auf  dich  iibergegangen ,  o  Herr  der 
Gotter. 

60.  (8147.)  Betrage  dich  nicht  wieder,  wie  du  es  getan 
hast,  o  Qakra,  beruhigt  solltest  du  werden;  denn  auch  von 
dir,  wenn  sie  dich  in  deinem  Stolze  sieht,  wird  die  Herrlich- 
keit bald  auf  einen  andern  iibergehen. 

So  lautet  jm  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Bali  tiud  Indra 
(Bali-  Vdsaca-  aaincdda). 


AclhyAya  !2*25  (B.  *^t>5). 

Vers  8148-8186  (B.  1-38). 

Bhishma  sprach: 

1.  (8148.)  Da  sail  der  hundertkraftige  Gott,  wie  aus  dem 
hochherzigen  Bali  mit  Glanz  die  leibhaftige  (-Yi  (Gliicksgottin) 
aus  seinem  Leibe  herauszog. 


Adhyiiya  -I'lb  (B.  22o).  299 

2.  (8149.)  Als  der  erhabene  Damonenziichtiger  diese  von 
Glanz  flammend  erblickte,  da  richtete  er,  der  Vasava,  mit 
vor  Erstaunen  weit  geoffneten  Augen  an  den  Bali  die  Frage. 

^'akra  sprach: 

o.  (8150.)  0  Bali,  wer  ist  diese  Glanzende,  Federbusch- 
geschmiickte,  welche  soeben  aus  dir  auszog,  aus  dir,  in  dem 
sie  mit  Armspangen  geziert  und  mit  eigenem  Glanze  strah- 
lend  geweilt  hatte? 

Bali  sprach : 

4.  (8151.)  Weder  als  eine  Damonin  noch  als  eine  Gottin 
Oder  als  ein  Menschenweib  erkenne  ich  sie;  frage  sie  selbst 
oder  frage  sie  nicht,  mache  es,  o  Vasava,  wie  du  willst. 

(j!akra  sprach: 

5.  (8153.)  Wer  bist  du,  die  du  glanzend  und  federbusch- 
geschmiickt  aus  dem  Bali  ausgezogen  bist?  Sage  mir,  der 
ich  ihn  nicht  kenne,  deinen  Namen,  o  heiter  Lachelnde. 

6.  (8153.)  Wer  bist  du,  die  du  in  dieser  Weise  in  eigenem 
Glanze  strahlend  an  mich  herantrittst,  nachdem  du  den  Besten 
der  Daitya's  verlassen  hast,  o  Schonbrauige  ?  Das  beantworte 
mir  auf  meine  Frage. 

Die  (^vi  (Gliicksgottin)  sprach : 

7.  (8154.)  Mich  kennt  nicht  Virocana  und  nicht  dieser  von 
Virocana  stammende  Bali;  sie  nennen  mich  die  Schwerzu- 
ertragende  und  auch  als  die  Tatendurstige  kennen  sie  mich. 

8.  (8155.)  Auch  als  die  Fiille  (hhutij  und  die  Schonheit 
flakshmij  bezeichnen  sie  mich,  oder  auch  als  das  Gliick  (grij, 
0  Vasava.  Du  kennst  mich  nicht,  o  (^'akra,  alle  Gotter  wissen 
nicht,  wer  ich  bin. 

(^akra  sprach: 

9.  (8156.)  Geschieht  es  um  meinetwillen  oder  um  des  Bali 
willen,  dafs  du,  o  Schwerzuertragende,  ihn  in  dieser  Weise 
verlafst,  nachdem  du  lange  in  ihm  geweilt  hattest? 


300  in.    Mokshadharma. 

Die  ^ri  sprach: 

10.  (8157.)  Kein  Schopfer  ist  es  und  kein  Ordner,  der 
mich  irgendwie  verordnet,  sondern  Kala  (Zeit)  ist  es,  welcher 
kreist,  den  mogest  du,  o  (^akra,  nicht  gering  achten. 

^•akra  sprach: 

11.  (8158.)  Wie  kommt  es,  dafs  Bali  von  dir  verlassen 
wurde,  oder  warum  geschah  es,  o  Federbuschgeschmiickte, 
und  wie  mache  ich  es,  dafs  du  mich  nicht  verlassest;  das 
sage  mir,  o  heiter  Lachelnde. 

Die  Qri  sprach: 

12.  (8159.)  Ich  weile,  wo  Wahrheit,  Freigebigkeit,  Ge- 
liibde,  Askese,  Mannhaftigkeit  und  Pflicht  sind,  von  ihnen 
alien  hat  sich  Bali  abgewandt. 

13.  (8160.)  Ehedem  war  er  brahmanenfreundlich,  die  Wahr- 
heit redend  und  die  Sinne  bezahmend,  dann  aber  zeigte  er 
UbelwoUen  (abhyasiiyat)  gegen  die  Brahmanen  und  beriihrte 
mit  ungewaschenen  Handen  die  Opferbutter. 

14.  (8161.)  Er  war  stets  opfereifrig  gewesen  und  hatte 
selbst  die  Opfer  mir  dargebracht;  aber  er  nahm  die  Welten 
in  Anspruch,  torichten  Sinnes  und  von  Kala  heimgesucht. 

15.  (8162.)  Von  ihm  mich  loslosend,  o  (^akra,  werde  ich 
in  dir  wohnen,  o  Vasava ;  durch  Besonnenheit  mufst  du  mich 
festhalten,  durch  Askese  und  Tapferkeit. 

^akra  sprach: 

16.  (8163.)  Nicht  unter  Gottern  und  Menschen,  nicht  unter 
alien  Wesen  gibt  es  einen  Mann,  der  dich  als  einziger  in 
seine  Gewalt  bringen  konnte,  o  Lotosbewohnende ! 

Die  rjri  sprach: 

17.  (8164.)  Allerdings  gibt  es  keinen  Gott,  Gandharva, 
Damon  oder  Kobold,  der  mich  als  einziger  in  seine  Gewalt 
bringen  konnte,  o  Stadtezerstorer. 

^akra  sprach : 

18.  (8165.)  Wie  du  fiir  immer  in  mir  weilen  kannst,  das 
sage  mir,  o  Schone,  und  was  du  mir  sagst,  das  werde  ich 
tun,  dies  mogest  du  mir  wahrheitsgemafs  sagen. 


Adhyaya  225  (B.  225).  301 

Die  (^ri  sprach: 

19.  (8166.)  Wie  ich  fiir  immer  in  dir  weilen  kann,  o  Gotter- 
fiirst,  das  vernimm :  Nach  der  im  Veda  enthaltenen  Vorschrift 
zerlege  mich  in  vier  Teile. 

(^akra  sprach: 

20.  (8167.)  Gewifs,  ich  werde  dich  unterbringen,  wo  Kraft 
und  Macht,  dich  zu  tragen,  ist,  nur  moge  mir,  o  Lakshmi, 
kein  Vergehen  dir  gegeniiber  jemals  begegnen. 

21.  (8168.)  Die  Erde  gilt  unter  den  Menschen  als  die 
Tragerin  und  Wesenbildnerin ,  sie  wird  ein  Viertel  von  dir 
tragen  konnen,  denn  sie  ist  dazu  imstande,  so  meine  ich. 

Die  ^ri  sprach: 

22.  (8109.)  Dieses  Viertel  von  mir  ist  wohlgeborgen, 
welches  auf  der  Erde  ruht;  nun,  o  (^akra,  sorge  daher,  dal's 
auch  mein  zweites  Viertel  wohlgeborgen  sei. 

(^akra  sprach: 

23.  (8170.)  Die  Wasser  gelten  unter  den  Menschen  als  die 
Fliefsenden  und  Umschliefsenden  (paricdrimh  Nom.  PI.) ;  die 
mogen  ein  Viertel  von  dir  tragen,  denn  die  Wasser  sind  im- 
stande, es  zu  tragen. 

Die  ^ri  sprach: 

24.  (8171.)  Dieses  Viertel  von  mir  ist  wohlgeborgen, 
welches  in  den  Wassern  ruht;  nun,  o  ^akra,  sorge  daher, 
dafs  auch  mein  drittes  Viertel  wohlgeborgen  sei. 

(^akra  sprach: 

25.  (8172.)  Das,  worauf  die  Veden  und  die  Opfer,  worauf 
die  Gotter  gegriindet  sind,  das  Feuer  wird  dein  drittes  Viertel 
tragen,  so  wird  es  wohlgetragen  sein. 

Die  ^ri  sprach : 

26.  (8173.)  Dieses  Viertel  von  mir  ist  wohlgeborgen, 
welches  im  Feuer  ruht ;  nun,  o  Qakra,  sorge  daher,  dafs  auch 
mein  viertes  Viertel  wohlgeborgen  sei. 


302  III.    Mokshadharma. 

^)akra  sprach : 

27.  (S174.)  Diejenigen  unter  den  Menschen,  welche  gut 
und  fromm  und  Wahrheit  redend  sind,  die  mogen  ein  Viertel 
von  dir  tragen,  die  Guten  sind  imstande,  es  zu  tragen. 

Die  Tri  sprach : 

28.  (8175.)  Dieses  Viertel  von  mir  ist  wohlgeborgen, 
welches  in  den  Guten  ruht;  in  dieser  Weise  also,  o  Qakra, 
mache  mich  wohlgeborgen  in  den  Wesen. 

^^akra  sprach: 

29.  (8176.)  Wer  unter  den  Wesen  dich,  nachdem  ich  dich 
in  ihnen  wohlgeborgen  habe,  verletzen  will,  der  ist  von  mir 
zu  bekampfen;  mogen  sie  dieses  mein  Wort  vernehmen!  — 
(8177.)  Da  sprach  der  von  der  (^ri  verlassene  Bali,  der  Konig 
der  Daitya's. 

Bali  sprach: 

30.  (817S.)  Solange  das  Tagesgestirn  im  Osten  leuchtet, 
solange  erleuchtet  es  auch  die  siidliche  und  westliche,  so- 
lange auch  die  nordliche  Himmelsgegend. 

31.  (8179.)  Wenn  aber  die  Sonne  ebenso  [leuchtend]  im 
Mittag  [stehend]  nicht  [mehr]  untergeht,  dann  soil  der  Kampf 
zwischen  Gottern  und  Damonen  wieder  entbrennen,  dann 
werde  ich  euch  besiegen. 

32.  (8180.)  Ja,  wenn  die  Sonne  an  dem  einen  Punkte  fest- 
stehend  alle  Welten  bestrahlen  wird  (vgl.  Chand.  Up.  3,11,1), 
dann  werde  ich  in  dem  Kampfe  zwischen  Gottern  und  Da- 
monen dich  besiegen,  o  Hun  der  tkraf tiger! 

■     Qakra  sprach : 

33.  (8181.)  Von  Gott  Brahman  bin  ich  angewiesen  worden, 
dich  nicht  zu  toten  (oben  Vers  8068),  darum  schleudere  ich, 
o  Bali,  den  Donnerkeil  nicht  auf  dein  Haupt. 

34.  (8182.)  Gehe,  wohin  es  dir  beliebt,  o  Fiirst  der  Daitya's, 
moge  es  dir  wohl  ergehen,  o  grofser  Damon;  denn  niemals 
wird  die  Sonne  so  leuchten,   dafs   sie  in  der  Mitte  feststeht. 


Adhyaya  -225  (B.  225).  303 

35.  (8183.)  Denn  ihre  Satzung  ist  ehedern  von  dem  durch 
sich  selbst  Seienden  bestimmt  worden,  unermiidlich  wandelt 
sie  um  in  Treue,  die  Geschopfe  erwarmend. 

3().  (8184.)  Ihr  Gang  geht  sechs  Monate  nach  Norden  und 
ebenso  nach  Siiden,  auf  dem  sie  in  den  Welten  wandelt,  die 
Sonne,  Kalte  und  Warme  verbreitend. 

Bhishma  sprach: 

37.  (8185.)  Nachdem  zu  Bali,  dem  Fiirsten  der  Daitya's, 
von  Indra  so  gesprochen  worden  war,  o  Bharata,  ging  jener  in 
die  siidliche  Gegend  und  der  Stadtezerstorer  in  die  nordliche. 

38.  (8186.)  Nachdem  er  dieses  von  Bali  vorgetragene, 
durch  Freiheit  und  Selbstsucht  gekennzeichnete  Wort  ver- 
nommen  hatte,  stieg  der  Tausendaugige  zum  Ather  empor. 

So  laiitet  im  Mokshadharma  die  Verteihiiig  der  GlucksgSttin 
(Qri  -  taiiini'l/idnarii). 


Ailliyaya  226  (B.  22(y). 

Vers  8187-8211  (B.  1-23). 

Bhishma  sprach: 

1.  (8187.)  Dariiber  erzahlt  man  sich  auch  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Unterredung  zwischen  dem  Hundert- 
kraftigen  (Indra)  und  Namuci,  o  Yudhishthira. 

2.  (8188.)  Zu  ihm,  der  vom  Gliick  verlassen  dasafs,  still 
wie  ein  unbewegtes  Meer,  und  das  Entstehen  und  Vergehen 
der  Wesen  kannte,  sprach  folgendermafsen  der  Stadte- 
zerstorer : 

3.  (8189.)  Mit  Stricken  gebunden,  aus  deiner  Stellung  ver- 
stofsen,  in  die  Hand  deiner  Feinde  gegeben  und  vom  Gliick 
verlassen,  o  Namuci,  beklagst  du  dich  oder  beklagst  du  dich 
nicht?  (vgl.  Vers  803i). 

Namuci  sprach : 

4.  (8190.)  Durch  unabwendbares  Leid  wird  der  Korper 
gequalt  und  die  Feinde  freuen  sich,  im  Leid  hat  man  keine 
Genossen. 


k. 


304  III-    Moksliadharma. 

5.  (8191.)  Darum,  o  ("akra,  klage  ich  nicht,  denn  alles 
auf  dieser  Welt  ist  verganglich,  durch  das  Leiden  wird  die 
Gestalt  hinfallig,  durch  das  Leiden  wird  man  hinfallig  von 
seinem  Gliick. 

6.  (8192.)  Durch  Leiden  wird  das  Leben  hinfiilHg  und  auch 
die  Pflicht,  o  Herr  der  Gotter;  wer  aber  den  Schmerz  dar- 
iiber  von  sich  fern  halt,  in  dessen  Geist  tritt  das  Ewige 
hervor. 

7.  (8193.)  Dann  soil  man  mit  bewufstem  Geiste  das  im 
Herzen  befindliche  Schone  iiberdenken,  und  so  oft  ein  Mensch 
seinen  Geist  auf  dieses  Schone  richtet,  (8194.)  so  oft  gehen 
ihm  alle  seine  Wiinsche  in  Erfiillung  (Chand.  Up.  8,3,2),  daran 
ist  kein  Zweifel. 

8.  (8195.)  Ein  Gebieter  ist,  es  gibt  keinen  zweiten,  ihm 
gleichen  Gebieter;  dem  Menschen,  schon  wenn  er  noch 
im  Mutterleibe  liegt,  gebietet  dieser  Gebieter;  von  ihm 
getrieben  strome  ich  wie  Wasser  den  Abhang  herab,  je 
nachdem  er  mich  antreibt. 

9.  (8196.)  Indem  ich  Entstehen  und  Vergehen  erkenne 
und  aus  dieser  Erkenntnis  heraus  mir  des  Wertvolleren, 
Besseren  bewufst  bin,  bin  ich  es  doch  nicht,  der  das- 
selbe  verwirklicht ,  sondern,  wenn  ich  fiir  pflichtmafsige 
oder  fur  pflichtwidrige  Hoffnungen  tatig  bin,  strome  ich, 
so  wie  ich  von  ihm  getrieben  werde. 

10.  (8197.)  Je  nachdem  einer  dazu  bestimmt  ist,  etwas 
zu  erlangen,  dementsprechend  erlangt  er  es,  und  wie  etwas 
bestimmt  ist,  zu  geschehen,  dementsprechend  geschieht 
es  auch. 

11.  (8198.)  Und  wozu  immer  einer  vom  Schopfer  schon' 
im  Mutterleibe  immer  wieder  [bei  jeder  neuen  Geburt]  be- 
stimmt ist,  darin  verharrt  er,  und  nicht  in  dem,  was  er 
selbst  wiinscht. 

-  12.  (8199.)  Dieser  Standpunkt,  zu  dem  ich  herabgekommen 
bin,  zu  dem  war  es  mir  bestimmt  zu  kommen;  wer  allezeit 
einen  solchen  Standpunkt  [der  Welt  gegeniiber]  einnimmt, 
der  wird  nie  in  Verwirrung  geraten. 

13.  (8200.)  Durch  die  Zeitlaufte  werden  die  Menschen 
herumgestofsen  und  keiner  ist,  der  sie  beschuldigen  konnte; 


Atlhyaya  226  (B.  226).  305 

aber  darin  besteht  das  Leid,  dafs  der  Unzufriedene  wahnt, 
er  selbst  sei  der  Tater. 

14.  (8201.)  Mogen  es  Weise  sein  oder  Goiter,  oder 
grofse  Damonen,  Kenner  der  drei  Veden  oder  Einsiedler 
im  Walde,  wer  ist  nicht  [besser  ware  nu  „wohl"],  den 
in  der  Welt  das  Ungliick  nicht  beugte !  Die  aber,  welche 
das  Hochst-und-Tiefste  (Mund.  Up.  2,2,8)  erkannt  haben, 
werden  dadurch  nicht  erschtittert. 

1.0.  (8202.)  Der  Weise  ztirnt  nicht  mehr  und  strebt 
nicht  mehr,  er  ist  nicht  verzagt  imd  freut  sich  nicht; 
auch  in  iiberaus  {ati  mit  Nil.)  schlimmen  Notlagen  ist 
er  nicht  bekiimmert,  sondern  steht  seiner  Natur  nach 
unerschiitterlich  wie  der  Himalaya. 

16.  (820.S.)  Wen  das  hochste  Gelingen  seines  Vorhabens 
nicht  verwirrt  macht  und  wen  ebenso  eine  zeitweilige 
Notlage  nicht  verwirrt  macht,  wer  vielmehr  Lust  und 
Leid  sowie  den  mittlern  Zustand  ruhig  hinnimmt,  der 
Mann  ist  ein  Fiihrender. 

17.  (8204.)  In  welchen  Zustand  auch  immer  ein  Mensch 
geraten  mag,  mit  dem  gebe  er  sich  zufrieden  und  harme 
sich  nicht,  indem  er  auf  diese  Weise  jede  erwachsende, 
im  Herzen  aufkeimende,  Kummer  bereitende  Pein  von 
seinem  Leibe  fernhalt. 

18.  (8205.)  Es  gibt  keine  Sitzung,  keine  Zusammen- 
kunft  der  Guten,  keine  Ratsversammlung,  in  welche  ein- 
tretend  er  nicht  jederzeit  Furcht  einflofst;  er,  der  Ver- 
standige,  welcher  das  Wesen  des  Gesetzes  ergrlindet  hat 
und  versteht,  der  Mann  ist  ein  Fiihrender. 

19.  (8206.)  Die  Werke  des  Weisen  sind  schwer  zu  voll- 
bringen ;  der  Weise  wird  nicht  verwirrt  zur  Zeit  der  Ver- 
wirrung,  und  auch  wenn  er,  der  Beste,  von  seiner  Stelle 
herabgestofsen  ist,  gerat  er  nicht  in  Verwirrung,  er,  der 
Erfahrene,  wenn  er  ein  so  elendes  Mifsgeschick  er- 
litten  hat. 

20.  (8207.)  Nicht  durch  Zauberspriiche,  Kraft  oder  Tapfer- 
keit,  Weisheit  und  Mannhaftigkeit ,  nicht  durch  Charakter- 
festigkeit,  nicht  durch  sein  Verhalten  noch  auch  durch  Gliick 
in   seinen   Unternehmungen ,  (8208.)  kann   der   Sterbliche    er- 

Deussen,  Mababharatam.  20 


306  III-    Mokshadliarma.  , 

langen,  was  ihm  zu  eriangen  versagt  ist  —  was  hilft  es  da 
zu  klagen! 

21.  Was  in  dieser  Weise  dem  Spatergeborenen  die  Welt- 
ordner  vorher  bestimmt  haben,  (8209.)  dem  werde  ich  nach- 
kommen,  was  kann  mir  der  Tod  anhaben! 

22.  Man  erapfangt  nur,  was  man  empfangen  sollte,  man 
geht  nur,  wohin  man  gehen  sollte,  (8210.)  man  kommt  nur  zu 
dem,  wozu  man  kommen  sollte,  mag  es  Leid  oder  Lust  sein. 

23.  Der  Mann,  welcher  dieses  vollstandig  erkannt  hat 
und  nicht  in  Verwirrung  gerat,  (8211.)  sondern  in  alien  Leiden 
gefafst  bleibt,  das  ist  ein  alles  besitzender  Mann. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  (^'akra  und  Namuci 
(<^akfa-JS'amuci-samvdda). 


Adliyaya  '^21  (B.  2211), 
Vers  8212-8332  (B.  1-119). 

Yuclhislithira  sprach : 

1.  (8212.)  Was  ist  fiir  einen  Mann,  der  in  jammerlichen 
Zustand  herabgesunken  ist,  das  Beste,  o  Erdeherr,  wenn  er 
seine  Verwandten  verloren  oder  auch  sein  Konigreich  ver- 
loren  hat? 

2.  (8213.)  Du  bist  ja  fiir  uns  der  beste  Erklarer  in  dieser 
Welt,  o  Stier  der  Bharata's;  dich  befrage  ich  dariiber,  das 
mogest  du  mir  erklaren. 

Bhishma  spracli : 

3.  (8214.)  Wenn  einer  von  Kindern  und  Gattinnen,  von 
Freuden  und  Reichtum  entblofst  und  in  einen  jammerlichen 
Zustand  herabgesunken  ist,  dann  ist,  o  Fiirst,  dasjenige,  was 
sein  Bestes  fordert,  Standhaftigkeit. 

4.  (8215.)  Der  Leib,  welcher  immerfort  durch  Standhaftig- 
keit aufrecht  erhalten  wird,  gerat  nicht  in  Verfall;  Freiheit 
von  Gram  gewahrt  Behagen  und  gewahrt  grofste  Gesundheit. 

5.  (8216.)  Durch  Gesundheit  des  Leibes  aber  kommt  wieder 
zu  Gliick  ein  Mann,  der  verstandig  ist  und  an  einem  sattva- 
artigen  Verhalten  festhalt. 


Adhyaya  227  (B.  227).  307 

6.  (8217.)  Ein  soldier  besitzt  Herrschaft  und  Festigkeit 
und  Entschlossenheit  im  Handeln.  Gerade  dariiber  erzahlt 
man  sich  folgende  alte  Geschichte, 

7.  (8-218.)  namlich  die  abermalige  Unterredung  zwischen 
Bali  und  dem  Vasava  (Indra),  o  Yudhislithira,  Als  in  dem 
Kampfe  zwischen  Gottern  und  Damonen  die  Vernichtung  der 
Daitya's  und  Danava's  vollendet  war, 

8.  (8219.)  als  Vishnu  die  Welten  durchschritt,  der  Hundert- 
kraftige  (Indra)  als  Gotterkonig  thronte,  die  Gotter  verehrt 
wurden   und   das  Vierkastensystem  festgestellt  worden   war, 

9.  (8220.)  als  die  drei  Welten  nur  Gliick  kannten  und  der 
Durch-sich-selbst-  seiende  von  Freude  erfiillt  war,  da  geschah 
es,  dafs,  von  Rudra's,  Vasu's,  den  Aditya's,  den  AQvin's,  so- 
wie  von  Rishi's, 

10.  (8221.)  Gandharva's,  Schlangenfiirsten  und  sonstigen 
seligen  Wesen  umgeben,  der  Herr  seinen  viergezahnten,  wohl- 
gezahmten,  von  Schonheit  umgebenen  Elefantenfiirsten,  (8222.) 
seinen  Airavana,  er,  der  (^akra,  bestieg  und  die  drei  Welten 
durchzog. 

11.  Da  geschah  es,  dafs  der  Donnerkeiltrager  einstmals 
am  Rande  des  Meeres  in  einer  Berghohle  (8223.)  den  Bali,  den 
Sohn  des  Virocana,  erblickte  und  sich  ihm  naherte. 

12.  Aber  obgleich  Bali  ihn  auf  dem  Haupte  des  Airavata 
thronend  und  von  Gotterscharen  umgeben  sah,  (8224.)  ihn,  den 
Gotterfiirsten  Indra,  er,  der  Daityafiirst ,  so  klagte  er  doch 
nicht  und  kam  nicht  aus  der  Fassung. 

13.  Als  er  nun  ihn,  den  Bali,  so  sah,  wie  er  dastand 
ohne  seine  Haltung  zu  verandern  und  furchtlos,  (8225.)  da 
sprach  zu  ihm  der  auf  dem  Besten  der  Elefanten  reitende 
hundertkraftige  Gott: 

14.  0  Daitya,  dafs  du  unerschiitterlich  bleibst,  sei  es 
aus  Heldenmut,  sei  es  weil  du  durch  Verehrung  der  alten 
Weisen  (8226.)  und  Askese  gefafsten  Geistes  bist,  jedenfalls 
mufs  das  sehr  schwer  zu  vollbringen  sein. 

15.  Da  du  von  deinen  Feinden  unterjocht  worden  und 
der  hochsten  Stellung  verlustig  gegangen  bist,  (8227.)  worauf, 
o  Sohn  des  Virocana,  stiitzest  du  dich,  wenn  du  iiber  das 
Beklagenswerte  nicht  klagst? 

20* 


308  in.   Mokshadharma. 

16.  Du,  der  du  unter  den  Deinigen  die  hochste  Stelle 
einnahmst  und  grofser,  unvergleichlicher  Geniisse  teilhaft 
warst,  (8228.)  und  der  du  jetzt  deines  Besitzes,  deiner  Kleinodien 
und  deines  Reiches  beraubt  bist,  sage  mir,  wie  es  kommt, 
dafs  du  nicht  klagst. 

17.  Einstmals  warst  du  der  Herr  auf  dem  Throne  deines 
Vaters  und  Grofsvaters,  (8229.)  heute  mufst  du  zusehen,  wie  er 
dir  von  deinen  Widersachern  entrissen  ist;  wie  kommt  es, 
dafs  du  nicht  klagst? 

18.  Du,  mit  den  Fesseln  des  Varuna  gebunden  und  von 
dem  Donnerkeile  getroffen,  (8230.)  der  Gattin  beraubt  und  der 
Giiter  beraubt,  sage  mir,  warum  du  nicht  klagst. 

19.  Da  du  dein  Gliick  verloren  hast  und  aus  deiner  Macht 
herabgestiirzt  bist,  mufs  es  dir  doch  schwer  fallen,  nicht  zu 
klagen;  (8231.)  welcher  andere  wiirde  wohl  nach  Verlust  der 
Herrschaft  iiber  die  drei  Welten  es  ertragen,  noch  weiter  zu 
leben ! 

20.  Ihn  (den  Indra),  der  dieses  und  anderes  Rauhe 
sprach,  mit  Geringschatzung  (8232.)  und  behaghch  ohne  Er- 
regung  angehort  habend,  erwiderte  Bah,  der  Sohn  des 
Virocana. 

Bali  sprach: 

21.  (8233.)  Nachdem  ich  so  schwer  gedemiitigt  bin,  o  Qakra, 
was  soil  da  dein  Gerede!  Ich  sehe  dich  jetzt  mit  geziicktem 
Donnerkeile  vor  mir  stehen,  o  Stadtezerstorer. 

22.  (8234.)  Und  vordem  warst  du  machtlos  und  bist  mit 
knapper  Not  zur  Macht  gelangt!  Wer  aufser  dir  vermochte 
wohl  soldi  eine  rohe  Rede  zu  fiihren! 

23.  (8235.)  Nur  den,  welcher  imstande  ist,  fur  den  unter- 
worfenen  Feind,  den  er  in  der  Gewalt  hat,  Mitleid  zu  fiihlen, 
fiir  ihn,  der  als  ein  Held  in  seine  Hande  gelangt  ist,  nur 
einen  solchen  kann  man  fur  einen  Mann  halten. 

24.  (8236.)  Wenn  zwei  in  Kampfen  gegeneinander  streiten, 
so  besteht  doch  Unentschiedenheit,  einer  nur  kann  siegen 
und  einer  mufs  unterliegen. 

25.  (8237.)  Es  hatte  auch  geschehen  konnen,  dafs  diese 
Stellung  dir  nicht  zuteil  wurde,  o  Gotterstier,  und  dafs  du. 


Adhyaya  227  (B.  227).  309 

der  du  jetzt  der  Herr  iiber  alle  Wesen  bist,  durch  Tapferkeit 
mit  Gewalt  besiegt  worden  warest. 

26.  (8288.)  Es  ist  nicht  mein  Werk,  o  (^akra,  und  es  ist, 
o  Qakra,  auch  nicht  dein  Werk,  dafs  es  dir  so  ergangen  ist, 
o  Donnerer,  und  dafs  es  mir  so  ergangen  ist. 

27.  (8239.)  Ich  war  einst,  was  du  heute  bist  und  du  kannst 
einst  werden,  was  ich  bin;  verachte  nicht,  was  ich  geleistet 
habe,  mag  es  milslungen  sein  oder  nicht. 

28.  (8240.)  Lust  und  Leid  erlangt  der  Mensch  durch  den 
Zeitlauf ;  durch  den  Zeitlauf  bist  du  zum  Qakrasein  gelangt, 
o  Qakra,  und  nicht  durch  dein  Werk. 

29.  (8241.)  Kala  (der  Gott  der  Zeit)  fiihrt  mich  im  Lauf 
der  Zeit,  aber  ebenso  fiihrt  Kala  auch  dich.  Darum  stehe 
ich  heute  nicht  da,  wo  du  stehst,  und  du  nicht,  wo  ich  stehe. 

30.  (8242.)  Nicht  Gehorsam  gegen  Mutter  und  Vater,  nicht 
Verehrung  der  Gotter,  nicht  andere  Betreibung  einer  Tugend 
fiihrt  den  Menschen  zum  Gliick. 

31.  (8-243.)  Nicht  das  Wissen,  nicht  Askese  und  Freigebig- 
keit,  nicht  Freunde  und  Verwandte  sind  imstande,  einen 
Menschen  zu  retten,  wenn  er  von  Kala  bezwungen  wird. 

32.  (8244.)  Ein  herankommendes  Unheil  konnen  die  Men- 
schen nicht  durch  hundert  Vorkehrungen  abwenden  unge- 
achtet  der  Kraft  ihrer  Einsicht. 

33.  (8245.)  Fiir  die,  welche  durch  die  Zeitlaufte  getroffen 
werden,  gibt  es  keinen  Retter,  aber  das  schmerzt,  dafs  du, 
o  Qakra,  wahnst,  du  seiest  der  Tater. 

34.  (8246.)  Ware  der  Tater  wirklich  der  Tater,  so  konnte 
er  niemals  erschaffen  worden  sein;  weil  aber  der  Tater  er- 
schaffen  worden  ist,  darum  ist  er,  obgleich  Tater,  doch  nicht 
Herr  seiner  Tat. 

35.  (S247.)  Durch  Kala  habe  ich  dich  besiegt  und  durch 
Kala  bin  ich  von  dir  besiegt  worden;  Kala  ist  der  Gehende 
in  denen,  die  da  gehen,  Kala  ist  es,  der  die  Geschopfe  an- 
treibt  (kalayatij. 

36.  (8248.)  0  Indra,  wegen  deiner  niedrigen  Einsicht  wirst 
du  dir  der  Verganglichkeit  nicht  bewufst,  und  auch  manche 
andere  schatzen  dich  hoch,  gleich  als  hattest  du  durch  eigene 
Tat  die  Oberherrlichkeit  erlangt. 


310  in.   Mokshadharma. 

37.  (8249.)  Aber  wie  konnte  wohl  einer  wie  ich,  der  den 
Lauf  [pravrittayah  als  Akk.)  der  Welt  kennt,  wenn  er  von 
Kala  getroffen  wird,  klagen,  oder  verwirrt  oder  auch  nur  er- 
schiittert  werden. 

38.  (8250.)  Sollte  wohl  je  in  mir  oder  meinesgleichen, 
wenn  die  Zeit  uns  iibermannt,  unser  Verstand,  wenn  wir  in 
Not  geraten,  wie  ein  leckes  Schiff  versinken? 

39.  (8251.)  Ich  und  du  und  alle  anderen  Gotterherren,  die 
da  kommen  werden,  sie  alle,  o  Qakra,  werden  den  Weg  gehen, 
den  hundert  Indra's  vor  ihnen  gegangen  sind. 

40.  (8252.)  Auch  dich,  der  du  so  schwer  zu  bewaltigen 
bist  und  im  hochsten  Gliicke  strahlst,  wird,  wenn  die  Zeit 
herum  ist,  der  Zeitgott  forttreiben  wie  mich. 

41.  (8253.)  Viele  tausend  Indra's  und  [andere]  Gottheiten 
sind  im  Laufe  der  Weltperioden  von  Kala  iiberholt  worden, 
denn  Kala  (die  Zeit)  ist  schwer  zu  iiberholen. 

42.  (82B4.)  Du  aber,  nachdem  du  diese  Stellung  erlangt 
hast,  diinkest  dich  etwas  Grofses  zu  sein,  als  warest  du  der 
Urgrund  aller  Wesen,  der  ewige  Gott  Brahman. 

43.  (8255.)  Und  doch  ist  diese  Stellung  nicht  unerschiitter- 
lich,  noch  ewig,  wer  sie  auch  immer  einnehmen  mag;  du 
aber  wahnst  mit  kindischem  Verstande:  dieses  ist  mein. 

44.  (8256.)  Du  vertraust  auf  das,  worauf  nicht  zu  vertrauen 
ist,  und  wahnest  an  dem  Verganglichen  ein  Unvergangliches 
zu  haben,  und  dem  ist  so,  o  Herr  der  Gotter,  obgleich  dein 
Wesen  immerdar  von  Kala  iiberwaltigt  wird. 

45.  (8257.)  In  deiner  Verblendung  bist  du  bestrebt,  die 
Konigsherrlichkeit  dir  zu  erhalten,  indem  du  glaubst,  sie  sei 
dein ;  sie  ist  aber  weder  dein  noch  mein,  noch  irgendwelchen 
andern  bestandig  zu  eigen. 

46.  (8258.)  Denn  sie  ist  liber  viele  andere  hinweggegangen 
und  endlich  zu  dir  gelangt;  und  nachdem  sie  einige  Zeit  dir 
treu  geblieben  ist,  wird  sie,  o  Vasava,  ihre  Wankelmiitig- 
keit  zeigen. 

47.  (8259.)  Wie  eine  Kuh,  die  ihre  Behausung  verlal'st, 
wird  sie  wieder  zu  einem  andern  gehen;  Konigswelten  sind 
schon  vor  ihr  iibergangen  worden,  mehr  als  ich  aufzuzahlen 
vermag. 


Adhyaya  227  (B.  227).  311 

48.  (8260.)  Und  viele  andere  werden  nach  dir  kommen, 
o  Stadtezerstorer ;  diese  Erde  mitsamt  ihren  Baumen,  Krau- 
tern  und  Edelsteinen,  mitsamt  ihren  Geschopfen,  Waldern 
und  Fundgruben, 

49.  (8261.)  sie  ist  ehemals  von  denen  genossen  worden, 
welche  ich  jetzt  nicht  mehr  sehe:  Prithu,  Ailomaya,  Bhima, 
Naraka  und  Qambara, 

50.  (8262.)  Agvagriva  und  Puloman,  Svarbhanu,  Amita- 
dhvaja,  Prahrada,  Namuci,  Daksha,  Vipracitti,  Virocana, 

51.  (826.S.)  Hrinisheva  und  Suhotra,  Bhurihan,  Pushpavan, 
Vrisha,  Satyeshu,  Kishabha,  Bahu,  Kapilaksha,  Virupaka, 

52.  (8264.)  Bana,  Kartasvara,  Vahni,  Vigvadanshtra,  Nair- 
riti,  Sankoca,  Varitaksha,  Varahagva,  Ruciprabha, 

53.  (8265.)  Vigvajit  und  Pratirupa,  Vrishanda,  Vishkara, 
Madhu,  Hiranyakagipu  und  der  Danava  Kaitabha, 

54.  (8266.)  die  Daiteya's  und  die  Danava's,  diese  alle  mit- 
samt den  Nairrita's,  diese  und  viele  andere  friihere  und  noch 
friihere, 

55.  (8267.)  die  Daityafiirsten  und  Danavafursten,  und  von 
welchen  anderen  wir  noch  gehort  haben,  viele  vormalige 
Daityafiirsten,  —  sie  haben  die  Erde  verlassen  und  sind  dahin- 
gegangeUi 

56.  (8268.)  Diese  alle  sind  von  Kala  niedergeworfen,  denn 
Kala  ist  starker  als  sie  alle ;  und  doch  wurde  von  ihnen  alien 
mit  hundert  Opfern  geopfert,  nicht  du  allein  bist  der  Hundert- 
opferhafte. 

57.  (8269.)  Auch  sie  alle  achteten  die  Opferpflicht  als  das 
Hochste,  auch  sie  alle  vollbrachten  immerfort  grofse  Soma- 
opfer,  auch  sie  alle  durchwandelten  den  Luftraum,  auch  sie 
alle  kampften  Angesicht  gegen  Angesicht. 

58.  (8270.)  Sie  alle  waren  mit  Korperkraft  begabt,  hatten 
alle  Arme  wie  Torbalken,  besafsen  alle  hundert  Zauberkrafte, 
vermochten  alle  beliebige  Gestalten  anzunehmen. 

59.  (8271.)  Sie  alle  gingen  in  den  Kampf,  und  man  hort 
nicht,  dafs  sie  je  besiegt  worden  seien,  sie  alle  schiitzten  es 
als  Hochstes,  dem  Geliibde  treu  zu  bleiben,  sie  alle  ergingen 
sich  nach  Belieben. 

60.  (8272.)   Sie  alle  achteten  das  vedische  Geliibde  als  das 


312  ni.    Mokshadliarma, 

Hochste,  waren  alle  sehr  bewandert  in  der  heiligen  Schrift 
und  liatten  alle  als  Gottherren  die  erwiinschte  Gottherrlich- 
keit  erlangt. 

61.  (8273.)  Und  alle  diese  Hochherzigen  batten  ebemals 
keinen  Hocbmut  wegen  ibrer  Gottberrlichkeit,  sondern  alle 
spendeten,  wie  es  sicb  gebiihrt,  und  waren  alle  von  Selbst- 
sucbt  frei. 

62.  (8274.)  Sie  alle  gingen  mit  alien  Wesen  in  geziemender 
Weise  um,  waren  alle  Sobne  der  Daksbatochter  und  macb- 
tige  Nacbkommen  des  Prajapati. 

63.  (8275.)  Aber  obgleicb  sie  leucbteten  und  funkelten, 
wurden  sie  docb  von  Kala  fortgerissen ,  und  audi  du,  wenn 
du  diese  Erde  genossen  babend  sie  wieder  verlassen  mufst, 

64.  (8276.)  wirst,  o  Qakra,  alsdann  nicbt  imstande  sein, 
den  Kummer  deines  Herzens  zu  iiberwinden.  Lafs  fabren 
den  Wunscb  nacb  Geliisten  und  Geniissen,  lafs  fabren  den 
aus  deinem  Gliick  entspringenden  Hocbmut. 

65.  (8277.)  Dann  wirst  du  beim  Verluste  deiner  Selbst- 
berrscbaft  den  Scbmerz  zu  ertragen  vermogen;  zur  Zeit  des 
Rummers  mogest  du  nicbt  bekiimmert,  zur  Zeit  der  Freude 
nicbt  freudig  sein. 

66.  (8278.)  Lafs  das  Vergangene  und  das  Zukiinftige  auf 
sicb  beruben  und  befasse  dicb  mit  dem,  was  dir  gegenwartig 
zuteil  geworden  ist,  indem  du  unverdrossen  bleibst,  wenn  die 
Zeit  wieder  fiir  micb  kommen  wird,  der  icb  stets  darauf  ge- 
fafst  bin. 

67.  (8279.)  Halte  an  dicb,  o  Indra,  bald  wird  [Kala]  audi 
dicb  iiberkommen;  wenn  du  micb  bier  bedrobst,  o  Fiirst  der 
Gotter,  so  zerbaust  du  micb  gleicbsam  mit  blofsen  Worten. 

68.  (8280.)  Jetzt  freilicb,  wo  icb  niedergebalten  bin,  diinkst 
du  dicb  grofs;  aber  Kala  bat  micb  zuerst  beimgesucbt,  und 
spater  bolt  er  dicb  ein. 

69.  (8281.)  Darum  donnerst  du  jetzt,  o  Fiirst  der  Gotter, 
weil  icb  vorber  durcb  Kala  niedergeworfen  bin;  denn  wer 
konnte  sonst  in  der  Welt  standbalten  im  Kampfe  gegen  micb, 
wenn  icb  ziirne! 

70.  (8282.)  Aber  Kala,  der  Macbtige,  ist  fiir  dicb  ge- 
koriimen,  darum  stelist  du  bocb,  o  Vasava;  docb  das,  was 


Adhyaya  227  (B.  227).  313 

nach  tausend  Jahren  geschehen  wird,   das  Mdrd  schnell  ein- 
treffen. 

71.  (8283.)  Wahrend  mir,  dem  Hochmachtigen,  alle  meine 
Glieder  in  unziemlicher  Verfassung  sind  und  ich  von  der 
fiirstlichen  Stellung  herabgestiirzt  bin,  stehst  du  als  Fiirst 
im  Himmel  obenan. 

72.  (8284.)  Aber  nur  durch  den  Umschwung  des  Kala  bist 
du  in  dieser  bunten  Lebewelt  zu  verehren,  denn  was  hast  du 
getan,  dafs  du  jetzt  Indra  bist,  und  was  haben  wir  getan, 
warum  wir  herabgestiirzt  sind? 

73.  (8285.)  Kala  ist  Bewirker  und  Umgestalter,  alles  andere 
ist  wirkungslos,  [nur  er  bewirkt]  Vergang  und  Untergang, 
Gottherrlichkeit,  Lust  und  Leid,  Entstehen  und  Zugrunde- 
gehen. 

74.  (8286.)  Der  Weise,  dem  es  so  ergangen  ist,  soil  sich 
nicht  liber  die  Mafsen  freuen,  noch  auch  verzagen;  du  kennst 
mich  ja,  o  Indra,  und  ich  kenne  dich,  o  Vasava. 

75.  (8287.)  Was  briistest  du  dich  gegen  mich  und  was 
bist  du,  du  durch  Kala  schamlos  Gewordener!  Du  weifst  ja 
doch  von  lange  her,  welche  Mannhaftigkeit  mir  damals  zu 
eigen  war, 

76.  (8288.)  und  wie  ich  tapfer  war  in  Kampfen,  dafiir  ist 
der  Beweis  geliefert  worden;  sind  doch  die  Aditya's  und 
Rudra's,  die  Sadhya's  mitsamt  den  Vasu's 

77.  (8289.)  von  mir  vordem  vollig  besiegt  worden  mitsamt 
den  Marut's,  o  Gemahl  der  (,'aci,  in  dem  Kampfe  zwischen 
Gottern  und  Damonen,  wie  du  wohl  weifst,  o  Qakra. 

78.  (8290.)  Alle  die  weisen  Gotter  sind  von  mir  mit  Un- 
gestiim  im  Kampfe  zerschmettert  und  die  Berge  mehr  als 
einmal  umgesturzt  worden  mitsamt  ihren  Waldern  und  Wald- 
bewohnern, 

79.  (8291.)  mitsamt  ihren  Klippen  und  Gipfeln  von  mir  im 
Kampfe  auf  deinem  Haupte  zerschlagen  worden!  Und  was 
kann  ich  jetzt  ausrichten?   Ja,  Kala  ist  schwer  zu  iiberwinden. 

80.  (8292.)  Denn  es  ist  mir  keineswegs  unmoglich,  dich 
zu  toten  mit  meiner  Faust,  dich,  der  du  den  Donnerkeil 
schwingst;  aber  jetzt  ist  nicht  die  Zeit  fiir  tapfere  Tat  en, 
jetzt  ist  die  Zeit  gekommen,  Geduld  zu  iiben. 


314  III.    Mokshadharma. 

81.  (8293.)  Darum  ertrage  ich  dich,  o  (^'akra,  der  ich  von 
dir  wohl  schwieriger  zu  ertragen  sein  wiirde.  Dii  aber  unter- 
nimmst  es  gegen  mich,  der  ich,  da  der  Umschwung  der  Zeit 
gekommen  ist,  vom  Zeitfeuer  uberkommen  worden  bin, 

82.  (8294)  gegen  mich,  der  ich  gehemmt  und  durch  den 
Strick  der  Zeit  gebunden  bin,  zu  prahlen,  o  Qakra,  aber 
dieser  schwarze  Genius  der  Welt  [die  Zeit]  ist  schwer  zu 
iiberwinden, 

83.  (8295.)  Er,  der  Rudrasohn,  hat  mich  gebunden  wie  ein 
Stiick  Vieh  mit  einer  Kette  und  steht  neben  mir;  Gewinn 
und  Verlust,  Lust  und  Leid,  Begierde  und  Zorn,  Entstehen 
und  Vergehen, 

84.  (8296.)  Bindung  und  Losung  der  Waffen,  das  alles 
wird  von  der  Zeit  empfangen;  nicht  ich  bin  Tater  und  nicht 
du  bist  Tater,  sondern  Tater  ist  er,  Kala,  der  allezeit  unser 
Herr  ist. 

85.  (8297.)  Kala  bringt  mich  zur  Reife  wie  eine  Frucht, 
die  am  Baume  gewachsen  ist;  alles  vom  Menschen  Voll- 
brachte  wird  von  Kala  mit  Lust  verbunden, 

86.  (8298.)  und  ebendieses  Vollbrachte  wird  von  Kala  auch 
mit  Schmerz  verbunden;  darum  soil  der  Kalakenner,  wenn 
er  von  Kala  heimgesucht  wird,  nicht  klagen. 

87.  (8299.)  Darum,  o  Qakra,  klage  ich  nicht,  mache  nicht 
die  Klage  zu  meinem  Gefahrten,  denn  wenn  ein  Klagender 
sich  der  Klage  hingibt,  so  vermag  er  nicht  das  Unheil  zu 
heben. 

88.  (8300.)  Wer  klagt,  der  hat  keine  Tatkraft,  darum  klage 
ich  jetzt  nicht  (gocimij.  —  Nachdem  dies,es  zu  dem  tausend- 
augigen,  heiligen  Ziichtiger  des  Paka  gesprochen  worden  war, 

89.  (8301.)  da  ziigelte  der  Hundertopferhafte  sein  Un- 
gestiim  und  sprach  folgendermafsen :  Wer  mochte,  wenn  er 
den  mit  dem  Donnerkeil  bewehrten  ausgestreckten  Arm  und 
die  Fesseln  des  Varuna  sieht, 

90.  (8302.)  nicht  in  seinem  Geiste  erzittern,  und  ware  er 
der  Tod,  der  zum  Schlage  ausholt !  Dein  Geist  aber  erzittert 
nicht,  sondern  bleibt  unerschtitterlich ,  indem  er  die  Wahr- 
heit  schaut. 

91.  (8303.)    Gewifs   zitterst   du  heute  nicht,    o  du  durch 


Adhyaya  227  (B.  227).  315 

Festigkeit  wahre  Tapferkeit  Habender ;  wer,  der  einen  Korper 
besitzt,  mochte  wohl  Vertrauen  in  die  Dinge  oder  in  seinen 
Korper  setzen! 

92.  (8304.)  Ertragt  es  wohl  einer  in  der  Welt,  zu  handeln, 
wenn  er  sieht,  wie  die  Welt  eingerichtet  ist?  Auch  ich  er- 
kenne  ebenso,  dafs  diese  Welt  verganglich  ist. 

93.  (8305.)  Sie  ist  beschlossen  in  dem  furchtbaren,  ver- 
borgenen,  unermiidlich  tatigen,  unverganglichen  Kalafeuer, 
und  keiner,  wer  es  auch  sei,  kann  sich,  wenn  er  von  Kala 
heimgesucht  wird,  ihm  entziehen, 

94.  (8306.)  weder  die  subtilen,  noch  die  grol'sen  Elemente, 
wenn  sie  in  ihm  zur  Reife  kommeii.  Wer  in  dem  keinen 
Herrn  iiber  sich  habenden,  nicht  unbesonnenen  und  die  Ele- 
mente immerfort  zur  Eeife  bringenden, 

95.  (8307.)  nie  aufhorenden  Kala  zur  Vernichtung  gelangt 
ist,  der  wird  nicht  von  ihm  erlost.  Besonnen  unter  den  Un- 
besonnenen, wacht  Kala  unter  den  Menschen. 

96.  (8308.)  Auch  durch  Bemiihung  kann  er,  solange  er 
fern  ist,  von  niemandem  vorausgesehen  werden,  er,  der  eine 
alte,  ewige  Satzung  ist,  welcher  alles  Lebende  gleichmafsig 
unterliegt. 

97.  (8309.)  Kala  ist  nicht  zu  umgehen  und  lafst  sich  nicht 
iiberspringen ;  die  Tage  und  Nachte  und  die  Monate,  die  Mi- 
nuten,  Sekunden,  Terzen  und  Quarten, 

98.  (8310.)  Kala  ist  es,  welcher  sie  zusammenhauft ,  wie 
ein  Wucherer  die  Zinsen.  Und  wenn  einer  spricht:  Heute 
werde  ich  dieses  tun  und  morgen  gedenke  ich  jenes  zu  tun, 

99.  (8311.)  so  packt  ihn  Kala  und  reifst  ihn  fort,  wie  der 
Ansturm  des  Stromes  den  Baum.  Jetzt  eben  noch  habe  ich 
ihn  gesehen,  wie  kann  er  tot  sein? 

100.  (8312.)  So  hort  man  die  Menschen  jammern,  wahrend 
sie  von  der  Zeit  fortgerissen  werden.  Es  vergehen  die  Giiter 
und  die  Geniisse,  die  Stellung  und  die  Gottherrlichkeit. 

101.  (8313.)  Das  Leben  der  Lebewesen  wird  von  Kala, 
wenn  er  herankommt,  fortgefiihrt;  die  Erhebungen  endigen 
mit  Herabstiirzen ,  das  Sein  und  das  Nicht- Sein,  das  alles 
ist  nur  er. 

102.  (8314.)   Alles  ist  verganglich  und  unbestandig,   und 


316  in.    Mokshadharma. 

eine  sichere  Erkenntnis  ist  schwer  zu  gewinnen,  aber  dem 
Verstand  schwankt  nicht,  sondern  ist  unerschiitterlich,  die 
Wahrheit  schauend. 

103.  (8315.)  Ich  bin  einstmals  etwas  gewesen,  so  nimmst 
du  audi  nicht  einmal  in  Gedanken  an  {budhyase  mit  C),  in 
dieser  Welt ,  welche  von  Kala,  dem  Ubermachtigen,  wenn  er 
herankommt,  zur  Reife  gebracht  wird. 

104.  (8316.)  Dafs  es  nichts  Hochstes  und  nichts  Niedrigstes 
gibt,  bemerkt  die  Welt  nicht,  indem  sie  hin  und  her  ge- 
worfen  wird  in  Neid,  Hochmut,  Begierde,  Liebe,  Zorn  und 
Furcht ; 

105.  (8317.)  sondern  befangen  in  Verlangen,  Verblendung 
und  Hochmut,  geht  die  Welt  in  der  Irre.  Du  aber  erkennst 
die  Wahrheit  des  Daseins  als  ein  Wissender,  begabt  mit  Ein- 
sicht  und  Askese; 

106.  (8318.)  ganz  deutlich  siehst  du  den  Kala,  wie  die 
Myrobalanenfrucht  in  der  Hand,  der  du  bekannt  mit  dem 
Wesen  des  Kalalaufes  und  aller  Lehrbiicher  kundig  bist. 

107.  (8319.)  In  der  Unterscheidung  hast  du  deine  Seele 
befestigt  und  bist  von  den  Erkennenden  zu  beneiden,  denn 
ich  glaube,  dafs  diese  ganze  Welt  von  dir  an  Einsicht  iiber- 
troffen  wird. 

108.  (8320.)  Indem  du  nach  alien  Seiten  hin  frei  wandelst, 
bleibst  du  nirgendwo  hangen,  denn  Rajas  und  Tamas  be- 
riihren  dich  nicht. 

109.  (8321.)  Du  verehrst  den  Atman,  der  ohne  Freude  und 
ohne  Qual  ist,  den  Freund  aller  Wesen,  den  Feindschaft- 
freien,  in  seinem  Geiste  Beruhigten. 

110.  (8322.)  Wenn  ich  dich  ansehe,  so  empfmdet  der  mir 
eingeborene  Sinn  Mitleid  mit  dir;  einen  «o  grofsen  Weisen 
mochte  ich  nicht  im  Waffengange  toten. 

111.  (8323.)  Wohlwollen  und  Mitleid  mit  dir  ist  fiir  mich 
das  hochste  Gesetz,  diese  Stricke  des  Varuna  werden  von 
dir  gelost  werden  durch  den  Umschwung  der  Zeit. 

112.  (8324.)  Dann  moge  dir,  o  grolser  Asura,  Wohlsein 
zuteil  werden,  indem  deine  Untertanen  dir  huldigen,  wahrend 
die  Schwiegertochter  (lies:  snushd)  zu  ihrer  Bedienung  die 
betagte  Schwieger mutter  antreiben  wird; 


Adhyaya   227  (B.  227).  317 

113.  (8325.)  dann  wird  ein  Sohn  seinen  Vater  aus  Ver- 
blendung  beim  Opferwerke  wegschicken,  und  gemeine  Men- 
schen  werden  sich  durch  Brahmanen  die  Fiifse  waschen  lassen ; 

114.  (8326.)  und  Qudra's  werden  ohne  Scheu  sich  der 
Gattin  eines  Brahmanen  nahen,  wahrend  die  Menschen  den 
Samen  in  ungeziemende  Mutterschofse  niederlegen, 

115.  (8327.)  und  somit  in  messingenen  Gefafsen  eine  un- 
reine  Mischung  und  in  schlechten  Behaltern  ihre  Spende 
niederlegen,  wahrend  die  ganze  Ordnung  der  vier  Kasten  ihre 
bestimmenden  Schranken  verlieren  wird. 

116.  (8328.)  Dann  wird  sich  nach  und  nach  ein  Strick 
nach  dem  andern  von  dir  losen.  Von  mir  hast  du  nichts  zu 
fiirchten,  bleibe  nur  deiner  Bestimmung  getreu;  (8329.)  lebe 
gliicklich,  frei  von  Anfechtung,  gefafsten  Geistes  und  ohne  Leid. 

117.  (8330.)  Nachdem  der  heilige  Hundertopferige  also 
gesprochen  hatte,  zog  er  von  dannen,  getragen  von  dem 
Elefantenlursten,  und  als  Herr  der  Gotter  alle  Damonen 
iiberwunden  habend,  ergotzte  er  sich  in  Freude  und  war 
der  Alleinherrscher. 

118.  (8331.)  Und  grofse  Weise  priesen  ihn  ohne  Unter- 
lafs  als  den  Mannaften  und  Herrn  iiber  alles  Beweg- 
liche  und  Unbewegliche.  Und  der  Kaltewehrer  fiihrte 
ihm  beim  Opfer  die  Opferspeise  zu,  und  auch  das  Am- 
ritam  wurde  ihm  dargebracht,  denn  auch  dariiber  ist  er 
der  Herr. 

119.  (8332.)  Indem  er  von  den  allerwarts  verbreiteten 
Hochsten  der  Zwiegeborenen  gepriesen  wurde,  gelangte 
er,  der  Vasava,  voU  feuriger  Kraft,  frei  von  Groll  und 
als  Gottherr  beruhigten  Geistes  und  freudig  zu  seiner 
Wohnung  im  Indrahimmel   und  genofs  seines   Gliickes. 

So  lautet  im  Moksliadhanua  die  Unterredung  zwischen  Bali  und  V&sava 
(Bali  -  Vdnaca  -  saincdda). 


318  III.    Mokshadharma. 

Adhyaya  228  (B.  329*). 

Vers  8333-8428  (B.  1-96). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (8333.)  Die  friiheren  Daseinsformen  eines  Menschen,  der 
im  Begriff  ist,  zu  entstehen,  o  Konig,  und  sodann  wieder  zu 
vergehen,  die  erklare  mir,  o  Grofsvater. 

Bhishma  sprach: 

2.  (8334.)  Die  Gesinnung  ist  es,  welche  die  friiheren  Da- 
seinsformen eines  Menschen  zu  erkennen  gibt,  welcher  im 
Begriff'  ist,  zu  entstehen  —  Heil  sei  dir!  —  und  wieder  zu 
vergehen. 

3.  (833,5.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namhch  die  Unterredung  des  Qakra  (Indra)  mit 
der  Qn  (der  Gliicksgottin) ;   diese  vernimm,   o  Yudhishthira. 

4.  (8336.)  Indem  er  durch  den  Glanz  grofser  Askese  beide 
Welten,  die  obere  und  die  untere,  schaute  und  mit  den  die 
Brahman  welt  bewohnenden  Rishi's  zu  gleicher  Wiirde  ge- 
langt  war, 

5.  (8337.)  wandelte,  wie  Gott  Brahman  unermefsUche  ent- 
flammte  Kraft  habend,  siindlos  und  askesereich  nach  BeUeben 
in  den  drei  Welten  Narada. 

6.  (8338.)  Einstmals  stand  er  des  Morgens  auf,  und  da  er 
reines  Wasser  beriihren  woUte,  ging  er  zu  der  aus  dem  Felsen- 
tor  hervorbrechenden  Ganga  und  stieg  zu  ihr  herab. 

7.  (8339.)  Da  geschah  es,  dafs  auch  der  tausendaugige, 
donnerkeilbewehrte  Toter  des  ^ambara  und  Paka  zu  ihrem 
von  Gotterweisen  besuchten  Ufer  gelangte. 

8.  (8340.)  Beide  mit  bezahmtem  Selbste  nach  vollbrachter 
Murmelung  fuhren  in  Gemeinschaft  auf  einem  Schiff'e,  ge- 
langten  zu  einer  mit  feinem  Goldsande  bedeckten  Sandbank 
des  Flusses, 


*  Durch  einen  Fehler  in  der  Zahlung  ist  228  in  B.  iibersprungen. 


Adhyaya  228  (B.  229).  319 

9.  (8341.)  und,  auf  ihr  niedersitzend,  erzahlten  sie  sich  durch 
heilige  Werke  beriihmte  und  von  Gotterweisen  bericlitete,  von 
grofsen  Weisen  wiedererzahlte  Geschichten. 

10.  (8342.)  Indem  sie  nun  das  vormals  Geschehene  und 
Vergangene  sich  mit  ruhigem  Geiste  erzahlten  und  die  mit 
einem  Strahlennetze  umgebene  aufgehende  Sonne 

11.  (8343.)  in  ihrer  vollen  Scheibe  erblickten  und,  sich  er- 
hebend,  die  vor  ihren  Augen  aufgehende  Sonne  verehrten, 
da  —  vergleichbar  einer  zweiten  Sonne  — 

12.  (8344.)  wurde  im  Ather  ein  Licht  erbhckt,  welches  an 
Glanz  der  strahlenden  Sonne  ahnHch  war;  dieses,  indem  es 
in  ihrer  Nahe  war,  wurde  von  ihnen  erbhckt,  o.Bharata. 

13.  (8345.)  Dieses  Licht,  von  den  Strahlen  der  Sonne  um- 
geben  und  emporgestiegen  zu  der  Statte  des  Vishnu,  erglanzte 
an  Lichtfiille  unvergleichbar ,  indem  es  die  Dreiwelt  er- 
leuchtete. 

14.  (8346.)  Da  geschah  es,  dafs  die  beiden  die  von  schon- 
glanzenden  Apsaras  gefolgte,  grofse,  dem  strahlenden  Monde 
ahnliche,  der  Sonne  vergleichbare, 

15.  (8347.)  sternenahnliches  Geschmeide  habende,  einen 
perlschmuckgleichen  Kranz  tragende  Qri,  die  da  heifset  Padma, 
auf  einem  Lotosblatte  vor  sich  stehen  sahen. 

16.  (8348.)  Und  herabsteigend  von  der  Hohe  ihres  Wagens, 
naherte  sich  die  herrlichste  der  Frauen  dem  Herrn  der  drei 
Welten  und  dem  Gotterweisen  Narada. 

17.  (8349.)  Da  ging,  von  Narada  gefolgt,  der  Machtige 
geradezu  auf  sie  los  mit  hohl  zusammengelegten  Handen  und, 
sich  der  Gottin  durch  sich  selbst  vorstellend, 

18.  (8350.)  vollzog  die  hochste  Ehrenerweisung  ihr  gegen- 
iiber  der  allwissende  Gotterkonig  und  redete  zu  der  Qri, 
o  Konig,  das  folgende  Wort. 

^akra  sprach : 

19.  (8351.)  Wer  bist  du,  und  zu  welchem  Zwecke  bist  du 
hergekommen,  o  du  Schonlachelnde,  und  woher  des  Weges, 
o  Schonbrauige,  und  wohin  willst  du  gehen,  o  Holde? 


320  in.    Mokshadharma. 

Die  (^vi  sprach: 

20.  (8352.)  In  den  drei  heiligen  Welten  erstreben  alle  be- 
weglichen  und  unbeweglichen  Wesen  sehnsuchtsvoll  meine 
Wesenheit  als  das  an  sich  Hbchste. 

21.  (8353.)  Ich  bin  die  in  der  von  den  Sonnenstrahlen  ge- 
weckten  Lotosblume  zum  Heil  aller  Wesen  geborene  Padma 
(^ri,  die  Lotosbekranzte. 

22.  (8354.)  Ich  bin  die  Gliicksgottin ,  bin  die  Fiille,  ich 
bin  die  Qn,  o  Balatoter,  ich  bin  der  Glaube  und  die  Ein- 
sicht,  die  Zuneigung,  Sieg  und  Bestandigkeit. 

23.  (8355.)  Ich  bin  die  Festigkeit,  bin  die  Vollkommen- 
heit,  ich  bin  auch  dein  Gedeihen,  ich  bin  der  Svaharuf  und 
die  Labung,   die  Zuneigung,  die  Schickung,   das  Gedenken. 

24.  (8356.)  An  der  Spitze  der  Heere  siegreicher  Konige 
und  an  ihren  Bannern,  in  der  Behausung  der  Pflichttreuen 
und  in  den  hochsten  Sinnesobjekten, 

25.  (8357.)  in  dem  siegprangenden ,  im  Kampfe  nicht 
weichenden  Helden,  in  dem  Fiirsten  der  Manner  weile  ich 
allezeit,  o  Balatoter. 

26.  (8358.)  In  dem  gesetzestreuen,  sehr  verstandigen,  brah- 
manhaften,  Wahrheit  redenden,  fugsamen  und  freigebigen 
Manne  weile  ich  allezeit. 

27.  (8359.)  Vormals  weilte  ich  bei  den  Damonen,  gebunden 
an  sie  durch  Wahrheit  und  Recht;  nachdem  ich  sie  aber  als 
abgekehrt  davon  erkannte,  hat  es  mir  gefallen,  in  dir  zu 
wohnen. 

(^akra  sprach: 

28.  (8360.)  Wie  benahmen  sich  die  Daitya's,  dafs  du  bei 
ihnen  Wohnung  nahmst,  o  hold  Erscheinende  ?  Und  was  hast 
du  dort  gesehen,  dafs  du  hierher  gekommen  hist,  die  Daitya's 
und  Danava's  verlassend? 

Die  Qri  sprach: 

29.  (8361.)  Solange  sie  Wesen  waren,  welche  ihre  Pflicht 
befolgten  und  in  ihrer  Beharrlichkeit  nicht  wankten,  sondern 
an  dem  Himmelswege  ihre  Freude  hatten,  hatte  ich  mein 
Wohlgefallen  an  ihnen. 


Adhyaya  228  (B.  229).  321 

30.  (8362.)  Damals  herrschte  unter  ihnen  in  Wahrheit 
Almosengeben,  Vedastudium ,  Darbringung  von  Opfern,  Ver- 
ehrung  der  Ahnen  und  der  Gotter,  sowie  der  Lehrer  iind 
der  Gaste. 

31.  (8363.)  Sie  hielten  ihre  Herzen  rein,  bezahmten  das 
Verlangen  nach  Weibern,  batten  Opfergaben  und  Feuer,  waren 
den  Lehrern  gehorsam,  bezahmt,  brahmanhaft  und  die  Wahr- 
heit redend, 

32.  (8364.)  glaubig,  den  Zorn  iiberwindend ,  fleifsig  im 
Geben  und  ohne  Murren,  unterhielten  ihre  Kinder,  ihre  Haus- 
genossen,  ihre  Frauen  und  waren  frei  von  Neid. 

33.  (8365.)  Niemals  waren  sie  mit  Unduldsamkeit  aufein- 
ander  eifersiichtig,  und  als  Weise  argerten  sie  sich  nie  iiber 
fremdes  Gedeihen. 

34.  (8366.)  Sie  waren  freigebig  und  ordnunghaltend,  edel- 
miitig,  mitleidempfindend ,  sehr  gnadig,  geradsinnig,  in  der 
Verehrung  fest  und  die  Sinne  bezahmend, 

35.  (8367.)  von  zufriedenen  Dienern  umgeben,  dankbar, 
freundUch  redend,  wie  es  sich  gebiihrt  Ehre  erweisend  und 
Zwecke  fordernd,  der  Schamhaftigkeit  bethssen  und  streng 
in  ihren  Geliibden, 

36.  (8368.)  allezeit  an  den  Mondfesten  wohlgebadet,  wohl- 
gesalbt  und  wohlgeschmiickt ,  fleifsig  in  Fasten  und  Askese, 
zufrieden  und  heihge  Worte  redend. 

37.  (8369.)  Niemals  iiberraschte  sie  der  Sonnenaufgang, 
noch  auch  schHefen  sie  in  den  Morgen  hinein,  und  jederzeit 
enthielten  sie  sich  in  der  Nacht  der  sauren  Milch  und  der 
Griitze. 

38.  (8370.)  Und  des  Morgens  friih  beschauten  sie  die  ge- 
schmolzene  Butter,  hingegeben  und  heilige  Gesprache  fiihrend, 
beachteten  gliickliche  Vorzeichen  und  ehrten  die  Brahmanen. 

39.  (8371.)  Immer  zu  denen  gehorig,  welche  das  Rechte 
reden,  immer  zu  denen,  welche  keine  Geschenke  annehmen, 
welche  nur  die  halbe  Nacht  schlafen  und  bei  Tage  nicht 
schlafen, 

40.  (8372.)  welche  sich  allezeit  an  Mitleid  und  Wohltun 
gegen  Blende,  Schutzlose  und  Alte,  Schwache,  Kranke  und 
Weiber  erfreuten  (anumodatdm  mit  C), 

Deusskn,  Mah^bh^Tatam.  21 


322  HI.    Mokshadharma. 

41.  (8373.)  waren  sie  immer  bestrebt,  den  Zitternden,  Ver- 
zagenden,  Erschrockenen,  Furchtgequalten,  Leidenden,  Diirfti- 
gen,  Beraubten,  von  Ungliick  Heimgesuchten  durch  Trost 
wieder  aufzurichten. 

42.  (8374.)  Nur  der  Pflicht  folgten  sie,  schadigten  sich  nicht 
gegenseitig,  ihren  Obliegenheiten  nachgehend,  gegen  Lehrer 
und  Alte  dienstfertig. 

43.  (8375.)  Sie  ehrten  Manen,  Gotter  und  Gaste,  wie  es 
sich  gebiihrt,  afsen,  was  diese  iibrig  liefsen  und  waren  alle- 
zeit  fest  in  Wahrheit  und  Askese. 

44.  (837fi.)  Wenn  ihnen  etwas  Gutes  zufiel,  genossen  sie 
es  nicht  allein,  gingen  nicht  zu  fremden  Frauen  und  benahmen 
sich  aus  Mitleid  gegen  alle  Wesen  wie  gegen  sich  selbst. 

45.  (8377.)  Nicht  im  Freien,  nicht  bei  Tieren,  nicht  in 
schlechten  Scholsen,  nicht  an  Feiertagen  erlaubten  sie  sich 
jemals  Befriedigung  der  Sinnhchkeit. 

46.  (8378.)  Bestandiges  Geben,  Tlichtigkeit  und  beharr- 
liche  Geradheit,  Anstrengung,  Selbstlosigkeit  und  hochste 
Freundschaft, 

47.  (8379.)  Wahrhaftigkeit,  Freigebigkeit,  Askese,  Mitleid 
und  milde  Rede  und  keine  Hinterlist  gegen  Freunde,  das  alles 
war  bei  ihnen  zu  linden,  o  Herr. 

48.  (8380.)  Schlaf,  Tragheit,  Unzufriedenheit,  miirrisches 
Wesen  und  Riicksichtslosigkeit,  Unlust,  Verzagtheit  und  Be- 
gehrlichkeit  waren  bei  ihnen  nicht  heimisch. 

49.  (8381.)  Von  soldier  Art  waren  die  Tugenden  der  Da- 
nava's,  bei  welchen  ich  vordem  wolinte,  von  der  Schopfung 
der  Wesen  an,  langer  als  den  Umlauf  eines  Weltalters  hin- 
durch. 

50.  (8382.)  Aber  im  Umschwung  der  Zeiten  mufste  ich 
sehen,  wie  ihre  Tugenden  ins  Gegenteil  umschlugen,  wie  die 
Gerechtigkeit  von  ihnen  wich,  wie  sie  sich  der  Lust  und  dem 
Zorne  in  Knechtschaft  gaben. 

51.  (8383.)  Sie  verlachten  die  Reden  der  in  der  Versamm- 
lung  sitzenden  Alten  und  Guten,  wenn  sie  zu  ihnen  sprachen, 
und  murrten  gegen  alle  Alten,  obgleich  sie  ihnen  in  der 
Tugend  nachstanden. 


Adhyaya  228  (B.  229).  323 

52.  (8384.)  Die  jungen  Leute,  wenn  sie  zusammensafsen 
und  die  Alien  zu  ihnen  hereintraten,  versaumten  es,  sie,  wie 
vordem,  durch  Aufstehen  und  Begriifsen  zu  ehren. 

53.  (8385.)  Audi  wo  der  Vater  noch  vorhanden  war,  rifs 
der  Sohn  die  Macht  an  sicli,  und  Fremde,  die  man  zu  Haus- 
genossen  gemacht  hatte,  verrieten  Geheimes  ohne  Scham. 

54.  (8386.)  Und  wenn  irgendwelche  durcli  ein  pflicht- 
widriges  und  tadelnswertes  Werk  zu  grofsem  Reichtum  ge- 
langt  waren,  so  suchten  sie  diesen  nachzueifern. 

55.  (8387.)  Geiioben  war  nachts  ihre  Stimme,  gesunken 
glomm  dabei  das  Opferfeuer,  die  Sohne  erhoben  sich  iiber 
ihre  Vater,  die  Weiber  iiber  ihre  Gatten. 

06.  (8388.)  Miitter,  Vater,  Greise,  Lehrer,  Gaste  und  Meister 
wurden  nicht  als  Hoherstehende  gegriifst,  und  die  Kinder 
nicht  iiberwacht. 

57.  (8389.)  Ohne  Almosen  und  Spende  dargebracht  zu 
haben,  genossen  sie  selbst  die  Nahrung,  ohne  vorher  geopfert 
und  mitgeteilt  zu  haben,  w^eder  an  Manen  und  Gotter,  noch 
an  Gaste  und  Lehrer. 

dS.  (8390.)  Die  Leute,  welche  ihnen  als  Koche  dienten, 
beobachteten  nicht  die  Reinheitsvorschriften ;  nicht  durch  Ge- 
danken,  Werke  und  Worte  war  beschrankt,  was  zu  essen  war. 

59.  (8391.)  Selbst  verstreute  Korner,  wie  sie  Krahen  und 
Mausen  zum  Futter  dienen  [waren  nicht  ausgeschlossenj ;  un- 
zugedeckt  stand  die  Milch,  ungesaubert  von  Speiseresten  be- 
riihrten  sie  die  Opferbutter. 

60.  (8392.)  Die  Hausfrau  kiimmerte  sich  nicht  darum,  dafs 
Spaten  und  Sichel,  Korb  und  Messinggeschirr,  Sachen  und 
Gerate,  alles  zerstreut  umherlag. 

61.  (8393.)  Dem  Verfall  der  Mauern  und  Hauser  halfen 
sie  nicht  ab,  sie  banden  die  Tiere  an  und  versorgten  sie  nicht 
mit  Futter  und  Wasser. 

62.  (8394.)  Das  Essen  ihrer  Kinder  afsen  sie,  wahrend  diese 
zusahen,  selbst,  und  so  sattigten  sie  auch  nicht  all  ihr  Diener- 
volk,  diese  Danava's. 

63.  (8395.)  Milchreis  und  Fleisch,  Kuclien  und  Backwerk 
liefsen  sie  fiir  sich  selbst  kochen  und  afsen  nacli  Belieben 
Fleisch. 

21* 


324  HI-   Mokshadharma. 

64.  (8396.)  Nach  Sonnenaufgang  schliefen  sie  noch  und 
machten  alle  die  Morgenfriihe  zur  Nacht,  und  dann  gab  es 
Gezank  bei  Tag  und  Xacht  von  Haus  zu  Haus. 

65.  (8397.)  Die  von  Geburt  Unedlen  versagten  den  da- 
sitzenden  Edlen  und  die  Gesetzlosen  dem  die  Lebensstadien 
Beobachtenden  die  Ehrenerweisung,  ja  sie  hafsten  sich  gegen- 
seitig. 

66.  (8398.)  Kastenmischungen  waren  an  der  Tagesordnung 
und  Keinheit  bestand  bei  ihnen  nicht,  mochten  sie  nun  veda- 
kundige  Brahmanen  oder  eingestandenermafsen  Vedalose  sein. 

67.  (8399.)  Sie  machten  keinen  Unterschied  in  dem  Gegen- 
satze  von  Hochschatzung  und  Verachtung,  und  nur  darauf 
sahen  sie,  ob  Perlenschnur  und  Schmucksachen  bei  einem 
fehlten  oder  von  ihm  getragen  wurden. 

68.  (8400.)  Ihre  Arbeitsmadchen  huldigten  der  von  schlech- 
ten  Menschen  befolgten  Sitte,  die  Weiber  erschienen  in 
Mannerkleidung  vor  Mannern,  welche  Weiberkleidung  trugen. 

69.  (8401.)  An  Spiel,  Geschlechtslust  und  Vergniigungen 
fanden  sie  ihre  hochste  Lust,  hingegen  die  vordem  von  autori- 
tativen  Edlen  iiberkommenen  [geistigen]  Erbschaften 

70.  (8402.)  beachteten  sie  aus  Nihilismus  nicht,  und  ebenso- 
wenig  [beach tete  es],  auch  wenn  er  in  der  Lage  war,  der 
Freund,  wenn  er  von  dem  Freunde  in  Geldverlegenheit  ge- 
legentlich  angegangen  wurde. 

71.  (8403.)  Hingegen  wenn  ihr  eigenes  Interesse  auch  nur 
um  eine  kleine  aufserste  Spitze  auf  dem  Spiele  stand,  ver- 
nichteten  sie  seinen  [des  Freundes]  Besitz,  indem  sie  ihre 
Lust  daran  batten,  fremdes  Gut  sich  anzueignen,  und  sich 
auf  Handelsgeschafte  einliefsen. 

72.  (8404.)  Unter  den  Kasten  der  Arier  wurden  sogar 
askesereiche  Qudra's  erblickt;  einige  studierten  den  Veda 
ohne  Geliibde,  andere  mit  falschem  Geliibde. 

73.  (8405.)  Der  Schiiler  war  seinem  Lehrer  ungehorsam, 
mitunter  war  der  Lehrer  des  Schiilers  Liebhaber,  Vater  und 
Mutter  waren  so  schlaff,  als  batten  sie  einen  Feiertag  hinter 
sich,  (8406.)  und  wenn  sie  alt  waren,  verloren  sie  ihr  Ansehen 
und  mufsten  ihre  Kinder  um  Nahrung  bitten. 


Adhyaya  228  (B.  229).  325 

74.  Dabei  waren  die  gelehrten  Vedakenner  an  Tiefe 
(Dunkelheit)  dem  Ozean  vergleichbar. 

75.  (8407.)  Sie  verwandten  ihre  Zeit  auf  Ackerbau  und 
dergleichen,  blieben  unwissend,  verzehrten  die  Opfer  fiir  die 
Manen  selber  und  allmorgendlich  machten  sie  sich  wichtig 
mit  Fragen  nach  dem  Wohlbefmden  und  Schicken  von  Bot- 
schaft. 

76.  (8408.)  Ihre  Lehrer  gewannen,  aus  eigenem  Antrieb 
und  ohne  aufgefordert  zu  sein,  Schiiler;  die  Ehefrau  gab  in 
Gegenwart  des  Schwiegervaters  und  der  Schwiegermutter 
den  Dienstboten  Befehle, 

77.  (8409.)  audi  kommandierte  sie  ihren  Gatten  und  gab 
ihm  Widerworte,  um  ihn  herauszufordern ;  ja  der  Vater  hiitete 
sich  sorgfaltig  vor  den  Absichten  des  eigenen  Sohnes. 

78.  (8410.)  Er  verteilte  aus  unbesonnenem  Eifer  sein  Ver- 
mogen  und  brachte  sich  so  in  eine  peinUche  Lage,  der  Be- 
sitz  aber  wurde  durch  Feuersbriinste  oder  Diebe  oder  durch 
die  Konige  geraubt. 

79.  (8411.)  Wenn  sie  sich  sahen,  verlachten  sie  sich  aus 
Hafs,  sogar  wenn  sie  als  Freund  begriifst  wurden;  sie  waren 
undankbar,  unglaubig,  boshaft  und  tasteten  die  Frauen  ihrer 
Lehrer  an. 

80.  (841-2.)  Sie  freuten  sich  am  Genusse  verbotener  Speisen, 
waren  mafslos  und  des  Ansehens  beraubt.  Da  diese  im  Um- 
lauf  der  Zeit  einen  derartigen  Wandel  fiihrten, 

81.  (8413.)  so  mag  ich,  o  Fiirst  der  Gotter,  nicht  mehr  bei 
den  Danava's  wohnen,  das  ist  mein  AVille;  darum  magst  du 
mich,  die  ich  aus  freien  Stiicken  zu  dir  iibergegangen  bin, 
willkommen  heifsen,  o  Gatte  der  (^aci. 

82.  (8414.)  Mich,  die  von  dir  Geehrte,  o  Herr  der  Gotter, 
werden  die  Gotter  hochschatzen,  denn  wo  ich  bin,  da  sind 
auch  die  von  mir  (dem  Gliick)  GeHebten,  von  mir  Aus- 
gezeichneten,  mit  mir  Beschenkten. 

83.  (841.').)  Sieben  Gottheiten  und  der  Sieg  als  achte  werden 
bei  dir  achtfach  Wohnung  nehmen,  die  Hoffnung,  der  Glaube, 
die  Festigkeit,  die  Nachsicht,  die  Eroberung,  die  Demut  und 
die  Geduld. 

84.  (8416.)    Die  achte  unter  diesen  ist  die  vorziigUchste, 


326  in.   Mokshadharma. 

o  Ziichtiger   des   Paka.     Mit  mir   sind   diese  Gottheiten,  die 
Asura's  verlassen  habend,  in  euren  Bereich  gelangt. 

85.  (8Jti7.)  Bei  den  dreifsig  Gottern  werden  Avir  ^^'ohnung 
nehmen,  die  ihr  inneres  Selbst  im  Gesetze  fest  gegriindet 
haben.  So  sprach  die  Gottin  und  wurde  freudig  von  den 
beiden  begriifst, 

86.  (8418.)  von  Narada,  dem  Gotterweisen,  und  von  Vasava, 
dem  Vritratoter.  Da  wehte  der  Freund  des  Feuers,  der  Wind, 
auf  den  Pfaden  der  Gotter, 

87.  (8419.)  lieblich  duftend,  erquicklich  anzufiihlen,  alle 
Sinne  mit  Lust  erfiillend,  und  die  dreifsig  Gotter  erwahlten 
eine  reine  Gegend  zu  ihrem  gewohnlichen  Aufenthalt 

88.  (8420.)  und  trachteten  danach,  den  in  Gemeinschaft  mit 
Lakshmi  thronenden  machtigen  Indra  anzuschauen. 

89.  (8421.)  Da  geschah  es,  dais  der  tausendaugige,  den 
Himmel  erlangt  habend,  von  der  (^ri  (mit  C.)  begleitet 
und  von  seinem  Freunde,  dem  grofsen  Weisen,  auf 
seinem  von  falben  Kossen  gezogenen  Wagen,  er,  der  Stier 
der  Gotter,  von  ihnen  verehrt,  zum  Wohnsitze  der  Gotter 
gelangte. 

90.  (8422.)  Da  iiberdachte  in  seinem  Geiste  Narada  das, 
was  geschehen  war  zwischen  dem  Donnerkeiltrager  und 
der  Gottin  Qri,  und  er  pries,  die  Macht  der  Unsterblichen 
erkennend,  sein  Zusammenkommen  mit  dem  Gnadigen 
(Indra)  und  den  grofsen  Rishi's  bei  der  ^ri. 

91.  (8423.)  Darauf  regnete  der  glanzreiche  Himmel 
Amritam  nieder  auf  den  Sitz  des  durch  sich  selbst  seien- 
den  Urvaters,  Pauken  ertonten,  ohne  geschlagen  zu 
werden,  und  die  beruhigten  Himmelsgegenden  erglanzten. 

92.  (8424.)  Vasava  liefs  regnen  auf  die  zur  rechten 
Zeit  reifende  Feldfrucht;  kein  Mensch  wich  ab  von  dem 
Wege  des  Gesetzes,  die  Erde  trug  als  Schmuck  man- 
cherlei  Edelsteinlager,  indem  sie  liebliches  Geton  ertonen 
liefs  bei  dem  Siege  der  weltbewohnenden  Gotter, 

93.  (8425.)  Die  Menschen  freuten  sich  am  Opferwerk 
und  glanzten  durch  Einsicht,  indem  sie  beharrten  auf 
dem  schonen  Wege  der  gut  Handelnden ;  Menschen  und 


A.lliyaya  228  (B.  229).  327 

Gotter,  Kinnara's,  Yaksha's  und  Rakshasa's  gediehen 
und  waren  wohlgesinnt. 

94.  (8426.)  Niemals  fiel  zur  Uiizeit  eine  Blume,  ge- 
schweige  denn  eine  Frucht  vom  Baume,  auch  wenn  er 
vom  Winde  bewegt  wurde.  Die  Kiihe  spendeten  ihren 
Saft,  und  man  konnte  jeden  Wunsch  aus  ihnen  ermelken, 
und  keinem  Menschen  'entschliipfte  je   ein  hartes  Wort. 

9.0.  (8427.)  Diejenigen,  welche  diese  Huldigung  der  (/ri 
mitsamt  den  alle  Wiinsche  gewahrenden  und  von  Qakra 
angefuhrten  Gottern  studieren ,  nachdem  sie  in  einer 
Brahmanenwohnung  zusammengekommen  sind,  deren 
Wiinsche  gedeihen,  und  sie  erlangen  (^ri,  die  Gottin  des 
Gliicks. 

96.  (8428.)  0  Bester  der  Kuru's,  was  von  dir  angeregt 
worden  war,  namlich  ein  hochstes  Beispiel  fiir  Werden 
und  Vergehen  zu  geben,  das  alles  ist  dir  heute  von  mir 
mitgeteilt  worden,  du  aber  mogest  es  priifen  und  die 
Wahrheit  dir  zu  eigen  machen. 

So  lautet  ira  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  (^ri  und  Vasava 
((^ri-  Vdsava-  smnvdda). 


AdhyAya  ^^29  (B.  230). 

Vers  8429-8453  (B.  1-25). 

Yudhishthira  spracli : 

1.  (8429.)  Durch  welchen  Charakter,  welchen  Wandel, 
welche  Wissenschaft  und  welche  Tapferkeit  erlangt  man  die 
Statte  des  Brahman,  welche  erhaben  iiber  die  Prakriti  und 
bestandig  ist? 

Bhishma  sprach : 

2.  (8430.)  Den  Erlosungslehren  fmokshadharmaj  sich  hin- 
gebend,  mafsig  sich  nahrend  und  die  Sinne  bezwingend,  er- 
langt man  die  Statte  des  Brahman,  sie  ist  erhaben  iiber  die 
Prakriti  und  bestandig. 

3.  (84;ji.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  o  Bharata,  namlich  die  Unterredung  des  Jaigi- 
shavya  mit  Asita. 


328  III.   Mokshadharma. 

4.  (8432.)  Den  Jaigishavya,  den  sehr  weisen,  dem  die 
Uberlieferung  der  Pflichten  iiberliefert  worden  war,  den  Nicht- 
Ziirnenden  und  Nicht-sich-freuenden,  sprach  Asita  Devala  an. 

Devala  sprach: 

5.  (8433.)  Du  freust  dich  nicht,  wenn  du  gelobt  wirst,  und 
wenn  du  getadelt  wirst,  ziirnest  *du  nicht.  Welches  ist  diese 
deine  Weisheit,  woher  hast  du  sie  und  was  schwebt  dir  als 
hochstes  Ziel  derselben  vor? 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach : 

6.  (8434.)  So  von  diesem  angeredet,  verkiindete  jener 
Askesereiche  die  grofse ,  unbezweifelbare ,  Worte  reichen 
Sinnes  enthaltende,  reine  Lehre. 

Jaigishavya  sprach: 

7.  (8435.)  Den  Gang,  das  hochste  Ziel,  die  Beruhigung  der 
heihge  Werke  Ubenden,  diese  will  ich  dir  erklaren,  die  grofse 
Beruhigung,  o  Bester  der  Rishi's. 

8.  (8436.)  Diejenigen,  welche,  gleichgesinnt  bei  Tadelnden 
allezeit  und  bei  Lobenden,  o  Devala,  es  verheimlichen,  wenn 
sie  gegen  andere  die  Pflicht  erfiillt  und  Wohltaten  geiibt 
haben, 

9.  (8437.)  welche  angeredet  dem  Redenden  auf  Unfreund- 
liches  nicht  Unfreundliches  erwidern  werden  und  als  Weise 
den,  der  sie  schlug,  nicht  wiederzuschlagen  wiinschen, 

10.  (8438.)  welche  nicht  beklagen,  was  ihnen  nicht  ein- 
getroffen  ist,  und  das  ausfiihren,  dessen  Zeit  da  ist,  nicht 
klagen  iiber  Vergangenes  und  es  doch  auch  nicht  gut  heifsen, 

11.  (8439.)  welche,  auch  wenn  man  sie  aus  Liebe  verehrt, 
0  Devala,  doch  nur  so  handeln,  wde  es  bei  der  Sache  ange- 
messen  ist,  kraftvoll  und  ihrem  Geliibde  treu, 

12.  (8440.)  welche,  gereiften  Wissens,  von  grofser  Einsicht, 
besiegten  Zorn  und  besiegte  Sinne  habend,  in  Gedanken, 
Werken  und  Worten  niemals  sich  vergehen, 

13.  (8441.)  welche  neidlos  nie  bestrebt  sind,  einander  zu 
schadigen,  noch  auch  jemals  als  Weise  Unbehagen  empfmden 
wegen  fremder  Erfolge, 


Adhyaya  229  (B.  230).  329 

14.  (8442.)  welche,  wenn  sie  andere  tadeln  oder  loben, 
niemals  iibertreiben,  und,  wenn  sie  getadelt  oder  gelobt 
werden,  niemals  ihr  Betragen  andern, 

15.  (8443.)  welche  in  jeder  Lage  ruhig  bleiben  und  sich 
am  Wohlsein  aller  Wesen  erfreuen,  nicht  zurnen,  nicht  jubeln, 
noch  audi  jemals  sich  vergehen, 

16.  (8444.)  welche,  den  Knoten  des  Herzens  gelost  habend, 
in  Wohlbehagen  einherwandein,  keinen  Anhang  haben,  noch 
auch  Anhang  von  anderen  sind, 

17.  (8445.)  welche  keine  Feinde  besitzen,  noch  auch  feind 
gegen  irgend  jemand  sind,  —  die  Menschen,  welche  so  han- 
deln,  die  leben  allezeit  gllicklich, 

18.  (8446.)  da  sie  das  Gesetz  befolgen  als  Gesetzeskundige, 
o  Bester  der  Zwiegeborenen.  Die  aber,  welche  diesen  Weg 
verfehlen,  geben  sich  der  Freude  und  der  Furcht  hin. 

19.  (8447.)  Ich  aber,  der  ich  diesen  Weg  gefunden  habe, 
wie  sollte  ich  gegen  jemanden  Unwillen  empfinden,  und 
warum  sollte  ich  mich  dariiber  aufregen,  dafs  ich  getadelt 
oder  gelobt  werde? 

20.  (8448.)  Mogen  darum  die  Menschen  dem  zustreben, 
was  sie  begehren,  ich  werde  durch  Tadel  oder  Lob  weder 
Verkleinerung  noch  Erhohung  erlangen. 

21.  (8449.)  Wie  an  Amritam  erquicke  sich  der  Weise  an 
der  ihm  gezollten  Verachtung,  wie  vor  Gift  fiirchte  sich  der 
Kundige  allezeit  vor  Ehrenerweisung. 

22.  (8450.)  Wer  verachtet  wird,  der  schlaft  ruhig,  ohne 
Furcht,  hienieden  und  im  Jenseits;  er  ist  aller  Schuld  ledig; 
aber  den  Verachter  flieht  der  Schlaf. 

23.  (84.51.)  Alle  diejenigen  nun,  welche  als  Weise  nach 
diesem  hochsten  Ziele  streben,  alle  diese  Menschen  ergreifen 
dieses  Geliibde  und  kommen  zu  gliicklichem  Gedeihen. 

24.  (8452.)  Bin  solcher,  von  iiberallher  alle  Geisteskrafte 
konzentrierend  und  die  Sinne  bezwingend,  erlangt  die  Statte 
des  Brahman,  welche  erhaben  iiber  die  Prakriti  und  be- 
standig  ist. 

25.  (8453.)   Nicht  Gotter,  nicht  Gandharva'.s,  nicht  Pigaca's, 


330  ni.    Mokshadharma. 

nicht  Rakshasa's  gelangen   hinauf  bis   zu  dessen  Statte,  der 
so  das  hochste  Ziel  erlangt  hat. 

So  lautet  im  Mokshadhaima  die  TJnterredung  zwischen  Jaigishavya  und  Asita 
(Jai;)Miaeya- Anita  -  sameddn). 


Adhyaya  230  (B.  *>31). 

Vers  8454-8477  (B.  1-24). 

Yudhishthira  spracli: 

1.  (8454.)  Geliebt  von  aller  Welt,  liber  alle  Wesen  sich 
freuend  imd  mit  alien  Tugenden  begabt,  —  welchen  Men- 
schen  gibt  es  auf  der  Welt,  von  dem  dies  galte? 

Bhishma  sprach : 

2.  (8455.)  In  bezug  darauf  will  ich  dir  auf  deine  Frage, 
o  Stier  der  Bharata's,  die  TJnterredung  vorfiihren,  welche 
Ugrasena  mit  dem  Ke(?ava  iiber  den  Narada  gepflogen  hat. 

Ugrasena  sprach: 

3.  (8456.)  Der  Narada,  den  die  Welt  mit  Recht  riihmt, 
der  mufs  doch  wohl  an  Tugenden  reich  sein:  iiber  ihn  sprich 
mir,  der  ich  dich  befrage. 

Vasudeva  sprach: 

4.  (8457.)  Die  Tugenden  des  Narada,  welche  ich  fiir  vor- 
trefflich  halte,  die  vernimm  von  mir,  der  ich  sie  dir,  o  Fiirst, 
in  der  Kiirze  vorfiihren  will. 

5.  (8458.)  Nicht  ist  fiir  ihn  die  korperqualende  Selbstsucht 
der  Beweggrund  seines  Lebenswandels  und  nicht  weicht  von 
der  Schriftiiberlieferung  sein  Lebenswandel  ab,  darum  ist  er 
iiberall  geehrt. 

6.  (8459.)  Unzufriedenheit ,  Zorn,  Wankelmiitigkeit  und 
Furcht  fmden  sich  nicht  bei  Narada:  er  ist  nicht  saumselig, 
ist  ein  Held,  darum  ist  er  iiberall  geehrt. 

7.  (84G0.)  Narada  ist  gar  sehr  zu  verehren ;  in  seiner  Rede 
ist  keine  Anmafsung,  sei  es  aus  Verlangen  oder  aus  Hab- 
gier,  darum  ist  er  liberal]  geehrt. 


Adhyaya  230  (B.  231).  331 

8.  (8461.)  Er  kennt  das  Wesen  der  Vorschriften  liber  die 
hochste  Seele,  ist  geduldig,  kraftvoll  und  Herr  seiner  Sinne, 
geradsinnig  und  wahrheitsliebend,  darum  ist  er  uberall  geehrt. 

9.  (8462.)  Durch  Kraft,  Ruhm,  Verstand,  Wissen  und  Zucht, 
durch  seine  Geburt  und  seine  Askese  ist  er  machtig,  darum 
ist  er  uberall  geehrt. 

10.  (8463.)  Er  ist  charaktervoll,  von  Gliick  erfiillt,  edel  im 
Geniefsen,  sorgfaltig  und  rein,  wohlredend  und  frei  von  Neid, 
darum  ist  er  uberall  geehrt. 

11.  (8464.)  Er  vollbringt  das  Schone  mit  Tiichtigkeit,  das 
Schlechte  fmdet  bei  ihm  keine  Statte,  er  liebt  nicht  andere 
um  ihres  Vermogens  willen,  darum  ist  er  uberall  geehrt. 

12.  (8465.)  Durch  die  heiligen  Schriften  des  Veda  und 
durch  Erzahlungen  sucht  er  seinen  Unterhalt  zu  gewinnen, 
er  ist  ausdauernd  und  nicht  geringgeschatzt ,  darum  ist  er 
uberall  geehrt. 

13.  (8466.)  Wegen  seiner  Unparteilichkeit  hat  er  keinerlei 
Giinstling  oder  Feind  und  redet  nur,  was  er  denkt,  darum 
ist  er  uberall  geehrt. 

14.  (8467.)  Er  ist  schriftkundig  und  reich  an  Erzahlungen, 
gelehrt,  nicht  liistern,  nicht  verschlagen,  munter,  von  Zorn 
und  Begierde  frei,  darum  ist  er  uberall  geehrt. 

15.  (8468.)  Nicht  ist  seine  Individualitat  auf  Besitz,  Reich- 
tum  oder  Lust  von  Natur  gerichtet,  und  seine  Fehler  hat  er 
ausgetilgt,  darum  ist  er  uberall  geehrt. 

16.  (8469.)  Von  fester  Frommigkeit  und  tadellosem  Wesen, 
schriftkundig  und  ohne  Bosheit,  ist  er  frei  von  Verblendung 
und  Schuld,  darum  ist  er  uberall  geehrt. 

17.  (8470.)  Ohne  Hang  zu  allem  Verlockenden ,  nur  dem 
Atman  anhangend  zeigt  er  sich,  ohne  langes  Zaudern  und 
redekundig,  darum  ist  er  uberall  geehrt. 

18.  (8471.)  Nicht  ist  er  versenkt  in  das  Angenehme  und 
Niitzliche,  niemals  riihmt  er  sich  selbst,  er  ist  neidlos  und 
mild  in  der  Unterredung ,  darum  ist  er  uberall  geehrt. 

19.  (8472.)  Die  mancherlei  Meinungen  der  Leute  betrachtet 
er,  ohne  sie  zu  tadeln,  er  ist  der  Wissenschaft  des  Umgangs 
mit  Menschen  kundig,  darum  ist  er  uberall  geehrt. 

20.  (847.3.)   Er  bemangelt  keine  Tradition   und  lebt  doch 


332  III-    Mokshadharma. 

nach  eigenen  Grundsatzen,  lafst  die  Zeit  nicht  ungenutzt  und 
ist  Herr  seiner  selbst,  darum  ist  er  iiberall  geehrt. 

21.  (8474.)  Reich  an  Miihe,  reich  an  Erkenntnis,  nicht 
miide  werdend  der  Meditation,  stets  hingegeben  und  ohne 
Unbesonnenheit,  darum  ist  er  iiberall  geehrt. 

22.  (8475.)  Nie  in  Verlegenheit,  eifrig  bei  der  Sache,  be- 
dacht  auf  das  Wohlsein  der  anderen,  nicht  eindringend  in 
fremde  Geheimnisse,  darum  ist  er  iiberall  geehrt. 

23.  (8476.)  Er  freut  sich  nicht  Uber  den  Gewinn  und  ver- 
zagt  nicht,  wenn  er  nicht  gewinnt,  ist  festen  Geistes,  ohne 
Anhanglichkeit,  darum  ist  er  iiberall  geehrt. 

24.  (8477.)  Ihn,  der  so  mit  alien  Tugenden  begabt  ist, 
tiichtig,  rein  und  frei  von  Krankheit,  die  rechte  Zeit  er- 
kennend  und  verstehend,  was  zum  Besten  dient,  wer  mochte 
den  nicht  zu  seinem  Freunde  machen! 

V 
So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Vasudeva  und  Ugrasena 
(Vdsudeva  -  Ugrasena  -  samvdda). 


Adhyaya  331  (B.  233). 

Yers  8478-8509  (B.  1-32). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (8478.)  Anfang  und  Ende  aller  Wesen  wiinsche  ich  zu 
wissen,  o  Kurusprofs,  sowie  audi  Andacht,  Werke,  Zeitlange 
und  Lebensdauer  in  jedem  der  Weltalter, 

2.  (8479.)  sowie  audi  das  Wesen  der  Welt  in  seiner  Voll- 
standigkeit  und  das  Kommen  und  Gehen  der  Geschopfe;  das 
Entstehen  und  das  Vergehen,  wodurch  entwickelt  sich  dieses? 

3.  (8480.)  Wenn  dein  Geist  gegen  uns  giinstig  gestimmt 
ist,  o  Bester  unter  den  Guten,  so  frage  ich  dich  danacli,  du 
aber  sage  es  mir. 

4.  (8481.)  Denn  dadurch,  dafs  ich  vordem  das  vorziigliche 
Gesprach  des  Bhrigu  und  des  Priesterweisen  Bharadvaja 
dariiber  habe  wiedererzahlen  horen  [oben,  S.  144  fg.],  ist  mir 
eine  vorziigliche  Einsicht, 


Adhyaya  231  (B.  232).  333 

5.  (8482.)  eine  iiberaus  gerechtfertigte ,  in  dem  gottlichen 
Urgrund  begriindete,  zuteil  geworden.  Aber  nur  um  soviel 
mehr  befrage  ich  dich,  und  du,  o  Herr,  mogest  mir  es  sagen. 

Bbishma  spracb : 

6.  (8483.)  Dariiber  will  ich  dir  eine  alte  Geschichte  vor- 
fiihren,  welche  der  heilige  Vyasa  seinem  Sohne,  der  ihn  be- 
fragte,  vorgetragen  hat. 

7.  (8484.)  Nachdem  er  (Quka)  die  samtlichen  Veden  mit- 
samt  den  Vedaiiga's  und  Upanishad's  durchstudiert  hatte, 
und  da  er  nach  vollkommenem  Werke  im  Hinblick  auf  die 
Totalitat  des  Gesetzes  Verlangen  trug, 

8.  (8485.)  legte  (^uka,  der  Vyasasohn,  dem  Vyasa  Krishna- 
dvaipayana  diesen  Zweifel  vor,  ihm,  der  alle  Zweifel  iiber 
den  Sinn  des  Gesetzes  gelost  hatte.  Der  erhabene  ^'uka 
sprach  : 

9.  (8486.)  Den  Schopfer  der  Wesenschar,  der  durch  die 
Erkenntnis  der  Zeiten  sicher  war  in  seinem  Tun,  und  die 
dem  Brahmanen  obliegende  Pflicht,  die  mogest  du  mir, 
0  Herr,  erklaren. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach: 

10.  (8487.)  Ihm,  dem  fragenden  Sohne,  erklarte  dieses  alles 
der  Vater,  der  des  Vergangenen  und  Zukiinftigen  Kundige, 
Allwissende,  alle  Pflichten  Kennende. 

Vyasa  sprach: 

11.  (8488.)  Das  anfanglose,  endlose,  ungeborene,  gottliche, 
nicht  alternde,  feste,  unvergangliche ,  unerschliefsbare  und 
unerkennbare  Brahman  regte  sich  am  Anfang. 

12.  (8489.)  Fiinfzehn  Nimesha's  (etwa  Terzen)  machen 
eine  Kashtha  (Sekunde),  dreifsig  Kashtha's  rechnet  man 
auf  eine  Kala  (Minute);  aus  dreifsig  Kala's  nebst  dem 
zehnten  Telle   einer  Kala  besteht  der  Muhurta  (Stunde). 

13.  (8490.)  Aus  dreifsig  Muhurta's  bestehen  Tag  und 
Nacht,  eine  von  den  Muni's  iiberlieferte  Zahlung;  der 
Monat  gilt  als  bestehend  aus  dreifsig  Tag-und-Nachten, 
das  Jahr  enthalt  zwolf  Monate. 


334  III.   Mokshadharma. 

14.  (8491.)  Das  Jahr  aber  besteht  aus  den  beiden 
Sonnengangen,  wie  die  Zeitrechnungskenner  lehren,  dem 
Gang  nach  Sliden  und  dem  nach  Norden. 

15.  (8492.)  Die  Sonne  teilt  Tage  und  Nachte  ein,  die  mensch- 
lichen  und  die  kosmischen:  die  Nacht  dient  zum  Schlafe  der 
Wesen,  der  Tag  zur  Tatigkeit  in  Werken  (vgl.  Manu  I,  65). 

16.  (8493.)  Ein  Tag -und -Nacht  der  Vater  ist  ein  Monat 
und  zerfallt  ebenfalls  in  zwei  Teile:  die  helle  Monatshalfte 
ist  der  Tag  und  dient  zur  Werktatigkeit,  die  dunkle,  zum 
Schlafe  dienend,  ist  die  Nacht  (umgekehrt  Manu  I,  66  und 
Harivam<?a  506). 

17.  (8494.)  Ein  Tag -und -Nacht  der  Gotter  ist  ein  Jahr 
und  zerfallt  ebenfalls  in  zwei  Teile:  der  Nordwartsgang  der 
Sonne  ist  der  Tag,  ihr  Siidwartsgang  ist  die  Nacht  (vgl. 
Manu  I,  67). 

18.  (8495.)  Die  Tag -und -Nachte,  welche  als  menschliche 
und  kosmische  vorher  erwahnt  wurden  (Vers  8492),  von  diesen 
die  Summe  der  Jahre  zusammenzahlend,  will  ich  dir  erklaren, 
was  ein  Tag-und-Nacht  des  Brahman  ist. 

19.  (8496.)  Ich  werde  dir  gesondert  die  Summen  der  Jahre 
der  Keihe  nach  angeben,  wie  sie  im  Weltalter  Kritam,  Treta, 
Dvapara  und  Kali  bestehen. 

20.  (8497.)  Viertausend  Jahre,  so  heifst  es,  bilden  das 
Weltalter  Kritam,  ebensoviele  Hunderte  seine  Morgendamme- 
rung  und  ebensogrofs  ist  die  Abenddammerung  (vgl.  Manu  I, 
69  und  Harivam<ja  511). 

21.  (8498.)  Fiir  die  drei  iibrigen  Weltalter,  sowie  fiir  ihre 
Morgendammerungen  und  Abenddammerungen  werden  die 
Tausende  und  die  Hunderte  jedesmal  um  ein  Viertel  ver- 
mindert  (vgl.  Manu  I,  70). 

22.  (8499.)  Diese  Weltalter  tragen  die  bestandigen,  ewigen 
Welten,  und  von  ihnen,  o  Freund,  wissen  die  Brahmankenner, 
dafs  sie  das  ewige  Brahman  sind. 

23.  (8500.)  In  dem  Weltalter  Kritam  ist  die  Gerechtigkeit 
vierfiifsig  und  vollstandig  und  ebenso  die  Wahrheit;  in  diesem 
Zeitalter  gibt  es  keine  Bereicherung  durch  Ungerechtigkeit, 
die  von  der  Gerechtigkeit  abwiche  (vgl.  Manu  I,  81). 


Adhyaya  231  (B.  232).  335 

24.  (8501.)  In  dem  folgenden  Weltalter  wird  die  Gerechtig- 
keit  infolge  der  Bereicherung  je  um  einen  Fufs  verringert 
und  die  Ungerechtigkeit  nimmt  durch  Diebstahl,  Unwahrheit 
und  Trug  zu  (vgl.  Manu  I,  82). 

25.  (8502.)  Im  Kritam  sind  die  Menschen  ohne  Krank- 
heiten,  bringen  alle  ihre  Plane  zum  Gelingen  und  leben 
vierhundert  Jahre,  in  der  Treta  und  den  folgenden  Welt- 
altern  nimmt  ihre  Lebensdauer  je  um  ein  Viertel  ab  (vgl. 
Manu  I,  83). 

26.  (8503.)  Audi  das  Studium  des  Veda  nimmt  den  Welt- 
altern  entsprechend  ab,  so  haben  wir  vernommen,  und  ebenso 
steht  es  mit  der  Lebensdauer,  den  Segenswiinschen  und  mit 
der  Frucht,  welche  der  Veda  bringt  (vgl.  Manu  I,  84). 

27.  (8504.)  Andere  sind  die  Pflichten  der  Menschen  im 
Weltalter  Kritam  und  andere  in  der  Treta  und  im  Dvapara, 
und  wieder  andere  sind  sie  im  Weltalter  Kali,  entsprechend 
der  Verkiirzung  des  Weltalters  (vgl.  Manu  I,  85). 

28.  (8.505.)  Askese  ist  die  hochste  Aufgabe  im  Weltalter 
Kritam,  in  der  Treta  ist  die  Erkenntnis  das  Oberste,  Opfer 
im  Dvapara  und  nur  das  Geben  im  Weltalter  Kali  (vgl. 
Manu  I,  86). 

29.  (8506.)  Als  diese  zwolftausend  Jahre  umfassend  wissen 
die  Weisen  die  Zeitdauer  eines  [gottlichen,  vier  menschliche 
Weltalter  umfassenden,  vgl.  Harivamga  515]  Weltalters,  und 
ein  solches  tausendmal  verlaufend  wird  ein  Brahman  tag  ge- 
nannt  (vgl.  Manu  I,  73), 

30.  (8507.)  und  die  Nacht  [des  Brahman  wissen  siej  als 
ebensogrofs.  Dieses  Weltall  war  zu  Anfang  der  Igvara ;  nach- 
dem  er  beim  [vorhergehenden]  Weltuntergang  in  Meditation 
versunken  und  eingeschlafen  war,  gelangt  er  am  Ende  [der 
Nacht]  zum  Erwachen  (vgl.  Manu  I,  73  fg.,  Harivamga  532  fg.). 

31.  (8508.)  Weil  sie  den  Tag  des  Brahman  wissen  als 
tausend  [gottliche]  Weltalter  befassend  und  seine  Nacht  als 
nach  tausend  Weltaltern  zu  Ende  gehend,  darum  sind  diese 
Menschen  die  [wahren]  Kenner  von  Tag  und  Nacht. 

32.  (8509.)  Ist  der  Igvara  erwacht,  so  schafft  er  am  Ende 
der  Nacht  das  unversano-liche  Brahman  wieder  um  und  lafst 


336  ni.    Mokshadharma. 

aus  ihm  hervorgehen  die  grofse  Wesenheit  [den  Mahan]  und 
aus  ihm  das  zum  Bereiche  des  Entfalteten  fvyciktam)  gehijrige 
Manas. 

So  lautet  ini  Mokshadharma  die  Frage  des  (Juka 
((,'uka  -  anaprat;na). 


AclhyAya  233  (B.  233). 

Vers  8510-8554  (B.  1-43). 

Vyasa  sprach: 

1.  (8510.)  Das  glanzreiche,  reine  Brahman  ist  es,  von  dem 
diese  ganze  Welt  herriihrt,  aus  diesem  einen  Wesen  entspringt 
die  zweifache  Wesenheit,  namlich  das  Unbeweghche  und  das 
BewegHche. 

2.  (8511.)  Am  Anfange  des  Tages  erwachend,  schaift  er 
[der  Igvara]  vermoge  der  Avidya  (des  Nichtwissens)  die  Welt, 
und  zwar  zu  Anfang  die  grofse  Wesenheit  [den  Mahan]  und 
alsbald  das  zum  Bereiche  des  Entfalteten  fvyaktamj  gehorige 
Manas. 

3.  (8512.)  Und  iiberhandnehmend  hienieden  schuf  das 
Glanzreiche  [Brahman]  sieben  Manas-artige  [die  beiden  ge- 
nannten  Mahan  und  Manas  einbegriffen].  Namlich  das  in  die 
Feme  reichende,  nach  vielen  Seiten  gehende,  Verlangen  und 
Zweifel  als  Wesen  habende 

4.  (8513.)  Manas  entfaltet  die  Schopfung,  indem  es  vom 
Verlangen  zu  schaffen  getrieben  wurde.  Aus  ihm  entsteht 
der  Ather  fakaQcimJ,  als  seine  Qualitat  bezeichnet  man  den 
Ton  (vgl.  Manu  I,  75  fg.) ; 

5.  (8514.)  aus  dem  Ather,  indem  er  sich  umwandelt,  ent- 
steht der  alle  Diifte  tragende,  reine,  machtige  Wind,  als  seine 
Qualitat  gilt  die  Beriihrung. 

6.  (8515.)  Aus  dem  Winde  sodann,  indem  er  sich  um- 
wandelt, entsteht  das  glanzreiche,  leuchtende,  reine  Feuer, 
als  seine  Qualitat  wird  die  Sichtbarkeit  genannt. 

7.  (8516.)  Aus  dem  Feuer  sodann,  indem  es  sich  um- 
wandelt, entsteht  das  die  Eigenschaft  des  Geschmacks  be- 
sitzende  Wasser;    aus  dem  Wasser  entspringt   der   Geruch; 


Adhyiiya  232  (B.  233).  337 

nebst  [seinem  Element]  der  Erde  gilt  er  als  eine  Schopfung 
aller  [Vorhergehenden]. 

8.  (8517.)  Die  Qualitiiten  jedes  vorhergehenden  [Elements] 
gehen  ein  in  jedes  nachfolgende,  und  die  wievielte  Stelle  ein 
jedes  einnimmt,  soviele  Qualitaten  werden  ihm  zugeschrieben. 

9.  (8518.)  Wenn  einige,  weil  sie  den  Geruch  schon  in  dem 
Wasser  wahrnehmen,  diesem  ihn  zuschreiben,  so  ist  das  un- 
zutreffend ;  nur  in  der  Erde  soil  man  ihn  wissen  als  ein  Pro- 
dukt  aus  Wasser  und  Wind. 

10.  (8519.)  Diese  siebenfach  vorhandenen  Atman's,  obgleich 
sie  jeder  einzelne  mannigfache  Krafte  batten ,  vermochten 
nicht  die  Geschopfe  zu  schaffen,  wenn  sie  nicht  zu  einem 
Ganzen  sich  vereinigten. 

11.  (8520.)  Da  vereinigten  sich  die  Hochherzigen ,  indem 
sie  sich  wechselseitig  aufeinander  griindeten  und  so  den 
Korper  fgariramj  als  Grundlage  fdgrayanamj  erlangten;  darum 
wird  [das  Ganze]  Purusha  (Mensch)  genannt. 

12.  (8521.)  Zum  Korper  wird  es,  weil  dieser  seine  Grund- 
lage ist  [Wortspiel  zwischen  gariram  und  crayanam],  der 
gestalthafte,  sechzehnwesenhafte ;  in  ihn  gehen  ein  die  grofsen 
Elemente  mitsamt  ihrer  Funktion. 

13.  (852J.)  Er  aber,  der  alle  Geschopfe  erwahlte,  um  in 
ihnen  das  Tapas  zu  betreiben,  wurde  zum  Anfangsschopfer 
der  Wesen;  und  ihn  nennt  man  Prajapati. 

14.  (8523.)  Er  also  schafft  die  Wesen,  die  unbeweglichen 
und  beweglichen;  darauf  schafft  er,  der  Gott  Brahman,  die 
Gotter,  Rishi's,  Vater  und  Menschen, 

15.  (8524.)  die  Weltraume,  Fliisse  und  Meere,  die  Welt- 
gegenden,  Berge  und  Baume,  die  Menschen,  Kinnara's  und 
Rakshas,  die  Vogel,  Haustiere,  Waldtiere  und  Schlangen, 
(8525.)  das  Unvergangliche  und  das  Vergangliche,  beides,  das 
Unbewegliche  und  das  Bewegliche. 

16.  Und  welche  Werke  irgendeiner  von  diesen  vor  seinem 
Geschaffenwerden  sich  zugeeignet  hatte,  (8526.)  die  werden  ihm 
wieder  zugeeignet,  indem  er  immer  wieder  neu  geschaffen  wird. 

17.  Lust  zu  schaden  und  Lust  zu  schonen,  Milde  und 
Harte,  Gerechtigkeit  und  Ungerechtigkeit,  Wahrheit  und  Un- 
wahrheit  (Manu  I,  29),  (8527.)  das  alles   eignen  sie  sich  an, 

Deusskn,  MahAbharatam.  22 


338  III.    Mokshadharma. 

weil  sie  dazu  vorausbestimmt  sind,  darum  gefallt  dem  einen 
dies,  dem  andern  jenes. 

18.  Die  Mannigfaltigkeit  in  den  grofsen  Elementen,  den 
Sinnendingen  und  Gestalten  (85'28.)  und  ihre  Verteilung  unter 
den  Wesen,  —  der  Schopfer  ist  es,  welcher  alles  dies  verleiht. 

19.  Einige  Menschen  nun  aber  behaupten,  dafs  die  mensch- 
liche  Tat  bei  den  Werken  [das  Wirkende]  sei,  (8529.)  andere 
Weise  erklaren  das  Schicksal,  und  manche  Naturgriibler  er- 
klaren  die  Natur  [fur  das  Wirkende]. 

20.  Die  menschliche  Tat,  das  Schicksal  und  das  Hervor- 
gehen  der  Frucht  von  Natur  aus,  (8530.)  diese  drei  erscheinen 
dabei  als  gesondert,  wahrend  einige  behaupten,  dafs  unter 
ihnen  kein  Unterschied  sei. 

21.  Es  kann  so  sein  und  nicht  so  sein,  oder  beides  nicht 
sein,  oder  keines  von  beiden  nicht  sein,  oder  auch  dieses  nicht, 
(8531.)  so  sprechen  sich  iiber  den  Gegenstand  aus  die  werk- 
tiichtigen,  in  der  Wahrheit  stehenden  Unparteiischen. 

22.  Die  Askese  {tapas  mit  C.)  ist  das  Heil  der  Wesen, 
ihre  Wurzel  Beruhigung  und  Bezahmung,  (8532.)  durch  sie  er- 
langt  man  alle  Wiinsche,  die  man  im  Herzen  hegt. 

23.  Durch  Tapas  erlangt  es  der  Schopfer,  dafs  er  die 
gewordene  Welt  geschaffen  hat,  (8533.)  und  indem  er  zu  ihr 
geworden  ist,  wird  er  der  Herr  aller  Geschopfe. 

24.  Durch  Tapas  studierten  die  Rishi's  die  Veden  Tag 
und  Nacht,  (8534.)  und  durch  ebendasselbe  ist  die  anfang- 
und  endlose  Wissenschaft  als  heilige  Rede  geschaffen  worden 
von  dem,  der  durch  sich  selbst  ist,  [es  folgt  nur  in  C. :]  die 
von  Anfang  an  aus  dem  Veda  bestehende  gottliche,  aus  der 
alle  Entwicklungen  hervorgehen. 

25.  (8535.)  Die  Namen  der  Rishi's  und  die  in  den  Veden 
erwahnten  Schopfungen,  sowie  Namen  und  Gestalten  der 
Wesen  und  die  Entwicklung  der  Werke, 

26.  (8536.)  das  alles  schafft  jener  Igvara  am  Anfang  aus 
,  den  Vedaworten,  und  auch  die  Namen  der  Rishi's  und  die  in 

den  Veden  erwahnten  Schopfungen  (S537.)  verleiht  der  Un- 
geborene  am  Ende  der  Weltnacht  an  andere  unter  den  Edel- 
geborenen.      , 


Adhyaya  232  (B.  233).  339 

27.  In  der  Verschiedenheit  der  Namen,  in  der  Askese 
und  dem,  was  Werk  und  Opfer  genannt  wird,  bestehen  die 
Ziele  der  Welt;  (8538.)  das  Ziel  des  Atman  aber  wird  in  den 
Veden  auf  zehnerlei  (vielerlei)  Arten  gelehrt. 

28.  Das  Tiefsinnige,  was  in  den  Vedaworten  ausge- 
sprochen  wurde  von  denen,  die  den  Veda  geschaut  hatten, 
(8539.)  das  wird  schliefslich  nach  seiner  Bedeutung  durch 
stufenweise  zunehmende  Hingebung  erkannt. 

29.  Durch  die  Werke  bedingt  und  mit  den  Gegensatzen 
behaftet  ist  diese  individuelle  Existenz  der  Seele ;  (8540.)  diese 
lafst  hinter  sich  mit  Kraft  der  Mensch,  welcher  durch  die 
Erkenntnis  das  Ziel  des  Atman  erreicht  hat. 

.30.  Zwei  Brahman's  mufs  der  Mensch  kennen,  das  Wort- 
brahman  und  das  hochste;  (8541.)  wer  im  Wortbrahman  be- 
wandert  ist,  erreicht  auch  das  hochste  Brahman  (vgl.  Maitr. 
Up.  6,22). 

31.  Das  Opfer  der  Kshatriya's  ist  die  Totung,  das  Opfer 
der  Vaigya's  die  Darbringung,  (8542.)  das  Opfer  der  Qudra's 
die  Dienstleistung ,   das  Opfer  der  Zwiegeborenen  ist  Tapas. 

32.  Jedoch  gilt  diese  Vorschrift  der  Opfer  nur  fiir  das 
Tretazei taker,  nicht  fiir  das  Zeitalter  Kritam,  (8543.)  im  Dva- 
parazeitalter  geraten  die  Opfer  in  Verfall  und  ebenso  im  Zeit- 
alter Kali. 

33.  Nicht  gesonderte  Satzungen  habend  sind  die  Menschen 
in  betreff  des  Rig-,  Sama-  und  Yajurveda,  (8544.)  wahrend  sie 
die  auf  spezielle  Wiinsche  gerichteten  Opfer  als  gesonderte 
ansehen,  sowie  vermoge  der  asketischen  Ubungen  das  Tapas. 

34.  Aber  in  dem  Tretazeitalter  geschah  es,  dafs  alle  jene 
hochkraftigen  Dinge,  welche  geoffenbart  worden  waren  (8545.) 
als  die  Ziigler  des  Unbeweglichen  und  Beweglichen  allerwarts, 

35.  dafs  diese  im  Tretazeitalter  verkiirzt  wurden,  namlich 
die  Veden,  die  Opfer,  die  Kasten  und  die  Lebensstadien.  (8546.) 
Vermoge  der  Beschrankung  der  Lebenszeit  aber  verfallen  diese 
[noch  mehr]  im  Zeitalter  Dvapara, 

36.  und  im  Kalizeitalter  vollends  kommen  die  gesamten 
Veden  nur  noch  stellenweise  zum  Vorschein  (8547.)  und  schwin- 
den  hin  mitsamt  den  Opfern,  unterdriickt  durch  die  vollige 
Gesetzlosigkeit. 

22* 


340  ni.    Mokshadharma. 

37.  Was  im  Kritazeitalter  Gesetz  war,  das  ist  nur  noch 
zu  finden  als  bei  den  Brahmanen  (8548.)  vorhanden,  welche  am 
Atman,   am  Tapas  und   an  der  Schriftoffenbarung  festhalten. 

38.  Aber  von  Zeitalter  zu  Zeitalter  werden  entsprechend 
seinem  Charakter  mitsamt  den  Zusammenhangen  der  Satzungen 
und  Geliibde  (8549.)  die  durch  Uberlieferung  iiberkommenen 
und  in  ihrem  eigenen  Gesetze  begriindeten  Vedareden  entstellt. 

39.  Wie  in  der  Regenzeit  durch  den  Regen  alle  Geschopfe 
immer  zahlreicher  (855o.)  hervorgebracht  werden,  die  beweg- 
lichen  und  unbeweglichen,  so  wuchern  die  Unsitten  von  Zeit- 
alter zu  Zeitalter  fort. 

40.  Wie  in  den  verschiedenen  Jahreszeiten  die  mannig- 
fachen  Attribute  derselben  im  Verlaufe  (8551.)  als  diese  oder 
jene  zum  Vorschein  kommen,  so  ist  es  bei  den  Vernichtungen 
durch  Brahman  und  [seinen  Neuschopfungen] : 

41.  So  namlich  ist  die  anfanglose  und  endlose  Mannig- 
faltigkeit  der  Zeiten  vorausbestimmt ;  (8552.)  dies  ist  dir  schon 
vordem  verkiindet  worden:  das  Brahman  erzeugt  und  ver- 
schlingt  die  Geschopfe. 

42.  Das  Brahman  schafft  und  ist  der  Ort  der  Wesen,  es 
wird  angesehen  als  die  Zeit;  (8553.)  sie  aber  entwickeln  sich 
ihrer  Natur  gemafs,  indem  sie  vielfach  den  Gegensatzen  unter- 
worfen  sind. 

43.  Schopfung,  Zeit,  Opferwerke  und  Veden,  der  Schopfer 
und  die  Frucht  der  Pflichterfiillung  —  (8554.)  alles  dieses  ist 
erklart  worden,  mein  Sohn,  wonach  du  mich  gefragt  hast. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  tjuka 
(Quka  -  anupra<^na). 


Adhy%a  *i33  (B.  *^34). 

Vers  8555-8574  (B.  1-19). 

Vyasa  spi-ach: 
1.  (8555.)   Nun  will  ich  dir  reden  von  der  Absorption  der 
Welt  zu  Anfang  der  Weltnacht,  nachdem  der  Tag  dahin  ist, 
und  wie  der  Igvara  dieses  Weltall  zu  seinem  eigenen,  uberaus 
feinem  Selbste  macht. 


Adhyaya  233  (B.  234).  341 

2.  (8556.)  Es  brennen  dann  am  Himmel  die  Sonne  und 
sieben,  mit  Spitzflammen  lohende  Feuersgluten ,  und  diese 
ganze  Welt,  von  ihren  Gluten  erfiillt,  geht  in  Flammen  auf. 

3.  (8557.)  Die  Wesen,  bewegliche  und  unbewegliche,  welche 
sich  auf  der  Erde  befinden,  diese  gehen  zunachst  zugrunde 
und  werden  wieder  zur  Erde. 

4.  (8558.)  Wenn  dann  alles  zugrunde  geht,  das  Unbeweg- 
liche und  das  Bewegliche,  dann  erscheint  die  Erde  baumlos 
und  graslos,  wie  der  Riicken  einer  Schildkrote. 

5.  (8559.)  Wenn  dann  das  Wasser  den  Geruch,  wiewohl 
er  die  Qualitat  der  Erde  ist,  in  sich  aufnimmt,  dann  ist  die 
des  Geruches  beraubte  Erde  zum  Untergange  reif. 

6.  (8560.)  Dann  bestehen  die  wogenden,  machtig  brausen- 
den  Wasser  noch  fort,  und  indem  sie  diese  ganze  Welt  er- 
fiillen,  stehen  und  gehen  sie  hin  und  her. 

7.  (8561.)  Wenn  dann  weiter  das  Feuer  die  Qualitat  des 
Wassers  [den  Geschmack]  in  sich  aufnimmt,  dann  kommen 
die  ihrer  Qualitaten  beraubten  Wasser  in  dem  Feuer  zur  Kuhe. 

8.  (8562.)  Wenn  dann  die  flammenden  Gluten  die  in  ihrer 
Mitte  befindliche  Sonne  umhiillen,  dann  geht  der  ganze  von 
Gluten  erfiillte  Himmel  in  Flammen  auf. 

9.  (8563.)  Wenn  dann  der  Wind  die  Sichtbarkeit,  wiewohl 
sie  die  Qualitat  des  Feuers  ist,  in  sich  aufnimmt,  dann  kommt 
das  Feuer  zur  Ruhe  und  der  grofse  Wind  durchbraust  mach- 
tig das  All. 

10.  (8564.)  Indem  dabei  der  Wind  das  Getose,  aus  welchem 
sein  Ursprung  war,  sich  zu  eigen  macht,  durchbraust  er  nach 
unten,  oben  und  in  die  Quere  alle  zehn  Himmelsgegenden. 

11.  (8565.)  Wenn  dann  der  Ather  die  Beriihrung,  wiewohl 
sie  die  Qualitat  des  Windes  ist,  verschlingt,  dann  kommt  der 
Wind  zur  Ruhe  und  nur  der  tonerfiillte  Ather  besteht  noch, 

12.  (8566.)  Ohne  Sichtbarkeit,  ohne  Geschmack  und  Be- 
riihrung,  ohne  Geruch  und  ohne  Gestalt  durchtont  die  ganze 
Welt  und  besteht  weiter  der  tonerfiillte  Ather. 

13.  (8567.)  Den  Ton,  obwohl  er  die  Qualitat  des  Athers 
ist,  [verschlingt]  das  seiner  Natur  nach  offenbarende  Manas, 
den  offenbaren  Teil  des  Manas  verschlingt  sein  unoffenbarer, 
[so  erfolgt]  die  Weltauflosung  in  Brahman. 


342  III.    Mokshadharma. 

14.  (8568.)  Dieses  Manas,  indem  es  in  seine  Qualitat  [den 
Wunsch  samkal^oa]  eingeht,  verschlingt  der  Mond,  und  wahrend 
das  Manas  zur  Ruhe  kommt,  besteht  es  weiter  in  dem  Monde. 

15.  (8569.)  Diesen  Wunsch  fsamkalpa)  bringt  durch  lange 
Zeit  der  Mond  in  seine  Gewalt;  namlich  der  Samkalpa  ver- 
schlingt das  Cittam  (Manas),  dieses  aber  [das  Cittam  in  Ge- 
stalt  seiner  Quahtat  des  Samkalpa]  wird  verschlungen  von 
dem  hochsten  Bewufstsein; 

16.  (8570.)  das  Bewufstsein  wird  verschlungen  von  der 
Zeit,  die  Zeit  wieder  von  der  Kraft,  wie  die  Schrift  lehrt 
[Chand.  Up.  7,8,1];  die  Kraft  aber  wird  von  der  Zeit  ver- 
schlungen und  diese  wiederum  wird  von  dem  Wissen  unterjocht. 

17.  (8571.)  Dann  nimmt  der  Wissende  den  Ton  des  Athers 
in  sich  auf,  und  das  ist  dann  das  hochste  Brahman,  das  ist 
das  uniibertreff  liche  Ewige.  (8572.)  So  steht  es  mit  alien  Wesen, 
das  Brahman  ist  ihre  Auflosung; 

18.  wie  es  dir  vollstandig  verkiindet  worden  ist,  so  steht 
es  damit,  daran  ist  kein  Zweifel,  (8573.)  wie  die  aus  dem 
Wissen  stammende  Belehrung  geschaut  wurde  von  den 
Yogin's,  die  den  hochsten  Atman  besafsen. 

19.  So  erfolgen  immer  wieder  und  wieder  Weltausbrei- 
tung  und  Weltvernichtung  in  der  unoffenbaren  Wesenheit 
des  Brahman  (8574.)  am  Anfange  der  Tausende  von  Welt- 
altern,  aus  denen  beide  bestehen,  und  so  steht  es  mit  dem 
Tage  und  der  Nacht  [des  Brahman]. 

So  lautet  im  Mokshadharina  die  Frage  des  (,'nka 
(Quka  -  anupra(;na). 


Adhyaya  234  (B.  235). 

Vers  8575-8612  (B.  1-38). 

Vyasa  sprach: 

1.  (8575.)  Was  vorausbestimmt  war  fiir  die  Schar  der 
Wesen,  das  ist  dir  von  mir  verkiindet  worden.  Was  aber 
die  Pflicht  eines  Brahmanen  ist,  das  will  ich  dir  sagen,  das 
vernimm. 


Adhyaya  234  (B.  235).  343 

2.  (8576.)  Von  der  Geburtszeremonie  an  soil  fiir  ihn  die 
Ausfiihrung  der  opferlohnbringenden  Werke  bis  zur  Heim- 
kehr  aus  der  Lehre  unter  einem  Lehrer  erfolgen,  der  den 
Veda  ganz  durchstudiert  hat. 

3.  (8577.)  Nachdem  er  die  gesamten  Veden  studiert  und 
an  dem  Gehorsam  gegen  den  Lehrer  seine  Freude  gehabt 
hat,  soil  er  nach  Abtragung  der  Schuld  an  den  Lehrer  als 
ein  Opferkundiger  heimkehren. 

4.  (8578.)  Nachdem  er  von  seinem  Lehrer  entlassen  ist, 
soil  er  eines  der  vier  Lebensstadien  bis  zur  Erlosung  von 
dem  Leibe  nach  der  Vorschrift  einhalten, 

5.  (8579.)  sei  es  durch  Zeugung  von  Nachkommen  und 
Heirat  oder  durch  eine  [fortgesetztej  Brahmanschiilerschaft 
oder  durch  das  Wohnen  im  W^alde  in  der  Nahe  des  Lehrers 
oder  auch  durch  Ubernahme  der  Pflichten  eines  Yati  (San- 
nyasin). 

6.  (8580.)  Aber  der  Hausvater  gilt  fiir  die  Wurzel  aller 
dieser  Pflichtstadien ,  denn  wo  gekochter  Saft  [oder  doppel- 
sinnig:  abgetane  Siinde]  ist,  da  gedeiht  iiberall  der  sich  Be- 
zahmende. 

7.  (8581.)  Als  kinderreich,  schriftkundig  und  opferfleifsig 
die  drei  Schulden  abgetragen  habend,  mag  er  sodann,  durch 
Werke  gelautert,  spater  zu  anderen  Lebensstadien  iibergehen. 

8.  (8582.)  Den  reinsten  Ort  auf  der  Erde,  den  er  kennt, 
soil  er  bewohnen,  an  diesem  strebe  er  nach  Vorbildlichkeit 
und  [beharre]  in  hochstem  Ansehen. 

9.  (8583.)  Durch  grofse  Askese  oder  auch  durch  volliges 
Durchdringen  der  Wissenschaft  oder  durch  Opfern  oder 
Almosengeben  konnen  die  Brahmanen  zu  Beriihmtheit  ge- 
langen. 

10.  (8584.)  Solange  einem  in  dieser  Welt  riihmliches  Lob 
zuteil  wird,  solange  erlangt  der  Mensch  die  unendlichen 
Welten  der  Vollbringer  heiliger  W^erke  (Gen.  mit  C). 

11.  (8585.)  Er  moge  den  Veda  lehren  und  lernen,  er  moge 
opfern  lassen  oder  opfern,  er  moge  nie  Gaben  empfangen 
oder  spenden,  wo  es  nicht  berechtigt  ist. 

12.  (8586.)  Mag  es  herriihren  von  einem  Opferherrn  oder 
Schiller  oder  Madchen,  es  gelte   ihm   als  grofse  Gabe;   und 


344  ni.    Moksliadharma. 

wenn  er   etwas  erhalt  oder  opfert  oder  spendet,  auf  keinen 
Fall  soil  er  als  einziger  geniefsen. 

13.  (8587.)  Fiir  ihn,  solange  er  ein  Hausvater  ist,  gibt  es 
kein  anderes  Siihnemittel ,  welches  dem  gleichkame,  wenn 
um  der  Gotter,  Vater,  Rishi's  oder  Lehrer  willen  die  Alten, 
Kranken  und  Hungrigen  von  ihm  ein  Almosen  erhalten. 

14.  (8588.)  Wenn  welche  sind,  die  von  geheimen  Feinden 
bedrangt  werden  und  ilir  Dasein  nach  Kraften  zu  erhalten 
suchen,  so  soil  man  solchen  audi  iiber  seine  Kraft  hinaus 
spenden  von  dem,  was  man  aus  seinen  Mitteln  zubereitet  hat. 

15.  (8589.)  Es  gibt  gar  nichts,  was  nicht  an  Wiirdige  und 
Achtbare  zu  geben  ware,  denn  sogar  das  Rofs  Uccaihgravasa 
kann,  wie  man  weifs,  von  Edlen  erlangt  werden. 

IG.  (8590.)  Einem  Wunsche  nachgebend  hat  der  geliibde- 
ti-eue  Satyasandha  mit  seinem  Leben  das  Leben  der  Brah- 
manen  gerettet  und  ist  zum  Himmel  eingegangen. 

17.  (8591.)  Und  auch  Rantideva,  der  Sohn  des  Saiikriti, 
nachdem  er  dem  hochherzigen  Vasishtha  kaltes  und  warmes 
Wasser  gespendet  hat,  geniefst  dafur  die  Herrlichkeit  auf 
dem  Riicken  des  Himmels. 

18.  (8592.)  Und  auch  Indradamana,  der  Nachkomme  des 
Atri,  der  weise  Fiirst,  nachdem  er  einem  Wiirdigen  mannig- 
faches  Gut  gespendet  hatte,  ging  dafiir  in  die  ewigen  Wel- 
ten  ein. 

19.  (8593.)  Und  Cibi,  der  Sohn  des  Uginara,  nachdem  er 
seine  Glieder  und  seinen  eigenen  lieben  Sohn  [Brihadgarbha] 
dem  Brahmanen  zuliebe  hingegeben  hatte,  ist  infolgedessen 
zum  Riicken  des  Himmels  aufgestiegen. 

20.  (8594.)  Und  Pratardana,  der  Konig  von  Kagi,  der  seine 
eigenen  Augen  einem  Brahmanen  hingegeben  hatte,  erlangte 
dafiir  unvergleichlichen  Ruhm  hier  und  im  Jenseits. 

21.  (8595.)  Nachdem  Devavridha  seinen  gottlichen,  acht- 
stangigen,  goldenen,  hochst  gedeihlichen  Sonnenschirm  ab- 
gegeben  hatte,  fuhr  er  mitsamt  seinem  Konigreiche  zum 
Himmel. 

22.  (8596.)  Und  Saiikriti,  aus  dem  Geschlechte  des  Atri, 
der  Hochgewaltige,  welcher  seinen  Schiilern  das  attributlose 
Brahman  lehrte,  ging  ein  in  die  uniibertrefflichen  Welten. 


Adhyaya  234  (B.  235).  345 

23.  (8597.)  Der  glanzreiche  Ambarisha  schenkte  den  Brah- 
manen  elfhunderi  Millionen  Kiihe  und  fuhr  mitsamt  seinem 
Konigreiche  zum  Himmel. 

24.  (8598.)  Urn  eines  Brahmanen  willen  verzichtete  Savitri 
auf  die  himmlischen  Ohrringe  und  Janamejaya  auf  seinen 
Leib  und  beide  gingen  dafiir  ein  zu  der  hochsten  Statte. 

25.  (8599.)  Vrishadarbhi  Yuvanagva  hat  alle  seine  Schatze, 
seine  lieben  Frauen  und  seine  herrliche  Wohnung  hingegeben 
und  ist  dafiir  zur  Himmelswelt  gelangt. 

26.  (8600.)  Nimi,  Konig  von  Videha,  gab  den  Brahmanen 
sein  Reich,  der  Sohn  des  Jamadagni  die  Erde,  Gaya  die  weite 
Welt  mit  ihren  Stadten. 

27.  (8601.)  Und  als  Parjanya  nicht  regnete,  belebte  als 
Wesenschopfer  Vasishtha  alle  Wesen,  wie  Prajapati  die  Ge- 
schopfe. 

28.  (8602.)  Und  auch  der  Sohn  des  Karandhama,  der  wohl- 
bereitete  Maruta,  gab  seine  Tochter  dem  Aiigiras  und  ge- 
langte  alsbald  in  den  Himmel. 

29.  (8603.)  Und  Brahmadatta,  der  Konig  der  Paficala's, 
der  Beste  unter  den  Weisen,  gab  seinen  Schatz,  die  Muschel, 
den  Obersten  der  Zwiegeborenen  und  erlangte  dafiir  die 
Himmelswelten. 

30.  (8604.)  Auch  der  Konig  Mitrasaha  gab  dem  hoch- 
herzigen  Vasishtha  seine  geliebte  Madayanti  und  kam  dafiir 
mit  ihr  in  den  Himmel. 

31.  (8605.)  Der  hochberiihmte  Konigsweise  Sahasrajit  gab 
um  eines  Brahmanen  willen  das  liebe  Leben  hin  und  gelangte 
in  die  untibertrefflichen  Welten. 

32.  (8606.)  Und  der  Fiirst  (^'atadyumna,  nachdem  er  sein 
mit  allem  Wiinschenswerten  erfiilltes  goldenes  Haus  dem 
Mudgala  gegeben  hatte,  ging  in  den  Himmel  ein. 

33.  (8607.)  Und  der  mit  Namen  Dyutiman  genannte  herr- 
liche Konig  der  (^'alva's  iibergab  sein  Reich  dem  Ricika  und 
ging  ein  zu  den  hochsten  Welten. 

34.  (8608.)  Auch  der  machtige  Konigsweise  Somapada  gab 
seine  Tochter  (^anta  dem  Rishyagringa  und  wurde  dafiir  reich- 
lich  mit  allerlei  Wiinschenswertem  beschenkt. 


346  in.    Mokshadharma. 

35.  (8609.)  Auch  der  Konigsweise  MadiraQva  gab  seine 
schlanke  Tochter  dem  Hiranyahasta  und  gelangte  in  die  von 
Gottern  gepriesenen  Welten. 

36.  (8610.)  Und  Prasenajit,  der  machtige  Konig,  weleher 
hunderttausend  Kiihe  mitsamt  ihren  Kalbern  verschenkt  hatte, 
gelangte  in  die  hochsten  Welten. 

37.  (8611.)  Diese  und  viele  andere  Hochherzige  sind  durch 
Gaben  und  Askese  zum  Himmel  gelangt,  belehrten  Geistes 
und  mit  bezahmten  Sinnen. 

38.  (8612.)  Ihr  Ruhm  steht  lest,  solange  die  Erde  stehen 
wird;  sie  alle  eriangten  durch  Gaben,  Opfer  und  Erzeugung 
von  Nachkommen  den  Himmel. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  <i,'uka 
((^uka  -  anupra^na). 


Adhyaya  *^35  (B.  236), 

Vers  8613-8644  (B.  1-32). 

Vyasa  sprach : 

1.  (8613.)  Die  dreifache  Wissenschaft,  wie  sie  in  den  Veden 
ausgesprochen  ist,  soil  man  sodann  gliedweise  betrachten 
nach  Worten  und  Silben  der  Rikverse  und  der  Samanlieder 
und  ebenso  beim  Yajur-  und  Atharvaveda. 

2.  (8614.)  In  ihnen  lebt  der  Erhabene,  beharrend  in  den 
sechs  Werken  [des  Lernens,  Lehrens,  Opferns,  Opfernlassens, 
Gebens  und  Nehmens].  Denn  diejenigen,  welche  mit  den 
Vedaworten  bekannt  und  mit  der  hochsten  Seele  bekannt  sind, 

3.  (8(;i5.)  iiberschauen  als  Realitathafte  und  Hochbegliickte 
das  Entstehen  und  Vergehen.  So  moge  er  im  Gesetze  leben 
und  das  Opfer  als  ein  Unterrichteter  betreiben. 

4.  (8616.)  Ohne  die  Wesen  zu  bedrangen,  soil  der  Zwie- 
geborene  seine  Aufgabe  zu  erfiillen  suchen,  von  den  Guten 
das  Wissen  iiberkommen  habend,  belehrt,  der  Satzung  kundig. 

5.  (8617.)  Seiner  Pflicht  gemafs  steht  in  der  Werkwelt,  in 
Opferwerken  und  Wahrheit  wurzelnd  und  lebend,  der  Zwiege- 
borene  als  Hausvater  fest  in  den  sechs  Werken  (vgl.  Vers  8614). 


Adbyaya  235  (B.  236).  347 

6.  (8618.)  Die  fiinf  Opfer  [an  Gotter,  Eishi's,  Vater,  Men- 
schen  und  Tiere]  moge  er  immerfort  darbringen  als  ein  Glau- 
biger,  Beharrlicher,  Besonnener,  Bezahmter,  Pflichtkundiger, 
Atmanhafter. 

7.  (8619.)  Frei  von  Freude,  Ubermut  und  Zorn  wird  der 
Brahmane  nicht  lassig.  Geben,  Studieren,  Opfer,  Askese, 
Schamhaftigkeit,  Rechtschaffenheit   und   Selbstbeherrschung, 

8.  (8620.)  das  sind  die  Mittel,  durch  welche  er  seine  Kraft 
steigert  und  das  Ubel  fernhalt,  er,  der  das  Bose  abgeschiittelt 
hat,  voll  Weisheit,  mafsig  sich  nahrend  und  bezahmter  Sinne. 

9.  (8621.)  Lust  und  Zorn  bewaltigt  habend,  moge  er  der 
Statte  des  Brahman  nachspiiren,  moge  die  Opferfeuer  und 
Brahmanen  hochachten  und  die  Gottheiten  verehren. 

10.  (8G22.)  Er  halte  fern  von  sich  ^  herrische  Rede  und 
Totung,  sofern  sie  nicht  vom  Gesetze  geboten  ist.  Dies  wird 
als  die  von  den  Alten  eingehaltene  Lebensweise  des  Brah- 
manen vorgeschrieben. 

11.  (8623.)  Indem  er  nach  Wissen  und  UberHeferung  die 
Werke  vollzieht,  bringt  er  es  in  ihnen  zur  Vollkommenheit. 
Den  die  fiinf  Sinne  als  Wasser  habenden,  furchtbaren,  aus 
der  Begierde  entspringenden,  schwer  zu  durchschwimmenden, 

12.  (8624.)  den  Zorn  als  Schlamm  fiihrenden,  unaufhalt- 
samen  Strom  durchschreitet  der  Weise.  Er  schaue  hin  auf 
die  bestandig  lauernde,  unendliches  Wirrsal   bringende  Zeit. 

13.  (8625.)  Durch  die  grofse,  vom  Schicksal  ausersehene, 
unwiderstehliche  Gewalt,  durch  den  Strom  der  Xatur  wird 
die  gewordene  Welt  unaufhorlich  fortgerissen. 

14.  (8626.)  Durch  diesen  Strom,  dessen  Wasser  die  Zeit 
ist,  den  grofsen,  dessen  Strudel  fort  und  fort  die  Jahre  sind, 
der  die  Monate  als  Wellen,  die  Jahreszeiten  als  Stromschnellen, 
die  Monatshalften  als  Buschwerk  und  Graser  hat, 

15.  (8627.)  dessen  Schaum  die  aufblitzenden  Augenblicke, 
dessen  Wasser  die  Tage  und  Nachte  sind,  der  furchtbar  ist 
durch  das  Krokodil  der  Lust,  auf  dem  Veda  und  Opfer  als 
Schiffe  dienen, 

16.  (8628.)  auf  dem  das  Gute  die  Rettungsinsel  fiir  die 
Wesen  bildet,  dessen  Wasser  das  Niitzliche  und  Angenehme 
sind,  der  die  Wahrheit,   das  heilige  Wort  und  die  Erlosung 


348  III-    Mokshadharma. 

als   Ufer  hat,    der   die   Scliadigungen  als   Baumstamme   mit 
sich  fiihrt, 

17.  (8629.)  in  dessen  Mitte  die  Weltalter  die  Fluten  eines 
Sees  bilden,  dessen  Vergang  und  Entstehen  aus  Brahman 
ist,  —  durch  diesen  Strom  werden  die  von  dem  Schopfer  ge- 
schaffenen  Wesen  fortgefiihrt  in   die  Behausung  des  Yama. 

18.  (8630.)  Diesen  Strom  iiberschreiten  Besonnene,  Weise 
mit  den  aus  Opfern  bestehenden  Schiffen,  aber  die,  welche 
dieses  Schiff  nicht  haben,  was  werden  diese  Unverstandigen 
machen  ? 

19.  (8631.)  Was  einen  auch  immer  treffen  mag,  der  Weise 
hilft  sich  heraus,  aber  kein  anderer,  denn  von  feme  schon 
iiberschaut  der  Weise  allenthalben  Tugend  und  Laster. 

20.  (8632.)  Aber  der  Begierdehafte,  Wankelmiitige ,  Ein- 
sichtarme,  Unweise  kommt  nicht  iiber  den  Zweifel  hinaus; 
denn  wer  stillsitzt,  kommt  nicht  vorwarts. 

21.  (8633.)  Aber  der  Schiff  lose  halt  in  seiner  Verblendung 
die  grofse  Siinde  fest;  wenn  er  von  dem  Krokodil  der  Lust 
ergriffen  ist,  so  ist  ihm  auch  die  Erkenntnis  als  Schiff 
nichts  niitze. 

22.  (8634.)  Darum  soil,  wer  weise  ist,  sich  bemiihen  empor- 
zutauchen;  darin  aber  besteht  sein  Emportauchen ,  dafs  er 
ein  Brahmana  [pragnant  wie  Brih.  Up.  4,4,23]  wird. 

23.  (8635.)  Darum  soil,  wer  in  einer  gelauterten  Familie 
geboren  ist,  obgleich  mit  den  drei  [Guna's]  zusammengeknetet, 
durch  Vollbringen  der  drei  Werke  [des  Studiums,  Opfers  und 
Gebens]  in  dem  Auftauchen  beharren,  damit  er  durch  Er- 
kenntnis sich  rette. 

24.  (8636.)  Denn  ihm,  welcher  geweiht,  bezahmt,  in  sich 
gefestigt,  Herr  seiner  selbst  und  weise  ist,  wird  als  unmittel- 
bare  Folge  VoUendung  zuteil  in  dieser  Welt  und  im  Jenseits. 

25.  (8637.)  In  diesen  Verhaltnissen  lebe  der  Hausvater  ohne 
Zorn  und  ohne  Murren  und  bringe  fort  und  fort  die  fiinf 
Opfer  [vgl.  Vers  86i8]  dar,  indem  er  sich  von  den  Opfer- 
resten  nahrt. 

26.  (8638.)  Er  beharre  in  der  Pflicht  der  Guten,  betreibe 
als  ein  Kundiger  das  Opferwerk  und  trachte,  ohne  die  Mit- 
menschen  zu  bedrangen,  nach  einem  unbescholtenen  Wandel. 


Adhyaya  235  (B.  -236).  349 

27.  (8039.)  Die  Schrift,  das  Wissen  und  die  Wahrheit 
kennend,  wandelnd  nach  der  Lehre  und  kundig,  tatig  in  Er- 
fiillung  seiner  Pflicht  und  auch  in  seinen  Handlungen,  die 
Vermischung  mit  anderen  Kasten  meidend, 

28.  (8(540.)  werkeifrig,  glaubig,  bezahmt,  weise,  zufrieden 
und  den  Unterschied  von  Gutem  und  Bosem  kennend,  so  iiber- 
windet  er  jede  Schwierigkeit. 

29.  (8641.)  Glaubig,  beharrlich,  besonnen,  bezahmt,  pflicht- 
kundig,  atmanhaft,  frei  von  Freude,  Ubermut  und  Zorn  wird 
der  Brahmane  nicht  lassig  [vgl.  Vers  86i8— 8i;i9]. 

30.  (8C42.)  Dieses  wird  als  die  althergebrachte  Lebens- 
fiihrung  des  Brahmanen  vorgeschrieben;  wenn  er  mit  dieser 
Erkenntnis  ausgeriistet  die  Werke  vollbringt,  kommt  er  aller- 
warts  zum  Gelingen. 

31.  (8643.)  Der  Unwissende,  auch  wenn  er  das  Rechte  hebt, 
tut  doch  das  Unrecht;  er  vollbringt  das  Rechte  oder  den 
Schein  des  Rechten  gleichsam  mit  ^Viderstreben. 

32.  (8644.)  Er  glaubt,  das  Rechte  zu  tun,  und  tut  das 
Unrechte;  er  strebt  nach  dem  Unrechten  und  tut  das 
Rechte;  den  Unterschied  beider  Handlungsweisen  nicht 
verstehend,  wird  ein  solcher  Mensch  geboren  und  stirbt 
als  ein  Tor. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  '^'uka 
((^uka-anupra<;na). 


Adhyaya  *i:^6  (B.  237). 

Vers  8645-8687  (B.  l-41j. 

Vyasa  sprach: 

1.  (8645.)  Wenn  nun  einer  dazu  gelangt,  an  diesem  [Ge- 
sagten]  Gefallen  zu  fmden,  wahrend  er  von  dem  Strome  fort- 
gefiihrt  wird,  so  wird  er  emportauchend  und  sinkend  als 
Weiser  nicht  des  Schiffes  ermangeln. 

2.  (8646.)  In  der  Erkenntnis  gefestigt,  setzen  die  Weisen 
auf  Schiffen  die  Unweisen  iiber  den  Strom,  aber  die  Un- 
weisen  sind  nicht  imstande,  andere  oder  §ich  selbst  irgend- 
wie  iiberzusetzen. 


350  III-    Mokshadharma. 

3.  (8G47.)  Die  Siinde  vernichtend,  moge  der  von  ihr  Be- 
freite  durch  den  Yoga  die  zwolf  [Leib,  Manas  und  Sinne 
Qvet.  Up.  2,8]  anspannen,  indem  er  iiber  Ort,  Werk,  Leiden- 
schaft,  Zweck,  unzulangliche  Mittel  und  ihre  Beseitigung  Ge- 
wifsheit  besitzt. 

4.  (8648.)  Durch  Einschrankung  des  Auges  und  der  Er- 
nahrung  moge  mitsamt  Denken  und  Sehen  die  Rede  und  das 
Manas  durch  die  Buddhi  niederhalten ,  wer  die  hochste  Er- 
kenntnis  zu  erlangen  wiinscht. 

5.  (8649.)  Durch  die  Erkenntnis  moge  sein  Selbst  bandi- 
gen,  wer  die  Beruhigung  seines  Selbstes  zu  erringen  wiinscht. 
Wenn  er  zum  blofsen  Zuschauer  aller  jener  Dinge  geworden 
ist,  dann  wird  auch  der  sehr  Hartherzige  zum  Purusha. 

6.  (8650.)  Mag  der  Brahmane  nun  alle  Veden  oder  mag 
er  keinen  Vers  da  von  kennen,  mag  er  ein  pflichttreuer 
Opferer  oder  ein  Erzbosewicht  sein, 

7.  (8651.)  mag  er  nun  ein  ausgezeichneter  Mann  oder  ein 
von  den  Beschwerden  fJclegaJ  iiberwaltigter  sein,  —  wenn  er 
so  verfahrt,  so  iiberschreitet  er  den  schwer  zu  iiberwindenden 
Ozean  von  Alter  und  Tod. 

8.  (8652.)  Wenn  er  in  dieser  Weise  durch  diesen  Yoga 
sich  so  von  Grund  aus  bereitet,  dann  gelangt  er,  wenn  er 
auch  noch  so  erkenntnisdurstig  ist,  iiber  das  Wortbrahman 
hinaus. 

9.  (8653.)  Der  Gerechtigkeit  als  Wagensitz  hat,  Scham- 
haftigkeit  als  Schutzbrett,  Gelingen  und  Mifslingen  als  Deichsel, 
Einhauch  als  Achse,  Aushauch  als  Joch,  Bewufstsein,  Leben 
und  Seele  als  Bander, 

10.  (8654.)  der  Geistigkeit  als  Standbrett  hat,  der  schone, 
der  Ergreifung  eines  guten  Wandels  als  Radkranz,  Sehen 
und  Fiihlen  als  Beweger,  Riechen  und  Horen  als  Zugtiere  hat, 

11.  (8655.)  dem  die  Erkenntnis  als  Nabe,  alle  Lehrbiicher 
als  Stachelstock,  das  Wissen  als  Wagenlenker,  der  Kshe- 
trajna  (Atman)  als  Wagenfahrer  dient,  der  feste,  der  Glauben 
und  Bezahmung  als  Vorlaufer, 

12.  (8656.)  Entsagung  als  kleinen  Nachlaufer  hat,  der 
sicheren  Sitz  Bietende,  im  Reinen  Dahinfahrende ,  dessen 
Bahn  die  Meditation  ist,  —  das   ist  der  von  der  Seele  an- 


Adhyaya  236  (B.  237).  351 

geschirrte,    gottliche  Wagen,    der    in    der   Brahmanwelt   er- 
glanzt. 

13.  (8657.)  Wer  ohne  Verzug  den  Wagen  in  dieser  Weise 
zu  bespannen  sucht  und  auf  ihm  zu  dem  Unverganglichen 
zu  gelangen  strebt,  dessen  schnellen  Lauf  will  ich  dir  er- 
klaren. 

14.  (8658.)  Die  Stimme  unterdriickend,  gelangt  man  zu  den 
sieben  vollstandigen  Fixierungen  [des  Manas],  und  andere 
ebenso  grofse  sind  nach  riickwarts  [auf  die  Kreise  von  Sonne, 
Mond,  Polarstern  usw.  Nil.]  und  nach  seitwarts  [auf  Nasen- 
spitze,  Brauen,  Kehlgrube  usw.  Nil.]  gerichtet;  dies  sind  die 
Fesselungen  [des  Manas]. 

15.  (8659.)  Dadurch  geschieht  es,  dafs  man  stufen weise 
zur  Herrschaft  iiber  die  Erde  und  die  Luft  —  ebenso  steht 
es  mit  Ather  und  Wasser  —  zur  Herrschaft  iiber  das  Feuer 
und  ebenso  iiber  Ahaiikara  und  Buddhi,  (8660.)  und  stufen- 
weise  audi  zur  Herrschaft  iiber  das  Avyaktam  gelangt. 

16.  Fiir  den,  welcher  unter  ihnen,  die  mit  dem  Yoga 
solcher  Art  beschaftigt  sind,  diese  Tiichtigkeiten  besitzt,  (866i.) 
welcher  so  den  Yoga  iibt,  ihm  hingegeben  und  die  Voll- 
kommenheit  in  sich  selbst  schauend, 

17.  fiir  ihn,  den  als  ein  Erloster  (Nom.  nirmucyamdnah !) 
vermoge  seiner  Feinheit  jene  Gestalten  Schauenden,  (8662.)  fiir 
ihn  ist,  gleichwie  ein  feiner  winterlicher  Nebel  den  Himmel 
iiberzieht, 

18.  so,  wenn  er  von  seinem  Leibe  erlost  ist,  seine  friihere 
Gestalt.  (8663.)  Wenn  dann  der  Nebel  sich  senkt,  so  folgt 
das  Sehen  einer  zweiten  Erscheinung, 

19.  namlich  wie  man  so  etwas  wie  Wasser  im  Ather 
bemerkt,  so  sieht  er  etwas  derartiges  in  seinem  eigenen 
Innern.  (8664.)  Und  nachdem  er  iiber  das  Wasser  hinaus- 
gelangt  ist,  erscheint  ihm  eine  Art  Feuer. 

20.  Ist  dies  zur  Ruhe  gekommen,  so  erscheint  ihm  der 
seine  Waffen  in  sich  tragende  fpitagastra?)  Trejber  (der 
Wind).  (8665.)  Alsdann  erscheint  seine  Gestalt  wie  eines,  der 
weifs  wie  Wolle  ist. 

21.  Wenn  er  sodann  den  weifsen  Pfad  gegangen  ist  und 
weiter  zu  dem  feinen  Windartigen,  (8666.)  dann  wird  ferner- 


352  in.   Mokshadharma. 

hin  dem  Brahmanen  auch  die  nichtweifse  Feinheit  des  Feuers 
(vgl.  Chand.  Up.  6,4,1}  verheil'sen. 

22.  Nachdem  nun  dieses  alias  erlblgt  ist,  so  hore,  welche 
Friichte  daraus  entspringen.  (8667.)  Wenn  er  dazu  geworden 
ist,  so  wird  ihm  vermoge  der  Gottherrlichkeit  liber  das  Erd- 
artige  Schopferkraft  verliehen, 

23.  und  wie  der  unwandelbare  Prajapati  •  schafft  er  aus 
seinem  Leibe  die  Geschopfe  (sees.)  nur  mit  seinen  Fingern 
und  Daumen  oder  mit  seinen  Handen  und  Fiifsen. 

24.  Die  Erde  vermag  er  ganz  allein  zu  erschiittern,  in- 
dem  er,  wie  die  Schrift  sagt,  zur  Qualitat  des  Windes  ge- 
worden ist.  (S669.)  Wenn  er  zum  Ather  geworden  ist,  so 
erglanzt  er  in  ihm,  indem  er  seine  Farbe  annimmt,  oder  von 
der  Farbe  [abstehend]  macht  er  sicli  unsichtbar,  oder  auch 
er  trinkt  die  Behalter  [Brunnen,  Teiche,  Seen]  leer. 

25.  (8e70.)  Auch  kann  es  geschehen,  dafs  seine  Gestalt 
nicht  erst  wie  die  von  Feuern  sichtbar  wird  und  dann  ver- 
schwindet:  Hat  er  erst  den  Ahaiikara  iiberwunden,  so  sind 
alle  jene  fiinf  [Elemente]  seinem  Willen  untertan. 

26.  (8671.)  Dann  gewinnt  er,  indem  auch  die  Buddhi  iiber- 
wunden wurde,  die  Herrschaft  iiber  jene  in  ihm  vorhandenen 
sechs  [die  fiinf  seinen  Korper  bildenden  Elemente  und  den 
Ahaiikara],  und  es  iiberkommt  ihn  der  voile,  fleckenlose  Glanz. 

27.  (8672.)  Und  ebenso  geht  dann  sein  Entfaltetes  in  den 
unentfalteten  Atman  [die  Prakriti]  ein,  aus  welchem  die  Welt 
ausstromt  und  durch  welchen  sie  den  Namen  des  Entfalteten 
erlangt. 

28.  (8673.)  Nunmehr  vernimm  von  mir  ausfiihrlich  die  auf 
das  Unentfaltete  beziigliche  Wissenschaft,  ferner  lerne  vor- 
her  von  mir  das,  was  nach  der  Saiikhyalehre  das  Entfaltete 
ausmacht. 

29.  (8G74.)  Die  fiinfundzwanzig  Prinzipien,  welche  gleich- 
mafsig  in  beiden,  dem  Yoga  und  dem  Sankhyam,  gelten, 
und  ebenso  den  Unterschied  beider  Lehren  sollst  du  von 
mir  horen. 

30.  (8675.)  Das  Entfaltete  (vyaUamJ  heifst  dasjenige,  wel- 
ches entsteht,  wachst,  altert  und  stirbt,  indem  es  mit  [diesen] 
vier  Merkmalen  behaftet  ist. 


Adhyaya  286  (B.  237).  353 

31.  (8676.)  Hingegen  dasjenige,  welches  ihm  entgegen- 
gesetzt  ist,  wird  das  Unentfaltete  genannt.  Ferner  werden 
zwei  Atman's  [Prakriti  und  Purusha]  in  den  Veden  und  den 
Lehrbiichern  [nach  Nil.:  dem  Vedanta]  unterschieden. 

32.  (8677.)  Aber  das  Ersterwahnte,  welches  die  vier  Merk- 
male  an  sich  tragi,  bezeichnen  sie  als  den  Caturvarga  [die 
vier  Klassen  von  Wesen:  Gotter,  Menschen,  Tiere,  Pflanzen]. 
Das  Entfaltete  und  das  Unentfaltete  [die  Prakriti]  wird  auf- 
gefafst  als  ein  Ungeistiges,  (8678.)  und  audi  das  [noch  zur 
Prakriti  gehorige]  Sattvam  und  der  Kshetrajfia  [Purusha] 
werden  als  zwei  verschiedene  aufgezeigt. 

33.  Beide  Atman's  hangen,  wie  die  Veden  lehren,  den 
Sinnendingen  an,  (8679.)  aber  die  Zuriickziehung  von  den 
Sinnendingen  sollst  du  als  Merkzeichen  der  Sankhya's  [nach 
Nil.  der  Auj^anishada' s]  wissen. 

34.  Dann  wird  man  selbstlos,  frei  von  Ichbewufstsein, 
von  Gegensatzen  und  von  Zweifeln,  (8680.)  dann  ziirnt  man 
nicht  und  hafst  nicht  und  spricht  keine  unwahren  Worte. 

35.  Wird  einer  angeschrien  oder  geschlagen,  so  sinnt 
er  aus  Liebe  nicht  auf  Boses.  (868i.)  Rache  durch  Worte, 
durch  Taten  oder  in  Gedanken  legt  er  alle  drei  von  sich  ab. 

36.  Gleichmafsig  gegen  alle  Wesen,  wendet  er  sich  zu 
Gott  Brahman  bin,  (8682.)  er  wiinscht  nichts  und  ist  doch 
nicht  wunschlos,  sich  begniigend  mit  dem  blofsen  Unterhalte 
seines  Lebens. 

37.  Nicht  begehrlich,  unerschiitterlich ,  sich  bezahmend 
ist  er,  ungekiinstelt  und  doch  nicht  ohne  Kunst,  (8683.)  seine 
Sinnlichkeit  ist  nicht  auf  vielerlei  gerichtet,  seine  Wiinsche 
gehen  nicht  nach  alien  Seiten. 

38.  In  alien  Wesen  sieht  er  dasselbe,  freundlich  ge- 
sinnt,  gleichgiiltig  auf  Erdschollen  und  Goldklumpen  blickend, 
(8684.)  gleichmlitig  bei  Angenehmem  und  Unangenehmem,  gleich- 
miitig  gegen  Tadel  und  Lob. 

39.  Begierdelos  gegeniiber  alien  Wiinschen,  fest  in  dem 
Geliibde  des  Brahmanwandels,  (8685.)  kein  Wesen  schadigend, 
so  sich  verhaltend  wird  der  Anhanger  des  Saiikhyam  der 
Erlosung  teilhaftig. 

40.  Wie  sie  vom  Yoga  aus  zur  Erlosung  gelangen  und 

Deusses,  Mah&bh&ratani.  23 


354  ni.    Mokshadharma. 

durch  welche  Ursachen,  das  vernimm.  (8686.)  Wer,  die  Gott- 
herrlichkeit  als  Yoga  iiberschreitend,  iiber  sie  hinausgelangt, 
der  wird  erlost. 

41.  Damit  ist  dir  die  aus  dem  richtigen  Verhalten  ent- 
springende  Erkenntnis  erklart  worden,  daran  ist  kein  Zweifel. 
(8687.)  Auf  diese  Weise  wird  man  von  den  Gegensatzen  frei 
und  gelangt  zu  Gott  Brahman.  [Nur  in  C. :]  Und  hingegeben 
in  \\  erken  und  Gedanken,  wendet  man  sich  dem  Gott  Brah- 
man zu. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  (^uka 
(Quka  -  anupr<i(;na) . 


Adhyaya  337  (B.  338). 

Vers  8688-8712  (B.  1-25). 

Vyasa  sprach: 

1.  (8688.)  Wenn  der  Weise  das  Schiff  der  Erkenntnis  be- 
stiegen  hat,  namhch  die  Ruhe  der  Seele,  soil  er,  emporgehoben 
und  niedersinkend ,  seine  Zuflucht  in  dem  Wissen  suchen. 

Quka  sprach : 

2.  (8689.)  Aber  was  soil  ich  unter  diesem  Wissen  ver- 
stehen,  durch  welches  man  die  Zweiheit  iiberschreitet.  Hat 
diese  Kegel  als  Merkmal  ein  Tun  oder  ein  Ablassen  vom 
Tun,  das  sage  mir. 

Vyasa  sprach : 

3.  (8690.)  Wer  aber  aus  seiner  Natur  heraus  die  Dinge 
ansieht  ohne  das  richtige  Verhalten  fbJidvaJ,  der  ist  unver- 
standig;  hingegen  durch  die  Erkenntnis  bringt  man  alle  zum 
Gedeihen,  welche  nach  der  Erlosung  [muMi  mit  C]  streben. 

4.  (8691.)  Diejenigen,  welche  trotz  des  vollig  hingebenden 
Verhaltens  die  Ursache  in  ihrer  eigenen  Natur  zu  fmden 
glauben,  die  gelangen,  auch  wenn  sie  Gras  oder  Halm  von 
der  Umhiillung  siiubern  [den  Atman  wie  einen  Halm  aus  dem 
Schilfe  herausziehen  nach  Kath.  Up.  6,17],  doch  zu  nichts. 

5.  (8692.)   Diejenigen,  welche,  diese  Richtung  einschlagend. 


Adhy^ya  237  (B.  238).  355 

als  Torichte  wiederkehren,  die  konnen,  weil  sie  in  ihrer  eigenen 
Natur  die  Ursache  suchen,  nicht  zum  Heile  gelangen. 

6.  (8693.)  Die  eigene  Natur,  welche  in  Verblendung,  Werken 
und  Wiinschen  wurzelt,  fiihrt  zum  Verderben,  und  dieses  gilt 
von  beiden,  von  der  eigenen  und  von  der  sie  umgebenden  Natur. 

7.  (8694.)  Die  irdischen  Tatigkeiten  des  Pfliigens  usw.  und 
des  Erntens  der  Feldfrucht  sind  von  Weisen  hervorgebracht, 
sowie  auch  die  Wagen,  Sessel  und  Hauser. 

8.  (8695.)  Von  Spielplatzen,  Hausern  und  Arzneimitteln 
gegen  Krankheiten  sind  Urheber  die  Weisen ,  unterstiitzt 
durch  Verstandige. 

9.  (8696.)  Die  Erkenntnis  beschenkt  mit  Giitern,  die  Er- 
kenntnis  erlangt  auch  das  Heil;  in  gleicher  Weise  geniefsen 
die  Konige  ihr  Konigtum  vermoge  der  Erkenntnis. 

10.  (8697.)  Das  Hochste  und  Tiefste  wird  durch  die  Er- 
kenntnis von  den  Wesen  erlangt,  durch  das  Wissen,  o  Freund, 
wird  es  von  den  Geschopfen  erlangt,  das  Wissen  ist  das 
hochste  Ziel. 

1 1 .  (8698.)  Die  Entstehung  aller  der  mannigfachen  Wesen 
ist  als  vierfach,  namlich  als  Lebendgeborenes ,  Eigeborenes 
Sprofsgeborenes  und  Schweifsgeborenes ,  zu  betrachten. 

12.  (8699.)  Ferner  mufs  man  daran  festhalten,  dafs  die 
beweglichen  Wesen  von  den  unbeweglichen  verschieden  sind, 
denn  es  geziemt  sich,  dafs  die  Bewegung  unterschieden  werde 
durch  Unterscheidungskunst.  [Besser:  von  der  Nicht -Be- 
wegung, aviceshtayd  nach  Bohtlingks  Konjektur.] 

13.  (8700.)  Die  beweglichen  Wesen  bezeichnet  man  als 
vielfiifsig,  aber  es  gibt  vielmehr  zwei  Arten,  denn  es  gibt 
auch  viele  zweifiifsige,  welche  von  den  vielfiifsigen  verschie- 
den sind. 

14.  (8701.)  Die  Zweifufsler  sind  von  zweierlei  Art,  erd- 
bewohnende  und  andere  [Vogel];  die  erdbewohnenden  sind 
[von  letzteren]  verschieden,  denn  sie  nahren  sich  von  Speise. 

15.  (8702.)  Die  erdbewohnenden  sind  wiederum  zweifach, 
namlich  mittlere  und  hohere ;  die  mittleren  unterscheiden  sich, 
sofern  man  Geburt  und  Eigenschaften  in  Betracht  zieht. 

16.  (8703.)  Die  mittleren  sind  wieder  zweifach,  die  Gesetzes- 
kundigen  und  die  iibrigen;  die  Gesetzeskundigen  unterscheiden 

23* 


356  ni.   Mokshadharma. 

sich  [von  den  letzteren],   sofern  man  auf  das  Tunsollen  und 
Nicht-Tunsollen  achtet. 

17.  (8704.)  Die  Gesetzeskundigen  sind  wieder  zweifach,  die 
Vedakundigen  und  die  iibrigen;  die  Vedakundigen  unterschei- 
den  sich  [von  letzteren] ,  denn  sie  sind  der  Trager  des  Veda. 

18.  (8705.)  Die  Vedakundigen  sind  wieder  zweifach,  Leh- 
rende  und  die  iibrigen ;  die  Lehrenden  unterscheiden  sich  [von 
letzteren],  sofern  man  die  ganze  Pflicht  [Lehren  und  Lernen] 
in  Betracht  zieht. 

19.  (8706.)  Denn  diejenigen,  von  welchen  die  Veden  mit 
alien  ihren  Pflichten,  Werken  und  Friichten  erkannt  werden, 
von  diesen,  als  den  Lehrenden,  stromen  die  ganzen  Veden 
mitsamt  den  Pflichten  aus. 

20.  (8707.)  Die  Vedalehrer  sind  wieder  zweifach,  die  Atman- 
kenner  und  die  iibrigen ;  die  Atmankenner  unterscheiden  sich 
[von  letzteren],  sofern  man  das  Dazu-geboren-sein  und  Nicht- 
dazu-geboren-sein  in  Betracht  zieht. 

21.  (8708.)  Nur  wer  die  Zweiheit  der  Satzungen  [Wissen 
und  Werke]  kennt,  der  ist  ein  Vedawisser,  ein  Vedakundiger, 
der  ist  ein  Entsager,  von  wahrhaftem  Katschlusse,  wahrhaft, 
rein  und  Herr. 

22.  (8709.)  Ihn,  der  in  der  Erkenntnis  des  Brahman  ge- 
wurzelt  ist,  erkennen  die  Gotter  als  einen  Brahmanen  an, 
ihn,  der  sowohl  in  dem  Wortbrahman  bewandert,  als  auch 
in  dem  hohern  Brahman  zur  Klarheit  gelangt  ist. 

23.  (8710.)  Denn  das  Innere  und  das  Aufsere  mit  allem, 
was  das  Opfer  und  die  Gotter  betrifft,  sehen  die  mit  dem 
Wissen  Begabten,  und  sie,  o  Freund,  sind  Gotter,  sind  wahr- 
haft Zwiegeborene. 

24.  (8711.)  In  ihnen  ist  alles  dieses  Entstandene  und  die 
ganze  Welt  der  Lebenden  beschlossen,  ihnen  kommt  an  Hoch- 
herzigkeit  des  Charakters  nichts  anderes  gleich. 

25.  (8712.)  Sie  sind  hinausgelangt  liber  Entstehen  und 
Vergehen  und  iiber  die  Werke  allerwarts,  sind  iiber  die  vier 
Arten  von  Wesen,  iiber  das  Weltall  Gottherren  und  Durch- 
sich-selbst-seiende. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Fiage  des  (Juka 
(<,'uka  -  anupra^na). 


Adhyaya  238  (B.  239).  357 

Adhyaya  288  (B.  239). 

Vers  8713-8783  (B.  1-21). 

Vy&,sa  si)rach : 

1.  (8713.)  Dieses  vorher  erwahnte  Verhalten  wird  als  das 
eines  Brahmanen  anbefohlen ;  nur  der  die  Erkenntnis  Besitzende 
kommt,  indem  er  die  Werke  vollbringt,  iiberall  zum  Ziele. 

2.  (8714.)  Wenn  es  dabei  sich  nicht  so  verhalt,  so  wird 
der  Erfolg  des  Werks  zweifelhaft.  Aber  nun  fragt  sich,  ob 
dabei  das  eigentliche  Wesen  des  Werks  in  der  Erkenntnis 
oder  vielmehr  in  dem  Werke  besteht. 

3.  (8715.)  Hierauf  diirfte  die  Vedavorschrift  antworten :  die 
Erkenntnis  [ist  das  Wesen tliche],  wenn  es  sich  um  den  Purusha 
handelt;  das  will  ich  dir  diirch  Argumentation  und  Perzeption 
darlegen,  das  vernimm. 

4.  (8716.)  Einige  Menschen  behaupten,  dafs  bei  den  Werken 
die  Menschen  tat  die  Ursache  sei,  andere  preisen  als  solche 
das  Schicksal  und  noch  andere  Leute  die  Natur. 

5.  (8717.)  Die  menschhche  Tat,  das  Schicksal  und  das 
zei tliche  Hervorgehen  von  Natur  aus,  diese  drei  erscheinen 
als  gesondert,  wahrend  einige  behaupten,  dafs  unter  ihnen 
kein  Unterschied  sei  [vgl.  oben,  Vers  8529—30]. 

6.  (8718.)  Es  kann  so  sein  und  nicht  so  sein  oder  beides 
nicht  sein  oder  auch  keines  von  beiden  nicht  sein,  so  sprechen 
sich  iiber  den  Gegenstand  aus  die  werktatigen,  in  der  Wahr- 
heit  stehenden  Unparteiischen  [vgl.  oben.  Vers  8530—31]. 

7.  (8719.)  In  den  Zeitaltern  der  Treta  und  des  Dvapara 
wie  auch  in  dem  Kali  sind  die  Menschen  mit  Zweifel  behaftet ; 
hingegen  askesereich,  beruhigt  und  in  der  Wahrheit  stehend 
sind  sie  im  Zeitalter  Kritam. 

8.  (8720.)  In  ihm  sind  alle  von  gleichen  Anschauungen  in 
betreff  des  Rig-,  Sama-  und  Yajurveda  beseelt,  und  Liebe 
und  Hafs  von  sich  fernhaltend,  ergeben  sie  sich  im  Krita- 
zeitalter  dem  Tapas. 

9.  (8721.)  Und  gebunden  an  die  Satzung  des  Tapas,  be- 
harrend  im  Tapas  und  durch  dasselbe  gescharft,  erlangt  der 
Mensch  durch  dasselbe  alle  Wiinsche,  die  er  im  Herzen  hegt. 


358  ni.    Mokshadharma. 

10.  (8722.)  Durch  das  Tapas  erlangt  er  das,  wozu  geworden 
er  Weltschopfer  ist.  Und  nachdem  er  dazu  geworden  ist, 
wird  er  dadurch  zum  Herrn  iiber  alle  Wesen. 

11.  (8723.)  Dieses  in  den  Vedaworten  von  den  Vedasehern 
dunkel  Ausgesprochene  und  in  den  Vedantalehren  klar  Dar- 
gelegte  tritt  zutage  durch  die  Hingebung  an  das  Werk. 

12.  (8724.)  Die  Kshatriya's  opfern  durch  tapferes  Vor- 
dringen,  die  Vai^ya's  durch  Darbringung  von  Opferspeise, 
die  (^udra's  durch  Dienen,  die  Zwiegeborenen  [also  hier  gleich 
Brahmanen]  durch  Murmelung  der  Gebete. 

13.  (8725.)  Denn  der  Zwiegeborene  ist  in  seiner  Pflicht 
vollig  bestimmt  durch  das  Vedastudium ,  mag  er  noch  sonst 
etwas  treiben  oder  nicht  treiben,  der  Brahmane  gilt  dabei 
immer  als  freundlich  gesinnt  [vgl.  Manu  II,  87]. 

14.  (8726.)  Zu  Anfang  des  Zeitalters  Treta  sind  Veden, 
Opfer,  Kasten  und  Lebensstadien  noch  voUstandig  vorhanden, 
aber  gleichzeitig  mit  der  Verkiirzung  des  Lebensalters  ge- 
raten  sie  ins  Schwanken  im  Zeitalter  Dvapara. 

15.  (8727.)  Im  Dvapara  geraten  die  Veden  in  Verfall  und 
ebenso  im  Zeitalter  Kali,  und  voUends  zu  Ende  des  Kalizeit- 
alters  kommen  sie  zum  Vorschein  und  nicht  zum  Vorschein. 

16.  (8728.)  Dann,  von  der  Ungesetzlichkeit  bedrangt,  sinken 
die  jedem  obliegenden  Pflichten,  und  ebenso  ist  es  mit  den 
Kraften  der  Kiihe,  der  Erde,   des  Wassers  und  der  Krauter. 

17.  (8729.)  Dann  werden  durch  die  Ungerechtigkeit  Veden, 
Vedapflichten  und  Lebensstadien  erstickt,  und  die  unbeweg- 
lichen  und  beweglichen  Wesen,  die  [bis  dahin]  ihrer  Obliegen- 
heit  treu  waren,  werden  umgewandelt. 

18.  (8730.)  Wie  der  Regen  alle  Wesen  auf  der  Erde  be- 
netzt  und  ihre  Glieder  nach  alien  Seiten  zum  Wachstum 
bringt,  so  der  Veda  in  jedem  Weltalter. 

19.  (8731.)  Was  als  die  anfanglose  und  endlose  Mannig- 
faltigkeit  des  Kala  (der  Zeit)  vorausbestimmt  ist,  was  die 
■Geschopfe  erzeugt  und  wieder  verschlingt,  das  ist  vordem 
von  mir  mitgeteilt  worden. 

20.  (8732.)  Was  nun  dieses  betriift,  namlich  Entstehen, 
Bestehen,  Untergehen  und  Regiertwerden  der  Wesen,  so  be- 
wegen    sie    sich    gemafs    ihrer    eigenen  Natur,    obgleich  sie 


Adhyaya  238  (B.  239).  359 

vielfach   von    den  Gegensatzen    [wie  vom  Kegen]    getroffen 
werden. 

21.  (8733.)  Schopfung,  Zeit,  Bestand,  Veden,  Tater,  Pflicht, 
Werk  und  Frucht,  das  alles,  wonach  du  mich  befragt  hast, 
ist  dir,  o  Freund,  von  mir  mitgeteilt  worden. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  (Juka 

(i^'iika  -  anupra<,na). 


Adhyaya  239  (B.  240). 

Vers  8734-8767  (B.  1-34). 

Bhishma  sprach: 

1.  (8734.)  Nachdem  Qnka  diese  Rede  vernommen  und  die 
Unterweisungen  des  hohen  Rishi  beifallig  aufgenommen  hatte, 
ging  er  dazu  iiber,  die  folgende,  auf  Erlosung,  Pflicht  und 
Nutzen  beziigHche  Frage  zu  stellen. 

^uka  sprach: 

2.  (8735.)  Wer  weise,  schriftgelehrt,  opferfleifsig,  verstandig 
und  ohne  Mifsgunst  ist,  wie  kann  ein  solcher  das  ihm  un- 
bekannte  und  nicht  verkiindigte  Brahman  erlangen? 

3.  (8736.)  Ob  er  es  durch  Askese,  Brahmanwandel,  vollige 
Entsagung,  Weisheit  im  Sankhyam  oder  im  Yoga  [erlangt], 
das  sage  mir  auf  meine  Frage. 

4.  (8737.)  Auch  wie  und  durch  welches  Mittel  die  Kon- 
zentration  des  Manas  und  der  Sinnesorgane  von  den  Menschen 
erlangt  wird,  das  sollst  du  mir  erklaren. 

Vyasa  sprach : 

5.  (8738.)  Nicht  ohne  Wissen  und  Askese,  nicht  ohne 
Ziigelung  der  Sinne,  nicht  ohne  vollige  Entsagung  kann 
einer  die  Vollkommenheit  erlangen. 

6.  (8739.)  AUe  die  grofsen  Elemente  sind  von  dem  durch 
sich  selbst  Seienden  einzeln  zustande  gebracht  worden  und 
namentlich  auch  in  die  Schar  der  Lebewesen,  in  die  Ver- 
korperten  eingegangen. 


360  in.    Mokshadharma. 

7.  (8740.)  Aus  der  Erde  stammt  der  Leib,  aus  dem  Wasser 
seine  Fliissigkeit,  aus  dem  Feuer  die  Augen,  auf  dem  Winde 
beruhen  Aushaucli  und  Einhauch,  aus  dem  Weltraum  besteht 
der  Raum  in  den  Lebewesen. 

8.  (8741.)  In  dem  Gauge  des  Menschen  findet  Vishnu  eine 
Statte  des  Geniefsens,  in  seiner  Kraft  Indra,  in  seinen  Ein- 
geweiden  Agni  [als  Verdauungsfeuer],  in  den  Ohren  geniefsen 
die  Weltgegenden  das  Horen,  in  der  Zunge  weilt  die  Gottin 
der  Rede  und  Beredsamkeit  {vak  sarasvaUJ. 

9.  (8742.)  Die  Ohren,  die  Haut,  die  Augen,  die  Zunge  und 
die  Nase  als  fiinfte  heifsen  die  Sinne  der  Anschauung  und 
sind  Pforten,  zum  Zwecke  der  Ernahrung  dienend. 

10.  (8743.)  Der  Ton,  die  Beriihrung  und  die  Gestalt,  der 
Geschmack  und  der  Geruch  als  fiinfter,  diese  sind  die  ein- 
zelnen,  den  Sinnesorganen  jedesmal  entsprechenden  Sinnes- 
objekte, 

11.  (8744.)  Das  Manas  schirrt  die  Sinne  an  wie  der  Wagen- 
lenker  die  folgsamen  Rosse  und  der  im  Herzen  wohnende 
Elementar-Atman  {hlnitdtmanj  schirrt  immerfort  das  Manas  an. 

12.  (8745.)  Auch  ist  das  Manas  Herr  iiber  alle  jene  Sinnes- 
organe  beim  Anziehen  und  Nachlassen  der  Ziigel,  und  ebenso 
der  Elementar-Atman  iiber  das  Manas. 

13.  (8746.)  Die  Sinnesorgane  und  die  Sinnesobjekte,  die 
Naturbeschaffenheit  (svabhdvaj,  der  Geist  fcetandj  und  das 
Manas,  Aushauch  und  Einhauch,  sowie  die  individuelle  Seele 
Cjivaj  weilen  immer  in  den  Korpern  der  Verkorperten. 

14.  (8747.)  Das  Sattvam  hat  keinen  Stiitzpunkt  und  die 
Guna's  sind  ein  blofses  Wort,  nicht  aber  Geist  fcetandj,  denn 
das  Tejas  [die  geistige  Energie]  lafst  aus  sich  hervorgehen 
das  Sattvam,  aber  nimmermehr  die  Guna's.  [Wie  es  scheint, 
werden  hier  die  Guna's  geleugnet  und  das  Sattvam  fiir  ein 
blofses  Produkt  des  Tejas  erklart.] 

15.  (8748.)  In  dieser  Weise  ist  der  Siebzehnte  [der  Atman] 
umhiillt  von  den  sechzehn  Qualitaten  [den  vorerwahnten :  fiinf 
Sinnesorganen,  fiinf  Sinnesobjekten,  der  Naturbeschaffenheit, 
dem  Geiste,  dem  Manas,  dem  Aushauch  und  Einhauch  und 
der  individuellen  Seele,  Vers  8746],  der  verstandige  Weise  er- 
schaut  diesen  Atman  in  sich  selbst. 


Adhyaya  239  (B.  240).  361 

16.  (S74i).)  Dieser  Atman  ist  nicht  durch  das  Auge  zu 
schauen,  noch  auch  durch  alle  iibrigen  Sinnesorgane ;  nur 
durch  das  Manas  als  Leuchte  wird  der  grofse  Atman  sichtbar. 

17.  (8750.)  Jenes  ist  ohne  Ton,  Beriihrung  und  Gestalt, 
ohne  Geschmack  und  Geruch,  unverganghch.  Man  schaue 
es  m  den  Korpern,  das  Korperlose,  Organlose. 

18.  (8751.)  Unoffenbar  hat  dieses  Hochste  in  alien  sterb- 
lichen  Korpern  Wohnsitz  genommen ;  wer  es  schaut^  der  wird 
nach  dem  Tode  geeignet  zur  Brahmanwerdung. 

19.  (8752.)  In  dem  mit  Wissen  und  edler  Geburt  begabten 
Brahmanen,  in  der  Kuh,  in  dem  Elefanten,  in  dem  Hunde 
und  sogar  in  dem  Hundekocher,  in  allem  erkennt  der  Weise 
die  gleiche  Wesenheit. 

20.  (8753.)  Denn  in  alien  Wesen,  den  beweglichen  und 
unbeweglichen,  wohnt  jener  eine  grofse  Atman,  durch  welchen 
dieses  Weltall  ausgespannt  ist. 

21.  (8754.)  Wenn  der  Elementar-Atman  sich  selbst  in  alien 
Wesen  und  alle^Wesen  in  sich  selbst  sieht,  dann  geht  er  in 
das  Brahman  ein. 

22.  (8755.)  Soweit  die  Seele  (die  Wesenheit)  des  Veda  in 
der  Seele  ist,  soweit  ist  die  Seele  in  der  hochsten  Seele;  wer 
sich  dessen  immerfort  bewufst  ist,  der  ist  geeignet  fiir  die 
Unsterblichkeit. 

23.  (8750.)  Wer  zum  Selbste  aller  Wesen  geworden  und 
daher  gegen  alle  Wesen  freundlich  ist,  dessen  Pfad  verbirgt 
sich  sogar  den  Gottern,  wenn  sie  die  Spur  des  Spurlosen 
verfolgen. 

24.  (8757.)  W^ie  die  Spur  der  Vogel  im  Luftraum,  der 
Fische  im  W^asser  nicht  sichtbar  ist,  so  ist  es  mit  der  Spur 
derer,  die  das  Wissen  besitzen. 

25.  (8758.)  Die  Zeit  macht  durch  sich  selbst  in  sich  hie- 
nieden  alle  Wesen  miirbe,  aber  denjenigen,  in  welchem  die 
Zeit  miirbe   gemacht  wird,  den  versteht  hienieden  niemand. 

26.  (875;».)  Dieses  kann  nicht  oben,  nicht  querdurch,  nicht 
unten,  nicht  so,  noch  so,  noch  auch  in  der  Mitte  von  irgend- 
einem  Dinge  irgendwoher  erfafst  werden. 

27.  (8760.)  Alle  Welten  sind  in  ihm  enthalten,  und  aul'ser 
ihnen  ist  nichts  vorhanden.     Wenn   es  unermiidlich  in  den 


362  ni.    Mokshadharma. 

Dingen  gegenwartig  ist,  ist  es  wie  eine  Harfe,  deren  Saiten 
gertihrt  werden. 

28.  (8761.)  Nicht  kann  jemand,  wenn  er  es  noch  so  sehr 
wiinscht,  bis  zum  Ende  des  Urprinzips  vordringen ;  so  fein  ist 
es,  dafs  es  nichts  feineres  gibt  und  auch  nichts  groberes. 

29.  (8762).  Nach  allwarts  ist  es  Hand,  Fiifse,  nach  all- 
warts  Augen,  Haupt  und  Mund,  nach  alien  Seiten  hinhorend, 
die  "Welt  umfassend  steht  es  da  [—  Qvet.  Up.  3,16;  vgl.  oben, 
S.  87]. 

30.  (8763.)  Dieses  ist  feiner  als  das  Peine  und  grofser  als 
das  Grofse,  innerlich  in  alien  Wesen  bestandig  weilend,  wird 
es  niclit  gesehen. 

31.  (8764.)  Es  ist  das  Unvergangliche  und  das  Vergang- 
liche,  das  ist  die  Zwienatur  des  Atman;  als  verganglich  ist 
es  in  alien  Wesen,  aber  als  das  gottliche,  unsterbliche  ist  es 
unverganglich. 

32.  (8765.)  In  die  Stadt  mit  neun  Toren  eingegangen,  ist 
er  als  Wandervogel  eingekerkert  und  doch  gebietend  als  Herr 
alles  Seienden,  des  unbeweglichen  und  beweglichen. 

33.  (8766.)  In  den  dem  Wechsel  des  Schwindens  und  Ver- 
gehens  unterworfenen  und  durch  Haufung  [der  Elemente] 
wieder  neuen  Korpern  erkennen  den  Ewigen  als  Wandervogel 
diejenigen,  welche  das  jenseitige  Ufer  schauen. 

34.  (8767.)  Jenes  als  Wandervogel  und  als  ewig  bezeioh- 
nete  Allerhochste,  Ewige,  dieses  Ewige  als  Wissender  erlangt 
habend,  verlafst  man  Leben  und  Neugeburt. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  (^uku 
({'uka  -  anuprarna). 


Adhyaya  '^40  (B.  '^41). 

Vers  8768-S803  (B.  1-3G). 

Vyasa  sprach: 

1.  (8768.)  Auf  deine  Fragen,  o  guter  Sohn,  habe  ich,  so 
wie  es  in  Wahrheit  sich  verhalt,  mitgeteilt,  was  mit  der 
Sankhyawissenschaft  in  Zusammenhang  steht. 


Adhyaya  240  (B.  '241).  363 

2.  (87G9.)  Jetzt  aber  will  ich  dir  die  ganze  Yogapflicht 
entwickeln,  vernimm  sie;  namlich  die  Konzentration  von 
Buddhi,  Manas  und  den   Sinnesorganen   von   aller warts  her. 

3.  (8770.)  Dieses,  o  Freund,  ist  die  uniibertreffliche  Er- 
kenntnis  des  alldurchdringenden  Atman;  sie  kann  nur  von 
dem  Beruhigten,  Bezahmten,  im  innern  Atman  Bewanderten, 

4.  (8771.)  des  Atman  Frohen,  Verstandigen ,  reine  Werke 
Ubenden  verstanden  werden,  sofern  er  die  Hemmnisse  des 
Yoga  ausrottet,  deren  die  Weisen  fiinf  kennen, 

5.  (8772.)  namlich  Lust,  Zorn,  Begierde,  Furcht  und  Schlaf 
als  fiinftes.  Den  Zorn  iiberwindet  man  durch  Ruhe,  die  Lust 
durch  Fernhalten  der  Wiinsche, 

6.  (8773.)  den  Schlaf  soil  der  Weise  durch  Pflege  des 
Sattvam  ausrotten,  durch  Festigkeit  soil  er  Geschlechtslust 
und  Efsgier  iiberwachen  und  Hand  und  Fufs  durch  das  Auge, 

7.  (8774.)  Auge  und  Ohr  durch  das  Manas,  Manas  und 
Rede  durch  Tatigkeit.  Durch  Besonnenheit  befreie  er  sich 
von  Furcht,  von  Hinterlist  durch  Verkehr  mit  Verstandigen. 

8.  (8775.)  In  dieser  Weise  moge  er  fort  und  fort  unermiid- 
lich  die  Hemmnisse  des  Yoga  iiberwinden,  moge  die  Opfer- 
feuer  und  die  Brahmanen  hochachten  und  die  Gotter  ehren. 

9.  (8776.)  Er  meide  herrische,  beleidigende,  das  Herz  ver- 
letzende  Rede.  Aus  Brahmankraft  besteht  das  Reine,  dessen 
Geschmack  dieses  Weltall  an  sich  hat; 

10.  (8777.)  aus  diesem  Wesen  entsprungen  zeigt  sich  das 
Unbewegliche  und  Bewegliche.  Meditation,  Studium,  Schen- 
ken,  Wahrhaftigkeit,  Schamhaftigkeit,  Geradheit,  Geduld, 

11.  (8778.)  Reinheit,  Lauterkeit  des  Wandels  und  Ziigelung 
der  Sinne,  das  sind  die  Mittel,  durch  welche  er  die  Brahman- 
kraft fordert  und  das  Bose  von  sich  fernhalt. 

12.  (8779.)  Dann  gelingen  alle  seine  Zwecke  und  seine 
Erkenntnis  schreitet  fort ;  er  ist  gleichmiitig  gegen  alle  Wesen, 
sich  zufrieden  gebend,  mag  er  etwas  erreichen.  oder  nicht. 

13.  (8780.)  Das  Bose  abschiittelnd,  energievoll,  mafsig  sich 
nahrend,  die  Sinne  bezahmend.  Lust  und  Zorn  iiberwindend, 
moge  er  der  Statte  des  Brahman  nachspiiren. 


364  III.    Mokshadharma. 

14.  (8781.)  Gesammelt  und  die  Konzentration  von  Manas 
und  Sinnen  bewirkend,  soil  er  in  der  ersten  Nachthalfte  sowie 
in  der  zweiten  das  Manas  in  sich  selbst  fesseln  fdhdrayetj. 

15.  (8782.)  Wenn  bei  einem  solchen  Menschen  von  den 
fiinf  [von  der  Aufsenwelt  abgesperrten]  Sinnen  auch  nur  eines 
einen  Rifs  bekommt,  dann  flierst  seine  Erkenntnis  weg,  wie 
Wasser  aus  dem  untern  Ende  des  Schlauches. 

16.  (8783.)  Vor  allem  mufs  er  das  Manas  festhalten  wie 
der  Fische  Totende  einen  bosen  Fisch  [der  entschliipfen  will], 
und  so  auch  Ohr,  Auge,  Zunge  und  Geruch,  er,  der  den  Yoga 
kennt. 

17.  (8784.)  Sodann  soil  der  Selbstbezwinger  dieselben  im 
Manas  einzwangen  und  zur  Ruhe  bringen  und  ebenso  das 
Manas  von  seiner  Tatigkeit  des  Vorstellens  und  Wiinschens 
fernhalten  und  im  Atman  fesseln. 

18.  (8785.)  Zusammenzwangend  die  fiinf  Sinne,  soil  sie  der 
Selbstbezwinger  im  Manas  zur  Ruhe  bringen,  und  wenn  sie 
zum  Stillstand  gekommen  sind,  soil  er  sie  mit  dem  Manas 
als  sechstem  in  sich  einschliefsen. 

19.  (8786.)  Und  wenn  sie  zusammengedrangt  zum  Still- 
stand  kommen,  dann  leuchtet  das  Brahman  auf  wie  eine 
glanzende,  rauchlose  Flamme,  wie  die  glanzreiche  Sonne. 

20.  (8787.)  Wie  das  Blitzfeuer  im  Raume,  so  erscheint  dann 
der  Atman  in  seinem  Selbste,  dann  ist  er  allseiend  und  ver- 
moge  der  Durchdringung  allgegenwartig. 

21.  (8788.)  Dann  schauen  ihn  (den  Atman)  die  hochherzigen 
weisen  Brahmanen,  welche  charakterfest  und  hochverstandig 
sich  am  Wohlsein  aller  Wesen  freuen. 

22.  (8789.)  Wenn  er  in  dieser  Weise  mit  gescharftem  Ge- 
liibde  die  vorgeschriebene  Zeit  einhalt,  dasitzend  allein  in  der 
Einsamkeit,  dann  geht  er  ein  in  die  Gleichhheit  mit  dem  Un- 
verganglichen. 

23.  (8790.)  Dann  treten  auf  Verblendung,  Verwirrung, 
Schwindel,  Geriiche,  Tone  und  Ges'ichte,  Wundererscheinun- 
gen,  Geschmacke  und  Gefiihle,  Kaltes  und  Warmes  und  Wind- 
artigkeit  [schneller  Gang,  Unsichtbarkeit  und  Luftwandeln 
nach  Nil.]. 


Adliyaya  240  (B.  241).  365 

24.  (8791.)  Obgleich  ihn  dann  vermoge  des  Yoga  Anfalle 
von  tibernatiirlicher  Riickerinnerung  und  Besessenheit  iiber- 
kommen,  so  soil  der  Wahrheitwisser  nicht  auf  sie  achten, 
sondern  nur  in  den  Atman  sich  vertiefen. 

25.  (879-2.)  Der  Muni  erwerbe  sich  Vertrautheit  mit  dem 
Yoga,  indem  er  sich  an  die  drei  Zeiten  [Morgenstunde,  erste 
und  zweite  Nachthalfte  Nil.]  halt;  er  bringe  ihn  in  Gang  auf 
einem  Berggipfel,  an  einer  geweihten  Statte  oder  an  der 
Wurzel  eines  Baumes. 

26.  (8793.)  Die  Schar  der  Sinnesorgane  in  dem  Verschlufs 
[des  Herzens]  haltend  und  das  Manas  gleichsam  einkapselnd, 
soil  er  sein  Denken  immerfort  auf  einen  Punkt  konzentrieren 
und  das  Manas  nicht  vom  Yoga  abirren  lassen. 

27.  (8794.)  Durch  welches  Mittel  immer  er  das  wankel- 
miitige  Manas  zu  fesseln  vermag,  das  soil  er  hingegeben  zur 
Anwendung  bringen  und  nicht  davon  abweichen. 

28.  (8795.)  Leere  Berghohlen,  Gottertempel  oder  leere 
Hauser  soil  der  sich  Konzentrierende  aufsuchen  und  bewohnen. 

29.  (8796.)  Er  nehme  keinen  andern  in  seine  Arme,  nicht 
in  Worten,  Werken  oder  Gedanken ;  gleichgiiltig,  mafsig  sich 
nahrend  moge  er  gleichmiitig  bleiben,  ob  er  etwas  erreicht 
oder  nicht. 

30.  (8797.)  Mag  einer  ihn  freundlich  begriifsen,  oder  mag 
er  ihn  tadeln,  er  sei  gleichgiiltig  gegen  beides  und  frage 
nichts  nach  Angenehmem  und  Unangenehmem. 

31.  (8798.)  Er  freue  sich  nicht  beim  Empfangen,  und  be- 
kiimmere  sich  nicht  beim  Nicht-Empfangen,  gleichmiitig  gegen 
alle  Wesen,  dem  Winde  vergleichbar  [an  Nicht-Anhanglich- 
keit  und  Heimatlosigkeit  Nil.]. 

32.  (8799.)  Wer  als  ein  Tiichtiger  in  dieser  Weise  selb- 
standigen  Wesens  geworden  ist,  iiberall  das  Gleiche  sieht 
und  sechs  Monate  hindurch  bestandig  den  Yoga  iibt,  den 
gibt  das  Wortbrahman  frei. 

33.  (8800.)  Obgleich  er  die  Geschopfe  von  Leiden  gequalt 
sieht,  so  bleibt  er,  der  mit  demselben  Gleichmut  auf  Erd- 
klumpen,  Steine  und  Gold  hinblickt,  auf  diesem  Wege  zur 
Beruhigung  gelangend ,  beruhigt  und  gerat  nicht  in  Ver- 
wirrung. 


366  HI.    Mokshadharma. 

34.  (8801.)  Mag  es  auch  ein  seiner  Kaste  Entfremdeter, 
mag  es  auch  ein  pflichtstrebendes  Weib  sein,  selbst  solche 
konnen  auf  diesem  Wege  zum  hochsten  Ziele  gelangen. 

35.  (8802.)  DaslJngeborene,Alte,  Nicht-Alternde,  Ewige, 
welches  man  nur  bei  volhger  Ruhe  der  Sinne  wahr- 
nehmen  kann,  und  welches  kleiner  als  das  Kleinste, 
grofser  als  das  Grofste  ist,  dieses  Freie  erschaut  der 
Atmanhafte  durch  seinen  Atman. 

36.  (8803.)  Wenn  sie  diese  Rede  des  hochherzigen 
grofsen  Weisen,  so  wie  sie  gesprochen  wurde,  mit  dem 
Geiste  betrachten  und  dabei  diese  Identitat  mit  dem  Aller- 
hochsten  iiberdenken,  dann  gehen  die  Weisen  den  iiber 
die  Wesen  hinausfiihrenden  Weg. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  (^uka 

((^iika  -  anupra<;na). 


Adhyaya  241  (B.  34*^). 

Vers  8804-8823   (B.  1-20). 

^uka  sprach: 

1.  (8804.)  Wenn  es  doch  im  Veda  befohlen  wird,  das  Werk 
zu  vollbringen  und  auch  von  ihm  abzustehen ;  welches  ist  die 
Region,  zu  der  man  durch  das  Wissen,  welches  die,  zu  der 
man  durch  das  Werk  gelangt? 

2.  (8805.)  Das  wiinsche  ich  zu  horen,  das  mogest  du, 
o  Herr,  mir  erklaren,  beides  ist  ja  doch  voneinander  ver- 
schieden,  da  es  sich  sogar  widerspricht. 

Bhlshma  sprach: 

3.  (8806.)  So  angesprochen  antwortete  seinem  Sohne  der 
Sohn  des  Paragara  folgendermafsen :  Ich  will  dir  diese  beiden 
im  Werke  und  im  Wissen  bestehenden,  verganglichen  und 
unverganglichen  Wege  erklaren. 

4.  (8807.)  Die  Region,  zu  der  sie  durch  das  Wissen  ge- 
langen, und  die,  zu  welcher  die  Werke  fiihren,  vernimm  mit 
angespanntem  Geiste,  o  Teurer,  denn  ihr  Unterschied  ist 
schwer  ergriindlich. 


Adhyaya  241  (B.  242).  367 

5.  (8808.)  Wie  wenn  einer  sagen  wollte,  es  gibt  eine 
Satzung,  und  dabei  zugleich,  es  gibt  keine  solche,  einem  der- 
artigen  Gegensatz  ahnlich  ist  der  von  mir  aufgestellte. 

6.  (8809.)  Es  gibt  also  diese  beiden  Wege,  in  welchen  die 
Veden  gegriindet  sind :  die  eine  Satzung  hat  die  Tatigkeit  als 
Merkmal,  die  andere,  in  Nicht-Tatigkeit  bestehend,  wird  eben- 
falls  mit  Recht  gelehrt. 

7.  (8810.)  Durch  das  Werk  wird  der  Mensch  gebunden, 
durch  das  Wissen  hingegen  wird  er  erlost,  darum  tun  kein 
Werk  die  Asketen,  die  das  jenseitige  Ufer  schauen. 

8.  (8811.)  Vermoge  des  Werkes  wird  man  nach  dem  Tode 
geboren  als  ein  Korperhafter ,  Sechzehnteilhafter,  durch  das 
Wissen  wird  man  geboren  als  das  Ewige,  Unoffenbare,  Un- 
sterbliche. 

9.  (8812.)  Manche  Menschen,  die  sich  nur  geringer  Ein- 
sicht  erfreuen,  riihmen  das  Werk,  darum  schatzen  sie  die 
Fesseln  des  Leibes  und  schmeicheln  ihnen. 

10.  (8813.)  Diejenigen  aber,  welche,  zur  hochsten  Erkennt- 
nis  gelangend ,  das  Gesetz  durch  Erfahrung  schauen ,  die 
riihmen  das  Werk  nicht,  wie  der  aus  dem  Flusse  Trinkende 
nicht  den  Brunnen. 

11.  (8814.)  Durch  das  Werk  erlangt  man  als  Frucht  Lust 
und  Leid,  Entstehen  und  Vergehen;  durch  das  Wissen  er- 
langt man  jenes,  zu  welchem  gelangt  einer  keinen  Kummer 
mehr  empfindet, 

12.  (8815.)  wohin  gelangt  einer  nicht  mehr  stirbt,  wohin 
gelangt  er  nicht  mehr  geboren  wird,  wo  er  nicht  wieder- 
geboren  wird,  von  wo  er  nicht  mehr  zuriickkehrt, 

13.  (8816.)  wo  jenes  hochste,  unoffenbare,  unwandelbare, 
bestandige,  unentfaltete ,  miih close,  unsterbliche ,  [von  der 
Seele]  unabtrennbare  Brahman  sich  befindet, 

14.  (8817.)  wo  sie  nicht  gequalt  werden  durch  die  Gegen- 
satze  oder  durch  geistige  Miihsal,  wo  sie  in  alien  Lagen  gleich- 
miitig,  freundlich  und  am  W^ohlsein  aller  Wesen  sich  er- 
freuend  sind. 

15.  (8818.)  Ein  anderer  ist  der  mit  Wissen  behaftete,  ein 
anderer  der  mit  Werken  behaftete  Geist,    so,   wisse,  ist  es 


368  HI.   Mokshadharma. 

noch  derselbe  Mond,   der  beim  Neumond  als  schmale  Sichel 
am  Himmel  steht. 

16.  (8819.)  Diese  Wahrheit  [die  Identitat  der  hochsten  imd 
individuellen  Seele],  wie  sie  vom  Rishi  [nach  Nil.  Brih.  Up. 
1,5,14]  verkiindigt  wurde,  wird  naher  auch  durch  Folgerung 
erkannt,  wenn  man  den  Mond  sieht,  wie  er  neu  geboren 
gleichsam  als  ein  krummer  Faden  am  Himmelsgewande 
fambarej  steht. 

17.  (8820.)  Der  in  elffacher  Umwandlung  [vielleicht  als 
Manas  und  Indriya's]  erscheinende,  aus  der  Zusammensetzung 
von  Teilen  gebildete  Atman,  welcher  der  Verkorperte  heifst, 
den,  o  Freund,  wisse  als  den  mit  Werken  und  Guna's  be- 
hafteten. 

18.  (8821.)  In  diesem  hat  sich  ein  Gott  niedergelassen, 
wie  ein  Wassertropfen  auf  der  Lotosbliite;  den  soil  man  be- 
greifen  als  den  Kshetrajna,  den  ewigen,  der  durch  den  Yoga 
errungen  wird. 

19.  (8822.)  Tamas,  Rajas  und  Sattvam  wisse  als  die  Guna- 
Wesenheit  des  Jiva  (der  individuellen  Seele),  den  Jiva  be- 
greife  man  als  blofsen  Guna  (Qualitat)  des  Selbstes,  den 
Atman  als  das  Hochste  an  dem  Selbste. 

20.  (8823.)  Es  gilt  als  Eigenschaft  des  Jiva,  mit  Geistig- 
keit  verbunden  zu  sein,  dadurch  vermag  er  sich  zu  bewegen 
und  alles  zu  beleben;  ein  Hoherer  als  er  ist  der,  welchen  die 
Kenner  des  Kshetrajna  verkiindigen ,  der  alle  sieben  Welten 
geschaffen  hat. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  (^'uka 
(<,'uJca-anupra(^na). 


AdhyAya  2^2  (B.  243). 

Vers  8824-8853   (B.  1-30). 

(^'uka  sprach: 

1.  (8824.)  Die  mit  dem  Verganglichen  anhebende  Schopfung 
und  die  guna-artigen  Sinnesorgane,  sowie  die  fernere  Schopfung 
der  sie  beherrschenden  Buddhi  riihrt  nach  der  Schrift  von  der 
Prakriti  und  dem  Atman  her. 


Adhyaya  242  B.  243).  369 

2.  (8825.)  Welter  aber  mochte  ich  die  durch  die  Zeit  be- 
dingte  Entwicklung  des  Seienden  in  dieser  Welt,  durch 
welche  die  seienden  Wesen  sich  fortentwickein ,  naher  ver- 
folgen. 

3.  (8826.)  In  dem  Veda  aber  wird  ausgesprochen ,  dafs 
man  das  Werk  voUbringen  und  dafs  man  davon  abstehen  soil ; 
wie  soil  ich  das  verstehen?    Das  mogest  du  mir  erklaren. 

4.  (8827.)  Wenn  ich  die  Wahrheit  in  betreif  des  Welt- 
treibens  erkenne,  durch  die  Belehrung  des  Meisters  gelautert 
bin,  Erkenntnis  gewonnen  und  meinen  Atman  befreit  habe, 
werde  ich  dann  den  unverganglichen  Atman  schauen? 

Vyasa  sprach : 

5.  (8828.)  Der  Lebenswandel,  wie  er  vordem  von  Gott 
Brahman  selbst  vorgeschrieben  wurde,  ist  von  den  vormaligen, 
vorziiglichen  hochsten  Weisen  befolgt  worden. 

6.  (8829.)  Durch  den  Brahmanwandel  erobern  die  hochsten 
Weisen  die  Himmelswelten  und  weiter  suchten  sie  in  sich 
selbst  durch  den  Geist  das  Heil  ihres  Selbstes. 

7.  (8830.)  Im  Walde  von  Wurzeln  und  Friichten  sich 
nahrend,  einer  sehr  grofsen  Askese  sich  hingebend,  einen 
heiligen  Bezirk  bewohnend,  kein  Wesen  schadigend, 

8.  (8831.)  in  der  Zuriickgezogenheit  eines  Vanaprastha 
ohne  Herdfeuer  und  ohne  Morsergebrauch  lebend  und  zur  an- 
gemessenen  Zeit  den  Bettelgang  antretend,  wird  man  geeignet 
zum  Brahmansein. 

9.  (8832.)  Ohne  zu  preisen  und  ohne  zu  verehren,  Schones 
und  Unschones  hinter  dir  lassend,  wandle  einsam  im  Walde, 
dich  nahrend,  wie  es  eben  kommt.   [Vgl.  Brih.  Up.  3,5  Schlufs.] 

^uka  sprach: 

10.  (8833.)  Wie  kann  diese  Vedalehre,  da  sie  der  Ansicht 
der  Menschen  widerspricht,  mag  der  Widerspruch  begriindet 
Oder  nicht  begriindet  sein,  als  Vorschrift  gelten? 

11.  (8834.)  Das  wiinsche  ich  zu  horen,  welches  aber  sind 
die  Beweisgriinde  fiir  beide  Ansichten?  Und  wie  kann  die 
Erlosung  vonstatten  gehen,  ohne  von  den  Werken  gehindert 
zu  werden? 

Deubsen,  Mahabbaratam.  24 


370  III-   Mokshadharma. 

Bhishma  sprach : 

12.  (8835.)  So  angeredet,  sprach  zu  seinem  Sohne  der  Sohn 
der  Gandhavati  (—  Satyavati)  folgendermafsen ,  der  Weise, 
indem  er  diese  Rede  des  iiberaus  scharfsinnigen  Sohnes  ehrte. 

Vyasa  sprach: 

13.  (8836.)  Der  Brahman schiiler,  der  Hausvater,  der  Wald- 
einsiedler  und  der  Bettler  gehen  alle  vier,  sofern  sie  den 
vorgeschriebenen  Wandel  einhalten,  den  hochsten  Gang. 

14.  (8837.)  Wenn  auch  nur  einer  allein  diese  Lebensstadien 
vorschriftsmafsig  betreibt  und  frei  von  Liebe  und  Hafs  ist,  so 
ist  er  zu  dem  Hochsten  berufen. 

15.  (8838.)  Denn  diese  viersprossige  Stufenleiter  ist  im 
Brahman  gegriindet,  und  wer  diese  Stufenleiter  erkhmmt,  wird 
in  der  Brahmanwelt  herrhch  geehrt. 

16.  (8839.)  Den  vierten  Teil  des  Lebens  soil  einer  ohne 
Murren  als  Brahmanschiiler  beim  Lehrer  oder  beim  Sohne  des 
Lehrers  wohnen,  indem  er  iiber  den  Inhalt  des  Gesetzes  sich 
belehrt. 

17.  (8840.)  Als  letzter  gehe  er  zu  Bette,  nachdem  er  als 
erster  im  Hause  des  Lehrers  aufgestanden  ist,  und  was  von 
einem  Schiiler  oder  auch  einem  Diener  zu  tun  ist,  das  tue  er. 

18.  (8841.)  Und  wenn  er  das  alles  vollbraoht  hat,  soil  er 
mit  der  Meldung :  „Es  ist  getan"  [bescheiden]  zur  Seite  stehen ; 
er  sei  ein  Diener  fiir  alle  Verrichtungen  und  geschickt  in 
alien  Tatigkeiten. 

19.  (8842.)  In  der  von  der  Arbeit  iibrigbleibenden  Zeit 
[Chand.  Up.  8,15]  soil  er  beim  Lehrer  eifrig  strebend  studieren, 
er  sei  wacker  und  enthalte  sich  iibler  Nachrede ;  wird  er  ge- 
rufen,  so  begebe  er  sich  zum  Lehrer. 

20.  (8843.)  Rein,  ttichtig  und  tugendhaft,  moge  er  in  der 
Zwischenzeit  [von  Arbeit  und  Studium]  nur  Liebliches  reden; 
unverwandt  richte  er  sein  Auge  auf  den  Lehrer  und  bezahme 
seine  Sinne. 

21.  (8844.)  Er  soil  nicht  essen,  ehe  der  Lehrer  gegessen 
hat,  noch  auch  trinken,  ehe  er  getrunken  hat,  auch  nicht 
sitzen  bleiben,  wenn  er  nicht  bleibt  und  nicht  einschlafen, 
bevor  er  schlaft. 


Adhyaya  242  (B.  243).  371 

22.  (8845.)  Die  Handflachen  nacli  oben  gerichtet,  soil  er 
seine  [des  Lehrers]  Fiifse  sanft  beriihren,  mit  der  rechten 
Hand  soil  er  dessen  rechte,  mit  der  Linken  dessen  linke 
Hand  driicken. 

23.  (8846.)  Nachdem  er  den  Lehrer  begriifst  hat,  mag  er 
zu  ihm  sagen:  „Lehre  mich,  o  Ehrwiirdiger",  „ich  will  jetzt 
dies  tun,  o  Ehrwiirdiger",  oder  „ich  habe  dies  getan". 

24.  (8847.)  „0  Brahmane,  ich  werde  tun,  was  mir  der  Ehr- 
wurdige  noch  weiter  auftragen  wird",  in  dieser  Weise  soil 
er  vorschriftsmafsig  fiir  alles  die  Erlaubnis  einholen  und  alles 
melden. 

25.  (8848.)  Das  alles  soil  er  tun  und,  w^enn  er  es  getan 
hat,  dem  Lehrer  dariiber  wieder  Bericht  erstatten.  Aber 
solche  Wohlgeriiche  und  Leckerbissen,  die  dem  Brahmacarin 
verboten  sind, 

26.  (8849.)  die  mufs  er  bis  zu  seiner  Heimkehr  aufschieben, 
so  ist  es  im  Gesetz  fest  bestimmt.  Alle  Pflichten,  wie  sie 
ausflihrlich  fiir  den  Brahmacarin  verkiindigt  sind, 

27.  (8850.)  die  soil  er  alle  immer  beobachten  und  dem 
Lehrer  nicht  von  der  Seite  gehen.  In  dieser  Weise  moge 
er  dem  Lehrer,  soweit  es  in  seinen  Kraften  steht,  seine  Liebe 
beweisen. 

28.  (8851.)  Aus  seinem  Lebensstadium  in  die  folgenden 
iibergehend,  soil  der  Schiiler  in  Tatigkeit  verharren.  Und 
nachdem  in  vedischen  Observanzen  und  Abstinenzen  der  vierte 
Teil  des  Lebens  hingegangen  ist, 

29.  (8852.)  soil  er  dem  Lehrer  die  Dakshina  (das  Honorar) 
darbringen  und  heimkehren,  wie  das  Gesetz   es  vorschreibt. 

30.  Mit  einer  vorschriftsmafsig  gefreiten  Gattin  verbunden 
und  mit  Fleifs  die  Opferfeuer  pflegend,  (8853.)  soil  er  dann 
den  zweiten  Teil  des  Lebens  hindurch  ein  pflichtgetreuer 
Hausvater  sein. 

So  lautet  im  Moksbadharma  die  Frage  des  <j,'uka 
("Cwia  -  anupra^na). 


24* 


372  III-  MoksLadharma. 

Adhyaya  343  (B.  244). 

Vers  8854-8883  (B.  1-29). 

Vyasa  sprach: 

1.  (8854.)  Den  zweiten  Teil  seines  Lebens  hindurch  soil 
er  als  Hausvater  in  seinem  Hause  wohnen  und  mit  einer  vor- 
schriftsmafsig  gefreiten  Gattin  verbunden,  sich  treulich  der 
Opferfeuer  annehmen. 

2.  (8855.)  Fiir  den  Grihastha  werden  von  den  Weisen  vier 
Verhaltungsstufen  iiberliefert :  Auf  der  ersten  bewahrt  er  sein 
Korn  in  Kornkammern,  auf  der  folgenden  in  einem  Topfe, 

3.  (8856.)  dann  folgt  der  von  der  Hand  in  den  Mund 
Lebende  und  endlich  der  wie  die  Tauben  [von  Ahrenlesen 
Nil.]  sich  Nahrende.  Unter  ihnen  ist  der  jedesmal  Folgende 
der  Hoherstehende ,  da  er  durch  Pflichterfiillung  mehr  und 
mehr  die  Pflicht  erobert  [vgl.  Manu  IV,  7 — 8]. 

4.  (8857.)  Die  sechs  Werke  [Opfern  fiir  sich  und  andere, 
Lernen  und  Lehren,  Geben  und  Empfangen  Nil.]  betreibt  der 
Eine,  mit  dreien  [Opfern,  Studieren,  Geben  Nil.]  befafst  sich 
der  Zweite,  mit  zweien  [Geben  und  Studieren  Nil.]  der  Dritte, 
der  Vierte  beschrankt  sich  auf  das  Brahmasattvam.  [Ver- 
ehrung  des  heiligen  Lautes  Om  Nil.,  anders  iiber  alle  vier 
die  Kommentare  zu  Manu  IV,  9.] 

5.  (8858.)  Hierbei  verkiindet  man  als  grofse  Obliegenheiten 
des  Hausvaters,  dafs  er  nicht  nur  um  seiner  selbst  willen 
Speise  kochen  und  nicht  ohne  den  Zweck  [des  Opfers]  Tiere 
toten  lafst. 

6.  (8859.)  Mag  es  sich  um  ein  Lebendiges  [Ziege  usw. 
Nil.]  Oder  Nicht-Lebendiges  [Feigenbaum  usw.  Nil.]  handeln, 
so  soil  er  dessen  Weihe  [zum  Zweck  des  Opferns]  mittels 
eines  Opferspruches  vollziehen;  er  soil  niemals  bei  Tage 
schlafen,  noch  auch  zu  Anfang  und  Ende  der  Nacht.  [Vgl. 
Manu  IV,  55.] 

7.  (8860.)  Nicht  soil  er  in  der  Zwischenzeit  [der  Mahl- 
zeiten]  essen  und  nicht  aufser  der  fruchtbaren  Periode  die 
Gattin  rufen;  nicht  soil  jemals  in  seinem  Hause  ein  Brahmane 
ungespeist  oder  ungeehrt  weilen. 


Adhyaya  243  (B.  244).  373 

8.  (8861.)  So  soil  er  seine  Gaste  ehren.  Am  Gotter-  und 
Manenopfer  sollen  ihr  Teil  haben  alle,  die  in  der  Wissen- 
schaft  und  den  Geliibden  des  Veda  erfahren,  schriftkundig, 
den  Veda  vollig  beherrschend, 

9.  (8862.)  ihrer  Pflicht  lebend,  bezahmt,  opfertatig  und 
fleifsig  in  der  Askese  sind.  Fiir  diese  alle  ist,  um  sie  zu 
ehren,  ein  Anteil  am  Gotter-  und  Manenopfer  vorgeschrieben. 

10.  (8863.)  Auch  einem,  der  [als  Scheinasket]  mit  un- 
geschnittenen  Nageln  einhergeht  oder  sich  seiner  Gesetzlich- 
keit  riihmt,  der  das  Agnihotram  vernachlassigt  oder  gegen 
seinen  Lehrer  Falschheit  iibt, 

11.  (8864.)  auch  einem  solchen  ist,  wie  alien  Wesen,  ein 
Anteil  zu  geben.  So  ist  denn  auch  denen,  welche  nicht 
kochen  konnen,  von  dem  Hausvater  eine  Spende  zu  reichen. 

12.  (8865.)  Er  soil  immer  die  Reste  essen,  dann  speist  er 
immer  Amritam;  denn  der  Opferrest  ist  Amritam,  ein  Ge- 
nufs,  der  der  Opferspeise  selbst  gleichkommt. 

13.  (8866.)  Wer  ifst,  was  seine  Leute  iibrig  lassen,  den 
nennt  man  einen  Restverzehrer ;  ein  solcher  Rest  ist,  was 
seine  Leute  iibrig  lassen,  der  Opferrest  aber  ist  Amritam. 

14.  (8867.)  Er  begniige  sich  mit  seiner  Gattin,  sei  enthalt- 
sam,  neidlos  und  beherrsche  seine  Sinne.  Mit  Opferpriestern, 
flauspriestern  und  Lehrern,  mit  Oheimen,  Gasten  und  Schutz- 
befohlenen, 

15.  (8868.)  mit  Alten,  Kindern  und  Kranken,  mit  Arzten, 
mit  Bekannten,  Angehorigen  und  Verwandten,  mit  Vater  und 
Mutter,  mit  Schwiegertochtern,  mit  dem  Bruder,  dem  Sohne, 
der  Gattin, 

16.  (8869.)  mit  der  Tochter  und  mit  dem  Gesinde  soil  er 
keinen  Streit  haben.  Indem  er  sich  vom  Streit  mit  diesen 
lossagt,  sagt  er  sich  von  allem  Bosen  los. 

17.  (8870.)  Damit  dafs  er  sich  von  ihnen  besiegen  lafst, 
ersiegt  er  alle  Welten,  daran  ist  kein  Zweifel,  denn  der  Lehrer 
ist  Herr  in  der  Brahmanwelt,  der  Vater  Gebieter  in  der  Pra- 
japatiwelt, 

18.  (8871.)  der  Gast  in  der  Indrawelt,  die  Opferpriester  sind 
es  in  der  Gotterwelt,  die  Schwiegertochter  in  der  Welt  der 
Apsaras,  die  Bekannten  in  der  Welt  der  ViQve  Devah, 


374  in.   Mokshadharma. 

19.  (8872.)  die  Angehorigen  und  Verwandten  in  den  Welt- 
gegenden,  Mutter  und  Oheim  auf  der  Erde,  die  Alten,  Kinder, 
Kranken  und  Abgezehrten  sind  Herrscher  im  Atherraume; 

20.  (8873.)  der  alteste  Bruder  ist  gleich  dem  Vater,  die 
Gattin  und  der  Sohn  sind  gleich  dem  eigenen  Leibe  zu  achten, 
das  Gesinde  gleich  dem  eigenen  Schatten  und  die  Tochter 
ist  ein  Gegenstand  des  hochsten  Mitleides.   [Vgl.  Ait.  Br.  7,l3.j 

21.  (8874.)  Darum,  wenn  er  von  diesen  beleidigt  wird,  soli 
es  immer  ohne  Beschwerde  tragen  [Vers  8867—8874  =  Manu  IV, 
179—185]  der  die  Pflicht  des  Hausvaters  als  Hochstes  schatzende 
Weise,  welcher  pflichteifrig  und  unerraiidlich  ist. 

22.  (8875.)  Keiner  aber,  der  die  Pflicht  hochhalt,  moge 
aus  materiellen  Interessen  die  Werke  betreiben.  Es  gibt  drei 
Verbal tungsstufen  des  Hausvaters  [oben,  Vers  8855,  waren  es 
vier],  sie  fiihren  zur  hochsten  Gliickseligkeit. 

23.  (8876.)  In  dieser  Weise  lehrt  man  eine  Stufenfolge, 
denn  eine  solche  gilt  [auch  im  allgemeinenj  von  den  vier 
Lebensstadien ;  ihre  Obliegenheiten  sind  [was  den  Grihastha 
betrifft]  die  genannten  fiir  einen  solchen,  der  eifrig  bestrebt 
ist,  alle  Pflichten  zu  erfiillen. 

24.  (8877.)  Durch  solche,  die  ihr  Korn  in  einem  Topfe 
bewahren  oder  von  Ahrenlesen  leben  —  es  sind  die  wie 
die  Tauben  sich  Nahrenden  [oben,  Vers  8856]  — ,  das  Reich, 
in  welchem  solche  Wiirdige  wohnen,   kommt  zum  Gedeihen. 

25.  (8878.)  Zehn  Vorfahren  und  zehn  nachfolgende  Ge- 
schlechter  reinigt,  ja  selbst  fapij  die  Urvater,  wer  diese  Ob- 
liegenheiten des  Hausvaters  unentwegt  betreibt. 

26.  (8879.)  Wer  das  tut,  der  erreicht  ein  ahnliches  Ziel, 
wie  es  die  Welten  des  Vishnu  sind,  oder  auch  ihr  Ziel  wird 
als  das  gleiche  bezeichnet  wie  fiir  die,  welche  ihre  Sinne 
iiberwunden  haben. 

27.  (8880.)  Fiir  solche  hochherzige  Hausvater  ist  die  Him- 
melswelt  bestimmt,  ihnen  wird  die  mit  Palasten  ausgestattete, 
blumenreiche  Himmelswelt  vom  Veda  in  Aussicht  gestellt. 

28.  (8881.)  Fiir  die  treubestandigen  Hausvater  ist  die 
Himmelswelt  als  Wohnung  bestimmt,  weil  diese  Statte  ihnen 
von  Gott  Brahman  verheifsen  wird.  (888-2.)  Wer  dieses  [Lebens- 
stadium]   erlangt  hat,  wird   in  Brahman's  Welt  verherrlicht. 


Adhyaya  243  (B.  244).  375 

• 
29.  (8883.)  Weiterhin  kennt  man  als  hochstes  Lebens- 
stadium  ein  drittes  fiir  solche,  die  ihren  Leib  nicht  mehr 
achten;  vernimm  dieses  unvergleichliche  Ziel  der  in  den 
Wald  ziehenden  und  ihren  Korper  zum  Schrumpfen  bringen- 
den  Hausvater  [das  kurze  i  soil  nach  Nil.  vedisch  sein]. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  (Juka 
((Juka  -  anupragna). 


Adhyaya  344  (B.  245). 

Vers  88&4-8914  (B.  1-31). 

Bhishma  sprach: 

1.  (8884.)  Das  Verhalten  des  Hausvaters,  wie  es  von  den 
Weisen  verordnet  wurde,  ist  dir  mitgeteilt  worden ;  was  nachst- 
dem  gesprochen  wurde,  das  vernimm,  o  Yudhishthira. 

2.  (8885.)  Nachdem  nun  der  Hausvater  nach  und  nach 
auch  jene  hochste  dritte  Verbal tungsstufe  [oben,  Vers  8875] 
von  sich  abgetan  hat,  [folgt  das  Lebensstadium]  der  des  Ehe- 
geliibdes  Miiden,  im  Lebensstadium  der  Waldeinsiedler  Wei- 
lenden, 

3.  (8886.)  welche,  vernimm  es  o  Sohn  zu  deinem  Heile, 
die  ganze  Welt  als  ihre  Einsiedelei  betrachtend,  nach  vor- 
heriger  Uberlegung  an  einem  reinen  Orte  ihre  Wohnung 
nehmen. 

Vyasa  sprach: 

4.  (8887.)  Wenn  nun  der  Hausvater  an  sich  Runzeln  und 
graue  Haaie  bemerkt  und  die  Kinder  seiner  Kinder  sieht, 
dann  soil  er  in  den  Wald  iibersiedeln  [=  Manu  VI,  2]. 

5.  (8888.)  Den  dritten  Abschnitt  seines  Lebens  soil  er  so- 
dann  in  dem  Lebensstadium  des  Waldeinsiedlers  zubringen 
und  dabei  ebendieselben  Opferfeuer  pflegen  als  ein  Opferherr, 
der  schon  dem  Himmel  angehort. 

6.  (8889.)  Dafs  er  dabei  sich  bezwingt,  seine  Nahrung  ein- 
schrankt,  nur  die  sechste  Mahlzeit  zu  sich  nimmt  [alle  drei 
Tage  nur  einmal  ifst],  das  ist  sein  Agnihotram,  das  sind 
seine  Kiihe  [als  Opferlohn],  das  sind  seine  Opferhandlungen 
insgesamt. 


376  III.    Mokshadharma. 

7.  (8890.)  Keis  und  Gerste,  die  nicht  durch  die  Pflugschar 
gewonnen  sind,  Korner  von  wildem  Reis  und  Speisereste  soil 
er  auch  in  dieser  Lage  als  Opfergaben  an  den  fiinf  Fasten 
[Agnihotra,  Neu-  und  Vollmondsopfer,  Viermonatsopfer,  Tier- 
opfer  und  Somaopfer  Nil.]  darbringen. 

8.  (8891.)  Auch  fiir  das  Lebensstadium  des  Waldeinsied- 
lers  werden  folgende  vier  Verhaltungsstufen  erwahnt :  Einige 
waschen  taglich  auf  [reinigen  die  Gefafse  von  alien  Resten], 
andere  sammeln  Vorrate  fiir  einen  Monat, 

9.  (8892.)  andere  fiir  ein  Jahr,  andere  fiir  zwolf  Jahre 
[vgl.  Manu  VI,  18],  sei  es  um  die  Gaste  zu  ehren,  sei  es  um 
den  Faden  des  Opfers  fortzuspinnen. 

10.  (8893.)  In  der  Regenzeit  geben  sie  sich  dem  Regen 
preis,  im  Winter  begeben  sie  sich  ins  Wasser,  im  Sommer 
setzen  sie  sich  den  fiinf  Gluten  [der  Sonne  und  vier  ange- 
ziindeten  Feuern]  aus,  und  zu  jeder  Zeit  beschranken  sie  ihre 
Ernahrung  [vgl.  Manu  VI,  23]. 

11.  (8894.)  Sie  walzen  sich  auf  der  Erde  oder  stehen  auf 
den  Fufsspitzen,  verharren  im  Stehen  oder  Sitzen  und  be- 
netzen  sich  zu  den  drei  Kelterungszeiten    [vgl.  Manu  VI,  22]. 

12.  (8895.)  Manche  benutzen  ihre  Zahne  als  Morser,  andere 
zermalmen  die  Nahrung  mit  Steinen,  einige  trinken  wahrend 
der  hellen  Monatshalfte  Reismehlbriihe,  die  nur  einmal  auf- 
gekocht  ist. 

13.  (8896.)  Andere  trinken  sie  wahrend  der  dunklen  Mo- 
natshalfte oder  sie  essen,  was  ihnen  gerade  vorkommt.  Bald 
mit  Wurzeln,  bald  mit  Friichten,  bald  mit  Blumen  pflegen 
sie,  ihrem  Geliibde  treu, 

14.  (8897.)  ihr  Leben  nach  der  Vorschrift  zu  fristen,  indem 
sie  den  Weg  der  Vaikhanasa's  einschlagen.  Diese  und  mancher- 
lei  andere  Weihen  bestehen  fiir  solche  Weisen. 

15.  (8898.)  Als  vierte  allgemeine  Lebensregel  gilt  sodann 
die  in  den  Upanishad's  gelehrte  [des  Sannyasin],  sie  geht 
hervor  aus  jenen  des  Vanaprastha  und  Grihastha  als  eine 
verschiedene 

16.  (8899.)  und  wurde  auch  im  gegenwartigen  Weltalter 
von  Weisen,  welche  die  voile  Wahrheit  durchschauten,  [geiibt]. 
Agastya,  die  sieben  Rishi's,  Madhucchanda,  Aghamarshana, 


Adhyaya  244  (B.  245).  377 

17.  (8900.)  Sankriti,  Sudivatandi ,  Yathavasa  und  Akrita- 
Qrama  [oder:  Sudivatandi,  der  wohnte,  wie  es  gerade  kam, 
und  sich  um  nichts  beklimmerte] ,  Ahovirya,  ferner  Kavya, 
Tandya  und  der  weise  Medhatithi, 

18.  (8901.)  der  machtige  Karnanirvaka  und  der  vielgeiibte 
(^unyapala,  —  sie  alle  befolgten  diese  Lebensregel  und  gingen 
dafiir  in  den  Himmel, 

19.  (8902.)  sie  alle  hatten,  o  Freund,  die  Lebensregel  vor 
Augen  und  so  auch  ganze  umherschweifende  Scharen  von 
Weisen,  welche  gewaltige  Askese  iibten  und  das  Gesetz  klar 
vor  sich  sahen. 

20.  (8903.)  Und  auch  andere  unzahlige  Brahmanen  haben 
sich  in  den  Wald  begeben,  die  Vaikhanasa's,  die  Valakhilya's, 
die  Saikata's  und  andere. 

21.  (8904.)  Diese  alle,  der  Werke  iiberdriissig,  in  der  Pflicht 
bestandig  und  mit  bezahmten  Sinnen,  wandelten  dahin,  die 
Lebensregel  vor  Augen  habend,  und  begaben  sich  in  den  Wald. 

22.  (8905.)  Und  jetzt,  obwohl  sie  keine  Sterne  sind,  er- 
glanzen  sie  uniiberwindlich  als  leuchtende  Scharen  am  Himmel. 
Vom  Greisenalter  geplagt  und  von  Krankheiten  gequalt, 

23.  (8906.)  soil  einer  in  dem  vierten  noch  iibrigen  Teile 
des  Lebens  das  Stadium  des  Waldeinsiedlers  verlassen,  in- 
dem  er  als  Opfer  nur  darbringt  [lies:  mrnpya],  was  sich  so- 
gleich  fertigstellen  lafst,  und  als  Opferlohn  sein  ganzes  Ver- 
mogen  hingibt. 

24.  (8907.)  Dem  Atman  opfernd,  am  Atman  sich  freuend, 
mit  dem  Atman  spielend,  auf  den  Atman  vertrauend,  soil  er 
die  Opferfeuer  in  seinen  Atman  aufnehmen,  sich  von  allem 
Anhang  losmachen 

25.  (8908.)  und  stets  nur  sogleich  fertigstellbare  Opfer  und 
Spenden  darbringen.  Wenn  seine  Darbringung,  iiber  das  ge- 
wohnliche  Opfer  der  Opfernden  sich  erhebend,  in  dem  Atman 
vonstatten  geht, 

26.  (8909.)  dann  mag  er  die  drei  Opferfeuer  samtlich  in 
seinem  Atman  verehren,  um  seinen  Atman  zu  erlosen.  Fiir 
die  Lebenshauche  soil  er,  mit  einem  Opferspruche  anhebend, 
fiinf  bis  sechs  [Bissen]  ohne  Murren  verzehren. 

27.  (8910.)   Kopfhaare,  Korperhaare  und  Nagel  abschnei 


378  in.   Mokshadharma. 

dend,  soil  sodann  der  im  Walde  wohnende  Muni  aus  einem 
Stadium  in  ein  anderes  heiliges  Stadium,  von  den  Werken 
gereinigt,  iibergehen. 

28.  (8911.)  Der  Zwiegeborene,  welcher  so  umherpilgert, 
indem  er  alien  Wesen  Furchtlosigkeit  gewahrt,  dem  gehoren 
glanzreiche  Welten  und  er  erlangt  nach  dem  Tode  die  Un- 
endlichkeit. 

29.  (8912.)  Als  edier  Charakter  sich  betatigend,  von 
Siinden  befreit,  wiinscht  er  weder  hier  noch  im  Jenseits 
Werke  zu  betreiben;  frei  von  Zorn  und  Verblendung, 
ohne  Freundschaft  und  ohne  Feindschaft,  soil  der  atman- 
wissende  Menscli  dasitzen  als  ein  Miifsiger. 

30.  (8913.)  Wenn  Pflichten  des  Selbstzwanges  an  ihn 
herantreten,  soil  er  nicht  vor  ihnen  zuriickschrecken, 
sondern  sich  tapfer  an  die  ihm  gemafsen  Lehrbiicher, 
Leitfaden  und  [symbolisch  umgedeuteten]  Opferspriiche 
halten;  dann  wird  sein  Weg  nach  Wunsch  sich  gestalten 
und  in  ihm,  der  den  Atman  kennt,  die  Pflicht  fiir  das 
Hochste  halt  und  die  Sinne  bezahmt  hat,  kein  Zweifel 
bestehen  bleiben. 

31.  (8914.)  Nun  sollst  du  weiter  von  mir  das  durch 
iibermafsige  trefPliche  Tugenden  beste,  die  drei  anderen 
iibertreffende,  hohere  Aufgabe  habende,  hochste,  als  vier- 
tes  benannte,  oberste  Lebensstadium  vernehmen,  welches 
als  das  Treff lichste ,  Uniibertrefflichste  geriihmt  wird. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  (^'iika 
((,'uka  -  anupra(;na). 


Adhyaya  345  (B.  Z4.Q), 

Vers  8915-8950  (B.  1-36). 

(^uka  sprach: 

1.  (8915.)  Wie  der  in  dem  Lebensstadium  des  Waldeinsied- 
lers  verweilende  Atman  anzuschirren  sei,  wie  ist  das  zu  er- 
fahren  von  einem,  der  mit  aller  Macht  nach  dem  Hochsten 
strebt? 


Adhyaya  245  (B.  246).  379 

Vyasa  sprach: 

2.  (8916.)  Nachdem  einer  durch  die  beiden  vorherigen 
Lebensstadien  bereitet  worden  ist,  —  hore  mit  hingegebenem 
Geiste,  was  er  dann  weiter  zu  tun  hat,  um  das  hochste  Ziel 
zu  erreichen. 

3.  (8917.)  Nachdem  er  in  den  drei  gesellschafthchen  Stadien 
sich  alsbald  von  dem  Siindenschmutze  gereinigt  hat,  soil  er 
auf  das  hochste  Ziel  mit  unvergleichlicher  Pilgerschaft  hin- 
pilgern. 

4.  (8918.)  Dieses  mogest  du  in  dieser  Weise  iiberdenken 
und  darin  verharren.  Vernimm  also:  Allein  und  ohne  Ge- 
fahrten  soil  er  weiterhin  seiner  Pflicht  obliegen,  um  die  Voll- 
kommenheit  zu  erreichen. 

5.  (8919.)  Wer  als  ein  Sehender  allein  wandelt,  der  ver- 
lafst  nicht  und  wird  nicht  verlassen;  ohne  Feuer  und  ohne 
Behausung,  moge  er  das  Dorf  nur  um  der  Nahrung  willen 
aufsuchen. 

6.  (8920.)  Ohne  Sorge  fiir  den  morgenden  Tag  sei  der 
Muni,  welcher  der  Realitat  ergeben  ist,  wenig  essend,  die 
Nahrung  beschrankend ,  nur  einmal  taglich  Speise  zu  sich 
nehmend. 

7.  (8921.)  Die  Almosenschale,  die  Baumwurzeln  [als  Aufent- 
halt],  das  Lumpengewand,  das  Unbegleitetsein  und  die  Gleich- 
giiltigkeit  gegen  alle  Wesen,  an  diesen  erkennt  man  einen 
Bhikshu  (Bettler  =  Sannyasin). 

8.  (8922.)  Er,  in  welchem,  gleichwie  gescheuchte  Elefanten 
in  einem  Brunnenloch  [aus  dem  sie  nicht  wieder  heraus  konnen], 
die  Reden  einsinken  und  nicht  wieder  zu  dem,  der  ihn  an- 
spricht,  zuriickkehren,  ein  solcher  darf  im  Lebensstadium  der 
Erlosung  weilen. 

9.  (8923.)  Nichts  Tadelnswertes  soil  er  jemals  sehen  oder 
horen  von  irgend  jemandem,  zumal  nicht  von  Brahmanen, 
und  audi  nie  dergleichen  sprechen. 

10.  (8924.)  Was  einem  Brahmanen  heilsara  ist,  das  allein 
soil  er  allezeit  reden;  wird  er  getadelt,  so  verharre  er  im 
Schweigen  und  betreibe  die  Heilung  seiner  Seele. 

11.  (8925.)  Durch  den  allein  der  ganze  Weltraum  allezeit 
ausgefiillt  wird,  und  fiir  den  hinwiederum  die  von  Menschen 


380  ni.    Mokshadharma. 

erfiillte  Welt  ein  Leeres  ist,  den  wissen  die  Goiter  als  einen 
Brahmanen. 

12.  (8926.)  Wer  sich  bekleidet,  womit  es  auch  immer  sei, 
sich  ernahrt,  wovon  es  auch  immer  sei,  und  schlaft,  wo  es 
auch  immer  sei,  den  wissen  die  Gotter  als  einen  Brahmanen. 

13.  (89-27.)  Der  sich  vor  der  Volksmenge  wie  vor  einer 
Schlange  scheut,  vor  dem  Wohlbehagen  wie  vor  der  Holle 
und  vor  den  Weibern  wie  vor  einem  Kadaver,  den  wissen 
die  Gotter  als  einen  Brahmanen. 

14.  (89'28.)  War  nicht  ziirnt,  wenn  er  verachtet  wird,  nicht 
sich  freut,  wenn  er  geehrt  wird,  und  alien  Wesen  Furcht- 
losigkeit  gewahrt,  den  wissen  die  Gotter  als  einen  Brahmanen. 

15.  (8929.)  Er  freue  sich  nicht  auf  den  Tod,  er  freue  sich 
nicht  auf  das  Leben,  sondern  warte  auf  seine  Zeit,  wie  der 
Diener  auf  den  Befehl. 

16.  (8930.)  Unbefleckt  sei  er  in  seinem  Denken,  unbefleckt 
in  seinem  Keden  und  von  allem  Bosen  rein;  keine  Feinde 
hat  er,  vor  wem  sollte  er  sich  fiirchten! 

17.  (8931.)  Er,  der  sich  vor  keinem  Wesen  fiirchtet  und 
vor  dem"  sich  kein  Wesen  fiirchtet,  ist  von  der  Verblendung 
erlost  und  keine  Angst  kann  ihn  anwehen. 

18.  (8932.)  Wie  in  dem  Elefantenwege  alle  von  anderen 
angebahnten  Wege  verschwinden,  nachdem  der  Elefant  den 
Weg  gebahnt  hat, 

19.  (8933.)  so  verschwindet  alles  andere  Gute  und  Forder- 
liche  in  der  Ahinsd  (Nicht- Schadigung).  Der  lebt  ewig  als 
Unsterblicher,  welcher  nicht  den  Weg  der  Schadigung  betritt. 

20.  (8934.)  Der  Nicht- Schadigende,  Gleichmiitige ,  Wahr- 
hafte,  Feste,  seine  Sinne  Beherrschende  und  alle  Wesen 
Schiitzende  erlangt  das  hochste  Ziel. 

21.  (8935.)  Wer  in  dieser  Weise  mit  Erkenntnis  gesattigt, 
furchtlos  und  wunschlos  ist,  fiir  den  ist  der  Tod  nicht  ein 
Zustand,  der  ihn  iiberkommt,  sondern  er  iiberkommt  den  Tod. 

22.  (8936.)  Wer,  von  aller  Anhanglichkeit  frei,  als  Muni 
dasteht  [unwandelbar]  wie  der  Weltraum,  einen  solchen  Selbst- 
losen,  Einsamen,  Beruhigten  wissen  die  Gotter  als  einen  Brah- 
manen. 

23.  (8937.)   Wessen  Leben  der  Pflicht,  wessen  Pflicht  dem 


Adhyaya  245  (B.  246).  381 

Hari  (Vishnu)   und  wessen  Tage  und  Nachte   der  Heiligung 
geweiht  sind,  den  wissen  die  Gotter  als  einen  Brahmanen. 

24.  (8938.)  Ihn,  der  frei  von  Wiinschen,  frei  von  Streben, 
frei  von  Verehrung  und  Preisung  ist,  der  von  alien  Fesseln 
erlost  ist,  den  wissen  die  Gotter  als  einen  Brahmanen. 

25.  (8939.)  Alle  Wesen  freuen  sich  an  der  Lust  und 
alle  schrecken  heftig  vor  dem  Schmerz  zuriick;  wer  es 
miide  geworden  ist,  ihnen  Furcht  einzuflofsen,  der  wird, 
des  Glaubens  voll,  keine  Werke  mehr  tun. 

26.  (8940.)  Denn  eine  Gabe,  durch  welche  die  Furcht- 
losigkeit  der  Wesen  als  Dakshina  (Opferlohn)  gespendet 
wird,  iibertrifft  alle  anderen  irdischen  Gaben.  Wer  erst 
die  schadenbringende  Korperlichkeit  aufgibt,  der  erlangt 
Unendlichkeit  und  Ungefahrdetsein  von  alien  Kreaturen. 

27.  (8941.)  Er  opfert  auch  nicht  mehr  in  seinen  ge- 
oifneten  Mund  die  Opferspeise,  wird  zum  Nabel  der  Welt, 
zum  tragenden  Grund  der  lebenden  Wesen  und,  wenn 
Vaigvanara  [das  Leichenfeuer]  ihn  mit  Haupt  und  Glie- 
dern,  mit  Vollbrachtem  und  Nicht -Vollbrachtem  verzehrt, 
so  verzehrt  er  mit  ihm  diese  ganze  Welt. 

28.  (8942.)  Was  in  dem  eine  Spanne  grofsen  Herzen 
wohnt,  darin  bringt  der  dem  Atman  Opfernde  die  Lebens- 
hauche  dar;  sein  Feueropfer,  dargebracht  in  dem  eigenen 
Atman,  ist  damit  in  alien  Weltraumen  mitsamt  ihren 
Gottheiten  geopfert. 

29.  (8943.)  Diejenigen,  welche  das  Gottliche,  Drei-Ele- 
ment-hafte  [vgl.  Chand.  Up.  6,3,2],  Dreifache,  Schon- 
gefliigelte  [den  Jiva],  sowie  auch  die  oberste  Wesenheit 
der  hochsten  Seele  erkennen,  die  werden  in  alien  Welten 
verherrlicht  und  Gotter  wie  Sterbliche  preisen  ihr  Wohl- 
verhalten. 

30.  (8944.)  Wer  aber  als  das  zu  Wissende,  sowohl  die 
Veden  als  auch  ihre  samtlichen  Vorschriften,  sowie  ferner 
deren  Erklarung  und  die  Wesenheit  der  hochsten  Seele, 
wer  dies  alles  schon  wahrend  seiner  Verkorperung  er- 
kennt,  auf  den  sind  sogar  die  Gotter  allezeit  eifersiichtig. 

31.  (8945.)  Ihn,  der  nicht  an  der  Erde  hangt  und  auch 
im  Himmel  unausmefsbar  ist,  den  goldenen,  aus  dem  Ei 


382  ni.    Mokshadharma. 

geborenen,  in  dem  Ei  weilenden,  den  schongefliigelten 
Vogel  im  Luftraiime,  wer  diesen,  durch  seine  Strahlen 
erleuchtet,  schon  bei  Lebzeiten  erkennt, 

32.  (8946.)  ihn,  der  das  wiederkehrende,  nicht  alternde, 
umrollende ,  sechsmalige  [Jahreszeiten] ,  zwolfspeichige 
[Monate],  wohlgegliederte  und  zugleich  in  der  Hohle  des 
Herzens  verborgene  Zeitrad  ist,  in  dessen  Rachen  das 
Universum  hineinzieht, 

33.  (8947.)  wer  diesen  als  die  Vollberuhigung  und  als 
den  Leib  der  Welt  weifs,  der  erlangt  schon  hienieden 
alle  Welten.  In  ihm  erquickt  er  zugleich  alle  Gotter, 
und  sie,  indem  sie  erquickt  werden,  laben  seinen  Mund. 

34.  (8948.)  Aus  Glanz  bestehend,  von  jeher  bestehend 
und  uranfanglich  erlangt  ein  solcher  Mensch  die  ewigen 
furchtlosen  Welten,  und  weil  sich  die  Wesen  niemals 
vor  ihm  fiirchten,  darum  fiirchtet  auch  er  sich  niemals 
vor  den  Wesen. 

35.  (8949.)  Er  ist  nicht  zu  schelten  und  schilt  auch 
nicht  andere ;  ein  solcher  Brahmane  schaut  den  hochsten 
Atman ;  befreit  von  Verblendung  und  fern  von  aller  Sunde, 
braucht  er  nicht  hienieden  und  nicht  im  Jenseits  nach 
Speise  zu  gehen  [weil  er  sich  in  alien  Kreaturen  weifs 
und  ernahrt]. 

36.  (8950.)  Frei  von  Zorn  und  Verblendung,  Erdklumpen 
und  Gold  fiir  gleich  achtend,  ohne  Aufspeicherung  [oder : 
frei  von  den  Hiillen  Taitt.  Up.  2],  Freundschaft  und  Feind- 
schaft  hinter  sich  lassend,  (iber  Tadel  und  Lob  erhaben, 
nicht  mehr  liebend  und  hassend  und  dahinwandelnd  wie 
ein  Miifsiger,  —  so  lebt  der  Bhikshu. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  (j!uka 
(Quka  -  anupra^na) . 


Adliyaya  2-46  (B.  247).  383 

Adhyaya  246  (B.  247). 

Vers  8951-8973  (B.  1-23). 

Vyasa  sprach: 

1.  (89.51.)  Was  nun  aber  die  Umwandlungen  der  Prakriti 
betrifft,  so  ist  der  Kshetrajfia  an  ihre  Spitze  gestellt.  Sie 
erkennen  ihn  nicht,  er  aber  erkennt  sie. 

2.  (8952.)  Durch  sie  vollbringt  er  das  ^¥erk,  namlich 
durch  die  Indriya's  mit  Manas  als  sechstem,  wie  ein  Wagen- 
lenker  durch  wohlgebandigte,  starke,  vortreffliche  Rosse. 

3.  (89.-).!.)  Holier  als  Sinne  stehen  Dinge,  hoher  als  Dinge 
Manas  steht,  holier  als  Manas  steht  Buddlii,  hoher  als  sie 
das  grofse  Selbst  [Kath.  Up.  3,10]. 

4.  (8954.)  Holier  als  dies  steht  das  Avyaktam,  hoher  als 
dies  das  Unsterbliche,  hoher  als  das  Unsterbliche  steht  nichts 
mehr,  es  ist  Endziel  iind  hochster  Gang  [vgl.  Kath.  Up.  3,11]. 

5.  (8955.)  So  weilt  es  in  alien  Wesen  als  Atman,  unsicht- 
bar,  versteckt,  dem  scharfsten  Denken  nur  sichtbar,  dem 
feinsten  des,  der  Feines  sieht  [vgl.  Kath.  Up.  3,12]. 

6.  (8956.)  Einschmiegend  in  das  innere  Selbst  voll  Weis- 
heit  die  Sinne  mit  Manas  als  sechstem  und  die  Sinnesobjekte, 
ohne  sicli  um  allerlei  Sorgen  zu  kiimmern  [mit  C.  acintayan^ 
vgl.  Vers  9042], 

7.  (8957.)  und  durch  die  Meditation  Beruhigung  und  durch 
Wissenschaft  Beseitigung  des  Manas  erreicht  habend,  er- 
langt  er  sodann,  keinen  Hohern  {igvaraj  iiber  sich  wissend 
und  beruhigten  Geistes,  die  unsterbliche  Statte. 

8.  (8958.)  Der  [gewohnliche]  Sterbliche  hingegen,  mit 
seinem  Atman  alien  Sinnen  unterworfen  und  schwankende 
Erinnerung  habend,  gelit  durch  Verrat  an  seinem  Selbste  in 
den  Tod. 

9.  (8959.)  Vielmehr  moge  man,  alle  Vorstellungen  nieder- 
schlagend,  das  Cittam  (Manas)  in  dem  Sattvam  zur  Ruhe 
bringen,  und  nachdem  man  das  Cittam  im  Sattvam  zur  Ruhe 
gebracht  hat,  wird  man  [unerschiitterlich  wie]  der  Berg 
Kalanjara  werden. 


384  ni.   Mokshadharma. 

10.  (8960.)  Durch  die  Beruhigung  seines  Cittam  lafst  der 
Asket  Schones  und  Unschones  hinter  sich,  und  mit  beruhig- 
tem  Selbste  in  seinem  Selbst  verharrend,  gelangt  er  zu  un- 
endlicher  Freude. 

11.  (8961.)  Das  Kennzeichen  der  Beruhigung  aber  ist  so, 
wie  wenn  man  im  Schlafe  siifs  schlummert,  oder  wie  wenn 
eine  im  Windstillen  angeziindete  Flamme  nicht  flackert. 

12.  (8962.)  Wenn  er  so  friih  und  spat  sein  Selbst  in  das 
Selbst  versenkt,  wird  er,  mafsig  sich  nahrend  und  reinen 
Selbstes,  das  Selbst  in  seinem  Selbste  schauen. 

13.  (8963.)  Als  Geheimlehre  aller  Veden,  frei  von  Legenden 
und  Traditionen,  bildet  dieser  den  Atman  zum  Bewu'"stsein 
bringende  Lehrkanon,  mein  Sohn,   die  wahre  Unterweisung. 

14.  (8964.)  Durch  Ausquirlung  des  ganzen  Reichtums  der 
Gesetzeslehren  und  Wahrheitslehren ,  sowie  von  zehntausend 
Vedaversen  ist  dieses  Amritam  als  Produkt  gewonnen  worden. 

15.  (8965.)  Wie  die  Butter  aus  dem  Rahm,  wie  das  Feuer 
aus  dem  Reibholze,  so  ist  das  Wissen  der  Weisen  zum  Besten 
der  Sohne  gewonnen  worden. 

16.  (8966.)  Dieser  Kanon,  o  Sohn,  ist  zu  bezeichnen  als 
die  Belehrung  des  Snataka  [des  Schiilers  am  Ende  der  Lehr- 
zeit].  Man  soil  sie  keinem  mitteilen,  welcher  noch  nicht 
beruhigt,  noch  nicht  bezahmt,  noch  nicht  askesereich, 

17.  (8967.)  noch  nicht  vedakundig,  nicht  ein  anhanglicher 
Schiller  ist,  keinem,  der  nicht  frei  von  Mifsgunst,  der  nicht 
geradsinnig  ist,  der  der  Unterweisung  nicht  folgt, 

18.  (8968.)  keinem,  der  in  den  Lehrbiichern  der  Dialektik 
beschlagen  oder  hinterlistig  ist;  vielmehr  nur  einem  Riihm- 
lichen,  gut  Beleumundeten ,  Beruhigten,  Askesereichen, 

19.  (8969.)  einem  geliebten  Sohne  und  anhanglichen  Schiller 
ist  diese  geheime  Satzung  zu  ilberliefern,  keinem  andern,  wer 
es  auch  sei. 

20.  (8970.)  Und  wenn  ein  Mensch  ihm  diese  mit  Edel- 
steinen  gefiHlte  Erde  anbote,  so  soil  der  der  Wesenheit 
Kundige  denken:  „Dies  ist  noch  mehr  wert  als  das  alles!" 
[vgl.  Chand.  Up.  3,11,4]. 

21.  (8971.)  Nunmehr  aber  will  ich  dir  das  noch  Geheimnis- 
voUere,  auf  das  innere  Selbst  Bezilgliche,  Ubermenschliche, 


Adhyaya  246  (B.  247).  385 

von   den   grofsen   Weisen   Geschaute    und    in    den   Vedanta- 
texten  Besungene 

22.  (8972.)   mitteilen,  da  du  mich  danach  fragst. 

23.  (8973.)    Wenn   noch    etwas  weiteres   deinen  Geist 

bewegt   Oder  wenn    dir  irgendwo  ein  Zweifel  geblieben 

ist,   so  hore  mich  weiter;  was   soil  ich  dir,   der  du  vor 

mir  stehst,  o  Sohn,  noch  mehr  sagen? 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  (^tika 
((^'uka  -  anupra<;na). 


Adhyaya  347  (B.  348). 

Vers  8974-8998  (B.  1-25). 

Q'uka  sprach: 

1.  (8974.)  Sage  mir  noch  einmal  ausfiihrlich  das  auf  das 
innere  Selbst  Beziigliche;  was  ist  das  innere  Selbst  und  wie 
ist  es,  o  Heiliger,  Bester  der  Weisen? 

Vyasa  sprach: 

2.  (8975.)  Was,  o  Teurer,  als  das  innere  Selbst  an  einem 
Menschen  gepriesen  wird,  das  will  ich  dir  entwickeln,  davon 
vernimm  diese  Erklarung. 

3.  (8976.)  Erde,  Wasset,  Feuer,  Wind  und  Ather,  diese 
grofsen  Elemente  (maliabhutdnij  sind  fur  die  Wesen,  was  die 
Wellen  fiir  den  Ozean  sind. 

4.  (8977.)  Wie  eine  Schildkrote  ihre  Glieder  ausstreckt 
und  wieder  einzieht,  so  wandeln  sich  die  grofsen  Elemente 
um  in  ihre  jiingeren  [Produkte]. 

5.  (8978.)  Somit  ist  alles  dieses  Unbewegliche  und  Be- 
wegliche  aus  ihnen  gebildet;  bei  seinem  Entstehen  wie  bei 
seinem  Vergehen  wird  es  erlautert  an  diesem  [Bilde  von  der 
Schildkrote]. 

6.  (8979.)  Fiinf  grofse  Elemente  also  gibt  es,  und  aus 
ihnen  stellte  der  Wesenschopfer  in  alien  Wesen,  o  Freund, 
eine  Mannigfaltigkeit  her,  je  nachdem  er  diesen  oder  jenen 
Zweck  im  Auge  hatte. 

Dbusskn,  Mahabhitratam.  25 


386  ni.   Mokshadharma. 

^uka  sprach: 

7.  (8980.)  Aber  wie  kann  man  erkennen,  was  er  zu  den 
Korpern  beigetragen  hat ;  da  sind  Sinnesorgane  und  da  sind 
Eigenschaften ,  wie  soil  man  die  herauserkennen  ? 

Vyasa  sprach: 

8.  (8981.)  Das  will  ich  dir  der  Eeihe  nach  entwickeln, 
wie  es  ist;  vernimm  du  es  mit  ungeteilter  Aufmerksamkeit, 
wie  es  seiner  Wesenheit  nach  sich  verhalt. 

9.  (8982.)  Der  Ton,  das  Gehor  und  die  Hohlraume  [im 
Korper],  diese  drei  entspringen  aus  dem  Ather;  der  Lehens- 
odem,  die  Bewegungen  [der  Glieder]  und  das  Gefiihl,  das 
sind  die  drei  Eigenschaften  des  Windes. 

10.  (8983.)  Die  Sichtbarkeit,  das  Auge  und  die  Verdauung, 
in  diese  drei  zerlegt  sich  das  Feuer;  der  Geschmack,  das 
Schmecken  und  die  Fliissigkeit,  das  sind  die  drei  Eigen- 
schaften des  Wassers. 

11.  (8984.)  Der  Duft,  das  Riechen  und  die  Korperlichkeit, 
das  sind  die  drei  Eigenschaften  der  Erde;  insoweit  ist  der 
Mensch  vermoge  der  Schar  der  Sinne  als  aus  den  fiinf  Ele- 
menten  bestehend  erklart. 

12.  (8985.)  Aus  dem  Winde  stammt  die  Beriihrung,  aus 
dem  Wasser  der  Geschmack,  aus  dem  Feuer  die  Sichtbar- 
keit; aus  dem  Ather  entspringt  der  Ton,  der  Geruch  gilt  als 
eine  Eigenschaft  der  Erde. 

13.  (8986.)  Manas,  Buddhi  und  Svabhava  (Natur),  diese 
drei  haben  ihren  eigentiimlichen  Ursprung;  sie  schlagen  nicht 
[wie  jene  fiinf  Elemente]  zu  Eigenschaften  aus,  da  sie  auf 
Hoheres  als  diese  Eigenschaften  gerichtet  sind. 

14.  (8987.)  Wie  gleichsam  eine  Schildkrote  ihre  Glieder 
herausstreckt  und  wieder  einzieht,  so  schafft  die  Buddhi  die 
Schar  der  Sinnesorgane  und  zieht  sie  wieder  in  sich  herein. 

15.  (8988.)  Was  man  oberhalb  der  Fufssohlen  und  unter- 
halb  des  Schadels  wahrnimmt,  in  diesem  ganzen  Gemachte 
herrscht  die  Buddhi  als  hochstes  Prinzip. 

16.  (8989.)  Die  Buddhi  fiihrt  die  Eigenschaften  an  und 
sie  fiihrt  auch  die  Sinnesorgane  samtlich  mit  dem  Manas  als 


Adhyaya  247  (B.  248).  387 

sechstem  an  (neniyatej;  gabe  es  keine  Buddhi,   wie  konnten 
die  Eigenschaften  bestehen!  [vgl.  Vers  7082  und  10502]. 

17.  (8990.)  Der  Sinne  gibt  es  fiinf  im  Menschen,  das  Manas 
wird  als  sechstes  gezahlt,  als  siebentes  gilt  die  Buddhi,  als 
achtes  endlich  der  Kshetrajna. 

18.  (8991.)  Das  Auge  dient  nur  zum  Sehen,  das  Manas 
erhebt  den  Zweifel,  die  Buddhi  entscheidet  ihn,  der  Kshetrajfia 
ist  der  Zuschauer  fsakshinj. 

19.  (8992.)  Rajas,  Tamas  und  Sattvam,  diese  drei  haben 
ihren  eigentiimhchen  Ursprung,  sie  sind  in  alien  Wesen  die 
gleichen,  als  die  Guna's  soil  man  sie  ansehen. 

20.  (8993.)  Alles  nun,  was  man  in  sich  selbst  wahrnimmt 
als  mit  der  Lust  fpritij  verwandt,  und  was  gleichsam  beruhigt 
und  rein  ist,  das  hat  man  als  Sattvam  anzusehen. 

21.  (8994.)  Was  aber  mit  Unlust  fsamtdpaj  verwandt  ist, 
sei  es  korperlich  oder  geistig,  und  was  das  Regsame  ist,  das 
soil  man  als  das  Rajas  ansehen. 

22.  (8995.)  Was  aber  der  Verblendung  verwandt  und  in 
den  Dingen  undeutlich,  unbegreiflich  und  unerkennbar  ist, 
das  ist  als  das  Tamas  festzuhalten. 

23.  (8996.)  Freude,  Lust,  Wonne,  Herrschaft,  Bewufstsein 
der  eigenen  Selbstandigkeit ,  mag  es  begriindet  sein  oder 
nicht,  das  bildet  die  Eigenschaften  des  Sattvam. 

24.  (8997.)  Eigendiinkel,  falsche  Rede,  Begehrlichkeit,  Ver- 
blendung, Lassigkeit,  das  sind  die  Merkmale  des  Rajas,  mogen 
sie  Grund  haben  oder  nicht. 

25.  (8998.)  Endlich:  Verblendung,  Unbesonnenheit,  Schlaf, 
Tragheit  und  Unverstand,  wie  sie  auch  immer  einen  an- 
wandeln  mogen,  sind  als  Eigenschaften  des  Tamas  anzusehen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  (^uka 
((^uka-anupra<;na). 


25' 


388  III.   Mokshadharma. 

Adhyaya  248  (B.  248^'^. 

Vers  8999-9023  (B.  1-24). 

Vyasa  sprach: 

1.  (8999.)  Das  Manas  schafft  aus  sich  die  Existenz  [der 
Aufsendinge],  die  Buddhi  stellt  [ihre  Beschaffenheit]  fest,  das 
Herz  empfindet  das  Angenehme  und  Unangenehme ;  so  ist 
der  Antrieb  zu  den  Werken  dreifach. 

2.  (9000.)  Hoher  als  Sinne  stehen  Dinge,  hoher  als  Dinge 
Manas  steht,  hoher  als  Manas  steht  Buddhi,  hoher  als  sie 
der  Atman  steht  [vgl.  Kath.  Up.  3,10]. 

3.  (9001.)  Die  Buddhi  ist  das  Selbst  des  Menschen,  die 
Buddhi  ist  durch  das  Selbst  in  dem  Selbste;  wenn  sie  sich 
zur  Existenz  entfaltet,  so  wird  sie  [zunachst]  zum  Manas. 

4.  (9002.)  Weiter  wird  dann  die  Buddhi  wegen  der  Einzel- 
existenz  der  Sinnesorgane  zerlegt:  sofern  sie  hort,  wird  sie 
zum  Ohr,  sofern  sie  fiihlt,  wird  sie  zum  Gefiihl, 

5.  (9003.)  sofern  sie  sieht,  wird  sie  zum  Auge,  sofern  sie 
schmeckt,  wird  sie  zum  Geschmackssinn,  sofern  sie  riecht, 
zum  Geruchsinn ,  *  so  zerlegt  sich  die  Buddhi  im  einzelnen. 

6.  (9004.)  Diese  werden  Sinnesorgane  genannt,  und  liber 
ihnen  thront  der  unsichtbare  [Atman].  Die  Buddhi,  sofern 
sie  im  Menschen  wohnt,  bewegt  sich  in  drei  Zustanden  (hhdvaj. 

7.  (9005.)  Manchmal  empfindet  sie  Freude  fpritij,  manch- 
mal  Schmerz  und  manchmal  ist  sie  weder  von  Lust  noch 
von  Leid  beriihrt. 

8.  (9006.)  Sie,  deren  Wesen  in  diesen  Zustanden  besteht, 
entwickelt  sich  zu  den  drei  Zustanden,  wie  der  wellenreiche 
Herr  der  Fliisse,  der  Ozean,  zu  den  grofsen  Fluten. 

9.  (9007.)  Wenn  sie  irgend  etwas  begehrt,  dann  wird  sie 
zum  Manas,  aber  jene  [die  Sinnesorgane]  sind  als  die  be- 
sonderen  Sitze  in  der  Buddhi  zu  betrachten.  (9008.)  Die  mit 
Intelligenz  ausgestatteten  Sinnesorgane  miissen  vollstandig 
unterjocht  werden, 

10.  alle  nacheinander,  je  nachdem  die  Reihe  an  eines 
kommt.  (9009.)  Soweit  die  Buddhi  in  der  Existenz  [der  Sinne 
und  Aufsendinge]  zur  Zerlegung  kommt,  weilt  sie  im  Manas. 


Adhyaya  248  (B.  248  bis).  389 

11.  Alle  Verhaltnisse,  die  sich  entwickeln,  sind  in  jenen 
drei  [Zustanden,  d.  i.  Guna's]  beschlossen;  (90io.)  sie  setzen 
sich  zu  den  entsprechenden  Aufsendingen  fort,  wie  die  Rad- 
speichen  zum  Radkranze. 

12.  Um  zu  erleuchten,  ist  das  Manas  tatig  mittels  der 
von  der  Buddhi  regierten  Sinne,  (90ii.)  welche  je  nach  ihrer 
Verwendung  ausschwarmen  oder,  wie  es  sich  trifft,  miifsig 
bleiben. 

13.  Von  solcher  Natur  ist  dies  alles,  wer  das  weifs,  geht 
nicht  irre,  (9012.)  er  klagt  nicht  und  freut  sich  nicht,  da  er 
stets  frei  von  Selbstsucht  ist. 

14.  Aber  der  Atman  kann  nicht  gesehen  werden  von 
den  ihrer  Begierde  nachgehenden  Sinnen,  (9013.)  mogen  sie 
schuldlos  sich  betatigen  oder  zur  Ubeltat  neigen,  wenn  ihr 
Wesen  nicht  gebandigt  ist. 

15.  Wenn  man  aber  ihre  Ziigel  durch  das  Manas  straff- 
halt,  (9014.)  dann  leuchtet  in  einem  der  Atman  auf  wie  eine 
Gestalt,  die  von  der  Lampe  erhellt  wird. 

16.  Wie  in  alien  Wesen,  wenn  das  Dunkel  verscheucht 
ist,  (9015.)  alles  seine  Beleuchtung  empfangt,  so  ist  dieses 
aufzufassen. 

17.  Wie  ein  Wasservogel  nicht  benetzt  wird,  wenn  er 
im  Wasser  schwimmt,  (9016.)  so  wird  der  Yogin,  dessen  Atman 
erlost  ist,  nicht  von  den  Siinden  befleckt. 

18.  So  wird  einer,  dem  die  Erkenntnis  geworden  ist 
und  der  nicht  mit  Siinde  sich  in  die  Sinnendinge  verliert, 
(9017.)  ohne  an  irgend  etwas  zu  kleben,  in  keiner  Weise  befleckt. 

19.  Wer  das  friiher  begangene  Werk  abstreift  und  alle- 
zeit  seine  Lust  nur  am  Atman  hat,  (9018.)  wer,  zum  Selbste 
aller  Wesen  geworden,  nicht  mehr  an  der  Schar  der  Guna's 
hangt, 

20.  dessen  Atman  vertieft  sich  nur  in  das  Sattvam  und 
niemals  mehr  in  die  [iibrigen]  Guna's.  (90i9.)  Die  Guna's 
kennen  nicht  den  Atman,  aber  er  kennt  immerdar  die  Guna's. 

21.  Er  ist  der  AUschauer  der  Guna's  und  ist  ihr  All- 
schopfer,  je  nachdem  es  kommt,  (9020.)  darin  liegt  der  Unter- 
schied  zwischen  den  beiden  schwer  Erkennbaren,  dem  Sattvam 
und  dem  Kshetrajna. 


390  III.    Mokshadharma. 

22.  Der  eine  [Purusha]  schafft  die  Guna's,  der  andere 
[erloste]  schafft  sie  nicht.  (9021.)  Beide  [Purusha  und  die 
Guna's]  sind  ihrer  Natur  nach  verschieden  und  doch  immer- 
dar  miteinander  verbunden. 

23.  So  wie  der  Fisch  vom  Wasser  verschieden  ist  und 
doch  beide  verbunden  sind,  (9022.)  oder  wie  die  Fhege  und 
das  Feigenblatt  miteinander  verbunden  sind, 

24.  oder  wie  der  Halm  und  das  Schilfrohr  verschieden 
und  doch  vereinigt  sind,  (9023.)  in  ahnhcher  Weise  sind  jene 
beiden  [Purusha  und  Guna's]  verbunden  urid  aufeinander  sich 
stiitzend. 

So  lautet  im  HokBhadharma  die  Frage  des  Quka 
((,'uka  -  anupra<;na). 


Adhyaya  249  (B.  249). 

Vers  9024-9037  (B.  1-14). 

Vyftsa  sprach: 

1.  (9024.)  Das  Sattvam  schafft  die  Guna's,  der  Kshetrajfia 
steht  liber  ihnen,  iiber  alien  sich  umwandelnden  Guna's  als 
miifsiger  Herrscher  figvaraj. 

2.  (9025.)  Alles  dies  ist  an  den  Svabhava  [die  Prakriti] 
gebunden.  Wenn  er  die  Guna's  aus  sich  hervorgehen  lafst, 
dann  lafst  er  so,  wie  die  Spinne  den  Faden,  die  Guna's  aus 
sich  her  aus. 

3.  (9026.)  Sind  diese  abgeschiittelt  [durch  die  Erkenntnis], 
so  sind  sie  damit  nicht  vernichtet,  aber  es  wird  keine  Tatig- 
keit  derselben  mehr  wahrgenommen,  so  entscheiden  einige 
die  Frage,  wahrend  andere  lehren,  dafs  sie  zunichte  werden. 

4.  (9027.)  Beide  Moglichkeiten  halte  man  sich  vor  und 
entscheide  nach  bestem  Wissen;  ist  dies  so  vollbracht,  so 
bleibt  der  Mahan  als  Keim  bestehen.  [Nach  C. :  so  geht  der 
Mahan  in  den  Atman  ein.] 

5.  (9028.)  Denn  der  Atman  ist  ohne  Entstehen  und  Ver- 
gang,  ihn  soil  der  Mensch  erkennen  und  danach  leben,  ohne 
Zorn  und  ohne  Freude,  allezeit  von  Selbstsucht  frei. 


Adhyaya  249  (B.  249).  391 

6.  (9029.)  Nachdem  man  in  dieser  Weise  den  von  Sorgen 
der  Buddhi  erfiillten,  starken,  verganglichen  Knoten  des  Her- 
zens  [gespalten  hat,  vgl.  Mund.  Up.  2,2,8],  moge  man  nach 
Losung   aller  Zweifel  friedlich   und  ohne  Kummer  verharren. 

7.  (9030.)  Wie  Menschen  sich  abmiihen,  wenn  sie  unver- 
merkt  vom  Ufer  in  einen  gescliwollenen  Strom  stiirzend  unter- 
tauchen,  so,  wisse,  ist  diese  Welt. 

8.  (9031.)  Aber  nicht  so  braucht  sicli  der  Wissende  ab- 
zumiihen,  sondern  er  wandelt,  die  Wahrheit  erkennend,  auf 
festem  Boden,  wenn  er  in  dieser  Weise  den  Atman,  wenn  er 
die  lautere  Erkenntnis  seiner  selbst  erlangt. 

9.  (9032.)  Dann  erkennt  der  Mensch  das  Ganze,  das  Ent- 
stehen  und  Vergehen  der  Kreaturen,  iiberblickt  ihre  Mannig- 
faltigkeit  und  gelangt  zur  hochsten  Beruhigung. 

10.  (9033.)  Dieses  ist  die  Bestimmung  des  Daseins,  nament- 
lich  bei  einem  Brahmanen:  den  Atman  zu  erkennen  und  die 
Beruhigung  zu  erlangen,  damit  ist  das  Hochste  erreicht. 

11.  (9034.)  Wer  dieses  erkannt  hat,  der  ist  rein,  kein 
anderes  Kennzeichen  gibt  es  des  Weisen;  dieses  erkennend 
haben  die  Weisen  ihr  Ziel  erreicht  und  sind  erlost. 

12.  (9035.)  Grofse  Angst  besteht  nicht  mehr  fiir  den 
Wissenden,  die  grofse  Angst,  welcher  der  Nicht -Wissende 
vor  dem  Jenseits  hat;  ein  hoheres  Ziel  gibt  es  fiir  keinen, 
denn  das  des  Wissenden  ist  ein  ewiges. 

13.  (9036.)  Der  Mensch  murrt  iiber  diese  kranke  Welt 
und  sie  betrachtend  jammert  er,  aber  betrachte  die  Kun- 
digen,  die  frei  von  Leid  sind,  sie,  welche  beides  wissen, 
das  Erwirkbare  und  das  Unerwirkbare. 

14.  (9037.)  Was  er  noch  tut,  geschieht  ohne  vorher- 
gehende  Absicht,  und  was  er  vordem  getan  hat,  das  stofst 
er  von  sich  ab,  und  wenn  er  hienieden  noch  handelt,  so 
bereitet  es  ihm  beides  nicht  mehr,  weder  Lust  noch 
Unlust. 

So  lautet  im  Moksbadharma  die  Frage  des  (^uka 
(Quka  •  anupragna). 


392  in.   Mokshadharma. 

Adhyaya  250  (B.  250). 

Vers  9038-9063  (B.  1-25). 

^uka  sprach: 

1.  (9038.)  Diejenige  Pflicht,  hoher  als  welche  es  keine 
andere  hienieden  gibt,  und  welche  sich  vor  alien  anderen 
Pflichten  auszeichnet,  die  mogest  du,  o  Herr,  mir  mitteilen. 

Vya,sa  sprach: 

2.  (9039.)  Ich  werde  dir  die  alte  Pflicht  erklaren,  welche 
von  den  Weisen  festgesetzt  wurde,  und  welche  sich  vor  alien 
anderen  Pflichten  auszeichnet;  vernimm  sie  mit  ungeteilter 
Aufmerksamkeit. 

3.  (9040.)  Wenn  man  die  wankelmiitigen  Sinnesorgane, 
welche  nach  alien  Seiten  auseinanderflattern  mochten,  durch 
die  Buddhi  streng  im  Zaume  halt  wie  ein  Vater  seine  eigenen 
Sohne, 

4.  (9041.)  so  i'st  eine  solche  Konzentration  des  Manas  und 
der  Sinne  die  hochste  Askese.  Dies  ist  wichtiger  als  alle 
anderen  Pflichten,  dieses  wird  die  hochste  Pflicht  genannt. 

5.  (9042.)  Sie  alle  mit  dem  Manas  als  sechstem  mit  Weis- 
heit  in  seine  Gewalt  bringend,  moge  er  dasitzen,  an  dem 
Atman  sich  gleichsam  ersattigend  und  ohne  sich  um  allerlei 
Sorgen  zu  kiimmern. 

6.  (9043.)  Wenn  sie  von  ihren  Weideplatzen  heimgetrieben 
und  in  ihrer  Behausung  festgehalten  werden,  dann  wirst  du 
durch  deinen  Atman   den  hochsten,  ewigen  Atman  schauen. 

7.  (9044.)  Den  All -Atman,  den  grofsen  Atman,  gleichwie 
eine  rauchlose  Flamme,  ihn  schauen  dann  die  hochherzigen, 
weisen  Brahmanen. 

8.  (9045.)  Wie  ein  grofser,  weitverzweigter ,  mit  Blumen 
und  Friichten  beladener  Baum  von  sich  selbst  nicht  weifs, 
wo  seine  Bliiten,  wo  seine  Frtichte  sind, 

9.  (9046.)  so  weifs  auch  der  Atman  nicht,  wohin  er  geht 
und  woher  er  kommt.  Denn  in  ihm  ist  ein  anderer  innerer 
Atman,  der  [frei  von  individueller  Erkenntnis]  alles  iiberschaut. 


Adhyaya  250  (B.  250).  393 

10.  (9047.)  Dann  schaut  man  mit  der  durch  die  Erkenntnis 
entziindeten  Fackel  durch  seinen  Atman  den  Atman,  und 
wenn  du  den  Atman  durch  deinen  Atman  erkannt  hast,  so 
werde  atmanlos  und  allwissend, 

11.  (9048.)  frei  von  allem  Ubel,  wie  eine  von  der  Haut 
befreite  Schlange  [vgl.  Brih.  Up.  4,4,7],  die  hochste  Erkenntnis 
schon  hienieden  erlangt  habend,  vom  Ubel  erlost  und  frei 
von  Krankheit. 

12.  (9049.)  Den  furchtbaren  Flufs,  welcher  mit  alien  Stromen 
die  Welt  liberflutet,  in  dem  die  fiinf  Sinne  als  Krokodile 
wohnen,  dessen  Ufer  Manas  und  Saiikalpa  (Wunsch)  sind, 

13.  (9050.)  der  mit  dem  Schilfgras  der  Begierde  und  Ver- 
blendung  iiberwuchert  ist  und  Lust  und  Zorn  als  schleichende 
Tiere  birgt,  dessen  Furt  die  Wahrheit,  dessen  Wellenschlag 
die  Liige  und  dessen  Schlamm  der  Zorn  ist,  diesen  mach- 
tigen  Flufs, 

14.  (9051.)  dessen  Ursprung  im  Unoffenbaren  ist,  den 
reifsenden,  schwer  iiberschreitbaren  von  solchen,  die  un- 
bereiteten  Geistes  sind,  diesen  von  den  Ungeheuern  der  Lust 
erfiillten  Strom  sollst  du  durch  die  Erkenntnis  iiberschreiten. 

15.  (9052.)  Ihn,  der  in  den  Ozean  des  Sansara  miindet, 
dessen  Quellen  und  unterirdische  Hohlungen  schwer  zu  er- 
grunden  sind,  der  mit  deiner  Geburt,  o  Freund,  anhebt,  dessen 
Strudel  die  Reden  sind,  dem  nicht  gut  zu  nahen  ist, 

16.  (9053.)  ihn,  welchen  nur  die  erkenntnisreichen ,  cha- 
raktervoUen  Weisen  zu  iiberschreiten  vermogen,  wenn  du 
den,  von  allem  befreit,  festen  Sinnes,  des  Atman  kundig  und 
rein  iiberschritten 

17.  (9054.)  und  die  hochste  Erkenntnis  erreicht  hast,  dann 
wirst  du  ein  zu  Brahman  Gewordener  sein.  Dem  ganzen 
Sansara  entflohen,  beruhigten  Geistes  und  unbefleckt, 

18.  (9055.)  magst  du  dann  wie  von  einem  Berge  aus  die 
irdischen  Wesen  iiberschauen,  ohne  Zorn  und  ohne  Freude, 
frei  von  Ubelwollen  gegen  irgendwen. 

19.  (9056.)  Dann  wirst  du  Ursprung  und  Vergang  aller 
Wesen  iiberschauen.  Das  ist  die  von  den  Weisen  als  erhaben 
liber  alle  Wesen  erklarte  (9057.)  Pflicht,  von  den  Wahrheit 
schauenden  Muni's,  von  den  vorziiglichsten  Erfiillern  der  Pflicht. 


394  HI.    Mokshadharma. 

20.  Diese  Erkenntnis  des  alldurchdringenden  Atman  ist, 
o  Sohn,  als  Kegel  (9058.)  anzubefehlen  einem  Hingegebenen, 
Freundlichen  und  Folgsamen. 

21.  Dies  ist  das  geheimnisvolle  Wissen  vom  Atman,  das 
grofse,  allergeheimnisvollste,  (9059.)  welches  ich  dir,  o  Freund, 
vor  deinem  Atman  als  unmittelbarem  Zeugen  mitgeteilt  habe. 

22.  Nicht  weiblich,  noch  mannlich,  noch  audi  sachlich 
ist  dieses  (906O.)  schmerzlose  und  lustlose  Brahman,  welches 
seinem  Wesen  nach  das  Vergangene,  Zukiinftige  und  Gegen- 
wartige  ist. 

23.  Wer  dieses  erkannt  hat,  sei  es  Weib  oder  Mann, 
braucht  nicht  wiedergeboren  zu  werden ;  (9061.)  zur  Erlangung 
dieses  Nicht-Geboren werden  s  ist  diese  Pflicht  verordnet. 

24.  Wie  dies  alles  zu  verstehen  ist  und  wie  es  seinem 
Wesen  nach  ist,  (9062.)  so  ist  es,  o  Sohn,  von  mir  erklart 
worden,  das  Seiende  und  das  Nicht-Seiende. 

25.  (9063.)  Wenn  einer,  o  guter  Sohn,  von  einem  lieben- 
den,  tugendhaften ,  selbstbeherrschenden  Sohne  gefragt 
wird,  so  soil  er  freudigen  Sinnes  diesem  Sohne  dieses 
von  mir  Gesagte  wahrheitsgemafs  mitteilen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  (^'uka 
((^uka  -  anupra^na). 


Adhyaya  251  (B.  *^51). 

Vers  9064-9087  (B.  1-24). 

Vyasa  sprach: 

1.  (9064.)  Man  gebe  den  Geriichen,  den  Geschmacken, 
gebe  der  Lust  keine  Folge  und  nehme  keine  Schmuck- 
sachen  an  von  dem  oder  jenem;  man  trachte  auch  nicht 
nach  Ehre,  Ruf  oder  Ruhm;  das  ist  das  Verhalten  eines 
sehenden  Brahmanen. 

2.  (9065.)  Man  mag  alle  Veden  studieren  und  keusch  sein, 
aber  damit,  dafs  man  den  Rigveda,  Yajurveda  und  Samaveda 
kennt,  ist  man  noch  kein  wahrer  Zwiegeborener. 


Adhyaya  251  (B.  251).  395 

3.  (9066.)  Wer  aber  sich  alien  Wesen  verwandt  fiihlt,  all- 
wissend  und  alle  Veden  kennend  und  frei  von  Verlangen  ist, 
der  stirbt  nie  und  von  ihm  kann  man  nicht  sagen,  dafs  er 
kein  wahrer  Zwiegeborener  sei. 

4.  (9067.)  Auch  wenn  einer  mancherlei  Opfer  aufzuweisen 
hat  und  heilige ,  mit  Opfergaben  verbundene  Werke ,  so  er- 
langt  er  dadurch  noch  keineswegs  die  wahre  Brahmanschaft, 
well  er  noch  nicht  in  sich  gesetzt  ist. 

5.  (9068.)  Aber  wenn  ebenderselbe  nicht  mehr  fiirchtet, 
und  wenn  man  sich  vor  ihm  nicht  mehr  fiirchtet,  wenn  er 
nicht  mehr  wiinscht  und  nicht  mehr  hafst,  dann  erlangt  er 
das  Brahman. 

6.  (9069.)  Wenn  er  gegen  alle  Wesen  keine  bose  Ge- 
sinnung  betatigt  in  Werken,  Gedanken  oder  Worten,  dann 
geht  er  in  das  Brahman  ein. 

7.  (9070.)  Die  Bindung  durch  die  Lust  ist  die  einzige, 
keine  andere  Bindung  gibt  es  auf  der  Welt;  wer  von  der 
Bindung  durch  die  Lust  frei  wird,  der  ist  zur  Brahmanwerdung 
tauglich. 

8.  (9071.)  Von  der  Lust  erlost  gleichwie  der  Mond  von 
Dunst  und  Wolken,  wiinscht  er  ohne  Leidenschaft  die  Zeit 
des  Endes  herbei  und  verharrt  fest  in  seiner  Bestandigkeit. 

9.  (9072.)  Derjenige,  in  welchemalleLiiste  verschwinden, 
wie  in  dem  vollen,  unerschiitterlich  gegriindeten  Ozean 
die  Wasser  verschwinden,  der  erlangt  die  Beruhigung, 
nicht  der  nach  Liisten  Liisterne. 

10.  (9073.)  Er  wird  von  den  Liisten  geliebt,  aber  er 
liebt  die  Liiste  nicht;  ein  solcher  Mensch  steigt  von 
der  Lust  zum  Himmel  auf. 

11.  (9074.)  Des  Veda  geheimer  Sinn  fupanishadj  ist  die 
Wahrheit,  der  Wahrheit  geheimer  Sinn  ist  die  Bezahmung, 
der  Bezahmung  geheimer  Sinn  ist  das  Geben,  des  Gebens 
geheimer  Sinn  ist  die  Askese. 

12.  (9075.)  Der  Askese  geheimer  Sinn  ist  die  Entsagung, 
der  Entsagung  geheimer  Sinn  ist  das  Gliick,  des  Gliickes  ge- 
heimer Sinn  ist  der  Himmel,  des  Himmels  geheimer  Sinn  ist 
die  Beruhigung. 


396  III.   Mokshadharma. 

13.  (9076.)  Die  Benetzung  des  Kummers  und  Wunsches 
ausgliihend  fsantdpamj  mitsamt  der  Begierde,  trachtest  du 
durch  Zufriedenheit  nach  dem  wahren  Wesen,  welches  Be- 
ruhigung  mit  sich  bringt  und  das  Hochste  ist. 

14.  (9077.)  [Diese  Zufriedenheit  besitzend,]  frei  von  Kummer 
und  Selbstsucht,  beruhigt,  gesetzten  Geistes  und  ohne  Eifer- 
sucht,  wer  diese  sechs  Merkmale  an  sich  tragi,  der  wird  als 
ein  Vollendeter  zuriickkehren. 

15.  (9078.)  Diejenigen,  welche  bei  ihrem  Hinscheiden  ver- 
moge  der  [genannten]  sechs,  mit  der  Eigenschaft  des  Sattvam 
ausgestatteten,  geistigen  [Tugenden]  erkannt  haben,  dafs  der 
Atman  [nur]  hienieden  mit  den  drei  [Guna's]  behaftet  ist,  die 
verstehen  jene  Eigenschaft  [die  Beruhigung]. 

16.  (9079.)  Wer  zu  dem  ungekiinstelten ,  unbestechlichen, 
urspriinglichen ,  ungeschminkten,  edlen,  innern  Selbste  ge- 
langt  ist,  der  erlangt  unverganghches  Gliick. 

17.  (9080.)  Wenn  man  das  Manas  vom  Umherschweifen 
abhalt  und  es  von  alien  Seiten  her  zum  Stillstand  bringt,  so 
erlangt  man  dadurch  eine  Befriedigung  seiner  selbst,  welche 
auf  keine  andere  Weise  zu  erreichen  ist. 

18.  (9081.)  Durch  ihn  wird  man  satt,  ohne  zu  essen,  durch 
ihn  wird  man  satt,  ohne  reich  zu  sein,  durch  ihn  gewinnt 
man  Starke  ohne  Fettleibigkeit,  wer  ihn  kennt,  der  kennt 
den  Veda. 

19.  (908-2.)  Denn  der  gelehrte  Brahmane,  welcher  die  ver- 
borgenen  Pforten  seines  Atman  sorgsam  verschliefst,  der  wird 
ein  am  Atman  sich  Freuender  genannt.  [Vgl.  Chand.  Up. 
7,25,2.] 

20.  (9083.)  Ihn,  welcher  konzentriert  in  der  hochsten 
Wesenheit  nach  Vernichtung  der  Begierden  dasteht,  iiber- 
kommt  von  alien  Seiten  her  Gliick,  [anwachsend]  wie  die 
Gestalt  des  Mondes. 

21.  (9084.)  Bei  dem  Weisen,  welcher  die  Wesen  ohne 
Unterschied  und  die  Guna's  hinter  sich  lafst,  wird  durch 
sein  Gliick  das  Leiden  verscheucht  wie  durch  die  Sonne  die 
Finsternis. 

22.  (9085.)  Ihm,  der  die  W'erke  iiberwunden,  der  die  iiber- 
wundenen  Guna's  vernichtet  hat,  dem  Brahmanen,  der  nicht 


Adhyaya  251  (B.  251).  397 

mehr  mit  den  Sinnendingen  verflochten  ist,  konnen  Alter  und 
Tod  nichts  mehr  anhaben. 

23.  (9086.)  Wenn  er  dann  nach  alien  Seiten  frei,  gleich- 
miitig  und  fest  dasteht,  dann  ist  er,  schon  im  Leibe  weilend, 
iiber  die  Sinnesorgane  und  Sinnendinge  hinausgelangt. 

24.  (9087.)  Fiir  ihn,  der  nach  Ergreifung  der  hochsten  Ur- 
sache  aufgehort  hat,  ein  Produkt  zu  sein,  gibt  es  keine 
Wiederkehr  mehr,  nachdem  er  zur  hochsten  Statte  gelangt  ist. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Fiage  dee  (Juka 
(<^uka-anupra(;na).  i 


Adhyaya  35'^  (B.  253). 

Vers  9088-9100  (B.  1-12). 

Vyasa  sprach: 

1.  (9088.)  Wer,  nach  der  Erlosung  forschend,  sich  mit  den 
Gegensatzen,  mit  dem  Guten  und  Niitzlichen  beschaftigt,  der 
soil  als  Schiller  von  einem  tiichtigen  Lehrer  zunachst  unter- 
richtet  werden  in  folgender  grofser  Sache. 

2.  (9089.)  Ather,  Wind,  Feuer,  Wasser  und  als  fiinftes  die 
Erde  nebst  Entstehen  und  Vergehen  und  der  Zeit  sind  in 
alien  fiinf  Elementen  [vermoge  des  Pancikaranam  vgl.  Vedan- 
tasara  §  124]  enthalten. 

3.  (9090.)  Der  Ather  ist  im  Innern  des  Korpers,  der  aus 
ihm  gebildete  Sinn  ist  das  Gehor;  als  seine  Qualitat  erkennt 
den  Ton  an,  wer  mit  den  Lehren  der  iiber  den  Korper  han- 
delnden  Lehrbiicher  vertraut  ist. 

4.  (9091.)  Das  Hinstreichen  ist  das  Wesen  des  Windes, 
aus  ihm  sind  Aushauch  und  Einhauch  gebildet,  als  seinen 
Sinn  wisse  man  das  Gefiihl  und  als  auf  ihm  beruhend  die 
Beriihrung. 

5.  (9092.)  Hitze,  Kochung,  Erhellung,  Licht  und  Gesichts- 
sinn  als  fiinftes  [machen  das  Element  des  Feuers  aus];  als 
seine  Qualitat  wisse  man  die  Gestalt,  welche  ihrem  Wesen 
nach  rot,  weifs  und  schwarz  ist. 

6.  (9093.)  Benetzung,  Verschiebbarkeit  und  Anhaftung, 
diese  werden  dem  Wasser  zugeschrieben ;   Blut,  Mark   und 


398  III.    Mokshadharma. 

was  sonst  noch  klebrig  ist,  wisse  man  als  zu  seiner  Natur 
gehorig. 

,  ,,7,  (9094.)  Das  Schmecken^  die  Zunge  als  Organ  und  der 
Geschmack  gelten  als  Qualitat  des  Wassers.  Festigkeit  ist 
dem  erdigen  Element  eigen,  Knochen,  Zahne  und  Nagel, 

8.  (9095.)  Bart,  Korper-  und  Haupthaare,  Adern,  Sehnen 
und  Haut.  Das  Sinnesorgan  heifst  Geruchsinn  und  wird  auch 
Nase  genannt; 

9.  (9096.)  der  Geruch  ist  das  diesem  Sinne  entsprechende 
Objekt,  und  man  mufs  begreifen,  dafs  er  aus  der  Erde  be- 
steht.  Alle  hoheren  Wesen  besitzen  auch  liohere  Eigen- 
schaften. 

10.  (9097.)  Die  Weisen  kennen  die  Verbreitung  der  fiinf 
elementaren  Komplexe  [bestehend  aus  dem  Element,  seinem 
Organ  und  dessen  Objekt].  Das  Manas  gehort  zu  den  ge- 
nannten  [fiinf  Elemente,  Entstehen,  Vergehen  und  Zeit,  oben, 
Vers  9089]  als  neuntes,  die  Buddhi  wird  als  zehntes  gezahlt. 

11.  (9098.)  Der  elfte  ist  der  unendliche  Atman,  er  wird 
als  der  Allseiende  und  Hochste  bezeichnet.  Die  Buddhi  hat 
als  Wesen  das  Entscheiden,  das  Manas  das  Zerlegen.  (9099.)  Aus 
der  Tatigkeit  zu  erschliefsen  ist  der  Jiva  (die  individuelle 
Seele),  welcher  von  der  Korperlichkeit  seinen  Namen  hat. 

12.  Wer  auf  dieses  mit  den  genannten,  die  Zeit  als  Wesen 
habenden  Zustanden  behaftete  Ganze  selbst  (9ioo.)  unbefleckt 
hinblickt,  der  verfallt  nicht  in  das  mit  Verblendung  ver- 
kniipfte  Werk. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  (^uka 
(Quka  -  aniiprai^na) . 


AdhyAya  353  (B.  253). 

Vers  9101-9115  (B,  1-15). 

Vyasa  sprach: 

1.  (9101.)  Die  vom  Leibe  losgeloste,  in  feiner  Gestalt  fort- 
bestehende,  verkorperte  Seele  schauen  mittels  ihres  im  Kanon 
vorgeschriebenen  Tuns  die  Kenner  des  [Yoga-]  Kanons. 


Adhyaya  253  (B.  253).  399 

2.  (!)io2.)  Wie  die  Strahlen  miteinander  ausstromen 
und  ul)erall  sich  verbreitend  gesehen  werden,  so  durch- 
streifen  die  von  den  Korpern  losgelosten  iibermensch- 
lichen  Wesenheiten  die  Weltraume. 

3.  (9103.)  So  wie  der  Glanz  der  Sonne  als  Abbild  im 
Wasser  gesehen  wird,  so  schaut  er  [der  des  Yoga  kundig 
ist]  das  Sattvam  als  Abbild  in  den  von  diesem  Sattvam  Be- 
seelten. 

4.  (9104.)  Und  nachdem  diese  feinen  Wesenheiten  (Sattva) 
vom  Leibe  sich  losgelost  haben,  schauen  die  Wahrheits- 
kundigen,  Sinnebezahmten  mittels  ihres  eigenen  Sattvam  diese 
[Sattva' s]. 

5.  (9105.)  Was  immer  von  alien  gedacht  werden  mag  im 
Schlafe  oder  auch  [mit  C.  caiva]  im  Wachen,  oder  wenn 
sie,  von  der  Verbindung  mit  der  Materie  losgelost,  die  aus 
den  Werken  entspringende  Leidenschaftlichkeit  hinter  sich 
lassen,  — 

6.  (9106.)  allezeit  bei  Tage  wie  bei  Nacht,  bei  Nacht  wie 
bei  Tage  steht  ihr  Sattva  selbst  unter  der  Herrschaft  der 
Yoga  iibenden  Yogin's. 

7.  (9107.)  Ihr  Elementatman  fbMddtmdJ  ist  immer  und  alle- 
zeit unaufhorlich  behaftet  mit  sieben  feinen  Qualitaten  [an- 
geblich  Mahan,  Ahankara  und  die  fiinf  Tanmatra's  nach  Nil.], 
er,  der  regsame,  nicht  alternde,  nicht  sterbende. 

8.  (9108.)  Dem  Manas  und  der  Buddhi  unterworfen,  den 
eigenen  Leib  und  fremde  Leiber  kennend,  wird  die  individuelle 
Seele  auch  im  Traume  zum  Erkenner  von  Lust  und  Leid. 

9.  (9109.)  In  ihm  empfindet  sie  bald  Schmerz,  bald  Lust, 
und  wenn  sie  sich  dem  Zorn  und  der  Begierde  hingibt,  gerat 
sie  ins  Ungliick. 

10.  (9110.)  Oder  auch  sie  glaubt  sich  begliickt,  wenn  sie 
grofse  Zwecke  erreicht,  sie  vollbringt  in  ihm  [dem  TraumeJ 
gute  Werke  und  ist  sehend  wie  im  wirklichen  Leben. 

11.  (9111.)  Ja  selbst  in  die  Hitze  gelangt  und  zum  Embryo 
geworden  und  zehn  Monate  lang  in  der  Bauchhohle  verweilend, 
wird  sie  doch  nicht  wie  die  Nahrung  verdaut. 

12.  (9112.)  Diesen  Bhutatman,  welcher  als  ein  Teil  der 
hochsten  Kraft  [der  Allseele]  im  Herzen  wohnt,  konnen   die 


400  III.   Mokshadharma. 

von  Tamas  und  Rajas  beherrschten  Menschen  nicht  in  den 
Korpern  sehen. 

13.  (9113.)  Sie,  welche  den  Yogakanon  hochschatzen  und 
dadurch  von  Verlangen  nach  jenem  Atman  erfullt  sind, 
[schauen,  nach  Nil.  iiberschreiten]  jene  nicht  mitsterhenden, 
nicht  grobmateriellen  Wesenheiten,  welche  unzerstorbar  wie 
Diamanten  sind. 

14.  (9114.)  Als  die  Einzelwesen  geschaffen  warden,  um 
die  Werke  des  vierten  Lebensstadiums  zu  iiben,  da  hat  Qan- 
dilya  im  Zustande  der  Versenkung  in  dieser  Weise  den  Yoga 
fiir  die  Beruhigung  erklart.  [Vgl.  Chand.  Up.  3,14,1  Qanta' 
ujmsUa.] 

15.  (9115.)  Wer  die  sieben  feinen  Wesenheiten  [vgl.  Vers  9107] 
und  den  sechsgliedrigen  [  Allwissenheit ,  Allgeniigsamkeit, 
Geistigkeit,  Freiheit,  ununterbrochenes  Schauen  und  Allmacht 
besitzenden.  Nil.]  hochsten  Gott  erkannt  hat,  der  schaut  das 
in  die  Materie  unverstrickt  bestehende  hochste  Brahman. 

So  lautet  im  Mokshadhaima  die  Frage  des  Quka 
((,'uka  -  anupra^na). 


Adhyaya  354  (B.  254). 

Vers  9116-9130  (B.  1-14). 

Vyasa  sprach: 

1.  (9116.)  Im  Herzen  wachst  der  bunte  Baum  der  Begierde, 
aus  dem  Wust  der  Verblendung  entspringend,  Zorn  und  Hoch- 
mut  sind  seine  machtigen  Aste  und  von  Absichten  wird  er 
bewassert. 

2.  (9117.)  Sein  tragender  Grund  ist  das  Nicht-Wissen, 
seine  Bewasserung  geschieht  durch  die  Unbesonnenheit,  Ubel- 
wollen  bildet  seine  Zweige,  vormalige  Ubeltaten  sind  sein 
Kernholz. 

3.  (9118.)  Verblendung  und  Sorge  sind  seine  Ranken,  der 
Kummer  bildet  sein  Astwerk,  dm  Furcht  seine  Sprofslinge; 
er  ist  umwuchert  von  verwirrenden  Durstgeliisten  als  Schling- 
pflanzen. 


Adhyaya  254  (B.  254).  401 

4.  (9119.)  Diesen  grofsen  Baum  verehren  die  sehr  Begehr- 
lichen,  nach  seinen  Friichten  Verlangenden,  von  Aufregungen 
wie  von  Stricken  gebunden,  um  seiner  Friichte  willen  ihn 
umschlingend. 

5.  (9120.)  Wer  dieser  Stricke  Meister  wird  und  den  Baum 
ausreifst,  der  gelangt  ans  Ende  beider  Leiden  [der  Lust  und 
des  Schmerzes]  und  wird  von  beiden  befreit. 

6.  (9121.)  Weil  der  Unverstandige  allezeit  den  Baum  ge- 
deihen  macht  fsamrohatHJ,  darum  totet  dieser  ihn,  wie  das 
Giftgeschwiir  den  Kranken. 

7.  (9122.)  Aber  dieses  weiterwurzelnden  Baumes  Wurzel 
wird  mit  Macht  losgetrennt  mittels  der  Gleichmiitigkeit  als 
vorziighchem  Messer  von  dem,  der  durch  die  Beruhigung  des 
Yoga  bereitet  ist. 

8.  (9123.)  Wer  in  dieser  Weise  es  versteht,  alle  Begierde 
zu  vernichten,  der  gelangt  iiber  die  Knechtschaft  unter  dem 
Gesetz  der  Begierde  und  iiber  die  Leiden  hinaus. 

9.  (9124.)  Den  Korper  betrachtet  man  als  die  Stadt,  als 
Herrscherin  in  ihr  gilt  die  Buddhi,  und  das  Manas  ist  es, 
welches  die  Zwecke  der  auf  das  Wesen  gerichteten  Buddhi 
besorgt. 

10.  (9125.)  Die  Sinnesorgane  sind  die  dem  Manas  unter- 
stellten  Burger  und  ihren  Zwecken  zu  dienen  ist  seine  Haupt- 
aufgabe.  In  der  Stadt  herrschen  zwei  furchtbare  Seuchen, 
sie  heifsen  Tamas  und  Rajas.  (9i26.)  Von  jenen  Zwecken  leben 
die  Burger  mitsamt  den  Stadtherren. 

11.  Unberechtigterweise  leben  von  jenen  Zwecken  auch 
die  beiden  Seuchen.  (9127.)  Hierbei  sinkt  die  schwer  zu  iiber- 
waltigende  Buddhi  auf  die  gleiche  Stufe  wie  das  Manas 
herab. 

12.  Die  Burger  aber  zittern  vor  dem  Manas,  und  so 
wird  auch  ihre  Stellung  eine  unsichere  (9128.)  und  die  Zwecke, 
welche  die  Buddhi  verfolgt,  sinken  zur  Zwecklosigkeit  herab. 

13.  Wenn  nun  die  Buddhi  einen  gesonderten  Zweck 
verfolgt,  so  leidet  das  Manas  darunter,  (9129.)  denn  von  der 
Buddhi  abgesondert  bleibt  das  Manas  isoliert. 

14.  Dann  bemachtigt  sich  des  von  jenem  entblofst  ge- 
lassenen  Menschen  das  Rajas,  (9i30.)  ja,  das  Manas  schliefst 

Deussen,  Mahilbharatam.  26 


402  III-    Mokshadharma. 

sogar  mit  dem  Rajas  Freundschaft  und  verbiindet  sich  ihm, 
nimmt  den  in  der  Stadt  wohnenden  Burger  gefangen  und 
liefert  ihn  dem  Rajas  aus. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Frage  des  Tuka 
(Qulca  -  anuj)ra(;na). 


Atlliyaya  *^55  (B.  255). 

Vers  9131-9143  (B.  1-13). 

Bhishma  sprach: 

1.  (9131.)  Vernimm,  o  Sohn,  weiter  die  Aufzahlung  der 
Elemente,  wie  sie,  o  Untadeliger,  in  hochst  riihmlicher  Weise 
dem  Munde  des  Dvaipayana  (Vyasa)  entstromte. 

2.  (9132.)  Einem  flammenden  Feuer  ahnlich  sprach  der 
Heilige  zu  ihm,  der  an  Aussehen  dem  Rauche  ghch,  und 
nunmehr  will  ich  dir,  o  Sohn,  wieder  die  Erklarung  mit- 
teilen. 

3.  (9133.)  Der  Erde  kommen  zu:  UnerschLitterlichkeit, 
Schwere,  Festigkeit,  Produktivitat ,  Geruch,  [nochmalsj 
Schwere,  Kraft,  Kompaktheit,  Fahigkeit  zu  stiitzen  und  Aus- 
dauer. 

4.  (9134.)  Dem  Wasser  kommen  zu:  Kalte,  Geschmack, 
Nasse,  Fliissigkeit,  Anhaftung  und  Geschmeidigkeit,  Ge- 
schmacksorgan ,  Tropfbarkeit  und  Garmachung  fester  Stoffe. 

5.  (9135.)  Dem  Feuer  sind  eigen:  Schwerbezwinglichkeit, 
Licht,  Hitze,  Kochung,  Helle,  Glut,  leichte  Erregbarkeit,  Hef- 
tigkeit  und  bestandiges  Nach-oben-flammen. 

6.  (9136.)  Dem  Winde  kommen  zu:  unbestimmtes  Gefiihl 
[nicht  warm.noch  kalt  Nil.],  Tragen  der  Rede,  Freiheit,  Starke, 
Geschwindigkeit,  Bewirken  der  Entleerung,  Fahigkeit  zu  be- 
wegen  und  Sich-erheben. 

7.  (9137.)  Die  Qualitat  des  Athers  ist  der  Ton,  Alldurch- 
dringung,  Widerstandslosigkeit,  ohne  Trager  und  Stiitze  zu 
sein,  Unwahrnehmbarkeit,  Unwandelbarkeit, 

8.  (9138.)  sowie  Durchlassigkeit.  Die  Elemente  selbst 
und  ihre  Umwandlungen   werden  als  fiinfzig  Qualitaten  ge- 


Adhyaj  a  255  (B.  255).  403 

rechnet    w  elche  sich  aus  dem  Wesen  der  fiinf  Elemente  ent- 
wickeln. 

9.  (9139.)  Festigkeit  und  Uberlegen,  Verdeutlichung,  Aus- 
breitung,  Vorstellung  und  Nachgiebigkeit ,  Giite  und  Nicht- 
Giite,  sowie  Schnelligkeit ,  das  sind  die  neun  Qualitaten  des 
Manas. 

10.  (9140.)  Vergessenmachen  des  Erwiinschten  und  Un- 
erwiinschten,  Entscheidung,  Vertiefung,  Zweifel  und  Zustim- 
mung,  diese  gelten  als  die  fiinf  Qualitaten  der  Buddhi. 

Yudhishthira  sprach : 

11.  (9141.)  Wie  kann  die  Buddhi  fiinf  Qualitaten  und  wie 
konnen  diese  Qualitaten  die  fiinf  Sinne  zu  ihrer  Verfiigung 
haben  ?  Diese  ganze  subtile  Wissenschaft  erklare  mir,  o  Grofs- 
vater ! 

Bhishma  sprach : 

12.  (9142.)  Man  lehrt,  dafs  es  sechzig  Qualitaten  der 
Buddhi  gibt,  welche  von  den  Elementen  verschiedene  und 
immer  von  ihnen  getrennte  Entfaltungen  der  Elemente 
sind;  von  dem  Unverganglichen  (aksharaj  sind  sie  er- 
schaffen  worden;  das  iibrige,  o  Sohn,  hienieden  nennt 
man  das  Nichtbestandige. 

13.  (9143.)  Das  alles  ist  mit  Sorgen  erfiillt.  Ich  habe 
es  dir  jetzt  mitgeteilt,  obwohl  es  nicht  auf  heiliger  Uber- 
lieferung  beruht  fandgatamj.  Nachdem  du  aber  die  ganze 
Bedeutung  der  Elemente  erfahren  hast,  mogest  du  von 
der  Herrschaft  der  Elemente  her  zur  Beruhigung  deiner 
Buddhi  gelangen. 

So  lautet  iin  Mokshadhariua  die  Frage  des  (j^'uka 
(Quha  •  anupra<pia). 


26^ 


404  III.   Mokshadharma. 

Adhyaya  '^57*  (B.  256). 

Vers  9144-9164  (B.  1-21). 

Yudhishthira  sprach  : 

1.  (9144.)  Siehe  diese  Erdeherren,  welche  auf  dem  Bodeii 
daliegen,  die  Grofsmachtigen ,  welche  im  Kampfgewiihl  das 
Bewufstsein  verloren  haben. 

2.  (9145.)  Obgleich  sie  Mann  fiir  Mann  von  furchtbarer 
Kraft  und  auch  noch  durch  die  Kraft  ihrer  Elefanten  ver- 
starkt  waren,  sind  sie  doch  im  Kampfe  niedergemacht  worden 
von  Mannern,  welche  ebenso  grofse  Energie  und  Starke  hatten. 

3.  (9146.)  Ich  sehe  ihn  nicht,  der  ihr  eigentlicher  Toter 
im  Kampfe  war.  Mit  Tapferkeit  waren  sie  begabt,  mit  Energie 
und  Starke  ausgeriistet, 

4.  (9147.)  und  nun  liegen  die  sehr  weisen  Helden  leblos 
da  und  auf  sie,  wie  sie  leblos  daliegen,  findet  der  Ausdruck 
Anwendung,  dafs  sie  tot  seien. 

5.  (9148.)  Denn  tot  sind  sie,  diese  Fiirsten,  die  doch  sonst 
eine  furchtbare  Tapferkeit  besafsen,  und  mich  erfafst  dabei 
ein  Zweifel,  woher  die  Bezeichnung  komme,  dafs  sie  tot  seien. 

6.  (9149.)  Was  am  Menschen  unterliegt  dem  Tode,  woher 
kommt  der  Tod  und  wie  kommt  es,  dafs  der  Tod  hienieden 
die  Menschen  wegrafft,  o  du  Gottahnlicher  ?  Erklare  mir 
das,  o  Grofsvater! 

Bhishma  sprach : 

7.  <9i50.)  Einstmals  im  Weltalter  Kritam,  o  Freund,  gab 
es  einen  Konig  mit  Namen  Akampana  (C.  Anukampaka),  der 
geriet  in  die  Gewalt  seiner  Feinde,  nachdem  im  Kampfe  sein 
Wagen  zerstort  worden  war. 

8.  (9151.)  Dieser  hatte  einen  Sohn  mit  Namen  Hari,  der 
dem  Narayana  (Vishnu)  auch  an  Kraft  ahnlich  war;  dieser 
wurde  mitsamt  seinem  Heere  und  seinem  Gefolge  im  Kampfe 
von  den  Feinden  getotet. 

9.  (9152.)   Da  geschah  es,  dafs  jener  von  den  Feinden  ge- 


*  Durch    eineu   Fehler   iu  der   Zahlung  ist   256  in  C   ubersprungen 
(vgl.  oben,  S.  318). 


Adhyaya  257  (B.  256).  405 

fangene  und  vom  Kummer  iiber  seinen  Sohn  erfiillte  Konig, 
nach  Beruhigung  verlangend,  zufallig  den  Narada  vor  sich 
auf  dem  Boden  stehen  sah. 

10.  (9153.)  Ihm  erzahlte  der  Konig  alles,  wie  es  sich  be- 
geben  hatte,  wie  er  im  Kampfe  von  den  Feinden  gefangen 
genommen  und  wie  sein  Sohn  getotet  worden  war. 

11.  (!>i54.)  Als  der  askesereiche  Narada  seine  Rede  an- 
gehort  hatte,  da  erzahlte  er  ihm,  um  den  Kummer  iiber  den 
Sohn  zu  verscheuchen,  folgende  Geschichte. 

Narada  sprach: 

12.  (9155.)  0  Konig,  vernimm  nun  folgende  ausfiihrhche 
Geschichte,  wie  sie  sich  begeben  hat  und  von  mir  gehort 
worden  ist,  o  Herr  der  Erde. 

13.  (9156.)  Als  der  machtige  Urvater  bei  der  Schopfung 
der  Kreaturen  die  Geschopfe  geschaffen  hatte,  da  wollte  er 
es  nicht  dulden,  dafs  die  Geschopfe  iibermafsig  wuchsen  und 
sich  mehrten. 

14.  (9157.)  Denn  durch  die  Geschopfe  wurde  nirgendwo 
ein  freier  Zwischenraum  gelassen,  o  UnerschiitterHcher,  und 
alle  drei  Wei  ten  waren  so  vollgepfropft ,  o  Konig,  dafs  man 
beinahe  nicht  atmen  konnte. 

15.  (9158.)  Da  richtete  sich  seine  Absicht  darauf,  sie 
wieder  zu  vernichten,  o  Konig,  und  indem  er  dariiber  nach- 
dachte,  fand  er  kein  geeignetes  Mittel ,  diese  Vernichtung  zu 
bewirken. 

16.  (9159.)  Da  brach  infolge  seines  Zornes  aus  seinen 
Korperoffnungen  Feuer  hervor,  o  Grofskonig;  damit  ver- 
brannte  der  Urvater  alle  Weltgegenden. 

17.  (9160.)  Da  wurde  der  Himmel,  die  Erde,  der  Zwischen- 
raum, sowie  die  Welt  der  Lebenden  mitsamt  Beweglichem 
und  Unbeweglichem  von  dem  Feuer  verbrannt,  welches  aus 
dem  Zorn  des  Heiligen  entsprungen  war. 

18.  (9161.)  Da  wurden  alle  Wesen,  die  gehenden  und 
stehenden,  verbrannt  durch  den  grofsen  Ansturm  des  Zornes, 
welchen  der  Urvater  hegte. 

19.  (916-2.)  Da  geschah  es,  dafs  [der  bei  seinen  asketischen 
Ubungen]  baumstammahnliche,  die  Opferlocke  tragende  Herr 


406  ni.    Mokshadharma. 

der  Vedaopfer,   Gott  Qiva,   den  Gott  Brahman  um  Hilfe   an- 
ging,  er,  der  Toter  der  feindlichen  Helden. 

20.  (9163.)  Als  dieser  Baumstammahnliche  aus  Wohlwollen 
fur  die  Kreaturen  sich  genaht  hatte,  da  sprach  der  hochste 
Gott  gleichsam  lodernd  zu  ^iva: 

21.  (9164.)  Welche  Gunst  soil  ich  dir  heute  erweisen? 
Du  bist  von  mir  einer  Gnadengabe  fur  wiirdig  erachtet,  denn 
ich  will  den  Wunsch  erfiillen,  welchen  du,  o  Heilbringer,  im 
Herzen  hegst. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  TJnterredung  zwischen  Mrityu  und  Prajapati 
(Mfitiju  -  Prajapati  -  sanwdda). 


Adhyaya  358  (B.  257). 

Vers  9165-9186  (B.  1-22). 

Der  Baumstammahnliche  sprach : 

1  (^9165.)  Um  die  Schopfung  der  Geschopfe  handelt  es 
sich  bei  meinem  Anliegen,  das  wisse,  o  Herr;  sie  sind  doch 
von  dir  geschaffen  worden,  so  ziirne  ihnen  denn  auch  nicht, 
o  Urvater. 

2.  (9166.)  Durch  das  Feuer  deiner  Energie,  o  Gott,  werden 
die  Geschopfe  alien thalben  verbrannt;  ihr  Anblick  erweckte 
mein  Mitleid,  so  ziirne  denn  auch  du  ihnen  nicht,  o  Herr 
der  Welt. 

^  Prajapati  (der  Herr  der  Welt)  sprach: 

3.  (9167.)  Ich  ziirne  nicht  und  mein  Verlangen  ist  nicht 
darauf  gerichtet,  dafs  die  Geschopfe  nicht  bestehen  soUen, 
aber  um  die  Last  der  Erde  zu  erleichtern,  ist  ihre  Vernichtung 
erwiinscht. 

4.  (9168.)  Denn  diese  Erdgottin  hat  mich,  da  sie  durch 
ihre  Last  gequalt  wurde,  dazu  angetrieben,  die  Geschopfe  zu 
vernichten,  o  Mahadeva,  denn  schon  beginnt  sie,  wegen  ihrer 
Last  im  Wasser  zu  versinken. 

5.  (9169.)  Als  ich  mit  meinem  Verstande  trotz  vielfachen 
Uberlegens   nicht  herausbringen  konnte,   wie   sie,    nachdem 


Adhyaya  258  (B.  257).  407 

sie  so  gewachsen  sind,  vernichtet  werden  konnen,   da  iiber- 
kam  mich  der  Zorn. 

Der  Baumstammahnliche  sprach: 

6.  (9170.)  Wegen  ihrer  Vernichtung  beruhige  dich  und 
ziirne  nicht,  o  Herr  der  Gotter,  damit  [dein  Ziirnen]  nicht 
die  Geschopfe  und  mit  ihnen  alles  Bewegliche  und  Unbeweg- 
liche  vernichte  fmd  vyaninagatlj, 

7.  (9171.)  nebst  alien  Gewassern  und  alien  Grasern  und 
Strauchern,  dem  Beweglichen  und  dem  Unbeweglichen  und 
der  vierfachen  Schar  der  Wesen. 

8.  (9172.)  Darum,  bevor  alles  dies  zu  Asche  geworden 
und  die  ganze  Welt  der  Lebenden  zugrunde  gegangen  ist, 
sei  gnadig,  du  Heiliger,  du  Guter,  das  ist  die  Gunst,  die  ich 
mir  erbitte. 

9.  (9173.)  Werden  erst  diese  Geschopfe  vernichtet  worden 
sein,  so  konnen  sie  in  keiner  Weise  wieder  hervorkommen, 
darum  moge  dieses  ungeschehen  bleiben  vermoge  der  dir 
eigenen  Machtvollkommenheit. 

10.  (9174.)  Ersinne  ein  anderes  Mittel  aus  Wohlwollen 
gegen  die  Wesen,  so  dafs  alle  diese  Geschopfe  nicht  zu  ver- 
brennen  brauchen,  o  Urvater, 

11.  (9175.)  damit  die  Geschopfe  nicht  zugleich  mit  Aus- 
rottung  ihrer  Nachkommenschaft  der  Vernichtung  anheim- 
fallen.  Ich  bin  ja  von  dir,  o  Herr  der  Gotter,  mit  der  gott- 
lichen  Fiirsorge  betraut  worden. 

12.  (9176.)  Aus  dir  ist  ja,  o  Weltenherr,  alles  dieses  Be- 
wegliche und  Unbewegliche  entsprungen;  indem  ich  dich 
besanftige,  o  grofser  Gott,  erbitte  ich  von  dir,  dafs  die  Ge- 
schopfe wiederkehren  konnen. 

Narada  sprach : 

13.  (9177.)  Als  der  Gott  dieses  Wort  des  Baumstamm- 
gleichen  gehort  hatte,  ziigelte  er  Rede  und  Gedanken  und 
zog  jene  Glut  wieder  in  sein  inneres  Selbst  zuriick. 

14.  (9178.)  Nachdem  nun  der  von  den  Welten  verehrte 
Heilige  das  Feuer  in  sich  zuriickgezogen  hatte,  ordnete  er, 
der  Herr,  das  Entstehen  und  Vergehen  der  Wesen. 


408  iii-    Mokshadharma. 

15.  (9179.)  Indem  er  nun  jenes  durch  seinen  Zorn  ent- 
standene  Feuer  in  sich  zuriickzog,  kam  aus  alien  Korper- 
offnungen  des  Hochsinnigen  ein  Weib  hervor, 

16.  (9180.)  bekleidet  mit  schwarz  und  rotem  Gewande, 
mit  schwarzen  Augen  und  schwarzen  inneren  Handflachen, 
mit  gottlichen  Ohrringen  ausgestattet  und  mit  himmlischem 
Schmuck  geziert. 

17.  (9181.)  Nachdem  diese  aus  seinen  Korperoffnungen 
hervorgegangen  war,  wandte  sie  sich  der  siidlichen  Himmels- 
gegend  zu,  und  beide  gottlichen  Beherrscher  des  Weltalls 
schauten  das  Madchen. 

18.  (9182.)  Da  rief  sie  der  gottliche  Schopfer  und  Herr 
der  Welt  heran,  o  Fiirst,  und  sprach  zu  ihr :  0  Mrityu  (Tod), 
tote  diese  Geschopfe! 

19.  (9183.)  Denn  du  bist  durch  mein  Denken  an  die  Ver- 
nichtung  und  durch  mein  Ziirnen  erdacht  worden,  darum  ver- 
nichte  du  alle  Geschopfe,  die  unbeseelten  und  die  beseelten. 

20.  (9184.)  Alle  Geschopfe  ohne  Unterschied  raffe  bin,  du 
Holde,  denn  durch  Erfiillung  dieses  meines  Auftrags  wirst 
du  das  hochste  Gliick  erlangen. 

21.  (9185.)  So  angesprochen,  sann  die  lotosbekranzte  Gottin 
Mrityu  dem  nach,  die  Jungfrau,  von  Schmerz  erfiillt  und  unter 
einem  Strom  von  Tranen. 

22.  (9186.)  Ihre  Tranen  hemmte  sie  mit  beiden  Handen, 
o  Volkerfiirst,  und  sprach  aus  Wohlwollen  fiir  die  Menschen 
weiterhin  eine  Bitte  aus. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Mrityu  und  I'rajapati 
(Mrityu  -  Prajdpati-  samvdda). 


Adhyaya  259  (B.  358). 

Vers  9187-9228  (B.  1-42). 

N§,rada  sprach: 

1.  (9187.)  Indem  die  langaugige  Jungfrau  ihren  Schmerz 
durch  sich  selbst  ziigelte,  sprach  sie  mit  zusammengelegten 
Handen  und  vorgeneigtem  Korper  zu  jenem: 


Adhyaya  259  (B.  258).  409 

2.  (9188.)  Wie  kann  ein  von  dir,  o  Bester  der  Redenden, 
geschaffenes  Weib  wie  ich  zu  einem  so  grausamen  Werke 
geboren  worden  sein,  durch  welches  sie  allem  Lebenden  Furcht 
einflofst? 

3.  (9189.)  Ich  fiirchte  mich  vor  dem  Unrecht,  weise  mir 
ein  gerechtes  Werk  an.  Nimm  Riicksicht  auf  mein  Fiirchten, 
siehe  mich  mit  gnadigem  Bhcke  an. 

4.  (9190.)  Ich  will  nicht  Kinder,  Greise  und  in  der  Voll- 
kraft  Stehende,  will  nicht  unschuldige  Lebende  hinwegraffen, 
o  Herr  der  Lebenden,  Verehrung  sei  dir,  sei  mir  gnadig! 

5.  (9191.)  Nicht  wegraffen  will  ich  liebe  Sohne,  bliihende 
Briider,  Mutter  und  Vater.  Sie  werden  mich  verwiinschen, 
wenn  sie  so  gestorben  sind,  ich  fiirchte  mich  vor  ihnen, 

6.  (9192.)  Ihre  Benetzung  durch  Tranen  des  Jammers  wird 
mich  ewige  Jahre  durch  brennen;  ich  fiirchte  mich  gewaltig 
vor  ihnen,  zu  dir  nehme  ich  meine  Zuflucht. 

7.  (9193.)  Nur  Ubeltater,  o  Gott,  werden  hinabgestiirzt  in 
die  Behausung  des  Yama.  Ich  bitte  dich  um  Gnade,  o  Gaben- 
verleiher,  erweise  mir  deine  Gunst,  o  Herr. 

8.  (9194.)  Das  ist  der  Wunsch,  den  ich  von  dir  erbitte, 
o  Urvater  der  Welt,  ich  will  gern,  um  dich  zu  begiitigen, 
Askese  iiben,  o  grofser  Gott. 

♦        Der  Urvater  sprach: 

9.  (9195.)  0  Mrityu,  du  bist  von  mir  geschaffen  worden, 
um  die  Geschopfe  wegzuraffen.  Gehe  hin  und  raffe  alle  Ge- 
schopfe  weg,  besinne  dich  nicht. 

10.  (9l96.)  Es  mufs  notwendig  so  geschehen  und  kann 
nicht  anders  sein;  fiihre  mein  Wort  aus,  o  Schongliedrige, 
wie  ich  es  gesprochen  habe,  o  Untadelige. 

11.  (9197.)  Nachdem,  o  Grofsarmiger ,  die  Mrityu  diese 
Antwort  vernommen  hatte,  o  Eroberer  feindlicher  Burgen, 
gab  sie  keine  Antwort,  sondern  stand  gebeugt  und  zu  dem 
Heiligen  emporblickend  da. 

12.  (9198.)  Wieder  und  wieder  wurde  die  Glanzvolle  auf- 
gefordert,  einer  Geistesabwesenden  gleichend.  Da  schwieg 
der  Gott,  welcher  Herr  ist  iiber  die  Gotterherren. 

13.  (9199.)   Und  er,   der  Gott  Brahman,  besanftigte  sich 


410  in.    Mokshadharma. 

durch  sich  selbst  und  lachelnd  blickte  er,  der  Herr  der  Welten, 
auf  alle  Welten  herab. 

14.  (9200.)  Als  der  Zorn  des  Heiligen,  Uniiberwindlichen 
verraucht  war,  da  ging  die  Jungfrau  weg  von  ihm,  so  ist  es 
uns  iiberliefert. 

15.  (9201.)  Und  weggehend,  ohne  der  Vernichtung  der 
Geschopfe  zugestimmt  zu  haben,  gelangte  eilig,  o  Fiirst  der 
Konige,  die  Mrityu  nach  Dhenukam  [einem  heiligen  Bade- 
platz  Nil.]. 

16.  (9202.)  Dort  iibte  die  Gottin  gewaltige,  schwer  zu  voll- 
bringende  Askese,  denn  sie  stand  fiinfzehntausend  Millionen 
Jahre  auf  einem  Fufse. 

17.  (9203.)  Zu  ihr,  welche  dort  in  dieser  Weise  gewaltige, 
schwer  zu  vollbringende  Askese  iibte,  sprach  wiederum  der 
grofsmachtige  Gott  Brahman  das  folgende  Wort: 

18.  (9204.)  Fiihre  meinen  Befehl  aus,  o  Mrityu!  —  Sie 
aber  beachtete  das  Wort  nicht  und  stand  flugs  noch  einmal 
weitere  sieben 

19.  (9205.)  und  sechs  und  fiinf  und  zwei  Tausende  von 
Millionen  Jahren  auf  einem  Fufse,  o  Ehrenspender,  und  lebte 
dann  noch  weitere  zehntausend  mal  tausend  Millionen  mit 
den  Tieren  des  Waldes  zusammen,  o  Freund. 

20.  (9206.)  Und  nachdem  sie  sodann,  o  Bester  der  Manner, 
noch  zwei  Myriaden  Jahre  nur  vom  Wind  sich  genahrt  hatte, 
o  Hochweiser,  so  beobachtete  sie  dann  weiter  das  tiefste 
Schweigen, 

21.  (9207.)  wahrend  sie  siebentausend  und  tausend  Jahre 
im  Wasser  stand,  o  Erdeherr.  Dann  ging  die  Jungfrau  zum 
Flusse  Kaugiki,  o  Bester  der  Fiirsten. 

22.  (9208.)  Dort  lebte  sie,  von  Wind  und  Wasser  sich 
nahrend,  noch  weiter  in  Selbstbezahmung.  Darauf  ging  die 
Vortreffliche  nur  noch  zur  Gaiiga  und  zum  Berga  Meru. 

23.  (9209.)  Dann  stand  sie  aus  Wohlwollen  fiir  die  Ge- 
schopfe unbeweglich  wie  ein  Stiick  Holz  auf  dem  Gipfel  des 
Himalaya,  wo  die  Gotter  gemeinschaftlich  geopfert  haben, 

24.  (9210.)  auf  einer  Fufszehe,  o  Fiirst  der  Konige,  noch- 
mals  wieder  hunderttausend  Millionen  Jahre.  So  stand  sie 
da  und  erfreute  durch  ihre  Bemiihung  den  Urvater. 


Adhyaya  259  (B.  258).  411 

25.  (9-211.)  Da  sprach  zu  ihr  er,  der  Ursprung  und  Ver- 
gang  der  Welt  ist:  Was  soil  das  heifsen,  o  Tochter,  erfiille 
doch  den  Befehl,  den  ich  dir  gegeben  habe. 

26.  (9212.)  Da  sprach  die  Mrityu  zu  dem  heiligen  Urvater : 
Ich  mag  die  Geschopfe  nicht  wegraffen,  ich  bitte  dich  noch- 
mals  um  Gnade. 

27.  (9213.)  Zu  ihr,  welche  sich  fiirchtete,  Unrecht  zu  tun, 
und  ihn  nochmals  anflehte,  sprach  wiederum  der  Gott  der 
Gotter,  ihr  Einhalt  gebietend,  dieses  Wort: 

28.  (9214.)  Du  begehst  damit  kein  Unrecht,  o  Mrityu, 
bringe  diese  Kreaturen  in  deine  Gewalt,  o  Schone,  denn  was 
ich  einmal  gesagt  habe,  o  Holde,  das  darf  nimmermehr  un- 
wahr  werden. 

29.  (9215.)  Als  ewige  Verpflichtung  wird  es  dir  hier  auf- 
erlegt ;  ich  und  die  Gotter  werden  uns  immer  an  deinem  Wohl- 
sein  erfreuen. 

30.  (9216.)  Ich  erfiille  diesen  und  jeden  andern  Wunsch, 
den  du  im  Herzen  hegst;  die  Geschopfe  sollen  nicht  durch 
deine  Schuld,  sondern  von  Krankheit  befallen  zu  dir  kommen. 

31.  (9217.)  Fiir  die  Manner  sollst  du  ihrer  Natur  ent- 
sprechend  ein  Mann  sein,  bei  Frauen  sollst  du  die  Gestalt 
einer  Frau  annehmen  und  bei  den  iibrigen  wirst  du  sach- 
lichen  Geschlechts  sein. 

32.  (9218.)  Nachdem  sie  so  angeredet  war,  o  grofser  Konig, 
da  sprach  sie  mit  zusammengelegten  Handen  abermals  zu  dem 
hochherzigen,  ewigen  Herrn  der  Gotter:  Es  kann  nicht  sein. 

33.  (9219.)  Da  sprach  der  Gott  zu  ihr:  0  Mrityu,  raffe 
die  Menschen  weg.  Es  soil  dir  nicht  als  Unrecht  angerechnet 
werden,  so  werde  ich  es  auffassen,  o  Schone. 

34.  (9220.)  Die  Tranentropfen,  die  ich  dir  ehedem  her- 
vorbrechen  sah  und  die  du  mit  deinen  Handen  zuriick- 
hieltest,  die  sollen  als  furchtbare  Krankheiten  den  Men- 
schen, wenn  ihr  Ende  herannaht,  ein  Ende  bereiten. 

35.  (9221.)  Bei  alien  lebenden  Wesen,  wenn  es  mit 
ihnen  zu  Ende  geht,  sollst  du  Begierde  und  Zorn  im 
Verein  gegen  sie  entfesseln.  So  wirst  du  unermefslicher 
Gerechtigkeit  teilhaftig  sein  und  bei  solchem  Verfahren 
kein  Unrecht  veriiben. 


412  in.    Mokshadharma. 

36.  (9222.)  In  dieser  Weise  wirst  du  die  Gerechtigkeit 
wahren  und  wirst  dich  nicht  in  Ungerechtigkeit  stiirzen. 
Darum  heifse  die  Begierde  willkommen,  wenn  sie  sich 
dir  naht,  verbinde  dich  mit  ihr  und  raffe  die  Ge- 
schopfe  weg. 

37.  (9223.)  Da  sprach  die  Mrityu  Genannte,  welche  sich 
vor  dem  Befehl  wegen  des  darauf  lastenden  Fluches  ge- 
fiirchtet  hatte,  zu  ihm :  Nun  wohl,  es  sei !  —  Daher  kommt 
es,  dafs  sie  das  Leben  der  Lebendigen,  nachdem  sie  die- 
selben  mittels  Begierde  und  Zorn  verblendet  hat,  ver- 
nichtet. 

38.  (9224.)  Tranenstrome  der  Mrityu  sind  sie,  diese 
Krankheiten,  durch  welche  der  Leib  der  Sterblichen  ge- 
brochen  wird;  darum  sollst  du  beim  Lebensende  aller 
Lebenden  keinem  Kummer  Raum  geben,  mit  Uberlegung 
es  iiberlegend. 

39.  (9225.)  AUe  Seelen  der  lebenden  Wesen  gehen  weg 
am  Ende  des  Lebens,  kehren  wieder  und  verschwinden 
aufs  neue  [Nil.  denkt  an  Schlaf  und  Wachen,  wohl  mit 
Unrecht];  so  miissen  auch  alle  Menschen  so  gut  wie 
die  Gotter  [als  Schutzgottheiten  der  Organe]  am  Ende 
des  Lebens  weggehen  und  wiederkehren ,  o  Lowe  unter 
den  Konigen. 

40.  (9226.)  Furchtbar  mit  furchtbarem  Sausen  und  ge- 
waltiger  Kraft  fahrt  Vkju  [der  Windgott]  dahin,  und 
er,  als  der  Lebenshauch  in  alien  lebenden  Wesen,  fiihrt 
sie  bei  der  Trennung  der  Seelen  von  ihrem  Leibe  auf 
verschiedenen  Wegen,  darum  gilt  Vayu  als  Gott  iiber 
den  Gottern  [den  Schutzgottheiten  der  Organe]. 

4L  (9227.)  Alle  Gotter  tragen  das  Merkmal  der  Sterb- 
lichkeit  an  sich,  alle  Sterblichen  tragen  das  Merkmal 
der  Gottlichkeit  an  sich,  darum,  o  Lowe  unter  den  Konigen, 
beklage  deinen  Sohn  nicht,  dein  Sohn  ist  zum  Himmel 
gelangt  und  freut  sich  dort. 

42.  (9228.)  So  ist  es  denn  wahr,  dafs  die  Mrityu,  von 
den  Gottern  geschaffen,  wenn  die  Zeit  der  Lebenden  ge- 
kommen  ist,    sie  dahinrafft,    wie    es    sich  gebiihrt;    die 


Adhyaya  259  (B.  258).  413 

Krankheiten,  jene  von  ihr  vergossenen   Tranen,   raffeu 
die  Wesen  hienieden  dahin,  vrenn  ihre  Zeit  gekommen  ist. 

So  lautet  im  Mokshadbarma  die  Unterredung  z-wiscben  Mrityu  und  Fraj&pati 
(itrityu  -Prajdpati-  samvdda). 


Adhyaya  '^60  (B.  *^59). 

Vers  9229-9256  (B.  1-27). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (9229.)  Alle  die  Menschen  sind  in  betreff  der  Pflicht 
in  Ungewifsheit ;  was  ist  die  Pflicht,  woher  stammt  die  Pflicht  ? 
Das,  o  Grofsvater,  sage  mir. 

2.  (9'230.)  Ist  die  Pflicht  nur  fiir  das  Diesseits  Zweck  oder 
auch  fiir  das  Jenseits,  oder  ist  sie  Zweck  fiir  beide?  Das, 
o  Grofsvater,  sage  mir. 

Bhishma  sprach: 

3.  (9231.)  Gute  Sitte,  RechtsiiberHeferung  und  Vedaglaube 
ist  das  dreifache  Kennzeichen  der  Pflicht;  als  viertes  Kenn- 
zeichen  der  Pflicht  gilt  bei  den  Weisen  der  gewollte  Zweck. 

4.  (9232.)  Auch  haben  sie  die  von  ihnen  verkiindigten 
Pflichten  eingeteilt  in  hohere  und  niedere.  Damit  die  Welt 
hienieden  ihren  richtigen  Gang  gehe,  ist  die  Auferlegung  der 
Pflicht  erfolgt. 

5.  (9233.)  Aber  das  Resultat  der  Pflicht  ist  beide  Male 
Gliick,  sowohl  hienieden  als  auch  im  Jenseits,  wahrend  der- 
jenige,  welcher  die  genaue  und  richtige  Pflicht  sich  nicht 
zu  eigen  macht,  als  Ubeltater  mit  Ubel  behaftet  sein  wird. 

6.  (9234.)  Und  auch  wenn  sie  ins  Ungliick  geraten,  werden 
die  Ubeltater  dadurch  nicht  von  ihrem  Ubel  frei.  Wer  aber 
nichts  Ubles  redet,  der  steht  dem  gleich,  welcher  die  Pflicht 
erfiillt.  (9235.)  Der  tragende  Grund  der  Pflicht  ist  ein  guter 
Wandel,  dessen  dich  befleifsigend  wirst  du  erkennen,  was 
Pflicht  ist. 

7.  Von  Ungerechtigkeit  erfiillt,  bemachtigt  sich  der  Rauber 
des  Gutes ;  (9236.)  und  indem  der  Dieb  fremdes  Gut  raubt,  freut 
er  sich  einer  bestehenden  Anarchic. 


414  in.    Mokshadliarma. 

8.  Wenn  aber  andere  ihn  berauben  wollen,  dann  ver- 
langt  er  nach  einem  Konige  (!»237.)  und  beneidet  diejenigen, 
welche  sich  ruhig  ihres  Besitzes  erfreuen. 

9.  Wer  hingegen  rein  ist,  der  naht  sich  [jederzeit]  ohne 
Furcht  und  Bedenken  der  Pforte  des  Konigs,  (9238.)  denn  er 
ist  sich  in  seinem  Herzen  keiner  Ubeltat  bewufst. 

10.  Die  Rede  der  Wahrheit  ist  gut,  es  gibt  nichts  Hoheres 
als  die  Wahrheit.  (9239.)  Durch  die  Wahrheit  wird  alles  aus- 
einandergehalten,  auf  die  Wahrheit  ist  alles  gegriindet. 

11.  Auch  schreckhche  Bosewichter  halten  unter  beson- 
deren  Umstanden  zur  Wahrheit  (9240.)  und,  auf  sie  sich  stiitzend, 
bewahren  sie  [unter  sich]  Treue  und  Eintracht. 

12.  Wiirden  sie  in  ihre  Vereinigung  Zwiespalt  tragen, 
so  miifsten  sie  ohne  Zweifel  zugrunde  gehen.  (9241.)  Aber 
es  ist  ein  ewiges  Gesetz,  dafs  man  fremdes  Gut  nicht 
rauben  darf. 

13.  Die  Starken  freilich  halten  es  fiir  ein  Gesetz,  welches 
von  den  Schwachen  aufgestellt  sei.  (9242.)  Wenn  aber  auch 
sie  durch  das  Verhangnis  in  Schwache  geraten,  dann  leuchtet 
auch  ihnen  das  Gesetz  ein. 

14.  Denn  sie  bleiben  nicht  ewig  stark  und  gliicklich, 
(9243.)  darum  sollst  du  deinen  Sinn  niemals  auf  Ungeradheit 
richten. 

15.  Ein  solcher  braucht  sich  nicht  vor  dem  Bosen  zu 
fiirchten,  nicht  vor  Dieben  und  nicht  vor  dem  Konig; 
(9244.)  keinem  irgend  etwas  tuend,  wird  er  ohne  Furcht  und 
rein  leben. 

16.  Der  Dieb  fiirchtet  sich  nach  alien  Seiten  hin,  wie 
eine  Gazelle,  die  in  ein  Dorf  geraten  ist,  (9245.)  das  vielfach 
von  ihm  veriibte  Bose  erwartet  er  auch  von  den  anderen. 

17.  Der  Reine  hingegen  geht  frohlich  dahin,  allezeit  ohne 
Furcht  irgendwoher,  (9246.)  denn  er  hat  nichts  Boses  getan, 
dessen  er  sich  auch  bei  anderen  zu  versehen  hatte. 

18.  Man  soil  freigebig  sein,  diese  Forderung  ist  auf- 
gestellt worden  von  solchen,  die  sich  am  Wohlsein  der  Ge- 
schopfe  freuten,  (0247.)  aber  die  Reichen  glauben,  dafs  dieses 
Gesetz  von  den  Bediirftigen  aufgebracht  worden  sei. 


Adhyaya  260  (B.  259).  415 

19.  Wenn  aber  audi  sie  durch  das  Verhangnis  in  Diirftig- 
keit  geraten,  dann  leuchtet  auch  ihnen  das  Gesetz  ein, 
(9248.)  denn  sie  bleiben  nicht  ewig  reich  und  gliicklich. 

20.  Was  ein  Mensch  sich  nicht  von  anderen  angetan 
wiinscht,  (9249.)  das  fiige  er  auch  nicht  anderen  zu,  da  er  an 
sich  selbst  ferfaliren  hat,  was  unangenehm  ist. 

21.  Wer  mit  eines  andern  Weib  buhlt,  wie  kann  der 
irgend  jemandem  Vorwiirfe  machen,  (9250.)  aber  ich  denke, 
was  er  dem  andern  an  tut,  das  wiirde  er  sich  nicht  von  ihm 
gefallen  lassen, 

22.  ^Ver  selbst  das  Leben  liebt,  wie  mag  der  einen  an- 
dern ermorden !  (9251.)  Was  er  fiir  sich  selbst  wiinscht,  dafiir 
sorge  er  auch  bei  den  anderen. 

23.  An  der  iibermafsigen  Fiille  soil  man  andere,  die  nichts 
besitzen,  teilnehmen  lassen;  (9252.)  wer  aus  diesen  Griinden 
sein  Geld  anlegt,  dem  kommt  es  mit  Wucher  heim. 

24.  Zu  der  Zeit,  wo  er  des  Beistandes  der  Gotter  noch 
bedarf,  moge  er  sich  so  verhalten,  (9253.)  aber  auch  zur  Zeit, 
wo  er  erlangt  hat,  was  er  wiinscht,  steht  es  ihm  wohl  an, 
in  der  Pflicht  zu  verharren. 

25.  Alle  Pflicht  wird  erfiillt  durch  Wohltun,  so  lehren 
die  Weisen,  (9254.)  beach te,  0  Yudhishthira ,  dieses  als  den 
Nachweis  des  Merkmals  fiir  Gutes  und  Boses. 

26.  Das  Bestehen  der  Welt  zu  befordern,  ist  vordem  vom 
Schopfer  verordnet  worden  (9255.)  der  vollkommene,  durch 
feine  Gesetze  und  Zwecke  geregelte  Wandel  der  Guten. 

27.  Dieses  ist  dir  als  Kennzeichen  der  Pflicht  erklart 
worden,  o  Bester  der  Kuru's,  (9256.)  darum  sollst  du  deinen 
Sinn  niemals  auf  Uno-eradheit  richten. 


So  laiitet  im  Mokshadharma  das  Kennzeichen  der  I'flicht 

(dharrna  -  lakshanam). 


416  HI.    Mokshadharma. 

Adhyaya  261  (B.  260). 

Vers  9257-9276  (B.  1-20). 

Yudhishthira  si)rach : 

1.  (9257.)  Subtil  und  von  guten  Menschen  erwiesen  ist 
die  im  heiligen  Schriftwort  gelehrte  Pflicht.  Es  fallt  mir  aber 
dabei  etwas  ein,  was  auf  Argumentation  beruht,  das  mochte 
ich  aussprechen. 

2.  (9258.)  Die  meisten  Fragen,  die  ich  auf  dem  Herzen 
hatte,  die  hast  du  mir  gelost;  ich  mufs  aber  hier  noch  etwas 
wei teres  vorbringen,  nicht  aus  blofser  Lust  am  Disputieren, 
o  Konig. 

3.  (9259.)  Diese  [Elemente]  erhalten  unser  Leben  und 
schaffen  es  und  lassen  es  entfliehen;  was  recht  ist,  das  lafst 
sich  nicht  so  summarisch  ausmachen. 

4.  (9260.)  Anders  ist  die  Pflicht  fiir  den,  dem  es  gut  geht, 
und  anders  fiir  den,  dem  es  schlecht  geht;  wie  kann  man 
alle  schhmmen  Eventuahtaten  so  summarisch  voraussehen. 

5.  (9261.)  Der  Wandel  der  Guten  gilt  als  Gesetz,  wer  aber 
gut  ist,  dariiber  entscheidet  wieder  der  Wandel;  wie  kann 
man  also  wissen,  was  zu  tun  und  zu  lassen  ist,  da  der  Wandel 
der  Guten  kein  sicheres  Merkmal  bietet? 

6.  (9262.)  Aus  dem,  was  recht  ist,  wird  erkannt,  dafs  der 
schlechte  Mensch  Unrecht  tut,  und  aus  dem,  was  Unrecht 
ist,  wild  erkannt,  dafs  der  edle  Mensch  recht  tut. 

7.  (9263.)  Ferner:  die  Autoritat  des  Gesetzes  beruht  auf 
dem,  was  die  Kenner  des  Veda  aus  ihm  vorbringen,  aber  die 
Worte  des  Veda  schwinden  im  Verlaufe  der  Weltalter,  wie 
die  Schrift  selbst  uns  lehrt. 

8.  (9264.)  Anders  sind  die  Satzungen  im  Weltalter  Kritam 
und  anders  in  dem  der  Treta  und  des  Dvapara,  und  wieder 
anders  sind  die  Satzungen  im  Weltalter  Kali,  indem  sie  nur 
nach  der  jeweiligen  Leistungskraft  erfiillt  werden  konnen. 

9.  (926B.)  Das  Wort  der  heiligen  Uberlieferung  ist  die 
Wahrheit,  das  ist  die  allgemeine  Ansicht;  und  aus  der  hei- 
ligen Uberlieferung  hervorgehend,  haben  sich  die  Veden  nach 
alien  Seiten  verbreitet. 


Adhyaya  261  (B.  260).  417 

10.  (9266.)  Waren  sie  nun  die  einzige  Autoritat  fiir  alles, 
so  ware  eine  unbedingte  Autoritat  auf  der  Welt  vorhanden. 
Aber  wenn  diese  Autoritat  nun  in  Widerspruch  steht  mit 
dem,  was  nicht  unbedingte  Autoritat  ist  [z.  B.  der  Smriti], 
wo  bleibt  dann  ihr  kanonisches  Ansehen? 

11.  (9267.)  Wenn  irgendeine  rituelle  Pflicht  ausgefiihrt 
wird  und  dabei  machtige  Ubelwollende  irgend  etwas  an  dem 
Schema  modifizieren,  so  ist  damit  auch  das  Ganze  nichtig 
geworden. 

12.  (9268.)  Wir  wissen  eine  Sache  oder  wir  wissen  sie 
nicht,  es  ist  moglich  sie  zu  wissen  oder  es  ist  nicht  mog- 
lich,  mag  sie  feiner  als  die  Schneide  eines  Schermessers 
oder  mag  sie  massiger  als  ein  Gebirge  sein. 

13.  (9269.)  Aber  sie  [die  Pflicht]  hat  zuerst  das  Aussehen 
einer  Fata  Morgana,  und  wenn  sie  von  den  Weisen  naher 
gepriift  wird,  so  verschwindet  sie  wieder  ins  Nichts. 

14.  (9270.)  Wie  Trinkgruben  fiir  die  Kiihe  oder  ein  auf 
das  Feld  geleitetes  Bachlein  [mit  C.  kuli/eva],  o  Bharata 
[schnell  austrocknen] ,  so  schwindet,  wie  die  Uberlieferung 
lehrt,  das  ewige  Gesetz  hin  und  wird  nicht  mehr  gesehen. 

15.  (9271.)  Auch  kommt  es  vor,  dafs  aus  Begierde  oder 
Verlangen  nach  Veranderung  oder  aus  anderen  Ursachen 
viele  andere  Menschen,  obwohl  sie  nicht  rechtschaffen  sind, 
sich  ihres  lockern  Lebenswandels  [ungestraft]  freuen. 

16.  (9272.)  Oder  ihnen  gilt  die  Pflicht  als  ein  billiges  Ge- 
rede  bei  den  Guten  oder  sie  erklaren  dieselben  fiir  verriickt 
oder  lachen  sie  auch  aus. 

17.  (9273.)  Und  auch  hochsinnige  Menschen  wenden  sich 
von  der  Pflicht  ab  und  erkennen  nur  noch  das  Staatsgesetz 
an;  es  gibt  eben  keinen  Lebenswandel,  der  fiir  alle  verbind- 
lich  ware. 

18.  (9274.)  Durch  seinen  Lebenswandel  kommt  der  eine 
in  die  Hohe  und  bringt  dadurch  einen  andern  herunter,  und 
dieser,  je  nachdem  es  sich  trifft,  zeigt  sich  wiederum  ahnlich 
[als  Unterdriicker  anderer]. 

19.  (9275.)  Derselbe  Wandel,  durch  den  der  eine  in  die  Hohe 
kommt,  bringt  dadurch  andere  herunter;  man  sieht  daran,  dafs 
nicht  alle  Lebensfiihrungen  auf  dasselbe  Ziel  hinstreben. 

Deubsen,  Mah&bh&ratam.  27 


418  ni.   Moksliadharma. 

20.  (9276.)  Vor  Zeiten  wurde  ein  von  langher  liberkommener 
Wandel  fiir  die  Pflicht  erklart,  und  nun  ist  sie  durch  jenen 
friihern  Wandel  zu  einer  ewigen  Norm  geworden. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Angriff  auf  die  Autoritat  der  Pflicht 
(dharma  - prdmdnya  -  dkshepa). 


Adhyaya  26'^  (B.  361). 

Vers  9277-9328  (B.  1-51). 

Bhishma  sprach: 

1.  (9277.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Unterredung  des  Tuladhara  mit  dem 
Jajali  liber  die  Pflicht. 

2.  (9278.)  Ein  gewisser  Brahmane  mit  Namen  Jajali,  der 
im  Walde  als  Waldbewohner  lebte,  wandte  sich  zum  Meere 
hin  und  iibte  als  grofser  Asket  daselbst  Askese, 

3.  (9279.)  indem  er  als  ein  weiser  Einsiedler  lange  Keihen 
von  Jahren  hindurch  sich  kasteite,  seine  Nahrung  einschrankte, 
Lumpengewand,  Antilopenfell  und  Haarschopf  trug  und  sich 
mit  Schmutz  und  Schlamm  bestrich. 

4.  (9280.)  Einstmals  geschah  es,  dafs  dieser  gewaltige 
Brahmanenweise,  wahrend  er  [mit  seinem  Leibe]  im  Wasser 
weilte,  o  Fiirst,  schnell  wie  der  Gedanke  [durch  Yogakraft] 
die  Welten  schauend  durcheilte. 

5.  (9281.)  Da  bedachte  dieser  Muni,  wahrend  er  im  Wasser 
weilte  und  auf  die  meerumgiirtete  Erde  mit  ihren  Waldern 
und  Hainen  hinblickte: 

6.  (9282.)  Es  gibt  doch  in  dieser  ganzen  Welt  des  Be- 
weglichen  und  Unbeweglichen  keinen,  der  mir  gleichkame, 
der  zugleich  mit  mir  im  Wasser  weilend  den  Luftraum  durch- 
messen  konnte. 

7.  (9283.)  Wahrend  er  im  Wasser  und  von  den  Rakshas 
ungesehen  so  redete,  sprachen  die  Pigaca's  zu  ihm:  Es  ge- 
ziemt  dir  nicht  also  zu  reden. 

8.  (9284.)  Selbst  der  hochberiihmte  Tuladhara,  seines 
Zeichens  ein  Kaufmann,  der  in  Benares  wohnt,  selbst  dieser 
darf  nicht  so  sprechen  wie  du,  o  Bester  der  Zwiegeborenen. 


Adhyaya  262  (B.  2B1).  419 

9.  (9285.)  So  von  den  Kobolden  angeredet,  erwiderte  der 
askesereiche  Jajali:  Diesen  weisen  und  beriihmten  Tuladhara 
mochte  ich  sehen. 

10.  (9286.)  Als  der  Rishi  so  gesprochen  hatte,  holten  ihn 
die  Rakshas  aus  dem  Meere  und  sprachen:  Diesen  Weg 
schlage  ein  und  gehe  ihn,  o  Bester  der  Brahmanen. 

11.  (9287.)  Nachdem  Jajali  von  den  Kobolden  so  angeredet 
worden  war,  ging  er  bestiirzten  Geistes  nach  Benares  zum 
Tuladhara,  und  ihm  nahend,  sprach  er  folgendermafsen. 

Yudhishthira  sprach: 

12.  (9288.)  Was  hatte  doch  der  Jajali  vorher  fiir  ein 
schwieriges  Werk  voUbracht,  o  Freund,  wodurch  er  jene 
hochste  VoUkommenheit  erlangte,  das  mogest  du  mir  er- 
klaren. 

Bhishma  sprach: 

13.  (9289.)  Er  hatte  sich  gar  sehr  mit  furchtbarer  Askese 
beschaftigt.  Abends  und  morgens  hatte  der  gewaltige  Asket 
seine  Freude  am  Baden  und  Mundausspiilen. 

14.  (9290.)  Er  pflegte  piinktlich  seine  Feuer  und  schatzte 
als  Zwiegeborener  das  Studium  iiber  alles,  und  indem  er  so 
die  Regel  der  Waldeinsiedler  beobachtete,  strahlte  er  von 
Schonheit. 

15.  (9291.)  Im  Walde  beharrte  er  bei  der  Askese  und 
achtete  keine  Satzung  gering;  in  der  Regenzeit  lag  er  im 
Freien,  im  Winter  steckte  er  im  Wasser. 

16.  (9292.)  Im  Sommer  ertrug  er  Wind  und  Sonnenglut 
und  fand  immer  noch  nicht  die  wahre  Pflichterfiillung.  Er 
ertrug  manche  beschwerlichen  Lagerungen  und  walzte  sich 
auf  der  Erde. 

17.  (9293.)  Manchmal  geschah  es,  dafs  dieser  Muni,  wah- 
rend  der  Regenzeit  im  Freien  verweilend,  fort  und  fort  aus 
der  Luft  das  Wasser  mit  seinem  Kopfe  auffmg. 

18.  (9294.)  Dabei  wurden  seine  zusammengeflochtenen  Haar- 
biischel  nafs,  o  Herr,  und  von  dem  fortwahrenden  Herum- 
streifen  im  Walde  wurde  er  schmutzig,  der  so  fleckenlosen 
Wesens  war. 

27* 


420  III.    Mokshadharma. 

19.  (9295.)  Manchmal  stand  er,  der  Askesereiche ,  ohne 
Nahrung  nur  vom  Winde  zehrend,  da  wie  ein  Stiick  Holz^ 
ohne  sich  umzusehen  und  ohne  sich  irgendwie  zu  bewegen. 

20.  (9296.)  Wie  er  nun  so  einem  Baustamm  gleich  un- 
bewegHch  dastand,  o  Bharata,  bauten  zwei  Kuhngavogel  auf 
seinem  Haupte  ihr  Nest. 

21.  (9297.)  Der  Brahmanweise  duldete  es  aus  Mitleid,  dafs 
das  Eheparchen  sein  Nestchen  aus  Grashalmen  und  Faden  in 
seinem  Haarschopf  machte. 

22.  (9298.)  Da  der  grofse  Asket  sich  wie  ein  Baustamm 
nicht  riihrte,  so  fafsten  die  beiden  Vogel  gern  Vertrauen  und 
wohnten  begltickt  auf  ihm. 

23.  (9299.)  Als  nun  die  Regenzeit  voriiber  war  und  der 
Herbst  sich  einstellte,  geschah  es,  dafs  nach  den  Satzungen 
des  Schopfers,  von  Liebe  verfiihrt,  vertrauensvoll 

24.  (9300.)  das  Vogelparchen  Eier  auf  seinem  Haupte  legte, 
o  Konig.  Sie  bemerkte  der  machtige,  sein  Geliibde  scharf 
beobachtende  Brahma  ne. 

25.  (9301.)  Und  obwohl  es  der  gewaltige  Jajah  bemerkte, 
riihrte  er  sich  doch  nicht,  denn  er  richtete  seinen  Geist  be- 
standig  auf  die  Pflicht  und  fand  kein  Wohlgefallen  an  dem, 
was  der  Pflicht  zuwider  war. 

26.  (9302.)  Tag  fiir  Tag  flogen  die  beiden  Voglein  auf 
seinen  Kopf  zuriick  und  wohnten  daselbst  vertrauensvoll  und 
frohhch,  o  Herr. 

27.  (9303.)  Weiter  aber  wurden  aus  den  bebriiteten  Eiern 
kleine  Vogelchen  geboren  und  wuchsen  daselbst  heran,  Jajah 
aber  riihrte  sich  nicht. 

28.  (9304.)  Und  der  Geliibdetreue  beschiitzte  die  Eier  der 
Kulihgavogel  und  stand  dabei  ebenso  weiter  unbeweghch, 
der  Pflichttreue,  und  in  Meditation  vertieft. 

29.  (9305.)  Darauf,  im  Verlaufe  der  Zeit,  wurden  die  Jungen 
fliigge,  und  der  Muni  merkte,  dafs  die  Kuhiigavoglein  ihre 
Federn  bekommen  batten. 

30.  (9306.)  Und  als  der  Geliibdefeste  einstmals  diese  Vogel 
ansah,  da  wurde  er,  der  Weiseste  der  Weisen,  von  grofser 
Freude  erfiillt. 


Adhyaya  262  (B.  261).  421 

31.  (9307.)  Wahrend  er  sie  so  heranwachsen  und  die  Freude 
der  Gedeihenden  sah,  w  ohnten  die  beiden  Vogel  mitsamt  ihren 
Jungen  furchtlos  auf  ihm. 

32.  (9308.)  Er  beobachtete  die  Vogel,  wie  sie,  fliigge  ge- 
worden,  ausflogen  und  allabendlich  wieder  zuriickkehrten,  und 
er  riihrte  sich  nicht,  der  weise  Jajali. 

33.  (9309.)  Und  auch  nachdem  sie  von  Vater  und  Mutter 
verlassen  worden  waren,  flogen  sie  manchmal  herzu  und  flogen 
immer  wieder  weg,  Jajali  aber  riihrte  sich  nicht. 

34.  (9310.)  In  dieser  Weise  gingen  die  Vogel  am  Tage  weg 
und  kehrten  am  Abend,  o  Fiirst,  zuriick,  um  auf  ihm  zu  iiber- 
nachten. 

35.  (9311.)  Manchmal  flogen  die  Vogel  fiir  fiinfTage  weg 
und  kamen  erst  am  sechsten  Tage  wieder,  Jajali  aber  riihrte 
sich  nicht. 

36.  (9312.)  Nach  und  nach  aber  pflegten  die  Vogel  alle, 
nachdem  ihre  Lebenskraft  erstarkt  war,  viele  Tage  lang  nicht 
heimzukehren. 

37.  (9313.)  Einstmals  aber  flogen  die  Vogel  davon  und 
kehrten  einen  ganzen  Monat  nicht  zuriick,  da  machte  sich 
auch  Jajali  auf  den  Weg,  o  Konig. 

38.  (9314.)  Als  sie  nun  davongeflogen  waren,  da  iiber- 
kam  den  JajaH  Bewunderung,  und  er  bildete  sich  ein, 
die  Vollendung  erreicht  zu  haben,  da  beschlich  ihn  der 
Hochmut. 

39.  (9315.)  Als  nun  der  Geliibdestrenge  erkannte,  dafs  die 
Vogel  ihn  verlassen  hatten,  bewunderte  er  sich  selbst,  und  in- 
dem  er  sich  bewunderte,  wurde  er  von  grofser  Freude  erfiillt. 

40.  (9316.)  Nachdem  er  sich  im  Flusse  gebadet  und  ge- 
spiilt  und  das  Feuer  genahrt  hatte,  zollte  der  Askesereiche 
der  aufgehenden  Sonne  seine  Verehrung. 

41.  (9317.)  Als  der  Beste  der  Murmler  so  auf  seinem  Kopfe 
die  Spatzen  gepflegt  hatte,  da  brach  er  laut  in  den  Ruf  aus : 
Wahrlich,  die  Pflicht  ist  von  mir  erfiillt! 

42.  (9318.)  Da  kam  aus  dem  Luftraum  eine  Stimme  und 
Jajali  horte  sie  sagen:  0  Jajali,  du  bist  an  Pflichterfiillung 
doch  noch  nicht  dem  Tuladhara  gleichgekommen. 

43.  (9319.)    In  Benares   wohnt  der  hochweise  Tuladhara, 


422  in.    Mokshadliarma. 

und  selbst  der  darf  nicht  so  sprechen,  wie  du,  o  Brahmane, 
redest. 

44.  (9320.)  Da  wurde  er  von  Unmut  iibermannt,  und  be- 
gierig,  den  Tuladhara  kennen  zu  lernen,  wanderte  er,  der 
Muni,  in  die  Welt  hinaus,  indem  er  sein  Haus  da  hatte,  wo 
ihn  der  Abend  liberkam. 

45.  (9321.)  Lange  Zeit  wanderte  er  bis  zur  Stadt  Benares; 
da  sah  er  den  Tuladhara,  wie  er  seine  Waren  feilhielt. 

46.  (9322.)  Als  der  vom  Verkauf  seiner  Waren  Lebende 
den  Brahmanen  herankommen  sah,  erhob  er  sich  voll  Freude 
und  ehrte  ihn  durch  den  Willkommensgrufs. 

TulMhara  sprach: 

47.  (9323.)  0  Brahmane,  schon  wie  du  herbeikamst,  habe 
ich  dich  unzweifelhaft  erkannt,  aber  vernimm,  o  Bester  der 
Zwiegeborenen,  das  Wort,  welches  ich  dir  zu  sagen  habe. 

48.  (9324.)  Du  bist  zum  Gestade  des  Ozeans  gegangen  und 
hast  gewaltige  Askese  geiibt,  und  doch  weifst  du  noch  lange 
nicht,  was  Pflicht  heifst. 

49.  (9325.)  Weiter  wurden,  als  du  in  der  Askese  dich  ver- 
vollkommnet  hattest,  o  Brahmane,  alsbald  Vogel  auf  deinem 
Kopfe  geboren  und  von  dir  grofsgezogen. 

50.  (9326.)  Und  als  diese  fliigge  geworden  und  sich  iiberall 
hin  auf  Wanderung  begeben  hatten,  da  wahntest  du,  o  Brah- 
mane, dafs  die  Pflichterfiillung  im  Grofsziehen  von  Spatzen 
bestiinde. 

51.  (9327.)  Da  hortest  du  in  der  Luft  eine  Rede,  die  auf 
mich  hinwies,  o  Bester  der  Zwiegeborenen,  und  von  Unmut 
iibermannt,  bist  du  sodann  hierher  gekommen.  (9328.)  Was 
kann  ich  dir  zuliebe  tun?  Das  sage  mir,  o  Bester  der  Zwie- 
geborenen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Uuterredung  zwischeu  Tuladb&ra  und  J&jali 
(  2'ulddhdra  -  Jdjali  -  samvdda) . 


Adhyaya  263  (B.  262).  423 

AdhyAya  263  (B.  262), 

Vers  9339*- 9395  (B.  1-55). 

Bhishma  sprach: 

1.  (9339.)  In  dieser  Weise  von  dem  verstandigen  Tuladhara 
angeredet,  sprach  der  verstandige  Jajali,  der  Beste  der 
Murmler,  das  folgende  Wort. 

Jajali  sprach: 

2.  (9340.)  Obwohl  als  Kaufmannssohn  von  einem  [ab- 
stammend],  der  allerlei  Essenzen  und  Wohlgeriiche ,  Baum- 
holz  und  Krauter  nebst  ihren  Wurzeln  und  Friichten  verkauft, 

3.  (9341.)  bist  du  zu  einer  festen  Erkenntnis  gelangt. 
Woher  ist  dir  das  gekommen?  Das  alles  berichte  mir  voU- 
standig,  o  Hochsinniger. 

Bhishma  sprach: 

4.  (9342.)  So  angeredet  von  dem  beriihmten  Brahmanen, 
erklarte  Tuladhara,  der,  obgleich  ein  Vai<?ya,  Zweck  und  Wesen 
der  Pflicht  erkannt  hatte,  die  Feinheiten  der  Pflichterfullung 
(9343.  fehit  in  B.)  dem  schwere  Askese  iibenden  Jajah,  er,  o  Kbnig, 
der  sich  an  der  Erkenntnis  gesattigt  hatte. 

Tuladhara  sprach: 

5.  (9344.)  Ich  kenne,  o  Jajali,  die  ewige,  geheimnisvoUe 
Pflicht,  die  alien  Wesen  heilsame  und  wohlwollende,  welche 
als  eine  uralte  unter  den  Menschen  gilt. 

6.  (9345.)  Das  Verhalten,  welches  ohne  Falsch  oder  mog- 
lichst  ohne  Falsch  gegen  die  Wesen  ist,  das  ist  die  hochste 
Pflicht,  und  ihr  lebe  ich  nach,  o  Jajali. 

7.  (9346.)  Aus  abgeschnittenem  Holz  und  Stroh  habe  ich 
mir  diese  Hiitte  gebaut.  Roten  Lack,  Padmakaholz,  Tunga- 
holz,  feine  und  geringere  Wohlgeriiche 

8.  (9347.)  und  vielerlei  Essenz  mit  Ausschlufs  berauschen- 
der  Getranke  kaufe  ich  aus  anderer  Hand  und  verkaufe  sie 
wieder  mit  Ehrlichkeit. 


Die  Zahlung  der  Verse  springt  von  9328  auf  9339  iiber. 


424  III.    Mokshadharma. 

9.  (9348.)  Wer  stets  ein  Freund  aller  Menschen  ist  und 
wer  das  Wohlsein  aller  Menschen  in  Werken,  Gedanken  und 
Worten  fordert,  der  kennt  die  Pflicht,  o  Jajali. 

10.  (9349.)  Ich  begiinstige  nicht  und  iibervorteile  nicht, 
ich  basse  nicht  und  liebe  nicht  und  bin  unparteiisch  alien 
Wesen  gegeniiber,  da  siehst  du,  o  Jajali,  meinen  Wahlspruch. 
(9350.)  Meine  Wage  wagt  fiir  alle  Wesen  gleichmafsig,  6 
Jajali. 

11.  Was  andere  tun,  lobe  ich  nicht  und  tadle  ich  nicht 
(9351.)  und  blicke  auf  das  bunte  Treiben  der  Welt,  o  Fiirst 
der  Brahmanen,  wie  [auf  die  Wolkenspiele]  im  Himmels- 
raume. 

12.  Als  einen  solchen  wisse  mich,  o  Jajali,  als  gegen 
alle  Welt  (9352.)  unparteiisch,  0  Bester  der  Weisen,  als  gleich- 
miitig  blickend  auf  Erdklumpen,  Steine  und  Gold. 

13.  Wie  Blinde,  Taube  und  Verriickte  den  Tod  immer- 
fort  herbeisehnen ,  (9353.)  weil  die  Pforten  [der  Sinne]  ihnen 
von  den  Gottern  verschlossen  sind,  ahnlich  ergeht  es  mir, 
obgleich  ich  sehend  bin. 

14.  Wie  Alte,  Kranke  und  Schwachliche  in  bezug  auf 
die  Sinnendinge  ohne  Begierde  sind,  (9354.)  so  ist  auch  mir 
das  Verlangen  nach  Nutzen,  Lust  und  Genufs  vergangen. 

15.  Wenn  einer  sich  nicht  mehr  fiirchtet  und  wenn  man 
sich  vor  ihm  nicht  mehr  fiirchtet,  (9355.)  wenn  er  nicht  mehr 
wiinscht  und  nicht  mehr  hafst,  dann  erlangt  er  das  Brahman. 

16.  Wenn  einer  keine  bose  Gesinnung  mehr  gegen  all6 
Wesen  betatigt  (9356.)  in  Werken,  Gedanken  und  Worten, 
dann  erlangt  er  das  Brahman. 

17.  Es  gab,  wird  geben  und  gibt  keine  andere  Pflicht 
als  diese.  (9357.)  Wer  in  bezug  auf  alle  Wesen  keine  Furcht 
hegt  Oder  einflofst,  der  erlangt  die  Statte,  wo  es  keine  Furcht 
mehr  gibt. 

18.  Vor  wem  aber  alle  Welt  wie  vor  dem  Rachen  des 
Todes  zittert,  (9358.)  wer  in  seinen  Reden  hart,  in  seinen 
Strafen  grausam  ist,  der  erlangt  die  Statte  der  grofsen  Furcht. 

19.  Den  Alten,  mitsamt  Sohnen  und  Enkeln,  recht- 
schaffen  Wandelnden  (9359.)  folgen  wir  in  ihrer  Lebensfiihrung, 
den  Hochherzigen,  welche  kein  Wesen  krankten. 


Adhyaya  263  (B.  262).  425 

20.  Die  ewige  Verpflichtung  [des  Wohlwollens]  ist  ver- 
loren  gegangen  und  durch  den  guten  [asketischen]  Wandel 
verdunkelt  worden ;  (9360.)  durch  diesen  wurden  Vedakundige, 
Asketen  und  Gewaltige  verwirrt. 

21.  Allerdings  mag  durch  den  guten  Wandel  ein  ver- 
standiger  Mensch  leicht  zur  Pflichterfullung  gefuhrt  werden, 
(9361.)  aber  nachdem  er  durch  die  Guten  [und  ihr  Vorbild] 
zur  Selbstbezahmung  gelangt  ist,  mufs  er  truglosen  Geistes 
wandel  n. 

22.  Wie  in  der  Welt  ein  Stiick  Holz  im  Flusse  zufallig 
fortgeschwemmt  wird  (9362.)  und  zufallig  init  irgendeinem 
andern  Holze  sich  zusammenfindet, 

23.  und  wie  sich  dann  an  diese  wechselseitig  andere 
Baumstamme  festklammern  (9363.)  mit  Stroh  und  Holz  und 
allerlei  Abfall,  blindlings  und  beliebig,  [so  ist  es  mit  der 
Tradition  des  guten  Wandels  bestellt]. 

24.  Vor  wem  niemals  und  in  keiner  Weise  irgendein 
Wesen  zittert,  (9364.)  der  erlangt  fiir  alle  Zeit,  o  Muni,  Furcht- 
losigkeit  vor  alien  Wesen. 

25.  Vor  wem  sich  aber  alle  Welt  fiirchtet  wie  vor  einem 
Wolfe  (9365.)  Oder  wie  vor  einem  Gebriill  alle  Wassertiere, 
wenn  sie  dem  Ufer  nahen,  [der  erlangt  auch  fiir  sich  keine 
Furchtlosigkeit] . 

26.  Somit  ist  nur  jene  Lebensfiihrung  [der  Schonung 
aller  Wesen],  mag  sie  herriihren,  woven  sie  will,  (9366.)  die- 
jenige,  welche  Freunde  erwirbt,  Reichtum  erwirbt,  gliick- 
bringend  und  die  hochste  ist. 

27.  Darum  werden  sie  [die  dieser  Lebensfiihrung  huldi- 
gen]  in  den  Lehrbiichern  gepriesen  von  den  Weisen,  (9367.)  um 
des  Ruhmes  willen  von  ihnen,  welche  wenig  vom  Zweifel  ge- 
qualt  werden,  scharfsinnig  und  vollkommen  klar  denkend  sind. 

28.  Durch  alle  Askese,  Opfer  und  Gaben  und  weisheits- 
volle  Reden  (9368.)  erreicht  man  hienieden  nicht  mehr,  als 
was  man  als  Frucht  der  Furchtlosigkeitsgewahrung   erlangt. 

29.  Wer  in  der  Welt  alien  Wesen  die  Opfergabe  der 
Furchtlosigkeit  spendet,  (9369.)  der  ist  so  gut,  als  wenn  er 
alle  Opfer  darbrachte,  und  der  erlangt  als  Opfergabe  die  Furcht- 
losigkeit. 


426  ni.    Mokshadharma, 

30.  Es  gibt  keine  edlere  Pflicht  als  die  Schonung  fdhihsd) 
der  Wesen.  (9370.)  Vor  wem  niemals  und  in  keiner  Weise 
irgendein  Wesen  zittert,  der  eriangt  Furchtlosigkeit  vor  alien 
Wesen,  o  grofser  Muni. 

31.  (!)37i.)  Vor  wem  alle  Welt  zittert  wie  vor  einer  ins 
Haus  geschliipften  Schlange,  der  eriangt  nicht  die  Pflicht- 
erfiillung,  weder  hienieden  noch  im  Jenseits. 

32.  (9372.)  Wer  als  einer,  dem  alle  Wesen  zum  eigenen 
Selbste  geworden  sind,  auf  alle  Wesen  hinblickt,  an  dessen 
Weg  werden  auch  die  Gotter  irre,  verfolgend  des  Spur- 
losen  Spur. 

33.  (9373.)  Die  Gabe  der  Furchtlosigkeit  der  Wesen  er~ 
klaren  sie  unter  alien  Gaben  als  die  hochste,  das  sage  ich 
dir  als  die  Wahrheit,  glaube  es  mir,  o  Jajali. 

34.  (9374.)  Einundderselbe,  der  zum  Gliick  gelangt  ist, 
kann  auch  wieder  ungliicklich  werden,  und  wenn  die  Leute 
den  Verfall  seiner  Verhaltnisse  sehen,  dann  wenden  sie  sich 
jedesmal  von  ihm  ab, 

35.  ^9375.)  Allerdings  ist  die  Pflicht  nicht  ohne  Grund, 
aber  sie  ist  schwer  zu  verstehen,  o  Jajali;  um  des  Gewordenen 
und  Kiinftigen  [Irdischen  und  Himmlischen]  willen  erfolgte 
hienieden  die  Verkiindigung  der  Pflicht. 

36.  (9376.)  Wegen  ihrer  Schwerverstandlichkeit  kann  die 
vielfach  widerspruchsvolle  Pflicht  nicht  erkannt  werden,  und 
nur,  indem  man  zwischendurch  [wahrend  ihres  Studiums] 
andere  Lebensfiihrungen  ins  Auge  fafst,  wird  sie  [durch  den 
Gegensatz]  erkannt. 

37.  (9377.)  Die,  welche  [jungen  Stieren]  die  Hoden  aus- 
schneiden  und  die  Nasenwande  durchbohren  [um  sie  zu 
lenken],  mit  ihnen  grofse  Lasten  fahren,  sie  ihnen  aufbinden 
und  sie  zahmen 

38.  (9378.)  und  lebende  Wesen  toten  und  verspeisen,  wie 
solltest  du  die  nicht  tadeln?  Ja  sogar  den  Menschen  macht 
der  Mensch  zum  Sklaven  und  nutzt  ihn  aus 

39.  (9379.)  und  zwingt  ihn  durch  Schlage,  Fesseln  und  Ge- 
fangenschal't.  Tag  und  Nacht  zu  arbeiten!  Und  durch  sich 
selbst  weifs  er  doch,  wie  schmerzlich  Schlage  und  Fesseln  sind. 

40.  (9380.)  In  den  mit  fiinf  Sinnesorganen  ausgestatteten 


Adhyaya  263  (B.  262).  427 

Wesen  wohnt  jede  Gottheit:  die  Sonne  [im  Auge],  der  Mond 
[im  Manas],  der  Wind  [im  Tastsinn],  Brahman,  Prana,  Kratu 
und  Yama  [in  anderen  Organen]. 

41.  (9381.)  Wenn  man  diese  noch  bei  Lebzeiten  verkauft, 
wie  sollte  man  Umstande  mit  ihnen  machen,  wenn  sie  tot 
sind !  Der  Ziegenbock  ist  Agni,  der  Widder  ist  Varuna,  das 
Pferd  ist  Siirya,  die  Erde  als  Viraj 

42.  (!)38'2.)  ist  die  Kuh  und  ihr  Kalb  ist  der  Soma;  wer  so 
etwas  verkauft,  kann  nicht  gliicklich  werden.  Aber  welches 
[Bedenken]  konnte  bestehen  beim  Verkauf  von  Sesamol  und 
zerlassener  Butter,  o  Brahmane,  von  Honig  und  Krauter- 
saften? 

43.  (9383.)  Da  wachsen  die  Tiere  frohhch  auf  in  einer 
Gegend,  wo  es  keine  Bremsen  und  Fhegen  gibt,  und  ob- 
gleich  der  Mensch  weifs,  wie  Heb  sie  ihren  Miittern  sind, 
kommt  er  oft 

44.  (9384.)  und  fiihrt  sie  fort  in  Gegenden  voll  Bremsen 
und  Schmutz,  und  andere  wieder  schmachten  als  Jochtiere, 
gegen  die  gotthche  Ordnung  durch  Ziehen  gequalt. 

45.  (9385.)  Ich  sollte  denken,  sogar  die  Embryototung  ist 
nicht  schlimmer  als  so  etwas.  Das  Pfliigen  des  Ackers  halt 
man  fiir  etwas  Gutes,  und  doch  ist  auch  das  ein  grausames 
Geschaft. 

46.  (9386.)  Denn  das  Pflugholz  mit  eiserner  Spitze  verletzt 
die  Erde  und  was  in  ihr  lebt.  Und  dann  denke  auch  an  die 
angespannten  Ochsen,  o  Jajali! 

47.  (9387.)  Aghnyd  (die  Nicht-zu-Totende)  wird  ja  die  Kuh 
genannt,  wer  darf  sie  also  toten  ?  Ja,  eine  grofse  Unbill  ver- 
iibt,  wer  einen  Stier  oder  eine  Kuh  opfert. 

48.  (9388.)  Das  war  es  ja  auch,  was  die  Weisen  und 
Biifser  dem  Nahusha  vorhielten:  Du  hast  eine  Kuh  und  so- 
gar eine  Mutterkuh  getotet  und  einen  Stier,  eine  Verkorperung 
des  Prajapati. 

49.  (9389.)  Eine  Untat  hast  du  veriibt,  o  Nahusha,  wir 
werden  durch  dich  zu  leiden  haben.  Hundert  und  eine  Krank- 
heit  haben  sie  iiber  die  Wesen  gebracht. 

50.  (9390.)  Diese  unter  den  Untertanen  hochbedeutenden 
Rishi's,    o   Jajali,    nannten    den    Nahusha    einen    Embryo- 


428  ni.    Mokshadharma. 

toter  und  erklarten,   dafs  sie  seinen  Opfertrank  nicht  opfern 
konnten. 

51.  (9391.)  So  sprachen  sich  alle  jene  hochherzigen ,  das 
Wesen  der  Dinge  erkennenden,  durch  Askese  beruhigten 
AVeisen  und  Biifser  aus  und  hielten  es  ihm  vor, 

52.  (9392.)  Diese  unseligen,  greulichen  Brauche,  wie  sie 
auf  dieser  Welt  geiibt  werden,  o  Jajali,  verurteilst  du  nur 
darum  nicht,  weil  sie  als  guter  Wandel  iiberliefert  sind. 

53.  (9393.)  Yom  Grunde  aus  soil  man  die  Pflicht  erforschen 
und  nicht  dem  iiberlieferten  Wandel  der  Leute  folgen.  Und 
auch  das  merke  dir,  o  Jajali:  Mag  einer  mich  schlagen  oder 
mag  er  mich  loben, 

54.  (9394.)  beides  gilt  mir  gleich,  es  gibt  fiir  mich  nichts 
Liebes  und  Unliebes.  Das  ist  die  Pflichterfiillung ,  welche 
die  Weisen  riihmen. 

55.  (9395.)  Denn  sie  beruht  auf  gutem  Grunde  und  wird 
von  den  Selbstbezwingern  hochgehalten,  welche  immerfort  in 
der  Pflichterfiillurig  sich  iibten,  und  von  dem  Verstandigen 
wird  sie  beobachtet. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Tulidhiira  und  J4jali 
(  Tulddhdra  -  Jajali  -  samvdda). 


Adhyaya  264  (B.  263). 

Vers  9396-9441  (B.  1-42). 

Jajali  sprach: 

1.  (9396.)  Diese  Pflichterfiillung,  wie  du  sie  mit  der  Kramer- 
wage  in  der  Hand  empfiehlst,  wiirde  den  Eingang  zum  Himmel 
und  auch  das  Leben  der  Geschopfe  unmoglich  machen. 

2.  (9397.)  Durch  das  Pfliigen  des  Ackers  wird  Nahrung 
erzeugt,  und  von  der  lebst  auch  du;  von  Viehzucht  und  Krau- 
tern  leben  die  Menschen,  o  Kramersohn. 

3.  (9398.)  Und  da  durch  das  Genannte  erst  das  Opfer  mog- 
lich  wird,  so  redest  du  sogar  der  Unglaubigkeit  das  Wort, 
und  auch  diese  Welt  konnte  nicht  bestehen,  wenn  sie  auf 
den  Erwerb  ganz  und  gar  verzichtete. 


Adhyaya  264  (B.  263).  429 

Tuladhara  spr.ich : 

4.  (9399.)  Ich  will  dir  sagen,  wie  die  Geschopfe  leben 
konnen,  und  von  Ungliiubigkeit  kann  bei  mir  keine  Rede 
sein,  o  Brahmane.  Ich  tadle  das  Opfer  auch  gar  nicht,  aber 
einer,  der  sich  auf  das  Opfer  versteht,  ist  schwer  zu  finden. 

5.  (9400.)  Ich  verehre,  o  Brahmane,  das  Opfer  und  die,, 
welche  sich  auf  das  Opfer  verstehen,  aber  die  Brahmanen 
haben  das  ihnen  geziemende  Opfer  aufgegeben  und  haben 
sich  dem  Kshatriya- Opfer  ergeben, 

6.  (9401.)  einem  Opfer,  o  Brahmane,  welches  von  Hab- 
gierigen  und  nur  auf  den  Gewinn  sehenden  Unglaubigen  auf- 
gebracht  wurde,  welches  aus  Unkenntnis  der  Vedaworte  nur 
scheinbar  wahr,  in  Wirklichkeit  unwahr  ist. 

7.  (9402.)  Dies  mufs  man  geben  und  das  mufs  man  geben, 
so  heifst  es,  und  ein  solches  Opfer  wird  gelobt;  darum  artet 
es  zur  Dieberei  und  zur  Unart  aus,  o  Jajali. 

8.  (9403.)  Die  Gotter  haben  ihre  Freude  nur  an  einem 
Opfer,  welches  in  rechter  Weise  dargebracht  wird,  namlich 
mit  Verehrung  als  Opferspeise  und  mit  Vedastudium  als 
Krautersaften.  (9404.)  Denn  man  soil  die  Gotter  so  verehren,, 
wie  es  der  Schriftkanon  vorschreibt. 

9.  Durch  Opfer  und  fromme  Werke  schlechter  Menschen 
wird  nur  eine  untiichtige  Nachkommenschaft  erzielt,  (9405.)  von 
Habgierigen  wird  nur  ein  Habgieriger  erzeugt,  von  Billig- 
denkenden  nur  ein  Billigdenkender. 

10.  Wie  die  Opferherren  und  die  Priester  selbst  sind 
[doch  wohl  dtmdnah  zu  lesen],  so  sind  auch  ihre  Nachkommen ; 
(9406.)  aus  dem  Opfer  entspringt  die  Nachkommenschaft,  wie 
reines  Wasser  aus  der  Wolke. 

11.  Der  in  das  Feuer  gegossene  Opfertrank,  o  Brahmane,. 
geht  hinauf  zur  Sonne,  (9407.)  aus  der  Sonne  stammt  der 
Regen,  aus  dem  Regen  die  Nahrung,  aus  ihr  die  Nach- 
kommenschaft. 

12.  Darum  haben  die  festgegriindeten  Altvorderen  alle 
ihre  Wiinsche  erlangt,  (9408.)  ungepfliigt  liefs  die  Erde  ihre 
Friichte  reifen,  durch  die  blofsen  Gebete  gediehen  die  Pflanzen,. 

13.  aber  damals  fafsten  sie  weder  fiir  das  Opfer  noch 
fiir  sich  selbst  einen  Lohn  ins  Auge.     (9409.)   Diejenigen  hin- 


430  ni.    Mokshadharma. 

gegen,  welche  ihr  Opfer  mit  Besorgnis  um  die  Frucht  dar- 
bringen, 

14.  werden  als  schlechte  Menschen,  als  Bosewichter,  Hab- 
gierige,  nach  Reichtum  Trachtende  geboren.  (94io.)  Der  geht 
wegen  seines  schlechten  Werks  in  die  Welten  der  Ubel- 
tater  ein, 

15.  welcher  aus  Mangel  an  einer  Richtschnur  sich  eine 
schlechte  Richtschnur  schafft;  (9411.)  und  er  ist  allezeit  hie- 
nieden  von  schlechtem  Charakter  und  mangelhafter  Erkennt- 
nis,  0  Bester  der  Brahmanen. 

16.  Wenn  von  Gebotenem  die  Rede  ist,  so  ist  sich  der 
Brahmane  ohne  Scheu  bewufst,  dafs  es  nur  Gebotenes  ist; 
(9412.)  als  Brahmane  verharrt  er  in  der  Welt  und  wendet  sich 
nicht  wieder  der  Befolgung  von  Gebotenem  zu. 

17.  Freilich  haben  wir  [im  Veda]  vernommen,  dafs  ein 
untugendhaftes  Werk  hoher  stehe,  (9413.)  namlich  eine  Totung 
aller  moglichen  Wesen  und  die  Erzwingung  einer  Frucht  der 
"Werke. 

18.  Das  Opfer  der  Wahrheit,  das  Opfer  der  Selbst- 
bezahmung,  das  ist  das  Opfer,  welches  alle  der  Habgierigen 
und  der  Habe  satten,  (94i4.)  auf  das  Gewordene  verzichtenden, 
selbstlosen  Menschen  darbringen. 

19.  Das  Wesen  von  Leib  und  Seele  fhshetrajnaj  er- 
kennend  und  bei  dem  ihnen  geziemenden  Opfer  verharrend, 
(9415.)  studieren  sie  den  iiber  das  Brahman  belehrenden  Veda 
und  erfreuen  dadurch  auch  die  anderen. 

20.  Alle  Gottheit  ohne  Ausnahme  ist  Brahman  und  ruht 
in  Brahman,  (9416.)  und  wenn  einer,  0  Jajali,  [im  Pranagni- 
hotram,  vgl.  Chand.  Up.  5,19  fg.]  sich  sattigt,  mag  er  dabei 
satt  werden  oder  nicht,  so  haben  die  Gotter  an  ihm  ihre  Freud e. 

21.  Wie  einer,  der  an  allem  Wohlgeschmack  satt  ge- 
worden  ist,  nach  nichts  mehr  verlangt,  (9417.)  so  wird  dem, 
welcher  sich  an  der  Erkenntnis  gesattigt  hat,  eine  begliickende, 
ewige  Sattigung  zuteil  [vgl.  Ev.  Job.  4,14]. 

22.  Solche  sind  Trager  der  Pflicht,  freuen  sich  der  Pflicht 
und  sind  iiber  alles  zur  Entschiedenheit  gelangt.  (9418.)  Uns 
ist  in  Wahrheit  das  Grofsere  eigen,  so  sprechend  blickt  der 
Weise  auf  die  Welt. 


Adhyaya  264  (B.  263).  431 

23.  Manche,  das  Wissen  erkennend  und  das  jenseitige 
Ufer  erstrebend,  (94i!».)  das  vollkommene  Heiligkeit  verleihende, 
heilige,  von  heiligen  Geschlechtern  bewohnte, 

24.  wohin  gelangt,  sie  nicht  mehr  trauern,  nicht  mehr 
wanken  und  unerschiittert  bleiben,  (9420.)  solche  Sattvahaften 
€rlangen  schon  hienieden  jene  Statte  des  Brahman. 

25.  Sie  verlangen  nicht  nach  dem  Himmel,  sie  bringen 
nicht  Prunk  und  Reichtum  zum  Opfer  dar,  (9421.)  sondern  sie 
wandeln  den  Pfad  der  Guten  und  bringen  als  Opfer  die 
Schonung  aller  Wesen. 

26.  Sie  wissen  Bescheid  mit  Baumen  und  Krautern,  mit 
Friichten  und  Wurzeln  (9422.)  und  lassen  nicht  gierig  und 
nach  Lohn  verlangend  durch  diese  Opferpriester  opfern. 

27.  Indem  sie  die  ihnen  geziemende  Sache  betreiben, 
voUbringen  sie  wieder  als  rechte  Zwiegeborene  das  Opfer, 
(9423.)  in  ihren  Werken  fest  bestimmt  durch  den  Wunsch, 
den  Kreaturen  Wohlwollen  zu  erweisen. 

28.  Darum  sind  es  nur  die  Gierigen,  welche  durch  die 
Opferpriester ,  diese  hafshchen  Menschen ,  opfern  lassen ; 
(9424.)  wer  aber  die  ihm  geziemende  Pflicht  beobach tet,  der 
sichert  sogar  seinen  Nachkommen  [einen  Platz]  im  Himmel. 
Das  ist  meine  Meinung,  0  Jajali,  die  ich  unabanderlich  iiberall 
vertrete. 

29.  (9425.)  Dasjenige,  was  hienieden  in  den  Opfern  dar- 
gebracht  wird,  [durch  das]  steigen  allezeit  die  weisen  Besten 
der  Zwiegeborenen  auf  jenem  Gotterpfade  empor,  o  grofser 
Muni , 

30.  (942G.)  und  der  eine  kehrt  auf  diesem  wieder  zuriick 
[was  freilich  nach  den  Upanishad's  unmoglich  ist],  aber  fiir 
den  Weisen  gibt  es  auf  ihm  keine  Riickkehr. 

31.  (9427.)  Fiir  solche  [Weise]  schirren  sich  die  Ochsen 
[anaduJiah  als  Nominativ]  von  selbst  an  und  ziehen  den  Wagen, 
die  Kiihe  geben  ihre  Milch  von  selbst  durch  die  Zauberkraft 
des  im  Manas  gehegten  Wunsches, 

32.  (9428.)  und  ebenso  erlangen  sie  von  selbst  den  Opfer- 
pfosten  und  opfern,  indem  der  Opferlohn  sich  von  selbst  ein- 
stellt;  wer  in  dieser  Weise  seinen  Atman  bereitet  hat,  der 
mag  sogar  eine  [nur  gedachte]  Kuh  opfern. 


432  III.    Mokshadharma. 

33.  (9429.)  Darum  mogen,  o  Brahmane,  solche  Menschen 
in  dieser  Weise  nur  Pflanzen  opfern,  nachdem  sie  vorher  zur 
Entsagung  gelangt  sind.  Einen  solchen  will  ich  dir  ver- 
kiindigen : 

34.  (9430.)  Wer  ohne  Wunsch  und  ohne  Vorhaben,  ohne 
Verehrung  und  Preisung  ist,  fortlebend,  ohne  dafs  sein  Werk 
fortlebt,  den  erkennen  die  Go  tier  als  einen  Brahmanen   an. 

35.  (9431.)  Wenn  er,  nicht  den  Veda  lehrend,  nicht  opfernd 
und  nicht  einmal  den  Brahmanen  spendend,  die  von  ihm  er- 
wiinschte  Verhaltungsweise  anstrebt,  welchen  Weg  geht  er 
dann,  o  Jajali?  (9432.)  Er  wird,  dieses  Verhalten  zur  Gottheit 
einschlagend,  das  seinem  Opfer  Entsprechende  erlangen. 

Jajali  sprach: 

36.  (9433.)  Von  den  Weisen  vernehmen  wir  nicht  die 
Wahrheit,  dicli  frage  ich  nach  ihr,  o  Kramersohn,  eine 
schwierige  Sache  ist  es.  Die  alten  Rishi's  haben  sich 
nicht  darum  gekiimmert,  und  auch  in  der  Folgezeit  haben 
die  Weisen  diese  Sache  nicht  festgestellt. 

37.  (9434.)  Wenn  bei  einem  aus  freien  Stiicken  die  Opfer- 
tiere  sich  zum  Opferfeste  einstellen,  welches  ist  denn  dabei 
sein  Verdienst,  wodurch  er  das  Gliick  erlangen  soil  ?  (9435.)  Das 
sage  mir,  o  Weiser,  ich  schenke  dir  vollen  Glauben. 

Tuladhara  sprach: 

38.  (9436.)  Mag  man  es  Opfer  oder  nicht  Opfer  nennen, 
jene  Tiere  verdienen  es  nicht,  geopfert  zu  werden ;  nur  durch 
ihre  Butter,  Milch  und  saure  Milch,  namentlich  wenn  sie  in 
vollem  Gusse  gespendet  werden,  (9437.)  sowie  durch  Haare, 
Horn  und  Hufe  bringt  die  Kuh  [auch  ohne  geschlachtet  zu 
werden]  das  Opfer  zustande. 

39.  Und  wenn  er  so  verfahrt,  so  zieht  er  dadurch  die 
Gattin  [auch  wenn  keine  solche  vorhanden  ist]  heran  und 
stellt  sie  an.  (943S.)  Indem  er  das  wiinschenswerte  Verhalten 
zur  Gottheit  einschlagt,  wird  er  das  seinem  Opfer  Entsprechende 
erlangen  (vgl.  Vers  9432). 

40.  Denn  von  dem  Opferkuchen  heifst  es  ja,  dafs  er  vor 


Adhyaya  264  (B.  263).  433 

alien  Tieren  opferwiirdig  sei.    (943J>.)  Alle  Flusse  sind  [ebenso 
heilig  wie]  Sarasvati  und  alle  Berge  sind  heilig, 

41.  und  der  Atman  ist  der  geweihte  Boden,  o  Jajali, 
andere  Gegenden  brauchst  du  nicht  zu  besuchen.  ('J440.)  Wer 
diese  so  beschaffenen  Pflichten  befolgt,  o  Jajali,  und  die  Pflicht 
von  Grund  aus  erforscht,  der  erlangt  schone  Welten. 

Bhishnia  sprach: 

42.  (9441.)  Diese  so  beschaffenen  Pflichten  empfiehlt  Tula- 
dhara  an,  sie,  welche  durch  Griinde  gestiitzt  allezeit  von  den 
Outen  befolgt  werden. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Tul&dhdra  und  Jajali 

(Tiilddlidra  -  Jajali  -  smtivdda). 


Aclhyaya  265  (B.  264). 

Vers  9442-9466  (B.  1-23). 

Tuladhara  sprach: 

1.  f!i442.)  Diesen  Weg,  mag  er  nun  von  Guten  oder  Nicht- 
Guten  eingeschlagen  sein  —  es  soil  dir  recht  anschaulich 
gemacht  werden  —  den  wirst  du  erkennen  nach  seinem  Wesen. 

2.  (9443.)  Du  siehst  diese  Vogel,  wie  sie  liberall  umher- 
iliegen,  es  sind  die  auf  deinem  Haupte  geborenen,  sowie 
Falken  und  andere  Arten. 

3.  (9444.)  Rufe  sie  herbei,  o  grofser  Brahmane,  wie  sie 
Mer  und  dort  sich  niedersetzen ;  siehe,  wie  sie  dabei  Fliigel 
und  Fiifse  von  alien  Seiten  an  ihren  Leib  anschmiegen. 

4.  (9445.)  Von  dir  wurden  sie  grofsgezogen  und  nun  be- 
griifsen  sie  dich  als  Vater,  denn  du  bist  doch  unzweifelhaft 
ihr  Vater,  da  du  sie  als  deine  Kinder  herbeirufst,  o  Jajali. 

Bhishma  sprach: 

5.  (9446.)  Da  geschah  es,  dafs  die  von  diesem  Jajali  her- 
"beigerufenen  Vogel  in  Worte  ausbrachen,  um  die  Pflicht  zu 
•erklaren, 

Devssen,  Mab^bharatam.  28 


434  ni.    Mokshadharma. 

6.  (9447.)  Das  ohne  Nicht-Totung  [lies:  anahinsd]  unter- 
nommene  Werk  totet  hienieden  und  im  Jenseits  den  Glauben 
(^graddhdj,  o  Brahmane,  und  dieser,  wenn  getotet,  totet  den 
Menschen. 

7.  (9448.)  Wenn  Billigdenkende,  Glaubige,  Bezahmte,  "Wohl- 
verstandige  opfern,  das  heifst  ein  wahres  Opfer;  dies  Opfer 
ist  nie  unerwunscht. 

8.  (9449.)  Diese  (^raddha  (der  Glaube),  von  Vivasvant 
stammend,  ist  die  Tochter  der  Sonne,  o  Zwiegeborener,  sie 
ist  fordernd  und  nachkommenverleihend,  ist  erhaben  (hahis) 
iiber  Worte  und  Gedanken. 

9.  (9450.)  Die  Qraddha  schiitzt,  was  aus  der  Rede  ent- 
springt  und  was  aus  dem  Manas  entspringt,  o  Bharata;  was 
aus  der  (^raddha  entspringt,  schiitzt  Rede  und  Manas,  das 
Werke  kann  beide  nicht  schiitzen. 

10.  (9451.)  Dariiber  sagen  die  Weisen  der  Vorzeit  in  Lie- 
dern,  die  von  Brahmanen  gesungen  wurden:  Wenn  einer  rein 
und  unglaubig  war,  oder  glaubig  und  unrein, 

11.  (9452.)  so  erachteten  die  Gotter  die  Darbringung  beider 
beim  Opfer  fiir  gleichwertig.  Wenn  einer  schriftkundig  und 
knauserig  oder  freigebig  und  ein  Wucherer  war, 

12.  (9453.)  so  legten  die  Gotter,  nachdem  sie  beides  er- 
wogen,  beider  Opferspeisen  gleichen  Wert  bei.  Da  aber 
sprach  Prajapati  zu  ihnen:  Das  heifst  nicht  recht  verfahren. 

13.  (9454.)  Durch  Glauben  gelautert  ist  die  Gabe  des 
Freigebigen  und  die  des  andern  ist  verwerflich,  weil  ihm 
der  Glaube  fehlt;  darum  mogt  ihr  die  Opferspeise  des  Frei- 
gebigen entgegennehmen ,  die  Opferspeise  des  Knauserigen 
und  Wucherers  aber  nicht. 

14.  (9455.)  Denn  dieser  ist  in  Wahrheit  unglaubig  und 
nicht  wiirdig,  den  Gottern  Opfer  zu  bringen;  seine  Opfer- 
gabe  diirft  ihr  nicht  annehmen,  wie  es  auch  die  Kenner  der 
Pflicht  erkannt  haben. 

15.  (9456.)  Der  Unglaube  ist  das  hochste  Ubel,  der  Glaube 
erlost  vom  Ubel,  der  Glaubige  streift  das  Ubel  ab,  wie  eine 
Schlange  ihre  alte  Haut. 

16.  (9457.)   Die  Abkehr  [vom  Ubel],  verbunden  mit  dem 


Adhyaya  265  (B.  264).  435 

Glauben,  ist  das  vornehmste  Suhnemittel ;  wer  seine  Charak- 
terfehler  abgelegt  hat  und  dabei  glaubig  ist ,  der  ist  ge- 
lautert. 

17.  (9458.)  Wozu  braucht  er  Askese,  wozu  den  guten 
Lebenswandel ,  wozu  den  Atman :  Aus  Glaube  besteht  der 
Mensch,  wie  einer  glaubt,  so  ist  er  (vgl.  oben,  S.  97). 

18.  (9459.)  Damit  ist,  was  Pflicht  ist,  erklart  von  Guten, 
den  Sinn  der  Pflicht  Erkennenden,  und  wir,  die  wir  danach 
forschten,  sind  zum  Ziele  gelangt  und  haben  die  Pflicht 
erkannt. 

19.  (9460.)  Erwirb  Glauben,  o  grofser  Weiser,  und  du  wirst 
dadurch  das  Hochste  erlangen ;  der  Glaubige  ist  vom  Glauben 
beseelt  und  ist  die  [verkorperte]  Pflicht,  o  Jajali,  (9461.)  und 
auf  seinem  Wege  beharrend,  ist  er  von  hochster  WiirdSj 
o  Jajali. 

Bhishma  sprach: 

20.  (9462.)  Darauf  sind  nach  geraumer  Zeit  Tuladhara  und 
auch  der  andere  als  grofse  Weise  zum  Himmel  emporgestiegen 
und  werden  dort  sich  der  Seligkeit  erfreuen, 

21.  (9463.)  nachdem  sie  den  jedem  von  ihnen  zukommen- 
den,  durch  ihre  Werke  erworbenen  Ort  erreicht  haben.  So 
also  war  die  inhaltreiche  Rede  des  Tuladhara. 

22.  (9464.)  Damit  ist  die  ewige  Pflicht  vollstandig  erkannt 
und  ausgesprochen  worden,  und  jener  Brahmane,  nachdem 
er  die  Reden  dieses  durch  seine  Tiichtigkeit  beriihmten 

23.  (9463.)  Tuladhara  gehort  hatte,  ist,  o  Kuntisohn,  zum 
Frieden  eingegangen.  So  also  geschah  die  gedankenreiche 
Rede  des  Tuladhara,  (9466.)  vermittels  einer  gleichnisweisen 
Belehrung.    Was  willst  du  nun  weiter  horen? 

So  lautet  im  Moksbadharma  die  Unterredung  zwischen  Tul&dh&ra  und  J&jali 

(Tulddhdra  -  Jdjali  -  samvdda). 


28* 


436  ni.    Mokshadharma. 

Adhyaya  266  (B.  265). 

Vers  9467-9480  (B.  1-14). 

BMshma  sprach: 

1.  (9467.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  das,  was  aus  Mitleid  mit  den  Kreaturen 
von  dem  Konig  Vicakhyu  (mit  C;  B,  Vicakhnu)  gesungen 
wurde. 

2.  (9468.)  Als  dieser  Konig  gesehen  hatte,  wie  dem  Stiere 
die  Gebeine  zerschlagen  wurden  und  die  Kiihe  laut  jammerten, 
und  wie  der  Fiirst  wahrnahm,  dafs  bei  der  Stierschlachtung 
auf  dem  Opferplatze 

3.  (9469.)  sodann  der  Ruf  laut  wurde :  „Heil  sei  den  Kiihen 
in  aller  Welt"  —  denn  wenn  die  Schlachtung  vor  sich  geht, 
ist  dieser  Segenswunsch  vorgeschrieben  — ,  [da  sprach  er:] 

4.  (9470.)  Nur  von  mafslosen,  betorten,  unglaubigen,  zweifel- 
behafteten  und  obskuren  Menschen  ist  die  Tiertotung  verherr- 
licht  worden. 

5.  (9471.)  Denn  der  von  Pflichtbewufstsein  erfullte  Manu 
hat  befohlen,  bei  alien  Werken  nicht  zu  toten,  Nur  aus 
eigenem  Geliiste  toten  die  Menschen  auf  dem  Vorplatze  der 
Vedi  die  Tiere. 

6.  (9472.)  Aus  diesem  Grunde  mufs  von  dem  Kundigen 
die  schwer  erkennbare  Pflicht  befolgt  werden ;  die  Schonung 
aller  Wesen  steht  hoher  als  alle  anderen  Pflichten. 

7.  (9473.)  Wer  durch  Fasten  sein  Geliibde  gescharft  hat, 
der  geht  ab  von  den  im  Veda  gegebenen  Vorschriften  [und 
sagt:]  der  Branch  ist  ein  Mifsbrauch,  erbarmlich  sind,  die 
sich  von  der  Hoffnung  auf  Lohn  treiben  lassen. 

8.  (9474.)  Wenn  die  Menschen  in  Hinblick  auf  Opfer,  hei- 
lige  Baume  und  Opferpfosten  nur  beliebiges  [nicht  vom  Opfer 
herriihrendes]  Fleisch  zu  essen  vermeiden,  so  ist  dieser  Branch 
nicht  zu  loben. 

9.  (9475.)  Branntwein,  Fische,  Honig,  Fleisch,  Rum  und 
Sesamreis  [zu  geniefsen],  das  ist  von  Nichtswiirdigen  ein- 
gefiihrt  worden  und  nicht  in  den  Veden  zugelassen. 


Adhyaya  266  (B.  265).  437 

10.  (9476.)  Aus  Hochmut,  Verblendung  und  Begierde  ist 
das  Geliiste  nacli  solchen  Dingen  aufgekommen.  Aber  Brah- 
manen  sehen  in  alien  Opfern  nur  den  einen  Vishnu, 

11.  (9477.)  und  dessen  Opfer  geschieht  nach  der  'Uber- 
lieferung  nur  mit  Milchspenden  und  Blumen,  und  wenn  etwa 
noch  opferwiirdige  Baume  dafur  im  Veda  vorgesehen  sind, 

12.  (9478.)  oder  was  sonst  noch  an  wohlgeweihten  Dingen 
von  Lauteren,  sehr  Tiichtigen  mit  reinem  Herzen  dargebracht 
werden  mag,  alles  das  ist  des  Gottes  wiirdig.        • 

Yudhishthira  sprach: 

13.  (9479.)  Das  leibliche  Bediirfnis  und  Notfalle  erheben 
Einspruch  gegen  die,  welche  nicht  toten  wollen;  wie  kann, 
ohne  dafs  man  dergleichen  unternimmt,  der  Unterhalt  des 
Korpers  vonstatten  gehen? 

Bhishma  sprach: 

14.  (9480.)  Damit  der  Korper  nicht  hinwelke  und  damit 
er  nicht  der  Gewalt  des  Todes  anheimfalle,  mag  man  sich 
in  seinem  Tun  dementsprechend  verhalten  und  nach  Kraften 
die  Pflicht  erfiillen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Sang  des  Vicakhyu 

(  Vicakhyu  -  gitd). 


Adhyaya  26t  (B.  366). 

Vers  9481-9558  (B.  1-78). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (9481.)  Wie  soli  man  ein  vorliegendes  Werk  priifen, 
schnell  oder  langsam?  Allezeit  in  unserer  schwierigen  Auf- 
gabe  warst  du  ja  unser  bester  Lehrmeister. 

Bhishma  sprach: 

2.  (9482.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  was  ehemals  dem  Cirakari[n]  aus  dem 
Stamme  des  Angiras  begegnet  ist. 


438  III.    Mokshadharma. 

3.  (9483.)  0  Saumseliger  fciraMriJcaJ,  Heil  sei  dir,  Heil 
sei  dir,  o  Saumseliger,  denn  Cirakarin  (der  Saumselige),  der 
Verstandige,  versiindigt  sich  nicht  in  seinem  Tun. 

4.  (9484.)  Der  sehr  verstandige  Cirakarin  war  ein  Sohn 
des  Gautama  und  ging  bei  alien  Geschatten  erst  zu  Werke, 
nachdem  er  die  Sachen  lange  iiberlegt  hatte. 

5.  (9485.)  Er  pflegte  die  Sachen  lange  zu  iiberlegen,  lange 
im  Wachen  und  lange  im  Schlafe,  lange,  wenn  ihm  ein  Auf- 
trag  gegeben  wurde,  darum  nannte  man  ihn  Cirakarin. 

6.  (9486.)  Weil  er  trage  war  beim  Angreifen  einer  Sache, 
wurde  er  auch  beschrankt  genannt  von  einem  leichtsinnigen, 
kurzsichtigen  Menschen. 

7.  (9487.)  Mit  Ubergehung  der  anderen  Sohne  wurde  er 
von  seinem  erziirnten  Vater  beauftragt,  seine  Mutter  infolge 
eines  bestimmten  Fehltrittes  zu  toten. 

8.  (9488.)  Und  nachdem  der  weise  Gautama,  der  Beste 
der  Murmler,  ihm  diesen  Befehl  erteilt  hatte,  ging  der  Mach- 
tige  ohne  weitere  Uberlegung  in  den  Wald. 

9.  (9489.)  „So  sei  es",  antwortete  langsam,  wie  es  seine 
Art  war,  der  langsam  handelnde  Sohn,  und  indem  er  seiner 
Langsamkeit  entsprechend  die  Sache  iiberdachte,  verfiel  er 
dariiber  in  langes  Sinnen: 

10.  (9490.)  Wie  kann  ich  den  Befehl  des  Vaters  ausfiihren  ? 
Wie  kann  ich  es  vermeiden,  die  Mutter  zu  toten  ?  Wie  kann 
ich  es  verhindern,  dafs  ich  dabei  als  schlechter  Mensch  in 
eine  Pflichtiibertretung  verfalle? 

11.  (9491.)  Der  Befehl  des  Vaters  ist  hochste  Pflicht,  aber 
Naturpflicht  ist  es,  die  Mutter  zu  schiitzen,  ein  Sohn  ist  nicht 
frei  in  seinem  Handeln,  wie  mache  ich  es,  dafs  mich  nicht 
hinterher  die  Reue  qualt. 

12.  (9492.)  Wer  ein  Weib  und  noch  dazu  seine  Mutter 
getotet  hat,  wie  kann  der  je  wieder  froh  werden!  Und  wer 
seinen  Vater  mifsachtet,  wie  kann  der  zu  Ansehen  ge- 
langen ! 

13.  (9493.)  Den  Vater  nicht  zu  mifsachten  geziemt  sich, 
und  die  Mutter  zu  beschiitzen  ist  Gesetz ;  beide  Pflichten  sind 
als  auferlegte  berechtigt,  wie  ist  es  moglich,  dafs  die  Sache 
mich  nicht  in  Verlegenheit  bringt? 


Adhyaya  267  (B.  266).  439 

14.  (9494.)  Der  Vater  legt  bei  der  Zeugung  sein  Selbst  in 
die  Gattin,  so  heifst  es  (Ait.  Up.  2,  1—2),  um  Charakter,  guten 
Wandel  und  Geschlecht  und  seine  Familie  fortzufiihren. 

15.  (9495.)  Ich  selbst  bin  als  Sohn  vom  Vater  und  auch 
wiederum  von  der  Mutter  geschaffen  worden,  wie  sollte  ich 
mir  dessen  nicht  bewufst  sein!  Erkenne  ich  doch  beide  als 
meinen  Ursprung  an. 

16.  (9496.)  Was  der  Vater  bei  der  Geburtszeremonie  und 
beim  Upakarman  [Zeremonie  nach  der  Heimkehr  vom  Lehrer 
Nil.]  gesprochen  hat,  dessen  Bestatigung  besteht  in  der  Ge- 
wifsheit  der  vaterlichen  Autoritat. 

17.  (9497.)  [Was]  dec  Lehrer  [sagt]  ist  die  oberste  und 
hochste  Pflicht,  weil  er  sich  mit  Pflege  und  Belehrung  be- 
fafst,  und  was  der  Vater  sagt,  ist  ebenfalls  Pflicht,  weiche 
auch  in  den  Veden  eingescharft  wird. 

18.  (9498.)  Der  Sohn  ist  fiir  den  Vater  eitel  Freude,  und 
der  Vater  ist  fiir  den  Sohn  alles,  denn  der  Vater  allein  ver- 
leiht  ihm  den  Leib  und  alles,  dessen  er  bedarf. 

19.  (9499.)  Darum  ist  das  Wort  des  Vaters  auszufiihren 
und  niemals  dabei  zu  zaudern;  auch  von  Siinden  wird  ge- 
reinigt,  wer  die  Gebote  des  Vaters  erfiillt. 

20.  (9500.)  Beim  Geniefsen,  beim  Essen,  beim  Studium, 
bei  Belehrung  iiber  weltliche  Dinge,  sowie  beim  Verkehr  mit 
dem  Gatten  und  bei  der  Scheitelziehungszeremonie  [gewohn- 
lich  im  vierten  Monat  der  Schwangerschaft] 

21.  (9501.)  ist  der  Vater  das  Gesetz,  ist  der  Vater  der 
Himmel,  ist  der  Vater  die  hochste  Askese;  wenn  der  Vater 
Freude  hat,  dann  freuen  sich  alle  Gottheiten. 

22.  (9502.)  Alle  jene  [bei  den  Zeremonien  gesprochenen] 
Segenswiinsche  begliicken  einen  Menschen,  wenn  sie  der 
Vater  spricht,  und  eine  Befreiung  von  alien  Siinden  ist  es, 
wenn  der  Vater  seine  Zufriedenheit  aufsert. 

23.  (9503.)  Die  Blume  wird  vom  Stengel  fahren  gelassen  und 
die  Frucht  vom  Baume,  der  Vater  aber,  auch  wenn  er  den  Sohn 
aus  Liebe  ziichtigen  mufs,  so  lafst  er  ihn  doch  niemals  fahren. 

24.  (9504.)  Damit  ware  also  die  Autoritat  des  Vaters  iiber 
den  Sohn  durchgedacht,  der  Vater  ist  kein  geringes  Moment, 
nun  aber  mufs  ich  auch  an  die  Mutter  denken. 


440  III.    Mokshadharma. 

25.  (9505.)  Dieses  mir  gehorige  Korperaggregat ,  Welches 
seinem  sterblichen  Telle  nach  aus  den  fiinf  Elementen  be- 
steht,  hat  als  Ursache  meine  Mutter,  wie  das  Feuer  als  Ur- 
sache  das  Reibholz  hat. 

26.  (9506.)  Die  Mutter  ist  das  Reibholz  fur  den  Leib  des 
Menschen  und  ist  ein  Gliick  fiir  jeden  in  seiner  Not.  Wer 
eine  Mutter  hat,  der  hat  eine  Beschiitzerin ,  und  ohne  Be- 
schiitzerin  ist,  wer  sie  nicht  hat. 

27.  (9&07.)  Der  braucht  nicht  zu  klagen,  den  bringt  das 
Alter  nicht  herunter,  wer,  auch  vom  Gliick  verlassen,  wenn 
er  nach  Hause  kommt  „Mutter!"  sagen  kann. 

28.  (9508.)  Wenn  einer  auch  Sohne  und  Enkel  hat  und 
zu  seiner  Mutter  kommt,  der,  und  ware  er  hundert  Jahre  alt, 
naht  ihr  wie  ein  zweijahriges  Kind. 

29.  (9509.)  Mag  einer  tiichtig  sein  oder  untiichtig,  mag  er 
kranklich  sein  oder  gesund,  die  Mutter  ist  es  immer,  welche 
den  Sohn  behiitet,  keinen  andern  Pfleger  hat  er  nach  der 
Naturordnung. 

30.  (9510.)  Dann  ist  er  alt  geworden,  dann  ist  er  elend 
geworden,  dann  ist  die  Welt  fiir  ihn  leer,  wenn  er  die  Mutter 
verloren  hat. 

31.  (9511.)  Der  Mutter  kommt  kein  kiihlender  Schatten 
gleich,  der  Mutter  kommt  keine  Zuflucht  gleich,  der  Mutter 
kommt  kein  Schutz  gleich,  der  Mutter  kommt  keine  an  Liebe 
gleich. 

32.  (9512.)  Wegen  des  Tragens  im  Mutterleib  heifst  sie 
dhdtri  (die  Tragende),  wegen  des  Gebarens  heifst  sie  jafiam 
(die  Gebarende),  wegen  der  Pflege  der  Glieder  heift  sie  ambd 
[ein  Lallwort  wie  Mama],  weil  sie  Helden  hervorbringt,  heifst 
sie  virasu  (Heldenmutter). 

33.  (9513.)  Weil  ihr  die  Kinder  gehorchen,  heifst  die  Mutter 
gucru  (etwa:  der  man  gehorcht).  Und  ihren  Leib  sollte  ohne 
weiteres  ein  verstandiger  Mann,  der  kein  Hohlkopf  ist,  toten  ? 

34.  (9514.)  Die  Absicht,  welche  bei  Verschlingung  der 
Lebenshauche  der  Eltern  bestand,  die  [teilen]  Vater  und 
Mutter;  der  erreichte  Zweck  fallt  der  Mutter  zur  Last. 

35.  (9515.)  Die  Mutter  weifs,  aus  welchem  Geschlechte,  die 
Mutter  weifs,  von  wem  einer  ist;    aus  dem  blofsen   Tragen 


Adhyaya  267  (B.  266).  441 

im  Leibe  entspringt  schon  die  Liebe  der  Mutter,  dem  Vater 
liegt  nur  an  der  Nachkommenschaft. 

36.  (9516.)  Wenn  die  Manner  aus  freien  Stiicken  die  Ver- 
bindung  der  Hande  geschlungen  und  die  gemeinsame  Ehe- 
pflicht  eingegangen  haben  und  dann  davonlaufen,  so  haben 
die  Frauen  nicht  notig,  ihnen  gute  Worte  zu  geben. 

37.  (9517.)  Weil  er  die  Frau  ernahrt,  heifst  er  der  Er- 
nahrer,  weil  er  iiber  sie  herrscht,  heifst  er  der  Herr,  wenn 
seine  Tugend  zunichte  wird,  dann  ist  er  nicht  mehr  Ernahrer 
und  auch  nicht  mehr  Herr. 

38.  (9518.)  In  einem  solchen  Falle  ist  das  Weib  schuldlos 
und  nur  der  Mann  schuldig,  und  auch  wenn  er  die  grofse 
Siinde  des  Ehebruchs  begeht,  ist  nur  der  Mann  schuldig. 

39.  (9519.)  Freilich  steht  fiir  eine  Frau  ihr  Gatte  am 
hochsten,  er  gilt  fiir  ihre  hochste  Gottheit,  aber  sie  hat  doch 
einem  seinem  Selbste  ahnlichen,  gleichfalls  hochsten  Selbste 
das  Leben  gegeben  [anders  Nil.]. 

40.  (9520.)  Die  Frauen  versiindigen  sich  nicht,  der  Mann 
ist  es,  der  sich  versiindigt,  denn  weil  bei  alien  derartigen 
Handeln  an  ihnen  gesiindigt  wird,  sind  die  Frauen  nicht  der 
siindigende  Teil. 

41.  (9521.)  Er,  an  den  keine  Aufforderung  von  seiten  des 
Weibes  zum  Geschlechtsgenusse  erging,  der  vielmehr  seiner- 
seits  offen  darauf  die  Rede  brachte,  er  ist  der  schuldige  Teil, 
daran  ist  kein  Zweifel. 

42.  (9522.)  Dafs  ein  Weib,  und  besonders  eine  Mutter,  der 
eine  so  hohe  Wiirde  zukommt,  nicht  getotet  werden  darf,  das 
diirften  sogar  die  unverniinftigen  Tiere  begreifen. 

43.  (9523.)  Man  weifs,  dafs  der  Vater  fiir  sich  allein  ein 
Inbegriff  von  Gottern  ist,  der  Mutter  aber  naht  man  als  einer 
solchen,  die  vermoge  ihrer  Liebe  ein  Inbegriff  von  Sterblichen 
und  Gottern  ist. 

44.  (9524.)  Wahrend  der  Sohn  in  dieser  Weise  vermoge 
seiner  Saumseligkeit  hin  und  her  iiberlegte,  war  eine  gar 
lange  Zeit  verstrichen;  —  da  kam  sein  Vater  zuriick. 

45.  (9525.)  Der  weise  Medhatithi,  der  askesefeste  Gautama, 
hatte  sich  wahrend  dieser  Zeit  die  Ubertretung  der  Ordnung 
durch  die  Gattin  iiberlegt 


442  in.    Mokshadharma. 

46.  (9526.)  und  sprach  nun  sehr  bekiimmert,  indem  er  aus 
Schmerz  Tranen  vergofs,  da  er  dank  seinem  Vedastudium 
und  festen  Charakter  Reue  empfand: 

47.  (9527.)  Der  Herr  der  drei  Welten,  der  Stadtezerstorer 
(Indra)  war  zu  meiner  Einsiedelei  gekommen  und  hatte,  als 
Oast  auftretend,  die  Gestalt  eines   Brahmanen  angenommen. 

48.  (9528.)  Ich  gewann  ihn  durch  freundliche  Worte,  ehrte 
ihn  durch  den  Willkommensgrufs  und  verhalf  ihm  vorschrifts- 
mafsig  zur  Gastspende  und  zum  Fufswasser. 

49.  (9529.)  Ich  stehe  ganz  zu  Diensten,  so  sprach  ich,  und 
[erwartete],  er  werde  sich  infolgedessen  freundUch  zeigen, 
und  wenn  dann  etwas  Unpassendes  sich  ereignet  hat,  so  fallt 
meinem  Weihe  der  Fehltritt  nicht  zur  Last. 

50.  (9530.)  So  trifft  weder  mein  Weib  noch  mich,  noch 
den  Wanderer,  den  Herrn  der  dreifsig  Gotter,  ein  Vorwurf 
der  Pflichtverletzung,  sondern  ein  Vorwurf  trifft  nur  meine 
L  nbesonnenheit. 

51.  (9531.)  Darum  sagen  die  das  Keuschheitsgeliibde  Be- 
folgenden,  dafs  Eifersucht  zu  Unheil  fiihrt,  von  Eifersucht  aber 
war  ich  befallen  und  in  einem  Ozean  von  Ubeltat  versunken. 

52.  (9532.)  Ich  habe  sie  getotet,  die  gute  Frau,  die  leiden- 
schaftlich  geliebte,  die  ich  als  Gattin  hatte  schiitzen  miissen, 
wer  hilft  mir  nun  aus  der  Not! 

53.  (9533.)  In  einer  Anwandlung  von  Schwache  habe  ich 
dem  hochherzigen  Cirakarin  den  Befehl  erteilt ;  sollte  er  dies- 
mal  wirklich  ein  Cirakarin  (Saumseliger)  gewesen  sein,  so 
konnte  er  mich  vor  dem  Verbrechen  bewahrt  haben. 

54.  (9534.)  0  Saumseliger,  Heil  sei  dir,  Heil  sei  dir,  o 
Saumseliger,  wenn  du  diesmal  saumselig  gewesen  hist,  so 
tragst  du  deinen  Namen  Cirakarika  mit  Recht. 

55.  (9535.)  Rette  mich  und  die  Mutter  und  den  von  mir 
aufgesammelten  Schatz  von  Askese  und  dich  selbst  vor  Ver- 
siindigungen,  sei  diesmal  ein  Cirakarika. 

56.  (9536.)  Die  Saumseligkeit  ist  dir  vermoge  deiner  grofsen 
Verstandigkeit  angeboren,  so  moge  sie  von  Erfolg  gewesen 
sein,  sei  diesmal  ein  Cirakarika. 

57.  (9537.)  Lange  fciramj  wurdest  du  von  deiner  Mutter 
ersehnt,  lange  in  ihrem  Leibe  getragen,  mache  diesmal  deine 


Adhyaya  267  (B.  266).  443 

Langsamkeit    erfolgreich   als    der  Langsamhandelnde   (Cira- 
karika). 

58.  (9538.)  Mag  er  langsam  handeln  aus  Kummer,  mag 
€1  lange  iiber  dem  gewordenen  Auftrage  schlafen,  wegen  des 
uns  beide  treffenden  langen  Rummers  bedachtsam,  o  du  Cira- 
.karika!    [Dieser  Vers  ist  in  B.  in  Paranthesen  eingeschlossen.] 

59.  (9539.)  In  dieser  Weise  von  Schmerz  erfiillt,  o  Konig, 
sail  der  grofse  Rishi  Gautama  seinen  Sohn  Cirakari[n]  sich 
^egeniiberstehen. 

60.  (9540.)  Als  aber  Cirakarin,  von  tiefem  Schmerze  er- 
fiillt, seinen  Vater  erblickte,  da  warf  er  seine  Waffe  von  sich 
und  naherte  sich  dem  Vater  gebeugten  Hauptes,  um  ihn 
^nadig  zu  stimmen, 

61.  (9541.)  Als  Gautama  sah,  wie  sein  Sohn  sich  mit  dem 
Haupte  zur  Erde  neigte,  und  wie  auch  seine  Gattin  dastand 
ohne  Fassung  [vor  Scham  versteinert,  nach  Nil.],  geriet  er 
in  grofse  Freude. 

62.  (9542.)  Fortan  blieb  diese  Gattin  nicht  mehr  von  dem 
Hochherzigen  geschieden,  selbst  wenn  er  in  der  Einsamkeit 
seine  Einsiedelei  bewohnte,  und  ebenso  sein  besonnener  Sohn. 

63.  (9543.)  Tote  sie,  so  hatte  der  Befehl  gelautet,  wahrend 
der  Sohn  mit  der  Waffe  in  der  Hand  gehorsam  dagestanden 
hatte,  indes  die  Sache  drangte  und  [der  Vater]  sich  davon 
machte,  obwohl  es  doch  seine  Sache  war. 

64.  (9544.)  Und  als  er  jetzt  seinen  Sohn  sah,  wie  er  sich 
zu  den  Fiifsen  des  Vaters  neigte,  da  kam  ihm  die  Einsicht: 
Meinen  Leichtsinn,  zur  Waffe  zu  greifen,  macht  er  wieder 
gut  durch  seine  Furcht  [vor  den  Folgen]. 

65.  (9545.)  Lange  lobte  ihn  darauf  der  Vater,  lange  kiifste 
er  ihn  auf  das  Haupt,  lange  hielt  er  ihn  in  seinen  Armen 
und  rief  ihm  zu:  Mogest  du  lange  leben. 

66.  (9546.)  So  geschah  es,  dafs  der  hochweise  Gautama, 
von  Liebe  und  Freude  erfiillt,  zum  Grufse  folgendes  Wort 
sprach : 

67.  (9547.)  Heil  sei  dir,  o  saumseliger  Cirakarin,  bleibe 
lange  ein  Saumseliger,  weil  ich  dir  als  Saumseligem,  o  Trauter, 
langezeit  ein  vor  Schmerz  Bewahrter  sein  werde. 


444  III-    Mokshadharma. 

68.  (9548.)  Und  der  weise  Gautama,  der  Beste  der  MuniV,. 
sang  Lobhymnen,  welche  die  Tugend  der  Langsamhandeln- 
den,  Besonnenen  feierten: 

69.  (9549.)  Langsam  moge  er  den  Freund  an  sich  fesseln 
und  nur  langsam  den  Gewonnenen  aufgeben,  denn  der  lang- 
sam gewonnene  Freund  ist  wert,  lange  festgehalten  zu  werden. 

70.  (9550.)  Wer  bei  Liebe,  Stolz,  Hochmut,  Betrug,  Ubeltat 
und  bei  unangenehmen  Auftragen  langsam  handelt,  der  ist 
zu  loben. 

71.  (9551.)  Wenn  bei  Verwandten,  Freunden,  Dienern  und 
Weibervolk  ein  Vergehen  nicht  klar  zutage  liegt,  so  ist  e& 
loblich,  langsam  zu  handeln. 

72.  (9.552.)  So  wurde,  o  Bharata,  dieser  Gautama  durch 
diese  Handlungsweise  seines  Sohnes,  o  Kurusprofs,  dank 
seiner  Saumseligkeit  erfreut. 

73.  (9553.)  So  wird  ein  Mensch,  wenn  er  in  alien  An- 
gelegenheiten  iiberlegt  und  nur  langsam  seinen  Entschlufs 
fafst,  vor  langer  Reue  bewahrt. 

74.  (9554.)  Lange  halt  er  mit  dem  Zorn  an  sich,  lange 
halt  er  mit  der  Tat  zuriick;  dann  wird  kein  Werk  von  ihm 
vollbracht,  das  Reue  nach  sich  ziehen  kann. 

75.  (9555.)  Lange  sitze  er  zu  Fiifsen  der  Alten,  lange  ihnen 
huldigend  ehre  er  sie,  lange  betreibe  er  die  Pflicht,  lange 
beschaftige  er  sich  mit  der  Forschung. 

76.  (9556.)  Wenn  er  lange  den  Weisen  huldigt,  lange  die 
Gelehrten  besucht  und  lange  sich  selbst  ziigelt,  so  wird  er 
zu  langdauernder  Achtung  gelangen. 

77.  (9557.)  Und  [so  wie  diese  Rede]  soil  man  auch  die 
Rede  eines  andern,  wenn  sie  sich  mit  der  Pflichterfiillung  be- 
schaftigt,  nur  langsam  mitteilen,  auch  wenn  man  danach  ge- 
fragt  wurde;  dann  wird  man  keine  lange  Reue  erleiden. 

78.  (9558.)  Nachdem  der  askesereiche  Brahmane  in  jener 
Einsiedelei  noch  viele  Jahre  lang  seine  Verehrung  fortgesetzt 
hatte,  ist  er  zugleich  mit  seinem  Sohne  in  den  Himmel  ein- 
gegangen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Geschiehte  von  dem  Saumseligen 
(Vi/akdrika  -  updklnjdnam) 


Adhyaya  268  (B.  267).  445 

Aclliyaya  368  (B.  367). 

Vers  9559-9595  (B.  1-36). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (9559.)  Wie  vermag  ein  Konig  seine  Untertanen  zu 
schiitzen,  ohne  dafs  er  irgendwie  einmal  [jemanden]  hin- 
richten  lafst?  Darnach  frage  ich  dich,  o  Bester  der  Guten, 
das  erklare  mir,  o  Grofsvater. 

Bhishma  sprach: 

2.  (95G0.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Unterredung  des  Dyumatsena  mit 
dem  Konige  Satyavant. 

3.  (9561.)  Noch  nicht  Ausgesprochenes  sprach  Satyavant 
aus,  so  wird  erzahlt,  als  einige  auf  Befehl  seines  Vaters  ab- 
gefiihrt  wurden,  um  hingerichtet  zu  werden: 

4.  (9562.)  Das  Recht  wird  zum  Unrecht  und  das  Unrecht 
zum  Recht!  Mag  auch  die  Hinrichtung  ein  Recht  sein,  so 
sollte  doch  dergleichen  nicht  geschehen. 

Dyumatsena  sprach: 

5.  (9563.)  Wenn  die  Hinrichtung  ein  Unrecht  ist,  wie  kann 
dann  die  Gerechtigkeit  jemals  bestehen?  Wenn  die  Rauber 
nicht  getotet  werden  diirfen,  o  Satyavant,  so  wiirde  Ariarchie 
die  Folge  sein. 

6.  (9564.)  „Dieses  ist  raein  uhd  jenes  gehort  ihm",  [diese 
Scheidung]  konnte  im  Kali-Zeitalter  nicht  bestehen,  und 
Handel  und  Wandel  ware  unmoglich.  Wenn  du  da  Rat 
weifst,  so  sage  es  uns. 

Satyavant  sprach: 

7.  (9565.)  Alle  die  drei  librigen  Kasten  miissen  der  Brah- 
manenkaste  unterworfen  sein,  dann  wird  auch  jeder  andere, 
der  nicht  den  Fesseln  des  Gesetzes  unterworfen  ist,  ebenso 
wie  sie  handeln. 

8.  (9566.)  Und  wenn  einer  von  ihnen  sich  vergehen  sollte, 
dann  soil  ihm  ein  Zwiegeborener  zureden,  und  wenn  dieser 


446  ni.    Mokshadliarma. 

sagt:   der  Mensch   will   nicht   auf  mich  horen,    so  mag  der 
Konig  strafend  einschreiten. 

9.  (9567.)  Was  der  Gesetzeskanon  vorschreibt ,  ohne  dafs 
einer  der  Existenz  beraubt  wird,  das  mufs  eingehalten  und 
nicht  anders,  nicht  ohne  Priifung  der  Tat  und  der  entsprechen- 
den  Gesetzesvorschrift  verfahren  werden. 

10.  (9568.)  Der  Konig  totet  den  Rauber,  aber  zugleich 
mit  ihm  viele  Unschuldige,  denn  zugleich  mit  dem  Ver- 
brecher  werden  Gattin,  Mutter,  Vater  und  Sohn  mitbetroffen, 
(9569.)  darum  moge  der  Konig,  wenn  sich  einer  gegen  ihn 
vergeht,  die  Sache  sorgfaltig  iiberlegen. 

11.  Auch  ein  nichtguter  Mensch  kann  mitunter  einen 
guten  Charakter  sich  aneignen.  (9570.)  Von  einem  Guten,  aber 
auch  von  Nicht- Guten  kann  eine  edle  Nachkommenschaft  er- 
zeugt  werden. 

12.  Man  braucht  nicht  die  ganze  Wurzel  auszurotten, 
das  befiehlt  kein  ewiges  Gesetz;  (9571.)  auch  wenn  man  sehr 
wenig  von  der  Totung  Gebrauch  macht,  kann  eine  Siihnung 
des  Verbrechens  erreicht  werden. 

13.  Durch  Einschiichterung,  Gefangenschaft,  Verstiimme- 
lung,  (9572.)  und  Todesstrafe  soil  man  sie  nicht  vor  dem  Ge- 
richtshofe  des  Purohita  qualen, 

14.  sondern  wenn  sie  den  Purohita  angehen  und  um 
Schutz  bitten  und  sagen:  (9573.)  Wir  woUen  das  Verbrechen 
nicht  wieder  begehen,  o  Priester, 

15.  dann  verdienen  sie  wohl  losgelassen  zu  werden,  das 
ist  das  Gesetz  des  Schopfers.  (9574.)  Aber  sogar  ein  mit  Stab 
und  Fell  daherkommender  kahlkopfiger  Brahmane  mufs  [unter 
Umstanden]  seine  Ziichtigung  erhalten. 

16.  Ja,  je  hoher  einer  steht,  um  so  hoher  mufs  die  Strafe 
sein.  (9575.)  Vergeht  sich  einer  zu  wiederholten  Malen,  so 
darf  er  nicht  freigesprochen  werden,  wie  beim  ersten  Male. 

Dyumatsena  sprach: 

17.  (9576.)  Soweit  nur  immer  zu  irgendeiner  Zeit  die 
Untertanen  [ohne  Strafe]  im  Zaume  gehalten  werden  konnen, 
braucht  das  Gesetz  nur  in  Erinnerung  gebracht  zu  werden, 
solange  es  nicht  ubertreten  wird. 


Adhyaya  268  (B.  267).  447 

18.  (9577.)  Soil  aber  die  Todesstrafe  gar  nicht  mehr  ver- 
hangt  werden,  so  gerat  alios  in  Verfall;  freilich  die  friiheren 
und  noch  friiheren  Geschlechter  waren  noch  leicht  zu  regieren ; 

19.  (9578.)  sie  waren  milde,  wahrheitsliebend,  selten  be- 
triigend  und  selten  zornig.  Zuerst  war  schon  das  „Pfui!'^ 
eine  Strafe,  ihm  folgte  als  Strafe  der  Vorwurf. 

20.  (9579.)  Oder  es  geniigte  auch  eine  Vermogens- 
schmalerung  als  Strafe,  heute  aber  herrscht  die  Todesstrafe,. 
und  nicht  einmal  durch  sie  ist  es  moglich,  niedrige  Menschen 
im  Zaume  zu  halten. 

21.  (9580.)  Ein  Rauber  hat  keine  Gemeinschaft  mit  den 
Menschen,  keine  Gemeinschaft  mit  Gottern,  Gandharven  und 
Manen :  mit  wem  hatte  er  sie  ?  Er  ist  iiberhaupt  kein  Mensch 
mehr. 

22.  (9581.)  Er  raubt  die  Lotosblume  vom  Leichenacker 
und  ist  noch  ein  schlimmerer  Damon  als  ein  Pi^aca;  wer 
mochte  mit  diesen  Unwissenden  und  Geistbetorten  Gemein- 
schaft machen?  [mit  C] 

Satyavant  sprach: 

23.  (9582.)  Wenn  du  durch  Enthaltung  vom  Toten  die 
Guten  nicht  hinreichend  schiitzen  kannst,  so  mache  ein  Endo 
[statuiere  ein  Exempel],  indem  du  irgendeinen  friiher  oder 
spater  dingfest  machst. 

24.  (9583.)  Die  Konige  legen  sich  ja,  um  die  Welt  in  Ord- 
nung  zu  halten,  die  grofste  Askese  auf,  sie  schamen  sich 
solcher  Ubeltater  und  darum  benehmen  sie  sich  so, 

25.  (9584.)  Aus  Angst  und  nicht  zu  ihrem  Vergniigen  toten 
sie  als  Wohltater  [der  Menschheit]  die  Bosewichter,  denn 
um  ihnen  wohlzutun  regieren  doch  die  Konige  zumeist  ihre 
Untertanen. 

26.  (9585.)  Und  so  folgt  die  Welt  dem  Beispiel  des  jedes- 
mal  Bessern,  denn  die  Menschen  richten  sich  immer  nach 
dem  Vorbilde  eines  Lehrers. 

27.  (9586.)  Wer  sich  selbst  nicht  im  Zaume  halt  und  andere 
im  Zaume  halten  will,  wer  den  Dingen  gegeniiber  ein  Knecht 
seiner  Sinnlichkeit  ist,  den  verlachen  die  Menschen. 

28.  (9587.)   Wer  aus  Trug  oder  Torheit  gejen  den  Konig 


448  ni.    Mokshadharma. 

etwas  Unangemessenes  begeht,   der  ist  durch  alle  Mittel  in 
seine  Schranken  zu  weisen,  dann  lafst  er  vom  Bosen  ab. 

29.  (i)588.)  Seiner  selbst  mufs  zuerst  Herr  werden,  wer 
des  Bosen  Herr  werden  will,  dann  mag  er  weiterhin  selbst 
die  nachsten  Verwandten  mit  schweren  Strafen  belegen. 

30.  (958!).)  Denn  wo  den  gemeinen  Ubeltater  nicht  grofses 
Leiden  trifft,  da  nehmen  die  bosen  Taten  iiberhand  und  die 
Gerechtigkeit  geht  unfehlbar  in  die  Briiche. 

31.  (9690.)  So  hat  es  ein  mitleidvoller ,  weiser  Brahmane 
Ijefohlen,  und  in  diesem  Sinne  bin  audi  ich,  o  Freund,  von 
friiheren  Vorfahren  belehrt  worden, 

32.  (9591.)  welche  aus  Mitleid  [ihremVolke]  festesVertrauen 
einzuflofsen  suchten,  indem  sie  folgendermafsen  sprachen: 
Diese  Welt  moge  ein  Konig  im  Krita-Zeitalter  durch  das  erst- 
genannte  [gelindeste,  oben,  Vers  9578]  Mittel  beherrschen. 

33.  (9592.)  Im  Treta-Zeitalter  moge  er  vorgehen  mit  dem 
um  ein  Viertel  verminderten  Gesetze  [vgl.  oben,  Vers  85oo  fg.], 
im  Dvapara  nur  mit  zwei  Vierteln  und  mit  einem  Viertel 
in  dem  letzten  Zeitalter. 

34.  (9593.)  Aber  nachdem  dieses  Kali-Zeitalter  eingetreten 
ist,  bleibt  wegen  der  schlechten  Fiihrung  des  Konigs  und 
vermoge  der  Verschiedenheit  der  Zeit  [schliefslich]  nur  noch 
ein  Sechzehntel  des  Gesetzes  bestehen. 

35.  (9594.)  Dann  wiirde  durch  das  erstgenannte  Mittel, 
o  Satyavant,  Anarchie  entstehen,  daher  mufs  er  in  Anbetracht 
des  Lebensalters ,  der  Fahigkeit  und  der  Zeit  Bufsen  auf- 
erlegen. 

36.  (9595.)  Damit  fiir  die  Erlangung  des  Wahren  die  grofse 
Frucht  der  Gerechtigkeit  hienieden  nicht  unzulanglich  werde, 
hat  aus  Mitleid  mit  den  Geschopfen  Manu  Svayambhuva  dieses 
verkiindigt. 

"(     .  So  lautet  im  Mokshadharma 

die  Unterredung  zwischen  Dyumatsena  und  Satyavant 
(Dyumatsena-  Satyavant  -  sainrddu). 


Adhyaya  269  (B.  268).  449 

Adhyaya  269  (B.  268). 

Vers  9596-9635  (B.  1-40). 

Yudhishthira  spracli: 

1.  (9596.)  Der  Yoga  freilich  vermag  es,  ohne  Beeintrach- 
tigung  der  Kreaturen  seine  sechs  Vorzuge  [Gottherrlichkeit, 
Wissen,  Ruhm,  Schonheit,  Entsagung  und  Pflichterfiillung, 
Nil.]  hervorzubringen ;  aber  nun  sage  mir,  o  Grofsvater,  die- 
jenige  der  beiden  Pflichten,  welche  beider  Frucht  in  sich  befafst, 

2.  (9B97.)  die  der  Hausvaterpflicht  und  die  der  Yogapflicht, 
der  einen  wie  der  andern;  beide  stehen  ja  nicht  weit  von- 
einander  ab,  was  ist  nun  vorzuziehen,  o  Grofsvater? 

Bhishma  sprach: 

3.  (9598.)  Beide  Pflichten  sind  sehr  hervorragend ,  beide 
sind  iiberaus  schwer  zu  erfiillen,  beide  bringen  grofse  Frucht 
und  beide  werden  von  Guten  betrieben. 

4.  (9599.)  Ich  werde  dir  jetzt  die  autoritative  Geltung  der 
beiden  entwickeln;  so  bore,  o  Prithasohn,  mit  ungeteilter 
Aufmerksamkeit  mich  an,  der  ich  den  Zweifel  iiber  den  Sinn 
des  Gesetzes  iiberwunden  habe. 

5.  (9600.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Unterredung  zwischen  Kapila  und 
einer  Kuh,  die  vernimm,  o  Yudhishthira. 

6.  (9601.)  Eingedenk  des  alten,  ewigen,  unverbriichhchen 
Branches  wollte  Nahusha  einstmals  [zu  Ehren]  des  Tvashtar 
eine  Kuh  schlachten,  so  wird  erzahlt. 

7.  (9602.)  Als  sie  schon  an  dem  Pfosten  angebunden  war, 
erblickte  sie  heiteren  Geistes  der  wahrheitfeste ,  askesefrohe, 
erkenntnisreiche,  mafsige  Kapila, 

8.  (9603.)  und  er,  welcher  zum  hochsten,  festgegriindeten, 
furchtlosen,  edlen,  nicht  wankenden,  wahrhaften  Bewufstsein 
durchgedrungen  war,  sprach  nur  das  Wort :  „0  diese  Veden !" 

9.  (9604.)  Da  geschah  es,  dafs  ein  Rishi  mit  Namen  Syu- 
maragrai  in  die  Kuh  hineinfuhr  und  aus  ihr  heraus  folgender- 
mafsen  zu  dem  Asketen  sprach:  Ei,  ei!  wenn  du  sagen 
kannst:  o  diese  Veden!  so  mochte  ich  wissen,  von  wem  sind 
denn  andere  [bessere]  Satzungen  erdacht  worden? 

Deussen,  Mah&bb&Tatam.  29 


45G  III.    Mokshadharma. 

10.  (9605.)  Askesereiche ,  Charakterfeste,  in  der  Schrift- 
wissenschaft  Gelehrte  sind  dock  der  Meinung,  dafs  alles, 
was  im  Veda  vorkommt, .  von  dem  Wesenskenner  uns  offen- 
bart  worden  ist. 

11.  (9606.)  Und  wenn  er,  der  Durstfreie,  Leidlose,  Wunsch- 
lose,  vollig  Werkfreie  in  dieser  Weise  in  den  Veden  sick  ge- 
aufsert  kat,  wie  kann  da  einer  nock  etwas  sagen  wollen! 

Kapila  sprach : 

12.  (9607.)  Ick  tadle  die  Veden  nickt  und  gedenke  nickts 
gegen  sie  zu  sagen,  aker  in  der  Sckrift  wird  gelekrt,  dafs 
die  Werke  der  Menscken  in  den  versckiedenen  Lebensstadien 
alle  dasselbe  Ziel  kaben. 

13.  (9608.)  Auf  dieses  strebt  der  Entsagende  [Sannyasin] 
kin,  auf  dieses  der  Waldeinsiedler ,  auf  dieses  streben  beide 
kin,  der  Hausvater  und  der  Brakmansckiiler. 

14.  (9609.)  Denn  es  gibt  vier  ewige  zu  den  Gottern  fiikrende 
fdevaydndhj  Wege,  und  ikr  grofserer  oder  geringerer  Wert, 
ikre  Starke  und  Sckwacke  kegt  in  ikrer  Fruckt. 

15.  (9610.)  Dieses  wissend,  soil  man  alle  Dinge  in  Angriff 
nekmen,  das  ist  Vedalekre,  und  nickt  anders  soil  man  sie  in 
Angriff  nekmen,  das  lekrt  die  unverbriicklicke  Sckriftiiber- 
lieferung. 

10.  (9611.)  Wer  sie  nickt  [anders]  in  Angriff  nimmt,  den 
trifft  keine  Sckuld,  wer  sie  aber  [anders,  d.  k.  okne  Kenntnis 
der  Vedavorsckrift]  in  Angriff  nimmt,  der  versilndigt  sick 
sckwer.  So  stekt  es  mit  dem  Kanon,  und  dock  ist  aus  ilim 
die  Starke  und  Sckwacke  [der  zu  den  Gottern  fiikrenden 
Wege]  sckwer  zu  erkennen. 

17.  (9612.)  Wenn  es  nun  in  der  Welt  irgend  etwas  gibt, 
von  dem  die  Erfakrung,  abgeseken  von  der  Sckriftiiberliefe- 
rung,  lekrt,  dafs  es  koker  als  die  Nicktsckadigung  steke,  so 
nenne  mir  das,  wenn  du  kannst. 

SyumaraQmi  sprach : 

18.  (9613.)  Immer  wieder  [z,  B.  Pancav.  Br.  16,3,3]  keifst 
es  in  der  Sckrift:  „wer  nack  dem  Himmel  begekrt,  soil 
[dies  oder  das]   opfern";    erst   nackdem   man  die  Fruckt  in 


Adhyaya  269  (B.  268).  451 

Aussicht  genommen    hat,   wird    sodann   das   Opfer  bewerk- 
stelligt. 

19.  (9614.)  Ziegenbock,  Rofs,  Widder,  Kuh  und  alle  Vogel- 
arten  und  die  zahmen  und  wilden  Krauter  dienen  dem  Prana 
zur  Nahrung,  so  lehrt  die  Schrift  [vgl.  Brih.  Up.  0,1,14]. 

20.  (9615.)  Und  dasselbe  wird  vorgeschrieben  in  bezug  auf 
die  tagliche  Mahlzeit  abends  und  morgens,  und  auch  Haus- 
tiere  und  Getreidekorner  bilden  einen  Teil  des  Opfers,  wie 
•die  Schrift  lehrt. 

21.  (9616.)  Alles  dies  hat  Prajapati  zugleich  mit  dem  Opfer 
erschaffen,  und  dieses  Opfer  hat  Prajapati,  der  Herr,  den 
Gottern  dargebracht. 

22.  (9617.)  Und  so  sind  alle  die  siebenmal  sieben  Klassen 
lebender  Wesen,  eines  immer  hoher  stehend  als  das  andere, 
ja  diese  ganze  Welt  zum  Opfer  bestimmt  bis  hinauf  zu  dem, 
was  den  hochsten  Namen  fiihrt  [dem  Purusha],  wie  die  Veden 
lehren  (Eigveda  10,90,15). 

23.  (9618.)  Das  ist  fiir  zulassig  erklart  worden  von  den 
Alton  und  den  noch  Alteren;  wer,  der  dies  weifs,  mochte 
nicht  immer  nach  seiner  Leistungsfahigkeit  [das  Beste  zum 
Opfer]  aussondern. 

24.  (9619.)  Tiere  und  Menschen,  Baume  und  Krauter  ver- 
langen  nach  dem  Himmel  und  kein  Himmel  ist  ihneu 
{sicherer]  als  durch  dieses  Geopfertwerden. 

25.  (9620.)  Krauter,  Tiere,  Baume,  Strauchwerk,  Schmelz- 
butter,  Milch  und  saure  Milch,  Opferspeise,  Erde,  Himmels- 
gegenden,  Glaube  und  Zeit,  das  sind  zwolf; 

26.  (9621.)  dazu  Rigverse,  Yajus-Spriiche,  Saman-Lieder 
und  der  Opferherr  macht  sechzehn;  Agni  ist  als  Hausvater 
■anzusehen  und  gilt  als  der  siebzehnte. 

27.  (9622.)  Dieses  sind  die  Glieder  des  Opfers,  das  Opfer 
aber  ist  die  Wurzel  [der  Welt],  wie  die  Schrift  sagt.  Durch 
Schmelzbutter,  Milch,  saure  Milch,  Dung,  Quark,  Haut, 

2^.  (9623.)  Haare,  Horn  und  Fufs  geht  die  Kuh  in  das 
Opfer  ein;  so  ist  im  einzelnen  alles  beschaffen,  was  bei  ihm 
vorgeschrieben  ist. 

29.  (9624.)  Diese  Bestandteile,  in  das  Opfer  eingehend, 
fiihren  es  empor  mitsamt  den   abgelohnten  Priestern,   diese> 

29* 


452  in.  Mokshadharma, 

fassen    das    alles    zusammen    und    bringen    das    Opfer    in 
Gang. 

30.  (9625.)  Denn  um  beim  Opfer  zu  dienen  sind  sie  ge- 
schaffen  worden,  wie  die  Schrift  der  Wahrheit  gemafs  lehrt^ 
so  haben  alle  die  vormaligen  Menschen  verfahren. 

31.  (9626.)  Nichts  totet  oder  vergewaltigt  oder  iiberlistet 
der,  welcher  mit  dem  Gedanken :  das  Opfer  mufs  dargebracht 
werden,  ohne  Verlangen  nach  Lohn  opfert. 

32.  (9627.)  Diese  Bestandteile  des  Opfers,  wie  sie  in  ihrer 
Keihenfolge  das  Opfer  genannt  werden,  und  wie  sie  durch  die 
Vorschrift  mit  Gebrauchsanweisung  versehen  sind,  stiitzen 
sich  gegenseitig. 

33.  (9628.)  Die  heilige  Uberlieferung,  auf  welcher  die  Veden 
beruhen,  sehe  ich  als  eine  von  Eishi's  herriihrende  an;  und 
nach  ihr  richten  sich  die  Weisen,  indem  sie  das  Brahmanam 
als  Richtschnur  nehmen. 

34.  (9629.)  Von  Brahmanen  hat  das  Opfer  seinen  Ursprung^ 
und  durch  Brahmanen  ist  es  uns  iiberliefert  worden,  die  ganze 
Welt  ist  dem  Opfer  entsprechend  gebildet,  und  das  Opfer  ent- 
spricht  der  Welt  immerdar. 

35.  (9630.)  Der  Laut  Om  ist  die  Quelle  des  Veda,  dazu 
die  Ausrufe:  namas,  svdhd,  svadhd  und  vashat.  Wer  diese 
benutzt  und  nach  Kraften  verwendet, 

36.  (9631.)  fiir  den  gibt  es  in  alien  drei  Welten  keine 
Furcht  vor  dem  Jenseits,  so  lehren  hienieden  die  Veden  und 
die  vollendeten  hochsten  Weisen. 

37.  (9632.)  Die  Rigverse,  Yajusspriiche  und  Samanlieder 
mit  ihren  richtig  vorgetragenen  Modulationen ,  bei  wem  das 
alles  richtig  vorhanden  ist,  der  ist  hienieden  ein  wahrer 
Zwiegeborner. 

38.  (9633.)  Was  sonst  noch  bei  der  Feueranlegung  und 
Somapressung  Branch  ist,  und  was  durch  die  anderen  grofsen. 
Opfer  gewirkt  wird,  das  weifst  du  ja,  o  Heiliger. 

39.  (9634.)  Darum,  o  Brahmane,  soil  man  ohne  Bedenken 
opfern  und  opfern  lassen;  wer  nach  der  den  Himmel  be- 
treffenden  Vorschrift  opfert,  dem  wird  nach  dem  Tode  als. 
grofser  Lohn  der  Himmel  zuteil. 


Adhy&ya  269  (B.  268).  453 

40.  (963).)  Wer  nicht  opfert,  dem  wird  wahrlich  weder 
diese  Welt  noch  die  andere  Welt  zuteil,  fiir  beides  als  Autoritat 
sind  die  Kenner  der  Vedaworte  anzusehen. 

So  lautet  im  Moksbadharma  die  Begebenheit  zwischen  Kapila  und  der  Kuh 
(go-kapilii/am). 


Adhyaya  370  (B.  369). 

Vers  9636-9706  (B.  1-68). 
« 
Kapila  sprach : 

1.  (9636.)  Das  alles,  soviel  es  ist,  sehen  die  Asketen  an 
und  verfolgen  ihren  Weg,  fiir  sie  gibt  es  in  aller  Welt  keine 
Ubertretutig  [weil  sie  dem  Ritualgesetz  nicht  mehr  unter- 
worfen  sind]. 

2.  (9637.)  Frei  von  den  Gegensatzen,  von  Verehrung,  von 
den  Fesseln  der  Wiinsche,  verstandig,  erlost  von  alien  Siinden 
wandeln  sie  dahin,  rein  und  fleckenlos. 

3.  (9638.)  Sie  besitzen  die  Gewifsheit  in  betreff  der  Er- 
losung,  Entsagung  und  Erkenntnis,  als  Brahmanhafteste, 
Brahmangewordene,  in  Brahman  ihre  Heimat  Findende. 

4.  (9639.)  Ihnen  sind  die  kummerlosen,  staubfreien,  ewigen 
Welten  eigen;  wozu  brauchen  sie,  welche  das  hochste  Ziel 
erlangt  haben,  erst  noch  Hausvater  zu  werden? 

SyfimaraQmi  sprach: 

5.  (9640.)  Zugegeben,  dafs  sie  das  hochste  Ziel,  den  hochsten 
Weg  verfolgen,  so  kann  doch,  ohne  sich  auf  die  Hausvater 
zu  stiitzen,  kein  anderes  Lebensstadium  Bestand  haben. 

6.  (9641.)  Wie  alle  Wesen,  nur  sofern  sie  auf  eine  Mutter 
sich  stiitzen,  ihr  Leben  haben,  so  konnen  die  iibrigen  Lebens- 
stadien  nur  bestehen,  sofern  sie  auf  den  Hausvaterstand  sich 
stiitzen. 

7.  (9642.)  Der  Hausvater  ist  es,  der  opfert,  er  ist  es,  der 
die  Askese  iibt,  der  Hausvater  ist  die  Wurzel  jeder  Pflicht 
fiir  alles,  was  lebt  und  webt. 

8.  (9643.)    Alle  lebenden   Menschen   haben    sich  aus   der 


454  ni.   Mokshadharma. 

Zeugung  und  dem,  was  ihr  folgt,   entwickelt,  und  die  Zeu- 
gung  ist  aufserhalb  des  Hausvaterstandes  nicht  moglich. 

9.  (9644.)  Und  was  die  Graser  und  Krauter  sind,  und  was 
aufser  ihnen  noch  auf  den  Bergen  wachst  [entsteht  auch 
durch  Zeugiing,  und  durch  sie  alles  andere],  weil  ohne  die 
Krauter,  ohne  ihr  Leben  keines  denkbar  ist. 

10.  (9645.)  Wer  konnte  diese  Behauptung  als  wahr  hin- 
stellen,  dafs  vom  Hausvaterstande  aus  die  Erlosung  nicht  er- 
folgen  konne!  Nur  von  Unglaubigen,  Unverstandigen ,  sub- 
tiler  Erkenntnis  Ermangelnden, 

11.  (9646.)  Auswiirf Hngen ,  Tragen,  Matten,  unter  der 
Arbeit  Seufzenden,  Unweisen  wird  die  Hingabe  an  die  Ruh& 
nur  im  Waldeinsiedlertum  gefunden. 

12.  (9647.)  Denn  als  Ursache  der  drei  Welten  und  ihre 
ewige  feste  Begrenzung  wird,  als  von  Geburt  an  geheiligt^ 
^er  geehrt,  der  den  Namen  Brahmane  tragt. 

13.  (9648.)  Schon  vor  ihrer  Empfangnis  werden  heilige 
Spriiche  fur  die  Zwiegeborenen  verwendet  und  sind  wirksam 
in  Sachen  des  Glaubens  und  der  Erfahrung  [nach  Nil.], 

14.  (9649.)  bei  der  Leichenverbrennung  und  beim  Eingang^ 
in  einen  neuen  Leib,  und  nach  diesem  Eingange  beim  Trinken 
und  Essen,  beim  Schenken  von  Kiihen  und  anderem  Vieh 
und  beim  Eintauchen  der  Manenklofse  ins  Wasser. 

15..  (9650.)  Und  auch  die  Abgeschiedenen,  die  Glanzreichen,, 
die  auf  der  Streu  Sitzenden  und  die  Fleischfressenden  [arcish- 
mantah,  barJiishadah,  kravydddh,  „three  classes  of  Pitris"  nach 
Pratapa  Chandra  Ray]  sind  der  Meinung,  dafs  auch  fiir  den 
Toten  Spriiche  und  abermals  Spriiche  das  Wirksame  sind. 

16.  (9651.)  Wenn  dies  die  Veden  uns  entgegenrufen,  wie 
sollte  dann  fur  irgendeinen  [ohne  den  opfernden  HausvaterJ: 
die  Erlosung  moglich  sein,  zumal  die  Menschen  gegen  Manen,. 
Gotter  und  Brahmanen  in  der  Schuld  sind. 

17.  (9652.)  Von  gliickverlassenen,  tragen  Gelehrten  ist  diese 
Ignorierung  der  Vedaworte  aufgebracht  worden  wie  eine  Liige^ 
die  den  Schein  der  Wahrheit  hat. 

18.  (9653.)   Nicht  wird  vom  Ubel  erfafst  und  fortgerafft 
der  Brahmane,  welcher  nach  Vorschrift  des  Veda  opfert^ 


Adhyaya  270  (B.  2G9).  465 

empor  zum   Himmel   steigt  er  mit  den  Opfertieren,  und 
selbst  befiiedigt,  befriedigt  er  auch  ihre  Wiinsche. 

19.  (9654.)  Nicht  durch  Mifsachtung  der  Veden,  nicht 
durch  Trug  und  Tauschung  erlangt  der  Mensch  Grofses, 
sondern  niir  im  Brahman  (Veda)  findet  «r  das  Brahman. 

Kapila  sprach: 

20.  (9655.)  Fiir  den  Weisen  gab  es  das  Neu-  und  Voll- 
mondsopfer,  das  Agnihotram  und  die  Viermonatsopfer,  in 
ihnen  liegt  ein  ewiges  Gesetz. 

21.  (9656.)  Hingegen  die  nichts  Unternehmenden ,  Wohl- 
gefestigten,  Reinen,  die  den  Namen  des  Brahman  tragen, 
diese,  nach  UnsterbHchkeit  verlangend,  erfreuen  die  Gotter 
nur  durch  ihr  Brahman  (heihgen  Wandel). 

22.  (9657.)  Wer  auf  alle  Wesen  hinbHckt  als  einer,  der 
zum  Selbste  aller  Wesen  geworden  ist,  an  dessen  Weg  werderi 
sogar  die  Gotter  irre,  verfolgend  des  Spurlosen  Spur. 

23.  (9658.)  Den  Menschen,  der  vier  Tore  [Arme,  Rede, 
Bauch,  Genitahen]  und  vier  Pforten  [Leib,  Sinne,  Manas, 
Buddhi]  hat,  betritt  er  [der  Atman]  vermittelst  der  Be- 
lehrung  als  vierfaltiger  [Viraj,  Sutratman,  Antaryamin 
und  (^uddha;  die  Erganzungen  nach  Nil.];  dabei  soil  man 
von  Armen,  Rede,  Bauch  und  Genitalien  aus  deren  Tor- 
eingang  als  Torwachter  zu  bewachen  suchen. 

24.  (9659.)  Man  spiele  nicht  mit  Wlirfeln,  man  nehme 
kein  fremdes  Eigentum,  man  befasse  sich  nicht  mit  der 
gekochten  [Opferspeise,  Nil.]  eines  Unebenbiirtigen 
fayomyaj;  erziirnt,  moge  der  Weise  nicht  zu  Tatlich- 
keiten  schreiten,  so  werden  seine  Hande  und  Fiifse  wohl 
bewacht  sein, 

25.  (9660.)  Er  lasse  sich  nicht  zu  Schmahungen  fort- 
reifsen,  er  fiihre  nicht  lose  Reden,  er  befasse  sich  nicht 
mit  Angeberei  und  Nachrede;  er  sei  wahren  Geliibdes, 
mafsvoller  Rede  und  besonnen,  dann  ist  bei  ihm  das  Tor 
der  Rede  wohlbewacht. 

26.  (9661.)  Er  enthalte  sich  nicht  der  Speise,  nehme 
aber  auch  nicht  viele  Speise  zu  sich,  sei  ohne  Habgier 
und  in  Gesellschaft  der  Guten,  nehme  Nahrung  nur  ein, 


456  UI-    Mokshadharma. 

um  sein  Leben  zu  erhalten,  dann  ist  bei  ihm  das  Tor 
des  Bauches  wohlbewacht. 

27.  (9662.)  Er  soil  sich  nicht  mit  einem  Weibe,  die 
eines  Edlen  Gattin  ist,  vergniigen,  er  soil  auch  nicht  ein 
Weib  durch  Unwahrheit  an  sich  locken,  das  Ehegeliibde 
bewahre  er  treu  im  Herzen,  dann  ist  bei  ihm  das  Tor 
der  Genitalien  wohlbewacht. 

28.  (9663.)  Wer  als  Weiser  alle  diese  Tore  wohlbewacht, 
Genitalien,  Bauch,  Arme  und  Rede,  der  ist  ein  wahrer  Zwie- 
geborener  [wohl  dvijah  zu  lesen]. 

29.  (9664.)  Alles  aber  ist  nutzlos  flir  den,  der  diese  Tore 
nicht  bewacht;  was  niitzt  ihm  Askese,  was  Opfer,  was  der 
Atman ! 

30.  (9665.)  Wer  kein  Ubergewand  tragt,  keine  Streu  als 
Lager  benutzt,  nur  die  Arme  als  Kopfkissen  hat  und  be- 
ruhigten  Gemiites  ist,  den  erkennen  die  Gotter  als  einen 
Brahmanen  an. 

31.  (9666.)  Wer  an  der  Ruhe  vor  alien  Gegensatzen  einzig 
als  Weiser  seine  Freude  hat  und  sich  um  die  anderen  nicht 
bekiimmert,  den  erkennen  die  Gotter  als  einen  Brahmanen  an. 

32.  (9667.)  Wer  alles  vollkommen  erkannt  hat,  die  Ur- 
natur  (prahritij  und  ihre  Entfaltungen  und  die  Ziele  aller 
Wesen  kennt,  den  erkennen  die  Gotter  als  einen  Brah- 
manen an. 

33.  (9668.)  Wenn  einer  sich  vor  alien  Wesen  nicht  mehr 
fiirchtet  und  alle  Wesen  nicht  mehr  vor  ihm,  wer  zum  Selbste 
aller  Wesen  geworden  ist,  den  erkennen  die  Gotter  als  einen 
Brahmanen  an. 

34.  (9669.)  Die  Menschen  aber  nehmen  ununtwbrochen  zu 
ihrer  Richtschnur  die  Frucht  von  Gaben,  Opfern  und  Zere- 
monien,  indem  sie  alles  jenes  [Gesagte]  verkennen,  da  etwas 
anderes  sie  als  Frucht  lockt. 

35.  (9670.)  Von  solchen,  welche  sich  auf  die  vermoge  ihrer 
Werke  betriebene,  furchtbare  Askese  stiitzen,  haben  sie  dieses 
als  alten,  ewigen,  unverbriichlichen  guten  Wandel  iiber- 
nommen, 

36.  (9671.)  und  doch  sind  sie  nicht  imstande,  dasjenige, 
was  [in  Wahrheit]  im  Gesetze  vorgeschrieben  wird,  irgendwie 


Adhy&ya  270  (B.  269).  457 

zu  erfiillen,  denn  der  Wandel,  welcher  es  sich  zum  Gesetze 
macht,  kein  Unheil  [durch  Totung]  anzurichten,  ist  der  wahr- 
haft  besonnene  und  unumstofsliche; 

37.  (9672.)  sie  aber  sehen  nur  auf  die  fruchtbringenden 
Werke,  welche  ihnen  als  gediegen  entgegenglanzen  und  doch 
kraftlos  sind  und  des  einen  wahren  Zieles  entbehren. 

38.  (9673.)  Auch  sind  die  dabei  [beim  Opfer]  wirkenden 
Faktoren  sehr  schwer  zu  erkennen  und,  werden  sie  erkannt, 
sehr  schwer  in  die  Tat  umzusetzen,  und  wenn  sie  auch  rich- 
tig  ausgefiihrt  sind,  so  bringen  sie  doch  nur  endHche  Frucht, 
das  siehst  du  selbst  wohl  ein. 

SyftmaraQmi  sprach : 

39.  (9674.)  [Wie  kann  es  zusammen  bestehen],  dafs  der 
Veda  die  Richtschnur,  und  dafs  doch  die  Entsagung  das 
wahrhaft  Fruchtbare  ist?  Das  sind  doch  offenbar  zwei  ver- 
scl)iedene  Wege!    Erklare  mir  das,  o  Heihger. 

Kapila  sprach: 

40.  (967.').)  Wenn  ihr  hienieden  euch  auf  einem  richtigen 
"Wege  befindet,  so  habt  ihr  dabei  ein  sichtbares  [Ziel]  vor 
Augen;  was  ist  denn  nun  das  sichtbare  Ziel  dabei,  was  ihr 
so  hochschatzt? 

Syftmara^mi  sprach: 

41.  (9676.)  0  Brahmane,  ich,  Syumaragmi,  bin  hierher  ge- 
kommen,  um  mich  zu  belehren,  aus  Verlangen  nach  dem 
Heil  babe  ich  dich  angesprochen  in  ehrhcher  Absicht  und 
nicht  um  blofs  zu  reden. 

42.  (9677.)  Und  diesen  furchtbaren  Zweifel  mogest  du, 
o  Heihger,  mir  losen.  Wenn  ihr  hienieden  euch  auf  einem 
richtigen  Wege  befindet,  so  habt  ihr  dabei  ein  sichtbares 
{Ziel]  vor  Augen,  (9678.)  was  ist  denn  nun  das  so  sehr  sicht- 
bare Ziel,  was  ihr  hochschatzt 

43.  als  den  Inhalt  der  heiligen  Uberlieferung  als  soldier 
und  abgesehen  von  den  argumentierenden  Lehrbiichern? 
(9679.)  Die  heilige  Uberlieferung  besteht  in  den  Worten  dos 


458  HI.   Mokshadharma. 

Veda,  aber  [gewisse]  argumentierende  Lehrbiicher  sind  auch 
heilige  Uberlieferung. 

44.  Nach  dem  Lebensstadium,  in  dem  man  steht,  richtet 
sich  das,  was  man  [als  Pflicht]  hochschatzt,  dann  kommt  die 
heilige  Uberlieferung  zu  ihrem  Rechte,  (9680.)  und  dafs  sie  zu 
ihrem  Rechte  komme,  darin  besteht  das  sichtbare  Ziel,  denn 
dies  ist  klarlich  iiberliefert. 

45.  Wie  ein  Schiff,  welches  an  ein  anderes  SchiflF  ge- 
bunden  ist,  durch  dessen  Dahinschiefsen  mit  fortgerissen  wird;,. 
weil  es  gebunden  ist,  (9681.)  —  wie  kann  einer,  o  Brahmane,. 
sich  von  seinen  irrigen  Ansichten  freimachen?  Das  mogest 
du,  o  Heiliger,  mir  sagen,  ich  komme  als  Schiiler,  belehre 
mich,  o  Herr. 

46.  (9682.)  Es  gibt  keinen  Entsagenden,  keinen  Zufriedenen,. 
keinen  Kummerlosen,  keinen  von  Krankheit  Freien,  keinen 
Wunschlosen  [lies :  na  virvidhitsah] ,  keinen  Insichgekehrten,. 
keinen  von  der  Welt  Abgekehrten,  wer  es  auch  sei. 

47.  (9683.)  Auch  ihr  freut  euch  und  betriibt  euch,  so  gut 
wie  wir;  auch  euch  sind  die  Sinnendinge  mit  alien  iibrigen 
Geschopfen  geraeinsam. 

48.  (9684.)  Da  dieses  in  bezug  auf  die  Tatigkeit  der  vier 
Kasten  und  Lebensstadien,  welche  alle  auf  demselben  Grunde 
stehen,  klar  ist,  was  gibt  es  da,  was  wirklich  gesund  ware  ? 

Kapila  spracli: 

49.  (9685.)  Jeder  Kanon,  den  einer  sich  bei  seinem  Tun 
als  Richtschnur  nimmt,  fiihrt  zum  Ziele,  und  was  auch  immer 
einer  recht  betreibt,  das  ist  iiber  Anfeindungen  erhaben. 

50.  (9686.)  Die  Erkenntnis  lenkt  das  Schiff  eines  jeden> 
der  die  Erkenntnis  zur  Richtschnur  nimmt;  eine  Handlungs- 
weise,  welche  von  der  Erkenntnis  abweicht,  bringt  die  Leute 
ins  Verderben. 

51.  (9687.)  Wenn  ihr  die  Erkenntnis  habt,  dann  seid  ihr 
sicherlich  in  jedem  Sinne  unanfechtbar,  und  zur  Einheit  mit 
dem  Atman  kann  jeder  irgend  einmal  gelangen. 

52.  (9688.)  Aber  manche  Menschen,  welche,  vertrauend  auf 
die  Macht  ihrer  Rede,  den  Kanon  nicht  in  Wahrheit  verstehen^ 


Adhyaya  270  (B.  269).  459 

werden  von  Begierde  und  Hafs  iiberwaltigt  und  geraten  unter 
die  Herrschaft  des  Ahaiikara  (der  Selbstsucht). 

53.  (9689.)  Die  wahre  Wesenheit  der  Lehrbiicher  nicht 
verstehend,  sind  sie  nur  die  Sklaven  der  Lehrbiicher,  Diebe 
an  Brahman,  ohne  Halt,  dem  Trug  und  der  Tauschung  hin- 
gegeben. 

54.  (9690.)  Sie  sehen  iiberall  nur  Untugend  und  mogen 
sich  daher  nicht  mit  Tugenden  befassen;  sie  sind  das  ver- 
korperte  Tamas,  und  Tamas  ist  ihr  hochstes  Ziel. 

55.  (9691.)  Wer  ein  der  Prakriti  gemafser  Mensch  ist  und 
unter  der  Herrschaft  der  Prakriti  steht,  dem  sind  zu  eigen 
Hafs  und  Begierde,  Zorn,  Trug,  Unwahrheit  und  Rausch, 
(9G92.)  und  diese  aus  der  Prakriti  entspringenden  Eigenschaften 
haften  ihm  immerdar  an. 

56.  Wer  in  dieser  Weise  nach  reiflicher  Uberlegung  die 
Sache  ansieht,  der  lafst  Gutes  und  Boses  hinter  sich,  (9693.)  es 
sind  die,  welche  nach  dem  hochsten  Ziele  trachten,  als  Selbst- 
bezwinger,  der  Bezwingung  froh. 

SyiimavaQmi  sprach : 

57.  (9694.)  Das  alles  ist  [auch]  von  mir,  o  Brahmane,  auf 
Grund  des  Schriftkanons  verkiindet  worden,  denn  ohne 
Kenntnis  des  Schriftinhalts  kann  das  rechte  Tun  nicht  er- 
folgen. 

58.  (9695.)  Jeder  vernunftgemafse  Lebenswandel  entspricht 
dem  ganzen  Kanon,  so  lehrt  die  Schrift,  und  was  nicht  ver- 
nunftgemafs  ist,  das  ist  auch  gegen  den  Kanon,  das  ist  es, 
was  die  Schrift  lehrt. 

59.  (9696.)  Nicht  gibt  es  ein  rechtes  Tun  ohne  den  Schrift- 
kanon,  das  ist  ganz  gewifs,  und  was  den  Vedavorschriften 
widerstreitet,  das  geht  gegen  den  Kanon  an,  so  lehrt  die 
Schrift. 

60.  (9697.)  Viele,  welche  sich  an  die  erscheinende  Welt 
halten,  haben  eine  von  der  Schrift  abweichende  Anschauung 
(ihre  Erkenntnis  ist  durch  Unwissenheit  getrubt,  sie  er- 
mangeln  der  Erkenntnis  und  sind  von  TamaS  umhiillt,  — 
dies  nur  in  C),  (9698.)  sie  sehen  nicht  ihre  von  der  Schrift 
geriigten  Fehler  und  leiden  doch  so   gut  wie  wir   [die  wir 


460  III.    Mokshadharma.  # 

unsere  Versiindigungen  gegen  die  Schrift  empfinden];  denn 
auch  euch  sind  die  Sinnendinge  [und  ihre  Qual]  mit  alien 
iibrigen  Geschopfen  gemeinsam. 

61.  (9699.)  Da  dieses  in  bezug  auf  die  Tatigkeit  der  vier 
Kasten  und  Lebensstadien,  welche  alle  auf  demselben  Grunde 
stehen,  alliiberall  klar  ist, 

62.  (9700.)  so  ist  es  nur  fiir  einen,  welcher  die  Ewigkeit 
preist,  die  Kraft  dazu  hat  und  seinen  Geist  auf  sie  richtet, , — 
denn  [bei  uns  iibrigen]  ist  die  Erkenntnis  durch  Unwissen- 
heit  getriibt,  [wir]  ermangeln  der  Erkenntnis  und  sind  von 
Tamas  umhiillt  [dies  nur  in  B.].  — 

63.  nur  fiir  diesen  Einen,  dem  Yoga  Hingegebenen,  wel- 
cher in  jedem  Sinne  seine  Aufgabe  vollendet  hat,  (970i.)  ist  es 
moglich,  allein  von  dem  gereichten  Bissen  lebend  mit  Be- 
herrschung  seines  Selbstes  (C.  alliiberall)  umherzuschweifen, 
(nur  fiir  diesen,  der  sich  auf  Streiten  nicht  mehr  einlafst,  in 
sich  klar  ist  und  Beherrschung  seines  Selbstes  besitzt,  —  dies 
nur  in  C.) 

64.  (9702.)  nur  fiir  diesen  ist  es  moglich,  gestiitzt  auf 
[gewisse]  Vedalehren,  zu  behaupten,  das  sei  die  Erlosung, 
indem  er  dabei  vom  Schriftkanon,  der  unsere  Kegel  ist,  ab- 
geht  und  alle  Welt  tadelt. 

65.  (9703.)  Unser  Werk  aber,  welches  auf  eine  Famihe 
sich  stiitzt,  ist  sehr  miihsam  auszufiihren :  zu  spenden,  zu 
studieren,  zu  opfern,  Kinder  zu  zeugen  und  dabei  recht- 
schaflfen  zu  bleiben. 

66.  (9704.)  Wenn  einer  das  alles  tut  und  dadurch  nicht 
die  Erlosung  erreichen  soil,  dann  ist  es  schade  um  den  Tater 
und  seine  Werke,  denn  alle  seine  Miihe  ist  verloren. 

67.  (9705.)  Nein!  Jedes  andere  Verhalten,  das  dem  Veda 
den  Riicken  kehrt,  ist  Nihilismus.  Wie  so  etwas  zur  ewigen 
Erlosung  fiihren  soil,  das  mochte  ich,  o  Heiliger,  sogleich 
von  dir  horen. 

68.  (9706.)  Sage  mir  die  Wahrheit,  o  Brahmane,  ich  will 
dein  Schiiler  sein,  belehre  mich,  o  Meister!  Wie  die  Erlosung 
von  dir  verstanden  wird,  das  mochte  ich  gern  von  dir  lernen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Begebenheit  zwischen  Kapila  und  der  Kuh 
(go  -  kapiltyam). 


Adhyaya  271  (B.  270).  461 

Adhyftya  2U  (B.  370). 

Vers  9707-S>754  (B.  1-47). 

Kapila  sprach: 

1 .  (9707.)  Die  Veden  sind  Autoritat  fiir  alle  Welten,  nicht 
handelt  es  sich  um  ein  Verfahren,  das  dem  Veda  den  Riicken 
kehrt.  Aber:  Zwei  Brahman's  mufs  der  Mensch  kennen,  das 
Wortbrahman  und  das  liochste, 

2.  (9708.)  wer  im  Wortbrahman  bewandert  ist,  erreicht 
auch  das  hochste  Brahman  (vgl.  oben  Vers  8540  fg.).  Das 
Wesen  des  Leibes  macht  das  aus,  was  [als  Empfangnis- 
zeremonie  usw.  Nil.]  in  der  Vedavorschrift  den  Leib  bildet. 

3.  (9709.)  Denn  der  Brahmane,  dessen  Korper  in  reiner 
Weise  gebildet  wurde,  ist  ein  wiirdiges  Gefafs;  in  diesem 
Sinne  verstehe  die  ewige  Erlosung  [als  Frucht]  der  Werke, 
ich  will  sie  dir  erklaren, 

4.  (9710.)  wie  sie  besteht  [auch]  ohne  heilige  Lehre  und 
phne  Tradition  als  eine  sichtbare  und  von  der  Welt  bezeugte. 
Diejenigen,  welche  die  Opfer  nur  aus  Pflichtbewufstsein  und 
ohne  Hoffnung  auf  Lohn  ausiiben, 

5.  (9711.)  sind  zum  Entsagen  durchgedrungen,  frei  von 
Begehren,  von  Mitleid  und  Unzufriedenheit  unberiihrt;  das 
ist  der  Weg  zum  Reichtum,  dafs  man  Wiirdige  beschenkt. 

6.  (9712.)  Niemals  auf  bose  Wege  geratend,  aber  doch 
dem  Werke  hingegeben,  an  Geist  und  Gedanken  vollkommen, 
im  sicheren  Besitze  reiner  Erkenntnis, 

7.  (9713.)  frei  voii  Zorn  und  Murren,  ohne  Eigenliebe  und 
Selbstsucht,  in  der  Erkenntnis  fest,  dreimal  rein  und  am 
Wohlsein  aller  Wesen  sich  erfreuend, 

8.  (9714.)  so  waren  von  je  meistenteils  die  Hausvater,  in 
ihren  Werken  ohne  Ubertretung  beharrend,  und  so  waren 
auch  die  ihrer  Aufgabe  hingegebenen  Konige  und  die  nach 
der  Vorschrift  lebenden  Brahmanen. 

9.  (9715.)  Gleichmiitig  waren  sie  und  gradsinnig,  zu- 
frieden  und  im  sicheren  Besitz  der  Erkenntnis,  ihre  Pflicht 
klar  vor  Augen  habend,  rein,  glaubig  im  hochsttn  und  ticfsten 
[Brahman]. 


462  III.    Mokshadharma. 

10.  (9716.)  Von  altersher  wohlbereiteten  Geistes  und  ihre 
Geliibde  geziemend  beobachtend,  befolgten  sie  das  Gesetz, 
auch  in  Elend  und  Not  treu  zusammenhaltend. 

11.  (9717.)  Und  indem  sie  treu  zusammenhaltend  das  Ge- 
setz iibten,  war  dieses  von  jeher  ihre  Freude  und  niemals 
brauchte  ihnen  eine  Siihne  auferlegt  zu  werden. 

12.  (9718.)  Denn  die  wahrhafte  Pflicht  iibend,  galten  sie 
fiir  volhg  uniiberwindhch ,  sie  dienten  nicht  der  Sinnenwelt, 
noch  im  geringsten  dem  Schein  der  Pflicht. 

13.  (9719.)  Nur  die  vorziiglichste  Moglichkeit  wahlten  sie 
sich  gemeinsam  als  Richtschnur,  und  niemals  brauchte  ihnen 
eine  Siihne  auferlegt  zu  werden. 

14.  (9720.)  Denn  fiir  solche,  welche  diese  Vorschrift  be- 
harrlich  verfolgen,  ist  keine  Siihne  erforderlich,  nur  fiir  einen 
schwachen  Charakter  besteht  die  Siihnung,  so  lehrt  die  Schrift. 

15.  (9721.)  Von  dieser  Art  gab  es  in  alter  Zeit  viele  opfer- 
bringende  Priester,  grofsgezogen  in  der  dreifachen  Wissen- 
schaft,  rein,  von  gutem  Wandel  und  ruhmreich, 

16.  (9722.)  Tag  fiir  Tag  die  Opfer  vollbringend,  festhaltend 
an  der  Wunschlosigkeit  und  weise.  Bei  denen  waren  Opfer 
und  Veden  und  Werke  der  heiligen  Uberlieferung  gemafs, 

17.  (9723.)  das  Vedastudium  erfolgte  zur  rechten  Zeit  und 
die  Entschliefsungen  am  rechten  Orte,  bei  ihnen,  welche  frei 
von  Begierde  und  Zorn,  einem  schwer  zu  befolgenden  Wandel 
oblagen 

18.  (9724.)  und,  scharf  ihre  eigenen  Werke  betreibend,  von 
Natur  gescharften  Geistes,  geradsinnig,  in  der  Gemiitsruhe 
bestandig,  ihrer  eigenen  Werke  sich  befleifsigten, 

19.  (9725.)  diesen  war  die  vollstandige  ewige  Erlosung 
gewifs,  so  lehrt  uns  die  unvergangliche  Schrift.  Von  ihnen, 
welche  unverdrossenen  Gemiites  einen  schwer  zu  vollbringen- 
den  Wandel  iibten 

20.  (972G.)  und  mit  den  ihnen  obliegenden  Werken  iiber- 
hauft  waren,  wurde  eine  furchtbare  Askese  geiibt.  Von  solchen 
aber,  welche  diesen  guten,  wunderbaren,  alien,  ewigen,  festen 
Wandel 

21.  (9727.)  nicht  irgendwie  einzuhalten  vermochten,  nament- 
Jich  nicht  die  Feinheit  in  den  Gesetzesbestimmungen  —  denn 


Adhyaya  271  (B.  270).  463 

<ier  Wandel,  welcher  es  sich  zum  Gesetze  macht,  kein  Unheil 
[(lurch  Totung]  anzurichten,  ist  der  wahrhaft  besonnene  und 
unumstofsliche, 

22.  (!)728.)  und  durch  ihn  gab  es  in  alien  entstandenen 
Kasten  keinerlei  Ubertretung,  —  von  solchen  wurde,  wie  die 
Brahmanen  wissen,  die  eine  Lebensordnung  in  die  vier  Lebens- 
«tadien  zerlegt. 

23.  (972i).)  Diese  [neu  geschaffene  Ordnung]  sich  an- 
eignend,  gelangen  die  Guten  zum  hochsten  Ziel.  Die  einen, 
aus  dem  Hausvaterstande  austretend,  ziehen  [als  Vanaprastha] 
in  den  Wald  hinaus, 

24.  (i)730.)  nachdem  sie  vorher  sich  dem  Hause  gewidmet 
hatten.  Von  beiden  verschieden  sind  die  Brahmanschiiler,  und 
-alle  diese  sind  es,  welche,  als  Zwiegeborene  zu  Sternen  ge- 
Avorden,  am  Himmel  sichtbar  sind, 

25.  (9731.)  wie  die  Mondhauser  an  ihren  bestimmten  Platzen 
als  zahlreiche  Sternhaufen,  nachdem  sie  die  ewige  Erlosung 
•dank  ihrer  Vollberuhigung  erlangt  haben,  —  so  lehrt's  der 
Veda. 

26.  (9732.)  Und  wenn  solche  wiederum  zum  Samsara  zu- 
riickkehren  und  in  einen  Mutterschofs  eingehen,  so  werden  sie 
•doch  niemals  durch  Ubeltaten  befleckt,  welche  aus  [friiheren] 
Werken  entspringen. 

27.  (9733.)  So  steht  es  mit  dem  Brahmanschiiler,  welcher 
<lem  Lehrer  gehorsam  und  in  erhabener  Sicherheit  dasteht; 
wer  so  sich  hingab,  der  ist  ein  wahrer  Brahmane,  jeder 
andere  ist  ein  Schein-Brahmane. 

28.  (9734.)  In  dieser  Weise  gehort  das  Werk  dem  Menschen 
an,  so  heifst  es,  mag  es  gut  oder  bose  sein.  Die,  welche  so 
von  Siinde  gereinigt  sind  durch  das  Bewufstsein  des  Ewigen 
und  durch  die  Schrift, 

29.  (9735.)  denen  wird  die  voile  ewige  Erlosung  zuteil,  so 
lehrt  uns  die  unvergangliche  Schrift,  ihnen,  welche  von 
Begierde  ftrislmdj  freigeworden ,  reingewaschen  und  edlen 
Wesens  sind. 

30.  (9736.)  Die  vierte  Pflicht,  welche  in  den  Upanishad's 
gelehrt  wird,  ist  gemeinschaftlich  fiir  alle,  so  bestatigt  es 
<die  Tradition  {sntritij;  sie  wird  von  den  Vollendeten  allezeit 


464  ni.    Mokshadharma. 

vollbracht,  von  den  Brahmanen,  die  sich  selbst  bezwungen 
haben. 

31.  (9737.)  Ihre  Wurzel  ist  Zufriedenheit,  ihr  Wesen  Ent- 
sagung,  das  Wissen  wird  ihr  Standort  genannt,  sie  ist  die 
Erlosung  verleihende  Erkenntnis,  die  ewige,  unvergangliche 
Pflicht  des  Selbstbezwingenden. 

32.  (9738.)  Mag  sie  [mit  den  iibrigen  drei  Agrama's]  ver- 
bunden  oder  fiir  sich  allein  stehen,  man  iibt  sie  nach  Kraften, 
sie  ist  jedem  zuganglich,  der  so  oder  so  zum  Frieden  ge- 
langt,  und  nur  der  Schwache  erlahmt  in  ihr,  (9739.)  aber  der 
Reine,  der  nach  der  Statte  des  Brahman  strebt,  wird  aus 
dem  Samsara  erlost. 

Syumaragmi  sprach: 

33.  (9740.)  Diejenigen,  welche  geniefsen,  welche  schenken, 
welche  opfern  und  welche  studieren,  und  wiederum  diejenigen, 
welche  infolge  ihrer  Erkenntnis  der  Sinnenwelt  sich  der  Ent- 
sagung  weihen, 

34.  (9741.)  welcher  von  diesen  alien  ist  nach  dem  Tode 
der  am  sichersten  den  Himmel  Gewinnende?  Das  sage,  o 
Brahmane,  mir,  der  ich  dich  mit  Bestimmtheit  befrage. 

Kapila  sprach: 

35.  (9742.)  Alle  jene  schonen  Lebenstatigkeiten  tragen 
zur  Tugendhaftigkeit  bei,  erreichen  aber  nicht  die  Wonne  der 
Entsagung,  das  wirst  auch  du  einsehen. 

Syumaragmi  sprach: 

36.  (9743.)  Ihr  beharrt  bestandig  in  der  Erkenntnis,  und 
der  Hausvater  verlafst  sich  auf  die  Werke,  aber  in  bezug 
auf  das  Endziel  sind  alle  Lebensstadien  einig,  wie  man  weifs. 

37.  (9744.)  Mogen  sie  als  Einheit  oder  voneinander  ge- 
sondert  betrachtet  werden,  in  diesem  Punkte  sind  sie  nicht 
voneinander  verschieden.  Wie  das  der  Vernunft  nach  sich 
verhalt,  das  sage  mir,  o  Heiliger. 

Kapila  sprach: 

38.  (9745.)  Die  Werke  sind  Lauterung  des  Leibes,  die  Er- 
kenntnis ist  das  hochste  Ziel.     Wenn  die  Siinde  durch  die 


Adhyaya  271  (B.  270).  465 

Werke    abgeschmolzen    ist    und    das    Bewufstsein    des    Ge- 
schmackes  [an  dem  Hochsten]  sich  einstellt, 

39.  (9746.)  dann  folgen  Wohlwollen,  Geduld,  Beruhigung, 
Nicht-Schadigung,  Wahrhaftigkeit ,  Geradheit,  Redlichkeit, 
Freiheit  von  Hochmut,  Schamhaftigkeit ,  Ausdauer  und  Ge- 
miitsruhe. 

40.  (9747.)  Das  sind  die  Pfade,  welche  zu  Brahman  fiihren, 
durch  sie  erlangt  man,  was  das  Hochste  ist;  dieses  wissend, 
moge  man  im  Geiste  den  bestimmten  Wert  der  Werke  ver- 
stehen. 

41.  (9748.)  Der  Weg,  welchen  die  in  jeder  Hinsicht  be- 
ruhigten,  gelauterten,  erkenntnisfesten  Brahman  en  mit  Freudig- 
keit  gehen,  das  ist  der  hochste  Weg. 

42.  (9749.)  Wer  die  Veden  und  das  zu  Wissende  nach 
seiner  Bedeutung  erkannt  hat,  wer  so  ist,  der  wird  ein  Veda- 
kenner  genannt,  jeder  andere  ist  nur  ein  Windmacher. 

43.  (9750.)  Wer  den  Veda  kennt,  der  kennt  alles,  im  Veda 
ist  alles  gegriindet,  denn  im  Veda  ist  das  Fundament  fiir 
alles  zu  finden,  fiir  das  Seiende  und  fur  das  Nicht-Seiende. 

44.  (97B1.)  Das  ist  das  Fundament  alliiberall  dessen,  was 
ist  und  was  nicht  ist,  fiir  den,  der  das  Ende  und  die  Mitte, 
das  Seiende  und  das  Nicht-Seiende  versteht. 

45.  (9752.)  Mit  dem  Worte  Entsagung  wird  alles  gesagt, 
was  im  Veda  aufgestellt  ist;  das  Wort  Befriedigung  folgt 
ihm  nach,  in  der  Erlosung  wurzelnd. 

46.  (9753.)  Recht,  Wahrheit,  Gewufstes,  Wifsbares,  All- 
seele,  Bewegliches  und  Unbewegliches,  alle  Freude,  was 
selig  macht  und  mehr  als  das,  das  unoffenbare  Brahman, 
der  Urgrund,  das  Unvergangliche, 

47.  (9754.)  Energie,  Geduld,  Beruhigung,  Gesundheit, 
Schonheit  und  was  dem  gleich  ist,  der  ewige  feste 
Himmel,  durch  alle  diese  wird  es  mit  den  Augen  der  Er- 
kenntnis  errungen,  ihm  sei  Verehrung,  dem  Brahman 
und  dem  Brahmantrager. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Begebenheit  zwischen  Kapila  und  der  Kuh 

(yo-kapiliyamj. 


Dettssbk,  Mahftbh&ratam.  30 


466  ni.    Mokshadharma. 

Adhyaya  373  (B.  371). 

Vers  9755-9810  (B.  1-56). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (9755.)  Die  Veden,  o  Bharata,  riihmen  das  Gute,  das 
Niitzliche  und  das  Angenehme;  welches  von  diesen  dreien  zu 
eriangen  ist  am  wiinschenswertesten  ?  Das  sage  mir,  o  Grofs- 
vater. 

Bhishma  sprach: 

2.  (9756.)  Dariiber  will  ich  dir  eine  alte  Geschichte  er- 
zahlen  von  dem,  was  einstmals  Kundadhara  aus  Liebe  einem 
Verehrer  zu  Nutzen  getan  hat. 

3.  (9757.)  Ein  gewisser  armer  Brahmane  betrieb  das  Gute 
um  des  Angenehmen  willen  und  iibte,  nach  dem  Niitzlichen 
trachtend,  um  des  Opfers  willen  grausame  Askese. 

4.  (9758.)  Nachdem  er  sich  darin  befestigt  hatte,  verehrte 
er  die  Gotter,  aber  trotz  der  Verehrung,  die  er  den  Gottern 
zollte,  gelangte  er  nicht  zu  Reichtum. 

5.  (9759.)  Da  kam  er  auf  den  Gedanken:  Welche  Gott- 
heit,  deren  Ohr  von  Menschen  noch  nicht  betaubt  ist,  mochte 
mir  sogleich  gnadig  sein? 

6.  (9760.)  Da  sah  er  einen  Diener  der  Gotter,  den  Wolken- 
genius  Kundadhara  mit  freundlicher  Gesinnung  vor  sich 
stehen. 

7.  (9761.)  Als  er  diesen  Grolsarmigen  erblickt  hatte,  fiililte 
er  Zuneigung  zu  ihm  und  dachte:  Dieser  wird  mir  Gliick 
bringen,  denn  von  solcher  Art  ist  seine  Gestalt; 

8.  (9762.)  er  steht  sicher  einer  Gottheit  nahe  und  wird 
nicht  von  anderen  Menschen  umlagert;  der  wird  mir  Eeich- 
tum  verschaffen,  machtig  viel  und  in  kurzer  Zeit. 

9.  (9763.)  Und  der  Brahmane  begann  ihn  mit  Raucher- 
werk,  Wohlgeriichen,  bunten  Kranzen  und  mancherlei  Spenden 
zu  verehren. 

10.  (9764.)  Da  wurde  der  Wolkengenius  in  kurzer  Zeit 
freudig  gestimmt  und  sprach  zu  ihm  das  folgende,  zur  Hilfe- 
leistung  verbindende  Wort: 


Adhyaya  272  (B.  271).  467 

11.  (9765.)  „Fur  einen  Brahmanenmorder,  einen  Brannt- 
weintrinker,  einen  Dieb,  einen  Geliibdebrecher  ist  von  den 
Guten  eine  Siihnung  vorgeschrieben,  —  fiir  einen  Undankbaren 
gihi  es  keine  Siihnung. 

12.  (9766.)  Des  Wunsches  Tochter  ist  die  Ungerechtig- 
keit,  der  Zorn  ist  der  Sohn  der  Unzufriedenheit,  die  Hab- 
sucht  ist  das  Kind  der  Gemeinheit,  der  Undankbare  ziichtet 
keine  Nachkommenschaft  [die  noch  schlimmer  ware]." 

13.  (9767.)  Darauf  begab  es  sich,  dafs  dieser  Brahmane 
"durch  die  Zauberkraft  des  Kundadhara,  wahrend  er  auf  einer 
Streu  von  KuQagras  schlief,  alle  Wesen  schaute. 

14.  (9768.)  Vermoge  seiner  Gemiitsruhe,  Askese  und  From- 
migkeit  sah  der  von  Gliicksgiitern.  entblofste,  herzensreine 
Brahmane  in  der  Nacht  ein  Traumgesicht. 

15.  (9769.)  Er  sah  namhch  vor  sich  stehen  im  Kreise  der 
Ootter  den  glanzreichen  und  edelgesinnten  Manibhadra  [einen 
Bruder  des  Kubera,  des  Gottes  des  Reichtums],  wie  er  seine 
Verfiigungen  traf,  o  Yudhishthira. 

16.  (9770.)  Dabei  verliehen  die  Gotter  Konigreiche  und 
Schatze,  wo  sie  durch  gute  Werke  giinstig  gestimmt  worden 
waren,  und  entzogen  sie  den  Bosen. 

17.  (9771.)  Und  wahrend  alle  Yaksha's  zusahen,  neigte  sich 
<ier  glanzreiche  [WolkengeniusJ  Kundadhara  und  warf  sich 
vor  den  Gottern  nieder,  o  Stier  der  Bharata's. 

18.  (9772.)  Aber  der  hochherzige  Manibhadra,  von  den 
<jrottern  dazu  aufgefordert  (tu  devavacandt,  C),  sprach  sodann 
2u  ihm ,  der  vor  ihm  auf  dem  Boden  lag :  o  Kundadhara, 
was  ist  dein  Begehr? 

Kundadhara  sprach : 

19.  (9773.)  Wenn  die  Gotter  mir  gnadig  sein  wollen,  so 
ist  da  ein  mir  treuergebener  Brahaiane,  fiir  den  erbitte 
ich  als  Gnade,  dafs  etwas  geschehe,  was  seinem  Gliicke 
aufhilft. 

20.  (9774.)  Darauf  sprach  Manibhadra  zu  diesem  glanz- 
reichen Kundadhara,  von  den  Gottern  dazu  aufgefordert, 
wiederum  folgendes  Wort: 

30* 


468  HI.   Mokshadharma. 

Manibhadra  sprach: 

21.  (9775.)  Steh  auf,  steh  aiif,  Heil  sei  dir,  dein  Wunscli 
sei  gewahrt,  sei  gliicklich!  Wenn  jener  Brahmane  nach  Reich- 
turn  begehrt,  so  mag  ihm  Reichtum  gegeben  warden. 

22.  (9776.)  Soviel  Reichtum  jener  Brahmane,  dein  Freund,. 
begehren  mag,  soviel  will  ich  ihm  auf  Befehl  der  Gotter  an 
unermefslichem  Reichtum  geben. 

23.  (9777.)  Da  bedachte  Kundadhara  das  Schwankende 
und  Unsichere  des  Menschenwesens,  und  er  richtete  seine 
Absicht  fiir  den  Brahmanen  auf  Askese,  o  Yudhishthira. 

Kundadhara  sprach: 

24.  (9778.)  Ich  bitte  nicht  um  Reichtum  fiir  meinen  Brah- 
manen, o  Schatzespender,  ich  wiinsche,  dafs  meinem  Ver- 
ehrer  eine  andere  Gnade  verhehen  werde. 

25.  (9779.)  Nicht  wiinsche  ich  fiir  meinen  Verehrer  die 
ganze  mit  Edelsteinen  erfiillte  Erde,  nicht  etwas  Grofses, 
keinen  Haufen  von  Juwelen,  sondern  ich  wiinsche,  dafs  er 
ein  rechtschaffener  Mann  werde. 

26.  (9780.)  Moge  sein  Geist  sich  an  Gerechtigkeit  erfreuen> 
moge  er  von  Gerechtigkeit  leben,  Gerechtigkeit  sei  sein  Hoch- 
stes;  das  habe  ich  mir  als  Gnade  fiir  ihn  ausgedacht. 

Manibhadra  sprach : 

27.  (9781.)  Gerechtigkeit  bringt  jederzeit  als  Frucht  Herr- 
schaft  und  mancherlei  Freuden,  moge  er  diese  Friichte  ge- 
niefsen  frei  von  korperUchen  Plagen. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach: 

28.  (9782.)  Darauf  wiederholte  der  hochberiihmte  Kunda- 
dhara mehrfach  seine  Bitte  um  [Verleihung  von]  Gerechtig- 
keit, und  die  Gotter  waren  erfreut  dariiber. 

Manibhadra  sprach: 

29.  (9783.)  Alle  Gotter  sind  zufrieden  mit  dir  und  ebensa 
mit  jenem  Zwiegeborenen,  er  soil  gerechten  Wesens  werden 
und  auf  Gerechtigkeit  seinen  Sinn  richten. 

30.  (9784.)   Da  freute  sich  der  "Wolkengenius,  da  er  seinen 


Adhyaya  272  (B.  271).  469 

Zweck  erreicht,  o  Yudhishthira,  und  die  in  seinem  Herzen 
gewiinschte  und  von  anderen  schwer  zu  gewinnende  Gabe 
€rlangt  hatte. 

31.  (9785.)  Da  erblickte  der  Beste  der  Zwiegeborenen  feine 
Kleider,  welche  neben  ihm  ganz  nahe  ausgebreitet  lagen,  und 
fand  an  ihnen  kein  Wohlgefallen. 

Der  Brahmane  sprach : 

32.  (9786.)  Der  da  oben  beachtet  meine  frommen  Werke 
nicht,  welcher  andere  Gott  wird  sich  dann  aus  meinen 
Leistungen  etwas  machen!  Ich  gehe  in  den  Wald,  es  ist 
l)esser,  der  Gerechtigkeit  zu  leben. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach: 

33.  (9787.)  Vermoge  seiner  Weltverdrossenheit  und  der 
Gnade  der  Gotter  ging  der  Beste  der  Zwiegeborenen  darauf 
in  den  Wald  und  iibte  gewaltige  Askese. 

34.  (9788.)  Von  dem,  was  die  Gotter  und  die  Gaste  iibrig 
liefsen,  von  Friichten  und  Wurzeln  nahrte  sich  der  Zwie- 
geborene;  da  erstarkte  sein  Geist  in  der  Gerechtigkeit, 
o  grofser  Konig. 

35.  (9789.)  Darauf  verzichtete  der  Zwiegeborene  auf  alle 
Friichte  und  Wurzeln  und  lebte  nur  noch  von  Blattern,  dann 
aber  gab  er  auch  die  Blatter  auf  und  nahrte  sich  nur  noch 
von  Wasser. 

36.  (9790.)  Weiterhin  aber  verbrachte  er  viele  Jahre,  in- 
dem  er  nur  von  der  Luft  lebte,  aber  seine  Lebenskraft  liefs 
nicht  nach,  es  war  wie  ein  W  under. 

37.  (9791.)  Ihm,  der  sein  Vertrauen  auf  die  Gerechtigkeit 
setzte  und  in  furchtbarer  Askese  lebte,  wurde  nach  langer 
Zeit  ein  gottlicher  Blick  zuteil, 

38.  (9792.)  und  es  wurde  ihm  klar:  Wenn  ich  jetzt  je- 
mandem,  weil  ich  mit  ihm  zufrieden  bin,  [durch  die  Kraft 
meiner  Askese]  Reichtum  geben  wollte,  so  wiirden  meine 
Worte  nicht  unerfiillt  bleiben. 

39.  (9793.)  Da  nahm  er  mit  heiterem  Angesicht  noch 
starkere  Askese  in  Angriff  und  tiberlegte  als  Vollendeter  weiter, 
was  er  wohl  als  Hochstes  begehren  mochte. 


470  III.   Mokshadharma. 

40.  (9794.)  Wenn  ich  jetzt  jemandem,  well  ich  mit  ihm 
zufrieden  bin,  ein  Konigreich  geben  wollte,  so  wiirde  er  als- 
bald  Konig  sein  und  meine  Worte  wiirden  nicht  unerfiillt 
bleiben. 

41.  (9795.)  Da  erschien  ihm,  o  Bharata,  leibhaftig  Kunda- 
dhara,  kraft  der  Askese  des  Brahmanen  und  auch  von  Freund- 
schaft  zu  ihm  angetrieben. 

42.  (9796.)  Als  er  diesen  nun  gegenwartig  vor  sich  sah, 
da  zollte  der  Brahmane  dem  Kundadhara  die  gebiihrende  Ver- 
ehrung  und  stand  von  Erstaunen  erfiillt,  o  Fiirst. 

43.  (9797.)  Da  sprach  Kundadhara:  Das  hochste  gottliche 
Auge  ist  dir  verhehen,  so  sieh  dir  einmal  mit  diesem  Auge 
den  Weg  der  Konige  und  die  Wehen  an,  o  Brahmane. 

44.  (9798.)  Da  sah  der  Brahmane  mit  seinem  gottlichen 
Auge  von  feme,  wie  Tausende  von  Konigen  in  die  Holle 
gestiirzt  waren. 

Kundadhara  sprach: 

45.  (9799.)  Wenn  du,  der  du  mich  mit  Liebe  verehrt 
hast,  einmal  ins  Ungliick  geraten  solltest,  was  konnte  ich 
dann  etwa  fiir  dich  tun,  welche  Gnade  konnte  ich  dir  er- 
weisen  ? 

46.  (9800.)  Sieh  noch  einmal  besser  zu,  wie  es  dem  nach 
Liisten  begehrenden  Menschen  ergeht,  denn  vor  alien  ist 
diesen  Menschen  die  Pforte  des  Himmels  verschlossen. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach: 

47.  (9801.)  Da  sah  er  die  Menschen  stehen,  wie  sie  sich 
hingewendet  batten  zu  Lust,  Zorn,  Begierde,  Furcht,  Rausch, 
Schlaf,  Mattigkeit  und  Schlaffheit. 

Kun4adhara  sprach : 

48.  (9802.)  Durch  diese  Dinge  sind  die  Himmelswelten 
verschlossen.  Die  Gotter  entsetzen  sich  vor  dem  Menschen- 
wesen.  Und  diese  Dinge  sind  es,  welche  nach  dem  Ausspruch 
der  Gotter  allenthalben  Hindernisse  in  den  Weg  legen. 

49.  (9803.)  Nicht  ohne  Bewilligung  der  Gotter  kann  ein 
Mensch  zur  Rechtschaffenheit  gelangen,  du  aber  als  ein  solcher 


Adhyaya  272  (B.  271).  471 

bist  kraft  deiner  Askese  im  stande,  Konigreiche  und  Reich- 
tiimer  zu  verleihen. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach: 

50.  (9804.)  Da  neigte  sich  der  Brahmane  mit  dem  Haupte 
zu  den  Fiifsen  des  Wassertragers  und  sprach  zu  ihm,  von 
Gerechtigkeit  erfiillt:   Grofse  Gnade  ist  mir  zuteil  geworden. 

51.  (9805.)  Wenn  ich  aus  Hang  nach  Lust  und  Begierde 
vordem  gegen  dich  murrte  und  deine  Liebe  zu  mir  verkannte, 
so  mogest  du  mir  das  verzeihen. 

52.  (9806.)  Ich  habe  es  dir  verziehen,  sprach  Kundadhara 
zu  dem  Besten  der  Zwiegeborenen,  umschlang  ihn  mit  seinen 
Armen  und  verschwand. 

53.  (9807.)  Sodann  durchstreifte  der  Brahmane  alle  Welten, 
nachdem  er  durch  die  Gnade  des  Kundadhara  und  durch 
seine  Askese  die  Vollendung  erreicht  hatte. 

54.  (9808.)  Denn  das  FHegen  durch  die  Luft  und  die  Er- 
fiillung  aller  Wiinsche  [wird  erreicht]  durch  die  aus  Gerech- 
tigkeit und  Hingebung  fyogaj  entspringende  Kraft,  sowie  auch 
ferner  das  hochste  Ziel. 

55.  (9809.)  Gotter,  Brahmanen,  Rechtschaffene ,  Halb- 
gotter,  Menschen  und  himmhsche  Sanger,  sie  alle  ehren  in 
dieser  Welt  die  Gerechten,  nicht  die  Reichen  und  nicht  die 
Begehrlichen. 

56.  (9810.)  Die  Gotter  sind  dir  sehr  gnadig,  weil  dein  Sinn 
sich  an  der  Gerechtigkeit  freut;  im  Reichtum  (dhane  mit  C.) 
hegt  nur  geringe  Befriedigung,  in  der  Gerechtigkeit  aber  das 
hochste  Gliick. 

So  lautet  im  Moksitadharma  die  Erzahlung  von  Kundadh&ra 
(Kumfadhdra  -  updkhydnam), 

Aclhyaya  373  (B.  373). 

.^      Vers  9811-9830  (B.  1-20). 

Yudhishthira  sprach: 
1.  (9811.)    Da  so  viele  Opfer  und  Askesen  unternommen 
werden,  um  denselben  Zweck  [das  Gliick]  zu  erlang^n,  o  Grofs- 
vater,  wie  mufs  ein  Opfer  eingerichtet  sein,  damit  es  dem 


472  ni.    Mokshadharma. 

Zwecke  der  Gerechtigkeit  und  nicht  dem  Zwecke  des  Gliicks 
diene  ? 

Bhishma  sprach: 

2.  (9812.)  Hieriiber  will  ich  dir  eine  von  Narada  berichtete 
alte  Begebenheit  erzahlen  von  einem,  der  von  Ahrenlesen 
lebte  und  dabei  ein  Brahmane  war. 

Narada  sprach: 

3.  (9813.)  In  dem  durch  Gerechtigkeit  hervorragenden  vor- 
trefflichen  Reiche  der  Vidarbha's  war  ein  gewisser  Zwie- 
geborener,  ein  weiser  Mann,  der  von  Ahrenlesen  lebte  und 
sich  einstmals  anschickte,  ein  Opfer  darzubringen. 

4.  (9814.)  Seine  Nahrung  bestand  aus  Qyamakam,  Surya- 
parni,  Suvarcala  nebst  anderen  bitteren  und  wqdrigen  Pflan- 
zen,  welche  fur  ihn  yermoge  seiner  Askese  schmackhaft  waren, 

5.  (9815.)  und  da  er  im  "Walde  durch  die  Schonung  aller 
Wesen  zur  Lauterkeit  gelangt  war,  so  war  auch  sein  nur  aus 
Wurzeln  und  Friichten  bestehendes  Opfer  geeignet,  den  Himmel 
zu  erwerben,  o  Feindbedranger. 

6.  (9816.)  Seine  Gattin ,  die  infolge  ihres  Geliibdes  ab- 
geraagerte  und  reine  Pushkaradharini ,  war  von  ihm  mit- 
genommen  worden  und  wurde  als  Opferer- Gattin  von  ihm, 
dem  Satya,  verwendet; 

7.  (9817.)  sie  hatte  sich  aber  seiner  Lebensweise  nur  aus 
Furcht  vor  seinem  Fluche  angeschlossen ;  ihr  aus  abgefallenen 
Pfauenfedern  bestehendes  Kleid  war  zierlich  gebildet. 

8.  (9818.)  Obgleich  sie  nicht  dazu  geneigt  war,  nahm  sie 
doch  auf  Befehl  ihres  als  Hotar  fungierenden  Gatten  am  Opfer 
teil.  —  Nun  geschah  es,  dafs  auf  Befehl  des  Qukra  ein  frommer 
Mann,  namens  Parnada, 

9.  (9819.)  der  in  demselben  Walde  in  der  Nahe  w^ohnte, 
sich  in  eine  den  Wald  bewohnende  Gazelle  verwandelte.  Die 
sprach  zu  Satya  die  Worte :  Was  du  da  tust,  ist  schlecht  getan, 

10.  (9820.)  wenn  dein  Opfer  ohne  die  Spriiche  und  die 
gehorigen  Zutaten  dargebracht  wird.  0  Herr,  fiige  mich  [als 
Opfertier]  bei  deinem  Opfer  ein  und  gehe  dann,  frei  von  Vor- 
wurf,  zum  Himmel  empor. 


Adhyaya  273  (B.  272).  473 

11.  (i)82i.)  Welter  erschien  bei  seinem  Opfer  in  leibhafti- 
ger  Gestalt  die  Sonnengottin  Savitri  und  redete  ihm  auch  zu, 
aber  auf  ihre  Aufforderung  erwiderte  er:  Ich  mag  die  Mit- 
bewohnerin  dieses  AValdes  nicht  toten. 

12.  (9822.)  Auf  diese  Worte  bin  wandte  sie  sich  um  und 
sprang  ins  Opferfeuer  hinein,  um  die  Unterwelt  zu  sehen,  [in- 
dem  sie  ausrief:]  Wie  kann  dies  beim  Opfer  als  Ubeltat  er- 
scheinen ! 

13.  (9823.)  Da  bat  die  Gazelle  den  Satya,  der  mit  zu- 
sammengelegten  Handen  dastand,  abermals,  aber  Satya  um- 
armte  sie  und  befahl  ihr:  Gehe  von  hinnen! 

14.  (9824.)  Da  ging  die  Gazelle  acht  Schritte  weit  weg 
und  kam  wieder  zuriick  und  sprach :  Tote  mich  nur  ohne  Um- 
stande,  o  Satya,  getotet  werde  ich  den  Weg  der  Guten  gehen. 

15.  (9825.)  Sieh  einmal  mit  dem  Auge,  welches  ich  dir 
verleihe,  diese  himmlischen  Apsaras  (Gottermadchen)  und  die 
glanzenden  Palaste  der  hochsinnigen  Gandharva's  (der  himm- 
lischen Musiker). 

16.  (9826.)  Nachdem  er  lange  Zeit  mit  einem  von  Be- 
gierde  gefesselten  Auge  diesen  Anblick  genossen  hatte,  schaute 
er  auf  die  Gazelle  und  fing  an  die  durch  ihre  Totung  erlang- 
bare  Himmelswelt  zu  begehren. 

17.  (9827.)  Da  wurde  die  Gazelle,  welche  viele  Jahre  den 
Wald  bewohnt  hatte,  zu  Dharma  (dem  Gott  des  Rechts)  und 
vollzog  seine  Rettung,  [mit  den  Worten:]  Nicht  ist  dies  die 
rechte  Art  des  Opfers. 

18.  (9828.)  Aber  ihm,  da  er  die  Gazelle  hatte  toten  wollen, 
war  infolgedessen  seine  grofse  Askese  verlorengegangen. 
Somit  ist  die  Totung  nicht  opfermafsig. 

19.  (9829.)  Darauf  lehrte  ihn  der  heilige  Dharma  selbst  die 
rechte  Art  des  Opfers,  und  durch  erneute  Askese  gelangte  er 
auch  zu  vollstandiger  Ubereinstimmung  mit  seiner  Gattin. 

20.  (9830.)  Schonung  der  Wesen  begreift  die  ganze  Pflicht 
in  sich,  ihre  Totung  aber  ist  kein  gutes  Gesetz.  Ich  will  dir 
aber  der  Wahrheit  gemafs  sagen,  was  (yo,  mit  C.)  die  Pflicht 
der  Wahrheitredenden  ist. 

So  lautet  im  Mokshadharma  dio  Verwerfung  des  [Ticr-]0pfcr8 
Ojajna  -nhicld) 


474  111.   Mokshadharma. 

Adhyaya  274  (B.  273). 

Vers  9831-9854  (B.  1-24). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (9831.)  Wie  wird  man  zu  einem  Bosewicht  und  wie  er- 
fiillt  man  die  Pflicht  ?  Wie  erreicht  man  die  Weltverdrossen- 
heit  und  wie  gelangt  man  zur  Erlosung? 

Bhlshma  sprach: 

2.  (9832.)  Bekannt  sind  dir  alle  Pflichten,  aber  um  der 
Bestatigung  willen  fragst  du,  so  vernimm  denn  die  Erlosung 
nebst  der  Weltverdrossenheit ,  das  Bose  und  die  Pflicht  von 
Grund  aus. 

3.  (9833.)  Dem  Erkennen  der  fiinf  Sinnesobjekte  geht  vor- 
her  der  Wunsch,  und  wenn  man  eines  derselben  erlangt  hat, 
entstehen  Liebe  und  Hafs,  o  Stier  der  Bharata. 

4.  (9834.)  Dann  ist  man  um  dessentwillen  bestrebt  und 
unternimmt  ein  grofses  Werk  und  wiinscht  die  angenehmen 
Gestalten  oder  Geriiche  wiederholentKch  zu  geniefsen. 

5.  (9835.)  Dann  entspringt  die  leidenschaftKche  Liebe  und 
der  Hafs  unmittelbar  darauf,  dann  entspringt  Habgier  und 
Verblendung  unmittelbar  darauf. 

6.  (9836.)  Wer  aber  von  Habgier  und  Verblendung  be- 
herrscht,  von  Liebe  und  Hafs  erfiillt  ist,  dessen  Sinn  richtet 
sich  nicht  auf  die  Pflicht,  und  nur  aus  Falschheit  tut  er  die 
Pflicht. 

7.  (9837.)  Durch  Falschheit  iibt  man  die  Pflicht,  durch 
Falschheit  hat  man  Gefallen  an  einer  Sache,  so  dafs'  durch 
Falschheit  Reichtiimer  erworben  werden,  o  Liebling  der  Kuru's. 

8.  (9838.)  Auf  diese  Weise  ist  er  verstandig,  auf  diese 
Weise  wiinscht  er  Boses  zu  tun,  wenn  ihn  auch  Freunde  und 
Weise  davor  warnen,  o  Bharata. 

9.  (9839.)  [Aus  Falschheit]  entgegnet  er  ihnen,  was  mit 
dem  Gesetz  in  Einklang  und  durch  die  heilige  Vorschrift  ge- 
fordert  ist;  dreifach  [in  Gedanken,  Worten  und  Werken] 
wachst  seine  Ungerechtigkeit,  aus  Leidenschaft  und  Ver- 
blendung entspringend : 


Adhyaya  274  (B.  273).  475 

10.  (9840.)  Er  denkt,  spricht  und  tut  Boses,  und  indem  er 
auf  dem  Wege  der  Ungesetzlichkeit  fortschreitet,  erkennen 
die  guten  Menschen  seine  Fehler. 

11.  (9841.)  Die  aber  einen  gleichen  Charakter  mit  ihm 
haJjen,  unterhalten  Freundschaft  mit  dem  Ubeltater;  er  kommt 
in  diesem  Leben  nicht  zum  Gliicke,  wieviel  weniger  im  jen- 
seitigen ! 

12.  (9842.)  So  steht  es  mit  dem  Ubelgesinnten,  hore  jetzt 
von  mir  iiber  den  Wohlgesinnten ,  und  wie  er,  der  rechten 
Pflicht  obliegend,  zum  rechten  Ziele  gelangt. 

13.  (9843.)  Denn  vermoge  der  rechten  Pflicht  geht  er  den 
guten  Weg,  indem  er  mit  Weisheit  die  genannten  Fehler 
voraussieht  und  meidet. 

14.  (9844.)  Bewandert  in  dem,  was  zum  Gliick  und  Un- 
gliick  fiihrt,  pflegt  er  Umgang  mit  den  Guten,  und  durch 
seinen  Verkehr  mit  den  Guten  und  durch  die  Ubung  wachst 
er  immer  mehr. 

15.  (9845.)  Sein  Geist  freut  sich  art  der  Pflicht  und  lebt 
von  der  Pflicht,  und  nur  auf  solche  Schatze,  die  mit  Recht- 
schaflenheit  gewonnen  werden,  richtet  er  seinen  Sinn. 

IG.  (9846.)  Nur  von  solchem  begiefst  er  die  Wurzel,  von 
welchem  er  Tugenden  [als  Friichte]  hofft;  so  wird  er  von 
Pflichtbewufstsein  durchdrungen  und  gewinnt  sich  einen  edlen 
Freund. 

17.  (9847.)  Durch  die  Erlangung  von  Freunden  und  Giitern 
ist  er  begliickt  im  Jenseits  und  schon  hienieden.  Uber  Tone, 
Gefiihle,  Geschmacke,  Gestalten  und  Geriiche,  o  Bharata, 

18.  (9848.)  erlangt  ein  solcher  Mensch  die  Herrschaft,  das 
ist  die  Frucht  seiner  Rechtschaffenheit ;  aber  obgleich  er  die 
Frucht  seiner  Rechtschaffenheit  erntet,  freut  er  sich  doch 
nicht,  o  Yudhishthira. 

19.  (9849.)  Unbefriedigt  erfafst  er  mit  dem  Auge  der  Er- 
kenntnis  die  Weltverdrossenheit.  Und  wenn  das  Auge  der  Er- 
kenntnis  keinen  Gefallen  mehr  findet  an  Begierde,  an  Ge- 
schmack  und  Geruch, 

20.  (9850.)  und  er  auf  Ton,  Gefiihl  und  Gestalt  nicht  mehr 
seinen  Geist  lenkt,  dann  kommt  er  los  von  der  Begierde,  aber 
die  Rechtschaffenheit  lafst  er  nicht  los. 


-476  III.    Mokshadharma. 

21.  (9851.)  Er  strebt  voran,  indem  er  auf  die  [rituelle] 
Pflicht  verzichtet,  da  er  die  Verganglichkeit  der  Welt  erkannt 
hat,  nur  nach  Erlosung  strebt  er  dann,  gestiitzt  auf  ein  Mittel, 
<3as  zum  Zwecke  fiihrt. 

22.  (9852.)  Nach  und  nach  ergreift  er  die  Weltverdrossen- 
heit  und  lafst  das  bose  Werk  fahren,  dann  wird  er  von  Ge- 
rechtigkeit  erfiillt  und  erlangt  die  hochste  Erlosung. 

23.  (9853.)  Damit  ist  dir  erklart  worden,  o  Freund,  wo- 
nach  du  mich  fragst,  das  Bose  und  das  Gute,  die  Erlosung 
^ind  die  Weltverdrossenheit,  o  Bharata. 

24.  (9854.)  Darum  bleibe  dem  Guten  treu  in  jeder  Lage, 
o  Yudhishthira ;  die  im  Guten  beharren,  o  Kuntisohn,  er- 
langen  die  ewige  Vollendung. 

So  lautet  im  Mokshadbarma  der  Abschnitt  von  den  vier  Fragen 
(catiilj  -prdfnikaiii}. 


Adhyaya  275  (B.  274). 

Vers  9855-9S73  (B.  1-19). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (9855.)  Die  Erlosung  ist  von  dir,  o  Grofsvater,  erklart 
^vorden  auf  Grund  eines  Mittels,  das  zum  Zwecke  fiihrt.  Dieses 
Mittel  mochte  ich  in  gehoriger  Weise  kennen  lernen,  o  Bharata. 

Bhishma  sprach : 

2.  (9856.)  Deiner  wiirdig,  o  sehr  Weiser,  ist  diese  ver- 
standige  Einsicht,  nach  dem  Mittel  zu  fragen,  durch  welches 
■du  bestandig  dem  vollen  Sinn  nachspiiren  willst,  o  Untadliger. 

3.  (9857.)  Das  Bewufstsein,  welches  bei  der  Anfertigung 
-eines  Topfes  besteht,  ist  nicht  mehr  dasselbe  gegeniiber  dem 
fertigen  Topfe ;  so  ist,  wo  es  sich  um  die  Mittel  zur  [hochsten] 
Pflicht  handelt,  dasjenige  nicht  mehr  Ursache,  was  es  bei 
■den  anderen  [niederen]  Pflichten  war.  [Letztere  beruhen  auf 
pravritti,  Tatigkeit,  erstere  auf  mvrifti,  Abstehen  vom  Tun.] 

4.  (9858.)  Der  Weg  nach  dem  ostlichen  Ozean  hin  fiihrt 
jiicht  zu  dem  westlichen  Ozean,  ein  eigentiimlicher  ist  der 


Adhyaya  275  (B.  274).  477 

Weg,  der  zur  Erlosung  fiihrt;  vernimm  ihn  von  mir  mit  Aus- 
fiihrlichkeit. 

5.  (9859.)  Durch  Langmut  soil  man  den  Zorn  iiberwinden, 
die  Begierde  durch  Fernhaltung  der  Wiinsche;  durch  Pflege 
des  Sattvam  soil  der  Weise  den  Schlaf  abtun. 

6.  (9860.)  Durch  Besonnenheit  soil  man  die  Furcht  ver- 
hiiten,  durch  fleifsige  Betrachtung  des  Kshetrajna  den  Atem 
[regeln];  Wunsch,  Hafs  und  Liebe  soil  man  durch  Beharr- 
lichkeit  beseitigen. 

7.  (9861.)  Unstetheit,  Verblendung  und  Strudelhaftigkeit 
soil  der  Wesenskundige  durch  Ubung,  Schlaf  und  Phantasterei 
durch  Wissenseifer  beseitigen. 

8.  (9862.)  Anfalle  und  Krankheiten  durch  leichtverdau- 
liche  und  mafsige  Nahrung,  Begierde  und  Verblendung  durch 
Zufriedenheit,  die  Sinnendinge  durch  Schauen  der  wahren 
Realitat. 

9.  (9863.)  Durch  Mitleid  soil  er  die  Ungerechtigkeit  be- 
siegen,  durch  Riicksichtnahme  die  Gerechtigkeit  [ersiegen], 
durch  Anspannung  iiberwinde  er  die  Hoffnung,  die  Geldgier 
durch  Befreiung  vom  Welthang, 

10.  (9864.)  das  Halten  am  Materiellen  durch  Bewufstsein 
der  Verganglichkeit,  den  Hunger  als  Weiser  durch  den  Yoga, 
durch  Mitgefiihl  den  Eigendiinkel  und  den  Durst  ftrisJind) 
durch  Geniigsamkeit. 

11.  (9865.)  Durch  Friihaufstehen  bekampfe  er  die  Trag- 
heit,  den  Zweifel  durch  Bestimmtheit,  die  Geschwatzigkeit 
lege  er  ab  durch  Schweigen,  die  Furchtsamkeit  durch  Mut^ 

12.  (9866.)  Er  zahme  Reden  und  Gedanken  durch  die  Buddhi,. 
diese  zahme  er  durch  das  Auge  der  Erkenntnis,  die  Erkennt- 
nis  durch  Erweckung  des  Atman,  den  Atman  durch  den 
Atman  selbst. 

13.  (9867.)  Dies  alles  soil  der  Beruhigte  reinen  Werkes 
verstehen  und  die  Hindernisse  fdoshdii)  des  Yoga  ausrotten, 
deren  die  Weisen  fiinf  kennen. 

14.  (9868.)  Lust,  Zorn,  Begierde,  Furcht  und  Schlaf  als 
fiinftes  hinter  sich  lassend,  soil  er  schweigend  mit  Hilfe  des 
Yoga  beharren  [in  dem  Folgenden]. 

15.  (9869.)   Meditation,  Studium  und  Spenden,  Wahrhaftig- 


478  III.   Mokshadharma. 

keit,  Scham,  Geradheit  und  Geduld,  Lauterkeit,  Keinheit  in 
der  Ernahrung  und  Bezahmung  der  Sinne, 

16.  (9870.)  durch  diese  wachst  seine  Kraft  und  schlagt 
das  Bose  nieder,  dann  gehen  seine  Wiinsche  in  Erfiillung 
und  seine  Erkenntnis  schreitet  fort. 

17.  (9871.)  Der  Siinde  ledig  und  voll  Energie,  mafsig  in 
der  Nahrung,  seine  Sinne  bemeisternd,  Herr  iiber  Lust  und 
Zorn,  moge  er  der  Statte  des  Brahman  zustreben. 

18.  (9872.)  Unbetortheit,  Nicht-Anhanglichkeit,  Freiheit  von 
Begierde  und  Zorn,  Unverdrossenheit,  Bescheidenheit,  Uner- 
schiitterlichkeit  und  Bestandigkeit, 

19.  (9873.)  das  ist  der  Weg,  der  zur  Erlosung  fiihrt,  der 
ruhige,  fleckenlose,  reine,  so  wird  die  Herrschaft  iiber  Rede, 
Leib  und  Denken  erlangt,  frei  von  Begierde. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Schilderung  des  Yogawandela 

(i/offa  -  dcdra  -  anuvarnanam). 


Adhyaya  276  (B.  375). 

Vers  9874-9913  (B.  1-38). 

Bhishma  sprach: 

1.  (9874.)  Dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte  Ge- 
schichte,  namlich  die  Unterredung  des  Narada  mit  dem  Asita 
Devala. 

2.  (9875.)  Den  alten  Devala,  den  Vorziiglichsten  der  Ver- 
standigen  an  Verstand,  wie  er  dasafs,  befragte  Narada  nach 
Ursprung  und  Vergang  der  Wesen. 

Narada  sprach : 

3.  (9876.)  Woher,  o  Brahmane,  ist  diese  ganze  Welt  des 
Unbeweglichen  und  Beweglichen  geschaffen  worden,  und  zu 
wem  geht  sie  beim  Untergange  ein?  Das  mogest  du,  o  Herr, 
mir  sagen. 

Asita  sprach: 

4.  (9877.)  Woraus  er,  durch  seine  Natur  veranlafst,  im 
Laufe  der  Zeit  die  Wesen  schafft,  das  bezeichnen  die  iiber  das 


Adhyaya  276  (B.  275).  479 

Gewordene   Nachdenkenden    als    die   fiinf  grofsen   Elemente 
{mahdbhtitdnij. 

5.  (9878.)  Aus  diesen  schafft  er  die  Wesen  im  Laufe  der 
Zeit,  angetrieben  durch  sicii  selbst;  wer  etwas  von  ihnen 
Verschiedenes  [als  Ursache]  angibt,  der  gibt  unzweifelhaft 
etwas  Falsches  an. 

6.  (9879.)  Wisse,  o  Narada,  dafs  diese  fiinf  ewigen,  un- 
wandelbaren,  bestandigen  Anhaufungen  der  grofsen  Energie 
nebst  Kala  (der  Zeit)  als  sechstem  urspriinglich  sind, 

7.  (9880.)  namlich  das  Wasser  und  der  Ather  fantariJcshawJ, 
die  Erde,  der  Wind  und  das  Feuer;  denn  es  gab  nichts  Hoheres 
als  diese  Elemente,  daran  ist  nicht  zu  zweifeln. 

8.  (9881.)  Durch  keinen  Beweis,  durch  keine  Argumenta- 
tion kann  jemand  behaupten,  dafs  dem  nicht  so  sei,  das  steht 
fest,  Du  weifst,  dafs  diese  [grofsen  Elemente]  sich  ent- 
wickelt  haben  [aus  der  Energie,  tejas],  deren  Anhaufungen 
alle  sechs  sind. 

9.  (9882.)  Diese  fiinf  und  die  Zeit,  sowie  das  Werden  und 
das  Zunichtewerden  noch  besonders  —  das  sind  die  acht 
ewigen  Elemente  der  Wesen,  sind  ihr  Ursprung  und  ihr 
Vergang. 

10.  (9883.)  In  diesen  gelangen  sie  zum  Zunichtewerden 
und  aus  ihnen  entspringen  sie  wieder,  und  ihnen  entsprechend 
wird  ein  Wesen  beim  Untergange  in  die  Fiinfheit  aufgelost. 

11.  (9884.)  Sein  Leib  besteht  aus  Erde,  das  Gehor  ist  aus 
Ather  gebildet,  aus  der  Sonne  das  Auge,  der  Odem  aus  dem 
Winde,  aus  dem  Wasser  das  Blut. 

12.  (9885.)  Augen,  Nase,  Ohren,  Haut  und  Zunge  als 
fiinftes  sind  die  Sinnesorgane ,  die  Erkenntnisorgane  fiir  die 
Sinnendinge,  wie  die  Weisen  lehren. 

13.  (9886.)  Das  Sehen,  Horen,  Riechen,  Fiihlen  und 
Schmecken  erkenne  aus  der  Angemessenheit  als  ihre  Eigen- 
schaften  fyiina)^  fiinf  in  den  fiinfen  fiinffacher  Art. 

14.  (9887.)  Gestalt,  Geruch,  Geschmack,  Beriihrung  und 
Ton  wiederum  sind  die  Eigenschaften  von  jenen  [Elementen]; 
sie  werden  als  fiinf  in  fiinffacher  Weise  mittels  der  fiinf 
Sinne  wahrgenommen. 

15.  (9888.)   Aber  Gestalt,  Geruch,  Geschmack,  Beriihrung 


480  III.   Mokshadharma. 

und  Ton  wiederum  als  die  Eigenschaften  jener  [Elemente] 
werden  nicht  von  den  Sinnen  erkannt,  sondern  der  Kshe- 
trajfia  (das  Subjekt  des  Erkennens)  ist  es,  welcher  durch  sie 
erkennt. 

16.  (9889.)  Das  Cittam  (hier:  die  Wahrnehmung )  steht 
hoher  als  der  Komplex  der  Sinnesorgane,  hoher  als  dieses 
steht  das  Manas,  hoher  als  das  Manas  die  Buddhi,  hoher  als 
die  Buddhi  der  Kshetrajna. 

17.  (9890.)  Zuerst  nimmt  ein  Mensch  mittels  der  Sinne 
die  einzelnen  Objekte  wahr  fcetayatej,  sodann  erwagt  er  mittels 
des  Manas  und  dann  entscheidet  er  mittels  der  Buddhi, 
(9891.)  denn  iiher  die  durch  die  Sinne  wahrgenommenen  Dinge 
entscheidet  der  mit  Buddhi  Begabte. 

18.  Das  Cittam,  der  Komplex  der  Sinnesorgane,  das 
Manas  und  die  Buddhi  als  achte  —  (9892.)  diese  acht  be- 
zeichnen  als  die  Erkenntnisorgane  fjndna-indriydnij  die,  welche 
iiber  die  innere  Seele  nachdenken. 

19.  Hande  und  Fiifse,  Entleerungs-  und  Zeugungsorgan 
und  als  fiinftes  der  Mund,  (9893.)  diese  werden  als  Tatorgane 
(harma-indriydnij  aufgefiihrt,  das  merke. 

20.  Der  Mund  heifst  Organ,  weil  er  zum  Keden  und  Essen 
dient,  (9894.)  das  Organ  des  Gehens  sind  die  Fiifse,  die  Hande 
dienen  zum  Vollbringen  des  Werkes. 

21.  Entleerungs-  und  Zeugungsorgan  dienen  der  Ent- 
leerung  als  Organe  von  gleicher  Verrichtung,  (9895.)  zur  Ent- 
leerung  der  Faeces  und  zur  geschlechtlichen  Entleerung. 

22.  Als  sechstes  kommt  dazu  die  Kraft  {balamj;  diese 
sechs  sind,  wie  es  sich  gehort,  durch  meine  Rede  [erklart 
worden];  (9896.)  die  Eigenschaften  aber  der  Erkenntnisorgane 
und  Tatorgane  wurden  von  mir  fiir  samtliche  namhaft  gemacht. 

23.  Wenn  wegen  Ermiidung  der  Sinnesorgane  ein  Aus- 
ruhen  von  ihrer  Tiitigkeit  eintritt,  (9897.)  dann  fallt  zufolge 
des  Versagens  der  Sinnesorgane  der  Mensch  in  Schlaf. 

24.  Wenn  beim  Ruhen  der  Sinnesorgane  das  Manas  nicht 
ruht,  (9898.)  sondern  sich  mit  den  Objekten  beschaftigt,  so 
heifst  das  ein  Traumgesicht. 

25.  Was  nun  die  sattvahaften  Zustande  sowie  die  tamas- 
artigen  und  rajas-artigen  betrifft,  (9899.)  so  lehren  die  Weisen> 


Adhyaya  276  (B.  275).  481 

dafs  sie  an  Werke  gebunden  sind,   die   sattvahaften  so  gut 
wie  die  andern. 

26.  Wonne,  Gelingen  der  Werke,  Erkenntnis  und  hoch- 
ster  Gang  (9900.)  sind  Anzeichen  des  Sattvahaften.  Die  Er- 
innerung  [im  Traume]  stiitzt  sich  auf  jene  Zustande 

27.  in  dem  Mafse,  wie  bei  jedem  einzelnen  Menschen  die 
Zustande  sich  in  Handlungen  umgesetzt  haben.  (9901.)  Diese 
beiden  Zustande  aber  [Wachen  und  Traum]  haben  einen 
wahrnehmbaren  Zugang  zu  dem  ewigen  Ziele  der  Sehnsucht 
[namhch  im  Tiefschlaf,  Nil.]. 

28.  Die  Indriya's  [fiinf  Erkenntnisorgane  nebst  Manas, 
fiinf  Tatorgane  nebst  Balam  (der  Kraft),  dazu  Cittam  und 
Buddhi]  und  die  Zustande  [Sattvam,  Rajas,  Tamas]  werden 
als  die  siebzehn  Eigenschaften  betrachtet;  (9902.)  iiber  ihnen 
steht  als  achtzehnte  die  Seele,  welche  im  Leibe  wohnt,  und 
sie  ist  ewig. 

29.  Nun  sind  zwar  alle  diese  Eigenschaften  der  Ver- 
korperten  mit  dem  Korper  verbunden  (9903.)  und  auf  ihn  sich 
stutzend,  aber  bei  der  Trennung  der  Seele  von  ihm  bleiben 
auch  sie  nicht  langer  mit  dem  Korper  verbunden. 

30.  Nun  bildet  dieses  Gemisch  den  aus  den  ^  fiinf  Ele- 
menten  bestehenden  Leib:  (9904.)  der  Eine  [Kshetrajiia]  und 
die  Achtzehn,  namlich  die  [siebzehn]  Eigenschaften  nebst  der 
verkorperten  Seele  mitsamt  der  Korperwarme  bilden  das 
zwanzigfache,  fiinfelementhafte  Aggregat. 

31.  (9905.)  Diesen  Korper  halt  zusammen  der  Mohan  in 
Gemeinschaft  mit  dem  Winde,  seine  gewaltige  Wirkung  zeigt 
sich  bei  der  Trennung  [der  Seele]  vom  Korper. 

32.  (9906.)  In  dem  Mafse,  als  irgendein  [Geschopf]  ent- 
steht,  geht  es  wieder  in  die  fiinf  Elemente  zuriick,  wenn  das 
Gute  und  Bose  [der  vorhergehenden  Geburt]  verbraucht  ist. 
Und  abermals  von  guten  und  bosen  Werken  getrieben, 
(9907.)  geht  sie  [die  Seele]  mit  der  Zeit  in  einen  durch  ihre 
Werke  bedingten  neuen  Leib  ein. 

33.  Immer  wieder  loslassend,  geht  aus  einem  Leibe  in 
den  andern  ein,  auf  ihre  Werke  gestiitzt  (9908.)  und  von  der 
Zeit  getrieben,  die  Seele  wie  aus  einem  verfallenen  Hause  in 
ein  neues. 

Deussbn,  Mah&bhftratam.  31 


482  ni.  Mokshadharma. 

34.  Hieriiber  betriiben  sich  nicht  die  in  der  Gewifsheit 
gefestigten  Weisen,  (9909.)  es  betriiben  sich  nur  die  bemit- 
leidenswerten  Menschen,  welche  sich  an  den  Korper  gebunden 
wahnen. 

35.  Denn  er  [der  Atman]  ist  in  Wahrheit  nicht  ein  ge- 
wisser  und  einem  gewissen  gehorig,  und  ihm  gehort  keiner 
(vgh  Kath.  Up.  2,18),  (99io.)  sondern  er  besteht  ewig  fiir  sich 
allein  und  schafft  sich  den  Korper  nebst  Lust  und  Leid. 

36.  Nicht  wird  geboren  ein  Mensch  und  niemals  geht 
er  zugrunde,  (99ii.)  sondern  das  Korperhafte  verlassend,  geht 
er  einstmals  den  hochsten  Gang. 

37.  Den  durch  gute  und  bose  Werke  bedingten  Leib 
vernichtet  er,  indem  er  seine  Werke  vernichtet,  (9912.)  und 
ist  der  Korper  vernichtet,  so  kehrt  der  Verkorperte  in  die 
Brahmanwesenheit  zuriick. 

38.  Um  die  guten  und  bosen  Werke  zu  vernichten,  dazu 
ist  uns  die  Sankhya-Erkenntnis  verhehen.  (9913.)  Sind  sie  ver- 
nichtet, so  erbhckt  man  fiir  ihn  das  hochste  Ziel  in  der 
Brahmanwerdung. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Narada  und  Asita 
(Ndrada  -  Asita  -  sainvdda). 


Adhyaya  377  (B.  376). 

Vers  9914-9927  (B.  1-14). 

Yudhishthira  spradi : 

1.  (9914.)  Briider,  Vater,  Enkel,  Verwandte,  Freunde  und 
Sohne  sind  um  des  Gewinnes  willen  von  uns  grausamen 
Missetatern  erschlagen  worden. 

2.  (9915.)  Was  dieser  aus  Gewinnsucht  entspringende  Durst 
(trishndj  ist.  wie  kann  ich  den,  o  Grofsvater,  zur  Ruhe  bringen? 
Denn  durch  den  Durst  getrieben  haben  wir  Boses  getan. 

Bhishma  sprach: 

3.  (9916.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namhch  was  von  dem  Konige  der  Videha's  dem 
Mandavya  auf  seine  Frage  vorgetragen  wurde. 


Adhyaya  277  (B.  276).  483 

4.  (9917.)  Fiirwahr,  ich  lebe  ganz  gliicklich,  well  mir  gar 
nichts  angehort;  wenn  ganz  Mithila  verbrennt,  so  verbrennt 
nichts,  was  mein  ware. 

5.  (9918.)  Reichtum,  auch  wenn  er  sehr  grofs  ist,  ist  fiir- 
wahr ein  Ungluck  fiir  die  Weisen,  aber  auch  wenn  er  sehr 
klein  ist,  vermag  er  doch  jederzeit  den  Unweisen  zu  blenden. 

6.  (9919.)  Die  weltHche  Freude  an  der  Lust  und  die  grofse 
himmhsche  Freude  sind  beide  nicht  den  sechzehnten  Teil  von 
dem  wert,  was  die  Freude  an  der  Aufhebung  des  Durstes 
wert  ist. 

7.  (9920.)  Wie  das  Horn  einer  Kuh  wachst  in  dem  Mafse, 
wie  sie  wachst,  so  wachst  der  Durst  in  dem  Mafse,  wie  der 
Reichtum  wachst. 

8.  (9921.)  Wenn  uns  irgend  etwas  als  Besitztum  zu  eigen 
geworden  ist,  so  wird  es  ebenso  sehr  zur  Qual,  wenn  es 
verloren  gehen  sollte. 

9.  (9922.)  Man  folge  nicht  der  Lust,  denn  die  Freude  an 
der  Lust  ist  fiirwahr  ein  Leid,  wer  aber  zu  Reichtum  gelangt 
ist,  stelle  ihn  in  Dienst  des  Guten  und  lasse  die  Liiste  fahren. 

10.  (9923.)  Der  Wissende  moge  alle  Wesen  behandeln  wie 
sich  selbst;  wer  seinen  Zweck  erreicht  hat  und  reinen  Wesens 
ist,  der  leistet  Verzicht  auf  alJes. 

n.  (99-24.)  Wenn  er  beidem  entsagt,  der  Wahrheit  und 
Unwahrheit,  dem  Schmerz  und  der  Lust,  dem  Lieben  und  Un- 
heben,  wenn  er  Furcht  und  Furchtlosigkeit  hinter  sich  lafst, 
dann  lebt  er  in  Gemiitsruhe  und  Gesundheit. 

12.  (9925.)  Der  von  Ubelberatenen  schwer  aufzugeben  ist, 
der  mit  dem  Alternden  nicht  altert,  der  eine  Krankheit  ist, 
die  erst  mit  dem  Leben  endigt,  das  ist  der  Durst,  wohl  dem, 
der  ihm  entsagt. 

13.  (9926.)  Darauf  sehend,  dafs  sein  Wandel  rein  wie  der 
Mond  und  ohne  Anstofs  sei,  erntet  der  Pflichttreue  Ehre,  im 
Jenseits  und  hienieden,  soviel  er  wiinscht. 

14.  (9927.)  Als  der  Brahmane  dieses  Wort  des  Konigs  ver- 
nommen  hatte,  wurde  er  von  Freude  erfilllt,  und  indem  er  dieses 
Wort  in  Ehren  hielt,  gelangte  er,  Mandavya,  zur  Erlosung. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Janaka  und  M&ndayya 
(Janaka  -  Mdndavya  -  samvdda). 

31* 


484  III.    Mokshadharma. 

Adhyaya  378  (B.  211). 

Vers  9928-9966  (B.  1-39). 

Dieser  Abschnitt  ist,  abgesehen  von  einigen  unerheblichen  Auslas- 
sungen,  Umstellungen  und  Varianten  identisch  mit  Adhyaya  175,  obeu 
S.  118—122. 

Adhyaya  379  (B.  378). 

Vers  9967-9981)  (B.  1-22). 

Yudhishtbira  sprach: 

1.  (9967.)  Durch  welchen  Charakter,  welchen  Wandel^ 
welche  Wissenschaft,  welches  Streben  erlangt  man  die  Statte 
des  Brahman,  die  feste,  iiber  die  Natur  (Prakriti)  erhabene? 

Bhishma  sprach: 

2.  (9968.)  Wer  seine  Freude  an  den  Kegeln  fiir  die  Er- 
losung  fmokshadharmdhj  hat,  sich  mafsig  nahrt  und  seine 
Sinne  beherrscht,  der  erlangt  die  Statte  des  Brahman,  die 
feste,  iiber  die  Natur  erhabene. 

3.  (9969.)  Aus  seinem  Hause  ausziehend  und  gleichgiiltig 
gegen  Besitz  und  Nicht-Besitz,  soil  der  Muni  mit  Verachtung 
der  auf  ihn  einstiirmenden  Begierden  umherpilgern. 

4.  (9970.)  Nicht  durch  den  Blick,  nicht  in  Gedanken,  nicht 
durch  die  Rede  soil  man  etwas  mifsbilligen ,  nicht  offen  und 
nicht  im  Geheimen  soil  er  irgendwo  seine  Mifsbilligung  zum 
Ausdruck  bringen. 

5.  (9971.)  Kein  Wesen  soil  er  verletzen,  den  Pfad  des  Wohl- 
wollens  verfolgend  hinwandeln,  und  da  er  einmal  in  dieses 
Dasein  geraten  ist,   soil  er  mit  keinem  in  Feindschaft  leben. 

6.  (9972.)  Ubermiitige  Reden  ertrage  er,  gegen  niemanden 
hege  er  hose  Absichten,  wird  er  erziirnt,  so  rede  er  freund- 
lich,  schreit  man  ihn  an,  so  entgegne  er  mit  heilbringenden 
Worten. 

7.  (9973.)  Geht  er  mitten  durch  ein  Dorf,  so  soil  er  nicht 
nach  rechts  oder  links  abschweifen,   er   soil  nicht  [gewerbs- 


Adhyaya  279  (B.  278).  485 

mafsig]  betteln  und  einer  vorherigen  Einladung  nicht  Folge 
leisten. 

8.  (9974.)  Wird  er  beworfen,  so  nehme  er  sich  wohl  in 
acht  und  entgegne  nichts  Unfreundliches ,  er  sei  milde,  er- 
widere  nichts  Rohes,  sei  vertrauensvoll,  aber  nicht  geschwatzig. 

9.  (9975.)  Wo  es  nicht  mehr  raucht,  wo  der  Stofser  des 
Morsers  ruht,  wo  die  Kohlen  nicht  mehr  gliihen,  wo  die  Leute 
abgegessen  haben  und  das  Abtragen  fsamcdraj  der  Gefafse 
vorbei  ist,  da  soil  der  Muni  sein  Almosen  erbitten. 

10.  (9976.)  Er  sei  nur  bedacht,  sein  Leben  zu  unterhalten; 
empfangt  er  nur  karglich,  so  soil  er  sich  nichts  daraus 
machen;  empfangt  er  nichts,  so  soil  er  sich  nicht  verletzt 
fiihlen,  und  wenn  er  etwas  empfangt,  so  soil  es  ihn  nicht 
freudig  stimmen. 

11.  (9977.)  Was  alle  schatzen  [Kranze,  Sandelholz  usw. 
Nil.],  soil  er  nicht  begehren,  er  soil  nicht  essen,  wo  man  ihm 
Ehre  erweist,  denn  ein  Mann  wie  er  mufs  es  verabscheuen, 
unter  Ehrenbezeugungen  zu  empfangen. 

12.  (9978.)  Schlechte  Speisen  soil  er  nicht  bemangeln,  gute 
nicht  preisen ;  Lager  und  Sitz  in  der  Einsamkeit  soil  er  stets 
hochschatzen. 

13.  (9979.)  Ein  leeres  Haus,  eine  Baumwurzel,  die  Wald- 
cinsamkeit  oder  eine  Hohle  soil  er  als  Aufenthalt  wahlen; 
unbekannte  [von  der  Menge]  gemiedene  Wege  gehend,  soil 
er  [von  ihr]  geschieden  wohnen. 

14.  (9980.)  In  Billigung  und  Mifsbilligung  sei  er  unparteiisch, 
unerschiitterlich  und  fest;  er  strebe  nicht  danach,  durch 
Werke  Verdienst  oder  Schuld  zu  ernten. 

15.  (9981.)  Er  sei  immer  zufrieden  und  sehr  frohhch,  be- 
ruhigten  Angesichts  und  beruhigter  Sinne,  furchtlos,  am 
liebsten  Gebete  murmelnd,  schweigsam  und  der  Leidenschaft- 
losigkeit  ergeben. 

16.  (9982.)  Wiederholentlich  betrachte  er  die  elementare 
Welt  und  das  Kommen  und  Gehen  der  Wesen;  begierdelos 
und  gleichmiitig  blickend,  mag  er  Zubereitetes  oder  Rohes 
zu  sich  nehmen,  (9983.)  er,  der  durch  das  Selbst  beruhigten 
Selbstes,  in  Nahrung  mafsig  und  Herr  iiber  seine  Sinne  ist. 

17.  (9984.)   Das  Ungestiim   der  Rede,   die  Aufwallung 


486  UI.    Moksliadharma. 

des  Zornes  im  Herzen,  den  Anreiz  zu  schadigen  und  den 
Drang  des  Hungers  und  der  Liebe,  den  Ansturm  von 
dem  allem  halte  der  Asket  aus,  dann  wird  keine  Selbst- 
anklage  sein  Herz  zu  verletzen  brauchen. 

18.  (9985.)  Unparteiisch  stehe  er  da,  gleichmiitig  bei  Lob 
und  Tadel.  Ja,  das  ist  die  hoehste  Lauterung:  ein  Heimat- 
loser  in  seinem  Entsagungsstande. 

19.  (9986.)  Hochherzig,  allseitig  bezahmt,  allseitig  ohne 
Abhangigkeit,  nicht  zuriickkommend  auf  den  friihern  Wandel, 
leutselig,  heimatlos  und  andachtsvoll 

20.  (9987.)  moge  er  mit  den  Waldeinsiedlern  und  Haus- 
vatern  niemals  mehr  in  Gemeinschaft  treten;  nicht  Vorher- 
begehrtes  soil  er  zu  sich  nehmen  und  keine  Freude  soil  ihn 
beschleichen. 

21.  (9988.)  Fiir  den  Weisen  ist  dies  die  Erlosung,  fiir  den 
Unweisen  eitel  Miihe;  das  ist  der  ganze  Weg  zur  Erlosung 
fiir  die  Wissenden,  wie  Harita  ihn  verkiindigt  hat. 

22.  (9989.)  Wer,  alien  Wesen  ihren  Frieden  lassend,  aus 
der  Heimstatte  auswandert,  dem  werden  glanz voile  Welten 
zuteil,  der  ist  reif  fiir  die  Ewigkeit. 

So  lautet  im  Mokehadhaxma  der  Gesang  des  H&rlta 

(Hdrtta-gitd). 


AdhyAya  380  (B.  279). 

Vers  9990-10024  (B.  1-84). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (9990.)  Gliicklich  seid  ihr,  gliicklich!  so  sagen  zu  uns 
alle  Leute,  und  doch  gibt  es  wahrlich  keine  ungliicklicheren 
Menschen  als  wir  sind. 

2.  (9991.)  Das  Ungliick,  das  uns  getroffen  hat,  die  wir 
von  den  Leuten  geehrt  werden,  o  Bester  der  Kuru's,  die  wir 
unter  den  Menschen  unsere  Geburt  sogar  den  Gottern  ver- 
danken,  o  Grofsvater,  — 

3.  (9992.)  wann  werden  wir  die  Entsagung  voUbringen, 
welche    als    ein  Ungliick   gilt!   —   das    wahre   Ungliick   be- 


Adhyaya  280  (B.  279).  487 

steht  nur  darin,  dafs  wir  diesen  Leib  tragen,  o  Bester  der 
Kuru's. 

4.  (9993.)  Erlost  von  den  siebzehn  [den  fiinf  Prana's, 
Manas,  Buddhi  und  den  zehn  Indriya's,  Nil.]  und  den  fiinf 
Grundstoffen,  sowie  von  den  acht  [namlich  den  fiinf]  Sinnes- 
objekten  und  [den  drei]  Guna's, 

5.  (9994.)  gehen  nicht  in  eine  abermalige  Geburt  ein  die 
Muni's,  die  ihre  Geliibde  scharf  beobachten;  wann  werden 
denn  auch  wir,  das  Konigreich  aufgebend,  dazu  kommen,, 
o  Bedranger  der  Feinde? 

Bhishma  sprach: 

6.  (9995.)  Es  gibt  nichts  Ewiges,  o  grofser  Konig,  die 
Welt  ist  das  Reich  der  Erscheinung,  und  auch  die  Wieder- 
geburt  ist  eine  bekannte  Sache,  es  gibt  hienieden  nichts  Un- 
wandelbares, 

7.  (9996.)  und  auch  du,  o  Konig,  glaubst  das  nicht.  Diese 
Mangelhaftigkeit  [der  Welt]  ist  keine  blofs  zufallig  anhaftende; 
nur  wenn  ihr  mit  Anstrengung  die  Pflicht  erkannt  habt, 
werdet  ihr  mit  der  Zeit  dazu  kommen  [dies  einzusehen]. 

8.  (9997.)  Diese  verkorperte  Seele  ist  niemals  Herr  (?go 
mit  C),  o  Konig,  iiber  Gutes  und  Boses,  und  aufserdem  wird 
sie  noch  durch  das  um  sie  aufsteigende  Tamas  gehemmt. 

9.  (9998.)  Wie  der  mit  Feuchtigkeit  gesalbte  Wind,  wenn 
er  sich  weiterhin  mit  dem  Staube  des  Rauschrots  erfiillt,  mit 
dessen  Farbe  alle  Gegenden  iiberzieht, 

10.  (9999.)  so  bewegt  sich  die  von  den  Friichten  ihrer 
Werke  gefarbte  und  mit  Tamas  umhiillte  Seele,  indem  sie, 
obgleich  farblos  [ihrem  Wesen  nach],  deren  Farbung  an- 
nimmt,  in  den  Korpern. 

11.  (10000.)  Wenn  aber  der  Mensch  die  aus  dem  Nicht- 
wissen  entspringende  Finsternis  durch  das  Wissen  verscheucht, 
dann  kommt  [in  ihm]   das  ewige  Brahman  zur  Erscheinung. 

12.  (10  001.)  Nicht  durch  Anstrengung  ist  es  zu  erringen, 
wie  die  Weisen  lehren  und  sie,  welche  erlost  sind;  sie 
sind  zu  verehren  von  dir  und  der  Welt  und  den  Gottern, 
von  Ihm  (dem  Brahman)  lassen  nicht  ab  die  Scharen  der 
grofsen  Rishi's. 


488  III.    Mokshadharma. 

13.  (10002.)  Vernimm  andachtig,  o  Konig,  was  hieriiber 
einstmals  gesungen  wurde,  namlich  wie  sich  der  Damon 
Vritra,  als  er  um  seine  Herrschaft  gekommen  war,  verhielt, 

14.  (10003.)  als  er  besiegt  und  hilflos  seines  Reiches  be- 
raubt  war,  o  Bharata,  und  doch,  von  Feinden  umgeben,  nicht 
klagte,   sondern  zar  reinen  Erkenntnis  seine  Zuflucht  nahm. 

15.  (10004.)  Es  geschah  einmal,  dafs  zum  Vritra,  der  von 
seinem  Throne  gestiirzt  worden  war,  Uganas  das  Wort  sprach: 
FiihJst  du  denn,  nachdem  du  besiegt  worden  bist,  dariiber 
gar  keinen  Kummer,  o  Danava? 

Vritra  sprach: 

16.  (10005.)  Nachdem  ich  durch  Wahrhaftigkeit  und  Askese 
liber  das  Kommen  und  Gehen  der  Wesen  zur  Erkenntnis 
ohne  Zweifel  gelangt  bin,  trauere  ich  nicht  mehr  und  freue 
mich  nicht  mehr. 

17.  (10006.)  Von  Kala  (der  Zeit)  fortgetrieben,  stiirzen  die 
Lebenden  in  die  Holle  gegen  ihren  Wihen,  aber  alles  Himm- 
lische  lebt  in  Vollbefriedigung,  wie  die  Weisen  lehren. 

18.  (10007.)  Nachdem  aber  die  Lebenden  die  ihnen  zu- 
gemessene  Zeit  dort  verbracht  haben,  entstehen  sie,  von  der 
Zeit  getrieben,  in  der  folgenden  Zeit  immer  wieder  und  wieder. 

19.  (10008.)  Und  nachdem  sie  in  tausend  tierische  Ge- 
burten  oder  auch  in  die  Holle  gelangt  sind,  kommen  die 
Lebenden  wieder  aus  ihnen  heraus  ohne  ihr  Zutun,  gebunden 
durch  die  Stricke  der  Begierde. 

20.  (10  009.)  Dafs  die  Lebewesen  in  dieser  Weise  um- 
wandern  miissen,  hatte  ich  vordem  nicht  erkannt;  aber  die 
Schrift  lehrt :  wie  die  Werke,  so  ist  auch  die  Vergeltung. 

21.  (10010.)  Sie  gehen  ein  in  ein  Tier,  in  die  Holle,  in 
ein  menschliches  oder  gottliches  Dasein,  nachdem  sie  vorher 
Lust  und  Leid,  Liebes  und  Unliebes  durchgekostet  haben. 

22.  (10011.)  An  das  Gesetz  des  Todes  gebunden,  geht  alle 
"Welt  von  hinnen  und  alle  Wesen  gehen  immerfort  den  Weg, 
den  sie  schon  gegangen  waren, 

23.  (10012.)  der  durch  das  Mafs  der  Zeit  gemessen  ist  und 
Schopfung  und  Bestand  zum  Ziele  hat. 


Adhyaya  280  (B.  279).  489 

Zu  ihm,  der  so  redete,  sprach  der  heilige  Uganas: 
(10013.)  0  Weiser,  warum  bringst  du  so  schlechtes  Gerede 
vor,  0  Freund? 

Vritra  sprach: 

24.  (10014.)  Dir  sowie  den  anderen  Weisen  diirfte  es  be- 
kannt  sein,  dafs  ich  vordem,  nach  Sieg  begehrend,  grolse 
Askese  iibte. 

25.  (10015.)  Mancherlei  Geriiohe  und  Geschmacke  der  [von 
mir  getoteten  Nil.]  Wesen  mir  aneignend,  gedieh  ich  und 
durchdrang  alle  drei  Welten  mit  meiner  Kraft. 

26.  (lOOiG.)  Von  einem  Flammenkranz  umgeben,  durch- 
wandelte  ich  den  Luftraum  und,  unbesiegbar  fiir  alle  Wesen, 
war  ich  jederzeit  frei  von  Furcht. 

27.  (10017.)  Diese  durch  Askese  erlangte  Gottherrlichkeit 
brach  zusammen  infolge  meiner  Werke,  aber  ich  halte  mich 
tapfer  und  klage  nicht,  o  Heiliger. 

28.  (10018.)  Vordem  habe  ich  neben  dem  kampflustigen 
grofsen  Indra,  dem  hochherzigen  Helden,  den  heiligen  Herrn 
Hari  Narayana  geschaut, 

29.  (10019.)  den  Vaikuntha,  den  unendlichen  Geist,  den 
glanzenden  ewigen  Vishnu,  den  schilfgrashaarigen ,  blond- 
bartigen  Urvater  aller  Wesen. 

30.  (10020.)  Nun  aber  ist  mir  von  aller  meiner  Askese 
noch  als  Uberrest  geblieben,  dafs  ich  den  Wunsch  hege, 
o  Heiliger,  dich  nach  der  Frucht  der  Werke  zu  befragen. 

31.  (10021.)  In  welcher  Kaste  ruht  die  Gottherrlichkeit,  das 
grofse  Brahman?  Und  wie  geschieht  es,  dafs  diese  hochste 
Gottherrlichkeit  zunichte  wird? 

32.  (10  022.)  Wodurch  haben  die  Wesen  ihr  Leben  und 
[tathd  mit  C]  seine  Betatigung?  Welches  ist  die  hochste 
Frucht,   durch   deren  Erlangung  der  Lebende  ewig  besteht? 

33.  (10023.)  Und  ferner,  durch  welches  Werk  oder  durch 
welches  Wissen  ist  es  moglich,  diese  Frucht  zu  erlangen? 
Das,  0  Brahmane,  mogest  du  mir  erklaren. 

34.  (10024.)  Als  der  Weise  damals  so  angeredet  wurde, 
was  er  da  antwortete,   das,  o  Konigslowe,  vernimm  mit 


490  in.    Mokshadharma. 

ungeteilter    Aufmerksamkeit ,    wie    ich    es    dir    mitsamt 
deinen  Briidern  berichte,  o  Stier  unter  den  Mannern. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Gesang  vom  Vritra 
(Vritra-gttd). 


Adhyaya  381  (B.  280). 

Vers  10025-10097   (B.  1-70). 

U^anas  sprach : 

1.  (10025.)  Verehrung  sei  jenem  heiligen,  iibermachtigen 
Gotte,  der  den  Erdboden,  o  Freund,  und  den  Luftraum  mit 
seinen  Armen  umspannt, 

2.  (10026.)  und  dessen  Haupt  die  ewige  Statte  ist,  o  Bester 
der  Danava's;  dieses  Gottes  Vishnu  hochste  Majestat  will 
ich  dir  verkiindigen. 

3.  (10027.)  Wahrend  diese  beiden  in  dieser  Weise  mitein- 
ander  redeten,  kam  dazu  ein  grofser  Weiser,  der  pflicht- 
getreue  Sanatkumara,  um  ihre  Zweifel  zu  losen. 

4.  (10028.)  Nachdem  er  von  dem  Fiirsten  der  Damonen 
und  ebenso  von  dem  weisen  Uganas  verehrt  worden  war,  liefs 
er,  der  Stier  unter  den  Muni's,  sich  auf  dem  Ehrensitze  nieder, 
0  Konig. 

5.  (10029.)  Als  der  Hochweise  sich  gesetzt  hatte,  sprach 
Uganas  zu  ihm  das  Wort:  Verkiindige  diesem  Fiirsten  der 
Danava's  die  hochste  Majestat  des  Vishnu. 

6.  (10030.)  Sanatkumara  aber,  als  er  dies  vernommen, 
sprach  das  treffliche  Wort  iiber  die  Majestat  des  Vishnu  zu 
dem  weisen  Fiirsten  der  Danava's. 

7.  (10031.)  Vernimm,  o  Daitya,  vollstandig  die  Majestat 
des  Vishnu.  In  Vishnu  ruht  diese  ganze  Welt,  das  wisse, 
o  Feindbedranger. 

8.  (10032.)  Er  ist  es,  o  Grofsarmiger ,  der  die  Schar  der 
beweglichen  und  unbeweglichen  Wesen  schafft,  der  sie  im 
Laufe  der  Zeit  wieder  in  sich  hereinreifst  und  sie  abermals 
schafft. 

9.  (10033.)   In  ihm  gelangen  sie  zur  Vernichtung,  und  aus 


Adhyaya  281  (B.  280).  491 

ihm  entstehen  sie  wieder;  er  kann  nicht  durch  Erkenntnis, 
nicht  durch  Askese,  nicht  durch  Opfer  (ioo34.)  erlangt  werden, 
sondern  nur  durch  Fesselung  der  Sinnesorgane. 

10.  Standhaft  im  Geiste  bei  dem  aufsern  und  innern 
Werke,  (10035.)  lautert  man  beide  durch  das  Bewufstsein  [keinen 
Lohn  zu  begehren],  dann  erlangt  man  im  Jenseits  die  Ewigkeit. 

11.  Wie  ein  Goldschmied  das  Silber  im  Feuer  lautert, 
(10036.)  vielfaltig  mit  grofser,  selbstauferlegter  Uberanstrengung; 

12.  so  wird  die  Seele  hundert  Geburten  hindurch  von 
ihrem  Werke  gelautert,  (10037.)  aber  bei  grofser  Anstrengung 
kann  sie  audi  in  einer  einzigen  Geburt  rein  werden. 

13.  Wie  man  mit  nur  geringer  Miihe  einen  kleinen  Staub- 
fleck  von  seinem  Korper  abwischt,  (looss.)  so  soil  man  mit 
grofser  und  vielfacher  Anstrengung  seine  Fehler  aus  sich 
ausrotten. 

14.  Wie  Sesam  oder  Senf,  nur  von  einem  kleinen  Blumen- 
kranze  durchduftet,  (10039.)  seinen  natiirlichen  Geruch  noch 
nicht  verliert,  ahnlich  geht  es  auch  zu,  wo  es  sich  um  das 
Schauen  des  Schwererkennbaren  handelt. 

15.  Wenn  aber  eben  jener  [Sesam  oder  Senf]  von 
vielen  Blumenkranzen  wieder  und  wieder  durchduftet  wird, 
(10040.)  dann  verliert  er  seinen  natiirlichen  Geruch  und  nimmt 
auf  die  Dauer  den  Geruch  des  Krauzes  an. 

16.  So  wird  bei  solchen,  die  durch  die  Guna's  an  die 
Welt  gekniipft  sind,  erst  durch  hundert  Geburten  ein  ihnen 
anhaftender  (ioo4i.)  Fehler  durch  die  Erkenntnis  zunichte 
mittels  einer  durch  Ubung  erworbenen  Anstrengung. 

17.  Was  nun  die  am  Werke  hangenden  oder  ihm  ent- 
sagenden  [Geschopfe]  betrifft,  o  Danava,  (10042.)  wie  diese  zu 
einer  verschiedenen  Stellung  den  Werken  gegeniiber  ge- 
langen,  das  vernimm. 

18.  Wie  sie  sich  im  Leben  betatigen,  und  worin  sie  ihren 
Halt  linden,  o  Herr,  das  will  ich  dir  eins  nach  dem  andern 
erklaren,  (10043.)  das  mogest  du  mit  ungeteilter  Aufmerksam- 
keit  vernehmen. 

19.  Der  anfanglose  und  endlose,  gliickselige  Hari  Na- 
rayana,  der  Herr,  (10044.)  schafft  als  Gott  die  Wesen,  die  un- 
beweglichen  und  beweglichen. 


492  III.    Mokshadharma. 

20.  Er  weilt  in  alien  Wesen  als  ihr  vergangliclier  und 
ihr  unverganglicher  Teil  (ioo45.)  und  in  Gestalt  der  elffachen 
Umwandlung  [zu  Manas  und  Indriya's]  trinkt  er  mit  seinen 
Strahlen  [den  Indriya's  Nil.]  die  Welt. 

21.  Seine  Flifse  sind  die  Erde  und  sein  Haupt  ist  der 
Himmel,  das  wisse,  (ioo46.)  seine  Arme  sind  die  Himmels- 
gegenden,  o  Daitya,  sein  Gehor  ist  der  Ather. 

22.  Von  ihm  stammt  die  gluterfiillte  Sonne,  sein  Manas 
weilt  im  Monde,  (ioo47.)  seine  Buddhi  ist  iiberall  in  der  Er- 
kenntnis  zu  finden,  sein  Geschmack  weilt  in  den  Wassern. 

23.  Zwischen  seinen  Brauen  schweifen  die  Planeten,  o 
Bester  der  Danava's,  (ioo48.)  das  Bad  der  Gestirne  dreht  sich 
in  seinen  Augen,  aus  seinen  Fiirsen  ist  die  Erde  geworden, 
o  Danava. 

24.  Wisse,  dafs  Rajas,  Tamas  und  Sattvam  ihrem  Wesen 
nach  Narayana  sind,  (10049.)  er  ist  die  Frucht  des  Beharrens 
in  den  Lebensstadien,  bei  ihm  steht  die  Frucht  des  Werkes ; 

25.  aber  auch  fiir  das  Nicht-Werk  ist  er,  der  Unver- 
gangliche,  die  hochste  Frucht,  (10050.)  die  heiligen  Lieder  sind 
die  Haare  seines  Leibes,  der  Laut  Om  ist  seine  gottliche  Rede. 

26.  Viele  Standorte  hat  er  und  viele  Angesichter,  Dharma 
(die  Gerechtigkeit)  wohnt  in  seinem  Herzen,  (10051.)  er  ist  das 
Brahman,  ist  die  hochste  Gerechtigkeit,  ist  Askese,  ist  das 
Seiende  und  Nicht-Seiende. 

27.  Auf  ihn  gerichtet  ist  der  Schriftkanon  und  die  Soma- 
giisse,  er  befafst  in  sich  die  sechzehn  Opferpriester  und  das 
Opfer  selbst,  (10052.)  er  ist  der  Urvater,  ist  Vishnu,  die  Agvin's 
und  der  Stadtezerstorer  (Indra)  sind  seines  Wesens. 

28.  Mitra,  Varuna,  Yama  und  der  Schatzespender  (Kubera) 
(10053.)  sind  seine  einzelnen  Erscheinungsformen,  sind  sich  der 
Einheit  in  ihm  bewufst,  das  ganze  Weltall  ist  in  dieses  einen 
Gottes  Gewalt. 

29.  (10054.)'  Er  offenbart,  0  Fiirst  der  Daitya's,  die  Ein- 
heit dieser  mannigfachen  Welt,  und  der  Mensch  durch  Er- 
kenntnis  schaut  sie,  dadurch  wird  das  Brahman  offenbar. 

30.  (10055.)  Durch  zehntausend  Millionen  Weltvernich- 
tungen  und  Neuschopfungen  bestehen  die  einen  Seelen, 
wahrend  andere  abtreten.    Der  Umfang  aber  der  Wesens- 


Adhyaya  281  (B.  280).  493 

schopfung  ist   [vergleichbar]    dem  vieler   tausend  Seen, 
o  Daitya. 

31.  (10056.)  Diese  Seen  sind  ein  Yojanam  [etwa  eine 
Meile]  breit  und  an  Tiefe  gehen  sie  einen  KroQa  (eine 
Rufweite)  hinunter,  an  Lange  aber  erstreckt  sich  jeder 
einzelne  von  ihnen  fiinfhundert  Yojana's  weit. 

32.  (10057.)  Nun  wird  aus  den  Teichen  mit  der  Spitze 
eines  Haares  einmal  taglich,  und  nicht  zweimal,  Wasser 
entnommen;  wenn  sie  dadurch  verbraucht  sind,  dann  ist 
eine  Periode  von  der  Neuschopfung  bis  zur  Vernichtung 
der  Wesen  verstrichen. 

33.  (10058.)  Die  sechs  Farben  der  Seele  dienen  als  ihr 
hochster  Wertmesser :  Schwarz,  Grau  und  Blau,  letzteres 
ist  ihr  mittelmafsiger  Zustand,  sodann  Rot  ist  schon  er- 
traglicher,  die  gelbe  Farbe  ist  Gliick,  und  grofses  Gliick 
ist  Weifs. 

34.  (10059.)  Das  Hochste  ist  Weifs,  als  fleckenlos, 
kummerlos,  beschwerdelos  wird  es  erreicht,  o  Fiirst  der 
Danava's,  denn  erst,  nachdem  sie  tausendmal  durch  die 
Entstehung  aus  einem  Mutterschofse  durchgegangen  ist, 
gelangt  die  Seele  zur  Vollkommenheit,  o  Daitya. 

35.  (10060.)  Der  Gang,  welchen  der  Gott  als  Vorbild 
aufgestellt  hat,  nachdem  er  selbst  auch  das  gute  Vor- 
bild gegeben  hatte  [vg].  Chand.  Up.  8,7-12;  Nil.  denkt 
an  Ait.  Up.  1,3,13  fg.],  dieser  Gang  ist  fur  die  Geschopfe 
bedingt  durch  ihrcs  Farbe,  die  Farbe  aber  wiederum  ist 
bedin^t  durch  Kala  (die  Zeit,  das  Schicksal),  o  Fiirst 
der  Damonen. 

36.  (10061.)  Hunderttausendmal  vierzehn  Stufen  [ent- 
sprechend  den  zehn  Indriya's,  Manas,  Buddhi,  Ahaiikara  und 
Cittam]  hat  der  nach  oben  fiihrende  Weg  der  seelischen 
Tugend,  o  Daitya;  dadurch  wird  das  Emporsteigen  der 
Seel  en  bewirkt,  sowie  ihr  Verharren  und  ihr  Herabsteigen. 

37.  (10062.)  Der  Weg  der  schwarzen  Farbe  fiihrt  ab- 
warts;  man  klebt  [an  der  Siinde  Nil.]  und  brat  in  der 
'Holle,  und  der  Aufenthalt  in  ihr  fiir  die  Bosen  wird,  wie 
sie  lehren,  viele  Schopfungsperioden  durchdauern. 

38.  (10063.)    Und  nachdem  er  ihrer  hunderttausend  in 


494    '  III.    Mokshadharma. 

diesem   Zustande   vollbracht  hat,   so  erlangt  er  alsdann 
•  die   fahle    [harita-dhtimra  Nil.]    Farbe;    in   ihr   weilt   er 
unfrei,    wahrend    das   Weltalter    ablauft,    qualumhiillten 
Geistes. 

39.  (10064.)  Wenn  er  sodann,  mit  dem  Guna  des  Satt- 
vam  verbunden,  das  Tamas  abschiittelt  und  mit  Hilfe 
seiner  Buddhi  dem  Besseren  zustrebt,  dann  gelangt  er 
aus  der  blauen  Farbe  in  die  rote  und  ergeht  sich  in  der 
Menschenwelt. 

40.  (10065.)  In  diesem  Zustande  verweilt  er  eine  Schop- 
fungsperiode  hindurch,  indem  er  von  den  aus  seiner 
Naturbeschaffenheit  entspringenden  Fesseln  gequalt  wird; 
dann  gelangt  er  in  die  gelbe  Farbe,  wahrend  hundert 
Schopfungsperioden  verstreichen. 

41.  (10066.)  Hat  er  aber  die  gelbe  Farbe  erreicht,  so 
verharrt  er  in  ihr,  bis  tausendmal  die  Wesenschopfung 
vergangen  ist,  und  verbraucht  sodann,  da  er  nocK  nicht 
«rlost  ist,  in  der  Holle,  o  Daitya,  zehntausend  weitere 

42.  (10067.)  Perioden,  dazu  noch  fiinf-  und  viertausend 
[entsprechend  der  Zahl  der  neunzehn  Organe  Nil.]  und 
seine  aufgehauften  Werke;  dann  wisse  ihn  erlost  aus  der 
Holle  und  in  alien  moglichen  anderen  Kreaturen  weilend. 

43.  (10068.)  So  verweilt  er  wiederholentlich  in  der 
Gotterwelt  und  nimmt,  aus  ihr  herabgestiirzt,  wieder 
Menschengestalt  an;  achthundert  Weltvernichtungen  und 
Neuschopfungen  weilt  er  unter  den  Sterblichen  und  geht 
[sodann]  in  die  Unsterblichkeit  ein, 

44.  (10069.)  Und  wieder  stiirzt  er  aus  ihr  herab  durch 
Fiigung  des  Schicksals  und  weilt  auf  dem  schwarzen 
Grunde,  dem  alleruntersten.  Wie  aber  weiter  diese  Welt 
der  Lebenden  zur  Vollendung  gelangt,  das  will  ich  dir 
erklaren,  o  Held  der  Asura's. 

45.  (10070.)  Durch  siebenhundert  gottliche  [sattvahal'te 
Nil.]  Umgestaltungen  hindurch  wird  er  rot,  dann  gelb 
und  endlich  weifs;  denn  zu  jener  weifsen  Statte  gelangt 
er  erst,  nachdem  er  die  acht  verehrungswiirdigsten  Welten 
niederer  Ordnung  bewohnt  hat, 

46.  (10071.)   die  acht  [Welten]   der  Glanzreichen  und 


.     Adhyaya  281  (B.  280).  495 

die  [mit  ilinen  identischen]  sechzig  Hunderte  [von  psychi- 
schen  Zustanden,  dreifsig  fur  das  Wachen,  dreifsig  fiir 
den  Traum,  von  Nil.  sehr  willkiirlicli  zusammengebracht] 
sind  auf  das  Manas  beschrankt;  was  aber  den  hochsten 
Gang  der  weifsen  Farbe  [den  Turiya  Nil.]  betrifft,  so 
sind  alle  drei  [Wachen,  Traumschlaf,  Tiefschlaf]  bei 
ihm  ausgeschlossen,  o  Hochmachtiger. 

47.  (10072.)  Der  Noch-nicht-Freie  aber  bewohnt  eine 
unerwiinschte  Weltperiode  hindurch  die  vier  anderen 
Statten  [Mahas,  Janas,  Tapas,  Satyam,  Nil.],  welches 
das  hochst  erreichbare  Ziel  in  der  sechsten  Farbe  fiir 
den  ist,  welcher  in  der  Vollkommenheit  noch  nicht  voll- 
kommen,  wenn  auch  frei  von  Miihsal,  ist. 

48.  (10073.)  Daselbst  wohnt  er,  mit  den  sieben  [In- 
driya's,  Manas,  Buddhi]  belastet,  als  ein  Unfreier  noch 
hundert  Weltperioden  hindurch,  an  seinen  Werkrest  ge- 
bunden;  wenn  er  von  dort  nochraals  in  die  Menschen- 
welt  zuriickkehrt,  so  gelangt  er  als  ein  Grofser  zum 
menschlichen  Dasein. 

49.  (10074.)  Von  diesem  sich  abkehrend,  gesellt  er  sich 
darauf,  zunachst  stufenweise  emporsteigend ,  zu  Scharen 
[hoherer]  Wesen  und  durchschreitet  siebenmal  die  Welt- 
raume,  da  seine  Macht  durch  die  [iiberstandenen]  Welt- 
vernichtungen  und  Neuschopfungen  [nach  Nil.  durch 
Yogaversenkung  und  Erwachen  aus  ihr]   gewachsen  ist. 

50.  (10075.)  Und  obgleich  er  alle  sieben  [Welten]  be- 
seitigt,  indem  er  sie  als  Hemmnisse  erkannt  hat,  beharrt 
er  doch  noch  in  der  Welt  der  Lebenden ;  dann  aber  ge- 
langt er  zu  der  unverganglichen,  unendlichen  Statte  des 
Gottes  Vishnu,  des  Brahman,  (ioo76.)  des  ^esha  (vgl. 
unten  Vers  12900),  des  Nara  (des  Purusha),  des  Gottes 
Vishnu  als  des  Allerhochsten. 

51.  Zur  Zeit  der  Weltvernichtung  gehen  nach  Ver- 
brennung  ihrer  Leiber  jedesmal  die  Geschopfe  zum  Gotte 
Brahman  ein  (10077.)  und  auch  alle  lebenerfiillten  [ceshtdt- 
manah  Nom.!)  Gotterscharen ,  soweit  sie  unterhalb  der 
Brahmanwelt  stehen. 

52.  In  der  Zeit,  wo  der  Werkrest  zur  Geltung  kommt. 


496  ni.    Mokshadharma. 

stromen  die  Seelen  nach  den  gebiihrenden  Platzen  zur 
Neuschopfung  der  Wesen;  (ioo78.)  aber  sofern  kein  Werk- 
rest  mehr  vorhanden  ist,  gehen  am  Ende  alle  Gotter 
und  die  Menschen,  welche  ihnen  ahnlich  sind,  zu  jener 
[hochsten]  Statte  ein. 

53.  Aber  diejenigen,  welche  aus  der  Welt  der  Voll- 
endeten  herabgestiirzt  sind,  gehen  stufenweise  ent- 
sprechend  [ihrem  Verdienste]  den  Weg  jener  [der  Men- 
schen]; (10079.)  aber  im  Gegensatze  zu  ihnen  gehen  hohere 
Seelen  und  die  mit  ihnen  gleiche  Kraft  besitzen,  zu  der 
jedem  einzelnen  gebiihrenden  Bestimmung  ein. 

54.  Solange  ein  solcher  noch  an  dem  Reste  seiner 
Werke  zu  zehren  hat,  solange  wohnen  alle  diese  Krea- 
turen  und  die  beiden  weifsen  Gottinnen  [die  hohere  und 
niedere  Wissenschaft  Nil.]  (looso.)  in  seinen  Gliedern;  er 
ist  reinen  Herzens,  da  er  dieses  Fiinf-Sinne -Wesen  iiber- 
wunden  hat. 

55.  Er  geht  jenen  reinen,  hochsten  Gang,  mit  reinem 
Geiste  immerfort  meditierend,  (loosi.)  dann  gelangt  er  zu 
der  unverganglichen  Statte,  zu  dem  schwer  erreichbaren 
ewigen  Brahman  geht  er  ein. 

56.  Damit  ist  dir,  o  Mann  von  tadellosem  Charakter, 
diese  Macht  des  Narayana  hier  verkiindet  worden. 

Vritra  sprach : 

57.  (10082.)  Wenn  es  so  steht,  brauche  ich  nicht  zu 
verzagen,  und  ich  begreife  deine  Rede  vollstandig,  und 
indem  ich  deine  Rede  angehort  habe,  du  Unverdrossener, 
fiihle  ich  mich  nunmehr  von  Siinde  gereinigt  und  frei 
von  Bosem. 

58.  (10083.)  In  Gang  gebracht,  o  heiliger  grofser  Weiser,' 
ist  dieses  unendlich  kraftige  Rad  [des  Samsara]  des 
glanzreichen  Gottes,  und  dem  ewigen  Vishnu  gehort 
auch  der  ewige  Ort,  von  welchem  alle  jene  Schopfun- 
gen  ausgegangen  sind;  (ioo84.)  er  ist  der  Hochsinnige, 
der  hochste  Purusha,  in  ihm  ist  diese  ganze  Welt  ge- 
griindet. 


Adhyaya  281  (B.  280).  497 

Bhishma  sprach: 

59.  (10085.)  Nachdem  Vritra  dies  gesprochen  hatte,  o  Sohn 
der  Kunti,  hauchte  er  sein  Leben  aus  und  erlangte  wohl- 
bereiteten  Geistes  die  hochste  Statte. 

Yudhishthira  sprach : 

60.  (10086.)  So  ist  es  also  jener  heilige  Gott  und  Heim- 
sucher  der  Menschen,  o  Grofsvater,  woriiber  Sanatkumara  da- 
mals  dem  Vritra  jenen  Aufschlufs  gab. 

Bhishma  sprach : 

61.  (10087.)  In  der  Weltwurzel  wohnt  kraft  seiner  eigenen 
Energie  der  heilige  grofse  Gott,  und  dort  weilend,  schafft  der 
Hochsinnige  alle  die  mannigfachen  Zustande  der  Welten. 

62.  (10088.)  Aus  der  Halfte  seines  einen  Viertels  (vgl.  Rig- 
veda  10,90,3),  wisse,  besteht  dieser  unerschiitterliche  Kegava 
(Krishna),  und  aus  der  andern  Halfte  desselben  Viertels  bildet 
der  Erkenntnisreiche  die  drei  Welten. 

63.  (10089.)  Derjenige  Teil  [des  Hochsten],  welcher  her- 
warts  stehend  sich  befindet,  wandelt  sich  am  Ende  jedes 
Weltalters,  er  aber,  welcher  der  iiber  alles  machtige  Herr 
ist,  der  Heilige,  ruht  auf  den  Wassern,  (ioo90.)  und  als  gnadi- 
ger  Weltordner  durchwaltet  er  die  ewigen  Welten. 

64.  (10  091.)  Er,  der  Unendliche,  erfiillt  alles  mit  seinem 
Wesen  und  durchwaltet  als  der  Ewige  die  Welten,  er, 
der  Hochsinnige,  schafft  ohne  Hemmnis;  in  ihm  ruht 
diese  ganze  mannigfaltige  Welt  der  Lebenden. 

Yudhishthira  sprach : 

65.  (10092.)  Vom  Vritra,  o  Kenner  der  hochsten  Realitat, 
wurde,  so  glaube  ich,  das  schone,  ihm  bevorstehende  Ziel  er- 
kannt,  darum  war  er  gliicklich  und  klagte  nicht,  o  Grofs- 
vater. 

66.  (10093.)  Wer  weifs  ist  und  weifsen  Ursprungs,  kehrt 
als  ein  Vollendeter  nicht  mehr  zuriick,  o  Schuldloser,  sondern 
ist  erlost  von  der  Wanderung  in  die  Tierwelt  und  von  der 
Holle,  o  Grofsvater. 

67.  (10094.)  Wer  aber  sich  in  der  gelben  und  roten  Farbe 

Deubbek,  Mab&bh&Tatam.  ,^9 


498  ni.    Mokshadharma. 

befindet,  o  Fiirst,  der  moge  auf  die  Tierwelt  hinblicken,  wenn 
er  sich  von  tamas-artigen  Werken  umgarnen  lafst. 

68.  (10095.)  Wir  aber,  die  wir  als  Rote  [den  drei  Guna's 
entsprechend]  Schmerz,  Lust  und  Gleichgiiltiges  erfahren 
haben,  welchen  Weg  werden  wir  gehen,  den  blauen  oder  den 
niedrigsten  schwarzen? 

Bhishma  sprach: 

69.  (10096.)  Ihr  Pandusohne,  die  ihr  von  reiner  Abkunft 
und  gescharften  Geliibdes  seid,  werdet,  nachdem  ihr  euch 
der  Gotterwelten  erfreut  habt,  wieder  in  das  Menschentum 
eingehen. 

70.  (10097.)  Nachdem  ihr,  unter  den  Gottern  Gliick  ge- 
nossen  habend,  seinerzeit  mit  Freude  wieder  zur  Wesens- 
schopfung  zuriickgekommen  sein  werdet,  werdet  ihr  mit 
Freuden  zu  der  Schar  der  Vollendeten  eingehen.  Fiirchtet 
euch  nicht,  fleckenlos  seid  ihr  alle. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Gesang  vom  Vritra 
(Vritra-gitd). 


Adhyaya  383  (B.  381). 

Vers  10098-10142  (B.  1-44). 

Yudhislitliira  sprach: 

1.  (10098.)  0  liber  die  grofse  Gerechtigkeit  des  unermefs- 
]ich  kraftigen  Vritra,  dessen  Erkenntnis  unvergleichHch  und 
dessen  Verehrung  fiir  Vishnu  nicht  weniger  grofs  war! 

2.  (10099.)  Schwer  zu  erkennen,  o  Freund,  ist  die  Statte 
des  unermefsHch  kraftvollen  Vishnu;  wie  hat  er,  o  Tiger 
unter  den  Konigen,  diese  Statte  erkennen  konnen? 

3.  (10100.)  Du  hast  mir  ja  die  Sache  erzahlt,  und  ich 
glaube  daran  unerschiitterlich ;  aber  mein  Geist  ist  nur  noch 
mehr  aufgeregt,  weil  ich  dabei  etwas  Unerklarhches  finde. 

4.  (10101.)  Wie  konnte  dieser  Vritra  von  Qakra  (Indra) 
niedergeschlagen  werden,  o  Mannerstier,  da  er  doch  so  fromm 
und  dem  Vishnu  ergeben  war  und  im  Zusammenhang  der 
Vedaworte  die  Wahrheit  erkannt  hatte! 


Adhyaya  282  (B.  281).  499 

5.  (10102.)  Diesen  Zweifel  lose  mir,  dem  Fragenden,  o 
Bharatastier,  wie  es  moglich  war,  o  Tiger  unter  den  Konigen, 
dafs  Vritra  von  (^akra  besiegt  wurde. 

6.  (10103.)  Und  wie  der  Kampf  entbrannte,  auch  das  er- 
klare  mir,  o  Grofsvater,  in  Ausfiihrlichkeit,  denn  meine  Wifs- 
begier  ist  aufs  hochste  gesteigert,  o  Grofsarmiger. 

Bhishma  sprach: 

7.  (10104.)  Einstmals  war  Indra  zu  Wagen  ausgefahren, 
von  den  Gotterscharen  begleitet.  Da  sah  er  vor  sich  den 
Vritra  stehen,  einem  Berge  vergleichbar, 

8.  (10105.)  fiinfhundert  Meilen  in  die  Hohe  emporragend, 
o  Feindebez winger,  und  mehr  als  dreihundert  betrug  sein 
Umfang. 

-  9.  (10106.)  Als  sie  diese  so  gewaltige,  auch  von  den  drei 
Welten  schwer  zu  besiegende  Gestalt  sahen,  da  zitterten  die 
Gotter  vor  dem  Vritra  und  fanden  keine  Kuhe. 

10.  (10107.)  Und  auch  dem  (^akra,  o  Konig,  schlotterten 
die  Knie  aus  Furcht  vor  dem  Vritra,  als  er  so  plotzlich  diese 
gewaltige  Gestalt  sah. 

11.  (10108.)  Da  erhob  sich  ein  Larm  und  ein  Geton  von 
Instrumenten ,  als  dieser  Kampf  zwischen  alien  Gottern  und 
Damon  en  entbrannte. 

12.  (10109.)  Aber  den  Vritra,  o  Kurusprofs,  ergriff  beim 
Anblick  des  gegeniiberstehenden  Qakra  keine  Verwirrung, 
keine  Furcht  oder  Besorgnis. 

13.  (10110.)  Da  entspann  sich  ein  Kampf,  der  alle  drei 
Welten  in  Schrecken  setzte,  zwischen  dem  Gotterfiirsten  (^akra 
und  dem  hochsinnigen  Vritra. 

14.  (10111.)  Von  Schwertern,  Sensen,  Speeren,  Lanzen, 
Wurfspief sen ,  Streithammern ,  von  mancherlei  Steinen  und 
lautschwirrenden  Bogen, 

15.  (10112.)  von  allerlei  himmlischen  Waffen  und  Feuer- 
branden  sowie  von  gottlichen  und  damonischen  Streitern 
war  alles  erfiillt. 

16.  (1011.3.)  Und  mit  dem  Urvater  an  der  Spitze  kamen 
alle  Gotterscharen  und  die  hochbegliickten  Kishi's  herbei,  um 
diesen  Kampf  anzusehen. 

32* 


500  ni.    Mokshadharma. 

17.  (10114.)  Und  audi  die  Vollendeten  auf  herrlichen 
Wagen,  o  Bharatastier,  und  die  Gandharven  hoch  zu  Wagen 
mit  den  Apsaras  eilten  herbei. 

18.  (10115.)  Da  iiberschiittete  Vritra,  der  Beste  der  Ge- 
setzestrager,  mit  einem  die  Luft  erfiillenden  Hagel  von  Steinen 
blitzesschnell  den  Fiirsten  der  Gotter. 

19.  (10116.)  Darauf  wurden  die  Gotterscharen  zornig  und 
wehrten  von  alien  Seiten  her  rait  einem  Regen  von  Pfeilen 
den  Steinhagel  ab,  der  von  Vritra  im  Kampfe  iiber  sie  aus- 
geschiittet  worden  war. 

20.  (10117.)  Aber  Vritra,  o  Kurutiger,  mit  grofser  List  und 
grofser  Kraft  braohte  von  alien  Seiten  im  Zauberkampfe  Ver- 
wirrung  iiber  den  Gotter  fiirsten. 

21.  (10118.)  So  iiberkam  den  von  Vritra  bedrangten  Hun- 
dertkraftigen  Verwirrung.  Aber  da  gab  ihm  Vasishtha  mittels 
eines  Rathantaram  die  Besonnenheit  wieder. 

Vasishtha  sprach: 

22.  (10119.)  D\i  bist  der  Beste  unter  den  Gottern,  o  Gotter- 
fiirst,  o  Zerschmetterer  der  Daitya's  und  Asura's;  wie  kommt 
es,  dafs  dich,  o  Qakra,  der  du  iiber  die  Macht  der  drei  Welten 
verfiigst,  Verzagtheit  anwandelt? 

23.  (10120.)  Da  stehen  Brahman,  Vishnu  und  Qiva,  der 
Herr  der  Welt,  da  stehen  Soma,  der  heilige  Gott  und  alle 
die  hochsten  Weisen; 

24.  (10121.)  verfalle  nicht  in  Kleinmut,  o  Qakra,  wie  es 
irgendein  anderer  tun  wiirde,  betatige  deine  edle  Gesinnung 
im  Kampfe  und  schlage  die  Feinde,   o  Oberherr   der  Gotter. 

25.  (10122.)  Hier  dieser  Lehrer  der  Welt,  der  von  alien 
Welten  verehrte  heilige  Dreiaugige  schaut  auf  dich  hin;  so 
mache  dich  von  der  Verwirrung  los,   o  Oberster  der  Gotter! 

26.  (10123.)  Diese  von  Brihaspati  angefiihrten  Brahman- 
weisen  feiern  dich  durch  himmlischen  Lobgesang,  o  Qakra, 
um  dir  den  Sieg  zuzuwenden. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach: 

27.  (10124.)  Als  er  von  dem  hochherzigen  Vasishtha  in 
dieser    Weise    zur    Besonnenheit    zuriickgebracht    war,     da 


Adhyaya  282  (B.  281).  501 

wuchs    die    Kraft    des    allerglanzvollsten    Vasava    ins    Un- 
geheure. 

28.  (10125.)  Da  raubte  der  heilige  Ziichtiger  des  Paka, 
auf  seine  Einsicht  sich  stiitzend,  mit  grofser  Yogakraft  jene 
Zauberkraft  [des  Vritra]. 

29.  (10126.)  Als  nun  der  gliickselige  Sprofs  des  Angiras 
(Brihaspati)  und  alle  die  grofsen  Kishi's  das  tapfere  Los- 
stiirraen  des  Vritra  sahen,  da  gingen  sie  zu  Mahegvara  ((^iva) 

30.  (10127.)  und  sprachen  mit  ihm  wegen  der  Vernichtung 
des  Vritra  aus  Wohlwollen  fiir  die  Welten.  Da  geschah  es, 
dafs  die  Kraft  des  heiligen  Herrn  der  Welt  in  Gestalt  eines 
Fiebers 

31.  (10128.)  von  furchtbarer  Heftigkeit  in  den  Vritra,  den 
Herrn  der  Daitya's  [mit  C],  hineinfuhr.  Vishnu  aber,  der 
heilige,  von  alien  Welten  verehrte  Gott, 

32.  (10129.)  fuhr  in  den  Donnerkeil  des  Indra  der  Be- 
schiitzung  der  Welt  zuliebe.  Da  traten  an  den  Hundertkraf- 
tigen  (Indra)  heran  Brihaspati,  der  Weise,  (ioi30.^  und  der 
kraftvolle  Vasishtha  und  mit  ihnen  alle  die  hochsten  Weisen 

33.  und  bestiirmten  den  gabenspendenden ,  allverehrten 
Vasava  (Indra),  (loisi.)  indem  sie  ihn  einmiitig  baten,  den 
Vritra  zu  toten,  o  Herr. 

Mahegvara  (Vishnu)  sprach: 

34.  (10132.)  Dieser  grofse  und  mit  gewal tiger  Kraft  aus- 
geriistete  Vritra  ist,  o  (^akra,  als  allbeseelend,  allgegenwartig 
und  viele  Zauberkiinste  iibend  bekannt, 

35.  (10133.)  darum  mufst  du  diesen  besten,  auch  von  der 
Dreiwelt  schwer  zu  iiberwindenden  Asura  mit  Hilfe  der  Yoga- 
kraft toten;  unterschatze  ihn  nicht,  o  Herr  der  Gotter. 

36.  (10134.)  Denn  er  hat,  o  Herr  der  Gotter,  um  seine 
Kraft  zu  starken,  Askese  geiibt  sechzigtausend  Jahre  hin- 
durch,  und  Gott  Brahman  hat  ihm  dafiir  als  Gabe  verliehen 

37.  (10135.)  die  Majestat  der  Yogin's  und  die  grofse  Zauber- 
kunst  und  die  grofse  Kraft  und  die  hochste  Energie,  o  Herr 
der  Gotter. 

38.  (10136.)  Darum  ist  meine  Kraft  in  dich  hineingefahren, 


502  in.    Mokshadharma. 

o  Vasava,  und  jetzt,  da  er  in  Bestiirzung  ist,  mogest  du  ihn, 
den  Danava,  mit  deinem  Donnerkeil  erschlagen. 

^akra  sprach: 

39.  (10137.)  0  Heiliger,  durch  deine  Gnade  will  ich  den 
schwer  angreifbaren  Ditisohn  vor  deinen  Augen,  o  Gotter- 
stier,  mit  meinem  Donnerkeile  niederschmettern. 

Bhishma  sprach : 

40.  (10138.)  Als  aber  der  groi'se  Damon,  der  Daitya,  vom 
Fieber  befallen  war,  da  entstand  unter  den  Gottern  und  Rishi's 
vor  Freude  ein  grofser  Larm. 

41.  (10139.)  Da  liefsen  sie  Pauken  und  helltonende  Muscheln, 
Trommeln  und  Tamburine  tausendfach  erschallen, 

42.  (10140.)  Aber  unter  alien  Asura's  trat  ein  grofses 
Schwinden  des  Gedachtnisses  ein,  und  eine  vollige  Vernich- 
tung  ihrer  Zauberkunst  erfolgte  augenblicklich. 

4.S.  (10141.)  Als  die  Eishi's  und  Gotter  jenen  in  dieser 
Weise  befallen  sahen,  da  priesen  sie  Qakra,  den  Herrn,  und 
feuerten  ihn  an. 

44.  (10142.)  Aber  furchtbar  war  in  diesem  Kampfe  das 
Aussehen  des  von  den  Rishi's  gepriesenen,  hochherzigen 
(^akra,  wie  er  auf  seinem  Wagen  stand. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Totung  des  Vritra 
(  Vfitra  -  vadha). 


Adhyaya  383  (B.  *i82). 

Vers  10143-10207  (B.  l-fiS). 

Bhishma  sprach: 

1.  (10143.)  Was  bei  dem  vom  Fieber  durch  und  durch  er- 
griffenen  Vritra  fiir  Anzeichen  an  seinem  Korper  hervortraten, 
die  vernimm  von  mir,  o  grofser  Konig. 

2.  (10144.)  Flammenden  Mundes  war  der  Furchtbare  und 
grofses  Erbleichen  iiberkam  ihn,  heftiges  Gliederzittern  und 
starkes  Rocheln  stellte  sich  ein. 


Adhyaya  283  (B.  282).  503 

8.  (10  uo.)  schlimmes  Haarstrauben  und  machtiges  Stohnen, 
o  Fiirst.  Und  als  unheilverkiindender,  scheufslicher  Schakal 
fuhr  aus  seinem  Munde 

4.  (10146.)  heraus  sein  ungeheuerliches  Gedachtnis,  o  Bha- 
rata,  wahrend  flammende  und  gliihende  Feuerbrande  an  seiner 
Seite  zum  Vorschein  kamen. 

5.  (10147.)  Geier,  Reiher  und  Kraniche  stiefsen  ein  furcht- 
bares  Geschrei  aus,  und  iiber  seinem  Haupte  sich  sammelnd, 
umschwarmten  sie  ihn  im  Kreise. 

6.  (10148.)  Da  bestieg,  von  den  Gottern  im  Kampfe  unter- 
stiitzt,  seinen  Wagen  mit  dem  geziickten  Donnerkeile  in  der 
Hand  Qakra  und  blickte  auf  den  Daitya  bin. 

7.  (10149.)  Da  liefs  der  grofse  Damon  ein  unmenschliches 
Geschrei  horen  und  rifs  den  Rachen  auf,  o  Fiirst  der  Konige,. 
von  dem  heftigen  Fieber  geschiittelt. 

8.  (10150.)  Und  wie  er  den  Rachen  aufrifs,  schleuderte 
Qakra  gegen  ihn  den  Donnerkeil,  und  der  furchtbar  scharfe 
Donnerkeil,  dem  Todesfeuer  an  Ahnlichkeit  vergleichbar, 

9.  (10151.)  schmetterte  alsbald  den  machtigen  Leib  des 
Daitya  zu  Boden.  Da  entstand  abermals  von  alien  Seiten 
her  ein  Geschrei 

10.  (1015-2.)  der  Gotter,  als  sie  den  Vritra  gestiirzt  sahen, 
o  Bharatastier.  Als  aber  der  machtige,  hochberiihmte  Da- 
mon enfeind  den  Vritra  geschlagen  hatte, 

11.  (10153.)  fuhr  er  mit  dem  von  Vishnu  erfiillten  Donner- 
keil zum  Himmel  empor.  Aber  aus  dem  Leibe  des  Vritra, 
0  Kurusprofs,  fuhr  heraus 

12.  (10154.)  die  Brahma vadhya  (der  Brahmanenmord),  ent- 
setzlich,  furchterlich,  die  Welt  erschreckend,  mit  klaffendem 
Gebifs,  schauerlich,  mifsgestaltet,  schwarz  und  gelb, 

13.  (10155.)  mit  flatternden  Haaren,  furchtbaren  Augen, 
o  Bharata,  mit  einem  Schadelkranz  behangt,  einer  Zauberin 
vergleichbar,  o  Bharatastier, 

14.  (10156.)  bluttriefend ,  o  Pflichtkundiger,  mit  Lumpen 
und  Baumbast  bekleidet.  In  dieser  fiirchterlichen  Gestalt, 
o  Fiirst  der  Konige,  fuhr  sie  aus  ihm  heraus 

15.  (10157.)  und  fing  an  den  Donnerkeiltrager  zu  verfolgen. 


504  ni.    Mokshadharma. 

o  Bester  der  Bharata's.    Eine  Zeitlang  gelang  es  dem  Vritra- 
toter,  o  Kurusprofs, 

16.  (10158.)  dem  Himmel  zuzufliegen  aus  Wohlwollen  fiir 
die  Welt.  Aber  jene,  als  sie  den  machtigen  Indra  ent- 
schliipfen  sah, 

17.  (10159.)  die  Brahmavadhya,  packte  den  Gotterfiirsten 
und  klammerte  sich  an  ihm  fest.  Er  aber,  von  der  durch 
die  Brahmavadhya  gewirkten  Furcht  erfiillt, 

18.  (10160.)  versteckte  sich  in  der  Knolle  einer  Lotos- 
blume  und  verweilte  in  ihr  viele  Jahre  lang.  Aber  von  der 
Brahmahatya  mit  Eifer  verfolgt, 

19.  (10161.)  wurde  er  endHch  ergriffen,  o  Kurusprofs,  und 
seiner  Energie  beraub.t.  Sie  abzuschiitteln  gab  sich  (^akra 
die  grofste  Miihe, 

20.  (10162.)  doch  der  Fiirst  der  Gotter  vermochte  nicht, 
die  Brahmavadhya  von  sich  loszumachen.  Aber  der  Gotter- 
fiirst,  von  ihr  festgehalten,  o  Bharatastier, 

21.  (10163.)  wandte  sich  an  den  Urvater  und  verehrte  ihn 
durch  Neigung  des  Hauptes.  Als  er  bemerkte,  dafs  (^akra 
von  der  Dvijapravaravadhya  (dem  Brahmanenmord)  ergriffen 
worden  war, 

22.  (10164.)  ging  Gott  Brahman  mit  sich  zu  Rate,  o  Bester 
der  Bharata's,  und  er,  der  Urvater,  sprach,  o  Grofsarmiger, 
zu  der  Brahmavadhya 

23.  (10165.)  mit  sanfter  Stimme,  um  sie  zu  besanftigen, 
o  Bharata :  Lasse  den  Herrn  der  dreifsig  [Gotter]  los,  tue  es 
mir  zuhebe,  o  Holde. 

24.  (10166.)  Sage,  was  ich  dir  dafiir  erweisen  soil,  und 
welchen  Wunsch  du  hegst. 

Die  Brahmavadhya,  sprach: 

25.  (10167.)  Wenn  dem  von  den  drei  Welten  verehrten 
Gotte,  dem  Schopfer  der  drei  Welten,  damit  ein  Gefallen  ge- 
schieht,  so  sehe  ich  die  Sache  schon  als  getan  an.  Aber 
weise  mir  eine  andere  Wohnung  an. 

26.  (10168.)  Von  dir  selbst  ist  diese  Bestimmung  [keinen 
Brahmanen  zu  toten],  getroften  worden,  um  die  Welt  zu  er- 


Adhyaya  283  (B.  282).  505 

halten,  und  diese  grofse  Anordnung  ist  von  dir  selbst,  o  Gott, 
verlassen  worden. 

27.  (10169.)  Aber  wenn  dir  ein  Gefallen  damit  geschieht, 
o  Pflichtkundiger,  o  Herr  der  Welt,  o  Gebieter,  so  will  ich  von 
(^akra  ablassen,  aber  weise  mir  eine  andere  Wohnung  an. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach: 

28.  (10170.)  Da  sprach  der  Urvater  zur  Brahmavadhya : 
„So  sei  es!"  Durch  dieses  Mittel  machte  er  die  Brahma- 
vadhya von  Qakra  los. 

29.  (10171.)  Da  wurde  von  dem  hochherzigen,  durch  sich 
selbst  Seienden  der  Feuergott  herbeigedacht,  und  dieser,  vor 
Gott  Brahman  tretend,  sprach  folgendes  Wort: 

30.  (10172.)  Ich  bin,  o  heiliger  Gott,  vor  dir  erschienen, 
o  Untadliger;  was  ich  zu  tun  habe,  o  Gott,  das  mogest  du, 
o  Herr,  mir  sagen. 

Gott  Brahm^Q  sprach: 

31.  (10173.)  Ich  gedenke  hier  diese  Brahmavadhya  in 
mehrere  Teile  zu  zerlegen,  um  den  Qakra  von  seiner  Siinde 
zu  befreien,  so  iibernimm  du  ein  Viertel  von  ihr. 

Agai  (der  Feuergott)  sprach: 

32.  (10174.)  Welches  ist  der  Endpunkt,  wo  ich  von  ihr 
werde  befreit  werden,  o  Brahman,  dariiber  denke  nach,  o 
Herr,  das  wiinsche  ich  mit  Bestimmtheit  zu  wissen,  o  du 
von  aller  Welt  Verehrter. 

Gott  Brahniau  sprach: 

33.  (10175.)  Wenn  jemals  irgendwo  ein  Mensch  deinen 
Flammen  naht  und,  von  Tamas  umnebelt,  es  unterlassen  wird, 
dir  mit  Kornern,  Pflanzen  und  Saften  zu  opfern, 

34.  (10176.)  dann  wird  diese  Brahmavadhya  sofort  in  ihn 
hineinfahren  und  Wohnung  in  ihm  nehmen;  lafs  den  Kummer 
deiner  Seele  fahren,  o  Opferfahrer. 

35.  (10177.)  Nach  diesen  Worten  nahm  der  heilige  Ge- 
niefser  des  Gotter-  und  Manenopfers  den  Befehl  des  Urvaters 
an,  und  es  geschah  so,  o  Herr. 


506  III.    Mokshadharma. 

36.  (10178.)  Welter  rief  der  Urvater  Baume,  Krauter  und 
Graser  herbei  und  unternahm  es,  an  sie  dieselbe  Zumutung 
zu  stellen,  o  Grofskonig. 

37.  (10179.)  Als  aber  an  die  Baume,  Krauter  und  Graser 
ebendasselbe  Wort  erging,  da  waren  sie  ebenso  aufgeregt 
wie  Agni,  o  Konig,  und  sprachen  zu  Gott  Brahman: 

38.  (10180.)  Welches  wird  fiir  uns  der  Endpunkt  des 
Tragens  der  Brahmavadhya  sein,  o  Urvater;  uns,  die  wir 
vom  Schicksal  schon  genug  geschlagen  sind,  solltest  du  nicht 
noch  mehr  schlagen. 

39.  (10181.)  Immerfort  miissen  wir  Feuer  und  Kalte  und 
vom  Winde  gepeitschten  Regen  aushalten,  o  Gott,  dazu  noch 
das  Abhauen  und  Spalten. 

40.  (10182.)  Wir  wollen  jetzt  auf  dein  Geheifs  diese  Brahma- 
vadhya hier  iibernehmen,  o  Herr  der  drei  Wei  ten,  aber  denke 
daran,  wie  wir  wieder  davon  loskommen. 

Gott  Brahman  sprach : 

41.  (10183.)  Wenn  ein  Mensch  zur  festlichen  Zeit  des  Mond- 
wechsels  aus  Verblendung  euch  abhauen  oder  spalten  wird^ 
so  wird  sie  in  ihn  hineinfahren. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach: 

42.  (10184.)  Nachdem  der  Hochsinnige  diese  Worte  zu  den 
Baumen,  Pflanzen  und  Grasern  gesprochen  hatte,  verehrten  sie 
den  Gott  Brahman  und  gingen  schnell  dahin,  woher  sie  ge- 
kommen  waren. 

43.  (10185.)  Weiter  rief  der  Gott  und  Urvater  der  Wei  ten 
die  Apsaras  heran  und  sprach  zu  ihnen  mit  milder  Stirame^ 
um  sie  freundlich  zu  stimmen,  o  Bharata: 

44.  (10186.)  0  ihr  Schongliedrigen,  diese  Brahmavadhya 
stammt  von  Indra  her,  so  iibernehmt  denn  auf  meinen 
Wunsch  ein  Viertel  von  ihr. 

Die  Apsaras  sprachen: 

45.  (10187.)  Auf  deinen  Befehl,  o  Herr  der  Gotter,  sind  wir 
geneigt,  sie  aufzunehmen,  aber  iiberlege,  o  Urvater,  wie  wir 
der  Vereinbarung  gemafs  von  ihr  loskommen  werden. 


Adhyaya  283  (B.  282).  f,07 

Gott  Brahman  sprach: 

46.  (10 188.)  Wer  wahrend  der  Kegel  der  Frauen  mit  ihnen 
die  Begattung  vollzieht,  in  den  wird  sie  alsbald  eingehen; 
lafst  den  Kuramer  eurer  Seele  fahren. 

Bhishma  (der  Erzahler)  sprach: 

47.  (10189.)  „So  sei  es!"  sprachen  mit  frohlichem  Geiste 
die  Scharen  der  Apsaras  und  kehrten  an  ihren  Ort  zuriick 
zum  lustigen  Leben,  o  Bharatastier. 

48.  (10190.)  Weiter  dachte  der  Schopfer  der  drei  Welten, 
der  askesereiche  Gott,  an  die  Wasser,  und  auf  seine  Medita- 
tion bin  kamen  sie  auch  herbei. 

49.  (10191.)  Als  sie  nun  alle  bei  dem  unermefslich  kraf- 
tigen  Gott  Brahman  zusammengekommen  waren,  fielen  sie 
vor  dem  Urvater  nieder  und  sprachen  dieses  Wort: 

50.  (10192.)  Wir  alle  sind,  o  Gott,  vor  dich  getreten,  o 
Feindebandiger,  auf  deinen  Befehl,  o  Herr  der  Welt;  tue  uns 
deinen  Willen  kund,  o  Herr. 

Gott  Brahman  sprach: 

51.  (10193.)  Diese  furchtbare  Brahmavadhya  hat  von  Vritra 
aus  den  Vielangerufenen  (Indra)  ergriffen,  so  iibernehmt 
denn  ihr  ein  Viertel  von  ihr. 

Die  Wasser  sprachen: 

52.  (10194.)  So  moge  es  geschehen,  o  Herr  der  Welt,  wie 
du  es  uns  befiehlst,  o  Gebieter,  aber  iiberlegen  mogest  du, 
wie  wir  nach  Vereinbarung  wieder  von  ihr  loskommen  werden. 

53.  (10195.)  Du  bist  ja,  o  Gotterherr,  fiir  die  ganze  Welt 
die  hochste  Zuflucht;  wen  sonst  konnten  wir  anflehen,  dafs 
er  uns  aus  dem  Elend  errette  (mit  C). 

Gott  Brahman  sprach: 

54.  (10196.)  Wenn  ein  Mann,  in  seinem  Geiste  verblendet, 
euch  geringschatzen  und  Schleim,  Urin  oder  Kot  in  euch  ge- 
langen  lassen  sollte, 

55.  (10197.)    so  wird  diese  hier  alsbald  in  ihn  fahren  und 


508  III-    Mokshadharma. 

in  ihm  Wohnung  nehmen ;  so  werdet  ihr  von  ihr  frei  werden, 
das  sage  icli  euch  als  die  Wahrheit. 

56.  (10198.)  Da  liefs  die  Brahmavadhya  von  dem  Gotter- 
fiirsten  ab,  o  Yudhishthira,  und  fuhr  in  die  Behausung,  wie 
sie  ihr  durch  den  Befehl  des  Gottes  angewiesen  worden  war. 

57.  (10199.)  Das  ist  die  Geschichte  von  der  Behaftung  des 
(^akra  mit  der  Brahmavadhya,  o  Volkerherr;  er  aber  ver- 
abschiedete  sich  von  dem  Urvater  und  brachte  ein  Rofs- 
opfer  dar. 

58.  (10  200.)  Und  so  ist  es  uns  iiberhefert,  dafs  Vasava 
(Qakra)  mit  der  Brahmavadhya  behaftet  gewesen  ist,  o  grofser 
Konig,  und  dafs  er  die  Reinigung  von  ihr  durch  ein  Rofs- 
opfer  erlangte. 

59.  (10  201.)  Der  Gott  Vasava  also,  nachdem  er  seine 
HerrHchkeit  wiedererlangt  und  die  Feinde  tausendfach  ge- 
schlagen  hatte,  genofs  unvergleichhches  Gliick,  o  Herr  der 
Erde. 

60.  (10202.)  Aus  dem  Blute  des  Vritra,  o  Prithasohn,  ent- 
standen  die  Qikhanda's*,  von  geweihten  und  askesereichen 
Brahmanen  diirfen  sie  nicht  gegessen  werden. 

61.  (10203.)  Auch  du  mufst  solchen  Zwiegeborenen  in 
alien  Lagen  Liebe  erweisen,  denn  sie  werden  als  die  Gotter 
auf  Erden  gepriesen,  o  Kurusprofs. 

62.  (10204.)  So  wurde,  o  Kurusprofs,  von  dem  unermefs- 
lich  kraftigen  Qakra  vermoge  der  Feinheit  seines  Geistes  der 
grofse  Damon  Vritra  durch  Anwendung  der  rechten  Mittel 
niedergeschlagen. 

63.  (1020.5.)  Und  so  wirst  auch  du,  o  Sohn  der  Kunti,  un- 
besiegbar  sein  auf  der  Erde,  wie  der  hundertkraftige,  Feinde 
totende  Gott. 

64.  (10  206.)  Wer  aber  diese  gottliche  Geschichte  vom  Qakra. 
an  jedem  Mondfeste  im  Kreise  von  Brahmanen  erzahlen  wird, 
der  wird  sich  von  Siinde  freihalten. 


*  Nach  P.  W.  „wohl  eine  bestiiumte  Pflanze'''- ;  Nilakantha,  Qabdakal- 
padruma  imd  Vacaspatyam  gebeu  keine  Hilfe;  „high-cnsted  cocki''  P.  C. 
Ray;  ,,Habne"  Jacobi. 


Adhyaya  283  (B.  282).  509 

65.  (10207.)  So  habe  ich  dir  denn  die  grofse,  iiberaus 
wunderbare  Tat,  die  (^akra  am  Vritra  vollbrachte,  erzahlt, 
0  Freund;  was  wunschest  du  nun  weiter  zu  horen? 

So  lautet  im  MokBhadharma  die  Verteilung  der  BTabmabaty& 
(Brahmahatya  -  vibhdga). 


Adhyaya  284  (B.  283). 

Vers  10208-10271  (B.  1-63). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (10208.)  0  Grofsvater,  Weiser,  aller  Lehrbiicher  Kun- 
diger !  Uber  jene  Totimg  des  Vritra,  o  Himmlisoher,  wiinsche 
ich  etwas  zu  fragen. 

2.  (10209.)  Du  sagtest,  o  Fiirst  der  Volker,  dafs  Vritra 
durch  das  Fieber  in  Verwirrung  gesetzt  war  und  darauf  von 
Vasava  mit  dem  Donnerkeil  getotet  wurde,  o  Untadliger. 

3.  (10210.)  Wie  ist  dieses  Fieber  entstanden  und  zum  Vor- 
schein  gekommen,  o  Hochweiser?  Die  Entstehung  dieses 
Fiebers  wiinsche  ich  von  dir,  o  Herr,  ausfiihrhch  zu  ver- 
nehmen. 

Bhishma  sprach: 

4.  (10  211.)  Vernimm  den  weltberiihmten  Ursprung  jenes 
Fiebers,  und  auch  seine  Ausbreitung  will  ich  dir  erklaren, 
wie  sie  geschehen  ist,  o  Bharata. 

5.  (10212.)  Es  war  einmal,  o  Grofskbnig,  ein  von  alien 
drei  Welten  verehrter  Gipfel  des  Gotterberges  Meru,  mit 
Namen  Jyotishka  (der  Glanzende),  dem  Savitar  heilig,  mit 
allerlei  Edelsteinen  geschmiickt, 

6.  (10213.)  unermefslich  grofs,  in  alien  Welten  nicht  zu 
iiberwinden,  o  Bharata.  Dort  befand  sich  der  Gott  [Qiva] 
auf  einem  mit  Gold  und  Edelmetallen  geschmiickten  Berg- 
abhang, 

7.  (10214.)  wie  auf  einem  Ruhebette  glanzvoll  sitzend,  und 
die  Tochter  des  Konigs  der  Berge  [Uma,  Tochter  des  Hima- 
laya] strahlte  allezeit  an  seiner  Seite  (10215.)  und  hochsinnige 
Gotter,  unermefslich  kraftige  Vasu's, 


510  in.   Mokshadharma. 

8.  ferner  die  hochherzigen  beiden  Agvin's,  die  Besten  der 
Arzte,  (10216.)  dazu  der  Konig  Vaigravana  (Kubera),  von  seinen 
Gnomen  umgeben, 

9.  der  gliickliche  Fiirst  der  Yaksha's,  ihr  auf  dem  Kai- 
lasa  wohnender  Gebieter,  —  (10217.)  sie  alle  verehrten  den 
Hochsinnigen  ((^iva)  und  mit  ihnen  der  grofse  Weise  Uganas. 

10.  Und  auch  die  von  Sanatkumara  angefiihrten  grofsen 
Eishi's  (10  218.)  und,  mit  Angiras  an  der  Spitze,  andere  Gotter- 
Rishi's 

11.  und  der  Gandharva  Vigvavasu,  sowie  Narada  und 
Parvata  (10219.)  und  Schwarme  aus  der  Schar  der  Apsaras 
kamen  in  grofser  Menge  zusammen. 

12.  Ein  lieblicher,  heilbringender  Wind  wehte,  mancherlei 
Diifte  mit  sich  bringend  und  rein,  (10220.)  und  bliihende  Baume, 
von  Blumen  aller  Jahreszeiten  umgeben, 

13.  sowie  Vidyadhara's  und  askesereiche  Siddha's,  — 
(10221.)  diese  alle  umgaben  verehrend  den  Mahadeva,  den 
Herrn  der  Her  den,  o  Bharata. 

14.  Und  auch  Geisterscharen  von  mannigfachen  Gestalten, 
o  Grofskonig,  (10222.)  furchtbare  Rakshasa's,  gewalttatige 
Pigaca's, 

15.  mancherlei  Gestalten  tragend,  im  Freudenrausch 
allerlei  Waffen  schwingend,  (10223.)  standen  daselbst  als  Ge- 
folge  des  Gottes,  dem  Feuer  vergleichbar. 

16.  Auch  der  heilige  Nandin  stand  dort  mit  Erlaubnis 
des  Gottes  (10224.)  mit  dem  flammenden  Speere  in  der  Hand, 
strahlend  in  eigenem  Glanze. 

17.  Und  Gaiiga,  die  Beste  unter  den  Fliissen,  die  alien 
heiligen  Badeplatzen  das  Wasser  spendet,  (10  225.)  verehrte  in 
leibhaftiger  Gestalt  den  Gott,  o  Kurusprofs. 

18.  Der  Heilige  aber,  in  dieser  Weise  dort  von  Gotter- 
weisen  verehrt  (10 226.)  und  von  Gottern,  stand  da  als  Mahadeva 
in  grofser  Majestat. 

19.  Einstmals  nun  geschah  es,  dafs  ein  Prajapati  (Schopfer) 
mit  Namen  Daksha  (10227.)  sich  anschickte,  in  althergebrachter 
Weise  ein  Opfer  zu  bringen. 

20.  Und  es  hatten  sich  wegen  seines  Opfers  alle  Gotter 


Adhyaya  284  (B.  283).  511 

mit  Qakra  an  der  Spitze  (10228.)  zusammengetan  und  die  Ab- 
sicht  gefafst,  dahin  zu  gehen. 

21.  Auf  ihren  Wagen,  die  wie  Feuer  und  Sonnen  glanzten, 
kamen  diese  Hochsinnigen  (10 229.)  mit  Erlaubnis  des  Gottes 
(Daksha)  nach  Gangadvara,  wie  es  heifst. 

22.  Als  aber  die  Bergkonigstochter  (Uma)  sah,  wie  die 
Gotter  sich  aufgemacht  batten,  (10230.)  da  sprach  die  Vortreflf- 
liche  zu  ihrem  Gatten,  dem  tierbehiitenden  Gotte,  dieses 
Wort: 

23.  0  HeiHger!  wohin  mogen  wohl  diese  Gotter  unter 
^akra's  Fiihrung  gehen?  (10231.)  Das  sage  mir  der  Wahrheit 
nach,  o  Wahrheitskenner,  ich  bin  dariiber  in  grofsem  Zweifel. 

Mahe<;vara  (Qiva)  sprach: 

24.  (10232.)  0  Gliickliche!  ein  Oberherr  der  Geschopfe  mit 
Namen  Daksha  bringt  ein  Rofsopfer  dar,  dahin  gehen  die 
Himmelsbewohner. 

Uma  sprach: 

25.  (10233.)  Wie  kommt  es,  dafs  du,  o  Mahadeva,  nicht 
auch  dieses  Opferfest  besuchst?  Welches  Hindernis  besteht, 
dafs  du  nicht  dorthin  gehst? 

MaheQvara  sprach : 

26.  (10234.)  0  Gliickliche!  von  den  Gottern  ist  das  von 
jeher  so  gehalten  worden,  bei  alien  Opfern  ist  kein  Anteil 
fiir  mich  bestimmt. 

27.  (10  23,5.)  Gemafs  einem  durch  althergebrachtes  Ver- 
fahren  iiberkommenen  Brauche,  0  Schonfarbige,  geben  die 
Gotter  mir  gewohnheitsmafsig  keinen  Anteil  am  Opfer. 

Uma  sprach: 

28.  (10236.)  0  Heiliger!  du  bist  vermoge  deiner  Tugen- 
den  an  Macht  alien  Wesen  iiberlegen,  bist  unbesiegbar  und 
uniiberwindlich  an  Macht,  Ruhm  und  Gliick. 

29.  (10237.)  Durch  diese  Verweigerung  deines  An  toils, 
o  Gliicklicher,  bin  ich  von  grofsem  Schmerze  und  Zittern  er- 
griffen,  o  Untadliger. 


512  HI.    Mokshadharma. 

Bhishma  sprach : 

30.  (10238.)  So  sprach  die  Gottin  zu  ihrem  Gemahl,  dem 
Herrn  der  Tiere,  und  schwieg,  o  Konig,  gliihenden  Zorn  im 
Herzen. 

31.  (10239.)  Er  aber  durchschaute,  was  in  ihrem  Herzen 
verging,  und  was  sie  getan  zu  sehen  wiinschte,  und  erteilte 
dem  Nandin  den  Befehl:  „Du  wartest  hier." 

32.  (10240.)  Er  aber  wappnete  sich  mit  Yogakraft,  der 
Meister  aller  Yogameister,  und  unternahm  es,  er,  der  Ge- 
waltige,  mit  seinen  furchtbaren  Mannen  das  Opfer 

33.  (10241.)  jahUngs  zu  storen,  der  Gottergott  mit  dem 
Pinaka-Bogen.  Einige  erhoben  ein  Geheul,  andere  brachen 
in  Gelachter  aus, 

34.  (10242.)  einige  besudelten  sogar  das  Opferfeuer  mit 
Blut,  andere  rissen  die  Opferpfosten  aus  und  schwarmten 
umher,  ihre  Gesichter  verzerrend, 

35.  (10  243.)  andere  schnappten  mit  ihren  Maulern  nach 
den  Opferdienern.  So  wurde  dieses  Opfer  vollstandig  ge- 
stort,  o  Fiirst. 

36.  (10244.)  Da  nahm  das  Opfer  die  Gestalt  einer  Gazelle 
an  und  fliichtete  ins  Weite,  er  aber  haschte  nach  dem  in 
dieser  Gestalt  fliehenden  Opfer, 

37.  (10245.)  ergriff  Bogen  und  Pfeil  und  jagte  ihm  nach, 
der  Herr.  Aber  durch  den  Zorn  des  unermefslich  kraftigen 
Gotterherrn 

38.  (10246.)  rann  von  seiner  Stirn  ein  furchtbarer  Schweifs- 
tropfen  herab.  Kaum  aber  war  dieser  Schweifstropfen  auf 
die  Erde  gefallen, 

39.  (10247.)  so  flammte  aus  ihm  ein  machtiges  Feuer  auf, 
dem  Weltuntergangsfeuer  vergleichbar.  Aus  diesem  ging 
hervor  ein  Mann,  o  Stier  der  Manner, 

40.  (10248.)  zwergartig  klein,  mit  roten  Augen  und  gelbem 
Barte,  furchtbar  anzu sehen;  seine  Haare  standen  zu  Berge, 
sein  Korper  war  ganz  mit  Federn  bedeckt,  wie  bei  Habichten 
Oder  Eulen, 

41.  (10  249.)  seine  Farbe  ein  grausiges  Schwarz,  sein  Ge- 
wand  blutrot.  Dieser  gewaltige  Unhold  verbrannte  das  Opfer, 
wie  Feuer  ein  Gebiisch. 


Adhyaya  284  (B.  283).  513 

42.  (10  250.)  Dann  stiirzte  er  sich  iiberallhin  auf  die  Gotter 
und  rannte  gegen  die  Rishi's  an,  und  alle  Gotter  stoben  er- 
schreckt  nach  den  zehn  Weltrichtungen  auseinander. 

43.  (10251.)  Und  wie  der  Mann  dort  umherstiirmte,  o 
Volkerherr,  bebte  die  Erde  gewaltig,  o  Bharatastier. 

44.  (10252.)  Als  aber  der  Gebieter  und  Urvater  die  ganze 
Welt  in  Wehgeschrei  ausbrechen  sah,  da  erschien  er  dem 
Mahadeva  und  sprach  zu  ihm. 

Gott  Brahman  sprach : 

45.  (10253.)  0  Herr,  alle  Gotter  werden  auch  dir  eirien 
Anteil  geben,  nur  nimm  zuriick  [was  du  getan  hast],  o 
Allgott. 

46.  (10254.)  Denn  alle  diese  Gottheiten  und  Rishi's,  o  Feind- 
bedranger,  konnen  vor  deinem  Zorne,  o  Mahadeva,  keine 
Ruhe  finden.- 

47.  (10255.)  Aber  der  Mann  da,  der  aus  deinem  Schweifse 
entstanden  ist,  o  Bester  der  Gotter,  mag  unter  dem  Namen 
Fieber  in  der  Welt  wiiten,  o  Pflichtkundiger. 

48.  (10256.)  Aber  wenn  er  Einer  bleibt,  o  Herr  der  Kraft, 
ist  die  ganze  Erde  nicht  imstande,  ihn  zu  ertragen,  moge 
er  in  viele  zerlegt  werden. 

49.  (10257.)  Nachdem  dem  Gotte  so  von  Brahman  zu- 
geredet  und  auch  sein  Opferanteil  zugesichert  worden  war, 
da  sprach  er  zu  dem  heiligen,  unermefslich  kraftigen  Gott 
Brahman:  „So  sei  es!" 

50.  (10258.)  Mit  grofser  Freude  wurde  da  der  Pinaka- 
bogentrager  erfiillt,  und  schmunzelnd  nahm  er,  der  Ewige, 
den  von  Gott  Brahman  ihm  zugesprochenen  Teil   entgegen. 

51.  (10259.)  Das  Fieber  zerlegte  der  aller  Satzungen  Kun- 
dige  in  viele  Teile,  um  alien  Wesen  die  Ruhe  wiederzugeben ; 
auch  das  vernimm,  mein  Sohn. 

52.  (10260.)  Die  Kopfhitze  der  Elefanten,  das  Steinharz  der 
Berge,  die  Algen  des  Wassers,  das  soil  man  wissen,  die 
Hautung  bei  den  Schlangen, 

53.  (10  201.)  die  Klauenseuche  der  Kiihe,  der  Salzboden  auf 
der  Erde,  die  Sehstorung  des  Viehs,  o  Pflichtkundiger, 

54.  (10262.)  die  Rotzkranhkeit  der  Pferde,  die  Kammspaltung 

Dbussen,  Mah&bbd.ratam.  33 


514  III.   Mokshadharma. 

der  Pfauen  und  die  Augenkrankheit  des  Kuckucks,  auf  diese 
wurde  durch  des  Hochsinnigen  Wort  das  Fieber  verteilt. 

55.  (10263.)  Auch  die  Gallenverteilung ,  wo  sie  bei  den 
Schafen  vorkommt,  ist  als  solches  iiberliefert ;  ferner  der 
Schluchzer,  wo  er  bei  den  Papageien  vorkommt,  wird  als 
Fieber  bezeichnet. 

56.  (10264.)  Auch  die  Mattigkeit  bei  den  Tigern  wird  als 
Fieber  bezeichnet,  o  Pflichtkundiger,  bei  den  Menschen  end- 
lich  fiihrt  es  den  Namen  Fieber,  o  Bharata. 

57.  (10265.)  Beim  Sterben,  bei  der  Geburt  und  zwischen 
beiden  kann  es  den  Menschen  beschleichen ;  es  ist  die  von 
Mahegvara  herriihrende  Glut,  welche  als  das  furchtbare  Fieber 
bekannt  ist. 

58.  (10  266.)  Verehrung  und  Anbetung  aller  Lebenden  ge- 
biihrt  dem  tgvara,  denn  von  ihm  [in  Gestalt  des  Fiebers] 
wurde  Vritra,  der  Beste  der  Gesetzestrager,  befallen. 

59.  (10267.)  Er  rifs  den  Rachen  auf,  da  schleuderte  (^akra 
den  Donnerkeil  gegen  ihn,  und  der  Donnerkeil  drang  in 
Vritra  ein  und  zerrifs  ihn,  o  Bharata. 

60.  (10268.)  Und  von  dem  Donnerkeil  zerrissen,  ging  der 
grofse  Zauberer,  der  grofse  Damon  hinauf  zu  der  hochsten 
Statte  des  unermefslich  kraftigen  Vishnu. 

61.  (10269.)  Denn  durch  die  Liebe  zu  Vishnu  war  ihm  diese 
ganze  Welt  zuteil  geworden,  und  eben  darum  erlangte  er 
nach  seiner  Niederwerfung  im  Kampfe  die  Statte  des  Vishnu. 

62.  (10270.)  Damit  habe  ich  dir,  von  Vritra  ausgehend,  be- 
richtet,  wie  sich  das  grofse  Fieber  verbreitete;  was  soil  ich 
dir,  o  Sohn,  weiter  sagen. 

63.  (10271.)  Der  Mann,  welcher  andachtig  und  unver- 
drossenen  Geistes  diese  Entstehung  des  Fiebers  fort  und 
fort  studiert,  der  wird,  von  Krankheit  freibleibend,  gliick- 
lich  und  freudeerfiillt  alle  Wiinsche  seines  Herzens  er- 
langen.  " 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Entstehung  des  Fiebers 
(jvara-utpatti). 


Adhyaya  285  (B.  284).  515 

Adhyaya  285  (B.  284). 
Vers  10272-10345  (B.  1-71). 

Janamejaya  sprach: 

1.  (10272.)  Wie  geschah  es,  o  Brahmane,  dafs  in  der  Welt- 
periode  des  [Manu]  Vaivasvata  das  Rofsopfer  des  Schopfer- 
herrn  Daksha  Pracetasa  zerstort  wurde? 

2.  (10273.)  Und  wie  geschah  es  ferner,  dafs  der  die  Erregung 
der  Gottin  (Uma)  bemerkende  und  in  Zorn  geratende  all- 
beseelende  Herr  (Qiva),  —  dafs  durch  dessen  Gnade  vom 
Daksha  das  Opfer  wieder  in  Ordnung  gebracht  werden  konnte  ? 
(10274.)  Das  wiinsche  ich  zu  wissen,  das  erklare  mir,  wie  es 
sich  begeben  hat. 

VaiQainpa,yana  sprach: 

3.  (10275.)  Einstmals  also  brachte  Daksha  ein  Opfer  dar 
auf  dem  Riicken  des  Himalaya  in  Gangadvara,  einer  schonen, 
von  Weisen  und  Vollendeten  bewohnten  Gegend, 

4.  (10  276.)  wo  es  von  Gandharven  und  Apsarasen  wimmelte, 
und  die  mit  mancherlei  Baumen  und  Schlingpflanzen  be- 
wachsen  war.  Dem  von  Rishischaren  umgebenen  Daksha, 
dem  Besten  der  Gesetzestrager, 

5.  (10277.)  nahten  alle  Bewohner  der  Erde,  des  Luftraums 
und  der  Himmelswelt  und  huldigten  mit  zusammengelegten 
Handen  diesem  Prajapati. 

6.  (10278.)  Gotter,  Danava's,  Gandharva's,  Pigaca's,  Schlan- 
gen,  Rakshasa's,  die  beiden  Gandharven  Haha  und  Huhu, 
sowie  Tumburu  und  Narada, 

7.  (10279.)  Vigvavasu,  Vi<?vasena  und  andere  Gandharven 
mit  Apsarasen;  auch  die  Aditya's,  Vasu's,  Rudra's,  Sadhya's 
und  die  Scharen  der  Marut's, 

8.  (10280.)  sie  alle  waren  mit  Indra  herbeigekommen ,  um 
teil  am  Opfer  zu  haben.  Auch  alle,  welche  die  Hitze  trinken, 
den  Soma  trinken,  den  Dampf  trinken,  die  Schmelzbutter 
trinken, 

9.  (10281.)  die  Rishi's  und  die  Manen  kamen  mit  Gott 
Brahman  herbei.  Denn  diese  und  viele  andere,  auch  die  vier- 
fachen  Scharen  der  Wesen, 

33* 


516  m.    Mokshadharma. 

10.  (10282.)  lebendgeborene  und  eigeborene,  schweifs- 
geborene  und  sprofsgeborene  in  Eile,  sie  alle  waren  gerufen 
und  geladffli  nebst  alien  Gottern  mit  ihren  Frauen. 

11.  (10583.)  Auf  ihren  Wagen  stehend,  glanzten  sie  wie 
flammende  Feuer.  Sie  erblickte  von  Zorn  erfiillt  Dadhici 
und  sprach  das  Wort: 

12.  (10  284.)  Das  ist  kein  Opfer,  keine  fromme  Handlung, 
bei  der  nicht  auch  dem  Rudra  (Qiva)  geopfert  wird;  verfallen 
sind  sie  dem  Tode  und  der  Gefangenschaft ,  ist  wohl  eine 
Wendung  ihres  Schicksals  moglich? 

13.  (10285.)  Sehen  sie  denn  in  ihrer  Verblendung  nicht, 
wie  das  Verderben  sie  umgarnt?  Begreifen  sie  nicht  das 
Furchtbare,  das  ihnen  bei  ihrem  grofsen  Opferfeste  droht? 

14.  (10286.)  So  sprach  der  grofse  Yogin  und  blickte  aus 
mit  dem  Auge  der  Meditation ;  da  sah  er  den  Mahadeva  und 
die  schone,  spendende  Gottin  (Uma) 

15.  (10  287.)  und  den  hochherzigen  Narada,  wie  er  in  der 
Nahe  dieser  Gottin  weilte.  Als  der  Yogakenner  sich  dessen 
vergewissert  hatte,  wurde  er  von  grofser  Befriedigung  erfiillt. 

16.  (10288.)  Einseitig  ist  das  Gebet  von  ihnen  alien,  da 
sie  den  Herrn  (Qiva)  nicht  hinzugebeten  haben,  [sprach  er]; 
damit  verliefs  Dadhici  diesen  Ort  und  sprach: 

17.  (10289.)  Wer  Nicht -Verehrungswiirdige  verehrt  und 
Verehrungswiirdige  nicht  verehrt,  der  Mensch  begeht  allemal 
eine  Siinde,  die  dem  Menschenmorde  gleichkommt. 

18.  (10290.)  Niemals  noch  habe  ich  die  Unwahrheit  ge- 
sagt  und  werde  sie  auch  niemals  sagen,  mag  ich  bei  Gottern, 
mag  ich  bei  Weisen  weilen,  ich  sage  die  Wahrheit. 

19.  (10291.)  Ihr  soUt  sehen,  der  Herr  der  Tiere,  der  Schopfer 
und  Herr  der  Welt,  der  Gebieter  aller  Wesen  als  bester  Ge- 
niefsender  kommt  zu  eurem  Opfer. 

Daksha  sprach: 

20.  (10292.)  Wir  haben  hier  viele  Rudra's  mit  dem  Speer 
in  der  Hand  und  der  Haarlocke  auf  dem  Haupte;  sie  haben 
ihre  elf  Platze  eingenommen,  aber  deinen  Mahegvara  kenne 
ich  nicht. 


Adhy^ya  285  (B.  284).  517 

Dadhici  sprach: 

21.  (10293.)  Dieses  Gebet,  welches  ihr  alle  darbringen 
wollt,  wird  —  well  ihr  ihn  nicht  dazu  gebeten  habt,  —  so 
gewifs  wie  ich  keine  hohere  Gottheit  als  (^ankara  (Qiva)  an- 
erkenne,  (10294.)  so  gewifs  wird  dieses  grofse  Opfer  des  Daksha 
nicht  zustande  kommen. 

Daksha  sprach: 

22.  (10295.)  Dem  Herrn  des  Opferfestes  bringe  ich  diese 
ganze,  durch  Brauche  und  Spriiche  geheihgte  Opferspeise 
auf  goldener  Schiissel  dar  als  gebiihrenden  Anteil  des 
unvergleichlichen  Vishnu,  er  ist  der  Herr,  der  Allbeherr- 
scher,  ihm  ist  das  Opfer  darzubringen. 

Die  Gottin  (UmS,)  sprach: 

23.  (10296.)  Welches  Geschenk,  welche  Selbstbezwin- 
gung  oder  Askese  konnte  ich  wohl  leisten,  damit  mein 
Gatte,  der  heilige,  unausdenkbare ,  heute  die  Halfte  des 
Opfers  oder  doch  ein  Drittel  als  seinen  Anteil  erhalte. 

24.  (10297.)  Seiner  Gattin,  welche  in  Aufregung  so  zu 
ihm  sprach,  erwiderte  mit  heiterem  Angesicht  der  Heilige : 
Du  kennst  mich  noch  nicht,  du  Gottin,  schlank  an  Leib 
und  Gliedern,  und  weifst  nicht,  wie  es  sich  geziemt,  zu 
[mir],  dem  Herrn  der  Opferfeste,  zu  reden. 

25.  (10298.)  Ich  weifs  es  [wer  ich  bin],  0  Grofsaugige, 
aber  jene  Nichtswiirdigen  ermangeln  der  Meditation  und 
wissen  es  nicht;  so  wie  du  heute  verwirrt  erscheinst,  so 
gehen  auch  die  Gotter,  Indra  voran,  und  die  drei  Welten 
allesamt  in  der  Irre. 

26.  (10  299.)  Ich  bin  es,  den  [in  Wahrheit]  die  An- 
rufenden  beim  Opfer  preisen,  dem  die  Samansanger  das 
Rathantaram  singen,  ich  bin  es,  dem  die  brahmankundi- 
gen  Brahmanen  opfern,  dem  die  Adhvaryu-Priester  die 
Opferspende  zuteilen. 

Die  Gottin  (Uma)  sprach: 
27.  (10300.)  Jeder  Mann,  auch  ein  ganz  gewohnlicher,  kann 
in   Gegenwart  des  Weibervolkes   sich  riihmen    und   wichtig 
machen,  das  versteht  sich. 


518  in.  Mokshadharma. 

Der  Heilige  sprach: 

28.  (10301.)  Nicht  riihine  ich  mich  selbst,  o  Gotterherrm ; 
sieh  mir  einmal,  o  Schlanke,  wen  ich  jetzt  hervorbringen 
werde,  o  Schongewachsene,  um  dies  Opfer  zu  storen,  o  Schon- 
farbige. 

29.  (10302.)  So  sprach  der  HeiHge  zu  seiner  urns  Leben 
lieben  Gattin  und  brachte  aus  seinem  Munde  hervor  ein 
Wesen,  furchtbar,  haarstraubend. 

30.  (10303.)  Zu  dem  sprach  MaheQvara:  Beschimpfe  das 
Opfer  des  Daksha!  Darauf  wurde  von  diesem  einzigartigen 
Lowen,  den  er  spielend 

31.  (10304.)  geschaffen  hatte,  um  den  Groll  der  Gottin  zu 
begiitigen,  das  Opfer  des  Daksha  zerstort.  Aber  die  furcht- 
bare,  grofse  Gottin  Kali  (Uma),  aus  Groll, 

32.  (10305.)  den  sie  hegte,  ging  hinter  ihm  her,  um  Zeugin 
des  Vorgangs  zu  sein.  Der  Einwilligung  des  Gottes  sicher 
und  sich  vor  ihm  mit  dem  Haupte  verneigend, 

33.  (10306.)  stand  er  da,  an  Heldenmut  dem  Gotte  ahnlich, 
in  kraftvoller  Gestalt  als  sein  heiliger,  leibhaftig  gewordener  Zorn. 

34.  (10307.)  Unermefslich  an  gewal tiger  Heldenkraft,  un- 
ermefslich  an  gewaltiger  Mannhaftigkeit, wurde  er  Virabhadra 
(Mannhold)  genannt,  der  Racher  der  grollenden  Gottin. 

35.  (10308.)  Da  schuf  er  aus  seinen  Hautporen  Scharen 
von  herrischen  Wesen,  genannt  Raumya's  (Haarentsprossene). 
Diese  dem  Rudra  ahnlichen,  furchtbaren  fraudraj,  dem  Rudra 
an  Tapferkeit  gleichen  Scharen 

36.  (10309.)  stiirzten  sich  stiirmisch  auf  das  Opfer  des 
Daksha,  um  es  zu  zerstoren,  furchtbar  an  Aussehen,  machtig 
an  Leib,  zu  Hunderten  und  Tausenden. 

37.  (10310.)  Darauf  erfiillten  sie  mit  wildem  Geheul  gleich- 
sam  den  Weltraum,  und  durch  diesen  grofsen  Larm  wurden 
die  Himmelsbewohner  in  Schrecken  versetzt. 

38.  (10311.)  Die  Berge  zerrissen  und  die  Erde  bebte,  die 
Winde .  tobten  und  das  Reich  des  Varuna  (das  Meer)  kam  in 
Aufruhr. 

39.  (10312.)  Die  Feuer  leuchteten  nicht  mehr,  nicht  strahlte 
mehr  die  Sonne,  Planeten,  Fixsterne  und  Mond  schienen 
nicht  mehr. 


Adhyaya  285  (B.  284).  519 

40.  (10313.)  Keine  Rishi's  kamen  zum  Vorschein,  keine 
Gotter  und  keine  Menschen.  Nachdem  es  so  ganz  dunkel 
geworden  war,  fingen  die  beleidigten  Unholde  an  zu  sengen 
und  zu  brennen. 

41.  (10314.)  Die  einen  schlugen  darauflos,  die  anderen  rissen 
die  Opferpfosten  aus,  zerbrachen  sie  und  traten  auf  ihnen 
herum. 

42.  (10315.)  Sie  stiirmten  heran,  stiirmten  von  dannen 
schnell  wie  der  Wind,  wie  der  Gedanke  schnell,  zermalmten 
die  Opferschalen  und  die  himmlischen  Schmuckgegenstande^ 

43.  (10316.)  zerstiickelt  lagen  diese  da,  den  Sternen  am 
Himmel  vergleichbar,  himmlische,  zum  Genusse  bestimmte 
Speisen  und  Getranke  waren  in  Haufen  wie  Berge  aufgetiirmt. 

44.  (10317.)  Milchstrome  waren  da  zu  sehen,  in  welchen 
Schmelzbutter  und  Milchbrei  mit  Schmutz,  saure  Milch  und 
Rahm  mit  Wasser  und  himmlische  Zuckerstiicke  mit  Sand 
durcheinanderflossen, 

45.  (10318.)  und  welche  alle  sechs  Geschmacke  zugleich 
an  sich  trugen.  Verlockende  Bache  von  Sirup,  allerlei  Fleisch 
durcheinander,  verschiedene  andere  Speisen, 

46.  (10319.)  himmlisCTie  Getranke  und  alles,  was  zu  lecken 
und  zu  schliirfen  ist,  wurde  von  ihnen  mit  mancherlei 
Maulern  genossen,  zerbrochen  und  beschmutzt. 

47.  (10320.)  Getrieben  von  Rudra's  Zorn,  mit  machtigen 
Leibern,  an  Aussehen  dem  Weltuntergangsfeuer  vergleichbar, 
brachten  sie  die  Gotterheere,  iiberall  Furcht  verbreitend,  in 
Verwirrung, 

48.  (10321.)  trieben  allerlei  Kurzweil  und  zerrten  die  Gotter- 
frauen  herum.  So  wurde  durch  Rudra's  Zorn  das  von  den 
Gottern  sorgsam  behiitete 

49.  (10322.)  Opfer  von  dem  Rudra's  Work  Ausfiihrenden 
[Virabhadra]  in  kurzer  Zeit  vollstandig  verbrannt.  Er  voll- 
fiihrte  einen  fiirchterlichen  Larm,  der  alien  Wesen  Angst 
einflofste, 

50.  (10323.)  und  nachdem  er  das  Opfer  [gleichsam)  ent- 
hauptet  hatte,  briillte  er  und  jubelte  vor  Freude.  Die  Gotter 
aber,  mit  Gott  Brahman  an  der  Spitze,  und  der  Schopferherr 
Daksha 


520  in.    Mokshadharma. 

51.  (10324.)  sprachen  alle  mit  demiitig  zusammengelegten 
Handen  zu  ihm:  Sage  uns,  o  Herr,  wer  du  bist. 

Virabhadra  sprach: 

(10325.)  Ich  bin  nicht  Rudra  oder  die  Gottin  [Uma],  bin 
auch  nicht  hierhergekommen,  um  zu  geniefsen. 

52.  Den  erregten  GroU  der  Gottin  bemerkend,  geriet  der 
allbeseelende  Herr  in  Zorn.  (i0326.)  Nicht  etwa  um  die  Brah- 
manenfiirsten  zu  sehen,  noch  auch  aus  Neugierde, 

53.  sondern  um  dein  Opfer  zu  storen  bin  ich  hierher- 
gekommen [o  Daksha],  das  merke  dir.  (10327.)  Mein  Name 
ist  Virabhadra,  und  aus  dem  Zorne  Rudra's  bin  ich  hervor- 
gegangen. 

54.  Diese  hier  aber  heifst  Bhadrakali  und  ist  aus  dem 
Zorne  der  Gottin  hervorgegangen.  (10328.)  Von  dem  Gott  der 
Gotter  sind  wir  beide  zu  deinem  Opfer  entsandt  worden  und 
da  sind  wir. 

55.  Nimm,  o  Brahmanenfiirst ,  deine  Zuflucht  zu  dem 
Gott  der  Gotter,  zum  Gemahle  der  Uma;  (10329.)  auch  der 
Zorn  dieses  Gottes  ist  dir  besser,  als  wenn  du  von  einem 
andern  eine  erwiinschte  Gabe  empfmgest. 

56.  Als  Daksha,  der  Beste  der  Pflichttrager,  das  Wort 
des  Virabhadra  vernommen  hatte,  (10330.)  da  warf  er  sich  vor 
dem  Mahegvara  (Civa)  nieder  und  begiitigte  ihn  durch  folgen- 
den  Lobgesang: 

57.  „Ich  nehme  meine  Zuflucht  zu  dem  Gotte,  dem 
ewigen,  festen,  unverganglichen  Herrn,  (10331.)  zu  dem  hoch- 
herzigen  Mahadeva,  dem  Beherrscher  aller,  die  da  leben."  — 

*58.  (Aus  Veranlassung  des  Opfers  des  Schopferherrn 
Daksha  waren  durch  die  wohlzubereiteten  Opfergaben  (10332.)  alle 
Gotter  herbeigelockt  worden,  sowie  die  askesereichen  Rishi's. 

59.  Aber  der  alles  wirkende  Gott  MaheQvara  war  nicht 
dazu  geladen  worden.  (10333.)  Da  liefs  die  erzurnte  Maha- 
devi  ihre  Scharen  gegen  das  Opfer  los, 

60.  damals,  als  der  Opferplatz  in  Flammen  aufging,  die 


*  Die   eingeklammerten  Worte,  Vers  10331b  — 10336,  werden  schon 
in  B.  durch  Klammern  als  eine  Interpolation  gekenuzeichnet. 


Adhyaya  285  (B.  284).  521 

Brahmanen  auseinanderstoben  (10334.)  und  das  hochmachtige, 
den  Sternen  an  Glanz  gleichkommende  Geschopf  des  Rudra 
(Virabhadra)  in  Wut  entbrannt  war 

61.  nebst  seinen  mit  Spiefsen  die  Herzen  durchbohrenden, 
briillenden  Dienern,  (10335.)  wahrend  die  Opferpfosten  aus- 
gegraben  und  umgerissen  und  nach  alien  Seiten  fortgeschleu- 
dert  wurden, 

62.  wahrend  nach  Beute  gierige  Geier  bin  und  her  flogen 
<10336.)  und  durch  den  Wind  ihrer  Fliigel  das  Geheul  von 
Hunderten  von  Schakalen  ringsherum  verweht  wurde, 

63.  in  Begleitung  von  Scharen  von  Yaksha's  und  Gan- 
dharven,  von  Pi(?aca's,  Schlangen  und  Rakshasa's)  —  (10337.)  da 
geschah  es,  dafs  [(^iva],  indem  er  Aushauch  und  Einhauch 
unter  Schliefsung  des  Mundes  mit  Anstrengung  hemmte 

64.  und  seine  Blicke  umherschweifen  liefs,  dafs  er,  der 
weitblickende,  feindiiberwindende  (10 338.)  Gottherr  der  Goiter 
sich  plotzlich  von  seinem  Feuerbecken  erhob, 

65.  er,  der  Trager  der  Glut  von  tausend  Sonnen,  der 
dem  Weltuntergangsfeuer  Vergleichbare,  (10339.)  und  lachelnd 
das  Wort  sprach:   Sage,  was  ich  fiir  dich  tun  soil. 

66.  Nachdem  darauf  die  fur  das  Opferfest  bestimmte 
Lektion  von  dem  Lehrer  der  Gotter  (Brihaspati)  rezitiert 
worden  war,  (10  340.)  sprach  der  Schopferherr  Daksha  mit  zu- 
sammengelegten  Handen  zu  jenem  Gotte  ((^iva), 

67.  mit  Furcht,  Angst  und  Zittern,  mit  Tranen  in  Augen 
und  Angesicht :  (10341.)  Wenn  du,  o  Heiliger,  mir  gnadig  bist 
und  wenn  ich  dir  lieb  bin, 

68.  wenn  ich  deiner  Gnade  wiirdig  bin,  wenn  du  mir 
anders  einen  Wunsch  gewahren  willst,  (10342.)  dann  mogest 
du  alles  das,  was  hier  verbrannt,  aufgezehrt,  ausgetrunken, 
verschlungen ,  zugrunde  gerichtet, 

69.  zertreten  und  herumgeschleudert  worden  ist,  diese 
grofse  Opferzuriistung,  (10343.)  die  ich  in  langer  Zeit  und  mit 
grofser  Miihe  sorgsam  zusammengebracht  hatte,  —  moge  das 
alles  fiir  mich  nicht  vergeblich  gewesen  sein,  das  ist  die 
Gnade,  die  ich  von  dir  erbitte. 

70.  (10344.)  „Moge  es  denn  also  sein",  sprach  der  heilige 


522  III.    Mokshadharma. 

Hara,  der  Blender  des  Bhaga,    der  Hiiter  des  Rechts,    der 
seltsamaugige,  dreiaugige,  schopferische  Gott. 

71.  (10345.)  Da  warf  sich  Daksha,  nachdem  ihm  Bhava 
(Qiva)  seinen  Wunsch  gewahrt  hatte,  mit  den  Knien  auf  die 
Erde  nieder  und  pries  den  den  Stier  im  Banner  Tragenden 
unter  Anrufung  seiner  tausendundacht  Namen. 

So  lautet  im  Mokfbadharma  die  Zerstorung  des  Opfers  des  Daksha 
(Daksha  -  yajna  -  vindfa). 


Adhyaya  286*  (B.  384  Fortsetzung). 

Vers  10346-10484  (B.  72-208). 

Yudhishthira  sprach: 

72.  (10346.)  Die  Namen,  mit  welchen  der  Schopferherr 
Daksha  den  Gott  gepriesen  hat,  die  sollst  du  mir,  o  Freund, 
mitteilen;  ich  habe  glaubiges  Verlangen,  sie  zu  horen,  o  Un- 
tadehger. 

Bhishma  sprach: 

73.  (10347.)  Vernimm  denn  die  Namen  des  wunderwirken- 
den,  geheimnisvollen  Gottes  der  Gotter,  die  verborgenen  wie 
die  offenbaren,  o  Bharata. 

74.  (10348.)  Verehrung  dir,  o  du  Herr  des  Gottes  der  Gotter, 
Toter  des  Gotterfeindes  Bala,  Stiitze  der  Kraft  der  Gotter- 
fiirsten,  von  Gottern  und  Damonen  Verehrter, 

75.  (10349.)  Tausendaugiger,  Seltsamaugiger,  Dreiaugiger, 
Freund  des  Fiirsten  derYaksha's,  iiberallhin  Hande  undFiifse, 
iiberallhin  Augen,  Haupt  und  Mund  Ausstreckender ! 

76.  (10350.)  Nach  alien  Seiten  hin  horend,  die  Welt  um- 
fassend  stehst  du  da  (vgl.  Qvet.  Up.  3,16),  o  Spitzohriger, 
Grofsohriger,  Topfohriger,  Ozeanumfasser, 


*  Dieses  fjivasahasranaman  steht,  ahnlich  wie  das  Vishnusahasranaman 
Mbh.  XIII,  Adhy.  149,  in  Indien  im  Geruche  besonderer  Heiligkeit  und 
wird  von  vielen  als  tagliches  Gebet  rezitiert.  Die  Bezeichnungen  sind 
stellenweise  vollig  sinnlos  und  wirken  nur  durch  den  Gleichklang,  den  wir 
hin  und  wieder  auf  Kosten  der  Genauigkeit  der  tjbersetzung  nachzubilden 
versuchten. 


Adhy^ya  286  (B.  284  Fortsetzung).  523 

77.  (10351.)  Elefantenohriger,  Ochsenohriger,  Handohriger, 
Verehrung  sei  dir!  0  du  hundert  Bauche,  hundert  Haar- 
wirbel,  hundert  Zungen  Habender,  Verehrung  sei  dir! 

78.  (10352.)  Dich  besingen  die  Liedersanger,  dir  zollen 
Preis  die  Lobsingenden,  dich,  den  hundertkraftigen  Gott  Brah- 
man, erachten  sie  hoch  wie  den  Ather. 

79.  (10353.)  In  deiner  Gestalt  sind  sie,  o  Grofsgestaltiger, 
dem  Ozean  und  Luftraum  Ahnhcher,  „alle  jene  Gotter  sind 
in  ihm  wie  im  Kuhstall  die  Kiihe  sind"  (Atharvaveda  11,8,32). 

80.  (10354.)  Ich  sehe  in  deinem  Leibe  Soma,  Agni,  Varuna, 
Aditya,  Vishnu  und  den  Pries ter  Brihaspati. 

81.  (10355.)  Du,  o  Heihger,  bist  die  Ursache  und  die  Wir- 
kung,  die  Tat  und  das  Werkzeug,  du  bist  Entstehung  und 
Vergang  des  Nichtseienden  und  des  Seienden. 

82.  (10356.)  Verehrung  dir  als  Bhava,  Qarva,  Kudra,  als 
Gabengeber  und  Herrn  der  Tiere  immerdar,  Verehrung  dem 
Toter  des  Andhaka. 

83.  (10357.)  Dir,  dem  Dreilockigen ,  Dreikopfigen ,  dem 
Besten  der  Dreizackeschwingenden,  Dreimutterhaften ,  Drei- 
augigen,  drei  Burgen  Zerstorenden  sei  Verehrung! 

84.  (10  358.)  Verehrung  dem  Zornmiitigen,  dem  Befasser, 
dem  Weltei  und  Trager  des  Welteis,  dem  Richtenden,  Un- 
parteiischen.  Stab  und  Tonsur  des  Asketen  Tragenden  sei 
Verehrung ! 

85.  (10  359.)  Verehrung  dem  von  Zahnen  und  Haaren  Star- 
renden,  dem  Fleckenlosen,  Weitverbreiteten,  dem  Hochroten, 
Rauchgrauen,  Schwarzhalsigen  Verehrung! 

86.  (10360.)  Verehrung  sei  dem  UnvergleichUchen,  Seltsam- 
gestalteten,  Gliicksehgen,  dem  Sonnenhaften,  Sonnumstrahl- 
ten,  die  Sonne  als  Banner  und  Fahne  Fiihrenden! 

87.  (10361.)  Verehrung  dem  Koboldfiihrer ,  dem  Stier- 
nackigen,  dem  Bogen trager,  dem  Feindbezwinger,  Racher, 
als  Asket  in  Blatter  und  Lumpen  Gehiillten! 

88.  (10362.)  Verehrung  dem  Goldkeim  {hiranyagarhhaj ,  dem 
Goldgepanzerten ,  Goldschopfigen ,  dem  Herrn  des  Goldes  sei 
Verehrung ! 

89.  (10363.)  Verehrung  dem  Preislichen,  Preiswerten,  Ge- 
priesenen,  dem  Allseienden,  Allverschlingenden,  Allbeseelenden! 


524  III.    Mokshadharma. 

90.  (10364.)  Verehrung  ihm,  der  Priester  und  Hymnus  ist, 
der  ein  weifses  Banner  als  Fahne  tragi,  Verehrung  dem  Welt- 
nabel,  Weltnabelhaften ,  der  die  Hiille  der  Hiillen  ist! 

91.  (10365.)  Verehrung  dem  Schmalnasigen ,  Schmalghe- 
drigen,  Schmalen,  dem  Freudestarrenden ,  Freudestraubigen, 
im  Freudenrufe  Aufjauchzenden ! 

92.  (10  366.)  Verehrung  ihm,  dem  Liegenden,  wenn  er  hegt 
und  wenn  er  aufsteht,  dem  Ruhenden  und  Rennenden,  dem 
Kahlkopfigen,  Haarschopfigen ! 

93.  (10367.)  Verehrung  dem  Tanzkundigen,  Tonekunst- 
mundigen,  die  Flufsgabe  [Lotosblume,  Nil.]  Liebenden,  Ge- 
sang  und  Saitenspiel  Ubenden! 

94.  (10368.)  Verehrung  dem  Edelsten,  Besten,  dem  Stiirzer 
des  Bala,  dem  Zeitgebieter,  dem  Weltalter  (kalpdya  mit  C), 
V^eltvernichter,  Weltaltervernichter ! 

95.  (10369.)  Dem  furchtbar  wie  Trommeln  Lachenden, 
furchtbare  Geltibde  Haltenden,  dem  Schrecklichen  sei  furcht- 
bare  Verehrung,  dem  Zehnarmigen! 

96.  (10370.)  Verehrung  dem  Schadeltragenden ,  Scheiter- 
haufen  und  Asche  Liebenden,  dem  Furchteinflofsenden,  Fiirch- 
terlichen,  furchtbare  Geliibde  Haltenden! 

97.  (10371.)  Verehrung  ihm,  mit  dem  seltsamen  Munde, 
mit  der  schwertgleichen  Zunge  und  dem  furchtbaren  Gebifs, 
ihm,  der  gierig  ist  nach  gekochtem  und  rohem  Fleische  und 
seine  Freude  hat  am  Lautenspiel ! 

98.  (10  372.)  Verehrung  dem  Stiere,  dem  Stierkraftigen, 
dem  Stier  der  Kiihe,  dem  Stiere,  ihm,  dem  Umhiiller  der 
Hiillen,  dem  Racher,  dem  Reifmacher  der  Taten! 

99.  (10373.)  Verehrung  dem  Trefflichsten  von  alien,  dem 
Trefflichen,  Treffliches  Schenkenden,  treffliche  Kranze,  Diifte 
und  Gewander  Tragenden,  Treffliches,  Uniibertreffliches 
Schenkenden  [varade  =  varaddya  Nil.) ! 

100.  (10374.)  Verehrung  dem  Leidenschaftlichen,  Leiden- 
schaftslosen ,  dem  Bildner,  dem  Rosenkranztrager,  dem  Kon- 
zentrierten  und  Differenzierten ,  der  Schatten  und  Glut  zu- 
gleich  ist! 

101.  (10375.)  Dem  Nichtfurchtbaren  und  Furchtbaren,  der 


Adhy&ya  286  (B.  284  Fortsetzung).  525 

furchtbarer  als  das  Furchtbare  ist,  sei  Verehrung !  Dem  Giitigen^ 
Beruhigten,  dem  Allerberuhigtesten  sei  Verehrung! 

102.  (1037G.)  Dir,  dem  Einfiifsigen  und  Vielaugigen,  dem 
Einkopfigen  sei  Verehrung,  dem  Rudra,  der  nach  Kleinem 
begehrt  und  gerechte  Verteilung  Hebt! 

103.  (10377.)  Dem  Paficala  [nach  Nil.  dem  Kunstfertigen]^ 
dem  WeifsgHedrigen  sei  Verehrung,  dem  Allberuhigten,  dem 
heftig  Tonenden,  Tonreichen,  tonlos  Tonenden! 

104.  (10378.)  Verehrung  dem  tausendglockig  Tonenden,  des 
Glockenspiels  Frohen,  dem  Odemsausenden,  Duftberauschen- 
den,  Larmerbrausenden, 

105.  (10379.)  dem  dem  lauten  Summen  Entriickten,  durch 
das  laute  Summen  Begliickten!  Verehrung,  wo  der  ewig 
Ruhige  thront,   ihm,    der  in  des  Berges  Waldungen  wohnt! 

106.  (10380.)  Dem  als  Schakal  nach  Kernfleisch  Gierenden, 
als  Retter  Hiniiberfiihrenden  sei  Verehrung,  ihm,  der  Opfer 
und  Opferer  ist  und  Dargebrachtes  zu  jeder  Frist! 

107.  (10381.)  Dem  Opferbringer  und  Selbstbezwinger,  dem 
Entflammten  und  dem  Entflammer,  dem  Ufer  und  Uferfiihren- 
den,  Verehrung  dem  Uferregierenden ! 

108.  (10382.)  Verehrung  dem  Speiseschenker,  Speiseherrn, 
Speiseverzehrer,  dem  Tausendkopfigen ,  Tausendfiifsigen, 

109.  (10383.)  mit  tausend  Dreizacken  Schiitzenden,  tausend 
Augen  Besitzenden !  Verehrung  dem  wie  junge  Sonnen  Blitzen- 
den,  junge  Gestalt  Besitzenden, 

110.  (10  384.)  die  Jugendschar  Besitzenden,  im  Jugendspiel 
sich  Erhitzenden!  Verehrung  dem  Alten,  Gierigen,  Erschiit- 
terten,  Erschiitternden ! 

111.  (10385.)  Verehrung  dem  Wellennafshaarigen ,  Mufija- 
grashaarigen,  die  sechs  Werke  Ubenden,  die  drei  Werke 
Liebenden, 

112.  (10386.)  dem  die  Werke  der  Kasten  und  Lebensstadien 
nach  Vorschrift  gesondert  in  Umschwung  Erhaltenden !  Ver- 
ehrung sei  dem  Sausenden,  dem  Sausen,  dem  Larmerbrau- 
senden, 

113.  (10387.)  dem  Weifsgelbaugigen,  Schwarzrotaugigen, 
Rochelnden,  Rachenden,  Knackenden,  Nackenden, 

114.  (10388.)  ihm,  der  iiber  Gutes,  Lust,  Nutzen  und  Er- 


526  III.   Mokshadharma. 

losung  darbietet  aller  Fragen  Losung,   dem  Sankhyatreuen, 
Sankhyamundigen,  des  Sankhya  und  Yoga  Kundigen! 

115.  (10389.)  Verehrung  dem  Fahrer,  dem  Nichtfahrer,  dem 
alle  vier  Wege  Durchfahrer  [Wasser,  Feuer,  Luft,  Ather,  nach 
Nil.],  von  schwarzer  Antilope  Urahauteten,  mit  Schlangen- 
Opferschnur  Umkleideten ! 

116.  (10390.)  0  Herr,  o  Diamantfester,  Goldhaariger,  Ver- 
ehrung dir!  Dreimutterhafter ,  Schiitzer  der  Mutterhaften, 
Oifenbarer  und  Geheimer,  Verehrung  dir! 

117.  (10391.)  0  Lust,  o  Lustvermehrer,  Lustzerstorer,  Satter 
und  Nichtsatter,  Streifender,  o  All,  o  Allvermehrer,  AUzer- 
storer,  Dammerungsfreund ,  Verehrung  dir! 

118.  (10392.)  Als  grofse  Wolken  dich  Haufender,  als  grofses 
Verhangnis  Ergreifender,  Verehrung  dir!  Stark  und  gehrech- 
lich  an  Korper  und  Locke,  in  Baumbast  gekleidet  und  Fell 
vom  Bocke! 

119.  (10393.)  Mit  sonnengleich ,  feuergleich  flammender 
Locke,  im  Kleid  aus  Baumbast,  im  Fell  vom  Bocke,  tausend 
Sonnen  Vergleichbarer,  an  Askese  Unerreichbarer,  Verehrung 
sei  dir! 

120.  (10394.)  Tollmachender ,  Hunderthaarwirbeliger ,  am 
Haar  von  Gangawasser  Benetzter,  Mondlenker,  Weltalter- 
lenker,  Wolkenlenker,  Verehrung  dir! 

121.  (10395.)  Du  hist  Speise,  Fresser  und  Geniefser,  Speise- 
verleiher,  Speisegenielser,  Speiseverbreiter  und  Speisebereiter, 
Geniefser,  Wind  und  Feuerglut! 

122.  (10396.)  Du  bist  Lebendgeborenes ,  Eigeborenes, 
Schweifsgeborenes ,  Sprofsgeborenes ,  du  bist,  o  Herr  des 
Gottes  der  Gotter,  die  vier  Wesensscharen  allzumal! 

123.  (10397.)  Du  bist  des  Beweglichen  und  Unbeweglichen 
Schaffer  und  "WegrafFer,  dich  preisen  sie  als  Inbegriff  der 
Brahmanwissenden,  als  das  Brahman,  o  Bester  der  Brahman- 
wissenden ! 

124.  (10  398.)  Du  bist  die  hochste  Quelle  des  Geistes,  bist 
Ather,  Wind  und  Schatzkammer  der  Gestirne,  dich  bezeichnen 
die  Brahmanlehrer  als  Ric,  Saman  und  Om-Laut! 

125.  (10399.)    Hdyihdyi    huva   hdyi    hdvuhdyi,    mit  diesen 


Adhyaya  286  (B.  284  Fortsetzung).  527 

Lauten  wiederholentlich  besingen  dich,   o  Bester  der  Gotter, 
die  brahmankundigen  Samansanger! 

126.  (10400.)  Als  bestehend  aus  Opferspriichen ,  Versen, 
und  Opfergiissen  wirst  du  gepriesen  mit  Lobliedern  von  den 
Scharen  der  Upanishad's  des  Veda! 

127.  (10401.)  Du  bist  Brahmanen,  Kshatriya's,  Vai^ya's, 
Qudra's,  sowie  die  untersten  Kasten,  bist  Wolkenmassen, 
Blitz  und  Donnerschall! 

128.  (10402.)  Du  bist  Jahr  und  Jahreszeiten ,  Monate  und 
Halbmonate,  Weltalter,  Augenblicke  und  Minuten,  bist  Stern- 
bilder,  Planeten  und  Mondphasen! 

129.  (10403.)  Du  bist  der  Baume  Wipfel  und  der  Berge 
Gipfel,  der  Tiger  unter  den  Waldtieren,  der  Garuda  unter 
den  Vogeln,  Ananta  unter  den  Schlangen! 

130.  (10404.)  Du  bist  das  Milchmeer  unter  den  Ozeanen, 
der  Bogen  unter  den  Werkzeugen,  unter  den  Waffen  der 
Donnerkeil,  unter  den  Geliibden  die  Wahrhaftigkeit ! 

131.  (10405.)  Du  bist  Hafs  und  Liebe,  Leidenschaft,  Ver- 
blendung,  Geduld  und  Ungeduld,  Entscheidung ,  Festigkeit, 
Begierde,  Lust  und  Zorn,  Sieg  und  Niederlage! 

132.  (10406.)  Du  fiihrst  Keule,  Pfeil,  Streitkolben,  Trom- 
mel ;  du  giltst  als  Zerschneider,  Zerspalter,  Angreifer,  Fiihrer, 
Vorseher  und  Vater! 

133.  (10407.)  Mit  den  zehn  Kennzeichen  begabt  [den  zehn 
Yogasutra  2,30  und  32  aufgezahlten ,  Nil.]  bist  du,  bist  das 
Gute ,  Niitzliche  und  •  Angenehme ;  du  bist  die  Gaiiga ,  die 
Meere  und  die  Strome,  die  Siimpfe  und  Teiche! 

134.  (10408.)  Du  bist  Schlingpflanzen  und  Ranken,  Graser 
und  Krauter,  Haustiere,  Waldtiere  und  Vogel,  du  bist  Sub- 
stanz,  Tatigkeit  und  Unternehmen ,  bist  die  Zeit,  welche 
Blumen  und  Friichte  bringt! 

135.  (10  409.)  Du  bist  Anfang  und  Ende  der  Gotter,  die 
Gayatri  und  der  Om-Laut,  bist  griin,  rot,  blau,  schwarz,  pur- 
purn  und  goldgelb,  (io4io.)  schwarzgelb,  affenbraun,  tauben- 
grau  und  dunkelfarbig ! 

136.  Du  bist  farblos  und  farbenschon,  Farbenspender, 
der  Wolke  gleich,  (i04ii.)  nach  Gold  benannt  und  Gold 
liebend ! 


528  in.   Mokshadharma. 

137.  Du  bist  Indra,  Yama,  Varuna,  Kubera  und  Agni^ 
(10412.)  du  bist  Sonnenfinsternis  und  Sonnenschein,  bist  Him- 
melsglanz  und  Sonne! 

138.  Du  bist  Priesteramt,  Priesterhandlung,  Darbringung 
und  Herr,  (I04i3.)  du  bist  das  Trisuparna-Gebet,  bist  unter  den 
Yajus  die  Qatarudriya-Spriiche! 

139.  Du  bist  die  Siihne  der  Siihnen,  der  Gliickwunscli 
der  Gliickwiinsche,  (I04i4.)  bist  bergschweifend,  umherstrei- 
fend  und  wurzelnder  Baum,  bist  die  Seele  und  auch  der  Leib ! 

140.  Du  bist  der  Lebensodem,  bist  Sattvam,  Rajas  und 
Tamas,  die  Niichternheit,  (i04i5.)  bist  Aushauch,  Einhauch^ 
Allhauch,  Aufhauch  und  Zwischenhauch ! 

141.  Du  bist  Aufschlagen  und  Schliefsen  der  Augen,  bist 
Niesen  und  Gahnen,  (10416.)  bist  das  rote,  nach  innen  gekehrte 
Auge,  mit  grofsem  Rachen  und  grofsem  Bauche! 

142.  Nadelhaarig,  blondbartig,  haarstraubig  und  voll  Be- 
weglichkeit  bist  du,  (I04i7.)  des  Gesangs  und  Saitenspiels 
kundig,  ein  Freund  des  Gesange  Vortragenden ! 

143.  Du  bist  der  Fisch,  wie  er  im  Wasser  spielt  und 
im  Netze  zappelt,  unteilig,  spielweilig,  streiteilig,  (I04i8.)  un- 
zeitig,  iiberzeitig,  schlimmzeitig  und  zeitig! 

144.  Du  bist  der  Tod,  die  Sense  und  der  zu  Mahende^ 
der  Vernichter  von  Freund  und  Feind,  (10419.)  bist  Weltunter- 
gangswolkenzeit,  mit  grofsem  Gebifs,  die  Umsturzwolke,  die 
Einhiillungswolke ! 

145.  Du  bist  die  Glocke,  die  Nicht-Glocke,  der  Kessel- 
mann,  der  Glockenmann,  der  Topfumfangene,  der  Allbegangene,^ 
(10420.)  die  Priesterheiligkeit,  der  Feuer  Leiblichkeit,  der  Racher,. 
der  Tonsurhafte,  Dreistabhafte, 

146.  vierweltalterhaft,  viervedahaft,  der  vier  Priester  Rege- 
kraft,  (10421.)  der  vier  Lebensstadien  Fiihrer,  der  vier  Kasten 
Regierer, 

147.  stets  das  Wiirfelspiel  liebender  Schelm,  Scharen- 
hiiter  und  Scharenherr,  (10422.)  ein  rotbekranztes  Kleid  tragend^ 
berghaft,  in  Bergen  sich  behagend, 

148.  kunstfertig,  der  Kiinstler  Bester,  aller  Kiinste  Be- 
forderer,  (10423.)  der  grimmige  Haken  fiir  Bhaga's  Augen,  der 
Vernichter  von  Pushan's  Zahnen! 


Adhy&ya  286  (B.  284  Fortsetzung).  529 

i49.  Du  bist  die  Opferrufe  svdhd,  svadhd,  vashat,  Be- 
griifsungslaut,  Verehrungslaut ,  (i04-24.)  verhiillten  Geliibdes, 
geheimer  Kasteiung,  sternhaft,  aus  Sternen  bestehend, 

150.  Schopfer,  Ordner  und  Bildner  der  Welt,  Bildner  und 
Trager,  der  sie  erhalt,  (10425.)  Brahman,  Askese,  Wahrhaftig- 
keit,  Brahmanwandel  und  Redlichkeit, 

151.  der  Wesen  Selbst,  der  Wesenschaffer,  selbstWesen, 
des  Gewesenen,  Zukiinftigen  und  Seienden  Quelle,  (10 426.)  Erde, 
Luftraum  und  Himmel,  und  darum  der  feste,  bezahmte, 
grofse  Herr, 

152.  Weihe  vollbringend  und  nicht  vollbringend,  geduldig, 
unbezwingbar,  der  Unbezahmten  Bezwinger,  (10427.)  den  Mond 
walzend,  Weltalter  walzend,  umwalzend  und  durcheinander- 
walzend ! 

153.  Du  bist  Begierde,  ein  kleiner  Punkt  und  doch  grofs, 
Lotoskranze  liebend,  (10428.)  lieblichen  Mundes,  schrecklichen 
Mundes,  schonen  Mundes,  hafslichen  Mundes,  entbehrend  des 
Mundes, 

154.  viermundig,  vielmundig  und  im  Gefechte  feuermundig, 
(10429.)  der  goldene  Keim,  der  Sonnenvogel,  Herr  grofser 
Schlangen  und  Virat, 

155.  des  Frevlers  Strafer,  mit  grofsen  Flanken,  der 
Scharenherr,  voll  Zorngedanken ,  (10430.)  Kuhbriiller,  Kuhfurt, 
mit  besten  Stieren  Fahrender, 

156.  Beschiitzer  der  Dreiwelt,  Kuhge winner,  der  Kiihe 
Pfad  und  ohne  Pfad,  (10431.)  der  Beste,  Feste,  Baumstamm- 
artige,  unerschiitterlich  und  zugleioh  Erschiitterung, 

157.  schwer  hemmbar,  schwer  bezwingbar,  schwer  iiber- 
windbar,  schwer  iibertretfbar,  (10432.)  schwer  bestehbar,  schwer 
erschiitterlich ,  schwer  bewaltigbar,  schwer  besiegbar,  der 
leibhaftige  Sieg, 

158.  Hase,  Hasen trager  (Mond),  Stillmacher,  Bewirker 
von  Kalte,  Hitze,  Hunger,  Alter  und  Not,  (10433.)  Sorgen- 
inbegriff,  Krankheitsinbegriff,  Krankheitbrecher  und  Krank- 
heit  selbst! 

159.  Du  bist  der  Jager  meines  als  Wild  fliehenden  Opfers, 
der  Krankheiten  Kommen  und  Gehen,  (10434.)  der  Pfau  mit 
den  Lotosaugen,  in  Lotoswaldern  thronend, 

DBtrssEN,  Mah&bh&Tatam.  34 


530  III.    Mokshadharma. 

160.  Stabtragender,  Dreimutterhafter,  furchtbarer  Strafer, 
Welteivernichter,  (10435.)  Giftfeuerschliirfer,  der  Gotter  Bester, 
Somaschliirfer  bist  du,  Windgotterherr, 

161.  Nektarschliirfer,  der  Welten  Herr,  o  Gottergott,  der 
Scharenherr,  (io436.)  Giftfeuerschliirfer,  Todschliirfer,  Milch- 
schliirfer,  Somaschliirfer  auch,  der  Gestiirzten  Honig,  Erst- 
schliirfer,  Anfangschliirfer  der  Gotter  du! 

162.  (10437.)  Gold  ist  dein  Same,  Weltgeist  bist  du, 
der  Mann,  das  Weib  und  auch  was  keins  von  beiden,  bist 
Kind  und  Jiingling  und  zahnloses  Alter,  bist  Schlangen- 
fiirst,  Machthaber,  Allgottschopfer, 

163.  (10438.)  Allschopfer,  der  Allschopfer  Bester,  All- 
trager,  Allgestal tiger,  Glanzreicher,  Allwartsblickender, 
Sonne  und  Mond  sind  deine  Augen,  dein  Herz  ist  Vater 
dieser  Welt! 

164.  (10439.)  Du  grofses  Meer,  Saras vati,  der  Rede  Kraft, 
Feuer  und  Wind,  du  Tag  und  Nacht,  Schliefser  und  Offner 
der  Augen! 

165.  (10440.)  Nicht  Gott  Brahman,  nicht  der  Kuhgewinner, 
nicht  die  Weisen  des  Altertums  vermogen  deine  Majestat  zu 
fassen,  wie  sie  der  Wahrheit  nach  besteht,  o  Qiva! 

166.  (10441.)  Deine  sehr  feinen  Formen  zeigen  sich  meinem 
Blicke  nicht,  errette  mich,  beschiitze  stets  mich  wie  der  Vater 
•den  eigenen  Sohn! 

167.  (10442.)  Errette  mich,  rettungswert  bin  ich  dir,  Un- 
tadliger,  Verehrung  dir!  Du  erbarmst  dich  derer,  die  dich 
lieben,  o  Heiliger,  und  geliebt  habe  ich  dich  allezeit! 

168.  (10443.)  Der  vor  viel  tausend  Menschen  sich  bergend, 
schwer  sichtbar,  steht  am  Meeresrand,  der  sei  mein  Hiiter 
immerdar ! 

169.  (10444.)  Den  die  schlummerlosen,  atembezwingenden, 
im  Sattvam  stehenden,  die  Sinne  ziigelnden  Yogin's  als  Licht 
schauen,  ihm  als  der  Yogaseele  sei  Verehrung! 

170.  (10445.)  Dem  Schopftrager,  stets  Stabtrager,  mit 
Hangebauch  Verkorperten,  dem  der  Krug  an  der  Seite  hangt, 
ihm  als  der  Brahmanseele  sei  Verehrung! 

171.  (10446.)  Der  Wolken  in  den  Haupthaaren,  Strome  in 


Adhyaya  286  (B.  284  Fortsetzung).  531 

den  Gelenken  tragi,  in  dessen  Bauch  die  vier  Meere,  ihm  als 
der  Wasserseele  sei  Verehrung! 

172.  (10447.)  Der,  wenn  sich  naht  das  Weltende,  aller 
Wesen  Verschlinger  ist,  der  dann  ruht  auf  der  Wasser  Mitte, 
den  auf  den  Wassern  rufe  ich  an! 

173.  (10448.)  Der,  in  den  Mund  des  Rahu  eingehend,  den 
Soma  in  der  Nachtzeit  trinkt  [d.  h.  den  Mond  verschlingt] 
und  die  Sonne  einschluckt  als  Svarblianu  (Rahu),  der  moge 
mich  beschiitzen! 

174.  (10449.)  Die  als  Leibesfrucht  dir  entsprungenen  [Gotter], 
welche  ihren  Anteil  [am  Opfer]  geniefsen,  Verehrung  sei  ihnen, 
svadhd,  svdhd,  mogen  sie  erlangen,  was  sie  freut! 

175.  (10  450.)  Die,  welche  als  Purusha's,  zollhoch  an  Lange, 
im  Leibe  aller  Verkorperten  weilen,  die  mogen  mich  allezeit 
beschiitzen,  allezeit  mein  Gedeihen  fordern! 

176.  (10451.)  Die,  im  Korper  wohnend,  nicht  weinen,  aber 
die  Verkorperten  weinen  machen,  die  sie  froh  machen,  ohne 
selbst  froh  zu  sein,  diesen  [Rudra's]  sei  Verehrung  immerdar! 

177.  (10452.)  Sie,  die  in  Fliissen  und  Meeren,  in  Bergen 
und  Hohlen,  in  Baumwurzeln,  Kuhstallen,  in  der  Wildnis  und 
in  Dickichten, 

178.  (10453.)  auf  alien  vier  Wegen  [oben,  Vers  10389]  als 
ihren  Strafsen,  auf  Platzen  und  an  Abhangen,  in  den  Stal- 
lungen  fiir  Elefanten,  Pferde  und  Wagen,  in  alien  Garten 
und  Wohnungen, 

179.  (10454.)  und  was  die  fiinf  Elemente  sind,  in  den 
Gegenden  und  Zwischengegenden  weilen,  welche  mitten  in 
Mond  und  Sonne  und  ihren  Strahlen  zu  finden  sind, 

180.  (10455.)  die  sogar  in  die  Unterwelt  gedrungen  und 
ihm  [dem  Qiva,  Nil.]  zu  Ehren  zum  Hochsten  gelangt  sind  — 
Verehrung  ihnen,  Verehrung  ihnen,  Verehrung  ihnen  immerdar! 

181.  (10456.)  Sie,  deren  Zahl,  Grofse  und  Gestalt  nicht  ge- 
kannt  wird,  die  unzahlige  Geschicklichkeiten  besitzenden 
Rudra's,  diesen  sei  Verehrung  immerdar! 

182.  (10457.)  Da  du,  Hara,  ja  der  Schopfer  aller  Wesen, 
der  Herr  aller  Wesen,  die  Seele  aller  Wesen  bist,  darum 
wurdest  du  nicht  [noch  besonders]  geladen. 

34* 


532  ni.    Mokshadharma. 

183.  (10458.)  Weil  du  ja  ohnehin  durch  alle  Opfer  mit 
ihrem  mannigfachen  Opferlohn  verehrt  wirst,  denn  du  bist 
ja  der  Schopfer  des  Weltalls,  darum  wurdest  du  nicht  [noch 
besonders]  geladen. 

184.  (10459.)  Oder  auch  weil  ich  durch  deine  feine  Zauber- 
kraft,  o  Gott,  verblendet  war,  aus  diesem  Grande  vielleicht 
wurdest  du  nicht  [noch  besonders]  geladen. 

185.  (10460.)  Nimm  dich  meiner  gnadig  an  —  Heil  dir, 
o  Bhava!  —  der  ich  Gnade  bei  dir  gefunden!  Dir  ist  mein 
Herz,  o  Gott,  ergeben,  dir  mein  Geist  und  dir  mein  Sinn ! 

186.  (10461.)  Nachdem  der  Schopferherr  [Daksha]  mit  die- 
sen  Worten  den  Mahadeva  gepriesen  hatte,  schwieg  er ;  aber 
der  Heilige,  hocherfreut,  sprach  hingegen  zu  Daksha: 

187.  (10462.)  Sehr  erfreut  bin  ich,  o  Daksha,  durch  diesen 
Lobgesang,  o  Geliibdetreuer ;  wozu  langes  Reden,  du  sollst 
in  meiner  Nahe  bleiben. 

188.  (10463.)  Durch  meine  Gnade,  o  Schopferherr,  sollst 
du  der  Frucht  von  tausend  Rofsopfern  und  hundert  Vajapeya- 
Opfern  teilhaftig  werden. 

189.  (10464.)  Und  weiter  sprach  zu  ihm  Bhava,  der  Ober- 
herr  der  Welt,  das  Wort,  das  beruhigende  Wort,  er,  der 
Wortkenner,  das  nach  Worten  wohlabgewogene : 

190.  (10465.)  Daksha,  lieber  Daksha,  sei  nicht  hose  dar- 
iiber,  dafs  ich  dein  Opfer  storte,  ich  mufste  dein  Opfer  weg- 
reifsen,  das  war  von  altersher  vorgesehen. 

191.  (10466.)  Und  noch  ein  weiteres  Geschenk  verleihe  ich 
dir,  nimm  es  entgegen,  o  Geliibdetreuer,  mit  heiterem  An- 
gesichte,  vernimm  es  hier  mit  ungeteilter  Aufmerksamkeit. 

192.  (10467.)  Was  aus  dem  Veda  und  seinen  sechs  Anga's 
geschopft  und  durch  Griinde  aus  der  Reflexion slehre  (sdnkhyamj 
und  Verinnerlichungslehre  (yoga)  unterstiitzt  als  ein  grofses, 
schwer  zu  iibendes  Tapas  von  Gottern  und  Damonen  eifrig 
betrieben  worden  ist, 

193.  (10468.)  das  noch  nicht  dagewesene,  allbegliickende, 
allwartshinblickende ,  unvergangliche,  durch  eine  zehntagige 
Zeremonie  an  Jahre  gebundene,  geheimnisvolle,  von  Toren 
getadelte. 


Adhyaya  286  (B.  284  Fortsetzung).  533 

194.  (10469.)  mit  den  Pflichten  der  Kasten  und  Lebens- 
stadien  in  Widerspruch  stehende,  teilweise  auch  iiberein- 
stimmende,  von  Tiefdenkenden  bestatigte,  iiber  die  Lebens- 
stadien  erhabene  Geliibde 

195.  (10470.)  der  Pagupata's,  dieses  vortreffliche  ist  von 
mir  vor  Zeiten  geschaffen  worden,  o  Daksha.  Durch  die  Be- 
obachtung  dieses  Geliibdes  entsteht  daraus  allseitige  reiche 
Frucht, 

196.  (10471.)  und  sie  soil  dir  zuteil  werden,  o  Hochbegliick- 
ter,  lafs  den  Kummer  deines  Herzens  fahren !  So  sprach  Maha- 
deva,  und  mit  seiner  Gattin  und  seinem  Gefolge  (10472.)  ver- 
schwand  vor  dem  Daksha  der  unermefslich  Machtige. 

197.  Wer  nun  diesen  von  Daksha  gesprochenen  Lob- 
gesang  rezitiert  oder  anhort,  (10473.)  der  wird  in  kein  Ungliick 
geraten  und  ein  hohes  Alter  erreichen. 

198.  So  gewifs  unter  alien  Gottern  der  heilige  Qiva  der 
hochste  ist,  (10474.)  so  gewifs  ist  dieser  dem  Veda  gleich- 
kommende  Lobgesang  unter  alien  Lobgesangen  der  hochste. 

199.  Und  alle,  welche  nach  Ruhm,  Herrschaft,  Lust,  Gott- 
herrlichkeit ,  Angenehmem,  Niitzlichem  und  Reichtum  Ver- 
langen  tragen,  (10475.)  und  auch  die  nach  Wissenschaft  Trach- 
tenden  sollen  ihn  mit  frommem  Sinne  eifrig  anhoren. 

200.  Aber  der  Kranke,  Leidende,  Gedriickte,  Diebgepliin- 
derte,  Furchtgequalte,  (10476.)  Amtbelastete  wird  dadurch  von 
grofser  Furcht  befreit. 

201.  Und  schon  in  diesem  Leibe  gelangt  er  zum  gleichen 
Range  mit  ^iva's  Scharen,  (10477.)  und  von  Glanz  und  Ruhm 
umgeben,  lebt  er  in  Reinheit. 

202.  Nicht  Kobolde,  nicht  Unholde,  nicht  Geister  noch 
Gespenster  (10  478.)  konnen  das  Haus  dessen  in  Not  bringen, 
bei  dem  dieser  Lobgesang  rezitiert  wird. 

203.  Und  wenn  eine  dem  Gott  ergebene,  in  Brahman 
wandelnde  Frau  ihn  anhort,  (10479).  die  ist  von  seiten  des 
Vaters,  von  seiten  der  Mutter  gottgleich  zu  ehren. 

204.  Und  wer  den  ganzen  Lobgesang  anhort  oder  ihn 
mit  Hingebung  hersagt,  (i048o.)  dessen  samtliche  Geschafte 
gelingen  vollkommen  fort  und  fort. 

205.  Und  was  einer  im  Geiste  denkt  und  was  er  mit  der 


534  in.   Mokshadharma. 

Kede  ausspricht,  (i048i.)  das  wird  ihm  alles  zufallen  fiir  die 
Rezitation  dieses  Lobgesanges. 

206.  Nachdem  einer  dem  Gotte  Guha  (Skanda),  der 
Gottin  (Uma)  und  dem  Gebieter  des  Nandin  (Qiva)  (i0482.)  die 
wohlbereitete  Spende  dargebracht  hat  unter  Bezahmung  und 
Selbstbezwingung, 

207.  moge  er  sodann  mit  Hingebung  die  Namen  der  Reihe 
nach  schnell  hersagen ;  (10483.)  ein  solcher  Mensch  erlangt  die 
von  ihm  erhofften  Zwecke,  Geniisse  und  Freuden. 

208.  Und  ist  er  gestorben,  so  kommt  er  in  den  Himmel 
und  wird  nicht  als  ein  Tier  wiedergeboren.  (i0484.)  So  hat 
es  verkiindigt  der  heiHge  Vyasa,  des  Paragara  Sohn,  der 
Gewaltige. 

So  lautet  im  Moksbadbarma 
der  von  Saksba  rezitierte  Lobgesang  der  tausend  Namen  des  Qiva 

(Daksha  -prokta-(,'ie  asahasrandrita  •  staea). 


Adhyaya  287  (B.  285). 

Vers  10485-10531  (B.  1-46). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (10485.)  Was  hienieden  an  dem  Menschen  das  innere 
Selbst  {adhydtmamj  genannt  wird,  was  dieses  innere  Selbst 
ist  und  woher  es  stammt,  das  sage  mir,  o  Grofsvater. 

Bhlshma  sprach: 

2.  (10486.)  Das  hochste  Allwissen  der  Buddhi,  nach  welchem 
du  mich  befragst,  das  will  ich  dir,  o  Freund,  erklaren,  dessen 
Erklarung  vernimm  wie  folgt. 

3.  (10487.)  Erde,  Wind,  Ather,  Wasser  und  Feuer  als 
fiinftes,  diese  sind  als  die  grofsen  Elemente  der  Ursprung 
und  das  Ende  aller  Wesen. 

4.  (10488.)  Diese  Aggregation  ihrer  Eigenschaften  hier  bildet 
den  Leib,  o  Stier  der  Bharata's,  und  diese  Eigenschaften 
schwinden  fortwahrend  und  entstehen  wieder  neu. 

5.  (10489.)  Die  aus  ihnen  gebildeten  Lebenselemente  gehen 


Adhyaya  287  (B.  285).  535 

immer  wieder  und   wieder  aus  den  Wesen  in  jene   grofsen 
Elemente  zuriick,  wie  die  Wellen  im  Ozean. 

6.  (10490.)  Wie  eine  Schildkrote  ihre  Glieder  ausstreckt 
und  wieder  einzieht,  so  sind  die  kleineren  Wesen  [Entfal- 
tungen]  der  groberen  Wesen  [der  grofsen  Elemente]  (vgL 
Vers  8987,  S.  386). 

7.  (10491.)  Aus  dem  Ather  stammt,  was  [in  den  Korpern] 
an  Ton  vorhanden  ist,  ihre  Kompaktheit  ist  eine  von  der 
Erde  stammende  Eigenschaft,  aus  dem  Winde  stammt  ihr 
Odem,  aus  den  Wassern  ihr  Geschmack,  aus  dem  Feuer 
(Licht)  ihre  Sichtbarkeit. 

8.  (10492.)  So  besteht  aus  jenem  [Material]  alles  Unbeweg- 
liche  und  Bewegliche,  geht  bei  der  Vernichtung  in  dasselbe 
zuriick  und  wird  aus  ihm  wiederum  herausgesetzt. 

9.  (10493.)  Diefiinf  grofsen  Elemente  bestimmte  der Wesens- 
schopfer  in  alien  Wesen  zur  Objektivation,  je  nachdem  er  fiir 
das  eine  dieses,  fiir  das  andere  jenes  ersah. 

10.  (10494.)  Der  Ton,  das  Gehor  und  die  Hohlraume,  diese 
drei  stammen  aus  dem  Ather;  Geschmack,  Feuchtigkeit  und 
Zunge,  diese  gelten  als  die  Eigenschaften  des  Wassers  (vgl. 
Vers  8982  fg.); 

11.  (10495).  Sichtbarkeit,  Auge  und  Verdauung,  diese  drei 
gehoren  zum  Feuer;  Geruch,  Geruchssinn  und  Korperlichkeit 
gelten  als  Eigenschaften  der  Erde. 

12.  (10496.)  Odem,  Gefiihl  und  Bewegung  sind  Eigen- 
schaften, die  aus  dem  Winde  stammen;  damit  ist  bewiesen, 
o  Konig,  dafs  alle  Eigenschaften  [der  Wesen]  von  den  fiinf 
Elementen  herriihren. 

13.  (10497.)  Sattvam,  Rajas  und  Tamas,  die  Zeit,  das  be- 
wufste  Tun,  o  Bharata,  und  das  Manas  als  sechstes,  diese 
hat  der  Gott  in  jene  [Wesen]  gelegt. 

14.  (10498.)  Was  du  oberhalb  der  Fufssohlen  und  unter- 
halb  des  Scheitels  siehst,  in  diesem  Zwischenraume  waltet 
ungeteilt  die  Buddhi  (vgl.  Vers  8988). 

15.  (10499.)  Fiinf  Sinne  gibt  es  im  Menschen,  als  sechster 
gilt  das  Manas,  der  siebente  ist  die  Buddhi  und  der  Kshe- 
trajfia  endHch  ist  der  achte  (vgl.  Vers  899o). 


536  in.    Mokshadharma. 

16.  (10500.)  Die  Sinnesorgane  und  der  Tater  mussen  im 
einzelnen  betrachtet  werden,  ferner  sind  da  Tamas,  Rajas 
und  Sattvam,  sie  sind  Zust^nde,  welche  auf  jenen,  den  Sinnen 
und  dem  Tater,  beruhen. 

17.  (10501.)  Das  Auge  dient  zum  Sehen,  das  Manas  er- 
hebt  den  Zweifel,  die  Buddhi  entscheidet  ihn  und  der  Kshe- 
trajfia  ist  dabei  Zuschauer  {sdkshivj  (=  Vers  899i). 

18.  (10502.)  Ferner  sind  da  Tamas,  Sattvam  und  Rajas 
sowie  die  Zeit  und  der  Tater;  die  Buddhi  fiihrt  die  Eigen- 
schaften  [gundn  mit  Vers  8989  zu  lesen]  an,  und  sie  fiihrt  auch 
die  Sinnesorgane  (10  503.)  samtlich  mit  dem  Manas  als  sechstem 
an ;  gabe  es  keine  Buddhi ,  wie  konnten  die  Eigenschaften 
bestehen  ? 

19.  Das,  womit  sie  sieht,  ist  das  Auge,  horend  wird  sie 
Gehor  genannt,  (io504.)  riechend  wird  sie  zum  Geruche,  die 
Geschmacke  schmeckend  zum  Geschmacksorgan, 

20.  die  Gefiihle  fiihlend  [spargati,  die  Parallelstelle  Vers  9002 
hat  sprigat/]  wird  sie  zum  Gefiihlssinn ;  so  wird  die  Buddhi 
mannigfach  umgewandelt;  (io.o05.)  wenn  sie  irgend  etwas 
wiinscht,  dann  wird  sie  zum  Manas. 

21.  Standorte  der  Buddhi  sind  gesondert  von  fiinferlei 
Art,  (10506.)  Sinnesorgane  werden  sie  genannt,  und  wenn  sie 
leiden,  so  leidet  die  Buddhi  mit  ihnen. 

22.  Im  Menschen  weilt  die  Buddhi  und  bewegt  sich  in 
drei  Zustanden  [entsprechend  den  drei  Guna's],  (10507.)  manch- 
mal  empfmdet  sie  Freude,  manchmal  leidet  sie  Schmerz, 

23.  und  manchmal  fiihlt  sie  weder  Lust  noch  Schmerz; 
(10508.)  ihrem  Wesen  nach  aus  den  Zustanden  bestehend,  be- 
wegt sie  sich  in  diesen  drei  Zustanden. 

24.  So  wie  der  wellenreiche  Herr  der  Strome,  der  Ozean, 
sein  Ufer  [hat],  (10509.)  so  wird  die  in  die  Zustande  einge- 
gangene  Buddhi  in  dem  betreffenden  Zustande,  [z.  B.]  dem 
Manas,  befafst, 

25.  und  wegen  dieses  Zustandes  gibt  sie  auch  dem  etwa 
aufkommenden  Rajas  (der  Leidenschaft)  nach.  (10510.)  Freude, 
Zufriedenheit ,  Wonne,  Behagen  und  Gemiitsruhe 

26.  treten  gelegentlich  im  Menschen   zutage  als  Eigen- 


Adhyaya  287  (B.  285).  537 

schaften  des  Sattvam.     (losii.)  Qual,  Kummer,  Schmerz,  Un- 
befriedigtheit  und  Ungeduld 

27.  zeigen  sich  als  Symptome  des  Rajas  mit  oder  ohne 
Veranlassung.  (10512.)  Nichtwissen ,  Gleichgiiltigkeit  fardgaj, 
Verblendung,  Unbesonnenheit ,  Starrheit,  Scheu, 

28.  Unbeholfenheit,  Verdrossenheit,  Verworrenheit,  Schlaf- 
rigkeit  und  Tragheit  (10 513.)  treten  als  mancherlei  Eigenschaf- 
ten  des  Tamas  gelegentlich  zutage. 

29.  Wenn  nun  im  Korper  oder  Geist  etwas  auftritt,  was 
mit  Lust  verbunden  ist,  (10  514.)  so  soil  man  denken,  dafs  darin 
d.er  sattvahafte  Zustand  sich  regt,  und  dariiber  weggehen. 

30.  Ist  aber  etwas  mit  Schmerz  verbunden  und  erregt 
das  Unbehagen  des  Atman,  (I05i5.)  so  soil  man  denken,  dafs 
das  Rajas  darin  tatig  ist,  und  sich  nicht  hinreifsen  lassen. 

31.  Was  aber  im  Korper  oder  Geist  an  Verblendungs- 
artigera  sich  zeigt,  (10516.)  an  Besinnungslosem,  Erkenntnis- 
losem,  davon  sei  man  sicher,  dafs  es  Tamas  ist. 

32.  In  dieser  Weise  alle  Wege  der  Buddhi,  wie  sie  hier 
ihrem  ganzen  Umfange  nach  erklart  worden  sind,  (10517.)  dies 
alles  verstanden  habend,  ist  man  ein  Verstandiger ;  welches 
andere  Kennzeichen  des  Verstandigen  konnte  es  geben! 

33.  Und  dieses  sollst  du  begreifen  als  den  Unterschied 
zwischen  Sattvam  und  Kshetrajna,  den  schwer  unterscheid- 
baren:  (i05i8.)  das  eine  schafft  die  Eigen schaften,  der  andere 
schafft  sie  nicht. 

34.  Von  Natur  sind  beide  verschieden  und  doch  jeder- 
zeit  verbunden,  (io5i9.)  ahnlich  wie  der  Fisch  vom  Wasser 
verschieden  und  doch  an  dasselbe  gebunden  ist. 

35.  Die  Guna's  kennen  den  Atman  nicht,  er  aber  kennt 
die  Guna's  von  aUen  Seiten,  (10520.)  er  ist  aber  nur  ein  Be- 
schauer  der  Guna's,  wahrend  man  ihn  fur  ihren  Schopfer  halt. 

36.  Das  Sattvam  [als  Bestandteil  der  Prakriti]  hat  keinen 
andern  tragenden  Grund,  aber  das  Bewufstsein  fcetand  hier 
=  huddhij  besteht  nur  durch  eine  Schopfung  der  Guna's; 
(10521.)  andere  [die  Guna's]  sind  es,  welche  ihm  [dem  Men- 
schenj  das  Sattvam  anerschaffen ;  als  die  Guna's  erkennt  er 
sie  nur  zuweilen. 


538  in.    Mokshadharma. 

37.  Denn  das  Sattvam  zieht  [auch  wiederum]  die  Guna's 
[Rajas  und  Tamas]  herbei,  der  Kshetrajna  aber  ist  blofser 
Zuschauer.  (1052-2.)  Diese  Verbindung  beider,  des  Sattvam  und 
des  Kshetrajna,  ist  eine  dauernde. 

38.  Die  im  Innern  weilende  Buddhi  aber  wird  erst  zum 
Leuchten  gebracht  durch  die  Sinnesorgane,  (10523.)  welche 
selbst  ohne  Augen,  ohne  Erkenntnis  sind;  die  Indriya's  sind 
wie  eine  [nicht  sehende,  aber  das  Sehen  vermittelnde]  Lampe. 

39.  Dieses  so  als  die  Naturbeschaffenheit  erkennend, 
moge  der  Mensch  hinleben  [viharet  mit  C),  (10524.)  ohne  zu 
klagen  und  ohne  sich  zu  freuen,  dann  wird  er  frei  von  Selbst- 
sucht  sein. 

40.  Durch  die  Naturnotwendigkeit  ist  es  bedingt,  dafs 
er  [der  Atman]  diese  Guna's  aus  sich  entlafst,  (10525.)  wie  die 
Spinne  ihren  Faden;  die  Guna's  sind  als  die  Faden  zu  be- 
trachten. 

41.  Sind  die  Guna's  einmal  abgeschiittelt,  so  kommen 
sie  nicht  wieder  zum  Vorschein,  sei  es,  dafs  ihre  Betatigung 
nicht  mehr  wahrgenommen  wird,  (10526.)  wie  einige  annehmen, 
sei  es,  dafs  sie  zunichte  werden,  wie  andere  glauben. 

42.  In  dieser  Weise  von  dem  allem  als  dem  starken,  aus 
den  Sorgen  der  Buddhi  geschiirzten  Herzensknoten  (10527.)  sich 
freimachend,  moge  man  zufrieden  dasitzen  ohne  Kummer  und 
befreit  vom  Zweifel. 

43.  Aber  die  Menschen  ermatten,  indem  sie  zu  Boden 
stiirzen  und  in  dem  von  Verblendung  erfiillten  Strom  ver- 
sinken  (10528.)  als  solche,  welche  die  aus  Hingebung  an  die 
Buddhi  bestehende  Furt  nicht  finden  konnen. 

44.  Nicht  aber  ermatten  solchermafsen  die  Wissenden, 
sondern  sie  fahren  zum  andern  Ufer  des  Stromes  hiniiber 
(10529.)  als  den  innern  Atman  kennende  Weise;  Erkenntnis  ist 
das  beste  Schiff. 

45.  (10530.)  Den  Wissenden  droht  nicht  die  grofse 
Furcht,  die  die  Nicht -Wissenden  befangt,  keinen  hohern 
Weg  gibt  es  fiir  irgendwen   als  diesen,  welcher  ein  fiir 

•    allemal  die  ewige  Gleichheit  enthalt. 

46.  (10  531.)  Mag  er  nun  viele  Siinden  begangen  haben 
Oder  mag  er  aus  dem  Einen  [der  Erkenntnis,  Nil.]  her- 


Adhyaya  287  (B.  285).  539 

aus  verwerfen,  was  er  vordem  getan  hat,  —  beides  nimmt 
er  sich  nicht  mehr  zu  Herzen,  was  er  verwirft  und  was 
er  getan  hat  (vgl.  Brih.  Up.  4,4,22). 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Abschnitt  von  den  fttnf  Elementen 
(pdncabhautikam). 


Adhyaya  288  (B.  286). 

Vers  10532-10552  (B.  1-21). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (10532.)  Vor  schhmmem  Schmerz,  vor  schlimmem  Tode 
zittern  die  Menschen  immerfort.  Wie  konnen  wir  den  heiden 
entgehen?    Das  sage  mir,  o  Grofsvater. 

Bhishma  sprach: 

2.  (10  533.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namHch  die  Unterredung  des  Narada  mit  dem 
Samaiiga,  o  Bharata. 

Mrada  sprach: 

3.  (10534.)  Du  mufst  dich  beugen,  dafs  deine  Brust  die 
Erde  beriihrt,  und  doch  bist  du  wie  einer,  der  mit  der  Kraft 
seiner  Arme  durch  den  Strom  schwimmt,  und  allezeit  er- 
scheinst  du  frohlichen  Geistes,  als  kenntest  du  gar  keinen 
Kummer. 

4.  (10535.)  Auch  nicht  die  kleinste  Aufregung  bemerke 
ich  an  dir;  immer  zufrieden  und  dir  selbst  genug,  lebst  du 
hin  wie  ein  Kind. 

Samafiga  sprach: 

5.  (10  536.)  Vergangen,  gegenwartig  und  zukiinftig  ist  alles, 
was  wir  kennen,  o  Ehrerbietiger ;  ich  aber  weifs,  was  es  mit 
dem  allem  auf  sich  hat,  darum  gerate  ich  nicht  aus  der  Fassung. 

6.  (10537.)  Ich  kenne  die  Anfange  und  auch  die  daraus 
hervorgehenden  Friichte,  weifs,  dafs  es  allerlei  Friichte  in 
dieser  Welt  gibt,  darum  gerate  ich  nicht  aus  der  Fassung. 


540  ni.   Mokshadharma. 

7.  (10538.)  Manche  leben  so  dahin,  ohne  festen  Boden, 
ohne  Fufs  zu  fassen,  sich  vom  Strome  treiben  lassend,  wie 
Blinde  und  Stumpfsinnige,  und,  siehst  du,  so  leben  auch  wir. 

8.  (10539.)  Es  leben  von  ihrem  beschiedenen  Teil,  frei 
von  Krankheit,  die  Himmelsbewohner,  es  leben  Starke  und 
Schwache,  darum  lafs  auch  uns  gewahren. 

9.  (10  540.)  Es  leben  solche,  die  Tausende  besitzen,  und 
solche,  die  Hunderte  besitzen,  und  wieder  andere  leben  in 
ihrem  Kummer  dahin,  und,  siehst  du,  so  leben  auch  wir. 

10.  (10541.)  Wenn  wir  nur  keinen  Kummer  haben,  was 
brauchen  wir  uns  dann  weiter  an  Pflichten  und  an  Werke 
zu  kehren,  und  da  die  Freuden  der  Verganglichkeit  unter- 
worfen  sind,  und  da  es  ebenso  mit  den  Leiden  steht,  so 
konnen  sie  uns  nichts  anhaben. 

11.  (10542.)  Diesem  stimmen  die  weisen  Menschen  zu: 
die  Wurzel  der  Weisheit  ist  die  Beruhigung  der  Sinne. 
Nur  die  Sinnesorgane  sind  betort  und  bekiimmert,  und 
wer  sich  von  ihnen  betoren  lafst,  kann  die  Weisheit 
nicht  erlangen. 

12.  (10543.)  Betort  ist,  wer  hochmiitig  ist,  der  Hoch- 
mut  eben  ist  die  Betorung,  der  Betorte  gewinnt  nicht 
diese  und  nicht  jene  Welt;  die  Leiden  dauern  ja  auch 
nicht  ewig,  und  auch  die  Lust  lafst  sich  nicht  fiir  immer 
festhalten. 

13.  (10544.)  Alles,  was  werdeartig  ist,  ist  der  Ver- 
anderung  unterworfen.  Wer  es  macht  wie  ich,  wird  sich 
niemals  darum  harmen,  er  wird  sich  nicht  erwiinschten 
Geniissen  oder  der  Lust  hingeben  und  wird  sich  auch 
nichts  daraus  machen,  wenn  ein  Leiden  ihn  trifft. 

14.  (10545.)  In  sich  gesam melt,  beneide  er  keinen  andern 
und  juble  nicht  einem  zukiinftigen  Gewinne  zu;  auch 
wenn  ihm  ein  grofser  Gewinn  zuf allt,  freue  er  sich  nicht, 
und  wenn  sein  Besitz  zerrinnt,  verzage  er  nicht. 

15.  (10  546.)  Nicht  Verwandte,  nicht  Reichtum,  nicht 
hohe  Geburt,  nicht  Schriftgelehrsamkeit,  heilige  Spriiche 
und  Heldenkraft,  alle  diese  vermogen  nicht  vor  Leid  im 
Jenseits  zu  bewahren,  aber  durch  Charakterfestigkeit 
kommt  man  zur  Ruhe. 


Adhyaya  288  (B.  286).  541 

16.  (10547.)  Wer  nicht  Hingebung  iibt,  kommt  nicht  zur 
Erkenntnis,  wer  nicht  Hingebung  iibt,  kommt  nicht  zum 
Gliick;  Charakterfestigkeit  und  Erhabenheit  iiber  das  Leid, 
diese  beiden  fiihren  zum  Gliicke,  o  Fiirst. 

17.  (10548.)  Denn  das  Angenehme  erzeugt  Freude,  Freude 
erzeugt  Ubermut,  Ubermut  aber  fiihrt  zur  Holle,  darum  halte 
ich  mich  von  dem  allem  fern. 

18.  (10  549.)  Diese  Kummer,  Furcht  und  Ubermut  nach 
sich  ziehenden  Verblendungen  der  Lust  und  des  Schmerzes 
in  der  Welt  betrachte  ich  wis  ein  Zuschauer,  da  es  nur  dieser 
Korper  ist,  der  sich  in  ihnen  bewegt. 

19.  (10550.)  Das  Niitzhche  und  das  Angenehme  dahinten- 
lassend,  von  Kummer  und  von  Aufregung  frei,  Durst  ftrishndj 
und  Verblendung  iiber windend,wandle  ich  durch  diese  Welt  hin. 

20.  (10551.)  Nicht  vor  dem  Tode,  nicht  vor  der  Ungerech- 
tigkeit,  nicht  vor  der  Habgier,  nicht  vor  sonst  irgend  etwas 
fiirclitet  sich  jemals  hier  oder  im  Jenseits,  wer  das  Amritam 
[dieser  Erkenntnis]  getrunken  hat. 

21.  (105B2.)  Das  ist  es,  was  ich,  o  Brahmane,  erkenne, 
nachdem  ich  grolses,  ewiges  Tapas  geiibt  habe,  und  darum, 
o  Narada,  kann  der  Schmerz,  auch  wenn  er  an  mich  heran- 
tritt,  mich  nicht  iiberwaltigen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Samaiiga  und  N&rada 
(Samanga  -  Ndrada  -  samvdda). 


Adhyaya  289  (B.  ^87). 

Vers  10553-10611  (B.  1-59). 
Yiidhishthira  sprach: 

1.  (10553.)  Wer  die  Wahrheit  aus  den  Lehrbiichern  nicht 
erkennt,  allezeit  in  Zweifel  befangen  bleibt  und  nicht  zur 
Entschiedenheit  durchdringt,  wie  ist  dem  zu  helfen  ?  Das  sage, 
o  Grofsvater. 

Bhishma  sprach : 

2.  (10  554.)  In  der  unablassigen  Achtung  vor  dem  Lehrer, 
in  der  Verehrung  der  Alton  und  in  dem  Anhoren  der  Lehr- 
biicher  liegt  das  hochste  HeO. 


542  HI.    Mokshadharma. 

3.  (10  555.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Unterredung  des  Galava  mit  dem 
Gotterweisen  Narada. 

4.  (10556.)  Zu  dem  von  Betorung  und  Schlaffheit  freien 
Brahmanen,  dem  erkenntnisgesattigten,  sein  Selbst  bezahmen- 
den  Narada,  sprach  der  seine  Sinne  beherrschende  und  nach 
dem  Heile  trachtende  Galava: 

5.  (10557.)  Die  Tugenden,  durch  welche  ein  Mensch  in 
der  Welt  geehrt  dasteht,  o  Muni,  alle  einem  solchen  wesent- 
lichen  Tugenden  lafs  uns  einmal  feststellen. 

6.  (10558.)  Du,  der  du  ein  solcher  bist,  sollst  unsere 
Zweifel  losen,  du,  der  Nicht-Betorte ,  uns,  den  lange  in  der 
Betorung  Befangenen  und  das  Wesen  der  Welt  nicht  Er- 
kennenden. 

7.  (10559.)  Denn  durch  die  Erkenntnis  ist  das  Gelingen 
aller  Aufgaben  ohne  Unterschied  bedingt,  und  diese  Aufgabe, 
die  wir  nicht  zu  losen  vermogen,  sollst  du,  o  Herr,  uns  er- 
klaren. 

8.  (10560.)  0  Heiliger,  alle  Lebensrichtungen  fdgramaj 
haben  iiber  den  guten  Wandel  ihre  besonderen  Ansichten. 
„Das  ist  das  Kichtige!"  „Das  ist  das  Kichtige!"  so  werden 
alle  ihre  Anhanger  belehrt. 

9.  (10561.)  Wenn  wir  nun,  o  Brahmane,  sie  sehen,  wie  sie 
einander  gegeniiberstehen  mit  ihren  Lehrbiichern ,  auf  ihre 
Lehrbiicher  pochend  und  an  ihren  Lehrbiichern  ihr  Geniige 
findend  [paritushtdns  mit  C],  so  wissen  wir  nicht,  was  das 
Kichtige  ist. 

10.  (10562.)  Wenn  es  nur  ein  einziges  Lehrbuch  gabe,  dann 
ware  das  Kichtige  klar,  aber  durch  die  vielen  Lehrbiicher 
wird  das  Kichtige  nur  noch  mehr  ins  Dunkel  geriickt. 

11.  (10563.)  Aus  diesem  Grunde  tritt  mir  eine  Verwirrung 
entgegen  iiber  das,  was  das  Kechte  ist.  Das  mogest  du, 
0  Heiliger,  mir  erklaren,  als  Schiiler  komme  ich,  belehre  mich. 

Na,rada  sprach: 

12.  (10564.)  Es  gibt,  o  Freund,  vier  Lebensrichtungen 
[Materialismus ,  Buddhismus,  brahmanischer  Opferkultus  und 
Atmanlehre,  nach  Nil.],  die  ihre  besonderen  entsprechenden 


Adhyaya  289  (B.  287).  543 

Satzungen  haben;  die   mufst  du  alle  priifen,  indem  du  auf 
sie  eingehst,  o  Galava. 

13.  (10565.)  Bei  alien  diesen  hier  und  dort  verbreiteten 
Lebensrichtungen  mufst  du,  o  Brahmane,  ihre  vielgestaltige 
Tugendlehre,  wie  sie  in  jeder  einzelnen  aufgestellt  wird,  in 
Erwagung  ziehen. 

14.  (10566.)  Es  ist  kein  Zweifel,  dafs  einige  die  Absicht 
nicht  vollkommen  erreichen,  andere  hingegen  das  hochste 
Ziel  der  Lebensrichtungen  erkannt  haben. 

15.  (10567.)  Freilich  dasjenige,  was  in  jedem  Falle  das 
Beste  ist,  das  ist  keinem  Zweifel  unterworfen,  namlich  dafs 
man  seinen  Freunden  hilfreich  beisteht  und  seine  Feinde 
niederhalt. 

16.  (10568.)  Ferner  erklaren  die  Weisen  die  Gewinnung 
der  Dreischar  [des  Angenehmen,  Niitzlichen  und  Guten]  fiir 
das  Beste,  und  audi  Enthaltung  von  allem  Bosen  ist  jeder- 
zeit  das  Zeichen  eines  lauteren  Charakters. 

17.  (10  569.)  Unzweifelhaft  recht  ist  auch  Umgang  mit 
guten  Menschen,  Mitleid  mit  alien  Wesen  und  Kechtschaffen- 
heit  in  Handel  und  Wandel. 

18.  (10570.)  Unzweifelhaft  heilbringend  ist  auch  milde  Rede 
und  gerechte  Zuteilung  an  Gotter  und  Manen,  sowie  auch 
bei  Gasten. 

19.  (10  571.)  Unzweifelhaft  gut  ist  es  auch,  seine  Leute 
nicht  im  Stiche  zu  lassen  und  die  Wahrheit  zu  reden,  schwer 
aber  ist  es,  die  Wahrheit  zu  erkennen. 

20.  (10  572.)  Fiir  die  Wahrheit  aber  erklare  ich  dasjenige, 
was  fiir  die  Wesen  das  schlechterdings  Beste  ist.  Aufgebung 
der  Selbstsucht,  Vermeidung  der  Unbesonnenheit, 

21.  (10  573.)  Zufriedenheit  und  Zuriickgezogenheit  gelten 
fiir  das  Allerbeste.  Vorschriftsmafsiges  Studium  des  Veda 
und  der  Vedantatexte 

22.  (10574.)  und  auf  die  Erkenntnis  abzweckende  Forschung 
sind  unzweifelhaft  gut  zu  nennen.  Tone,  Gestalten,  Ge- 
schmacke,  Gefiihle  und  Geriiche  um  ihrer  selbst  willen 

23.  (10  575.)  soil  man  nicht  allzusehr  erstreben,  wenn  man 
irgendwie  nach  dem  Guten  Verlangen  tragt. 

24.  Nachts  umherstreichen,  bei  Tage  schlafen,  Tragheit, 


544  III.   Mokshadharma. 

Angeberei,  Trunksucht,  (i0576.)  Ubertreiben  und  Unterlassen 
des  Yoga  soil  vermeiden,  wer  nach  dem  Guten  strebt. 

25.  Man  soil  nicht  suchen,  sich  dadurch  zu  heben,  dafs 
man  andere  herabsetzt,  (10577.)  sondern  soil  bestrebt  sein,  sich 
durch  eigene  Vorziige  vor  dem  gemeinen  Manne  auszuzeichnen. 

26.  Aber  es  kommt  oft  vor,  dafs  tugendlose,  aber  von 
sich  selbst  eingenommene  Menschen  (10  578.)  andern  tugend- 
haften  ihre  Fehler  vorwerfen,  weil  ihnen  selbst  diese  Tugen- 
den  fehlen. 

27.  Aber,  indem  sie  Beifall  fmden,  glauben  sie  sich 
[many ante  mit  C]  einem  grofsen  Manne  (10579.)  iiberlegen, 
von  Selbstiiberhebung  geblaht. 

28.  Wer  aber  keinen  Tadel  gegen  jemand  aufsert  und 
sich  nicht  darin  gefallt,  seine  eigene  Ehre  ins  Licht  zu  stellen^ 
(10580.)  ein  solcher  Weiser,  wenn  er  reich  an  Tugenden  ist, 
gelangt  zu  grofsem  Ruhme. 

29.  Ohne  von  sich  zu  reden,  streicht  der  reine  Duft  der 
Blumen  dahin,  (io58i.)  und  ohne  sich  zu  riihmen,  glanzt  die 
wolkenlose  Sonne  am  Himmel. 

30.  Diese  und  andere  [Naturerscheinungen] ,  welche  des 
Bewufstseins  ermangeln  (10  582.)  und  nicht  von  sich  reden 
machen,  erglanzen  herrlich  in  der  Welt. 

31.  Der  Tor  wird  nicht  darum  schon  in  der  Welt  glanzen, 
weil  er  sich  selbst  riihmt,  (10  583.)  aber  der  Weise  glanzt  her- 
vor,  auch  wenn  er  in  einer  Hohle  verborgen  ist. 

32.  Auch  der  laut  erschallende  Ton  fallt  in  das  Nichts 
zuriick,  (10 584.)  aber  das  gute  Wort,  auch  wenn  es  leise  ge- 
sprochen  wurde,  leuchtet  durch  die  Welt. 

.  33.  Das  leere  Geschwatz  hochmiitiger  Toren  (10  585.)  offen- 
bart  ihr  inneres  Wesen  so  deutlich,  wie  die  Sonne  ihre  feurige 
Gestalt. 

34.  Darum  trachten  die  Menschen  nach  allerlei  Wissen, 
(10586.)  denn  Wissen  zu  erlangen  scheint  mir  das  Hochste  zu 
sein,  was  die  Wesen  erreichen  konnen. 

35.  Ungefragt  soil  man  niemandem  antworten  und  auch 
nicht,  wenn  man  ungehorig  gefragt  wird;  (10 .587.)  der  Weise 
bleibt  in  einem  solchen  Falle,  auch  wenn  er  die  Sache  kennt, 
ruhig  sitzen,  wie  ein  Dummer. 


Adhyaya  289  (B.  287).  545 

36.  Darum  soil  man  sich  eine  Wohnung  ersehen  unter 
pflichttreuen,  edlen,  (10588.)  freigebigen  Menschen,  die  an  ihrer 
Pflicht  ihr  Geniige  finden. 

37.  Aber  wo  eine  Vermengung  der  Pflichten  der  vier 
Kasten  besteht,  (lossg.)  da  soil  einer  unter  keinen  Umstanden 
Wohnung  nehmen,  wenn  er  nach  dem  Heile  strebt. 

38.  Ohne  sich  in  Unternehmungen  zu  stiirzen,  moge  er 
hienieden  leben  zufrieden  mit  dem,  was  ihm  beschieden  ist, 
(10900.)  Wer  mit  Reinen  umgeht,  wird  ihrer  fleckenlosen  Rein- 
heit,  wer  mit  Bosen,  ihres  Bosen  teilhaftig  werden. 

39.  Wie  man  die  Beriihrung  durch  einen  Wassertropfen 
oder  einen  Feuerfunken  empfindet,  (i0  59i.)  so  merken  wir  es, 
wenn  wir  von  beidem,  dem  Guten  oder  Bosen,  beriihrt 
werden. 

40.  Ohne  darauf  zu  sehen,  was  sich  als  Nahrung  ihm 
darbietet,  geniefst  sie  [der  Weise]  und  begniigt  sich  auch 
mit  Uberbleibseln ,  (10592.)  wer  aber  nur  geniefst,  was  ihm 
selbst  genehm  ist,  der  bleibt  im  Genusse  [der  Frucht]  seiner 
Werke  befangen,  das  sollst  du  wissen. 

41.  Wo  nur  unter  solchen,  welche  lernen  mochten,  aber 
unehrerbietig  fragen,  (10593.)  ein  Brahmane  das  Gesetz  lehren 
konnte,  da  soil  der  Atmanhafte  aus  der  Gegend  entweichen. 

42.  Wo  aber  das  Verhaltnis  zwischen  Schiiler  und  Lehrer 
ein  wohlgeordnetes  ist,  (10594.)  ein  geziemendes,  dem  Kanon 
gemafses,  wer  mochte  wohl  gem  einen  solchen  Ort  ver- 
lassen  ? 

43.  Wo  man  mit  Zuversicht  gegen  einen  weisen  Mann 
aus  der  Luft  gegriffene  Beschuldigungen  [mit  C]  erhebt, 
(10595.)  welcher  Gelehrte,  der  auf  die  Ehre  seines  Selbstes  halt, 
mochte  da  wohnen  bleiben! 

44.  Wo  es  Brauch  ist,  dafs  die  Damme  der  Pflicht  von 
Knechten  der  Lust  durchbrochen  werden,  (10596.)  wer  mochte 
einen  solchen  Ort  nicht  fliehen,  wie  ein  Kleid,  welches  Feuer 
gefangen  hat! 

45.  Wo  aber  die  Menschen,  frei  von  Selbstsucht,  ohne 
Zaudern  ihrer  Pflicht  nachleben,  (10  597.)  da  mag  man  unter 
Pflichteifrigen  und  Edlen  weilen  und  wohnen. 

Bbubbek,    Mah&bhAratam.  35 


546  in.    Mokshadharma. 

46.  Wo  aber  die  Menschen  die  Pflicht  nur  um  ihres  Vor- 
teils  willen  betreiben,  (i0  598.)  bei  solchen  Bosewichtern  soil 
man  nun  und  nimmer  verweilen. 

47.  Wo  lebenslustigeLeutebose  Werke  treiben,  (10599.)  da 
soil  man  schleunigst  davonlaufen,  als  wenn  man  sich  vor 
einer  Schlange  fliichtete. 

48.  Ein  Werk,  infolgedessen  man  auf  dem  Sterbelager 
Eeue  empfindet,  (10600.)  das  soil  man  von  vornherein  nicht 
unternehmen,  wenn  man  sich  selbst  Gedeihen  wiinscht. 

49.  Wo  auch  nur  der  Konig  und  die  seinem  Throne 
nahestehenden  Manner  (10601.)  eher  speisen  als  ihre  Ange- 
horigen,  ein  solches  Konigreich  moge  der  Atmanhafte  meiden. 

50.  Wo  aber  zuerst  diejenigen  gespeist  werden,  welche 
schriftkundig,  pflichttreu,  bestandig  sind  (10602.)  und  sich  mit 
Opfern  und  Lehren  befassen,  ein  solches  Reich  soil  man  be- 
wohnen. 

51.  Wo  die  Opferrufe  svdhd,  svadhd,  vashat  richtig  an- 
gewendet  werden  (10603.)  und  unermiidlich  im  Schwange  sind, 
da  soil  man  unbedenklich  wohnen. 

52.  Wo  man  unlautere,  durch  Golderwerb  sich  erniedri- 
gende  Brahmanen  sieht,  (10604.)  ein  solches  Reich  soil  man 
meiden,  wie  einen  nahen,  vorgehaltenen  Koder. 

53.  Aber  wo  liebe  Menschen  ungebeten  das  Notige  dar- 
reichen,  (10605.)  da  mag  man  unentwegten  Geistes  wohnen, 
wie  ein  Atmanhafter,  der  sein  Ziel  erreicht  hat. 

54.  Wo  es  Strafe  fiir  die  Ungehorsamen  und  Ehrung  fiir 
die  in  ihrem  Geiste  Bereiteten  gibt,  (106O6.)  da  mag  man  unter 
Pflichteifrigen  und  Edlen  wandeln  und  wohnen. 

55.  Wo  solche,  die  den  Bescheidenen  liberwaltigen  und 
den  Guten  mifshandeln,  (10607.)  wo  solche  Ziigellose,  Begehr- 
liche  von  schwerer  Strafe  getroffen  werden, 

56.  wo  ein  pflichttreuer  Konig  sein  Reich  durch  Ge- 
rechtigkeit  beschiitzt,  (106O8.)  wo  er  die  Liiste  von  sich  ab- 
weist  und  Herr  seiner  Begierden  ist,  da  moge  man  unbedenk- 
lich wohnen, 

57.  da,  wo  ihrem  Charakter  Ehre  machende  Konige  alle 
in  ihrem  Bezirk  Wohnende  (10  609.)  schnell  zur  Wohlfahrt 
fiihren  und  wo  die  Wohlfahrt  ringsumher  gedeiht. 


Adhy^ya  289  (B.  287).  547 

58.  Damit  habe  ich  dir,  o,  Freund,  auf  deine  Frage  das 
was  das  Richtige  ist,  dargelegt,  (loeio.)  denn  was  zum  Heil 
der  Seele  dient,  das  lafst  sich  nicht  so  in  summarischer 
Weise  darlegen. 

59.  Wer  aber  mit  hingegebenem  Geiste  diese  Lebens- 
fiihrung  sich  zu  eigen  macht,  (loeii.)  dem  wird  durch  ein 
solches  Tapas  hienieden  vielfaches  Heil  erscheinen  und  zu- 
teil  werden. 

So  lautet  im  Mokehadharma  die  Erkl&rung  des  Heils 
(qreyo  -  vdcikam). 


Adhyaya  390  (B.  388). 
Vers  10612-10658  (B.  1-47). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (10612.)  Wie  mufs,  wenn  er  recht  leben  will,  ein  Fiirst 
wie  ich  auf  Erden  wandeln,  und  welches  sind  die  Tugenden, 
durch  deren  Besitz  er  erlost  wird  von  den  Fesseln  der  Welt- 
anhanglichkeit  ? 

Bhishma  sprach: 

2.  (10  613. J  Dariiber  will  ich  dir  eine  alte  Erzahlung  iiber- 
liefern,  namlich  was  von  Arishtanemi  dem  ihn  befragenden 
Sagara  geantwortet  wurde. 

Sagara  sprach: 

3.  (10  614.)  Welches  hochste  Gut,  o  Brahmane,  mufs  man 
erwirken,  um  auf  Erden  das  Gliick  zu  erlangen?  Wie  er- 
reicht  man  es,  dafs  man  nicht  trauert  und  sich  nicht  auf- 
regt?    Dieses  wiinsche  ich  zu  wissen. 

Bhishma  sprach: 

4.  (1061B.)  Nachdem  Tarkshya  (Arishtanemi),  der  Beste 
aller  Kenner  der  Lehrbiicher,  so  angeredet  worden  war,  da 
sprach  er,  der  das  hochste  Gliick  erforscht  hatte,  dieses  heil- 
same  Wort: 

35* 


548  ni.   Mokshadharma, 

5.  (10616.)  Das  Gliick  in  der  Welt  besteht  nur  in  dem 
Gliick  der  Erlosung,  und  der  Tor  kann  nicht  dazu  gelangen, 
solange  er  sein  Herz  an  Kinder  und  Herden  hangt  und  mit 
Reichtum  und  Korn  iiberhauft  ist. 

6.  (10617.)  Sein  Geist  hangt  an  der  Welt,  seine  Seele  ist 
nicht  heruhigt,  und  es  ist  nicht  moglich,  das  zu  heilen;  ein 
solcher,  von  den  Stricken  des  Welthanges  gebundener  Tor 
ist  nicht  reif  fiir  die  Erlosung. 

7.  (10618.)  Ich  will  dir  die  aus  dem  Welthang  geflochtenen 
Stricke  erklaren,  vernimm  sie  von  mir;  von  dem  Verstandi- 
gen  konnen  sie  vernommen  werden  mit  lauschendem  Geiste. 

8.  (10  619.)  Nachdem  du  deine  Sohne  im  Laufe  der  Zeit 
herangehildet,  in  der  Jugendhliite  verheiratet  hast  und  ihres 
Fortkommens  im  Lehen  sicher  hist,  lose  dich  von  ihnen  und 
gehe,  wohin  es  dir  beliebt. 

9.  (10620.)  Wenn  du  siehst,  dafs  die  zartlich  geliebte 
Gattin,  welche  dir  Sohne  geboren  hat  und  an  ihnen  hangt, 
in  die  Jahre  kommt,  so  verlasse  sie  zur  rechten  Zeit  im  Hin- 
blick  auf  das  hohere  Ziel. 

10.  (10621.)  Magst  du  Nachkommen  haben  oder  keine, 
mache  dich  los  und  gehe,  wohin  es  dir  gefallt,  nachdem  du 
mit  deinen  Sinnen  die  Sinnendinge  genossen  hast,  wie  das 
Gesetz  es  vorschreibt. 

11.  (10622.)  Nachdem  du  dein  Verlangen  nach  ihnen  be- 
friedigt  hast,  mache  dich  los  und  gehe,  wohin  es  dir  gefallt, 
und  nimm  mit  Gleichmut  die  Gaben  [Idhheshu  mit  C.)  hin, 
wie  sie  der  Zufall  dir  darbietet. 

12.  (10623.)  Damit  habe  ich  dir  in  summarischer  Weise 
das  Ziel  der  Erlosung  gezeigt,  nunmehr  will  ich  es  dir  aus- 
fiihrlich  auseinandersetzen,  hore  mich  an. 

13.  (10624.)  Die  Menschen,  welche  sich  losgelost  haben, 
wandeln  frei  von  Furcht  und  gliicklich  einher ;  die  aber,  deren 
Herz  an  der  Welt  hangt,  gehen  zugrunde,  daran  ist  kein 
Zweifel, 

14.  (10  625.)  mogen  sie  auch  noch  so  viel  Nahrung  auf- 
haufen,  wie  es  Wiirmer  und  Ameisen  tun.  Nur  wer  ohne 
Anhanglichkeit  an  die  Welt  ist,  lebt  gliicklich,  wer  an  ihr 
hangt,  geht  ins  Verderben. 


AdhyHya  290  (B.  288).  549 

15.  (10626.)  Wenn  du  auf  die  Eriosung  deinen  Geist  richtest, 
mufst  du  dir  fte  fiir  tvaydj  keine  Sorgen  um  deine  Ange- 
horigen  machen,  indem  du  etwa  denkst :  Wie  konnen  sie  aber 
ohne  raich  fertig  werden! 

16.  (10  627.)  Von  selbst  entsteht  der  Mensch,  von  selbst 
wachst  er  heran,  von  selbst  gelangt  er  zu  Lust  und  Leid  und 
schliefslich  auch  zum  Tode. 

17.  (10628.)  Nahrung  und  Kleidung  und  alles,  was  Vater 
und  Mutter  fiir  einen  zusammengebracht  haben,  erlangt  man 
durch  eigene  Werke  [in  einer  friihern  Geburt] ;  es  gibt  nichts 
in  der  Welt,  was  nicht  vordem  verdient  worden  ware. 

18.  (10629.)  Von  dem  Schopfer  ist  alien  Wesen  vorher- 
bestimmt,  was  sie  in  der  Welt  genielsen  sollen,  und  so  durch- 
wandern  sie  die  Erde,  geleitet  von  ihren  eigenen  [friiheren] 
Werken. 

19.  (10630.)  Wo  man  doch  selbst  nur  ein  Erdklofs  und 
jederzeit  abhangig  ist,  was  konnte  einen  dazu  bestimmen,  die 
Angehorigen  zu  pflegen  oder  zu  beschiitzen,  wo  man  an  sich 
so  ohnmachtig  ist! 

20.  (10  631.)  Wenn  ja  doch  der"  Tod  deine  Angehorigen 
vor  deinen  Augen  raubt  trotz  aller  Anstrengung  von  deiner 
Seite,  so  sollte  dir  das  zur  Lehre  dienen. 

21.  (10  632.)  Und  dazu  kommt  iiberdies,  dafs  du  einen 
solchen  [Angehorigen]  bei  seinen  Lebzeiten,  und  ehe  noch 
seine  Ernahrung  und  Beschiitzung  sichergestellt  ist,  verlassen 
und  selbst  sterben  mufst. 

22.  (10  633.)  Und  wo  du  doch  niemals  wissen  kannst,  ob 
dein  Angehoriger  nach  seinem  Tode  einem  gliicklichen  oder 
ungliicklichen  Schicksal  verfallt,  sollte  dir  das  nicht  zur 
Lehre  dienen? 

23.  (10  634.)  Und  wo  du  doch  weifst,  dafs  dein  Angehori- 
ger, magst  du  nun  leben  oder  tot  sein,  die  Frucht  seiner 
Werke  [in  einer  friiheren  Geburt]  auszukosten  haben  wird, 
wirst  du  nicht  daraus  dir  eine  Lehre  ziehen  und  fiir  dein 
eigenes  Heil  Sorge  tragen? 

24.  (10635.)  Wenn  du  dieses  weifst  und  dir  dariiber  klar 
bist,  dafs  in  dieser  Welt  keiner  einem  andern  angehort,  so 


550  in.    Mokshadharma. 

richte  deinen  Geist  auf  die  Loslosung!    Und  auch  folgendes 
lafs  dir  gesagt  sein: 

25.  (10  636.)  Nur  der  Mensch,  welcher  die  Anwandlungen 
von  Hunger,  Durst  und  dergleichen,  sowie  auch  den  Zorn,  die 
Habgier  und  die  Verblendung  iiberwunden  hat,  besitzt  das 
Sattvam  und  ist  wahrhaft  frei. 

26.  (10637.)  Wer  bei  Spiel,  Trunk,  Weib  und  Jagd  nicht 
seine  Besonnenheit  verliert,   der  ist  fiir  immer  wahrhaft  frei. 

27.  (10638.)  Tag  fiir  Tag  und  Nacht  fiir  Nacht  mufs  der 
Mensch  sich  ernahren!  Wer  bei  diesem  Gedanken  von  Uber- 
drufs  ergriffen  wird,  der  ist  ein  Kenner  der  menschhchen 
Schwachen. 

28.  (10639.)  Wer  allezeit  mit  Fleifs  bedenkt,  dafs  sein 
Wesen  immer  wieder  und  wieder  einem  Weiberschofse  ein- 
verleibt  wird,  der  ist  wirklich  und  wahrhaft  frei. 

29.  (10640.)  Wer  Entstehung,  Vergang  und  Lebensfiihrung 
der  Wesen,  wie  sie  in  dieser  Welt  vor  sich  gehen,  der  Wahr- 
heit  gemafs  erkennt,  der  ist  wahrhaft  frei. 

30.  (10641.)  Wer  unter  tausend,  unter  Millionen  Wagen- 
ladungen  nur  auf  den  Scheffel  sieht,  der  zu  seinem  Unterhalte 
ausreicht,  wer  in  einem  Palaste  nur  auf  eine  Schlafstelle  fiir 
sich  sieht,  der  ist  ein  freier  Mann. 

31.  (10  642.)  Wer  einsieht,  wie  diese  Welt  vom  Tode  zer- 
stort,  von  Krankheit  bedrangt  und  von  Nahrungssorgen  ge- 
qualt  wird,  der  ist  ein  freier  Mann. 

32.  (10  643.)  Wer  das  einsieht,  hat  Frieden,  wer  es  nicht 
einsieht,  mufs  darunter  leiden.  Wer  sich  mit  nur  wenigem 
in  dieser  Welt  begniigt,  der  ist  wahrhaft  frei. 

33.  (10644.)  Wer  einsieht,  dafs  diese  Welt  nur  aus  Agni 
und  Soma  [Verzehrern  und  fVerzehrten]  besteht  und  sich 
durch  keine  wunderbaren  Verhaltnisse  aufregen  lafst  [wer 
das  nil  admirari  des  Horaz  besitzt],  der  ist  wahrhaft  frei. 

34.  (10  645.)  Wem  ein  Polster  und  die  harte  Erde,  wem 
kostlicher  Reis  und  geringe  Speise  fiir  gleich  gel  ten,  der  ist 
wahrhaft  frei. 

35.  (10646.)  Wem  feines  Linnen  und  Binsengeflecht,  wem 
ein  Kleid  aus  Seide  oder  Baumbast  oder  Schaffellen  fiir  gleich 
gilt,  der  ist  wahrhaft  frei. 


Adhy^iya  290  (B.  288).  551 

36.  (10647.)  Wer  die  Welt  betrachtet  als  ein  blofses  Pro- 
dukt  der  fiinf  Elemente  und  dieser  Anschauung  entsprechend 
in  dieser  Welt  lebt,  der  ist  wahrhaft  frei. 

37.  (10648.)  Wem  Lust  und  Leid,  Gewinn  und  Verlust,  Er- 
folg  und  Mifserfolg,  Liebe  und  Hafs,  Furcht  und  [freudige] 
Erregung  fiir  gleich  gelten,  der  ist  in  jedem  Sinne  wahr- 
haft frei. 

38.  (10649.)  Wer  den  Korper  als  mit  vielen  Mangeln  fdoshaj 
behaftet,  als  eine  Ansammlung  von  solchen  Stoffen  (dosha) 
wie  Blut,  Urin  und  Kot  ansieht,  der  ist  ein  freier  Mann. 

39.  (10  650.)  Wer  bedenkt,  dafs  im  Greisenalter  Runzeln 
und  graue  Haare,  Eintrocknung,  Blasse  und  gebiickter  Gang 
sich  einstellen  werden,  der  ist  ein  freier  Mann. 

40.  (10651.)  Wer  bedenkt,  dafs  mit  der  Zeit  Abnahme  der 
Zeugungskraft,  Schwachung  der  Sehkraft,  Schwerhorigkeit 
und  keuchender  Atem  sich  einstellen  werden,  der  ist  ein 
freier  Mann. 

41.  (10  652.)  Wer  bedenkt,  dafs  Rishi's,  Gotter  und  Da- 
monen  aus  dieser  Welt  in  die  andere  Welt  wandern  mufsten, 
der  ist  ein  freier  Mann. 

42.  (10653.)  Dafs  auch  hochste  Fiirsten,  welche  mit 
mancherlei  Machtvollkommenheiten  ausgestattet  waren,  zu 
Tausenden  die  Erde  verlassen  und  hiniibergehen  mufsten, 
wer  das  bedenkt,  der  ist  ein  freier  Mann. 

43.  (10654.)  Wer  bedenkt,  wie  schwer  Schatze  zu  er- 
werben  und  wie  leicht  Leiden  zu  erlangen  sind  und  was  fiir 
Kummer  man  mit  seiner  Familie  haben  kann,  der  ist  ein 
freier  Mann. 

44.  (10655.)  Wenn  man  bedenkt,  dafs  es  in  der  Welt 
meistenteils  nur  ungeratene  Kinder  und  entartete  Untergebene 
gibt,  wer  mochte  da  nicht  die  Befreiung  hochschatzen ! 

45.  (10656.)  Wer,  durch  Wissenschaft  und  Erfahrung  be- 
lehrt,  alles  menschliche  Wesen  als  schal  und  nichtig  erkennt, 
der  ist  in  jedem  Sinne  wahrhaft  frei. 

46.  (10  657.)  Nachdem  du  diese  meine  Rede  angehort  hast, 
mogest  du  als  ein  Befreiter  wandeln,  sei  es  im  Hausvater- 
stande,  sei  es  in  Freiheit  davon;  untriigliche  Erkenntnis  ist 
dir  geworden. 


552  in.   Mokshadharma. 

47.  (10  658.)  Nachdem  der  Erdeherr  diese  Belehrung  von 
ihm  vollstandig  empfangen  und  die  aus  der  Befreiung  ent- 
springenden  Tugenden  eriangt  hatte,  regierte  er  dement- 
sprechend  seine  Untertanen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zyrischen  Sagara  und  Arishtanemi 
(Sagara  -  Arishtanemi  -  samvdda). 


Adhyaya  391  (B.  289). 

Vers  10659-10696  (B.  1-38). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (10659.)  Schon  von  jeher  wohnt  in  meinem  Herzen  das 
Verlangen,  etwas  von  dir  zu  horen,  o  Grofsvater  der  Kuru's, 
naralich : 

2.  (10660.)  Wie  ist  es  gekommen,  dafs  der  Gotterweise 
Uganas,  der  hochsinnige  Kavisprofs,  der  Freund  der  Damonen 
und  Widersacher  der  Gotter, 

3.  (10  661.)  seine  Kraft  steigerte,  und  warum  liegen  unter 
den  unermefslich  Kraftvollen  die  Damonen  immerdar  in  Fehde 
mit  den  hohen  Gottern, 

4.  (10662.)  und  wie  erreichte  Uganas  als  ein  unsterblich 
Glanzender  die  Qukraschaft  [(^ukra  der  Planet  Venus  und  der 
mannliche  Same],  und  wie  gelangte  er  zu  gliicklichem  Ge- 
deihen?    Das  alles  mogest  du  mir  erklaren. 

5.  (10663.)  Und  wie  kommt  es,  dafs  dieser  Glanzvolle  [als 
Planet  Venus]  nicht  durch  den  mittleren  Raum  des  Himmels 
geht  [d.  h.  nur  als  Abendstern  und  Morgenstern  sichtbar  ist]  ? 
Dies  alles  wiinsche  ich  vollstandig  zu  horen,  o  Grofsvater. 

Bhishma  sprach: 

6.  (10664.)  Vernimm,  o  Konig,  mit  Aufmerksamkeit  alles 
dies,  wie  es  sich  verhalt,  soweit  ich  es  verstehe  und  soweit 
es   von  mir  ehemals   vernommen   worden  ist,    o   Untadliger. 

7.  (10665.)  Jener  Nachkomme  des  Bhargava  (Uganas),  ein 
ehrenfester  und  geliibdetreuer  Weiser,  verhielt  sich  feindselig 
gegen  die  Gotter  aus  einem  wohlberechtigten  Grunde. 


Adhyaya  291  (B.  289).  553 

8.  (10666.)  Nun  war  da  der  Fiirst  und  Schatze  spendende 
Konig  [Kubera],  der  bestandige  Oberherr  der  Yaksha's  und 
Rakshas,  der  Gebieter  der  Schatze  und  Herr  der  Welt. 

9.  (10667.)  In  dessen  Leib  ging  der  in  der  Zauberkunst 
des  Yoga  vollkommen  bewanderte,  grofse  Weise  [Uganas] 
ein,  zwang  den  gottlichen  Schatzeherrn  [nach  seinem  Willen] 
und  beraubte  ihn  durch  Yogakunst  seines  Reichtums. 

10.  (10668.)  Der  Schatzeherr  war,  nachdem  ihm  seine  Giiter 
geraubt  waren,  hilflos ;  von  Zorn  erfiillt  und  entriistet  wandte 
er  sich  an  den  Besten  der  Gotter 

11.  (10  669.)  und  machte  ihm  davon  Mitteilung,  dem  un- 
ermefslich  kraftvollen  (^iva,  ihm,  dem  Hochsten  unter  den 
HimmUschen,  dem  Rudra,  dem  gnadigen,  vielgestaltigen : 

12.  (10670.)  Von  dem  yogakundigen  Uganas  bin  ich  iiber- 
waltigt  und  meiner  Schatze  beraubt  worden,  indem  er,  der 
Askesereiche ,  durch  Yogakunst  in  meinen  Leib  hineinfuhr 
und  ihn  wieder  verHefs. 

13.  (10671.)  Als  das  der  grofse  Zauberherr  Mahegvara  ge- 
hort  hatte,  geriet  er  in  Zorn,  griff  mit  blutunterlaufenen  Augen 
nach  seinem  Wurfspiefs  und  sprang  auf. 

14.  (10672.)  „Wo  ist  der  Kerl?"  rief  er,  indem  er  seine 
vorziigHche  Waffe  fest  fafste,  Uganas  aber  glanzte  in  der 
Feme,  als  er  merkte,  was  jener  vorhatte. 

15.  (10673.)  Als  der  Machtige  (Uganas)  den  Zorn  des 
zauberkraftigen  Gewaltigen  bemerkte,  iiberlegte  er,  ob  er 
fliehen  oder  gegen  ihn  angehen  oder  stehenbleiben  sollte. 

16.  (10  674.)  Und  nachdem  er  vermoge  seiner  gewaltigen 
Askese  auf  den  grofsmachtigen  Mahegvara  seine  Aufmerk- 
samkeit  gerichtet  hatte,  sah  man  den  Uganas  kraft  seiner 
Yogazauberkunst  plotzlich  an  der  Spitze  von  (^^iva's  Wurf- 
spiefs hangen. 

17.  (10675.)  Als  der  erkenntnisdurchdrungene ,  in  Askese 
voUendete  Herr  der  Gotter  dieses  bemerkte,  da  bog  er  mit 
seiner  bogenbewehrten  Hand  seinen  Wurfspiefs  um  fpdnind 
andmayatj, 

18.  (10676.)  und  well  er  mit  kraftvoUer  Hand  seinen  Wurf- 
spiefs rund  gebogen  hatte,  gab  der  furchtbar  bewehrte  Herr 
seinem  Wurfspiefse  den  Namen:  FmdJcam. 


554  ni.   Mokshadharma. 

19.  (10677.)  Als  der  Gemahl  der  Uma  den  Bhargava  in 
seine  Hande  gelangt  sah,  da  offnete  er,  der  Gipfel  der  Gotter^ 
seinen  Mund  und  schob  ihn  gemachlich  mit  der  Hand  hinein. 

20.  (10678.)  Nachdem  aber  der  machtige  Uganas  in  die 
Eingeweide  des  Mahegvara  gelangt  war,  spazierte  er,  der 
hochsinnige  Bhrigusprofs,  in  ihnen  umher. 

Yudhishthira  sprach: 

21.  (10679.)  Warum  spazierte  denn  der  Uganas  in  dem 
Bauche  des  weisen  Gottergottes  umher,  o  Konig,  und  was 
tat  der  Glanzvolle  dann  weiter? 

Bhishma  sprach: 

22.  (10680.)  Es  geschah,  weil  ehedem  der  Geliibdetreue 
[Qiva]  Millionen  und  hundert  Millionen  von  Jahren  unbeweg- 
lich  wie  ein  Baumstamm  im  Wasser  gesessen  hatte 

23.  (10681.)  und  dann  nach  Beendigung  dieser  Askese  aus 
dem  grofsen  Gewasser  herausstieg.  Da  kam  der  Obergott  der 
Gotter  Brahman  heran  zu  ihm 

24.  (10682.)  und  befragte  ihn,  der  Ewige,  nach  dem  Ge- 
deihen  der  Askese  und  nach  seinem  Wohlbefinden.  „Mit  der 
Askese  geht  es  ganz  gut",  erwiderte  ihm  der  mit  dem .  Stier 
in  der  Fahne  [Qiva] 

25.  (10683.)  und  merkte  an  sich,  er,  der  Qankara  [C'iva], 
wie  er  durch  das  Betreiben  der  Askese  zu  lippiger  Kraftfiille 
gediehen  war,  er,  der  Hochweise,  Unausdenkbare,  allezeit  an 
Wahrheit  und  Gerechtigkeit  seine  Freude  Habende. 

.,T26.  (10  684.)  Ja,  angeschwoUen  durch  Askese  und  Eeich- 
tum,  glanzte  er,  der  heldenmiitige ,  grofse  Yogin  in  alien 
drei  Welten,  o  Grorskonig. 

27.  (10G85.)  Nun  aber  ging  der  yogabeflissene  Pinaka- 
trager  dazu  iiber,  den  Meditation syoga  zu  betreiben,  und  da- 
durch  geriet  Uganas  in  Bestiirzung  und  duckte  sich  in  dem 
Bauche, 

28.  (10686.)  und  in  dieser  Lage  pries,  um  ihn  giinstig  zu 
stimmen,  er,  der  grofse  Zauberer,  den  Gott  [(^iva]  und  wiinschte 
zu  entweichen,  wurde  aber  daran  von  jenem  gehindert. 

29.  (10687.)   Endlich  sprach  der  weise,  im  Bauche  einge- 


Adhyaya  291  (B.  289).  555 

schlossene  Uganas :  „Erweise  mir  doch  die  Gnade",  so  sprach 
er  ein  Mai  urns  andere  Mai,  o  Feindbez winger. 

30.  (10688.)  Da  sprach  Mahadeva  zu  ihm:  „Fahre  durch 
den  Penis  hinaus",  denn  alle  anderen  Ausgange  hatte  der 
Gotterstier  verschlossen. 

31.  (10  689.)  Diese  Pforte  konnte  der  von  alien  Seiten  ein- 
geschlossene  Muni  nicht  finden,  und,  von  der  Glut  der  Askese 
gepeinigt,  fuhr  er  hier  und  dort  umher. 

32.  (10690.)  Endlich  schliipfte  er  in  Gestalt  des  Sperma 
fgukramj  durch  den  Penis  hinaus.  Und  das  ist  der  Grund, 
warum  er  [als  Qukra  Planet  Venus]  niemals  quer  durch  den 
Himmel  geht. 

33.  (10691.)  Als  Bhava  (Qiva)  ihn  sah,  wie  er  aus  ihm 
herausgefahren  war  und  von  Glanz  strahlte,  da  geriet  er  in 
Zorn,  sprang  auf  und  griff  nach  seinem  Wurfspiefs. 

34.  (10692.)  Aber  die  Gottin  (Uma)  hielt  ihren  zornigen 
Gatten  Pagupati  zuriick,  und  zufolge  dieser  Besanftigung  des 
(^ankara  erlangte  er  hei  der  Gottin  das  Sohnesrecht. 

Die  Gottiu  sprach : 

35.  (10693.)  Du  darfst  ihm  nichts  tun,  denn  er  hat  bei 
mir  Sohnesrecht  erlangt,  und  einer,  der  aus  dem  Bauche 
eines  Gottes  hervorging,  darf  doch  nicht  zu  Schaden  kommen. 

36.  (10694.)  Da  besanftigte  sich  Bhava  und  lachend  sprach 
er  zu  der  Gottin :  ,,Mag  er  gehen,  wohin  es  ihm  beliebt",  so, 
o  Konig,  sprach  er  zu  wiederholten  Malen. 

37.  (10695.)  Da  verneigte  sich  der  weise  Uganas,  der 
grofse  Muni,  vor  dem  gabenspendenden  Gotte  und  der  Gottin 
Uma  und  eilte  auf  erwiinschtem  Wege  von  dannen. 

38.  (10696.)  Damit,  o  Freund,  habe  ich  dir  die  Geschichte 
von  dem  hochsinnigen  Bhrigusprofs  erzahlt,  nach  der  du 
mich  fragtest,  o  Bester  der  Bharata's. 

So  lautet  im  Mokshadharma   die  Begegnung  zwischcn  Bhava  und  dem  BhriguEprofs 
(Bhava-  Bhdrgava - sanidgama) 


556  in.   Mokshadharma. 

Adhyaya  393  (B.  390). 

Vers  10697-10722  (B.  1-26). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (10697.)  Nun  weiter,  o  Grof sarmiger ,  sage  mir,  was 
das  Beste  ist,  nicht  satt  werde  ich,  als  ware  es  Amritam, 
o  Grofsvater,  deines  Wortes. 

2.  (10  698.)  Welches  ist  das  giite  Werk,  das  ein  Mensch 
voUbringen  mufs,  o  Bester  der  Menschen,  um  das  hochste 
Gut  hienieden  und  im  Jenseits  zu  erlangen?    Das   sage  mir. 

Bhishma  sprach: 

3.  (10  699.)  Dariiber  will  ich  dir  berichten,  wie  einstmals 
der  hochberiihmte  Konig  Janaka  den  hochsinnigen  Paragara 
befragte : 

4.  (10  700.)  Was  ist  fiir  alle  Wesen  das  Beste  in  dieser 
und  in  jener  Welt,  welches  von  ihnen  ergriffen  werden  mufs? 
Das  mogest  du,  o  Herr,  mir  sagen. 

5.  (10  701.)  Da  sprach  der  askesereiche,  aller  Gesetze  und 
Vorschriften  kundige,  freundlich  gesinnte  Muni  zu  dem  Konige 
das  folgende  Wort. 

Para,Qara  sprach: 

6.  (10  702.)  Die  Vollbringung  der  Pflicht  ist  das  Beste  fiir 
diese  Welt  und  fiir  jene;  denn  hoher  als  sie  gibt  es  nichts, 
wie  die  Weisen  erklaren. 

7.  (10703.)  Der  Mensch,  welcher  seine  Pflicht  getan  hat, 
wird  herrlich  geehrt  in  der  Himmelswelt,  und  die  Pflicht  ist 
beschlossen  fiir  die  Menschen  in  der  Vorschrift  der  Werke, 
o  Bester  der  Fiirsten. 

8.  (10  704.)  In  ihr  beharren  die,  welche  die  Lebensstadien 
durchmachen  und  die  ihnen  obliegenden  Werke  vollbringen. 

9.  Als  vierfach  wird  in  dieser  Welt  der  Lebensunterhalt 
vorgeschrieben ,  (i0  705.)  um  welchen  die  Menschen  bemiiht 
sind,  und  er  entspringt  aus  dem  Bediirfnis. 

10.  Nachdem  sie  das  gute  oder  bose  Werk  auf  mancherlei 
Weise  betrieben  haben  (10  706.)  und  in  die  fiinf  Elemente  zer- 
fallen  sind,  gehen  die  Wesen  auf  verschiedenen  Wegen  hiniiber. 


Adhyaya  292  (B.  290).  557 

11.  Wie  man  ein  Gefafs  mit  Gold  oder  mit  Silber  iiber- 
zieht,  (10  707.)  so  wird  der  Mensch  iiberzogen  vermoge  seiner 
Abhangigkeit  von  seinen  friiheren  Werken. 

12.  Ohne  Samen  kann  nichts  wachsen,  ohne  Wirken  er- 
wachst  kein  Gliick,  (10708.)  nur  durch  gute  Werke  erlangt  der 
Mensch  Gliick,  nachdem  sein  Korper  zunichte  geworden  ist. 

13.  Von  einem  Schicksale  bemerke  ich  nichts,  es  gibt 
kein  Eingreifen  des  Schicksals,  (10  709.)  nur  durch  ihre  eigene 
Natur  sind  Gotter,  Gandharven  und  Damonen  zu  dem  ge- 
worden, M^as  sie  sind. 

14.  Nach  dem  Tode  erinnern  sich  die  Menschen  zwar 
niemals  des  in  der  friihern  Geburt  begangenen  [jdtikritam, 
bei  Nil.]  Werkes,  (io7io.)  und  wirklich  [erinnern  sie  sich  niclit], 
wenn  seine  Frucht  liber  sie  kommt,  des  vierfach  begangenen 
Werkes  [Vers  i07ii]. 

15.  Dafs  das  Vedawort  nur  dazu  da  sei,  um  dem  Ver- 
bal ten  in  diesem  Leben  als  Richtschnur  zu  dienen  (i07ii.)  und 
um  das  Gemiit  zu  beruhigen,  das,  o  Freund,  ist  gewifs  nicht 
die  Meinung  der  Alten. 

16.  Nein,  das  vierfache  Werk,  wie  es  einer  durch  Augen, 
Gedanken,  Rede  und  Tat  (10712.)  begeht,  wird  dementsprechend 
vergolten. 

17.  Das  unvermittelt  [als  gut  und  bose,  NU.]  einander 
gegeniiberstehende  und  das  gemischte  W^erk  wird  vergolten, 
o  Fiirst,  (10 713.)  mag  es  gut,  mag  es  bose  sein,  eine  Ver- 
nichtung  des  Werkes  gibt  es  nicht. 

18.  Mitunter  iiberwiegt  das  gute  Werk,  o  Freund,  und 
steht  gleichsam  obenan,  (i0  7i4.)  auch  bei  einem  solchen,  der 
noch,  bis  zu  seiner  Erlosung  vom  Leiden,  in  dem  Sansara 
verstrickt  bleibt. 

19.  Ist  er  aber  des  Leidens  ledig  geworden,  so  geniefst 
er  [auf  dem  Pitriyana  zum  Monde  gelangend]  sein  gutes 
Werk,  (10  715.)  und  nachdem  sein  gutes  Werk  verbraucht  ist, 
biifst  er  das  bose  Werk  [durch  Riickkehr  zum  Erdenleben], 
0  Oberherr  der  Menschen. 

20.  Bezahmung,  Geduld,  Festigkeit,  Energie,  Geniigsam- 
keit,  Aufrichtigkeit,  (10716.)  Schamhaftigkeit,  Schonung,  Leiden- 
schaftslosigkeit  und  Ttichtigkeit  bringen  Gliick. 


558  ni.    Mokshadharma. 

21.  Der  Mensch  ist  beim  Vollbringen  des  guten  und  bosen 
Werkes  keinem  Zwange  unterworfen,  (10  717.)  darum  soil  der 
Weise  immerfort  in  seinem  Geiste  wachsam  sein  und  sich 
Miihe  geben. 

22.  Es  ist  nicht  zu  befiirchten,  dafs  einer  das  gute  oder 
bose  Werk  eines  andern  zu  biifsen  hat;  (10718.)  welcher  Art 
das  Werk  ist,  das  man  begeht,  dementsprechend  ergeht  es 
einem. 

23.  Der  Mensch,  welcher  auf  Lust  und  Leid  [als  Folgen 
der  Handlungen]  merkt,  wird  den  einen  Weg  [der  Erkenntnis, 
Nil.]  gehen,  (10  719.)  auf  dem  andern  gehen  vermoge  der  Welt- 
anhanglichkeit  fsangatahj  alle  [iibrigen]  Menschen  auf  Erden. 

24.  Was  man  an  anderen  tadelt,  soil  man  nicht  selbst 
tun,  (10  720.)  denn  wer  tadelt,  womit  er  selbst  behaftet  ist,  der 
Terfallt  der  Lacherlichkeit. 

25.  (10721.)  Ein  feiger  Kshatriya,  ein  von  allem  essender 
Brahmane,  ein  unstrebsamer  VaiQya  und  ein  fauler  Kasten- 
loser,  ein  charakterloser  Gelehrter,  ein  Vornehmer  ohne 
Lebensart,  ein  von  der  Wahrheit  abtriinniger  Brahmane, 
ein  ausgelassenes  Weib, 

26.  (10  722.)  ein  leidenschaftlicher  Yogin,  einer,  der  nur 
fiir  sich  selbst  kocht,  ein  Dummkopf,  der  Reden  halt, 
und  ein  Konigreich  ohne  Konig  —  diese  alle,  o  Konig, 
sind  zu  bedauern,  und  so  auch  ein  Herrscher  ohne  Hin- 
gebung  und  Liebe  zu  seinen  Untertanen. 

So  lautet  im  Mokfihadharma  der  Gesang  des  Paragaia 

(Pardi;ara-gttd). 


Adhyaya  393  (B.  391). 

Vers  10723-10746  (B.  1-23). 

Para,Qara  sprach : 

1.  (10723.)  Wer  als  Wagen  den  Manas wagen,  als  Rosse 
die  Sinne  und  Sinnendinge  erlangt  hat  und  sie  mit  der  Er- 
kenntnis als  Ziigel  zu  lenken  weifs,  der  ist  ein  weiser  Mann. 

2.  (10724.)  Riihmlich  ist  die  Verehrung  mit  hingegebenem 
Oeiste  eines  Unbemittelten,  o  Zwiegeborener,  welche  ausgeht 


Adhyaya  293  (B.  291).  559 

von  einem  iiber  die  Spendehand  Erhabenen  [atihasta  mit  Nil.] 
und  nicht  aus  einem  gegenseitigen  Tauschverlialtnis. 

3.  (10725.)  Wenn  man  ein  schwer  erlangbares  [gliickliches] 
Lebenslos  erlangt  hat,  soil  man  es  nicht  [durch  schlechte 
Taten]  entwiirdigen ,  o  Volkerherr,  sondern  danach  streben, 
durch  gute  Werke  noch  hoher  zu  steigen  [in  der  nachsten 
Oeburt]. 

4.  (10726.)  Denn  wer  von  seiner  Kaste  abfallt,  verdient 
keine  Billigung,  und  sicherlich  auch  nicht  der,  welcher,  in 
eine  gliickliche  Lage  gelangt,  rajashaften  Taten  sich  hingibt. 

5.  (10727.)  Durch  gute  Werke  erlangt  der  Mensch  [nach 
dem  Tode]  eine  hohere  Kaste;  schwer  ist  sie  zu  erlangen, 
und  wenn  man  sie  nicht  erlangt  hat,  [so  ist  der  Grund, 
dafs]  man  durch  schlechte  Werke  sich  selbst  zu  Schaden 
hringt. 

6.  (10728.)  Begeht  man  unbewufst  etwas  Boses,  so  moge 
man  es  durch  Askese  von  sich  abschiitteln,  denn  das  Bose 
bringt  [bewufst  oder  unbewufst  veriibt]  seine  Frucht;  bose 
ist  es  an  sich  [in  beiden  Fallen],  (10729.)  darum  soil  man  sich 
nicht  mit  Bosem  befassen,  da  es  [in  jedem  Falle]  Leiden  als 
Frucht  bringt. 

7.  Ein  Werk,  welches  mit  Bosem  behaftet  ist,  auch 
wenn  es  grofsen  Erfolg  verspricht,  (10  730.)  soil  der  Weise  so 
angstlich  meiden  wie  der  Reine  einen  Kugalin  [nach  Nil.  eine 
Art  Candala]. 

8.  [Fragt  man  aber :]  Wo  sehe  ich  denn  eine  iible  Folge 
meiner  bosen  Tat?  —  (10731.)  Zunachst  schon  darin,  dafs  der 
Seele,  selbst  wenn  man  Reue  empfunden  hat,  nicht  wohl  da- 
nach wird. 

9.  Wer  aber  ein  solcher  Tor  ist,  dafs  ihm  keine  Reue 
iiber  seine  Tat  kommt,  (10732.)  den  erwartet,  wenn  er  davon 
mufs,  grofse  Pein. 

10.  Ein  ungefarbtes  Kleid  lafst  sich  von  Schmutz  reinigen, 
nicht  aber  ein  mit  schwarzer  Farbe  ganz  iiberzogenes,  (10733.)  so 
steht  es  mit  der  Siinde,  o  Fiirst  der  Menschen,  das  sollst  du 
von  mir  mit  Fleifs  lernen. 

11.  Wenn  einer  auch  aus  freien  Stiicken,  nachdem  er 
das  Bose  getan  hat,   sich  dem  Guten  zuwendet  (10734.)  und 


560  HI.   Mokshadharma. 

Bufse  tut,  so  trifft  ihn  doch  [die  Vergeltung  fur]  beides  ge- 
sondert. 

12.  Aber  eine  unbewufst  begangene  Schadigung  wird 
durch  den  Grundsatz  der  Nicht- Schadigung  wieder  wett- 
gemacht,  (10735.)  so  lehren,  vom  Gesetze  belehrt,  die  brahman- 
kundigen  Brahmanen. 

13.  Hingegen  eine  absichtlich  begangene  [Schadigung] 
wird  nicht  durch  den  Grundsatz  der  Nicht-Schadigung  wieder 
wettgemacht,  (10  736.)  so  lehren,  vom  Gesetze  belehrt,  die  brah- 
mankundigen  Brahmanen. 

14.  Ich  aber  sehe  die  Sache  so  an,  dais  das  begangene 
Werk  nicht  ohne  Folgen  bleibt,  (10737.)  mag  es  tugendhaft 
Oder  nur  scheinbar  mit  Bosem  nicht  verkniipft  sein. 

15.  Und  wenn  schon  verborgene  Werke  die  Frucht  ihrer 
Beschaffenheit  gemafs  bringen,  (10738.)  wieviel  mehr  solche, 
welche  aus  Vorsatz  und  mit  Bewufstsein  begangen  sind! 

16.  Nur  geringe  Folgen  hat  ein  schweres,  fort  und  fort 
begangenes  Werk,  (10739.)  ein  mit  Gewalttat  ausgefuhrtes, 
wenn  es  ohne  Absicht  geschah. 

17.  An  [gewissen]  Taten  der  Gotter  und  Muni's  (10 740.)  soil 
sich  der  Kechtschaffene ,  wenn  er  von  ihnen  hort,  kein  Bei- 
spiel  nehmen,  aber  auch  keinen  Tadel  iiben. 

18.  Wer  nach  reiflicher  Uberlegung,  o  Konig,  und  im 
Bewufstsein  dessen,  was  er  vermag,  (10741.)  ein  edles  Werk 
voUbringt,  der  wird  Herrliches  schauen. 

19.  Wie  Wasser,  wenn  es  in  ein  noch  ungebranntes 
Gefafs  gegossen  wird,  entweicht,  (10742.)  so  bleibt  es  in  einem 
nicht  mehr  ungebrannten  Gefafse  erhalten  und  wohlgeborgen. 

20.  Nun  wird  dem  das  Wasser  haltenden  Gefafse  anderes 
Wasser  zugegossen,  (10743.)  und  so  wie  dieses  Wasser  in  dem 
beharrenden  selbst  sein  Beharren  findet, 

21.  so  sind,  wenn  verstandige  Werke  geiibt  worden  sind, 
o  Fiirst,  (10744.)  neu  hinzukommende  ahnliche  in  hochstem 
Grade  vortrefflich. 

22.  (10745.)  Dem  Konige  liegt  es  ob,  Feinde  und  Em- 
porer  zu  besiegen  und  die  Beschiitzung  seiner  Unter- 
tanen  nach  alien  Seiten  hin  auszuiiben;  um  vieler  Opfer 
willen  soil  man  [als  Grihastha]  das  Feuer  schichten,  um 


Adhy&ya  293  (B.  291).  561 

im.  letzten  oder  mittlern  Lebensalter   [als  Vanaprastha] 
in  den  Wald  zu  ziehen  und  dort  zu  wohnen. 

23.  (10746.)  Herr  seiner  selbst,  soil  der  Mensch,  in 
seiner  Pflicht  treu,  alle  Wesen  seinem  eigenen  Selbste 
gleich  achten  und  seine  Freude  daran  haben,  o  Manner- 
fiirst,  aus  alien  Kraften  und  in  aufrich tiger  Gesinnung 
die  Meister  zu  ehren. 

So  laatet  im  Mokshadbarma  der  Qesang  des  PaxAfara 
(Fard<;ara-gUd). 


Adhyaya  394  (B.  293). 

Vers  10747-10769  (B.  1-23). 

Para^ara  sprach: 

1.  (10  747.)  Wer  hilft  in  dieser  Welt  dem  andern?  Wer  hat 
fur  den  andern  etwas  iibrig?  Der  Mensch,  wie  er  ist,  tut, 
was  er  tut,  durch  sich  selbst  und  fiir  sich  selbst. 

2.  (10  748.)  Er  ist  imstande,  einen,  der  nicht  in  Ansehen 
steht,  lieblos  zu  verlassen,  selbst  wenn  es  der  eigene  Bruder, 
wieviel  mehr,  wenn  es  ein  anderer  ist! 

3.  (10749.)  Zwischen  zwei  Menschen  von  Ansehen  halten 
sich  Geben  und  Nehmen  das  Gleichgewicht,  verdienstlicher 
als  beides  ist  es,  wenn  der  Zwiegeborene  die  Gabe  blofs 
darreicht. 

4.  (10750.)  Reichtum,  welcher  rechtmafsig  erworben  und 
rechtmafsig  vermehrt  worden  ist,  darf  mit  allem  Fleifse  ge- 
hiitet  werden,  wenn  er  zur  Fflichterfiillung  verwendet  wird, 
daran  ist  kein  Zweifel. 

5.  (10  751.)  Wer  auf  Gerechtigkeit  halt,  der  soil  nicht  durch 
menschenfeindhches  Tun  sich  Reichtum  erwerben.  Nach 
besten  Kraften  soil  man  alle  Pflichten  erfiillen  ohne  den  Hinter- 
gedanken  an  gedeihlichen  Erfolg. 

6.  (10  752.)  Wenn  man  mit  frommem  Sinne  auch  nur  kaltes 
Oder  warmes  Wasser,  so  gut  man  es  vermag,  dem  Gaste 
darreicht,  so  ist  das  ebenso  verdienstlich ,  als  wenn  man 
einen  Hungrigen  speiste. 

I>BUB8sir,  Mab&bh&ratam.  36 


562  in.   Mokshadharma. 

7.  (10  753.)  Von  dem  hochherzigen  [reichen  und  wohl- 
tatigen]  Rantideva  wurde  die  von  alien  begehrte  Vollendung 
erreicht,  und  doch  hatte  er  die  Muni's  nur  mit  Friichten, 
Blattern  und  Wurzeln  geehrt. 

8.  (10  754.)  Und  obgleich  er  nur  mit  solchen  Friichten  und 
Blattern  den  von  Mathara  begleiteten  [Sonnengott]  erfreut 
hatte,  erlangte  auch  der  Fiirst  der  Qibi's  dafiir  die  hochste 
Statte. 

9.  (10  755.)  Der  Mensch  wird  geboren,  indem  auf  ihm  eine 
Schuld  gegen  Gotter,  Gaste,  Horige  und  Manen  lastet,  darum 
mufs  er  diese  Schuld  abtragen 

10.  (10  756.)  an  die  grofsen  Rishi's  durch  Vedastudium,  an 
die  Gotter  durch  Opferwerke,  an  die  Manen,  indem  er  ihnen 
das  Manenopfer  spendet,  an  seine  Leute,  indem  er  sie  in 
Ehren  halt. 

11.  (10757.)  Durch  [angemessene]  Rede,  durch  Mitgeben 
von  seinem  Uberflusse  und  durch  Erhaltung  seiner  eigenen 
Person  soil  man,  wie  sichs  gehort,  von  Grund  aus  das  Interesse 
seiner  Angehorigen  fordern. 

12.  (10  758.)  An  Fleifs  das  Hochste  erreichend,  wenn  auch 
des  Reichtums  ermangelnd,  sind  die  Muni's  durch  richtige 
Darbringung  der  Opferspeise  zur  Vollendung  emporgestiegen. 

13.  (10759.)  Der  Sohn  des  Ricika  [Nil.  liest  des  Ajigarta] 
wurde  zu  einem  Sohne  des  Vigvamitra,  nachdem  er,  o  Grofs- 
armiger,  die  an  seiner  Opferung  beteiligten  Gotter  mit  Rigveda- 
versen  gepriesen  hatte  [vgl.  Ait.  Br.  7,13  fg.,  wo  der  Vater 
Ajigarta  und  der  Sohn  Qunahgepa  heifstj. 

14.  (10  760.)  U<?anas  wurde  infolge  der  Gnadigstimmung 
des  Gottergottes  [Qiva]  zum  (^ukra  [dem  Planeten  Venus] 
und  glanzt  herrlich  am  Himmel,  well  er  die  Gottin  [Uma]  ge- 
priesen hatte  [oben,  S.  552  fg.]. 

15.  (10761.)  Asita  Devala,  Narada  und  Parvata,  Kakshi- 
vant,  Rama,  der  Sohn  des  Jamadagni,  und  der  atmanhafte 
Tandya, 

16.  (10  762.)  Vasishtha,  Jamadagni,  Vigvamitra  und  Atri, 
Bharadvaja,  Harigmagru,  Kundadhara  und  Qrutagravas, 

17.  (10  763.)  diese  grofsen  Rishi's  empfmgen,  weil  sie  mit 
Hingebung  den  Vishnu  durch  Rigvedaverse  gepriesen  batten, 


Adhy^ya  294  (B.  292).  583 

durch  die  Gnade  dieses  weisen  Gottes  um  ihrer  Askese  willen 
die  Vollendung. 

18.  (10  764.)  Und  auch  Wiirdelose  sind  zur  Wiirde  gelangt, 
weil  sie  denselben  Gott  mit  rechtschaffenem  Sinne  gepriesen 
hatten.  Nicht  aber  soil  man  in  dieser  Welt  durch  etwas 
emporzukommen  suchen,  dessen  man  sich  zu  schamen  hat. 

19.  (10765.)  Zwecke,  die  mit  Rechtschaffenheit  verfolgt 
werden,  sind  gut,  die  aber  mit  Ungerechtigkeit  verfolgt  wer- 
den,  pfui  iiber  die!  Die  in  der  Welt  ewig  geltende  Pflicht 
soil  man  nicht  aus  Geldgier  aus  den  Augen  lassen. 

20.  (10  766.)  Wer  mit  rechtschaffenem  Sinne  die  Opferfeuer 
anziindet,  dessen  religioses  Verdienst  steht  am  hochsten,  denn 
alle  Veden,  o  Fiirst  der  Konige,  fufsen  auf  den  drei  Opfer- 
feuern,  o  Herr. 

21.  (10  767.)  Aber  nur  ein  solcher  Brahmane  ist  ein  wahrer 
Opferfeuerz under,  der  die  zugehorigen  Zeremonien  nicht  ver- 
nachlassigt,  und  ist  es  besser,  gar  keine  Opferfeuer  anzu- 
ziinden,   als   ein  Agnihotram  ohne  Zeremonien  darzubringen. 

22.  (10  768.)  Das  Opferfeuer  und  der  Atman,  die  Mutter, 
der  Vater  als  Erzeuger  und  der  Lehrer,  diese  miissen  ge- 
biihrend  verehrt  werden,  o  Tiger  unter  den  Mannern. 

23.  (10  769.)  Wer  frei  von  Hochmut  die  Alten  ehrt, 
verstandig,  keusch  und  liebevoll  dreinschaut,  ohne  Un- 
ruhe,  pflichttreu  und  nicht  unbezahmten  Sinnes  ist,  der 
wird  in  dieser  Welt  als  echter  Arya  von  den  Guten 
geachtet. 

So  lautet  iin  Mokshadharma  der  Gesang  des  Far&Qara 

(Pard<;ara-gltd). 


Adhyaya  295  (B.  293). 

Vers  10770-10790  (B.  1-21). 

ParS,Qara  sprach : 

1.  (10  770).  Ein  wohlanstandiges,  von  Liebe  geleitetes  Be- 
tragen  von  seiten  der  drei  Kasten  gegeniiber  dem  Kasten- 
losen  [Qudra],  wie  es  Vorschrift  ist,  zeichnet  immerdar  die 
Gerechtesten  aus. 

36* 


564  in.    Mokshadharma. 

2.  (10771.)  Wo  aber  keine  vom  Vater  und  Grofsvater  iiber- 
kommene  gute  Behandlung  dem  Qudra  gegeniiber  iiblich  ist, 
da  soil  dieser  nicht  nach  guter  Behandlung  in  Diensten  eines 
andern  streben,  sondern  sich  im  Gehorsam  iiben. 

3.  (10772.)  Der  Umgang  mit  Edlen,  Pflichtkundigen  ist 
jederzeit  in  alien  Lagen  schon,  nicht  aber  der  mit  Unedlen, 
so  meine  ich. 

4.  (10  773.)  Wie  ein  Korper  auf  dem  Berge  des  Sonnen- 
adfgangs  durch  seine  Nahe  [von  der  Sonne]  erglanzt,  so  er- 
glanzt  der  Kastenlose  durch  die  Nahe  der  Edlen. 

5.  (10774.)  Denn  wie  ein  weifses  Kleid  durch  irgendeine 
Farbe  gefarbt  wird,  so  nimmt  auch  er  [der  Qudra]  die  Farbe 
[der  Umgebung]  an,  das  kannst  du  mir  glauben. 

6.  (10775.)  Darum  nimm  von  den  Tugenden  die  Farbe  an 
und  niemals  von  den  Fehlern,  denn  das  Leben  der  Sterb- 
lichen  ist  verganglich  und  ungewifs. 

7.  (10776.)  Der  Weise,  welcher  im  Gliick  und  Ungliick 
das  Gute  herauszufinden  weifs,  der  ist  ein  wahrer  Kenner  der 
Lehrbiicher. 

8.  (10  777.)  Eine  Handlung,  welche  von  der  Pflicht  abweicht, 
auch  wenn  sie  grofsen  Nutzen  bringt,  soil  von  dem  Weisen 
nicht  unternommen  werden  und  ist  nicht  gutzuheifsen. 

9.  (10  778.)  Ein  Fiirst,  der,  die  Beschiitzung  seiner  Unter- 
tanen  versaumend,  tausend  geraubte  Kiihe  [als  Opferlohn] 
spendet,  der  erwirbt  sich  nur  dem  Namen  nach  ein  Verdienst 
und  ist  in  Wahrheit  ein  blofser  Rauber. 

10.  (10779.)  Der  durch  sich  selbst  Seiende  schuf  zu  An- 
fang  den  von  aller  Welt  verehrten  Schopfer,  der  Schopfer 
schuf  den  einen  Sohn  [den  Regengott  Parjanya,  Nil.],  der  an 
der  Erhaltung  der  Welt  seine  Freude  hat. 

11.  (10780.)  Ihn  moge  der  Vaigya  ehren  und  [als  Acker- 
bauer  und  Viehziichter]  Gedeihen  im  Ubermafs  haben;  die 
Kshatriya's  soUen  schiitzen,  die  Brahmanen  sollen  [den  Gottern 
das  Opfer]  genehm  machen, 

12.  (10781.)  indem  sie  es  redlich  ohne  Falsch  und  ohne 
Zorn  den  Gottern  und  Manen  darbringen;  den  (^udra's  end- 
lich  liegt  das  Geschaft  des  Kehrens  ob,  dann  bleibt  das  Gesetz 
wohlgewahrt. 


Adhy&ya  295  (B.  293).  565 

13.  (10782.)  Und  wenn  es  wohlgewahrt  bleibt,  so  leben 
die  Menschen  gliicklich,  und  wenn  sie  gliicklich  leben,  o  Fiirst 
der  Konige,  so  freuen  sich  die  Gotter  im  Himmel. 

14.  (10783.)  Darum  wird  ein  Fiirst,  welcher  Schutz  gewahrt, 
mit  Recht  dafiir  geehrt,  und  ebenso  ein  Brahmane,  der  den 
Veda  studiert,  und  ein  Vaigya,  der  seine  Freude  am  Er- 
werb  hat, 

15.  (10  784.)  und  auch  ein  Qudra,  der  mit  bezahmten  Sinnen 
immer  gehorsam  ist;  wer  anders  handelt,  o  Fiirst  der  Men- 
schen, der  versaumt  seine  Pflicht. 

16.  (10785.)  Auch  ein  Scherflein,  welches  unter  eigenen 
Entbehrungen  dargebracht  wird,  bringt  grofsen  Lohn,  wenn 
es  nur  ehrlich  erworben  ist,  um  wieviel  mehr  tausendfache 
Gaben ! 

17.  (10786.)  Der  Fiirst,  welcher  die  Brahmanen  bewirtet 
und  beschenkt,  wird  in  dem  Mafse,  wie  er  es  tut,  entsprechen- 
den  Lohn  in  reicher  Fiille  ernten. 

18.  (10  787.)  Eine  Gabe,  welche  man  aus  freien  Stiicken 
mit  Freudigkeit  darreicht,  ist  wahrhaft  lobenswiirdig ;  was 
man  aber  gibt,  nachdem  man  sich  darum  hat  bitten  lassen, 
hat  nach  Ansicht  der  Weisen  nur  mafsigen  Wert. 

19.  (10  788.)  Was  aber  mit  Geringschatzung  oder  ohne 
Glauben  gespendet  wird,  das  erklaren  die  wahrheitsprechenden 
Muni's  fiir  eine  Gabe  untersten  Grades. 

20.  (10  789.)  Versunken  [in  das  Meer  des  Sansara]  soil 
der  Mensch  immer  suchen,  auf  alle  Art  herauszukommen, 
und  so  moge  er  eifrig  streben,  aus  der  Verstrickung  sich  zu 
befreien. 

21.  (10790.)  Durch  Bezahmung  zeichnet  sich  der  Brahmane 
aus,  durch  Sieg  der  Krieger,  durch  Reichtum  der  VaiQya,  der 
(^udra  aber  durch  bestandige  Riihrigkeit. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Oesang  dea  FaT&c^ara 
(Pardqara  -  gitd). 


566  in.   Mokshadharma. 

Adhyaya  296  (B.  394). 

Vers  10791-10821  (B.  1-31). 

Para^ara  sprach : 

1.  (10791.)  Zum  Brahmanen  als  Gaben  gelangend,  vom 
Kshatriya  im  Kampfe  erobert,  vom  Vaicya  ehrlich  erworben, 
vom  Q'udra  durch  gehorsames  Dienen  erlangt, 

2.  (10792.)  wird  auch  ein  geringer  Besitz  gepriesen  als 
grofse  Frucht  bringend,  wenn  er  im  Dienste  der  Pflicht  ver- 
wendet  wird.  Der  Qiidra  gilt  allgemein  als  der,  welcher  den 
drei  oberen  Kasten  Gehorsam  schuldet. 

3.  (10  793.)  Wenn  ein  Brahmane  aus  Nahrungssorgen  die 
Beschaftigung  eines  Kshatriya  oder  Vaigya  betreibt,  so  fallt 
er  dadurch  nicht;  wenn  er  aber  das  Geschaft  eines  Qudra 
betreibt,  so  fallt  dadurch  der  Brahmane. 

4.  (10  794.)  Handel,  Viehzucht  und  Leben  vom  Handwork 
werden  auch  einem  Qudra  zugestanden,  wenn  er  nicht  anders 
seinen  Lebensunterhalt  erwerben  kann. 

5.  (10  795.)  Das  Auftreten  auf  der  Biihne,  das  Leben  von 
Schaustellungen  [Marionetten  usw.],  vom  Handel  mit  be- 
rauschenden  Getranken  und  Fleisch,  mit  Eisen  und  Leder 

6.  (10796.)  soil  man,  wenn  es  nicht  in  der  Familie  erblich 
war,  nicht  anfangen,  da  es  in  der  Welt  fiir  ein  bescholtenes 
Gewerbe  gilt.  Wo  es  aber  erblich  war  und  aufgegeben  wurde, 
da  liegt  ein  grofses  religioses  Verdienst  vor,  wie  die  Schrift 
lehrt. 

7.  (10797.)  Wenn  ein  Mann,  der  es  in  der  Welt  zu  etwas 
gebracht  hat,  etwas  Schlechtes  begangen  hat,  weil  sein  Geist 
von  Trunkenheit  umnebelt  war,  so  gilt  das  nicht  fiir  nach- 
ahmenswert. 

8.  (10  798.)  Denn  in  alten  Geschichten  (purdnaj  wird  be- 
richtet,  dafs  die  Menschen  damals  so  bezahmt,  pfliohteifrig 
und  an  Sitte  und  Gesetz  gewohnt  waren,  dafs  die  Verachtung 
als  Strafe  geniigte,  um  sie  im  Zaume  zu  halten. 

9.  (10  799.)  Denn  von  jeher  wurde  die  Pflicht  erf iillung  an 
den  Menschen  hienieden  als  des  Lobes  wiirdig  erachtet,  o  Konig, 


Adhyaya  296  (B.  294).  567 

und  da  die  Menschen  in  der  Pflichterfiillung  grofs  ge  word  en 
waren,  so  iibten  sie  auf  Erden  tugendhafte  Handlungen. 

10.  (10800.)  Diese  Pflichttreue,  o  Freund,  wurde  von  den 
Damonen  nicht  geduldet,  o  Fiirst,  und  indem  sie  mehr  und 
mehr  an  Macht  und  Zahl  zunahmen,  fuhren  sie  in  die  Men- 
schen hinein  und  machten  sie  besessen. 

11.  (10801.)  Da  entwickelte  sich  in  den  Menschen  ein  die 
Pflicht  vernichtender  Hochmut,  und  als  sie  erst  von  Hoch- 
mut  erfiillt  waren,  erwuchs  in  ihnen  der  Zorn. 

12.  (10802.)  Und  indem  der  Zorn  sie  beherrschte,  gingen 
schamhaftes  Benehmen  und  Scheu  verloren,  und  Verblendung 
trat  an  ihre  S  telle. 

13.  (10803.)  Als  sie  aber  mit  Verblendung  erfiillt  waren, 
sahen  sie  nicht  mehr  so  klar  wie  vorher,  sondern  unter- 
drlickten  sich  gegenseitig  und  iiberhoben  sich  nach  Lust. 

14.  (10804.)  Als  sie  aber  erst  soweit  gekommen  waren,  ge- 
niigte  die  Verachtung  als  Strafe  nicht  mehr ;  sie  gingen  immer 
weiter,  indem  sie  sogar  Gotter  und  Brahmanen  verachteten. 

15.  (10805.)  Zu  dieser  Zeit  geschah  es,  dafs  die  Gotter 
den  obersten  Gott,  den  weisen,  vielgestaltigen ,  allervortreff- 
lichsten  Qiva,  um  Schutz  baten. 

16.  (10806.)  Da  wurden  von  ihm  jene  himmelstiirmenden 
[Damonen]  mitsamt  ihren  Burgen  auf  die  Erde  herabgestiirzt, 
zu  dreien  [als  Hochmut,  Zorn  und  Verblendung],  durch  einen 
einzigen  von  Gotterkraft  geschwellten  Pfeil. 

17.  (10807.)  Und  auch  er,  der  ihr  Oberherr  war,  furcht- 
bar,  von  furchtbarer  Tapferkeit,  und  der  die  Gotter  mit  Furcht 
erfiillt  hatte,  wurde  von  dem  Wurfspiefsbewehrten  [Qiva] 
niedergeworfen. 

18.  (10808.)  Nach  dessen  Niederwerfung  kehrten  die  Men- 
schen zu  ihrer  friihern  Natur  zuriick  und  wandten  sich  wieder 
wie  ehedem  den  Veden  und  den  Gesetzbiichern  zu. 

19.  (10809.)  Da  geschah  es,  dafs  die  sieben  Rishi's  den 
Vasava  (Indra)  zum  Konige  iiber  die  Gotter  im  Himmel  salbten 
und  ihn  mit  dem  Richteramte  iiber  die  Menschen  betrauten. 

20.  (10810.)  Auf  die  sieben  Rishi's  folgte  sodann  eiu  Erde- 
beherrscher  mit  Namen  Viprithu  und  in  den  einzelnen  Reiche  n 
Kshatriya's  als  Konige. 


568  III.    Mokshadharma. 

21.  (10811.)  Aber  da  gab  es  alte  und  noch  altere,  aus 
grofsen  Familien  geborene  Herrscher,  aus  deren  Herzen  die 
damonische  Natur  nicht  gewichen  war. 

22.  (10812.)  Darum  haben  manche  Fursten  vermoge  dieser 
Natur  und  ihrer  Folgen  mit  furchtbarer  Tapferkeit  damonische 
Werke  begangen. 

23.  (10813.)  Auf  diese  griindeten  sie  sich  und  stelltenxSie 
als  Beispiel  auf,  und  auch  heute  gibt  es  torichte  Menschen, 
welche  an  derartigen  Werken  ihre  Freude  haben. 

24.  (10814.)  Darum  sage  ich  zu  dir,  o  Konig:  Man  soil 
auf  Grund  der  Lehrbiicher  wohliiberlegend  nach  dem  Voll- 
kommenen  trachten  und  schadliche  Werke  meiden. 

25.  (10815.)  Ein  weiser  Mann  soil  nicht  auf  unlauterm 
Wege  Reichtum  aufhaufen,  indem  er  das  auf  Pflichterfullung 
zielende  Gesetz  aufser  Augen  lafst,  das  ist  nicht  schon. 

26.  (10816.)  Du  aber,  der  du  ein  bezahmter  und  von 
lieben  Freunden  umgebener  Kshatriya  hist,  mogest  Unter- 
tanen,  Diener  und  Kinder  vermoge  der  dir  obliegenden  Fflicht 
beschiitzen. 

27.  (10817.)  In  Verkniipfung  von  Angenehmem  und  Un- 
angenehmem  besteht  Feindschaft  und  Freundschaft  durch 
viele  tausend  Geschlechter  hindurch. 

28.  (10818.)  Darum  nimm  von  den  Tugenden  die  Farbe  an 
und  niemals  von  den  Fehlern;  hat  doch  schon  der  tugend- 
lose  Tor  an  sich  selbst  seine  Freude  [wieviel  mehr  der 
Tugendhafte] ! 

29.  (10819.)  Unter  den  Menschen,  o  grofser  Konig,  nehmen 
Gutes  und  Boses  ihren  Gang,  aber  so  ist  es  nicht  bei  anderen 
Geschopfen,  welche  gesondert  leben. 

30.  (10820.)  Ein   pflichttreuer   und   weiser  Mann,   mag  er 
irgend  etwas  erstreben  oder  nicht,   soil  allezeit  in  der  Welt 
wandeln  ohne  Schadigung  der  Wesen,  zu  ihrem  Selbste  ge-t 
w or den. 

31.  (10821.)  Wenn  eines  solchen  Mannes  Geist  frei  wird 
von  alien  Herzensskrupeln  und  aller  Unlauterkeit,  dann  wird 
ihm  ein  schones  Los  zuteil. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Gesaug  des  Par^gara 
(Pardfara  •  gttd). 


Adhyaya  297  (B.  295).  569 

Adhyaya  297  (B.  295). 

Vers  10822-10860  (B.  1-39). 

Para,Qara  sprach : 

1.  (10  822.)  Das  wird  als  das  Pflichtgesetz  des  Hausvaters 
verkiindet,  nun  will  ich  dir  das  Gesetz  der  Askese  vortragen ; 
vernimm  es,  wie  ich  es  dir  darlege. 

2.  (10823.)  Meistens  entwickelt  sich  im  Hausvater  ein  Egois- 
mus,  welcher  auf  dem  Welthange  vermoge  der  rajas-artigen 
und  tamas-artigen  Zustande  beruht. 

3.  (10824.)  Griindet  ein  Mensch  erst  einen  Hausstand,  dann 
gelangt  er  zu  Herden,  Feldern,  Reichtiimern,  Weibern,  Kin- 
dem  und  Dienern. 

4.  (10825.)  Wenn  er  in  diesen  Dingen  sich  bewegt  und 
sie  allezeit  im  Auge  hat,  dann  erstarken  in  ihm,  indem  er 
deren  Verganglichkeit  nicht  bemerkt,  die  Liebe  und  der  Hafs. 

5.  (10826.)  Wird  er  aber  von  Liebe  und  Hal's  geknechtet 
und  gerat  er  unter  die  Herrschaft  des  Materiellen,  dann  be- 
schleicht  den  Menschen  die  aus  Verblendung  entspringende 
Genufssucht,  o  Mannerfiirst. 

6.  (10827.)  Sich  am  Ziel  der  Wiinsche  und  im  Vollbesitze 
des  Gliickes  wahnend,  begreift  ein  jeder,  fiir  den  der  Genufs 
das  Hochste  ist,  nicht,  dafs  es  noch  etwas  anderes,  von  der 
Geschlechtsbefriedigung  Verschiedenes  zu  erstreben  gilt. 

7.  (10828.)  Und  mit  einer  von  Begierde  erfiillten  Seele 
fordert  er  aus  Weltliebe  auch  seine  Angehorigen,  und  um 
ihr  Gedeihen  zu  erhohen,  ist  er  fiir  seine  Angehorigen  bemiiht. 

8.  (10829.)  Dann  begeht  der  Mensch  auch  mit  Bewufstsein 
um  des  Gewinnes  willen,  was  er  nicht  tun  sollte,  und  um- 
nebelt  im  Geiste  durch  die  Liebe  zu  seinen  Kindern,  harmt 
er  sich,  wenn  sie  ihm  entrissen  werden. 

9.  (10  830.)  Und  von  Hochmut  erfiillt  und  angstlich  bedacht, 
keinen  Schaden  zu  erleiden,  tut  er  alles  in  dem  Gedanken: 
„Glucklich  will  ich  sein!"  und  daran  geht  er  zugrunde, 

10.  (10831.)  wahrend  das  wahre  Gliick  nur  den  Menschen 
zuteil  wird,  welche,  stets  von  Weisheit  geleitet,  das  Brahman 
verkiinden,  nach  edlen  Werken  streben  und  entsagen. 


570  in.    Mokshadharma. 

11.  (10832.)  Geht  verloren,  worauf  sich  die  Liebe  richtete, 
geht  der  Reichtum  verloren,  o  Fiirst,  wird  man  von  Kummer 
und  Krankheit  gequalt,  dann  kommt  man  zur  Weltver- 
drossenheit. 

12.  (10833.)  Aus  Weltverdrossenheit  entspringt  Selbst- 
erkenntnis,  aus  ihr  Beach tung  der  Lehrbiicher,  und  durch 
Beachtung  des  Inhalts  der  Lehrbiicher,  o  Konig,  wird  man 
auf  die  Askese  hingeleitet. 

13.  (10834.)  Schwer  zu  finden,  o  Fiirst  der  Menschen,  ist 
der  tiefdenkende  Mann,  der,  der  Lust  am  Angenehmen  miide, 
sich  zur  Askese  entschliefst. 

14.  (10835.)  Die  Askese  ist  universell  und  wird  auch  dem 
Kastenlosen  empfohlen;  wenn  er  bezahmt  und  Herr  seiner 
Sinne  ist,  zeigt  sie  ihm  den  Weg  zum  Himmel. 

15.  (10836.)  Durch  die  Askese  schuf  vordem  Prajapati,  der 
Herr,  die  Geschopfe,  indem  er,  das  Brahman  als  Hochstes 
haltend,  bald  dieses,  bald  jenes  Geliibde  libernahm,  o  Konig. 

16.  (10837.)  Die  Aditya's,  Vasu's,  Rudra's,  Agni,  die  Agvin's 
und  die  Maruta's,  die  Viqve  Devah  und  die  Sadhya's,  die 
Manen  und  die  Scharen  der  Marut's, 

17.  (10838.)  die  Yaksha's,  Rakshasa's  und  Gandharva's, 
die  Siddha's  und  anderen  Himmelsbewohner  sind,  o  Freund, 
durch  die  Askese  zur  Vollendung  gelangt,  und  so  auch,  die 
noch  sonst  im  Himmel  weilen. 

18.  (10839.)  Und  auch  die  Brahmanen,  welche  am  Anfang 
von  Gott  Brahman  geschaffen  wurden,  haben  vordem  durch 
Askese  die  Erde  geschmiickt  und  den  Himmel  bevolkert. 

19.  (10840.)  Und  auch  die  Konige  in  der  Menschen  welt 
und  solche  Hausherren,  die  in  edlen  Familien  glanzen  —  das 
alles  ist  die  Frucht  ihrer  Askese. 

20.  (10841.)  Seidene  Gewander  und  schone  Geschmeide, 
Wagen,  Sessel  und  Trinkbecher  —  das  alles  ist  die  Frucht 
der  Askese. 

21.  (10842.)  Herzerfreuende,  schone  Weiber  zu  Tausenden 
und  Weilen  auf  der  Zinne  des  Palastes  —  das  alles  ist  die 
Frucht  der  Askese. 

22.  (10843.)  Kostbare  Betten  und  allerlei  Leckerbissen  und 


Adhyaya  297  (B.  295).  571 

alles,    was  das  Herz  begehrt,    wird   den  Vollbringern   edler 
Werke  zuteil. 

23.  (10844.)  Es  gibt  nichts  in  alien  drei  Welten,  o  Feind- 
bedranger,  was  nicht  durch  Askese  erlangt  werden  konnte; 
aber  Verlust  aller  Freuden  ist  der  Lohn  derer,  welche  keine 
Werke  [der  Askese]  vollbringen. 

24.  (10845.)  Mag  der  Mensch  in  Gliick  oder  in  Ungliick 
leben,  er  meide  die  Habgier,  indem  er  das  Gesetz  mit  Sinn 
und  Geist  beachtet,  o  Bester  der  Fiirsten. 

25.  (10846.)  Unzufriedenheit  fiihrt  zu  Ungliick,  Begierde 
zu  Verwirrung  der  Sinne,  durch  sie  geht  die  Erkenntnis  zu- 
grunde,  wie  das  Wissen,  wenn  es  nicht  geiibt  wird. 

26.  (10847.)  Geht  aber  erst  die  Erkenntnis  verloren,  dann 
beachtet  man  das  Gesetz  nicht  mehr,  darum  moge  der  Mensch, 
wenn   sein  Gliick   scheitert,   sich  strenger  Askese  zuwenden. 

27.  (10848.)  Lust  nennt  man,  was  gewiinscht,  Unlust,  was 
gescheut  wird.  Welches  aber  die  Folgen  sind,  wenn  man 
Askese  betreibt  oder  nicht  betreibt,  das  sollst  du  sehen. 

28.  (10849.)  Bestandig  sehen  Erfreuliches ,  geniefsen  die 
Sinnendinge  und  gelangen  zur  Beriihmtheit  die,  welche  eine 
lautere  Askese  betrieben  haben. 

29.  (10850.)  Unangenehmes,  Geringschatzung  und  Leid  von 
mancherlei  Art  zieht  sich  der  zu,  welcher,  nach  Frucht  be- 
gehrend,  die  Frucht  der  Askese  und  ihrer  Objekte  beiseite  setzt. 

30.  (10851.)  Dann  bemachtigt  sich  seiner  die  Willkiir  in 
betreff  der  Pflicht,  der  Askese,  der  Freigebigkeit,  er  lafst  sich 
dazu  fortreifsen,  Boses  zu  tun,  und  kommt  in  die  Holle. 

31.  (10  852.)  Wer  aber,  mag  er  in  Gliick  oder  Ungliick 
leben,  o  Bester  der  Manner,  nicht  vom  guten  Wandel  ab- 
weicht,  der  Mensch  gebraucht  das  Gesetz  als  Auge. 

32.  (10853.)  Nur  momentan  wie  der  Schufs  eines  Pfeiles 
ist  die  Lust  fiir  das  Gefiihl,  und  ebenso  stehts  beim  Schmecken, 
Sehen,  Riechen  und  Horen,  o  Volkerherr, 

33.  (108B4.)  und  indem  sie  schwindet,  stellt  sich  ein  scharfer 
Schmerz  ein.  Nein,  es  sind  nur  Toren,  welche  nicht  die  Er- 
losung  als  das  hochste  Gliick  preisen. 

34.  (10855.)  Darum  dienen,  auch  wenn  der  Nutzen  in  Frage 
kommt,  die  Tugenden  einem  jeden  zu   seinem  Besten,  und 


572  III.    Mokshadharma. 

dadurch,  dafs  er  allezeit  das  Gute  wahlt,  geht  er  des  An- 
genehmen  und  Niitzlichen  nicht  verlustig. 

35.  (10856.)  Auch  ohne  dafs  er  sich  darum  bemiiht,  kommen 
die  Objekte  des  Genusses  dem  Grihastha  entgegen,  aber  nur 
mit  Miihe  kann  er  zur  Erfiilluug  der  Pflicht  gelangen,  so  ur- 
teile  ich. 

36.  (10857.)  Mag  es  sich  um  Hochsinnige  und  Edelgeborene, 
deren  Auge  stets  der  Inhalt  des  Gesetzes  ist,  handeln,  oder 
um  solche,  welche  aus  Unvermogen  und  Behinderung  ihres 
Geistes  von  der  Pflicht  der  Opferwerke  sich  lossagen,  — 

37.  (10858.)  wenn  ihre  menschhchen  Angelegenheiten  Schiff- 
hruch  leiden,  so  bleibt  ihnen  kein  anderer  Ausweg  in  der 
Welt  als  die  Askese. 

38.  (10859.)  Immerhin  moge  der  Hausvater  mit  ganzer  Seele 
genaue  Erfiillung  seiner  Werke  anstreben,  indem  er  wacker 
in  seiner  Pflicht,  den  Gottern  und  Manen  zu  opfern,  beharrt, 
o  Fiirst. 

39.  (10  860.)  Denn  wie  alle  Fliisse  und  Strome  im  Ozean 
zu  ihrer  Heimstatt  gelangen,  so  haben  alle  Lebensstadien  im 
Hausvaterstande  ihre  Heimstatte. 

So  lautet  im  MokBhadharma  der  Gesang  des  Par&Qara 
(Pardfara-gttd). 


Adhyaya  298  (B.  396). 

Vers  10861-10H99  (B.  1-39). 

Janaka  sprach : 

1.  (10861.)  Woher  kommt  es,  o  grofser  Rishi,  dafs  die  ver- 
schiedenen  Kasten  (varnaj  ihre  [besondere]  Farbe  {varnaj 
haben?  Das  wiinsche  ich  zu  erfahren,  das  erklare  mir, 
o  Bester  der  Redner. 

2.  (10862.)  Was  einem  als  Kind  geboren  wird,  das  ist 
man  selbst,  wie  die  Schrift  lehrt  (Ait.  Up.  2,1  fg.,  Sechzig 
Upanishad's  S.  14  und  19).  Wie  kommt  es  nun,  dafs  der 
Mensch,  da  er  doch  vom  Brahmanen  abstammt,  so  verschie- 
■dene  Richtungen  eingeschlagen  hat? 


Adhyftya  298  (B.  296).  573- 

ParSiQara  sprach: 

3.  (10863.)  AUerdings  ist  es  so,  o  Grofskonig,  von  wem 
man  geboren  ist,  der  ist  man;  aber  durch  die  Abnahme  der 
Askese  hat  der  Mensch  so  verschiedene  Richtungen  einge- 
schlagen. 

4.  (10864.)  Wo  das  Ackerland  und  der  Same,  beide,  gut 
sind,  mufs  eine  reine  Nachkommenschaft  entstehen,  und  nur 
weil  es  an  dem  einen  oder  andern  fehlt,  kann  eine  geringere 
geboren  werden. 

5.  (10865.)  Als  Prajapati  die  Welten  schuf,  da  sind  die 
Menschen  aus  seinem  Munde,  seinen  Armen,  Schenkeln  und 
Fiifsen  entsprungen,  so  wissen  es  die  Kenner  des  Gesetzes 
(Rigveda  10,90,12). 

6.  (10866.)  Aus  seinem  Munde  gingen  die  Brahmanen  her- 
vor,  o  Freund,  aus  seinen  Armen  die  Kshatriya's,  aus  seinen 
Schenkeln  die  reichen  [Vaigya's],  o  Konig,  aus  seinen  Fiifsen 
die  dienenden  [(^udra's]. 

7.  (10867.)  Das  ist  die  Herkunft  der  vier  Kasten,  o  Manner- 
stier ;  die  iibrigen,  die  noch  aufser  ihnen  vorhanden  sind,  sind 
durch  Mischung  entstanden. 

8.  (10868.)  Die  Kshatriya's  [hier  Volksname],  Atiratha's 
(Wagenkampfer) ,  Ambashtha's  [Sohn  eines  Brahmanen  und 
einer  Vaigya],  Ugra's  [eines  Kriegers  und  einer  (^udra], 
Vaidehaka's  [eines  ^udra's  und  einer  Brahmanin],  (^vapaka's 
(Hundekocher),  Pulkasa's  [(^udravater  und  Kshatriyamutter], 
Stena's  (Diebe),  Nishada's  [Brahmanavater  und  (^udramutter], 
Suta's  [Stallmeister,  Kshatriyavater  und  Brahmanenmutter], 
Magadha's  [Vaigyavater  und  Kshatriyamutter], 

9.  (10869.)  Ayoga's  [Qudravater  und  Vaigyamutter] ,  Kara- 
na's  [Vaigyavater  und  (^udramutter],  Vratya's  [(^udravater 
und  Kshatriyamutter] ,  Candala's  [(^udravater  und  Brahmana- 
mutter] ,  o  Mannerfurst,  diese  sind  aus  den  vier  Kasten  durch 
Kreuzung  entsprungen. 

Janaka  sprach : 

10.  (10870.)  Wenn  alle  aus  dem  einen  Brahman  entsprungen 
sind,  wie  erklart  sich  dann  die  Mannigfaltigkeit  der  Familien- 


574  in.    Mokshadharma. 

geschlechter ,    denn    es   gibt   ja  hier    in   der  Welt   viel   Ge- 
schlechter,  o  Bester  der  Muni's? 

11.  (10871.)  Wie  kommt  es,  dafs  Muni's  von  unbestimmter 
Herkunft  zu  dem  ihnen  gemafsen  Ursprung  gelangt  sind, 
denn  neben  solchen,  welche  einem  reinen  Mutterschofse  ent- 
sprungen  sind,  gibt  es  ja  auch  andere,  aus  einem  schlechten 
Schofs  hervorgegangene? 

Paragara  sprach: 

12.  (10872.)  0  Konig,  das  ist  nicht  aus  ihrer  niedrigen 
Geburt  zu  begreifen,  sondern  das  Emporkommen  solcher  Hoch- 
sinnigen  erklart  sich  daraus,  dafs  sie  ihre  Seele  durch  Askese 
gelautert  haben. 

13.  (10873.)  Wenn  die  Muni's  Sohne  hier  und  da  gezeugt 
haben,  so  haben  sie  ihnen  doch  durch  ihre  Askese  den  Rang 
der  Rishi's  wieder  erworben. 

14.  (10  874.)  Auch  mein  eigener  Vorfahre  und  Rishyagringa, 
der  KaQyapasprofs,  ferner  Veda,  Tandya,  Kripa,  Kakshivant, 
Eamatha  und  andere, 

15.  (10875.)  Yavakrita,  o  Piirst,  und  Drona,  der  Beste  der 
Redner,  ferner  Ayu,  Matanga,  Datta,  Drumada  und  Matsya, 

16.  (10876.)  diese,  o  Fiirst  der  Videha's,  haben  ihren  Rang 
auf  Grund  der  Askese  erlangt  und  stehen  da  als  Vedakenner 
vermoge  ihrer  Bezahmung  und  Askese. 

17.  (10877.)  Vier  Urgeschlechter  sind  entstanden,  o  Fiirst; 
Angiras,  Kagyapa,  Vasishtha  und  Bhrigu  [sind  ihre  Ahnherren]. 

18.  (10878.)  Andere  Geschlechter  sind  auf  Grund  ihrer 
Werke  zu  dem  geworden,  was  sie  sind,  o  Fiirst,  und  haben 
ihren  Namen  auf  Grund  der  Askese,  das  ist  die  Tradition 
unter  den  Guten. 

Janaka  sprach: 

19.  (10879.)  Erklare  mir,  o  Herr,  die  besonderen  Pflichten 
jeder  Kaste  und  sodann  ihre  gemeinsamen  Pflichten,  denn 
du  bist  in  dem  allem  bewandert. 

Paragara  sprach: 

20.  (10880.)  Annehmen  von  Gaben,  fiir  andere  opfern  und 
den  Veda  lehren,  o  Fiirst,  das  sind  die  besonderen  Pflichten 
der  Brahmanen,  die  Beschiitzung  ziert  den  Kshatriya. 


Adhyaya  298  (B.  296).  575 

21.  (10881.)  Ackerbau,  Viehzucht  und  Handel  liegen  dem 
Vaigya  ob,  die  Zwiegeborenen  zu  bedienen  ist  die  Pflicht  des 
(^udra,  0  Mannerfiirst. 

22.  (10882.)  Die  besonderen  Pflichten  der  Kasten  habe  ich 
dir  genannt,  o  Fiirst,  nun  vernimm  ihre  gemeinsamen  Pflichten 
ausfiihrlich  von  mir,  o  Freund. 

23.  (10883.)  Wohlwollen,  Nicht-Schadigung,  Besonnenheit, 
Gerechtigkeit,  Manenopfer,  Gastfreundschaft,  Wahrhaftigkeit, 
Nicht-Ziirnen, 

24.  (10884.)  sich  mit  seinen  eigenen  Frauen  begniigen, 
Reinheit,  bestandige  Unverdrossenheit,  Selbsterkenntnis  und 
Geduld,  das  sind,  o  Fiirst,  die  gemeinsamen  Pflichten. 

25.  (10  885.)  Die  Brahmanen,  Kshatriya's  und  Vaigya's  sind 
die  drei  zwiegeborenen  Kasten,  und  sie  sind  die  zu  den  reli- 
giosen  Pflichten  Berufenen,  o  Bester  der  Menschen. 

26.  (10886.)  Wenn  sie  sich  auf  schlechte  Werke  einlassen, 
sinken  die  drei  Kasten  ebenso  herab,  wie  sie  emporkommen, 
wenn  sie  sich  in  ihren  Werken  einen  Guten  zum  Vorbild 
nehmen. 

27.  (10887.)  Bin  ^udra  kann  nicht  tiefer  fallen,  das 
steht  fest,  auch  ist  er  hienieden  nicht  der  Weihen  wiirdig, 
fallt  auch  nicht  unter  das  vom  Veda  ausgehende  Gesetz, 
wahrend  er  von  dem  Gesetz  [nach  Nil.:  dem  dreizehn- 
fachen,  oben.  Vers  i0883fg.]  nicht  ausgeschlossen  ist. 

28.  (10888.)  0  Konig  der  Videha's,  fiir  Ka  [fiir  eine 
Inkarnation  des  Brahman]  erklaren  den  (^iidra  die  mit 
der  Schrifterklarung  sich  befassenden  Brahmanen;  ich 
aber  sehe  in  ihm,  o  Fiirst  der  Manner,  den  Gott  Vishnu, 
das  Oberhaupt  der  ganzen  Welt. 

29.  (10889.)  Die  Kastenlosen,  wenn  sie  in  ihrem  Streben 
emporzukommen  dem  Beispiel  der  Guten  nachleben  und  ge- 
deihliche  Werke  vollbringen,  nehmen  keinen  Schaden,  wenn 
sie  sich  nur  der  heiligen  Spriiche  enthalten. 

30.  (10890.)  In  dem  Mafse,  wie  die  andern  Menschen  sich 
an  das  Vorbild  der  Guten  halten,  in  diesem  Mafse  erlangt 
einer  Gliick  und  Freude  nach  dem  Tode  und  schon  hie- 
nieden. 


576  in.   Mokshadharma. 

Janaka  sprach: 

31.  (10891.)  "Was  erniedrigt  einen  Menschen,  sein  Werk 
Oder  seine  Kaste,  o  grofser  Muni?  Dariiber  besteht  mir  ein 
Zweifel,  den  mogest  du  mir  aufklaren. 

Paragara  sprach: 

32.  (10892.)  Freilich  tragt  beides,  o  Grofskonig,  zur  Er- 
niedrigung  bei,  das  Werk  und  die  Kaste,  den  Unterschied 
aber  sollst  du  vernehmen. 

33.  (10893.)  Der  Mensch  verdient  weder  um  seiner  Geburt 
noch  um  seiner  Werke  willen  Tadel,  welcher,  wenn  auch. 
durch  seine  Geburt  befleckt,  kein  boses  Werk  tut. 

34.  (10894.)  Aber  einen  durch  seine  Kaste  hervorragenden 
Mann,  wenn  er  ein  fluchwiirdiges  Werk  begeht,  erniedrigt 
dieses  Werk;  somit  ist  das  Werk  das  Verwerfliche  [und 
nicht  die  Kaste]. 

Janaka  sprach: 

35.  (10895.)  Welche  vom  Gesetze  gebotenen  Werke,  0  Bester 
der  Zwiegeborenen,  sind  von  der  Art,  dafs  sie,  in  dieser  Welt 
hier  allezeit  geiibt,  die  Mitgeschopfe  nicht  schadigen? 

Para,Qara  sprach: 

36.  (10896.)  Vernimm  dariiber,  wonach  du  mich  fragst, 
0  Grofskonig,  welcher  Art  die  Werke  sind,  die,  ohne  zu  schadi- 
gen, den  Menschen  allezeit  retten. 

37.  (10897.)  Nachdem  sie  stufenweise  den  Weg  der  Werke 
durchmessen  haben  [als  Hausvater],  machen  sie  sich  von  den 
Opferfeuern  los  und  schauen,  miifsig  und  frei  von  Leid,  die 
Seligkeit. 

38.  (10898.)  Bescheiden,  ziichtig,  allezeit  bezahmt  und  wohl- 
gefestigt,  gehen  sie  von  alien  Werken  frei  empor  zu  der  alter- 
losen  Statte. 

39.  (10899.)  Alle  Kasten,  o  Konig,  wofern  sie  die  pflicht- 
mafsigen  Werke  geiibt,  wahrer  Reden  sich  beflissen  und 
pflichtwidrige  Harte  gegen  alles  Lebende  gemieden  haben, 
gehen  in  den  Himmel  ein,  daran  darf  nicht  gezweifelt  werden. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Oesang  des  Farft^ara 

(Pard<fara-gUd). 


Adhyaya  299  (B.  297).  577 

Adhyaya  299  (B.  291), 

Vers  10900-10941  (B.  1-41). 

Par£lQara  sprach: 

1.  (10  900.)  Der  Vater,  die  Freunde,  die  Lehrer  und  der 
Lehrer  Frauen  bringen  in  der  Welt  den  Untugendhaften 
[von  denen  sie  nicht  geehrt  werden]  keinen  Vorteil  [keine 
Gelegenheit,  gute,  im  Jenseits  fruchtbringende  Werke  zu 
tun],  wohl  aber  [haben  diesen  Vorteil]  solche,  welche 
sie  unentwegt  verehren,  freundlich  zu  ihnen  reden  und 
ihnen  wohlwollend  und  gehorsam  sind,  o  Konig. 

2.  (10901.)  Der  Vater  ist  fiir  den  Menschen  die  hochste 
Gottheit,  hoher  noch  als  die  Mutter  steht  der  Vater,  wie 
gelehrt  wird,  ftir  das  Hochste  aber  gilt  es,  Erkenntnis 
zu  gewinnen,  und  wer  seine  Sinne  bezahmt,  erlangt 
dieses  Hochste. 

3.  (10  902.)  Wenn  auf  dem  Schlachtfelde,  wo  die  gliihen- 
den  Pfeile  fliegen,  der  Sohn  des  Fiirsten  fallt  und  ver- 
brannt  wird,  dann  steigt  er  empor  zu  Wei  ten,  die  auch 
fiir  die  Unsterblichen  schwer  zu  erlangen  sind,  und  ge- 
niefst  nach  Lust  den  himmlischen  Lohn. 

4.  (10  903.)  Den  Miiden,  Furchtsamen,  Waffenberaubten, 
Weinenden,  Abgewandten,  Hilflosen,  Darniederliegenden, 
Kranken  und  Flehenden  soil  man  nicht  toten,  o  Konig, 
und  ebensowenig  Kinder  und  Greise. 

5.  (10904.)  Hingegen  den  mit  Hilfsmitteln  wohlausgeriiste- 
ten,  aufrechtstehenden ,  ebenbiirtigen  Gegner  aus  Kshatriya- 
stamra  soil  der  Fiirst  in  der  Schlacht  niederkampfen. 

6.  (10905.)  Von  der  Hand  eines  Ebenbiirtigen  oder  auch 
Uberlegenen  zu  fallen  ist  riihmlich,  daran  ist  kein  Zweifel, 
aber  von  einem  Geringeren,  Feigen,  Jammerlichen  getotet  zu 
werden  ist  schimpflich. 

7.  (10906.)  Von  einem  Schlechten,  schlecht  sich  Fiihren- 
den,  Geringeren  getotet  zu  werden  wird  fiir  schlecht  erklart, 
0  Konig,  und  fiihrt  sicher  zur  Holle. 

8.  (10907.)   Keiner  kann  einen  retten,  o  Konig,  der  seinem 

Deussen,  Mah&bhftratam.  37 


578  ni.    Mokshadharma. 

Schicksale  verfallen   ist,   und   keiner   kann   einen   wegraffen, 
dem  noch  langer  zu  leben  bestimmt  ist. 

9.  (10908.)  Wenn  die,  welche  uns  teuer  sind,  irgendein 
schadenbringendes  Werk  unternehmen,  so  soil  man  sie  daran 
hindern.  Man  soil  sein  Leben  nicht  auf  Kosten  eines  fremden 
Lebens  zu  erhalten  suchen. 

10.  (10909.)  Fiir  alle  Hausvater,  welche  ihrem  Ende  ent- 
gegensehen,  ist  es  riihmlich  zu  sterben,  indem  sie  ihre  Zere- 
monien  auf  der  Sandbank  eines  [heiligen]  Flusses  verrichten. 

11.  (10910.)  Wenn  das  Leben  zu  Ende  geht,  lost  man  sich 
in  die  funf  Elemente  auf,  mag  dies  nun  ohne  besondere  Ur- 
sachen  eintreten  oder  durch  Ursachen  bedingt  sein. 

12.  (10911.)  Und  je  nachdem  es  durch  Ursachen  bedingt 
ist,  geht  man  aus  einem  Leib  in  den  andern  iiber;  ein  Wan- 
derer ist  man  auf  dem  Wege  [der  Erlosung]  und  kehrt  dabei 
von  Haus  zu  Haus  ein. 

13.  (10912.)  Fiir  diese  Wanderung  gibt  es  keine  andere, 
keine  zweite  Ursache  [als  diese,  dafs]  dieser  mit  der  Seele 
verbundene  Leib  fiir  zur  Erlosung  bestimmte  Wesen  vor- 
handen  ist  [den  Zwecken  der  Erlosung  dient,  anders  Nil.]. 

14.  (10913.)  Aus  Adern,  Sehnen  und  Knochen  zusammen- 
gestoppelt,  mit  Ekelhaftem  und  Unheiligem  vollgepfropft,  aus 
Elementen,   Sinnesorganen  und  Guna's   zusammengeschiittet 

15.  (10  914.)  und  mit  Haut  umsponnen,  —  so  charakteri- 
sieren  die  dem  hochsten  Atman  nachdenkenden  Weisen  diesen 
Leib,  der  iiberdies  noch  infolge  der  [unbestandigen]  Guna's 
der  Sterblichkeit  verfallen  ist. 

16.  (10915.)  Von  der  Seele  verlassen,  ohne  Bewegung  und 
Bewufstsein,  versinkt  er  vermoge  der  in  die  Prakriti  zuriick- 
gehenden  Elemente  in  der  Erde. 

17.  (10916.)  Und  gestaltet  entsprechend  seinen  Werken, 
wu'd  er  hier  und  dort  wiedergeboren,  wo  auch  immer  dieser  Leib 
gestorben  sein  mag,  o  Konig  der  Videha's,  (10917.)  und  diese 
Natur  habend,  ergibt  sich  die  Betatigung  in  Werken  als  eine 
niedrige. 

18.  Aber  doch  wird  er,  o  Fiirst,  eine  gewisse  Zeit  lang 
noch   nicht   wiedergeboren,   (10918.)  sondern    sein   Elementar- 


Adhy^ya  299  (B.  297).  579 

atman   fhhidatmanj   schweift  umher   wie    eine   grofse  Wolke 
am  Himmel 

19.  und  wird  erst  wiedergeboren,  nachdem  er  hienieden 
einen  Stiitzpunkt  gefunden  hat,  o  Konig.  —  (i09i9.)  Hoher 
als  das  Manas  steht  der  Atman,  hoher  als  die  Sinnesorgane 
steht  das  Manas. 

20.  Aber  unter  all  den  vielen  Wesen  stehen  am  hochsten 
die  beweglichen,  o  Fiirst,  (10920.)  unter  den  beweglichen  wieder 
die  Zweifiifsler,  unter  den  Zweifufslern  die  Zwiegeborenen, 

21.  (10921.)  unter  den  Zwiegeborenen  wiederum  die  Er- 
kenntnishabenden,  unter  den  Erkennenden  die  des  Atman 
sich  Bewufsten,  unter  denen  seiner  sich  Bewufsten  die  von 
Hochmut  Freien. 

22.  (10922.)  Jeden  Menschen,  der  geboren  ist,  erreicht  der 
Tod,  das  ist  gewifs,  denn  ein  Ende  habend  sind  die  [das 
Dasein  bedingenden]  Werke,  welche  die  Menschen  auf  Grund 
der  Guna's  vollbringen. 

23.  (10923.)  Wer  nun  stirbt,  wenn  die  Sonne  sich  zum 
Nordgange  gewendet  hat,  unter  einem  guten  Stern  und  zur 
giinstigen  Stunde,  o  Konig,  der  war  ein  Vollbringer  guter  Werke 
[vgl.  das  zu  Bhagavadgita,  VIII,  26,   oben  S.  69  Bemerkte], 

24.  (10924.)  wenn  er  eines  natiirlichen  Ydtmakriteiia  = 
Mlajef)a,  Nil.]  Todes  stirbt,  nachdem  er  keinen  Menschen  ge- 
plagt,  sich  vom  Bosen  losgesagt  und  aus  alien  Kraften  sein 
Werk  betrieben  hat. 

25.  (10925.)  Hingegen  Vergiftung,  Erhangen,  Verbrennen, 
Ermordung  durch  Sklavenhand,  durch  reifsende  Tiere  oder 
Vieh,  das  wird  ein  schmahlicher  Tod  genannt. 

26.  (10926.)  Aber  die  Vollbringer  guter  Werke  haben  nichts 
zu  schaffen  mit  diesen  selbstverhangten  und  vielen  anderen 
derartigen  schmahlichen  [Todesarten]. 

27.  (10927.)  Vielmehr  verlassen  die  Lebensgeister  der  Guten 
den  Leib,  indem  sie  nach  oben  durchbrechen,  o  Konig,  wah- 
rend  die  Mittelmafsigen  aus  dem  mittlern  Leibe  und  die 
Bbsen  nach  unten  zu  entweichen  (vgl.  Chand.  Up.  8,6,6  = 
Kath.  Up.  6,16). 

28.   (10928.)    Einen    Feind    gibt    es,    o   Konig,   keinen 
andern  Feind  gibt  es,  der  fiir  den  Menschen  so  schlimm 

37* 


580  III.    Mokshadharma. 

ware  wie  das  Nichtwissen ,  von  welchem  umnebelt  und 
angestiftet,  er  entsetzliche,  grausame  Werke  begeht. 

29.  (10  929.)  Bei  wem  behufs  Uberwindung  dieses  Fein- 
des  unter  Verehrung  der  Alten  die  Hingabe  an  Schrift- 
wort  und  Gesetz  Kraft  gewinnt,  kann  er,  so  schwer  auch 
mit  ihm  fertig  zu  werden  ist,  durch  den  Pfeil  der  Er- 
kenntnis  aus  der  Fassung  gebracht  und  in  die  Flucht 
geschlagen  werden. 

30.  (10930.)  Nachdem  einer  als  Brahmacarin  das  Veda- 
studium  mit  Askese  betrieben  hat,  soil  er  als  pflichttreuer 
Mann  hienieden  nach  Kraften  sich  mit  den  fiinf  [tag- 
lichen]  Opfern  befassen,  sein  Geschleeht  fortpflanzen 
und  sodann,  auf  sein  Seelenheil  bedacht,  in  den  Wald 
Ziehen. 

31.  (10931.)  Nicht  soil  der  Mensch,  auch  wenn  er  von 
alien  Geniissen  entblofst  ist,  sich  selbst  umbringen;  Mensch 
zu  sein,  o  Freund,  und  ware  man  ein  Candala,  ist  immerhin 
eine  schone  Sache. 

32.  (10932.)  Denn  dieses  [das  Menschsein],  o  Weltbeherr- 
scher,  ist  die  erste  Geburt,  in  welcher  der  Atman  durch  edle 
Werke  Rettung  linden  kann. 

33.  (10933.)  Und  fragt  man,  was  zu  tun  ist,  um  dieser 
Geburt  nicht  wieder  verlustig  zu  gehen,  o  Herr :  Ihre  Pfliclit 
miissen  die  Menschen  tun,  indem  sie  auf  die  Schrift  als 
Richtschnur  hinblicken. 

34.  (10934.)  Wer  aber,  nachdem  er  eine  [hohere]  schwie- 
riger  zu  erlangende  Menschwerdung  erreicht  hat,  gehassig, 
die  Pflicht  verachtend  und  der  Lust  frohnend  ist,  dessen 
Stellung  freilich  wird  erschiittert. 

35.  (10935.)  Wer  aber  mit  einem  an  Liebe  von  friih  an 
gewohnten  Auge  die  Menschen  als  Lampen  [die  durch  sneha 
01,  Liebe  gedeihen]  ansieht  und  nicht,  sofern  sie  ihm  niitz- 
lich  sind, 

36.  (10936.)  wer  sie  mit  Giite,  Nahrungsspende  und  freund- 
licher  Rede  behandelt  und  in  Leid  und  Lust  gleichmiitig 
bleibt,  der  wird  im  Jenseits  erhoht  werden. 

37.  (10937.)  Freigebigkeit,  Entsagung,  freundliche  Er- 
scheinung,  o  Fiirst,   ein   unter  Askese  gelauterter  Leib, 


Adhy^ya  299  (B.  297).  581 

in   den  Wassern   der   Sarasvati,    im  Nimishawalde   und 
in  Pushkara  und  anderen  heiligen  Orten  der  Erde, 

38.  (10938.)  wer  [dies  besitzt],  wenn  audi  nur  als 
Hausvater  sein  Leben  aushauchend,  dem  gebiihrt  eine 
riihmliche  Bestattung,  ein  Hinausgefiihrtwerden  auf 
Wagen  und  Verbrennung  auf  der  Leichenstatte  nach 
reiner  Sitte. 

39.  (10939.)  Darbringung,  gedeihliche  Brauche,  Opfern 
fiir  sich  und  andere,  Freigebigkeit,  Vollbringung  heiliger 
Werke,  nach  Moglichkeit  Manenverehrung  und  was  sonst 
noch  riihrnlich  ist,  das  alles  vollbringt  der  Mensch  zu 
seinem  eigenen  Heile. 

40.  (10  940.)  Die  Gesetzbiicher,  die  Veden  und  die  sechs 
Vedaiiga's  werden  um  seines  Heiles  willen  den  Menschen  an- 
befohlen,  der  in  seinen  Werken  riihrig  ist,  o  Fiirst. 

Bhishma  sprach; 

41.  (10941.)  Alles  dieses  wurde  von  dem  hochsinnigen  Muni 
vor  Zeiten  dem  Konige  der  Videha's  um  seines  Heiles  willen 
mitgeteilt,  o  Fiirst  der  Menschen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Gesang  des  Par^gara 
(Pard<;ara-gitd). 


Adhyaya  300  (B.  398). 

Vers  10942-10991  (B.  1-47). 

Bhlsbma  sprach: 

1.  (10942.)  Und  abermals  befragte  Janaka,  der  Konig  von 
Mithila,  den  hochherzigen  Paragara  iiber  die  letzte  Wahrheit 
in  betreff  der  Pflicht. 

Janaka  sprach : 

2.  (10943.)  Was  ist  das  Heil,  welches  ist  der  Weg  zu  ihm, 
o  Brahmane,  welches  Werk  ist  nicht  verganglich,  und  wohin 
fiihrt  der  Weg,  auf  dem  man  nicht  zuriickkommt ?  Das  er- 
klare  mir,  o  Hochweiser. 


582  III.    Mokshadharma. 

Paragara  sprach: 

3.  (10944.)  Nicht-Anhanglichkeit  ist  die  Wurzel  des  Heils, 
die  Erkenntnis,  der  Erkenntnisweg  ist  der  hochste,  die  Askese, 
die  betrieben  wurde,  ist  nicht  verganglich,  was  auf  das  Feld 
gesat  wurde  [eine  Wohltat,  die  einem  Wiirdigen  erwiesen 
wurde],  geht  nicht  verloren. 

4.  (10945.)  Wenn  einer  die  aus  Ungerechtigkeit  bestehende 
Fessel  zerbricht  und  an  der  Gerechtigkeit  seine  hochste  Freude 
hat,  wenn  er  die  in  Furchtlosigkeit  bestehende  Gabe  gibt, 
dann  erlangt  er  die  Vollendung. 

5.  (10946.)  Wer  tausend  Kiihe  und  hundert  Rosse  schenkt 
und  alien  Wesen  Furchtlosigkeit  gewahrt,  dem  wird  sie  alle- 
zeit  auch  wiederum  zuteil. 

6.  (10  947.)  Der  Weise,  auch  wenn  er  mitten  unter  den 
Sinnendingen  wohnt,  wohnt  doch  nicht  unter  ihnen,  der  Un- 
weise  aber  wohnt  unter  ihnen,  auch  wenn  sie  gar  nicht  vor- 
handen  sind. 

7.  (10948.)  Ungerechtigkeit  klebt  nicht  an  dem  Weisen, 
wie  das  Wasser  nicht  an  dem  Blatte  der  Lotosbliite;  am  Un- 
weisen  aber  klebt  das  Bose  im  Ubermafs,  wie  Lack  am  Holze. 

8.  (10949.)  Das  Unrecht,  welches  aus  einer  Absicht  hervor- 
ging,  lafst  den  Tater  nicht  los,  sondern,  wenn  die  Zeit  ge- 
kommen  ist,  verfallt  ihm  der  Tater. 

9.  (10950.)  Nicht  aber  werden  zermalmt  die,  welche  ihren 
Atman  bereitet  haben  und  auf  den  Atman  ihr  Vertrauen 
setzen.  Wer  jedoch,  unachtsam  auf  seine  Erkenntnisorgane 
und  Tatorgane,  nicht  zur  Erkenntnis  kommt,  (10951.)  sondern 
sich  an  Gutes  und  Boses  anklammert,  der  gerat  in  grofse 
Gefahr. 

10.  Wer  allezeit  ganz  frei  von  Leidenschaft  und  Herr 
iiber  seinen  Zorn  ist,  (10952.)  der  wird,  auch  wenn  er  in  der 
Sinnenwelt  weilt,  doch  nicht  vom  Bosen  beriihrt. 

11.  An  seinem  Ufer  durch  die  Damme  der  Gerechtig- 
keit aufgestaut,  sinkt  er  nicht,  (10953.)  sondern  einem  ge- 
schwollenen  Strome  vergleichbar,  stromt  er  ohne  Aufenthalt 
in  Fiille  dahin. 

12.  Wie  ein  klarer  Kristall  vom  Sonnenlichte  ganz  sich 
durchdringen  lafst,  (10954.)  0  Konigstiger,  so  [mittels  Durch- 


Adhy^ya  300  (B.  298).  583 

dringung]   durch  die  Meditation   geht   der  Yoga  vonstatten 
(vgl.  Yogasutra's  1,41). 

13.  (10955.)  Wie  die  Gute  der  Sesamkorner  durch  Ver- 
mischung  mit  edlen  Stoffen  mehr  und  mehr  erfreulich 
wird,  so  wird  in  Menschen  von  bereitetem  Geiste,  je 
nachdem  sie  ihren  Umgang  wahlen,  der  Guna  des  Satt- 
vam  (Giite)  sich  entwickeln. 

14.  (10  956.)  Wenn  der  Mensch  seinen  Sinn  auf  den 
hoohsten  Himmel  richtet,  dann  lafst  er  die  Frauen,  lafst 
die  Gliicksgiiter,  Stellung,  Lustfahrten  und  Gelage  da- 
hinten  und  sein  in  den  Sinnendingen  befangenes  Be- 
wufstsein  scheidet  sich  von  ihnen. 

15.  (10957.)  Wer  aber  mit  seinem  Bewufstsein  in  den 
Sinnendingen  befangen  bleibt  und  nicht  erkennt,  was  zu 
seinem  Heile  dient,  der  wird  vermoge  seines  alien  Reizen 
folgenden  Geistes,  o  Fiirst,  wie  ein  Fisch  durch  den 
Koder  angelockt. 

16.  (10  958.)  Die  Welt  der  Sterblichen,  wie  ein  Aggregat 
sich  aneinander  klammernd  und  kraftlos  wie  das  Mark  des 
Bananenbaumes,  geht  unter  wie  ein  Schiff  im  Wasser. 

17.  (10959.)  Die  Zeit,  um  Gutes  zu  tun,  ist  fiir  den  Menschen 
nicht  eingeschrankt,  der  Tod  aber  wartet  nicht,  bis  der  Mensch 
bereit  ist;  zu  jeder  Zeit  ist  es  schon,  eine  gute  Tat  zu  tun, 
und  befande  sich  der  Mensch  auch  schon  im  Rachen  des 
Todes. 

18.  (10960.)  Wie  der  an  sein  Haus  gebundene  Blinde  nur 
mit  Vorsicht  in  ihm  umhergehen  kann,  so  geht  der  Weise 
mit  gebundenem  Manas  [im  Yoga]  jenen  hochsten  Erkenntnis- 
weg  (Vers  10944). 

19.  (10961.)  In  der  Geburt  liegt  schon  der  Tod  voraus- 
bestimmt,  und  der  Tod  wiederum  ist  die  Voraussetzung  einer 
neuen  Geburt;  der  die  Erlosungslehre  nicht  Kennende  bleibt 
gebunden  und  rollt  um  wie  ein  Rad. 

20.  (10  962.)  Wer  auf  dem  Wege  der  Erkenntnis  wandelt, 
wird  gliicklich  hienieden  und  im  Jenseits.  Ausbreitung  ist  mit 
Plage  verbunden,  Einschrankung  macht  gliicklich,  (10  963.)  alle 
Ausbreitungen  verfolgen  [dem  Atman]  fremde  Zwecke,  in  der 
Entsagung  liegt  fiir  den  Atman  das  Heil. 


584  III.    Mokshadharma. 

21.  Wie  der  Schlamm  die  LotosknoUen,  die  er  umgibt, 
leicht  loslafst,  (10  964.)  so  wird  der  Atman  hienieden  von  dem 
[die  Aufsendinge  verfolgenden]  Manas  freigegeben. 

22.  Das  Manas  fiihrt  den  Atman  zum  Yoga  hin,  dadurch 
schirrt  der  Mensch  seinen  Atman  an,  (io965.)  und  ist  er  an- 
geschirrt  zum  Yoga,  dann  bekommt  er  jenen  hochsten  [Atman] 
zu  schauen. 

23.  Wer  aber,  [dem  Atman]  fremde  Zwecke  verfolgend, 
sie  fiir  die  eigenen  Angelegenheiten  halt,  (10966.)  der  bleibt 
in  die  Sinnendinge  verstrickt  und  verfehlt  seine  wahre  Aufgabe. 

24.  Nach  unten  und  in  Tierleiber  fahrt  —  wahrend  den 
hochsten  Gang  zum  Himmel  (i0  967.)  der  Atman  des  Weisen 
durch  gute  Werke  geht  —  der  Atman  des  andern. 

25.  Wie  in  einem  Tongefafse,  welches  nicht  gebrannt 
ist  fapakvej^  das  Wasser  sich  verlauft,  (10968.)  so  verliert  sich 
der  Korper  in  die  Sinnenwelt,  wenn  er  nicht  durch  Askese 
gebrannt  ist. 

26.  Wer  sich  aber  in  die  Sinnenwelt  verliert,  der  wird 
w^ahrlich  nicht  zum  Genusse  gelangen;  (109139.)  wer  hingegen 
den  Geniissen  entsagt,  der  hat  die  Gewifsheit,  zum  wahren 
Genusse  zu  gelangen. 

27.  Jener  aber,  von  Nebel  umhiillt  und  der  Geschlechts- 
lust  und  Efslust  frohnend,  (10970.)  kann  mit  seinem  umdiister- 
ten  Geiste,  einem  Blindgeborenen  gleich,  den  Weg  nicht  finden. 

28.  Wie  ein  Kaufmann  aus  der  Meerfahrt  seiner  Miihe 
entsprechend  Reichtum  gewinnt,  (10971.)  so  ist  auf  dem  Ozean 
des  Lebens  die  Tatigkeit  des  der  Erkenntnis  hingegebenen 
Menschen  fiir  ihn  der  Weg  [zum  Heil]. 

29.  In  der  in  Tagen  und  Nachten  abroUenden  \\^elt  be- 
schleicht  im  Gewande  des  Greisenalters  (10972.)  der  Tod  die 
Wesen  und  schluckt  sie  ein  wie  Schlangen  die  Luft.        , 

30.  Die  von  ihm  selbst  friiher  begangenen  Werke  biifst 
der  Mensch,  nachdem  er  geboren  ist,  (10973.)  keiner  erlangt 
hier  etwas,  was  er  nicht  verdient  hatte,  sei  es  Freude 
oder  Leid. 

31.  Mag  er  liegen,  gehen,  sitzen  oder  in  Geschaften  tatig 
sein,  (10974.)  seine  guten  und  bosen  Werke  wissen  den  Men- 
schen allezeit  zu  fmden. 


Adhyaya  300  (B.  298).  585 

32.  Wer  aber  das  andere  Ufer  erreicht  hat,  den  geliistet 
es  nicht  noch  einmal  durchzuschwimmen,  (10975.)  denn  es  wird 
ihm  als  ein  schweres  Verhangnis  erscheinen,  in  den  grofsen 
Ozean  zuriickzustiirzen. 

33.  Wie  ein  im  tiefen  Wasser  durch  seinen  schlechten 
Zustand  gesunkenes  Schiff  mittels  eines  Strickes  [heraus- 
gezogen  wird],  (10 976.)  so  zieht  man  den  Leib  mittels  des 
Manas  [beim  Yoga,  im  Sinne  von  Vers  10964]  aus  seiner  Ver- 
sunkenheit  heraus. 

34.  Wie  in  dem  Ozean  die  anderen  umgebenden  Gewasser 
ihren  Sammelort  finden,  (10977.)  so  bildet  immer  die  Urnatur 
fddyd  praJcritiJ  auf  Grund  des  Yoga  den  Zufluchtsort  [fiir  die 
Organe]. 

35.  Wenn  durch  vielfache  Stricke  der  WeltHebe  das 
Manas  gebunden  ist,  so  werden  die  Menschen,  (10978.)  in  der 
Prakriti  fufsend,  in  ihr  versinken  wie  ein  auf  Sand  gebautes 
Haus  im  Wasser. 

36.  Der  Verkorperte,  der  den  Korper  sein  Haus  nennt 
und  Reinheit  seine  Badestatte,  (10979.)  wird,  wenn  er  auf  dem 
Wege  der  Erkenntnis  wandelt,  gliickHch  hienieden  und  im 
Jenseits. 

37.  Ausbreitung  ist  mit  Plage  verbunden,  Einschrankung 
macht  gliicklich;  (10  980.)  alle  Ausbreitungen  verfolgen  [dem 
Atman]  fremde  Zwecke,  in  der  Entsagung  liegt  fiir  den  Atman 
das  Heil  (=  Vers  i0  962fg.). 

38.  Der  Schwarm  der  Freunde  wird  durch  seine  Wiinsche 
an  uns  gefesselt,  und  die  Verwandten,  durch  besondere  Beweg- 
griinde,  (i0  98i.)  Gattin,  Sohn  und  Dienerschaft  verfolgen  ihr 
eigenes  Interesse, 

39.  Nicht  die  Mutter,  nicht  der  Vater  kann  fiir  einen 
irgend  etwas  [zu  seinem  Heile]  erwirken;  (10982.)  die  Gaben, 
die  der  Mensch  spendet,  sind  seine  Reisekost,  und  so  erlangt 
er  die  Frucht  seiner  eigenen  Werke. 

40.  Mutter,  Sohn,  Vater,  Bruder,  Gattin  und  der  Freunde 
Schar,  (10  983.)  das  alles  ist  wie  ein  blofser  Goldabdruck  an 
S telle  wirklichen  Goldes,  o  Vortrefflicher. 

41.  (10  984.)  Alle  friiher  von  der  Person  eines  Menschen 
begangenen  Werke  biiden  sein   Geloite;  bedenkend  die 


586  in.    Mokshadharma. 

bevorstehende  Vergeltung  der  Werke,   treibt  das  innere 
Selbst  die  Erkenntnis  an. 

42.  (10985.)  Wer,  auf  eigener  Entschliefsung  beharrend,  mit 
seinen  Freunden  umgeht,  dem  wird  kein  Unternehmen  jemals 
fehlschlagen. 

43.  (10986.)  Einem  in  sich  nicht  zwiespaltigen ,  hinge- 
gebenen,  tapfern,  charakterfesten  Weisen  bleibt  das  Gliick 
treu  wie  der  Sonne  ihre  Strahlen. 

44.  (10987.)  Wer  auf  Grund  von  Glaubigkeit,  von  Ent- 
schlossenheit,  von  geeigneten  Mitteln  und  Nicht-Uberhebung 
mit  Verstand  und  tadellosem  Charakter  sein  Werk  betreibt, 
dessen  Absicht  wird  nicht  fehlschlagen. 

45.*  (10988.  10989.)  JedcF  Mensch  biifst  an  sich  selbst 
von  Geburt  an  mit  Notwendigkeit  seine  guten  und  bosen 
Werke,  beides,  je  nachdem  er  es  vordem  begangen  hat. 
Und  der  unvermeidliche  Tod  bringt  ihn  mittels  der  ein- 
schneidenden  Zeit  an  das  Ende  seiner  Tatigkeit,  wie  der 
Wind  das  von  dem  Eisen  der  Sage  erzeugte  Holzmehl 
verweht. 

46.  (10990.)  Seine  Naturanlage  und  den  von  ihm  selbst 
geschaffenen  Wirkungskreis,  edle  Abstammung  und  Fiille 
von  Reichtum  und  Gliick,  das  alles  erlangt  ein  jeder 
Mensch,  je  nachdem  er  es  durch  eigene  gute  und  bose 
Werke  verdient  hat. 

Bhishma  sprach: 

47.  (10991.)  Nachdem  Janaka,  der  Beste  der  Gesetzkundigen, 
von  dem  Weisen  diese  wahrhaften  Lehren  vernommen  hatte, 
o  Konig,  fiihlte  er  sich  erfiillt  von  hoher  Freudigkeit. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Schlu/s  des  Gesasges  des  PaT&cara 
(Pard^ara-gttd  samdptd). 


*  Metrum:  Qardulaviknditam. 


Adhyaya  301  (B.  299).  587 

AcUiyaya  301  (B.  299). 

Vers  10992-11036  (B.  1-46). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (10992.)  Weise  Manner  preisen  in  dieser  Welt  die  Wahr- 
heit,  Bezahmung,  Geduld  und  Erkenntnis;  wie  denkst  du  dar- 
iiber,  o  Grofsvater? 

Bhlshma  sprach : 

2.  (10993.)  Dariiber  werde  ich  dir  eine  alte  Geschichte  mit- 
teilen,  namlich  die  Unterredung,  welche  die  Sadhya's  (die 
Anbetungswiirdigen)  mit  dem  Schwan  batten,  o  Yudhishtbira. 

3.  (10994.)  Als  ein  schon  befiederter  Schwan  durchstreift 
alle  drei  Welten  der  unentsprossene,  ewige  Herr  der  Geschopfe, 
und  so  kam  er  einst  zu  den  Sadhya's. 

Die  Sadhya's  sprachen: 

4.  (10995.)  0  Vogel,  wir,  die  gottlichen  Sadhya's,  wollen 
dich  befragen  und  um  Belehrung  bitten  iiber  das  Gesetz  der 
Erlosung  fmohshadharmaj .  denn  du,  o  Herr,  bist  ja  der  Er- 
losung  kundig. 

5.  (10996.)  Wir  haben  vernommen,  dafs  du  gelehrt  und 
weisheitredend  bist,  Beifallsbezeugungen  begleiten  dich, 
0  Vogel ;  was  haltst  du  fiir  das  Beste,  o  Zweimalgeborener 
(Vogel),  woran  hat  dein  Herz  seine  Freude,  o  Hoch- 
sinniger  ? 

6.  (10997.)  0  Bester  der  Gefliigelten,  lehre  uns  die  Auf- 
gabe  kennen,  welche  du  fiir  die  hochste  aller  Aufgaben 
erachtest,  und  welche  vollbringend  der  Mensch  von  alien 
Fesseln  erlost  wird,  diese,  o  Fiirst  der  Luftwandler,  lehre 
uns  alsbald. 

Der  Schwan  sprach: 

7.  (10  998.)  Dieses  ist  die  Aufgabe,  wie  ich  vernommen, 
o  Geniefser  des  Amritam:  Askese,  Bezahmung,  Wahr- 
haftigkeit  und  Hiitung  des  eigenen  Selbstes;  alle  Knoten 
des  Herzens  losend  (Kath.  Up.  6,15;  Sechzig  Upanishad's, 


588  III.   Mokshadharma. 

S.  287A.  1),   moge  der  Mensch  Liebes   und  Unliebes   in 
seine  Gewalt  bringen. 

8.  (10999.)  Er  moge  kein  Feindzermalmer,  kein  Men- 
schenverwiinscher  sein,  nicht  nehme  er  das  Hochste  [das 
Brahman wissen]  von  einem  Niedrigen  an ;  eine  Rede,  die 
einen  andern  zittern  macht,  eine  brennende,  zu  bosenWel- 
ten  fiihrende,  soil  er  nicht  reden. 

9.  (11000.)  Die  Pfeile  der  Rede  werden  aus  dem  Munde 
geschossen,  und  wen  sie  treffen,  der  jammert  Tag  und 
Nacht,  sie  verfehlen  nicht  die  verwundbaren  Stellen  des 
andern,  der  Weise  soil  sie  nicht  auf  andere  schleudern. 
(Parallelstellen  s.  Indische  Spriiche -,  6018.) 

10.  (11001.)  Wenn  ihn  ein  anderer  rait  iibermiitiger  Rede 
Pfeilen  verletzt,  so  begegne  er  ihra  mit  Ruhe;  wer,  zum 
Zorne  gereizt,  Freundliches  erwidert,   der  iibertragt  auf 

I  sich  des  andern  gute  Werke. 

11.  (11002.)  Wer  den  aufbrausenden ,  durch  Leiden- 
schaftlichkeit  zum  Unrecht  verleitenden ,  lodernden  Zorn 
niederhalt  und,  kiinftiger  Vergeltung  eingedenk,  heiter 
und  frei  von  Unmut  bleibt,  der  iibertragt  auf  sich  des 
andern  gute  Werke. 

12.  (11003.)  Werde   ich   angeschrien,    so   erwidere  ich 
nichts,  werde  ich  geschlagen,  so  bleibe  ich  stets  geduldig, 
denn  das  ist  das  Hochste,  was  die  Edlen  Geduld,  Wahr- 
haftigkeit,  Rechtschaffenheit  und  Wohlwollen  nennen. 
13.  (11004.)   Des  Veda  verborgener   Sinn    fiipcmishadj  ist 

W'ahrhaftigkeit,  der  Wahrhaftigkeit  verborgener  Sinn  ist  Be- 
zahmung,  der  Bezahmung  verborgener  Sinn  Erlosung  —  da- 
mit  ist  alles  gesagt. 

14.  (11005.)  Den  Ansturm  der  Rede,  den  Zornesansturm 
des  Herzens,  den  Ansturm  der  Neuerungssucht,  den  An- 
sturm von  Efslust  und  Geschlechtslust,  wer  diesen  An- 
stijrmen,  wenn  sie  sich  erheben,  standhalt,  den  halte  ich 
fiir  einen  Brahmanen,  einen  Muni. 

15.  (11006.)  Wer  nicht  ziirnt,  ist  den  Zornigen  iiber- 
legen,  wer  ausdauert,  den  Nicht- Ausdauernden,  der  Mensch 
ist   dem  Unmenschen,   der  Weise  dem  Toren  iiberlegen. 


Adhyaya  301  (B.  299).  589 

16.  (11007.)  Wird  man  geschmaht,  so  schmahe  man  nicht 
wieder,  sein  Zorn  verbrennt  ihn,  den  Schmahenden,  wenn 
man  dabei  geduldig  bleibt,  und  man  gewinnt  des  andern 
gute  Werke. 

17.  (11008.)  Wer,  iiber  Gebiihr  getadelt  oder  gelobt, 
nichts  Rauhes  und  nichts  Freundliches  erwidert,  wer,  ge- 
schlagen,  an  sich  halt  und  nicht  wiederschlagt  und  ihm, 
der  ihn  schlug,  nichts  Boses  wiinscht,  den  beneiden  wahr- 
lich  auch  die  Gotter. 

18.  (11009.)  Man  ertrage  die  Schlechteren ,  man  ertrage 
auch  die  Besseren  und  die  Gleichen;  man  ertrage  es,  wenn 
man  verachtet,  geschlagen  oder  geschmaht  wird.  So  wird 
man  zur  Vollendung  gelangen. 

19.  (11010.)  Ich  ehre  allezeit  die  Edlen,  auch  wenn  ich 
sie  nicht  notig  habe,  Neuerungssucht  und  Zorn  haben 
keine  Gewalt  iiber  mich,  auch  verlockt  weiche  ich  nicht 
vom  Wege,  und  ich  gehe  niemand  um  eine  Sache  an. 

20.  (11011.)  Wenn  man  mir  flucht,  so  fluche  ich  nie- 
mandem  wieder,  denn  ich  weifs,  dafs  die  Bezahmung  hie- 
nieden  die  Pforte  der.Unsterbhchkeit  ist;  ein  geheimnis- 
volles,  heihges  Wort  fhrahmanj  teile  ich  dir  mit:  Es 
gibt  nichts  Hoheres   als   den   Menschen. 

21.  (11012.)  Von  allem  Ubel  erlost,  wie  der  [herbstliche] 
Mond  von  den  Wolken,  leidenschaftlos  seine  Zeit  abwartend, 
gelangt  der  W^eise  durch  Weisheit  zur  Vollendung. 

22.  (11013.)  Wer  als  ein  sich  selbst  Beherrschender  die 
Verehrung  von  alien  verdient,  gleichsam  geboren  zu  einer 
stiitzenden  [idsedhanah  =  uttamhhanakarah  Nil.)  Saule,  zu 
dem  man  nur  freundliche  Worte  redet,  der  fiirwahr  geht 
zu  den  Gottern  ein. 

23.  (11014.)  Die  Menschen,  zum  Tadel  geneigt,  sind  weniger 
bereit,  schone  Tugenden  an  jemandem  anzuerkennen,  als  das 
Schlechte  an  einem  hervorzuheben. 

24.  (11015.)  Wer  Worte  und  Gedanken  hiitet,  allezeit  fromm 
ist,  wer  Veden,  Askese  und  Entsagung  besitzt,  dem  wird  das 
Weltall  zum  Lohne. 

25.  (11016.)  Ein  weiser  Mann  soil  es  vermeiden,  ,die  Un- 
weisen  mit  rauhen  und  geringschatzenden  Worten  zu  belehren, 


590  in.   Mokshadharma. 

er  soil  daher  nicht  andere  fordern  und  seiner  eigenen  Seele 
schaden. 

26.  (11017.)  Wie  an  Amritam  soil  sich  der  Weise  letzen 
an  erlittener  Verachtung,  denn  der  Verachtete  kann  ruhig 
schlafen,  der  Verachter  geht  ins  Verderben. 

27.  (11018.)  Wer  im  Zorne  opfert,  schenkt,  Askese  iibt 

Oder  spendet  (vgl.  Ev.  Matth.  5,23),  dem  rafft  der  Todes- 

gott  all  sein  Verdienst  hinweg,  denn  alle  Bemiihung  des 

Ziirnenden  ist  eitel. 

28.  (11019.)  Wer,  o  ihr  Besten  der  Unsterblichen,  alle  vier 
Pforten  wohl  hiitet,  die  Pforten  der  Geschlechtslust  und  Efs- 
lust,  der  Hande  und  der  Rede  als  vierte,  er  ist  des  Gesetzes 
kundig. 

29.  (11020.)  Wer  Wahrhaftigkeit,  Bezahmung,  Recht- 
schaffenheit,  Wohlwollen,  Festigkeit  und  Ausdauer  iiber- 
aus  eifrig  pflegt,  wer  beharrlich  im  Studium,  neidlos 
gegen  andere  und  von  unwandelbarer  Charakterstarke 
ist,  der  geht  den  Weg  nach  oben. 

30.  (11021.)  Indem  ich  alien  diesen  Tugenden  anhange, 
wie  ein  Kalb  den  vier  Zitzen  der  Kuh,  babe  ich  doch  in  alien 
Welten  nichts  Heiligeres  gefunden  als  die  Wahrheit. 

31.  (11022.)  Unter  Menschen  und  Gottern  verkehrend,  be- 
haupte  ich :  die  Wahrheit  fiihrt  als  Leiter  zum  Himmel  empor, 
wie  ein  Schiff  von  einem  Ufer  zum  andern. 

32.  (11023.)  Wie  die  sind,  unter  denen  man  wohnt,  wie 
die  sind,  mit  denen  man  umgeht,  wie  das  ist,  was  man  zu 
werden  wiinscht,  so  ist  der  Mensch. 

33.  (11024.)  Mag  man  mit  einem  Guten  oder  Schlech- 
ten,  mit  einem  Asketen  oder  einem  Diebe  umgehen,  man 
wird  von  ihrem  Einflusse  gefarbt,  wie  das  Kleid  von 
seiner  Farbe. 

34.  (11025.)  Die  Gotter  pflegen  allezeit  Umgang  mit 
den  Guten,  aber  sie  verlangen  nicht  danach,  das  mensch- 
liche  Treiben  zu  sehen.  Wandelbar  ist  der  Mond  und 
wandelbar  der  Wind;  wer  das  wandelbare  Treiben  in 
alien  Hohen  und  Tiefen  erkennt,  der  ist  weise. 

35.  (11 026.)  An  dem  im  innern  Herzen  weilenden  Purusha, 


Adhyaya  301  (B.  299).  591 

wenn   er  bei   guten  Menschen  unverdorben   ist  und  auf  dem 
rechten  Wege  wandelt,  haben  die  Gotter  ihre  Freude. 

36.  (11027.)  Wer  aber  immerfort  an  Geschlechtslust 
und  Efslust  seine  Freude  hat,  wer  ein  Dieb  oder  ein 
Mensch  von  barter  Rede  ist,  den  halten  die  Gotter  von 
sich  fern,  auch  wenn  er  seine  Schuld  gesiihnt  hat. 

37.  (11028.)  Uber  einen  Menschen  von  niedriger  Ge- 
sinnung,  der  ohne  Wahl  in  seiner  Nahrung  und  siind- 
haft  in  seinem  Handeln  ist,  freuen  sich  die  Gotter  nicht; 
wer  aber  geliibdetreu  und  dankbar  ist  und  an  seiner 
Pflicht  Freude  hat,  dem  reichen  die  Gotter  ihre  Gaben  dar. 

38.  (11029.)  Schweigen  ist  besser  als  Reden;  die  Wahr- 
heit  zu  reden  in  dem,  was  man  spricht,  ist  das  zweite, 
Gerechtes  zu  reden  ist  das  dritte,  Liebreiches  zu  reden 
ist  das  vierte  [Gebot]. 

Die  Sadhya's  sprachen: 

39.  (11030.)  Wovon  ist  diese  WeU  umhiillt?  Warum  er- 
glanzt  der  Mensch  nicht?  Warum  lalst  er  seine  Freunde  im 
Stich?    Warum  kommt  er  nicht  in  den  Himmel? 

Der  Schwan  sprach: 

40.  (11031.)  Von  Nichtwissen  ist  diese  Welt  umhiillt,  wegen 
der  Selbstsucht  erglanzt  der  Mensch  nicht,  aus  Habgier  lafst 
er  seine  Freunde  im  Stich,  aus  Welthang  kommt  er  nicht 
in  den  Himmel. 

Die  Sadhya's  sprachen: 

41.  (11032.)  Wer  allein  freut  sich  im  Kreise  der  Brah- 
manen?  Wer  allein  kann  unter  vielen  friedlich  sitzen? 
Wer  allein  ist  stark,  auch  wenn  er  schwach  ist?  Wer 
allein   lafst  sich  auf  keinen  Streit  mit  den  Leuten  ein? 

Der  Schwan  sprach: 

42.  (11033.)  Der  Weise  allein  freut  sich  im  Kreise  der 
Brahmanen,  der  Weise  allein  kann  unter  vielen  friedlich 
sitzen,  der  Weise  allein  ist  stark,  auch  wenn  er  schwach 
ist,  der  Weise  allein  lafst  sich  auf  keinen  Streit  mit 
den  Leuten  ein. 


592  III.   Mokshadharma. 

Die  Sadhya's  sprachen: 

43.  (11034.)  Worm  liegt  die  Gottlichkeit  der  Brahmanen? 
Worin  liegt  ihr  Wert  ?  Worin  ihr  Unwert  [asddliutvam  mit  C.)  ? 
Worin  liegt  ihre  Menschlichkeit  ? 

Der  Schwan  sprach: 

44.  (11035.)  Im  Vedastudium  liegt  ihre  Gottlichkeit,  in 
ihrem  Geliibde  liegt  ihr  Wert,  in  der  iiblen  Nachrede  liegt 
ihr  Unwert,  im  Sterbenmiissen  liegt  ihre  Menschlichkeit. 

Bhishma  sprach: 

45.  (11036.)  Das  ist  die  beriihmte,  ausgezeichnete  Unter- 
redung  mit  den  Sadhya's;  ja  gewifs!  der  Korper  ist  nur  die 
Quelle  der  Werke,  das  [ewige]  Reale  ist  die  Wahrheit. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Gesang  des  Schwans 
(hansa-gitd). 


Adhyaya  303  (B.  300). 

Vers  11037-11098  (B.  1-62). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (11037.)  Jetzt  sollst  du  mir,  o  Freund,  den  Unterschied 
zwischen  Sdnkhyam  und  Yoga  erklaren,  denn  dir,  o  Kenner 
der  Satzungen,  ist  alles  bekannt,  o  Bester  der  Kuru's. 

Bhishma  sprach: 

2.  (11038.)  Die  Sankhya's  (Anhanger  der  reflektierenden 
Methode)  riihmen  ihr  Sankhyam,  die  Yoga's  (Anhanger  der 
Methode  der  Verinnerlichung)  ihren  Yoga,  beide  erklaren  ihr 
Prinzip  fiir  das  beste,  um  ihre  Partei  zur  Geltung  zu  bringen. 

3.  (11039.)  Wie  kann  einer  ohne  Gott /'^f  i'artt/' erlost  werden  ? 
Damit  erharten,  o  Feindbez winger,  die  weisen  Yoga's  mit  Recht 
den  Vorzug  ihres  Prinzips. 

4.  (11040.)  Aber  auch  die  dem  Sankhyam  anhangenden 
Brahmanen  erklaren  mit  Recht  als  Prinzip  dieses,  dafs  der- 
jenige,  der  alle  Wege  durchforscht  hat  und  den  Sinnendingen 
nicht  anhangt, 


Adhyaya  302  (B.  300).  593 

5.  (11041.)  nach  Hinfall  des  Leibes  offenbar  und  unfehlbar 
die  Erlosung  erlangt,  und  so  erklaren  diese  sehr  Weisen  das 
Saiikhyam  fiir  die  Lehre  von  der  Erlosung. 

6.  (11042.)  Den  Standpunkt  seiner  Partei  mufs  man  wahren, 
aber  in  der  Verstandigung  [mit  der  Gegenpartei]  liegt  das 
wahre  Heil,  und  von  unsereinem,  der  den  Kundigen  beipflichtet, 
mufs  ihre  Lehre  angenommen  werden. 

7.  (11043.)  Die  Yoga's  haben  unmittelbar  einleuchtende 
Griinde  und  die  Saiikhya's  stiitzen  sich  auf  eine  sichere  Tra- 
dition; beide  Lehrmeinungen  halte  ich  fiir  wahr,  Freund 
Yudhishthira. 

8.  (11044.)  Fiir  einen,  der  diese  beiden  von  Kundigen  an- 
genommenen  Lehren  kennen  gelernt  hat  und  ihnen  vorschrifts- 
mafsig  nachlebt,  o  Fiirst,  konnen  sie  beide  die  Fiihrer  zum 
hochsten  Ziele  werden. 

9.  (11045.)  Gemeinsam  ist  beiden  Reinheit,  verbunden  mit 
Askese  und  Mitleid  mit  den  Wesen,  o  Untadhger,  gemeinsam 
auch  das  Halten  der  Geliibde,  und  nur  die  Theorie  (darganamj 
ist  bei  beiden  verschieden. 

Yudhishthira  sprach: 

10.  (11046.)  Wenn  Geliibde,  Reinheit,  Mitleid  und  auch  die 
Frucht  beiden  gemeinsam  sind,  wie  kommt  es  dann,  dafs 
nicht  auch  die  Theorie  die  gleiche  ist?  Das  sage  mir,  o  Grofs- 
vater. 

Bhlshma  sprach: 

11.  (11047.)  Leidenschaft ,  Verblendung,  Weltanhanglich- 
keit,  Lust  und  Zorn,  wenn  man  nur  diese  fiinf  Fehler  durch 
den  Yoga  ausrottet,  dann  erlangt  man  jene  Frucht. 

12.  (11048.)  Wie  grofse  wachsame  [Fische]  das  Netz  zer- 
reifsen  und  wieder  ins  Wasser  gelangen,  so  gelangen  die 
Yoga's,  von  Siinden  gelautert,  zu  jener  Statte. 

13.  (11049.)  Und  wie  ebenso  die  starken  Tiere  des  Waldes 
das  Fangnetz  zerreifsen  und,  von  alien  Fesseln  gelost,  sich 
freie  Bahn  schaffen, 

14.  (11050.)  so  zerreifsen,  o  Konig,  die  kraftgeriisteten 
Yoga's  die  aus  Begierde  geflochtenen  Stricke  und  gelangen 
auf  die  hochste,  fleckenlose,  selige  Bahn. 

Beubbew,  Mah&bhA.ratam.  38 


594  in.    Mokshadharma. 

15.  (11051.)  Aber  wie  andere  schwache  Tiere  des  Waldes 
in  den  Fangnetzen  zugrunde  gehen,  so  auch,  o  Konig,  ohne 
Zweifel  diejenigen,  welche  der  Yogakraft  ermangeln. 

16.  (11052.)  Und  wie,  o  Kuntisohn,  schwachliche  Wasser- 
tiere,  wenn  sie  im  Netze  sich  verfangen,  ins  Verderben  ge- 
raten,  so,  o  Fiirst  der  Konige,  auch  die  Yoga's,  denen  die 
rechte  Kraft  fehlt. 

17.  (11053.)  Und  wie  von  den  Vogeln,  welche  sich  in  ein 
feingesponnenes  Netz  verstrickt  haben,  die  in  ihm  hangen- 
bleibenden  verloren  sind  und  die  kraftigen  sich  befreien, 

18.  (11054.)  so  werden  von  den  Yoga's,  welche  in  die  aus 
Werken  gesponnenen  Netze  verstrickt  sind,  die  schwachen 
zugrunde  gehen,  o  Feindbedranger,  und  die  kraftgeriisteten 
sich  freimachen. 

19.  (11055.)  Und  wie  ein  kleines,  schwaches  Feuer  erstickt, 
o  Konig,  wenn  es  mit  schwerem  Brennholze  belastet  wird, 
so  ist  es  auch  mit  dem  Yoga,  wenn  er  schwach  ist,  o  Herr, 

20.  (11056.)  Wenn  aber  ebendasselbe  Feuer  Kraft  gewonnen 
hat,  o  Konig,  und  mit  hellen  Flammen  brennt,  so  konnte  es 
in  kurzer  Zeit  sogar  die  ganze  Erde  verbrennen, 

21.  (11057.)  Ebenso  diirfte  ein  Yogin,  wenn  seine  Kraft 
gewachsen  und  seine  Energie  entflammt  ist,  imstande  sein,  wie 
die  Sonne  beim  Weltuntergang,  die  ganze  Welt  auszudorren. 

22.  (11058.)  Wie,  o  Konig,  ein  schwacher  Mann  vom  Strome 
fortgerissen  wird,  so  wird  ein  kraftloser  Yoga  widerstandslos 
von  den  Sinnendingen  fortgerissen, 

23.  (11059.)  Wie  aber  ein  Elefant  sich  jenem  starken  Strome 
entgegenstemmt,  so  leistet  der  in  der  Yogakraft  Erstarkte 
dem  vielfaltigen  Andrang  der  Sinnendinge  Widerstand. 

24.  (11060.)  Und  die,  o  Konig,  welche  im  Yoga  erstarkt 
sind,  gehen  nach  Belieben  mittels  des  Yoga  in  die  Schopfer- 
herren,  Rishi's,  Gotter  und  grofsen  Elemente  ein. 

25.  (11061.)  Nicht  Yama,  nicht  der  grimmige  Wegraffer, 
nicht  der  furchtbar  schreitende  Tod,  sie  alle  haben  keine 
Gewalt,  o  Fiirst,  iiber  den  unermefslich  starken  Yoga. 

26.  (11062.)  Der  Yoga,  welcher  zu  Kraft  gekommen  ist, 
kann  sein  Selbst  tausendfaltig  vervielfachen ,  o  Bharatastier, 
und  in  alien  diesen  Gestalten  die  Erde  durchwandeln. 


Adhyliya  302  (B.  300).  595 

27.  (11063.)  Als  der  eine  kann  er  die  Sinnendinge  geniefsen 
und  zugleich  als  ein  anderer  furchtbare  Askese  iiben,  und 
wiederum,  o  Freund,  [alle  seine  Selbste]  in  eins  zusammen- 
fassen,  wie  die  Sonne  ihre  Lichtfiille. 

28.  (11064.)  Denn  der  in  Vollkraft  stehende  Yoga  ist  Herr 
iiber  die  Bindung  und  besitzt  auch  die  Herrschaft  iiber  die 
Erlosung,  das  ist  gewifs,  o  Fiirst. 

29.  (11065.)  Diese  durch  den  Yoga  erlangbaren  Krafte  habe 
ich  dir  dargelegt,  o  Volkerherr,  nun  will  ich  dir  die  feinen 
Krafte  mitteilen,  damit  du  ihre  Merkmale  kennst. 

30.  (11066.)  Was,  0  Herr,  bei  der  Versenkung  des  Selbstes 
oder  bei  der  Dharana  (Fixierung  des  Manas)  fiir  feine  Merk- 
male bestehen,  die  vernimm  von  mir,  o  Bharatastier. 

31.  (11067.)  Wie  ein  besonnener  Bogenschiitze  mit  kon- 
zentrierter  Aufmerksamkeit  das  Ziel  trifft,  so  erlangt  der  vollig 
sich  konzentrierende  Yogin  die  Erlosung,  das  ist  gewifs. 

32.  (11068.)  Wie  ein  sorgsamer  Mensch,  der  ein  mit  01 
gefiilltes  Gefafs  auf  dem  Kopfe  tragt,  seine  ungeteilte  Auf- 
merksamkeit fmanasj  darauf  richtend,  behutsamen  Geistes  eine 
Treppe  hinaufsteigt, 

33.  (11069.)  so  macht  ein  sorgsamer  Yoga,  o  Fiirst,  sein 
Selbst  unbeweglich,  fleckenlos  und  von  sonnenahnlichem  Aus- 
sehen. 

34.  (11070.)  Wie,  o  Kuntisohn,  ein  sorgfal tiger  Steuermann 
das  Schiff  iiber  den  grofsen  Ozean  schnell  zum  Ziele  fiihrt, 
0  Bester  der  Fiirsten, 

35.  (11071.)  so  bringt  der  Weise  im  Yoga  die  Versenkung 
seines  Selbstes  zuwege  und  gelangt  zu  der  schwer  erreich- 
baren  Statte,  indem  er  seinen  Leib  dahinten  lafst,   o  Fiirst. 

36.  (11072.)  Und  wie  ein  Wagenlenker,  nachdem  er  tiichtige 
Pferde  mit  Sorgfal t  angeschirrt  hat,  den  Bogenkampfer  alsbald 
nach  dem  gewiinschten  Orte  bringt,  o  Stier  unter  den  Mannern, 

37.  (11073.)  so  erlangt,  o  Fiirst,  der  Yogin,  wenn  er  mit 
Sorgfalt  auf  die  Dharana's  bedacht  ist,  alsbald  die  hochste 
Statte,  wie  ein  abgeschossener  Pfeil  das  Ziel. 

38.  (11074.)  Der  Yogin,  welcher,  unentwegt  verharrend,  das 
Selbst  in  seinem  Selbste  schaut,  der  vernichtet  die  Siinde 
und  erlangt  den  alterlosen  Ort  der  Gelauterten. 

38* 


596  III.    Mokshadharma. 

39.  (11075.)  Wer  im  Nabel,  Halse  und  Kopfe,  in  Herz, 
Brust  und  Seiten,  im  Sehen,  Horen  und  Riechen,  o  unermefs- 
lich  Tapferer, 

40.  (11076.)  wer  an  alien  diesen  Orten  als  sorgsamer,  ge- 
liibdetreuer  Yogin  sein  feines  Selbst  durch  sein  Selbst  in 
richtiger  Weise  zum  Yoga  anschirrt,  o  Volkerherr, 

41.  (11077.)  der  wird  alsbald  seine  guten  und  bosen  Werke 
verbrennen,  den  hochsten,  als  unerschiitterlich  geriihmten  Yoga 
erreichen  und,  falls  er  es  wiinscht,  zur  Erlosung  eingehen. 

Yudhishthira  sprach: 

42.  (11078.)  Welche  Nahrung  mufs  man  zu  sich  nehmen, 
und  was  mufs  man  iiberwinden,  o  Bharata,  um  als  Yogin  die 
Kraft  zu  erlangen?    Das  mogest  du,  o  Herr,  mir  sagen. 

Bhishma  sprach : 

43.  (11079.)  Wer  sich  des  Essens  von  Kornern  und  01- 
kuchen  befleifsigt,  o  Bharata,  und  sich  des  Genusses  von 
Fettartigem  enthalt  —  ein  solcher  Yogin  erlangt  die  Kraft. 

44.  (11080.)  Wer  mit  reinem  Selbste  sich  lange  Zeit  hin- 
durch  nur  von  grobgeschrotener  Gerste  nahrt,  o  Feind- 
bezwinger,  —  ein  solcher  Yogin  erlangt  die  Kraft. 

45.  (11081.)  Wer  Halbmonate,  Monate,  Jahreszeiten,  Jahre 
hindurch  und  nur  wahrend  des  Tages  Wasser  mit  Milch  ge- 
mischt  trinkt,  —  ein  solcher  Yogin  erlangt  die  Kraft. 

46.  (11082.)  Wer  mit  reinem  Selbste  sich  unverbriichlich 
allezeit  des  Fleisches  vollig  enthalt,  o  Herr  der  Menschen,  — 
ein  solcher  Yogin  erlangt  die  Kraft. 

47.  (11083.)  Wer  Lust  und  Zorn  iiberwindet,  Kalte,  Hitze 
und  Regen  nicht  achtet,  Furcht,  Kummer,  Seufzen  und  alle 
menschlichen  Angelegenheiten  hinter  sich  lafst, 

48.  (11084.)  wer,  o  Ftirst,  den  schwer  zu  besiegenden  Ver- 
drufs  und  die  furchtbare  Begierde  ftrishnd)^  Lustgefiihle, 
Schlaf  und  schwer  zu  bekampfende  Schlaffheit,  o  Bester  der 
Konige,  ablegt, 

49.  (11085.)  ein  solcher  Hochsinniger  erleuchtet  sein  feines 
Selbst  durch  sein  Selbst,  frei  von  Leidenschaft,  sehr  weise 
durch  Meditation  und  Studium. 


Adhyaya  302  (B.  300).  597 

50.  (11086.)  Freilich  ist  dieser  Weg  der  weisen  Brahmanen 
schwer  zu  gehen.  Einer,  der  ihn  mit  ruhigem  Gemiite  geht, 
0  Stier  der  Bharata's, 

51.  (11087.)  der  ist  wie  einer,  der  einen  furchtbaren  Wald, 
voll  Schlangen  und  Gewiirm,  voll  Gruben,  ohne  Wasser,  voll 
schwieriger  Durchgange  und  Dornen, 

52.  (11088.)  auf  einem  keine  Nahrung  bietenden,  gestriipp- 
reichen,  zwischen  verbrannten  Baumen  durchfiihrenden,  von 
Raubern  umlagerten  Wege  als  ein  riistiger  Mann  mit  ruhigem 
Gemiit  durcheilt. 

53.  (11089.)  Wer  aber  als  Zwiegeborener  den  Yogaweg 
einschlagt  und  aus  Gemachlichkeit  vom  Wege  absteht,  der 
wird  als  grofser  Sunder  angesehen. 

54.  (11090.)  Wohl  lafst  sicli  stehen,  o  Erdeherr,  auf  eines 
gewetzten  Schermessers  Schneide  fdhdrdj,  nicht  aber  lafst 
sich  stehen  in  den  Dharana's  des  Yoga  von  solchen,  deren 
Geist  nicht  bereitet  ist. 

55.  (11091.)  Mifsgliickte  Dharana's,  o  Freund,  fiihren  die 
Menschen  eine  schlimme  Strafse,  wie  Schiffe  auf  dem  Meere, 
die  ohne  Fiihrer  sind,  o  Fiirst. 

56.  (11092.)  Wer  aber,  o  Kuntisohn,  in  den  Dharana's  fest- 
steht,  wie  es  die  Vorschrift  fordert,  der  lafst  Tod  und  Ge- 
burt,  Leid  und  Lust  hinter  sich. 

57.  (11093.)  Damit  habe  ich  dir  dargelegt,  was  in  den  auf 
mancherlei  Lehrbiichern  beruhenden  Yogalehren  entwickelt 
worden  ist,  und  unter  den  Zwiegeborenen  steht  fest,  worin 
die  hochste  Aufgabe  des  Yoga  besteht. 

58.  (11094.)  0  Hochsinniger !  Jenes  Hochste,  welches 
aus  Brahman  besteht,  sodann  den  Gott  Brahman,  den 
gabenspendenden  Vishnu,  den  Bhava  (Qiwa),  Dharma, 
den  Gott  mit  den  sechs  Gesichtern  (Skanda)  und  was 
die  hochmachtigen  Brahmansohne  sind, 

59.  (11095.)  ferner  das  arge  Tamas,  das  gewaltige 
Rajas,  das  reine  Sattvam  und  die  hochste  Prakriti, 
Varuna's  Gemahlin,  die  Gottin  Siddhi,  ferner  alle  Energie 
und  grofse  Standhaftigkeit, 

60.  (11096.)  den  fleckenlosen  Herrn  der  Sterne  im 
Ather  mit  seinen  Sternen,  die  ViQve  Deva^,  Schlangen 


598  III.    Mokshadharma. 

und  Manen,  alle  Felsen,  die  furchtbaren  Ozeane,  die  Fliisse 
alle  und  die  traufelnden  fsavanaj  Wolken, 

61.  (11097.)  Elefanten  und  Berge,  die  Yakshascharen, 
die  Himmelsgegenden ,  die  Schwarme  der  Gandharven, 
Manner  und  Weiber  —  in  diese  alle  abwechselnd  fahrt 
hinein  und  wieder  heraus  der  hohe,  hochsinnige  Yogin, 
der  Erlosung  nahe. 

62.  (11098.)  Diese  schone  Erzahlung,  o  Fiirst,  ist  ver- 
wandt  dem  mit  machtiger  Weisheit  ausgeriisteten  Gotte, 
der  hochsinnige  Yogin  aber  ist  iiber  alle  Sterblichen  er- 
haben  und  schaift  als  Seele  des  Narayana. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Lehre  vom  Yoga 
(yoga-vicUii). 


Adhyaya  303  (B.  301). 

Vers  11099-11213  (B.  1-116). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (11099.)  Vollstandig  hast  du,  o  Fiirst,  nach  der  Kegel 
den  von  den  Kundigen  angenommenen  Yogaweg  dargelegt 
dem  hienieden  nach  seinem  Heile  trachtenden  Schiiler. 

2.  (ii099i)i8.)  Nunmehr  erklare  mir,  der  ich  frage,  auch 
die  im  Saiikhyam  giiltige  Satzung  nach  ihrem  ganzen  In- 
begriff,  denn  alles,  was  an  Wissen  in  den  drei  Wei  ten  vor- 
handen  ist,  ist  dir  ja  bekannt. 

Bhishma  sprach: 

3.  (11100.)  Vernimm  denn  von  mir  jene  feine  Satzung  der 
atmankundigen  Saiikhya's,  wie  sie  von  Kapila  [Hiranyagarbha, 
d.  h.  dem  personlichen  Brahman,  unten  Vers  ii506j  und  den 
anderen  heiligen  Gottherren  offenbart  worden  ist, 

4.  (11 101.)  die  Satzung,  in  welcher  keinerlei  Irrtiimer  vor- 
kommen,  o  Mannerstier,  und  in  welcher  viele  Trefflichkeiten 
und  eine  vollstandige  Freiheit  an  Fehlern  vorliegt. 

5.  (11102.)  Sie,  welche  mit  Wissenschaft  die  mangelhaften 
Reiche   der  Sinnenwelt   durchforschen ,    o  Fiirst,  die   schwer 


Adhyaya  303  (B.  301).  599 

zu  iiberwindenden  menschlichen  insgesamt  und  die  Reiche  der 
Pigaca's, 

6.  (11103.)  welche  die  Reiche  des  Rajas  und  die  der 
Yaksha's,  die  Reiche  der  Schlangen  und  die  der  Gandharven 
erkennen, 

7.  (11104.)  die  Reiche  der  Manen  und  der  in  Tierleibern 
Verkorperten,  die  Reiche  der  Vogel  und  der  Winde,  o  Fiirst, 

8.  (11105.)  die  Reiche  der  Konigsweisen  und  Brahman- 
weisen,  der  Damonen  und  der  Vigve  Devah, 

9.  (11106.)  der  Gotterweisen  und  die  Gottherren  unter  den 
Yoga's,  welche  die  Reiche  der  Schopferherren  und  des 
Brahman, 

10.  (11107.)  die  voile  Lange  der  Lebenszeit  in  der  Welt 
der  Wahrheit  gemafs  erkennen  und  das  wahre  Wesen  des 
Gliicks,  o  Bester  der  Redner, 

11.  (11108.)  und  den  Schmerz,  der  mit  der  Zeit  stets  die 
nach  den  Reichen  der  Sinnenwelt  Begehrenden  triflFt,  der  die 
einem  tierischen  Dasein  oder  der  Holle  Verfallenen   peinigt, 

12.  (11109.)  welche  alle  Vorziige  und  Mangel  des  Himmels, 
0  Bharata,  sowie  die  Mangel  und  Vorziige  der  Vedalehre 

13.  (11110.)  und  die  Mangel  und  Vorziige  der  Yoga-Er- 
kenntnis  und  die  der  Saiikhya-Erkenntnis,  o  Fiirst, 

14.  (11111.)  welche  das  Sattvam  als  zehnfach,  das  Rajas 
als  neunfaeh,  das  Tamas  als  achtfach,  die  Buddhi  als 
siebenfach, 

15.  (11112.)  das  Manas  als  sechsfach,  den  Ather  als  fiinf- 
fach  und  hinwiederum  die  Buddhi  als  vierfach,  das  Tamas 
als  dreifach, 

16.  (11113.)  das  Rajas  als  zweifach  und  das  Sattvam  als 
einfach  erkennen,  welche  wahrheitgemafs  den  Weg  des  Ver- 
derbens  und  den  Weg  der  Erkenntnis  erkennen, 

17.  (11114.)  diese  mit  Erkenntnis  und  Wissenschaft  Aus- 
geriisteten,  mit  den  Prinzipien  Vertrauten,  Edlen,  diese  er- 
langen  die  herrliche  Erlosung,  wie  die  zarten  [Sonnenstrahlen 
oder  Winde,  Nil.]  den  hochsten  Ather. 

18.  (11115.)  Dafs  das  Sehen  mit  der  Gestalt  verwandt  ist, 
der  Geruchsinn  mit  dem  Geruch,  das  Ohr  mit  dem  Tone,  die 
Zunge  mit  dem  Geschmack 


600  III.   Mokshadharma. 

19.  (11116.)  und  der  Leib  mit  dem  Tastsinn,  dafs  der 
Wind  auf  dem  Ather  beruht,  dafs  die  Verblendung  dem  Tamas 
verwandt  ist  und  die  Begierde  dem  Reichtum, 

20.  (11117.)  dafs  Vishnu  dem  Schreiten,  Qakra  der  Kraft, 
der  Feuergott  dem  Bauche  einwohnt,  dafs  die  Gottin  [Erde, 
Nil.]  den  Wassern,  das  Wasser  dem  Feuer, 

21.  (11118.)  das  Feuer  dem  Winde,  der  Wind  dem  Ather, 
der  Ather  dem  Mahat,  das  Mahat  der  Buddhi, 

22.  (11119.)  die  Buddhi  dem  Tamas,  das  Tamas  dem  Eajas, 
das  Rajas  dem  Sattvam,  das  Sattvam  dem  Atman, 

23.  (11120.)  der  Atman  dem  gottHchen  Herrn  Narayana 
(Vishnu),  der  Gott  dem  Erlostsein,  die  Erlosung  keinem 
andern  mehr  verwandt  ist, 

24.  (11121.)  wer  das  erkennt  und  wer  begreift,  dafs  der 
Leib  die  Qualitat  des  Sattvam,  umgeben  von  sechzehn  anderen 
Qualitaten  [Nil.  erinnert  an  Pra<?na  Up.  6,3,  vgl.  dazu  Sechzig 
Upanishad's,  S.  571],  in  sich  birgt,  dafs  die  eigene  Natur 
(svabhavaj  und  das  Bewufstsein  fcetandj  in  den  Leib  ein- 
gegangen  sind, 

25.  (11122.)  dafs  zwischen  ihnen  unparteiisch  der  eine 
Atman  steht,  an  dem  nichts  Boses  haftet,  und  als  zweites 
das  Werk,  o  Fiirst,  fiir  die,  welche  nach  den  Sinnendingen 
trachten, 

26.  (11123.)  dafs  die  Sinnesorgane  und  alle  Sinnendinge 
den  Atman  umlagern,  wer  begreift,  dafs  die  Erlosung  schwer 
zu  erlangen  ist  und  den  Veda  zur  Voraussetzung  hat, 

27.  (11124.)  wer  Prana,  Apana,  Samana,  Vyana  und  Udana 
ihrem  Wesen  nach  kennt,  dazu  den  nach  unten  stromenden 
und  auch  den  emporfiihrenden  Wind, 

28.  (11125.)  diese  sieben  Winde  und  ihre  siebenfache  Ver- 
teilung,  wer  die  Schopferherren  und  Rishi's  und  ihre  vielen 
herrlichen  Wege, 

29.  (11126.)  die  sieben  Rishi's,  die  vielen  Konigsweisen, 
o  Feindbedranger,  die  grofsen  Gotterweisen  und  die  anderen 
wie  Sonnen  leuchtenden  Brahmanweisen, 

30.  (11127.)  wer  auch  die  im  Laufe  der  langen  Zeit  von 
ihrer  Gottherrlichkeit  Herabgestiirzten,  o  Fiirst,  und  den  Unter- 
gang  der  grofsen  Wesensscharen,  o  Erdeherr, 


Adhyaya  303  (B.  301).  601 

31.  (11128.)  und'auch  den  schlimmen  Weg  der  Bosewichter, 
0  Fiirst,  und  das  Leid  der  in  Yama's  Eeich  in  den  Hollen- 
flufs  Gestiirzten 

32.  (11129.)  und  den  unerfreulichen  Lauf  durch  mancherlei 
Mutterschofse,  das  Wohnen  in  dem  unerfreulichen  Mutter- 
schofse,  diesem  Gefafse  voll  Blut  und  Wasser, 

33.  (11130.)  und  sodann  in  der  Schleim,  Kot  und  Urin 
enthaltenden ,  scharfen  Geruch  ausstromenden ,  aus  Samen 
und  Blut  zusammengeschweifsten,  von  Mark  und  Sehnen 
durchflochtenen, 

34.  (11131.)  von  hundert  Adern  durchzogenen ,  unreinen 
Stadt  mit  den  neun  Toren,  und  wer  den  heilbringenden  Atman 
erkennt  und  die  mannigfaltigen  Yoga-Ubungen 

35.  (11132.)  und  das  tadelnswerte  Wesen  der  tamashaften, 
von  Geniissen  umnebelten  Menschen  und  das  der  sattvahaften 
Menschen,  o  Bharatastier, 

36.  (11133.)  tadelnswert  im  Sinne  ^er  grofsen,  atman- 
kennenden  Sankhyalehrer,  und  wer  die  schrecklichen  Unfalle 
des  Mondes  und  der  Sonne  gesehen  hat 

37.  (11134.)  und  das  Herabfallen  der  Sterne  und  den  Um- 
lauf  der  Sternbilder,  und  wer  die  jammerliche  Trennung  Zu- 
sammengehoriger  erkennt,  o  Fiirst, 

38.  (11135.)  und  das  scheufsliche  gegenseitige  Sichauf- 
fressen  der  Wesen  und  die  Torheit  im  Kindesalter  und  das 
traurige  Hinschwinden  des  Leibes 

39.  (11136.)  und  den  gelegentlichen  Einflufs  des  Sattvam 
auf  Leidenschaft  und  Verblendung,  wer  das  alles  als  einer 
unter  Tausenden  erkennt,  indem  er  zum  Verstandnis  der  Er- 
losung  gelangt, 

40.  (11137.)  wer  begreift,  dafs  die  Erlosung  schwer  zu  er- 
langen  ist  und  den  Veda  zur  Voraussetzung  hat,  dafs  man 
hochschatzt,  was  man  nicht  hat,  und  gleichgiiltig  wird  gegen 
das,  was  man  hat, 

41.  (11138.)  und  die  Schlechtigkeit  der  Sinnendinge,  o 
Fiirst,  und  die  hafslichen  Leiber  der  Verstorbenen,  o  Kuntisohn, 

42.  (11139.)  das  unselige  Wohnen  in  Familien,  o  Bharata, 
und  die  furchtbare  Zukunft  der  Brahmanentoter  und  der  ab- 
gefallenen. 


602  III.   Mokshadharma. 

43.  (11140.)  schlimmen,  am  Branntweintrinken  hangenden 
Brahmanen  und  den  verhangnisvollen  Weg  der  mit  der 
Lehrergattin  Verkehrenden, 

44.  (11141.)  und  derer,  die  sich  den  Miittern  gegeniiber 
nicht  gebiihrend  betragen,  o  Yudhishthira,  sowie  gegeniiber 
den  gotterbevolkerten  Welten, 

45.  (11142.)  wer  mit  solchem  Wissen  ausgeriistet  den  Weg 
der  Ubeltater  erkennt  und  die  verschiedenen  Wege  fgataijah  !J 
der  in  Tierleiber  Gefahrenen 

46.  (11143.)  und  die  mancherlei  Ausspriiche  des  Veda  und 
die  Umlaufe  der  Jahreszeiten  und  das  Schwinden  der  Jahre, 
Monate, 

47.  (11144.)  Halbmonate,  Tage,  das  Abnehmen  und  Zu- 
nehmen  des  Mondes  vor  unseren  Augen 

48.  (11145.)  und  das  Anschwellen  und  Zuriicktreten  der 
Ozeane  und  das  Verlieren  und  Wiedergewinnen  des  Reichtums 

49.  (11146.)  und  die  Losung  der  Verbindungen,  den  Ver- 
gang  ganzer  Weltalter,  den  Einsturz  der  Berge,  das  Versiegen 
der  Strome, 

50.  (11147.)  den  Verfall  der  Kasten  und  die  wiederholte 
Beendigung  dieses  Verfalls,  und  wer  Alter,  Tod,  Geburt  und 
Leiden  bedenkt, 

51.  (11 148.)  wer  die  Mangel  des  Leibes  und  das  Leid,  das 
sie  bringen,  wie  es  in  Wahrheit  ist,  den  elenden  Zustand  des 
Leibes  richtig  begreift, 

52.  (11149.)  und  alle  die  Mangel,  die  der  Seele  anhaften, 
und  die  iiblen  Diifte,  die  dem  Korper  entstromen, 

Yudhishthira  (ihn  unterbrechenJ)  sprach: 

53.  (11150.)  Was  sind  das  fiir  Mangel,  die  nach  deiner 
Ansicht  aus  dem  eigenen  Leibe  entspringen,  o  unermefslich 
Tapferer?  Diesen  Zweifel  mogest  du  mir  vollstandig  der 
Wahrheit  gemafs  losen. 

Bhishma  sprach: 

54.  (11 151.)  Fiinf  Mangel,  o  Herr,  schreiben  dem  Leibe  zu 
die  weisen,  wegkundigen,  dem  Kapila  folgenden  Sankhya- 
lehrer.     Vernimm  sie,  o  Feindbezwinger. 


Adhyaya  303  (B.  301).  603 

55.  (11152.)  Sie  sind  Lust  und  Zorn,  Furcht,  Schlaf  und 
Keuchen  als  funftes. 

56.  Diese  Mangel  zeigen  sich  in  den  Leibern  aller  Ver- 
korperten.  (11153.)  Man  bekampft  den  Zorn  durch  Langmut, 
die  Lust  durch  Fernhaltung  der  Wiinsche, 

57.  den  Schlaf  durch  Pflege  des  Sattvam,  die  Furcht 
durch  Besonnenheit  (11 154.)  und  das  Keuchen  durch  Mafsig- 
keit  in  der  Ernahrung,  o  Fiirst. 

58.  Sie,  welche  das  Wesen  der  Tugend  aus  hundert  Tugen- 
den,  das  Wesen  der  Fehler  aus  hundert  Fehlern  (11155.)  und 
das  Wesen  der  mannigfachen  Ursachen  aus  hundert  mannig- 
fachen  Ursachen  erkennen, 

59.  sie,  welche  die  Welt  ansehen  als  dem  Wasserschaume 
vergleichbar ,  von  hundert  Zauberkiinsten  fmciydj  des  Vishnu 
umhiillt,  (111B6.)  einer  gemalten  Tapete  ahnlich,  als  wertlos 
wie  das  Innere  eines  Schilfrohrs, 

60.  als  einer  finstern  Grube  ahnelnd,  den  Blasen  der 
Regentropfen  vergleichbar,  (11157.)  der  Verganglichkeit  ver- 
fallen,  von  Gliick  verlassen,  in  Vernichtung  endigend,  ohn- 
machtig, 

61.  in  Rajas  und  Tamas  versunken,  wie  ein  Elefant  hilf- 
los  im  Schlamme,  (iii58.)  und  welche,  o  Konig,  als  hochweise 
Sahkhya-Philosophen  die  Liebe  zu  ihren  Kindern  aufgeben 

62.  vermoge  grofser,  alldurchdringender,  saiikhyamafsiger 
Hingebung  an  die  Erkenntnis,  0  Fiirst,  (11159.)  sie,  welche  die 
unschonen  Geriiche  des  Rajas  und  ebenso  die  des  Tamas, 

63.  aber  auch  die  reinen  Geriiche  des  Sattvam,  weil  sie 
aus  Beriihrung  entspringen  und  korperlich  sind,  (iiieo.)  als- 
bald  durch  das  Schwert  der  Erkenntnis,  durch  den  Stock 
der  Askese  zerteilen,  o  Bharata, 

64.  sie  werden  dadurch  instand  gesetzt,  das  furchtbare 
Gewasser  der  Leiden,  den  grofsen  See  von  Sorgen  und  Kummer, 
(11161.)  in  welchem  Krankheit  und  Tod  als  grofse  Krokodile, 
die  Furcht  als  grofse  Schlange, 

65.  das  Tamas  als  Schildkrote,  das  Rajas  als  Fische 
wohnen,  mittels  der  Erkenntnis  zu  durchschwimmen  (11162.)  und 
diesen  See,  der  die  Liebe  als  Schlamm,  das  Alter  als  Klippen, 
die  Erkenntnis  als  Leuchtturm  hat,  o  Feindbezwinger, 


604  in.    Mokshadharma. 

66.  die  Werke  als  Untiefe,  Wahrheit  und  Geliibdetreue 
als  Ufer,  (iiics.)  Grausamkeit  als  schnelle,  machtige  Stromung, 
mancherlei  Geschmacke  als  Inlialt, 

67.  mancherlei  Freuden  als  Kleinodien,  Schmerz  und 
Herzeleid  als  Stiirme,  (iii64.)  Kummer  und  Begierde  als  Strudel, 
schwere  Krankheit  als  nachstellende  Elefanten, 

68.  Knochengerippe  als  Landungstreppen,  schleimige  Ab- 
sonderung  als  Scliaum,  o  Feindbezwinger,  (iii65.)  Freigebig- 
Iceit  als  Perlenlager  hat,  diesen  furchtbaren  See,  dessen  Meer- 
korallen  aus  Blut  bestehen, 

69.  der  Lachen  und  Schreien  als  brausende  Brandung 
hat,  der  durch  allerlei  Wissenschaften  schwer  zu  iiberschreiten 
ist,  (11166.)  der  die  Flecken  geweinter  Tranen  als  Salzgehalt, 
Verzicht  auf  die  Weltanhanglichkeit  als  Endpunkt, 

70.  Kinder  und  Weiber  als  Blutegelschwarm ,  Freunde 
und  Verwandte  als  Uferstadte,  (iiier.)  Schonung  und  Wahr- 
haftigkeit  als  Kiisten,  Aushauchen  des  Lebens  als  Sturmwelle, 

71.  den  Vedanta  als  Rettungsinsel ,  Mitleid  mit  alien 
Wesen  als  Schwimmblase ,  (11168.)  Erlosung  als  schwer  er- 
reichbares  Endziel  hat,  diesen  den  HoUenrachen  in  sich 
bergenden  Ozean 

72.  iiberschreiten  die  vollendeten  Asketen  auf  dem  Schiffe 
der  Erkenntnis,  o  Bharata,  (11 169.)  und  nachdem  sie  das  schwer 
iiberwindbare  Geborenwerden  abgelegt  haben,  gehen  sie  in 
den  fleckenlosen  Ather  ein. 

73.  Dann  fiihrt  diese  rechtschaffenen  Sahkhya's  die  Sonne 
empor  mit  ihren  Strahlen,  (iii7o.)  indem  sie  sie,  wie  die  Lotos- 
blume  mit  ihren  Fasern  [das  Wasser],  aus  der  Sinnenwelt 
[mit  ihren  Strahlen]  herauszieht,  o  Fiirst. 

74.  Daselbst  nimmt  sie  der  emporfiihrende  Wind  in 
Empfang,  (11171.)  sie,  die  leidenschaftfreien,  vollendeten,  mann- 
haften,  askesereichen  Selbstbez winger. 

75.  Er,  der  sanfte,  kiihle,  wohlriechende ,  lieblich  zu 
fiihlende  (11172.)  beste  aller  sieben  Winde,  0  Bharata,  der  in 
schone  Welten  hiniiberweht,  er  fiihrt  sie,  0  Kuntisohn,  zur 
hochsten  Bahn  des  Athers, 

76.  (11173.)    der  Ather  fiihrt  sie,   0   Herr   der  Welt,  zur 


Adhyaya  303  (B.  301).  605 

hochsten  Bahn   des  Rajas,  das  Rajas  fiihrt  sie,   o  Fiirst  der 
Konige,  zur  hochsten  Bahn  des  Sattvam, 

77.  (J1174.)  das  Sattvam  fiihrt  sie,  o  du  Reiner,  zum 
hochsten  Herrn  Narayana,  und  der  Herr,  reinen  Selbstes, 
fiihrt  ihn  durch  sein  Selbst  zum  hochsten  Atman. 

78.  (11175.)  Den  hochsten  Atman  erreicht  habend,  zu  ihm 
geworden  und  in  ihm  sich  griindend,  fleckenlos  werden  sie 
der  Unsterbhchkeit  teilhaft  und  kehren  nicht  mehr  zuriick, 
0  Herr. 

79.  (11176.)  Das  ist,  o  Prithasohn,  der  hochste  Gang  der 
von  den  Gegensatzen  Befreiten,  Hochsinnigen,  an  Wahrheit 
und  Rechtschaffenheit  sich  Erfreuenden,  mit  Mitleid  fiir  alle 
Wesen  ErfiilUen. 

Yudhishthira  sprach : 

80.  (11177.)  Wenn  nun  die  Geliibdetreuen  den  Heiligen 
als  hochste  Statte  erreicht  haben,  haben  sie  dann  Erinnerung 
an  das  von  der  Geburt  bis  zum  Tode  Durchlebte  oder  nicht, 
o  Untadliger? 

81.  (11178.)  Was  dariiber  die  AVahrheit  ist,  das  mogest 
du  mir  sagen,  wie  es  ist,  denn  einen  andern  aufser  dir  zu 
fragen,  gezi^mt  mir  nicht,  o  Kurusohn. 

82.  (11179.)  Bei  der  Erlosung  habe  ich  dieses  grofse  Be- 
denken:  Wenn  nach  dem  Eingange  zu  den  vollendeten  Rishi's 
die  Selbstbezwinger  droben  im  Besitze  des  hochsten  Bewufst- 
seins  sind, 

83.  (11180.)  dann  halte  ich  die  darauf  hinstrebende  Satzung 
fiir  die  vorziighchste ,  sollte  aber  einer  [in  Bewufstlosigkeit] 
versinken,  was  hilft  ihm  dann  das  hochste  Wissen?  Nichts 
Elenderes  konnte  es  geben! 

Bhishma  sprach : 

84.  (11 181.)  Mit  Recht,  o  Freund,  hast  du  hier  eine  Frage 
aufgeworfen,  die  sehr  schwierig  ist;  auch  die  Weisen  sind 
bei  dieser  Frage  in  Verlegenheit,  o  Bharatastier. 

85.  (11 182.)  Aber  auch  hieriiber  sollst  du  die  voile  Wahr- 
heit von  mir  horen  und  erfahren,  worin  fiir  die  hochsinnigen 
Kapilajiinger  das  hochste  Bewufstsein  zu  fmden  ist. 


606  III.   Mokshadharma. 

86.  (11183.)  Bei  den  Verkorperten  sind  es  die  Organe  in 
ihrem  Korper,  welche  erkennen,  o  Furst,  sie  sind  die  Organe 
des  Atman,  und   er,  der  Unerkennbare,  erkennt  durch   sie. 

87.  (11184.)  Werden  sie  vom  Atman  verlassen,  so  sind  sie 
wie  ein  holzernes  Brett  und  zergehen  ohne  Zweifel  wie 
Schaum  auf  dem  Meere. 

88.  (11185.)  Wenn  der  Verkorperte  mitsamt  seinen  Sinnen 
in  Schlaf  versunken  ist,  o  Feindbedranger,  dann  schweift  der 
feine  Atman  allerwarts  wie  der  Wind  im  Luftraum. 

89.  (11186.)  Dann  ist  er  regelrecht  sehend  oder  fiihlend, 
o  Herr,  und  vollkommen  erkennend  wie  vorher  bier  [im 
Wachen],  o  Bharata. 

90.  (11187.)  Alle  Sinnesorgane,  jedes  auf  seinem  Gebiete, 
werden  machtlos  und  verlieren  ihre  Kraft,  wie  Schlangen, 
die  des  Giftzahns  beraubt  sind, 

91.  (11188.)  Dann  schweift  der  Atman  allenthalben  auf 
feinen  Wegen  durch  die  den  einzelnen  Sinnesorganen  ent- 
sprechenden  Gebiete,  daran  ist  kein  Zweifek 

92.  (11189.)  Und  indem  er  alle  Qualitaten  des  Sattvam, 
Rajas  und  Tamas,  der  Buddhi,  o  Bharata, 

93.  (11190.)  und  des  Manas,  des  Athers,  Windes,  o  Pflicht- 
treuer,  des  Sneha  [bier  angeblich  Feuer,  wohl  tejo  zu  lesen], 

94.  (11 191.)  des  Wassers  und  der  Erde,  o  Prithasohn,  in- 
dem er  diese  alle  mitsamt  ihren  Qualitaten  in  den  Kshetrajfia's 
(hier:  individuellen  Seelen)  durchdringt,  o  Yudhishthira, 

95.  (11 192.)  durchdringt  \yydti  =  vydpnoti,  Nil.]  der  Atman 
den  Kshetrajna  sowie  auch  die  guten  und  bosen  Werke,  und 
wie  Schiller  gegen  einen  hochsinnigen  [Lehrer]  sind  die 
Sinnesorgane  ihm  gegeniiber. 

96.  (11193.)  Aber  wenn  er  die  Prakriti  iiberschritten  hat, 
gelangt  er  zu  dem  unverganglichen  Atman,  dem  hochsten 
Atman  des  Narayana,  dem  gegensatzlosen,  iiber  die  Prakriti 
erhabenen. 

97.  (11194.)  Und,  erlost  von  Gutem  und  Bosem,  zu  ihm, 
dem  krankheitlosen ,  qualitatlosen ,  hochsten  Atman  einge- 
gangen,  kehrt  er  nicht  mehr  zuriick,  o  Bharata. 

98.  (11195.)    Und   wahrend    er   noch    im  Leben    verharrt. 


Adhy^ya  303  (B.  301).  607 

nahen  ihm  fiir  eine  Zeitlang  noch  Manas  und  Indriya's  als 
dem  Lehrer  gehorsame  [Schiiler]. 

99.  (1119G.)  Diese  Ruhe  kann  in  kurzer  Zeit  erlangen,  wer 
in  der  beschriebenen  Weise  nach  Tugend  strebt,  die  Er- 
kpnntnis  besitzt  und  der  Erlosung  sich  zuwendet,  o  Kuntisohn. 

100.  (11197.)  Durch  diese  Erkenntnis,  o  Konig,  gehen  die 
hochweisen  Sankhya's  den  hochsten  Weg,  eine  Erkenntnis, 
die  dieser  gleichkame,  gibt  es  nicht,  o  Kuntisohn. 

101.  (11198.)  Dariiber  bleibe  bei  dir  kein  Zweifel,  die 
Saiikhya-Erkenntnis  ist  die  hochste,  sie  ist  jenes  als  unver- 
ganglich  und  unwandelbar  bezeichnete,  das  voile,  ewige 
Brahman, 

102.  (11199.)  das  ohne  Anfang,  Mitte  und  Ende  seiende, 
gegensatzfreie,  schopferische ,  bestandige,  allerhochste  und 
dauernde,  von  dem   die  Weisen  [in  den  Upanishad's]  reden, 

103.  (11200.)  aus  welchem  alle  Wandlungen  von  Schopfung 
und  Vergang  hervorgehen,  welches  die  heiligen  Biicher  preisen, 
die  hochsten  Weisen  kiinden, 

104.  (11201.)  samt  alien  Brahmanen,  Gottern  und  Kennern 
der  wahren  Beruhigung  als  den  brahmanenfreundlichen  hochsten 
Gott  den  unendlichen,  hochsten,  unerschiitterlichen. 

105.  (11202.)  Ihn  gehen  an,  ihn  riihmen  die  tugendhaft 
gesinnten  Brahmanen  und  die  dem  Yoga  voUig  hingegebenen 
Yoga's  und  die  unermefslich  einsichtigen  Sankhya's. 

106.  (11203.)  Dieses  Gestaltlosen  Gestaltung  ist  das  Sah- 
khyam,  so  lehrt  die  Schrift,  o  Kuntisohn,  und  die  Saiikhya- 
lehre  ist  der  Beweis  fiir  ihn,  o  Bharatastier. 

107.  (11204.)  Zwei  Arten  von  Wesen  gibt  es  auf  der  Erde, 
o  Erdeherr,  sie  heifsen  Bewegliche  und  Unbewegliche ;  das 
Bewegliche  aber  steht  hoher. 

108.  (11205.)  Das  grofse  Wissen,  namlich  alles,  was 
in  den  grofsen  Veden,  bei  den  Sankhya's  und  im  Yoga 
vorhanden  ist,  o  Konig,  das  mannigfache  Wissen,  welches 
in  der  alten  Uberlieferung  fpurdnamj  vorliegt,  das  alles, 
o  Fiirst  der  Manner,  ist  im  Saiikhyam  vereinigt. 

109.  (11206.)  Und  auch  das,  was  in  den  grofsen  epi- 
schen  Erzahlungen  fitihdsaj  vorliegt,  und  was  in  den 
Biichern   iiber  Lebensklugheit   f((rthagcUtramJ   die  Aner- 


608  in.   Mokshadharma. 

kennung  der  Weisen  findet,  o  Fiirst,  und  alle  Wissen- 
schaft,  die  im  Yoga  vorhanden  ist,  all  dies  Grofse,  o  Grofs- 
gesinnter,  ist  im  Saiikhyam  vereinigt. 

110.  (11207.)  "Was  an  Beruhigung  sich  zeigt  und  an 
grofser  Kraft,  was  an  subtilem  Wissen  der  Wahrheit 
entsprechend  vorhanden  ist,  und  die  feinen,  begliickenden 
Askesen,  das  alles  ist  der  Wahrheit  gemafs  im  Saiikhyam 
niedergelegt,  o  Konig. 

111.  (11208.)  Im  ungiinstigern  Falle  gehen  die  Saiikhya's 
zu  den  Gottern  ein,  zu  ununterbrochenem  Gliicke,  o  Pritha- 
sohn,  und  nachdem  sie  durch  Umgang  mit  ihnen  ihren 
Zweck  erreicht  haben,  kommen  sie  wiederum  als  asketische 
Brahmanen  zur  Verkorperung. 

112.  (11209.)  Und  wenn  sie  dann  ihren  Leib  verlassen 
haben,  gehen  die  Saiikhya's  zu  dem  Gotte  ein,  o  Pritha- 
sohn,  wie  die  Gotter  zum  Himmel,  nachdem  sie  nur  noch 
um  soviel  mehr  als  Brahmanen,  o  Erdeherr,  sich  erfreut 
haben  an  der  verehrungswiirdigen,  die  Weisen  erquicken- 
den  Sankhyalehre. 

113.  (11210.)  Jedenfalls  gibt  es  fiir  sie  kein  Eingehen 
in  die  Tierwelt,  keinen  Niedergang,  kein  Wohnen  in  der 
Behausung  der  Missetat,  fiir  diese  Brahmanen,  welche 
einer  solchen  Wissenschaft  anhangen,  auch  wenn  sie 
nicht  gerade  die  ersten  darin  sind,  o  Fiirst. 

114.  (11211.)  Die  ungeheure,  allerhochste ,  alte,  von 
Hochstrebenden  geliebte  Saiikhyalehre  ist  ein  grofser  Ozean 
der  Eeinheit,  getragen  aber  wird  die  ganze  unermefsliche 
Sankhyalehre,  o  Fiirst,  von  dem  hochsinnigen  Narayana. 

115.  (11212.)  Dieses  verkiindige  ich  dir  als  die  Wahr- 
heit, 0  Mannerherr :  dieses  ganze  von  alters  her  bestehende 
Weltall  ist  Narayana,  er  schafft  zur  Zeit  der  Schopfung 
dieses  Ganze,  und  zur  Zeit  des  Weltuntergangs  verschlingt 
er  es  wieder. 

116.  (11213).  Und  wenn  er  das  Ganze  in  seinen  eigenen 
Leib  hineingerafft  hat,  ruht  er  auf  den  Wassern,  er,  die 
innere  Seele  der  Welt. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Daistellung  der  S&5khyalehre 
(sdnkhya  -  kathanam). 


Adliyaya  304  (B.  302).  609 

Atlliyaya  304  (B.  302). 

Vers  11214-11262  (B.  1-49). 

Yudhishtbira  sprach: 

1.  (11214.)  Was  ist  das,  was  das  Unvergangliche  genannt 
wird,  von  dem  man  nicht  wieder  zuriickkehrt?  Und  was  ist 
das,  was  das  Vergangliche  genannt  wird,  von  dem  man  wieder 
zuriickkehrt  ? 

2.  (11215.)  Die  Offenbarung  des  Unverganglichen  und  des 
Verganglichen  bitte  ich,  o  Feindbedriinger,  vernehmen  zu 
diirfen  der  Wahrheit  gemafs,  o  grofsarmiger  Kurusprofs. 

3.  (11216.)  Denn  du  wirst  anerkannt  als  ein  Ozean  des 
Wissens  von  den  mit  dem  Veda  vollvertrauten  Brahmanen, 
von   hochbegluckten  Rishi's   und  von  hochsinnigen  Asketen. 

4.  (11217.)  Nur  wenig  Tage  bleiben  dir  noch  zu  leben  iibrig, 
solange  die  Sonne  nach  Siiden  geht,  und  wenn  der  heilige 
Sonnengott  sich  nordwarts  wendet,  wirst  du  ja  den  hochsten 
Gang  antreten. 

5.  (11218.)  Wenn  du  aber  zum  Heile  eingegangen  bist,  von 
wem  konnen  wir  uns  dann  belehren  lassen?  Du  bist  die 
Leuchte  des  Kurustammes,  du  leuchtest  durch  die  Fackel 
deines  Wissens. 

6.  (11219.)  Darum  wiinsche  ich  dies  von  dir  zu  horen, 
o  Kurusprofs,  ich  werde  nicht  satt,  o  Fiirst  der  Konige,  solchen 
UnsterbHchkeitstrank  zu  schliirfen. 

Bhishma  sprach : 

7.  (11220.)  Dariiber  will  ich  dir  eine  alte  Geschichte  be- 
richten,  namlich  die  Unterredung  des  Vasishtha  mit  Karala- 
janaka. 

8.  (11221.)  Den  hohen  Vasishtha,  der,  unter  den  Rishi's 
sitzend,  wie  eine  Sonne  hervorglanzte,  befragte  der  Konig 
Janaka  nach  dem  hochsten  beseligenden  Wissen. 

9.  (11222.)  Ihn,  den  hochsten,  des  innern  Selbstes  kundigen, 
das  Ziel  des  innern  Selbstes  kennenden  Sohn  des  Mtra-Varuna 
(Rigveda  7,33,11),  wie  er  dasafs,  begriifste  mit  zusammen- 
gelegten  Handen 

Deusben,  AlabAbhilratam.  39 


6  10  in.    Mokshadharma. 

10.  (11223.)  einstmals  der  Konig  Karalajanaka  und  richtete 
an  ihn,  den  Besten  der  Eishi's,  die  wohlgesetzte,  liebliche, 
mafsvolle  Frage: 

11.  (11224.)  0  Heiliger,  ich  wiinsche  von  dem  hochsten, 
ewigen  Brahman  zu  horen,  zu  welchem  gelangt  die  Weisen 
keiner  Wiederkehr  mehr  verfallen, 

12.  (11225.)  ferner  auch,  was  unter  jenem  Verganglichen 
zu  verstehen  ist,  durch  welches  diese  Welt  der  Lebenden 
vergeht,  und  was  unter  dem  Unverganglichen ,  dem  seligen, 
friedvollen,  krankheitlosen ,  zu  verstehen  ist. 

Vasishtha  sprach : 

13.  (11226.)  Vernimm,  o  Erdeschiitzer,  wie  diese  Welt  der 
Lebenden  vergeht,  vernimm  auch  das,  was  unverganglich  ist 
von  jeher  und  solange  die  Zeit  dauert. 

14.  (11227.)  Bin  Weltalter  ,^1/M^amy' besteht  aus  zwolftausend 
[Gotter-]  Jahren  und  eine  Weltperiode  fJcalpaJ  aus  vier  Welt- 
altern,  und  der  in  tausend  Weltperioden  ablaufende  Zeitraum 
wird  ein  Tag  des  Brahman  genannt. 

15.  (11228.)  Ebensolang,  o  Konig,  ist  seine  Nacht;  geht 
sie  zu  Ende,  so  erwacht  er  und  schafft  als  Erstgeborenen 
den  MaJidn,  den  unendlich  wirkenden  (vgl.  Manu  1,74), 

16.  (11229.)  den  gestalteten,  er,  der  gestaltlose,  den  all- 
befassenden,  er,  der  durch  sich  selbst  seiende  Qambhu  (Qiva), 
der  da  ist  Atomkleinheit,  Leichtigkeit  und  Allberiihrung,  ihn, 
den  Herrn,  das  ewige  Licht. 

17.  (11230.)  Nach  allwarts  ist  es  Hand,  Fiifse,  nach  all- 
warts  Augen,  Haupt  und  Mund,  nach  alien  Seiten  hin  horend, 
die  Welt  umfassend  steht  es  da  (=  ^vet.  Up.  3,16,  vgl.  oben, 
S.  87). 

18.  (11231.)  Dieser,  der  heilige  Hiranyagarbha,  wird  auch 
als  die  Buddhi  bezeichnet,  auch  als  der  Mahan  in  den  Yoga- 
lehren  und  als  der  ewige  Virinci. 

19.  (11232.)  Und  auch  in  der  Saiikhyalehre  wird  er,  der 
Vielfaltige,  gepriesen  unter  der  Benennung  als  der  Mannig- 
fachgestaltete ,  Allbeseelende ,  in  der  einen  Silbe  fomj  Be- 
schlossene. 

20.  (11233.)  Er,  von  dem  das  Mannigfaltige  umhiillt  wird, 


Adhyaya  304  (B.  302).  61 1 

aus  dessen  Selbst  die  Dreiwelt  geschaffen  ist,  er  wird  auch 
wegen  seiner  Vielgestaltigkeit  als  Vigvarupa  (der  Allgestal- 
tige)  bezeichnet. 

21.  (11234.)  In  die  Umwandlung  iibergehend,  schafft  er, 
der  Kraftvolle,  sicli  selbst  durch  sich  selbst  als  den  AhafiMra, 
den  ichbewufsten  Scliopferherrn. 

22.  (11235.)  Aus  ilim,  dem  Unentfalteten,  ist  das  Entfaltete 
hervorgegangen ;  als  Quelle  des  Wissens  bezeichnen  sie  ihn 
und  als  den  Mahan,  als  Quelle  des  Nichtwissens  heifst  er 
Ahankara. 

23.  (11236.)  Das  Ungesetz  und  das  Gesetz  sind  also  aus 
derselben  Quelle  entsprungen;  als  Nichtwissen  und  Wissen 
werden  sie  bezeichnet  von  denen,  welche  dem  Inhalt  der 
Schriftlehre  nachsinnen. 

24.  (11 237.)  Die  Schopfung  der  Elemente  fhhutaj  aus  dem 
Ahankara  wisse  als  die  dritte,  o  Erdeherr,  und  als  vierte 
vvisse  das,  was,  von  alien  Ahankara [-Produkten]  stammend, 
Umwandlung  des  schon  Umgewandelten  ist  [namlich  die 
Vigesha's]. 

25.  (11238.)  Wind,  Feuer,  Ather,  Wasser  und  Erde  nebst 
Ton,  Beriihrung,  Sichtbarkeit,  Geschmack  und  Geruch  [sind 
Ahankara  -  Produkte], 

26.  (11239.)  und  in  derselben  Weise  gleichzeitig  entstanden 
wisse  die  Schar  der  zehn  [Indriya's],  und  endlich  als  fiinfte 
Schopfung,  0  Fiirst  der  Konige,  wisse  die  ganze  Schopfung 
der  Wesen  fhhautika)  je  nach  ihren  Zwecken. 

27.  (11240.)  Ohr,  Haut,  Augen,  Zunge  und  Geruchsorgan 
zufiinft,  Rede,  Hande  und  Fiifse,  Entleerungs-  und  Zeugungs- 
organ, 

28.  (11241.)  diese  sind  als  die  Erkenntnisorgane  und  die 
Tatorgane  gleichzeitig  mit  dem  Manas  entstanden,  o  Erdeherr. 

29.  (11242.)  Diese  vierundzwanzigfache  Natur  der  Prinzipien 
ist  in  alien  Erscheinungen  vorhanden,  sie  erkannt  habend, 
trauern  nicht  mehr  die  wahrheitschauenden  Brahmanen. 

30.  (11243.)  Dieses  den  Namen  Leib  Fiihrende  [lies:  deha- 
sanidkhjdnam]  kommt  alien  Verkorperten  zu,  das  soil  man 
wissen,  o  Bester  der  Manner,  in  der  Dreiwelt,  welche  befafst 
Gotter,  Menschen  und  Damonen, 

39* 


612  ni.    Moksliadharma. 

31.  (11244.)  Yaksha's,  Gespenster,  Gandharven,  Kinnara's, 
die  grofsen  Schlangen,  himmlische  Sanger,  Pigaca's,  Gotter- 
weise,  Nachtunholde, 

32.  (11245.)  Stechfliegen,  Wiirmer,  Miicken,  Mistkafer, 
Mause,  Hunde,  Hundekocher,  Antilopen,  Candala's,  Pulkasa's, 

33.  (11246.)  Elefanten,  Eosse,  Esel,  Tiger,  Baume,  Rind- 
vieh,  —  kurz  fiir  alles,  was  irgendwo  Gestalten  tragt,  ist  dieses 
die  Erscheinungsform. 

34.  (11247.)  Im  Wasser,  auf  dem  Lande  und  im  Luftraum 
hat  es  nie  einen  andern  Standort  fiir  die  Verkorperten  ge- 
geben,  so  haben  wir  es  mit  Gewifsheit  iiberkommen. 

35.  (11248.)  Wegen  dieser  seiner  Beschaffenheit  ist  alles, 
was  den  Namen  des  Entfalteten  tragt,  von  einem  Tage  zum 
andern  hinfallig,  daher  wird  der  Elementatman  (bhutdtmanj 
als  der  Hinfallige  bezeichnet. 

36.  (11249.)  Darum  heifst  jenes  [andere]  das  Unvergang- 
liche,  wahrend  diese  Welt  verganglich  ist;  die  Welt  ist  das 
in  Verblendung  Befangene,  welches,  aus  dem  Unentfalteten 
entspringend ,  das  Entfaltete  heifst. 

37.  (11250.)  Darum  ist  schon  der  Mahan  als  Erstgeborener 
ein  bestandiges  Beispiel  der  Verganglichkeit.  Damit  habe 
ich  dir,  o  Grofskonig,  erklart,  wonach  du  mich  fragst. 

38.  (11251.)  Der  fiinfundzwanzigste  ist  Vishnu,  unwesen- 
haft,  aber  als  Wesen  fsattvamj  bezeichnet;  weil  die  Wesen 
auf  ihn  sich  griinden,  nennen  ihn  die  Weisen  das  Wesen. 

39.  (11252.)  Was  er  als  Sterbliches,  Entfaltetes,  diese  und 
jene  Gestalt  Annehmendes  geschaffen  hat,  das  beherrscht  er 
als  der  unentfaltete  Vierundzwanzigste,  als  Gestaltloser  ist  er 
der  Fiinfundzwanzigste. 

40.  (11253.)  Und  ebendieser  weilt  im  Herzen  aller  Gestalten, 
ihr  Selbst  seiend,  als  absolut,  geistig,  ewig,  alJgestaltig  und 
gestaltlos. 

41.  (11254.)  Vereinigt  mit  ihr  [der  Prakriti],  welche  Schop- 
fung  und  Vergang  als  Eigenschaft  tragt,  nimmt  audi  er  die 
Eigenschaft  von  Schopfung  und  Vergang  an,  und  das  Guna- 
lose  bewegt  sich,  gunahaft  heifsend,  immerfort  in  ihrem  Be- 
reiche. 

42.  (11255.)   So  geschieht  es,   dafs   dieser  der   Schopfung 


Adhyaya  304  (B.  302).  613 

und  des  Verganges  kundige  Mdlian  Atmd,  sich  umwandelnd 
und  prakritihaft  werdend,  unbewufst  zweckmafsig  wirkt  (abhi- 
manyati  abuddhimdnj. 

43.  (11256.)  Mit  Tamas,  Sattvam  und  Rajas  behaftet,  birgt 
er  sich  hienieden  bald  in  diesem,  bald  in  jenem  Mutterschofse, 
und  weil  er  nicht  erweckt,  in  nichterweckte  Geschopfe  ein- 
gegangen 

44.  (11257.)  und  durch  das  Wohnen  in  ihnen  verganglich 
ist,  wahnt  er,  von  ihnen  nicht  verschieden  zu  sein,  spricht: 
„ich  bin,  der  ich  bin"  und  gibt  sich  den  Guna's  hin. 

45.  (11258.)  Vermoge  des  Tamas  geht  er  in  mannigfache 
tamashafte  Existenzen  ein,  vermoge  des  Rajas  in  rajashafte, 
vermoge  des  Sattvam  in  sattvahafte. 

46.  (11259.)  Das  sind  jene  drei  weifsen,  roten  und  schwarzen 
Gestalten  [von  denen  Chand.  Up.  6,4;  Q\et  Up.  4,5  die  Rede 
ist ;  vgl.  dazu  Sechzig  Upanishad's,  S.  301  A.  1],  das  sind  alle 
jene  Gestalten,  welche  hienieden  aus  der  Prakriti  entspringen. 

47.  (11260.)  Die  tamashaften  [Existenzen]  fahren  zur  Holle, 
die  rajashaften  werden  zu  Menschen,  die  sattvahaften  gehen 
zur  Gotterwelt  und  geniefsen  Gliickseligkeit. 

48.  (11261.)  Durch  ausschliefsliche  Schlechtigkeit  verfallt 
man  einem  tierischen  Mutterschofse,  durch  Gutes  und  Schlech- 
tes  der  Menschwerdung,  durch  Gutes  allein  geht  man  zu  den 
Gottern  ein. 

49.  (11 262.)  Auf  diese  Art  erklaren  die  Weisen  das  Reich 
des  Unentfalteten  fiir  das  Vergangliche,  aber  der,  welcher 
der  Fiinfundzwanzigste  ist,  kommt  zur  Entwicklung  durch 
das  Wissen. 

So  lautet  im  Mokshadharma 

die  Unterredung  zwischen  Vasishtha  und  Karalajanaka 

(  Vasinhtha -  Kardlajanaka  -  savitdda). 


614  ni.    Mokshadharma. 

Adhyaya  305  (B.  303). 

Vers  11263-11316  (B.  1-54). 

Vasishtha  sprach: 

1.  (11263.)  Weil  er  (der  Purusha)  in  dieser  Weise  nicht 
erweckt  ist,  gibt  er  sich  dem  Unerweckten  hin  und  wandert 
aus  dem  einen  Leibe  in  tausend  andere. 

2.  (11264.)  In  tausend  Tierleiber  gelangt  er,  dann  wieder 
zu  Gottergeburten,  vermoge  seiner  Verbindung  mit  den  Guna's 
und  der  Herrschaft  der  Guna's  [iiber  ihn]. 

3.  (11265.)  Aus  dem  Menschentum  geht  er  zum  Himmel, 
aus  dem  Himmel  zum  Menschentum  und  aus  dem  Menschen- 
tum zu  dem  Orte  des  Verderbens,  fort  und  fort  ohne  Ende. 

4.  (11266.)  Wie  eine  Kaupe  ihr  Gehause  spinnt  und  sich 
darin  einschliefst,  so  spinnt  er,  der  ewig  Gunalose,  sich  durch 
das  Fadengespinst  der  Guna's  in  den  Guna's  ein. 

5.  (11267.)  Er,  der  Gegensatzlose,  geht  in  diesen  und  jenen 
Mutterschofsen  in  die  Gegensatze  ein.  Bei  Kopfschmerz,  Augen- 
leiden,  Zahnweh,  Kehlkopfleiden, 

6.  (11268.)  "Wassersucht,  Durstkrankheit ,  Mandelentziin- 
dung.  Cholera,  Aussatz,  Brandwunden,   Lepra  und  Epilepsie 

7.  (11269.)  und  was  es  sonst  noch  fiir  mannigfache  widrige 
Zustande  gibt,  welche,  aus  der  Prakriti  entspringend,  die  Ver- 
korperten  befallen,  —  mit  diesen  wahnt  auch  er  sich  behaftet. 

8.  (11270.)  In  tausend  Tierleiber  gelangt  er,  dann  wieder 
zu  Gottergeburten,  und  vermoge  des  Ichwahns  halt  er  sie  fur 
sein  eigen  und  ebenso  die  guten  Werke. 

9.  (11271.)  Mag  er  reine  oder  schmutzige  Kleider  tragen, 
mag  er  immer  auf  dem  Boden  sitzen  oder  wie  ein  .Frosch 
niederhocken  oder  den  Yogasitz,  der  der  heroische  heifst, 
einnehmen, 

10.  (11272.)  er  wird  das  Tragen  von  Lumpen,  das  Liegen 
oder  Stehen  im  Freien,  auf  einem  Lager  von  Backsteinen, 
Dornen 

11.  (11273.)  oder  Asche,  auf  dem  Erdboden  oder  in  einem 
Bette,  in  der  Yogastellung  heroischer  Art,  im  Wasser,  im 
Schlamme,  auf  Pritschen 


Adhyaya  305  (B.  303).  615 

12.  (11274.)  und  allerlei  Lagerstatten ,  er  wird,  von  Gier 
iiach  Lohn  befangen,  die  Umgiirtung  mit  Muiijagras  und  das 
Nackendgehen,  sowie  das  Tragen  von  Linnengewandern  und 
schwarzen  Antilopenfellen, 

13.  (11275.)  mag  er  in  Hanf  oder  Schafwolle,  in  Tigerfelle, 
Lowenfelle,  Tuche, 

14.  (11276.)  Bast,  Stachelgeflecht,  Seidengespinst,  Lumpen 
oder  vieles  andere  sich  kleiden,  — 

15.  (11277.)  er  wird  dies  alles  in  seiner  Unerwecktheit  auf 
sein  Ich  beziehen,  wie  auch  die  verschiedensten  Geniisse  und 
allerlei  Kostbarkeiten. 

16.  (11278.)  Er  ifst  nur  einen  um  den  andern  Tag,  nur 
einmal  am  Tage,  nur  zu  jeder  vierten,  achten  oder  sechsten 
Mahlzeit, 

17.  (11279.)  er  ifst  nur  einmal  alle  sechs,  acht,  sieben, 
zehn  oder  zwolf  Tage, 

18.  (11280.)  fastet  einen  ganzen  Monat,  nahrt  sich  von 
Wurzeln  und  Friichten,  von  Wind,  Wasser,  Olkuchen,  saurer 
Milch,  Kuhdiinger, 

19.  (11281.)  Kuhurin,  Gemiise,  Blumen,  Moos,  Spiilicht, 

20.  (11282.)  welken  Blattern  oder  Fallobst  und  iibt  sich 
in  allerlei  Qualereien  aus  Streben  nach  der  Vollkommenheit. 

21.  (11283.)  Auch  nimmt  er  seine  Zuflucht  zur  Mondlaufs- 
bufse  und  nach  Vorschrift  zu  manchen  Aufserlichkeiten,  oder 
betritt  den  Pfad  der  vier  Lebensstadien  oder  andere  nicht 
zum  Ziele  fuhrende  Wege, 

22.  (11284.)  oder  auch  er  wird  andere  Abwege,  mancherlei 
Irrlehren,  abgelegene  Schattenplatze  im  Gebirge,  Waldquellen, 

23.  (11285.)  einsame  Sandbanke,  Walder,  heilige  Gotter- 
tempel,  Teiche, 

24.  (11286.)  entlegene  Berghohlen,  die  [an  Behaglichkeit] 
einem  Hause  nahekommen,  oder  besondere  Murmelungen  und 
Geliibde, 

25.  (11287.)  allerlei  Observanzen,  Askesen,  Opfer  und  Zere- 
monien 

26.  (11288.)  oder  das  Leben  als  Kaufmann,  Zwiegeborener, 
Kshatriya,  Vaigya,  ^'udra  und  das  Almosengeben  an  Bedriickte, 
Blinde,  Elende,  — 


616  III.    Mokshadharma. 

27.  (11289.)  dies  alles  wird  er  in  seiner  Unerwecktheit  als 
auf  sein  Ich  beziiglich  ansehen,  ebenso  die  drei  Guna's  Satt- 
vam,  Rajas  und  Tamas,  und  nicht  anders  steht  es  mit  dem 
Guten,  Niitzlichen  und  Angenehmen. 

28.  (11 290.)  In  dieser  Weise  zerlegt  der  Atman  durcli  den 
Einflufs  der  Prakriti  sein  [einheitliches]  Selbst  in  eine  Viel- 
heit  [von  Betatigungen] ,  und  man  spricht  von  Svadha-Ruf, 
Vashat-Ruf,  Svaha-Ruf  und  Verehrungen, 

29.  (11291.)  von  Opfern  fiir  andere,  Lehrtatigkeit ,  Geben 
und  Nehmen,  Opfern,  Studieren  und  wer  weifs  von  was 
sonst  noch, 

30.  (11292.)  und  mag  es  sich  um  Geburt  oder  Tod,  um 
Disputieren  oder  Dreinschlagen  handeln,  kurz  alles,  was  zum 
Guten  oder  Bosen  ausschlagt,  nennt  man  den  Weg  der  [Ver- 
geltung  nach  sich  ziehenden]  Werke. 

31.  (11293.)  Aber  nur  die  Gottin  Prakriti  ist  es,  welche 
Entstehen  und  Vergang  bewirkt,  und  am  Ende  der  Tage  zieht 
Er  alle  ihre  Guna's  in  sich  herein  [abhyetya  =  grasitvd,  Nil.] 
und  besteht  fort  als  der  Eine. 

32.  (11294.)  Wie  die  Sonne  ihre  Strahlen  von  Zeit  zu  Zeit 
wieder  einzieht,  so  macht  auch  er  immer  wieder  das  Vorher- 
gewesene  spieleshalber  zunichte  (ahhimanyate  vgl  aWiimansye 
Brih.  Up.  1,2,5), 

33.  (11295.)  namlich  die  mannigfachen ,  ihre  eigene  Natur 
habenden,  seinem  Herzen  lieben  Guna's.  Und  nachdem  er 
wiederum  sie,  welche  Schopfung  und  Vergang  als  Wesen 
besitzt,  entfaltet  hat, 

34.  (11296.)  und  ebenso  die  Tat,  dem  Weg  der  Tat  an- 
hangend,  und  die  drei  Guna's,  er,  der  Herr  der  drei  Guna's, 
so  wahnt  er,  da  er  den  Pfad  der  Tat  betreten  hat,  von  der 
Tat,  sie  sei  ein  Wirkliches. 

35.  (11 297.)  Durch  die  Prakriti  ist  diese  ganze  Welt  blind 
gemacht,  o  Herr,  und  alles  hienieden  ist  in  mannigfacher 
Weise  von  Rajas  und  Tamas  durchtrankt. 

36.  (11298.)  So  geschieht  es,  dafs  die  Gegensatze  des  Erden- 
lebens  immer  wiederkehren.  „Als  mir  gehorig  entstehen  sie 
und  auf  mich  stiirmen  sie  ein, 

37.  (11299.)  und  ich   mufs  mich  aus  ihnen  alien  heraus- 


Adhyaya  305  (B.  303).  617 

arbeiten",  so,  o  Mannerherr,  denkt  der  Mensch  wegen  seiner 
Unerwecktheit,  „und  ebenso  mufs  ich  fiir  meine  guten  Werke 

38.  (11300.)  Vergeltung  im  Himmel  geniefsen,  und  waiter 
werde  ich  hienieden  nochmals  die  guten  und  bosen  Friichte 
[meiner  Werke]  durchzukosten  haben. 

39.  (11301.)  Aber  mein  Gliick  mufs  ich  betreiben,  und  habe 
ich  es  einmal  begriindet,  so  wird  meine  Gliicksehgkeit  in 
jeder  neuen  Geburt  bis  zu  Ende  durchhalten. 

40.  (11302.)  Freilich  wird  mich  fiir  meine  hier  began genen 
Werke  auch  endloses  Ungliick  treffen,  denn  es  ist  schon  ein 
grofses  Ungliick,  Mensch  zu  werden,  und  vollends  ein  solches 
ist  es,  in  die  Holle  zu  fahren. 

41.  (11303.)  Doch  werde  ich  aus  der  Holle  mit  der  Zeit 
wieder  zur  Menschwerdung  gelangen,  aus  dem  Menschsein 
zur  Gottwerdung,  aus  dem  Gottsein  wieder  zum  menschlichen 
Dasein 

42.  (11304.)  und  aus  diesem  wieder  zur  Holle,  so  gelangt 
man  abwechselnd  vom  einen  zum  andern."  Wer  immerfort 
in  diesem  Bewufstsein  lebt,  vom  Atman  abgewandt,  von  den 
Guna's  des  Atman  umhiillt, 

43.  (11305.)  der  geht  infolgedessen  zum  Menschsein,  Gott- 
sein und  zur  Holle  ein,  und  vom  Egoismus  umnebelt,  wandert 
er  fort  und  fort  um 

44.  (11306.)  in  todverfallenen  Gestalten  tausend  und  aber- 
tausend  Schopfungsperioden  hindurch.  Wer  in  dieser  Weise 
das  mit  guten  und  bosen  Friichten  behaftete  Werk  betreibt, 

45.  (11307.)  der  erlangt  die  entsprechende  Frucht  durch 
Verkorperungen  in  alien  drei  Wei  ten.  Aber  nur  die  Prakriti 
ist  es,  welche  das  gute  und  bose  Friichte  tragende  Werk  voll- 
bringt,  (ii308.)  und  so  ist  es  auch  die  den  Liisten  nachgehende 
Prakriti,  welche  die  Frucht  in  alien  drei  Welten  geniefst. 

46.  Mag  einer  in  der  Tierwelt,  Menschenwelt  oder  Gotter- 
welt  weilen,  (ii309.)  alle  diese  drei  Regionen  gehoren  der  Pra- 
kriti an,  das  soil  man  wissen. 

47.  Freilich  ist  die  Prakriti  unerkennbar,  aber  wir  er- 
schliefsen  sie  aus  ihren  Produkten,  (ii3io.)  und  so  glaubt  man 
in  seinem  Wahne  (lies:  ahhimdndd),  dafs  es  auch  fiir  den 
Purusha  ein  Merkmal  gebe. 


618  in.    Mokshadharma. 

48.  Dieser  aber  eignet  sich  nur  ein  fremdes  Merkmal  an, 
ein  der  Prakriti  gehoriges,  fiir  siindlos  gehaltenes,  (iisii.)  be- 
tritt  die  Pforten  der  Siinde  [die  Sinnesorgane]  und  schreibt 
sie  infolge  des  Werkes  sich  selbst  zu. 

49.  So  geschieht  es,  dafs  alle  Erkenntnisorgane,  Ohr  usw., 
sowie  auch  die  funf  Tatorgane,  (11312.)  Rede  usw.,  sich  mit- 
samt  ihren  Qualitaten  in  den  Qualitaten  [der  Objekte]  be- 
tatigen. 

50.  „lch  bin  alles  das,  in  mir  sind  diese  Organe", 
(11313.)  so  wahnt  der  Organlose,  der  Siindlose  „ich  bin  siind- 
haft". 

51.  Merkmallos  wahnt  er,  Merkmale  zu  haben,  zeitlos, 
in  der  Zeit  zu  sein,  (ii3i4.)  sattvalos,  sattvahaft  zu  sein,  wesen- 
los,  wesenhaft  zu  sein, 

52.  unsterblich  ist  er  und  wahnt  sich  dem  Tode  verfallen, 
unwandelbar  der  Wandelbarkeit,  (11  sis.)  korperlos  der  Korper- 
lichkeit,  unerschaffen  der  Erschaffenheit, 

53.  er,  der  Askeselose,  wahnt  sich  askesehaft,  der  Un- 
bewegte  derBewegung  teilhaftig,  (11316.)  der  Werdelose  werde- 
haft,  der  Furchtlose  der  Furcht  verfallen, 

54.  der  Unvergangliche  wahnt  sich  verganglich,  solange 
ihm  die  Erweckung  fehlt. 

So  lautet  irn  Mokshadharma 
die  Unterredung  zwischen  Vasishtha  und  Karalajanaka 

(Vaiis/itlia  -Kardlajanal  a  -  saiiivdda). 


Adhyaya  306  (B.  304). 

Vers  11317-11327  (B.  1-11). 

Vasishtha  sprach: 

1.  (11317.)  Weil  er  somit,  nicht  erweckt,  in  nicht  erweckte 
Geschopfe  eingegangen  ist,  mufs  er  tausend  und  abertausend 
dem  Vergang  verfallene  Weltschopfungen  durchwandern. 

2.  (11318.)  Einmal  in  die  Behausung  geraten,  geht  er  in 
tausend  hinsterbende  Behausungen  ein  als  Tier,  als  Mensch 
Oder  als  ein  Gott  im  Himmel. 


Adhyaya  306  (B.  304).  619 

3.  (11319.)  Wie  der  Mond  unter  den  Wesen  schwindet  er 
tausendmal  immer  wieder  und  wieder  wegen  seiner  Unerweckt- 
heit,  er,  solange  er  ein  Unerweckter  ist. 

4.  (11320.)  Der  fiinfzehnte  Teil  ist  der  Ursprung  [des 
Mondes],  er  als  seine  Behausung  ist  erkennbar,  aber  als  un- 
verganglich  mufst  du  dieses  erkennen,  den  Soma  (Mond, 
Unsterblichkeitstrank),  namlich  seinen  sechzehnten  Teil. 

5.  (11321.)  Wie  er,  wird  auch  der  Unerweckte  fort  und 
fort  aus  dem  [fUnfzehnten]  Telle  neu  geboren,  ihn  erklart 
man  fiir  seine  Heimstatte,  aus  der  er  immer  wieder  ge- 
boren wird. 

6.  (11322.)  Aber  der  sechzehnte  Teil  ist  unerkennbar,  er 
ist  als  der  [wahre]  Soma  2u  betrachten;  dieser  wird  nicht 
von  den  Gottern  (den  Sinnesorganen)  dienstbar  gemacht,  son- 
dern  macht  sie  sich  dienstbar. 

7.  (11323.)  Ohne  ihn  je  zu  verlieren,  wird  der  Mensch 
immer  wieder  neu  geboren,  o  bester  Fiirst;  jener  hingegen 
[der  fiinfzehnte  Teil]  ist  seine  Prakriti,  was  iibrig  bleibt, 
wenn  sie  zuniclite  wird,  das  heifst  Erlosung. 

8.  (11324.)  Wenn  aber  der  Mensch  den  ganzen,  aus  den 
sechzehn  Teilen  bestehenden  Leib,  der  durch  die  Prakriti 
sein  Geprage  erhalt,  fiir  sein  wahres  Ich  halt,  dann  bleibt 
er  in  der  Wanderung  befangen. 

9.  (11325.)  Der  fiinfundzwanzigste  ist  der  Mahdn  Atmd\ 
well  er  nicht  erweckt  ist,  und  weil  er,  der  Fleckenlose,  Reine, 
sich  mit  Reinem  und  Unreinem  befafst, 

10.  (11326.)  wird  er,  der  reine  Atman,  zu  einem  solchen, 
zu  einem  unreinen,  o  Erdeherr,  und  weil  er  mit  Unerweckten 
sich  befafst,  geht  er,  der  Wache,  in  die  Unerwecktheit  ein. 

11.  (11327.)  In  diesem  Sinne,  o  Bester  der  Fiirsten,  ist  er 
als  ein  Unerweckter  zu  betrachten,  und  weil  er  mit  der  drei- 
gunahaften  Prakriti  Gemeinschaft  macht,  wird  auch  er  drei- 
gunahaft. 

So  lautet  im  Mokshadbarma 
die  Unterredung  zwischen  Vasishtha  und  Kar^lajanaka 

(Vasishtha  -  Kardlajanaka  -  savivdda). 


620  in.    Mokshadharma. 

Adhyaya  307  (B.  305). 

Vers  11 328-11 3G7  (B.  1-39). 

Janaka  sprach: 

1.  (It  328.)  Diese  Verbindung  der  beiden,  des  Unvergang- 
lichen  und  des  Verganglichen,  ist  zu  vergleichen,  o  Heiliger, 
der  Verbindung  zwisclien  Mann  und  Weib. 

2.  (11329.)  Es  kann  aber  ohne  den  Mann  hienieden  das 
Weib  keine  Leibesfrucht  empfangen,  und  ohne  das  Weib  kann 
der  Mann  seine  Gestalt  nicht  wieder  erneuern. 

3.  (11330.)  Nur  durch  die  Verbindung  beider  und  durch 
die  Stiitzung  auf  die  wechselseitigen  Fahigkeiten  kann  der 
Mann  seine  Gestalt  wieder  erneuern,  und  ebenso  bei  alien 
folgenden  Entstehungen. 

4.  (11331.)  Weil  sie  um  der  Geschlechtslust  willen  sich 
verbinden  und  sich  dabei  auf  die  wechselseitigen  Fahigkeiten 
stiitzen,  wird  in  der  Zeit  der  Empfangnis  seine  Gestalt  neu 
entwickelt;  dieses  als  Beispiel  will  ich  dir  naher  erklaren. 

5.  (11332.)  Was  nun  die  Eigenschaften  des  Vaters  und  die 
der  Mutter  betrifft,  so  wissen  wir,  dafs  Knochen,  Sehnen  und 
Mark  vom  Vater, 

6.  (11333.)  hingegen  Haut,  Fleisch  und  Blut  von  der 
Mutter  stammen;  so  wird  dies,  o  Bester  der  Zwiegeborenen, 
im  Veda  und  im  Lehrsystem  erklart. 

7.  (11334.)  Wenn  aber  einer  einen  Beweis  in  seinem  Veda 
findet  und  die  Bestatigung  desselben  im  Lehrsysteme,  so  ist 
diese  Ubereinstimmung  von  Veda  und  Lehrsystem  ein  fiir  alle 
Zeiten  vollgiiltiger  Beweis. 

8.  (11335.)  Sofern  auch  sie  nach  ihren  Fahigkeiten  ent- 
gegengesetzt  und  einander  erganzend  sind,  so  bleiben  in  der- 
selben  Weise  fur  alle  Zeit  mit  einander  verkniipft  die  Prakriti 
und  der  Purusha. 

9.  (11336.)  Und  darum  scheint  mir,  o  Heiliger,  dafs  eine 
Erlosung  nicht  moglich  ist.  Oder  gibt  es  wohl  noch  irgend- 
ein  treffenderes  Beispiel?  (11337.)  Dann  telle  es  mir  der  Wahr- 
heit  gemafs  mit,  denn  du  bist  dir  iiber  alles  klar. 


Adhyaya  307  (B.  305).  621 

10.  Denn  audi  wir  sind  erlosungsbediirftig  und  sehnen 
uns  nach  dem  Krankheitlosen,  (ii338.)  Korperlosen,  Alterlosen, 
Ewigen,  Ubersinnlichen,  Freien. 

Vasishtha  sprach: 

11.  (11339.)  Was  du  als  Beispiel  aus  dem  Veda  und  dem 
Lehrsysteme  beigebracht  hast,  dementsprechend  verhalt  es 
sich  wirklich,  und  wie  es  ist,  fassest  du  es  richtig  auf. 

12.  (11340.)  Denn  du  besitzest  die  Lehre  von  beiden,  vom 
Veda  und  vom  Lehrsystem,  aber  du  verstehst  nicht  den  Sinn 
des  Lehrbuches  der  Wahrheit  gemafs,  o  Herr  der  Manner. 

13.  (11341.)  Denn  wem  es  beim  Veda  und  beim  Lehr- 
system nur  darum  geht,  den  Wortlaut  auswendig  zu  wissen, 
ohne  dafs  er  den  Sinn  der  Worte  kennt,  fiir  den  hat  auch 
das  Auswendigwissen  keinen  Wert. 

14.  (11342.)  Der  schleppt  sich  nur  mit  einer  Last,  wer 
den  Sinn  des  Buches  nicht  kennt.  Wer  aber  den  Sinn  des 
Lehrbuches  kennt,  fiir  den  ist  die  Lehre  des  Buches  nicht 
vergebens. 

15.  (11343.)  Wenn  jemand  uns  nach  dem  Sinne  eines  Lehr- 
buches befragt,  so  mtissen  wir  ihn  so  darlegen  konnen,  dafs 
der  andere  aus  der  Vernehmung  des  Inhaltes  den  Sinn 
herausfindet. 

16.  (11344.)  Wer  so  schwerfalhgen  Geistes  ist,  dafs  er  den 
Sinn  einer  Lehre  nicht  in  Versammlungen  darlegen  kann,  wie 
kann  ein  so  langsamer  Geist  iiberhaupt  imstande  sein,  die 
Lehre  mit  Klarheit  auseinanderzusetzen? 

17.  (11345.)  Ein  so  schwacher  Geist  wird  auch  zu  einer 
klaren  Darlegung  der  Sache  nicht  imstande  sein,  weil  er  sich 
zum  Gegenstande  des  Gelachters  macht,  selbst  wenn  er  des 
Atman  kundig  ware. 

18.  (11346.)  Darum  vernimm,  o  Fiirst  der  Konige,  wie 
dieses  der  Wahrheit  gemafs  aufzufassen  ist  nach  der  An- 
schauung  der  Sahkhya's  und  der  hochsinnigen  Yoga's. 

19.  (11347.)  Dasselbe,  was  die  Yoga's  [intuitiv]  schauen, 
wird  von  den  Saiikhya's  [durch  Reflexion]  gewonnen.  Das 
Sahkhyam  und  der  Yoga  sind  eines;  weise  ist,  wer  das 
begreift. 


622  ni.    Mokshadharma. 

20.  (11348.)  Haut,  Fleisch,  Blut,  Fett,  Galle,  Mark  und 
Sehnen,  sowie  das  System  der  Sinnesorgane,  das  hast  du  mir 
gegeniiber  als  das  Ich  bezeichnet. 

21.  (11349.)  Freilich,  aus  der  Substanz  entwickelt  sich 
Substanz,  aus  den  Organen  das  Organ,  aus  dem  Leibe  der 
Leib,  aus  dem  Samen  der  Same; 

22.  (11350.)  aber  dem  Organlosen,  Samenlosen,  Substanz- 
losen  und  Korperlosen,  wie  konnen  diesem  grofsen  Atman 
Eigenschaften  zugeschrieben  werden,  da  er  doch  eigenschafts- 
los  ist! 

23.  (113.51.)  Qualitaten  entstehen  immer  nur  in  Qualitaten 
und  gehen  wieder  in  sie  zuriick ;  in  dieser  Weise  gehen  alle 
Qualitaten  nur  aus  der  Prakriti  hervor  und  wieder  in  sie  zuriick. 

24.  (11352.)  Haut,  Fleisch,  Fett,  Galle,  Mark,  Knochen  und 
Sehnen  machen  acht  mit  dem  Samen  und  stammen  alle  aus 
der  Prakriti,  das  mufst  du  verstehen. 

25.  (11353.)  Es  gibt  nur  zweierlei:  den  Purusha  und  was 
nicht  Purusha  ist.  Alles,  was  aus  den  drei  Merkmalen  [Satt- 
vam,  Rajas,  Tamas]  besteht,  wird  als  prakriti-artig  bezeichnet. 
Aber  weder  von  dem  Purusha  noch  von  dem  Nicht-Purusha 
[der  Prakriti]  kann  behauptet  werden,  dafs  sie  Merkmale 
besafsen. 

26.  (11354.)  Was  nun  die  Prakriti  betrifft,  so  wird  sie, 
well  selbst  merkmallos,  erkannt  aus  den  ihren  Produlvten  an- 
haftenden  Merkmalen,  gerade  so  wie  jederzeit  aus  den  Blumen 
und  Friichten  die  selbst  nicht  sichtbaren  Jahreszeiten. 

27.  (11355.)  In  derselben  Weise  wird  das  Merkmallose 
durch  Folgerung  erkannt.  Was  hingegen  den  Fiinfundzwan- 
zigsten  betrifft,  o  Freund,  der  mit  seinem  Wesen  in  die  Merk- 
male verstrickt  ist, 

28.  (11356.)  so  ist  er  in  Wahrheit  ohne  Entstehung  und 
Vergang,  unendlich,  allschauend,  frei  von  Leiden,  und  nur 
infolge  des  Wahnes  wird  er  fiir  eine  Qualitat  wie  andere 
Qualitaten  gehalten. 

29.  (11357.)  Qualitaten  kommen  nur  dem  Qualitathaften 
zu,  wie  soUte  der  Qualitatlose  zu  Qualitaten  kommen !  Darum 
sind  davon  [von  der  Qualitatlosigkeit  des  Purusha]  iiberzeugt 
die,  welche  das  Wesen  der  Qualitaten  verstehen. 


Adhyaya  307  (B.  305).  623 

30.  (11358.)  Wenn  er  [der  Purusha]  aber  von  diesen  aus 
der  Prakriti  stammenden  Qualitaten  sich  loszulosen  bemiiht, 
dann  wird  er  infolge  der  Befreiung  von  den  Qualitaten  jenen 
Hochsten  schauen, 

31.  (11359.)  welcher  das  ist,  was  die  Saiikhya's  und  Yoga's 
allerorten  fiir  das  iiber  die  Buddhi  Erhabene  erklaren,  das 
Hochweise,  welches  erkannt  wird,  wenn  man  das  Unbewufste, 
Nichterweckte  von  sich  abtut. 

32.  (11360.)  Als  das  Unerweckte  erklaren  sie  die  Prakriti, 
als  das  Qualitatlose  den  Igvara,  und  diesen  qualitatlosen 
Igvara  als  den  Ewigen  und  Obersten. 

33.  (11361.)  Als  den  nach  der  Prakriti  und  ihren  Quali- 
taten Fiinfundzwanzigsten  erkennen  ihn  die  Weisen,  des 
Sahkhyam  und  Yoga  Kundigen,  nach  dem  Hochsten  Strebenden. 

34.  (11362.)  Wenn  sie  erweckt  sind  und,  Lebenszustande 
und  Geburt  scheuend,  das  Unentfaltete  (die  Prakriti)  er- 
kennen und  durchschauen ,  dann  weisen  sie  auf  das  Sich- 
gleichbleibende  [Brahman]  hin. 

35.  (11363.)  Diese  Anschauung  ist  die  richtige,  unrichtig 
und  ein  nicht  passendes  Gleichnis  ist  das  deine,  erstere  ge- 
hort  den  Erweckten,  letzteres  den  Nichterweckten ,  beiden 
voneinander  gesondert,  an,  o  Feindbezwinger. 

36.  (11364.)  Meine  Darlegung  bezog  sich  auf  das  gegen- 
seitige  Verhaltnis  zwischen  Verganglichem  und  Unvergang- 
lichem,  die  Einheit  ist  das  Unvergangliche ,  die  Vielheit  das 
Vergangliche. 

37.  (11365.)  Wenn  einer  iiber  die  fiinfundzwanzig  imKlaren 
richtig  denkend  verfahrt,  dann  wird  ihm  die  Einheit  als  rich- 
tige Anschauung,  die  Vielheit  als  falsche  Anschauung  gelten. 

38.  (1136G.)  Diese  Anschauung  unterscheidet  zwischen  dem 
Realitathaften  und  dem  Realitatlosen ;  die  ganze  Schar  der 
Fiinfundzwanzig   erklaren   die  Weisen  fiir  das  Realitathafte ; 

39.  (113G7.)  Die  Anschauung  des  Realitatlosen  erhebt  sich 
iiber  alle  fiinfundzwanzig,  iiber  die  Schar  der  Geschopfe  und 
ihr  Treiben,  iiber  das  Realitathafte  vom  Realitathaften  empor 
zum  Ewigen. 

So  lautet  im  Moksbadharma 

die  Unterredung  zwischen  Yasisbtha  und  Kar&lajanaka 

(Vasishtha -  Kardlajanaka - samvdda). 


624  III.    Mokshadharma. 

Adhyaya  308  (B.  306). 

Vers  113G8-11417  (B.  1-50). 

Jauaka  spracli: 

1.  (113G8.)  Du  hast,  0  Bester  der  Weisen,  iiber  die  Viel- 
heit  und  die  Einheit  gesprochen,  aber  ich  sehe  in  dem  Auf- 
schlufs  iiber  diese  beiden  etwas,  was  mir  zweifelhaft  bleibt. 

2.  (11369.)  Ferner  auch  verstehe  ich  —  gewifs  nur  wegen 
der  Langsamkeit  meines  Geistes  —  nicht  recht  den  "Wesens- 
unterschied  zwischen  dem  Nichterweckten ,  dem  Erweckten 
und  dem  Erwachenden. 

3.  (11370.)  Was  du  sodann  als  den  Grund  fiir  die  Unver- 
ganghchkeit  und  VergangHchkeit  angefiihrt  hast  [namhch  die 
Einheit  und  Vielheit] ,  auch  das  ist  mir  wegen  der  Schwache 
meiner  Fassungskraft  entfallen,  o  Untadliger. 

4.  (11371.)  Das  also  mochte  ich  horen,  die  Darlegung  der 
Einheit  und  der  Vielheit  und  den  Wesensunterschied  zwischen 
dem  Nichterweckten,  dem  Erweckten  und  dem  Erwachenden, 

5.  (11372.)  ferner  den  zwischen  Wissen  und  Nichtwissen, 
sowie  zwischen  dem  Unverganglichen  und  Verganglichen, 
0  Heiliger,  endlich  auch  mochte  ich  in  Vollstandigkeit  von 
dem  Sahkhyam  und  dem  Yoga  erfahren,  worin  sie  sich  unter- 
scheiden  und  worin  nicht. 

Vasishtha  sprach: 

6.  (11373.)  Wohlan,  ich  will  dir  erklaren,  wonach  du  mich 
fragst,  aufserdem  aber  vernimm  von  mir  die  Praxis  des  Yoga, 
o  Grofskonig. 

7.  (11374.)  Die  hochste  Kraft  der  Yoga's  liegt  in  der  zur 
Yogapraxis  gehorigen  Meditation;  diese  Meditation  erklaren 
die  Kenner  der  Wissenschaft  fiir  zweifach; 

8.  (11375.)  sie  besteht  in  der  Konzentration  des  Manas 
und  in  der  Atemregulierung,  letztere  ist  qualitathaft ,  erstere 
qualitatlos  [wohl  nirgund  zu  lesen]. 

9.  (11376.)  Wahrend  des  Harnens  und  der  Kotentleerung 
und  wahrend  des  Essens,  o  Mannerherr,  in  diesen  drei  Zeiten 


Adhyaya  308  (B.  306),  625 

soil  man  den  Yoga  unterlassen,  in  der  iibrigen  Zeit  soil  ihn 
betreiben,  wer  ihn  hochschatzt. 

10.  (11377.)  Die  Sinnesorgane  mitsamt  dem  Manas  von 
den  Sinnendingen  abkehrend,  soil  der  Reine  den  liber  das 
vierundzwanzigste  Prinzip  [die  Prakriti]  Erhabenen  mit  den 
zehn  oder  zwolf 

11.  (11378.)  Reizmitteln  [sanicodand  vgl.  unten,  Vers  11685), 
soil  er  mit  Besonnenheit  seinen  Atman  antreiben,  den  feststelien- 
den,  alterlosen,  wie  dies  von  den  Weisen  vorgeschrieben  wird. 

12.  (11379.)  Denn  flir  sie  ist  der  Atman  allezeit  erkenn- 
bar,  so  ist  es  uns  iiberliefert,  denn  das  Yogagelubde  ist  nur 
da  fiir  einen  Menschen  von  ungeschwachtem  Geiste,  fiir  keinen 
andern,  das  steht  fest. 

13.  (11380.)  Von  aller  Weltanhanglichkeit  losgelost,  mafsig 
in  der  Ernahrung  und  seine  Sinne  beherrschend,  soil  ein 
solcher  in  der  Zeit  vor  und  nacli  Mitternacht  sein  Manas  in 
sich  selbst  fesseln. 

14.  (11381.)  Nachdem  er  die  Schar  der  Sinnesorgane  durch 
das  Manas  und  das  Manas  durch  die  Buddhi  zum  Stillstande 
gebracht  hat,  0  Fiirst  von  Mithila,  soil  er  unbeweglich  wie 
ein  Pels, 

15.  (11382.)  unerschiitterlich  wie  ein  Baumstamm,  regungs- 
los  wie  ein  Berg  verharren,  dann  nennen  ihn  die  in  ihrem 
Geiste  der  Satzungsvorschrift  Kundigen  einen  im  Yoga  Be- 
griffenen. 

16.  (11383.)  Dann  hort  er  nicht,  dann  riecht  er  nicht,  dann 
schmeckt  er  nicht  und  sieht  er  nicht,  dann  fiihlt  er  keine 
Beriihrung  mehr  und  sein  Manas  stellt  nicht  mehr  vor, 

17.  (11384.)  dann  begehrt  er  nicht  nach  irgend  etwas  und 
denkt  so  wenig  wie  ein  Stiick  Holz,  dann  nennen  ihn  die 
Weisen  einen  [mit  seiner  Korperlichkeit]  in  die  Prakriti 
Zuriickgekehrten,  einen  im  Yoga  Begriffenen. 

18.  (11385.)  Wie  eine  an  windstillem  Orte  brennende  Lampe 
leuchtet  er  dann ;  frei  von  seinem  Lingam  [von  Buddhi  usw.] 
und  unbewegt  strebt  er  nach  oben  und  nicht  nach  der 
Seite  hin. 

19.  (11386.)  Dann  bekommt  er  den  zu  schauen,  nach  dessen 
Anblick  er  als  der  im  Herzen  weilende,  innere  Atman  be- 

DEtJSSKN,  Mahftbh&ratam.  40 


626  in.    Mokshadharma. 

zeichnet  wird;   als  Purusha  ist  er  anzuerkennen,   o  Freund, 
von  denen,  die  wie  ich  denken. 

20.  (11387.)  Wie  ein  rauchloses  siebenflammiges  Feuer, 
wie  die  strahlenreiche  Sonne,  wie  das  Blitzfeuer  im  Luft- 
raume,  so  wird  ilim  sein  Atman  in  ihm  selbst  sichtbar. 

21.  (11388.)  Hochsinnige,  charaktervoUeWeisen,  imSchofse 
des  Brahman  ruhende  Brahmanen  schauen  den  Ursprung- 
losen,  Unsterblichen 

22.  (11389.)  und  bezeichnen  ihn  als  feiner  als  das  Feinste, 
grofser  als  das  Grofste;  es  ist  jene  unwandelbare ,  in  alien 
Wesen  weilende,  unsichtbare  Wesenheit. 

23.  (11390.)  Aus  der  Fiille  der  Buddhi  mit  der  Fackel  des 
Manas  wird  er  geschaut  als  der  "Weltschopfer,  wie  er  dasteht 
jenseits  der  grofsen  Finsternis,  von  Finsternis  nicht  um- 
fangen. 

24.  (11391.)  Er  wird  als  der  Finsternisverscheucher  be- 
zeichnet  von  den  Allwissenden,  die  den  Veda  durchstudiert 
haben,  als  der  Fleckenlose,  Finsternislose,  Merkmallose ,  der 
da  der  Merkmalfreie  heifst. 

25.  (11392.)  Das  ist  der  Yoga  der  Yogabeflissenen,  welch 
anderes  Merkzeichen  des  Yoga  liefse  sich  geben!  So  ge- 
schieht  es,  dafs  sie  den  Schauenden  schauen,  den  alterlosen, 
hochsten  Atman. 

26.  (11393.)  Damit  habe  ich  dir  das  Yogasystem  der  Wahr- 
heit  gemafs  dargelegt,  nun  will  ich  dir  das  SaSikhyawissen 
mitteilen,  das  System  der  vollstandigen  Aufzahlungen. 

27.  (11394.)  Als  das  Unentfaltete  bezeichnen  die  oberste 
Prakriti  die,  welche  die  Prakriti  verstehen.  Aus  diesem  ist 
als  zweites  das  grofse  Prinzip  (Mahat)  hervorgegangen ,  o 
Bester  der  Konige, 

28.  (11395.)  aus  dem  grofsen  Prinzip  als  drittes  der  Ahaii- 
kara,  wie  wir  aus  der  Schrift  wissen,  aus  dem  Ahankara  die 
fiinf  Elemente,  wie  die  des  Sahkhyam  kundigen  Meister  lehren. 

29.  (11396.)  Dieses  sind  die  acht  schopferischen  Prinzipien 
(prakritayahj  und  zu  ihnen  kommen  sechzehn,  welche  blofs 
Umwandlungen  sind,  namlich  die  fiinf  [aus  den  Elementen 
stammenden]  Vigcsha's  fspezifische  Qualitaten)  sowie  die  fiinf 
Sinne  [nebst  den  fiinf  Tatorganen  und  Manas]. 


Adhyaya  308  (B.  306).  627 

30.  (11397.)  Soviele  Prinzipien  umfafst  das  Sankhyam,  wie 
die  Weisen  sagen,  sie,  welche  der  Satzung  und  Anordnung 
im  Sankhyam  kundig  sind  und  immerfort  an  dem  Wege  der 
Sankhyalehre  sich  erfreuen. 

31.  (11393.)  Woraus  etwas  entsteht,  darin  wird  es  auch 
wieder  zunichte;  [die  genannten  Prinzipien]  werden  zunichte 
[liyante  mit  C.)  in  umgekehrter  Folge  als  die,  in  der  sie 
durcli  den  innern  Atman  geschaffen  werden. 

32.  (113'j'j.)  Fort  und  fort  entstehen  in  der  naturlichen 
Folge  und  vergelien  in  der  umgekehrten  Folge  die  Guna's 
[hier:  Prinzipien]  in  den  Guna's  wie  die  Wellen  des  Ozeans. 

33.  (11400.)  So  ist  es  mit  der  Schopfung  aus  der  Prakriti 
und  dem  Vergang  in  sie  bestellt,  o  Bester  der  Konige:  zur 
Einheit  wird  diese  Welt  beim  Vergang,  zur  Vielheit,  wenn 
die  Prakriti  sie  aus  sich  entlafst. 

34.  (11401.)  So  ist  es  zu  erkennen,  o  Fiirst  der  Konige, 
von  den  der  Lehre  Kundigen :  [man  mufs  unterscheiden]  den 
Vorsteher  und  das  Unentfaltete,  dafiir  liegt  in  dem  Gesagten 
der  Beweis. 

35.  (11402.)  Jener,  der  aller  Zwecke  kundig  ist,  [schafft] 
die  Einheit  und  die  Vielheit  der  Prakriti,  die  Einheit,  wenn 
die  Welt  vergeht,  die  Vielheit,  wenn  er  sie  aus  ihr  entwickelt. 

36.  (11403.)  Viele  Male  befruchtet  der  Atman  die  zum  Ge- 
baren  bestimmte  Prakriti,  und  ihr  als  dem  Ackerfelde  (lislic- 
tramj  steht  der  Mahan  Atma   als  der  fiinfundzwanzigste  vor. 

37.  (11404.)  Als  Vorsteher,  o  Fiirst  der  Konige,  wird  er 
bezeichnet  von  den  Besten  der  Selbstbezwinger ;  weil  er 
den  Verkorperungen  (kshetramj  vorsteht,  heifst  er  der  Vor- 
steher, so  lehrt  die  Schrift. 

38.  (11405.)  Als  Kshetram  (Ort)  kennt  er  das  Unentfaltete, 
darum  heifst  er  Kshetrajna  (der  Ortskenner) ;  in  das  aus  dem 
Unentfalteten  Stammende  geht  er  ein  und  wird  dann  als 
Purusha  bezeichnet. 

39.  (11406.)  Ein  anderes  ist  das  Kshetram,  ein  anderer  der 
Kshetrajna;  als  Kshetram  bfezeichnen  sie  das  Unentfaltete, 
als  den,  der  es  erkennt,  den  Fiinfundzwanzigsten. 

40.  (11407.)  Ein  anderes  ist  das  Objekt,  ein  anderes  das 
Subjekt  der  Erkenntnis;   Erkenntnisobjekt  fjndnam!)  ist  die 

40* 


628  in.    Mokshadharma. 

Prakriti,   Erkenntnissubjekt  fjneya!!J  ist  der  Fiinfundzwan- 
zigste. 

41.  (11403.)  Als  unentfaltet  gilt  das  Kshetram,  ebenso  das 
Sattvam,  ebenso  der  Igvara;  eine  iQvaralose  und  wesenlose 
Wesenheit  ist  jenes  Fiinfundzwanzigste. 

42.  (11409.)  Soweit  erstreckt  sich  das  Saiikhyawissen,  das 
System  der  vollstandigen  Aufzahlungen,  wie  es  die  Sankhya's 
aufstellen  und  dabei  die  Prakriti  proklamieren. 

43.  (11410.)  Und  nachdem  die  Sankhya's  die  vierundzwanzig 
Wesenheiten  nach  ihrem  Wesen  aufgezahlt  haben,  zu  welchen 
audi  die  Prakriti  gehort,  gilt  ihnen  als  nicht  wesenhaft  der 
Fiinfundzwanzigste. 

44.  (11411.)  Der  Fiinfundzwanzigste,  prakritifreien  Wesens, 
ist  derjenige,  welcher  erweckt  wird,  und  wenn  er  sich  selbst 
erweckt,  so  wird  er  absolut  und  erlost. 

45.  (11412.)  Damit  habe  ich  dir  die  vollkommene  Erkennt- 
nis  der  Wahrheit  gemafs  dargelegt ;  wer  sie  in  dieser  Weise 
erkennt,  der  geht  zur  Gleichheit  [mit  dem  Hochsten]  ein. 

46.  (11413.)  Damit  liegt  die  vollkommene  Darlegung  vor 
Augen  in  betreff  der  Prakriti,  ihrer  Guna's,  Prinzipien  usw., 
und  zwar  liegt  dies  alles  so  vor  Augen  fiir  die,  die  von  den 
Guna's  frei  geworden  sind. 

47.  (11414.)  Wer  ein  solcher  ist,  fiir  den  gibt  es  keine 
Wiederkehr  mehr,  fiir  ihn,  der  unverganglich  geworden  ist, 
gibt  es  nur  noch  das  Uniiberbietbare,  Hochste,  Ewige. 

48.  (11415.)  Die  Anderen  schauen  mit  einem  auf  die  Viel- 
heit  gerichteten  Geiste,  bei  ihnen  ist  die  vollkommene  Er- 
kenntnis  nicht  zu  fmden,  sie  verfallen  immer  wieder  und 
wieder  dem  Entfaltetwerden,  o  Feindbezwinger. 

49.  (11416.)  Weil  sie  zwar  alles  dieses  hier  kennen,  aber 
nicht  das  All  kennen,  werden  sie  dem  Entfaltetwerden  anheim 
fallen  und  in  der  Knechtschaft  des  Entfalteten  verharren. 

50.  (11417.)  Alles  hier  wird  von  der  Prakriti  befafst,  alles 
das  nicht  ist  der  Fiinfundzwanzigste;  die,  welclie  ihn  er- 
kennen,  haben  keine  Furcht  mdhr. 

So  lautet  ini  Mokshatlharma 

die  TJnterredung  zwiscben  Vasisbtba  und  Kai'&lajanaka 

( Vasishtha  -  Kardiajanaka  -  smnedda) , 


Adhyaya  309  (B.  307).  629 

AdhjAya  309  (B.  307). 

Vers  11418-11465  (B.  1-48). 

Vasishtha  spracli: 

1.  (11418.)  Damit  habe  icli  dir  das  Saiikhyasystem  dar- 
gelegt,  o  Bester  der  Fiirsten,  nun  lerne  von  mir  das  Wissen 
und  das  Nichtwissen,  eines  nach  dem  andern,  kennen. 

2.  (11419.)  Nichtwissen  nennen  sie  die  alles  Entstehen  und 
Vergehen  umfassende  Prakriti,  das  Wissen  als  von  allem  Ent- 
stehen und  Vergehen  frei,  —  das  ist  der  Fiinfundzwanzigste. 

3.  (11420.)  Das  Wissen  in  seiner  Stufenfolge  verniram  in 
richtiger  Ordnung,  wie  es  als  die  Einzeldarlegung  der  Saiikhya- 
lehre  von  den  Rishi's  iiberkommen  ist,  o  Freund. 

4.  (U421.)  Auf  alle  Tatorgane  sich  beziehend  ist  das 
Wissen  von  den  Erkenntnisorganen,  auf  die  Erkenntnisorgane 
sich  beziehend  ist  das  Wissen  von  den  Vigesha's  (spezifischen 
QuaHtaten), 

5.  (11422.)  das  auf  diese  Vigesha's  sich  beziehende  Wissen 
ist  das  Manas,  wie  die  Weisen  sagen,  das  Wissensgebiet  des 
Manas  sind  die  fiinf  Elemente. 

6.  (11423.)  Das  Wissen  von  den  fiinf  Elementen  ist  der 
Ahaiikara,  das  steht  fest.  Das  Wissen  vom  Ahaiikara  ist  die 
Buddhi,  o  Mannerherr. 

7.  (11424.)  Das  Wissen  von  den  Prinzipien  ist  die  Ober- 
herrin  Prakriti  als  das  Unentfaltete,  das  Wissen  mufs  man 
erkennen,  o  Bester  der  Manner,  und  das  ist  das  hochste  Gebot. 

8.  (11425.)  Als  das  Wissen  von  der  Prakriti  verkiinden 
sie  den  Hochsten,  den  Fiinfundzwanzigsten ,  auf  alles  Wifs- 
bare  bezieht  sich  das  Allwissen,  o  Fiirst. 

9.  (11426.)  Erkenntnisobjekt  fjndnam!)  ist  die  Prakriti, 
Erkenntnissubjekt  (jneyallj  ist  der  Fiinfundzwanzigste  [vgl. 
oben.  Vers  11407],  somit  ist  das  Erkenntnisobjekt  die  Prakriti, 
und  der  Erkenner  fvijndtdj  ist  der  Fiinfundzwanzigste. 

10.  (11427.)  Damit  habe  ich  dir  im  einzelnen  das  Wissen 
nach  seinem  Sinn  und  Wesen  mitgeteilt;  lafs  dich  nunmehr 
von  mir  belehren  iiber  das  Unvergangliche  und  das  Vergang- 
liche,  welche  du  erwahntest. 


630  III.   Mokshadharma. 

11.  (11428.)  Beide  werden  als  unverganglich  bezeichnet, 
und  beide  auch  wiederum  als  nicht  unverganglich;  die  Ur- 
sache  davon  will  ich  dir  der  Wahrheit  gemafs  auf  Grund  der 
Erkenntnis  erklaren  : 

12.  (11429.)  Beide  sind  anzusehen  als  anfanglos  und  end- 
los,  beide  als  Igvara's  (Gottherren) ;  als  Prinzipien  werden 
beide  bezeichnet  von  denen,  welche  der  Erkenntnis  hin- 
gegeben  sind. 

13.  (11430.)  Weil  sie  alles  Entstehen  und  Vergehen  in  sich 
befafst,  heifst  die  Prakriti  unverganglich;  um  die  Evolutionen 
fgunaj  hervorzubringen ,  wandelt  sie  sich  immer  wieder 
aufs  neue. 

14.  (11431.)  Die  Evolutionen,  der  Mahan  und  die  folgen- 
den,  entstehen  die  eine  aus  der  andern;  andererseits  be- 
zeichnet man  auch  jenes  Fiinfundzwanzigste,  sofern  es  [dem 
Kshetram]  vorsteht,  gleichfalls  als  Kshetram  [und  mithin  als 
verganglich]. 

15.  (11432.)  Wenn  namlich  einer  das  Netz  der  Evolutionen 
in  dem  unentfalteten  Selbste  (der  Prakriti)  zusammenfafst, 
dann  wird  zugleich  mit  den  Evolutionen  auch  der  Fiinfund- 
zwanzigste latent  fpraliyatej. 

16.  (11433.)  Die  Evolutionen  gehen  in  die  Evolutionen 
zuriick,  und  schliefslich  bleibt  die  Prakriti  als  einziges,  und 
wenn  dann  auch  der  Kshetrajna,  o  Freund,  in  dem  Kshetram 
latent  wird, 

17.  (11434.)  dann  gelangt  die  Prakriti  zu  ihrer  Unver- 
ganglichkeit,  indem  sie  sich  nicht  mehr  mit  Evolutionen  be- 
fafst; zu  ihrer  Evolutionslosigkeit  gelangt  sie,  o  Fiirst  der 
Videha's,  indem  sie  sich  nicht  mehr  in  Evolutionen  ergeht. 

18.  (11435.)  Ebenso  steht  es  mit  dem  KshetrajBa  (dem 
Ortskenner),  da  ihm  die  Moglichkeit,  einen  Ort  fJcshetramJ 
zu  erkennen,  benommen  ist.  Aber  von  Natur  ist  er  gunalos, 
so  haben  wir  es  aus  der  Schrift  gelernt. 

19.  (11436.)  Und  wenn  er  verganglich  [d.  h.  individuell] 
wird,  dann  vermag  er  die  Prakriti  als  das  allein  Gunahafte 
und  sich  selbst  als  gunalos  zu  erkennen. 

20.  (11437.)  Dann  wird  er  zu  einem  Reinen,  weil  er  sich 
von  der  Prakriti  lossagt,  wenn  er  als  ein  Erweckter  zu  dem 


Adhyaya  309  (B.  307).  631 

Bewufstsein  gelangt:   „ein  anderer  bin  ich  und  eine  andere 
ist  sie." 

21.  (11438.)  Dann  gelangt  er  zu  seiner  wahren  Wesenheit 
und  geht  keine  Mischung  mehr  ein,  denn  im  andern  Falle 
zeigt  er  sich  als  vermischt  mit  der  Prakriti,  o  Fiirst  der  Konige. 

22.  (11439.)  Wenn  er  aber  das  ganze  aus  der  Prakriti 
stammende  Netz  der  Guna's  verabscheut  und  den  hochsten 
Schauenden  [den  Atman]  schaut,  dann  wird  er  nicht  satt  des 
Schauens. 

23.  (11440.)  Was  habe  ich  bisher  gemacht,  [so  denkt  er] 
der  ich  diese  Zeit  hindurch  in  einer  Personhchkeit  wie  ein 
Fisch  im  Netze  aus  Unwissenheit  hienieden  gefangen  war. 

24.  (11441.)  Aus  Betorung  nur  habe  ich  mich  aus  einer 
Personhchkeit  in  die  andere  verstrickt,  wie  ein  Fisch,  der 
[das  Netz]  fiir  freies  Wasser  halt. 

25.  (11442.)  Wie  ein  Fisch  aus  Unwissenheit  die  Ver- 
schiedenheit  [des  Netzes]  vom  Wasser  nicht  merkt,  so  er- 
kannte  ich  aus  Unwissenheit  mich  selbst  nicht  als  ein  Anders- 
sein  [als  vom  Korper  verschieden]. 

26.  (11443.)  Wehe  mir  Unerwecktem,  der  ich  mich  aus 
einer  Personhchkeit  in  eine  andere,  wiederum  [im  Saiisara] 
versunkene  Personhchkeit  gestiirzt  habe. 

27.  (11444.)  Dieser  [Atman]  hier  ist  mein  wahrer  Ver- 
wandter,  nur  mit  ihm  zu  sein  ist  mir  moglich,  zur  Gleich- 
heit  und  Einheit  mit  ihm  gelangt,  bin  ich  erst  wirklich,  der 
ich  bin. 

28.  (11445.)  Ich  sehe  schon  hienieden  die  Gleichheit,  ich 
bin  seines  Wesens,  er  ist  fleckenlos,  und  es  ist  offenbar, 
dafs  ich  eben  ein  solcher  bin. 

29.  (11446.)  Nur  aus  der  Verblendung  des  Nichtwissens 
habe  ich  mich  in  die  unbewufste,  anhangbehaftete  [Prakriti] 
verstrickt,  aber  nunmehr  stehe  ich  da  als  ein  Anhangloser. 

30.  (11447.)  Durch  sie  wurde  ich  Unwissender  jene  Zeit 
hindurch  geknechtet,  wie  mag  ich  bei  ihr,  der  Gebieterin 
iiber  Hohes,  Mittleres  und  Niederes,  weilen! 

31.  (11448.)  Wie  mag  ich  aus  unerweckter  Sinnesart  mit 
ihr,  der  Gemeinen,  ein  Zusammenleben  hier  pflegen!  Jetzt 
bin  ich  fest  in  dem,  was  ich  bin. 


632  HI.   Mokshadharma. 

32.  (11449.)  Ich  will  nicht  mehr  mit  ihr  zusammenwohnen, 
wenn  ich  auch  eine  Zeitlang  in  dieser  Weise  als  Tor  mich 
von  ihr  habe  betoren  lassen,  ich,  der  Unwandelbare,  von  ihr, 
der  Wandelhaften. 

33.  (11450.)  Und  doch  war  es  nicht  ihre  Schuld,  auf  meiner 
Seite  liegt  die  Schuld,  der  ich  an  ihr  hing  und  unbedachter- 
weise  ihr  nahte. 

34.  (11451.)  Infolgedessen  weilte  ich,  der  Gestaltlose,  in 
vielen  Gestalten  und  gestaltet  habe  ich,  der  Gestaltlose,  mich 
durch  Egoismus  blofsgestellt. 

35.  (11452.)  Durch  den  aus  der  Prakriti  stammenden  Egois- 
mus in  diese  und  jene  Mutterschofse  eingehend,  was  hatte 
ich,  der  Ichlose,  mit  der  Ichheit  in  ihnen  alien  zu  schaffen, 

36.  (11453.)  dafs  ich  in  diesen  Mutterschofsen  verlorenen 
Bewufstseins  weilte?  Ich  habe  nichts  mehr  zu  schaffen  mit 
ihr,  die  den  Ahahkara  (Egoismus)  zu  ihrem  Wesen  hat 

37.  (11454.)  und  die,  sich  selbst  vervielheitlichend ,  auch 
mich  abermals  zu  unterjochen  strebt;  nunmehr  bin  ich  er- 
weckt,  frei  von  Selbstsucht,  frei  von  Ichbewufstsein. 

38.  (11455.)  Das  Ichbewufstsein,  welches  durch  sie  von 
jeher  mit  dem  Egoismus  fahankdraj  durchdrungen  worden 
ist,  habe  ich  aufgegeben,  habe  sie  hinter  mir  gelassen  und 
nehme  meine  Zuflucht  zu  dem  Krankheitlosen. 

39.  (11456.)  Zur  Identitat  mit  ihm  werde  ich  gelangen, 
nicht  mit  ihr,  der  Geistlosen;  friedliches  Wohnen  bei  ihm 
werde  mir  zuteil,  nicht  Vereinigung  mit  ihr. 

40.  (11457.)  So  geschieht  es,  dafs  der  Fiinfundzwanzigste, 
durch  Innewerdung  des  Hochsten  zur  Erweckung  gelangt, 
das  Vergangliche  aufgibt  und  sich  des  Unverganglichen, 
Krankheitlosen  bemachtigt. 

41.  (11458.)  Wer  erkennt,  wie  das  Unentfaltete  zum  Ent- 
falteten  und  das  Gunalose  zum  Gunahaften  wird,  und  wer 
dabei  das  Gunalose  als  das  Hohere  erkennt,  der  wird  zu  ihm, 
o  Fiirst  von  Mithila. 

42.  (11459.)  Damit  habe  ich  dir  die  auf  Wissen  gegriindete 
Darlegung  des  Unverganglichen  und  des  Verganglichen  ge- 
geben  auf  Grund  der  im  Veda  iiberlieferten  Darlegung. 

43.  (114G0.)  Nunmehr  will  ich  dir  darlegen,  wie  es  mit  dem 


Adhyaya  309  (B.  307).  633 

Zweifelfreien ,  schwer  Erkennbaren,  Erwachten,  Fleckenlosen 
bewandt  ist,  vernimm  auch  dies  dem  Vedaworte  gemafs. 

44.  (11461.)  Ich  habe  dir  vom  Sankhyam  und  Yoga  ge- 
sprochen  und  sie  als  zwei  verschiedene  Lehren  hingestellt, 
aber  was  ich  als  Sankhyalehre  mitteilte,  ebendasselbe  ist  das 
Yogasystem. 

45.  (11462.)  Als  die  Erweckung  vollbringend  wurde  die 
Erkenntnis  der  Sankhya's,  o  Erdeherr,  hier  deutlich  mitgeteilt 
zum  Besten  der  Lernenden. 

46.  (11463.)  Und  gewaltig  ist  diese  Lehre,  wie  die  Weisen 
anerkennen;  aber  auch  fiir  dieses  System  der  Yoga's  sind 
im  Veda  die  Vorganger  [Plural  mit  C]  zu  finden. 

47.  (11464.)  Ja,  keine  hohere  Wesenheit  gibt  es  als  den 
Fiinfundzwanzigsten ,  o  Mannerherr,  und  dieser  wird  als  die 
hochste  Wesenheit  der  Wahrheit  gemafs  von  den  Saiikhya's 
dargestellt, 

48.  (11465.)  als  der  aus  der  Nichterwecktheit  Erwachende 
und  in  Wahrheit  Erwachte;  und  ebendiesen  Erwachenden 
und  Erweckten  verkiinden  sie   als  den  Lehrinhalt  des  Yoga. 

So  lautet  im  Moksliadharma 

die  Unterredung  zwischen  Vasishtha  und  Karaiajanaka 

C  Vasishtha  -  Kardlajanaka  -  sainvdda). 


Adhyaya  310  (B.  308). 
Vers  11466-11517  (B.  1-51). 

Vasishtha  sprach : 

1.  (11466.)  Vernimm  nunmehr  die  Lehre  von  dem  Erweck- 
ten und  dem  Unerweckten,  sowie  die  Lehre  von  den  Guna's. 
Indem  Er  sich  selbst  vielfach  macht,  bringt  er  alle  diese 
[Gestalten]  zur  Erscheinung,- 

2.  (11467.)  und  indem  er  sich  in  dieser  Weise  umwandelt, 
ist  der  des  Erwachens  Fahige  nicht  wach;  er  tragt  die  Evo- 
lutionen,  schafft  sie  und  zieht  sie  wieder  ein. 

3.  (11468.)  So  wandelt  er  sich  ohne  Unterlafs  spielens- 
halber,  o  Mannerherr ;  sofern  er  aber  das  Unentfaltete  erkennt, 
nennen  sie  ihn  den  Erkennenden  (Erwachenden). 


634  III.   Mokshadharma. 

4.  (11469.)  Nicht  aber  kann  das  Unentfaltete  (die  Prakriti) 
das  Gunahafte  oder  das  Gunalose  erkennen,  darum  nennt 
man  dieses  Unentfaltete  zuweilen  auch  mit  Recht  das  Un- 
erweckbare. 

5.  (11470.)  Obgleich  aber  jenes  fiinfundzwanzigste  Prinzip 
das  Unentfaltete  erkennt,  so  ist  er,  obgleich  erkennend, 
doch  mit  Weltanhanglichkeit  behaftet,  so  lehrt  die  Schrift; 
(11471.)  durch  ihn  ist  sie  (die  Prakriti,  das  Unentfaltete)  noch 
nicht  [vollstandig]  erkannt  worden,  so  sagen  sie  im  Hinblick 
auf  das  Unentfaltete,  Unerschiitterliche. 

6.  Weil  er  das  Unentfaltete  erkennt,  nennt  man  ihn  aller- 
dings  den  Erkennenden,  (11472.)  ihn,  den  Fiinfundzwanzigsten, 
den  Mahan  Atma,  und  doch  ist  er  nicht  wahrhaft  erkennend 
(erwacht). 

7.  Nur  das  Sechsundzwanzigste  (vgl.  Mandukya- 
Karika  2,26;  Sechzig  Upanishad's,  S.  586),  das  fleckenlose, 
ervveckte,  unermefsliche ,  ewige,  (11473.)  erkennt  fiir  und  fiir 
das  fiinfundzwanzigste  und  das  vierundzwanzigste  Prinzip. 

8.  Dabei  geschieht  es,  o  Glanzreicher,  dafs  er  das  seiner 
Natur  nach  im  Sichtbaren  und  Unsichtbaren  sich  ergehende 
(11474.)  Unentfaltete  erkennt,  er,  der  das  absolute  Brahman 
ist,  0  Freund. 

9.  Weder  den  Absoluten  noch  den  Fiinfundzwanzigsten 
schaut  das  Vierundzwanzigste.  (11475.)  Aber  wenn  er  [der 
Fiinfundzwanzigste],  erwachend,  von  sich  selbst  weifs:  „ich 
bin  ein  anderer", 

10.  dann  wird  er  von  der  Prakriti  frei  und  durchschaut 
das  Unentfaltete.  (11 476.)  Und  wenn  er  zu  dieser  hochsten, 
fleckenlosen,  reinen  Erkenntnis  erwacht  ist, 

11.  dann  gelangt  er  so,  o  Konigstiger,  als  Sechsund- 
zwanzigster  zur  Erwecktheit.  (11477.)  Dann  lafst  er  das  Un- 
entfaltete fahren,  welches  sich  in  Schopfung  und  Vergang 
bewegt. 

12.  Als  Gunaloser  erkennt  er  die  Prakriti  als  gunahaft 
und  ungeistig  (11478.)  und  wird  zum  Absoluten,  weil  er  das 
Unentfaltete  durchschaut  hat. 

13.  Mit  dem  Absoluten  eins  geworden  und  erlost,  gelangt 
er  zu  seinem  wahren  Selbste.    (11479.)  Das  ist  die  Wesenheit, 


Adhyaya  310  (B.  308).  635 

welche  man  als  das  Wesenlose,  Alterlose,  Unsterbliche  be- 
zeichnet. 

14.  Weil  dieses  zu  seiner  wahren  Wesenheit  gelangt  ist, 
heifst  es  wesenhaft  und  auch  nicht  wesenhaft,  o  Ehrenspender, 
(11480.)  denn  der  Wesenheiten  zahlen  die  Weisen  nur  fiinf- 
undzwanzig. 

15.  Er  aber  ist  in  Wahrheit  nicht  wesenhaft,  sondern  als 
Erweckter  ist  er  wesenlos;  (ii48i.)  als  solcher  streift  er  alsbald 
die  Wesenheit  ab,  das  ist  das  Kennzeichen  der  Erwecktheit. 

16.  „Ich  bin  der  Sechsundzwanzigste",  durch  diese  Er- 
kenntnis  wird  er,  der  Weise,  Alterlose,  Unsterbliche,  ergriffen, 
(11482.)  und  durch  die  blofse  Kraft  [dieser  Erkenntnis]  gelangt 
er  zur  Identitat  mit  ihm,  das  ist  gewifs. 

17.  Ist  er  aber  durch  den  wachen  Sechsundzwanzigsten 
erweckt  worden,  so  ist  er  weiter  erkenntnislos,  (11483.)  denn 
dieses  [Gegeniiberstehen .  von  Subjekt  und  Objekt  beim  Er- 
kennen]  wird  noch  fiir  eine  Vielheit  erklart  nach  Anschauung 
der  Sahkhya's  und  der  Schrift. 

18.  Denn  fiir  den  Fiinfundzwanzigsten,  welcher  mit  dem 
rein  Geistigen  zur  Einheit  zusammenfliefst ,  (ii484.)  besteht 
diese  Einheit  erst  dann,  wenn  er  nicht  mehr  durch  die  Buddhi 
erkennt. 

19.  Und  ist  er  erweckt  worden  (lies:  hudhyamdnah),  so 
gelangt  er  zur  Identitat  mit  jenem  Wachen,  o  Fiirst  von 
Mithila;  (ii485.)  er,  der  mit  Weltanhanglichkeit  behaftet  war, 
wird  zu  einem  von  Weltanhanglichkeit  Freien,  o  Mannerherr. 

20.  Und  nachdem  er  den  von  Weltanhanglichkeit  Freien 
erlangt  hat,  den  Sechsundzwanzigsten,  Ewigen,  Allgegen- 
wartigen,  (ii486.)  lafst  er,  selbst  allgegenwartig,  die  Prakriti 
fahren,  indem  er  erkennt,  dafs  all  dieses 

21.  Vierundzwanzigfache  wertlos  ist,  wenn  man  zum 
Sechsundzwanzigsten  erwacht  ist.  (ii487.)  Damit  ist  dir,  o  Un- 
tadliger,  von  mir  der  Unerweckte  und  der  Erwachende 

22.  sowie  auch  der  Erweckte  der  Wahrheit  gemafs 
und  der  Schriftanschauung  entsprechend  dargelegt  worden ; 
(11488.)  soviel  von  der  Vielheit  und  von  der  Einheit  gemafs 
der  Anschauung  des  Lehrsystems. 

23.  Wie  die  der  Fliege  und  des  Feigenblattes,  so  ist  die 


636  in.  Mokshadharma. 

Verschiedenheit  jener  beiden;  (ii489.)  wie  die  des  Fisches  und 
des  Wassers,  so  ist  ihre  Verschiedenheit  anzusehen. 

24.  In  dieser  Weise  ist  die  Verschiedenheit  und  die  Ein- 
heit  beider  [des  Purusha  und  der  Prakriti]  zu  erkennen, 
(11490.)  und  das  heifst  ihre  Erlosung  und  wird  bewirkt  durch 
das  Erkanntwerden  der  Prakriti. 

25.  Unter  dieser  Schar  der  fiinfundzwanzig,  welche  in 
den  Korpern  weilt,  (ii49i.j  ist  er  loszulosen  aus  dem  Bereiche 
der  Prakriti,  so  wird  es  gelehrt. 

26.  Darin  besteht  seine  Erlosung  und  in  nichts  anderm, 
das  ist  gewifs,  (11492.)  verschieden  ist  er  und  von  verschiedener 
Beschaffenheit,  obgleich  er  sich  [mit  der  Prakriti]  verbunden  hat. 

27.  Rein  wird  er  durch  das  Reine,  erweckt  durch  das 
Erweckte,  (11493.)  erlost  durch  das  Erloste,  mit.  welchem  er 
eins  wird,  o  Mannerstier. 

28.  Dann  ist  er  befreit  von  dem  trennenden  Prinzip, 
(11494.)  und  indem  er  eins  wird  mit  dem  erlosenden  Prinzip, 
kommt  die  Erlosung  hienieden  zustande. 

29.  Reines  wirkend  und  rein  wird  er,  unermefsliches 
Licht  ausstrahlend ,  (11495.)  fleckenlos  wird  er,  nachdem  er 
mit  dem  ewig  Fleckenlosen  eins  geworden  ist. 

30.  Mit  dem  Absoluten  vereinigt,  wird  er  selbst  absolut; 
(11496.)  durch  das  Freie  befreit,  erlangt  er  die  Freiheit. 

31.  (11497.)  Soweit  habe  ich  dir  diese  Wahrheit  ent- 
hiillt,  o  grofser  Konig,  nach  Sinn  und  Wesen;  wer  die 
Selbstlosigkeit  als  Ziel  sich  setzt,  der  wird  zu  dem  ewigen, 
reinen,  uranfanglichen  Brahman. 

32.  (11498.)  0  Konig,  dieses  Hochste  darfst  du  nie- 
mandem  mitteilen,  der  nicht  im  Veda  feststeht  (lies: 
fidvedamshthasya);  diese  erweckungwirkende ,  fiir  den 
Erkenntnisdurstigen  und  Geneigten  bestimmte  Lehre  darf 
einem  Neuerungssiichtigen 

33.  (11499.)  nicht  mitgeteilt  werden  und  ebensowenig 
einem  Unwahren,  Falschen,  Unmannlichen,  Hinterlistigen 
Oder  einem,  der  mit  seinem  gelehrten  Wissen  andere 
qualt.     Wem  es  aber  mitzuteilen  ist,  das  vernimm: 

34.  (11500.)  Wer  reich  an  Glauben,  reich  an  Tugend 
ist,  niemals  seine  Freude   daran  hat,   andere  zu  tadeln, 


Adhyaya  310  (B.  308).  G37 

wer  reine  Hingebung  iibt,  stets  besonnen,  tatig,  geduldig 
und  wohlwollend  ist, 

35.  (11501.)  von  edlem  Charakter,  das  Gesetz  liebend, 
der  Nachrede  sich  enthaltend,  wohlbewandert  in  der 
Schrift  und  der  Erkenntnis  zugetan,  wer  nichts  Boses 
sehen  kann,  sondern  der  Bezahmung  und  der  Ruhe 
machtig  ist,  dem  darf  es  mitgeteilt  werden. 

36.  (11502.)  Wenn  aber  einer  dieser  Tugenden  ganz 
und  gar  ermangelt,  so  darf  dieses  hochste,  reine  Brah- 
man ihm  nicht  mitgeteilt  werden;  nicht  zum  Heile  wird 
dem  Pflichtlehrer  gereichen,  was  er  an  einem  solchen 
tut,  weil  er  es  einem  Unwiirdigen  mitgeteilt  hat. 

37.  (11503.)  Einem  solchen  Geliibdelosen  darf  es  nicht 
mitgeteilt  werden,  und  bote  er  auch  dafiir  diese  Erde 
mit  alien  ihren  Schatzen,  aber  wenn  einer  bezahmte  Sinne 
hat,  so  darfst  du  ihm  ohne  Bedenken  dieses  Hochste  mit- 
teilen,  o  Mannerfiirst. 

38.  (11504.)  0  Karala,  keine  Furcht  moge  dich  mehr 
anwandeln,  nachdem  du  heute  dieses  hochste  Brahman 
vernommen  hast,  welches,  richtig  mitgeteilt,  die  hochste 
Lauterung  bewirkt,  als  das  Kummerlose,  ohne  Anfang, 
Mitte  und  Ende  Seiende, 

39.  (11505.)  das  seinem  Ursprung  nach  Unerforschliche, 
Unsterbliche ,  o  Konig,  das  Krankheitlose ,  Furchtlose, 
Selige.  Durchschaue  die  Verblendung  und  gib  nunmehr 
alles  (sarvam  mit  C.)  auf,  nachdem  du  dieses  als  Wesen 
und  Inhalt  des  Wissens  erkannt  hast. 

40.  (11506.)  Diese  ewige  Lehre  habe  ich  erhalten  von 
Hiranyagarbha  [dem  Tiapila  rishi,  Qvet.  Up.  5,2;  vgl. 
Sechzig  Upanishad's,  S.  304],  der  sie  mir  verkiindigte, 
o  Fiirst,  nachdem  ich  ihn,  den  gewaltig  Geistigen,  der 
das  ewige  Brahman  ist,  mit  Fleifs  gnadig  gestimmt  hatte, 
gerade  so  wie  ich  heute  von  dir  [gnadig  gestimmt  wurde]. 

41.  (11507.)  Und  so  wie  ich  von  dir  befragt  worden 
bin,  o  Fiirst  der  Manner,  und  dir  dieses  heute  mitgeteilt 
habe,  so  habe  ich  von  Gott  Brahman  [d.  i.  Hiranyagarbha] 
das  grofse  Wissen  erlangt,  o  Mannerfiirst,  welches  das 
hochste  Ziel  der  Erlosungskundigen  bildet. 


638  ni.    Mokshadharma. 

Bhishma  spracli: 

42.  (11508.)  Damit  ist  dir  das  hochste  Brahman  verkiindigt 
worden,  von  welchem  es  keine  Wiederkehr  gibt,  der  Fiinf- 
undzwanzigste,  o  grofser  Konig,  gemafs  der  Belehrung  durch 
den  hochsten  Weisen. 

43.  (11509.)  Jedoch  wieder  zuriickkehren  mufs  einer  aiicli 
nach  Erlangung  der  hochsten  Erkenntnis,  wenn  er  nicht  als 
ein  Erweckter  zum  Alterlosen,  Unsterblichen  erwacht  ist. 

44.  (11510.)  Dieses  Sehgkeit  bewirkende,  hochste  Wissen 
ist  dir  der  Wahrheit  gemafs  von  mir  mitgeteilt  worden, 
o  Freund,  nachdem  ich  es  von  dem  Gotterweisen  iiberkommen 
habe,  o  Fiirst. 

45.  (11511.)  Von  Hiranyagarbha  empfing  es  der  hochsinnige 
Weise  Vasishtha,  und  von  Vasishtha,  dem  Tiger  der  Weisen, 
hat  es  Narada  erlangt. 

46.  (11512.)  Von  Narada  habe  ich  dieses  ewige  Brahman 
empfangen;  trauere  nicht  mehr,  o  Fiirst  der  Kuru's,  nachdem 
du  jene  hochste  Statte  kennen  gelernt  hast. 

47.  (11513.)  Wer  das  Verganghche  und  das  Unvergang- 
Hche  gefunden  hat,  fiir  den  besteht  keine  Furcht  mehr, 
o  Erdeherr,  wohl  aber  besteht  Furcht  fiir  den,  der  es  nicht 
kennt,  o  Fiirst. 

48.  (11514.)  Durch  Nichtwissen  geistig  umnachtet,  ver- 
strickt  er  sich  immer  wieder  und  wieder  und  gelangt  auch 
nach  seinem  Tode  zu  tausend  Neugeburten,  die  einen  Tod 
zur  Folge  haben. 

49.  (11515.)  Die  Gotterwelt  oder  ein  tierisches  oder  ein 
menschhches  Dasein  erlangt  er,  bis  dafs  er  im  Laufe  der 
Zeiten  sich  von  diesem  Ozean  des  Nichtwissens  rein  macht. 

50.  (11516.)  Denn  ein  furchtbarer,  dunkler,  unergriindhcher 
Ozean  des  Nichtwissens  ist  es,  in  welchem  Tag  fiir  Tag  die 
Wesen  versinken,  o  Bharata. 

51.  (11517.)  Du  aber,  weil  du  aus  diesem  unergriindlichen, 
dunklen,  ewigen  Ozean  herausgestiegen  bist,  darum  bist  du 
befreit  vom  Rajas  und  auch  vom  Tamas  frei,  o  Erdeherr. 

So  lautet  im  Mokshadharma 
die  Unterredung  zwischen  Vasishtha  und  Kar^lajanaka 

(Vasishtha -Kardlajanaka  -  saiiivdda). 


Adhyaya  311  (B.  309).  639 

AdhyAya  311  (B.  309). 

Vers  11518-11512  (B.  1-25). 

Bbishma  spracli: 

1.  (11518.)  Ein  Solm  des  Janaka  ging  in  menschenleerer 
Gegend  auf  die  Jagd ;  da  sah  er  im  Walde  einen  Brahmanen- 
fiirsten,  einen  Weisen  aus  dem  Geschlechte  des  Bhrigu. 

2.  (11519.)  Dem  dasitzenden  Muni  nahte  er,  verehrungs- 
voll  sein  Haupt  neigend,  und  nachdem  er  seine  Einwilligung 
eriangt  hatte,  befragte  ihn  der  schatzereiche  Fiirst  folgender- 
mafsen : 

3.  (11520.)  0  Heiliger,  was  ist  wohl  das  Heilsamste  nach 
dem  Tode  oder  schon  hienieden  fiir  den  Menschen,  der  in 
dem  unbestandigen  Leibe  der  Herrschaft  der  Begierde  unter- 
worfen  ist? 

4.  (11521.)  Nachdem  der  Hochsinnige,  Askesereiche  so 
unter  Ehrenerweisungen  befragt  worden  war,  sprach  er  zu 
ihm  das  folgende  heilbringende  Wort. 

Der  Rishi  sprach: 

5.  (11522.)  Du  wiinschest  zu  wissen,  was  hier  und  im 
Jenseits  dem  Geiste  erfreulich  ist,  so  lasse  doch  ab  von  dem, 
was  den  Wesen  unerfreulich  ist,   und  bezahme  deine  Sinne. 

6.  (11523.)  Das  Gute  ist  das  Heilsame  fur  edle  Menschen, 
das  Gute  ist  der  Hort  der  Edlen,  aus  dem  Guten  sind  die 
drei  Welten  mit  Beweglichem  und  Unbeweglichem  hervor- 
gegangen. 

7.  (11524.)  0  du  Genufssiichtiger !  warum  strebst  du  nicht 
danach,  zur  Begierdelosigkeit  zu  gelangen?  Den  Honig  am 
Abgrunde  siehst  du  Tor,  aber  den  Abgrund  siehst  du  nicht. 

8.  (11525.)  Wie  das  Wissen  sammeln  mufs,  wer  seine 
Frucht  begehrt,  so  mufs  das  Gute  sammeln,  wer  seine  Frucht 
begehrt. 

9.  (11526.)  Fiir  einen  Nichtguten  ist,  auch  wenn  er  nach 
dem  Guten  verlangt,  ein  reines  Werk  schwer  zu  vollbringen, 
aber  fiir  einen  Guten,  wenn  er  nach  dem  Guten  verlangt,  ist 
auch  dieses  Schwere  leicht  zu  vollbringen. 


640  in.    Moksbadharma. 

10.  (11527.)  Wer  am  Dorfleben  seine  Lust  hat,  der  bleibt 
ein  Freund  des  Dorflebens,  audi  wenn  er  im  Walde  wohnt, 
und  wer  am  Waldleben  seine  Lust  hat,  der  bleibt  ein  Freund 
des  Waldlebens,  auch  wenn  er  im  Dorfe  wohnt. 

IL  (11528.)  An  das  Gute  in  Gedanken,  Worten  undWerken 
fasse  Glauben  und  gib  dich  ihm  hin,  indem  du  dir  bei  allem 
Tun  und  Lassen  die  Tugend  und  die  Untugend  vor  Augen 
stellst. 

12.  (11529.)  Allezeit  soil  man  den  Guten  reichlich  und  ohne 
Murren  spenden,  was  sie  erbitten,  indem  man  nach  Zeit  und 
Ort  richtig  verfahrt,  treu  seinem  Geliibde  und  rein. 

13.  (11530.)  Was  man  auf  gerechte  Weise  erworben  hat, 
soil  man  dem  Wiirdigen  zukommen  lassen,  man  soil  es  geben 
ohne  Zorn,  Reue  und  Riihmen. 

14.  (11531.)  Wohlwollend,  lauter,  bezahmt,  Wahrheit  redend, 
in  Rechtschaifenheit  beharrend  und  durch  Geburt  und  Werke 
rein,  als  soldier  ist  der  vedakundige  Zwiegeborene  ein 
Wiirdiger. 

15.  (11532.)  Eine  in  ritueller  Weise  geheiratete  alleinige 
Gattin  wird  fiir  die  Geburt  als  Ursprung  hienieden  verlangt; 
wer  als  solcher  Rig-,  Yajur-  und  Samaveda  studiert  hat  und 
kundig  die  sechs  Werke  [Lernen  und  Lehren,  Opfern  fiir  sich 
und  andere,  Geben  und  Nehmen]  betreibt,  der  ist  ein  W^iirdiger. 

16.  (11533.)  Damit  ist  gesagt,  was  Pflicht  und  Nidit-Pflidit 
jedem  einzelnen  gegeniiber  ist  hinsichtlich  der  Wiirdigkeit, 
des  Werkes,  des  Ortes  und  der  Zeit. 

17.  (11534.)  Wie  man  leicht  wie  im  Spiel  einen  kleinen 
Staubflecken  von  seinem  Korper  wegwischt,  einen  grofsen 
aber  nur  mit  Miihe,  so  ist  es  auch  mit  der  Reinigung  vom 
Bosen. 

18.  (11535.)  Wie  erst  nach  innerer  Reinigung  die  getrunkene 
Schmelzbutter  recht  heilbringend  ist,  so  bringt  audi  nur  dem, 
der  sich  vom  Bosen  gereinigt  hat,  die  Pflichterfiillung  nach 
dem  Tode  Gliickseligkeit. 

19.  (11536.)  Auf  Gesinnung  beruhend  ist  bei  alien  Wesen 
das  Gute  wie  das  Bose,  dem  Bosen  allezeit  abgewandt,  soil 
man  sich  dem  Guten  zuwenden. 

20.  (11537.)  Alles,  iiberall  und  an  jedem  soil  man  ehren, 


Adhyaya  311  (B.  309).  C41 

wenn  es  geschielit  in  Erfiillung  der  ihm  zukommenden  Pflicht, 
und  audi  wo  die  Leidenschaft  dich  fortreifst,  moge  wider 
Willen  fakdmam)  pflichtmafsig  gehandelt  werden. 

21.  (11538.)  0  Unbestiindiger,  erhebe  dich  zur  Bestandig- 
keit;  o  Tor,  lafs  ab  von  deiner  Torheit,  du,  der  du  friedlos 
bist,  gelange  zum  Frieden,  der  du  unweise  bist,  handle  als 
Weiser ! 

22.  (11539.)  Das  Mittel  dazu  lafst  sich  durch  Energie  als 
Bundesgenossin  erlangen ;  das  Heil  hienieden  und  im  Jenseits 
hat  als  Wurzel  die  hochste  Bestandigkeit. 

23.  (11540.)  \yegen  Unbestandigkeit  [d.  h.  Mangel  an  Selbst- 
beherrschung,  vgl.  Mahabh.  I,  Adhy.  96]  ist  der  Konigsweise 
Mahabhisha  aus  dem  Himmel  gestiirzt  worden,  wahrend  Yayati, 
obgleich  seine  guten  Werke  verbraucht  waren,  durch  Be- 
standigkeit den  Himmel  erlangte  [vgl.  Mahabh.  V,  Adhy.  122 
(B.  123)]. 

24.  (11B41.)  Durch  Umgang  mit  Asketen,  Pflichttreuen  und 
Weisen  wirst  du  grofse  Einsicht  erlangen  und  des  Heiles 
teilhaftig  werden. 

Bhishma  sprach: 

25.  (11542.)  Nachdem  der  von  Natur  gute  Fiirst  diese  Rede 
des  Muni  vernommen  hatte,  wandte  er  seinen  Sinn  von  der 
Begierde  ab  und  richtete  seinen  Geist  auf  die  Pflicht. 

So  lautet  im  Moksbadharina  die  Seleiirung  des  Janaka 
(Janala-  anu(;dsanam). 


Adhyaya  313  (B.  310). 

Vers  11543-11568  (B.  1-26). 

Yudhishtliira  sprach : 

1.  (11543.)  Was  jenseits  von  Gutem  und  Bosem,  frei  von 
allem  Zweifel,  frei  von  Geburt  und  Tod,  erhaben  iiber  Heiliges 
und  Schlechtes, 

2.  (11544.)  selig,  ewig  und  furchtlos,  bestandig,  unzerstor- 
bar,  unverganglich,  rein,  beharrlich  und  unermiidlich  ist,  das 
mogest  du,  o  Herr,  mir  sagen. 

Deussen,  Mah&bh&Tatam.  41 


642  ni.    Mokshadharma. 

Bhishma  sprach: 

3.  (11545.)  Dariiber  will  icli  dir  eine  alte  Geschichte  mit- 
teilen,  o  Bharata,  namlich  die  Unterredung  des  Yajnavalkya 
mit  dem  Konig  Janaka. 

4.  (11546.)  Dem  Yajnavalkya,  dem  Besten  der  Rishi's,  dem 
Frageloser,  legte  Konig  Janaka,  der  hochberiihmte  Nach- 
komme  des  Devarata,  eine  Frage  vor. 

Janaka  sprach: 

5.  (11547.)  Wieviel  Sinnesorgane  gibt  es,  o  Brahmanen- 
rishi,  und  wieviel  schaffende  Potenzen,  was  ist  das  unentfaltete 
hochste  Brahman,  und  was  ist  das  noch  dariiber  Erhabene? 

6.  (11548.)  Auch  den  Ursprung  und  Vergang  und  die  Be- 
rechnung  der  Zeiten  mogest  du  mir  mitteilen,  der  ich  es  von 
deiner  Gnade  erbitte,  o  Brahmanenfiirst. 

7.  (11549.)  Aus  Unwissenheit  frage  ich,  du  bist  ja  ein 
Ozean  von  Wissen ;  iiber  alles  dieses  wiinsche  ich  eine  zweifels- 
freie  Belehrung  zu  empfangen. 

Yajnavalkya  sprach: 

8.  (11550.)  Vernimm,  o  Erdbeschiitzer,  wonach  du  mich 
befragst,  die  hochste  Erkenntnis  der  Yoga's  und  derSankhya's 
in  ihrer  Besonderheit. 

9.  (11551.)  Zwar  ist  dir  das  alles  schon  bekannt,  aber  da 
du  mich  danach  fragst,  so  mufs  ich  auf  deine  Frage  antworten, 
das  ist  ewige  Pflicht. 

10.  (11552.)  Es  gibt  acht  schaffende  und  sechzehn  nur  ge- 
schaffene  Potenzen;  als  die  acht  schopferischen  bezeichnen 
die  Kenner  des  innern  Selbstes: 

11.  (11553.)  das  Unentfaltete,  den  Mahan  und  den  Ahankara, 
dazu  kommen  Erde,  Wind,  Ather,  Wasser  und  Feuer  als 
fiinftes. 

12.  (11554.)  Das  also  sind  die  acht  schaffenden  Potenzen; 
vernimm  nun  von  mir  die  nur  geschaffenen,  es  sind  Ohr,  Haut, 
Auge,  Zunge  und  Geruchsorgan  als  fiinftes, 

13.  (11555.)  ferner  Ton,  Beriihrung,  Sichtbarkeit,  Geschmack 
und  Geruch,  sowie  Rede,  Hande,  FilTse,  Entleerungs-  und 
Zeugungsorgan. 


Adhyaya  312  (B.  310).  643 

14.  (11556.)  Jene  [Ton  usw.]  sind  die  spezifischen  Quali- 
taten  fvigeshdhj  in  den  fiinf  grofsen  Elementen  fmahdhiddnij , 
und  dann  waren  da  jene  Erkenntnisorgane  [Ohr  usw.]  mit 
ihren  spezifischen  Qualitaten  [Ton  usw.],  o  Fiirst  von  Mithila. 

15.  (11557.)  Als  sechzehnte  [nur  erschaffene  Potenz]  be- 
zeichnen  das  Manas  die,  welche  die  Vorgange  im  innern 
Selbste  iiberlegen,  du  und  andere  Weise,  welche  der  Er- 
kenntnis  der  Prinzipien  kundig  sind. 

16.  (11558.)  Aus  dem  Unentfalteten  entsteht  der  Mahan 
Atma,  o  Fiirst,  ihn  bezeichnen  die  Weisen  als  die  erste  aus 
der  Prakriti  hervorgehende  Emanation. 

17.  (11559.)  Aus  dem  Mahan  entspringt  der  Ahankara, 
o  Mannerherr,  dieser  heifst  die  zweite  Emanation  und  wird 
buddhi-artig  [aus  der  Buddhi,  dem  Mahan  entspringend] 
genannt. 

18.  (115G0.)  Aus  dem  Ahankara  entspringt  das  den  spezifi- 
schen QuaUtaten  \^gundh,  hier  =  vigeshdh]  der  Elemente  gegen- 
iiberstehende  Manas,  dieses  wird  als  die  dritte,  die  aus  dem 
Ahankara  stammende  Emanation  bezeichnet. 

19.  (11561.)  Aus  dem  Manas  entspringen  die  grofsen  Ele- 
mente {mahdbhiitdh  masc. !),  o  Mannerherr,  dieses  erklare  ich, 
das  sollst  du  wissen,  fur  die  vierte,  aus  dem  Manas  stammende 
Emanation  [im  Widerspruch  mit  Vers  ii  557 ,  wo  Manas  unter 
den  sechzehn  nur  erschaffenen  Potenzen  erscheint]. 

20.  (11562.)  Ton,  Beriihrung,  Sichtbarkeit,  Geschmack  und 
Geruch,  diese  [fiinf  Vigesha's]  bezeichnen  die  Kenner  der 
Elemente  als  die  fiinfte,  aus  den  [Maha-]Bhuta's  stammende 
Emanation. 

21.  (11563.)  Ohr,  Haut,  Auge,  Zunge,  Geruchsorgan,  diese 
fiinf  [Buddhindriya's]  gelten  als  die  sechste,  das  mannigfache 
Nachdenken  [der  Buddhi]  vermittelnde  [somit  anscheinend 
aus  ihr  entspringende]  Emanation. 

22.  (11564.)  Die  auf  Ohr  [usw.]  folgende  Schar  der  [Karma-] 
Indriya's  entspringt,  o  Mannerherr,  als  die  siebente  Emana- 
tion und  wird  als  aindriyaka  [den  Buddhindriya's  sich  an- 
schliefsende]  bezeichnet. 

23.  (11565.)   Die  Aufwartsstromung  und   die  in  die  Quere 

41* 


644  ni.   Mokshadharma. 

entwickelt  sich  sodann,  o  Mannerherr,  als  eine  aclite  Ema- 
nation; diese  hat  Beziehung  auf  den  moralischen  Wandel. 

24.  (11566.)  Die  Stromung  in  die  Quere  aber  entwickelt 
sich  fort  zu  einer  Abwartsstromung,  o  Mannerherr;  diese 
gleichfalls  auf  den  moralischen  Wandel  beziigliche  Emanation 
crklaren  die  Weisen  fiir  die  neunte.  [Uber  die  drei  Stro- 
raungen  vgl.  unten  Anugita,  Adhy.  3G — 38;  Nil.  denkt  viel- 
raehr  an  die  Prana's.] 

25.  (11567.)  Das  sind  die  neun  Emanationen,  o  Mannerherr, 
und  die  entsprechenden  vierundzwanzig  Prinzipien  nach  den 
Anschauungen  der  Schrift. 

26.  (11568.)  Weiterhin,  o  grofser  Konig,  vernimm  von  mir 
die  Z either echnung  fiir  diese  Evolutionsreihe  fgunaj  der  Wahr- 
heit  gemafs,  wie  sie  von  den  hochsinnigen  Weisen  verkiindigt 
worden  ist. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  des  Yajnavalkya  mit  Janaka 
(YdjTiavalkxja  -Janaka  -  sainvdda). 


Adttyaya  313  (B.  311). 

Vers  11569-11589  (B.  1-21). 

Yajnavalkj-a  sprach ; 

1.  (11569.)  Vernimm  denn,  o  Bester  der  Manner,  die  Zeit- 
berechnung  in  betreff  des  Unentfalteten.  Fiinftausend  Welt- 
perioden  flcalpaj  zweimal  genommen  machen  seinen  Tag  aus, 

2.  (11570.)  ebensolang  ist  seine  Nacht.  Ist  er  erwacht, 
o  Mannerherr,  so  schafft  er  zu  Anfang  die  Pflanzen  zum 
Lebensunterhalte  aller  Verkorperten. 

3.  (11571.)  Darauf  schuf  er  den  [personifizierten]  Gott  Brah- 
man, der  [als  Hiranyagarbha]  aus  einem  goldenen  Ei  ent- 
sprang;  dieses  bildet  den  Korper  fiir  alle  Wesen,  so  ist  es 
uns  iiberliefert  worden. 

4.  (11572.)  Nachdem  er  ein  Jahr  lang  in  dem  Ei  geweilt 
hatte,  trat  der  grofse  Weise  aus  ihm  hervor  und  fiigte  [die 
Schalen  als]  die  ganze  Erde  und  den  Himmel  droben  zu- 
saramen,  er,  der  Schopfer  [vgl.  Chand.  Up.  3,19;  Manu  1, 12.13J. 


Adhy&ya  313  (B.  311).  645 

5.  (11573.)  Als  in  Himmel  und  Erde  [verkorpert]  wird  er 
in  den  Wesen  verkiindigt,  und  zwischen  diesen  beiden  Schalen 
bildete  der  Herr  den  Luftraum. 

6.  (11574.)  Und  was  die  Zeitrechnung  betrifft,  so  werden 
hierbei  von  den  Kennern  der  Veden  und  Vedaiiga's  zehn- 
tausend  Weltperioden ,  vermindert  um  ein  Viertel,  als  sein 
Tag  bezeichnet. 

7.  (11575.)  Und  fiir  ebensolang  erklaren  seine  Nacht  die 
Kenner  des  innern  Selbstes.  Alsdann  schafft  er,  der  Weise, 
den  Ahaiikara  als  ein  Geschopf  von  gottlicher  Wesenheit, 

8.  (11576.)  sowie  vier  weitere  Sohne  [nach  Nil.  Manas, 
Buddhi,  Ahaiikara,  Cittam  als  vyasliti^  psychische  Prinzipien] ; 
aus  seinem  Leibe  schuf  sie  vordem  der  grofse  Weise;  sie 
werden  als  die  Vater  der  Vater  [der  Mahabhiita's,  nach  Nil.] 
von  der  Schrift  bezeichnet,  o  Bester  der  Konige. 

9.  (11577.)  Gotter  aber  sind  auch  die  Sohne  dieser  Vater 
[wohl  die  Vigesha's,  nach  Nil.  die  Indriya's],  von  Gottern 
sind  die  Welten  erfiillt  mitsamt  dem  Beweglichen  und  Un- 
beweglichen,  o  Bester  der  Manner,  so  ist  es  uns  iiberliefert 
worden. 

10.  (11578.)  An  ihrer  Spitze  aber  steht  der  Ahankara, 
welcher  die  Elemente  als  fiinf  schafft,  sie  sind  Erde,  Wind, 
Ather,  Wasser  und  Feuer  als  fiinftes. 

11.  (11579.)  Auch  bei  ihm,  der  die  dritte  Schopfung  voU- 
bringt,  sprechen  sie  von  einer  Nacht;  sie  wahrt  fiinftausend 
Weltperioden  und  ebensolange  sein  Tag. 

12.  (11580.)  Ton,  Beriihrung,  Gestalt,  Geschmack  und  Ge- 
ruch,  diese  sind  in  den  fiinf  grof sen  Elementen  ihre  spezifischen 
Qualitaten  fvigeshaj, 

13.  (11581.)  mit  welchen  die  Elemente  fort  und  fort  erfiillt 
sind,  0  Erdeherr.  Diese  wetteifern  miteinander,  freuen  sich 
iiber  das  gegenseitige  Gedeihen 

14.  (11582.)  und  iiberbieten  einander,  indem  sie  sich  den 
Vorrang  streitig  machen,  oder  auch  sich  unterdriicken  ver- 
moge  der  unverganglichen,  sie  fortreifsenden  Guna's, 

15.  (11583.)  und  so  treiben  sie  ihr  Wesen  hienieden,  in- 
dem sie  in  niedrigen  Mutterschofsen  weilen.  Ihr  Tag  wahrt 
dreitausend  Weltperioden, 


646  III.    Mokshadharma. 

16.  (11584.)  und  ebensolang  ist  ihre  Nacht.  Dies  gilt  auch 
von  dem  Manas,  o  Mannerherr;  das  Manas  schaltet,  o  Fiirst 
der  Konige ,  indem  es  ganz  und  gar  hinter  den  Indriya's 
versteckt  bleibt. 

17.  (11585.)  Und  doch  sind  es  nicht  die  Indriya's,  welche 
das  Sehen  vollbringen,  sondern  das  Manas  vollbringt  das 
Sehen.  Das  Auge  sieht  die  Gestalten  vermoge  des  Manas 
und  nicht  vermoge  des  Auges. 

18.  (11586.)  Wenn  das  Manas  getriibt  ist,  so  sieht  das 
Auge  und  sieht  doch  nicht,  und  ebenso  steht  es  mit  dem 
Sehen  aller  Sinnesorgane,  so  lehren  es  die  Weisen. 

19.  (11587.)  Denn  die  Sinnesorgane  sehen  nicht,  sondern  das 
Manas  ist  es,  welches  sieht,  und  wenn  das  Manas  untatig  ist, 
o  Konig,  so  tritt  auch  eine  Untatigkeit  der  Sinnesorgane  ein. 

20.  (11588.)  Somit  ist  ein  Versagen  der  Sinnesorgane  in 
Wahrheit  ein  Versagen  des  Manas,  daher  mufs  man  begreifen, 
dafs   das  Wesentliche  in  den  Sinnesorganen   das  Manas  ist. 

21.  (11589.)  Uber  alien  Sinnesorganen  thront  als  Herr  das 
Manas,  und  in  diesem  laufen  [mittelbar]  auch  alle  Elemente 
zusammen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Janaka  und  Yijiiavalkya 
(Janaka  -  YdjTiavalktja  -  savwdda). 


Adhyaya  314  (B.  313). 

Vers  11590-11606  (B.  1-17). 

Yajnavalkj'a  sprach: 

1.  (11590.)  Die  ganze  Aufzahlung  der  Prinzipien  sowie 
die  Berechnung  der  Zeiten  ist  von  mir  in  richtiger  Ordnung 
mitgeteilt  worden.  Nun  hore  auch,  was  ich  iiber  die  Welt- 
vernichtung  sagen  werde, 

2.  (11591.)  und  wie  er  die  Kreaturen,  nachdem  er  sie  ge- 
schaffen  hat,  immer  wieder  und  wieder  schafft,  er,  der  anfang- 
lose  und  endlose,  ewige  und  unvergangliche  Gott  Brahman. 

3.  (11592.)  Wenn  dieser  merkt,  dafs  der  Tag  zu  Ende 
geht,   wendet  er  seinen  Geist  dem  nachtlichen   Schlafe  zu, 


Adhyaya  314  (B.  312),  647 

dann  treibt  der  Heilige,  Unentfaltete  den  sein  Ich  verkorpern- 
den  Helden  an, 

4.  (11593.)  und  er,  der  hunderttausendstrahlige  Aditya 
(Sonne),  von  ihm,  dem  Unentfalteten ,  angetrieben,  zerteilt 
sein  Wesen  zwolffach,  vergleichbar  einem  iiberallhin  lodern- 
den  Feuer. 

5.  (11594.)  Dann  verbrennt  er  alsbald,  o  Erdbeschiitzer, 
mit  seiner  Glut  alle  vier  Wesensklassen,  Lebendgeborene,  Ei- 
geborene,  Schweifsgeborene  und  Sprofsgeborene,  o  Mannerherr. 

6.  (11595.)  Dann  wird  in  einem  Augenblicke  die  Welt  der 
Pflanzen  und  der  beweglichen  Wesen  zunichte,  und  die  Erde 
sieht  allenthalben  aus  wie  der  Riicken  einer  Schildkrote. 

7.  (11596.)  Nachdem  der  unermerslich  Machtige  die  Lebe- 
wesen  verbrannt  hat,  erfiillt  er  sogleich  die  nackte  Erde  allent- 
halben mit  gewaltigen  Wasserfluten. 

8.  (11597.)  Wenn  dann  das  Wasser  auf  das  Weltunter- 
gangsfeuer  trifft,  wird  es  zur  Vernichtung  gebracht,  und  nach- 
dem das  Wasser  vernichtet  ist,  o  Fiirst  der  Konige,  lodert 
das  grofse  Feuer  machtig  empor. 

9.  (11598.)  Dann  geschieht  es,  dafs  dieser  iibermachtige, 
lodernde,  glanzvolle  Verbrenner  aller  Wesen  mitsamt  seinen 
sieben  Flammen  in  einem  Nu  von  dem  unermefslichen, 

10.  (11599.)  heiligen,  die  acht  Weltgegenden  erfullenden, 
gewaltigen  Winde  verschlungen  wird,  der  mit  mafslosem 
Odem  nach  oben,  unten  und  alien  Seiten  dahinbraust. 

11.  (11600.)  Diesen  Unwiderstehlichen,  Furchtbaren  schlingt 
der  Ather  in  sich  hinein,  und  den  larmreichen  Ather  ver- 
schlingt  wieder  das  obenanstehende  Manas. 

12.  (11601.)  Das  Manas  verschlingt  er,  der  als  Ahaiikara 
das  Selbst  der  Wesen  und  ihr  Schopfer  ist,  den  Ahaiikara 
{ahahJidram  mit  C),  der  das  Vergangene,  Gegenwartige  und 
Zukiinftige  kennende  Mahan  Atma. 

13.  (11602.)  Dann  geschieht  es,  dafs  auch  diesen  unver- 
gleichlichen,  allerfiillenden  Atman  der  Schopferherr  ^ambhu, 
welcher  Atomkleinheit,  Leichtigkeit,  Allberiihrung,  Gottherr, 
Licht  und  unverganglich  ist  — 

14.  (11603.)   nach  allwarts  ist  er  Hand,  Fiifse,   nach  all- 


648  ni.    Mokshadharma. 

warts  Augen,  Haupt  und  Mund,  nach  alien  Seiten  hin  horend, 
die  Welt  umfassend  steht  er  da  (=  Qvet  Up.  3,16),  — 

15.  (11604.)  welcher  als  Herz  aller  Wesen  nur  so  grofs 
wie  das  Glied  eines  Daumens  ist,  dafs  dieser  der  unendliche 
hochsinnige  Gottherr  den  Allerfiillenden  verschlingt. 

16.  (11605.)  Dann  ist  das  Wei  tall  wieder  eingegangen  in  den 
unzerstorbaren,  unverganglichen ,  unverletzbaren ,  siindlosen 
Schopfer  des  Vergangenen,  Gegenwartigen  und  Zukiinftigen. 

17.  (11606.)  Damit  ist  dir  das  Eingehen  der  Wahrheit  ge- 
mafs  dargelegt,  o  rtirst  der  Konige;  nun  vernimm,  was  [im 
Korper]  sich  auf  das  Selbst,  auf  die  Wesen  und  auf  die  Gott- 
heiten  bezieht. 

So  lautet  im  Mokshadbarma  die  Unterredung  zwischen  Y&jnavalkya  und  Janaka 

(  Ydj/iavalki/a  -  Janaka  -  sainvdda). 


Adhyaya  315  (B.  313). 

Vers  11607-11634  (B.  1-28). 

Yajnavalkya  sprach: 

1.  (11607.)  Die  Fiifse  sind  auf  das  Selbst  beziiglich,  das 
Gehen  auf  die  Wesen,  die  Schutzgottheit  ist  Vishnu,  wie  die 
wahrheitschauenden  Brahmanen  lehren. 

2.  (11608.)  Das  Entleerungsorgan  ist  auf  das  Selbst  be- 
ziiglich, die  Entleerung  auf  die  Wesen,  die  Schutzgottheit 
ist  Mitra,  wie  die  Kenner  der  Wesenheit  sagen. 

3.  (11609.)  Das  Zeugungsorgan  ist  auf  das  Selbst  beziig- 
lich, das  Zeugen  auf  die  Wesen,  die  Schutzgottheit  ist  Praja- 
pati,  wie  Kenner  des  Nichtigen  sagen. 

4.  (11610.)  Die  Hande  sind  auf  das  Selbst  beziiglich,  das 
Handeln  auf  die  Wesen,  die  Schutzgottheit  ist  Indra,  wie  die 
Reflexionskundigen  erklaren. 

5.  (11611.)  Die  Eede  ist  auf  das  Selbst  beziiglich,  das 
Reden  auf  die  Wesen,  die  Schutzgottheit  ist  Agni,  wie  die 
Schriftkenner  lehren. 

6.  (11612.)  Das  Auge  ist  auf  das  Selbst  beziiglich,  die 
Sichtbarkeit  auf  die  Wesen,  die  Schutzgottheit  ist  Surya  (die 
Sonne),  wie  die  Schriftkenner  lehren. 


Adhyaya  315  (B.  313).  649 

7.  (11613.)  Das  Ohr  ist  auf  das  Selbst  beziiglich,  der  Ton 
auf  die  Wesen,  die  Schutzgottheiten  sind  die  Himmelsgegen- 
den,  wie  die  Schriftkenner  lehren. 

8.  (11614.)  Die  Zunge  ist  auf  das  Selbst  beziiglich,  der 
Geschmack  auf  die  Wesen,  die  Schutzgottheiten  sind  die 
Wasser,  wie  die  Schriftkenner  lehren. 

9.  (11615.)  Das  Geruchsorgan  ist  auf  das  Selbst  beziig- 
lich, der  Geruch  auf  die  Wesen,  die  Schutzgottheit  ist  die 
Erde,  wie  die  Schriftkenner  lehren. 

10.  (11616.)  Die  Haut  ist  auf  das  Selbst  beziiglich,  die  Be- 
riihrung  auf  die  Wesen,  die  Schutzgottheit  ist  der  Wind,  wie 
die  Wesen  skenner  sagen. 

11.  (11617.)  Das  Manas  ist  auf  das  Selbst  beziiglich,  seine 
Tatigkeit  auf  die  Wesen,  die  Schutzgottheit  ist  der  Mond, 
wie  die  Kenner  der  Lehrbiicher  sagen. 

12.  (11618.)  Der  AhaSikara  ist  auf  das  Selbst  beziiglich, 
das  Ichbewufstsein  auf  die  Wesen,  die  Schutzgottheit  ist  die 
Buddhi,  wie  die  Wesenskenner  sagen. 

13.  (11619.)  Die  Buddhi  ist  auf  das  Selbst  beziiglich,  ihre 
Tatigkeit  auf  die  Wesen,  die  Schutzgottheit  ist  der  Kshetrajfia, 
wie  die  Wahrheitschauenden  sagen. 

14.  (11 620.)  Damit  ist  dir,  o  Konig,  der  Umfang  ihrer  Ent- 
faltung  dargelegt  nach  Anfang,  Mitte  und  Ende  der  Wahr- 
heit  gemafs,  o  Wahrheitskenner. 

15.  (11621.)  Die  Prakriti  ist  es,  welche  nach  Lust  und  Be- 
lieben  wie  zum  Spiele  ihre  Guna's  hundertfach  und  .tausend- 
fach  entfaltet,  o  grofser  Konig. 

16.  (11622.)  Wie  die  Menschen  wenige  Lichter  zu  tausend 
Lichtern  vervielf altigen ,  so  vervielfaltigt  die  Prakriti  ihre 
Guna's  fiir  den  Purusha. 

17.  (11623.)  Giite,  Wonne,  Uberflufs,  Freude,  Erhellung, 
Lust,  Reinheit,  Gesundheit,  Befriedigung,  Glaubigkeit, 

18.  (11624.)  Nicht- Jammern ,  Untatigkeit,  Geduld,  Festig- 
keit,  Nicht- Schadigung,  Gleichmiitigkeit ,  Wahrhaftigkeit, 
Schuldlosigkeit,  Sanftmut,  Schamhaftigkeit,  Gesetztheit, 

19.  (11625.)  Reinlichkeit,  Gradheit,  guter  Wandel,  Nicht- 
Liisternheit,  Herzensruhe,  Nicht-Prahlen  mit  der  vollbrachten 
Lossagung  von  Erwiinschtem  und  Unerwiinschtem, 


650  ni.    Mokshadharma. 

20.  (11626.)  Zugreifen,  wenn  es  angeboten  wird,  Neidlosig- 
keit,  Interesse  fur  andere  und  Mitleid  mit  alien  Wesen,  das 
sind  die  Qualitaten  des  Sattvam. 

21.  (11627.)  Dies  ist  der  Inbegriff  der  Qualitaten  des  JRajas: 
Schongestalt,  Herrschlust  und  Kriegslust,  Nicht-Entsagung^ 
Mitleidlosigkeit,  Hingebung  an  Lust  und  Schmerz, 

22.  (11628.)  Freude  an  libler  Nachrede  und  Zanksucht, 
Selbstsucht,  Ungastlichkeit,  Sorge,  Feindseligkeit, 

23.  (11629.)  Qualerei,  Rauberei,  Schamlosigkeit,  Mangel 
an  Rechtschaffenheit ,  Zwist,  Rauheit,  Begierde,  Zorn,  Un- 
besonnenheit, 

24.  (11630.)  Stolz,  Hafs  und  Ubermut,  das  sind  die  Quali- 
taten des  Rajas.  —  Nun  werde  ich  den  Inbegriff  der  Quali- 
taten des  Tamas  verkiindigen,  merke  auf. 

25.  (11631.)  Verblendung,  geistige  Verdunkelung,  Finster- 
nis  und  blinde  Finsternis,  —  blinde  Finsternis  ist  Tod,  Finster- 
nis  ist  Zorn; 

26.  (11632.)  weitere  Merkmale  des  Tamas  sind:  Wohl- 
behagen  am  Essen  und  dergleichen,  Unersattlichkeit  im  Essen 
und  Trinken, 

27.  (11633.)  Lust  an  Wohlgeriichen ,  Kleidern  und  Ver- 
gniigungen,  an  Liegen  und  Sitzen,  am  Schlafen  bei  Tage, 
an  iibermiitiger  Rede  und  unbesonnenen  Streichen, 

28.  (11634.)  an  Tanz,  Musik  und  Gesang,  Glaubigkeit  aus 
Unwissenheit  und  Abneigung  gegen  mancherlei  Pflichten,  — 
das  sind  die  Qualitaten  des  Tamas.  ■ 

So  lautet  im  MokshadhaTina  die  Unterredung  zwischen  Yajfiavalkya  und  Janaka 
(  YdjTiavalkya  -  Janaka  -  samvdda). 


Adhyaya  316  (B.  314). 

Vers  11635-11654  (B.  1-18). 

Yajnavalkya  sprach: 

1.  (11635.)  Das  sind  die  drei  Guna's  der  Prakriti,  o  Bester 
der  Manner,  welche  der  ganzen  Welt  allezeit  und  unverlier- 
bar  anhaften. 


Adhyliya  316  (B.  314).  651 

2.  (11 636.)  Durch  sie  geschieht  es,  dafs  der  Heilige  in  der 
Form  des  Unentfalteten  hundertfach,  tausendfach,  hundert- 
tausendfach, 

3.  (11637.)  millionenfach  sein  inneres  Selbst  durch  sich 
selbst  gestaltet.  Das  Sattvahafte  nimmt  die  oberste  Stelle 
ein,  das  Rajas-artige  die  mittlere, 

4.  (11638.)  das  Tamas-artige  die  untere,  so  lehren  es  die 
Kenner  des  innern  Selbstes.  Durch  gute  Werke  allein  er- 
langt  man  den  Weg  nach  oben, 

5.  (11639.)  durch  Gutes  und  Boses  ein  menschliches  Da- 
sein,  durch  Ungerechtigkeit  den  Weg  nach  unten.  Die 
Paarung  dieser  drei  und  das  Zusammenwirken  des  Betreffenden, 

6.  (11640.)  des  Sattvam,  Rajas  und  Tamas,  vernimm  von 
mir.    An  dem  Sattvam  zeigt  sich  Rajas,  am  Rajas  das  Tamas, 

7.  (11641.)  am  Tamas  das  Sattvam  und  an  dem  Sattvam 
das  Unentfaltete.  Der  Unentfaltete  [der  Purusha,  hier  als 
individueller] ,  nur  noch  mit  dem  Sattvam  behaftet,  erlangt 
die  Gotterwelt, 

8.  (11642.)  mit  Rajas  und  Sattvam  behaftet,  gelangt  er 
unter  die  Menschen,  mit  Rajas  und  Tamas  behaftet,  wird  er 
in  tierischen  Mutterschofsen  geboren, 

9.  (11643.)  mit  Rajas-artigem,  Tamas-artigem  und  Sattva- 
haftem  verbunden,  erlangt  er  ein  menschhches  Dasein.  Fiir 
diejenigen  aber,  welche  sich  vom  Guten  und  vom  Bosen  los- 
gemacht  haben,  ist  der  Ort  der  Hochsinnigen  bestimmt, 

10.  (11644.)  jener  ewige,  unvergangHche,  unzerstorbare, 
unsterbHche,  welcher  der  Aufenthalt  der  Wissenden  ist,  der 
beste,  unverletzhche ,  unerschiitterhche  Ort,  (ii645.)  der  iiber- 
sinnhche,   samenlose,  von  Geburt,  Tod  und  Finsternis  freie. 

11.  Jenes  Hochste,  in  dem  Unentfalteten  Weilende,  nach 
welchem  du  mich  gefragt  hast,  o  Mannerherr,  (ii646.)  das  ist 
jener  in  der  Prakriti  Weilende,  in  ihr  weilend  wird  er  genannt. 

12.  Freilich  gilt  die  Prakriti  als  ungeistig,  o  Herr, 
(11647.)  aber  von  Ihm  regiert,  schafft  sie  und  rafft  wieder  in 
sich  hinein. 

Janaka  sprach: 

13.  (11648.)  Anfanglos  und  endlos  sind  doch  alle  beide, 
0  Hochsinniger,  ungestaltet  und  unerschutterlich ,  [in  ihren 


652  in.    Mokshadharma. 

Erscheinungen]  unwandelbar  qualitathaft  und  [an  sich]  quali- 
tatlos. 

14.  (11649.)  Wie  kommt  es  nun,  o  Manntiger,  da  beide 
unerkennbar  sind,  dafs  der  eine  von  ihnen  ungeistig  und  der 
andere  geistig  ist,  derjenige  namlich,  der  da  Kshetrajfia  ge- 
nannt  wird? 

15.  (11650.)  Denn  du,  o  Brahmanenfiirst,  liegst  mit  ganzem 
Herzen  der  Lehre  von  der  Erlosung  ob,  und  ich  mochte  diese 
Lehre  von  der  Erlosung  vollstandig  und  der  Wahrheit  ge- 
mafs  kennen  lernen. 

16.  (11651.)  So  mogest  du  mir  denn  die  Existenz,  die  Er- 
losung von  ihr  und  das  Verharren  ohne  sie  erklaren,  so  wie 
auch  die  Gottheiten,  welche  [als  Sinnesorgane]  in  dem  Korper 
Wohnung  nehmen. 

17.  (11652.)  Ferner  auch  die  Statte  des  beim  Sterben  aus- 
ziehenden  Verkorperten ,  und  auch  die  Statte,  zu  der  er  im 
Laufe  der  Zeit  gelangt,  mogest  du  mir  erklaren. 

18.  (11653.)  Du  mogest  mir  das  Sankhyawissen ,  wie  es 
in  Wahrheit  ist,  und  gesondert  davon  den  Yoga  mitteilen, 
und  auch  iiber  unheilvolle  Vorzeichen  farishtdni)  mogest  du 
mir  sprechen,  o  Bester.  (ii654.)  Denn  alles  dieses  besitzest 
du  so  fest  wie  eine  Myrobalanenfrucht  in  der  Hand. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Yajnavalkya  und  Janaka 
(  Ydjuavalkija  -  Janaka  -  samedda). 


Adhyaya  317  (B.  315). 

Vers  11655-11674  (B.  1-20). 

Yajnavalkya  sprach: 

1.  (11 055.)  0  Freund,  der  Qualitatlose  kann  nicht  qualitat- 
haft gemacht  werden,  o  Volkerherr,  noch  auch  der  Qualitat- 
hafte  qualitatlos;  das  lerne  von  mir  der  Wahrheit  gemafs. 

2.  (11656.)  Denn  durch  Qualitaten  wird  einer  qualitathaft, 
der  Qualitatlose  ist  ohne  Qualitaten,  so  baben  es  die  hoch- 
herzigen,  wahrheitschauenden  Muni's  ausgesprochen. 

3.  (11657.)  Der  Unentfaltete  [die  Prakriti]  hat  die  Guna's 
als  seine  Natur  und  kann  nie  von  den   Guna's  loskommen. 


Adhyaya  317  (B.  315).  653 

sondern  bringt  sie  in  Gang,  und  er  ist  von  Natur  nicht  er- 
kennend, 

4.  (11658.)  aber  wahrend  dieser  Unentfaltete  nicht  erkennt, 
ist  der  Purusha  von  Natur  erkennend  (lies:  jnah),  denn  er 
ist  sich  von  Ewigkeit  her  bewufst,  dafs  es  nichts  Hoheres 
gibt  als  ihn. 

5.  (11659.)  Aus  diesem  Grunde  ist  das  Unentfaltete  [die 
Prakriti]  ungeistig,  und  daran  wird  nichts  geandert,  mag 
man  sie  als  ewig  und  unverganglich  oder  [mit  Riicksicht  auf 
ihre  Entfaltungen]  als  verganglich  ansehen. 

6.  (11660.)  Solange  nun  [der  Purusha]  aus  Mangel  an 
rechter  Erkenntnis  immer  wieder  und  wieder  die  Schopfung 
der  Qualitaten  veranlafst,  solange  er  sich  selbst  nicht  [als 
verschieden]  erkennt,  solange  wird  er  auch  selbst  nicht  erlost. 

7.  (11661.)  Weil  er  die  Schopfungen  veranlafst,  wird  auch 
er  angesehen  als  seinem  Wesen  nach  schaffend,  und  weil  er 
auch  den  Yoga  veranlafst,  wird  er  gleichfalls  angesehen  als 
seinem  Wesen  nach  yogahaft. 

8.  (11662.)  Weil  er  die  schaffenden  Prinzipien  zur  Tatig- 
keit  veranlafst,  ist  er  den  schaffenden  Prinzipien  verwandt. 

9.  Und  weil  er  die  Keime  zur  Entwicklung  bringt,  ist 
er  den  Keimen  verwandt.  (ii663.)  Aber  wahrend  die  Quali- 
taten erzeugt  werden  und  wieder  vergehen, 

10.  wird  er,  sofern  er  jene  verachtet,  mit  sich  identisch 
ist  und  sich  dessen  bewufst  wird,  fiir  absolut  (ii664.)  erklart 
von  den  Selbstbezwingern,  Vollendeten,  das  innere  Selbst 
Kennenden,  Leidenschaftfreien.  Jenes  andere  [die  Prakriti] 
ist  verganglich  und  zugleich  ewig,  sofern  es  unentfaltet  und 
entfaltet  ist,  so  haben  wir's  gelernt. 

11.  (1166.5.)  Die  Vielheit  [der  Entfaltungen]  bezeichnen  als 
Einheit,  sofern  sie  ein  Unentfaltetes  ist,  diejenigen  Menschen, 
welche  von  Mitleid  fiir  alles  Lebende  erfiillt  sind  und  das 
absolute  Wissen  erlangt  haben. 

12.  (11666.)  Verschieden  [von  allem  andern]  ist  der  Purusha, 
wahrend  der  Unentfaltete  [die  Prakriti]  wandelbar  ist  und 
doch  auch  unwandelbar  heifst.  Wie  mit  dem  Schilfgras  [als 
Umschliefser]  der  Halme  (vgl.  Kath.  Up.  6,17),  so  ist  es  auch 
mit  diesem  beschaffen. 


v654  ni.    Mokshadharma. 

13.  (11667.)  Ein  anderes  ist  die  Fliege  und  ein  anderes 
das  Feigenblatt,  auf  dem  sie  sitzt,  und  die  Fliege  wird  durch 
die  Verbindung  mit  dem  Feigenblatte  nicht  befleckt  [ihrem 
Wesen  nach  nicht  verandert]. 

14.  (11668.)  Ein  anderes  ist  der  Fisch  und  ein  anderes  ist 
das  Wasser,  und  der  Fisch  wird  durch  die  Beriihrung  mit 
dem  Wasser  nicht  irgendwie  befleckt. 

15.  (11669.)  Ein  anderes  ist  das  Feuer  und  ein  anderes 
das  Kohlenbecken ,  das  mogest  du,  bitte,  immer  bedenken, 
und  das  Feuer  wird  nicht  durch  die  Beriihrung  mit  dem 
Kohlenbecken  befleckt. 

16.  (11670.)  Ein  anderes  ist  das  Lotosblatt  und  ein  anderes 
das  "Wasser  [auf  dem  es  schwimmt],  und  auch  hier  wird  das 
Lotosblatt  durch  die  Beriihrung  mit  dem  Wasser  nicht  be- 
fleckt [vgl.  Chand.  Up.  4,14,3;  Maitr.  Up.  3,2]. 

17.  (11671.)  Bei  alien  diesen  vermogen  die  Zusammen- 
wohnung  und  Einwohnung,  wie  sie  der  Wahrheit  nach  ist, 
gemeine  Menschen  niemals  zu  begreifen. 

18.  (11672.)  Sie,  welche  dies  anders  ansehen,  als  es  ist,  er- 
mangeln  der  richtigen  Erkenntnis  und  werden  sicherlich 
immer  wieder  und  wieder  der  furchtbaren  Holle  anheim- 
f alien. 

19.  (11673.)  In  dieser  Sahkhyalehre  liegt  das  hochste  Nach- 
denken  beschlossen,  und  die  ihr  in  dieser  Weise  nachdenken, 
die  Sahkhya's,  gehen  zur  Absolutheit  ein. 

20.  (11674.)  Die  anderen  aber,  welche  der  Wahrheit  kundig 
sind,  haben  die  folgende  Anschauung,  die  ich  dir  als  die  An- 
schauung  der  Yoga's  nunmehr  mitteilen  will. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Y&juavalkya  und  Janaka 
(Ydjnavalki/a  -  Janaka  -  sanwdda). 


Adhyaya  318  (B.  316).  655 

Adhyaya  318  (B.  316). 

Vers  11675-11702  (B.  1-27). 

Yajnavalkya  sprach: 

1.  (U675.)  Die  Sankhyalehre  habe  ich  dir  mitgeteilt,  die 
Yogalehre  vernimm  von  mir  der  Wahrheit  gemafs,  wie  sie 
auf  Schriftiiberlieferung  und  unmittelbarer  Anschauung  be- 
ruht,  o  Bester  der  Fiirsten. 

2.  (1167G.)  Kein  Wissen  kommt  dem  Sarikhyam  gleich, 
keine  Kraft  kommt  dem  Yoga  gleich;  beide  verfolgen  das- 
selbe  Ziel,  beide  fiihren  iiber  die  Verganglichkeit  hinaus. 

3.  (11677.)  Fiir  verschieden  halten  beide  nur  Menschen, 
die  am  Unverstand  sich  freuen,  wir  aber,  o  Konig,  erkennen 
sie  unzweifelhaft  als  Einheit. 

4.  (11678.)  Denn  was  die  Yoga's  schauen,  das  wird  auch 
von  den  Sankhya's  erkannt;  wer  Saiikhyam  und  Yoga  als 
Einheit  erkennt,  der  weifs  die  Wahrheit. 

5.  (11679.)  Wisse,  o  Feindbezwinger,  als  Yoga- [Mittel]  die 
den  Rudra  als  Obersten  habenden  anderen  [Lebensorgane, 
prdndh^  Brih.  Up.  3,9,4] ;  dann  schweifen  sie  mit  diesem  Korper 
nach  den  zehn  Himmelsrichtungen  hinaus. 

6.  (11680.)  Wahrend  [der  grobe  Leib]  dahinfallt,  o  Freund, 
wird  unter  Abstreifung  desselben  der  Yogin  zu  einem,  der 
vermoge  des  achtfache  Vollkommenheit  [Atomkleinheit,  Leich- 
tigkeit,  Grofse,  Allberiihrung,  Wunschverwirklichung,  All- 
beherrschung,  Schopferkraft,  Alldurchdringung]  verleihenden 
Yoga  die  Welten  mit  Lust  durchschweift,  o  Untadliger. 

7.  (11681.)  Denn  im  Veda  erklaren  die  Weisen,  dafs  der 
Yoga  die  acht  Vollkommenheiten  gewahrt,  aber  nur  dem  feinen 
Leibe  sprechen  sie  diese  acht  Vollkommenheiten  zu,  nicht 
dem  groben,  o  Bester  der  Manner. 

8.  (11682.)  Als  zweifach  aber  bezeichnen  sie  die  hochste 
Yogaleistung  der  Yoga's,  namlich  der  Anschauung  des  Systems 
entsprechend  als  qualitathaft  fsaguna  =  sahija  =  samprajndtaj 
und  qualitatlos  (nirguna  =  nirhija  =  asamprajndtaj. 

9.  (11683.)  Der  qualitathafte  Yoga  besteht  in  der  Fesselung 


656  in.   Mokshadharma. 

des  Manas  nebst  Atemregulierung,  o  Erdeherr,  sodann  in  dcr 
Konzentration  des  Manas  gleichfalls  mit  Atemregulierung. 

10.  (11G84.)  Denn  die  Atemregulierung  ist  immerhin  quali- 
tathaft.  Man  mufs  aber  in  qualitatloser  Weise  das  Manas 
fesseln,  indem  man  die  ganze  sichtbare  Welt  und  auch  die 
Lebenshauche  hinter  sich  lafst,  o  Bester  der  Mithilaherrscher, 
(11685.)  dann  entsteht  Erhabenheit  iiber  den  Wind.  Darum 
soli  man  sich  mit  ihm  [und  mit  der  Atemregulierung]  niclit 
mehr  befassen. 

11.  Fiir  den  ersten  Teil  der  Nacht  sind  zwolf  Antriebe 
[der  Atemregulierung,  codandh]  vorgeschrieben ;  (ugbg.)  fiir 
den  mittleren  schlaflosen  Teil  der  Nacht  gibt  es  zwolf  weitere 
Antriebe. 

12.  In  dieser  Weise  ist  von  dem  beruhigten,  bezahmten, 
nur  auf  das  Eine  gerichteten,  (ii687.)  in  dem  Atman  seine  Ruhe 
findenden  Wachenden  der  Atman  im  Yoga  anzuspannen. 

13.  Indem  er  fiinffach  die  Versiindigungen  der  fiinf 
Sinnesorgane  beseitigt,  (iig88.)  den  Ton,  die  Gestalt,  die  Be- 
riihrung,  den  Geschmack  und  den  Geruch, 

14.  indem  er  das  Aufleuchten  und  das  Erloschen  gleich- 
mafsig  vermeidet,  o  Herr  von  Mithila,  (11689.)  indem  er  die 
ganze  Schar  der  Sinnesorgane  im  Manas  einschliefst, 

15.  das  Manas  im  Ahaiikara  zum  Stillstand  bringt, 
o  Mannerherr,  (ii690.)  den  Ahaiikara  in  der  Buddhi,  die  Buddhi 
in  der  Prakriti,  — 

16.  nachdem  er  sie  in  dieser  Weise  abgefertigt  hat, 
meditiert  er  den  absoluten,  (ii69i.)  staublosen,  fleckenlosen 
(lies:  amalam),  ewigen,  unendlichen,  reinen,  unverwundbaren, 

17.  feststehenden  ftasthusliam  !J  Purusha,  den  ewig  un- 
teilbaren,  nicht  alternden,  unsterblichen,  (iiC92.)  den  immer- 
wahrenden,  unzerstorbaren  Gott,  das  unvergangliche  Brahman. 

18.  Vernimm  nun  die  Merkmale  des  dem  Yoga  Hin- 
gegebenen,  o  grofser  Konig;  (ii693.)  das  Merkmal  seiner  Be- 
ruhigung  ist,  wie  wenn  einer  friedlich  und  sanft  schlummert, 

19.  wie  wenn  eine  mit  01  gefiillte  Lampe  an  windstillem 
Orte  brennt  (ii694.)  mit  unentwegt  nach  oben  strebender 
Flamme,  —  so  schildern  die  Weisen  den  im  Yoga  Begriffenen. 

20.  Wie   ein   Stein,   wenn   er  von   den   aus   der  Wolke 


Adhy^ya  318  (B.  316).  657 

spriihenden  Tropfen  getroffen  wird,  (ii695.)  nicht  im  mindesten 
durch  sie  zum  Wanken  gebracht  werden  kann,  so  ist  das 
Merkmal  des  im  Yoga  Begriffenen. 

21.  Durch  den  Schall  von  Muscheln  und  Trommeln, 
durch  allerlei  Gesang  und  Musik,  (U696.)  wenn  sie  ertonen, 
bleibt  er  unerschiittert,  das  ist  der  Anbhck,  den  der  Erloste 
gewahrt. 

22.  Wie  ein  Mann  mit  einem  olgefiillten  Gefafse  in  den 
Handen  (11697.)  eine  Treppe  hehutsam  hinaufsteigt,  wahrend  er 
von  Schwertbewajffneten  bedroht  wird, 

23.  aber  festen  Geistes  vergiefst  er  nicht  einen  Tropfen 
aus  dem  Gefafse  aus  Furcht  vor  ihnen,  (ii698.)  und  so  steigt 
er  hinauf,  wahrend  sein  Sinn  nur  auf  das  Eine  gerichtet  ist, 

24.  weil  seine  Sinne  fest  und  unerschiitterHch  bleiben,  — 
(11699.)  so  hat  man  die  Merkmale  eines  dem  Yoga  hingegebenen 
Muni  anzusehen. 

25.  Wer  sich  ihm  hingibt,  schaut  das  Brahman,  jenes 
hochste,  unvergangHche,  (U700.)  welches  dasteht  wie  ein  Licht 
inmitten  der  grofsen  Finsternis. 

26.  Dadurch  gelangt  er  zum  Absoluten  nach  Verlassen 
des  unbeseelten  Korpers  (iiioi.)  und  nach  langer  Zeit,  o  Konig, 
so  lehrt  es  die  ewige  Schrift. 

27.  Dieses  [wisse  als]  den  Yoga  der  Yogin's,  das  ist  das 
wahre  Merkmal  des  Yoga  (ii  702.)  als  solches  wissen  es,  die  es 
erfahren  haben,  die  zum  Endziele  gelangten  Weisen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Y&jnavalkya  und  Janaka 

(Ydjnavalkya  -  Janaka  -  samvdda). 


Adhy^ya  319  (B.  317). 

Vers  11703-11723  (B.  1-21). 

Yajiiavalkya  sprach: 

1.  (11703.)  Vernimm  nun  auch  mit  Aufmerksamkeit,  o  Fiirst, 
was  iiber  die  aus  dem  Leibe  ausziehende  Seele  zu  sagen 
ist:  Durch  die  Fiifse  ausziehend,  gelangt  einer  zur  Statte  des 
Vishnu, 

Deussen,  Mah&bb&raiam.  42 


G58  HI.   Mokshadharma. 

2.  (11704.)  durch  die  Unterschenkel  zu  den  gottliclien 
Vasu's,  wie  die  Schrift  lehrt,  durch  die  Kniee  zu  den  gliick- 
seligen,  gottlichen  Sadhya's, 

3.  (11705.)  durch  das  Entleerungsorgan  zur  Statte  des 
Mitra,  durch  den  Schofs  zur  Erde,  durch  die  Schenkel  zu 
Prajapati, 

4.  (11706.)  durch  die  Seiten  zu  den  gotthchen  Marut's, 
durch  den  Nahel  zur  Indraschaft,  durch  die  Arme  zu  Indra, 
durch  die  Brust  zu  Rudra, 

5.  (11707.)  durch  den  Hals  zu  dem  besten  Muni,  dem 
hochsten  Nara  (Narayana),  durch  den  Mund  zu  den  Vigve 
Devah,  durch  das  Ohr  zu  den  Himmelsgegenden, 

6.  (11708.)  durch  die  Nase  zu  dem  Trager  der  Geriiche 
(dem  Winde),  durch  die  Augen  zu  Agni,  durch  die  Augen- 
brauen  zu  den  gotthchen  Agvin's,  durch  die  Stirn  zu  den 
Manen, 

7.  (11709.)  durch  die  Schadeldecke  zu  dem  allgegenwartigen 
Gotte  Brahman,  dem  Erstgeborenen  der  Gotter;  damit  habe 
ich  dir,  o  Herr  von  Mithila,  die  Statten  fiir  das  Herausfahren 
mitgeteilt  (vgl.  oben  Vers  10927). 

8.  (11710.)  Nun  will  ich  dir  die  von  den  Weisen  fest- 
gestellten  unheilvollen  Vorzeichen  farishtdnij  erldaren,  wie 
sie  fiir  den  Verkorperten ,  der  innerhalb  eines  Jahres  hin- 
scheiden  wird,  in  Geltung  sind. 

9.  (11711.)  Wer  die  Arundhati  [den  Stern  Alkor  im  grofsen 
Baren] ,  die  er  sonst  sehen  konnte,  einmal  nicht  sehen  kann, 
oder  ebenso  den  Polarstern,  oder  wer  den  Vollmond  nur  als 
Flamme 

10.  (11712.)  und  teilweise  von  rechts  her  scheinen  sieht, 
der  hat  nur  noch  ein  Jahr  zu  leben.  Wer  sich  nicht  sieht 
im  fremden  Auge,  0  Erdeherr, 

11.  (11713.)  wer  in  ihm  nicht  mehr  das  eine  Figur  bildende 
Abbild  seiner  Selbst  bemerkt,  auch  der  hat  nur  noch  ein  Jahr 
zu  leben.  Wenn  iibermafsiger  Glanz  und  iibermafsiges  Wissen 
sich  in  Unglanz  und  Unwissen  wandelt, 

12.  (11714.)  wenn  eine  Umkehr  der  Naturbeschaffenheit 
eintritt,  so  ist  dies  ein  Vorzeichen  des  Todes  binnen  sechs 


AdhyHya  319  (B.  317).  659 

Monaten.    Wer  die  Gotter  mifsachtet  oder  sich  gegen  Brah- 
manen  widerspenstig  zeigt, 

13.  (11715.)  bei  wem  die  dunkle  Gesichtsfarbe  einen  fahlen 
Schein  annimmt,  fiir  den  ist  dies  ein  Vorzeichen  binnen  sechs 
Monaten.     Wer  den  Mond  rissig  sieht  wie   ein  Spinnennetz 

14.  (11 716.)  oder  ebenso  die  Sonne,  der  stirbt  binnen  sieben 
Nachten.  Wenn  ein  Mensch  einen  Leichengeruch  wahrnimmt 
anstatt  der  Wohlgeriiche, 

15.  (11717.)  wahrend  er  in  einem  Gottertempel  weilt,  so 
stirbt  er  binnen  sieben  Nachten.  Schlaffes  Herabhangen  von 
Ohr  und  Nase,  Entfarben  von  Zahn[fleisch]  und  Augen, 

16.  (11718.)  Schwund  des  Bewufstseins  und  Verlust  der 
Warme  sind  Anzeichen  des  Todes  am  selben  Tage.  "Wenn 
einem  das  linke  Auge  ohne  Ursache  trant,  o  Mannerherr, 

17.  (11719.)  und  wenn  Dampf  von  seinem  Kopfe  aufsteigt, 
so  ist  das  ein  Anzeichen  des  Todes  am  selben  Tage.  Diese 
Vorzeichen  sich  gegenwartig  haltend,  moge  der  atmanhafte 
Mensch 

18.  (11720.)  Tag  und  Nacht  sich  mit  dem  hochsten  Atman 
eins  wissen,  indem  er  die  Zeit  abwartet,  zu  welcher  hinzu- 
scheiden  ihm  bestimmt  ist. 

19.  (11721.)  Ist  ihm  aber  das  Sterben  nicht  willkommen, 
so  mag  er  wiinschen,  noch  zu  leben,  moge  aber  die  irdische 
Tatigkeit  nebst  alien  Geriichen  und  Geschmacken  nieder- 
halten,  o  Mannerherr. 

20.  (11722.)  Mit  Sankhyalehre  und  Yogafesselung  sich 
seines  Atman  bewufst  bleibend,  o  Mannerstier,  wird  er  dann 
den  Tod  iiberwinden  durch  den  Yoga,  ihm  ganz  hingegeben 
mit  innerer  Seele. 

21.  (11723.)  Dann  geht  er  hin  und  erlangt  die  unvergang- 
liche,  vollkommene,  geburtlose,  selige,  unverlierbare,  ewige, 
unerschiitterliche  Statte,  welche  unerreichbar  ist  fur  solche, 
die  unbereiteten  Geistes  sind. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Y&jnavalkya  und  Janaka 
(Ydjnavalkya  -  Janaka  -  samvdda). 


42* 


660  HI.   Mokshadharma. 

Adhyaya  320  (B.  318). 
Vers  11724-11836  (B.  1-112). 

Yajnavalkya  sprach: 

1.  (11724.)  Ich  bin  von  dir,  o  Fiirst  der  Manner,  gefragt 
worden  nach  jenem  Hochsten,  welches  im  Verborgenen  weilt; 
vernimm,  o  Fiirst,  mit  Aufmerksamkeit,  was  iiber  diese  hochst 
geheimnisvolle  Frage  zu  sagen  ist. 

2.  (11725.)  Indem  ich  demutvoll  nach  vedischem  Gesetze 
wandelte,  sind  mir,  o  Fiirst  von  Mithila,  von  Aditya  (dem 
Sonnengott)  die  Opferspriiche  [des  weisen  Yajurveda,  Brih. 
Up.  6,5,3]  veriiehen  worden. 

3.  (11726.)  Durch  die  grofse  Glut  meines  Tapas  wurde  der 
glutfrohe  Gott  verehrt,  und  so  kam  es,  dafs  der  allbeherr- 
schende  Sonnengott  zu  mir,  o  Untadliger,  erfreut  dieses 
Wort  sprach: 

4.  (11727.)  Wahle,  o  Brahmanenweiser,  ein  Geschenk,  wie 
du  es  wiinschest,  so  schwer  erlangbar  es  auch  sein  mag,  ich 
werde  es  dir  mit  freudigem  Herzen  geben,  obgleich  raeine 
Gnade  schwer  erlangbar  ist. 

5.  (11728.)  Da  neigte  ich  mein  Haupt  und  sprach  zu  dem 
Obersten  der  Gliihenden:  Opferspriiche,  wie  sie  noch  nicht 
in  Gebrauch  gewesen  sind,  wiinsche  ich  augenblicklich  zu 
erlernen. 

6.  (11729.)  Da  sprach  der  Heilige  zu  mir:  Ich  werde  sie 
dir  verleihen,  die  Sarasvati  hier  wird  als  Eede  in  deinen 
Leib  eingehen. 

7.  (11730.)  Und  weiter  sprach  der  Heilige  zu  mir:  Offne 
deinen  Mund,  und  alsbald  offnete  ich  meinen  Mund  und  Saras- 
vati ging  in  ihn  ein. 

8.  (11731.)  Da  geriet  ich  in  Gluthitze  und  sprang  ins 
Wasser,  o  Untadliger,  aus  Unkenntnis  und  Unwillen  gegen 
den  hochherzigen  Lichtspender. 

9.  (11 732.)  Da  sprach  zu  mir,  der  ich  in  Gluthitze  geraten 
war,  der  heilige  Sonnengott:  Ertrage  den  Brand  eine  Weile, 
dann  wird  er  sich  abkiihlen. 


Adhyaya  320  (B.  318).  661 

10.  (11733.)  Als  der  heilige  Lichtspender  mich  abgekiihlt 
sah,  sprach  er  zu  mir:  Der  Veda  soil  dir  zuteil  werden  mit 
alien  Erganzungen  und  Anhangen,  o  Zwiegeborener, 

11.  (11734.)  und  das  ganze  (^atapatham  sollst  du,  o  Stier 
der  Brahmanen,  der  Welt  kund  machen,  und  ist  das  ge- 
schehen,  so  wird  dein  Geist  dazu  gelangen,  nicht  mehr  wieder- 
geboren  zu  werden, 

12.  (11735.)  und  du  wirst  zu  der  erwunschten,  von  Sankhya 
und  Yoga  erstrebten  Statte  eingehen.  So  sprach  der  heilige 
Sonnengott  und  ging  zur  Riiste. 

13.  (11736.)  Nachdem  ich  das  Gesprochene  vernommen 
hatte  und  der  glanzreiche  Gott  entschwunden  war,  ging  ich 
voU  Freude  nach  Hause  und  gedachte  dabei  der  Sarasvati. 

14.  (11737.)  Da  geschah  es,  dafs  die  wunderschone,  mit 
Vokalen  und  Konsonanten  geschmiickte  und  den  Omlaut  an 
der  Stirn  tragende  Gottin  Sarasvati  vor  mir  erschien. 

15.  (11738.)  Nun  rezitierte  ich  vorschriftsmafsig  vor  der 
Sarasvati  das  Gebiihrende  und  ebenso  vor  dem  Besten  der 
Gliihenden,  indem  ich  voll  Andacht  dasafs. 

16.  (11739.)  Und  da  geschah  es,  dafs  ich  das  ganze  (^ata- 
patham  nebst  der  Upanishad  frahasyamj ,  den  Ausziigen  und 
Nachtragen  zu  meiner  hochsten  Freude  aufsagen  konnte. 

17.  (11740.)  Auch  betrieb  ich  das  Studium  derselben  mit 
hundert  vorziiglichen  Schiilern  zum  Verdrusse  meines  hoch- 
sinnigen  Oheims  [Vaigampayana]  und  seiner  Schiiler. 

18.  (11741.)  Darauf  wurde  von  mir  und  meinen  Schiilern, 
wie  von  der  mit  Strahlen  umgebenen  Sonne,  das  Opfer  deines 
hochsinnigen  Vaters,  o  grofser  Konig,  ausgebreitet. 

19.  (11742.)  Nun  beanspruchte  ich  vor  den  Augen  des 
Devala  von  dem  uns  fiir  die  Vedarezitation  zukommenden 
Opferlohne  die  Halfte,  woriiber  mein  Oheim  mit  mir  in  Streit 
geriet, 

20.  (11743.)  aber  von  Sumantu,  Paila,  Jaimini,  deinem 
Vater  und  den  iibrigen  Weisen  wurde  mir  Recht  gegeben. 

21.  (11744.)  Fiinfzehn  Opferspriiche  waren  es  [namlich  ge- 
wesen],  o  Untadliger,  welche  ich  von  dem  Sonnengotte  er- 
halten  hatte;  dazu  wurde  mir  ferner  von  Romaharsha  das 
Puranam  mitgeteilt. 


662  '  III.    Mokshadharma. 

22.  (11745.)  Indem  ich.  dieses  alles  als  ersten  Keim  [meinem 
Werke]  zugrunde  legte  und  die  Gottin  Sarasvati  zu  Hilfe 
nahm,  gelang  es  mir,  durch  die  Macht  des  Sonnengottes, 
o  Mannerfiirst, 

23.  (11746.)  das  (^atapatham  zu  verfassen.  So  wurde  dieses 
nie  vorher  Dagewesene  von  mir  gemacht  und,  wie  es  von 
mir  gewiinscht  worden  war,  als  der  rechte  Weg  (mar gam  '.) 
dargelegt, 

24.  (11747.)  und  auch  meinen  Schiilern  das  vollstandige 
Ganze  mitsamt  den  Ausziigen  gewahrt.  Und  alle  Schiiler 
gingen  gelautert  und  hocherfreut  von  dannen. 

25.  (11748.)  Jene  fiinfzehn  Ursprossen  aber  sind  als  die 
Wissenschaft  vom  lichtbringenden  Gotte  offenbart  worden, 
man  moge  sie  zugrunde  legen  und  folgendes  nach  Lust  als 
Gegenstand  des  Wissens  iiberdenken  [anucintayet  mit  C): 

26.  (11749.)  Was  ist  hierin  die  heilige  Wahrheit,  was  der 
hochste  Gegenstand  des  Wissens?  In  Gedanken  hieriiber 
kam  einst  ein  Gandharva  zu  mir  und  befragte  mich. 

27.  (11750.)  Es  war  namlich  Vigvavasu,  o  Konig,  der  des 
Vedantawissens  Kundige,  welcher  mir  vierundzwanzig  auf  den 
Veda  beziigliche  Fragen  vorlegte,  o  Erdeherr, 

28.  (11751.)  und  eine  fiinfundzwanzigste  Frage  nach  der 
Anvikshiki  (der  argumentierenden  Wissenschaft).  Was  ist  das 
All?  das  Nichtall?  die  Stute?  der  Hengst?  Mitra?  Varuna? 

29.  (11752.)  das  Wissen?  das  Zuwissende?  der  Nicht- 
erkenner?  der  Erkenner?  der  Ka?  der  Leidende?  der  Nicht- 
leidende?  der  Sonnenfresser ?  die  Sonne?  die  Wissenschaft? 
die  Nichtwissenschaft? 

30.  (11753.)  das  Wifsbare?  das  Nichtwifsbare  ?  das  Un- 
bewegliche?  das  Bewegliche?  das  Urspriingliche  ?  das  Un- 
vergangliche  ?  das  Vergangliche  ?  —  das  war  die  letzte  Frage. 

31.  (11754.)  Da  sprach  ich,  o  grofser  Konig,  zu  dem  konig- 
lichen,  vortreff lichsten ,  zielbewufsten  Gandharven,  der  diese 
Reihe  der  hochsten  Fragen  an  mich  gerichtet  hatte: 

32.  (11755.)  Warte  eine  kleine  Weile,  wahrend  ich  mir 
die  Sache  iiberlege.  —  So  sei  es,  erwiderte  der  Gandharva 
und  verharrte  in  Schweigen. 

33.  (11756.)   Nun  gedachte  ich  nochmals  der  Gottin  Saras- 


Adhyaya  320  (B.  318).  663 

vati,  da  wurde  mittels  meines  Verstandes  die  Beantwortung 
jener  Fragen  aus  mir  herausgequirlt,  wie  Butter  aus  der  Milch. 

34.  (11757.)  Und  auch  die  Upanishad  und  den  Nachtrag, 
o  Herr,  quirlte  ich  mittels  meines  Verstandes  aus  mir  heraus, 
indem  ich  zugleich  die  Anvikshiki  (die  argumentierende 
Wissenschaft)  im  Auge  behielt. 

35.  (11758.)  Was  aber  jene  vierte  auf  den  Zustand  nach 
dem  Tode  beziigliche  Wissenschaft  betrifft,  welch e  noch  iiber 
die  fiinfundzwanzig  Fragen  hinausgeht,  so  wurde  diese,  o  grofser 
Konig,  dir  schon  von  mir  [in  Adhyaya  319,  oben  S.  657  fg.] 
mitgeteilt. 

36.  (11759.)  Damals  also,  o  grofser  Konig,  gab  ich  dem 
ViQvavasu  zur  Antwort:  Hore  die  Antwort  auf  die  Fragen, 
welche  du,  o  Herr,  an  mich  gerichtet  hast. 

37.  (11760.)  Wenn  du,  o  Fiirst  der  Gandharven,  nach  dem 
All  und  Nichtall  fragtest,  so  soil  man  wissen,  dafs  das  All 
das  hochste  Unentfaltete  ist,  welches  [als  allverschlingend] 
Vergangenes  und  Zukiinftiges  in  Furcht  halt, 

38.  (11761.)  und  welches  dreigunahaft  ist,  sofern  es  die 
Guna's  aus  sich  gebiert.  Das  Gegenstiick  des  All  ferner 
ist  der  Unteilbare.  Unter  dem  Hengst  und  der  Stute  ist 
ebendasselbe  Paar  zu  verstehen. 

39.  (11762.)  Das  Unentfaltete  wird  auch  Prakriti  genannt, 
und  unter  dem  Gunalosen  ist  der  Furusha  zu  verstehen.  In 
derselben  Weise  ist  unter  Mitra  der  Purusha,  unter  Varuna 
die  Prakriti  zu  verstehen. 

40.  (11763.)  Das  Wissen  [sofern  es  durch  Buddhi,  Manas, 
Indriya's  bedingt  ist]  heifst  Prakriti,  das  Zuwissende  ist 
der  Unteilbare ;  Nichterkenner  und  Erkenner  ist  der  Pu- 
rusha [als  gebundener  und  erloster],  darum  wird  er  [als  Sub- 
jekt  des  Erkennens]  der  Unteilbare  genannt. 

41.  (11764.)  Ferner  wurden  der  Ka,  der  Leidende  und  der 
Nichtleidende  genannt;  der  Ka  ist  wieder  jener  Purusha,  der 
Leidende  ist  die  Prakriti,  der  Nichtleidende  ist  der  Un- 
teilbare. 

42.  (11765.)  Das  Nichtwifsbare  ist  die  Prakriti,  das 
Wifsbare  der  Purusha.  Und  wenn  du  mich  weiter  nach  dem 
Beweglichen  und  Unbeweglichen  fragtest,  so  vernimm  von  mir, 


664  '  in.    Mokshadharma. 

43.  (1176G.)  dafs  unter  dem  Beweglichen  die  Prakriti 
zu  verstehen  ist  als  die  [materiellej  Ursache  des  Vergehens 
und  Entstehens;  der  Unbewegliche  ist  der  Purusha  als 
der  Veranlasser  von  Wegraffung  und  Neuschopfung. 

44.  (11767.)  [Andererseits]  ist  das  Wif share  das  Unent- 
faltete  und  der  Nichtwifsbare  der  Purusha,  heide  sind  un- 
hewufst,  hestandig  und  unvergangHch. 

45.  (11768.)  Beide  werden  als  ungehoren  und  ewig  he- 
zeichnet  auf  Grund  der  Gewifsheit  der  Erkenntnis  des  inneren 
Selhstes. 

46.  Weil  sie  hei  ihrem  Erzeugen  unverganglich  hleiht, 
hezeichnet  man  sie  [die  Prakriti]  als  das  Ungehorene  und 
Unerreichhare.  (ii769.)  Unter  dem  Unverganglichen  ist 
auch  der  Purusha  zu  verstehen,  denn  fiir  ihn  gibt  es  keinen 
Vergang. 

47.  Sofern  ihre  Guna's  vergehen,  ist  die  Prakriti  [das 
Vergangliche];  sofern  es  der  Veranlasser  ist,  [bezeichnen] 
die  Weisen  [den  Purusha]  als  den  Unverganglichen.  (ii770.)  Da- 
mit  hast  du  die  argumentierende  Wissenschaft,  die  vierte  ist 
die  auf  den  Zustand  nach  dem  Tode  bezugliche. 

48.  Fiir  einen,  dem  es  nur  darauf  ankommt,  in  bestan- 
digem  Werkdienste  durch  sein  Werk  einen  von  Wissenschaft 
begleiteten  Reichtum  zu  erlangen,  (ii77i.)  fiir  den,  o  ViQva- 
vasu,  haben  samtliche  Veden  nur  diesen  einen  Zweck. 

49.  Wer  aber  nicht  dasjenige,  worin  alle  Wesen  geboren 
werden  und  sterben,  und  woraus  sie  hervorgegangen  sind, 
(11 772.)  als  den  eigentlichen  Zweck  des  Veda  und  als  das  Zu- 
wissende  begreift,  o  Bester  der  Gandharven, 

50.  der,  und  hatte  er  auch  die  Veden  mitsamt  Vedanga's 
und  Upahga's  (Gesch.  d.  Philos.  I,  1,  S.  45)  durchstudiert, 
(11773.)  versteht  nichts  von  dem  wahren  Sinn  des  Veda  und 
ist  nur  ein  Lasttrager  des  Veda. 

51.  Wer,  um  Butter  zu  gewinnen,  Eselsmilch  quirlt, 
o  Bester  der  Gandharven,  (11774.)  der  wird  statt  Rahm  und 
Butter  nur  Mist  zu  sehen  bekommen. 

52.  Ebenso  wird  der,  welcher  als  Vedakenner  das  Wissens- 
werte  [den  Purusha]  und  das  Nichtwissenswerte  [die  Prakriti] 


Adhyaya  320  (B.  318).  665 

nicht  herauszufinden  weifs,  (11775.)  als  ein  blofser  Tor  nur  ein 
Lasttrager  der  Wissenschaft  sein. 

53.  Diese  beiden  mufs  man  allezeit  im  Auge  behalten 
mit  ungeteilt  hingegebenem  Geiste,  (11 776.)  wenn  einem  Geburt 
und  Tod  nicht  immer  wieder  und  wieder  zuteil  werden  sollen. 

54.  Wer  das  ohne  Unterlafs  erfolgende  Geborenwerden 
und  Sterben  iiberdenkt,  der  wird  diese  dreifache  Wissenschaft 
[den  Werkteil  der  drei  Veden]  (11777.)  als  das  VergangUche 
dahinten  lassen  und  in  der  unverganghchen  Satzung  "Wurzel 
fassen. 

55.  Wenn  er  diese  fort  und  fort  Tag  fiir  Tag  im  Auge 
behalt,  o  Kagyapa,  (11 778.)  dann  wird  er  zur  Absolutheit  ge- 
langen  und  den  Sechsundzwanzigsten  schauen. 

56.  Ein  anderer  ist  der  Ewige,  Unentfaltete,  und  ein 
anderer  der  Fiinfundzwanzigste,  (11 779.)  von  jenem  lehren  die 
Guten,  dafs  beide  [Purusha's]  ihn  als  den  einzigen  anschauen 
sollen. 

57.  Darum  geben  sie  sich  nicht  zufrieden  mit  jenem 
Fiinfundzwanzigsten,  Unerschiitterlichen,  (ii780.)  weil  siefiirch- 
ten,  dadurch  der  Geburt  und  dem  Tode  zu  verfallen,  sie,  die 
nach  dem  Hochsten  strebenden  Anhanger  des  Yoga  und 
Saiikhyam. 

ViQvavasu  sprach: 

58.  (11781.)  Was  du,  o  bester  Brahmane,  als  jenes  Fiinf- 
undzwanzigste [den  Jiva,  die  individuelle  Seele]  bezeichnetest, 
existiert  das  in  Wahrheit  oder  existiert  es  nicht?  Das  mogest 
du,  o  Herr,  mir  erklaren. 

59.  (11782.)  Wohl  habe  ich  vernommen  [von  den  Unter- 
redungenj  des  Jaigishavya  und  Asita  Devala  (oben,  S.  327  fg.), 
des  Priesterweisen  Paragara  und  des  verstandigen  Varsha- 
ganya, 

'  60.  (11783.)  des  Bhrigu  (S.  144  fg.),  PaficaQikha  (S.  270  fg.), 
Kapila  (S.  449  fg.)  und  Quka  (S.  333  fg.),  des  Gautama, 
Arshtishena  und  des  hochsinnigen  Garga, 

61.  (11784.)  des  Narada  (S.  405  fg.),  Asuri,  des  verstan- 
digen Pulastya,  des  Sanatkumara  (oben,  S.  1  fg.)  und  des 
hochsinnigen  Qukra 

62.  (11785.)    und    meines    Vaters    Ka<?yapa    (vgl.    oben, 


666  ni.   Mokshadharma. 

Vers  11 777),  das  alles  habe  ich  vordem  vernommen  und  weiter 
noch  [die  Reden]  des  Rudra  und  des  weisen  Vigvarupa. 

63.  (11786.)  Von  Gottern,  Vatern  und  Daiteya's  hinter- 
einander  habe  ich  alles  dieses  iiberkommen,  und  sie  erklarten 
es  fiir  den  ewigen  Gegenstand  des  Wissens. 

64.  (11787.)  Darum  mochte  ich  dieses  durch  deine  Weis- 
heit  auseinandergesetzt  wissen,  o  Brahmane,  denn  du  bist 
der  oberste,  bist  der  selbstvertrauende  Kenner  der  Lehrbiicher, 
der  sehr  Weise. 

65.  (11788.)  Es  gibt  nichts,  was  dir  unbekannt  ware,  du, 
o  Herr,  bist  ein  Ozean  des  heiligen  Wissens,  das  erzahlt 
man  sich  in  der  Gotterwelt  und  in  der  Vaterwelt,  o  Brahmane, 

66.  (11789.)  und  auch  die  zur  Brahmanwelt  eingegangenen 
grofsen  Weisen  preisen  dich,  und  Aditya,  der  Herr  der 
Gliihenden,  ist  bestandig  der  Verkiinder  deines  Ruhmes. 

67.  (11790.)  Das  ganze  Sankhyawissen  ist  von  dir  erlangt 
worden,  o  Brahmane,  und  namentlich  auch,  0  Yajnavalkya, 
die  Lehre  des  Yoga. 

68.  (11791.)  Du  bist  ohne  Zweifel  ein  Erweckter  und  kennst 
das  Bewegliche  und  Unbewegliche,  ich  wiinsche  das  Wissen 
zu  vernehmen,  welches  aus  dir  quillt  wie  die  Butter  aus 
dem  Rahm. 

Yajnavalkya  sprach: 

69.  (11792.)  0  Bester  der  Gandharven,  ich  erachte  dich 
zwar  fiir  einen,  der  schon  das  Ganze  besitzt,  aber  da  du 
mich  befragst,  o  Konig,  so  vernimm  es,  wie  es  in  der  Schrift 
gelehrt  wird. 

70.  (11793.)  Die  nicht  erkennende  Prakriti  erkennt  der 
Fiinfundzwanzigste ,  nicht  aber  erkennt,  o  Gandharva,  die 
Prakriti  den  Fiinfundzwanzigsten. 

71.  (11794.)  Vermoge  dieses  ihres  Erkanntwerdens  wird 
die  Prakriti  das  Pradhanam  (die  Grundwesenheit)  genannt 
von  den  Saiikhya's  und  Yoga's,  welche  die  in  der  Schrift 
dargelegte  Wahrheit  erkennen. 

72.  (11795.)  Schauend  und  auch  wieder  nicht  schauend, 
schaut  allezeit  der  andere  [der  Fiinfundzwanzigste],  0  Un- 
tadliger,  er  schaut  den  Sechsundzwanzigsten,  den  Fiinfund- 
zwanzigsten und  den  Vierundzwanzigsten  [die  Prakriti]. 


Adhyaya  320  (B.  318).  667 

73.  (11796.)  Aber  obgleich  er  schaut,  schaut  er  doch  nicht 
ihn,  der  auf  ihn  herabschaut,  sondern  er,  der  Fiinfund- 
zwanzigste,  wahnt,  dafs  kein  anderer  iiber  ihm  stehe. 

74.  (11797.)  Nicht  aber  sollen  sich  mit  dem  Vierund- 
zwanzigsten  befassen  die  Menschen,  welche  die  Wahrheit 
schauen.  Der  Fisch  durchstreift  das  Wasser  und  bewegt 
sich  durch  eigene  Bewegungskraft. 

75.  (11798.)  Was  von  dem  Fische  gilt,  das  gilt  auch  von 
jenem  [Fiinfundzwanzigsten] :  Wegen  des  Anhaftens  und  Zu- 
sammenwohnens  und  wegen  des  bestandigen  Wahnes 

76.  (11799.)  sinkt  er  unter  wahrend  der  Zeit,  wann  er  die 
Einheit  nicht  schaut,  und  er  taucht  empor  zu  der  Zeit,  wann 
er  von  der  Identitat  durchdrungen  ist. 

77.  (11800.)  Wenn  der  Zwiegeborene  erst  zu  derErkennt- 
nis  gelangt  ist:  ein  anderer  bin  ich  und  ein  anderer  ist  er 
[der  Vierundzwanzigste],  dann  gelangt  er  zur  Absolutheit  und 
schaut  den  Sechsundzwanzigsten. 

78.  (11801.)  Ein  anderer,  o  Fiirst,  ist  der  Hochste  und  ein 
anderer  der  Fiinfundzwanzigste ;  weil  letzterer  nur  der  Stand- 
ort  von  jenem  ist,  erkennen  die  Guten  beide  nur  als  einen. 

79.  (11802.)  Darum  geben  sie  sich  nicht  zufrieden  mit 
jenem  Fiinfundzwanzigsten,  Unerschiitterlichen,  weil  sie  fiircli- 
ten,  dadurch  der  Geburt  und  dem  Tode  zu  verfallen,  sie,  die 
Anhanger  des  Yoga  und  Sankhyam,  o  Kapyapa,  (ii803.)  welche 
auf  den  Sechsundzwanzigsten  hinblicken  in  Reinheit  und 
volliger  Hingebung  [vgl.  Vers  ii779fg.]. 

80.  Wenn  er,  zur  Absolutheit  gelangend,  den  Sechsund- 
zwanzigsten schaut,  (11804.)  dann  wird  der  Weise  allwissend 
und  verfallt  nicht  abermaligem  Geborenwerden. 

81.  Damit  ist  dir,  o  Untadliger,  von  mir  der  Nichterweckte, 
der  Erwachende  (11805.)  und  der  Erweckte  der  Wahrheit  ge- 
mafs  und  nach  Anschauung  der  Schrift  dargelegt  worden, 

82.  [der  Erweckte],  welcher  nicht  mehr  unterscheidet 
zwischen  Schauendem  und  Geschautem,  zwischen  dem  Miifsigen 
und  dem  Objekte,  o  Kagyapa,  (118O6.)  dem  Absoluten  und  Nicht- 
absoluten,  dem  Fiinfundzwanzigsten  als  Weltanfang  und  dem, 
was  das  Hochste  ist. 


668  III.   Mokshadharma. 

Vi^vavasu  sprach: 
83.  (11807.)  Da  hast  du,  o  Herr,  die  schone  Wahrheit  aus- 
gesprochen,  die  voile,  beseligende,  die  der  Ursprung  der  Gotter 
ist;  unvergangliches  Heil  werde  dir  allezeit  zuteil,  moge  dein 
Oeist  fiir  und  fiir  durch  Einsicht  in  der  Einsicht  wurzeln! 

Yajiiavalkya  sprach : 

84.  (11808.)  So  sprach  der  Hochsinnige  und  stieg  zum 
Himmel  empor,  glanzend  in  Schonheit,  nachdem  er  mit 
grofster  Befriedigung  mich  gegriifst  und  nach  rechts  hin 
umwandelt  hatte. 

85.  (11809.)  Dort  lehrte  er  die  empfangene  Einsicht 
den  Himmelsbewohnern  mit  Brahman  an  der  Spitze  und 
denen  auf  der  Erde  und  den  in  der  Tiefe  Weilenden, 
o  Mannerfiirst,  welche  alle  in  rechter  Weise  den  Heils- 
weg  heschritten. 

86.  (11810.)  Alle  Saiikhya's,  die  sich  der  Sahkhya- 
satzung  erfreuen,  und  die  Yoga's,  die  sich  der  Yoga- 
satzung  erfreuen,  und  alle  anderen  Menschen,  die  nach 
Erlosung  trachten,  diesen  alien  ist  diese  durch  Erkenntnis 
geschaute  Wahrheit  zuteil  geworden. 

87.  (11811.)  Aus  der  Erkenntnis  entspringt  die 
Erlosung,  o  Konigslowe,  nicht  aus  der  Nichterkenntnis, 
so  lehren  sie,  o  Fiirst  der  Manner,  darum  soil  man  nach 
der  wahren  Erkenntnis  trachten ,  dann  wird  man  seinen 
Atman  von  Geburt  und  Tod  befreien. 

88.  (11812.)  Mag  man  diese  Erkenntnis  von  einem  Brah- 
manen  empfangen  oder  von  einem  Kshatriya  oder  Vaigya 
oder  selbst  von  einem  gemeinen  (^udra,  sofort  soil  man 
sie  jederzeit  mit  Glaubigkeit  annehmen,  dem  Glaubigen 
konnen  Geburt  und  Tod  nichts  mehr  anhaben. 

89.  (11813.)  Alle  Kasten,  die  Brahmanen  und  die  von 
ihnen  Abstammenden,  alle  bekennen  jederzeit  das  Brah- 
man; als  die  Wahrheit  verkiindige  ich  durch  Brahman- 
einsicht  die  Lehre:  dieses  ganze  Weltall  ist  insgesamt 
Brahman. 

90.  (11814.)  Aus  Brahman's  Mund  sind  die  Brahmanen 
entsprungen,  aus  seinen  Armen  die  Kshatriya's,  aus  seinem 


Adhyaya  320  (B.  318).  669 

Nabel  die  Vaigya's,   aus  seinen  Fiifsen  die  (^udra's,  alle 
Kasten  sind  so  und  nicht  anders  anzusehen. 

91.  (11815.)  Wegen  ihres  Nichtwissens  wird  ihnen  bald 
diese,  bald  jene  Geburt  fiirihre  Werke  zuteil,  o  Konig, 
und  wieder  gehen  alle  Kasten  ebenso  in  das  Nichtsein 
iiber,  wie  sie,  der  Erkenntnis  ermangelnd,  in  das  gemeine 
Netz  der  Geburt  durch  ihr  furchtbares  Nichtwissen  ge- 
stiirzt  worden  waren. 

92.  (11816.)  Darum  mufs  man  das  Wissen  von  iiberall- 
her  erfragen,  und  dafs  es  bei  alien  [Kasten]  zu  finden 
ist,  babe  ich  dir  bereits  gesagt.  Der  Brahmane,  welcher 
es  besitzt,  und  jeder  andere,  der  darin  gegriindet  ist, 
dem  wird  die  ewige  Erlosung  verheifsen,  o  Fiirst  der 
Manner. 

93.  (11817.)  Wonach  du  micli  gefragt  hast,  das  babe 
ich  dir  der  Wahrheit  gemafs  erklart,  darum  magst  du 
frei  von  Kummer  leben;  verfolge,  o  Konig,  diese  An- 
gelegenheit  bis  zu  ihrem  andern  Ufer,  damit  ist  alles 
gesagt;  moge  dir  ewiges  Heil  zuteil  werden! 

'  Bhishma  sprach: 

94.  (11818.)  Als  der  Konig  in  dieser  Art  von  dem  weisen 
Yajnavalkya  belehrt  worden  war,  da  wurde  er,  der  Herr  von 
Mithila,  von  Freude  erfullt. 

95.  (11819.)  Nachdem  der  trefflichste  Muni  die  Umkreisung 
nach  rechts  hin  entgegengenommen  hatte  und  geschieden 
war,  blieb  der  mannerbeherrschende  Sprofs  des  Devarata 
sitzen  als  ein  der  Erlosung  Kundiger. 

96.  (11820.)  Zehn  Millionen  Kiihe  und  Gold  verteilte  er  an 
die  Brahmanen  und  gab  ihnen  dazu  soviel  Edelsteine,  wie 
beide  Hande  fassen  konnten. 

97.  (11821.)  Die  Herrschaft  iiber  die  Videha's  aber  iiber- 
gab  er  seinem  Sohne,  und  er,  der  Fiirst  von  Mithila,  betrieb 
fortan  die  Pflichten  eines  Asketen. 

98.  (11822.)  Und  indem  er  das  Saiikhyawissen  und  die 
gesamte  Yogadisziplin  studierte,  verschmahte  er  die  gemeine 
Beschaftigung,  iiber  Recht  und  Unrecht  zu  richten. 

99.  (11823.)  Ewig  bin  ich,  so  dachte  er,  und  ergab  sich 


-670  III.    Mokshadharma. 

fur  immer  dem  Absoluten,  aber  Recht  und  Unrecht,   Gutes 
und  Boses,  Wahrheit  und  Unwahrheit, 

100.  (11824.)  Geburt  und  Tod,  das  alles  erachtete  er  fiir 
gemein,  o  Fiirst  der  Konige.  Denn  dafs  das  alles  nur  das 
Unentfaltete  und  seine  Evolutionen  angehe,    o  Mannerfiirst, 

101.  (11825.)  das  sehen  die  Saiikhya's  und  die  Yoga's  ein 
und  schopfen  die  Beweise  dafiir  aus  ihren  Lehrbiichern.  Denn 
das  Brahman,  welches  hoher  als  das  Hochste  ist,  beharrt  in 
Freiheit  von  Erwiinschtem  und  Unerwiinschtem. 

102.  (11826.)  Es  ist  das,  welches  die  Weisen  das  Ewige, 
-das  Reine  nennen,  darum  werde  auch  du  rein.  Was  gegeben 
wird,  was  man  nimmt,  was  man  als  Gabe  sich  gefallen  lafst, 

103.  (11827.)  was  man  schenkt,  o  Fiirst,  und  empfangt, 
-das  alles  schenkt  und  empfangt  man  im  Bereiche  des  Un- 
entfalteten  [der  PrakritiJ. 

104.  (11828.)  Aber  der  Atman  gehort  nur  dem  Atman  an, 
welches  andere  gabe  es,  das  hoher  als  er  ware!  So  sollst 
du  allezeit  denken  und  dich  um  nichts  anderes  kiimmern. 

105.  (11829.)  Nur  fiir  denjenigen,  welcher  das  Unentfaltete 
nicht  kennt,  nicht  das  Gunahafte,  nicht  das  Gunalose,  der 
mag  immerhin  in  seiner  Weisheit  Badeplatze  besuchen  und 
Opfer  darbringen. 

106.  (11830.)  Aber  durch  kein  Vedastudium,  keine  Askese 
oder  Opfer,  o  Kurusprofs,  kann  man  die  Statte  des  Unentfal- 
teten  [hier  =  Purusha]  erreichen ;  nur  wer  ihn  erkennt,  gelangt 
zur  Herrlichkeit. 

107.  (11831.)  In  derselben  Weise  wird  einer  [je  nach  dem 
Grade  seiner  Erkenntnis]  die  Statte  des  Mahan  oder  die  des 
Ahankara  oder  andere  Statten  jenseits  des  Ahaiikara  erlangen. 

108.  (11832.)  Aber  nur  die,  welche  das  iiber  das  Unentfaltete 
[die  Prakriti]  erhabene  Ewige  auf  Grund  der  Lehre  erkennen, 
erlangen  das  von  Geburt  und  Tod  Freie,  jenes  Freie,  welches 
weder  seiend  noch  nichtseiend  ist. 

109.  (11833.)  Diese  Erkenntnis  habe  ich  vordem  von 
Janaka  erhalten,  dieser  aber  erhielt  sie,  o  Konig,  von 
Yajfiavalkya ;  die  Erkenntnis  ist  erhaben  iiber  den  Opfer- 
kultus,  durch  die  Erkenntnis  und  nicht  durch  Opfer  iiber- 
windet  man  alle  Schwierigkeiten. 


Adhy&ya  320  (B.  318).  67 1 

110.  (11834.)  Die  Schwierigkeiten  liegen  in  Geburt  und 
Tod,  sie  sind  nicht  blofs  stpff  licher  Art,  wie  die  Wissenden 
lehren,  darum  kann  man  durch  Opfer,  Askese,  Selbst- 
bezwingung  und  Geliibde  nur  einen  solchen  Himmel  er- 
langen,  von  dem  man  wieder  herabsinkt. 

111.  (11835.)  Somit  mogest  du  nur  das  Hochste,  Grofse, 
Reine  verehren,  die  selige  Befreiung,  die  fleckenlose  Lau- 
terung;  diese  Statte  erkennend,  o  Fiirst,  und  das  Opfer 
des  Wissens  als  die  Wahrheit  hochhaltend,  wirst  du  ein 
Rishi  werden. 

112.  (11836.)  Weil  jener  Yajnavalkya  vordem  dem 
Fiirsten  Janaka  die  Upanishad  iibermittelte  und  das  in 
ihr  behandelte  Ewige,  Unvergangliche,  darum  gelangte  er 
zu  der  herrlichen ,  leidlosen  Unsterblichkeit. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwiacben  Yajnavalkya  und  Janaka 
(Ydjfiaealkya  -Janaka  -  samudda). 


Adhyaya  331  (B.  319). 

Vers  1 1 837-1 1 851  (B.  1-15). 

Yudhishthira  spracli: 

1.  (11837.)  Wie  kann  einer,  der  sich  im  Besitze  grofser 
iibernatiirlicher  Krafte  oder  reicher  Giiter  oder  langer  Lebens- 
dauer  befindet,  dem  Tode  entgehen, 

2.  (11838.)  sei  es  durch  grofse  Askese  oder  Werke  oder 
Schriftgelehrsamkeit  ?  Oder  durch  welche  Lebensehxiere  kapn 
man  Alter  und  Tod  vermeiden? 

Bhishma  sprach: 

3.  (11839.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  des  bettelnd  umherpilgernden  Pancagikha 
Unterredung  mit  dem  Konige  Janaka. 

4.  (11840.)  Janaka,  der  Konig  von  Videha,  befragte  den 
iiberaus  vedakundigen  grofsen  Weisen  PaiicaQikha,  der  alle 
Zweifel  iiber  den  Sinn  des  Gesetzes  gelost  hatte: 

5.  (11841.)  Durch  welches  Verbal  ten,  o  Heiliger,  kann  man 


672  in.   Mokshadhama. , 

Alter  und  Tod  vermeiden,   sei  es  durch  Askese   oder  durch 
Einsicht  oder  durch  Werke  oder  durch  Schriftgelehrsamkeit  ? 

6.  (11842.)  Auf  diese  Frage  erwiderte  dem  Videhakonige 
er,  dessen  Wissen  bis  ins  Verhorgene  drang:  Zu  vermeiden 
sind  die  beiden  nicht,  und  doch  ist  es  nicht  unmoghch,  sie 
zu  vermeiden. 

7.  (11843.)  Nicht  kommen  die  Tage  wieder,  nicht  die  Mo- 
nate  und  nicht  die  Nachte,  und  der  Mensch,  ungewifs  wie 
er  ist,  geht  endhch  den  gewissen  Weg. 

8.  (11844.)  AUe  Wesen  fallen  der  Vernichtung  anhein;; 
wie  durch  einen  Strom  wird  man  immer  weiter  fortgerissen, 
und  dem,  der  fortgerissen  wird  und  untersinkt  auf  dem  schiff- 
losen  Ozean  der  Zeit, 

9.  (11845.)  in  dem  Alter  und  Tod  als  grofse  Krokodile 
hausen,  kommt  niemand  zu  Hilfe,  keiner  steht  ihm  zur  Seite, 
und  er  steht  keinem  zur  Seite 

10.  (11846.)  Nur  ein  Sichtreffen  auf  dem  Wege  ist  die 
Verbindung  mit  Gattinnen  und  Verwandten,  und  noch  nie  ist 
einer  gewesen,  der  mit  ihnen  ewig  zusammengewohnt  hatte. 

11.  (11847.)  Durch  den  Zeitgott  werden  sie  wieder  und 
wieder  bald  mit  diesem,  bald  mit  jenem  zusammengeweht 
unter  Donnern  wie  kommende  und  gehende  Wolkenmassen 
durch  den  Wind. 

12.  (11848.)  Alter  und  Tod  verschlingen  wie  Wolfe  die  Wesen, 
die  starken  und  die  schwachen,  die  kleinen  und  die  grofsen. 

13.  (11849.)  Aber  von  ewiger  Beschaffenheit  ist  der  in  diesen 
verganglichen  Wesen  in  die  Erscheinung  tretende  fhhidaj 
Atman.  Wie  sollte  der  Freude  an  dem  Entstehen  oder  Kummer 
iiber  das  Vergehen  empfmden! 

14.  (11850.)  Woher  bin  ich  gekommen?  wer  bin  ich?  wo- 
hin  werde  ich  gehen?  wem  gehore  ich  an?  worin  bin  ich 
gegriindet?  [Da  alle  diese  Fragen  den  Atman  nicht  betreffen,] 
wie  solltest  du  irgend  jemandem  nachtrauern? 

15.  (11851.)  Wer  anders  als  du  geht  dem  Himmel,  wer 
anders  der  Holle  entgegen !  Darum  iibertrete  nicht  das  heilige 
Gesetz,  sondern  sei  fleifsig  im  Spenden  und  Opfern. 

So  lautet  im  MokshadhaTma  die  Unterredung  zwischen  Panca^ikha  und  Janaka 
(Panca^ik/ia-Janaka  -  sauicdda). 


Adhyaya  322  (B.  320).  C73 

Aclhyaya  322  (B.  320). 

Vers  11852-12043  (B.  1-190). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (11852.)  Wer  vermag,  auch  ohne  den  Hausvaterstand 
aufzugeben,  die  Befreiung  von  der  Buddhi  [und  den  iibrigen 
Evolutionen  der  Prakriti]  als  das  Wesen  der  Erlosung  zu 
erlangen?  Das  sage  mir,  o  Bester  der  Konigsweisen  unter 
den  Kuru's. 

2.  (11853.)  Wie  dieser  [individuelle]  Atman  abgeschiittelt 
wird,  und  wie  das,  was  der  Atman  des  Entfalteten  [der  Korper] 
heifst,  und  was  das  hochste  Ziel  der  Erlosung  ist,  das  sage 
mir,  0  Grofsvater. 

Bhishma  sprach : 

3.  (11854.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  o  Bharata,  namlich  die  Unterredung  des  Janaka 
mit  der  Sulabha. 

4.  (11855.)  Es  war  einmal  ein  Konig,  der  die  Frucht  der 
Entsagung  genofs,  zu  Mithila  mit  Namen  Janaka  Dharma- 
dhvaja,  so  ist  es  iiberliefert. 

5.  (11856.)  Er,  der  sich  mit  dem  Veda,  mit  dem  Erlosmigs- 
gesetz  und  mit  seinem  eigenen  [Konigs-]  Gesetz  viele  Miihe 
gegeben  hatte,  regierte  sein  Land,  indem  er  seine  Sinne  in 
Zucht  hielt. 

6.  (11857.)  Von  seinem  guten  Wandel  horten  andere  veda- 
kundige,  weise  Manner  in  der  Welt  und  eiferten  ihm  nach, 
o  Herr  der  Manner. 

7.  (11858.)  Nun  geschah  es,  dafs  in  diesem  gerechten  Zeit- 
alter  eine  der  Yogasatzung  beflissene  Bettelnonne  mit  Namen 
Sulabha  allein  die  Welt  durchpilgerte. 

8.  (11859.)  Indem  sie  in  dieser  Weise  die  ganzeWelt  durch- 
streifte,  horte  sie  hier  und  da,  wie  der  Konig  von  Mithila 
von  Dreistabtragern  (Asketen)  in  betreff  der  Erlosung  ge- 
riihmt  wurde. 

9.  (11860.)  Als  sie  diese  schwer  glaubliche  Kunde  vernahm, 
zweifelte  sie  an  ihrer  Wahrheit,  und  es  stieg  in  ihr  der  Wunsch 
auf,  den  Janaka  kennen  zu  lernen. 

Deussen,  Mah4bh&ratam.  43 


674  in.    Mokshadharma. 

10.  (11861.)  Da  streifte  sie  durch  Yogazauberkunst  ihre 
friihere  Gestalt  ab  und  nahm  eine  andere  Gestalt  von  un- 
vergleichlicher  Korperschonheit  an. 

11.  (11862.)  Und  in  einem  Augenblick  flog  leicht  wie  ein  Pfeil 
die  Schonbrauige,  Lotosaugige  auf  die  Stadt  der  Videha's  zu. 

12.  (11863.)  Angelangt  in  dem  lieblichen,  von  vielen  Men- 
schen  erfiillten  Mithila,  nahte  sie  sich  unter  dem  Vorwande 
zu  betteln  dem  Fiirsten  der  Stadt. 

13.  (11864.)  Als  der  Konig  ihre  iiberaus  jugendliche  und 
schone  Gestalt  sah,  geriet  er  in  Erstaunen  und  fragte:  Wer 
ist  diese,  zu  wem  gehort  sie  und  wo  kommt  sie  her? 

14.  (11865.)  Nachdem  er  sie  willkommen  geheifsen  hatte, 
hot  er  ihr  einen  vorziiglichen  Sitz  an,  ehrte  sie  durch  Fufs- 
waschung  und  erquickte  sie  durch  vortreffliche  Speise. 

15.  (11866.)  Als  die  Bettelnonne  mit  Vergniigen  gegessen 
hatte,  unternahm  sie  es,  den  von  seinen  Raten  umgebenen 
Konig  inmitten  der  aller  Auslegungen  kundigen  Gelehrten 
anzustacheln, 

16.  (11867.)  und  zweifelnd,  ob  er  in  seiner  Pflichterfiillung 
der  Erlosung  teilhaftig  geworden  war  oder  nicht,  drang  die 
Sulabha  vermoge  ihrer  Yogakunst  mit  ihrer  Wesenheit  in 
die  Wesenheit  des  Konigs  ein. 

17.  (11868.)  Mit  den  Strahlen  ihrer  Augen  fesselte  sie  seine 
Augenstrahlen  und,  um  ihn  anzustacheln,  band  sie  ihn  durch 
die  Bande  des  Yoga. 

18.  (11869.)  Aber  der  Konig  Janaka  lachelte,  und  um  ihre 
Macht  zu  iiberwinden,  suchte  er  durch  seine  Macht  die  ihre 
zu  fesseln,  o  Bester  der  Konige. 

19.  (11870.)  Vernimm  nun,  welche  Unterredung  sie,  an 
demselben  Orte  zusammengekommen ,  miteinander  pflogen, 
wahrend  er  den  Sonnenschirm  und  die  iibrigen  Zeichen  der 
Konigswurde  und  sie  den  Dreistab  abgelegt  hatte. 

Janaka  sprach: 

20.  (11871.)  Zu  welchem  Zwecke  hast  du,  o  Heilige,  diese 
Pilgerschaft  unternommen,  wohin  willst  du  gehen,  zu  wem 
gehorst  du  und  woher  kommst  du?  So  befragte  sie  der  Herr 
des  Landes. 


Adbyaya  322  (B.  320).  675 

21.  (11872.)  Wie  es  mit  deiner  Schriftkunde,  deinem  Lebens- 
alter  und  deiner  Geburtsstellung  in  Wahrheit  steht,  ist  mir 
nicht  bewufst,  darum  mogest  du  iiber  diese  Dinge  bei  der 
Zusammenkunft  mit  mir  Aufschlufs  geben. 

22.  (11873.)  Wisse,  dafs  ich  den  Sonnenschirm  und  die 
iibrigen  Abzeichen  nicht  blofs  zum  Scheine  abgelegt  habe; 
ich  wiinsche  dich  dadurch  zu  ehren,  denn  du  verdienst  es 
und  wirst  von  mir  geehrt. 

23.  (11874.)  Vernimm,  von  wem  ich  dieses  hervorragende 
Wissen  als  einzigem  Lehrer  desselben  ehemals  empfangen 
habe,  vernimm  von  mir  auch  diese  Erlosungslehre. 

24.  (11875.)  Als  hochgeschatzter  Schiller  des  aus  der  Fa- 
milie  des  Paragara  stammenden  alten  hochsinnigen  Bettel- 
pilgers  Pancagikha 

25.  (11876.)  habe  ich  in  dem  Sankhyawissen  und  im  Yoga, 
sowie  auch  in  der  Lebensregel  der  Konige,  in  dieser  drei- 
fachen  Erlosungslehre  meinen  Weg  gefunden  und  alle  Zweifel 
gelost. 

26.  (11877.)  Wahrend  dieser,  umherpilgernd  nach  der  Vor- 
schrift  seines  Gesetzes,  die  vier  Regenmonate  hindurch  ehe- 
dem  bei  mir  gern  verweilte, 

27.  (11878.)  bin  ich  von  ihm,  dem  obersten  Meister  der 
Saiikhyalehre,  der  ihren  Sinn  vollkommen  und  der  Wahrheit 
gemafs  erkannt  hatte ,  in  jener  dreifachen  Erlosungslehre 
unterrichtet  und  doch  nicht  zum  Aufgeben  meiner  Konigs- 
wiirde  veranlafst  worden. 

28.  (11879.)  Und  diesen  ganzen  dreifachen,  zur  Erlosung 
fiihrenden  Lebenswandel  halte  ich  frei  von  Leidenschaft  ein 
als  einziger,  der  auf  einer  so  hohen  Stelle  steht. 

29.  (11880.)  Aber  die  hochste  Vorschrift  dieser  Erlosungs- 
lehre liegt  in  der  Entsagung,  und  die  Entsagung,  durch  die 
man  erlost  wird,  entspringt  aus  der  Erkenntnis. 

30.  (11881.)  Vermoge  der  Erkenntnis  legt  man  sich  An- 
strengung  auf,  durch  die  Anstrengung  wird  Grofses  erreicht, 
und  dieses  Grofse  fiihrt  zur  Erhabenheit  iiber  die  Gegensatze 
des  Lebens,  das  ist  die  Vollendung,  die  iiber  das  Leben 
hinausreicht. 

31.  (11882.)   Diese  hochste  Erhabenheit  iiber  die   Gegen- 

43* 


676  ni.    Mokshadharma. 

satze  ist  mir  aus  der  Erkenntnis  zuteil  geworden,  indem  ich 
frei  von  Verblendung  und  ohne  Weltanhanglichkeit  hienieden 
wandle. 

32.  (11883.)  Wie  ein  durchpfliigtes  und  wohlbewassertes 
Feld  die  Frucht  aufspriefsen  lafst,  so  erzeugt  das  Werk  der 
Menschen  ihre  abermalige  Geburt. 

33.  (11884.)  Und  wie  der  in  irgendeiner  Schale  gerostete 
Same,  auch  wenn  ihm  die  Gelegenheit  zu  spriefsen  geboten 
wird,  nicht  mehr  keimt,  weil  ihm  die  Samenkraft  fehlt, 

34.  (11885.)  so  ist  von  jenem  heiligen,  nach  der  Flamme 
fgikhdj  sich  nennenden  Bettelpilger  die  Erkenntnis  mir  mit- 
geteilt  worden,  infolge  deren  mein  der  Keimkraft  beraubtes 
Wesen  nicht  mehr  in  der  Sinnenwelt  spriefst. 

35.  (11886.)  Es  fiihlt  keine  Leidenschaft  bei  irgend  etwas, 
nicht  bei  Feindlichem,  nicht  bei  Angehorigem,  es  fiihlt  keine 
Leidenschaft  bei  all  dergleichen  wegen  der  Zwecklosigkeit 
der  Liebe  wie  des  Zornes. 

36.  (11887.)  Mag  einer  meinen  rechten  Arm  mit  Sandel- 
holzsalbe  bestreichen  oder  mag  einer  meinen  linken  Arm  ab- 
hauen,  —  mir  gelten  beide  gleich. 

37.  (11888.)  Ich  bin  gliicklich,  denn  ich  habe  das  Ziel  er- 
reicht;  mit  Gleichmut  blicke  ich  auf  Erdklumpen,  Steine  und 
Gold;  frei  von  Weltanhanglichkeit,  verharre  ich  in  meiner 
Konigsherrschaft ,  erhaben  iiber  die  anderen,  auch  wenn  sie 
als  Asketen  den  Dreistab  tragen. 

38.  (11889.)  Der  Erlosung  gegeniiber  wird  von  verschie- 
denen  Erlosungskundigsten  ein  dreifacher  Standpunkt  ein- 
genommen.  Sofern  das  Wissen  iiber  die  Welt  erhebt  und 
auf  alle  Werke  verzichtet, 

39.  (11890.)  preisen  die  einen  Erlosungskundigen  den  Stand- 
punkt des  Wissens;  andere  das  Geheime  schauende  Weise 
riihmen  den  Standpunkt  der  Werke; 

40.  (11891.)  aber  auf  beides  vollig  zu  verzichten,  auf  die 
Erkenntnis  und  auf  die  Werke,  dieser  dritte  Standpunkt  wurde 
von  jenem  Hochsinnigen  vertreten. 

41.  (11892.)  In  ihrem  Verbal  ten  zu  Zucht,  Selbstzucht,  Liebe, 
Hafs,  Umgebung,  Hochmut,  Trug  und  Welthang  stehen  jene 
da  [die  Asketen]  mit  den  Familienvatern  auf  einer  Linie. 


Adhy^ya  322  (B.  320).  677 

42.  (11893.)  Wenn  durch  die  Erkenntnis  irgendeiner  der 
dreistabtragenden  oder  sonstigen  Asketen  die  Eriosung  er- 
langt,  warum  soil  sie  nicht  auch  den  Inhabern  von  Sonnen- 
schirmen  und  anderen  koniglichen  Abzeichen  erreichbar  sein, 
wofern  beide  auf  dem  gleichen  Grunde  stehen! 

43.  (11894.)  Aus  welchem  Grunde  auch  immer  einer  bei 
einem  Werke  hienieden  einen  Zweck  verfolgen  mag,  immer 
befafst  er  sich  mit  diesem  Werke  so,  dafs  er  in  jeder  Hin- 
sicht  seinen  Zweck  im  Auge  hat. 

44.  (11895.)  Wer  aber  den  Hausvaterstand  fiir  siindhaft 
halt  und  darum  zu  einem  andern  Lebensstadium  iibergeht, 
der  beweist  durch  sein  Loslassen  des  einen  und  Ergreifen 
des  andern,  dafs  er  noch  nicht  frei  von  Welthang  ist. 

45.  (11896.)  Da  ferner  der  Konig  und  der  Bettelpilger  in 
gleicher  Weise  Herrschaft  im  Bestrafen  und  Belohnen  aus- 
iiben  [der  eine  bei  seinen  Untertanen,  der  andere  bei  seinen 
Schiilern],  warum  sollen  denn  die  mit  den  Konigen  auf  einer 
Linie  stehenden  Bettler  den  Vorzug  der  Eriosung  haben? 

46.  (11897.)  Obgleich  also  bei  beiden  eine  Herrscherstellung 
vorliegt,  werden  sie  durch  die  Erkenntnis  allein  von  allem 
Ubel  erlost,  sofern  sie  in  der  hochsten  Persbnlichkeit  [des 
Purusha]  feststehen. 

47.  (11898.)  Das  braune  Bettlergewand,  die  Kahlkopfigkeit, 
der  Dreistab  und  der  Wasserkrug  sind  nur  nebensachliche 
Abzeichen  und  helfen  nichts  zur  Eriosung,  das  ist  meine 
Meinung. 

48.  (11899.)  Wenn  nun  auch  da,  wo  diese  Abzeichen  vor- 
handen  sind,  nur  die  Erkenntnis  die  Eriosung  bewirkt,  so 
folgt  daraus,  dafs  fiir  die  Eriosung  vom  Leiden  diese  Ab- 
zeichen allein  ohne  Bedeutung  sind. 

49.  (11900.)  Wenn  man  hingegen  hinsichtlich  der  Befreiung 
vom  Leiden  auf  aufsere  Abzeichen  iiberhaupt  einen  Wert  legt, 
warum  sollen  bei  der  Gleichheit  des  Zweckes  nicht  auch  die 
Konigsabzeichen  als  Mittel  anerkannt  werden? 

50.  (11901.)  In  der  Besitzlosigkeit  liegt  noch  nicht  die  Er- 
iosung, in  dem  Besitze  noch  nicht  die  Bindung,  beim  Besitz 
wie  beim  Gegenteil  wird  der  Mensch  nur  durch  die  Er-- 
kenntnis  erlost. 


678  HI.    Moksliadharma. 

51.  (11902.)  Darum  wisse,  dafs  trotz  des  Guten,  Angenehmen 
und  Niitzlichen,  trotz  des  Konigtums  und  allem  Zubehor,  trotz 
dieser  Anlasse  zur  Bindung  einer  auf  dem  von  der  Bindung 
erlosten  Standpunkt  stehen  kann. 

52.  (11903.)  DieStricke,welclie  ausKonigtum  und  Herrscher- 
macht  geflochten  sind,  welche  an  den  Boden  des  Welthanges 
uns  binden,  sind  von  mir  durch  das  am  Stein  der  Erlosung 
gewetzte  Messer  der  Entsagung  durchschnitten  worden. 

53.  (11904.)  Auf  diesem  Wege  bin  ich  zur  Erlosung  gelangt. 
Ich  nehme  Interesse  an  dir,  o  Bettelnonne,  und  darum  mochte 
ich  dir  sagen,  dafs  dein  Aufseres  nicht  mit  deinem  Zwecke 
in  Einklang  steht;  bore,  warum. 

54.  (11905.)  Zartheit,  Schonheit,  herrliche  Gestalt  und 
Jugend,  das  alles  ist  dir  eigen;  ob  aber  auch  Selbst- 
bezwingung,  das  ist  die  Frage. 

55.  (11906.)  Dafs  jedenfalls  dein  Betragen  nicht  zu  diesem 
deinem  Aufzuge  stimmt,  [ergibt  sich  daraus,  dafs]  du,  um 
zu  ermitteln,  ob  ich  erlost  sei  oder  nicht,  in  meinen  Wesens- 
bereich  eingedrungen  bist. 

56.  (11907.)  Einem  Yogin,  der  noch  mit  Begierde  behaftet 
ist,  ist  auch  der  Dreistab  [tridandakam  mit  C.)  nichts  nutze. 
Diese  Kegel  wird  von  dir  nicht  beobachtet,  wer  aber  wirk- 
lich  erlost  ist  [vimuktasya  mit  C),  der  pflegt  auf  seiner  Hut 
zu  sein. 

57.  (11908.)  Da  du  dich  an  mich  herangedrangt  hast,  so 
hore,  welcher  Ubertretung  ich  dir  schuld  gebe,  die  du  eigen- 
machtig  in  meinen  bisherigen  Wesensbereich  eingedrungen  bist. 

58.  (11909.)  Mit  welchem  Rechte  bist  du  in  mein  Reich,  in 
meine  Stadt  gekommen?  auf  wessen  Veranlassung  bist  du  in 
mein  Herz  eingedrungen? 

59.  (11910.)  Du  als  Brahmanin  bist  die  trefflichste  Ver- 
treterin  der  obersten  Kaste,  ich  aber  bin  ein  Kshatriya,  eine 
Verbindung  zwischen  uns  beiden  ist  nicht  statthaft,  strebe 
nicht  nach  Kastenvermischung. 

60.  (11911.)  Du  befolgst  die  Satzung  der  Erlosung  und  ich 
gehore  dem  Lebensstadium  des  Hausvaters  an,  und  auch  zum 
zweiten  wiirde  eine  Vermischung  dieser  Lebensstadien  fiir  dich 
sehr  iibel  sein. 


Adhyaya  322  (B.  320).  679 

61.  (11912.)  Ob  du  zu  meinem  Familienkreis  gehorst  oder 
nicht,  das  weifs  ich  nicht  von  dir  und  du  weifst  es  nicht  von 
mir;  durch  dein  Eingehen  in  einen,  der  demselben  Familien- 
kreise  angeliort,  wiirde  von  dir  als  drittes  das  Vergehen  der 
Vermischung  innerhalb  des  Familienkreises  begangen  werden. 

62.  (11913.)  Aber  vielleicht  lebt  dein  Gatte  und  weilt  nur 
irgendwo  in  der  Feme,  dann  wiirde  nach  der  Vorschrift,  dafs 
man  der  Gattin  eines  andern  nicht  nahen  darf,  noch  als  viertes 
Vergehen  eine  Verwirrung  des  Gesetzes  eintreten. 

63.  (11914.)  Zu  diesen  Vergehen  hast  du  dich  um  eines 
bestimmten  Zweckes  willen  fortreifsen  lassen,  sei  es  aus  Un- 
kenntnis,  sei  es  aus  Irrtum. 

64.  (11915.)  Oder  hast  du  dich  etwa  durch  eigene  Schuld 
[von  dem  Gesetze,  welches  fordert,  dafs  ein  Weib  stets  ab- 
hangig  bleibe]  emanzipiert,  nun,  dann  ist  all  dein  Vedastudium, 
soviel  du  davon  haben  magst,  vergebens  gewesen. 

65.  (11916.)  Und  dies  ist  ein  neuer,  dritter  Vorwurf  gegen 
dich,  dafs  du  mein  Wesen  antastest  und  dadurch  storst;  und 
das  ist  das  Kennzeichen  eines  schlechten  Weibes,  welches 
durch  dein  unverhiilltes  Benehmen  an  den  Tag  gekommen  ist. 

66.  (11917.)  Und  du,  indem  du  zu  triumphieren  wiinschest, 
richtest  bei  deinem  Triumphe  deine  Absicht  nicht  auf  mich 
allein,  sondern  du  strebst  danach,  auch  iiber  diese  meine 
ganze  Umgebung  zu  triumphieren. 

67.  (11918.)  Und  in  dieser  Weise  richtest  du  weiter  dein 
Augenmerk  auf  diese  wiirdigen  Manner,  um  meine  Partei 
niederzuwerfen  und  deine  Partei  zu  heben. 

68.  (11919.)  Du  aber,  verblendet  durch  die  aus  Ubelwollen 
gegen  mich  entsprungene  Machtverblendung,  schiittest  noch 
immer  weiter  deine  Yogakiinste  aus,  als  Gift  und  Amritam 
zugleich. 

69.  (11 920.)  Wenn  Mann  und  Weib,  die  einander  begehren, 
das  Ziel  erreichen,  so  ist  das  dem  Amritam  vergleichbar ;  wenn 
aber  ein  Verliebter  das  Ziel  seiner  Wiinsche  nicht  erlangen 
kann,  so  ist  das  ein  Ungliick,  welches  dem  Gifte  gleichkommt. 

70.  (11921.)  Weiche  nicht  ab  vom  geraden  Wege,  sei  weise 
und  befolge  deine  Lebensregel,  denn  deine  Neugierde  daruber, 
ob  ich  erlost  bin  oder  nicht,  ist  ja  befriedigt  worden. 


680  III.    Mokshadharma. 

71.  (11922.)  Nun  darfst  du  aber  auch  alle  deine  Geheim- 
nisse  nicht  vor  mir  verbergen  {guhitum  mit  C).  Magst  du 
auf  eigene  Veranlassung  oder  auf  die  eines  andern  Fiirsten 
hier  sein,  (11023.)  du  darfst  vor  mir  nicht  die  Wahrheit  ver- 
bergen, indem  du  dich  mit  falschem  Schein  umhiillst. 

72.  Einem  Konige  darf  man  nie  mit  Falschheit  begegnen, 
noch  auch  einem  Brahmanen,  (11924.)  noch  einer  mit  weib- 
lichen  Tugenden  gezierten  Frau,  denn  wer  si  eh  mit  einem 
falschen  Schein  umgibt,  der  schadigt. 

73.  Die  Kraft  des  Konigs  besteht  in  der  Herrschaft,  die 
des  Brahmankenners  im  Brahman,  (11925.)  die  grofste  Kraft 
der  Frauen  besteht  in  ihrem  Begliicktsein  mit  Schonheit  und 
Jugend. 

74.  Darum  mufs,  wer  seinen  Zweck  erreichen  will,  die 
durch  solche  Krafte  Machtigen  (11926.)  mit  Geradheit  angehen, 
denn  der  ungerade  Weg  fiihrt  zum  Verderben. 

75.  Darum  mufst  du  deine  Geburt,  Schriftgelehrsamkeit, 
Lebensregel,  Macht,  Natur  (11 927.)  und  den  Zweck  deines  Her- 
kommens  der  Wahrheit  gemafs  mitteilen. 

Bhishma  sprach: 

76.  (11928.)  Obgleich  mit  diesen  unfreundlichen,  unpassen- 
den,  uniiberlegten  Worten  vom  Konige  abgewiesen,  liefs  sich 
die  Sulabha  doch  nicht  einschiichtern. 

77.  (11929.)  Nachdem  aber  der  Konig  seine  Rede  geendet 
hatte,  begann  die  lieblich  aussehende  Sulabha  eine  noch 
lieblichere  Rede  zu  halten. 

Sulabha  sprach: 

78.  (11930.)  Eine  von  den  achtzehn.  Rede  und  Gedanken 
verderbenden  Fehlern  freie,  inhaltreiche ,  mit  den  achtzehn 
Vorziigen  geschmtickte 

79.  (11931.)  Subtilitat,  ferner  Uberlegtheit  und  Ord- 
nung,  sowie  Klarlieit  des  Resultates  und  Motiv,  diese 
fiinf,  durch  den  Zweck  bedingten  Erfordernisse,  o  Fiirst, 
machen  eine  Rede  aus. 

80.  (11 932.)  Von  diesen  Erfordernissen,  der  Subtihtat  usw., 
welche  in  Begriff,  Wort  und  Satz  zum  Ausdruck  kommen, 
vernimm  im  einzelnen  die  Definition. 


Adhy^ya  322  (B.  320).  681 

81.  (ii9.:i3.)  Wenn  die  Erkenntnis  je  nach  den  verschie- 
denen  Erkenntnisobjekten  sich  verschieden  gestaltet  und  der 
Verstand  iiberall  dabei  tatig  ist,  so  macht  das  die  Subtilitat 
der  Eede  aus. 

82.  (11934.)  Wenn  man  im  Hinblick  auf  einen  bestimmten 
Zweck  die  Tragweite  der  Fehler  und  Vorziige  beim  Reden  sich  im 
einzelnen  klar  macht,  so  ist  dies  als  Uberlegtheit  anzusehen. 

83.  (11935.)  Von  dem,  was  man  sagen  will,  mufs  dies  vor- 
her  und  jenes  nachher  gesagt  werden ;  das  nennen  die  Kenner 
der  Beredsamkeit  eine  in  Ordnung  verlaufende  Rede. 

84.  (11936.)  Wenn  man  im  einzelnen  iiber  Gutes,  An- 
genehmes,  Niitzliches  oder  iiber  die  Erlosung  sich  verbreitet 
hat  und  am  Schlusse  der  Rede  sagen  kann:  „so  ist  es",  so 
wird  das  die  Klarheit  des  Resultates  genannt. 

85.  (11937.)  Wenn  infolge  der  aus  Wunscli  und  Hafs  ent- 
springenden  Affekte  eine  iiberwiegende  Neigung  sich  einstellt 
und  diese  sich  im  Handeln  betatigt,  o  Fiirst,  so  wird  dieses 
das  Motiv  genannt. 

86.  (11938.)  Diese  genannten  fiinf  Erfordernisse,  Subtili- 
tat usw.,  zu  einem  Zwecke  vereinigt,  sollst  du  als  meine 
Eede,  o  Fiirst,  vernehmen. 

87.  (11939.)  Ich  will  dir  eine  sinnreiche,  unzweideutige, 
regelrechte,  nicht  weitschweifige,  milde,  zweifelsfreie,  vorziig- 
liche  Rede  halten, 

88.  (11940.)  eine  nicht  schwerfallige,  nicht  der  Heiterkeit 
abgeneigte,  wahre,  nicht  dem  Guten,  Angenehmen  und  Niitz- 
lichen  zuwiderlaufende,  nicht  des  Schmuckes  entbehrende, 

89.  (11941.)  eine  nicht  unvollstandige,  nicht  hafsliche  Worte 
enthaltende,  nicht  hochfahrende,  nicht  wegen  bildlicher  Aus- 
drucksweise  erklarungsbediirftige,  nicht  der  Begriindung  ent- 
behrende, nicht  unmotivierte. 

90.  (11942.)  Hingegen  werde  ich  nie  in  meiner  Rede  mich 
von  Begierde,  Zorn,  Furcht,  Habsucht  und  unedlem  Klein- 
mute,  noch  auch  von  Schiichternheit ,  Mitleid  und  Hochmut 
beherrschen  lassen. 

91.  (11943.)  Wenn  Redner,  Horer  und  die  vollstandige  Rede 
harmonisch  beim  Reden  zusammenstimmt,  o  Fiirst,  dann  tritt 
der  beabsichtigte  Sinn  zutage. 


682  m.   Mokshadharma. 

92.  (11944.)  Wenn  hingegen  der  Redner  in  der  Rede  Ver- 
achtung  des  Horenden  bekundet,  indem  er  nur  sein  Interesse 
vertritt  und  dieses  fiir  das  Interesse  des  andern  ausgibt,  dann 
kann  die  Rede  nicht  wirken. 

93.  (11945.)  Wenn  er  aber  sein  eigenes  Interesse  ganz  ver- 
leugnet  und  nur  das  Interesse  des  andern  vertritt,  dann  fafst  man 
Mifstrauen  gegen  ihn,  und  auch  eine  solche  Rede  ist  verfehlt. 

94.  (11946.)  Wenn  dagegen  der  Redner  das  beiderseitige 
Interesse,  das  des  Horenden  und  sein  eigenes,  als  in  Ein- 
klang  stehend  nachweist,  ein  solcher  und  kein  anderer  ist 
der  wahre  Redner,  o  Konig. 

95.  (11947.)  So  hore  denn,  o  Konig,  diese  sachgemafse 
Auseinandersetzung.  Wie  Leim  und  Holz,  wie  Staub  und 
Wassertropfen 

96.  (11948.)  miteinander  verbunden  sind,  so  ist  es  auch, 
o  Konig,  mit  der  Zusammensetzung  der  lebenden  Wesen  in 
dieser  Welt.  Ton,  Gefiihl,  Geschmack,  Gesicht  und  Geruch 
sind  die  fiinf  Sinne; 

97.  (11949.)  ihre  besonderen  Wesenheiten  sind  zu  einer 
Wesenheit  verbunden  wie  Leim  und  Holz.  Aber  sie  haben 
durchaus  keinen  Einflufs  aufeinander,  das  ist  klar. 

98.  (11950.)  Jedes  einzelne  von  ihnen  hat  kein  Bewufstsein, 
weder  von  sich  selbst,  noch  von  dem  andern :  das  Auge  weifs 
nicht,  dafs  es  Auge  ist,  das  Ohr  hat  keine  Kunde  von  sich  selbst. 

99.  (11951.)  Dennoch  iiberschreiten  sie  bei  ihrem  Wirken 
nicht  ihre  Grenzen,  obgleich  sie  kein  Bewufstsein  davon 
haben,  miteinander  verbunden  zu  sein  wie  Wasser  und  Staub. 

100.  (11952.)  Hingegen  stehen  sie  in  Beziehung  zu  anderen 
Dingen  aufser  ihnen,  namlich  zu  den  Qualitaten;  vernimm 
auch  diese  von  mir.  Die  Gestalt,  das  Auge  und  das  Licht 
wirken  als  drei  Ursachen  beim  Sehen  zusammen. 

101.  (11953.)  Wie  in  diesem  Falle,  so  wirken  auch  bei 
den  anderen  Erkenntnisobjekten  die  entsprechenden  Ursachen 
zusammen,  und  bei  diesem  Gegensatze  zwischen  Erkenntnis 
und  Erkenntnisobjekt  tritt  eine  hohere  Qualitat  in  Kraft, 
welche  das  Manas  heifst. 

102.  (11954.)  Indem  sie  iiberlegt  bei  dem  Entscheiden  iiber 
Gutes  und  Boses,  tritt  hierbei  eine  zwolfte  Qualitat  in  Kraft, 


Adhyaya  322  (B.  320).  683 

welche  Buddhi  heifst    (11955.)  und  nach  vorhergegangenem 
Zweifel  liber  die  Erkenntnisobjekte  die  Entscheidung  trifft. 

103.  ijber  diese  zwolfte  Qualitat  erhebt  sich  eine  andere, 
welche  Sattvam  genannt  wird  (ii956.)  und  nach  welcher  der 
Mensch  beurteilt  wird  als  reich  an  Sattvam  oder  arm  an 
Sattvam. 

104.  Ich  bin  der  Tater  faham  JcartdJ,  so  spricht  eine 
weitere,  vierzehnte  Qualitat,  [sie  heifst  Ahaiikara]  (11957.)  weil 
sie  sagt,  dieser  Mensch  gehort  mir  und  jener  gehort  mir  nicht. 

105.  Dann  folgt,  o  Konig,  eine  funfzehnte  hohere  Quali- 
tat, (11958.)  welche  bezeichnet  wird  als  der  Inbegriff  der 
Summe  der  verschiedenen  Telle. 

106.  Dann  folgt  als  sechzehnte  eine  weitere  Qualitat, 
welche  gleichsam  ein  Aggregat  ist  [nach  Nil.  die  Avidya], 
(11959.)  auf  welche  zwei  weitere  Qualitaten,  namlich  Prakriti 
und  Vyakti  (Entfaltung)  sich  stiitzen. 

107.  Lust  und  Unlust,  Alter  und  Tod,  Gewinn  und  Ver- 
lust,  Liebes  und  Unliebes,  (ii960.)  in  diesen  besteht  die  neun- 
zehnte  Qualitat,  welche  diePaarungderGegensatze  heifst. 

108.  Hoher  als  die  neunzehn  steht  eine  weitere  Qualitat, 
welche  Kala  (die  Zeit)  genannt  wird,  (ii96i.)  durch  sie  als 
die  zwanzigste  sind  Entstehen  und  Vergang  der  Wesen  bedingt. 

109.  Dieser  zwanzigfache  Komplex,  dazu  die  fiinf  grofsen 
Elemente  (ii96'2.)  und  zwei  andere  zum  Vorschein  kommende 
Qualitaten,  welche  mit  dem  Charakter  des  Seienden  und 
Nichtseienden  behaftet  sind, 

110.  dieser  zwanzigfache  Komplex  und  dazu  die  sieben 
erwahnten  Qualitaten,  (11 963.)  ferner  Vidhi  (moralischer  Exi- 
stenzgrund),  Qukram  (Eintritt  ins  Dasein  durch  Zeugung) 
und  Balam  (Betatigung  im  Dasein)  als  drei  weitere  Guna's,  — 

111.  das  sind  alles  in  allem  zusammengezahlt  dreifsig 
Qualitaten;  (11 964.)  dasjenige,  worin  diese  samtlich  sich  zu- 
sammengefunden  haben,  wird  Leib  genannt. 

112.  Manche  nehmen  an,  dafs  der  Urgrund  fprakritij 
dieser  [dreifsig]  Bestandteile  ein  Unoffenbares  [avyaktam  meta- 
physisch  Reales]  ist,  (11 965.)  andere  hingegen  von  plumperm 
Verstande  sehen  den  Urgrund  derselben  in  einem  Offenbaren 
[empirisch  Realem]. 


684  in.    Mokshadharma. 

113.  Mag  man  nun  aber  ein  Unoffenbares  oder  Offen- 
bares  oder  alle  beide  oder  eine  Vierheit  von  Urgriinden  an- 
setzen,  (11966.)  unter  alien  Umstanden  nehmen  die  Kenner  des 
innern  Selbstes  einen  Urgrund  aller  Wesen  an. 

114.  Und  dieser  unoffenbare  Urgrund  kommt  durch  die 
[dreifsig]  Bestandteile  zur  Offenbarung  (ii967.)  als  ich  und  du, 
o  Fiirst  der  Konige,  und  als  alle  anderen  Verkorperten. 

115.  Es  sind  die  in  der  Injektion  des  Tropfens  usw.  be- 
^tehenden,  an  das  Vorhandensein  von  Same  und  Blut  ge- 
kniipften  Bedingungen,  (ii968.)  durch  deren  Eintreten  das 
entsteht,  was  man  den  Keim  fkalalamj  nennt. 

116.  Aus  dem  Keim  entsteht  die  Keimblase  fbudbudamj, 
aus  dieser  der  Fotus  fpegij,  (ii969.)  aus  dem  Fotus  entwickeln 
sich  nach  und  nach  die  Glieder,  und  aus  den  Gliedern  Nagel 
und  Haare. 

117.  Nach  Ablauf  des  neunten  Monats  erfolgt  fiir  das 
entstandene  Wesen,  o  Fiirst  von  Mithila,  (11970.)  die  Geburt 
in  der  Welt  der  Namen  und  Gestalten,  je  nach  dem  Ge- 
schlechtszeichen  als  Weib  oder  Mann. 

118.  Wahrend  man  die  eben  geborene  Gestalt  als  kupfer- 
farbig  an  Nageln  und  Fingern  wahrnimmt,  (11971.)  so  ist  dies 
an  der  aus  dieser  Gestalt  sich  fortentwickelten  Kindgestalt 
nicht  weiter  zu  bemerken. 

119.  Aus  der  Kindheit  geht  die  Jugend,  aus  der  Jugend 
das  Alter  hervor,  (11972.)  und  bei  dieser  stufenweisen  Entwick- 
lung  wird  das  jedesmal  Friihere  nicht  mehr  wahrgenommen. 

120.  An  den  fiir  ihre  besonderen  Zwecke  bestimmten 
[dreifsig]  Bestandteilen  fmden  von  Augenblick  zu  Augenblick 
Veranderungen  (11 973.)  bei  alien  Wesen  statt,  welche  jedoch 
wegen  ihrer  Kleinheit  nicht  wahrgenommen  werden. 

121.  Weder  ihr  Vergehen,  noch  ihre  Neubildung  ist, 
o  Konig,  (11974.)  in  den  verschiedenen  Zustanden  bemerkbar, 
so  wenig  wie  die  Veranderung  der  Flamme  in  einer  brennenden 
Lampe. 

122.  Da  nun  diese  ganze  Welt  in  einem  solchen  Pro- 
zesse  begriffen  ist,  unaufhorlich  wie  ein  tiichtiges  Rofs  dahin- 
zustiirmen,  (11975.)  wer  sollte  da  irgendwoher  stammen  oder 
nicht  stammen? 


Adhyaya  322  (B.  320).  685 

123.  wem  sollte  da  irgend  etwas  angehoren  oder  nicht 
angehoren?  woher  sollte  irgend  etwas  kommen  oder  nicht 
kommen?  (ii976.)  welcher  Zusammenhang  sollte  da  zwischen 
den  Wesen,  ja  audi  nur  zwischen  den  Gliedern  des  eigenen 
Leibes  bestehen? 

124.  Wie  das  Feuer  aus  Sonne,  Edelstein  oder  Holz  [die 
von  ihm  ganz  verschieden  sind]  entspringt,  (11977.)  so  ent- 
springen  die  Wesen  aus  dem  Zusammentreffen  der  [von  ihnen 
ganz  verschiedenen  dreifsig]  Bestandteile. 

125.  So  gut  wie  du  in  deinem  Selbste  durch  dein  Selbst 
dein  Selbst  siehst,  (11978.)  und  wie  du  hierbei  durch  dein 
Selbst  das  [allgemeine]  Selbst  siehst,  warum  solltest  du  nicht 
ebenso  in  einem  andern  durch  dein  Selbst  das  [allgemeine] 
Selbst  sehen! 

126.  (11979.)  Und  wenn  du  in  einem  fremden  Selbste  die 
Identitat  [mit  dem  allgemeinen  Selbste]  feststellst,  warum 
fragst  du  mich  dann,  wer  ich  sei  und  wem  ich  angehore? 

127.  (11980.)  Fur  einen,  der  sich  von  solchen  Gegensatzen, 
wie:  „dies  ist  mein",  „dies  ist  nicht  mein",  losgelost  hat, 
o  Herr  von  Mithila,  welchen  Zweck  haben  fiir  einen  solchen  die 
Fragen :  Wer  bist  du,  wem  gehorst  du  an,  woher  kommst  du  ? 

128.  (11981.)  Wer  als  Konig  im  Sieg,  Frieden  und  Krieg 
mit  Feinden,  Freunden  und  Neutralen  zu  tun  hat,  welches 
Merkmal  des  Erlosten  ware  wohl  bei  dem  zu  finden! 

129.  (11982.)  Wer  nicht  imstande  ist,  in  den  Werken  die 
Dreischar  [des  Guten,  Angenehmen  und  Niitzlichen]  in  ihrer 
siebenfachen  Kombination  [einzeln,  paarweise  und  zu  dreien] 
zu  durchschauen ,  sondern  noch  an  dieser  Dreischar  hangt, 
welches  Merkmal  des  Erlosten  ware  wohl  bei  dem  zu  finden ! 

130.  (fehit  In  c.)  Wer  auf  Liebes  und  Unliebes,  auf  Starkes 
und  Schwaches  nicht  mit  gleichem  Blicke  sieht,  welches  Merk- 
mal des  Erlosten  ware  wohl  bei  dem  zu  finden! 

131.  (11983.)  Darum  bist  du  nicht  geeignet  fiir  die  Er- 
losung,  —  der  W^ahn,  sie  zu  besitzen,  o  Fiirst,  mufs  von 
deinen  Freunden  unterdriickt  werden  —  nicht  geeignet,  wie 
einer,  der  keine  Diat  halt,  fiir  die  Arznei. 

132.  (11984.)  Nur  der,  o  Feindbez winger,  welcher  alle  mog- 
lichen  Anlasse  zum  Welthange  samt  und  senders  schon  in 


686  ni.   Mokshadharma. 

sich  selbst  durch  sich  selbst  befriedigt  findet  [vgl.  Chand.  Up. 
8,3,2],  nur  der  besitzt  das  Merkmal  des  Erlosten. 

133.  (11985.)  Diese  Anlasse  zum  Welthange  und  manche 
andere  schwer  bemerkbare,  die  sich  in  vier  Arten  sondern 
[Schlaf,  Sinnengenufs,  Nahrung,  Kleidung],  will  ich  dir  vom 
Standpunkte  der  Eriosung  aus  erklaren. 

134.  (11986.)  Auch  wenn  einer  diese  ganze  Erde  als  Allein- 
herrscher  regierte,  so  miirste  ein  solcher  Konig  doch  als  ein 
einzelner  Mensch  in  einer  bestimmten  Stadt  Wohnung  nehmen. 

135.  (11987.)  Und  in  dieser  Stadt  ist  es  doch  nur  ein  Haus, 
welches  er  bewohnen  kann,  und  in  dem  Hause  ist  es  nur  ein 
Bett,  in  dem  er  nachts  ruhen  kann. 

136.  (11988.)  Und  die  Halfte  dieses  Bettes  hat  schon  vor- 
her  die  Frau  in  Besitz  genommen.  Darum  wird  er  nur  unter 
diesen  Einschrankungen  des  Genusses  seiner  Macht  teilhaftig. 

137.  (11989.)  Ebenso  steht  es  fiir  ihn  in  Sinnengenufs, 
Nahrung  und  Kleidung  und  in  den  beschrankten  Machtmitteln, 
zu  strafen  und  zu  lohnen. 

138.  (11990.)  Immer  ist  der  Konig  abhangig,  schon  in 
kleinen  Sachen  ist  er  nicht  frei,  und  wenn  es  sich  erst  um 
Krieg  und  Frieden  handelt,  wie  konnte  er  da  unabhangig  sein? 

139.  (11991.)  Bei  Weibern,  Spiel  und  Erholung  zeigt  sich 
iiberall  die  Abhangigkeit  des  Konigs,  und  vollends  bei  der 
Beratung  im  Ministerrat,  wo  bleibt  da  seine  Unabhangigkeit  ? 

140.  (11992.)  Man  behauptet  wohl,  der  Konig  sei  frei,  wenn 
er  anderen  Befehle  gibt,  aber  er  wird  gezwungen,  gegen  seinen 
Willen  zu  handeln,  indem  er  dem  jedesmaligen  Augenblicke 
gehorcht. 

141.  (11993.)  Er  mochte  schlafen  und  kann  keinen  Schlaf 
finden  wegen  der  Menschen,  die  seiner  Befehle  barren,  und  hat 
er  sich  losgemacht  und  ist  auf  seinem  Lager  entschlummert, 
so  wird  er  gegen  seinen  Willen  wieder  aufgeweckt. 

142.  (11994.)  Bade  dich,  opfere,  trinke,  ifs,  giefse  den  Opfer- 
trank  aus,  verehre  die  heiligen  Feuer,  rede,  hore,  durch  diese 
Worte  wird  er  wider  Willen  von  anderen  zum  Handeln  ge- 
bracht. 

143.  (11995.)  In  dieser  Weise  iiberlaufen  ihn  immerfort 
die  Leute  und  bedrangen  ihn  mit  Bitten,  aber  als  Hiiter  des 


Adhyaya  322  (B.  320).  687 

Staatsschatzes  kann  er  nicht  einmal  hochverdiente  Manner 
befriedigen. 

144.  (11996.)  Wenn  er  schenkt,  leert  sich  seine  Schatz- 
kammer,  und  sogar  Feindschaft  zieht  er  sich  durch  seine 
Gaben  zu,  dann  iiberkommen  ihn  alsbald  Verstimmungen,  die 
ihn  seiner  Herrschaft  uberdriissig  machen. 

145.  (11997.)  Gegen  Weise,  Helden  und  Reiehe,  auch  wenn 
sie  allein  stehen,  hegt  er  Argwohn;  und  ist  er  vor  diesen 
sicher,  mufs  er  sich  sogar  vor  denen  fiirchten,  die  ihn  be- 
standig  verehren. 

146.  (11998.)  So  kann  es  geschehen,  o  Konig,  dafs  die 
Erwahnten  ihm  abtriinnig  werden,  und  du  kannst  dir  denken, 
wie  sehr  er  dann  Grund  hat,  sich  vor  ihnen  zu  fiirchten. 

147.  (11999.)  Jeder  ist  in  seinem  Hause  Konig,  denn  jeder 
Hausvater,  wenn  er  in  seinem  Hause  straft  oder  lohnt,  ist, 
o  Janaka,  dem  Konige  vergleichbar. 

148.  (12000.)  Auch  der  Konig  hat  Sohne,  Gattinnen  und 
die  eigene  Person,  Schatze,  Freunde  und  Vorrate,  das  alles 
hat  er  ebenso  wie  die  anderen,  sci  es  aus  diesem  oder  jenem 
Grunde. 

149.  (12001.)  Wenn  sein  Land  verwiistet,  seine  Stadt  ab- 
gebrannt,  sein  bester  Elefant  gestorben  ist,  so  wird  er  bei 
diesen  allgemein  menschhchen  Ungliicksfallen  infolge  der  irr- 
tuniHchen  Erkenntnis  gequalt. 

150.  (12  002.)  Nicht  befreit  von  geistigen  Leiden,  wie  sie 
aus  Liebe,  Hafs  und  Furcht  entspringen,  von  Kopfschmerzen 
und  anderen  Krankheiten,  die  ihn  so  gut  wie  andere  befallen, 

151.  (12003.)  von  diesen  und  jenen  Gegensatzen  bedrangt 
und  immerfort  in  Furcht,  hangt  er  doch  an  seiner  viel  an- 
gefeindeten  Herrschaft,  die  Nachte  zahlend  (durchwachend). 

152.  (12004.)  Die  iiberaus  wenig  Freude  bietende,  viel 
Leiden  auferlegende,  wertlose,  einem  Strohfeuer  vergleichbare, 
einer  Schaumblase  ahnliche 

153.  (12005.)  Konigswurde,  —  wer  mochte  die  annehmen, 
und  wer,  der  sie  erlangt  hat,  konnte  Befriedigung  empfinden ! 
Und  wenn  du  wahnst,  dein  seien  diese  Stadt  und  dieses  Reich, 

154.  (12006.)  das  Heer,  der  Schatz  und  die  Minister,  ge- 
horen  sie  nicht  alien,  gehoren  sie  nicht  keinem  an,  o  Fiirst? 


688  in.    Mokshadharma. 

Die  Bundesgenossen,  die  Minister,  die  Stadt,  das  Reich,  das 
Riciiteramt,  die  Schatzkammer  und  der  Landesherr, 

155.  (12007.)  welches  dieser  Gheder  verdiente  vor  den 
anderen  einen  Vorzug  bei  einer  Herrschaft,  welche  wie  drei 
sich  gegenseitig  stiitzende  Stabe  durch  alle  sieben  GJieder 
ihren  Bestand  hat  und  auf  die  Tatigkeit  des  einen  wie  des 
andern  angewiesen  ist! 

156.  (12008.)  Zu  einer  Zeit  tritt  dieses,  zur  andern  jenes 
GHed  hervor,  und  dasjenige,  durch  welches  jedesmal  ein  be- 
stimmter  Zweck  erreicht  wird,  wird  zur  Hauptsache. 

157.  (12  009.)  Dieses  aus  sieben  Gliedern  bestehende  Aggre- 
gat  und  die  drei  noch  hinzukommenden  [Zunehmen,  Bestehen, 
Abnehmen  nach  Nil.],  o  bester  Fiirst,  bilden  zusammen  eine 
Schar  von  Zehnen,  welche  alle  ebensogut  wie  der  Konig  die 
Herrschaft  geniefsen.  (12010.)  Und  wenn  ein  Konig  sich  sehr 
viel  Miihe  gibt  und  Freude  an  seiner  Regierungspflicht  hat, 

158.  so  geniefst  er  doch  nur  einen  Teil  unter  den  Zehnen, 
im  andern  Falle  noch  weniger  als  ein  Zehntel.  (12011.)  Es 
gibt  keinen  Konig,  der  nicht  seinen  Besitz  mit  jenen  zehn 
anderen  gemeinsam  hatte,  wie  es  ja  auch  kein  Reich  gibt, 
das  nicht  einen  Konig  hatte. 

159.  Ohne  das  Reich  kann  die  Pflicht  nicht  bestehen, 
ohne  die  Pflicht  nicht  das  Streben  nach  dem  Hochsten. 
(12012.)  Und  was  fiir  den  Konig  die  hochste  Pflichtleistung, 
was  fiir  Konig  und  Reich  das  Lauterungsmittel  ist, 

160.  das  wird  zustande  gebracht  durch  das  Rofsopfer 
[agvamedhena  mit  C),  bei  dem  die  ganze  Erde  als  Opferlohn 
weggegeben  wird.  (12013.)  Wie  ich  hier  bin,  konnte  ich  die 
Geschafte,  unter  denen  ein  Konig  zu  leiden  hat,  0  Mithilafiirst, 

161.  hundertfaltig  und  tausendfaltig  auseinandersetzen. 
(12014.)  Sogar  an  meinem  eigenen  Leibe  liegt  mir  nichts,  wie 
kame  ich  dazu,  auch  noch  in  den  Wesensbereich  eines  andern 
eindringen  zu  wollen! 

162.  Mir,  die  ich  in  dieser  Weise  dem  Yoga  ergeben  bin, 
solltest  du  einen  solchen  Vorwurf  nicht  machen.  (12015.)  Frei- 
lich  hast  du  von  Paficagikha  die  ganze  Erlosungslehre  gehort 

163.  samt  den  Mitteln  und  den  Upanishad's,  samt  den 
Zutaten  und  der  Vergewisserung.     (12016.)  Wenn  du  wirklich 


Adhyaya  322  (B.  320).  G89 

dastehst  als  einer,  der  den  Welthang  abgetan  hat  und  iiber 
seine  Fesseln  hinausgelangt  ist, 

164.  wie  kommt  es  dann,  dafs  du  wieder  in  den  Hang 
zu  dem  Sonnenschirm  und  den  librigen  Abzeichen  der  Konigs- 
wiirde  verfallen  bist?  (12017.)  Ich  glaube,  du  hast  gar  nicht 
gehort,  was  du  gehort  hast,  oder  du  hast  es  falsch  gehort, 

165.  oder  du  hast  nur  eine  Scheinbelehrung  empfangen, 
(12  018.)  jedenfalls  zeigst  du  dich  in  diesen  weltlichen  Vor- 
stellungen  befangen 

166.  und  bist  durch  Hang  und  Hemmungen  gebunden 
wie  ein  gewohnHcher  Mensch.  (12019.)  Wenn  ich  mit  meiner 
Wesenheit  in  dich  eingedrungen  bin, 

167.  was  kann  dir  das  schaden,  wenn  du  im  vollen  Sinne 
ein  Erloster  bist?  (12020.)  Unter  alien  Menschenklassen  gilt 
dem  Asketen  als  Kegel,  in  der  Abgeschiedenheit  zu  wohnen ; 

168.  wenn  ich  in  dein  Wesen,  von  dem  du  abgeschieden 
bist,  eindrange,  wem  wiirde  ich  damit  etwas  zuleide  tun? 
(12021.)  Ubrigens,  0  Untadliger,  habe  ich  dich  weder  mit 
Handen  noch  mit  Armen,  weder  mit  Fiifsen  noch  mit 
Beinen 

169.  oder  mit  anderen  Gliedern  beriihrt,  o  Mannerherr. 
(12022.)  Du,  der  du  aus  einer  grofsen  Familie  stammst,  scham- 
haft  und  weitblickend  bist,  hattest  von  deinem  Throne  aus 
nicht  von  einer  Vereinigung  [unserer  Leiber]  reden  sollen, 
mochte  sie  nun  stattgefunden  haben  oder  nicht. 

170.  (12023.)  Und  wo  hier  diese  ehrwiirdigen  Brahmanen 
und  andere  der  hochsten  Ehre  Wiirdige  zugegen  sind  und, 
da  du  auch  ihnen  ehrwiirdig  bist,  eine  gegenseitige  Hoch- 
achtung  sich  gebiihrte, 

171.  (12024.)  hattest  du  dies  bedenken  und  erwagen  sollen, 
was  zu  sagen  ziemlich  oder  nicht  ziemlich  ist,  und  hattest 
von  einer  solchen  Vereinigung  einer  Frau  mit  einem  Manne 
nicht  offentlich  reden  diirfen. 

.172.  (12025.)  Wie  der  Wassertropfen  auf  einem  Lotosblatte 
weilt,  ohne  es  zu  beriihren,  so  werde  ich  auch  in  dir  wohnen, 
ohne  dich  zu  beriihren,  o  Mithilafiirst. 

173.  (12026.)  Und  wenn  ich  dich  wirklich  beruhre  und  du 
diese  Beriihrung  spiirst,  wie  kann  dir  dann  von  jenem  Bettel- 

Deussen,  Mab^bh^Tatam.  44 


690  III.   Mokshadharma. 

monche  ein  die  Keimkraft  deines  Wesens  vernichtendes  Wissen 
zuteil  geworden  sein?  [vgl.  Vers  ii885.] 

174.  (12  027.)  Den  Hausvaterstand  hast  du  verloren  und 
die  schwer  erreichbare  Erlosung  hast  du  doch  nicht  erlangt, 
sondern  du  stehst  in  der  Mitte  zwischen  beiden  wie  einer, 
der  aus  der  Erlosung  ein  Gewerbe  macht. 

175.  (12028.)  Auoh  kann,  da  doch  nur  eine  Verbindung 
zwischen  Sein  [Purusha]  und  Nichtsein  [Prakriti]  moglich 
ist,  ein  Erloster  wegen  der  Einheit  und  Isohertheit  des  Purusha 
mit  einem  andern  Erlosten  nicht  in  Kastenvermischung  ver- 
fallen  [vgl.  Vers  ii9io]. 

176.  (12  029.)  Kasten  und  Lebensstadien  entbehren  der 
Isoliertheit,  da  nur  der  Wahrheitschauende  die  Isoliertheit 
besitzt;  das  andere  ist  [in  Wahrheit]  kein  anderes  [denn  alle 
Purusha's  sind  identisch] ,  mithin  kann  auch  das  andere  nicht 
in  dem  andern  wohnen. 

177.  (12030.)  In  der  Hand  ist  der  Topf,  im  Topf  die  Milch, 
in  der  Milch  die  Fliege;  nur  weil  sie  voneinander  verschieden 
sind,  konnen  sich  diese  als  Enthaltendes  und  Enthaltenes  mit- 
einander  verbinden. 

178.  (12  031.)  Aber  die  Milch  ist  nicht  der  Topf  und  die 
Fliege  ist  nicht  die  Milch,  diese  Dinge  sind  immer  nur  sie 
selbst,  nicht  das  andere,  in  dem  sie  enthalten  sind. 

179.  (12  032.)  Da  die  Lebensstadien  und  Kasten  [vom 
Purusha]  verschieden  und  iiberdies  noch  untereinander  ver- 
schieden sind,  wie  kannst  du  [beim  Purusha]  von  einer  Kasten- 
vermischung reden? 

180.  (12033.)  Ubrigens  bin  ich  gar  nicht  aus  der  hochsten 
Kaste,  bin  auch  keine  Vaigya  oder  eine,  die  noch  tiefer  stiinde, 
sondern  ich  bin  aus  derselben  Kaste  wie  du,  o  Konig,  reinen 
Ursprungs  und  unbescholtenen  Wandels. 

181.  (12  034.)  Es  gab  einen  Konigsweisen  mit  Namen  Pra- 
dhana,  von  dem  du  sicher  schon  gehort  hast;  wisse,  dafs  ich 
in  dessen  Familie  geboren  bin  und  Sulabha  heifse. 

182.  (12035.)  Drona,  Qatagringa,  Cakradvara  und  Parvata 
liefsen  sich  mitsamt  dem  machtigen  Indra  bei  den  grofsen 
Somafeiern  meiner  Vorfahren  sehen. 

183.  (12036.)   In  dieser  Familie  bin  ich  geboren,   und  da 


Adhyaya  322  (B.  320).  691 

sicli  kein  ebenbiirtiger  Gatte  fiir  mich  fand,  wurde  ich  in  den 
Eriosungslehren  ausgebildet  und  betreibe  nun  alleinstehend 
•das  Einsiedlergeliibde. 

184.  (12037.)  Ich  habe  mich  nicht  mit  falschem  Schein 
umgeben  [vgl.  Vers  119-23],  bin  keine  Rauberin  fremden 
Outes  und  veranlasse  keine  Verwirrung  des  Gesetzes  [vgl. 
Vers  11913],  sondern  halte  treu  an  dem  Gesetze,  welches  mein 
Geliibde  ist. 

185.  (12038.)  Ich  halte  fest  an  meinem  Gelobnisse,  rede 
nicht  ohne  Uberlegung  und  bin  auch  nicht  ohne  Absicht 
hierher  in  deine  Nahe  gekommen,  o  Mannerherr. 

186.  (12039.)  Da  ich  vernommen  hatte,  dafs  dein  Geist 
der  Erlosung  hingegeben  ist,  so  bin  ich,  nach  dem  Heil  ver- 
langend,  hierher  gekommen,  um  auch  deine  Erlosung  kennen 
zu  lernen. 

187.  (12  040.)  Ich  sage  dieses  nicht  als  eine,  die  zu  einer 
Partei  gehort,  sei  es  der  eigenen,  sei  es  der  eines  andern 
[oder  um  zu  ermitteln],  wer  erlost,  wer  noch  im  Ringen  um 
die  Ruhe  und  wer  ohne  Ruhe  ist. 

188.  (12041.)  Wie  nach  altem  Brauche  der  Bettelpilger  nur 
■eine  Nacht  in  einem  leeren  Hause  zu  weilen  pflegt,  so  werde 
ich  in  deinem  Leibe  nur  die  nachste  Nacht  zubringen. 

189.  (12  042.)  Nachdem  ich  durch  Ehrenerweisung  sowie 
durch  Reden  und  Bewirtung  wohlaufgenommen  worden  bin, 
werde  ich  in  guter  Hut  schlafen  und  morgen  befriedigt  von 
dannen  ziehen,  o  Mithilafiirst. 

Bhishma  sprach: 

190.  (12043.)  Nachdem  der  Konig  diese  wohlbegriindeten 
und  inhaltreichen  Worte  angehort  hatte,  fand  er  nichts  weiter 
mehr,  was  er  hatte  erwidern  konnen. 

So  lautet  im  Moksbadharma  die  Unterredung  zwischen  der  SulabhA  und  Janaka 
(Sulabhd  -  Janaka  -  samrdda). 


44* 


692  in.    Mokshadharma. 

i  Adhyaya  323  (B.  321). 

Vers  12044-12137  (B.  1-94). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (12044.)  Wie  geschah  es  vordem,  dafs  der  Quka,  der 
Vyasasohn,  zur  Weltverdrossenheit  gelangte?  Das  wiinsche 
ich  zu  vernehmen,  grofse  Wifsbegier  erfiillt  mich. 

2.  (12045.)  Du  mogest  mir  Klarheit  iiber  das  Unentfaltete, 
das  Entfaltete  und  die  Wesenheit  [das  Brahman,  Nil.],  Klar- 
heit der  Erkenntnis  verschaffen,  o  Kurusprofs,  sowie  iiber  die 
Schopfertatigkeit  des  ungeborenen  Gottes. 

Blushma  sprach: 

3.  (12046.)  Dem  den  gewbhnlichen  guten  Wandel  beobach- 
tenden,  vor  niemand  sich  fiirchtenden  Sohne  erteilte  der 
Vater,  nachdem  er  das  ganze  Vedastudium  mit  ihm  durch- 
gemacht  hatte,  folgende  Belehrungen. 

Vyasa  sprach: 

4.  (12047.)  Wandle,  o  Sohn,  in  der  Pflicht  und  tiberwinde 
mit  bezahmten  Sinnen  allezeit  die  strengste  Kalte  und  Hitze, 
Hunger  und  Durst  und  Wind. 

5.  (12  048.)  Wahrhaftigkeit,  Geradheit,  Zornlosigkeit,  Un- 
verdrossenheit,  Bezahmung,  Askese,  Schonung  und  Menschen- 
freundlichkeit  beobachte,  wie  sie  das  Gesetz  vorschreibt. 

6.  (12049.)  Beharre  in  der  Wahrheit,  liebe  die  Gerechtig- 
keit  und  enthalte  dich  aller  Unredlichkeit,  und  friste  dein 
Leben  nur  mit  dem,  was  Gotter  und  Gaste  iibriggelassen  haben. 

7.  (12  050.)  Wo  dein  Leib  [verganglich]  wie  eine  Schaum- 
blase  ist,  deine  Seele  [nur  voriibergehend]  wie  ein  Vogel  in 
ihm  weilt  und  das  Zusammensein  mit  denen,  die  man  liebt, 
so  kurze  Zeit  wahrt,  wie  magst  du  da  der  Ruhe  pflegen, 
0  Sohn? 

8.  (12051.)  Wo  unermiidliche,  wachsame  Feinde  [die  Be- 
gierden.  Nil.]  stets  auf  der  Lauer  liegen,  um  eine  Blofse  zu 
erspahen,  bist  du  ein  solcher  Tor,  dafs  du  nicht  Wache  haltst? 


Adhyaya  323  (B.  321).  698 

9.  (12052.)  Wo  die  Tage  sich  zahlen  lassen,  die  Lebens- 
kraft  schwindet  und  das  Leben  zernagt  wird,  wirst  du  da 
nicht  aufspringen  und  Rettung  suchen? 

10.  (12053.)  Nach  dem  Diesseitigen  streben  sie,  nach  Ge- 
deihen  von  Fleisch  und  Blut,  und  wo  es  sich  um  jenseitige 
Interessen  handelt,  schlafen  sie,  diese  rohen  Materialisten 
{ndstikdhj ! 

11.  (12054.)  Von  geistiger  Verblendung  umnachtet,  murren 
die  Menschen  iiber  ihre  Pflicht ;  sie  gelien  auf  Abwegen,  und 
auch  wer  ihnen  folgt,  mufs  Pein  leiden. 

12.  (12  055.)  Hingegen  die  Zufriedenen,  an  der  Schrift  sich 
Freuenden,  Hochherzigen,  Gewaltigen,  welche  auf  dem  Wege 
der  Pflicht  wandeln,  die  sollen  von  dir  verehrt  und  befragt 
werden. 

13.  (12  056.)  Die  Meinung  dieser  Erweckten,  Pflichtkundi- 
gen  schatze  hoch  und  halte  mit  hochster  Einsicht  dein  Manas 
(cittamj  im  Zaume,  wenn  es  krumme  Wege  gehen  will. 

14.  (12057.)  Mit  einem  nur  auf  den  heutigen  Tag  gerichte- 
ten  Verstande  wahnen  die  Toren  furchtlos,  das  Morgen  sei 
noch  fern,  geniefsen  alles  ohne  Wahl  und  sehen  nicht,  dafs 
es  fiir  die  Werke  dieser  Welt  eine  Vergeltung  gibt. 

15.  (12058.)  Besteige  die  Leiter  der  Pflicht  und  erklimme 
sie  Sprosse  fiir  Sprosse!  Merkst  du  nicht,  dafs  du  dich  hier 
wie  eine  Seidenraupe  eingesponnen  hast? 

16.  (12059.)  Den  Nihilisten,  der  den  Weg  verloren  hat  und 
dem  Absturz  vom  Ufer  nahe  ist,  lasse  ohne  Bedenken  links 
liegen  wie  ein  ausgerissenes  Bambusrohr. 

17.  (12060.)  Begierde,  Zorn  und  Tod,  den  Strom,  dessen 
Wasser  die  fiinf  Sinne  sind,  und  die  Strudel  der  Existenz 
iiberschreite  mit  dem  Schiff'e  der  Bestandigkeit. 

18.  (12061.)  Da  die  Welt  vom  Tode  heimgesucht  und  vom 
Alter  bedrangt  wird,  und  da  die  Nicht -Vergeblichen  [die 
Nachte,  vgl.  Vers  G528,  oben  S.  119]  dahinfliehen,  so  fahre  hin- 
iiber  auf  der  Fahre  der  Pflicht. 

19.  (12062.)  Da  der  Tod  einen  jeden  erreicht,  mag  er 
stehen  oder  liegen,  wo  fande  einer  Veranlassung  zur  Heiter- 
keit,  da  der  Tod  ihn  ohne  Veranlassung  vernichtet! 


694  III.    Mokshadharma. 

20.  (12  003.)  Wahrend  einer  noch  Schatze  hauft,  wahrend 
er  noch  ungesattigt  an  Liisten  ist,  packt  ihn  der  Tod  und 
schleppt  ihn  weg,  wie  die  Wolfin  das  Lamm. 

21.  (12064.)  Die  grofse,  mit  Pflicht  und  Erkenntnis  ge- 
nahrte  Fackel,  deren  Flamme  du  nach  und  nach  gesteigert 
hast,  diese  Fackel  —  der  Weg  geht  ins  Finstere!  —  sollst 
du  mit  Fleifs  hochhalten. 

22.  (12  065.)  Herabstiirzend  in  die  Korpernetze  wieder  und 
wieder  in  der  Menschenwelt,  erringt  der  Mensch  endlich  die 
Brahmanenwiirde,  bewahre  sie  dir,  mein  Sohn! 

23.  (120G6.)  Dieser  Leib  gehort  einem  Brahmanen  an  und 
ist  nicht  geboren  zur  Lust,  sondern  zu  Plage  und  Kasteiung 
hienieden,  aber  nach  dem  Tode  erwartet  ihn  unvergleichliche 
Seligkeit. 

24.  (12067.)  Die  Brahmanenwiirde  wird  erlangt  durch 
viele  Askesen,  hat  man  sie  erlangt,  so  soil  man  sie  auch 
nicht  um  der  hochsten  Liiste  willen  aufs  Spiel  setzen; 
allezeit  dem  Vedastudium,  der  Askese  und  der  Bezahmung 
hingegeben,  mogest  du,  nach  Frieden  verlangend  und  das 
Heil  vor  allem  erstrebend,  fort  und  fort  an  dir  arbeiten. 

25.  (12068.)  Aus  Verborgenem  entspringend,  die  Minuten 
als  Leib  habend,  unsichtbaren  Wesens,  mit  den  aus 
Sekunden  und  Terzen  bestehenden  Augenblicken  als 
Haaren,  die  Dammerungszeiten  als  Schultern  [sandhydhsah 
nach  einer  Lesart  bei  Nil.) ,  die  helle  und  dunkle  Monats- 
halfte  als  gleichkraftige  Augen  und  die  Monate  als  Glieder 
habend,  stiirmt  dahin  das  Lebensrofs  der  Menschen. 

26.  (12  069.)  Wenn  du  dieses  siehst,  wie  es  unaufhor- 
lich  rennt  und  furchtbar  schnell  lauft,  und  wenn  dein 
allezeit  hienieden  um  sich  schauendes  Auge  nicht  [so 
blind  ist,  dafs  es]  eines  fremden  Fiihrers  bedarf,  dann 
moge  dein  Geist  sich  in  die  Tugend  hiillen  und  des 
Hochsten  inne  werden. 

27.  (12070.)  Diejenigen  hingegen,  welche  hienieden,  in 
der  Pflichterfiillung  wankend ,  ihren  Liisten  leben ,  die 
werden,  unablassig  jammernd  und  an  Widerwartiges  ge- 
kettet,  zu  ihrer  Qual  [in  der  Holle]  ihren  Leib  in  Schmerz 


Adhyaya  323  (B.  321).  695 

versenkt  fiihlen  wegen   der  zahlreichen  Falle,  in  denen 
sie  ihre  Pflicht  groblich  verletzt  haben. 

28.  (12  071.)  Der  Konig,  welcher  allezeit  als  Wachter 
iiber  Gutes  und  Boses  wohliiberlegend  die  Gerechtigkeit 
liber  alles  schatzt,  erwirbt  die  Welten  der  Frommen, 
durchstreift  manche  Gefilde  und  geht  endlich  zu  unfafs- 
barer,  unaussprechlicher  Seligkeit  ein. 

29.  (12072.)  Hunde  mit  furchtbaren  Leibern,  Vogel  mit 
eisernen  Schnabeln  und  Scharen  von  gewaltig  beschwing- 
ten  Geiern,  welche  die  Menschen  zertleischen  und  ihr 
Blut  trinken,  diese  Ungetiime  fallen  nach  dem  Tode  iiber 
den  her,  der  das  Wort  des  Lehrers  von  sich  stofst. 

30.  (12073.)  Zehnfach  sind  von  dem  Schopfer  die 
Schranken  gezogen;  wer  diese  durchbricht  und  seinen 
Liisten  nachhiingt,  der  Bosewicht  gerat  in  schweres  Un- 
heil  und  verliert  sich  in  dem  Waldesdickicht  des  Toten- 
reiches. 

31.  (12074.)  Ein  Mensch,  welcher,  von  heftiger  Begierde 
getrieben,  unredlich  gegen  seine  Freunde  ist,  immerfort 
an  niedertrachtigen  Reden  sein  Gefallen  findet  und  mit 
anvertrautem  Gute  Unheil  stiftet,  ein  solcher  Bosewicht 
fahrt  in  die  tiefste  Holle  und  mufs  schweres  Leid  erdulden. 

32.  (12075.)  Hineinstiirzend  in  den  heifsen,  grofsen 
Hollenflufs  Vaitarani,  den  Korper  zerfleischt  in  dem 
Walde,  dessen  Blatter  Schwerter  sind,  hingestreckt  auf 
ein  Lager  von  Beilen,  schmachtet  er  unter  schweren  Leiden 
in  der  grofsen  Holle. 

33.  (12076.)  Du  briistest  dich  mit  grofsen  Worten,  aber 
das  Hochste  erkennst  du  nicht  und  achtest  nicht  auf  das 
von  weither  den  Tod  vorbereitende  [Alter],  solange  es  nicht 
da  ist. 

34.  (12077.)  Schreite  voran,  sitze  nicht  miifsig,  eine  grofse 
Gefahr  ist  im  Anzuge,  welche  dein  Gliick  furchtbar  storen 
wird,  nimm  dich  zusammen! 

35.  (12078.)  Ist  einer  erst  gestorben,  so  wird  er  durch  den 
koniglichen  Befehl  des  Yama  fortgefiihrt,  im  Hinblick  auf  den 
Tod  gib  dir  Miihe,  die  Rechtschaffenheit  unter  furchtbaren 
Entsagungen  zu  iiben. 


696  in.    Mokshadharma. 

36.  (12  079.)  Bald  wird  der  Herrscher  Yama,  unbekiimmert 
um  eure  Schmerzen,  dein  Leben  nebst  Eltern  und  Verwandten 
fortraffen,  und  keiner  kann  es  ihm  wehren. 

37.  (12080.)  Bald  wird  dich  der  Hauch  anwehen,  der  dem 
Todesgotte  vorangeht,  bald  wirst  du  allein  fortgefiihrt,  be- 
denke,  was  zu  deinem  Ende  frommt! 

38.  (12081.)  Wo  ist  der  Todeswind,  der  dich  bald  an- 
wehen wird!  Bald  werden  die  Weitgegenden  sich  um  dich 
drehen,  wenn  dich  die  grofse  Furcht  iiberkommt. 

39.  (12  082.)  Bald,  o  Sohn,  wird  deine  Vedakenntnis  ver- 
sagen,  wenn  du  in  Bestiirzung  dahineilst;  darum  versenke 
dich  in  die  hochste  Meditation. 

40.  (12  083.)  Wenn  du  dein  vordem  begangenes  Gutes  und 
Boses,  als  unbesonnenem  Tun  entflossen,  beizeiten  iiberdenkst, 
so  brauchst  du  es  nicht  zu  bereuen,  hiite  den  einzigen  Schatz ! 

41.  (12  084.)  Bald  wird  das  Alter  deinen  Leib  morsch 
machen  und  Kraft  und  Schonheit  der  Glieder  dir  rauben,  hiite 
den  einzigen  Schatz! 

42.  (12  085.)  Bald  fahrt  mit  der  Krankheit  als  Wagenlenker 
der  Tod  herbei  und  durchbohrt  deinen  Leib;  mit  Ernst,  da 
das  Leben  schwindet,  betreibe  die  grofse  Askese! 

43.  (12086.)  Bald  werden  furchtbare  Wolfe,  deinen  Menschen- 
leib  umheulend,  von  alien  Seiten  herbeistiirzen,  iibe  dich  in 
heiligen  Werken! 

44.  (12087.)  Bald  wirst  du  dich  einsam  von  Finsternis  um- 
geben  sehen,  beeile  dich !  Bald  wirst  du  die  goldenen  Baume 
auf  dem  Berggipfel  schauen  [als  Vorzeichen  des  Todes]. 

45.  (12088.)  Bald  kann  es  geschehen,  dafs  schlechter  Um- 
gang,  dafs  Feinde  unter  dem  Deckmantel  der  Freundschaft 
dich  an  der  rechten  Erkenntnis  irre  machen;  bemiihe  dich, 
o  Sohn,  um  das,  was  das  Hochste  ist. 

46.  (12089.)  Den  Schatz,  von  dem  du  nicht  zu  fiirchten 
brauchst,  dafs  dir  ein  Konig  oder  Dieb  ihn  raubt,  und  der 
dich  nicht  beim  Tod  verlafst,  diesen  Schatz  mogest  du  dir 
erwerben  [vgl.  Ev.  Matth.  6,20]. 

47.  (12  090.)  Dort  wird  einer  nicht  von  seinen  Werken  ge- 
trennt,  nicht  werden  diese  gegenseitig  verwechselt;  was  jedem 
eigen  angehort,  das  wird  dort  driiben  an  ihm  vergolten. 


Adhyaya  323  (B.  321).  697 

48.  (12091.)  Wovon  man  driiben  leben  will,  das  mufs, 
o  Sohn,  hier  weggegeben  werden.  Den  Schatz,  der  unver- 
ganglich,  unverlierbar  ist,  den  mufst  du  selber  dir  erwerben. 

49.  (12092.)  Noch  ehe  du  als  reicher  Mann  dein  Gersten- 
gericht  gekocht  hast,  noch  ehe  dein  Gerstengericht  gar  ist, 
wirst  du  eiligst  von  dannen  miissen. 

50.  (12093.)  Nicht  Mutter,  Sohne  und  Verwandte,  nicht 
der  vertraute  liebe  Freund  wandeln  einem  nach,  wenn  man 
einsam  auf  dem  engen  Wege  dahinwandelt. 

51.  (12094.)  Nur  das  vormals  begangene  gute  und  bose 
Werk,  nur  dieses  allein  ist  von  Bedeutung,  o  Sohn,  fiir  den 
ins  Jenseits  Hiniibergehenden. 

52.  (12095.)  Ganze  Haufen  von  Gold  und  Edelsteinen, 
mogen  sie  auf  redlichem  oder  unredlichem  Wege  erworben 
sein,  konnen  beim  Dahinfall  des  Leibes  fiir  den  Menschen 
nicht  irgend  etwas  ausrichten.    - 

53.  (12096.)  Wenn  du  ins  Jenseits  hiniibergehst,  so  wisse, 
dafs  es  fiir  dein  begangenes  und  nicht  begangenes  Werk  in 
der  Welt  keinen  Zeugen  [sdJcslii  =  sdJcshi,  Nil.  erinnert  an 
Panini  6,1,127]  gibt,  der  deinem  eigenen  Selbste  gleichkame. 

54.  (12  097.)  Wer  ins  Jenseits  hiniibergeht,  mufs  seinen 
Leib  wie  ein  Kleid  ablegen  und  dann  ist  seine  Seele  fiir  das 
durchdringende  Auge  der  Erkenntnis  von  iiberallher  sicht- 
bar  [vgl.  Platon,  Gorgias  p.  523  E.]. 

55.  (12  098.)  Die  drei  G(3tter  des  Feuers,  der  Sonne  und 
des  Windes  wohnen  im  irdischen  Leibe,  und  sie  sind  Zeugen 
in  ihm,  welche  seine  Gerechtigkeit  priifen. 

56.  (12  099.)  In  den  Tagen,  in  den  Nach  ten,  den  allbe- 
riihrenden,  allgegenwartigen ,  mogen  sie  enthiillen  oder  ver- 
hiillen,  beobachte  unentwegt  deine  Pflicht. 

57.  (12100.)  Auf  deinem  Wege  [auf  Erden,  nicht,  wie  Nil. 
will,  ins  Jenseits],  der  durch  manche  Wegelagerer  gefahrdet 
und  durch  hafsliche,  widerwartige  Insekten  bedroht  wird,  be- 
halte  dein  Werk  fest  im  Auge;  dein  Werk  ist  es,  welches 
dich  ins  Jenseits  geleitet. 

58.  (12101.)  Dort  werden  die  Werke  nicht  miteinander  ver- 
tauscht,  daher  wird  das  Vollbrachte  als  die  Frucht,  welche 
aus  dem  eigenen  Werke  entspringt,  vergolten. 


698  III.   Mokshadharma. 

59.  (12102.)  Ebenso  wie  die  Scharen  der  Apsaras  im  Ver- 
ein  mit  den  grofsen  Weisen  als  Frucht  die  Seligkeit  ge- 
niefsen,  ebenso  eriangen  andere  das  Verdienst  ihrer  Werke 
und  fahren  auf  Gotterwagen  nach  Belieben  einher. 

60.  (12103.)  Je  nachdem  hienieden  das  Gate  vollbracht 
wurde  von  arglosen,  edelgeborenen,  wohlbereiteten  Menschen, 
dementsprechend  wird  es  alsdann  an  ihnen  vergolten. 

61.  (12104.)  Zur  Weltgemeinschaft  mit  Prajapati,  Brihas- 
pati  und  Indra  geht  man  iiber  die  Brlicke  des  Hausvater- 
gesefzes  den  hochsten  Weg. 

62.  (12105.)  Ich  mochte  dir  viele  tausend  Male  einscharfen: 
Wer  seinen  Geist  nicht  hat  verblenden  lassen,  den  leitet  dafiir 
der  Gott  des  Feuers  empor. 

63.  (12106.)  Vierundzwanzig  Jahre  sind  verstrichen,  du 
stehst  schon  da  als  Fiinfundzwanzigjahriger,  sammle  dir  einen 
Schatz  von  Gerechtigkeit,  denn  deine  Jugend  flieht! 

64.  (12107.)  Bald  taumelt  der  Tod  heran  und  bereitet  eine 
unerwiinschte  {asukhdm  mit  C.)  Somapressung,  als  ware  schon 
Hand  an  dich  gelegt,  springe  auf  und  beeile  dich,  deine  Pflicht 
zu  erfiillen. 

65.  (12108.)  Als  letzter  und  zugleich  als  erster  [d.  h.  ganz 
allein]  wirst  du  gehen;  da  du  so  deinen  Weg  gehen  mufst, 
so  frage  dich,  was  du  an  dir  und  was  du  an  einem  andern 
haben  wirst. 

66.  (12109.)  Was  von  jedem  der  Guten,  die  hiniiber  mufsten, 
bei  dieser  Gefahr  als  Vorbereitung  auf  den  Hingang  gait,  — 
hiite  den  einzigen  Schatz! 

67.  (12110.)  Mit  Erdreich,  Wurzeln  und  Nachbarstammen 
rafft  der  Machtige  weg  ohne  Wahl,  und  niemand  ist,  der 
ihm  wehren  konnte,  sammle  dir  einen  Schatz  von  Pflicht- 
erfiillung ! 

68.  (12111.)  Diese  Belehrung,  o  Sohn,  habe  ich  dir  jetzt 
hier  erteilt,  aus  eigener  Anschauung  und  Folgerung  suche 
sie  dir  zu  erlautern. 

69.  (12112.)  Wer  sich  durch  sein  Werk  giitlich  tut  oder 
um  irgendeines  Zweckes  willen  freigebig  ist,  der  ver- 
anlafst  durch  die  aus  der  Verblendung  seines  Geistes   ent- 


Adhy&ya  323  (B.  321).  699- 

springenden   Qualitaten    seine   Bindung,    die    er  ganz    allein 
verschuldet.* 

70.  (12113.)  Das  Schriftstudium  erreicht  alles,  wenn  man 
zugleich  gute  Werke  vollbringt;  das  ist  das  Schauen  de& 
wahren  Zweckes,  eine  dankbare  Aufgabe,  vom  Zweck  gekront. 

71.  (12114.)  Eine  bindende  Fessel  ist  die  Liebesfreude  des 
Dorf bewohners ,  Edelgesinnte  durchschneiden  sie  und  ziehen 
davon,  Ubelgesinnte  durchschneiden  sie  nicht  [=  Vers  i2  458]^ 

72.  (12115.)  Wozu  hilft  dir  Reichtum,  wozu  Verwandte, 
wozu  Sohne,  o  Sohn,  da  du  doch  sterben  mufst;  er- 
forsche  den  Atman,  der  in  die  Hohle  des  Herzens  ein- 
gegangen  ist,  und  bedenke,  wohin  alle  deine  Vorfahren 
gegangen  sind! 

73.  (12116.)  Was  du  fiir  morgen  vor  hast,  tue  heber  heute, 
was  fiir  den  Nachmittag,  lieber  am  Vormittag,  denn  der  Tod 
wartet  nicht  darauf,  ob  du  dein  Geschaft  besorgt  hast 
Oder  nicht. 

74.  (12117.)  Das  Geleite  geben  dir  nach  deiner  Auflosung 
deine  Angehorigen  und  kehren  zuriick,  nachdem  sie  den  Leih 
dem  Feuer  iibergeben  haben,  die  Bekannten  und  die  Freunde. 

75.  (12118.)  Die  Unglaubigen,  Unbarmherzigen,  ArgHstigen 
iasse  getrost  Hnks  Hegen  und  strebe  unermiidHch  nach  dem 
Hochsten. 

76.  (12119.)  Da  die  Menschenwelt  so  sehr  heimgesucht 
und  iiberdies  von  der  Zeit  bedrangt  wird,  stiitze  dich  auf 
grofse  Charakterstarke  und  betreibe  mit  ganzem  Herzen 
deine  Pflicht. 

77.  (12120.)  Der  Mensch,  welcher  dieses  Mittel  der  Er- 
kenntnis  voUstandig  begreift  und  voUstandig  seine  Pflicht  er- 
fiillt,  wird  im  Jenseits  der  Sehgkeit  teilhaftig. 

78.  (12121.)  Die  Trennung  vom  Leibe  gilt  den  Wissen- 
den  nicht  als  Tod,  auf  dem  wohleingehaltenen  Wege 
gibt  es  kein  Verderben;  nur  wer  seiner  Pflicht  lebt,  ist 
ein  Weiser,  wer  von  der  Pflicht  abweicht,  ist  ein  Tor. 


*  Oder:  Wer  durch  sein  Tun  sich  einen  Schatz  sammelt  oder  irgend 
jemandem  sich  freigebig  erweist,  der  allein  wird  durch  seine  von  geistiger 
Verblendung  freien  Tugenden  mit  dem  Hochsten  verbunden. 


700  HI.   Mokshadharma. 

79.  (12122.)  Von  den  beiden  auf  dem  Wege  der  Werke 
eingeschlagenen  Richtungen  erlangt  der,  welcher  sie  ein- 
schlagt,  die  Frucht  je  nach  seinem  Tun:  wer  schlechte 
Werke  iibt,  geht  ins  Verderben,  wer  die  Pflicht  be- 
obachtet,  steigt  zur  Himmelswelt  empor. 

80.  (12 123.)  Hat  man  als  die  zum  Himmel  fiihrende  Leiter 
das  schwer  zu  erlangende  Dasein  als  Mensch  erreicht,  so  soil 
man  sich  wohl  in  acht  nelimen,  dafs  man  nicht  wieder 
herabfalle . 

81.  (12124.)  Wer  mit  seinen  Gedanken  den  Himmelsweg 
verfolgt  und  nicht  von  ihm  abweicht,  dem,  als  Vollbringer 
heiliger  Werke,  braucht  nicht  von  Sohnen  und  Verwandten 
nachgetrauert  zu  werden. 

82.  (12125.)  Wessen  Einsicht  nicht  verblendet  ist,  sondern 
sich  auf  die  Gewifsheit  stiitzt,  der  sichert  sich  einen  Platz 
im  Himmel,  fiir  den  besteht  nicht  die  grofse  Furcht. 

83.  (12126.)  Wer  schon  geboren  wurde  in  einem  Biifser- 
hain  und  in  ihm  starb,  dessen  Pflichterfiillung  ist  minder  wert, 
weil  er  Lust  und  Genufs  nicht  kennen  gelernt  hat. 

84.  (12127.)  Wer  aber  die  Geniisse  kennt  und  auf  sie  ver- 
zichtet,  um  mit  seinem  Leibe  Askese  zu  iiben,  fiir  den  ist 
nichts  unerreichbar,  und  einen  solchen  Erfolg  schatze  ich  hoch. 

85.  (12128.)  Tausende  von  Miittern  und  Vatern,  Hunderte 
von  Sohnen  und  Weibern  werden  uns  noch  angehoren  und 
haben  uns  schon  angehort;  wem  konnten  sie,  wem  konnten 
wir  in  Wahrheit  angehoren! 

86.  (12129.)  Ich  bin  allein,  keiner  gehort  mir  und  keinem 
andern  gehore  ich  an ;  ich  sehe  ihn  nicht,  dem  ich  angehoren 
konnte,  ich  sehe  ihn  nicht,  der  mir  angehoren  konnte. 

87.  (12130.)  Du  hast  nichts  mit  ihnen,  sie  haben  nichts 
mit  dir  zu  tun;  diese  Wesen  entstehen  durch  ihre  eigenen 
Werke,  und  auch  du  wirst  den  Weg  deiner  Werke  gehen. 

88.  (12131.)  In  dieser  Welt  gehoren  nur  dem  Reichen  seine 
Angehorigen  wirklich  an,  die  Angehorigen  des  Armen  sind 
es  schon  bei  seinen  Lebzeiten  nicht  mehr. 

89.  (12132.)  Der  Mensch  hauft  um  des  Weibes  willen  hose 
Werke  auf,  dafiir  mufs  er  Fein  erdulden  im  Jenseits  und 
schon  hienieden. 


Adhyaya  323  (B.  321).  701 

90.  (12133.)  Man  sieht  die  Welt  der  Lebenden  dem  Ruin 
verfallen  durch  ihre  eigenen  Taten,  darum,  o  Sohn,  befolge 
alles,  was  dir  anbefohlen  wurde. 

91.  (12134.)  Wer  diese  Anschauung  sich  aneignet  und  auf 
diese  Welt  der  Werke  hinblickt  {prapagyatd  mit  C),  der 
wird  sich  guter  Werke  befleifsigen,  wofern  er  nach  jener  Welt 
begehrt. 

92.  (12135.)  Durch  das  in  Monaten  und  Jahreszeiten 
umlaufende,  Nacht  und  Tag  als  Brennholz  habende,  als 
Zeuge  der  auf  den  eigenen  Werken  beruhenden  Frucht 
gegenwartige  Sonnenfeuer  macht  die  Zeit  mit  Gewalt  die 
Wesen  miirbe. 

93.  (12136.)  Wozu  niitzt  ein  Reichtum,  wenn  man  ihn 
nicht  gibt  und  nimmt,  wozu  ein  Heer,  wenn  es  den  Feind 
nicht  besiegt,  wozu  ein  Vedastudium,  wenn  es  nicht  zur 
Pflichterfiillung  anleitet,  wozu  der  Atman,  wenn  er  nicht 
die  Sinne  ziigelt  und  beherrscht! 

Bhishma  sprach: 

94.  (12137.)  Nachdem  er  dieses  heilsame,  von  Dvaipayana 
gesprochene  Wort  gehort  hatte,  nahm  Quka  Abschied  von 
seinem  Vater,  der  ihm  den  Weg  zur  Erlosung  gewiesen  hatte. 


So  laiitet  im  Mokshadharma  die  lauternde  Belehrung 
(pdvaka  -  adhijaijanarii). 


Adhyaya  324  (B.  323). 

Vers  12138-12157  (B.  1-20). 

Dieser  Abschnitt  ist,  von  einigen  wenig  erheblichen  Varianten  ab- 
gesehen,  identisch  mit  Adhyaya  181,  oben  S.  142—144. 


702  III.   Mokshadharma. 

Adhyaya  335  (B.  333). 

Vers  12158-12186   (B.  1-29). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (12158.)  Wie  wurde  dem  Vyasa  der  pflichttreue,  askese- 
machtige  ^uka  geboren  und  wie  erlangte  er  die  hochste 
Vollendung?    Das  erzahle  mir,  o  Grofsvater. 

2.  (12159.)  Und  wer  war  jene,  in  welcher  der  askesereiche 
Vyasa  den  (^uka  zeugte?  Denn  wir  kennen  seine  Mutter  nicht 
und  nicht  die  urspriingliche  Geburt  des  Hochsinnigen. 

3.  (12160.)  Und  wie  richtete  sich,  obgleich  er  noch  ein 
Knabe  war,  sein  Geist  auf  das  verborgene  Wissen,  wie  solches 
keinem  andern,  keinem  zweiten  hier  in  dieser  Welt  je  zuteil 
geworden  ist? 

4.  (12161.)  Dieses  wunsche  ich  ausfiihrlich  zu  vernehmen, 
€  Hochsinniger,  denn  wenn  ich  dir  zuhore,  ist  das  herrhchste 
Amritam  kein  Genufs  mehr  fiir  mich. 

5.  (12162.)  Darum  mogest  du  die  Hochsinnigkeit,  Hin- 
gebung  an  den  Atman  und  Erkenntnis  des  Quka  der  Reihe 
nach  darlegen,  o  Grofsvater,  der  Wahrheit  gemafs. 

Bhishma  sprach: 

6.  (12163.)  Nicht  durch  langes  Leben,  nicht  durch  graue 
Haare,  durch  Reichtum  oder  Verwandte  sind  die  Rishi's  zur 
Pflichterfiillung  gelangt,  sondern  wer  des  Veda  kundig  ist, 
der  gilt  fiir  grofs  unter  uns. 

7.  (12164.)  Alles,  wonach  du  mich  fragst,  o  Pandusohn, 
wurzelt  in  der  Askese,  und  diese  Askese  wird  gewirkt  durch 
Ziigelung  der  Sinne  und  nicht  anders. 

8.  (12 165.)  Durch  Anhanglichkeit  an  die  Sinne  verf allt  der 
Mensch  in  Siinde,  durch  Ziigelung  der  Sinne  erlangt  er  die 
Vollendung. 

9.  (12166.)  Mit  tausend  Agvamedha  -  Opfern  und  hundert 
Vajapeyafeiern  wird  nicht  soviel  erreicht  wie  durch  den 
kleinsten  Teil  des  Yoga. 

10.  (12167.)  Nun  will  ich  dir  die  Geburt  des  (^uka  mit- 
teilen,  die  Frucht  seines  Yoga   und  seinen  hochsten  Werde- 


Adhyaya  325  (B.  323).  703 

gang,  der  schwer  zu  verstehen  ist  fiir  die,  welche  unbereiteten 
Geistes  sind. 

11.  (12168.)  Es  geschah  einstmals,  dafsaufdem  mit  einem 
Walde  von  Karnikarablumen  bestandenen  Gipfel  des  Berges 
Meru  Mahadeva  (Qiva),  von  seinen  furchtbaren  Geisterscharen 
umgeben,  lustwandelte. 

12.  (12169.)  Und  auch  die  Tochter  des  Konigs  der  Berge 
[des  Himalaya],  die  Gottin  [Uma]  war  dort  zugegen.  Dort 
aber  iibte  damals  Krishna  Dvaipayana  seine  gottliche  Askese. 

13.  (12170.)  Durch  den  Toga  in  sich  selbst  versunken  und 
der  Yogapflicht  einzig  hingegeben,  fesselte  er  [sein  Manas] 
und  iibte  Askese,  um  einen  Sohn  zu  erlangen,  o  Bester 
der  Kuru's. 

14.  (12171.)  Und  er  sprach:  Moge  mir  ein  Sohn  zuteil 
werden,  o  Herr,  welcher  mit  der  Starke  von  Feuer,  Erde, 
Wasser,  Wind  und  Ather  begabt  ist. 

15.  (12172.)  Und  der  hochsten  Askese  ergeben,  umwarb 
er  den  fiir  Unbereitete  unnahbaren  Gott  durch  den  Yoga 
mit  seiner  Bitte. 

16.  (12173.)  VomWindelebend,  stand  der  Gewaltigehundert 
Jahre  lang  da,  um  Mahadeva,  den  vielgestaltigen  Gatten  der 
Uma,  gnadig  zu  stimmen. 

17.  (12174.)  Auch  nahten  dem  Herrn  der  Welt  mit  ihm 
Brahman weise  und  allerlei  Konigsweise,  die  Welthiiter  und 
Sadhya's  nebst  den  Vasu's, 

18.  (12175.)  die  Aditya's  und  Rudra's,  Sonne  und  Mond, 
die  Vasu's  und  Marut's,  die  Meere  und  die  Fliisse, 

19.  (12176.)  die  AQvin's,  die  gottlichen  Gandharven,  sowie 
Narada  und  Parvata,  der  Gandharva  Vigvavasu,  die  Siddha's 
und  die  Apsaras. 

20.  (12177.)  Unter  ihnen  erglanzte  der  grofse  Gott  Rudra 
(Qiva),  indem  er  einen  schonen,  aus  Karnikarablumen  ge- 
flochtenen  Kranz  trug  wie  der  Mond  seinen  Lichtglanz. 

21.  (12178.)  In  diesem  himmlischen,  lieblichen,  von  Gottern 
und  Gotterweisen  wimmelnden  Walde  gab  sich  der  Rishi 
unentwegt  dem  hochsten  Yoga  hin,  um  einen  Sohn  zu  er- 
langen. 


704  in.    Mokshadharma. 

22.  (12179.)  Aber  seine  Lebenskraft  nahm  nicht  ab  und 
Mattigkeit  iiberkam  ihn  nicht;  es  war  wie  ein  Wunder  fiir 
alle  drei  Welten. 

23.  (12180.)  Die  Haarflechten  erschienen  an  ihm,  dem  mit 
unermefslicher  Kraft  dem  Yoga  Hingegebenen,  leuchtend  an 
Glanz  gleich  Feuerflammen. 

24.  (12181.)  Das  hat  mir  der  heilige  Markandeya  bezeugt, 
als  er  mir  hier  immerfort  Gottergeschichten  erzahlte. 

25.  (12182.)  Damals  also  erglanzten  die  durch  jene  Askese 
entflammten  Haarflechten  des  hochsinnigen  Krishna  (Dvai- 
payana)  in  der  Farbe  des  Feuers,  o  Freund. 

26.  (12183.)  Infolge  dieser  grofsen  Askese  und  Frommig- 
keit,  0  Bharata,  wurde  Mahegvara  gnadig  gestimmt  und  fafste 
in  seinem  Geiste  einen  Entschlufs, 

27.  (12184.)  und  lachelnd  sprach  der  heilige,  dreimutter- 
hafte  Gott  zu  ihm:  0  Dvaipayana,  ein  Sohn,  wie  du  ihn  dir 
wiinschest,  soil  dir  geschenkt  werden. 

28.  (12185.)  So  rein  wie  Feuer,  Wind,  Erde,  Wasser  und 
Ather  soil  dein  grofser  Sohn  sein. 

29.  (12 186.)  Und  mit  solchem  Charakter,  Verstande,  Selbste 
und  innerem  Halte  ausgestattet,  wird  dein  Sohn  mit  seiner 
Kraft  die  drei  Welten  erfiillen  und  Ruhm  in  ihnen  erlangen. 

So  lautet  im  Mokshadbarma  die  Entstehung  des  Quka 
((,'uka-utpatti). 


Adhyaya  326  (B.  324). 

Vers  12187-12214  (B.  1-27). 

Bhishma  sprach: 

1.  (12187.)  Nachdem  der  Sohn  der  Satyavati  (Vyasa)  von 
dem  Gotte  diese  herrliche  Gewahrung  seines  Wunsches  er- 
halten  hatte,  ergriff  er,  um  Feuer  zu  machen,  die  beiden  Reib- 
holzer  faranij  und  rieb  sie  aneinander. 

2.  (12188.)  Hierbei  erblickte  der  heilige  Rishi  eine  Apsaras 
mit  Namen  Ghritaci,  welche  vermoge  des  ihr  eigenen  Glanzes 
eine  herrliche  Gestalt  zur  Schau  trug,  o  Konig. 


Adhyaya  326  (B.  324).  705 

3.  (12189.)  Als  der  heilige  Vyasa  in  jenem  Haine  diese 
Apsaras  sah,  o  Yudhishthira ,  da  wurde  der  Weise  plotzlich 
von  Begierde  verwirrt. 

4.  (12190.)  Als  die  Ghritaci  sah,  wie  Vyasa  in  seinem 
Geiste  von  Begierde  erschiittert  war,  verwandelte  sie  sich  in 
ein  Papageienweibchen  (qhMJ  und  naherte  sich  ihm. 

5.  (12191.)  Als  er  nun  sah,  dafs  die  Apsaras  sich  in  eine 
fremde  Gestalt  gehiillt  hatte,  wurde  er  iibermannt  von  Liebes- 
brunst,  die  seinen  ganzen  Leib  durchzog. 

6.  (12192.)  Mit  grofser  Festigkeit  suchte  Vyasa  den  Liebes- 
drang  zu  bekampfen,  aber  der  Muni  war  nicht  imstande,  sein 
stiirmisches  Verlangen  zu  bemeistern. 

7.  (12193.)  Indem  das  Unvermeidliche  geschah,  wurde  er 
von  der  Schonheit  der  Ghritaci  fortgerissen.  V^ahrend  nun 
der  Muni  sich  mit  aller  Macht  durch  Feuerreiben  im  Zaume 
zu  halten  suchte, 

8.  (12194.)  geschah  es,  dafs  sein  Sperma  plotzlich  auf  das 
Reibholz  fiel.  Aber  mit  unentwegtem  Geiste  fuhr  trotzdem 
der  Beste  der  Zwiegeborenen, 

9.  (12195.)  der  Brahmanenweise  fort,  das  Holz  zu  reiben,  — 
da  wurde  ihm  daraus  der  Quka  (der  Papagei)  geboren,  o  Konig, 
aus  dem  zerriebenen  Sperma  (QukramJ  wurde  ihm  Quka  ge- 
boren, der  askesereiche, 

10.  (12196.)  der  grofse  Rishi,  der  machtige  Yogin,  ent- 
sprungen  aus  dem  Reibholze  als  Mutterschofs.  Wie  das  bei 
der  Opferhandlung  entflammte  Feuer  erglanzt  und  den  Opfer- 
trank  emportragt, 

11.  (12197.)  so  wurde,  ihm  an  Gestalt  gleich,  von  Glanz 
flammend,  ^uka  geboren,  indem  er,  o  Kurusprofs,  die  un- 
vergleichliche  Gestalt  und  Farbe  (Kaste)  seines  Vaters  an 
sich  trug. 

12.  (12198.)  Und  bereiteten  Selbstes  erglanzte  er  wie  eine 
rauchlose  Flamme.  Aber  die  Gahga,  die  Beste  der  Strome, 
auf  den  Gipfel  des  Meru,  o  Mannerherr, 

13.  (12199.)  in  leibhaftiger  Gestalt  sich  begebend,  labte 
ihn  durch  ihr  Wasser.  Und  vom  Himmel  herunter,  o  Kuru- 
sprofs, kam  der  Stab  und  das  schwarze  Antilopenfell  [wie 
sie  der  Brahmanenschiiler  tragt] 

Detjssen,  Mab&bh&rataiQ.  45 


706  HI.    Mokshadharma. 

14.  (12  200.)  auf  die  Erde  geflogen,  o  Fiirst  der  Konige, 
zum  Besten  des  hochsinnigen  Quka.  Gandharven  stimmten 
ihren  Gesang  an,  Apsarasen  tanzten 

15.  (12  201.)  und  weitschallende  gottliche  Trommeln  warden 
geriihrt,  und  der  Gandharve  Vigvavasu  nebst  Tumburu  und 
Narada 

16.  (12202.)  sowie  die  Gandharven  Haha  und  Huhu  jubelten 
iiber  die  Geburt  des  Quka.  Dorthin  kamen  auch  die  Welt- 
hiiter  mit  Qakra  (Indra)  an  der  Spitze, 

17.  (12203.)  die  Gotter  und  Gotterweisen  und  ebenso  die 
Brahmanenweisen.  Der  Wind  liefs  himmlische  Blumen  von 
mancherlei  Art  herabregnen 

18.  (12204.)  und  die  ganze  Welt  des  Beweglichen  und  Un- 
beweglichen  war  voll  Freude.  Sodann  geschah  es,  dafs  der 
hochsinnige  Glanzreiche  (^iva)  selbst,  von  seiner  gottlichen 
Gattin  begleitet,  voll  Freude  ihn, 

19.  (12205.)  den  kaum  geborenen  Sohn  des  Muni,  nach 
der  Vorschrift  bei  einem  Lehrer  einfuhrte,  und  dafs  Qakra,  der 
Herr  der  Gotter,  ihm  einen  himmlischen,  wunderbar  gestalteten 

20.  (12  206.)  Wasserkrug  [wie  ihn  die  Asketen  tragen]  und 
himmlische  Kleider  aus  Liebe  spendete,  o  Herr.  Aber  Schwane 
und  Pfauen  und  Wasservogel  zu  Tausenden 

21.  (12  207.)  nebst  Papageien  und  Hahern  umkreisten  ihn 
von  rechts  her,  o  Bharata.  Nachdem  der  Glanzvolle,  Reib- 
holzentsprossene  fdraneyaj  diese  gottliche  Geburt  erlangt  hatte, 

22.  (12208.)  blieb  er  dort  wohnen,  weise,  seinem  Geliibde 
treu  und  gesammelten  Geistes.  Kaum  dafs  er  geboren  war, 
nahmen  auch  schon  die  Veden  nebst  den  Upanishad's  fraha- 
syamj  und  den  Ausziigen 

23.  (12  209.)  ebenso  wie  in  seinem  Vater  auch  in  ihm 
Wohnung.  Den  Brihaspati  aber  wahlte  er,  der  der  Veden, 
Vedanga's  und  Kommentare  Kundige, 

24.  (12210.)  zu  seinem  Lehrer,  o  grofser  Konig,  indem  er 
seiner  Pflicht  eingedenk  war.  Nachdem  er  mit  ihm  die 
samtlichen  Veden  nebst  Upanishad's  und  Ausziigen  durch- 
gegangen  hatte, 

25.  (12  211.)  sowie  vollstandig  die  Itihasa's  (epischen  Ge- 
dichte)  und  die  Lehrbiicher  fiir  Konige,  o  Herr,  und  nachdem 


Adhyaya  326  (B.  324).  707 

er  ihm,  als  seinem  Lehrer,  die  Dakshina  (das  Honorar)  ent- 
richtet  hatte,  kehrte  der  grofse  Muni  zuriick 

26.  (12  212.)  und  unternahm  als  Brahmacarin  mit  Hin- 
gebung  gewaltige  Askese.  Obgleich  noch  ein  Knabe,  wurde 
der  Askesereiche  doch  von  Gottern  und  Rishi's 

27.  (12  213.)  um  seines  Wissens  und  seiner  Askese  willen 
aufgesucht  und  geehrt.  Aber  sein  Geist,  o  Mannerherr,  be- 
gniigte  sich  nicht  mit  den  drei  Lebensstadien,  (12214.)  wie  sie 
im  Hausvaterstande  wurzeln,  sondern  strebte  auf  die  Erlosungs- 
lehre  bin. 

So  lautet  im  Moksbadharma  die  Entstehung  des  Quka 

(Quka  -  utpatti) . 


Adhyaya  327  (B.  335). 

Vers  12215-12259  (B.  1-44). 

Bhishma  sprach: 

1.  (12215.)  Nachdem  er  die  Erlosung  iiberdacht  hatte,  be- 
gab  sich  Quka  zu  seinem  Vater,  und  nachdem  er  ihn  als 
seinen  Meister  begriifst  hatte,  sprach  er,  nach  Heil  verlangend, 
mit  Bescheidenheit : 

2.  (12216.)  Du,  o  Heiliger,  bist  der  Erlosungslehre  kundig, 
so  sage  mir,  wie  meinem  Geiste  die  hochste  Beruhigung  zu- 
teil  werden  kann,  0  Herr. 

3.  (12  217.)  Als  der  hochste  Weise  das  Wort  des  Sohnes 
vernommen  hatte,  sprach  er  zu  ihm:  Studiere  die  Erlosung 
und  ihre  mannigfachen  Satzungen. 

4.  (12218.)  Auf  die  Empfehlung  des  Vaters  bin  bemachtigte 
sich  Quka,  der  Beste  der  Gesetzestrager,  des  ganzen  Yoga- 
kanons  und  der  Kapilalehre,  o  Bharata. 

5.  (12  219.)  Als  nun  Vyasa  sah,  dafs  sein  Sohn  mit  brah- 
mischer  Herrlichkeit  geschmiickt,  dem  Brahman  an  Kraft 
gleich  und  der  Erlosungslehre  kundig  war, 

6.  (12220.)  da  sprach  er  zu  ihm:  Gehe  hin  zu  Janaka, 
dem  Konige  von  Mithila;  er,  der  Herr  von  Mithila,  wird  dir 
den  ganzen  Sinn  der  Erlosung  eroffnen. 

45* 


708  III.    Mokshadharma. 

7.  (12  221.)  Aufdie  Empfehlung  des  Vaters  hin  entschlofs  er 
sich,  nach  Mithila  zu  gehen,  o  Fiirst,  um  nach  der  Grundlage 
des  Gesetzes  und  dem  hochsten  Wege  der  Erlosung  zu  fragen. 

8.  (12  222.)  Und  weiter  sprach  zu  ihm  der  menschenfreund- 
liche  [Vater]:  Gehe  deinen  Weg  in  Demut,  wende  nicht  deine 
Yogamacht  an,  um  durch  die  Luft  zu  fliegen. 

9.  (12  223.)  Gehe  in  Schlichtheit  und  trachte  nicht  nach 
Genlissen,  gehe  nicht  den  vielerlei  Dingen  nach,  denn  sie 
fesseln  dich  an  das  Leben. 

10.  (12  224.)  Eigenmachtig  mufst  du  nicht  handeln,  wenn 
du  hei  jenem  Opferherrn  und  Konige  hist,  sondern  im  Ge- 
horsam  gegen  ihn  verharren,  dann  wird  er  deine  Zweifel  losen. 

11.  (12  225.)  Dieser  in  der  Pflicht  bewanderte  und  der 
Erlosungslehre  kundige  Konig  ist  mein  Opferherr,  und  was 
er  dir  sagt,  das  kannst  du  ohne  Bedenken  tun. 

12.  (12226.)  Nach  diesen  Worten  wanderte  der  pflichttreue 
Muni  nach  Mithila.  Er  ging  zu  Fufs,  obgleich  er  durch  die 
Luft  iiber  Land  und  Meer  hatte  fliegen  konnen. 

13.  (12227.)  Er  mufste  iiber  Berge  steigen,  Flufsfurten  und 
Teiche  durchwaten  und  durch  Walder  und  Dickichte  dringen, 
wo  es  von  wilden  Tieren  wimmelte. 

14.  (12  228.)  Die  Gebiete  der  beiden  Berge  Meru  und  Hari 
sowie  ferner  das  Gebiet  des  Himalaya  durchmafs  er  nach- 
einander  und  gelangte  so  in  das  Gebiet  der  Bharata's  {hhdra- 
tam  varsham,  d.  i.  Indien). 

15.  (12  229.)  Nachdem  er  viele  von  Chinesen  (CinaJ  und 
Hunnen  fHtmaJ  bewohnte  Lander  gesehen  hatte,  kam  der 
grofse  Muni  in  unser  Land  Arydvarta  (Hindostan). 

16.  (12  230.)  Die  Worte  seines  Vaters  befolgend  und  ihren 
Sinn  iiberdenkend,  nahm  er  seinen  Weg  [in  gerader  Linie], 
wie  der  Vogel  in  der  Luft  fliegt. 

17.  (12  231.)  Liebliche  Ortschaften  und  iippige  Stadte  mit 
mancherlei  Kostbarkeiten  sah  er  und  sah  sie  doch  nicht. 

18.  (12232.)  Auch  reizende  Garten  und  Gottertempel  mit 
geweihten  Schatzen  liefs  er  auf  seinem  Wege  hinter  sich. 

19.  (12233.)  So  gelangte  er  in  kurzer  Zeit  ins  Land  der 
Videha's,  welche  von  einem  gerechten  Konige,  dem  hoch- 
sinnigen  Janaka,  beherrscht  wurden. 


Adhyaya  327  (B.  325).  709 

20.  (12  234.)  Da  sah  er  viele  in  Essen  und  Trinken  schwel- 
gende  Dorfer,  bliihende  Ortschaften  und  Weideplatze,  die  von 
vielen  Rinderherden  belebt  waren. 

21.  (12  235.)  Da  war  an  Reis  und  Gerste  Uberflufs,  da 
tummelten  sich  Ganse  und  Wasservogel,  da  prangten  hundert- 
fach  Lotosteiche  in  ihrer  Schonheit. 

22.  (12  236.)  Er  durchschritt  das  Land  der  Videha's  mit 
seinen  reichen  Bewohnern  und  kam  zu  dem  lieblichen,  bluhen- 
den  Parke  von  Mithila. 

23.  (12  237.)  Da  wimmelte  es  von  Elefanten,  Rossen  und 
Wagen,  von  Mannern  und  Frauen;  er  sah  sie  und  sah  sie 
doch  nicht,  sondern  ging  unentwegt  fiirbafs. 

24.  (12  238.)  Seine  Last  im  Geiste  tragend  und  an  seine 
Aufgabe  denkend,  betrat  er,  in  sich  selbst  ruhend  und  heitern 
Geistes,  die  Stadt  Mithila. 

25.  (12239.)  Am  Burgtor  angekommen,  wollte  er  ohne  Be- 
denken  eintreten,  aber  die  Torhiiter  wiesen  ihn  mit  rauhen 
Worten  zuriick. 

26.  (12  240.)  Quka  jedoch  bheb,  ohne  in  Zorn  zu  geraten, 
stehen,  und  obgleich  er  diirch  die  Hitze  und  die  Wanderung 
ermiidet  und  von  Hunger  und  Durst  gequalt  war, 

27.  (12241.)  so  zeigte  er  doch  keine  Mattigkeit  oder  Schlaff- 
heit  und  ging  auch  nicht  aus  der  gliihenden  Sonne.  Aber 
einer  der  Torhiiter  empfand  Reue, 

28.  (12  242.)  und  indem  er  den  (^uka  dastehen  sah,  herrHch 
wie  die  Sonne  im  Zenith,  ehrte  er  ihn,  wie  es  sich  gebiihrt, 
begriifste  ihn  mit  zusammengelegten  Handen 

29.  (12243.)  und  liefs  ihn  in  die  zweite  Umzaunung  des 
Konigspalastes  ein.  Dort  setzte  sich  ^uka  nieder,  o  Freund, 
und  meditierte  iiber  die  Erlosung, 

30.  (12  244.)  gleichgiiltig  gegen  Schatten  und  Sonnenglut 
und  immer  gleich  an  Glanz.  Da  trat  nach  einer  Weile  ein 
Minister  des  Konigs  mit  zusammengelegten  Handen  ihm  ent- 
gegen 

31.  (12  245.)  und  geleitete  ihn  in  die  dritte  Umzaunung  des 
Konigspalastes.  Darauf  lud  der  Minister  den  ^uka  ein,  in 
den  an  das  Frauengemach  anstofsenden,  dem  Lustwalde  des 
Kubera  vergleichbaren. 


710  in.   Mokshadharma. 

32.  (12  246.)  Spielplatze  mit  schon  verteilten  Wasserlaufen 
enthaltenden,  lieblichen,  mit  bliihenden  Baumen  geschmiick- 
ten,  unvergleichlichen  Frauenlusthain  einzutreten. 

33.  (12  247.)  Dort  bot  er  ihm  einen  Sitz  an  und  entfernte 
sich.  Da  geschah  es,  dafs  schonbekleidete ,  schonhiiftige, 
zarte ,  freundlichblickende, 

34.  (12  248.)  durchsichtige  rote  Gewander  tragende,  von 
Goldschmuck  funkelnde,  des  Plauderns  und  Kosens  kundige, 
in  Tanz  und  Gesang  geiibte, 

35.  (12  249.)  unter  Lacheln  schmeichelnde ,  an  Schonheit 
den  Apsaras  vergleichbare ,  in  Liebeskiinsten  erfahrene,  in 
alien  Herzensangelegenheiten  bewanderte, 

36.  (12  250.)  herrliche  Haremsmadchen,  fiinfzig  an  der  Zahl, 
auf  ihn  zueilten.  Sie  brachten  Fufswasser  und  alles  weitere 
herbei,  iiberhauften  ihn  mit  den  hochsten  Ehrenbezeigungen 

37.  (12  251.)  und  labten  ihn  mit  kostlichen,  der  Jahreszeit 
entsprechenden  Speisen.  Nachdem  er  gespeist  hatte,  o  Freund, 
fiihrten  sie  ihn  in  dem  zum  Frauengemach  gehorigen  Hain 
herum 

38.  (12  252.)  und  zeigten  ihm  alle  seine  lieblichen  Einzel- 
heiten,  o  Bharata,  indem  sie  dabei  reizend  spielten,  lachten 
und  sangen. 

39.  (12253.)  So  umschwarmten  sein  hohes  Wesen  die  wesens- 
kundigen  Madchen,  aber  der  Reingesinnte,  Reibholzentsprossene 
hielt  unbeirrt  an  seiner  Aufgabe  fest, 

40.  (12  254.)  und  als  Herr  seiner  Sinne  und  Meister  iiber 
den  Zorn  regte  er  sich  nicht  auf  und  ziirnte  audi  nicht. 
Nun  wurde  ihm  ein  himmlisches,  gotterwiirdiges,  mit  Juwelen 
geschmiicktes  Ruhebett, 

41.  (12  255.)  das  mit  kostbaren  Teppichen  belegt  war,  von 
jenen  herrlichen  Madchen  dargeboten.  Aber  Quka,  nachdem 
er  sich  nur  die  FilTse  gewaschen  und  das  Dammerungsgebet 
verrichtet  hatte, 

42.  (12  256.)  liefs  sich  auf  einem  reinen  Sitze  nieder  und 
iiberdachte  seine  Aufgabe.  Den  ersten  Teil  der  Nacht  ver- 
brachte  er  in  hingegebener  Meditation, 

43.  (12257.)  und  um  Mitternacht  gab  der  Herrhche  sich 
dem  Schlafe  hin,  wie  es  Vorschrift  ist.     Nach  einiger  Zeit 


Adhyaya  327  (B.  325).  711 

stand  er  dann  auf,  vollzog  sofort  seine  Waschungen  (12258.)  und 
gab  sich  dann,  von  den  Madchen  umringt,  mit  Bedacht  der 
Meditation  bin. 

44.  Auf  diese  Weise  wurde  von  dem  Krisbnasobne  un- 
entwegt  der  ganze  Tag  (12259.)  und  die  folgende  Nacbt  am 
Hofe  des  Konigs  zugebracbt,  o  Bbarata. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Entstehung  des  Quka 
(Quka-utpatti). 


Adhyaya  338  (B.  326). 

Vers  12260-12311  (B.  1-51). 

Bhishma  sprach: 

1.  (12  260.)  Da  gescbab  es,  dafs  der  Konig  Janaka,  von 
seinen  Ministern  umgeben,  o  Bbarata,  unter  Vortritt  des  Haus- 
priesters  und  des  ganzen  Harems, 

2.  (12  261.)  einen  Sessel  und  mancberlei  Kostbarkeiten  vor- 
ausschickend  und  auf  seinem  Haupte  die  Gastspende  tragend, 
dem  Sobne  seines  Lebrers  sich  nabte. 

3.  (12  262.)  Darauf  wurde  der  mit  vielen  Juwelen  ge- 
scbmiickte,  mit  kostbaren  Teppichen  iiberdeckte,  hocbst  er- 
freuHcbe  und  pracbtige  Sitz 

4.  (12  263.)  aus  den  Handen  des  Hauspriesters  von  dem 
Fiirsten  entgegengenommen  und  dem  ^uka,  dem  Sobne  seines 
Lebrers,  als  bochste  Ebrenbezeigung  dargeboten. 

5.  (12  264.)  Nacbdem  der  Krisbnasobn  sicb  auf  demselben 
niedergelassen  batte,  ehrte  der  Konig  ibn  nach  der  Gesetzes- 
vorscbrift,  bot  ibm  zunacbst  das  Fufswasser  dar  und  iibergab 
ibm  die  Gastspende  und  eine  Kub. 

6.  (12265.)  Er  aber  nabm  diese  von  Spriicben  begleitete 
Ebrenbezeigung  in  vorscbriftsmafsiger  Weise  entgegen,  und 
nacbdem  der  Beste  der  Brabmanen  diese  Ebrenbezeigung  von 
Janaka  entgegengenommen 

7.  (12  26G.)  und  die  Scbenkung  der  Kub  genebmigt  batte, 
fragte  der  gewaltige  (^uka,  um  den  Konig  zu  ebren,  ibn  nach 
seinem  bestandigen  Wohlergehen 


712  III.    Mokshadharma. 

8.  (12  267.)  und  nach  dem  Befinden  seines  Gefolges,  o  Fiirst 
der  Konige.  Auf  seine  Aufforderung  nahm  der  Konig  mit 
seiner  Begleitung  Platz. 

9.  (12  268.)  Aber  der  Konig,  edel  an  Gesinnung  wie  an 
Abstammung,  legte,  auf  der  Erde  sitzend,  die  Hande  zu- 
sammen,  erkundigte  sich  bei  dem  Vyasasohn  nach  seinem 
bestandigen  Wohlergehen,  (12  269.)  und  sodann  befragte  ihn 
der  Erdeherr  nach  dem  Zwecke  seines  Kommens. 

^uka  sprach: 

10.  (12  270.)  Mein  Vater  sprach  zu  mir:  Heil  sei  dir!  Als 
der  Erlosung,  des  Guten  und  des  Niitzhchen  kundig,  ist  der 
Konig  der  Videha's,  Janaka,  beriihmt,  und  er  ist  mein  Opferherr. 

11.  (12271.)  Zu  ihm  begib  dich  eiligst,  wenn  du  in  deinem 
Herzen  einen  Zweifel  dariiber  hegst,  was  zu  tun  und  zu  lassen 
ist,  er  wird  dir  den  Zweifel  losen. 

12.  (12  272.)  So  bin  ich  denn  auf  den  Befehl  meines  Vaters 
hierhergekommen ,  um  dich  zu  befragen;  darum  mogest  du, 
o  Bester  der  Gesetzestrager ,  mir  dementsprechend  folgendes 
beantworten : 

13.  (12  273.)  Was  hat  ein  Brahmane  hienieden  zu  tun,  von 
welcher  Art  ist  das  Wesen  der  Erlosung  und  wie  kann  die 
Erlosung  erlangt  werden,  durch  Wissen  oder  durch  Askese? 

Janaka  sprach: 

14.  (12  274.)  Was  ein  Brahmane  hienieden  von  der  Geburt 
an  zu  tun  hat,  das  vernimm.  Nachdem  er  bei  einem  Lehrer 
eingefiihrt  worden  ist,  soil  er  vor  allem  den  Veda  studieren. 

15.  (12  275.)  In  Askese,  gutem  Betragen  gegen  den  Lehrer 
und  Keuschheit  beharrend,  o  Herr,  soil  er  ohne  Murren  seine 
Schuld  an  die  Gotter  und  Vater  abtragen. 

16.  (12276.)  Hat  er  aber  den  Veda  mit  Fleifs  studiert,  das 
Honorar  entrichtet  und  die  Entlassung  vom  Lehrer  erhalten, 
dann  soil  der  Zwiegeborene  heimkehren. 

17.  (12277.)  Nachdem  er  heimgekehrt  ist,  soil  er  im  Haus- 
vaterstande,  sich  mit  der  eigenen  Gattin  begniigend,  leben 
und  der  Vorschrift  gemafs  die  Opferfeuer  ohne  Murren 
pflegen. 


Adhyaya  328  (B.  326).  713 

18.  (12  278.)  Nachdem  er  sodann  Sohne  und  Enkel  erlangt 
hat,  soil  er  in  das  Lebensstadium  des  Waldeinsiedlers  iiber- 
gelien,  ebenjene  Feuer  nach  der  Vorschrift  ehren  und  Gast- 
freundschaft  iiben. 

19.  (12  279.)  Nachdem  er  pflichtgetreu  im  Walde  der  Vor- 
schrift gemafs  die  Feuer  in  seinen  Leib  aufgenommen  hat, 
soil  er,  erhaben  iiber  die  Gegensatze  und  frei  von  Leiden- 
schaft,  im  Brahmanlebensstadium  verweilen. 

^uka  sprach: 

20.  (12  280.)  Wenn  nun  Erkenntnis  und  Wissenschaft  er- 
worben  und  im  Herzen  fiir  immer  die  Freiheit  von  den  Gegen- 
satzen  des  Lebens  erreicht  worden  ist,  ist  es  dann  noch 
notwendig,  in  den  drei  Lebensstadien  zu  verharren? 

21.  (12  281.)  Danach  frage  ich  dich,  das  mogest  du,  o  Herr, 
mir  sagen,  dem  wahren  Sinne  des  Veda  gemafs  erklare  es 
mir,  0  Mannerherr. 

Janaka  sprach: 

22.  (12282.)  Die  Eriosung  kann  nicht  ohne  Erkenntnis  und 
Wissenschaft  erlangt  werden,  die  Wissenschaft  aber  ist,  wie 
die  Schrift  lehrt,  nur  zu  erlangen  durch  Verbindung  mit 
einem  Lehrer. 

23.  (12  283.)  Der  Lehrer  ist  der  Fahrmann,  und  das  Wissen 
ist  das  Schiff,  beides  kann  nur  der,  welcher  die  Erkenntnis 
erlangt,  seinen  Zweck  erreicht  hat  und  hiniibergefahren  ist, 
hinter  sich  lassen. 

24.  (12  284.)  Damit  die  Welten  nicht  verfallen,  damit  die 
Werke  nicht  verfallen,  ist  die  in  den  vier  Lebensstadien  ein- 
geschniirte  Pflicht  von  den  Alton  geiibt  worden. 

25.  (12  285.)  Durch  diese  Hingabe  an  die  Stufenreihe  der 
Werke  durch  viele  Geburten  hindurch  gelangt  man  dazu, 
das  gute  und  das  bose  Werk  von  sich  zu  tun  und  das  hie- 
nieden  zu  ergreifen,  was  die  Eriosung  heifst. 

26.  (12  286.)  Wenn  aber  durch  viele  Geburten  im  Sansara 
die  Organe  zubereitet  worden  sind,  kann  einer,  der  reinen 
Geistes  ist,  die  Eriosung  schon  im  ersten  Lebensstadium  er- 
langen. 


714  in.    Mokshadharma. 

27.  (12287.)  Hat  aber  einer  diese  erreicht,  so  fragt  sich, 
welchen  Zweck  die  drei  iibrigen  Lebensstadien  noch  haben 
konnen  fiir  einen,  der  eriost,  wahrheitschauend,  weise  und 
nach  dem  Hochsten  strebend  ist. 

28.  (12  288.)  Man  mufs  allezeit  die  aus  Rajas  und  Tamas 
entspringenden  Fehler  vermeiden  und  auf  dem  Wege  des  Satt- 
vam  durch  seinen  Atman  zum  Schauen  des  Atman  gelangen. 

29.  (12  289.)  Wenn  einer  sich  selbst  in  alien  Wesen  und 
alle  Wesen  in  sich  selbst  sieht,  so  wird  er  so  wenig  in  der 
Welt  befleckt  wie  ein  Wasservogel  im  Wasser. 

30.  (12290.)  Wie  ein  Vogel  aus  der  Niederung  emporfliegt 
und  die  Unendlichkeit  droben  erreicht,  so  gelangt,  verzichtend 
und  vom  Korper  befreit,  der  iiber  die  Gegensatze  Erhabene 
zum  Frieden. 

31.  (12  291.)  Dariiber  vernimm  die  Gesange,  welche  ehe- 
mals  vom  Konige  Yayati  gesungen  wurden  und  welche  von 
Zwiegeborenen ,  die  der  Erlosungslehre  kundig  sind,  im  Ge- 
dachtnisse  aufbewahrt  werden. 

32.  (12  292.)  „In  dem  Atman  und  sonst  nirgendwo  wohnt 
das  Licht ;  als  gemeinsam  alien  Geschopfen  kann  es  unmittelbar 
geschaut  werden  von  einem,  dessen  Geist  sich  darein  vertieft. 

33.  (12  293.J  Vor  wem  sich  kein  anderer  fiirchtet  und  wer 
sich  vor  keinem  andern  fiirchtet,  wer  nicht  liebt  und  nicht 
hafst,  der  geht  in  das  Brahman  ein. 

34.  (12294.)  Wenn  einer*  kein  hoses  Wesen  gegen  irgend 
jemand  zeigt  in  Werken,  Gedanken  oder  Worten,  der  geht 
in  das  Brahman  ein. 

35.  (12  295.)  Wer  seinen  Atman  im  Geiste  wohlriistet  und 
den  blindmachenden  Neid  fahren  lafst,  wer  Begierde  und  Ver- 
blendung  fahren  lafst,  der  erlangt  die  Brahmanschaft. 

36.  (12  296.)  Wer  beim  Horen  und  Sehen  alien  Wesen 
gegeniiber  seinen  Gleichmut  bewahrt  und  iiber  die  Gegen- 
satze erhaben  ist,  der  geht  in  das  Brahman  ein. 

37.  (12  297.)  Wer  auf  Lob  und  Tadel  mit  Gleichmut  blickt, 
auf  Gold  und  Eisen,  Lust  und  Leid, 

38.  (12  298.)  Kalte  und  Warme,  Nutzen  und  Schaden,  Liebes 
und  Unliebes,  Leben  und  Sterben,  —  der  geht  in  das  Brah- 
man ein. 


Adhyaya  328  (B.  326).  715 

39.  (12  299.)  Wie  die  Schildkrote  die  Glieder,  welche  sie 
ausgestreckt  hatte,  wieder  in  sich  hereinzieht,  so  soil  der 
Bhikshu  die  Sinnesorgane  durch  sein  Manas  in  sich  herein- 
ziehen. 

40.  (12300.)  Wie  ein  von  Dunkel  umhiilltes  Kleid  mit  Hilfe 
einer  Lampe  gesehen  wird,  so  kann  man  mit  der  Lampe  der 
Buddhi  den  Atman  schauen."  — 

41.  (12301.)  Alles  dieses  sehe  ich  in  dir  verwirklicht, 
0  Bester  der  Verstandigen ,  und  was  sonst  noch  zu  wissen 
iibrig  ist,  das  weifst  du,  o  Herr,  der  Wahrheit  gemals. 

42.  (12  302.)  Ich  weifs  von  dir,  o  Brahman weiser,  dafs  du 
iiber  die  Sinnendinge  hinausgelangt  bist  dank  der  Gnade 
deines  Lehrers  und  deiner  eigenen  Lernbegierde. 

43.  (12303.)  Und  durch  desselben  Lehrers  Gnade  ist  auch 
mir  ein  gottliches  Wissen  mitgeteilt  worden,  darum  weifs  ich 
das  liber  dich,  o  grofser  Muni. 

44.  (12  304.)  Uniibertrefflich  ist  dein  Wissen  und  uniiber- 
trefflich  dein  Wandel;  uniibertrefflich  ist  auch  deine  Gott- 
herrlichkeit,  du  aber  bist  dir  dessen  nicht  bewufst. 

45.  (12305.)  Wegen  deiner  Jugend  oder  deines  Zweifels 
oder  deiner  Furcht,  die  Erlosung  nicht  zu  erlangen,  bist  du, 
obgleich  dir  die  Wissenschaft  zuteil  geworden  ist,  dir  nicht 
bewufst,  das  Ziel  erreicht  zu  haben. 

46.  (12  306.)  Wem  von  einem  wie  mir  mit  reiner  Entschlossen- 
heit  seine  Zweifel  gehoben  worden  sind,  der  spaltet  die  Knoten 
seines  Herzens  und  erreicht  das  Ziel. 

47.  (12307.)  Du  bist  des  Wissens  teilhaftig,  festen  Geistes 
und  frei  von  Begierde;  ohne  eine  solche  Bemiihung,  o  Brah- 
mane,  kann  keiner  jenes  Hochste  erreichen. 

48.  (12308.)  Du  machst  keinen  Unterschied  zwischen  Lust 
und  Schmerz,  bist  ohne  Begehrlichkeit,  tragst  kein  Verlangen 
nach  Tanz  und  Gesang,  und  keine  Leidenschaft  steigt  in 
dir  auf. 

49.  (12309).  Du  hangst  nicht  mehr  an  Verwandten,  du 
fiirchtest  dich  nicht  mehr  vor  Gefahren,  und  ich  sehe,  o  du 
Gliicklicher ,  dafs  dir  Erdklumpen,  Steine  und  Gold  gleich- 
viel  gelten. 

50.  (12  310.)    Ich   sehe   es  und  alle  anderen  Einsichtigen 


716  in.    Mokshadharma. 

sehen  es,   dafs  du  den  hochsten,  unverganglichen ,  leidlosen 
Weg  betreten  hast. 

51.  (12311.)  Die  Frucht,  welche  einem  Brahmanen  hienieden 
zuteil  wird,  und  von  welcher  Art  die  Erlosung  ist,  dariiber 
bist  du  unterrichtet,  o  Brahmane.  Was  hast  du  weiter  noch 
zu  fragen? 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Entstehung  dee  (^uka 
(Quka-utpatti). 


Adhyaya  329  (B.  327). 

Vers  12312-12364  (B.  1-53). 

Bhishma  sprach: 

1.  (12312.)  Nachdem  Quka  diese  Rede  vernommen  hatte, 
ging  er  bereiteten  Geistes,  voll  Zuversicht,  sein  Selbst  durch 
sein  Selbst  befestigend  und  sein  Selbst  durch  sein  Selbst 
schauend, 

2.  (12313.)  nach  Erfiillung  seiner  Aufgabe,  heiter,  beruhigt, 
schweigend  und  mit  gehobenem  Haupte  hinauf  zu  dem  Schnee- 
gebirge,  dem  Sturm  wind  vergleichbar. 

3.  (12314.)  Zur  selben  Zeit  begab  es  sich,  dafs  auch  der 
Gotterweise  Narada  hinaufsteigen  wollte,  um  den  von  seligen 
Scharen  und  himmlischen  Sangern  bewohnten  Himalaya  zu 
besuchen, 

4.  (12315.)  den  Himalaya,  welcher  belebt  ist  von  lieblich 
singenden  Apsarasscharen,  von  Kinnara's  zu  Tausenden  und 
Bhringaraja's, 

5.  (12316.)  von  Tauchervogeln ,  Bachstelzen  und  bunt- 
farbigen  Hiihnerarten, 

6.  von  buntschillernden,  durch  hundertfache  Kekarufe  auf- 
fallenden  Pfauen,  (i23i7.)  von  Flamingoscharen  und  schwarzen 
Kuckucken ; 

7.  dort  thront  allezeit  der  Konig  der  Vogel,  Garutmant 
(Garuda),  (12318.)  dorthin  kommen  die  vier  weltbehiitenden 
Gotter  und  die  Scharen  der  Rishi's 

8.  immerfort  zusammen,  um  das  Beste  der  Welt  zu  be- 
raten,  (12319.)  wo  auch  von  dem  hochsinnigen  Vishnu  zur 
Erlangung  eines  Sohnes  Askese  geiibt  wurde. 


Adhy^ya  329  (B.  327).  717 

9.  Dort  war  es  auch,  wo  von  Kumara  (Skanda)  einst  in 
seiner  Kindheit  die  Himmelsbewohner  verhohnt  worden  waren. 
(12320.)  Skanda  hatte  namlich  seinen  Speer  in  die  Erde  ge- 
stofsen  und  mit  Verachtung  aller  drei  Welten 

10.  daselbst  hohnend  dieses  Wort  den  Wesen  zugerufen : 
(12  321.)  Wenn  irgendeiner  lebt,  der  mir  iiberlegen  ist  oder  die 
Brahmanen  mehr  liebt  als  ich, 

11.  wenn  in  den  drei  Welten  ein  zweiter  sich  findet, 
der  an  Heiligkeit  und  Tapferkeit  mir  gleichkommt,  (12322.)  so 
moge  er  versuchen,  diesen  Speer  herauszuziehen  oder  auch 
nur  zu  erschiittern. 

12.  Als  sie  dies  horten,  gerieten  die  Welten  in  Aufregung 
und  fragten  sich :  Wer  wird  den  Speer  herausziehen  ?  (12323.)  Als 
aber  der  heilige  Vishnu  die  ganze  Schar  der  Gotter  mitsamt 
den  Damonen  und  Kobolden 

13.  bestiirzt  an  Sinnen  und  Geist  infolge  der  Verhohnung 
erblickte,  (12324.)  da  fragte  er  sich,  was  wohl  hier  Gutes  ge- 
wirkt  werden  konne. 

14.  Und  indem  er  die  Verhohnung  nicht  ertrug,  blickte 
er  auf  den  Feuersohn  (Skanda)  hin,  (12325.)  packte  mit  reiner 
Seele  den  flammenden  Speer, 

15.  und  es  gelang  ihm,  dem  hochsten  Purusha,  mit  der 
linken  Hand  den  Speer  ins  Wanken  zu  bringen.  (12  326.)  Als 
aber  der  Speer  von  dem  gewaltigen  Vishnu  erschiittert  wor- 
den war, 

16.  da  bebte  die  ganze  Erde  mit  ihren  Gebirgen  und 
Waldungen.  (12327.)  Wohl  hatte  er  den  Speer  herausreifsen 
konnen,  aber  er  bewegte  ihn  nur, 

17.  denn  der  Ubermachtige  achtete  die  Verwegenheit  des 
Konigs  Skanda.  (12328.)  Nachdem  der  HeiHge  den  Speer  be- 
wegt  hatte,  sprach  er  zu  Prahrada  dieses  Wort: 

18.  Sieh  da  die  Heldenkraft  des  Kumara,  kein  anderer 
wird  so  etwas  fertig  bringen.  (12329.)  Der  aber  ertrug  diese 
Rede  nicht,  und  iiberzeugt,  den  Speer  herausziehen  zu  konnen, 

19.  packte  er  ihn,  vermochte  aber  nicht,  ihn  zu  bewegen. 
(12330.)  Einen  machtigen  Schrei  ausstofsend,  brach  er  ohn- 
machtig  auf  dem  Gipfel  des  Berges  zusammen 


718  ni.    Mokshadharma. 

20.  und  zitternd  stiirzte  er,  der  Sohn  des  HiranyakaQipu, 
zu  Boden.  —  (12331.)  Ebendort  war  es  auch  gewesen,  wo,  nach 
der  nordlichen  Himmelsgegend  gelangend,  an  einem  Abhange 
des  Konigs  der  Berge 

21.  der  den  Stier  im  Banner  Fiihrende  (Qiva)  bestandig 
eine  schwer  zu  iiberwaltigende  Askese  iibte,  o  Freund, 
(12  332.)  er,  in  dessen  von  flammendem  Feuer  umgebene  Ein- 
siedelei 

22.  mit  Namen  Sonnenberg  schwer  einzudringen  ist  von 
solchen,  welche  unbereiteten  Geistes  sind.  (12333.)  Dorthin 
zu  gehen  ist  nicht  moglich  fiir  Halbgotter,  Kobolde  und 
Damonen, 

23.  zu  der  zehn  Meilen  weit  sich  erstreckenden,  von 
Feuerlohe  umgebenen  Einsiedelei.  (12334.)  Der  heilige  Feuer- 
gott  selbst  flammte  dort  in  seiner  Starke, 

24.  um  alle  Hindernisse  fernzuhalten  von  dem  weisen 
Mahadeva,  (12335.)  welcher  tausend  Gotterjahre  hindurch  auf 
einem  Fufse  stand, 

25.  von  dem  geliibdemachtigen  Mahadeva,  welcher  die 
Gotter  in  seiner  Askese  beunruhigte.  —  (12336.)  Anderseits 
pflegte  in  der  ostlichen  Gegend  des  weisen  Konigs  der  Berge 

26.  an  einem  abgesonderten  Abhange  der  askesereiche 
Paragarasohn  (12337.)  Vyasa  seinen  Schiilern  den  Veda  zu 
lehren, 

27.  dem  hochbegliickten  Sumantu,  dem  Vaigampayana, 
(12  338.)  dem  hochweisen  Jaimini  und  dem  askesereichen  Paila. 

28.  Dort  also,  wo,  von  diesen  Schiilern  umgeben,  der 
askesereiche  Vyasa  sals,  (12339.)  erblickte  den  lieblichen,  vor- 
ziiglichen  Ort  der  Einsiedelei  seines  Vaters 

29.  der  reingesinnte  Reibholzentsprossene,  wie  die  Sonne 
am  Himmel  erglanzend.  (12340.)  Aber  auch  Vyasa  erblickte 
den  wie  lohendes  Feuer  umstrahlten, 

30.  der  Sonne  an  Glanz  gleichen  Sohn,  wie  er  heran- 
kam,  (12  341.)  ohne  sich  um  die  Baume,  Felsen  und  Sinnen- 
dinge  zu  kiimmern,  in  den  Yoga  vertieft,  hochsinnig,  einem 
von  der  Sehne  abgeschossenen  Pfeile  vergleichbar. 

31.  (12  342.)  Der  Sohn  naherte  sich  und  erfafste  die  Fiifse 


Adhyaya  329  (B.  327).  719 

des  Vaters,   er,   der  grofse  Muni,  wahrend   er  die  anderen 
nach  Belieben  begriifste. 

32.  (12343.)  Darauf  erzahlte  ^uka  mit  freudigem  Herzen 
seinem  Vater  alles  bis  ins  kleinste,  wie  er  sich  mit  dem 
Konige  Janaka  unterredet  hatte. 

33.  (12344.)  "Wie  er  zu  tun  pflegte,  unterwies  der  gewaltige 
Vyasa  seine  Schiiler  und  seinen  Sohn  und  lebte  auf  dem 
Riicken  des  Himalaya,  der  hochweise  Sohn  des  Paragara. 

34.  (12  345.)  Nun  begab  es  sich  einstmals,  dafs  ihn  seine 
Schiiler  umstanden,  mit  dem  Vedastudium  ausgeriistet,  be- 
ruhigten  Geistes,  mit  bezahmten  Sinnen, 

35.  (12346.)  fest  in  den  Veden  und  Vedaiiga's  gewurzelt 
und  askesereich.  Da  sprachen  die  Schiiler  mit  zusammen- 
gelegten  Handen  zu  Vyasa,  ihrem  Lehrer. 

Die  Schiiler  sprachen: 

36.  (12  347.)  Mit  grofser  Kraft  ausgestattet  und  herrlich 
emporgediehen,  bitten  wir  nunmehr  dich,  unsern  Lehrer,  uns 
eine  Gnade  zu  erweisen. 

37.  (12  348.)  Diese  ihre  Rede  vernommen  habend,  sprach 
zu  ilmen  der  Brahmanweise :  Sprecht  es  aus,  ihr  Kalblein, 
welche  Liebe  ich  euch  erweisen  soil. 

38.  (12  349.)  Dieses  Wort  des  Lehrers  horten  die  Schiiler 
mit  frohem  Herzen,  und  abermals,  die  Hande  zusammen- 
legend  und  mit  dem  Haupte  vor  dem  Lehrer  sich  ver- 
neigend, 

39.  (12  350.)  sprachen  sie,  o  Konig,  alle  im  Verein  dieses 
gewaltige  Wort:  Wenn  der  Lehrer  mit  uns  zufrieden  ist,  so 
sind  wir  begliickt,  o  bester  Muni. 

40.  (12  351.)  Aber  wir  alle  bitten,  dafs  uns  von  dem  grofsen 
Rishi  eine  Gunst  gewahrt  werde:  Mochte  durch  dich  aufser 
uns  kein  sechster  Schiiler  zum  Ruhm  gelangen,  dies  erweise 
uns  als  Gnade. 

4L  (12  352.)  Wir  Schiiler  sind  unserer  schon  vier  und  der 
Sohn  des  Lehrers  ist  der  fiinfte.  Mochten  die  Veden  in  unserm 
Kreise  verbleiben,  das  ist  der  Wunsch,  um  dessen  Erfiillung 
wir  bitten. 


720  III.   Mokshadharma. 

42.  (12333.)  Als  Vyasa,  der  des  Veda  nach  Inhalt  und  Be- 
deutung  kundige  und  iiber  das  Wesen  des  Jenseits  medi- 
tierende,  weise  Sohn  des  Para^ara,  die  Rede  seiner  Schiiler 
vernommen  hatte, 

43.  (12354.)  sprach  der  Pflichtkundige  zu  seinen  Schiilern 
das  pflichtgetreue,  beseligende  Wort :  Das  heilige  Wort  mufs 
allezeit  einem  Brahmanen,  wenn  er  es  zu  horen  begehrt,  mit- 
geteilt  werden, 

44.  (12355.)  sofern  er  nach  der  bestandigen  Wohnung  in 
der  Brahmanwelt  Verlangen  tragt ;  ihr  sollt  zu  vielen  werden, 
dieser  Veda  soil  sich  verbreiten. 

45.  (12  356.)  Aber  keinem  diirft  ihr  ihn  mitteilen,  der  nicht 
ein  Schiiler,  der  nicht  geliibdetreu,  der  nicht  bereiteten  Geistes 
ist;  dieses  alles  miifst  ihr  als  die  Bedingungen  der  Schiiler- 
schaft  der  Wahrheit  gemafs  erkennen; 

46.  (12357.)  nun  und  nimmer  darf  die  Wissenschaft  einem 
solchen  mitgeteilt  werden,  der  unbedachten  Wandels  ist.  Denn 
wie  man  das  Gold  auf  seine  Reinheit  hin  durch  Erhitzung, 
Schneiden  und  Reiben  am  Probierstein 

47.  (12358.)  priift,  so  mufs  man  die  Schiiler  auf  ihre  Ab- 
kunft,  Fahigkeit  und  was  sonst  dazu  gehort  priifen.  Nie 
diirft  ihr  die  Schiiler  zu  einer  unwiirdigen  oder  gefahrlichen 
Arbeit  verwenden. 

48.  (12359.)  Je  nach  dem  Verstandnisse ,  je  nach  dem 
Studium  wird  die  Wissenschaft  fruchtbar  sein;  jeder  mufs 
die  Schwierigkeiten  iiberwinden,  und  jeder  soil  auch  seine 
Freude  daran  haben. 

49.  (12360.)  Allen  vier  Kasten  soil  man  den  Veda  mitteilen, 
in  erster  Linie  aber  den  Brahmanen.  So  steht  es  mit  dem 
Studium  des  Veda,  als  grofse  Aufgabe  haben  wir  es  iiberkommen. 

50.  (12361.)  Die  Veden  sind  von  dem  durch  sich  selbst 
Seienden  geschaffen  worden,  damit  man  die  Gotter  mit  ihnen 
preise.  Wer  aber  in  seiner  Verblendung  einen  Brahmanen 
schmaht,  der  den  Veda  durchstudiert  hat, 

51.  (12362.)  der  geht  unzweifelhaft  ins  Verderben,  weil  er 
es  auf  einen  Brahmanen  abgesehen  hat.  Wer  unbefugter- 
weise  den  Veda  erklart  und  wer  unbefugterweise  iiber  ihn 
Fragen  stellt, 


Adhy&ya  329  (B.  327).  721 

52.  (i23Ga.)  von  denen  geht  ersterer  ins  Verderben  und 
letzterer  macht  sich  verhafst.  Alles  dies  sei  euch  anbefohlen 
als  Vorschrift,  wie  der  Veda  zu  lehren  ist; 

53.  (12  364.)  seid  hilfreich  euren  Schiilern,  das  haltet  fest 
in  eurem  Herzen. 

So  lautet  im  MokshadbaTraa  das  Treiben  des  Quka 

((^ula  -  kritijain). 


Adhyaya  330  (B.  328). 

Vers  12365-12421  (B.  1-57). 

Bhishma  sprach: 

1.  (12365.)  Nachdem  die  herrlichen  Schiiler  des  Vyasa 
dieses  Wort  des  Lehrers  gehort  batten,  umarmten  sie  ein- 
ander  freudigen  Herzens: 

2.  (12  366.)  „Was  der  Heilige  zu  uns  gesprochen  hat,  das 
ist  als  verbindlich  fiir  Gegenwart  und  Zukunft  in  unserm 
Geiste  festgewurzelt,  und  danach  werden  wir  handeln." 

3.  (12  367.)  Nachdem  sie  sich  wiederholt  freudigen  Geistes 
in  dieser  Weise  raiteinander  besprochen  batten,  redeten  die 
Redekundigen  abermals  ihren  Lehrer  an: 

4.  (12  368.)  Es  ist  uns  erwiinscht,  o  grofser  Muni,  aus 
diesem  Gebirge  in  die  Welt  herabzusteigen  und  fiir  die  Ver- 
breitung  der  Veden  zu  wirken,  wenn  es  dir,  o  Herr,  gefallt. 

5.  (12369.)  Nachdem  der  Paragarasohn  die  Rede  seiner 
Schiiler  angehort  hatte,  sprach  er  darauf  das  heilsame,  zum 
Guten  und  Niitzlichen  mahnende  Wort: 

6.  (12370.)  Ihr  mogt  euch  zur  Erde  oder  zur  Gotterwelt  hin- 
wenden,  wenn  es  euch  gefallt,  jedenfalls  miifst  ihr  behutsam 
wandeln,  denn  das  heilige  Vedawort  ist  leicht  zu  entstellen. 

7.  (12371.)  Von  dem  wahrheitliebenden  Lehrer  verabschiedet, 
umkreisten  sie  den  Vyasa  nach  rechts,  griifsten  ihn  durch 
Neigung  des  Hauptes  und  machten  sich  auf  den  Weg. 

8.  (12  372.)  In  die  Ebene  hinabgestiegen ,  richteten  sie  so- 
dann  das  Vierpriesteropfer  ein  und  waren  fiir  Brahmanen, 
Rajanya's  und  Vaigya's  als  Opferpriester  tatig. 

Deusskn,  Mah&bbilTatain.  46 


722  III.   Mokshadharma. 

9.  (12  373.)  Allezeit  von  den  Zwiegeborenen  geehrt,  lebten 
sie  frohlich  als  Hausvater  und  batten  ihre  Freude  am  Opfern 
fur  andere  und  am  Lehren  des  Veda,  gliicklich  und  in  der 
Welt  beriihmt. 

10.  (12374.)  Nachdem  die  Schiiler  hinabgestiegen  waren, 
blieb  Vyasa  mit  seinem  Sohne  schweigend,  meditierend  und 
gedankenreich.  an  einsamer  Statte  sitzen. 

11.  (12375.)  Da  besuchte  ihn  in  seiner  Einsiedelei  der 
askesereiche  Narada  und  sprach  zu  passender  Zeit  mit  lieb- 
lich  tonender  Stimme: 

12.  (12376.)  Ei,  ei,  du  Brahmanenweiser  aus  Vasishtha's 
Stamm!  man  hort  hier  gar  nicht  mehr  das  heilige  Wort  er- 
tonen;  warum  sitzest  du  allein  meditierend  und  schweigsam 
da  wie  einer,  der  in  Gedanken  versunken  ist? 

13.  (12377.)  Dieser  Berg  hat  jetzt,  wo  er  nicht  mehr  von 
heiHger  Rede  widerhallt,  seine  Schonheit  eingebiifst  wie  der 
Mond,  wenn  er  durch  Staub  und  Finsternis  verdunkelt  wird. 

14.  (12  378.)  Nicht  glanzt  er  mehr  wie  vordem,  und  er,  der 
doch  von  Gottem  und  Rishi's  besucht  wird,  gleicht  einer  Be- 
hausung  wilder  Barbaren,  seitdem  das  Vedawort  nicht  mehr 
auf  ihm  erschallt. 

15.  (12  379.)  Rishi's,  Gotter  und  machtige  Gandharven,  des 
Vedaklanges  entbehrend,  glanzen  nicht  mehr  wie  vordem. 

16.  (12  380.)  Das  Wort  des  Narada  vernommen  habend, 
erwiderte  Krishna  Dvaipayana:  0  grofser  Rishi,  was  du  mir 
gesagt  hast,  du,  der  Vedareden  Kundiger, 

17.  (12381.)  das  entspricht  meinem  Wunsche,  und  du  hast 
ganz  recht,  es  mir  zu  sagen.  Allweise,  allschauend  und 
iiberall  umherspiirend, 

18.  (12  382.)  hast  du  in  deinem  Geiste  alles  gegenwartig, 
was  in  den  drei  Welten  vor  sich  geht.  Darum  sprich  dich 
aus,  0  Brahmanenweiser,  und  sage,  was  ich  dir  zuliebe 
tun  soil. 

19.  (12383.)  Lafs  horen,  o  Brahmanenweiser,  was  ich  unter- 
nehmen  soil;  seitdem  ich  meiner  Schiller  beraubt  bin,  werde 
ich  meiner  nicht  mehr  recht  froh. 


Adhyaya  330  (B.  328).  723 


NS.rada  spracb: 

20.  (12384.)  Das  Nichtstudiertwerden  ist  eine  Schmach  fiir 
den  Veda,  keine  Geliibde  zu  haben  eine  Schmach  fiir  den 
Brahmanen;  Auslander  sind  die  Schmach  des  Landes,  Neu- 
gierde  ist  die  Schmach  der  Weiber. 

21.  (12  385.)  0  Herr,  studiere  zusammen  mit  deinem  ver- 
standigen  Sohne  die  Veden,  dann  wirst  du  durch  den  Schall 
der  heiligen  Rede  den  Triibsinn  abschiitteln ,  der  dich  aus 
Furcht  vor  den  Kobolden  befangt. 

Bhishma  spracli: 

22.  (12  386.)  Nachdem  der  iiberaus  pflichtkundige  Vyasa 
das  Wort  des  Narada  gehort  hatte,  sprach  er  freudig:  So  sei 
es!   und  gelobte  sich  fest,  die  Veden  eifrig  zu  treiben. 

23.  (12  387.)  Darauf  gab  er  sich  mit  seinem  Sohne  (^uka 
dem  Studium  des  Veda  hin  und  erfiillte  mit  seinem  lauten, 
kunstgerechten  Vortrage  gleichsam  die  Welt. 

24.  (12  388.)  Einstmals,  als  die  beiden  gerade  studierten 
und  mancherlei  Satzungen  vortrugen,  wehte  ein  sehr  starker 
Wind,  der  von  einem  Seesturme  herriihrte. 

25.  (12  389.)  Dabei  kann  nicht  studiert  werden,  sprach 
Vyasa  und  hemmte  den  Eifer  seines  Sohnes ;  Quka  horte  auf, 
und  von  Wifsbegierde  erfiillt, 

26.  (12  390.)  fragte  er  seinen  Vater:  0  Brahmane,  woher 
ist  dieser  Wind  entstanden?  Du  mogest  mir,  o  Herr,  das 
ganze  Wesen  des  Windes  erklaren. 

27.  (12391.)  Nachdem  er  dieses  Wort  des  (^uka  vernommen 
hatte,  sprach  der  gleichfalls  liber  diese  Veranlassung  der 
Studienunterbrechung  hochst  erstaunte  Vyasa  folgendermafsen : 

28.  (12392.)  Ein  himmHsches  Auge  ist  dir  geworden,  und 
dein  Geist  ist  aus  sich  selbst  fleckenlos,  von  Tamas  und 
Rajas  bist  du  frei  und  stehst  fest  im  Sattvam. 

29.  (12393.)  Wie  einer  sein  Bild  im  Spiegel,  so  siehst  du 
dein  Selbst  durch  dein  Selbst;  erwage  in  deinem  Selbste  die 
Veden  und  iiberdenke  sie  mit  deinem  Geiste. 

30.  (12  394.)  Wer  auf  dem  Gotterwege  geht,  gelangt  zu 
Vishnu,  der  Vaterweg  aber  ist  tamas-artig ;  diese  beiden  Wege 

46* 


724  in.   Mokshadharma. 

bestehen  nach  dem  Tode  fiir  den,  der  zum  Himmel,  und  fiir 
den,  der  niederwarts  geht. 

31.  (12395.)  Auf  der  Erde  und  im  Luftraume,  wo  immer 
die  Winde  umherstreichen  mogen,  da  gibt  es  folgende  sieben 
Windpfade,  diese  vernimm  der  Reihe  nach.*  — 

32.  (12  396.)  Da  oben  wohnen  die  machtigen,  gewaltigen, 
gottlichen  Scharen  der  Sadhya's,  diese  batten  einen  schwer 
iiberwindlichen  Sohn,  der  hiefs  Sanidna  (der  Allhauch). 

33.  (12397.)  Sein  Sohn  ist  der  Uddna  (Aufhauch),  dessen 
Sohn  der  Vydna  (Zwischenhauch) ;  von  ihm  stammt  der  Ajidna 
(Einhauch),  und  von  diesem  weiter  der  Prdna  (Aushauch). 

34.  (12  398.)  Der  schwer  zu  bewaltigende,  feindbedrangende 
Prana  aber  hatte  keine  Nachkommen.  Nun  will  ich  dir  die 
besonderen  Verrichtungen  dieser  Winde  der  Wahrheit  gemafs 
erklaren. 

35.  (12  399.)  Der  Wind  ist  es,  welcher  die  Tatigkeit  der 
lebenden  Wesen  alliiberall  und  bei  jedem  in  Gang  bringt,  und 
weil  alle  Wesen  aushauchen,  darum  wird  er  Prana  (der  Aus- 
hauch) genannt 

36.  (12400.)  Die  aus  Dunst  und  Hitze  geborenen  Wolken- 
massen  treibt  derjenige  Wind  an,  welcher  der  erste  auf  dem 
ersten  Pfade  ist  und  welcher  den  Namen  FravaJta  (der  An- 
treiber)  fiihrt. 

37.  (12401.)  Im  Luftraume  Feuchtigkeit  aufnehmend  und 
durch  die  Blitze  sehr  glanzend  geworden,  weht  sausend  und 
brausend  der  zweite  Wind,  welcher  Avaha  (der  Hertreiber) 
heifst. 

38.  (12402.)  Derjenige  Wind,  welcher  fort  und  fort  den 
Aufgang  des  Mondes  und  der  Sterne  bewirkt,  und  den,  sofern 
er  innerhalb  des  Korpers  auftritt,  die  Weisen  den  Udana  (Auf- 
hauch) nennen  [mit  C], 

39.  (12403.)  der  Wind,  welcher  aus  den  vier  Ozeanen  das 
Wasser  entnimmt,  es  emporfiihrt  und  es  fiir  die  Wolken  im 
Luftraume  mit  sich  forttragt,  dieser  Wind, 


*  Vers  36  schliefst  sich  unmittelbar  au  Vers  31.  Vers  32—35  unter- 
brechen  den  Zusammenhang  und  scheinen  ein  eingeschobenes  Fragment 
einer  von  den  fiiuf  Prana's  handelndeu  Stelle  zu  sein. 


Adhyaya  303  (B.  328).  725 

40.  (12  404.)  welcher  die  Wolken  mit  Wasser  versorgt  und 
sie  dem  Regengotte  iiberliefert,  dieser  iiberaus  starke  ist  der 
dritte  Wind  und  heifst  Udvaha  (Emportreiber). 

41.  (12405.)  Derjenige  Wind,  durch  welchen  die  einzelnen 
Wolken  vielfach  zusammengetrieben ,  fortgefiihrt  und,  wenn 
sie  anfangen  den  Regen  zu  entlassen,  zu  dichten  Regen- 
wolken  werden, 

42.  (12406.)  durch  den  sie  aneinander  geschlagen  und  zer- 
brochen  werden,  so  dafs  die  Tone  der  donnernden  entstehen, 
durch  den  die  zum  Heil  entstandenen  Wolken  zu  Regen- 
wolken  werden, 

43.  (12407.)  der  auch  die  Gotterwagen  hoherer  Wesen  im 
Luftraume  fortfiihrt,  dieser  Berge  zerreifsende  Wind  ist  der 
vierte  und  heifst  Samvaha  (Zusammentreiber). 

44.  (12408.)  Der  stiirmische,  rauhe,  durch  die  Berge  briillende 
Wind,  durch  welchen  die  zerrissenen  und  wieder  vereinigten 
Wolken  zu  Gewitter wolken  werden, 

45.  (12409.)  der  vom  Himmel  her  donnernd  furchtbar  sich 
erhebt  und  dahinfahrt,  dieser  sehr  stiirmische  Wind  ist  der 
fiinfte  und  wird  Vivaha  (Zertreiber)  genannt. 

46.  (12410.)  Der  Wind,  in  welchem  die  freischwebenden 
himmlischen  Gewasser  im  Luftraume  dahinziehen,  auf  welchen 
sich  stiitzend,  das  reine  Wasser  der  Himmelsgaiiga  sich  halt, 

47.  (12411.)  und  in  welchem,  von  fernher  gehemmt,  als  ein- 
strahlig  die  Sonne  erscheint,  sie,  welche  doch  der  Mutter- 
schofs  von  tausend  Strahlen  ist  und  die  Erde  mit  Licht  erfiillt, 

48.  (12412.)  der  Wind,  durch  den  der  Mond  wachst  und 
nach  seinem  Schwinden  die  Scheibe  wieder  fiillt,  dieser  sieg- 
reichste  ist  der  sechste  und  heifst  Parivaha  (Umtreiber). 

49.  (12413.)  Der  Wind,  welcher  die  Lebensgeister  aller 
Lebenden  zu  ihrer  Zeit  austreibt,  auf  dessen  Pfade  beide  sich 
bewegen,  der  Todesgott  und  des  Vivasvant  Sohn  (Yama), 

50.  (12  414.)  der  den  mit  ruhigem  Geiste  richtig  Forschen- 
den,  —  0  ihr  Kenner  der  innern  Seele!  —  den  an  Meditation 
und    Studium   sich  Erfreuenden   zur  Unsterblichkeit  verhilft, 

51.  (12  415.)  von  welchem  getragen  die  zehntausend  Sohne 
des  Schopferherrn  Daksha  im  Sturme  an  das  Ende  der  Welt 
gelangt  sind, 


726  ni.   Mokshadharma. 

52.  (12416.)  von  welchem  der  Erschaffene  weggerafft  dahin- 
geht  und  nicht  wiederkommt,  dieser  hochste,  schwer  zu  iiber- 
windende  Wind  heifst  Pardvaha  (Wegtreiber). 

53.  (12  417.)  So  steht  es  mit  diesen  hochst  wunderbaren 
"Winden,  den  Sohnen  der  Aditi ;  unermiidlich  wehen  sie,  alles 
durchziehend,  alles  tragend. 

54.  (12418.)  Aber  das  ist  ein  grofses  Wunder,  dafs  dieser 
trefflichste  der  Berge  durch  jenen  iiber  die  Mafsen  wehenden 
Wind  mit  Gewalt  erschiittert  wurde. 

55.  (12419.)  Dieser  Wind  ist  der  Odem  des  Vishnu;  wenn 
dieser,  stiirmisch  erregt,  sich  gewaltsam  erhebt,  o  Freund, 
dann  erzittert  die  ganze  Welt. 

56.  (12420.)  Darum  studieren  die  Brahman wisser  den  Veda 
nicht  bei  starkem  Winde,  denn  in  Windfurcht  vor  dem  Winde 
rezitiert,  fiihlt  sich  das  heilige  Wort  gequalt. 

57.  (12421.)  Nachdem  der  machtige  Sohn  des  Paraqara 
dies  Wort  gesprochen  hatte,  rief  er  seinem  Sohne  zu:  „Stu- 
diere!"  und  stieg  zur  Himmelsgaiiga  hinauf. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Entstehung  des  Qxika, 

((j'uka-iitpatH), 


Adhyaya  331  (B.  339). 

Vers  12422-12481  (B.  1-59). 

Bhishma  sprach: 

1.  (12422.)  In  dieser  Zeit  des  Alleinseins  kam  Narada  herbei, 
um  dem  mit  dem  Studium  des  Veda  beschaftigten  (^uka  liber 
den  Inhalt  des  Veda  Fragen  vorzulegen. 

2.  (12423.)  Als  aber  (^uka  den  Gotterweisen  Narada  heran- 
kommen  sah,  verehrte  er  ihn  zunachst  durch  die  Gastspende 
auf  die  im  Veda  vorgeschriebene  Weise. 

3.  (12424.)  Da  sprach  Narada  freudig  und  liebevoll:  Sage 
mir,  o  Bester  der  Gesetzestrager,  mit  welcher  Heilsgabe  ich 
dich  begliicken  kann,  mein  Lieber. 

4.  (12  425.)  Als  (,'uka  das  Wort  des  Narada  vernommen, 
o  Bharata,  sprach  er  zu  ihm :  Was  in  dieser  Welt  zum  Heile 
dient,  damit  mogest  du  mich  beschenken. 


Adhyaya  331  (B.  329).  727 

Narada  sprach: 

5.  (12426.)  Zu  den  nach  der  Wahrheit  forschenden  und 
in  ihrem  Geiste  bereiteten  alien  Weisen  hat  der  heilige  Sanat- 
kumara  das  folgende  Wort  gesprochen: 

6.  (12427.)  Kein  Auge  koramt  der  Wissenschaft  gleich, 
keine  Askese  der  Wahrheit,  kein  Ungluck  kommt  der  Leiden- 
schaft,  kein  Gltick  der  Entsagung  gleich  (=  Vers  6557). 

7.  (12428.)  Abwendung  von  bosem  Tun,  bestandige  Kein- 
heit  des  Charakters,  edles  Betragen  und  geziemendes  Be- 
tragen,  darin  liegt  das  hochste  Heil. 

8.  (12429.)  Wer  das  Ungluck  hat,  Mensch  geworden  zu 
sein  und  daran  hangt,  der  ist  ein  Tor;  nicht  vermag  er  sich 
vom  Leid  zu  befreien,  Kleben  an  der  Welt  heifst  Leiden. 

9.  (12430.)  Die  Erkenntnis  des  Weltanhanglichen  geht  irre 
und  befestigt  ihn  in  dem  Netze  der  Verblendung;  wer  aber 
vom  Netze  der  Verblendung  umstrickt  ist,  der  gerat  in  Leiden 
hienieden  und  im  Jenseits. 

10.  (12431.)  Mit  alien  Mitteln  soil  man  die  Niederhaltung 
der  Begierde  und  des  Zornes  erstreben,  wenn  man  nach  dem 
Heil  trachtet,  denn  diese  beiden  stehen  auf  der  Lauer,  um 
das  Heil  zu  morden. 

11.  (12  432.)  Allezeit  soil  man  seine  Askese  vor  Zorn  be- 
hiiten  und  sein  Gliick  vor  Ubermut,  seine  Wissenschaft  soil 
man  vor  Hochmut  und  Geringschatzung  bewahren  und  sich 
selbst  vor  Unbesonnenheit. 

12.  (12433.)  Wohlwollen  ist  die  hochste  Pflicht,  Geduld 
ist  die  hochste  Starke,  das  Atmanwissen  ist  das  hochste 
Wissen,  aber  nichts  Hoheres  gibt  es  als  die  Wahrheit. 

13.  (12434.)  Das  Beste  ist,  immer  die  Wahrheit  zu  sagen, 
wer  die  Wahrheit  sagt,  der  redet  zum  Guten;  das  absolut 
Gute  fiir  die  Wesen  ist  nach  meiner  Meinung  die  Wahrheit. 

14.  (12435.)  Wer  auf  alle  Unternehmungen  verzichtet,  ohne 
Wiinsche  und  ohne  Anhang  lebt,  wer  verzichtet  auf  dies 
alles,  der  ist  weise,  der  ist  gelehrt. 

15.  (12436.)  Wer  durch  die  Sinnendinge  wandelt  mit 
Sinnen,  die  dem  Atman  gehorsam  sind,  ohne  Anhanglichkeit, 
beruhigten  Geistes,  unentwegt  und  gesammelt. 


728  III.   Mokshadharma. 

16.  (12437.)  wer  bei  allem,  was  sein  Selbst  umgibt,  mag 
es  ihm  angehoren  oder  nicht,  sich  bewufst  bleibt,  dafs  er 
das  nicht  ist,  der  ist  erlost  und  erlangt  in  kurzer  Zeit  das 
hochste  Heil. 

17.  (12  438.)  Wer  im  Verkehr  mit  den  Wesen  nicht  sieht, 
nicht  fiihlt,  nicht  redet,  der,  o  Muni,  erlangt  das  hochste  Heil. 

18.  (12439.)  Man  schadige  kein  Wesen  und  beharre  auf 
dem  Wege  der  Freundlichkeit ;  nachdem  man  einmal  in  dieses 
Dasein  geraten  ist,  lebe  man  in  Feindschaft  mit  niemandem. 

19.  (12410.)  Besitzlosigkeit,  Zufriedenheit ,  Wunschlosig- 
keit,  Unwankelmiitigkeit,  das  erklart  man  fiir  das  hochste 
Gliick  dessen,  der  sein  Selbst  erkennt,  sein  Selbst  beherrscht. 

20.  (12441.)  Gib  auf,  was  dir  angehort,  und  beharre, 
o  Freund,  in  Bezahmung  der  Sinne,  gewinne  den  Standpunkt 
der  Freiheit  von  Kummer  und  Furcht  hier  und  im  Jenseits. 

21.  (12442.)  Wer  frei  von  Lockungen  ist,  hat  keinen 
Kummer,  man  meide,  was  die  Seele  verlockt;  wenn  du  den 
Lockungen  widerstehst,  o  Teurer,  wirst  du  von  Leid  und 
Qual  erlost  werden. 

22.  (12443.)  Von  dem  askesetreuen,  bezahmten,  sich  selbst 
im  Zaume  haltenden  Muni,  der  das  noch  Uniiberwundene  zu 
iiberwinden  strebt,  mufs  in  der  Sinnenwelt  ohne  Sinnenlust 
beharrt  werden. 

23.  (12  444.)  Der  Brahmane,  welcher  nicht  mehr  in  die 
Fesseln  der  Guna's  verstrickt  ist,  sondern  an  dem  einsamen 
Wandel  allezeit  sein  Geniige  hat,  der  wird  in  kurzer  Zeit  zu 
uniiberbietbarer  Seligkeit  gelangen. 

24.  (12445.)  Wer  unter  den  an  den  Gegensatzen  sich  freuen- 
den  Wesen  als  Muni  seine  Freude  an  der  Einsamkeit  hat, 
den  wisse  als  einen  Erkenntnisgesattigten ,  und  wer  an  Er- 
kenntnis  gesattigt  ist,  der  leidet  nicht  mehr. 

25.  (12446.)  Durch  gute  Werke  erlangt  man  das  Gott- 
sein,  durch  gemischte  eine  Geburt  als  Mensch,  durch  bose 
Werke  verfallt  man  einer  Geburt  als  Tier,  man  mag  wollen 
oder  nicht. 

26.  (12  447.)  Dabei  wird  das  Geschopf  fort  und  fort  von 
Tod,  Alter  und  Schmerz  bestiirmt  und  im  Sansara  miirbe  ge- 
macht;  siehst  du  das  nicht  ein? 


Adhy^ya  331  (B.  329).  729 

27.  (12  44S.)  Du,  der  du  das  Nichtgute  fiir  gut  haltst,  das 
Vergangliche  fiir  bestandig,  das  Wertlose  fiir  wertvoll,  warum 
siehst  du  das  nicht  ein? 

28.  (12  449.)  Dafs  du  von  vielen  von  dir  selbst  gesponnenen 
Stricken  der  Verblendung  umgarnt  bist,  wie  eine  Seiden- 
raupe,  die  sich  selbst  einspinnt,  siehst  du  das  nicht  ein? 

29.  (12450.)  Lafs  das  Angehorige  fahren;  in  Schuld  ver- 
wickelt,  was  angehort;  wird  ja  doch  auch  die  Seidenraupe 
gebunden  durch  das,  was  ihr  angehort. 

30.  (12451.)  An  Kindern,  Weibern  und  FamiHe  hangend, 
ermatten  die  Menschen,  wie  alte  Waldelefanten,  wenn  sie  in 
ein  Meer  von  Schlamm  geraten  sind. 

31.  (12  452.)  Wie  Fische  in  einem  grofsen  Netze  gefangen 
und  aufs  Trockene  gezogen  werden,  so  lassen  sich  die  Men- 
schen in  dem  Netze  der  WeltHebe  fangen  und  geraten  da- 
durch  in  grofses  Leid. 

32.  (12453.)  Famihe,  Kinder,  Weiber,  Leib  und  Vermbgen 
wisse  alles  als  dir  fremd  und  unbestandig.  Was  ist  dein? 
Das  gute  und  bose  Werk! 

33.  (124,54.)  Da  du  alles  dahinten  lassen  und  fortziehen 
mufst,  du  magst  wollen  oder  nicht,  warum  klammerst  du  dich 
an  Wertloses  an  und  suchst  nicht  das,  was  wertvoll  ist? 

34.  (12455.)  Den  Weg  ohne  Ende,  ohne  Kuheplatze  und 
ohne  Wegekost,  den  richtungslosen,  durch  Dunkel  und  Dickicht 
fiihrenden,  wirst  du  den  allein  gehen? 

35.  (12456.)  Kein  Mensch  wird  dir  folgen,  wenn  du  ihn 
angetreten  hast,  nur  das  gute  und  bose  Werk  wird  dich  auf 
deinem  Wege  geleiten. 

3G.  (12  457.)  Wissenschaft ,  Werke,  Reinheit  und  viel- 
umfassende  Erkenntnis,  dem  mufst  du  um  des  Zweckes  willen 
nachtrachten ;  wer  den  Zweck  erreicht  hat,  wird  erlost. 

37.  (12458.)  Eine  bindende  Fessel  ist  die  Liebesfreude  des 
Dorfbewohners,  Edelgesinnte  durchschneiden  sie  und  ziehen 
davon,  Ubelgesinnte  durchschneiden  sie  nicht  [=  Vers  12114]. 

38.  (12459.)  [Es  gibt  einen  Flufs:]  Gestalt  ist  sein  Ufer, 
Manas  seine  Stromung,  der  Tastsinn  seine  Insel,  der  Ge- 
schmack  sein  Gefalle,  der  Geruch  sein  Schlamm,  das  Gehor  sein 
Wasser,  der  Weg  zum  Himmel  ist  schwer  auf  ihm  zu  finden, 


730  ni.    Mokshadharma. 

39.  (12460.)  aber  mit  der  Geduld  als  Ruder,  der  Wahrheit 
als  Ballast,  Festigkeit  in  der  Pflicht  als  Zugseil,  mit  der  Frei- 
gebigkeit  als  schnellem  Segelwinde  mufs  man  zu  Schiffe 
diesen  Flufs  liberschreiten. 

40.  (12  461.)  Wirf  ab  Gutes  und  Boses,  Wahrheit  und  Un- 
wahrheit,  und  wenn  du  beides,  Wahrheit  und  Unwahrheit, 
abgeworfen  hast,  wirf  auch  den  ab,  durch  den  du  sie  ab- 
geworfen  hast. 

41.  (12462.)  Wirf  ab  das  Gute,  weil  du  wunschlos,  das 
Bose,  weil  du  begierdelos  geworden  bist,  die  Wahrheit  und 
Unwahrheit,  weil  dir  die  Erkenntnis  zuteil  wurde,  die  Er- 
kenntnis,  weil  du  des  Hochsten  gewifs  bist. 

42.  (12463.)  Das  Haus,  dessen  Saulen  die  Knochen,  dessen 
Bander  die  Sehnen,  dessen  Mortel  Fleisch  und  Blut  sind,  das 
hautiiberzogene,  iibelriechende,  von  Kot  und  Urin  erfiillte, 

43.  (12464.)  in  welchem  Alter  und  Kummer  hausen  und 
qualvolle  Krankheiten  sich  tummeln,  das  unreine,  vergang- 
liche,  das  dir  zur  Wohnung  geworden  ist,  verlasse. 

44.  (1246.5.)  Dieses  Wei  tall,  alles  Lebende  und  was  an 
Nichtlebendem  vorhanden  ist,  auch  alles,  was  aus  den  grofsen 
Elementen  besteht,  ferner  das  Grofse  [der  Mahan],  welches 
sich  auf  das  Hochste  stiitzt, 

45.  (12466.)  dazu  die  fiinf  Elemente  nebst  Tamas,  Sattvam 
und  Rajas,  das  ist  der  siebzehnfache  Haufen,  welcher  Avyaktam 
(Prakriti)  heifst. 

46.  (12  467.)  Fiigt  man  hierzu  noch  alle  [fiinf]  Sinnes- 
objekte  nebst  den  entfalteten  und  unentfalteten  Wesenheiten, 
so  kommt  [noch  willktirlicher  ist  die  Verteilung  bei  Nil]  die 
aus  allem  Entfalteten  und  Unentfalteten  sich  zusammensetzende 
vierundzwanzigfache  Schar  heraus. 

47.  (12468.)  Mit  allem  diesem  ist  er  verbunden,  der  da  der 
Purusha  genannt  wird,  auch  ist  da  noch  die  Dreischar  [des 
Guten,  Niitzlichen,  Angenehmen]  nebst  Lust  und  Leid,  Leben 
und  Tod,  — 

48.  (12469.)  wer  das  alles  der  Wahrheit  nach  kennt,  der 
kennt  das  Entstehen  und  Vergehen,  man  mufs  es  in  seiner 
Abfolge  begreifen,  und  was  sonst  noch  an  Wifsbarem  vor- 
handen ist. 


Adhyaya  331  (B.  329).  731 

49.  (12470.)  Alles,  was  durch  die  Sinnesorgane  aufgefafst 
wird,  heifst  das  Entfaltete,  soviel  ist  klar;  unter  dem  Un- 
entfalteten  ist  das  iiber  die  Sinne  Hinausliegende ,  nur  aus 
Merkmalen  flingaj  Erschliefsbare  zu  verstehen. 

50.  (12471.)  An  der  Bezahmung  der  Sinne  erquickt  sich 
der  Mensch  wie  an  Wasserquellen,  indem  er  den  Atman  in 
der  Welt  und  die  Welt  in  dem  Atman  schaut. 

51.  (12472.)  Die  Kraft  dessen,  welcher  auf  Grund  der  Er- 
kenntnis  das  Hochste  und  Tiefste  durchdringt,  ist  unver- 
ganglich,  indem  er  allezeit  alle  Wesen  in  alien  ihren  Zu- 
standen  durchschaut. 

52.  (12473.)  Die  Verbindung  mit  allem  Seienden  ist  nicht 
auf  unlauterem  Wege  zu  erlangen,  sondern  nur  von  dem, 
welcher  durch  die  Erkenntnis  sich  iiber  die  mannigfachen, 
aus  Verblendung  entspringenden  Anfechtungen  erhebt. 

53.  (12474.)  Wenn  das  Licht  der  Erkenntnis  in  der  Welt 
leuchtet,  so  wird  dadurch  der  Gang  der  Welt  nicht  gestort. 
Von  dem  anfang-  und  endlosen,  im  Atman  weilenden,  unver- 
ganglichen  Wesen 

54.  (12  475.)  lehrt  der  erhabene  Pfadfinder,  dafs  es  taten- 
los  und  gestaltlos  ist.  Aber  ein  Mensch,  welcher  bald  durch 
diese,  bald  durch  jene  selbstbegangenen  Werke  in  bestandi- 
ges  Leid  verstrickt  wird, 

55.  (12476.)  der  wird,  um  dem  Leid  zu  wehren,  vielfach 
seine  Mitmenschen  schadigen.  Dann  greift  er  immerfort  nach 
vielen  neuen  Tatigkeiten 

56.  (12477.)  und  wird  von  ihnen  wieder  aufs  neue  gequalt, 
dem  Kranken  gleich,  der  eine  unwirksame  Arznei  einnimmt. 
Von  Betorung  verblendet  und  unaufhorlich  in  Schmerzen, 
wird  er  durch  nur  vermeintliche  Liiste  [lies:  sainjnitaih] 

57.  (12478.)  geschlagen  und  von  seinen  eigenen  Werken 
wie  von  einem  Quirlstabe  gequirlt.  Dann  bleibt  er  hienieden 
gebunden  [und  erlangt]  vermoge  des  Aufspriefsens  seiner 
Werke  den  ihm  zukommenden  Mutterschofs ; 

58.  (12  479.)  so  durchlauft  er  wie  ein  Rad  den  Sansara 
unter  vielen  Schmerzen.  Du  aber,  befreit  von  den  Fesseln 
und  abgewendet  vom  Werke, 


732  HI.   Mokshadharma. 

59.  (12480.)  werde  ein  Allwisser,  Allsieger  in  der  Voll- 
endung,  vom  Dasein  gelost.  Indem  sie  eine  neue  Bindung 
fernhielten  durch  Yogazucht  und  durch  die  Kraft  der  Askese, 
(12  481.)  haben  viele  die  Vollendung  erlangt,  die  unstorbare, 
welche  der  Aufgang  des  Gliickes  ist. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Unterredung  zwischen  Quka  und  Narada 
(Quka  -  Ndrada -  samvdda). 


Adhyaya  333  (B.  330). 

Vers  12482-12511  (B.  1-30). 

Narada  sprach: 

1.  (12  482.)  Wer  zur  Abwehr  des  Leidens  die  leidfreie,  be- 
ruhigende,  beseligende  Lehre  anhort,  der  erlangt  die  Erkennt- 
nis,  und  hat  er  diese  erlangt,  so  gedeiht  sein  Gliick. 

2.  (12  483.)  Tausend  Anlasse  zum  Leid  und  hundert  An- 
lasse  zur  Furcht  liberfallen  Tag  fiir  Tag  den  Toren,  aber 
nicht  den  Weisen. 

3.  (12484.)  Darum  sollst  du,  um  die  Vernichtung  des 
Leidens  zu  fordern,  auf  meine  Erzahlung  achten.  Wenn  die 
Buddhi  im  Gehorsam  verharrt,  dann  erlangt  man  die  Ver- 
nichtung des  Leides. 

4.  (12  485.)  Durch  Verbindung  mit  Unliebem  und  Getrennt- 
sein  von  Liebem  [vgl.  die  erste  der  vier  heiligen  Wahrheiten 
des  Buddhismus]  verbinden  sich  die  kurzsichtigen  Menschen 
mit  geistigen  Leiden. 

5.  (12486.)  Ist  man  iiber  die  Substanzen  hinausgelangt,  so 
soil  man  sich  auch  um  ihre  Qualitaten  nicht  mehr  kiimmern, 
denn  solange  man  diesen  noch  Beachtung  schenkt,  wird  das 
Band  des  Welthanges  nicht  gelost. 

6.  (12487.)  Man  erkenne  die  Mangel  des  Gegenstandes, 
auf  den  sich  die  Begierde  richtet,  man  iiberzeuge  sich,  dafs 
er  voir  von  Unerwunschtem  ist,  und  die  Leiden schaft  wird 
sich  schnell  abkiihlen. 

7.  (12  488.)  Kein  Nutzen,  kein  Gutes  und  kein  Ruhm  [kommt 
dabei  heraus] ,  wenn  man  Vergangenem  nachtrauert ;  ebenso- 


Adhy&ya  332  (B.  330).  733 

gut  mag  man  an  Nichtvorhandenes  sich  hangen,  denn  auch 
das  kommt  einem  nicht  wieder. 

8.  (12489.)  Mit  den  Eigenschaften  der  Dinge  treten  die 
Wesen  in  Verbindung  und  trennen  sich  wieder  von  ihnen, 
alle  wie  sie  da  sind;  nicht  fiir  einen  allein  besteht  dieser 
Anlafs  zum  Kummer. 

9.  (12  490.)  Wer  einem  Vergangenen,  mag  es  gestorben 
oder  verloren  sein,  nachtrauert,  der  hauft  Schmerz  auf  Schmerz 
und  verdoppelt  nur  sein  Ungemach, 

10.  (12491.)  Keine  Trane  wird  vergiefsen,  wer  mit  Erkennt- 
nis  [begabt  ist],  wenn  er  den  Lauf  der  Welt  betrachtet.  Wer 
alles  richtig  ansieht,  fiir  den  ist  kein  Anlafs,  Tranen  zu  ver- 
giefsen. 

11.  (12  492.)  Wenn  ein  Schmerz,  ein  korperlicher  oder 
geistiger,  auf  einen  Menschen  eindringt,  so  soil  er  das,  was 
er  durch  Bemiihungen  nicht  andern  kann,  auch  nicht  weiter 
bedenken. 

12.  (12493.)  Das  rechte  Heilmittel  des  Schmerzes  besteht 
darin,  nicht  an  ihn  zu  denken;  denn  griibelt  man  ihm  nach, 
so  schwindet  er  nicht,  sondern  wachst  nur  noch  mehr  an. 

13.  (12494.)  Geistigen  Schmerz  heilt  man  durch  die  Er- 
kenntnis,  wie  korperlichen  durch  Arznei,  soviel  vermag  die 
Erkenntnis;  man  sei  nicht  den  Toren  gleich. 

14.  (12  495.)  Verganglich  ist  Jugend,  Schonheit,  Leben, 
Vermogen,  Gesundheit  und  Freundesumgang ;  der  Weise  moge 
nicht  danach  gierig  sein. 

15.  (12496.)  Nicht  das  ganze  Land,  sondern  nur  der  ein- 
zelne  vermag  Schmerz  zu  empfinden;  sieht  man  daher  einen 
Ausweg,  so  soil  man  nicht  klagen,  sondern  handeln. 

16.  (12497.)  Der  Schmerz  iiberwiegt  im  Leben  die  Lust, 
daran  ist  kein  Zweifel,  denn  das  Hangen  an  den  Sinnen- 
dingen  beruht  auf  Tauschung,  und  das  Sterben  ist  un- 
erwiinscht. 

17.  (12498.)  Der  Mensch,  welcher  beides,  Leid  und  Lust, 
hinter  sich  lafst,  der  geht  zu  dem  unendlichen  Brahman  ein, 
den  betrauern  weise  Menschen  nicht. 

18.  (12  499.)  Reichtum  geht  verloren  unter  Schmerzen, 
und    ihn    zu   behiiten    ist   auch    keine  Lust,    erworben    aber 


734  ni.    Mokshadharma. 

wird    er    mit  Miihe,    darum    trauere    man    nicht    um    seinen 
Verlust. 

19.  (12  500.)  Die  Menschen  kommen  abwechselnd  bald  in 
diese,  bald  in  jene  Vermogenslage,  und  ungesattigt  gehen  sie 
zugrunde,  nur  der  Weise  gelangt  zur  Befriedigung. 

20.  (12501.)  Auf  Reichtum  folgt  allezeit  Verlust,  auf  Er- 
hohungen  Erniedrigung,  auf  Verbindungen  Trennung,  auf  das 
Leben  der  Tod. 

21.  (12502.)  Der  Durst  nach  Besitz  hat  kein  Ende,  Zu- 
friedenheit  ist  das  grofste  Gliick,  darum  sehen  die  Weisen 
die  Zufriedenheit  als  ihren  Reichtum  an. 

22.  (12503.)  In  einem  Augenblicke  schwindet  die  Lebens- 
kraft  hin  und  hat  keinen  Bestand;  unsere  Leiber  sind  ver- 
ganglich,  was  ist  da  Unvergangliches  zu  finden! 

23.  (12  504.)  Wer  in  den  Wesen  die  Realitat  iiberdenkt 
und  das  iiber  den  Verstand  Erhabene  in  ihnen  erkennt,  der 
trauert  nicht,  wenn  er  dahingehen  mufs,  weil  er  das  hochste 
Ziel  im  Auge  hat. 

24.  (12  505.)  Noch  ist  er  dabei,  zu  sammeln,  noch  sind  seine 
Begierden  nicht  gesattigt,  da,  wie  der  Tiger  ein  Stiick  Vieh 
raubt,  holt  ihn  der  Tod  (=  Vers  654i,  vgl.  Vers  9945b). 

25.  (12506.)  Darum  sehe  man  sich  um  nach  einem  Mittel, 
welches  vom  Leiden  Erlosung  bringt,  ergreife  es,  ohne  zu 
klagen,  und  erlbst,  verharre  man  frei  von  Leidenschaft. 

26.  (12507.)  Bei  Tonen,  Gefiihlen,  Gestalten,  Geriichen  und 
Geschmacken  gibt  es  fiir  Reich  und  Arm  nichts  iiber  den 
augenblicklichen  Genufs  hinaus. 

27.  (12  508.)  Ehe  die  Wesen  zusammengebracht  werden, 
stehen  sie  nicht  unter  der  Herrschaft  des  Schmerzes ;  miissen 
sie  sich  wieder  trennen,  so  soil  man  nicht  trauern,  der  Natur- 
ordnung  sich  fiigend. 

28.  (12509.)  Durch  Festigkeit  soil  man  Geschlechtslust 
und  Efslust  ziigeln,  Hande  und  Fiifse  durch  das  Auge,  Auge 
und  Ohr  durch  das  Manas,  Manas  und  Rede  durch  die 
Wissenschaft. 

29.  (12  510.)  Seine  Teilnahme  beim  Lobe  wie  beim  Gegen- 
teil  soil  man  zuriickhalten  und  ohne  Hoffart  dahinwandeln, 
dann  ist  man  gliicklich,  ist  man  ein  Weiser. 


Adhyaya  332  (B.  330).  735 

30.  (12  511.)  Am  innern  Atman  sich  freuend,  ruhig  da- 
sitzend,  ohne  Anteilnahme,  ohne  Versuchung,  wer  so  dahin- 
lebt  mit  seinem  Atman  als  einzigem  Gefahrten,  der  ist  wahr- 
haft  gliicklich. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Flug  des  fjuka 
((^iika  -  abhipatanam). 


Adhyaya  333  (B.  331). 

Vers  12512-12576  (B.  1-65). 

N&rada  sprach : 

1.  (12  512.)  Wenn  ein  Umschwung  vom  Gliick  zum  Un- 
gliick  eintritt,  so  hilft  dagegen  keine  Kenntnis,  kein  richtiges 
Verbal  ten  und  keine  Tapferkeit. 

2.  (12  513.)  Aus  sich  selbst  heraus  soil  man  sich  an- 
strengen,  wer  sich  anstrengt,  verzagt  nicht;  aus  Alter,  Tod 
und  Krankheit  rette  man  seinen  Atman  als   seinen  Freund. 

3.  (12  514.)  Krankheiten,  geistige  und  korperliche,  brechen 
den  Leib,  wie  scharfgespitzte  Pfeile,  abgeschossen  von  sicher 
zielenden  Bogenschiitzen. 

4.  (12  515.)  Wer  von  Leiden schaf ten  geschiittelt  und  er- 
mattet  nicht  aufhort,  das  Leben  zu  begehren,  dessen  Leib 
wird  auch  gegen  seinen  Willen  zur  Vernichtung  hinweg- 
gerafft. 

5.  (12516.)  Es  fliefsen  dahin  und  kommen  nimmer  wieder, 
den  Stromen  der  Fliisse  vergleichbar,  das  Leben  der  Men- 
schen  fortreifsend,  die  Tage  und  Nachte. 

6.  (12  517.)  Dieser  Wechsel  der  hellen  und  der  dunklen 
Monatshalften  macht  unaufhorlich  die'  Menschen,  nachdem 
sie  geboren  sind,  altern  und  halt  keinen  Augenblick  inne. 

7.  (12  518.)  Lust  und  Leid  der  Menschen  macht  altern 
jener  nicht  alternde  Sonnengott,  welcher  untergeht  und  immer 
wieder  aufgeht. 

8.  (12519.)  Wegraffend  die  immer  neuen,unvorhergesehenen, 
freudvoUen  und  leidvollen  Zustande  der  Menschen,  rollen  die 
Nachte  dahin. 


736  in.    Mokshadharma. 

9.  (12  520.)  Was  einer  inimer  an  Wiinschen  begehren  mag, 
das  wiirde  er  erlangen,  stande  es  nicht  in  einer  hohern  Hand, 
die  Frucht  seiner  Werke  iiber  den  Menschen  zu  verhansen. 

10.  (12521.)  Aber  selbstbezahmte ,  wackere,  verstandige 
Menschen  bleiben  frei  von  dieser  Frucht,  weil  sie  auf  alle 
Werke  verzichtet  haben. 

11.  (12  522.)  Andere  torichte,  kraftlose,  gemeine  Menschen 
sind,  auch  wenn  sie  keine  Wiinsche  aufsern,  doch  von  alien 
Begierden  erfullt. 

12.  (12523.)  Mancherauch,  der  immer  bereit  war,  die  Wesen 
zu  schadigen  und  alle  Welt  zu  betriigen,  wird  alt  in  seinen 
Liisten. 

13.  (12  524.)  Manchem,  der  trage  dasitzt,  naht  das  Gliick; 
ein  anderer  befleifsigt  sich  der  Werke  und  erlangt  doch 
nicht,  was  ihm  nicht  beschieden  war. 

14.  (12  525.)  Du  mufst  begreifen,  dafs  die  Siinde  dem 
Menschen  von  seiner  Entstehung  an  einwohnt;  es  kann  ge- 
schehen,  dafs  der  von  der  einen  aufgeregte  Same  in  eine 
andere  gelangt. 

15.  (12526.)  1st  er  in  den  Mutterschofs  gelangt,  so  kann 
ein  Embryo  entstehen  oder  auch  nicht,  indem  seine  Entwick- 
lung  der  einer  Mangobliite  gleicht  [welche  bald  fruchtbringend 
ist,  bald  nicht]. 

16.  (12  527.)  Einige  verlangen  nach  einem  Sohne,  indem 
sie  ihr  Geschlecht  fortzupflanzen  wiinschen,  aber  obgleich  sie 
sich  zum  Gelingen  alle  Miihe  geben,  entsteht  doch  kein 
Embryo. 

17.  (12  528.)  Solchen  hingegen,  welche  vor  einem  Embryo 
zuriickschrecken  wie  vor  einer  erziirnten  Giftschlange ,  wird 
ein  langlebender  Sohn  geboren.  Wie  war  es  moglich,  dafs 
er  entstand,  [unerwartet]  als  ware  ein  Toter  wiedergekommen? 

18.  (12529.)  Und  wiederanderenBemitleidenswerten,  welche, 
nach  einem  Sohne  verlangend,  den  Gottern  opfern  und  Askese 
iiben,  werden  nach  zehnmonatlichem  Weilen  im  Mutterleibe 
Sohne  geboren,  welche  ein   Schandfleck  ihrer  Familie   sind. 

19.  (12  530.)  Andere  werden  in  Reichtum  an  Geld  und 
Korn,  in  grofse,  von  den  Vatern  aufgespeicherte  Fiille  hinein- 


Adhy^ya  333  (B.  331).  737 

geboren,    nachdem    sie    schon   unter  diesen   giinstigen  Vor- 
bedingungen  empfangen  worden  waren. 

20.  (12531.)  Wenn  sie  in  geschlechtlicher  Verbindung  sich 
vereinigt  haben,  so  entsteht  ein  Embryo  im  Mutterleibe,  un- 
erwartet  wie  ein  Unfall. 

21.  (12  532.)  Siehst  du,  wie  bei  Hemmung  des  Lebens  als- 
bald  in  andere  Leiber  [hineinf ahrt] ,  der  von  seinem  bisherigen 
Sitze  fbijam)  losgerissene,  verkorperte,  lebende,  Fleisch  und 
Schleim  Durchwaltende, 

22.  (12  533.)  wie  dieser,  wenn  er  in  dem  einen  Leibe  ver- 
brannt  wird,  wieder  in  einen  andern  Leib  hineinf  ahrt,  wie 
er,  wenn  der  Leib  zugrunde  geht,  mit  zugrunde  geht,  einem 
Schiffe  gleieh,  das  an  ein  anderes  gebunden  ist, 

23.  (12534.)  und  begreifst  du,  durch  welche  Bemiihungen 
er  endlich,  durch  die  Begattung  als  ungeistiger  Samentropfen 
in  den  Mutterleib  hineingelegt,  als  Embryo  wieder  zu  neuem 
Leben  erwacht? 

24.  (12535.)  Wo  doch  Speise  und  Trank,  wo  doch  die  ge- 
nossene  Nahrung  verdaut  wird,  wie  kommt  es,  dafs  in  eben- 
demselben  Leibe  der  Embryo  nicht  ebensogut  wie  die  Nahrung 
verdaut  wird? 

25.  (12536.)  Fiir  Kot  und  Harn  wird  der  Weg  im  Leibe 
durch  die  eigene  Natur  geregelt;  ob  man  sie  behalt  oder 
entleert,  dazu  wird  keiner  gezwungen. 

26.  (12  537.)  Hingegen  von  den  Embryos  entgleiten  die 
einen  dem  Mutterleibe  und  werden  geboren,  wahrend  bei  an- 
deren,  wenn  die  Zeit  der  Geburt  herannaht,  Vernichtung  eintritt. 

27.  (12538.)  Vermoge  dieser  Verbindung  mit  einem  Mutter- 
schofse  wird  derjenige,  welcher  den  Samen  in  ihn  einlafst 
fparimucyatej  und  irgendeine  Nachkommenschaft  erzielt,  aufs 
neue  an  die  Gegensatze  des  Lebens  gekettet. 

28.  (12  539.)  Nur  die  fiinf  Elemente  sind  es,  welche  in  dem 
erzeugten  (lies:  sutasya)  und  angeborenen  [Korper]  bis  zum 
siebenten  oder  gar  neunten  Lebensstadium  durchhalten,  dann 
aber  beim  Ende  des  Lebens  nicht  mehr  verharren. 

29.  (12  540.)  Es  gibt  keine  Mittel,  die  Menschen  aufrecht 
zu  erhalten,  daran  ist  kein  Zweifel;  von  Krankheiten  werden 
sie  getroffen,  wie  das  Kleinwild  vom  Jager. 

Deussen,  Mahftbhiratam.  47 


738  ni.    Mokshadharma. 

30.  (12  541.)  Und  werden  sie  von  Krankheiten  getroffen,  so 
mogen  sie  noch  soviel  Geld  ausgeben,  die  Arzte,  so  sehr  sie 
sich  anstrengen,  sind  nicht  imstande,  ihr  Leiden  zu  beseitigen. 

31.  (12  542.)  Und  auch  sie  selbst,  die  iiberklugen,  geschick- 
ten  Arzte  mit  den  Arzneien,  die  sie  zusammenbringen,  werden 
von  Krankheiten  heimgesucht,  wie  das  Wild  vom  Jager. 

32.  (12  543.)  Und  obgleich  sie  Elixiere  und  allerlei  Butter- 
tranke  schlilrfen,  werden  sie  doch  vom  Greisenalter  gebrochen, 
wie  Baume  von  gewaltigen  Elefanten. 

33.  (12  544.)  Wer  behandelt  arztlich  auf  dieser  Welt  das 
Wild  und  die  Vogel,  die  Raubtiere  und  die  armen  Land- 
streicher?    Da  heifst  es  gewohnlich,  sie  sind  nicht  krank. 

34.  (12  545.)  Werden  doch  sogar  furchtbare,  uniiberwind- 
liche,  gewaltige  Konige  von  Krankheiten  beschlichen  und 
fortgerafft,  wie  ein  Stiick  Vieh  von  einer  Raubtierherde. 

35.  (12  546.)  So  geschieht  es,  dafs  die  Menschen,  ohne 
Bundesgenossen  und  von  Torheit  und  Leiden  liberflutet,  fort- 
gerissen  werden  wie  von  einem  iibermachtigen  Strome,  in 
den  sie  jahlings  gestiirzt  wurden. 

36.  (12547.)  Nicht  durch  Reichtum,  nicht  durch  Herrschaft, 
nicht  durch  furchtbare  Askese  konnen  die  Menschen  ihrer 
Natur  entfliehen,  an  die  sie  gebunden  sind. 

37.  (12548.)  Sie  wurden  nicht  sterben  noch  altern,  sie 
wurden  alle  nach  allem  begehren,  wurden  nichts  Unerwiinsch- 
tes  erleben,  wenn  ihre  Anstrengungen  erfolgreich  waren. 

38.  (12549.)  Ein  jeder  ist  bestrebt,  hoher  und  hoher  iiber 
seine  Mitmenschen  zu  steigen,  und  gibt  sich  dazu  alle  Miihe, 
aber  es  gelingt  ihm  nicht. 

39.  (12  550.)  Menschen,  welche  von  Herrschaftsdiinkel  be- 
rauscht,  ja  welche  von  Rauschtranken  trunken  sind,  werden 
von  besonnenen,  treuherzigen  [agatJidh  mit  C),  tapferen  und 
wackeren  Leuten  verehrt. 

40.  (12  551.)  Bei  einigen  wendet  sich  ihre  Notlage,  ehe  sie 
von  ihnen  recht  erkannt  wurde,  bei  anderen  hingegen  ist 
nichts  zu  finden,  was  ihnen  eigen  ware. 

41.  (12  552.)  Eine  grofse  Verschiedenheit  der  Frucht  zeigt 
sich  infolge  ihrer  Abhangigkeit  von  friiheren  Werken:  die 
einen  tragen  die  Sanfte  und  die  anderen  sitzen  darin. 


Adhyaya  333  (B.  331).  739 

42.  (12  55a.)  Alle  streben  nach  Wohlstand,  aber  nur  wenige 
bringen  es  zu  Wagen  und  Dienerschaft ;  manche  Menschen 
entbehren  des  Weibes,  wo  doch  alle  moglichen  Weiber  hundert- 
fach  vorhanden  sind. 

43.  (12  554.)  Unter  den  Wesen,  die  sich  in  den  Gegen- 
satzen  des  Lebens  ergehen,  miissen  die  Menschen  dahin- 
scheiden,  jeder  einzelne  fur  sich;  siehe  diese  Welt  als  die 
Fremde  an,  dann  wirst  du  nicht  der  Verblendung  hienieden 
verfallen. 

44.  (12555.)  Wirf  ab  Gutes  und  Boses,  beides,  Wahrheit 
und  Un wahrheit,  und  wenn  du  beides,  Wahrheit  und  Un- 
wahrheit,  abgeworfen  hast,  wirf  auch  den  ab,  durch  den  du 
sie  abgeworfen  hast  (=  Vers  i246i). 

45.  (12  556.)  Damit  habe  ich  dir,  o  Bester  der  Rishi's,  das 
hochste  Geheimnis  mitgeteilt,  durch  welches  die  Gotter  sich 
liber  die  Menschenwelt  erhoben  haben  und  zum  Himmel  ein- 
gegangen  sind. 

46.  (12557.)  Nachdem  der  hochst  verstandige  Quka  diese 
Rede  des  Narada  vernommen  hatte,  iiberdachte  sie  der  Weise 
in  seinem  Geiste  und  gelangte  doch  noch  nicht  zur  Gewifsheit. 

47.  (12558.)  Mit  Kindern  und  Weibern  hat  man  grofse 
Plage  und  beim  Studium  der  Wissenschaft  grofse  Miihe; 
welches  ist  die  ewige  Statte,  wo  wenig  Plage  und  grofses 
Gliick  zu  finden  ist? 

48.  (12  559.)  Nachdem  er  sodann  eine  Weile  iiber  das  ge- 
wisse  Ziel  des  Atman  nachgedacht  und  als  Kenner  des  Hochsten 
und  Tiefsten  den  hochsten  Heilsweg  der  Pflicht  erwogen  hatte, 

49.  (12  560.)  [fragte  er  sich:]  Wie  kann  ich  ohne  Zusammen- 
hang  mit  dem  Irdischen  den  hochsten  Weg  wandeln,  von 
welchem  ich  nicht  wieder  zuriickzukehren  brauche  in  den 
Ozean  der  mannigfachen  Geburten? 

50.  (12  561.)  Ich  sehne  mich  nach  der  hochsten  Realitat, 
nach  dem  Ziele,  von  welchem  man  nicht  wieder  zuriickkehrt, 
nachdem  ich  alien  Welthang  aufgegeben  und  im  Geiste  Ge- 
wifsheit erlangt  habe. 

51.  (12562.)  Ich  will  dorthin  gehen,  wo  meine  Seele  die 
Ruhe  findet,  dorthin,  wo  ich  unzerstorbar,  unverganglich, 
ewig  sein  werde. 

47* 


740  HI.   Mokshadliarma. 

52.  (12  563.)  Aber  nicht  ohne  vollige  Hingebung  ist  es  mog- 
lich,  jenes  hochste  Ziel  zu  erreichen,  denn  es  geht  nicht  an, 
dafs  der  Erweckte  noch  an  Werke  gebunden  bleibe. 

53.  (12564.)  Darum  will  ich,  der  Hingebung  mich  zu- 
wendend,  diesen  mir  als  Haus  dienenden  Korper  verlassen 
und,  zum  Winde  geworden,  eingehen  in  die  Glanzfiille  der 
Sonne. 

54.  (12  565.)  Denn  sie  kommt  nicht  zum  Vergehen ,  wie  es 
dem  Soma  [Trank,  auch  Mond;  vgl.  System  des  Vedanta, 
S.  393  A.]  durch  die  Gotterscharen  geschieht;  erschiittert  stiirzt 
er  [der  Mond,  ahnlich  den  auf  ihm  weilenden  Seelen]  zur 
Erde  herab  und  steigt  wiederum  empor. 

55.  (12  566.)  Denn  immerfort  schwindet  der  Soma  (Mond) 
und  wird  wiederum  gefiillt;  da  ich  dieses  weifs,  so  verlange 
ich  nicht  nach  diesem  immer  wiederholten  Schwinden  und 
Schwellen. 

56.  (12567.)  Aber  die  Sonne  erwarmt  mit  ihren  gewaltigen 
Strahlen  die  Welten,  dabei  zieht  sie  von  alien  Seiten  Kraft 
in  sich  hinein  und  beharrt  immerwahrend  in  voller  Scheibe. 

57.  (12568.)  Darum  ziehe  ich  es  vor,  zu  der  glutentflammten 
Sonne  zu  gehen,  in  ihr  werde  ich  als  ein  schwer  Bezwing- 
barer  mit  zweifelsfreier  innerer  Seele  wohnen. 

58.  (12569.)  Und  in  der  Sonnenstatte  werde  ich  nach  Ab- 
werfung  dieses  Leibes  mit  Rishi's  im  Verein  die  schwer  zu 
ertragende  Sonnenglut  durchwandeln. 

59.  (12  570.)  Ich  nehme  jetzt  Abschied  von  Baumen  und 
Elefanten,  von  dem  weiten  Gebirge,  den  Weltgegenden  und 
dem  Himmelszelt,  von  Gottern,  Damonen  und  Gandharven, 
von  Pi(?aca's,  Schlangen  und  Kobolden. 

60.  (12571.)  Denn  jetzt  werde  ich  sicherlich  eingehen  in 
alle  Wesen  der  Welt,  und  alio  Gotter  mitsamt  den  grofsen 
Rishi's  sollen  die  Kraft  meines  Yoga  schauen. 

61.  (12  572.)  Darauf  verabschiedete  er  sich  von  dem  welt- 
beriihmten  Weisen  Narada,  und  von  ihm  entlassen,  ging  er 
zu  seinem  Vater. 

62.  (12573.)  Da  begriifste  Quka  den  hochsinnigen  Muni 
Krishna  Dvaipayana,  umwandelte  ihn  nach  rechts  hin  und 
nahm  von  dem  weisen  Krishna  Abschied. 


Adhy£iya  333  (B.  331).  741 

63.  (12,'>74.)  Nachdem  der  Eishi  das  Wort  des  (^'uka 
vernommen  hatte,  erwiderte  ihm  voll  Freude  der  hoch- 
sinnige  Vater:  Ach,  du  mein  Sohn,  bleibe  noch  eine 
Weile,  dafs  ich  mein  Auge  an  dir  weiden  kann. 

64.  (12575.)  ^uka  aber,  frei  von  Riicksichtnahme,  Anhang- 
lichkeit  und  Zweifel,  dachte  nur  an  die  Erlosung  und  richtete 
seine  Absicht  darauf,  zu  gehen. 

65.  (12  576.)  Und  so  verliefs  der  Beste  der  Muni's  seinen 
Vater  und  begab  sich  auf  den  machtigen,  von  seligen  Scharen 
bewohnten  Bergriicken  des  Kailasa. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Aufstieg  des  Quka 
((^uka  -  abhigamanarn ). 


Aclhyaya  334  (B.  332). 

Vers  12577-12607  (B.  1-31). 

Bliislima  sprach: 

1.  (12  577.)  Nachdem  der  Sohn  des  Vyasa  den  Berggipfel 
erstiegen  hatte,  o  Bharata,  setzte  er  sich  an  einem  ebenen, 
abgesonderten ,  von  Graswuchs  freien  Orte  nieder. 

2.  (12  578.)  Darauf  brachte  er  sich  in  die  richtige  Stellung, 
wie  Lehrbuch  und  Gesetz  sie  vorschreibt,  alle  GHeder  von 
den  Fiifsen  an  der  Reihe  nach,  er,  der  der  rechten  Reihen- 
folge  Kundige. 

3.  (12579.)  Darauf  setzte  sich  der  Weise,  nachdem  die 
Sonne  schon  vor  einiger  Zeit  aufgegangen  war,  mit  dem  Ge- 
sichte  nach  Osten  nieder,  indem  er  Fiifse  und  Hande  an  sich 
zog,  wie  einer,  der  sich  in  der  Zucht  halt. 

4.  (12580.)  Da  gab  es  keine  Vogelschwarme,  kein  Gerausch 
und  keine  Fernsicht,  wo  der  weise  Sohn  des  Vyasa  sich  zum 
Yoga  anschickte. 

5.  (12  581.)  Nun  sah  er  sich  selbst  von  alien  Verbindungen 
gelost,  und  es  lachte  ein  Lachen  darauf  Quka,  indem  er  sich 
jenem  Hochsten  zuwendete. 

6.  (12582.)  Und  indem  er  wiederum  dem  Yoga  sich  hin- 
gab,  um  den  Weg  der  Erlosung  zu  finden,  erhob  er  sich  als 
grofser  Yogameister  iiber  den  Luftraum  hinaus. 


742  ni.    Mokshadharma. 

7.  (12  583.)  Darauf  umkreiste  er  nach  rechts  hin  den  Gotter- 
weisen  Narada  und  machte  dem  hochsten  Eishi  seine  Yoga- 
kraft  kund. 

Quka  sprach: 

8.  (12  584.)  Ich  habe  den  Weg  gefunden,  ich  habe  ihn  be- 
treten!  Heil  sei  dir,  o  Askesereicher !  Durch  deine  Gnade, 
o  Glanzvoller,  werde  ich  den  ersehnten  Gang  gehen. 

9.  (12  585.)  Nachdem  Quka,  der  Sohn  des  Dvaipayana,  so- 
dann  von  Narada  entlassen  worden  war,  griifste  er  ihn, 
wandte  sich  wieder  dem  Yoga  zu  und  erhob  sich  in  den  Ather, 

10.  (12  586.)  und  emporgeflogen  vom  Gipfel  des  Kailasa, 
strebte  er  weiter  zum  Himmel  hinauf,  die  Luft  durch wandelnd, 
herrhch,  als  Wind,  mit  grofser  Sicherheit. 

11.  (12587.)  Als  der  Beste  der  Zwiegeborenen  emporstieg, 
dem  Vogel  Garuda  an  Glanz  vergleichbar,  da  sahen  ihn  alle 
Wesen  dahinfahren,  geschwind  wie  der  Gedanke  oder  der  Wind. 

12.  (12  588.)  Mit  Klarheit  alle  drei  Welten  durchdenkend, 
trat  er  die  weite  Reise  an,  dem  Feuer  und  der  Sonne  an 
Glanz  vergleichbar. 

13.  (12  589.)  Wie  er  dahinzog,  einheitlichen  Sinnes,  ge- 
sammelt  und  ohne  Furcht,  schauten  ihn  alle  Wesen,  die  be- 
weglichen  und  die  unbeweglichen. 

14.  (12590.)  Nach  Vermogen  und  Branch  verehrten  sie  ihn, 
wahrend  die  Himmelsbewohner  ihn  mit  himmlischem  Blumen- 
regen  iiberschiitteten. 

15.  (12  591.)  Ihn  sehend  waren  in  Verwunderung  alle  Scharen 
der  Gandharven  und  Apsaras,  und  die  zur  Vollendung  ein- 
gegangenen  Rishi's  gerieten  in  hochstes  Erstaunen: 

16.  (12  592.)  Wer  ist  der  durch  die  Luft  Fliegende,  so  hiefs 
es,  der  durch  Askese  die  Vollendung  erreicht  hat?  Sein 
Korper  ist  nach  unten,  sein  Angesicht  nach  oben  gerichtet, 
und  seine  Augen  funkeln. 

17.  (12593.)  Da  blickte  der  hochst  Pflichttreue,  in  den  drei 
Welten  Beriihmte  zur  Sonne  empor  und  zog  dahin,  nach 
Osten  gewandt  und  schweigend. 

18.  (12594.)  Den  ganzen  Himmelsraum  aber  erfullten  iiberall 
mit  Jubelgeschrei  die  Scharen  der  Apsaras,  als  sie  ihn  plotz- 
lich  heranfliegen  sahen. 


Adhyaya  334  (B.  332).  743 

19.  (12  595.)  Erschiitterten  Geistes  und  auf  das  hochste  er- 
staunt,  o  Konig,  waren  sie  alle  von  Pancacuda  (der  Fiinf- 
zopfigen)  an,  die  Augen  weit  aufreifsend. 

20.  (12  596.)  Was  ist  das  fiir  ein  gottliches  Wesen,  das 
den  hochsten  Weg  eingeschlagen  hat,  riefen  sie,  es  wan- 
delt  hin  mit  grofser  Sicherheit  und  ohne  Begierde,  als  ware 
es  erlost. 

21.  (12  597.)  Darauf  gelangte  er  zu  dem  Berge,  der  da 
heifst  Malaya,  der  von  Urvagi  und  Purvacitti  immer  be- 
sucht  wird. 

22.  (12  598.)  Die  gerieten  iiber  diesen  Sohn  des  Brahmanen- 
weisen  in  grofstes  Erstaunen  und  sprachen :  Welch  eine  Kon- 
zentration  des  Geistes  bei  diesem  am  Vedastudium  sich  er- 
freuenden  Zwiegeborenen ! 

23.  (12  599.)  Wie  der  Mond  steigt  er  in  kurzer  Zeit  am 
Himmel  empor,  und  diese  unvergleichliche  Weisheit  hat  er 
durch  Gehorsam  gegen  seinen  Vater  erlangt. 

24.  (12  600.)  Wie  ist  es  moglich,  dafs  dieser  dem  Vater 
ergebene,  askesefeste,  vom  Vater  innig  geliebte  Sohn  von 
seinem  Vater,  der  nichts  anderes  kannte  als  ihn,  entlassen 
wurde ! 

25.  (12  601.)  Als  der  hochst  pflichtkundige  (^uka  dieses 
Wort  der  Urva<ji  vernommen  hatte,  blickte  er  nach  alien 
Seiten  hin,  aufser  sich  geraten  iiber  dieses  Wort. 

26.  (12  602.)  Er  liefs  seinen  Blick  durch  den  Luftraum  und 
iiber  die  Erde  mit  ihren  Gebirgen,  Waldern  und  Dickichten 
schweifen,  iiber  Seen  und  Fliisse. 

27.  (12  603.)  Da  blickten  alle  Gottheiten  zu  dem  Sohne  des 
Dvaipayana  empor,  indem  sie  von  iiberallher  aus  hochster 
Verehrung  die  hohlen  Hande  zusammenlegten. 

28.  (12  604.)  Und  der  hochst  pflichtkundige  Quka  sprach  zu 
ihnen  das  Wort:  „Sollte  mein  Vater  mir  nachkommen  und 
rufen:  (^uka,  wo  bist  du! 

29.  (12605.)  dann  sollt  ihr  alle  miteinander  ihm  Ant- 
wort  geben,  diese  Bitte  sollt  ihr  mir  alle  aus  Liebe  zu  mir 
erfiillen." 

30.  (12606.)  Als  sie  das  Wort  des  Quka  vernommen  batten, 


744  III.  Mokshadharma. 

da  geschah  es,  dafs  alle  Himmelsgegenden  nebst  Wal- 
dern,  Ozeanen,  Fliissen  und  Bergen  von  alien  Seiten  ihm  er- 
widerten : 

31.  (12  607.)  Wie  du  befiehlst,  o  Brahmane,  wohlan,  so  soil 
es  sein;  wenn  der  Kislii  ruft,  werden  wir  ihm  antworten. 

So  lautct  im  Mokshadharma  der  Flug  des  Quka 
(Quka  -  aO/iipatanam). 


Adhyaya  335  (B.  333). 

Vers  12608-12649  (B.  1-42). 

Bhishma  sprach: 

1.  (12  608.)  Nachdem  Quka,  der  askesereiche,  grofse  Weise, 
dieses  Wort  gesprochen  hatte,  ging  er  in  die  Vollendung  ein, 
indem  er  die  vierfachen  Fehler  hinter  sich  liefs  [nach  Nil.  die 
Saiikhyakarika  23.44^-45  erwahnten:  Nicht-Pflichterfiillung, 
Nichtwissen,  Nichtentsagung  und  Nicht-Gottherrlichkeit]. 

2.  (12  609.)  Und  nachdem  er  auch  das  achtfache  Tamas 
[Saiikhyakarika  48]  und  das  [entsprechend  den  fiinf  Elementen, 
Nil.]  fiinffache  Rajas  aufgegeben  hatte,  gab  der  Weise  auch 
das  Sattvam  auf;  es  war  wie  ein  Wunder. 

3.  (12  610.)  Darauf  fafste  er  an  jener  ewigen,  gunalosen, 
merkmalfreien  Statte  in  dem  Brahman  festen  Fufs,  lodernd 
wie  eine  rauchlose  Flamme. 

4.  (12  611.)  Feuerregen,  Brennen  der  Himmelsgegenden  und 
Erdbeben  zeigten  sich  in  diesem  Augenblick;  es  war  wie  ein 
Wunder. 

5.  (12  612.)  Die  Baume  liefsen  ihre  Zweige,  die  Berge  ihre 
Gipfel  fallen,  und  durch  das  Rasen  der  Windsbraut  wurde 
das  Himalayagebirge  gleichsam  zerrissen. 

6.  (12  613.)  Nicht  leuchtete  die  Sonne,  nicht  flammte  das 
Feuer,  es  wogten  Teiche,  Fliisse  und  Meere. 

7.  (12  614.)  Indra  liefs  wohlschmeckendes,  wohlriechendes 
Wasser  herabregnen,  und.  es  wehte  ein  himmlische  Diifte 
fuhrender,  reiner  Wind. 

8.  (12  615.)  Die  beiden  mit  Hornern  geschmiickten ,  hoch- 
sten,  himmlischen  Bildungen  des  Himalaya  und  des  Meru, 


Adhyaya  335  (B.  333).  745 

die  ineinander  iibergehenden,  weifsen  und  gelben,  von  Silber 
und  Gold  glanzenden,  schonen, 

9.  (12  616.)  welche  sich  hundert  Meilen  in  der  Breite  und 
Hohe  ausdehnen,  o  Bharata,  wurden  in  ihrem  Glanze  von  ihm 
geschaut,  als  er  der  nordlichen  Gegend  zueilte. 

10.  (12  617.)  Ohne  Bedenken  flog  (^uka  gegen  sie  an,  worauf 
die  beiden  Berggipfel  plotzlich  als  gespalten 

11.  (12618.)  sich  zeigten,  o  grofser  Konig ;  es  war  wie  ein 
Wunder.  Alsbald  flog  er  zwischen  den  beiden  Berggipfeln 
hindurch, 

12.  (12  619.)  und  der  hochste  Berg  hemmte  ihn  nicht  in 
seinem  Fluge.  Da  erhob  sich  im  Himmel  ein  grofser  Larm 
unter  alien  Himmelsbewohnern 

13.  (12  620.)  und  unter  Gandharven  und  Rishi's  und  alien, 
die  auf  dem  Berge  wohnen,  als  sie  sahen,  wie  der  Berg  sich 
spaltete  und  Quka  hindurchflog. 

14.  (12621.)  Bravo,  bravo!  erschoU  es  da  von  alien  Seiten, 
o  Bharata,  und  er  wurde  verehrt  von  den  Gottern,  Gandharven 
und  Rishi's, 

15.  (12  622.)  von  den  Scharen  der  Yaksha's,  Rakshasa's 
und  Vidyadhara's  und  von  iiberallher  wurde  der  Luftraum 
mit  himmlischen  Blumen  erfiillt, 

16.  (12623.)  o  grofser  Konig,  wahrend  Quka  ihn  durchflog. 
Dann  zog  er  hoch  dahin  iiber  der  Mandakini,  dem  lieblichen 
Himmelsstrome, 

17.  (12  624.)  und  der  Pflichttreue  blickte  auf  sie  herab  mit 
ihren  bliihenden  Baumen  und  Waldern.  In  ihr  platscherten 
lustige  Scharen  von  Apsaras, 

18.  (12  625.)  welche  nackend  und  unkorperlich  auf  den 
korperlosen  Quka  hinblickten.  Aber  auch  der  Vater,  den 
Sohn  fortziehen  sehend,  hatte,  von  Sehnsucht  erfiillt, 

19.  (12626.)  den  nordlichen  Weg  eingeschlagen  und  war 
dem  Sohne  von  hinten  gefolgt.  Aber  ^uka  hatte  den  ober- 
halb  des  Windes  durch  den  Atlier  fiihrenden  Weg  einge- 
schlagen, 

20.  (12627.)  und  seine  Hoheit  zeigend,  war  er  zu  Brahman 
geworden.  Aber  der  askesemachtige  Vyasa  hatte  sich  er- 
hoben  und  einen  andern  grofsen  Yogaweg  eingeschlagen, 


746  III.    Mokshadharma. 

21.  (12  628.)  war  in  einem  Augenblicke  zu  der  Abfliege- 
stelle  des  Quka  gelangt  und  hatte  gesehen,  wie  ^uka  den 
Berggipfel  spaltete  und  hindurchflog. 

22.  (12G29.)  Und  noch  priesen  die  Eishi's  jene  Grofstat 
des  Sohnes,  da  wurde  ihm  mit  langgezogenem  Tone:  Quka, 
wo  bist  du!  nachgerufen 

23.  (12  630.)  vom  Vater  selbst,  der  mit  dem  lauten  Rufe 
die  drei  Welten  widerhallen  machte.  Aber  Quka,  allgegen- 
wartig  geworden,  allbeseelend,  allblickend, 

24.  (12  631.)  antwortete,  indem  er,  der  Pflichttreue,  weithin 
den  Ruf  hhoh  [hier,  o  Herr]  erschallen  liefs.  Als  er  nun  so 
den  einsilbigen  Laut  hlioh  ausstiefs, 

25.  (12  632.)  liefs  die  ganze  Welt  des  Unbeweglichen  und 
Beweglichen  ihn  laut  widerhallen.  Von  da  an  bis  auf  den 
heutigen  Tag  pflegt  es  zu  geschehen,  dafs  auf  Worte,  wenn 
sie  einzeln  ausgerufen  werden 

26.  (12  633.)  vor  Berghohlen  oder  Bergflachen,  diese  ant- 
worten  wie  damals  (^uka.  Nachdem  in  dieser  Weise  Quka 
damals,  [in  alien  Wesen]  verborgen,  seine  Macht  gezeigt  hatte, 

27.  (12634.)  liefs  er  die  Tone  und  die  iibrigen  Qualitaten 
fahren  und  ging  ein  zu  der  hochsten  Statte.  Als  Vyasa 
die  Herrlichkeit  seines  unermefslich  kraftigen  Sohnes  ge- 
sehen hatte, 

28.  (12635.)  setzte  er  sich  auf  einem  Bergvorsprung  nieder 
und  gedachte  seines  Sohnes.  Als  aber  die  am  Gestade  der 
Mandakini  spielenden  Scharen  der  Apsaras 

29.  (12  636.)  dieses  Weisen  ansichtig  wurden,  gerieten  sie 
alle  in  sinnlose  Bestiirzung.  Einige  duckten  sich  im  Wasser, 
andere  fliichteten  hinter  die  Biische, 

30.  (12  637.)  noch  andere  griffon  zu  ihren  Kleidern  beim 
Anblicke  jenes  trefflichsten  Muni's.  Als  der  Muni  hieran 
erkannte,  dafs  sein  Sohn  erlost  sei, 

31.  (12  638.)  er  selbst  aber  noch  gebunden,  da  war  er  er- 
freut  und  zugleich  beschamt. 

32.  Da  trat  zu  ihm  der  von  Gottern  und  Gandharven 
umgebene,  von  Scharen  grofser  Rishi's  verehrte,  (12  639.)  den 
Pinaka  in  der  Hand  tragende  heilige  (^^ahkara  (^iva), 


Adhyaya  335  (B.  333).  747 

33.  und  Mahadeva  sprach  in  besanftigendem  Tone  dieses 
Wort  zu  dem  (12  64o.)  durch  Kummer  iiber  den  Sohn  gequalten 
Krishna  Dvaipayana: 

34.  Ein  dem  Feuer,  der  Erde,  dem  Wasser,  Wind  und 
Ather  (i2  64i.)  an  Kraft  ahnlicher  Sohn  ist  durch  dich  einet- 
mals  [oben,  Vers  12171]  von  mir  erbeten  worden. 

35.  Ein  Sohn  von  dieser  Beschaffenheit  ist  dir  geboren 
worden;  er  ist  durch  deine  Askese  (12642.)  und  durch  meine 
Gnade  gemacht  worden  zu  einem  Reinen,  aus  Brahmankraft 
Bestehenden. 

36.  Dieser  ist  den  hochsten  Weg  gegangen,  der  fiir  Un- 
bezahmte  schwer  zu  betreten  ist  (12643.)  und  sogar  fiir  Gotter; 
o  Brahmanenweiser,  wie  kommst  du  dazu,  den  zu  beklagen? 

37.  Solange  die  Berge  stehen,  solange  die  Meere  brausen, 
(12  644.)  solange  wird  dein  Ruhm  und  der  deines  Sohnes  un- 
vergangUch  sein. 

38.  Auch  sollst  du  ein  deinem  Sohne  ahnhches,  nie  von 
dir  weichendes  Abbild  (12  645.)  in  dieser  Welt  durch  meine 
Gnade  immerfort  schauen,  o  grofser  Muni. 

39.  Da  kehrte,  von  dem  heiligen  Rudra  (Qiva)  selbst 
beschwichtigt,  o  Bharata,  (12  646.)  der  Muni  nach  Hause  zu- 
riick,  indem  er  mit  grofster  Freude  das  Abbild  schaute. 

40.  Damit  habe  ich  dir,  o  Bharatastier,  die  Geburt  und 
den  Lebensgang  des  Quka,  (12  647.)  nach  welchem  du  mich 
gefragt  hattest,  ausfiihrlich  berichtet. 

41.  Das  alles  hat  mir,  o  Konig,  vordem  der  Gotterweise 
Narada  (12  648.)  und  der  grofse  Yogin  Vyasa  in  Gesprachen 
nach  und  nach  mitgeteilt. 

42.  Wer  diese  heilige,  mit  den  Erlosungslehren  zusammen- 
hangende  Erzahlung  (12649.)  behalt  und  dabei  immer  nach  Be- 
ruhigung  strebt,  der  wird  den  hochsten  Gang  gehen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Schlufs  des  ^'ukafluges 
({'uka  •  utpatana  -  samdpti). 


748  III-    Mokshadharma. 

Adliyaya  336  (B.  334). 

Vers  12650-12695  (B.  1-45). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (12  650.)  Wer  als  Hausvater  oder  Brahmanschiiler,  als 
Waldeinsiedler  oder  Bettelpilger  die  Vollendung  zu  erreichen 
wunscht,  welche  Gottheit  mufs  der  verehren? 

2.  (12  651.)  Wodurch  sichert  er  sich  den  Himmel?  Wo- 
durch  die  hochste  Seligkeit?  Nach  welcher  Vorschrift  soil 
er  das  den  Gottern  und  Vatern  gebiihrende  Opfer  darbringen? 

3.  (12  652.)  Welchen  Weg  geht  der  Erloste  und  worin  be- 
steht  die  Erlosung?  Und  was  kann  einer,  der  zum  Himmel 
gelangt  ist,  dazu  tun,  dafs  er  nicht  wieder  herabfallt? 

4.  (12  653.)  Wer  ist  der  Gott  der  Gotter  und  wer  der  Vater 
der  Vater?  Und  was  noch  hoher  als  dieser  ist,  das  sage  mir, 
o  Grofsvater. 

Bhishma  sprach : 

5.  (12  654.)  Nach  einer  verborgenen  Sache  fragst  du,  o  du 
Fragekundiger,  Untadliger,  und  durch  bloises  Nachdenken,  und 
wahrete  es  hundert  Jahre,  kann  man  diese  Frage  nicht  losen, 

6.  (12655.)  wenn  nicht  der  Gott  Gnade  verleiht,  o  Konig; 
oder  auch  durch  die  heilige  Uberlieferung  der  Wissenschaft 
kann  diese  geheimnisvolle  Lehre  dir  dargelegt  werden,  o 
Feindetoter. 

7.  (12  656.)  Nun  erzahlt  man  sich  auch  hieriiber  folgende 
alte  Geschichte,  namlich  die  Unterredung  des  Weisen  Narada 
mit  dem  Gotte  Narayana. 

8.  (12  657.)  Denn  der  allbeseelende,  ewige  Narayana  wurde 
geboren  als  Sohn  des  Dharma  viergestaltig  —  so  hat  es  mir 
mein  Vater  berichtet  — 

9.  (12  658.)  ehedem  im  Weltalter  Kritam  wahrend  einer 
Weltperiode  des  [Manu]  Svayambhuva  als  Nara,  Narayana, 
Hari  und  Krishna  Svayambhuva. 

10.  (12  659.)  Von  diesen  iibten  die  beiden  unsterblichen 
Narayana  und  Nara  Askese,  nachdem  sie  auf  einem  goldenen 
Wagen  sich  zu  der  Einsiedelei  Badari  begeben  hatten, 


Adhyftya  336  (B.  334).  749 

11.  (12  6G0.)  einem  achtradrigen,  mit  Geistern  bespannten, 
herzerfreuenden.  Dort  weilten  die  beiden  uranfanglichen 
Herren  der  Welt,  abgemagert  und  zu  einem  Adernetze  zu- 
sammengeschrumpft, 

12.  (12  6G1.)  vermoge  ihrer  gliihenden  Askese  selbst  von 
den  Gottern  schwer  anzuschauen,  und  nur  der  durfte  die 
beiden  Gotter  anblicken,  dem  sie  diese  Gnade  erwiesen. 

13.  (12662.)  Nun  geschah  es,  dafs  mit  ihrer  Erlaubnis,  im 
Herzen  von  Liebe  getrieben,  von  dem  Gipfel  des  grofsen 
Merugebirges  herabsteigend  in  die  Gegend  Gandhamadana 
(die  Duftberauschende}, 

14.  (12  663.)  die  sehr  weit  ausgedehnte,  Narada  alle  Welten 
durchstreifte  und  in  schnellem  Gange  in  diese  Gegend  zur 
Einsiedelei  Badari  gelangte,  o  Konig, 

15.  (12  664.)  wahrend  jene  beiden  ihre  taglichen  Ubungen 
abhielten.  Da  regte  sich  in  ihm  die  Neugierde:  „Das  ist 
also  die  ganze  Statte,  auf  der  die  Welten  gegriindet  sind, 

16.  (12665.)  mit  alien  Gottern,  Damonen  und  Gandharven, 
mit  Kinnara's  und  den  grofsen  Schlangen.  Was  urspriing- 
lich  eine  Gestalt  war,  die  ist  zu  vieren  geworden, 

17.  (12  666.)  indem  sich  die  Familie  des  Dharma  ausbreitete. 
Wegen  seiner  Gerechtigkeit  fdharmdtj  durch  diese  begliickt, 
o  wie  ist  er  doch  gesegnet,  dieser  Dharma  durch  diese 
Gotter  hier, 

18.  (12  667.)  durch  Nara  und  Narayana  nebst  Krishna  und 
Hari!  Was  nun  Krishna  und  Hari  betrifft,  so  sind  sie  wohl 
gerade  mit  einer  andern  Sache  beschaftigt. 

19.  (12668.)  Aber  die  beiden  anderen  Dharmasprofslinge 
(oder :  Pflichtstarken)  sind  hicr  in  der  Askese  begriffen ;  sind 
sie  doch  beide  die  hochste  Statte,  wie  konnen  sie  da  mit 
taglichen  Ubungen  sich  befassen? 

20.  (12  669.)  Sie,  die  herrlichen  Vater  aller  Wesen  und  die 
Gottheit  selbst,  welche  Gottheit  mogen  sie  verehren  oder 
welche  Vater,  die  Hochsinnigen?" 

21.  (12  670.)  So  iiberlegte  er  in  seinem  Geiste,  und  von 
Liebe  zu  Narayana  getrieben,  liefs  er  sich  plotzlich  vor  den 
beiden  Gottern  sehen. 


750  III.   Mokshadharma. 

22.  (12  671.)  Nachdem  die  beiden  der  Pflicht  gegen  Gotter 
und  Manen  geniigt  hatten,  blickten  sie  zu  ihm  auf  und  zollten 
ihm  die  Verehrung,  wie  sie  der  Kanon  als  Sitte  vorschreibt. 

23.  (12  672.)  Als  er  diesen  der  Vorschrift  gemafs  sich  ent- 
faltenden,  noch  nicht  dagewesenen,  hochst  wunderbaren  Vor- 
gang  sah,  nahm  der  heilige  Weise  Narada  hocherfreut  neben 
ihnen  Platz. 

24.  (12  673.)  Und  zu  Narayana  mit  beruhigtem  Gemiite  auf- 
blickend,  bezeigte  er  dem  grofsen  Gott  seine  Verehrung  und 
sprach  zu  ihm  das  folgende  Wort. 

Narada  sprach: 

25.  (12  674.)  In  den  Veden  und  Purana's  mit  ihren  An- 
hangen  und  Nebenanhangen  wirst  du  besungen  als  der  un- 
geborene,  ewige  Schopfer,  als  Weltmutter,  als  das  hochste 
Unsterbliche. 

26.  (12  675.)  In  dir  ist  die  ganze  Welt  der  Lebenden  mit 
Vergangenem  und  Zukiinftigem  gegriindet,  und  alle  vier 
Lebensstadien ,  o  Gott,  wie  sie  im  Hausvaterstande  wurzeln, 

27.  (1267G.)  verehren  dich  Tag  fiir  Tag  in  deinen  mannig- 
fachen  Gestalten.  Du  bist  Vater  und  Mutter  des  Alls,  bist 
der  ewige  Lehrer  der  Welt;  (12  677.)  wer  kann  denn  der  Gott 
Oder  Ahne  sein,  den  du  hier  verehrst?   Das  verstehe  ich  nicht. 

Der  Heilige  sprach : 

28.  (12  678.)  Das,  was  ich  dir  sagen  soil,  ist  nicht  erlaubt 
zu  sagen,  ist  das  ewige  Geheimnis  des  Atman,  aber  dir, 
o  Brahmane,  um  der  Liebe  willen,  die  du  fiir  mich  hegst, 
will  ich  es  der  Wahrheit  gemafs  verkiindigen, 

29.  (12  679.)  jenes  Verborgene,  Unerkennbare,  Unoffenbare, 
Unwandelbare,  Ewige,  welches  fiber  Sinne  und  Sinnendinge 
und  alle  Wesen  erhaben  ist. 

30.  (12680.)  Denn  dieses  ist  es,  welches  die  innere  Seele 
(antardtmanj  der  Wesen  und  der  Kshdrajna  genannt  wird; 
als  erhaben  iiber  die  drei  Guna's  und  als  Furnsha  wird  es 
bezeichnet. 

31.  (12  681.)  Aus  diesem,  o  Bester  der  Zwiegeborenen ,  ist 
das  Unentfaltete,  Dreigunahafte  entsprungen,  welches  als  jene 


Adhyaya  336  (B.  334).  751 

unvergangliche,    unentfaltete    Frakriii   in    die   Zustande   des 
Entfalteten  eingegangen  ist. 

32.(12  682.)  Sie  wisse  als  unsern  Mutterschofs.  Aberjener, 
welcher  als  seinem  Wesen  nach  seiend  und  nicht  seiend  von 
uns  verehrt  wird,  der  ist  es,  welchem  unser  Gotter-  und 
Manendienst  gilt. 

33.  (12  683.)  Es  gibt  ja  keinen  andern  Gott  oder  Ahnen, 
der  grofser  ware  als  er,  denn  er  ist  unser  Atman,  das  soil 
man  wissen,  darum  verehren  wir  ihn. 

34.  (12  684.)  Von  ihm,  o  Brahmane,  ist  jene  Ordnung  zum 
Heile  der  Welt  verkiindigt  worden,  und  sein  Befehl  fordert, 
dafs  den  Gottern  und  Manen  gedient  werde. 

35.  (12685.)  Brahman,  Sthanu,  Manu,  Daksha,  Bhrigu, 
Dharma  und  Yama,  Marici,  Angiras  und  Atri,  Pulastya,  Pu- 
laha,  Kratu, 

36.  (12  686.)  Vasishtha  und  Parameshthin ,  Vivasvant  und 
Soma,  der  Kardama  Genannte,  sowie  Krodha,  Arvak  und  Krita*, 

37.  (12  687.)  diese  einundzwanzig  sind  zu  Schopferherren 
geworden,  indem  sie  die  ewige  Weltordnung  dieses  Gottes 
ehrten. 

38.  (12  688.)  Und  weil  sie  bestandig  die  von  ihm  verordnete 
Pflicht  gegen  Gotter  und  Manen  der  Wahrheit  gemaXs  er- 
kannten,  erlangten  die  Besten  der  Zwiegeborenen  alles,  was 
durch  den  Atman  erlangt  werden  kann. 

39.  (12  689.)  Auch  alle  im  Himmel  wohnenden  Seelen  ver- 
ehren ebendiese  [Gotter  und  Manen]  und  gehen  durch  seine 
Gnade  den  Weg,  der  zu  der  von  ihm  verheifsenen  Frucht  fiihrt. 

40.  (12  690.)  Diejenigen,  welche  von  den  siebzehn  Quali- 
taten  [der  elf  Indriya's  und  fiinf  Prana's  nebst  Manas  und 
Buddhi,  Nil.]  und  ihren  Werken  befreit  sind  [und  von  denen] 
die  fiinfzehn  Teile  [Brih.  Up.  1,5,14—15]  verlassen  wurden,  die 
sind  erlost,  das  ist  gewifs. 

41.  (12691.)  Aber  als  das  Ziel  der  Erlosten  wird  der  Kshe- 
trajna  bezeichnet,  denn  er  ist  allgunahaft  und  zugleich  guna- 
los,  so  wird's  gelehrt. 


*  Die  beiden  letzten  Naraen  nach  der  Lesart  im  Vacaspatyam  uud 
Qabdakalpadruma  s.  v.  prajapati. 


752  in.   Mokshadharma. 

42.  (12692.)  Geschaut  wird  er  durch  Hingebung  an  die 
Erkenntnis,  und  auch  wir  beide  sind  aus  ihm  hervorgegarigen ; 
jenen  Atman  haben  wir  als  solchen  erkannt  und  verehren 
ihn,  den  Ewigen. 

43.  (12  693.)  Er  wird  von  den  Veden  und  von  den  ver- 
schiedene  Satzungen  befolgenden  Lebensstadien  geliebt  und 
verehrt,  und  alsbald  verleiht  er  ihnen  dafiir  die  Erreichung 
des  Zieles. 

44.  (12  694.)  Die  aber,  welche  von  ihm  in  der  Welt  be- 
gnadet  wurden  und  zur  volligen  Hingebung  an  ihn  gelangt 
sind,  erlangen  als  iibermafsigen  Lohn  dieses,  dafs  sie  in 
ihn  eingehen. 

45.  (12  695.)  Damit  ist  die  geheimnisvolle  Unterweisung 
dir,  0  Narada,  aus  Liebe  und  Verehrung  fiir  dich,  o  Brah- 
manenweiser,  mitgeteilt  und  von  dir  mit  Liebe  entgegen- 
genommen  worden. 

So  lautet  im  Moksbadharma  die  Geschichte  vom  X^r&yana 
(Ndrdyaniyam) . 


AdhyAya  337  (B.  335). 

Vers  12696-12751  (B.  1-55). 

Bhishma  sprach: 

1.  (12  696.)  Nachdem  der  Beste  der  Zweifiifsler  diese 
Rede  Narayana's,  des  hochsten  Purusha,  vernommen  hatte, 
sprach  er  zu  dem  Besten  der  Zweifiifsler,  Narayana, 
dem  Horte  des  Heiles  der  Welt. 

Narada  sprach: 

2.  (12  697.)  Der  Zweck,  um  dessentwillen  du,  der  du 
aus  dem  Atman  hervorgegangen  hist,  deine  Geburt  im 
Hause  des  Dharma  als  eine  vierfache  gewirkt  hast,  dieser 
Zweck  moge  zum  Besten  der  Welt  verwirklicht  werden. 
Noch  heute  gehe  ich  hin,  um  deinen  ersten  Ursprung 
zu  schauen. 

3.  (12698.)  Ich  beweise  allezeit  den  Lehrern  meine  Ehr- 
furcht,  ich  habe  noch  nie  das  Geheimnis  eines  andern 


Adhyaya  337  (B.  335).  753 

verraten,  icli  habe  die  Veden  studiert,  o  unbefleckter 
Weltenherr,  Askese  geiibt  und  niemals  die  Unwahrheit 
gesprochen. 

4.  (12  699.)  Ich  habe,  wie  es  die  heilige  Uberlieferung 
vorschreibt,  die  vier  [Tore  des  Leibes,  oben,  S.  455fg.] 
bewacht,  ich  bin  allezeit  gleichmafsig  in  meinem  Ver- 
halten  gegen  Feind  und  Freund  und  ich  war  allezeit 
jenem  Urgotte  ergeben  und  habe  mit  ausschliefslicher 
Liebe  das  Unversiegbare  erwahlt. 

5.  (12  700.)  Und  da  durch  diese  Vorziige  mein  Charakter 
gelautert  ist,  warum  sollte  es  mir  nicht  beschieden  sein, 
den  unendlichen  Gottherrn  zu  schauen !  Nachdem  Na- 
rayana,  der  ewige  Hiiter  der  Gerechtigkeit,  dieses  Wort 
des  von  Parameshthin  (Brahman)  Entsprossenen  ver- 
nommen  hatte, 

6.  (12  701.)  sprach  er  zu  Narada,  nachdem  er  ihn  mit 
den  von  ihm  selbst  vorgeschriebenen  Brauchen  geehrt 
hatte:  „So  gehe!"  Und  der  Sohn  des  Parameshthin,  von 
ihm  entlassen,  zoUte  dem  uranfanglichen  Weisen  seine 
Verehrung, 

7.  (12  702.)  erhob  sich  vermoge  seiner  hochsten  Yoga- 
kraft  in  die  Liifte  und  liefs  sich  nieder  in  einem  Nu  auf 
dem  Gipfel  des  Meru.  Dort  verweilte  der  Muni  eine 
Weile,  auf  einem  Vorsprung  des  Berggipfels  Platz  nehmend. 

8.  (12  703.)  Indem  er  nun  seine  Blicke  nach  Nordwesten 
richtete,  genofs  er  eine  wunderbare  Aussicht  von  be- 
riihmter  Schonheit ;  namlich  im  Norden  des  Milchmeeres 
liegt  eine  grofse  Insel,  welche  unter  dem  Namen  Qveta- 
dvipa  (die  weifse  Insel)  beriihmt  ist. 

9.  (12  704.)  Diese  Insel  liegt  nach  Beschreibung  der 
Weisen  zweiunddreilsigtausend  Meilen  jenseits  des  Meru. 
Da  leben,  frei  von  Sinnesorganen ,  ohne  Nahrung,  ohne 
Augenblinzeln,  lieblichen  Wohlgeruch  ausstromend, 

10.  (12  705.)  weifse  Manner,  von  alien  Siinden  fern, 
bosen  Menschen  [durch  ihren  Anblick]  das  Augenlicht 
raubend,  diamanthart  an  Knochen  und  Korper,  gleich- 
gultig  gegen  Ehrung  und  Verachtung,  von  himmlischer 
Gestaltung  und  glanzend  in  kerniger  Kraft. 

Deusben,  Maha,bh4ratam.  ^g 


754  ni.   Mokshadharma. 

11.  (12  706.)  Ihre  Haupter  sind  wie  Sonnenschirme  ge- 
bildet,  ihre  Rede  gleicht  dem  rauschenden  Regenstrome, 
alls  sind  sie  mit  vier  Hoden  ausgestattet  und  mit  Fiifsen 
wie  Lotosblatter,  mit  sechzig  weifsen  Zahnen  und  acht 
Eckzahnen,  mit  ihren  Zungen  den  Sonnenstrahlen  gleich 
nach  alien  Seiten  ziingelnd, 

12.  (12  707.)  mit  Liebe  den  Gott  verehrend,  dessen 
Schopfung  das  All  ist,  aus  welchem  alle  Welten  ent- 
sprungen  sind,  dessen  Ausbreitungen  die  Veden  und  ihre 
Gesetze,  alle  beruhigten  Weisen  und  Gotter  sind. 

Yudhishthira  sprach : 

13.  (12  708.)  Wie  sind  diese  Manner,  frei  von  Sinnesorganen, 
ohne  Nahrung,  ohne  Augenblinzeln  und  von  lieblichem  Wohl- 
geruch,  entstanden,  und  welches  ist  ihr  letztes  Ziel? 

14.  (12  709.)  Und  ist  es  so,  dafs  diejenigen  Menschen, 
0  Bester  der  Bharata's,  welche  hienieden  erlost  werden,  wohl 
ebenjene  Merkmale  an  sich  tragen  werden  wie  die  Bewohner 
von  Qvetadvipa? 

15.  (12  710.)  Urn  dieser  Ungewifsheit  willen  lose  mir  den 
Zweifel,  denn  ich  verlange  sehr  danach;  du  bist  ja  eine 
Schatzkammer  aller  Erzahlungen,  und  zu  dir  nehmen  wir 
unsere  Zuflucht. 

Bhishma  sprach: 

16.  (12  711.)  Sehr  lang,  o  Konig,  ist  diese  Geschichte,  wie 
ich  si,e  von  meinem  Vater  vernommen  babe  und  dir  jetzt 
wiedererzahlen  soil;  wahrlich,  es  ist  die  wertvollste  aller  Er- 
zahlungen ! 

17.  (12  712.)  Es  war  einmal  ein  Konig  mit  Namen  Upari- 
cara,  ein  Beherrscher  der  Erde,  der  beriihmt  war  als  Freund 
des  Akhandala  (Indra)  und  Verehrer  des  Hari  Narayana, 

18.  (12  713.)  pflichtkundig  stets  seinem  Vater  ergeben  und 
stets  unveranderlich.  Dieser  hatte  vordem  als  eine  Gnaden- 
gabe  des  Narayana  die  Weltherrschaft  erlangt. 

19.  (12  714.)  Als  Anhanger  der  vor  Zeiten  aus  dem  Munde 
des  Sonnengottes  ausgegangenen  Satvatalehre  verehrte  er  den 
Herrn  der  Gotter  (Narayana),  mit  dem  Reste  seines  Opfers 
die  Manen, 


Adhyaya  337  (B.  335).  755 

20.  (12  715.)  mit  dem  Reste  des  Manenopfers  die  Brah- 
manen,  indem  er  auch  seinen  Leuten  davon  mitteilte.  Rest- 
speise  essend,  die  Wahrheit  hochhaltend  und  alle  Wesen 
schonend, 

21.  (12  716.)  verehrte  er  mit  ganzem  Herzen  den  Gottergott 
Janardana  (Vishnu),  den  ewigen  Weltschopfer,  der  ohne  An- 
fang,  Mitte  und  Ende  ist. 

22.  (12  717.)  Ihn,  der  Verehrung  gegen  Narayana  iibte,  den 
Bezwinger  der  Feinde,  hatte  der  Gotterkonig  (Indra)  selbst 
zum  Genossen  seines  Sitzes  und  Lagers  erwahlt. 

23.  (12  718.)  Mein  Reich  und  mein  Vermogen,  mein  Weib 
und  mein  Elefant,  alles  das,  so  sprach  er,  ist  dem  Bhagavan 
(dem  heih'gen  Narayana)  geweiht. 

24.  (12  719.)  Mochte  es  sich  um  Wunschopfer  oder  Gelegen- 
heitsopfer  handeln,  o  Konig,  alle  die  hohen  Opferwerke  voll- 
brachte  er  mit  Hingebung,  indem  er  die  Satvatalehre  befolgte. 

25.  (12  720.)  In  dem  Hause  dieses  hochsinnigen  Konigs  ge- 
nossen die  vornehmsten  Kenner  der  Paficaratralehre  die  Ehre, 
von  dem,  was  dem  Bhagavan  dargebraclit  wurde,  als  erste 
zu  kosten. 

26.  (12  721.)  Bei  diesem  feindbezwingenden  und  das  Reich 
mit  Gerechtigkeit  regierenden  Konig  gab  es  keine  unwahre 
Rede  und  keinen  bosen  Gedanken, 

27.  (12  722.)  und  auch  in  Werken  vollbrachte  er  nicht  das 
mindeste  Bose  (paramdnu  mit  C).  Vordem  namlich  hatten 
die  sieben  Weisen  gelebt,  welche  Citragikhandin's  (Bunt- 
schbpfe)  heifsen. 

28.  (12  723.)  Von  diesen  wurde  mit  einmiitigem  Sinne  ein 
vorziigliches  Gesetzbuch  verkiindigt,  welches,  auf  dem  grofsen 
Berge  Meru  entstanden  und  an  die  vier  Veden  sich  an- 
schliefsend, 

29.  (12  724.)  als  uniibertrefflich  und  fiir  die  Welt  das  Ge- 
setz  gebend,  aus  ihren  sieben  Miindern  ausgestromt  war. 
Marici,  Atri  und  Aiigiras,  Pulastya,  Pulaha,  Kratu  (12725.)  und 
der  kraftvolle  Vasishtha,  das  sind  die  Citragikhandin's. 

30.  Dieses  sind  die  sieben  weltschaffenden  Wesen  und 
[Manu]  Svayambhuva  ist  der  achte;  (12726.)  von  ihnen  wird  die 
Welt  getragen,  aus  ihnen  ist  der  Gesetzeskanon  ausgestromt. 

48* 


756  in.   Mokshadharma. 

31.  Diese  Weisen,  konzentrierten  Geistes,  bezahmt,  der 
Selbstbeherrschung  sich  erfreuend,  (12727.)  des  Vergangenen, 
Gegenwartigen  und  Zukunftigen  kundig  und  die  wahrhafte 
Satzung  als  das  Hochste  schatzend, 

32.  haben,  im  Geiste  erwagend :  dies  ist  das  Beste,  dies 
ist  das  Brahman,  dies  ist  das  hochste  Heil,  (12  728.)  die  Welten 
und  sodann  das  Gesetz  geschaffen. 

33.  In  diesem  wurde  das  Gute,  Niitzhche  und  Angenehme 
und  sodann  die  Erlosung  besprochen,  (12729.)  sowie  auch  die 
mannigfachen  Bestimmungen,  die  im  Himmel  und  auf  Erden 
gelten. 

34.  Damit  waren  sie  alle  in  Gemeinschaft  mit  den  Rishi's 
tausend  gottliche  Jahre  durch  beschaftigt,  (12730.)  wahrend  sie 
durch  Askese  den  Gott  Hari,  den  machtigen  Narayana,  ver- 
ehrten. 

35.  Da  geschah  es,  dafs  auf  Befehl  des  Narayana  die 
Gottin  [der  Eede]  Sarasvati  (12731.)  in  alle  diese  Rishi's  der 
Welt  zum  Heile  hineinfuhr. 

36.  Darauf  wurde  sie,  die  in  der  ersten  Schopfung  ge- 
borene,  von  den  askesekundigen  Rishi's  (12732.)  in  Wort,  In- 
halt  und  Begriindung  richtig  zur  Anwendung  gebracht. 

37.  Zuerst  wurde  sodann  das  mit  dem  Omlaut  geschmiickte 
fertige  Werk  (12733.)  von  den  Rishi's  dort  vorgetragen,  wo 
jener  mitleidreiche  Gott  ihnen  zuhorte. 

38.  Da  wurde  der  heilige,  nicht  in  einem  bestimmten 
Korper  erscheinende  (12  734.)  hochste  Purusha  gnadig  gestimmt 
und  sprach  unsichtbar  zu  alien  diesen  Rishi's: 

39.  Vollendet  ist  dieses  hochste,  aus  hunderttausend 
Qloka's  bestehende  Werk,  (12  735.)  welches  fiir  das  Gesetz  des 
ganzen  Weltlaufs  die  Quelle  ist, 

40.  und  aus  welchem  fiir  Tun  und  Lassen  nur  solches 
sich  ergeben  wird,  was  vom  (12736.)  Yajur-,  Rig-  und  Sama- 
veda  sowie  von  den  Liedern  des  Atharvan  und  Angiras  gut- 
geheifsen  wird. 

41.  Nach  der  Richtschnur  des  Veda  ist  ja  von  mir  durch 
meine  Gnade  Gott  Brahman,  (12737.)  aus  meinem  Zorne  Rudra 
geschaffen  worden,  ferner  ihr  Brahmanen  als  weltschaffende 
Wesen, 


Adhyaya  337  (B.  335).  757 

42.  sowie  auch  Sonne  und  Mond,  Wind,  Erde,  Wasser 
und  Feuer,  (12  738.)  dazu  alle  Scharen  der  Gestirne  und  was 
sonst  noch  Wesen  heifst. 

43.  So  wie  alle  Brahmanlehrer  je  nach  ihrer  Eigentiim- 
lichkeit  ihres  Amtes  walten  (12739.)  und  alle  ein  Vorbild  sind, 
soil  auch  dieses  liochste  Lehrbuch 

44.  eine  Richtschnur  sein,  das  ist  mein  Wille.  (12740.)  Aus 
ihm  wird  seine  Gesetze  Manu  Svayambhuva  selbst  verkiindigen, 

45.  und  auch  Uganas  und  Brihaspati,  wenn  sie  erst  ge- 
boren  sein  werden,  (12741.)  sollen  das  aus  eurem  Geiste  ent- 
sprungene  Gesetzbuch  verkiindigen. 

46.  Nachdem  die  Gesetzvorschriften  des  Svayambhuva 
(Manu)  und  das  Lehrbuch  des  Uganas  verfafst  sein  werden 
(12  742.)  und  auch  die  Lehre  des  Brihaspati  in  Umlauf  gesetzt 
sein  wird, 

47.  soil  dieses  von  eucli  verfafste  Lehrbuch  ein  Konig 
namens  Vasu  [d.  i.  Uparicara,  oben.  Vers  12712]  (12743.)  von 
Brihaspati  erhalten,  0  ihr  besten  Zwiegeborenen. 

48.  Denn  dieser  Konig  wird  von  den  Guten  geehrt  und 
mir  treu  ergeben  sein,  (12  744.)  und  er  wird  nach  diesem  Lehr- 
buche  alle  Opferwerke  in  der  Welt  vollziehen. 

49.  Denn  dieses  euer  Gesetzbuch  wird  unter  alien  Ge- 
setzbiichern  das  hochste  heifsen,  (12745.)  es  wird  dem  Niitz- 
lichen  und  dem  Guten  dienen  und  wird  auch  die  hochste 
Geheimlehre  enthalten. 

50.  Durch  seine  Verbreitung  werdet  ihr  zu  Wissenden 
werden,  (12746.)  und  jener  grofse  Konig  Vasu  wird  mit  Gliick 
begnadet  sein. 

51.  Wird  aber  die  Zeit  dieses  Konigs  um  sein,  dann 
wird  dieses  ewige  Gesetzbuch  (12  747.)  verschwinden.  Das  alles 
habe  ich  euch  voraus  gesagt. 

52.  Nachdem  der  unsichtbare,  hochste  Purusha  diese 
Rede  gehalten  hatte,  (12  748.)  nahm  er  Abschied  von  alien 
diesen  Rishi's  und  ging  in  eine  andere  Gegend. 

53.  Darauf  wurde  von  diesen  W^eltvatern,  indem  sie  den 
Nutzen  der  ganzen  Welt  bedachten,  (12  749.)  dieses  Gesetzbuch 
als  eine  ewige  Quelle  der  Pflicht  verbreitet. 

54.  Als  nun  im  ersten  Weltalter  (Kritam)  aus  dem  Stamme 


758  ni.    Mokshadharma. 

des  Aiigiras  Brihaspati  geboren  war,  (12750.)  da  verpflanzten 
sie  das  Lehrbuch  nebst  Anhang  und  Upanishad  in  ihn 

55.  und  gingen,  um  Askese  zu  iiben,  in  eine  ihnen  er- 
wiinschte  Gegend  voll  Zuversicht,  (12751.)  die  Trager  aller 
Welten,  die  Verkiindiger  aller  Gesetze. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Geschichte  vom  N^rayana 

(Ndrdyaniyani). 


Adhyaya  338  (B.  336). 

Vers  12752-12817  (B.  1-65). 

Bhishma  sprach : 

1.  (12  752.)  Als  nun  nach  Ablauf  einer  grofsen  Zeitperiode 
der  Sohn  des  Aiigiras  (Brihaspati)  geboren  wurde,  da  waren 
die  Gotter  voll  Freude  dariiber,  dafs  ihnen  ein  gottlicher 
Purohita  (Hauspriester)  geboren  war. 

2.  (12  753.)  Brihat,  Brahma,  Mahat  (das  Starke,  das  Brah- 
man, das  Grofse),  diese  Worte  bedeuten  das  namliche,  und 
mit  den  durch  sie  bezeichneten  Eigenschaften,  o  Konig,  war 
Brihaspati  ausgeriistet. 

3.  (12  754.)  Sein  erster  Schiller  wurde  der  Konig  Vasu 
Uparicara,  und  nachdem  dieser  das  von  den  Citragikhandin's 
[oben,  Vers  12  725]  stammende  Gesetzbuch  gehorig  studiert  hatte, 

4.  (12  755.)  wurde  dieser  Konig  Vasu  damals  wie  ein  Gott 
geehrt  und  beherrschte  die  Erde,  wie  Akhandala  (Indra)  den 
Himmel. 

5.  (12  756.)  Dieser  hochherzige  Konig  veranstaltete  ein 
grofses  Rofsopfer,  bei  welchem  sein  Lehrer  Brihaspati  als 
Hotarpriester  waltete. 

6.  (12  757.)  Drei  Sohne  des  Prajapati,  die  grofsen  Rishi's 
Ekata,  Dvita  und  Trita,  waren  Beisitzer  des  Opfers, 

7.  (12  7B8.)  dazu  Dhanusha,  Raibhya,  Arvavasu,  Paravasu, 
der  Rishi  Medhatithi  und  der  grofse  Rishi  Tandya, 

8.  (12  759.)  der  hochbegliickte  Rishi  (^anti  und  jener,  der 
Vedagiras  heifst,  und  der  beste  der  Rishi's,  Kapila,  der  als 
Vater  des  Qalihotra  gilt, 


Adhyaya  338  (B.  336).  759 

9.  (12  760.)  der  erste  Katha  und  Taittiri,  der  altere  Bruder 
des  Vaigampayana ,  Kanva  und  Devahotra,  das  waren  die 
sechzehn  Opferpriester. 

10.  (12  761.)  Alles  Zubehor  zu  diesem  grofsen  Opfer  war 
zusammengebracht  worden,  o  Konig,  aber  kein  Tier  wurde 
geschlachtet,  darauf  hatte  der  Konig  bestanden, 

11.  (12  762.)  er,  welcher  dem  Schadigen  abgeneigt,  rein, 
von  Gemeinheit  fern,  wunschlos  und  um  seiner  Werke  willen 
preiswiirdig  war.  Nur  an  waldigen  Orten  gewachsen  war, 
was  dabei  als  Opferanteil  verwendet  wurde. 

12.  (12  763.)  Darura  hatte  an  ihm  seine  Freude  der  heilige, 
uranfangliche  Gottergott  und  liefs  sich  leibhaftig  vor  ihm 
sehen,  er,  der  von  keinem  andern  gesehen  werden  konnte. 

13.  (12  764.)  Er  roch  den  Duft  seines  Anteils  und  ergriff 
selbst  den  Opferkuchen;  so  wurde  von  dem  Gotte  Hari- 
medhas  (Narayana)  sein  Opferanteil  unsichtbar  entgegen- 
genommen. 

14.  (12  765.)  Dariiber  geriet  Brihaspati  in  Zorn,  erhob  in 
seiner  Erregung  den  Opferloffel,  und  indem  er  ihn  in  der 
Luft  hin  und  her  schwang,  brach  er  vor  Wut  in  Tranen  aus. 

15.  (12766.)  Und  er  sprach  zu  Uparicara:  Von  mir  ist 
dieser  Opferanteil  dargeboten  worden,  und  er  war  von  dem 
Gotte  selbst  vor  meinen  Augen  entgegenzunehmen,  daran 
ist  doch  kein  Zweifel. 

Yudhishthira  sprach: 

16.  (12  767.)  Die  dargebotenen  Opferan telle  pflegen  doch 
von  den  Gottern  sichtbar  entgegengenommen  zu  werden, 
warum  nahm  denn  nicht  auch  der  machtige  Hari  sichtbare 
Gestalt  an? 

Bhishma  sprach: 

17.  (12  768.)  Da  suchte  der  grofse  Konig  Vasu  den  aufser 
sich  geratenen  Muni  zu  besanftigen,  und  alle  Beisitzer  be- 
miihten  sich  mit  ihm. 

18.  (12  769.)  Und  sie  sprachen  ruhig  zu  ihm:  Du  solltest 
nicht  in  Zorn  geraten,  es  ist  im  Kritazeitalter  nicht  Sitte, 
dafs  [man  sich  wie]  du  vom  Zorne  hinreifsen  lafst  faci- 
Jcrithas  !J. 


760  III.   Mokshadharma. 

19.  (12  770.)  Nicht  angebracht  ist  der  Zorn  bei  jenem 
Gotte,  dem  du  seinen  Opferanteil  dargeboten  hast,  es  ist 
nicht  moghch,  dafs  er  von  dir  oder  von  uns  gesehen  werde, 
o  Brihaspati. 

20.  (12  771.)  Nur  der  kann  ihn  sehen,  dem  er  es  als  Gnade 
verleiht.  —  Und  weiter  sprachen  Ekata,  Dvita  und  Trita  [die 
Anhanger  der]  Citragikhandin's : 

21.  (12  772.)  Wir  hier,  die  wir  uns  riihmen,  geistige  Sohne 
des  Gottes  Brahman  zu  sein,'  sind  einstmals  um  unseres 
Seelenheiles  willen  nach  der  nordlichen  Gegend  gewandert. 

22.  (12  773.)  Nachdem  wir  tausend  Jahre  uns  kasteit  hatten 
und  zur  hochsten  Askese  fortgeschritten  waren,  beharrlich  auf 
einem  Fufse  stehend,  Holzstammen  gleich,  in  Meditation 
versunken 

23.  (12  774.)  auf  der  nordlichen  Seite  des  Mem  am  Gestade 
des  Milchmeeres,  —  das  war  namlich  die  Gegend,  wo  wir 
unsere  furchtbare  Askese  iibten,  — 

24.  (12  775.)  da  fragten  wir  uns,  wie  wir  wohl  den  Gott 
(Vishnu)  in  seiner  Wesensform  als  Narayana  zu  sehen  be- 
kommen  konnten,  den  liebenswerten,  gabenspendenden,  diesen 
ewigen  Gott  der  Gotter, 

25.  (12  776.)  mit  einem  Worte,  wie  wir  den  Narayana  sehen 
konnten.  Da,  als  wir  das  Schlufsbad  unseres  Geliibdes 
nahmen,  sprach  zu  uns  eine  korperlose  Stimme 

26.  (12  777.)  in  lieblichem,  tiefem  Tone  zu  unserm  Ent^ 
ziicken,  o  Herr :  0  Brahmanen,  ihr  habt  cure  Askese  mit  be- 
ruhigter  Seele  gut  geiibt, 

27.  (12  778.)  und  jetzt  forscht  ihr  mit  frommem  Sinne  da- 
nach,  wie  ihr  den  Herrn  zu  sehen  bekommen  konnt.  In  der 
nordlichen  Gegend  des  Milchmeeres  liegt  die  herrliche  Insel 
(^vetadvipa, 

28.  (12  779.)  dort  leben  Manner,  glanzvoU  wie  der  Mond, 
welche  nichts  Hoheres  kennen  als  Narayana;  ihm,  dem 
hochsten  Purusha,  sind  diese  frommen  Manner  mit  alleiniger 
Liebe  ergeben. 

29.  (12  780.)  Ihm,  dem  tausendstrahligen ,  ewigen  Gotte, 
nahen  sie  frei  von  Sinnesorganen,  ohne  Nahrung,  ohne  Augen- 
blinzeln  und  von  lieblichem  Wohlgeruch; 


Adhyaya  338  (B.  336).  761 

30.  (12  781.)  ihm  allein  ergeben  sind  diese  Bewohner  von 
Qvetadvipa.  Dorthin  wendet  euch,  ihr  Muni's,  dort  wird  meine 
Wesenheit  offenbart. 

31.  (12  782.)  Nachdem  wir  alle  diese  korperlose  Stimme 
vernommen  hatten,  sind  sie  (wir)  auf  dem  beschriebenen 
Wege  in  jene  Gegend  gegangen. 

32.  (12  783.)  Als  wir  aber  nach  der  giofsen  weifsen  Insel 
gelangt  waren,  ihn  in  Gedanken  tragend,  ihn  zu  sehen  ver- 
langend,  da  war  der  Ausblick  uns  verschlossen, 

33.  (12  784.)  und  wir  konnten  den  Purusha  nicht  schauen, 
denn  unsere  Augen  waren  durch  seinen  Glanz  geblendet.  Da 
wurde  es  uns  durch  die  Hingebung  an  den  Gott  klar, 

34.  (12  785.)  dafs  man  nicht  so  ohne  weiteres  und  ohne 
vorher  hinreichend  Askese  geiibt  zu  haben,  den  Gott  schauen 
kann.  Nachdem  wir  darauf  nochmals  ungesaumt  hundert 
Jahre  lang  grofse  Askese  unternommen  hatten, 

35.  (12  786.)  sahen  wir  am  Schlusse  unseres  Geliibdes 
schone  weifse  Manner,  wie  der  Mond  glanzend,  mit  alien  Vor- 
ziigen  ausgestattet, 

36.  (12  787.)  welche,  o  Brahmane,  immerfort  mit  zusammen- 
gelegten  Handen,  nach  Norden  und  Osten  schauend,  mur- 
melten.  Diese  Murmelung  aber  wurde  nur  als  eine  geistige 
von  diesen  Hochsinnigen  vollzogen, 

37.  (12  788.)  denn  an  einer  solchen  geistigen  Konzentration 
hat  Hari  seine  Freude.  Der  Glanz,  wie  er  der  Sonne  eigen 
ist,  o  Tiger  unter  den  Muni's,  wenn  ein  Weltalter  zu  Ende  geht, 

38.  (12  789.)  ein  soldier  Glanz  umstrahlte  jeden  einzelnen 
von  diesen  Mannern.  Da  erkannten  wir,  dafs  diese  Insel  eine 
Wohnstatte  des  Glanzes  ist; 

39.  (12  790.)  keiner  iiberbot  dort  den  andern,  alle  waren 
von  gleichem  Glanze.  Da  wurde  der  gleichzeitig  von  tausend 
Sonnen  ausstrahlende  Glanz 

40.  (12  791.)  wiederum  plotzhch  von  uns  gesehen,  o  Brihas- 
pati,  und  jene  Manner  liefen  allesamt  eilends  auf  ihn  zu 

41.  (12  792.)  und  riefen  mit  zusammengelegten  Handen 
freudig  aus:  „Dir  sei  Verehrung!"  Sodann  horten  wir  ein 
grofses  Getone  ihres  Redens. 

42.  (12  793.)  Denn  das  ist  die  Spende,   welche  von  diesen 


762  III.    Mokshadharma. 

Mannern  dem  Gotte  dargebracht  wird.   Wir  aber,  durch  seinen 
Glanz  plotzlich  der  Sinne  beraubt, 

43.  (12  794.)  sahen  gar  nichts,  geschlagen  an  Augen,  Kraft 
und  Sinn.  Da  verbreitete  sich  ein  Ton  und  wurde  deutlich 
von  uns  vernommen: 

44.  (12  795.)  „Du  bist  Sieger,  o  Lotosaugiger,  Verehrung 
sei  dir,  o  Allbildner,  Verehrung  sei  dir,  o  Struppiger,  o  erst- 
geborener,  grofser  Purusha!" 

45.  (12  796.)  Dieser  Ton  wurde,  richtig  nach  Aussprache 
und  Betonung,  von  uns  vernommen,  wahrend  in  dieser  Zeit 
ein  reiner,  mit  Wohlgeriichen  erfiillter  Wind 

46.  (12  797.)  himmlische  Blumen  und  opferwiirdige  Krauter 
herbeifiihrte.  Von  diesen,  die  Zeiten  der  fiinf  [taglichen  Opfer, 
pancalidla;  nach  einer  Fufsnote  in  B. :  das  Paiicaratram]  kennen- 
den,  ihm  einzig  ergebenen  Mannern  wurde  Hari  verehrt 

47.  (12  798.)  in  Gedanken,  Worten  und  Werken,  die  in 
hochster  Liebe  gegen  ihn  wurzelten.  Ohne  Zweifel  war  der 
Gott  dorthin  gekommen,  als  von  ihnen  diese  Gebete  er- 
schollen, 

48.  (12  799.)  wir  aber,  durch  seine  Zauberkunst  fmdydj  ver- 
blendet,  waren  nicht  imstande,  ihn  zu  sehen.  Als  endHch 
der  Wind  sich  legte  und  die  Darbringung  vollendet  war, 

49.  (12800.)  wurde  unser  Geist,  o  Bester  der  Aiigiras,  von 
Sorge  erfiillt.  Denn  unter  diesen  tausend  edelgeborenen 
Mannern 

50.  (12801.)  wiirdigte  uns  keiner  eines  Gedankens  oder 
auch  nur  eines  Bhckes,  sondern  jene  Munischaren  hielten 
sich  fiir  sich,  nur  einer  Liebe  sich  hingebend, 

51.  (12  802.)  und  bewiesen  uns  keine  Liebe,  nur  von  der 
Liebe  zu  Brahman  beseelt.  Da  geschah  es,  dafs  uns,  die  wir 
sehr  ermiidet  und  durch  die  Askese  abgemagert  waren, 

52.  (12803.)  ein  in  sich  ruhendes  korperloses  Wesen  an- 
redete. 

Der  Gott  sprach: 
(12804.)  „Die  von  alien  Sinnesorganen  freien  weifsen  Manner 
sind  von  euch  gesehen  worden, 

53.  und  von  diesen  besten  Zwiegeborenen ,  die  ihr  ge- 
schaut  habt,  ist  der  Gott  geschaut  worden.    (12805)  Nun  ent- 


Adhy^ya  338  (B.  336).  763 

fernt  euch  von  hier  alle,  ihr  Muni's,  wie  ihr  gekommen  seid, 
ungesaumt, 

54.  der  Gott  kann  unter  keinen  Umstanden  von  einem  ge- 
schaut  werden,  der  ihm  nicht  in  Liebe  ergeben  ist,  (128O6.)  und 
nur  solche,  welche  nach  langer  Zeit  zu  seiner  Alleinverehrung 
gelangt  sind, 

55.  konnen  den  Heiligen,  in  seinem  Strahlenkranze  schwer 
zu  Erkennenden  schauen.  (12807.)  Aber  doch  wartet  euer  eine 
grofse  Aufgabe,  ihr  Besten  der  Brahmanen: 

56.  Wenn  kiinftighin  das  Kritaweltalter  vorbei  und  in 
ein  anderes  iibergegangen  sein  wird,  (128O8.)  wenn  in  der 
gegenwartigen  Manuperiode  das  Tretazeitalter  eingetreten  sein 
wird,  o  Brahmanen, 

57.  dann  sollt  ihr  zur  Vollbringung  der  Aufgabe  der 
Gotter  Mithelfer  sein."  (12809.)  Nachdem  wir  diese  wunder- 
bare,  amritagleiche  Rede  gehort  batten, 

58.  gelangten  wir  alsbald  durch  seine  Gnade  in  das  ge- 
wiinschte  Land.  (12810.)  So  konnte  denn  trotz  grofser  Askese, 
trotz  Gotter-  und  Manenopfer 

59.  der  Gott  von  uns  nicht  geschaut  werden,  —  wie 
kannst  du  ihn  da  sehen  wollen  [o  Brihaspati]  ?  (12811.)  Er  ist 
Narayana,  das  grofse  Wesen,  der  Allschopfer,  der  Geniefser 
des  Gotter-  und  Manenopfers, 

60.  ohne  Anfang  und  Ende,  unoffenbar,  verehrt  von 
Gottern  und  Damonen.  —  (12812.)  So  wurde  durch  die  Er- 
zahlung  des  Ekata  und  die  Beistimmung  des  Dvita  und  Trita 

61.  sowie  durch  die  iibrigen  Opfergenossen  der  hoch- 
sinnige  Brihaspati  begiitigt,  (12  sis.)  vollendete  das  Opfer  und 
verehrte  die  Gottheit. 

62.  Aber  der  Konig  Vasu,  obgleich  er  dieses  Opfer  dar- 
gebracht  hatte  und  seinen  Untertanen  Schutz  verhehen  hatte, 
(12814.)  wurde  spater  aus  dem  Himmel  [in  den  er  gelangt 
war]  durch  einen  Fluch  der  Brahmanen  herabgestiirzt  und 
fuhr  in  die  Erde  hinein. 

63.  Aber  dieser  Konig,  0  Konigstiger,  hielt  nichtsdesto- 
weniger  fest  an  Wahrheit  und  Gerechtigkeit,  (12815.)  und  ob- 
gleich er  im  Tnnern  der  Erde  hauste,  war  und  blieb  er  ein 
treuer  Anhanger  des  Gesetzes. 


764  III.  Mokshadharma. 

64.  Und  well  er  den  Narayana  aufs  hochste  ehrte  und  die 
Narayanamurmelung  murmelte,  (128I6.)  wurde  er  durch  dessen 
Gnade  wieder  emporgehoben 

65.  und  stieg  vom  Erdboden  flugs  hinauf  zu  der  Statte 
des  Brahman,  (12 sir.)  indem  er  alsbald  das  hochste,  ewige 
Ziel  erreichte. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Geechichte  vom  Narayana 
(Ndrdyaniyain). 


Adhyaya  339  (B.  337). 

Vers  12818-12860  (B.  1-41). 

Yudhishthira  sprach: 

1.  (12818.)  Da  doch  der  grofse  Konig  Vasu  dem  Heihgen 
[Narayana]  so  iiberaus  ergeben  war,  wie  kam  es  da,  dafs  er 
herabstiirzte  und  in  eine  unterirdische  Hohle  geriet? 

Bhishma  sprach: 

2.  (12  819.)  Auch  dariiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  den  Wortwechsel  zwischen  den  Kishi's 
und  den  dreifsig  Gottern. 

3.  (12  820.)  Die  Gotter  sprachen  zu  den  Besten  der  Zwie- 
geborenen:  Geopfert  werden  mufs  ein  Bock,  und  unter  dem 
Bock  ist  ein  Ziegenbock  und  kein  anderes  Tier  zu  verstehen, 
das  steht  fest.    Die  Eishi's  sprachen: 

4.  (12  821.)  Korner  miissen  beim  Opfer  dargebracht  werden, 
das  ist  die  vedische  Vorschrift.  Korner  sind  zu  verstehen, 
wenn  von  einem  Bock  [aja^  konnte  auch  „unaufgekeimt" 
heifsen]  dort  die  Rede  ist.  Einen  Bock  darf  man  unter  keinen 
Umstanden  toten. 

5.  (12822.)  Das  ist  kein  Brauch  guter  Menschen,  o  Gotter, 
dafs  ein  Tier  geschlachtet  wird;  wir  leben  in  dem  besten, 
im  Kritazeitalter,  wie  diirfte  da  ein  Tier  geschlachtet  werden ! 

Bhishma  sprach: 

6.  (12823.)  Wahrend  sich  in  dieser  Weise  die  Rishi's  mit 
den  weisen  Gottern  stritten,  kam  des  Weges  daher  Vasu, 
der  Beste  der  Konige,  der  in  diese  Gegend  gelangt  war, 


Adhyaya  339  (B.  337).  765 

7.  (12824.)  der  gliickliche,  indem  er  durch  die  Luft  flog 
mit  seinem  ganzen  Heere  und  seinen  Wagen.  Als  die  Rishi's 
den  Vasu  sahen,  wie  er  plotzlich  durch  die  Luft  daher- 
gefahren  kam, 

8.  (12825.)  da  sprachen  die  Zwiegeborenen  zu  den  Gottern: 
Dieser  soil  den  Streit  entscheiden.  Er  ist  opfereifrig  und  ein  frei- 
gebiger  Herr,  edel  und  am  Wohle  aller  Wesen  sich  freuend. 

9.  (12826.)  Wie  konnte  er,  der  grofse  Vasu,  etwas  Falsches 
sagen?  Nachdem  die  Rishi's  und  Goiter  darin  iiberein- 
gekommen  waren, 

10.  (12827.)  traten  sie  alle  an  den  Vasu  heran  und  frag- 
ten  ihn:  0  Konig,  was  soil  man  opfern,  einen  Bock  oder 
Pflanzenstoffe  ? 

11.  (12828.)  Diese  Streitfrage  lose  uns,  du,  o  Herr,  sollst 
unser  Schiedsrichter  sein.  Da  legte  Vasu  seine  hohlen  Hande 
zusammen  und  fragte : 

12.  (12829.)  Wer  von  euch  hegt  welchen  Wunsch?  Sagt 
mir  die  Wahrheit,  ihr  Besten  der  Zwiegeborenen! 

Die  Rishi's  sprachen: 
(12830.)  Unsere  Partei  behauptet,   dafs   man  nur  Korner 
opfern  darf,  o  Konig, 

13.  die  Gotter  aber  nehmen  Partei  fiir  das  Tieropfer; 
du,  0  Konig,  sollst  zwischen  uns  entscheiden. 

Bhishma  sprach: 
(12831.)  Als  aber  Vasu  die  Meinung  der  Gotter  vernahm, 
schlug  er  sich  auf  ihre  Seite 

14.  und  sein  Schiedsspruch  lautete:  „Ein  Ziegenbock 
mufs  geopfert  werden."  (12832.)  Da  gerieten  alle  die  sonne- 
glanzenden  Rishi's  in  Zorn 

15.  und  sprachen  zu  dem  auf  seinem  Wagen  stehenden 
Vasu,  der  den  Schiedsspruch  parteiisch  fiir  die  Gotter  gefallt 
hatte:  (12833.)  Weil  du  die  Partei  der  Gotter  ergriffen  hast, 
darum  sollst  du  vom  Himmel  herunterstiirzen. 

16.  Von  jetzt  an,  o  Konig,  wird  dir  der  Weg  durch  die 
Liifte  benommen  sein;  (12834.)  von  unserm  Fluche  getroffen, 
wirst  du  die  Erde  spalten  und  in  sie  hineinfahren. 


766  in.    Mokshadharma. 

17.  Da  geschah  es  in  demselben  Augenblicke,  dafs  der 
Konig  Uparicara  (12835.)  alsbald  herabstiirzte  und  in  eine  Hohle 
unter  der  Erde  geriet,  o  Konig. 

18.  Aber  auf  Befehl  des  Narayana  blieb  die  Erinnerung 
an  ihn  soweit  lebendig,  (12836.)  dafs  alle  Gotter  insgesamt  auf 
die  Befreiung  des  Vasu  von  seinem  Fluche 

19.  mit  Sorgfalt  bedacht  waren,  um  dem  Konige  eine 
Wohltat  zu  erweisen;  (12837.)  denn  dieser  hochsinnige  Konig, 
sprachen  sie,  hat  um  unsertwillen  den  Fluch  auf  sich  geladen ; 

20.  darum,  ihr  Himmelsbewohner,  miissen  wir  alle  ihm 
einen  Gegendienst  erweisen.  (12838.)  So  im  Geiste  sich  ent- 
scheidend,  waren  die  Gotter  schnell  entschlossen 

21.  und  sprachen  freudigen  Geistes  zu  dem  Konige  Upari- 
cara: (12  839.)  Dem  brahmanhaften  Gotte  bist  du  ergeben,  und 
er,  Hari,  der  Meister  der  Gotter  und  Damonen, 

22.  wird  gewifs,  weil  er  an  dir  seine  Freude  hat,  die  Losung 
des  Fluches  bewirken;  (i2840.)  anderseits  mufs  freilich  auch 
die  Achtung  vor  den  hochsinnigen  Rishi's  gewahrt  werden, 

23.  und  es  ist  nicht  moglich,  dafs  ihre  Askese  unfrucht- 
bar  bleibe,  (i2  84i.)  kraft  deren  du  so  plotzlich  aus  dem  Luft- 
raum  in  die  Erde  hinabgestiirzt  bist. 

24.  Immerhin  konnen  wir  dir  folgende  Milderung  ge- 
wahren,  o  Bester  der  Konige:  (12842.)  Wahrend  du  vermoge 
des  Fluches  deine  Zeit  absitzen  wirst,  o  Untadliger, 

25.  in  deiner  Hohle  unter  der  Erde,  diese  ganze  Zeit  sollst 
du  (12843.)  die  von  achtsamen  Brahmanen  beim  Opfer  rich  tig 
dargebrachte  Spende,  welche  vasor  dhdrd  (Gabenstrom,  Vasu- 
spende)  heifst,  erhalten. 

26.  Das  sollst  du  durch  unsere  Fiirsorge  erlangen,  damit 
dich  kein  Hinwelken  iiberkomme.  (12844.)  Denn  du  wirst  in 
deinem  Erdloche  weder  Hunger  noch  Durst  leiden, 

27.  wenn  du  die  vasor  dhdrd  trinkst  und  dich  durch 
ihre  Kraft  starkst.  (1284,').)  Dann  wird  jener  Gott  [Narayana], 
durch  unsere  Gabe  an  dich  erfreut,  dich  in  die  Brahman- 
welt  emporgeleiten. 

28.  Nachdem  alle  die  Himmelsbewohner  dem  Konige 
dieses  Geschenk  verliehen  hatten,  (12846.)  gingen  die  Gotter 
nach  Hause  und  ebenso  die  askesereichen  Rishi's. 


Adhyaya  339  (B.  337).  767 

29.  Darauf  zollte  Vasu  dem  Vishvaksena  (dem  allumschiitz- 
ten  Narayana)  seine  Verehrung,  o  Bharata,  (12847.)  indem  er 
unaufhorlich  die  aus  dem  Munde  des  Narayana  hervor- 
gegangene  Murmelung  betete. 

30.  Auch  wurden,  o  Feindbezwinger,  die  fiinf  taglichen 
Opfer  zu  ihren  fiinf  Zeiten  (12  848.)  dem  Gotterherrn  Hari  von 
Vasu,  wahrend  er  in  der  Erdholile  weilto,  dargebracht. 

31.  Da  freute  sich  Hari  Narayana  dariiber,  dafs  er  so 
fromm  war  (12849.)  und  dafs  er  keinen  andern  Gott  verehrte, 
sondern  mit  bezahmtem  Selbste  ihm  allein  ergeben  war. 

32.  Und  er,  der  gabenspendende,  heilige  Vishnu,  sprach 
zu  dem  ihn  begleitenden  trefflichsten  Vogel,  (12  850.)  dem 
iiberaus  schnellen  Garuda,  was  er  vollbracht  zu  sehen 
wiinschte: 

33.  0  du  machtiger  Bester  der  Vogel,  achte  auf  mein 
Wort.  (12  851.)  Ein  allbeherrschender  Konig  mit  Namen  Vasu, 
pflichttreu  und  von  scharfem  Geliibde, 

34.  ist  durch  den  Zorn  der  Brahmanen  in  die  Erde  ge- 
bannt  worden.  (12852.)  Den  Bralimanenfiirsten  ist  jetzt  die 
geniigende  Achtung  erwiesen  worden.  Nunmehr  gehe  du, 
o  Bester  der  Vogel, 

35.  auf  meinen  Befehl,  0  Garuda,  zu  dem  in  der  Erd- 
hohle  Verborgenen  (12853.)  und  mache  sofort  den  unter  der  Erde 
wandelnden  besten  Fiirsten  wieder  zu  einem  Luft wanderer! 

36.  Da  entfaltete  der  windschnelle  Garuda  seine  Fliigel 
(12  854.)  und  gelangte  in  die  Hohle  unter  der  Erde,  wo  der 
Konig  safs. 

37.  Den  rifs  der  Vinatasohn  jahlings  in  die  Hohe,  (12855.) 
flog  mit  ihm  im  Nu  zum  Ather  empor  und  liefs  ihn  da  los. 

38.  In  diesem  Augenblicke  wurde  der  Konig  wieder  zu 
einem  Uparicara  (in  der"  Hohe  Wandelnden),  (1285G.)  und  mit 
seinem  Leibe  ging  er,  der  Beste  der  Fiirsten,  in  die  Brahman- 
welt  ein. 

39.  So  mufste,  o  Kuntisohn,  von  diesem  Konige,  weil 
er  sich  auf  Geheifs  der  Gotter  im  Reden  versiindigt  hatte, 
(12  857.)  trotz  seines  hohen  Sinnes  vermoge  des  Fluches  der 
Brahmanen  der  Weg  unter  die  Erde  gegangen  werden. 


768  III.    Mokshadharma. 

40.  Weil  er  aber  allein  den  Gottherrn  Hari,  den  Purusha, 
verehrte,  (12  858.)  ist  er  alsbald  von  seinem  Fluche  befreit 
worden  und  hat  die  Brahmanwelt  erlangt. 

Bhishma  spracli  [weiter]: 

41.  (12859.)  Damit  habe  ich  dir  alles  erzahlt,  wie  jene 
Menschen  beschaffen  waren  und  wie  der  Weise  Narada  [zu 
ihnen]  nach  Qvetadvipa  gelangt  war.  (12860.)  Das  will  ich 
dir  alles  [noch  genauer]  mitteilen;  vernimm  es  mit  ungeteil- 
ter  Aufmerksamkeit,  o  Konig. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Geschichte  vom  Nftrayana 
(Sdrdyaniyam). 


Adhyaya  340  (B.  338). 

Vers  12861-12864  (B.  1-3). 

Bhishma  sprach: 

1.  (12861.)  Als  der  heilige  Weise  Narada  die  grofse  weifse 
Insel  ((^vetadvipa)  erreicht  hatte,  sah  er  jene  weifsen,  wie 
der  Mond  glanzenden  Manner. 

2.  (12862.)  Er  verehrte  sie  durch  Verneigung  und  wurde 
von  ihnen  geistig  verehrt;  nach  dem  Schauen  begehrend, 
der  Murmelung  ergeben,  durch  alle  harten  Ubungen  hin- 
durchgegangen  und  beharrlich, 

3.  (12863.)  unternahm  es  der  Brahmane  konzentrierten 
Geistes,  mit  emporgestreckten  Armen  und  voll  Sammlung, 
dem  Allumfassenden,  Gunalosen  und  zugleich  Gunahaften  ein 
Loblied  zu  singen. 

Narada  sprach : 

(12864.  Prosa.)  Verohrung  sei  dir,  o  Gottherr  der  Gotter, 
Werkloser,  Gunaloser,  Weltauge,  Kshetrajna,  hochster  Pu- 
rusha, Unendlicher,  Purusha,  grofser  Purusha,  hochster 
Purusha,  Dreigunahafter,  Urstoff,  Unsterblicher,  Unsterblich- 
heif sender,  Unendlichheif sender,  Himmelsraum,  Ewiger,  der 
du  Seiendes  und  Nichtseiendes,  Entfaltetes  und  Unentfaltetes 
bist,  Wahrheitsstatte,  Urgott,  Gabenspender,  Schopfer,  guter 


Adhy^ya  310  (B.  338).  769 

Schopfer,  Waldesherr,  grofser  Schopfer,  Nahrungsherr,  Rede- 
herr,  Weltherr,  Geistesherr,  Himmelsherr,  Windesherr,  Wasser- 
herr,  Erdeherr,  Weltgegendenherr,  Urwohnstatt,  Verborgener, 
Brahmanpriester,  Brahmanverkorperter,  Grofsfiirstlicher,  Vier- 
grofsfiirst,  Glanzender,  Hellglanzender,  Siebenopferteilegeniefser, 
Yamaliebender ,  Yamasehrliebender  ,  Yamamuttergenannter, 
Tushitagottheit,  Grofstushitagottheit,  Vex-nichter,  Erschaffener, 
Unerschaffener ,  Willkiirlicher ,  Untadliger,  Unermefslicher, 
Willkiirlicher ,  Unwillkiirlicher ,  Opfer,  Grofsopfer,  Opfer- 
ursprung,  Opferwiege,  Opfersprofs,  Opferherz,  Opfergeprie- 
sener,  Opferteilgenierser,  Fiinfopferhafter,  Fiinfzeiteinteilungs- 
schaffer,  Paficaratrahafter,  Vaikuntha,  Unbesiegbarer,  Geistiger, 
Namengenannter,  Hochstherr,  Wohlgebadeter,  Schwan,  hoch- 
ster  Schwan,  grofser  Schwan,  Hochheiliger,  Sankhya-Yoga, 
Sankhyagestal tiger,  im  Amritam  Weilender,  Goldweilender, 
Gottweilender,  Kugagrasweilender,  Brahmanweilender,  Lotos- 
weilender,  Allherr,  Allumschiitzter ,  du  bist  Weltzusammen- 
hang,  Weltnatur,  dein  Mund  ist  Feuer,  du  bist  das  Vadava- 
rachenfeuer,  bist  Opfergufs,  Wagenlenker,  bist  der  Vashatruf, 
der  Omlaut,  die  Askese,  das  Manas,  der  Mond,  das  durch 
AnbHck  geweihte  Opferschmalz ,  die  Sonne,  der  Weltelefant, 
o  Glanz  der  Pole,  Glanz  der  Zwischenpole,  Rofshaupt  (vgl. 
unten,  Vers  12923),  du  bist  Erstgeniefser  des  Trisuparnagebets, 
Kastenerhalter,  o  Fiinffeuerhafter,  Dreinaciketahafter,  Behalter 
der  sechs  Vedanga's,  Morgenhchthed-,  Bestliedsanger,  Sang- 
geliibdehalter,  du  bist  die  Atharvagirasupanishad,  o  du  der 
fiinf  grofsen  Lehrbiicher  Inbegriff,  Lehrer  der  Wasserschaum- 
trinker,  Valakhilya,  Vaikhanasa,  Yogabestandiger,  Reflexions- 
bestandiger,  der  Weltalter  Anfang,  Mitte  und  Ende,  Akhandala, 
Pracinagarbha ,  Kaugika,  Vielgepriesener ,  Vielangerufener, 
AUschopfer,  Allgestal tiger,  Unendlichstrebender,  UnendHch- 
geniefsender ,  UnendHcher,  ohne  Anfang,  ohne  Mitte,  ver- 
borgener Mitte,  verborgenen  Endes,  Geliibdestatte,  Ozean- 
bewohnender,  Glanzstatte,  Askesestatte ,  Bezahmungsstatte, 
Schonheitsstatte,  Ruhmstatte,  Gliicksstatte,  Allstatte,  o  Vasu- 
deva,  AUgewinner,  Falbrossiger,  Falbrofsopferer,  Grofsopfer- 
anteilrauber ,  Gabenspender,  Lustspender,  Reichtumspender, 
Falbrofsopferer,  Zwang,  Selbstzwang,  Grofszwang,  Geplagter, 

Beussek,  Mah&bb&.ratani.  49 


770  in.    Mokshadharma. 

Zerplagter,  Sehrgeplagter ,  Allgeplagter ,  Selbstzwangtrager, 
Fehltrittfreier,  Lernfleif siger ,  Prignileibentsprungener ,  Veda- 
werkeifriger,  Ungeborener ,  Allziel,  Allschauer,  Unfafsbarer, 
Unerschiitterlicher,  Grof  sentfalteter,  Grofsheitverkorperter,  Lau- 
terung,  Grofslauterung,  Goldener,  Grorser,  Vermutbarer,  Un- 
erkennbarer,  Brahmanenerster,  Wesensschopfer,  Wesenver- 
nichter,  Grofsblendwerktrager,  Citragikhandin,  Gabenspender, 
Gpferkuchenanteilnehmer,  Festlichgefeierter,  Durstfreier,  Zwei- 
felfreier,  Allwartsgewandter,  Ungestalteter,  Brahmanengestal- 
teter,  Brahmanenfreund,  Allgestaltiger,  Grofsgestaltiger,  Ver- 
wandter,  Verehrerfreund ,  o  heiliger  Gott,  dich  verehre  ich, 
dich  begehre  ich  zu  schauen,  dem  einzigen  Anblick  Ver- 
ehrung,  Verehrung! 

So  lautet  im  Mokshadharma  der  Preis  des  grofsen  Purusha 
(Mahdpurusha  -  stava). 


Adhyaya  341  (B.  339). 

Vers  12865-13006  (B.  1-141). 

Bhlshma  sprach: 

1.  (12865.)  Als  der  heilige  Gott  auf  diese  Weise  mit  seinen 
geheimnisvoUen  und  wahrhaften  Namen  gepriesen  worden  war, 
liefs  der  AUgestaltige  sich  vor  dem  weisen  Narada  sehen. 

2.  (12866.)  Einerseits  war  der  Herr  reiner  als  der  Mond 
an  Glanz,  anderseits  war  er  mit  dem  Monde  gar  nicht  zu 
vergleichen,  teils  glich  er  dem  Feuer  an  Aussehen,  teils  dem 
Feueraltar  an  Gestalt, 

3.  (12867.)  teils  dem  Gefieder  des  Papageien,  teils  einem 
Bergkristall ,  hier  wie  schwarze  Augensalbe,  dort  wie  Gold 
glanzend, 

4  (12868.)  stellenweise  glich  er  einem  Korallenzweige,  und 
wiederum  erschien  er  weifsfarbig,  hier  glanzte  er  wie  Gold- 
farbe,  dort  ahnelte  er  dem  Beryllstein, 

5.  (12869.)  dann  wieder  schillerte  er  wie  schwarzer  Beryll 
und  stellenweise  wie  ein  Smaragd,  teils  war  sein  Aussehen 
dem  Hals  des  Pfauen,  teils  einer  Perlenschnur  gleich. 


Adhyaya  341  (B.  339).  771 

6.  (12870.)  Diese  mannigfachen  Farben  trug  an  seinem 
Aufsern  der  Ewige ;  tausendaugig  war  der  Selige,  mit  hundert 
Hauptern,  tausend  Fiifsen, 

7.  (12  871.)  tausend  Bauchen  und  Armen  und  stellenweise 
wieder  unsichtbar.  Aus  seinem  Munde  strorate  der  Omlaut, 
und  ihm  folgte  die  Savitri; 

8.  (12872.)  aus  seinen  iibrigen  Miindern  liefs  er  die  vier 
Veden  in  ihrer  Fiille  ausgehen  und  sang,  der  Gott,  das 
Aranyakam,  er,  der  gewaltige  Hari  Narayana. 

9.  (12873.)  Ein  Opferbett,  ein  Wasserkrug  und  weifse  Edel- 
steine,  ein  Schuhepaar  und  Kugagras,  Antilopenfell  und  hol- 
zerner  Stab  und  dazu  loderndes  Feuer, 

10.  (12874.)  das  alles  wurde  von  dem  Gottherrn  als  Herrn 
des  Opfers  in  seinen  Handen  getragen.  Da  begann  Narada, 
der  Beste  der  Zwiegeborenen,  mit  ruhigem  Geiste  den  Heitern 

11.  (12875.)  zu  verehren,  den  hochsten  Gott,  schweigend 
und  vor  ihm  geneigt.  Zu  ihm,  der  sein  Haupt  neigte,  sprach 
der  ewige  Urvater  der  Gotter. 

Der  Heilige  sprach: 

12.  (12  876.)  Ekata,  Dvita  und  Trita,  die  drei  grofsen 
Wesen,  kamen  einst  in  dieses  Land  mit  dem  Verlangen,  mich 
zu  schauen. 

13.  (12877.)  Aber  sie  bekamen  mich  nicht  zu  sehen,  und 
keiner  wird  mich  zu  sehen  bekommen  aufser  dem,  weloher 
mir  vor  alien  anderen  Verehrern  ergeben  ist,  du  aber  bist 
mir  mehr  zugetan  [uttamah  mit  C.)  als  alle  anderen. 

14.  (12878.)  Jene  meine  hochsten  [vier]  Erscheinungs- 
formen  wurden  in  dem  Hause  des  Dharma  geboren  [oben, 
Vers  12  657  fg.],  die  mogest  du  immerfort  verehren;  ziehe  hin, 
wie  du  gekommen  bist. 

15.  (12  879.)  Aber,  o  Brahmane,  wahle  noch  eine  Gabe,  die 
du  von  mir  zu  erlangen  wiinschest,  ich,  der  Allgestaltige, 
Ewige,  wie  ich  heute  hier  vor  dir  stehe,  bin  dir  gnadig  gesinnt. 

Narada  sprach : 

16.  (12880.)  Heute  habe  ich  die  Frucht  meiner  Askese, 
meiner  Bezwingung  und  Selbstbezwingung  erlangt,  da  du, 
o  Heiliger,  dich  von  mir  hast  sehen  lassen. 

49* 


772  III.    Mokshadharma. 

17.  (12881.)  All  mein  Leben  ist  es  nur  mein  Wunsch  ge- 
wesen,  dich,  den  Ewigen,  zu  schauen,  o  Heiliger,  den  All- 
schauenden,  den  Lowen,  den  allgestaltigen  grofsen  Gebieter. 

Bhishma  sprach: 

18.  (12882.)  Nachdem  er  sich  in  dieser  Weise  vor  dem 
Narada  Parameshthin  gezeigt  hatte,  sprach  er  weiter  das  Wort : 
Mache  dich  auf,  Narada,  und  zogere  nicht. 

19.  (12883.)  Denn  diese  meine  wie  der  Mond  glanzenden 
Verehrer  hier,  welche  ohne  Sinnesorgane  und  ohne  Nahrung 
leben,  konnten  voll  einziger  Hingebung  ihre  Gedanken  auf 
mich  richten,  und  ich  mochte  nicht,  dafs  sie  dabei  auf  ein 
Hindernis  stiefsen. 

20.  (12  884.)  Von  jeher  waren  sie  vollendet,  gliickselig  und 
mir  einzig  ergeben,  und  frei  von  Tamas  und  Rajas,  werden 
sie  gewifslich  zu  mir  eingehen. 

21.  (12  885.)  Er,  der  nicht  zu  sehen  ist  mit  dem  Auge, 
nicht  zu  betasten  durch  Beriihrung,  nicht  zu  riechen  durch 
den  Geruch  und  auch  dem  Geschmack  unerreichbar, 

22.  (12886.)  dem  die  Guna's,  Sattvam,  Rajas  und  Tamas 
nicht  anhaften,  der  da  als  allgegenwartiger  Zuschauer  und 
Weltatman  gepriesen  wird, 

23.  (12  887.)  der  nicht  vergeht,  wenn  die  Korper  der  Wesens- 
scharen  vergehen,  der  Ungeborene,  Ewige,  Unvergangliche, 
Gunalose,  Unteilbare, 

24.  (12888.)  welcher  iiber  die  zweimal  zwolf  Prinzipien 
hinaus  als  der  Fiinfundzwanzigste  geriihmt  wird  als  taten- 
loser,  nur  durch  die  Erkenntnis  zu  schauender  Purusha, 

25.  (12889.)  in  welchen  eingehend  die  Besten  der  Zwie- 
geborenen  hienieden  zur  Erlosung  gelangen,  —  der  bin  ich, 
als  Vasudeva  zu  erkennen,  als  der  ewige,  hochste  Atman. 

26.  (12890.)  Schaue,  o  Narada,  die  Grofse  und  Majestat 
dieses  Gottes,  der  niemals  durch  gute  oder  bose  Werke  be- 
fleckt  wird. 

27.  (12  891.)  Sattvam,  Rajas  und  Tamas  nennt  man  Guna's 
(Faktoren,  Konstituenten),  weil  sie  in  alien  Korpern  vorhanden 
sind  und  sich  betatigen. 


Adhyaya  341  (B.  339).  773 

28.  (12892.)  Diese  Guna's  geniefst  der  Kshetrajfia,  wird. 
aber  nicht  von  ihnen  genossen,  der  Gunalose,  Gunageniefsende, 
Gunaschopfer,  Gunabeherrscher. 

29.  (12893.)  Die  Erde,  dieser  Standort  der  Lebewelt,  o 
Gotter-Rishi,  zergeht  im  Wasser,  das  Wasser  im  Feuer,  das 
Feuer  im  Winde, 

30.  (12894.)  der  Wind  zergeht  im  Ather,  der  Ather  im 
Manas,  das  Manas  als  hochstes  Element  zergeht  im  Un- 
entfalteten, 

31.  (12895.)  das  Unentfaltete,  o  Brahmane,  zergeht  im  tat- 
losen  Purusha,  iiber  ihm  gibt  es  keinen  Hohern,  iiber  dem 
ewigen  Purusha. 

32.  (12  896.)  Denn  kein  Wesen  in  der  Welt,  sei  es  beweg- 
lich  oder  unbeweglich,  gibt  es,  welches  ewig  ware,  aufser 
jenem  einen  Purusha,  dem  ewigen  Vasudeva. 

33.  (12897.)  Denn  der  hochgewaltige  Vasudeva  ist  die  Seele 
aller  Wesen.  Erde,  Wind,  Ather,  Wasser  und  Feuer  als 
fiinftes, 

34.  (12898.)  diese  hohen  Wesenheiten  bilden  in  ihrer  Ver- 
einigung  das,  was  man  den  Leib  nennt.  Sodann  geht  in 
diesen  ein,  o  Brahmane,  leichten  Schrittes  der  Unsichtbare, 

35.  (12899.)  und  nachdem  er  geboren,  ist  er  es,  der  den 
Leib  bewegt.  Freilich  kann  es  keinen  Leib  geben  ohne  das 
Aggregat  der  Elemente, 

36.  (12900.)  aber  ohne  den  Jiva  (die  individuelle  Seele), 
o  Brahmane,  konnten  die  Winde  [die  fiinf  Prana's]  den  Leib 
nicht  bewegen.  Dieser  Jiva  wird  [nach  Krishna's  alterm 
Bruder  Balarama]  Qesha  oder  Sankarshana  genannt. 

37.  (12901.)  Von  ihm  stammt  er,  welcher  durch  seine  Werke 
es  erlangte,  eine  Inkarnation  von  Sanatkumara  zu  sein  (vgl. 
Mhbh.  I,  67,52  =  I,  2786),  und  dieser,  in  welchem  alle  Ele- 
mente zergehen  und  zunichte  werden  (oben.  Vers  12894), 

38.  (12902.)  der  wird  als  das  Manas  in  alien  Wesen  [nach 
Krishna's  Sohn]  Pradyumna  genannt.  Aus  ihm  ist  der  ent- 
sprungen,  welcher  Tater,  Ursache  und  Wirkung  ist; 

39.  (12  903.)  dieser,  aus  welchem  die  ganze  Welt  des  Be- 
weglichen  und  Unbeweglichen  hervorgeht,  wird  [nach  Krishna's 
Enkel]  Aniruddha,  der  in  alien  Werken  entfaltete  Gott,  genannt. 


774  HI.    Mokshadharma. 

40.  (12  904.)  Also  der  heilige  Vasudeva,  der  seinem  Wesen 
nach  gunalose  Kshetrajna,  der,  o  Fiirst  der  Konige,  ist  zu 
wissen  als  der  Jiva,  als  der  machtige  Saiikarshana. 

41.  (12  905.)  Von  Saiikarshana  stammt  der  Pradyumna  Ge- 
nannte,  welcher  das  Manas  ist,  und  von  Pradyumna  stammt 
Aniruddha,  und  dieser  Gott  ist  der  Ahaiikara. 

42.  (12  906.)  Aus  mir,  o  Narada,  entspringt  die  ganze  Welt, 
das  Unbewegliche  und  Bewegliche,  das  Unvergangliche  und 
Vergangliche,  das  Seiende  und  Nichtseiende. 

43.  (12  907.)  Zu  mir  eingehend,  werden  hienieden  erlost  die, 
welctie  mir  ergeben  sind,  denn  ich  bin  zu  wissen  als  der 
Purusha,  der  Tatenlose,  der  Fiinfundzwanzigste, 

44.  (12  908.)  der  von  Guna's  und  Teilen  Freie,  iiber  Gegen- 
satze  und  Anhangendes  Erhabene.  Aber  das  bleibt  fiir  dich 
unerkennbar  und  wird  nur  als  Erscheinung  gesehen. 

45.  (12909.)  Wenn  ich  wollte,  so  konnte  ich  augenblick- 
lich  verschwinden,  denn  ich  bin  Herr  und  Meister  der  Welt; 
nur  als  ein  Scheinbild  fmdydj  habe  ich  geschaffen,  was  du 
von  mir  siehst,  o  Narada. 

46.  (12  910.)  Sofern  ich  die  Eigenschaften  aller  Wesen  an 
mir  trage,  kannst  du  mich  nicht  erkennen,  aber  die  Vierheit 
meiner  Erscheinungen  habe  ich  deutlich  erklart. 

47.  (12911.)  Ich  bin  es,  der  der  Jiva  heifst,  in  mir  ist  der 
Jiva  beschlossen,  aber  dein  Verstandnis  reichte  nicht  aus, 
um  sagen  zu  konnen:   Ich  habe  den  Jiva  gesehen. 

48.  (12912.)  Ich  bin  allgegenwartig,  o  Brahmane,  bin  in 
der  Schar  der  Wesen  die  innere  Seele,  ich  vergehe  nicht, 
wenn  die  Korper  der  Wesensscharen  vergehen. 

49.  (12913.)  Jene  gliickseligen,  vollendeten  Manner  freilich 
waren  mir  einzig  ergeben,  und  sie,  o  Muni,  werden,  frei  von 
Tamas  und  Rajas,  zu  mir  eingehen. 

50.  (12  914.)  Hiranyagarbha,  der  Weltanfang,  der  mit  seinen 
vier  Angesichtern  in  dem  Unaussprechlichen  \anirukta,  vgl. 
Taitt.  Up.  2,4  Anfang]  weilende  Gott  Brahman,  dieser  ewige  Gott 
iiberdenkt   [als  mein  Intellekt]  meine  mannigfachen  Zwecke; 

51.  (12915.)  aus  meiner  Stirn,  aus  meinem  Zorne  ist  Gott 
Rudra  hervorgegangen ;  siehe,  wie  die  elf  Rudra's  in  meiner 
rechten  Seite 


Adhyaya  341  (B.  339).  775 

52.  (12  916.)  und  die  zwolf  Aditya's  in  meiner  linken  Seite 
wohnen,  siehe,  wie  ich  vorn  an  mir  trage  die  acht  Vasu's, 
die  Hochsten  der  Gotter, 

53.  (12917.)  wie  Nasatya  und  Dasra,  die  Gotterarzte,  meinen 
Riicken  bilden,  siehe  in  mir  alle  Schopferherren  und  alle 
Eishi's, 

54.  (12  918.)  die  Veden  und  die  Opfer  Iiundertfach  nebst  dem 
Amritatranke  und  den  Krautern,  siehe  in  mir  die  Askesen, 
Selbstbezahmungen  und  die  einzelnen  Zuchtiibungen, 

55.  (12  919.)  die  achtfache  Gottherrlichkeit  [der  acht  Siddhi's] 
gestalthaft  in  mir,  dem  Einen,  weilen,  ferner  Gliick,  Schon- 
heit  und  Ruhm  und  die  Erde  mit  ihren  Berggipfeln, 

56.  (12920.)  siehe  in  mir  wohnen  Sarasvati,  die  Mutter  der 
Veden,  und  den  im  Ather  weilenden  Polarstern,  den  Besten 
der  Sterne, 

57.  (12  921.)  die  wasserreichen  Ozeane,  Seen  und  Fliisse 
und  die  vier  Klassen  von  Manen  (vgl.  oben,  Vers  965o)  ver- 
korpert  [murtimantah  als  Ace!)  in  mir 

58.  (12922.)  und  jene  drei  gestaltlosen  Guna's,  wie  sie  in 
mir  wohnen.  Wenn  auch  von  dem  Opfer  an  die  Gotter  das 
Opfer  an  die  Manen  verschieden  ist,  o  Muni, 

59.  (12923.)  so  bin  ich  doch  von  Uranfang  her  der  einzige 
Vater  der  Gotter  wie  der  Manen.  Ich,  zu  dem  Rofshaupte 
geworden  in  dem  nordwesthchen  Ozean, 

60.  (12  924.)  trinke  das  wohldargebrachte  Gotteropfer  und 
das  mit  Glauben  gespendete  Manenopfer.  Von  mir  ist  vor- 
dem  Gott  Brahman  geschaffen  worden,  und  mir  zu  Ehren  hat 
er  selbst  ein  Opfer  geopfert. 

61.  (12925.)  Und  iiber  dasselbe  erfreut,  verheh  ich  ihm 
herrhche  Gaben,  namHch  dafs  er  am  Anfang  der  Weltperiode 
mein  Sohn  und  der  Aufseher  der  Welt, 

62.  (12  926.)  sowie  auch  zum  Ahahkara  [dem  Prinzip  der 
Individuation]  wurde,  so  dafs  dieses  Wort  synonym  mit 
Brahman  ist,  und  ich  sprach  zu  ihm:  „Die  von  dir  gesetzten 
[individuellen]  Schranken  soil  niemand  je  iiber schreiten, 

63.  (12927.)  und  du,  o  Brahman,  sollst  der  Gabenspender 
aller  um  Gaben  Flehenden  sein.  Von  Gottern,  Damonen  und 
Eishi's,  0  Askesereicher, 


776  III.   Mokshadharma. 

64.  (12  928.)  sowie  von  den  Vatern,  o  Machtiger,  allezeit 
Geliibdefester ,  und  von  den  mannigfaltigen  Wesen  sollst  du 
Verehrung  geniefsen." 

65.  (12  929.)  „Und  ich  [so  erwiderte  er  mir]  will  allezeit 
beim  Opfer  an  die  Gotter  ein  offener  Bekenner  des  Bhagavan 
sein;  dir,  o  Heiliger,  will  ich  gehorsam  sein  und  von  dir 
mich  lenken  lassen  wie  ein  Sohn." 

66.  (12  930.)  Diese  und  andere  glanzende  Gaben  verlieh  ich 
dem  unermefslich  kraftvollen  Gott  Brahman  und  zog  mich 
freudig  in  die  Passivitat  fnivrittij  zuriick. 

67.  (12  931.)  Denn  als  Ausloschung  fnirvdnamj  aller  Pflich- 
ten  ist  die  Passivitat  das  Hochste,  daher,  wer  sich  der  Pas- 
sivitat ergibt,  als  ein  durch  und  durch  Beseligter  fnirvrita) 
dahinwandelt. 

68.  (12  932.)  Als  den  mit  dem  Wissen  erfiillten,  in  der 
Sonne  weilenden,  gesammelten  Kapila  bezeichnen  ihn  die  in 
der  Sahkhyalehre  festen  Meister, 

69.  (12  933.)  als  der  heilige  Hiranyagarbha  wird  er  im  Veda 
gepriesen  (vgl.  (^vet.  Up.  5,2).  Ich  bin  es,  der  am  Yoga  sich 
freut,  0  Brahmane,  und  der  in  den  Yogalehrbiichern  [als 
Igvara]  gefeiert  wird. 

70.  (12934.)  Ich  bin  es,  der  zur  Entfaltung  gelangt  und 
doch  ewig  im  Himmel  beharrt,  der  am  Ende  von  tausend 
Weltaltern  die  Welt  wiederum  in  sich  hereinraffen  wird. 

71.  (12  935.)  Und  nachdem  ich  alle  Wesen,  die  beweglichen 
und  unbeweglichen ,  in  mein  Selbst  zuriickgenommen  habe, 
werde  ich  als  der  allein  mit  meinem  Wissen  Fortbestehende 
die  Welt  wiederum  ausbreiten. 

72.  (12  936.)  Alsdann  werde  ich  die  ganze  Welt  wiederum 
durch  mein  Wissen  erschaffen.  Was  aber  in  mir  die  vierte 
Gestalt  [Vasudeva]  ist,  die  schuf  den  unverganglichen  ^esha, 

73.  (12  937.)  denn  er  ist  es,  welcher  Sahkarshana  genannt 
wird,  und  dieser  erzeugte  den  Pradyumna,  und  aus  Pradyumna 
ging  ich  hervor  als  Aniruddha,  immer  wieder  und  wieder  als 
meine  Schopfung. 

74.  (12  938.)  Aus  Aniruddha  entspringt  weiter  Gott  Brahman, 
indem  er  aus  dem  in  dessen  Nabel  wurzelnden  Lotos  hervor- 


Adhy^ya  341  (B.  339).  777 

tritt,  aus   Gott  Brahman  endlich  entstehen  alle  Wesen,  die 
beweglichen  und  die  unbeweglichen. 

75.  (12939.)  Das,  wisse,  ist  die  Schopfung,  welche  immer 
wieder  und  wieder  zu  Anfang  eines  Kalpa  erfolgt,  wie  Auf- 
gang  und  Untergang  der  Sonne  im  Himmelsraume. 

76.  (12  940.)  Denn  wenn  die  Zeit  um  ist,  dann  wird  er, 
der  unermefslich  Glanzende,  durch  seine  Kraft,  —  dann  werde 
ich  durch  meine  Kraft  zum  Heile  aller  Wesen  die  Erde, 

77.  (12  941.)  die  in  alien  ihren  Teilen  von  Wesen  erfiillte,  die 
ozeanumgiirtete,  nachdem  sie  versunken  war,  wieder  zu  ihrer 
Stelle  emporwiihlen,  indem  ich  die  Gestalt  des  Ebers  annehme. 

78.  (12  942.)  Weiter  werde  ich  den  auf  seine  Kraft  stolzen 
Daityafiirsten  Hiranyaksha  toten,  und  wiederum  werde  ich, 
die  Gestalt  eines  Mannlowen  annehmend,  den  Hiranyaka<?ipu, 

79.  (12  943.)  den  opferstorenden  Ditisprofs,  den  Gottern 
zuliehe  zerreifsen.  Ferner  wird  als  Sohn  des  Virocana  ein 
grofser  Damon,  der  gewaltige  Bali, 

80.  (12944.)  uniiberwindlich  fiir  alle  Wei  ten,  Gotter,  Da- 
monen  und  Kobolde,  gehoren  werden,  und  dieser  wird  den 
Qakra  (Indra)  vom  Throne  stiirzen. 

81.  (12  945.)  Dann  wird  der  Gatte  der  Qaci  dariiber  nieder- 
geschlagen  sein,  dafs  ihm  die  Dreiwelt  von  jenem  geraubt 
wurde;  ich  aber  werde  von  Kagyapa  in  der  Gottin  Aditi  als 
zwolfter  Aditya  (Aditisohn)  erzeugt  werden. 

82.  (12  946.)  Dann  werde  ich  dem  unermefslichen  (^akra 
sein  Reich  wiedergeben  und  auch  die  Gotter  in  ihre  Stellungen 
wieder  einsetzen,  o  Narada; 

83.  (12  947.)  den  Bali  aber  werde  ich  zu  einem  Bewohner 
der  Unterwelt  machen,  ihn,  den  vorziiglichen  Bali,  den  von 
alien  Gottern  unbesiegbaren  Danava. 

84.  (12  948.)  Weiter  werde  ich  im  Tretazeitalter  als  ein 
Sprofs  der  Familie  des  Bhrigu  geboren  werden  als  Rama 
[Paragurama,  Sohn  des  Jamadagni]  und  die  Kshatriya's  mit 
ihren  machtigen  Heeren  und  Wagen  ausrotten. 

85.  (12  949.)  Sodann  aber  werde  ich,  wenn  die  Dammerungs- 
zeit  zwischen  den  Zeitaltern  Treta  und  Dvapara  eingetreten 
sein  wird,  als  der  Weltherr  Rama,  der  Sohn  der  Dagaratha, 
geboren  werden. 


778  ni.    Mokshadharma. 

86.  (12  950.)  Dann  werden  Ekata  und  Dvita  wegen  derMifs- 
handlung  des  Trita  in  einer  Mifsgestalt  als  Affen  wiedergeboren 
worden  sein,  sie,  die  beiden  Kishi's  und  Sohne  des  Prajapati, 

87.  (12  951.)  und  die  von  ihnen  geborenen  Nachkommen 
werden  als  machtige,  mannhafte,  dem  Qakra  an  Tapferkeit 
gleiche  Affen  leben. 

88.  (12  952.)  Diese  werden  in  meinem  Kampfe  fiir  die  Gotter 
meine  Gehilfen  sein,  o  Zwiegeborener ;  dann  werde  ich  den 
furchtbaren  Oberherrn  der  Kobolde,  den  Schandfleck  der  Fa- 
milie  des  Pulastya, 

89.  (12  953.)  den  scheufslichen  Ravana,  diesen  Dorn  der 
Welt,  mit  seiner  ganzen  Bande  ausreifsen.  Wenn  dann  weiter 
die  Dammerung  zwischen  dem  Zeitalter  Dvapara  und  Kali 
zu  Ende  geht, 

90.  (12  954.)  wird  zur  Vernichtung  des  Kansa  meine  Ge- 
burt  in  Mathura  stattfmden.  Dort  werde  ich  viele  Danava's, 
die  ein  Dorn  fiir  die  Gotter  waren,  toten. 

91.  (12  955.)  Dann  werde  ich  KuQasthali  als  die  Stadt 
Dvaraka  zu  meinem  Wohnsitze  machen,  und  in  dieser  Stadt 
wohnend,  werde  ich  den  Beleidiger  der  Aditi, 

92.  (12  956.)  den  erdgeborenen  Naraka  sowie  auch  Muru 
und  den  Damonen  Pitha  toten,  und  ihre  mit  vielen  Kostbar- 
keiten  angefiillte  herrliche  Stadt  Pragjyotisham 

93.  (12  957.)  nach  Kugasthali  verpflanzen,  nachdem  ich  den 
obersten  Damon  niedergeschlagen  habe.  Weiter  werde  ich 
MaheQvara  (C'iva)  und  Mahasena  (Skanda),  welche  aus  Wohl- 
wollen  fiir  den  Bana 

94.  (12  958.)  sich  gegen  mich  erhoben  hatten,  diese  beiden 
von  aller  Welt  verehrten  Gottheiten  besiegen  und  dann  den 
tausendarmigen  Bana,  den  Sohn  des  Bali,  iiberwinden. 

95.  (12  959.)  Darauf  werde  ich  alle  Bewohner  von  Saubha 
[der  Luftstadt]  vernichten.  Was  ferner  den  beriihmten,  mit 
der  Kraft  des  Garga  [seines  Vaters]  ausgeriisteten  Kalaya- 
vana  betrifft, 

96.  (12  960.)  so  wird  auch  dessen  Vernichtung  auf  meine 
Veranlassung  erfolgen,  o  Bester  der  Zwiegeborenen.  Ferner 
wird  da  der  machtige,  viele  Konige  in  Gefangenschaft  haltende 
Jarasandha, 


Adhyaya  341  (B.  339).  779 

97.  (12961.)  der  Damon,  als  iibermiitiger  Erdbeherrscher 
in  Girivraja  wohnen,  und  durch  den  Anschlag  meines  Geistes 
wird  seine  Totung  [durch  Bhima]  erfolgen. 

98.  (12  9G2.)  Auch  werde  ich  den  (^iqupala  toten  beim 
Opfer  des  Dharmasohnes  (Yudhishthira),  bei  dem  alle  mach- 
tigen  Konige  der  Erde  versammelt  sein  werden. 

99.  (12  963.)  Nur  [Arjuna],  der  Sohn  des  Vasava  (Indra), 
allein  wird  mein  trefflicher  Heifer  dabei  sein,  den  Yudhishthira 
aber  mitsamt  seinen  Briidern  werde  ich  in  seiner  Herrschaft 
befestigen, 

100.  (12  964.)  Dann  werden  die  Leute  sagen:  die  Helden 
Nara  und  Narayana,  die  Gottherren,  haben  sich  erhoben  und 
verderben  die  Kshatriya's  zum  Besten  der  "Welt! 

101.  (12  965.)  Nachdem  ich  die  Erde  in  erwiinschter  Weise 
von  dieser  Last  befreit  haben  werde,  werde  ich  iiber  alle  Vor- 
nehmsten  der  Satvata's  [der  Leute  des  Krishna]  und  auch 
iiber  die  Stadt  Dvaraka,  o  Bester, 

102.  (12  966.)  eine  furchtbare  Vernichtung  hereinbrechen 
lassen,  indem  ich  mich  in  die  Erkenntnis  des  Atman  ver- 
senke.  So  werde  ich,  nachdem  ich  als  Trager  der  vier  Ge- 
stalten  unermefsliche  Taten 

103.  (12967.)  vollbracht  haben  werde,  in  meine  eigenen, 
von  Brahman  bereiteten  Welten  eingehen,  —  Hansa  [Schwan, 
hier  wohl  Brahman  als  Erstgeborener  der  Schopfung,  vgl. 
oben,  Adhy.  301,  S.  587  fg.],  o  Bester  der  Zwiegeborenen, 
Schildkrote,  Fisch, 

104.  (12968.)  Eber,  Mannlowe,  Zwerg  und  [Paragu-]  Rama, 
Rama,  Sohn  des  Dagaratha,  Satvatafiirst  (Krishna)  und  Kalki 
[sind  meine  Verkorperungen]  — 

105.  (12  969.)  eingehen,  wenn  die  Vedaiiberlieferung  ver- 
loren  und  von  mir  wieder  in  mich  zuriickgenommen  sein 
wird,  wenn  meine  mitsamt  den  Veden  und  alien  heiligen 
Schriften  vormals  im  Kritazeitalter  erfolgten  Verkorperungen 

106.  (12  970.)  verschwunden  sein  und  nur  noch  hier  und 
da  in  alten  Erzahlungen  erwahnt  werden  mogen,  wenn  jene 
meine  zahlreichen  hochsten  Verkorperungen  verschwunden 

107.  (12971.)  und,  nachdem  sie  ihre  Aufgabe  in  der  Welt 
erfiillt  haben,  wieder  zu  ihrem  Ursprung  zuriickgekehrt  sein 


780  ni.  Mokshadharma. 

werden.  —  Wahrlich,  ein  solches  Schauen  meiner  Wesenfieit 
ist  nie  einem  Brahmanen  zuteil  geworden, 

108.  (12  972.)  wie  es  dir  heute  gewahrt  wurde,  weil  dein 
Oeist  nur  auf  mich  allein  gerichtet  war.  Dies  ist  dir  alles 
von  mir  erzahlt  worden,  o  Brahmane,  um  deiner  Liebe  willen 
zu  mir, 

109.  (12973.)  das  Vergangene  und  Zukiinftige  mit  seinen 
Geheimnissen,  o  Bester. 

Bhishma  sprach: 
(12  974.)  Nachdem  der  heilige,  allgestaltige,  ewige  Gott  in 
dieser  Weise 

110.  diese  ganze  Kede  gesprochen  hatte,  verschwand  er 
ebendaselbst.  (12975.)  Der  glanzvolle  Narada  aber,  nach  Er- 
langung  der  ersehnten  Gnade 

111.  eilte  zur  Einsiedelei  Badari  (oben,  Vers  12659),  um 
den  Nara  und  Narayana  zu  besuchen.  (12  976.)  Und  diese 
hochst  geheimnisvolle,  mit  den  vierVeden  inEinklang  stehende, 

112.  mittels  Saiikhya-Yoga  gemachte,  von  ihm  Pan- 
caratram  benannte  (12977.)  und  aus  dem  Munde  des  Narayana 
ausgestromte  Lehre  verkiindigte  Narada  weiter 

113.  in  der  Wohnung  des  Gottes  Brahman,  o  Freund, 
entsprechend  dem,  was   er  geschaut  und  vernommen  hatte. 

Yudhishthira  sprach: 
(12978.)  Diese  wunderbare  Herrlichkeit  jenes  Weisen  [des 
Gottes  Narayana], 

114.  war  diese  dem  Gotte  Brahman  unbekannt,  so  dafs 
er  sie  erst  von  Narada  horen  mufste?  (12979.)  Der  heihge  Ur- 
vater  ist  doch  von  jenem  Gotte  gar  nicht  verschieden, 

115.  wie  soUte  er  da  die  Herrlichkeit  des  unermefsHch 
Kraftigen  nicht  kennen? 

Bhishma  sprach: 
(12  980.)  Hunderte  und  Tausende  von  Weltperioden 

116.  sind  schon  verstrichen,  o  Fiirst  der  Konige,  mit 
ihren  Schopfungen  und  Vernichtungen.  (i2  98i.)  Gott  Brahman 
ist  es,  welcher  am  Anfang  der  Schopfung  die  Erschaffung  der 
Geschopfe  bewirkt. 


Adhyaya  341  (B.  339).  781 

117.  Gewifs  kennt  er  den  Vorziiglichsten  der  Gotter, 
o  Konig,  der,  noch  weit  iiber  ihn  selbst  erhaben,  (12982.)  der 
hochste  Atman,  Gottherr  und  sein  eigener  Urheber  ist. 

118.  Aber  den  anderen  in  der  Brahmanwohnung  ver- 
sammelten  Scharen  der  VoUendeten,  (12983.)  denen  verkiindigte 
Narada  dieses  mit  dem  Veda  iibereinstimmende  Puranam. 

119.  Von  diesen  im  Geiste  Bereiteten  hat  es  Surya  (der 
Sonnengott)  vernommen,  (12934.)  und  dieser,  o  Konig,  hat  es 
sodann  seinen  Anhangern  mitgeteilt. 

120.  Denn  den  sechsundsechzigtausend  im  Geiste  be- 
reiteten Rishi's,  (12  985.)  welche  als  Begleiter  des  welterleuch- 
tenden  Surya  erschaffen  worden  waren, 

121.  alien  diesen  Bereiteten  hat  es  der  Sonnengott  mit- 
geteilt. (12  986.)  Und  von  diesen  hochsinnigen,  das  Gefolge  des 
Surya  bildenden  Rishi's,  o  Freund, 

122.  wurde  dieses  AUerhochste  den  auf  dem  Meru  ver- 
sammelten  Gottern  vorgetragen.  (12987.)  Von  den  Gottern  hat 
es  der  Brahmane  Asita  vernommen, 

123.  und  dieser  beste  Muni  hat  es  unseren  Vorfahren  mit- 
geteilt, (12988.)  mir  hat  es  mein  Vater  (^antanu  mitgeteilt, 

124.  und  ich,  der  ich  es  von  ihm  vernommen,  habe  es 
dir  erzahlt,  0  Bharata.  (12989.)  Alle  Gotter  aber  oder  Muni's, 
welche  dieses  Paranam  gehort  haben, 

125.  alle  diese  verehren  den  hochsten  Atman  allerwarts. 
(12  990.)  Diese  dem  Veda  gleichkommende  Erzahlung,  wie  wir 
sie,  0  Fiirst,  durch  Uberlieferung  iiberkommen  haben, 

126.  darfst  du  unter  keinen  Umstanden  einem  mitteilen, 
der  nicht  dem  Vasudeva  ergeben  ist.  (12991.)  Aus  alien  den 
Hunderten  von  anderen  Geschichten, 

127.  welche  du  von  mir  gehort  hast,  ist  diese  Geschichte 
als  Quintessenz  herausgezogen  worden.  (12992.)  Und  wie  von 
Gottern  und  Damonen  einstens  das  Amritam  durch  Quirlung 
herausgeholt  wurde, 

128.  so  wurde  das  Amritam  dieser  Erzahlung  einstmals 
von  Brahmanen  herausgeholt.  (12993.)  Wer  aber  immerfort 
diese  Geschichte  rezitiert  oder  anhort, 

129.  mit  einziger  Liebe  [dem  Narayana]  ergeben,  ge- 
sammelt  und  in  Gemeinschaft  mit  solchen,  die  ihm  ergeben 


782  ni.    Mokshadharma. 

sind,  (12994.). der  wird  zu  der  grorsen  weifsen  Insel  gelangen, 
zu  einem  jener  mondglanzenden  Manner  werden 

130.  und  zu  dem  tausendstrahligen  Gott  eingehen,  daran 
ist  kein  Zweifel.  (12995.)  Der  Leidende  wird  von  seiner  Krank- 
heit  befreit,  wenn  er  diese  Geschichte  von  Anfang  an  gehort  hat, 

131.  der  Wifsbegierige  erlangt,  was  er  wiinscht,  und  der 
Fromme  geht  den  Weg  der  Frommen.  (12996.)  Und  auch  du, 
o  Konig,  mogest  immer  fort  und  fort  den  hochsten  Purusha 
preisen, 

132.  denn  er  ist  Vater,  Mutter  und  Lehrer  der  ganzen 
Welt,  (12  997.)  ihm  hange  in  Liebe  an,  dem  brahmanhaften, 
heiligen,  ewigen  Gotte, 

133.  dem  hochweisen  Heimsucher  der  Menschen,  0 
Yudhishthira ,  du  mit  den  grofsen  Armen! 

VaiQamp^yana  sprach: 
(12  998.)  Nachdem  der  gerechte  Fiirst  (Yudhishthira),  o  Ja- 
namejaya,  diese  vorziigliche  Erzahlung  gehort  hatte, 

134.  da  wurden  er  und  seine  Briider  alle  treue  Anhanger 
des  Narayana  (12999.)  und  sprachen,  0  Bharata:  „Dieser  heilige 
Purusha  hat  den  Sieg  davongetragen ! " 

135.  Er  aber,  welcher,  allezeit  dem  Murmeln  ergeben 
und  die  heilige  Rede  iibend,  (isooo.)  unser  bester  Lehrer  ist, 
der  Weise  Krishna  Dvaipayana, 

136.  liefs  die  hochste  Murmelung  ertonen  zum  Lobe  des 
Narayana,  (13001.)  stieg  ungesaumt  aus  dem  Ather  zu  dem 
Milchmeere,  dem  Behalter  des  Amritam,  herab, 

137.  zollte  dem  Gottherrn  seine  Verehrung  und  begab 
sich  wieder  zu  seiner  Einsiedelei. 

Bhishma  sprach: 
(13002.)   Alles  dieses  ist  dir  mitgeteilt  worden,   das  von 
Narada  Ausgesprochene  und  von  mir  Wieder erzahlte, 

138.  wie  es  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  iiberliefert  und 
von  meinem  Vater  erzahlt  worden  ist. 

Sauti  sprach: 
(13003.)  Das  alles  habe  ich  euch  erzahlt,  wie  es  von  Vai- 
^ampayana  vorgetragen  wurde. 


Adhyaya  341  (B.  339).  783 

139.  Janamejaya  aber,  als  er  es  von  ihm  gehort  hatte, 
verfuhr  ganz  dieser  Vorschrift  gemafs.  (13004.)  Ihr  aber  alle, 
ihr  Askesereichen,  Geliibdetreuen, 

140.  die  ihr  alle  als  vorziigliche  Vedakenner  den  Nai- 
mishawald  bewohnt  (i3005.)  und  als  vorziigliche  Brahmanen  zu 
dem  grofsen  Opferfeste  -des  Qaunaka  euch  versammelt  habt, 

141.  ihr  sollt  mit  euren  wohlausgefiihrten  Opfern  den 
ewigen,  hochsten  Herrn  verehren.  (i3  006.)  Dies  von  Geschlecht 
zu  Geschlecht  Uberlieferte  ist  mir  von  dem  Vater  [Vai<?am- 
payana]  vordem  erzahlt  worden. 

So  lautet  im  Mokshadbarma  die  G-eschichte  vom  Nar^yana 
(Ndrdyaniyam). 


Adhyaya  343  (B.  340). 

Vers  13007-13128  (B.  1-119). 

^aunaka  sprach: 

1.  (13007.)  Wie  kommt  es,  dafs  jener  heilige  Gott  [Na- 
rayana],  der  doch  bei  den  Opfern  als  Herr  den  ersten  Anteil 
nimmt,  der  bestandig  das  Opfer  aufrecht  halt  und  Veda's 
nebst  Vedanga's  kennt, 

2.  (13008.)  dafs  dieser  Herr  der  Bhagavata's  zugleich  voll 
Geduld  der  Satzung  der  Passivitat  (nivrittij  huldigte  und 
selbst  die  Satzungen  der  Passivitat  vorgeschrieben  hat,  er, 
der  heilige  Herr? 

3.  (13009.)  Und  wie  konnte  er  die  Gotter  darin  bestarken, 
als  des  Opferanteils  wiirdige  bei  den  Satzungen  der  Aktivitat 
fpravrittij  zu  verharren,  wahrend  er  andere  veranlafst,  mit 
weltabgekehrtem  Sinne  der  Passivitat  zu  huldigen? 

4.  (13  010.)  Diesen  tiefgreifenden  bestandigen  Z weifel  mogest 
du  uns,  o  Sauti,  losen,  denn  von  dir  sind  ja  die  auf  die 
Satzungen  bezuglichen  Narayana  -  Geschichten  vernommen 
worden. 

Sauti  sprach: 

5.  (13011.)  Ich  will  dir,  o  Bester  der  (^aunaka's,  erzahlen, 
woriiber  ehedem  [Vaigampayana]  der  Schiller  des  weisen 
Vyasa  vom  Konige  Janamejaya  befragt  wurde. 


784  in.    Mokshadharma. 

6.  (13012.)  Nachdem  er  von  der  Herrlichkeit  des  in  den 
Verkorperten  weilenden  hochsten  Atman  vernommen  hatte, 
sprach  der  sehr  verstandige  Janamejaya  zu  Vaigampayana. 

Janamejaya  sprach : 

7.  (13013.)  Alle  Wei  ten  mit  Gott  Brahman,  Gottern,  Da- 
monen  und  Menschen  hangen  offenbar  allenthalben  an  den 
Opferwerken,  well  sie  Gliick  versprechen. 

8.  (13014.)  0  Brahmane,  du  hast  erklart,  dafs  die  Eriosung 
als  ein  Erioschen  (nirvdnam)  die  hochste  Sehgkeit  sei,  und 
wir  haben  gehort,  dafs  diejenigen,  welche  hienieden  erlost 
und  von  Gutem  und  Bosem  frei  geworden  sind, 

9.  (13015.)  zu  dem  tausendstrahhgen  Gotte  schon  hienieden 
eingehen  werden.  Das  ist  die  ewige,  schwer  zu  befolgende 
Erlosungssatzung, 

10.  (13  016.)  und  diese  ist  von  den  Gottern  verlassen  worden, 
um  Gotter-  und  Manenopfer  zu  geniefsen.  Wie  ist  es  aber 
moghch,  dafs  Brahman,  Rudra  und  der  balatotende,  mach- 
tige  Qakra, 

11.  (13017.)  dafs  der  Sonnengott,  der  Sternenherr,  Vayu, 
Agni  und  Varuna,  der  Ather  und  die  beiden  Welten  und  alle 
iibrigen  Himmelsbewohner 

12.  (13018.)  nicht  die  ihnen  bevorstehende  Vernichtung 
voraussehen  und  daher  nicht  den  festen,  unverganglichen, 
ewigen  Weg  [der  Eriosung]  betreten, 

13.  (13  019.)  sondern  innerhalb  der  durch  das  Gesetz  eng 
gezogenen  Zeitschranken  der  Aktivitat  frohnen?  Grofs  ist  in 
der  Tat  bei  der  Beschranktheit  der  Zeit  der  Irrtum  derer, 
welche  den  Werken  huldigen. 

14.  (13020.)  Diesen  Zweifel,  o  Brahmane,  der  mir  wie 
ein  Stachel  im  Herzen  sitzt,  lose  mir  durch  Mitteilung  der 
Erzahlungen  dariiber,  denn  ich  trage  danach  grofses  Ver- 
langen. 

15.  (13021.)  Wie  konnen,  o  Zwiegeborener,  die  Gotter  bei 
den  Opfern  als  Nehmer  eines  Anteils  gel  ten,  und  welchen 
Zweck  hat  es,  dafs  die  Bewohner  der  drei  Himmel,  o  Brah- 
mane, bei  der  heiligen  Feier  verehrt  werden? 


Adhy^ya  342  (B.  340).  785 

16.  (13022.)  Und  sie  [die  Goiter],  die  bei  den  Opfern  ihren 
Anteil  dahinnehmen,  o  Bester  der  Zwiegeborenen,  wenn  diese 
grofse  Opfer  darbringen,  wem  geben  denn  sie  einen  Anteil 
daran  ? 

Vaigarapayana  sprach : 

17.  (13023.)  Ei!  das  ist  eine  geheimnisvolle  Sache,  nach 
der  du  mich  fragst,  o  Mannerfiirst ,  und  keinem,  der  nicht 
Askese  geiibt,  den  Veda  studiert  hat 

18.  (13024.)  und  mit  den  Purana's  bekannt  ist,  kann  sie 
ohne  weiteres  mitgeteilt  werden.  Wohlan  denn,  ich  will  dir 
erzahlen,  welche  Frage  ich  einst  meinem  Lehrer  vorlegte, 

19.  (13  025.)  dem  grofsen  Weisen  Krishna  Dvaipayana,  dem 
Vyasa,  der  auch  Vedavyasa  (Vedaordner)  genannt  wird.  Da 
waren  namlich  Sumantu,  Jaimini,  der  geliibdefeste  Paila, 

20.  (13026.)  dazu  ich  als  vierter  Schuler  und  zu  fiinft 
Quka  (oben.  Vers  12337  fg.).  Allen  diesen  um  ihn  gescharten 
fiinf  Schiilern,  die  bezahmt, 

21.  (13027.)  von  reinem  Wandel,  des  Zornes  und  der  Sinne 
Meister  waren,  lehrte  er  die  [vier]  Veden  und  das  Mahabha- 
ratam  als  fiinften  [vgl.  Chand.  Up.  7,1,4]. 

22.  (13  028.)  Als  diese  auf  dem  lieblichen,  von  Vollendeten 
und  himmlischen  Sangern  bewohnten  vortrefflichen  Berg  Meru 
den  Veda  trieben,  entstand  bei  ihnen  einstmals  ein  Zweifel. 

23.  (13029.)  Es  war  derselbe,  wegen  dessen  du  fragst,  der 
von  Vyasa  mit  seinen  Schiilern  besprochen  wurde;  auch  ich 
horte  ihn  das  dariiber  sagen,  was  ich  dir  heute  mitteilen 
werde,  0  Bharata. 

24.  (13030.)  Damals  an twortete  auf  die  Rede  seiner  Schuler 
der  alle  Verdunkelung  des  Wissens  verscheuchende  Sohn  des 
Paragara,  der  gliickselige  Vyasa,  folgendermafsen : 

25.  (13031.)  Grofse,  furchtbare  Askese  ist  von  mir  geiibt 
worden,  um  das  Vergangene,  Gegenwartige  und  Zukiinftige 
zu  erkennen,  o  ihr  Besten. 

26.  (13032.)  Als  ich  diese  Askese  geiibt  und  meine  Sinne 
iiberwunden  hatte,  wurde  mir  durch  die  Gnade  des  Narayana 
am  Gestade  des  Milchmeeres 

27.  (13033.)  dieses  die  drei  Zeiten  umfassende  Wissen 
offenbart,  nach  dem  ich  Verlangen  getragen  hatte.    Das  hort 

Deubsek,  Mahd,bh^Tatani.  50 


786  in.   Mokshadharma. 

von  mir,  ich  will   euren  grofsen  Zweifel  aufklaren,  wie  es 
sich  geziemt. 

28.  (13034.)  Denn  mit  dem  Auge  der  Erkenntnis  habe  ich 
es  geschaut,  wie  es  sich  am  Anfange  der  gegenwartigen 
Weltperiode  begeben  hat.  Er,  den  die  Kenner  des  Sankhyam 
und  Yoga  als  den  hochsten  Atman  bezeichnen, 

29.  (13035.)  der  legt  sich  auf  Grund  seiner  Taten  den 
Namen  des  hochsten  Purusha  bei.  Von  ihm  wurde  das  Un- 
entfaltete  erzeugt,  welches  die  Weisen  als  das  Pradhanam 
(die  Prakriti)  kennen, 

30.  (13036.)  Aus  dem  Unentfalteten  ist  auf  Veranlassung 
des  t(?vara  zum  Zwecke  der  Weltschopfung  das  Entfaltete 
hervorgegangen,  namlich  Aniruddha,  welcher  in  der  Welt  be- 
kannt  ist  als  der  Mahan  Atma  (das  grofse  Selbst). 

31.  (13037.)  Dieser,  indem  er,  in  eine  [weitere]  Entfaltung 
eingehend,  den  Urvater  schuf,  wird  [als  solcher]  der  Ahan- 
kara  genannt,  denn  dieser  ist  mit  alien  Kraften  ausgestattet. 

32.  (13038.)  Aus  dem  Ahaiikara  sind  fiinffach  die  grofsen 
Elemente,  Erde,  Wind,  Ather,  Wasser  und  Feuer  als  fiinftes 
hervorgegangen. 

33.  (13039.)  Und  nachdem  er  die  grofsen  Elemente  hervor- 
gebracht  hatte,  schuf  er  weiter  die  entsprechenden  Guna's 
[die  Vigesha's,  ihre  spezifischen  Qualitaten];  zugleich  aber 
gingen  aus  den  Elementen  hervor  gestalthafte  Wesenheiten, 
hore,  welche  es  sind: 

34.  (13040.)  Marici,  Angiras,  Atri,  Pulastya,  Pulaha,  Kratu, 
der  hochsinnige  Vasishtha  und  Manu  Svayambhuva. 

35.  (13041.)  Diese  sind  zu  wissen  als  acht  schopferische 
Wesenheiten,  in  welchen  die  Welten  begriindet  sind.  Als 
mit  Veda  und  Vedahga  ausgeriistet,  als  mit  Opfer  und  Opfer- 
zubehor  versehen, 

36.  (13042.)  hat  sie  zum  Heile  der  Welt  der  Urvater  der 
Welt,  Brahman,  erschaffen.  Aus  diesen  acht  schopferischen 
Wesenheiten  ist  die  ganze  Welt  des  Lebenden  hier  ent- 
standen. 

37.  (13043.)  Der  aus  Zorn  geborene  Rudra  schuf  zehn 
weitere  aus  sich  selbst;  diese  elf  Rudra's  gelten  als  erschaffene 
Geister  fpurushdhj. 


Adhy^ya  342  (B.  340).  787 

38.  (13044.)  Diese  Rudra's  sowie  die  Prakriti  [die  acht 
schopferischen  Wesenheiten]  und  alle  Gotterweisen,  nachdem 
sie  entstanden  waren,  wandten  sich  um  des  Heiles  der  Welt 
willen  an  Gott  Brahman  [mit  den  Worten] : 

39.  (13045.)  0  Heiliger,  erschaffen  sind  wir,  und  zwar  von 
dir,  dem  Ubermachtigen,  aber  mit  welchem  Amte  hat  sich 
jeder  von  uns  zu  befassen,  o  Urvater? 

40.  (13046.)  Wie  ist  das  Amt,  welches  von  dir  als  be- 
stimmten  Zwecken  dienendes  anvertraut  worden  ist,  von  dem 
Betreffenden  als  einem  mit  Personlichkeit  fahanMraJ  ausge- 
statteten  Tater  zu  verwalten? 

41.  (13047.)  Bezeichne  die  Funktionen  desjenigen,  der  den 
Zweck  des  Amtes  zu  versorgen  hat.  —  Auf  diese  Worte  der 
Gotter  erwiderte  ihnen  folgendes  der  grofse  Gott. 

Gott  Brahman  sprach: 

42.  (13048.)  Mit  Recht,  ihr  Gotter,  bin  ich  von  euch  er- 
innert  worden,  Heil  sei  euch !  Auch  mich  hat  schon  die  Sorge 
beschaftigt,  welche  euch  bewegt. 

43.  (13049.)  Wie  lafst  sich  die  Versorgung  der  ganzenDrei- 
welt  bewerkstelligen  ?  Wie  machen  wirs,  dafs  keine  Er- 
schopfung  der  Kraft  auf  eurer  oder  meiner  Seite  eintritt? 

44.  (13050.)  Darum  wollen  wir  alle  unsere  Zuflucht  nehmen 
zu  dem  grofsen  Purusha,  dem  Unentfalteten,  dem  Weltauge ; 
der  wird  uns  sagen,  was  das  Rechte  ist. 

45.  (13051.)  Darauf  gingen  die  weisen  Rishi's  zusammen 
mit  dem  Gotte  Brahman  zu  dem  nordlichen  Ufer  des  Milch- 
meeres  in  Sorge  um  das  Heil  der  Welt. 

46.  (13052.)  Dort  betrieben  sie  die  von  Gott  Brahman 
empfohlene  und  im  Veda  angeordnete  Askese,  es  war  jene 
furchtbarste  der  Selbstpeinigungen,  welche  Mahaniyama  (die 
grofse  Selbstzucht)  heifst. 

47.  (13  053.)  Emporgerichtet  waren  Blick  und  Arme,  auf 
einen  Punkt  des  Manas  konzentriert,  auf  einem  Fufse  standen 
alle,  unbeweglich  wie  Holzstiicke,  in  Meditation  versunken. 

48.  (13054.)  Nachdem  sie  so  ein  Tausend  gottlicher  Jahre 
furchtbare  Askese  geiibt  hatten,  da  vernahmen  sie  eine  lieb- 
liche,  mit  Worten   des  Veda  und  Vedanga  gezierte  Stimme. 

50* 


788  in.   Mokshadharma. 

Der  Heilige  sprach : 

49.  (13055.)  "Wohlan  denn,  Brahman  und  ihr  anderen  Gotter 
und  ihr  askesereichen  Rishi's,  euch  alien  entbiete  ich  meinen 
Willkommensgrufs  und  kiinde  euch  das  hochste  Wort. 

50.  (13  056.)  Bekannt  ist  euch  mein  Zweck,  er  ist  das 
grofse  Heil  der  Welt,  durch  die  Aktivitat  [des  Opferns]  mufs 
die  Starkung  eurer  Lebenskrafte  gewirkt  werden. 

51.  (13057.)  Ihr  habt,  o  Gotter,  um  mich  giinstig  zu  stimmen, 
grofse  Askese  geiibt,  und  ihr  sollt  die  hochste  Frucht  dieser 
Askese  geniefsen,  o  ihr  Hochwiirdigen. 

52.  (13  058.)  Hier  der  Gott  Brahman,  der  Lehrer  der  Welt, 
der  grofse  Urvater  der  Welten,  und  ihr,  o  ihr  hochsten  Weisen, 
sollt  mich  mit  Opfern  in  Hingebung  verehren. 

53.  (13059.)  Und  bei  diesen  Opfern  sollt  ihr  allezeit  An- 
teile  fiir  mich  bereitstellen,  dann  werde  ich  euch  Gelingen 
verleihen  in  euren  Am  tern,  o  ihr  Gottherren. 

Vaigampayana  sprach: 

54.  (13060.)  Als  sie  dieses  Wort  des  Gottes  der  Gotter  ver- 
nommen  batten,  da  straubten  sich  ihre  Haare  vor  Freude, 
und  alle  die  weisen  Gotter  nebst  Gott  Brahman  und  den 
grofsen  Rishi's 

55.  (13061.)  veranstalteten  auf  die  im  Veda  gebotene  Weise 
dem  Vishnu  ein  Opfer.  Bei  diesem  Opferfeste  war  Gott  Brah- 
man selbst  bestandig  damit  beschaftigt,  ihm  einen  Opferanteil 
darzubieten, 

56.  (13062.)  und  alle  Gotter  und  Gotter -Rishi's  boten  ein 
jeder  seinen  Anteil  dar,  und  entsprechend  den  Gesetzen  des 
Kritazeitalters  waren  diese  Anteile  von  hochster  Vortreff- 
lichkeit. 

57.  (13063.)  Und  sie  verehrten  den  sonnenfarbigen,  finsternis- 
jenseitigen  Purusha  als  den  grofsen,  allgegenwartigen  Gott, 
den  machtigen,  gabenspendenden  Herrn. 

58.  (13064.)  Da  sprach  der  gabenspendende  Gott,  der  in 
sich  selbst  ruhende  Mahegvara,  zu  alien  diesen  vor  ihm  stehen- 
den  Unsterblichen  mit  korperloser  Stimme  folgendes  Wort: 

59.  (13065.)  Der  Anteil,  wie  ihn  jeder  von  euch  darbrachte. 


Adhy&ya  342  (B.  340).  789 

ist  zu  mir  gelangt,  ich  bin  zufrieden  und  verleihe  euch  hier- 
mit  als  Frucht,  dafs  es  an  euch  vergolten  werde. 

60.  (13066.)  Und  dieses  ist  die  Vergeltung,  die  euch  durch 
meine  Gnade  zuteil  werden  soil:  nicht  nur  ihr  selbst  sollt 
durch  Opfer,  die  von  vollkommenen,  vortrefflichen  Dakshina's 
begleitet  sind,  als  Veranstalter  von  Opfern 

61.  (13  067.)  von  Wei  taker  zu  Weltalter  die  Frucht  eurer 
Aktivitat  genielsen,  sondern  die,  welche  in  alien  Welten  Opfer 
darbringen  werden,  ihr  Gotter, 

62.  (13068.)  alle  diese  Menschen  werden  euch  die  im  Veda 
angeordneten  Opferanteile  darbringen.  Jeder,  der  mir  bei  die- 
sem  grofsen  Opferfeste  einen  Anteil  irgendwie  dargebracht  hat, 

63.  (13069.)  der  soil  dementsprechend  in  dem  Opferleitfaden 
des  Veda  fvcdasidrej  als  eines  Opferanteils  wiirdig  von  mir 
erklart  werden.  Ihr  sollt  die  Welten  gedeihen  machen,  indem 
ihr  euren  Opferanteil  als  Frucht  wohlgefallig  entgegennehmt 

64.  (13,070.)  und  dafiir  alle  diejenigen  Zwecke  in  der  Welt 
besorgt,  zu  denen  ihr  geschaffen  und  berufen  seid.  Alle  unter- 
nommenen  Werke  aber,  welche  eine  Frucht  der  Aktivitat  im 
Gefolge  haben, 

65.  (13071.)  die  sollen  cure  Kraft  starken,  damit  ihr  im- 
stande  seid,  die  Welten  zu  erhalten.  Denn  ihr  sollt  durch  die 
Opfer  der  Menschen  bei  alien  Darbringungen  geehrt  werden 

66.  (13072.)  und  dafiir  wiederum  mich  ehren,  das  ist  die 
Ehrung,  die  mir  von  euch  gebiihrt.  Zu  diesem  Zwecke  sind 
die  Veden  geschaffen  worden  und  die  Opfer  mitsamt  den 
Opferkrautern ; 

67.  (13073.)  durch  diese,  wenn  sie  richtig  angewendet 
werden,  werden  die  Gotter  auf  Erden  erfreut.  Diese  eure 
Erschaffung  ist  als  eine  mit  der  Eigenschaft  der  Aktivitat 
ausgestattete 

68.  (13074.)  von  mir  bewerkstelligt  worden,  o  beste  Gotter, 
und  soil  bis  zum  Ende  der  Weltperiode  Bestand  haben.  Darum, 
ihr  Gottherren,  besorgt  euren  Aufgaben  entsprechend  das  Heil 
der  Welt. 

69.  (13075.)  Marici,  Angiras,  Atri,  Pulastya,  Pulaha,  Kratu 
und  Vasishtha,  diese  sieben  sind  als  geistige  [Sohne  von  Gott 
Brahman,  oben  Vers  13042]  erschaffen  worden. 


790  in.    Mokshadharma. 

70.  (13  076.)  Diese  als  beste  Vedakenner  und  Vedalehrer 
Geschaffenen  sind  zu  Schopferherren  eingesetzt  worden  um 
der  Satzung  der  Aktivitat  willen; 

71.  (13077.)  sie  ist  als  der  ewige  Weg  fiir  die  Werkfrommen 
ojffenbart  worden.  Der  Herr,  welcher  die  Welt  geschaffen 
hat,  heifst  Aniruddha. 

72.  (13  078.)  Hingegen  Sana,  Sanatsujata,  Sanaka,  Sanan- 
dana,  Sanatkumara,  Kapila  und  Sanatana  als  siebenter, 

73.  (13079.)  welche  geistige  Sohne  des  Gottes  Brahman 
heifsen,  haben  kraft  des  von  ihnen  selbst  errungenen  "Wissens 
die  Satzung  der  Passivitat  sich  zu  eigen  gemacht. 

74.  (13080.)  Diese  vorziiglichenYogakenner  und  der  Saiikhya- 
wissenschaft  Kundige  haben  als  Lehrer  in  den  Gesetzbiichern 
die  Satzung  der  Erlosung  verbreitet. 

75.  (13  081.)  Derjenige,  aus  welchem,  als  dem  Unentfalteten, 
ich  als  der  dreigunahafte  Mahan  vormals  hervorgegangen  bin, 
der  hat  noch  einen  Hohern  iiber  sich,  der  mit  dem  Namen 
Kshetrajna  bezeichnet  wird  (vgl.  oben.  Vers  i3035fg.). 

76.  (13082.)  Ich  aber  bin  der  Weg  der  Werkfrommen, 
welcher  die  Wiederkehr  [zum  Erdendasein]  als  schlimme  Folge 
nach  sich  zieht  fpunardvritti-durlahliahj ,  denn  jeder  Mensch, 
welcher  sich  je  nach  seiner  Naturbeschaffenheit  diesem  oder 
jenem  hingibt, 

77.  (13083.)  sei  es  der  Aktivitat  oder  der  Passivitat,  er- 
langt  die  entsprechende  grofse  Frucht.  Der  Gott  Brahman 
hier,  der  Lehrer  der  Welt  und  machtige  Urheber  alles 
Lebenden, 

78.  (13084.)  er,  der  euch  Vater,  Mutter  und  Grofsvater  ist, 
wird  von  mir  belehrt  werden,  er,  der  Gabenspender  aller 
Wesen. 

79.  (13  085.)  Und  sein  leiblicher  Sohn  Rudra,  der  aus  seiner 
Stirn  entsprungen  ist,  wird  wieder  von  Gott  Brahman  belehrt 
werden,  er,  der  machtige  Trager  aller  Wesen. 

80.  (13086.)  Und  nun  geht  an  eure  Geschafte  und  besorgt 
sie,  wie  es  sich  gehort;  mogen  alsbald  die  Werke  in  alien 
Wei  ten  gedeihen. 

81.  (13087.)   Mogen  von  euch  die  Werke  und  die  Wege 


Adhyaya  342  (B.  340).  791 

der  Lebenden  vorgezeichnet  werden,  sowie  ihre  der  Zeit  nach 
bestimmten  Lebenslangen  hienieden,  o  ihr  besten  Gotter! 

82.  (13088.)  Das  gegenwartige ,  Kritam  genannte  Zeitalter 
ist  als  die  beste  Zeit  angebrochen;  in  diesem  Zeitalter  diirfen 
beim  Opfer  keine  Tiere  getotet  werden,  nicht  ist  es  anders. 

83.  (13089.)  In  ihm  wird  die  Gerechtigkeit  vierfiifsig  sein, 
o  ihr  Gotter  [vgl.  oben,  S.  334  fg.].  Dann  folgt  das  Zeit- 
alter Treta,  in  welchem  die  dreifache  Wissenschaft  (der  drei 
Veden)  gelten  wird. 

84.  (13090.)  In  diesem  Zeitalter  werden  die  Tiere  beim 
Opfer  geweiht  und  getotet  werden,  und  der  vierte  Fufs  der 
Gerechtigkeit  wird  nicht  mehr  vorhanden  sein. 

85.  (13091.)  Dann  wird  ein  gemischtes  Zeitalter  mit  Namen 
Dvapara  folgen,  in  welchem  der  Gerechtigkeit  zwei  Fiifse 
entzogen  sein  werden. 

86.  (13092.)  Wenn  dann  weiter  das  Zeitalter  Tishya  unter 
dem  Vortritte  des  Kali  gekommen  sein  wird,  dann  wird  die 
Gerechtigkeit,  auf  einem  Fufse  stehend,  nur  hier  und  dort 
noch  zu  fmden  sein.  — 

87.  (13093.)  Da  sprachen  zu  dem  so  redenden  Meister  die 
Gotter  und  Gotterweisen :  Wenn  die  Gerechtigkeit,  auf  einem 
Fufse  stehend,  nur  hier  und  dort  noch  zu   finden  sein  wird, 

88.  (13094.)  wie  soUen  wir  uns  dann  verhalten?  0  Heiliger, 
das  sage  uns. 

Der  Heilige  sprach: 
(13095.)   Wo    die  Veden,   Opfer,  Askese,  Wahrheit,   Be- 
zahmung 

89.  und  Nicht-Totung  mitsamt  der  Gerechtigkeit  in  Ehren 
stehen  werden,  o  ihr  besten  Gotter,  (i3096.)  das  ist  das  Land, 
in  dem  ihr  weilen  sollt,  dann  wird  euch  die  Ungerechtigkeit 
auch  nicht  im  geringsten  beriihren. 

Vy§isa  sprach: 

90.  (13097.)  Als  die  Gotter  und  die  Scharen  der  Weisen 
in  dieser  Art  von  dem  Heiligen  belehrt  worden  waren,  zollten 
sie  dem  Heiligen  ihre  Verehrung  und  gingen,  wohin  es 
ihnen  gefiel. 

91.  (13  098.)  Nachdem  die  Bewohner  der  drei  Himmel  ge- 


792  III.    Moksbadharma. 

gangen  waren,  verweilte  Gott  Brahman  allein  noch,  um  den 
Heiligen  zu  schauen,  welcher  in  der  Erscheinungsform  des 
Aniruddha  dastand. 

92.  (13099.)  Da  liefs  sich  der  Gott  vor  ihm  sehen,  indem 
er  als  das  grofse  Rofshaupt  erschien,  Veda  und  Vedanga's 
rezitierend,  den  Wasserkrug  und  Dreistab  [des  Asketen] 
tragend. 

93.  (13100.)  Nachdem  dem  Gotte  Brahman,  dem  machtigen 
Schopfer  der  Welt,  der  unermefshche,  gewaltige  Gott  in  Ge- 
stalt  des  Kofshauptes  zum  Heile  der  Welt  erschienen  war, 

94.  (13101.)  verneigte  sich  Brahman  vor  dem  Gabenspender 
mit  dem  Haupte  und  blieb  vor  ihm  mit  zusammengelegten 
Handen  stehen,  und  nachdem  er  den  Heiligen  umarmt  hatte, 
vernahm  er  von  ihm  das  folgende  Wort. 

Der  Heilige  sprach: 

95.  (13102.)  Uberdenke  nach  der  Vorschrift  den  ganzen 
Gang  der  Weltaufgaben,  du  bist  ja  der  Schopfer  aller  Wesen, 
der  Herr  und  Lehrer  der  Welt. 

96.  (13103.)  Nachdem  ich  die  Last  der  Welt  auf  dich  ge- 
legt  habe,  werde  ich  ihres  Bestehens  ohne  Schwierigkeit  sicher 
sein.  Und  sollte,  o  Gott,  die  Aufgabe  dir  einmal  zu  schwer 
werden, 

97.  (13104.)  dann  werde  ich  erscheinen  und  die  Erkenntnis 
des  Atman  lehren.  —  So  sprach  der  Rofshaupttragende  und 
verschwand. 

98.  (13105.)  Und  auch  Gott  Brahman,  von  ihm  belehrt, 
kehrte  alsbald  in  seine  Welt  zurtick.  Daher  kommt  es,  o  Hoch- 
begliickter,  dafs  der  Ewige,  Lotosnablige  (Vishnu) 

99.  (13106.)  als  Erstgeniefser  bei  den  Opfern  und  als  Trager 
der  Opfer  fiir  alle  Zukunft  gilt.  Obgleich  er  der  Satzung 
der  Passivitat  als  dem  Wege  der  das  unvergangliche  Gesetz 
Befolgenden  zugetan  ist,  (i3i07.)  hat  er  doch  die  Satzungen  der 
Aktivitat  verordnet,  als  er  die  Mannigfaltigkeit  der  Dinge  schuf. 

100.*  (13108.)  Er  ist  Anfang,  Mitte  und  Ende  der  Wesen, 
er  ist  Schopfer  und  Schopfung,  ist  Wirker  und  Wirkung; 


*  Metrum:  Bhujangaprayatam. 


Adhyaya  342  (B.  340).  793 

am  Ende  der  Weltalter  schlaft  er  ein  und  vernichtet  die 
Welten,  am  Anfang  der  Weltalter  erwacht  er  und  schafft 
die  Welten  wieder. 

101.  (13109.)  Ihm  zollt  Verehrung,  dem  Gotte,  dem  guna- 
losen,  hochsinnigen,  ungeborenen,  allgestaltigen,  der  aller 
Himmlischen  Wohnstatt  ist, 

102.  (13110.)  dem  Oberherrn  der  grofsen  Elemente,  dem 
Herrn  der  Rudra's,  Aditya's,  Vasu's, 

103.  (13111.)  Agvins,  Marut's,  dem  Oberherrn  der  Veden 
und  Opfer  und  Herrn  der  Vedaiiga's, 

104.  (13112.)  dem  allezeit  Ozeanbewohnenden,  dem  Hari, 
dem  Munjagrashaarigen,  dem  Beruhigten,  dem  die  Erlosungs- 
satzungen  fiir  alle  Wesen  Verkiindenden, 

105.  (13113.)  dem  Herrn  der  Askesen,  Krafte  und  Herr- 
lichkeiten,  dem  ewigen  Herrn  der  Reden  und  der  Fliisse, 

106.  (13114.)  dem  Muschelhaarigen,  dem  Eber,  dem  Ein- 
horn,  dem  Einsichtsvollen,  dem  Leuchtenden,  dem  Rofshaupte, 
dem  Viergestaltigen  immerdar, 

107.  (13115.)  dem  Verborgenen,  durch  Erkenntnis  zu  Schauen- 
den,  dem  Unverganglichen  und  Verganglichen.  Er,  der  Gott, 
waltet  allgegenwartig,  ewig, 

108.  (13  iiG.)  er  ist  jenes  hochste  Brahman,  durch  der  Er- 
kenntnis  Auge  anzuschauen,  und  so  habe  ich  es  einstens  mit 
dem  Auge  der  Erkenntnis  geschaut 

109.  (13117.)  und  euch  auf  eure  Frage  der  Wahrheit  ge- 
mafs  alles  berichtet.  0  ihr  Schiiler,  handelt  nach  meinen 
Worten,  verehrt  Hari,  den  Herrn,  (i3ii8.)  besingt  ihn  in  Veda- 
tonen  und  huldigt  ihm,  wie  sich's  gebiihrt. 

VaiQampayana  sprach: 

110.  (13119.)  So  sprach  der  weise  Vedavyasa  zu  uns, 
seinen  Schiilern  alien,  und  zu  seinem  der  hochsten  Pflichten 
kundigen  Sohne  Quka. 

111.  (13120.)  Und  er,  unser  Lehrer,  im  Vereine  mit  uns, 
o  Volkerherr,  pries  Ihn  mit  Versen,  die  aus  alien  vier  Veden 
geschopft  waren. 

112.  (13121.)  Damit  habe  ich  dir  alles  erklart,  woriiber 
du   mich  befragt  hast  und  wie   es   mir,   o  Konig  fJaname- 


794  in.    Mokshadharma. 

jaya],    vordem    mein    Lehrer    Dvaipayana    (Vyasa)    mitge- 
teilt  hat. 

113.  (13122.)  Wer  nun  diese  Rede  immerfort  anhort  und 
wer  sie  weiterverkiindigt,  dem  Heiligen  Verehrung  zollt  und 
gesammelten  Geistes  ist, 

114.  (13123.)  der  wirdgesund,  verstandig,  stark  und  schon; 
ist  er  leidend,  so  wird  er  von  seiner  Krankheit  befreit,  ist 
er  gebunden,  von  seinen  Banden. 

115.  (13124.)  Wer  Wiinsche  hegt,  wird  sie  erlangen  und 
ein  hohes  Alter  erreichen;  als  Brahmane  wird  er  ein  Kenner 
aller  Veden,  als  Kshatriya  siegreich  sein, 

116.  (13125.)  als  Vaigya  zu  grofsem  Reichtum  gelangen, 
als  Qudra  wird  er  gliicklich  leben;  der  Sohnlose  wird  einen 
Sohn,  die  Jungfrau  den  gewiinschten  Gatten  erhalten. 

117.  (13126.)  Die  Kreifsende  wird  befreit  werden,  die 
Schwangere  einen  Sohn  gebaren,  die  Unfruchtbare  wird  Nach- 
kommenschaft  haben,  gedeihlich  in  Kindern  und  Enkeln. 

118.  (13127.)  In  Frieden  wird  seine  Strafse  ziehen,  wer 
dieses  hier  unterwegs  hersagt,  und  jeder  Wunsch,  den  er 
hegen  mag,  der  wird  sich  sicherlich  erfiillen. 

119.  (13128.)  Wer  diese  klare,  dem  grofsen  Rishi  von 
dem  hochsinnigen,  hochsten  Purusha  offenbarte  Rede  und 
jene  Zusammenkunft  der  Rishi' s  und  Himmelsbewohner 
mit  frommem  Sinne  vernimmt,  der  wird  zu  grofsem 
Gliicke  gelangen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Geschichte  vom  N4r^yana 

(Ndrdyaniyam). 


Adhyaya  343  (B.  341). 

Vers  13129-13187  (B.  1-59). 

Janamejaya  sprach : 

1.  (13129.)  Die  Bedeutung  der  verschiedenen  Namen,  mit 
welchen  Vyasa  und  seine  Schiller  jenen  Madhutoter  gepriesen 
haben,  die  mogest  du  mir,  o  Heiliger, 

2.  (13130.)    dem   Horbegierigen   erklaren,   die  Namen   des 


Adhyaya  343  (B.  341).  795 

Schopferherrn    Hari,    welche    gehort    habend    ich    rein    von 
Flecken  sein  werde  wie  der  Mond  im  Herbste. 

Vai^ampayana  sprach : 

3.  (13131.)  Vernimm,  o  Konig,  wie  Hari,  der  Herr,  mit 
gnadigem  Geiste  dem  Phalguna  (Arjuna)  die  auf  seinen  Eigen- 
schaften  und  Taten  beruhende  Bedeutung  seiner  Namen 
erklarte. 

4.  (13132.)  Uber  die  beriihmten  Namen  des  hochsinnigen 
Kegava  (Krishna)  befragte,  o  Konig,  den  Kegava  der  feind- 
liche  Helden  totende  Phalguna. 

Arjuna  sprach: 

5.  (13133.)  0  Heihger,  Herr  des  Vergangenen  und  Kiinf- 
tigen,  ewiger  Schopfer  aller  Wesen,  Heimstatt  der  Welt  und 
Herr  der  Lebenden,  der  du  alien  Wesen  Frieden  schenkst, 

6.  (13134.)  jene  deine  Namen,  welche  erwahnt  werden 
von  grofsen  Weisen  in  den  Veden  und  Parana's,  und  die 
wegen  deiner  Werke  dir  beigelegten  Geheimnamen, 

7.  (13135.)  deren  Bedeutung  mochte  ich  von  dir,  o  Kegava, 
vernehmen,  denn  kein  anderer  als  du,  o  Herr,  diirfte  imstande 
sein,  die  Bedeutung  dieser  Namen  darzulegen. 

Der  Heilige  sprach: 

8.  (13136.)  Im  Rigveda  und  Yajurveda,  in  den  Atharva- 
hymnen  und  Samanliedern,  in  dem  Puranam  [=  Brahmanam] 
nebst  angehangter  Upanishad  und  im  Jyotisham  (Vedakalender), 
o  Arjuna, 

9.  (13137.)  im  Sahkhyam  und  im  Yogakanon,  sowie  im 
Ayurveda  (der  vedischen  Heilkunde)  werden  von  den  grofsen 
Rishi's  viele  meiner  Namen  erwahnt. 

10.  (13 138.)  Einige  dieser  Namen  beziehen  sich  auf  meine 
Eigenschaften ,  andere  auf  meine  Taten;  die  Erklarung  der 
auf  meine  Taten  beziiglichen  vernimm  mit  Aufmerksamkeit, 
o  Untadliger, 

11.  (13139.)  wie  ich  sie  dir  mitteilen  werde,  o  Freund,  denn 
von  jeher  giltst  du  als  mein  zweites  Ich.  Verehrung  sei  jenem 
Uberherrlichen,  dem  hochsten  Selbste  aller  Verkorperten, 


796  HI.    Mokshadharma. 

12.  (13140.)  dem  Narayana,  dem  Allseienden,  dem  Guna- 
losen  und  Gunahaften,  aus  dessen  Gnade  Gott  Brahman,  aus 
dessen  Zorn  Rudra  entsprossen  ist, 

13.  (13141.)  Er,  der  der  Mutterschofs  alles  Seienden,  des 
Unbeweglichen  und  Beweglichen  ist,  jenes  mit  achtzehn  Vor- 
ziigen  Ausgestattete,  —  das  ist  das  Sattvam  [die  wahre 
Realitat],  o  Bester  der  Sattvahaften. 

14.  (13142.)  Er  ist  meine  hochste  Urnatur,  welche  durch 
den  Yoga  beide  Wei  ten  tragt,  die  gerechte,  wahre,  unsterb- 
liche,  uniiberwindhche,  welche  der  Atman  der  Welten  heifst. 

15.  (13143.)  Aus  ihm  gehen  alle  Umwandlungen  der 
Schopfung  und  des  Verganges  hervor,  aus  ihm  Askese,  Opfer, 
Opferer,  der  alte  Purusha  und  die  Viraj, 

16.  (13144.)  er  heifst  Aniruddha,  ist  Ursprung  und  Ver- 
gang  der  Welt.  Als  die  Nacht  des  Brahman  zu  Ende  ging, 
da  ist  durch  dieses  unermefslich  Kraftvollen 

17.  (13145.)  Gnade  hervorgegangen ,  o  Lotosaugiger,  eine 
Lotosblume,  und  aus  dieser,  durch  seine  Gnade  geboren,  ent- 
stand  jener  Gott  Brahman. 

18.  (13146.)  Und  ebenso  ist,  als  der  Tag  [des  Brahman] 
sich  zum  Ende  neigte,  aus  der  Stirn  jenes  in  Zorn  geratenen 
Gottes  ein  Sohn  hervorgegangen,  Rudra,  der  Zerstorer 
der  Welt. 

19.  (13147.)  Diese  beiden  besten  Gotter,  wie  sie  aus  der 
Gnade  und  dem  Zorn  entstanden  sind,  bewirken  auf  dem  von 
ihm  [Aniruddha]  gewiesenen  Wege  die  Schopfung  und  Ver- 
nichtung  der  Welt, 

20.  (13148.)  aber  dabei  sind  sie,  welche  alien  Lebenden 
ihre  Gaben  verleihen,  ein  blofses  Werkzeug  [des  Aniruddha]. 
Muschelhaarig,  flechtentragend,  kahlkopfig,  auf  Leichenstatten 
hausend 

21.  (13149.)  und  scharfe  Geliibde  befolgend,  ist  Rudra,  ein 
Yogin  von  furchtbarer  Strenge,  der  Zerstorer  von  Daksha's 
Opfer,  der  Blender  von  Bhaga's  Augen, 

22.  (13150.)  als  identisch  mit  dem  Narayana  zu  wissen, 
von  Weltalter  zu  Weltalter,  o  Pandusprofs,  und  wenn  er,  der 
Gottergott  Mahegvara,  verehrt  wird, 

23.  (13151.)   so   wird   damit,    o   Prithasohn,   zugleich   der 


Adhj-aya  343  (B.  341).  797 

machtige  Gott  Narayana  verehrt.     Denn  ich  bin  das  Selbst 
aller  Welten,  o  Pandusprofs, 

24.  (13152.)  darum  verehre  ich  als  erster  den  Rudra  als 
mein  eigenes  Selbst.  Denn  wiirde  ich  nicht  den  Herrn,  den 
gabenspendenden  Qiva  ehren, 

25.  (13153.)  so  wiirde  keiner  mein  Selbst  ehren,  das  ist 
meine  Meinung,  der  ich  geehrten  Selbstes  bin.  Nach  dem 
von  mir  aufgestellten  Vorbilde  richtet  sich  die  Welt; 

26.  (13154.)  die  Vorbilder  sind  ja  in  Ehren  zu  halten. 
Darum  verehre  ich  ihn;  wer  ihn  erkennt,  der  erkennt  mich, 
wer  ihm  nachfolgt,  folgt  mir  nach. 

27.  (13155.)  Rudra  und  Narayana  als  ein  Wesen  in  zwei 
Formen  wandeln,  o  Kuntisohn,  in  der  Welt,  indem  sie  in 
alien  Werken  zur  Offenbarung  kommen. 

28.  (13156.)  Keiner  kann  mir  etwas  schenken,  o  Liebling 
der  Pandava's;  obgleich  ich  so  in  meinem  Geiste  denke,  habe 
ich  doch  den  Rudra,  den  Herrn,  den  alten, 

29.  (13157.)  als  Sohn  mir  gefallen  lassen,  weil  ich  damit 
nur  mein  Selbst  durch  mein  Selbst  entgegennahm.  Vishnu 
beugt  sich  vor  keinem  Wesen,  auch  vor  keinem  Gotte, 

30.  (13158.)  aufser  vor  sich  selbst,  darum  kann  ich  vor 
dem  Rudra  mich  beugen.  Alle  Gotter,  auch  Brahman,  Rudra 
und  Indra,  alle  Rishi's 

31.  (13159.)  verehren  den  Besten  der  Gotter,  den  Gott  Hari 
Narayana.  Als  alles  Zukiinftigen,  Gegenwartigen  und  Ver- 
gangenen 

32.  (13160.)  hochster  Lenker,  o  Bharata,  ist  Vishnu  immer- 
dar  zu  preisen  und  zu  verehren.  Verehre  den  Vishnu,  der 
die  Opfergabe  verleiht,  der  Schutz  verleiht;  Verehrung  ihm! 

33.  (13161.)  Verehre,  o  Kuntisohn,  den  Gabenspender,  den 
Geniefser  des  Gotter-  und  Manenopfers,  Verehrung  ihm !  Vier 
Arten  meiner  Verehrer  gibt  es,  das  ist  mir  bekannt. 

34.  (13162.)  Die  Besten  unter  ihnen  sind  die,  welche  mir 
allein  und  keinem  andern  Gotte  dienen;  fiir  diese,  welche  die 
Opferwerke  ohne  Wiinsche  vollbringen,  bin  ich  die  Zuflucht. 

35.  (13163.)  Aber  die  iibrigen  drei  Arten  meiner  Ver- 
ehrer sind  nach  Lohn  begehrend;  diese  alle  verfehlen  das 
Rechte,  und  nur  der  Erweckte  hat  das  beste  Teil  erwahlt 


798  in.    Mokshadharma. 

36.  (13164.)  Aber  auch  diejenigen,  welche  dem  Gott  Brah- 
man, dem  Qitikantha  (Blauhals,  Qiva)  und  den  iibrigen  Gottern 
in  einem  solchen  erweckten  Wandel  anhangen,  werden  zu 
mir  eingehen,  der  ich  das  Hochste  bin. 

37.  (13165.)  Damit,  o  Prithasohn,  habe  ich  dir  den  Unter- 
schied  in  der  Art  meiner  Verehrung  dargelegt.  —  Du  und 
ich,  o  Kuntisohn,  wir  sind  als  Nara  und  Narayana  bekannt, 

38.  (13166.)  und  wir  haben  nur  menschhche  Gestalt  an- 
genommen,  um  die  Welt  zu  entlasten.  Ich  kenne  die  Ver- 
tiefung  in  das  eigene  Selbst,  ich  weifs,  wer  ich  bin  und 
warum  ich  so  heifse,  o  Bharata. 

39.  (13167.)  Als  die  Satzung  der  Passivitat  und  als  die 
[entgegengesetzte]  zum  Gliick  fiihrende  heifse  ich  [Ndt'dyana] 
der  Menschen  Weg  fnardndm  ayanamj. 

40.  (13168.)  Die  Wasser  werden  genannt  ndrdh,  denn  die 
Wasser  sind  Kinder  des  Nara ;  weil  sie  einst  mein  Aufenthalt 
waren,  darum  heifse  ich  Narayana  (vgl.  Manu  I,  10). 

41.  (13169.)  Nachdem  ich  entstanden  bin,  iiberdecke  ich 
die  ganze  Welt  wie  die  Sonne  mit  ihren  Strahlen  und  werde 
darum  als  die  Wohnstatte  (adhivdsaj  aller  Wesen  Vdsudeva 
genannt. 

42.  (13170.)  Als  das  Endziel  aller  Wesen  und  ihr  Ursprung, 
o  Bharata,  und  weil  mein  iiberragender  Glanz  sich  ausbreitet 
iiber  Himmel  und  Erde,  o  Prithasohn, 

43.  (13171.)  und  iiber  die  Wesen  auch  zu  ihrer  Endzeit, 
heifse  ich,  dies  wiinschend  fish-J,  o  Bharata,  sowie  auch 
wegen  des  Ausschreitens ,  o  Prithasohn,  Vishnu. 

44.  (13172.)  Weil  die  Menschen,  nach  Vollendung  durch 
Bezahmung  {damaj  trachtend,  nach  mir  Verlangen  tragen, 
der  ich  Himmel,  Erde  und  Luftraum  bin,  darum  heifse  ich 
Bdmodara* 

45.  (13173.)  Prigni  (buntscheckig)  heifst  die  Nahrung,  der 
Veda,  das  Wasser  und  das  Amritam;  alle  diese  sind  mein 
Erzeugnis  fgarhhaj,  darum  heifse  ich  Prignigarhha  [eigent- 
lich:  der  von  Prigni  (hier  =  Devaki)  Erzeugte]. 


*  Eigentlich  „der  Leibumstrickte",  Beiname  Krishna's,    von  einem 
Erlebnis  in  seiner  Kindheit  herriihrend. 


Adhyaya  343  (B.  341).  799 

46.  (13174.)  Einst  riefen  dieWeisen  mich  an  und  sprachen: 
Den  Trita,  der  in  den  Brunnen  gestiirzt  worden  ist,  o  Prigni- 
garbha,  den  Trita,  der  von  Ekata  und  Dvita  hinabgestiirzt 
wurde,  errette  du. 

47.  (13175.)  So  gelang  es  dem  Trita,  dem  uralten  Sohne 
des  Brahman  und  besten  Weisen,  aus  dem  Brunnen  zu  ent- 
kommen,  weil  Prignigarbha  herbeigerufen  worden  war. 

48.  (13176.)  Die  Strahlen,  welche  an  der  die  Welt  er- 
leuchtenden  Sonne,  am  Feuer  oder  auch  am  Monde  er- 
glanzen,  die  werden  meine  Haare  (hegaj  genannt; 

49.  (13177.)  darum  haben  allweise,  beste  Brahmanen  mich 
Kegava  (den  VoUhaarigen)  genannt.  —  Einstmals  war  von 
dem  hochsinnigen  Utathya  in  seiner  Gattin  ein  Embryo  er- 
zeugt  worden. 

50.  (13178.)  Wahrend  nun  Utathya  vermoge  eines  gott- 
lichen  Zaubers  verschwunden  war,  besuchte  Brihaspati  [sein 
jiingerer  Bruder,  Mahabh.  I,  4i8o]  die  Gattin  dieses  Hoch- 
sinnigen. 

51.  (13179.)  Da  geschah  es,  o  Kuntisohn,  dafs  zu  diesem 
besten  Rishi,  welcher  zur  Begattung  geschritten  war,  der 
schon  aus  den  fiinf  Elementen  gebildete  Embryo  sprach: 

52.  (13180.)  „Ich  bin  zuerst  gekommen,  o  Gabenspender, 
und  du  darfst  der  Mutter  nicht  zusetzen."  Als  dies  Brihaspati 
horte,  wurde  er  zornig  und  sprach  einen  Fluch  aus: 

53.  (13181.)  „Weil  ich,  zur  Begattung  hergekommen,  von 
dir  gehindert  wurde,  darum  wirst  du  kraft  meines  Fluches 
blind  geboren  werden,  das  ist  gewifs." 

54.  (13182.)  Und  weil  er  durch  den  Fluch  des  hochsten 
Rishi  lange  Finsternis  fdirgham  tamasj  zu  leiden  hatte,  darum 
wurde  dieser  Rishi  vordem  DirgJiatamas  benannt. 

55.  (13183.)  Aber  da  er  die  ewigen  Veden  mit  Vedaiiga's 
und  Upaiiga's  innehatte,  wendete  er  jenen  meinen  geheimnis- 
vollen  Namen  an 

56.  (13184.)  und  rief  nach  der  Vorschrift  hintereinander 
wieder  und  wieder:  „ Kegava!''^  Da  wurde  er  sehend  und 
hiefs  fortan  Gotama. 

57.  (13185.)  So  heilbringend  ist  mein  Name  Kegava  fiir 
alle  Gotter  und  fiir  die  hochsinnigen  Rishi's.  — 


800  III.    Mokshadharma. 

58.  (13186.)  Indem  das  Feuer  sich  mit  dem  Soma  verbindet, 
gelangt  es  mit  ihm  zur  Wesenseinheit,  darum  heifst  es  von 
der  ganzen  Welt  des  Beweglichen  und  Unbeweglichen ,  dafs 
sie  aus  Feuer  und  Soma  [Verzehrer  und  Verzehrtem]  bestehe 
(vgl.  Brih.  Up.  1,4,6). 

59.  (13187.  Prosa.)  Auch  im  Puranam  steht  ja  schon,  Agni 
und  Soma  seien  eines  Wesens,  und  die  Gotter  hatten  Agni 
als  Mund;  auch  heifst  es,  dafs  sie  wegen  ihrer  Wesensein- 
heit, einander  erganzend,  die  Welten  tragen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Geschichte  vom  Narilyana 
(Ndrdyaiityam). 


Adhyaya  344  (B.  343). 

Vers  13188-13303  (B.  1-141).* 

Arjuna  sprach: 

1.  (13188.)  Wie  ist  es  moglich,  dafs  Agni  und  Soma  sich 
vordem  zur  Wesenseinheit  entwickelt  haben?  Dariiber  habe 
ich  Zweifel,  den  lose,  o  Madhutoter. 

Der  Heilige  sprach: 

2.  (13189.)  Wohlan,  o  Pandusohn,  ich  will  dir  dariiber 
eine  alte  Begebenheit  erzahlen,  welche  durch  meine  eigene 
Energie  veranlafst  wurde;  vernimm  sie,  o  Prithasohn,  mit 
ungeteiltem  Geiste. 

3.  (13190.)  Zur  Zeit  der  grofsen  Weltflut,  als  eintausend 
Perioden  von  vier  Weltaltern  verstrichen  waren,  alles  Seiende 
latent  geworden  war  und  die  Vernichtung  alles  Bewegliche 
und  Unbewegliche  ergriffen  hatte,  (I3i9i.)  als  blinde  Finsternis 
ohne  Licht,  Boden  und  Wind,  als  die  Welt  in  Gestalt  eines 
einzigen  Wassermeeres, 

4.  als  das  zweitlose  Brahmanwesen  nur  unter  dem  Namen 
der  [Ur-]Wasser  bestand, 

5.  (13192.)  als  es  nicht  Tag  noch  Nacht,  nicht  Seiendes 
noch  Nichtseiendes,  nicht  Entfaltetes  noch  Unentfaltetes  gab, 


*  Vers  3-15  und  20-65  Prosa. 


Adhyaya  SU  (B.  3^2).  801 

6.  als  die  Welt  in  diesem  Zustande  war,  da  ist  aus  der 
auf.Naray ana's  Qualitaten  sich  stUtzenden,  nicht  alternden, 
unsterblichen,  nicht  wahrnehmenden  und  nicht  wahrgenom- 
menen,  unentstandenen,  nicht  schadigenden ,  der  Zierde  der 
mannigfachen  Entwicklungen  entbehrenden,  nicht  feindhchen, 
unverganghchen ,  unsterbhchen,  alterlosen,  gestaltlosen ,  all- 
gegenwiirtigen ,  allschaffenden  Finsternis  der  ewige,  unver- 
ganghche  Purusha  als  Hari  in  die  Erscheinung  getreten. 

7.  (13193.)  Dariiber  ist  audi  folgendes  Zeugnis: 

8.  „Nicht  Tag  war,  nicht  Nacht  war,  nicht  Seiendes  noch 
Nichtseiendes  war,  nur  Finsternis  war  einstmals  die  allgestal- 
tige  Welt."  —  Namlich  es  war  die  Nacht  der  allgestaltigen 
Welt,  so  ist  der  Sinn  des  Wortes  [Finsternis]  zu  fassen. 

9.  (13194.)  Als  nun  der  aus  dieser  Finsternis  stammende 
Purusha,  der  aus  Brahman  geborene,  aus  dem  Brahman  in 
die  Erscheinung  trat,  da  schuf  dieser  Purusha,  um  die  Ge- 
schopfe  zu  schaffen,  aus  seinen  beiden  Augen  Agni  und  Soma. 
Als  darauf  die  Wesensscharen  geschaffen  wurden,  erschien 
der  Rangordnung  der  Geschopfe  gemafs  das  Brahman  und 
das  Kshatram.  Der  Soma  ist  das  Brahman  und  das  Brah- 
man sind  die  Brahmanen,  der  Agni  ist  das  Kshatram  (die 
Kshatriyakaste),  das  Brahman  aber  ist  starker  als  das  Ksha- 
tram. Fragt  ihr,  warum?  Diese  Uberlegenheit  ist  ein  Vorzug, 
der  aller  Welt  klar  vor  Augen  liegt.  Namlich  so:  (is  195.)  Es 
ist  vordem  kein  hoheres  Wesen  entstanden  als  die  Brahmanen. 
In  einem  flammenden  Feuer  opfert,  wer  in  dem  Munde  eines 
Brahmanen  opfert;  da  dem  so  ist,  sage  ich:  die  Wesen- 
schopfung  ist  durch  das  Brahman  (die  Brahmanen)  gemacht 
worden,  und  indem  dieses  die  Wesen  stiitzt,  wird  die  Drei- 
welt  in  ihrem  Bestande  erhalten.  Und  dariiber  gibt  es  auch 
den  Ausspruch  eines  Hymnus: 

10.  „Bei  alien  Opferungen  bist  als  Priester  Agni  du  be- 
stimmt  fiir  Gottfer,  Menschen  und  die  Welt"  [frei  nach  Rig- 
veda  6,16,1]. 

11.  Und  dieses  Zeugnis  besagt:  Du  Agni  bist  bei  alien 
Opferungen  der  Priester  und  als  solcher  bist  du  von  Gottern 
und  Menschen  fiir  die  Welt  bestimmt  worden. 

12.  (13196.)  Denn  Agni  ist  bei  den  Opferungen  der  Priester, 

Deussen,  MahAbh&ratam.  51 


802  III.    Mokshadharma. 

der  Vollbringer,  und  dieser  Agni  ist  das  Brahman  [die  Brah- 
manen,  oben  freilich  hiefs  es,  sie  seien  der  Soma]. 

13.  Denn  ohne  Mantra's  ist  keine  Darbringung  moglich, 
so  wie  ohne  einen  Menschen  kein  Tapas  moghch  ist.  Die 
Opfergabe  ist  bei  Gottern,  Menschen  und  Rishi's  nur  eine 
den  Mantra  (Hymnus)  begleitende  Verehrung;  darum  wird 
der  Hymnus :  „[Bei  alien  Opferungen]  bist  als  Priester  [Agni] 
du  [bestimmt]"  verwendet.  (13197.)  Und  was  alle  mensch- 
lichen  Opferamter  betrifft,  so  bleibt  das  Opfern  dem  Brah- 
manen  vorbehalten  und  geziemt  nicht  den  Kshatriya's  und 
Vaigya's,  obgleich  auch  sie  Zwiegeborene  sind.  Darum  fiihren 
die  Brahmanen  als  Agni  die  Opfer  zu  den  Gottern  empor. 
(13 198.)  Diese  Opfer  sattigen  die  Gotter,  und  die  Gotter  bringen 
dafilr  die  Erde  zum  Gedeihen,  denn  so  steht  es  auch  in  dem 
^atapatham,  dem  vorziiglichsten  Brahmanam; 

14.  (13199.)  wenn  das  Feuer  entflammt  ist,  dann  opfert 
nur  der,  welcher  als  ein  Wissender  durch  Vermittlung  eines 
Brahmanen  die  Opfergabe  darbringt. 

15.  So  steht  es  denn  fest,  dafs  die  wissenden  Brahmanen, 
zu  Agni  geworden,  den  Agni  gedeihen  machen,  (13200.)  und 
indem  sie  als  x\gni,  als  Vishnu  alle  Wesen  durchdringen, 
halten  sie  alles  Leben  aufrecht. 

16.  Hieriiber  gibt  es  auch  die  von  Sanatkumara  ge- 
sungenen  Verse :  (13201.)  Gott  Brahman,  der  Anfanglose,  schuf 
vordem  das  All,  ohne  es  von  sich  zu  sondern  fniravaskritamj ; 
aus  Brahman  entsprungen,  eilen  die  Unsterblichen  mit  Brah- 
manjubel  zum  Himmel  empor. 

17.  (13  202.)  Der  Brahmanen  Gedanken,  Worte,  "Werke, 
Glaube  und  Askese  tragen  die  Erde  und  den  Himmel,  und 
das  Amritam  ihrer  Rede  ist  das  Tragband  fgaihyaj. 

18.  (13203.)  Keine  Gerechtigkeit  geht  liber  die  Wahrheit, 
kein  Lehrer  iiber  die  Mutter,  nichts  geht  iiber  die  Brahmanen, 
wo  es   sich  um  unser  zeitliches  oder  ewiges  Wohl  handelt. 

19.  (13204.)  Bei  denen  ziehen  nicht  Ochsen  und  nicht 
Pferde,  quirlt  nicht  das  Butterfafs,  wenn  man  es  fiillte, 
die  miissen  sttirzen  und  zu  Raubern  werden,  in  deren 
Reich  Brahmanen  Hunger  leiden. 


Adhyaya  344  (B.  342).  803 

20.  (13  205.)  und  die  Brahmanen  sind  nach  dem  Zeugnisse 
der  Veden,  Purana's  und  Itihasa's  aus  dem  Munde  des  Na- 
rayana  geschaffen,  sind  allbeseelend,  allwirkend  und  allseiend. 

21.  Denn  die  Brahmanen  sind  zur  Zeit,  als  jener  gaben- 
spendende  Gottergott  [als  Schopfer  das  asketische]  Schweigen 
iibte,  zuerst  entstanden,  und  aus  den  Brahmanen  erst  die 
iibrigen  Kasten. 

22.  Und  so  sind  die  Brahmanen  ausgezeichnet  vor 
alien  Gottern  und  Damonen,  welche  von  mir  als  Brah- 
man vordem  aus  mir  selbst  als  Gotter,  Damonen  und  grofse 
Rishi's  geschaffen,  als  besondere  Wesenklassen  eingesetzt  und 
in  Zucht  gehalten  wurden. 

23.  So  wurde  Indra  aus  Anlafs  der  Verge waltigung  der 
Ahalya  von  [ihrem  Gatten]  Gautama  blondbartig  gemacht, 
und  auf  Veranlassung  des  Kaugika  wurde  Indra  seiner  Hoden 
beraubt  und  mit  Widderhoden  verselien.  — 

24.  (13  206.)  Und  als  der  Stadtezerstorer  Indra  seinen 
Donnerkeil  geziickt  hatte,  um  die  Agvin's  vom  Somatranke 
abzuhalten,  wurden  seine  Arme  von  Cyavana  gelahmt  (vgl. 
Mahabh.  Ill,  Adhy.  124).  — 

25.  Von  Daksha,  welcher  iiber  die  Storung  seines  Opfers 
in  Zorn  geraten  war,  wurde,  nachdem  er  sich  noch  weiter 
durch  Askese  gekraftigt  hatte,  die  Stirn  Rudra's  durch  ein 
drittes  Auge  verunstaltet.  [Anders  verlauft  die  Geschichte 
oben,  S.  521  fg.]  — 

26.  Als  Rudra  eine  Weihe  angetreten  hatte,  raufte  sich 
UQanas,  um  damit  den  Dreiburgzerstorer  (Rudra)  zu  ver- 
letzen,  seine  Haarflechten  aus  dem  Kopfe  aus  und  schleuderte 
sie  gegen  ihn;  aus  ihnen  kamen  Schlangen  hervor,  und  von 
diesen  Schlangen  gepeinigt,  erlangte  er  seine  Blauhalsigkeit, 
und  auch  schon  in  einem  friihern  Weltalter  des  Manu  Svayam- 
bhuva  hatte  er  auch  die  Blauhalsigkeit  erlangt,  weil  Narayana 
ihn  mit  den  Handen  gewiirgt  hatte  (vgl.  unten,  Vers  I3  273fg.).  — 

27.  Als  einst  Brihaspati,  der  Aiigirassprofs,  dazu  schritt, 
das  Amritam  zu  bereiten,  und  Wasser  schopfen  wollte,  da 
geschah  es,  dafs  die  Wasser  sich  ihm  ungnadig  erwiesen. 
Da  ziirnte  Brihaspati  den  Wassern:  „Weil  ihr,  da  ich  euch 
schopfen  wollte,  euch  unrein  zeigtet  und  euch  mir  ungnadig 

51* 


804  III.   Mokshadharma. 

erwieset,  darum  soil  er  [der  Ozean]  von  heute  an  durch 
grofse  Fische,  Delphine,  Schildkroten  und  [allerlei]  Tiere 
unrein  sein."  (is 207.)  Und  von  Stund  an  wimmelten  die  Wasser 
des  Meeres  von  Seeungeheuern.  — 

28.  Vigvarupa,  der  Sohn  des  Tvashtar,  war  der  Haus- 
priester  der  Gotter.  (13208.)  Als  Schwestersohn  der  Asura's 
aber  gab  er  den  Gottern  vor  alien  Augen  einen  Opferanteil 
und  den  Asura's  nur  heimlich. 

29.  Da  baten  die  Asura's  mit  Hiranyakagipu  an  der  Spitze 
ihre  Schwester,  die  Mutter  des  Vigvarupa,  um  eine  Gunst: 
(13  209.)  „Du,  Schwester!  dein  Sohn  da  vom  Tvashtar,  der 
dreikopfige  Vigvarupa,  hat  als  Hauspriester  der  Gotter  den 
Gottern  ihren  Opferanteil  vor  aller  Augen  gegeben,  uns  aber 
nur  heimlich,  und  nun  gedeihen  die  Gotter,  und  wir  nehmen 
ab;  darum  sollst  du  ihn  dazu  anhalten,  dafs  er  auch  uns 
zufriedenstellt." 

30.  Da  sprach  zu  ViQvarupa,  der  sich  in  den  Nandana- 
wald  begeben  hatte,  seine  Mutter :  „Mein  Sohn,  warum  fdrderst 
du  die  Partei  der  Gegner  und  schadigst  die  Partei  deiner 
Oheime?  Das  mufst  du  nicht  tun!"  Da  iiberlegte  Vigvarupa, 
dafs  er  dem  Befehl  seiner  Mutter  nicht  ungehorsam  sein  diirfe, 
verneigte  sich  vor  dem  [anwesenden]  Hiranyakagipu  und  ging 
von  dannen. 

31.  Darum  wurde  Hiranyakagipu  von  Vasishtha,  dem 
Sohne  des  Hiranyagarbha ,  verflucht:  (13210.)  Weil  du  [an 
meiner  Statt]  einen  andern  Priester  [den  Vigvarupa]  erwahlt 
hast,  darum  soil  dein  Opfer  nicht  gelingen,  und  du  sollst 
von  einer  ndch  nicht  dagewesenen  Art  von  Wesen  [dem 
Mannlowen]  getotet  werden."  Und  infolge  dieses  Fluches  ist 
HiranyakaQipu  getotet  worden. 

32.  (13211.)  Nun  ergab  sich  Vigvarupa,  um  die  Partei  seiner 
Mutter  zu  starken,  iibermafsiger  Askese.  Da  beauftragte  Indra 
viele  schone  Apsarasen,  ihn  in  seinem  Geliibde  zu  storen.  Als 
ViQvarupa  diese  sah,  wurde  sein  Geist  verwirrt,  und  es  dauerte 
nicht  lange,  da  hing  er  sein  Herz  an  jene  Apsarasen.  Als 
die  Apsarasen  sahen,  dafs  er  sein  Herz  an  sie  gehangt  hatte, 
sprachen  sie:  „Jetzt  konnen  wir  hingehen,  woher  wir  ge- 
kommen  sind." 


Adhyaya  344  (B.  342).  805 

33.  Zu  ihnen  sprach  der  Sohn  des  Tvashtar:  „Wohin 
wollt  ihr  gehen?  Bleibt  doch!  bei  mir  sollt  ihr's  gut  haben." 
Sie  aber  entgegneten  ihm :  „Wir  Apsarasen  sind  Gotterweiber 
und  Ziehen  es  von  jeher  vor,  bei  dem  machtigen  Indra,  dem 
gabenspendenden  Gotte,  zu  weilen." 

34.  Da  sprach  Vigvarupa  zu  ihnen :  „Von  heute  ab  sollen 
Indra  und  alle  Gotter  nicht  mehr  sein!"  Da  murmelte  er 
Mantra's,  durch  diese  Mantra's  erstarkte  der  Dreikopfige, 
und  mit  dem  einen  Munde  trank  er  den  in  alien  Welten  von 
den  werkfrommen  Zwiegeborenen  bei  den  Opfern  gebiihrend 
dargebrachten  Soma  aus,  mit  dem  andern  afs  er  alle  Opfer- 
speise,  und  mit  dem  dritten  woUte  er  die  Gotter  nebst  Indra 
verschlingen.  Als  aber  Indra  sah,  wie  Vigvarupa  an  alien 
Gliedern  durch  das  Somatrinken  erstarkt  war,  da  geriet  er 
mit  alien  Gottern  in  Sorge, 

35.  und  die  Gotter  mit  Indra  an  der  Spitze  gingen  zu 
Gott  Brahman  (13212.)  und  sprachen:  „Von  Vigvarupa  wird 
der  bei  alien  Opfern  wohldargebrachte  Soma  getrunken,  und 
wir  gehen  leer  aus,  die  Partei  der  Asura's  gedeiht,  und  wir 
nehmen  ab,  darum  mogest  du  ungesaumt  anordnen,  was  zu 
unserm  Heile  dient." 

36.  Zu  ihnen  sprach  Gott  Brahman :  „Ein  Kishi  aus  dem 
Stamme  des  Bhrigu  mit  Namen  Dadhica  iibt  Askese,  den 
bittet  um  eine  Gunst  und  richtet  es  so  ein,  dafs  er  euch  als 
Gunst  gewahrt,  euch  seinen  Leib  zu  iiberlassen;  aus  seinen 
Knochen  verfertigt  den  Donnerkeil." 

37.  Da  gingen  die  Gotter  dorthin,  wo  der  heilige  Kishi 
Dadhica  seine  Askese  iibte.  Dort  angekommen,  sprachen  die 
Gotter  mit  Indra  an  der  Spitze  zu  ihm:  „0  Heiliger,  moge 
deine  Askese  gliicklich  und  ungestort  sein!" 

38.  (13  213.)  Ihnen  erwiderte  Dadhica:  „Seid  willkommen! 
sagt,  was  ihr  begehrt!  was  ihr  auch  sagen  mogt,  ich  werde 
es  tun." 

39.  Sie  sprachen  zu  ihm:  „Du  mogest,  o  Heiliger,  zum 
Heile  der  Welt  deinen  Leib  aufgeben." 

40.  Da  geschah  es,  dafs  Dadhica  ihrem  Wunsche  gemafs, 
ohne  aus  der  Fassung  zu  geraten  und  als  grofser  Yogin  Lust 


806  III.    Mokshadharma. 

und  Schmerz  fiir  gleich  achtend,  sich  konzentrierte  und  seinen 
Leib  aufgab. 

41.  Nach  dessen  Eingang  zum  hochsten  Atman  sammelte 
der  Schopfer  seine  Gebeine  und  machte  daraus  den  Donner- 
keil.  Mit  diesem  unzerbrechlichen ,  unwiderstehlichen,  von 
Brahman  aus  Gebeinen  gebildeten,  von  Vishnu  beseeUen 
Donnerkeil  totete  Indra  den  Vigvarupa,  schlug  ihm  seine 
Kopfe  ab,  und  gleich  darauf  wurde  auch  der  bei  der  Zer- 
malmung  der  Knochen  des  Vigvarupa  aus  diesem  Tvashtar- 
sohn  entstandene  feindhche  Vritra  von  Indra  erschlagen. 

42.  Angesichts  dieses  zweifachen  Brahmanenmordes  Hefs 
Indra  aus  Furcht  seine  Gotterherrschaft  im  Stiche  und  fliich- 
tete  zu  einer  wassergeborenen ,  kiihlenden,  im  See  Manasa 
wachsenden  Lotosblume,  machte  sich  kraft  seines  gottherr- 
hchen  Yoga  atomklein  und  verkroch  sich  in  das  Knollen- 
gewebe  der  Lotosblume. 

43.  (13  214.)  Als  nun  der  Herr  der  Dreiwelt  und  Gatte  der 
Qaci  aus  Furcht  vor  den  Folgen  des  Brahmanenmordes  ver- 
schwunden  war,  war  die  Welt  ohne  Herrscher;  Rajas  und 
Tamas  iiberfielen  die  Gotter,  die  Hymnen  der  grofsen  Rishi's 
waren  nicht  mehr  in  TJbung,  die  Kobolde  zeigten  sich  offent- 
lich,  der  Veda  geriet  in  Verfall  und  die  ohne  Indra  kraft- 
losen  Wei  ten  waren  leicht  zu  iiberwinden. 

44.  Da  salbten  die  Gotter  und  Rishi's  einen  Sohn  des 
Ayus  mit  Namen  Nahusha  zum  Gotterkonig,  und  Nahusha, 
geschmiickt  mit  fiinfhundert  seine  Stirn  umfunkelnden  Lich- 
tern,  welche  jeden  andern  Glanz  verdunkelten,  iibernahm  die 
Regierung  des  Dreihimmels. 

45.  Da  kamen  die  Wei  ten  wieder  in  ihre  natiirliche  Ver- 
fassung,  waren  wohlgefestigt  und  gediehen. 

46.  Da  sprach  Nahusha:  „Alles,  was  ehedem  (Jakra  ge- 
nofs,  ist  mir  zugefallen,  nur  nicht  die  Qaci."  So  sagte  er, 
begab  sich  zur  (^aci  und  sprach  zu  ihr:  „0  Holde!  Icli  bin 
jetzt  Indra,  der  Fiirst  der  Gotter,  liebe  mich !"  Ihm  erwiderte 
die  Qaci:  „Du,  von  Natur  ein  Freund  der  Gesetzlichkeit  und 
aus  dem  Mondgeschlechte  entsprungen,  solltest  nicht  nach 
der  Gattin  eines  andern  trachten." 


Adhyaya  344  (B.  342).  807 

47.  Nahusha  versetzte:  „Ich  habe  die  Stellung  des  India 
in  Besitz  genommen,  und  ich  habe  Anspruch  auf  alle  Kleinodien 
im  Reiche  des  Indra,  dabei  ist  kein  Unrecht,  und  auch  du 
hast  dem  Indra  angehort."  Sie  erwiderte:  „rch  habe  ein  Ge- 
liibde  auf  mich  genommen,  welches  noch  nicht  vollendet  ist; 
nach  dessen  Schlufsbad  werde  ich  zu  dir  kommen,  also  in 
einigen  Tagen."  So  von  der  Qslci  beschieden,  ging  er  von 
dannen. 

48.  Da  wandte  sich  Qaci,  von  Schmerz  und  Kummer 
gequalt,  nach  dem  Gatten  sich  sehnend  und  von  Furcht  vor 
dem  Nahusha  ergriffen,  an  den  Brihaspati,  und  dieser,  als  er 
sie  so  aufgeregt  sah,  verfiel  in  Nachdenken,  und  erkennend, 
dafs  sie  die  Sache  ihres  Gatten  iiber  alles  hochhielt,  sprach 
er  zu  ihr:  (13215.)  „Da  du  deinem  Geliibde  und  deiner  Askese 
so  treu  bist,  so  magst  du  die  gabenspendende  Gottin  Upa- 
gruti  [Erhorung,  vgl.  die  Parallele  Mahabh.  V,  Vers  426]  an- 
rufen,  die  wird  dir  den  Indra  zeigen."  Da  rief  sie,  in  grofser 
Selbstbezahmung  beharrend,  mit  Mantra's  die  gabenspendende 
Gottin  UpaQiuti  an.  Da  erschien  der  Qaci  die  Upagruti  und 
sprach  zu  ihr :  „Hier  bin  ich,  auf  deinen  Ruf  herbeigekommen, 
welchen  Wunsch  soil  ich  dir  erfiillen?"  Qaci  neigte  ihr 
Haupt  und  sprach:  „0  Heilige,  du  bist  wahr  und  gerecht, 
lafs  mich  meinen  Gatten  sehen!"  Da  fiihrte  die  Upa(?ruti 
sie  zum  See  Manasa  (13216.)  und  liefs  sie  dort  den  Indra  sehen, 
wie  er  in  dem  Knollengewebe  einer  Lotosblume  versteckt  war. 

49.  Als  Indra  seine  Gattin  abgemagert  und  welk  vor  sich 
sah,  dachte  er  voll  Kummer:  „Ach,  welch  ein  Leid  ist  iiber 
mich  gekommen,  da  meine  Gattin,  von  Schmerz  gequalt,  bis 
hierher  gekommen  ist,  um  mich,  den  Verlorenen,  zu  suchen." 
Und  Indra  sprach  zu  ihr:  „Wie  geht  es  dir?"  Sie  antwortete: 
„Nahusha  fordert  mich  auf,  seine  Gattin  zu  werden,  und  ich 
habe  ihm  eine  Frist  gesetzt."  Indra  entgegnete:  „Gehe  und 
sprich  zu  Nahusha:  In  einer  noch  nicht  dagewesenen  Weise 
soUst  du  mich  heimfiihren,  auf  einem  Wagen  sitzend,  der 
von  Rishi's  gezogen  wird.  Indra  hatte  grofse,  herzerfreuende 
Wagen,  auf  denen  ich  gefahren  bin,  du  mufst  auf  einem  neuen 
zu  mir  kommen."  Nach  diesen  Worten  ging  sie  freudig  von 
dannen,  und  Indra  kroch  wieder  in  seinen  LotosknoUen  hinein. 


■ 

808  III.   Mokshadharma. 

50.  Als  Nahusha  die  Indragattin  herbeikommen  sah, 
sprach  er  zu  ihr:  „Die  gesetzte  Frist  ist  um."  Qaci  ant- 
wortete  ihm,  wie  Qakra  (Indra)  ihr  geraten  hatte.  Da  bestieg 
Nahusha  einen  mit  grofsen  Rishi's  bespannten  Wagen  und 
fuhr  zur  Qaci. 

51.  Da  sah  der  Sohn  des  Mitra-Varuna,  der  topfgeborene, 
grofse  Rishi  Agastya,  wie  diese  grofsen  Rishi's  von  Nahusha 
entwiirdigt  wurden,  und  er  trat  ihn  [Nahusha  den  Agastya, 
vgl.  Mahabh.  Ill,  12525.  XIII,  4794]  mit  den  Fiifsen.  Da  sprach 
er  zu  Nahusha :  „Du,  der  du  dich  zu  dieser  Untat  hast  verleiten 
lassen,  sollst  in  die  Erde  fahren  und  als  Schlange  leben,  solange 
Erde  und  Berge  stehen."  Kaum  hatte  der  grofse  Rishi  dieses 
Wort  gesprochen,  da  stiirzte  jener  vom  Wagen  herab. 

52.  Und  abermals  war  die  Dreiwelt  ohne  Beherrscher. 
(13217.)  Da  gingen  die  Gotter  und  Rishi's  den  heihgen  Vishnu 
wegen  des  Indra  um  Hilfe  an  und  sprachen  zu  ihm :  „0  Hei- 
liger,  den  Indra,  auf  dem  der  Fluch  der  Brahmanentotung 
lastet,  mogest  du  retten."  Da  sprach  der  Gabenspender  zu 
ihnen:  „Der  (^akra  mufs  ein  [mir]  dem  Vishnu  geweihtes 
Rofsopfer  darbringen,  dann  wird  er  seine  Stellung  wieder- 
erlangen."  Als  darauf  die  Gotter  und  Rishi's  den  Indra  nicht 
fmden  konnten,  sprachen  sie  zur  Qaci:  „Gehe,  o  Holde,  und 
bringe  den  Indra  her!"  Da  begab  sie  sich  wiederum  zu 
jenem  See,  und  Indra  stieg  aus  dem  See  heraus  und  ging 
zu  Brihaspati.  Da  brachte  Brihaspati  ein  grofses  Rofsopfer 
im  Namen  des  Qakra  dar,  und  indem  er  ein  scheckiges, 
opferwiirdiges  Rofs  frei  weiden  liefs  und  es  dann  zum  Siihne- 
mittel  machte,  setzte  Brihaspati  den  Indra,  den  Herrn  der 
Marut's,  wieder  in  seine  Stelle  ein. 

53.  So  wurde  der  von  Gottern  und  Rishi's  gepriesene, 
den  Dreihimmel  bewohnende  Gotterkonig  von  seiner  Schuld 
befreit,  die  Brahmavadhya  aber  (die  Siinde  des  Brahmanen- 
mordes)  verteilte  er  auf  vier  Sitze,  auf  die  Weiber,  das  Feuer, 
die  Baume  und  die  Kiihe.  (13218.)  So  geschah  es,  dafs  Indra, 
gestarkt  durch  Brahmankraft  und  -macht,  die  Feinde  nieder- 
schlug  und  seine  Stellung  behauptete,  — 

54.  Als  einst  der  grofse  Rishi  Bharadvaja  zur  Himmels- 
ganga  gegangen  war,  um  Wasser  zu  schopfen,  kam  ihm  der 


Adhy^ya  SU  (B.  342).  809 

seine  drei  Schritte  machende  Vishnu  zu  nahe  und  wurde  von 
Bharadvaja  mit  der  nassen  Faust  auf  die  Brust  geschlagen, 
so  dafs  er  ein  Mai  auf  der  Brust  davontrug.  — 

55.  Von  dem  grofsen  Rishi  Bhrigu  wurde  Agni  durch 
einen  Fluch  dazu  verurteilt,  alles  zu  verzehren.  — 

56.  Aditi  hatte  einstmals  fiir  die  Gotter  eine  Speise  ge- 
kocht,  (13  219.)  indem  sie  dachte:  diese  Speise  genossen  habend, 
werden  sie  die  Damonen  iiberwinden.  Nun  kam  Budha  nach 
Beendigung  seines  Fastengeliibdes  hinzu  und  sprach  zur  Aditi : 
„Gib  mir  zu  essen!"  Aditi  aber  sagte  sich,  dafs  die  Gotter 
zuerst  davon  essen  miifsten  und  kein  anderer,  und  gab  ihm 
nichts.  Wegen  dieser  Verweigerung  der  Bettelspeise  ziirnte 
Budha,  der  ein  Brahmane  war,  und  sprach  iiber  die  Aditi 
den  Fluch  aus,  dafs  in  ihrem  Leibe  eine  Zerbrechung  des 
den  Namen  Ei  fiihrenden  Vivasvant  behufs  seiner  zweiten 
Geburt  [die  ihm  als  Vogel  zukam]  stattfmden  werde.  Infolge- 
dessen  wurde  das  Ei  fandaj  in  der  Mutter  Aditi  zerstort 
fmdritaj ^  und  Vivasvant,  als  Mdrtanda  (Sonnenvogel)  ge- 
boren,  wurde  ein  Gott  der  Totenspende.  — 

57.  Daksha  hatte  sechzig  Tochter,  von  den  en  gab  er 
dreizehn  dem  Kagyapa  zur  Ehe,  zehn  dem  Dharma,  zehn  dem 
Manu  und  siebenundzwanzig  dem  Monde.  Unter  diesen  sieben- 
undzwanzig,  welche  gleichberechtigt  waren  und  nach  den 
Nakshatra's  [Mondhausern,  vgl.  Sechzig  Upanishad's,  S.  340  A.] 
benannt  waren,  war  Soma  (der  Mond)  besonders  verliebt  in 
die  Rohini.  Dariiber  waren  die  iibrigen  Gattinnen  eifersiichtig, 
gingen  zu  ihrem  Vater  und  brachten  die  Sache  zur  Anzeige : 
„0  Heiliger,  wir  sind  doch  alle  gleich  an  Wiirde,  aber  Soma 
liebt  die  Rohini  mehr  als  uns."  Er  sprach:  „Dafur  soil  ihn 
die  Auszehrung  befallen."  Infolge  dieses  Fluches  des  Daksha 
befiel  den  Konig  Soma  die  Auszehrung.  Von  der  Auszehrung 
befallen,  ging  er  zu  Daksha;  der  sprach  zu  ihm:  „Du  bist 
nicht  gerecht  fsamo/''  —  daher  haben  ihn  die  Rishi' s  Soma 
genannt  —  (13220.)  „darum  schwindest  du  durch  Auszehrung 
hin.  Im  westlichen  Ozean  ist  der  heilige  Badeplatz  Hiranya- 
saras  (Goldsee).  Dorthin  gehe  und  bade  dich."  Damit  ging 
Soma,  begab  sich  zu  dem  heiligen  Badeplatz  Hiranyasaras 
und  vollzog  Waschungen.     (13  221.)  Indem  er  badete,  befreite 


810  HI.    Mokshadharma. 

er  sich  von  seinem  Ubel.  Und  weil  Soma  an  diesem  heiligen 
Badeplatze  seinen  Glanz  wieder  erhalten  hatte,  wurde  seit 
jener  Zeit  dieser  heilige  Badeplatz  Prabhasam  (Glanz)  genannt. 

58.  Aber  infolge  des  Finches  nimmt  auch  heute  noch 
der  Mond  ab  bis  zur  Neumondsnacht,  und  auch  wenn  er  zur 
Vollmondsnacht  gelangt  ist,  zeigt  er  seine  Gestalt  als  iiber- 
deckt  mit  einem  Wolkenstreifen ,  nimmt  ein  wolkenahnliches 
Aussehen  an  und  seine  Fleckenlosigkeit  wird  durch  das 
Hasenzeichen  [unsern  Mann  im  Monde]  getriibt.  — 

59.  Sthulagiras,  der  grofse  Rishi,  betrieb  in  der  nord- 
ostlichen  Gegend  des  Meru  seine  Askese.  Da  kam  ein  alle 
Diifte  mit  sich  fiihrender  reiner  Wind  und  beriihrte  mit  seinem 
Wehen  den  Korper  des  von  Askese  Erhitzten,  so  dafs  er,  der 
durch  die  Askese  gequalt  und  abgemagert  war,  durch  die 
Fachelung  des  Windes  in  seinem  Herzen  sehr  erquickt  wurde. 
(13222.)  Als  nun  die  Baume  sahen,  wie  er  durch  die  Fache- 
lung des  Windes  erfreut  war,  da  entfalteten  auch  sie  vor  ihm 
alsbald  die  Schonheit  ihrer  Bliiten.  Darum  verfluchte  er  sie 
und  sprach :  „Von  nun  an  sollt  ihr  nicht  zu  jeder  Zeit  Bliiten 
tragen."  — 

60.  Narayana  war  einst  um  des  Heiles  der  Welt  willen 
zu  einem  grofsen  Rishi  mit  Namen  Vadavamukha  (Stuten- 
mund)  geworden.  Als  dieser  auf  dem  Meru  Askese  iibte,  rief 
er  den  Ozean  an  [ihn  zu  kiihlen],  dieser  aber  wollte  nicht 
kommen.  Da  wurden  von  dem  Ungehaltenen,  von  Korper- 
hitze  Gequalten  die  Wasser  des  Ozeans  schwerfliissig  gemacht, 
indem  auch  der  Ozean  in  einen  der  Schweifsabsonderung  [des 
Rishi]  ahnlichen  Zustand  der  Salzigkeit  versetzt  wurde. 

61.  Und  der  Rishi  sprach  zu  ihm:  „Untrinkbar  sollst  du 
sein,  und  nur  dann,  wenn  ich  als  Vadavamukha  [ein  mythi- 
sches  Feuer  auf  dem  Meeresgrunde]  dein  Wasser  trinken 
will,  soil  es  siifs  schmecken.  Darum  trinkt  auch  heute  noch 
der  [von  Narayana]  abhangige  Vadavamukha  das  Wasser  aus 
dem  Ozean.  — 

62.  Rudra  liebte  ein  Madchen,  die  Uma,  Tochter  des 
Gebirges  Himalaya.  (13223.)  Da  kam  der  grofse  Rishi  Bhrigu 
zum  Himalaya  und  sprach:  „Gib  mir  das  Madchen  zur  Frau." 
Himalaya  sprach :  „Rudra  ist  fiir  sie  zum  Gemahl  ausersehen." 


Adhyaya  344  (B.  342).  811 

Da  sprach  Bhrigu :  ,,\Veil  ich  von  dir,  nachdem  ich  meine  Nei- 
gung  auf  die  Wahl  des  Madchens  gerichtet  hatte,  verschmaht 
worden  bin,  darum  sollst  du  keine  Perlen  in  dir  enthalten." 

63.  Und  bis  auf  den  heutigen  Tag  ist  das  Wort  des 
Rishi  in  Giiltigkeit  geblieben.  —  So  grofs  ist  die  Macht 
der  Brahmanen! 

64.  Und  der  Kshatriya  hat  nur  durch  die  Gnade  der 
Brahmanen  die  ewige,  unvergangHche  Erde  als  Gattin  er- 
langt  und  genossen. 

65.  Was  aber  die  Agni  und  Soma  seiende  Brahmanen- 
kaste  betrifft,  so  wird  durch  sie  die  ganze  Welt  der  Leben- 
den  getragen. 

66.  (13  224.)  Es  heifst  ja:  Sonne  und  Mond  sind  seine 
Augen,  die  Sonnenstrahlen  seine  Haare  ("kegdhj,  die  Welt  er- 
weckend  und  erwarmend,  steht  er  von  ihr  gesondert  da. 

67.  (13225.)  Weil  durch  dieses  Erwecken  und  Erwarmen  der 
Welt  vermittelst  dieser  von  Agni  und  Soma  gewirkten  Werke 
Freude  fJiarshanamJ  entsteht,  o  Pandusprofs,  (13226.)  werde 
ich  HrisMJcega  genannt,  ich,  der  Herr,  der  Gabenspender,  der 
Forderer  der  Welt. 

68.  Weil  ich  aus  Anlafs  des  zur  Labung  Dargebrachten 
bei  den  Opfern  meinen  Anteil  nehme  fJiareJ,  (13  227.)  und  weil 
meine  Farbe  ein  herrliches  Gelbgriin  (harij  ist,  darum  werde 
ich  Hari  genannt. 

69.  Als  die  beste  Zuflucht  fdhdmanj  der  Wesen  und  als 
das  wohldurchdachte  Recht  fritamj  (13228.)  werde  ich  von  den 
Priestern  Tag  fiir  Tag  als  Ritadhdman  gefeiert. 

70.  Weil  ich  einstens  die  versunkene  und  verborgene 
Erde  [auch  go^  die  Kuh,  genannt]  wiedergewann  (avindamj^ 
(13  229.)  darum  werde  ich  von  Gottern  mit  Hymnen  als  Govinda 
gepriesen. 

71.  Weil  einer,  der  seine  Haare  verliert,  Qipivishta  heifst, 
(13  230.)  und  weil  alles  Vorhandene  von  ihm  [dem  Vishnu  mit 
seinen  Haaren,  d.  h.  Strahlen]  durchdrungen  (dvishtamj  ist, 
darum  heifst  er  Qipivislita. 

72.  Der  Rishi  Yaska  hat  mich  mit  Hingebung  bei  vielen 
Opfern  besungen  (i323i.)  als  (^ipivishta,  darum  trage  ich  diesen 
geheimnisvollen  Namen. 


812  III.   Mokshadharma. 

73.  Und  weil  der  hochsinnige  Rishi  Yaska  mich  als 
^ipivishta  gepriesen  hat,  (13232.)  hat  er  durch  meine  Gnade 
das  in  der  Tiefe  versunkene  Niruktam  erhalten, 

74.  Weil  ich  nie  geboren  wurde  oder  geboren  werde,  oder 
je  werde  geboren  werden,  (13233.)  da  ich  der  Kshetrajfia  aller 
Wesen  bin,  darum  werde  ich  Aja  (der  Ungeborene)  genannt. 

75.  Niemals  ist  von  mir  etwas  Gemeines  oder  Unreines 
ausgesprochen  worden,  (13234.)  die  rechtschaffene  Tochter  Brah- 
man's, die  wahrhafte  fsatyaj  Gottin  Sarasvati,  weilt  in  mir; 

76.  auch  ist,  o  Kuntisohn,  das  Seiende  fsatj  und  das 
Nichtseiende  fasatj  von  mir  in  meinem  Selbste  geborgen, 
(13  235.)  in  der  Lotosblume  als  dem  Sitze  fsadanamj  des  Gottes 
Brahman,  darum  kennen  mich  die  Rishi's  als  Satya  (den 
Wahrhaftigen). 

77.  Von  der  Wahrheit  fsattvamj  bin  ich  von  jeher  nicht 
abgewichen,  die  Wahrheit,  wisse,  ist  von  mir  geschaffen; 
(13  236.)  werde  ich  hienieden  geboren,  so  ist  die  uranfangliche 
Wahrheit  in  mir  gegenwartig,  0  Gutgewinner. 

78.  Wunschlosen  Werken  hingegeben  und  nicht  befleckt 
an  meiner  Wahrheit,  (13237.)  so  werde  ich  durch  das  Satvata- 
wissen  erkannt  von  den  Satvant's,  darum  heifse  ich  Sdtvata. 

79.  Weil  ich,  o  Prithasohn,  die  Erde  pfliige  (krisJidmiJ 
als  der  grofse  Eiserne  fhdrshndyasaj,  (13  238.)  und  weil  ich  an 
Farbe  schwarz  fkrishnaj  bin,  darum  heifse  ich  "Krishna^  o 
Arjuna. 

80.  Weil  durch  mich  die  Erde  mit  dem  Wasser,  der 
Luftraum  mit  dem  Winde  (13239.)  und  der  Wind  mit  dem 
Feuer  gemischt  wird  [im  Pancikaranam],  darum  heifse  ich 
Vaikuntha.  [Mit  vi,  Vogel,  soil  auf  Wind,  Feuer,  Wasser  an- 
gespielt,  mit  ku  die  Erde,  mit  tha  der  Ather  bezeichnet 
sein,  Nil.]. 

81.  Das  Nirvanam  ist  das  hochste  Brahman  und  wird 
als  die  hochste  Satzung  bezeichnet;  (13240.)  weil  ich  an  ihm 
von  jeher  unerschiitterlich  facyutaj  festgehalten  habe,  heifse 
ich  wegen  dieses  Tuns  Acyuta. 

82.  Beide,  die  Erde  und  der  Luftraum,  erstrecken  sich 
nach  allerwarts;  (13241.)  weil  ich  beide  trage,  werde  ich  mit 
Fug  als  AdhoksJiaja  (unter  der  Weltachse  geboren) 


Adhyaya  341  (B.  342).  813 

83.  erklart;  die  Vedawissenden  [vidushah  Nom. !)  und  den 
Sinn  der  Vedaworte  Uberdenkenden,  (13  242.)  sie  besingen  mich 
an  der  Opferstatte  als  Adhohshaja. 

84.  Dieses  wird  von  den  hochsten  Eishi's  einstimmig  aus- 
gesprochen,  (13243.)  dafs  es  keinen  andern  Adhokshaja  in  der 
Welt  gibt,  als  den  heiligen  Herrn  Narayana. 

85.  Weil  die  Schmelzbutter  fgJiritamJ  meines  Glanzes 
(arcisj  das  Leben  der  Geschopfe  erhalt,  (13244.)  darum  werde 
ich  von  tiefsinnigen  Vedakennern  Ghritdrcis  genannt. 

86.  Drei  (trij  Grundstoffe  (dhdtuj  gibt  es  [im  Menschen], 
welche  auf  seinen  [vormaligen]  Werken  beruhen :  (13245.)  Galle, 
Schleim  und  Wind;  das  wird  das  Aggregat  genannt. 

87.  Durch  diese  wird  der  Mensch  erhalten,  und  wenn 
diese  vergehen,  vergeht  er.  (13  246.)  Darum  nennen  mich  die 
Kenner  der  vedischen  Heilkunde  Tridhdtu. 

88.  Als  mannhaft  (vrishaj  wird  das  heilige  Recht  in  der 
Welt  bezeichnet,  o  Bharata,  (13247.)  darum,  das  sollst  du 
wissen,  heilse  ich  in  der  Wortsammlung  Naighantukam,  der 
hochste   Vrislia. 

89.  Auch  der  Affe  (hapij,  der  Eber,  der  Beste  und  das 
Recht  werden  mannhaft  fvrisJiaJ  genannt,  (13248.)  darum  hat 
der  Schopferherr  Kagyapa  mich  VrishdJcapi  (den  Mannaffen) 
genannt. 

90.  *  (13  249.)  Keinen  Anfang,  keine  Mitte  und  kein  Ende 
kennen  an  mir  jemals  weder  Gotter  noch  Damonen; 
denn  als  der  Anfanglose,  Mittelose,  Endlose,  werde  ich 
besungen  als  der  machtige  Herr  und  das  Auge  der  Welt. 

91.  (13250.)  Weil  ich  nur  reine  fgucij  Worte  hienieden  ver- 
nehme  ("grty,  0  Gutgewinner,  und  keine  schlechten  annehme^ 
darum  heifse  ich  Qucigravas. 

92.  (13251.)  Weil  ich  als  der  heilbringende  Eber  mit  dem 
einen  Hauzahn  {ehagringaj  ehedem  diese  Erde  aufgewiihlt  habe, 
darum  heifse  ich  Ehagringa. 

93.  (13  252.)  Auch  war  ich  damals  in  der  Gestalt  des  Ebers 
mit  drei  Hockern  versehen  ftrikaliudaj,  daher  wurde  ich  wegen 
dieser  Gestaltung  meines  Korpers  TriTiokud  genannt. 


*  Metrum:  Bhujangaprayatam. 


814  III.   Mokshadharma. 

94.  (13  253.)  Was  von  den  die  Kapilalehre  mit  Verstandnis 
durchdenkenden  Virnica  genannt  wird,  dieser  Weltschbpfer 
bin  ich,  weil  ich  durch  meine  Gedanken  die  ganze  Welt  her- 
vorgebracht  habe. 

95.  (13  254.)  Als  den  ewigen,  in  der  Sonne  weilenden 
Wissenschaftstrager  [den  Hiranyagarbha]  nennen  mich  die 
zur  Gewifsheit  durchgedrungenen  Saiikhyalehrer  Kapila. 

96.  (13  255.)  Als  der,  welcher  als  der  glanzvolle  Hiranya- 
garbha im  Veda  gepriesen  und  allezeit  von  den  Yoga's  ver- 
ehrt  wird,  als  dieser  werde  ich  in  der  Welt  gefeiert. 

97.  (13  256.)  Mich  bezeichnen  Vedakenner  als  den  einund- 
zwanzigtausend  [Verse]  umfassenden  Rigveda,  mich  als  den 
in  tausend  Qakha's  (Vedaschulen)  verbreiteten  Samaveda. 

98.  (13  257.)  Mich  auch  besingen'jene  mir  ergebenen  seltenen 
Brahmanen  in  ihrem  Aranyakam.  Als  die  sechsundfiinfzig 
und  acht  und  siebenunddreifsig 

99.  (13258.)  Qakha's  in  dem  dem  Adhvaryu  angehorenden 
Yajurveda  werde  ich  gefeiert.  Als  den  fiinf  Kalpa's  um- 
fassenden und  durch  Zauberkiinste  verstarkten  Atharvaveda 

100.  (13  259.)  verwenden  mich  auch  die  der  Atharvalieder 
kundigen  Priester.  Alle  die  verschiedenen  Qakha's  und  alle 
in  den  Qakha's  gebrauchlichen  Lieder 

101.  (13  260.)  nach  Akzenten  und  Aussprache  der  Laute, 
diese  alle  wisse  als  von  mir  geschaffen.  Und  jenes  gaben- 
verleihende  Rofshaupt,  o  Prithasohn,  welches  aufsteigt  [aus 
dem  Milchmeere] 

102.  (13  261.)  in  der  nordhchen  Gegend,  das  bin  ich,  der 
Kenner  der  Einteilung  [der  vedischen  Hymnen]  nach  Wort- 
reihen  {kramaj  und  Silben.  Auf  dem  von  Varna  [nach  Nil. 
Vamadeva,  wohl  ==  Qiva]  gewiesenen  Wege  wurde  durch 
meine  Gnade  von  dem  hochsinnigen 

103.  (13  262.)  Pancala  der  Kramapatha  empfangen  als  Ge- 
schenk  jenes  ewigen  Wesens  [des  Rofshauptes] ;  er,  der  in 
dem  Geschlecht  der  Babhravya's  glanzte,  hat  zuerst  den 
Kramapatha  durchgefiihrt, 

104.  (13263.)  nachdem  er  ihn  von  Narayana  erhalten  hatte 
nach  Erlangung  des  hochsten  Yoga,  so  dafs  er  den  Kramapatha 
verbreitete  und  auch  die  ^iksha  verbreiten  liefs,  er,  der  Galava. 


Adhyaya  344  (B.  342).  815 

105.  (13264.)  Ferner  auch  der  glorreiche  Konig  Brahma- 
datta  Kandarika  [nach  Nil. ;  Harivanga  1256  fg.  sind  es  zwei 
Personen],  nachdem  er  das  Leiden  durch  Geburt  und  Tod 
immer  wieder  und  wieder  iiberdacht  hatte, 

106.  (13  265.)  sieben  Geburten  hindurch,  gelangte  wegen 
seiner  Vorziiglichkeit  zu  der  Gliickseligkeit  der  Yoga's.  Einst- 
mals  wurde  ich  auf  einen  besondern  Anlafs  bin  beriihmt, 
o  Prithasprofs,  als  der  Sohn 

107.  (13  266.)  des  Dharma,  deshalb  heifse  ich,  o  Kurutiger, 
Dharmaja.  —  Nara  und  Narayana  [in  denen  beiden  ich  ver- 
korpert  war]  iibten  vordem  unverganghche  Askese, 

108.  (13  267.)  indem  sie  den  Weg  der  Pflicht  einhielten 
auf  dem  Berge  Gandhamadana  (duftberauschend).  Um  diese 
Zeit  fand  auch  das  Opfer  des  Daksha  statt  (oben,  S.  511  fg.). 

109.  (13268.)  Dabei  hatte  Daksha  dem  Rudra  keinen  An- 
teil  bestimmt,  o  Bharata,  weshalb  dieser  auf  Anstiften  des 
Dadhici  das  Opfer  des  Daksha  storte, 

110.  (13  269.)  indem  er  im  Zorn  wiederholt  seinen  gliihen- 
den  Wurfspiefs  schleuderte,  welcher  das  Opfer  des  Daksha 
mit  allem  Zubehor  in  Asche  verwandelte. 

111.  (13  270.)  Nun  kam  der  Wurfspiefs  plotzlich  auf  uns 
zu  in  die  Badari-Einsiedelei  geflogen  und  traf  mit  machtigem 
Anprall  die  Brust  des  Narayana,  o  Prithasohn. 

112.  (13271.)  Darauf  nahmen  die  Haupthaare  fhe^aj  des 
Narayana  infolge  der  Glut  des  Wurfspiefses  die  Farbe  des 
Munjagrases  an;  darum  heifse  ich  MtmjaJccga  (muiijagras- 
haarig). 

113.  (13  272.)  Dieser  mit  machtigem  Sausen  geschleuderte 
Wurfspiefs  kehrte,  von  Narayana  zuriickgeschnellt,  in  die 
Hand  des  Qahkara  (Qiva)  zuriick. 

114.  (13  273.)  Da  rannte  Rudra  gegen  jene  beiden  in  Askese 
begriffenen  Rishi's  an,  aber  ihn,  wie  er  heranstiirmte,  packte 
am  Halse  mit  der  Hand 

115.  (13274.)  Narayana,  der  allbeseelende,  darum  fiihrt  (^^iva 
den  Namen  Qitikantha  (Blauhals,  vgl.  oben.  Vers  13206).  Nun 
raufte  Nara,  um  den  Rudra  niederzuschlagen,  einen  Halm  aus 

116.  (13275.)  und  besprach  ihn  alsbald  mit  Mantra's,  da 
ward  er  zu  einer  grofsen  Axt  fparaguj.    Diese  schleuderte  er 


816  III.    Moksliadharma. 

mit  solcher   Gewalt  gegen   den   Rudra,    dafs   sie  in   Stucke 
(IdiandamJ  brach, 

117.  (13  276.)  darum  heifse  ich  Khandaparagu,  weil  die 
Axt  in  Stiicke  gebrochen  war. 

Arjuna  sprach: 

(13277.)  0  Varshneya,  wer  hat  bei  diesem  Kampfe,  welcher 
die  Dreiwelt  hatte  vernichten  konnen, 

118.  den  Sieg  davongetragen  ?  Das  berichte  mir,  o  Heim- 
sucher  der  Menschen. 

Der  Heilige  sprach: 

(13  278.)  Als  diese  beiden,  Rudra  und  Narayana,  im  Kampfe 
handgemein  geworden  waren, 

119.  da  gerieten  jahlings  alle  Welten  insgesamt  in  Ver- 
wirrung:  (13  279.)  das  Feuer  wollte  bei  den  Opferfesten  die 
wohldargebrachte  Opferspeise  nicht  verzehren, 

120.  die  im  Geiste  bereiteten  Rishi's  konnten  sich  nicht 
auf  die  Veden  besinnen,  (13280.)  Rajas  und  Tamas  drangen  in 
die  Gotter  ein, 

121.  die  Erde  erbebte,  der  Himmel  zerbarst,  (13281.)  die 
Sterne  verloren  ihren  Glanz,  Gott  Brahman  geriet  auf  seinem 
Sitze  ins  Schwanken, 

122.  der  Ozean  vertrocknete  und  der  Himalaya  zerrifs. 
(13282.)  Auf  diese  Anzeichen  bin,  o  Pandusprofs, 

123.  begab  sich  Gott  Brahman,  von  den  Gotterscharen 
und  den  hochsinnigen  Rishi's  umgeben,  (13  283.)  alsbald  in  jene 
Gegend,  wo  der  Kampf  tobte. 

124.  Und  mit  ausgestreckten  hohlen  Handen  sprach  der 
Vierangesichtige,  im  Unaussprechlichen  Weilende  (13284.)  zu 
Rudra  das  Wort:  Heil  moge  den  Welten  widerfahren! 

125.  Strecke  die  Waffen,  o  Allherr,  aus  Liebe  fiir  das 
Wohl  der  Welt.  (13  285.)  Denn  was  jenes  Unvergangliche,  Un- 
offenbare,  Gottherrliche,  Weltbildende, 

126.  Allerhochste,  Wirkende,  Gegensatzfreie  ist,  was  sie 
auch  als  den  Nichtwirkenden  bezeichnen,  (13286.)  das  erscheint, 
zur  Entfaltung  gelangt,  als  diese  eine  schone  Gestalt. 

127.  Als  Nara   und    Narayana,    welche    im    Hause    des 


Adhyaya  3-44  (B.  342).  817 

Dharma  geboren  wurden  (13  287.)  als  grofser  Askese  teilhaftige, 
Starke  Geliibde  befolgende,  beste  Gotter,  entfaltet  es  sich. 

128.  Ich  bin  aus  ihrer  Gnade  geboren  bei  einem  be- 
stimmten  Anlafs,  (13  288.)  und  du,  o  Freund,  bist  aus  ihrem 
Zorne  entstanden  in  einer  friihern  Schopfungsperiode  zu 
ewiger  Dauer. 

129.  Mit  mir  im  Verein,  o  Gabenspender,  mit  den  Gottern 
und  den  grofsen  Rishi's  (13289.)  sohne  dich  alsbald  mit  jenem 
aus,  und  Friede  moge  sogleich  den  Welten  werden. 

130.  Nach  diesen  Worten  des  Gottes  Brahman  liefs  Rudra 
ab  von  dem  Feuer  seines  Zornes,  (13290.)  sohnte  sich  mit  dem 
machtigen  Gotte  Narayana  aus  und  begab  sich  in  den  Schutz 
des  uranf  anglichen,  liebenswerten,  gabenspendenden  Gottherrn. 

131.  (13291.)  Da  wurde  der  gabenspendende,  iiber  den  Zorn 
erhabene,  seine  Sinne  beherrschende  Gott  von  Freude  erfiillt, 
als  er  mit  dem  Rudra  wieder  einig  geworden  war, 

132.  (13292.)  und  von  den  Rishi's,  von  Gott  Brahman  und 
von  den  Gottern  hochgeehrt,  sprach  zu  dem  gottlichen  Herr- 
scher  (Rudra)  der  Herrscher  der  Welt,  Hari : 

13P*^  (13  293.)  Wer  dich  kennt,  der  kennt  mich,  wer  dir 
anhangt,  der  hangt  mir  an.  Kein  Unterschied  ist  zwischen 
uns  beiden,  mogest  du  nie  anders  denken. 

133.  (13  294.)  Von  nun  an  soil  das  Abzeichen  (Jrivatsa  als 
Mai  deines  Speeres  an  mir  zu  sehen  sein,  und  du  sollst,  von 
meiner  Hand  gezeichnet,  den  Namen  Crikantha  (Schonhals) 
tragen. 

Der  Heilige  [Krishna  als  der  Erzahler]  sprach: 

134.  (13  295.)  Nachdem  sie  in  dieser  Weise  sich  gegen- 
seitig  gezeichnet  batten  und  nachdem  die  beiden  Rishi's  (Nara 
und  Narayana)  mit  Rudra  einen  unvergleichlichen  Freund- 
schaftsbund  geschlossen  batten, 

135.  (13296.)  entliefsen  sie  die  Himmelsbewohner  und  gaben 
sich  wieder  mit  ungeteiltem  Geiste  der  Askese  bin.  —  Damit 
babe  ich  dir,  o  Prithasohn,  den  Sieg  des  Narayana  im  Kampfe 
erzahlt, 

136.  (13297.)  und  auch  die  geheimnisvollen ,  unsagbaren 
Namen,  o  Bharata,  welche  ihm  von  den  Rishi's  beigelegt 
worden  sind,  habe  ich  dir  mitgeteilt. 

Detjsseh,  Mahabh&ratam.  52 


818  ni.    Mokshadharma. 

137.  (13298.)  So  durchwandle  ich  in  mancherlei  Gestalten 
die  Erde  hier  sowie  die  Brahmanwelt ,  o  Kuntisohn,  und  die 
Goloha  (Welt  der  Kiihe,  Krishna's  Himmel)  genannte  ewige 
Statte. 

138.  (13  299.)  Von  mir  bist  du  [o  Arjuna]  im  Kampfe  be- 
schiitzt  worden  und  hast  den  grofsen  Sieg  errungen.  Aber 
jener,  der  *dir  voranzog,  als  der  Kampf  entbrannt  war, 

139.  (13300.)  das  ist  Rudra,  der  muschelhaarige  Gottergott, 
das  sollst  du  wissen,  o  Kuntisohn;  er  wird  auch  Kala  (die 
vernichtende  Zeit)  genannt  und  ist  aus  meinem  Zorn  ent- 
sprungen,  wie  ich  dir  erzahlt  habe. 

140.  (13  301.)  Von  ihm  sind  die  Feinde  getotet  worden,  welche 
du  vordem  erschlagen  hast ;  ihn,  den  unermefslich  machtigen 
Gottergott,  den  Gemahl  der  Uma,  (13302.)  verehre  als  Gott 
mit  Hingebung,  den  Herrn  des  Alls,  den  unverganghchen  Hara. 

141.  Und  ihm,  von  dem  ich  dir  wiederholt  erklart  habe, 
dafs  er  aus  meinem  Zorn  entsprungen  ist,  (13303.)  gehort  die 
Macht  an,  nach  dem,  was  du  vorher  gehort  hast,  o  Gutgewinner. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Geachichte  vom  Narayana 
(Ndrdyaniyam). 


Adhyaya  345  (B.  343). 

Vers  13304-13370  (B.  l-dT). 

Qaunaka  sprach ; 

1.  (13  304.)  0  Sauti,  da  hast  du  eine  grofse  Geschichte  er- 
zahlt, bei  deren  Anhoren  alle  die  Muni's  in  die  hochste  Ver- 
wunderung  versetzt  worden  sind. 

2.  (13  305.)  Das  Durchmachen  aller  Lebensstadien,  das 
Baden  in  alien  heiligen  Badeplatzen  ist  nicht  so  frucht- 
bringend,  o  Sauti,  wie  die  Erzahlung  vom  Narayana. 

3.  (13306.)  Wir  sind  gelautert  worden  an  alien  Gliedern, 
nachdem  wir  von  Anfang  an  diese  auf  Narayana  beziigliche 
heilige,  von  allem  Bosen  befreiende  Erzahlung  angehort  haben. 

4.  (13307.)  Schwer  zu  schauen  ist  der  heilige,  von  aller 
Welt  verehrte  Gott  von  alien  Gottern  nebst  Gott  Brahman 
und  von  den  grofsen  Rishi's. 


Adhy&ya  345  (B.  343).  819 

5.  (13308.)  Und  dafs  Narada  den  Gott  Hari  Narayana  ge- 
schaut  hat,  wahrlich,  das  ist  eine  besondere  Gnadenbezeigung 
jenes  Gottes,  o  Sohn  des  Suta. 

6.  (13309.)  Dafs  aber  Narada,  nachdem  er  den  Herrn  der 
Welt  in  Gestalt  des  Aniruddha  gesehen  hatte,  wieder  zuriick- 
geeilt  ist,  um  die  beiden  trefflichen  Gotter 

7.  (13310.)  Nara  und  Narayana  zu  schauen,  davon  teile 
mir  die  Ursache  mit. 

Sauti  sprach: 
(13311.)    Als  jenes    Opfer  des  Konigs   [Janamejaya] ,    des 
Sohnes  des  Parikshit,  stattfand, 

8.  und  wahrend  die  iibrigen  Zeremonien  vorschrifts- 
mafsig  vonstatten  gingen,  o  (^aunaka,  (13312.)  geschah  es,  dafs 
den  machtigen  Vyasa,  den  vedafesten  Weisen  Krishna  Dvai- 
payana, 

9.  der  Fiirst  der  Konige  [Janamejaya]  befragte,  ihn,  den 
Urgrofsvater  seines  Grofsvaters. 

Janamejaya  sprach : 
(13313.)   Als  der  Gotterweise  Narada  aus  (^vetadvipa  zu- 
riickkehrte 

10.  und  das  Wort  des  heiligen  Gottes  iiberdachte,  was 
hat  er  da  weiter  unternommen?  (13314.)  Als  er  in  die  Ein- 
siedelei  Badari  zuriickgekehrt  war  und  dort  die  beiden  Rishi's 
[Nara  und  Narayana]  angetroffen  hatte, 

11.  wie  lange  Zeit  blieb  er  da  bei  ihnen,  und  wonach 
hat  er  sie  noch  gefragt?  (13315.)  Denn  aus  der  ausfiihrlichen, 
hunderttausend  Verse  umfassenden  Erzahlung  von  den  Bha- 
rata's  (aus  dem  Mahabharatam) 

12.  hat  man  durch  Quirlung  dieses  unvergleichlichen 
Ozeans  des  Wissens  mit  dem  Quirlstabe  des  Geistes  — 
(13316.)  wie  Butter  aus  der  Milch,  wie  Sandelholz  aus  dem 
Malayagebirge, 

13.  wie  das  Aranyakam  [mit  seiner  Upanishad]  aus  den 
Veden,  wie  das  Amritam  der  Arzneien  aus  den  Krautern,  — 
(13317.)  das  Amritam  dieser  Erzahlung  herausgequirlt,  0  Brah- 
mane, 

14.  namlich  die  Erzahlung  vom  Narayana,  welche  du, 

52* 


820  in.  Mokshadharma. 

o  Hort  der  Askese,  mitgeteilt  hast.     (13318.)  Er,  der  heilige 
Gott,  ist  der  Herr,  ist  der  Bildner  des  Selbstes  aller  Wesen. 

15.  0  wie  grofs  ist  die  Kraft  des  Narayana,  die  schwer 
zu  schauende,  0  Bester  der  Zwiegeborenen,  (13319.)  in  welche 
am  Ende  des  Kalpa  eingehen  alle  Gotter  mit  Brahman  an 
der  Spitze, 

16.  die  Rishi's  und  Gandharven  mit  allem  Beweglichen 
und  UnbewegHchen.  (13320.)  Kein  hoheres  Lauterungsmittel 
als  ihn  gibt  es  im  Himmel  und  hienieden,  so  glaube  ich. 

17.  Ja,  wahriich,  das  Durchmachen  aller  Lebensstadien, 
das  Baden  in  alien  heiligen  Badeplatzen  (13321.)  ist  nicht  so 
fruchtbringend  wie  die  Erzahlung  vom  Narayana. 

18.  In  jeder  Weise  sind  wir  gelautert  worden,  die  wir 
diese  Erzahlung  von  Anfang  an  angehort  haben,  (13322.)  die 
Erzahlung  von  Hari,  dem  Herrn  des  Alls,  welche  alle 
Siinde  tilgt. 

19.  Nichts  Wunderbares  ist  es,  was  mein  Vorfahr,  der 
Gutgewinner  Arjuna,  damals  ausrichtete,  (13  323.)  da  er  den 
Vasudeva  als  Gefahrten  hatte,  als  er  den  hochsten  Sieg 
errang. 

20.  Und  nichts  in  alien  drei  Welten  war  unerreichbar 
fur  ihn,  so  glaube  ich,  (13324.)  weil  Vishnu,  der  Herr  der  drei 
Welten,  ihm  Beistand  leistete. 

21.  Und  alle  meine  Vorfahren  waren  gliicklich,  o  Brah- 
mane,  (13325.)  welchen  der  Heimsucher  der  Menschen  (Vishnu) 
zum  Wohl  und  Heil  verholfen  hat. 

22.  Der  von  der  Welt  verehrte  heilige  Gott  kann  durch 
Askese  wohl  geschaut  werden,  (13326.)  er,  den  sie  vor  Augen 
geschaut  haben,  das  Mai  Qrivatsa  als  Zierde  tragend. 

23.  Aber  gliicklicher  als  diese  alle  ist  Narada,  der  Sohn 
des  Parameshthin,  (13327.)  und  ich  weifs,  dafs  dieser  Narada, 
der  unvergangliche  Weise,  eine  nicht  geringe  Macht  besitzt, 

24.  von  welchem,  als  er  nach  Qvetadvipa  gekommen  war, 
Hari  selbst  sich  schauen  liefs;  (13328.)  nur  auf  der  Gnade  des 
Gottes  beruht  ein  solches  leibhaftiges  Schauen  desselben. 

25.  Dafs  Narada  aber,  nachdem  er  damals  den  Gott  in 
der  Erscheinungsform  des  Aniruddha  gesehen  hatte,  (13329.) 
wieder  zu  der  Einsiedelei  Badari  zuriickeilte, 


Adhyaya  345  (B.  343).  821 

26.  um  den  Nara  und  Narayana  zu  sehen,  welcher  Grund 
hat  ihn  dazu  veranlafst,  o  Muni?  (13330.)  Und  als  nun  Narada, 
der  Sohn  des  Parameshthin ,  von  (^vetadvipa  zuriickgekehrt 

27.  und  zur  Einsiedelei  Badari  gelangt,  mit  jenen  beiden 
Rishi's  zusammengetroffen  war,  (13331.)  wie  lange  Zeit  weilte 
er  damals  dort,  und  welche  Fragen  stellte  er? 

28.  Und  als  jener  Hochsinnige  von  ^vetadvipa  zuriick- 
gekehrt war,  (13332.)  was  sprachen  da  zu  ihm  die  hochsinnigen 
Rishi's  Nara  und  Narayana? 

29.  Das  alles  mogest  du  mir  der  Wahrheit  gemafs  er- 
zahlen. 

Vai5amp&,yana  spracli: 
(13333.)  Verehrung  sei  jenem  heiligen,  unermefslich  starken 
Vyasa, 

30.  durch  dessen  Gnade  ich  instand  gesetzt  worden  bin, 
diese  Erzahlung  von  Narayana  mitzuteilen.  (13334.)  Nachdem 
er  also  zu  der  grofsen  weifsen  Insel  gekommen  war  und  dort 
den  ewigen  Hari  geschaut  hatte, 

31.  kehrte  Narada  zuriick,  o  Konig,  und  gelangte  schnell 
zum  Meru.  (13335.)  Wahrend  er  in  seinem  Herzen  die  Last 
dessen  bewegte,  was  ihm  der  hochste  Atman  gesagt  hatte, 

32.  bemachtigte  sich  alsbald  seines  Geistes  eine  grofse 
Erregung,  o  Konig.  (13  336.)  Als  er  von  der  langen  Reise  wohl- 
behalten  zuriickgelangt  war, 

33.  begab  er  sich  von  dem  Meru  weiter  zu  dem  Berge 
Gandhamadana  (13337.)  und  stieg  eilend  aus  der  Luft  herab 
zu  der  geraumigen  Einsiedelei  Badari. 

34.  Dort  erblickte  er  die  beiden  alten  G  otter,  die  besten 
Rishi's,  (13  338.)  wie  sie  machtige  Askese  iibten,  im  Atman  fest 
und  grofsen  Geliibdes, 

35.  an  Glanz  der  die  ganze  Welt  bestrahlenden  Sonne 
iiberlegen,  (13339.)  mit  dem  Male  Qrivatsa  geziert,  verehrungs- 
wiirdig,  Haarflechtenkranze  tragend. 

36.  Ihre  Fiifse  und  Hande  waren  mit  Schwimmhauten 
versehen  [als  Abzeichen  ihrer  Gottlichkeit],  ihre  Sohlen  trugen 
das  Zeichen  des  Diskus,  (13340.)  durch  breite  Brust,  lange 
Arme  und  vier  Hoden  zeichneten  sie  sich  aus, 

37.  durch  sechzig  Zahne  und  acht  Eckzahne,  ihre  Stimme 


822  III.    Mokshadharma. 

glich  dem  Regengeprassel ;  (i334i.)  schonmundig,  breitgestirnt, 
schonbrauig,  schon  an  Kinnbacken  und  Nase  waren  sie; 

38.  Sonnenschirmen  ahnlich  waren  die  Haupter  der  beiden 
Gotter;  (is 342.)  so  war  das  Aussehen  der  beiden,  welche  den 
Namen  der  grofsen  Purusha's  fiihren. 

39.  Bei  ihrem  Anblicke  freute  sich  Narada,  und  von  ihnen 
mit  Ehrerbietung  empfangen,  (13343.)  willkommen  geheifsen 
und  nach  seinem  Befmden  befragt, 

40.  wurde  er  nachdenklich ,  als  er  die  beiden  hochsten 
Purusha's  betrachtete.  (13344.)  Jenen  versammelten,  von  alien 
"Wesen  verehrten  Mannern, 

41.  die  ich  in  Qvetadvipa  gesehen  habe,  gleichen  an  Aus- 
sehen diese  beiden  besten  Rishi's;  (13345.)  so  dachte  er  bei 
sich,  umkreiste  sie  von  rechts  her 

42.  und  setzte  sich  auf  einem  schonen  Sitze  aus  KuQa- 
gras  nieder.  (13346.)  Nachdem  die  beiden  als  Gefafse  der 
Askese,  des  Ruhmes  und  der  Kraft  erscheinenden 

43.  Rishi's,  von  Ruhe  und  Bezahmung  erfiillt,  ihre  Morgen- 
andacht  beendet  hatten,  (13 347.)  ehrten  sie  gesammelten  Geistes 
den  Narada  mit  Fufswasser  und  Gastspende, 

44.  erfiillten  die  taglichen  Pflichten  gegen  den  Gast  und 
liefsen  sich  auf  ihren  Sitzen  nieder.  (13348.)  Und  wie  sie  so 
dasafsen,  strahlte  die  ganze  Gegend 

45.  wie  die  Opferstatte  von  den  Opferfeuern,  wenn  sie 
durch  einen  Buttergufs  hoch  emporflammen.  (13349.)  Da  rich- 
tete  Narayana  die  Rede  an  Narada, 

46.  welcher,  ermiidet  und  durch  die  Gastspende  gelabt, 
sich  behaglich  niedergelassen  hatte. 

Nara  und  Narayana  sprachen: 
(13  350.)  Weilt  auch  jetzt  noch  der  heilige,  ewige,  hochste 
Atman, 

47.  der  Urquell  unser  beider,  in  Qvetadvipa,  und  hast 
du  ihn  dort  gesehen? 

Narada  sprach: 

(13351.)  Wohl  habe  ich  ihn  gesehen,  den  seligen,  all- 
gestaltigen,  ewigen  Purusha, 


Adhyaya  345  (B.  343).  823 

48.  in  welchem  alle  Welten  ruhen  mitsamt  den  Gottern 
und  den  Rishi's,  (13352.)  und  auch  heute  sehe  ich  ihn,  indem 
ich  euch,  ihr  Ewigen,  betrachte. 

49.  Denn  die  Merkmale,  mit  welchen  der  verborgen- 
gestaltige  Hari  geziert  war,  (13353.)  dieselben  Merkmale  tragt 
auch  ihr  beiden  in  sichtbarer  Gestalt  an  euch. 

50.  Schon  dort  sah  ich  euch  neben  jenem  Gotte  stehen, 
(13354.)  und  bin  nun  hierhergekommen,  nachdem  mich  jener 
hochste  Atman  entlassen  hat. 

51.  Wer  konnte  aber  auch  an  Kraft,  Ruhm  und  Schon- 
heit  (13  355.)  in  den  drei  Welten  jenem  vergleichbar  sein  aufser 
euch  beiden  Sohnen  des  Dharma! 

52.  Er  hat  mir  die  vollstandige  Satzung  mitgeteilt,  welche 
den  Namen  des  Kshetrajna  an  sich  tragt,  (13356.)  und  auch 
seine  Verkorperungen  hat  er  mir  aufgezahlt,  in  denen  er 
kiinftig  in  der  Welt  erscheinen  wird. 

53.  Jene  weifsen,  ohne  die  fiinf  Sinnesorgane  lebenden 
Manner,  (13357.)  welche  alle  erweckt  und  dem  hochsten  Purusha 
ergeben  sind, 

54.  diese  preisen  allezeit  den  Gott,  und  er  hat  seine 
Freude  in  Gemeinschaft  mit  ihnen.  (13  358.)  Denn  der  von 
seinen  Freunden  verehrte  und  den  Zwiegeborenen  holde,  hei- 
lige  (hhagavdnj  ^  hochste  Atman 

55.  freut  sich,  wenn  er  gepriesen  wird,  und  ist  stets  ein 
Freund  der  ihm  ergebenen  Bhagavata's.  (13359.)  Der  all- 
geniefsende,  allgegenwartige  Gott  Madhava,  der  Liebling 
seiner  Verehrer, 

56.  dieser  an  Kraft  und  Glanz  Ubermachtige  ist  Tater 
und  Ursache  und  Wirkung  zugleich.  (133G0.)  Er,  der  Hoch- 
beriihmte,  ist  der  Grund  und  das  Gesetz  und  das  Wesen. 

57.  Wenn  er  sich  zur  Askese  anschickt,  dann  strahlt 
noch  heller  als  Qvetadvipa  (1336I.)  sein  Glanz,  der  durch 
eigenes  Licht  leuchtet,  wie  es  heifst  (Brih.  Up.  4,3,6). 

58.  Das  ist  der  Friede,  welcher  von  ihm  bereiteten  Geistes 
den  drei  Welten  verliehen  wurde;  (13  362.)  mit  dieser  schonen 
Erkenntnis  hat  er  sein  beharrendes  Gelubde  angetreten. 

59.  Nicht  scheint  dann  die  Sonne,   nicht  strahlt  dann 


824  in.    Mokshadharma. 

der  Mond,  (13  363.)  nicht  weht  der  Wind,  wenn  der  Gotterherr 
seine  schwere  Askese  iibt. 

60.  Auf  einem  Altar,  acht  Spannen  hoch,  erhebt  sich 
iiber  die  Erde  der  Allschopfer,  (13364.)  er,  der  Gott,  auf  einem 
Fufse  stehend,  mit  emporgereckten  Armen,  mit  emporgericli- 
tetem  Angesicht, 

61.  die  Veden  nebst  Vedanga's  durchgehend,  so  iibt  er 
seine  schwer  zu  vollbringende  Askese.  (13  365.)  Was  Gott 
Brahman  und  die  Rishi's  sind  und  was  der  Herr  der  Herden 
(^iva)  selbst  ist, 

62.  und  die  iibrigen  besten  Gotter,  die  Daitya's,  Danava's 
und  Rakshasa's,  (13  366.)  die  Schlangen,  Vogel  und  Gandharven, 
die  Vollendeten  und  die  Konigsweisen, 

63.  diese  alle  bringen  das  vorschriftsmafsig  gespendete 
Gotter-  und  Manenopfer  dar,  und  (13367.)  das  alles  [naht]  den 
Fiifsen  des  Gottes,  wenn  er  [Askese  iibend]  dasteht. 

64.  Und  alle  Opfergaben,  welche  von  allein  ihm  Ergebenen 
dargebracht  werden,  (13  368.)  die  alle  nimmt  der  Gott  selbst 
durch  Neigen  des  Hauptes  in  Empfang. 

65.  Und  kein  anderer  wird  als  ihm  lieber  von  Erweck- 
ten,  Hochsinnigen  (13369.)  gewufst  in  den  drei  Wei  ten  [als  der 
ihm  allein  Hingegebene] ;  darum  bin  ich  zu  dieser  alleinigen 
Hingebung  an  ihn  gelangt 

66.  und  bin,  von  dem  Hochsinnigen  entlassen,  hierher 
zuriickgekehrt.  (13  370.)  In  dieser  Weise  hat  der  heilige  Gott 
Hari  selbst  zu  mir  geredet, 

67.  und  ihm  allein  ergeben,  will  ich  immerdar  in  eurer 
Nahe  verbleiben. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Geschichte  vom  Nar^yana 
(Ndrdyaniyam). 

Adhyaya  346  (B.  344). 

Vers  13371-13398  (B.  1-27). 

Nara  und  Narayana  sprachen: 
1.  (13371.)  Gluckhch  bist  du,  begnadet  bist  du,  dafs  du  den 
Herrn   selbst  geschaut  hast,   denn  ihn  hat  noch  keiner  ge- 
sehen,  nicht  einmal  der  Lotosgeborene  (Gott  Brahman)  selber. 


Adhyaya  346  (B.  344).  825 

2.  (13  372.)  Verborgenen  Ursprungs  und  schwer  zu  schauen 
ist  der  heilige,  hochste  Purusha,  o  Narada,  dieses  unser  Wort 
spricht  die  Wahrheit. 

3.  (13  373.)  Keiner  ist  ihm  lieber  in  der  Welt  als  wer  ihm 
ergeben  ist,  darum  hat  er  dir  sich  selbst  gezeigt,  o  Bester 
der  Zwiegeborenen. 

4.  (13  374.)  Denn  der  Ort,  an  welchem  von  dem  hochsten 
Atman  Askese  geiibt  wird,  kann  sonst  von  niemandem  be- 
treten  werden  aufser  uns  beiden,  o  Bester  der  Zwiegeborenen. 

5.  (13375.)  Denn  so  grofs  der  Glanz  von  tausend  vereinigten 
Sonnen  ist,  so  grofs  ist  der  Glanz  jener  Statte,  die  er  selbst 
bestrahlt. 

6.  (13  376.)  Aus  diesem  Gotte,  o  Brahmane,  als  Herrn  der 
Welt  stammt  das  Weltall,  stammt  die  Geduld  der  Geduldigen, 
o  Bester,  mit  welcher  die  Erde  ausgestattet  ist. 

7.  (13  377.)  Aus  diesem,  das  Wohl  aller  Wesen  wollenden 
Gotte  stammt  der  Geschmack,  mit  ihm  wurden  die  Wasser 
verbunden  und  erlangten  zugleich  die  Fliissigkeit. 

8.  (13378.)  Aus  ihm  ist  ferner  entstanden  das  Element, 
welches  die  Glut  und  das  Licht  als  Eigenschaften  an  sich 
tragt,  mit  diesem  wird  die  Sonne  ausgestattet,  darum  strahlt 
sie  im  Weltraume. 

9.  (13  379.)  Aus  diesem  Gotte,  dem  hochsten  Purusha, 
stammt  die  Eigenschaft  der  Beriihrung,  mit  welcher  der  Wind 
ausgestattet  wurde,  darum  durchbraust  er  die  Welt. 

10.  (13380.)  Aus  ihm,  dem  Herrn  und  Meister  aller  Wei  ten, 
stammt  auch  der  Ton,  mit  welchem  der  Ather  ausgestattet 
wurde,  darum  hat  er  keine  Schranken. 

11.  (13381.)  Aus  diesem  Gotte  stammt  das  alle  Wesen 
durchdringende  Manas,  mit  ihm  ist  der  Mond  verbunden, 
der  daher  die  Fahigkeit  der  Aufhellung  besitzt. 

12.  (13  382.)  Hervorbringerin  alles  Seienden  wird  jene  Statte 
im  Veda  genannt,  in  welcher,  von  der  Wissenschaft  begleitet, 
der  heilige  Geniefser  des  Gotter-  und  Manenopfers  weilt. 

13.  (13  383.)  Die  nun,  welche  in  dieser  Welt  fleckenlos, 
frei  von  Gutem  und  Bosem  leben,  fiir  diese  den  Weg  des 
Friedens  Gehenden,  o  Bester  der  Zwiegeborenen, 


826  HI,   Mokshadharma. 

14.  (13  384.)  ist  der  die  Finsternis  in  aller  Welt  ver- 
scheuchende  Sonnengott  die  Eingangspforte.  Nachdem  dort 
ihr  ganzer  Korper  von  der  Sonne  verzehrt  ist,  gehen  sie  un- 
sichtbar  fur  jeden  iiberall 

15.  (13385.)  und  atomklein  geworden  zu  jenem  Gotte  ein. 
Und  auch  von  ihm  entlassen,  nachdem  sie  in  ihm,  dem  Ani- 
ruddha,  geweilt  hatten, 

16.  (13386.)  gehen  sie,  zum  Manas  geworden,  in  Pradyumna 
ein;  und  auch  von  Pradyumna  freigelassen,  gehen  sie  sodann 
in  den  Jiva,  d.  i.  Sankarshana,  ein, 

17.  (13  387.)  sie,  die  vorziigHchsten  Brahman  en,  die  Sah- 
khya's  mitsamt  den  Bhagavata's.  Und  sodann  gehen  sie, 
von  dem  Dreigunawerk  befreit,  unmittelbar  in  den  hochsten 
Atman  ein, 

18.  (13388.)  die  Besten  der  Zwiegeborenen  zu  dem  guna- 
losen  Kshetrajfia.  Dieser  Kshetrajna  ist  in  Wahrheit  Vasu- 
deva,  der  Befasser  (dvdsaj  des  Weltalls. 

19.  (13389.)  Und  zu  diesem  Vasudeva  gehen  ein  die,  welche 
gesammelten  Geistes,  bezahmt,  ihre  Sinne  beherrschend  und 
zur  alleinigen  Hingebung  an  ihn  gelangt  sind. 

20.  (13  390.)  Auch  wir  beiden,  die  wir,  o  Bester  der  Zwie- 
geborenen, in  dem  Hause  des  Dharma  geboren  sind,  haben 
uns  in  diese  hebliche,  geraumige  Einsiedelei  zuriickgezogen 
und  furchtbare  Askese  geiibt. 

21.  (13391.)  Was  aber  die  kiinftigen,  von  den  Gottern  ge- 
Hebten  Verkorperungen  dieses  Gottes  in  den  drei  Welten 
betrifft,  so  geschieht  es  um  ihres  Besten  willen  [dafs  wir 
diese  Askese  iiben],  o  Zwiegeborener. 

22.  (13  392.)  Aber  auch  von  uns  beiden,  die  wir  nach  wie 
vor  an  unsere  eigene  Satzung  gebunden  sind,  o  Bester  der 
Zwiegeborenen,  und  ein  in  jedem  Sinne  beschwerhches ,  un- 
vergleichhches  Geliibde  ununterbrochen  betreiben, 

23.  (13  393.)  auch  von  uns  hist  du  in  (^vetadvipa  gesehen 
worden,  o  Askesereicher,  wie  du  dem  HeiHgen  nahtest  und 
ihm  deinen  Wunsch  vortrugst. 

24.  (13  394.)  Denn  alles  ist  uns  bewufst  in  dieser  Dreiwelt 
des  Beweghchen  und  Unbeweghchen ,  das  Zuklinftige,  Ver- 
gangene  und  Gegenwartige,  das  Gute  wie  das  Bose,  (13395.)  [und 


Adhyaya  346  (B.  344).  827 

SO  wissen  wir  auch,  dafs]  jener  Gottergott  dir  alles  mitgeteilt 
hat,  o  grofser  Muni. 

Vai^ampayana  sprach: 

25.  (13  396.)  Nachdem  Narada  dieses  Wort  der  beiden  in 
furchtbarer  Askese  Begriffenen  gehort  hatte,  fing  er  an,  mit 
zusammengelegten  Handen  und  dem  Narayana  einzig  ergeben, 

26.  (13397.)  der  Vorschrift  gemafs  viele  auf  den  Narayana 
beziigliche  Mantra's  zu  murmeln,  und  so  verblieb  er  tausend 
Gotterjahre  in  der  Einsiedelei  des  Nara  und  Narayana, 

27.  (13398.)  er,  der  hochmachtige,  heilige  Weise  Narada, 
indem  er  jenen  Gott  verehrte  wie  auch  beide,  den  Nara  und 
Narayana. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Geschichte  vom  N&r&yana 

(Ndrdyaniyam). 


Adhyaya  347  (B.  345). 

Vers  13399-13426  (B.  1-28). 

Vaigampayana  sprach: 

1.  (13  399.)  Nun  geschah  es  einstmals  wahrend  dieser  Zeit, 
dafs  Narada,  der  Sohn  des  Parameshthin ,  nachdem  er  das 
Gotteropfer  regelrecht  dargebracht  hatte,  sodann  das  Opfer 
an  die  Vater  vornahm. 

2.  (13400.)  Da  sprach  zu  ihm  der  alteste  Sohn  des  Dharma, 
der  Herr,  das  "Wort:  Wer  ist  es,  dem  du,  o  Bester  der  Zwie- 
geborenen,  opferst,  wenn  du  ein  Opfer  fiir  die  Gotter  oder 
Vater  darbringst? 

3.  (13401.)  Das  sage  mir,  o  Bester  der  Verstandigen,  ent- 
sprechend  der  heihgen  Uberheferung  [die  du  dabei  befolgst]. 
Welches  ist  das  Werk,  das  du  betreibst,  und  welche  Frucht 
erstrebst  du  dabei? 

Narada  sprach: 

4.  (13402.)  Schon  ehedem  hast  du  mir  gesagt,  dafs  man 
den  Gottern  opfern  miisse;  das  Opfer  an  die  Gotter  ist  das 
hochste,  ist  der  ewige,  hochste  Atman  selbst. 


828  HI.    Mokshadharma. 

5.  (13403.)  Darum,  in  dieser  Weise  belehrt,  verehre  ich. 
durch  mein  Opfer  den  unverganglichen  Vaikuntha.  Aus  ihm 
ist  vordem  entsprossen  Gott  Brahman,  der  Urvater  der  Welt. 

6.  (13404.)  Diesen  erzeugte  erfreut  der  Allerhochste  als 
meinen  Vater,  und  ich  bin  der  aus  seinem  Wunsche  geborene 
Sohn,  der  Erstgewiinschte. 

7.  (13405.)  Den  Vatern  aber  opfere  ich,  o  Outer,  auf  den 
Befehl  des  Narayana,  so  sehr  ist  dieser  HeiHge  fiir  mich 
Vater,  Mutter  und  Grofsvater, 

8.  (13  406.)  und  bei  den  Opfern  an  die  Vater  wird  daher 
allezeit  der  Herr  der  Welt  verehrt.  Audi  besagt  eine  andere 
gottliche  Schriftiiberlieferung,  dafs  die  Vater  ihren  Sohnen 
geopfert  hatten; 

9.  (13  407.)  namlich  als  die  Vedaiiberlieferung  vergessen 
worden  war,  wurde  sie  ihnen  von  den  Sohnen  wieder  gelehrt, 
und  so  stiegen  die  mantraspendenden  Sohne  zum  Range  der 
Vater  auf. 

10.  (13408.)  Gewifs  habt  ihr  beiden,  deren  Geist  bereitet 
ist,  von  den  Gottern  die  Geschichte  vernommen,  wie  die  Sohne 
und  die  Vater  sich  abwechselnd  gegenseitig  verehrt  haben, 

11.  (13409.)  indem  sie  auf  die  vorher  mit  Kugagras  be- 
streute  Erde  drei  Pinda's  (Klofse)  legten.  Aber  wie  kommt  es 
wohl,  dafs  die  Vater  auch  den  Namen  Pinda  erhalten  haben? 

Nara  und  Narayana  sprachen: 

12.  (13410.)  Einstmals  war  diese  ozeanumgiirtete  Erde  ver- 
sunken,  da  hat  sie  Govinda,  indem  er  die  Gestalt  eines  Ebers 
annahm,  alsbald  wieder  heraufgeholt. 

13.  (13411.)  Nachdem  aber  der  hochste  Purusha  die  Erde 
wdeder  an  ihrem  Orte  befestigt  hatte,  wollte  er,  der  sich  bei 
der  Anstrengung  um  des  Heiles  der  Welt  willen  mit  Wasser- 
schlamm  beschmutzt  hatte, 

14.  (13412.)  da  die  Sonne  im  Verlaufe  des  Tages  gerade 
ihren  [heifsesten]  Stand  zur  Mittagszeit  erreicht  hatte,  drei 
an  seinen  Hauern  hangengebliebene  Klofse  fpindaj  mit  Gewalt 
abschiitteln. 

15.  (13  413.)  Er  schleuderte  sie  auf  die  Erde,  die  er  vorher 
mit  Kugagras  bestreut  hatte,  o  Narada,  und  in  ihrer  Form 


Adhyaya  347  (B.  345).  829 

brachte  er,  auf  sich  selbst  Bezug  nehmend,  das  Vateropfer 
dar,  wie  es  die  Vorschrift  erheischt. 

16.  (13414.)  Und  nachdem  der  Herr  die  drei  Klofse  nach 
seinem  eigenen  Brauche  zubereitet  hatte  mit  01  enthaltenden 
Sesamkornern,  die  aus  der  Erhitzung  seines  eigenen  Leibes 
entsprungen  waren, 

17.  (13415.)  weihte  der  Gottherr  sie  als  Darbringung  und 
vollbrachte  es  selbst,  mit  dem  Angesicht  nach  Osten  gewandt. 
Und  um  eine  Satzung  aufzurichten ,  sprach  er  sodann  das 
folgende  Wort. 

Vrishakapi  (oben,  Vers  13247  fg.)  sprach: 

18.  (13416.)  Als  ich  als  Weltschopfer  mich  selbst  dazu 
anschickte,  die  Vater  (pitarah  als  Ace.)  zu  schaffen,  da  warden 
von  mir  alsbald,  wahrend  ich  (tasya  mit  C.)  iiber  die  hochsten 
Satzungen  der  den  Vatern  darzubringenden  Opfer  nachdachte, 

19.  (13417.)  diese  Klofse  von  meinen  Hauern  nach  Siiden 
hin  abgeschiittelt,  und  indem  sie  zur  Erde  fielen,  entstanden 
dadurch  die  Viiter. 

20.  (13418.)  Ohne  feste  Formen  sind  die  drei  Klofse;  und 
so  sollen  auch  die  ewigen,  von  mir  geschaffenen  Vater  (Manen) 
diesen  Klofsen  an  Gestalt  gleich  sein. 

21.  (13419.)  Und  als  der  [abgeschiedene]  Vater,  Grofsvater 
und  Urgrofsvater  bin  ich  zu  verstehen,  der  ich  in  den  drei 
Klofsen  weile. 

22.  (13420.)  Keinen  Hohern  gibt  es  als  mich,  welcher  andere 
konnte  also  von  mir  verehrt  werden  oder  mein  Vater  in  der 
Welt  sein!    Ich  bin  ja  der  Grofsvater 

23.  (13421.)  und  der  Vater  des  Grofsvaters,  bin  der  letzte 
Urgrund.  Nachdem  der  Gottergott  als  Vrishakapi  dieses  Wort 
gesprochen  hatte, 

24.  (13422.)  legte  er  die  Klofse  mit  Zubehor  auf  dem  Eber- 
berge  nieder,  o  Brahmane,  zollte  sich  selbst  [als  in  den  Klofsen 
befindlich]  Verehrung  und  verschwand. 

25.  (13423.)  Das  ist  also  seine  Einsetzung,  o  Brahmane, 
dafs  die  Vater  unter  dem  Namen  der  Klofse  immerdar  Ver- 
ehrung empfangen,  dem  Worte  des  Vrishakapi  entsprechend. 

26.  (13424.)    Wer    nun    den    Vatern,    Gottern,    Lehrern, 


830  ni.    Mokshadharma. 

Gasten,  Kiihen,  Brahmanenobersten  und  der  Mutter  Erde  Ver- 
ehrung  zollt 

27.  (13425.)  in  Werken,  Gedanken  oder  Worten,  der  ver- 
ehrt  damit  den  Vishnu  selbst.  Er,  der  Heilige,  ist  in  allem 
Seienden  verkorpert, 

28.  (13426.)  ein  und  derselbe  in  alien  Wesen,  er,  der  iiber 
Lust  und  Leid  erhabene,  grofse,  grofswesenhafte ,  allwesen- 
hafte  Narayana,  so  lehrt  die  Schrift. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Geschichte  vom  Narayana 
(Ndrdyantyam) . 


Adhyaya  348  (B.  346). 

Vers  13427-13448  (B.  1-22). 

Vaigampaj'ana  sprach : 

1.  (13427.)  Als  Narada  diese  von  Nara  und  Narayana  aus- 
gehende  Rede  vernommen  hatte,  da  kam  er,  voll  Liebe  er- 
fiillt,  zur  absoluten  Alleinverehrung  dieses  Gottes. 

2.  (13428.)  Nachdem  er  somit  tausend  Jahre  in  der  Einsiedelei 
des  Nara  und  Narayana  geweilt,  die  Erzahlung  von  dem  Heiligen 
gehort  und  den  unverganglichen  Hari  selbst  geschaut  hatte, 

3.  (13429.)  kehrte  er  alsbald  zum  Himalaya  zuriick,  wo 
seine  eigene  Einsiedelei  stand.  Und  sie,  die  beriihmten  Asketen 
und  Weisen  Nara  und  Narayana, 

4.  (13430.)  fuhren  fort,  in  ihrer  lieblichen  Einsiedelei  die 
hochste  Askese  zu  iiben.  Aber  auch  du  [o  Janamejaya],  un- 
ermefslich  tapferer  Nachkomme  der  Pandava's, 

5.  (13431.)  bist  nunmehr  in  deinem  Geiste  gelautert  worden, 
weil  du  diese  Erzahlung  von  Anfang  an  vernommen  hast.  Eiir 
den  gibt  es  nicht  jene  Welt  und  nicht  diese,  o  bester  Fiirst, 

6.  (13432.)  welcher  in  Werken,  Gedanken  oder  Worten  dem 
ewigen  Vishnu  feind  ist.  Dessen  Vater  versinken  in  die  Holle 
fiir  ewige  Zeiten, 

7.  (13433.)  welcher  den  Besten  der  Gotter,  den  Gott  Hari 
Narayana  hafst.  Wie  konnte  aber  irgend  jemandem  der 
Atman  (das  Selbst)  der  Welt  hassenswert  erscheinen! 


Adhyaya  348  (B.  346).  831 

8.  (13434).  Als  dieser  Atman  aber,  o  Manntiger,  ist  Vishnu 
anzuerkennen ,  das  steht  fest.  —  Jener  Weise  [Vyasa],  der 
Sohn  der  Gandhavati,  der  uiiser  Lehrer  ist, 

9.  (13435.)  von  dem  ist  jene  hochste,  ewige  Majestat  [des 
Vishnu]  verkiindet  worden,  von  ihm  habe  ich  sie  vernommen 
und  dir,  o  Untadhger,  mitgeteilt. 

10.  (13436.)  Narada  aber  ist  es,  welcher  diese  Lehre  mit 
ihren  Mysterien  und  sonstigem  Zubehor  .unmittelbar  von  dem 
Herrn  der  Welt  Narayana  erlangt  hat,  o  Fiirst. 

11.  (13437.)  Das  ist  die  grofse  Lehre,  und  sie,  mit  kurzen 
Vorschriften  versehen,  ist  dir  schon  vordem,  o  Bester  der 
Fiirsten,  mitgeteilt  worden  in  der  Harigita  (wohl  =  Bhaga- 
vadgita). 

12.  (13438.)  Aber  den  Vyasa,  den  Krishna  Dvaipayana  sollst 
du  wissen  als  den  auf  Erden  wandelnden  Narayana,  denn  wer 
anders  als  dieser,  o  Manntiger,  konnte  der  Verfasser  des 
Mahdbhdratam  sein, 

13.  (13439.)  und  wer  anders  aufser  ihm,  dem  Herrn,  konnte 
die  mannigfachen  Satzungen  verkiindigt  haben! 

14.  Nun  mag  das  grofse  Opfer  vor  sich  gehen,  wie  es 
von  dir  vorbereitet  worden  ist,  (13440.)  denn  du  hast  ja  das 
Rofsopfer  vorbereitet  und  das  Gesetz  nach  seiner  Wahrheit 
kennen  gelernt. 

Sauti  sprach: 

15.  (13  441.)  Nachdem  der  beste  Fiirst  [Janamejaya]  diese 
Erzahlung  angehort  hatte,  voilzog  er  alle  zur  Vollbringung 
des  Opfers  erforderlichen  Brauche. 

16.  (13  442.)  Dir  aber,  o  Qaunaka,  ist  diese  Geschichte  vom 
Narayana  heute  hier  auf  deine  Frage  von  mir  im  Kreise  der 
Bewohner  des  Naimishawaldes  erzahlt  worden, 

17.  (13443.)  wie  sie  einst  Narada  dem  Lehrer  der  Rishi's 
und  Panda va's  [wohl  Vyasa,  nach  Nil.  Brihaspati]  mitgeteilt 
hat,  wahrend  Krishna  und  Bhishma  zuhorten. 

18.*  (13  444.)  Er  [Narayana]  ist  ja  der  hochste  Weise, 
Herr  der  Menschen  und  der  Welt,  Trager  selbst  der 
breiten  Erde  und  der  Schrift  und  Zucht  Behalter,  Hort 


*  Tiber  die  Metra  von  18-22  vgl.  Hopkins,  The  Great  Epic,  p.  353. 


832  in.   Mokshadharma. 

des  Friedens  und  des  Zwanges,  hoch  die  Zucht  und 
Selbstzucht  schatzend,  Zwiegeborene  folgen  ihm,  und 
auch  dir  als  Zuflucht  diene  Hari,  der  unsterblich  Gute. 

19.  (13445.)  Er,  der  Toter  der  Damonen,  der  Behalter 
der  Askesen,  derBefasser  grofsen  Ruhmes,  Kaitabha's  und 
Madhu's  Toter,  Pflichtgetreuen  Weg  und  Zuflucht,  er,  der 
Opferanteilnehmer ,  moge  dir  auch  Schutz  verleihen. 

20.  (13  446.)  Dreigunahaft,  dreigunalos,  vier  der  Gestalten 
zeigend,  teilnehmend  an  der  Frucht  bei  Werk  und  Opfer,  er 
moge  unbesiegt  und  unerschiittert  verleihen  allezeit  den 
rechten  Gang,  der  bin  zum  Atman,  fiihrt  die  frommen  Rishi's. 

21.  (13447.)  Vor  ihm,  dem  Zuschauer  der  Welt,  dem 
ewigen  Purusha,  dem  alten,  dem  sonnenfarbenen  Herrn 
und  Heifer,  verneigt  euch  vielfach  mit  vereintem  Geiste, 
vor  ihm,  dem  Rishi,  dem  sogar  sich  neigte  vordem  der 
Erstgeborene  der  Wasser. 

22.  (13448.)  Er  ist  die  Wiege  ja  der  Welt,  die  Statte  der 
Unsterblichkeit ,  verborgene  Zuflucht,  unerschiitterlicher 
Ort,  von  Sahkhya's  und  von  Yogin's  hochgehalten  (dhritam 
mit  C.)  und  von  im  Geist  Bezahmten  wird  dies  Ewige. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Geschichte  vom  NarAyana 
(Ndrdijaniyam). 


Adhyaya  349  (B.  347). 

Vers  13449-13546  (B.  1-96). 

^aunaka  sprach: 

1.  (13449.)  Vernommen  haben  wir  nunmehr  die  Majestat 
jenes  heiligen,  hochsten  Atman  und  die  Geburt  des  Nara 
und  Narayana  in  dem  Hause  des  Dharma 

2.  (13450.)  und  die  von  dem  grofsen  Eber  vordem  ver- 
anlafste  Entstehung  der  Pinda's ;  ferner  auch,  wer  in  irgend- 
einer  Weise  fiir  die  Aktivitat  oder  Passivitat  bestimmt  ist. 

3.  (13451.)  Und  ebenso  haben  wir  von  dir,  o  untadHger 
Brahmane,  vernommen  die  Erzahlung  von  dem  im  grofsen 
nordostlichen  Ozean  weilenden  Vishnu,  dem  Geniefser  des 
Gotter-  und  Manenopfers. 


Adhyaya  349  (B.  347).  833 

4.  (13452.)  Aber  jenes  grofse  Rofshaupt,  von  dem  du  vor- 
her  erzahltest,  ist  ja  auch  von  dem  heiligen  Gott  Brahman 
Parameshthin  gesehen  worden. 

5.  (13453.)  Was  hat  nun,  als  er  diese  vom  welttragenden 
Hari  vordem  geschaffene  Gestalt  und  Gewalt  erblickte,  wie 
sie  unter  den  grofsen  Dingen  noch  nicht  dagewesen  war, 
o  Bester  der  Weisen, 

6.  (13454.)  als  er  jenen  besten  Gott,  den  wunderbaren, 
unermefslich  kraftigen,  heihgen  Rofshaupttrager  erbhckte, 
was  hat  da  Gott  Brahman  getan,  o  Muni? 

7.  (13455.)  Uber  diesen  Gegenstand  unseres  Zweifels  sprich 
uns,  o  Brahmane,  iiber  jene  aus  Erkenntnis  entsprungene 
Schopfung  des  grofsen  Purusha,  o  du  Hochweiser. 

8.  (13456.)  Wir  fiihlen  uns  gelautert  durch  dich,  o  Brah- 
mane, wenn  du  uns  eine  heihge  Geschichte  vortragst. 

Sauti  sprach : 

(13457.)  Ich  will  dir  die  ganze  alte,  mit  dem  Veda  im 
Einklang  stehende  Geschichte  erzahlen, 

9.  wie  sie  der  heilige  Vyasa  [schiiler]  vor  dem  Konig 
[Janamejaya] ,  dem  Sohne  des  Parikshit ,  vorgetragen  hat. 
(13458.)  Nachdem  namlich  der  Konig  von  dem  Gotte  Hari- 
medhas  in  der  Gestalt  des  Rofshauptes  hatte  erzahlen  horen, 

10.  da  stieg  ihm  ein  Zweifel  auf,  und  er  brachte 
folgende  Frage  vor. 

Janamejaya  sprach: 

(13459.)  Da  Gott  Brahman  den  Gott  rait  dem  Rofshaupte 
gesehen  hat, 

11.  so  mogest  du  mir,  o  Bester,  erklaren,  zu  welchem 
Zwecke  jenes  [Rofshaupt]  entstanden  ist. 

VaiQampa.yana  sprach: 

(13460.)  0  Fiirst,  alles  was  hier  auf  der  Welt  an  Korper- 
lichem  vorhanden  ist, 

12.  das  alles  ist  von  den  fiinf  Elementen  gebildet,  wie 
sie  der  Herr  ausgesonnen  hat.  (i346i.)  Denn  der  Herr  ist  es, 
der  die  Welt  schuf,  der  machtige  Narayana  als  Viraj, 

Deussen,  Mahabharatam.  53 


834  in.    Mokshadharma. 

13.  er,  das  innere  Selbst  der  Wesen,  der  Gabenspender, 
der  Gunahafte  und  Gunalose.  (13462.)  Vernimm  aber  jetzt, 
o  Bester  der  Fiirsten,  wie  die  Wesen  samt  und  senders  zu- 
grunde  gehen. 

14.  Als  sich  die  Erde  vordem  in  Wasser  und  in  dem 
einen  Ozean  aufloste,  (13463.)  als  dann  das  Wasser  zu  Feuer 
und  das  Feuer  zu  Wind  wurde, 

15.  der  Wind  im  Ather  sich  aufloste  und  der  Ather  im 
Manas,  (13464.)  als  das  Manas  in  das  Entfaltete  einging  und 
das  Entfaltete  in  das  Unentfaltete 

16.  und  das  Unentfaltete  in  den  Purusha  und  nur  der 
Purusha  iiberall  vorhanden  war,  (13465.)  da  war  alles  eine 
Finsternis  und  nichts  war  zu  erkennen. 

17.  Den  aus  der  Finsternis  als  das  Brahman  Entstandenen, 
in  der  Finsternis  Wurzelnden,  Unsterblichen,  (13466.)  ihn,  der 
die  Gestalt  als  Purusha  annahm,  welohe  von  ihm  den  Namen 
Allmacht  tragt,  — 

18.  Aniruddha  wird  er  genannt  —  ihn  nennt  man  auch 
das  Pradhanam.  (13467.)  Dieses,  soil  man  wissen,  ist  das  Drei- 
gunahafte,  Unentfaltete,  o  Bester  der  Manner. 

19.  Die  Wissenschaft  als  Gefahrtin  habend,  hatte  der 
allumschiitzte,  machtige  Gott  Hari  (13  468.)  sich  auf  den  Wassern 
gelagert,  dem  Yogaschlummer  hingegeben, 

20.  indem  er  die  mannigfache,  aus  vielen  Kraften  ent- 
springende  Schopfung  der  Welt  iiberdachte.  (13469.)  Indem 
er  die  Schopfung  iiberdachte,  erinnerte  er  sich  an  seine  grofse 
Selbstkraft ; 

21.  dadurch  entstand  der  Ahankara  (das  Ichbewufstsein), 
und  dieser  ist  Gott  Brahman  mit  vier  Angesichtern,  (13  470.)  der 
heilige  Hiranyagarbha,  der  Urvater  aller  Welten. 

22.  Da  geschah  es,  dafs  der  aus  Aniruddha  Entsprungene, 
Lotosaugige,  (i3  47i.)  Glanzreiche,  Ewige,  in  der  tausendblatt- 
rigen  Lotosblume  sitzend, 

23.  der  Herr,  einem  Wunder  vergleichbar,  die  aus  Wasser 
bestehenden  Welten  schaute  (13472.)  und  sich  anschickte,  die 
Scharen  der  Wesen  zu  schaffen,  er,  der  im  Sattvam  stehende 
Parameshthin. 

24.  Vorher  aber  schon  hatten  sich  auf  dem  sonnengleich 


Adhyaya  349  (B.  347).  835 

strahlenden  Blatte  der  Lotosblume  (13473.)  zwei  von  Narayana 
geschaffene,  kraftiiberlegene  Wassertropfen  angesetzt. 

25.  Diese  beiden  erblickte  der  anfang-  und  endlose,  un- 
wandelbare  Heilige.  (13474.)  Der  eine  Tropfen  war  an  leuch- 
tendem  Glanze  dem  Honig  fmadhuj  vergleichbar ; 

26.  dieser  wurde  aus  dem  Tamas  geboren  als  [der  Da- 
mon] Madhu  auf  Befehl  des  Narayana.  (13475.)  Der  andere 
Tropfen,  zahe  fTcathinaJ  und  aus  dem  Rajas  geboren,  wurde 
zum  Damon  Kaitabha. 

27.  Diese  beiden  stiirmten  heran,  iiberlegen,  mit  den 
Guna's  des  Tamas  und  Rajas  erfiillt,  (13  476.)  gewalttatig, 
keulenschwingend,  und  klommen  an  dem  Lotosstengel  empor. 

28.  Da  sahen  sie,  wie  im  Kelche  der  Lotosblume  der 
unermefslich  glanzende  Gott  Brahman  safs  (13477.)  und  als 
erstes  die  vier  Veden  in  schoner  Leibhaftigkeit  schuf. 

29.  Als  die  beiden  leibhaftigen ,  hochsten  Damonen  die 
Veden  sahen,  (13478,)  bemachtigten  sie  sich  alsbald  der  Veden 
vor  den  Augen  des  Gottes  Brahman. 

30.  Und  die  beiden  trefflichsten  Damonen  packten  die 
ewigen  Veden  (13479.)  und  tauchten  mit  ihnen  schleunigst  in 
dem  nordostlichen  Ozean  zur  Unterwelt  nieder. 

31.  Als  ihm  so  die  Veden  entrissen  waren,  geriet  Gott 
Brahman  in  Verzweiflung  (13480.)  und  sprach,  der  Veden  be- 
raubt,  zu  dem  Herrn  das  Wort. 

Gott  Brahman  sprach : 

32.  (13481.)  Die  Veden  sind  mein  hochstes  Auge,  die  Veden 
meine  hochste  Kraft,  die  Veden  sind  meine  hochste  Statte, 
die  Veden  mein  hochstes  Heiligtum. 

33.  (13482.)  Alle  meine  Veden  sind  mir  hier  von  zwei 
Damonen  mit  Gewalt  weggenommen  worden;  nun  sind  die 
Wei  ten  fiir  mich  verfinstert,  da  sie  der  Veden  beraubt  sind. 

34.  (13483.)  Wie  kann  ich  ohne  die  Veden  die  treffliche 
Weltschopfung  vollbringen!  0  welch  ein  grofses  Leid  hat 
mich  durch  den  Verlust  der  Veden  getroffen 

35.  (13484.)  und  brennt  mit  Heftigkeit  mein  kummervolles 
Herz!  Wer  wird  mich  jetzt  aus  dem  Ozean  des  Leides  heraus- 
ziehen,  in  den  ich  versunken  bin, 

53* 


836  III.    Mokshadharma. 

36.  (13485.)  und  die  verlorenen  Veden  wiederbringen !  Wer 
hat  mich  lieb  genug  dazu?  —  Indem  Gott  Brahman  so 
jammerte,  o  Bester  der  Fiirsten, 

37.  (13486.)  kam  ihm  der  Gedanke,  o  Bester  der  Denker, 
dem  Hari  ein  Loblied  zu  singen,  und  mit  zusammengelegten, 
vorgestreckten  Handen  trug  der  Herr  die  hochste  Murme- 
lung  vor. 

Gott  Brahman  sprach: 

38.  (13487.)  Om!  Verehrung  dir,  o  Brahmanherz ,  Ver- 
ehrung  dir,  der  du  vor  mir  geboren  bist,  Weltenerster,  Bester 
der  Wesen,  machtiger  Behalter  des  Sahkhyam  und  Yoga, 

39.  (13488.)  Schopfer  des  Entfalteten  und  Unentfalteten, 
Unausdenkbarer ,  der  du  den  Weg  des  Friedens  wandelst, 
Allgeniefser ,  inneres  Selbst  aller  Wesen,  Nichtmutterschofs- 
entsprungener !  (13489.)  Ich  bin  durch  deine  Gnade  geboren 
als  Statte  und  Schopfer  der  Welt. 

40.  Meine  erste  Geburt  aus  dir,  welche  die  Zwiegeborenen 
preisen,  war  aus  deinem  Geiste;  (13490.)  meine  zweite  uranfang- 
Hche  Geburt  geschah  aus  deinen  Augen. 

41.  Durch  deine  Gnade  erfolgte  meine  dritte  grofse  Ge- 
burt aus  deiner  Rede,  (13491.)  und  aus  deinen  Ohren  war  meine 
vierte  Geburt,  o  Machtiger. 

42.  Zu  den  Agvin's  [Ndsatya  als  Schutzgottern  des  Ge- 
ruchs,  Nil.J  in  Beziehung  stehend  ist  meine  folgende  Geburt 
aus  dir.  (13492.)  Aus  dem  [Welt-]  Ei  ist  meine  sechste  Geburt 
von  dir  erschaffen  worden. 

43.  Und  diese  meine  Geburt  aus  dem  Lotos  ist  die 
siebente,  0  Herr.  (13493.)  In  jeder  einzelnen  Schopfung  bin 
ich  dein  Sohn,  o  du  Dreigunaloser, 

44.  dein  erstgeborener,  lotosaugig,  aus  dem  obersten  Guna, 
dem  Sattvam,  gebildet.  (13494.)  Du  freilich  bist  der  Herr,  die 
Urnatur,  die  Werkfessel,  der  durch  sich  selbst  Seiende, 

45.  ich  aber  bin  von  dir  geschaffen  worden,  nicht  alternd, 
den  Veda  als  Auge  habend,  (13495.)  und  nun  ist  mir  mein 
Auge,  der  Veda,  geraubt  worden  und  ich  bin  blind !    Erwache 

46.  und  gib  mir  meine  Augen  wieder,  lieb  bin  ich  dir, 
lieb  bist  du  mir.  —  (13496.)  Als  der  heilige,  allwarts  blickende 
Purusha  in  dieser  Weise  gepriesen  wurde, 


Adhyaya  349  (B.  347).  837 

47.  da  gab  er  den  Yogaschlummer  auf  und  richtete  seine 
Aufmerksamkeit  auf  die  Angelegenheit  des  Veda;  (13497.)  und 
durch  Anwendung  seiner  Herrschermacht  nahm  er  eine  neue 
Erscheinungsform  an, 

48.  und  indem  er  in  einem  Korper  mit  schonen  Niistern 
wie  der  Mond  erglanzte,  (13498.)  verwandelte  sich  der  Herr  in 
ein  schones  Rofshaupt  zur  Bergung  der  Veden. 

49.  Sein  Haupt  war  der  Himmel  mit  Mondhausern  und 
Sternen,  (13499.)  seine  Haare  waren  lang  und  kamen  an  Glanz 
den  Sonnenstrahlen  gleich. 

50.  Seine  Ohren  waren  Luftraum  und  Unterwelt,  seine 
Stirn  war  die  Wesen  erhaltende  Erde,  (i3  5oo.)  Gaiiga  und 
Sarasvati  waren  seine  Hiiften,  die  beiden  Ozeane  seine  Brauen, 

51.  Sonne  und  Mond  seine  Augen,  die  Dammerung  seine 
Nase,  (13501.)  der  Omlaut  war  sein  gestaltendes  Prinzip 
{sanslidraj^  der  Blitz  seine  Zunge, 

52.  seine  Zahne  waren  die  als  Somatrinker  bekannten 
Vater,  (13502.)  die  Kuhwelt  und  die  Brahmanwelt  waren  die 
Lippen  des  hochsinnigen  Rofshauptes, 

53.  sein  Hals  war  die  gunalosende  Zeitnacht  [nach  dem 
Weltuntergang].  (13503.)  Nachdem  Narayana  sich  zu  diesem 
mannigfache  Gestalten  zeigenden  Rofshaupte  gemacht  hatte, 

54.  verschwand  der  machtige  Allherr  und  ging  in  die 
Unterwelt  ein.  (13504.)  In  die  Unterwelt  gelangt,  gab  er  sich 
dem  hochsten  Yoga  hin, 

55.  und  indem  er  die  in  der  Qiksha  gelehrte  Aussprache 
benutzte,  liefs  er  den  Udgitha  ertonen.  (13505.)  Dieser  Ton  mit 
seinem  Nachhall,  nach  alien  Seiten  liebhch  sich  verbreitend, 

56.  durchdrang  das  Innere  der  Erde,  mit  den  Reizen  aller 
Wesen  ausgestattet  und  schon.  (13506.)  Darauf  nahmen  die 
beiden  Damonen  den  Veden  das  Versprechen  ab  [ihnen  ge- 
horsam  zu  sein], 

57.  brachten  sie  in  der  Unterwelt  in  Gewahrsam  und 
rannten  dahin,  woher  der  Ton  kam.  (13507.)  Wahrend  dieser 
Zeit,  o  Konig,  bemachtigte  sich  der  rofshauptgestaltete  Gott 

58.  Hari  der  samtlichen  in  die  Unterwelt  verschleppten 
Veden  (13508.)  und  gab  sie  dem  Gott  Brahman  zuriick.  Darauf 
begab  er  sich  wieder  in  seine  alte  Lage, 


838  III.   Mokshadharma. 

59.  nachdem  er  das  Rofshaupt  in  den  nordostlichen 
Ozean  versetzt  hatte.  (13509.)  So  vollbrachte  der  Rofshaupt- 
gestaltete  die  Bergung  der  Veden. 

60.  Aber  die  beiden  Damonen  Madhu  und  Kaitabha, 
nachdem  sie  dort  nichts  gesehen  batten,  (issio.)  stiirmten  in 
Eile  zuriick  und  sahen, 

61.  dafs  die  Stelle,  wo  sie  die  Veden  verwahrt  batten, 
leer  war.  (I3  5ii.)  Da  gerieten  die  gewaltig  Starken  in  die 
grofste  Wut 

62.  und  fuhren  schleunigst  aus  der  Rasa  (Unterwelt)  ge- 
nannten  Behausung  heraus;  (13512.)  da  saben  sie  den  Purusha, 
den  macbtigen  Anfangsscbopfer, 

63.  weifs,  von  reinem  Ausseben  wie  der  Mond,  in  der 
Erscheinungsform  des  Aniruddba,  (13513.)  unermefsHcb  tapfer, 
wie  er  sicb  dem  Yogascblummer  iiberlassen  hatte 

64.  auf  dem  seiner  Grofse  entsprechenden,  auf  dem 
Wasser  schwimmenden ,  (13514.)  aus  den  Windungen  seiner 
Schlange  gebildeten  Lager,  welches  von  einem  Kranze  lodern- 
der  Flammen  umgeben  war. 

65.  Als  sie  ihn  nun  in  fleckenlosem  Sattvam  und  leuch- 
tendem  Glanze  (13515.)  daliegen  saben,  da  bracben  die  beiden 
Damonenfiirsten  in  ein  grofses  Gelachter  aus 

66.  und  sprachen,  von  Rajas  und  Tamas  besessen: 
(13  516.)  Da  liegt  ja  der  weifse  Purusha  und  bat  sich  dem 
Schlafe  iiberlassen! 

67.  Der  ist  es  also  gewesen,  der  uns  die  Veden  aus  der 
Unterwelt  gestohlen  hat!  (13517.)  Von  wem  stammt  er  und 
wer  ist  er  eigeiitlich?  Und  was  hat  er  auf  den  Schlangen- 
windungen  zu  schlafen? 

68.  Durch  solche  Ausrufe  weckten  sie  den  Hari  auf. 
(13518.)  Als  der  weise,  hochste  Purusha  sie  voll  Kampflust  sab, 

69.  da  mafs  er  die  beiden  Damonenfiirsten  mit  den 
Blicken  und  entscblofs  sicb  zu  kampfen.  (13519.)  Nun  ent- 
brannte  ein  Kampf  zwischen  den  beiden  und  dem  Narayana, 

70.  und  die  beiden  Rajas  und  Tamas  im  Leibe  haben- 
den  Madhu  und  Kaitabha  (13B20.)  wurden,  um  die  dem  Gotte 
Brahman  angetane  Schmach  zu  rachen,  von  Madbusudana 
(dem  Madhutoter)  erschlagen. 


Adhyaya  349  (B.  347).  839 

71.  Dadurch  aber,  dafs  er  sie  totete  und  ihnen  den  Veda 
wieder  entrissen  hatte,  (13521.)  still te  der  hochste  Purusha 
alsbald  das  Leid  des  Gottes  Brahman. 

72.  Darauf  schuf  unter  Hari's  Beistand  und  mit  Hilfe 
der  Veden  Gott  Brahman  (13522.)  die  gesamten  Welten  mit 
allem  Unbeweglichen  und  Beweglichen. 

73.  Gott  Hari  aber,  nachdem  er  dem  Urvater  die  hochste, 
weltschaffende  Einsicht  eingeflofst  hatte,  (13523.)  verschwand 
und  zog  sich  wieder  dorthin  zuriick,  woher  er  gekommen  war. 

74.  Nach  der  Totung  der  beiden  Danava's  und  der  Her- 
vorbringung  des  Rofshauptes  (13  524.)  nahm  Hari  nochmals 
dessen  Gestalt  an,  um  die  Satzung  der  Aktivitat  zu  befdrdern. 

75.  So  hatte  also  der  hochbegliickte  Hari  die  Gestalt 
als  Rofshaupt  angenommen,  (13525.)  welche  an  ihm  als  eine 
uralte,  gabenspendende,  gottliche  gepriesen  wird. 

76.  Wenn  nun  ein  Brahmane  diese  Erzahlung  bestandig 
anhort  und  behalt,  (13526.)  so  wird  sein  Vedastudium  niemals 
in  Verfall  geraten. 

77.  Diesen  rofshaupttragenden  Gott  hatte  durch  furcht- 
bare  Askese  fiir  sich  gewonnen  (13527.)  Pancala,  da  empfing 
er  auf  dem  von  dem  Gott  gewiesenen  Wege  den  Kramapatha. 

78.  So  war  es  mit  dem  Rofshaupte,  o  Konig,  und  damit 
habe  ich  dir  (13528.)  seine  alte,  mit  dem  Veda  in  Einklang 
stehende  Geschichte  erzahlt,  nach  der  du  mich  gefragt  hast. 

79.  Welcher  Art  auch  immer  die  Erscheinungsform  sein 
mag,  die  der  Gott,  indem  er  sich  irgendwo  eine  Aufgabe  setzt, 
anzunehmen  wiinscht,  (13529.)  die  nimmt  er  an,  indem  er  sich 
selbst  durch  sich  selbst  umwandelt. 

80.  Er  ist  das  herrliche  Gefafs  des  Veda,  er  ist  der  Askese 
Gefafs,  (13530.)  er  ist  Yoga  und  Sankhyam,  das  uranfangliche 
Brahman,  der  machtige  Hari  (mit  C), 

81.  Narayana  ist  das  Endziel  des  Veda,  Narayana  das 
Wesen  des  Opfers,  (13531.)  Narayana  ist  das  Endziel  der  Askese 
und  das  Endziel  des  Weges. 

82.  Narayana  ist  das  Endziel  der  Wahrheit,  Narayana 
das  Endziel  des  Rechts,  (13.532.)  Narayana  ist  das  Endziel  der 
Pflicht,  welche  eine  Wiederkehr  ausschliefst  [punaravritti- 
durlahhah,  anders  oben,  Vers  13082). 


840  III.   Mokshadharma. 

83.  Aber  auch  die  Pflicht,  welche  Aktivitat  fordert,  ist 
ihrem  Wesen  nach  Narayana.  (13533.)  Dem  Narayana  gehort 
in  der  Erde  der  beste  Geruch  an; 

84  der  Geschmack  als  Qualitat  des  Wassers,  o  Konig, 
ist  seinem  Wesen  nach  Narayana;  (13534.)  und  auch  die  herr- 
Hche  Sichtbarkeit  des  Feuers  ist  Narayana  ihrem  Wesen  nach; 

85.  auch  die  Beriihrung  als  Quahtat  des  Windes  ist  ihrem 
Wesen  nach  Narayana;  (13535.)  und  auch  der  aus  dem  Ather 
entspringende  Ton  gehort  dem  Narayana  an. 

86.  Und  auch  das  die  Quahtat  des  Unentfalteten  tragende 
Manas  entspringt  aus  ihm;  (13536.)  Narayana  ist  der  Gebieter 
der  Zeit,  und  der  Gang  der  Gestirne  ist  er. 

87.  Narayana  ist  Herr  des  Ruhmes,  ist  Herr  der  Gottinnen 
des  Gliickes  und  der  Schonheit;  (is  537.)  Narayana  ist  das 
hochste  Ziel  des  Sankhyam  und  das  Wesen  des  Yoga. 

88.  Er,  der  Purusha,  ist  die  wahre  Ursache  fiir  alles, 
was  als  Ursache  sowohl  die  Prakriti  (13538.)  als  auch  die  eigene 
Natur,  die  Werke  und  das  Schicksal  hat. 

89.  Er  ist  Standort,  Tater  und  auch  das  Werkzeug, 
(13539.)  sowie  die  mannigfache  Betatigung  und  das  Schicksal 
als  fiinftes. 

90.  Und  so  ist  Hari  die  Summe  der  fiinf  Ursachen  und 
ihr  tragender  Grund  allerwarts.  (13540.)  Wer  mit  iiberallhin 
dringenden  Mitteln  die  Wahrheit  zu  erkennen  sucht, 

91.  fur  den  ist  die  Wahrheit  er  allein,  der  grofse  Yogin, 
Hari  Narayana,  der  Herr.  (13541.)  Was  Brahman  und  die 
Welten,  was  die  hochsinnigen  Rishi's, 

92.  die  Saiikhya's,  Yogin's,  Selbstbezahmer  und  Selbst- 
erkenner  (13542.)  ausdenken  mogen,  das  durchschaut  Kegava, 
aber  sie  durchschauen  nicht,  was  er  denkt. 

93.  Fiir  alle,  welche  in  alien  Welten  den  Gottern  und 
Manen  Opfer  bringen,  (13543.)  Gaben  spenden  und  grofse 
Askese  iiben, 

94.  fiir  diese  alle  ist  Vishnu  in  seiner  Majestat  der 
tragende  Grund.  (13544.)  Weil  er  die  Heimstatt  fdvdsaj  aller 
Wesen  ist,  wird  er  Vasudeva  genannt. 

95.  (13545.)   Er  ist  der  ewige,  hochste,  grofse  Weise, 
ist   Machtentfaltung ,    ist    der    Gunafreie,    der    doch    mit 


Adhyaya  349  (B.  347).  841 

Guna's  sich  alsbald  verbindet,  wie  jenachdem  die  Zeit 
mit  Jahreszeiten. 

96.  (13546.)  Von  ihm,  dem  Hochgesinnten,  findet  nie- 
raand,  wohin  er  geht,  woher  er  ist  gekommen ;  die  grofsen 
Weisen,  die  das  Wissen  pflegen,  schauen  ihn  als  ewigen 
Geist,  als  Gunalosen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Geschichte  vom  Narayana 

(Ndrdyaniyam). 


Adhyaya  350  (B.  348). 
Vers  13547-13636  (B.  1-88). 

Janamejaya  sprach: 

1.  (13  547.)  0  wie  sehr  liebt  doch  der  heilige  Hari  alle 
Ekantin's  (ihm  allein  Ergebenen)!  Wie  nimmt  doch  der 
Heihge  die  von  ihnen  vorschriftsmafsig  dargebrachte  Ver- 
ehrung  gern  entgegen! 

2.  (13  548.)  Sie,  welche  in  der  Welt  frei  von  Gutem  und 
Bosem  sind,  wie  eine  Flamme,  deren  Brennholz  verbrannt  ist 
[frei  von  Ranch] ,  gehen  ihren  Weg,  wie  du  ihn  mir  als  iiber- 
lieferten  mitgeteilt  hast. 

3.  (13  549.)  Erst  bei  dem  vierten  Gange  gelangen  [durch 
Aniruddha,  Pradyumna  und  Sahkarshana  hindurchj  jene 
[anderen  Menschen]  zum  hochsten  Purusha,  aber  die  ihm 
einzig  ergebenen  Menschen  fekdntinah)  gelangen  [sogleich] 
zur  hochsten  Statte. 

4.  (13  550.)  Gewifs  ist  dieser  Weg  der  Ekantin's  der  beste, 
und  Narayana  liebt  es,  wenn  einer,  ohne  die  drei  vorherigen 
Wege  zu  gehen,  zu  ihm ,  dem  unverganglichen  Hari  gelangt. 

5.  (13551.)  Von  dem  Wege  der  Brahmanen,  welche  mit  ge- 
biihrendem  Eifer  die  Veden  nebst  Upanishad's  vorschrifts- 
mafsig rezitieren,  und  auch  von  dem  Weg  derer,  welche  sich 
die  Askese  zur  Pflicht  machen, 

6.  (13  562.)  verschieden  ist  der  Weg  der  Manner,  welche 
ihm  einzig  ergeben  sind,  das  weifs  ich;  aber  von  welchem 
Gotte  Oder  Rishi  ist  diese  Lehre  mitgeteilt  worden? 


842  HI.    Mokshadharma. 

7.  (13  553.)  Welches  ist  der  Wandel  der  einzig  ihm  Er- 
gebenen,  und  wann  ist  er  gelehrt  worden,  o  Machtiger?  Diesen 
Zweifel  lose  mir,  denn  hochste  Wifsbegierde  erfullt  mich. 

Vaiganipayana  sprach: 

8.  (13  554.)  Als  die  Heere  der  Kuru's  und  Pandava's  in 
Schlachtordnung  aufgestellt  waren,  und  als  Arjuna  von  Ver- 
zagtheit  befallen  wurde  (oben,  S.  35  fg.),  da  wurde  von  dem 
Heiligen  selbst  besungen 

9.  (13  555.)  der  Abweg  und  der  Weg,  wie  ich  dir  schon 
friiher  erzahlte.  GeheimnisvoU  ist  ja  diese  Lehre  und  schwer 
erkennbar  fiir  solche,  welche  unbereiteten  Geistes  sind. 

10.  (13556.)  In  Einklang  mit  dem  Samaveda  wurde  vor- 
dem  im  Zeitalter  Kritam  diese  Lehre  geschaffen  und  wird 
noch  aufrecht  erhalten  von  ihm  selbst,  o  Konig,  von  dem 
Gotte  Narayana. 

11.  (13  557.)  Nach  dieser  Sache,  o  grofser  Konig,  wurde 
von  dem  Prithasohne  (?)  der  hochbegliickte  Narada  im  Kreise 
der  Rishi's  befragt,  wahrend  Krishna  und  Bhishma  zuhorten 
[vgl.  Vers  13443,  anders  unten.  Vers  iseiij, 

12.  (13558.)  und  mir  (mama  mit  C.)  wurde  sie  von  meinem 
Lehrer  mitgeteilt,  o  Bester  der  Fiirsten ;  vernimm  sie  so,  wie 
sie  damals  von  Narada  erzahlt  wurde. 

13.  (13  559.)  Als,  o  Erdeherr,  die  Geburt  des  Gottes  Brah- 
man aus  dem  Manas  des  Narayana,  aus  dessen  Munde  er- 
folgte,  damals  hat  Narayana  selbst 

14.  (13560.)  nach  dieser  Satzung  das  Gotter-  und  Manen- 
opfer  geschaffen,  und  diese  Satzung  erlernten  von  ihm  die 
schaumernahrten  Eishi's. 

15.  (13  561.)  Von  diesen  schaumtrinkenden  Rishi's  haben 
die  Vaikhanasa's  diese  Satzung  iiberkommen,  und  von  den 
Vaikhanasa's  empfing  sie  Soma.  Dann  ist  sie  wieder  ver- 
schwunden. 

16.  (13562.)  Als  sodann  die  zweite  Geburt  des  Gottes  Brah- 
man aus  den  Augen  [Narayana's]  erfolgte,  da  [tadd  mit  C.) 
lernte  der  Urvater  (Gott  Brahman)  die  Satzung  von   Soma. 

17.  (13  563.)  Der  Narayanahafte  gab  sie  weiter  dem  Rudra, 


Adhy^ya  350  (B.  348).  843 

o  Konig;  der  im  Yoga  beharrliche  Rudra  hat   dann  vordem 
im  Weltalter  Kritam,  o  Furst, 

18.  (13564.)  diese  Satzung  alien  Valakhilya-Rishi's  iiber- 
mittelt;  und  abermals  verschwand  sie  durch  die  Zauberkraft 
jenes  Gottes. 

19.  (13565.)  Als  sodann  die  dritte  grofse  Geburt  des  Gottes 
Brahman  aus  der  Rede  [Narayana's]  erfolgte,  ist  dieSe  Satzung 
aus  Narayana  selbst  entstanden,  o  Fiirst. 

20.  (13566.)  Sie  erlangte  ein  Rishi  mit  Namen  Suparna 
von  dem  hochsten  Purusha  vermoge  seiner  Askese,  Bezah- 
mung  und  Selbstbezwingung. 

21.  (13567.)  Weil  Suparna  diese  hochste  Satzung  dreimal 
[taglich]  durchging,  darum  wird  dieses  Geliibde  der  Trisu- 
parna-Ritus  genannt, 

22.  (13568.)  und  dieses  im  Rigveda  [10,114,  3-5J  vor- 
kommende  Geliibde  ist  schwer  zu  vollbringen.  Von  Suparna 
wurde  diese  ewige  Satzung  iibernommen 

23.  (13569.)  durch  den  das  Leben  der  Welt  tragenden  Wind- 
gott,  dem  er  es  mitteilte,  o  Bester  der  Zweifiifsler.  Vom 
Windgotte  erlangten  sie  die  von  Uberbleibseln  lebenden 
Rishi's, 

24.  (13  570.)  und  von  ihnen  erlangte  der  grofse  Ozean  diese 
hochste  Satzung.  Darauf  verschwand  abermals  die  von  Na- 
rayana eingesetzte  Satzung. 

25.  (13571.)  Als  wiederum  die  Schopfung  des  hochsinnigen 
Gottes  Brahman  aus  dem  Ohre  [Narayana's]  stattfand,  o  Mann- 
tiger,  was  da  geschah,  das  vernimm  von  mir. 

26.  (13572.)  Als  Hari  Narayana  selbst  seinen  Geist  darauf 
richtete,  die  Welt  zu  schaffen,  da  erdachte  er  einen  mach- 
tigen  Purusha,  der  die  Weltschopfung  vollbringen  sollte. 

27.  (13573.)  Da  ging,  indem  er  daran  dachte,  aus  seinen 
Ohren  ein  Purusha  hervor,  namlich  der  die  Schopfung  der 
Wesen  vollbringende  Gott  Brahman.  Zu  diesem  sprach  der 
Herr  der  Welt: 

28.  (13  574.)  0  Sohn,  schaffe  alle  Geschopfe  aus  deinem 
Munde  wie  aus  deinen  Fiifsen,  ich  werde  dir  dazu  Gliick, 
Kraft  und  Energie  verleihen,  o  Geliibdetreuer; 

29.  (13  575.)  auch  nimm  von  mir  eine  Satzung  entgegen. 


844  ni.    Mokshadharma. 

welche  den  Namen  Sdtvata  fiihrt;   mit  dieser  erschaffe  und 
stiitze  das  Kritaweltalter  nach  der  Vorschrift. 

30.  (13  576.)  Da  zollte  Gott  Brahman  dem  Gotte  Hari- 
medhas  seine  Verehrung  und  nahm  von  ihm  die  vorziigliche 
Satzung  nebst  zugehoriger  Geheimlehre  und  Ausziigen  in 
Empfang. 

31.  (i'3  577.)  Und  nachdem  Narayana  dem  unermefslich 
kraftigen  Gotte  Brahman  die  von  einem  Aranyakam  begleitete, 
seinem  Munde  entstromende  Lehre  mitgeteilt  hatte, 

32.  (13578.)  ging  er  mit  den  Worten:  „Du  sollst  der 
Schopfer  der  Satzungen  fiir  die  Weltalter  sein"  zu  der  jen- 
seits  der  Finsternis  gelegenen  Statte,  in  welcher  das  Unent- 
faltete  ruht  und  die  den  Namen  „Werk  ohne  Wiinsche"  tragt. 

33.  (13579.)  Darauf  schufder  gabenverleihende  Gott  Brah- 
man, der  Urvater  der  Welt,  die  samtlichen  Welten  mit  allem 
UnbewegHchen  und  BewegHchen. 

34.  (13580.)  Zunachst  nun  entstand  das  Weltalter  Kritam 
als  ein  glxickliches,  denn  in  ihm  bestand  die  Satvatasatzung, 
sich  durch  alle  Welten  verbreitend. 

35.  (13581.)  Mit  dieser  uranfanglichen  Satzung  verehrte 
Gott  Brahman,  der  Weltschopfer,  den  Gotterherrn  Hari,  den 
machtigen  Narayana. 

36.  (13582.)  Und  um  die  Satzung  zu  festigen,  lehrte  er  sie 
dem  Manu  Svarocisha  aus  Wohlwollen  fiir  die  Welten. 

37.  (13  583.)  Svarocisha  aber,  der  machtigeHerr  der  ganzen 
Welt,  belehrte  vor  Zeiten  mit  gesammeltem  Geiste  seinen 
■eigenen  Sohn  (^ankhapada,  o  Fiirst. 

38.  (13584.)  Qankhapada  belehrte  weiter  seinen  leiblichen 
Sohn,  den  Hitter  der  Weltgegenden  Suvarnabha,  (13  585.)  Und 
wiederum  verschwand  die  Satzung,  als  das  Zeitalter  Treta 
anbrach. 

39.  Und  als  weiterhin  die  Geburt  des  Gottes  Brahman 
unter  Beistand  der  AQvin's  [als  Schutzgotter  der  Nase]  statt- 
fand,  o  bester  Fiirst,  (13  586.)  hat  der  machtige  Gott  Hari  Na- 
rayana selbst  diese  Satzung 

40.  verkiindigt,  er,  der  lotosaugige  Gott.  Von  Gott 
Brahman,  vor  dessen  Augen  dies  geschah,  (13  587.)  hat  sie  weiter 
•erlernt  der  heilige  Sanatkumara. 


Adhyaya  350  (B.  348).  845 

41.  Von  Sanatkumara  aber  hat  der  Schopferherr  Virana 
(13  588.)  am  Anfang  eines  [abermaligen]  Zeitalters  diese  Satzung 
gelernt,  o  Kurutiger. 

42.  Virana  aber,  nachdem  er  sie  erlernt  hatte,  iiberlieferte 
sie  dem  Weisen  Raibhya,  (13  589.)  und  Raibhya  hat  sie  seinem 
reinen,  geliibdetreuen,  frommen  Sohne 

43.  mit  Namen  Kukshi  iibergeben,  dem  pflichtkundigen 
Hiiter  der  Weltgegenden.  (i3  590.)  Dann  aber  verschwand  aber- 
mals  die  aus  dem  Munde  des  Narayana  hervorgegangene 
Satzung. 

44.  Weiter  wurde  bei  seiner  Geburt  aus  dem  Ei  dem 
aus  Hari  entsprossenen  Gott  Brahman  (13591.)  wiederum  diese 
Satzung  aus  dem  Munde  des  Narayana  mitgeteilt. 

45.  Gott  Brahman  nahm  die  Satzung  entgegen,  o  Konig, 
verwendete  sie  nach  der  Vorschrift  (13592.)  und  lehrte  sie  den 
Muni's,  o  Fiirst,  die  da  Barhishadah  heifsen. 

46.  Von  den  Barhishadah  gelangte  die  Satzung  zu  einem 
des  Samaveda  kundigen  Brahmanen,  (13593.)  dem  beriihmten 
Jyeshtha,  denn  dem  Hari  gehort  das  Jyeshthasaman  -  Ge- 
liibde  an. 

47.  Von  Jyeshtha  gelangte  die  Satzung  zum  Konige  Avi- 
karapana,  (13594.)  dann  aber  verschwand  sie  wieder,  o  mach- 
tiger  Konig,  diese  Satzung  des  Hari. 

48.  Als  aber  die  siebente  Geburt  des  Gottes  Brahman 
aus  der  Lotosblume  stattfand,  o  Konig,  (13 595.)  da  lehrte  Na- 
rayana selbst  diese  Satzung 

49.  dem  reinen,  Welten  tragenden  Urvater  zu  Anfang  des 
[folgenden]  Zeitalters.  (13596.)  Der  Urvater  iiberlieferte  weiter 
diese  Satzung  vor  Zeiten  dem  Daksha. 

50.  Weiter  iibergab  sie  Daksha  seinem  altesten  Tochter- 
sohn,  o  bester  Fiirst,  (13597.)  namlich  dem  Aditya,  dem  altesten 
Bruder  des  Savitar,   und  von  diesem  empfing  sie  Vivasvant. 

51.  Vivasvant  iiberlieferte  sie  zu  Anfang  des  Weltalters 
Treta  dem  Manu,  (13593.)  und  Manu  gab  sie  zum  Gedeihen 
der  Welt  weiter  an  seinen  Sohn  Ikshvaku. 

52.  Von  Ikshvaku  wurde  sie  iiber  die  ganze  Welt  ver- 
breitet  und  besteht  in  ihr,  (13599.)  aber  am  Weltende  wird 
sie  wieder  zu  Narayana  zuriickkehren ,  o  Fiirst. 


846  ni.    Mokshadharma. 

53.  Und  auch  dir,  o  Bester  der  Fiirsten,  ist  diese  Satzung 
der  Selbstbezahmer  vordem  (iseoo.)  mitgeteilt  worden  in  der 
Harigita  (vgl.  oben,  Vers  13437  und  i3554fg.),  zusammengefafst 
in  kurzer  Vorschrift. 

54.  Narada  aber  empfing  aufs  beste  mitsamt  Geheim- 
lehren  und  Ausziigen  (iseoi.)  diese  Satzung  unmittelbar  von 
Narayana,  dem  Herrn  der  Welt,  o  Fiirst. 

55.  So  steht  es,  o  Konig,  mit  dieser  grofsen,  uranfang- 
lichen,  ewigen  Satzung,  (1:3 602.)  und  sie,  schwer  erkennbar 
und  schwer  befolgbar  wie  sie  ist,  wird  allezeit  von  den 
Satvata's  beobachtet. 

56.  Durch  die  Erkenntnis  dieser  Satzung,  wenn  sie  richtig 
durch  die  Tat  verwirklicht  wird  (13603.)  und  von  dem  Gesetze 
der  Nicht-Totung  begleitet  ist,  wird  Hari,  der  Herr,  erfreut, 

57.  mag  er  in  einer  Erscheinungsform  oder  auch  in  zweien 
<13604.)  oder  in  dreien  oder  in  alien  vieren  [als  Aniruddha, 
Pradyumna,  Sankarshana  und  Vasudeva]  angeschaut  werden. 

58.  Hari  ist  als  Kshetrajna,  selbstlos,  ohne  Teile,  (13  605.)  als 
Jiva  in  alien  Wesen,  erhaben  liber  die  fiinf  Elemente  und  die 
Guna's, 

59.  und  auch  als  das  die  fiinf  Sinne  bewegende  Manas 
wird  er  gefeiert,  o  Konig.  (13  6O6.)  Er,  der  Weise,  ist  die  Welt- 
ordnung  und  der  Schopfer  der  Welt, 

60.  Nicht-Tater  und  zugleich  Tater,  die  Wirkung  und 
auch -die  Ursache  (13  607.)  nach  seinem  Belieben  spielend, 
o  Konig,  als  der  ewige  Purusha. 

61.  Diese  Satzung  der  alleinigen  Hingebung  an  ihn  ist 
dir,  o  bester  Konig,  mitgeteilt  worden  (13  608.)  von  mir  dank 
der  Gnade  meines  Lehrers,  schwer  erkennbar  wie  sie  ist  fiir 
solche,  welche  unbereiteten  Geistes  sind. 

62.  Manner,  die  ihm  allein  ergeben  sind  feMntinJ,  sind 
nicht  leicht  in  grofserer  Zahl  zu  finden,  o  Fiirst.  (13609.)  Ja, 
ware  die  Welt  voll  von  solchen  ihm  allein  Ergebenen,  o  Kuru- 
sprofs, 

63.  von  solchen  Nicht-Schadigenden,  Atmankundigen,  am 
Wohle  aller  Wesen  sich  Erfreuenden,  (iseio.)  dann  ware  das 
Zeitalter  Kritam  wieder  da  mit  seinen  ohne  Wunsch  nach 
Lohn  geiibten  Werken. 


Adhyaya  350  (B.  348).  847 

64.  Das  ist  es,  o  Volkerherr,  was  mein  Lehrer,  der  heilige 
Vyasa,  (I3  6ii.)  der  pflichtkundige  Beste  der  Brahmanen,  dem 
gerechten  Konige  (Yudhishthira)  erzahlt  hat 

65.  im  Kreise  der  Kishi's,  o  Konig,  wahrend  Krishna 
und  Bhishma  zuhorten  [anders  oben,  Vers  13557] ;  (i3  6i2.)  diesem 
namUch  hatte  vordem  der  grofse  Asket  Narada  Belehrung 
erteilt 

66.  iiber  den  allerhochsten  Gott,  das  Brahman,  den  weifsen, 
mondglanzenden,  unerschiitterhchen ,  (13  613.)  zu  welchem  die- 
jenigen  eingehen,  die  ihn  allein  verehren,  die  dem  Narayana 
ganz  ergeben  sind. 

Janamejaya  spracli: 

67.  (13  614.)  Wie  kommt  es,  dafs  diese  vielverzweigte,  von 
den  Erweckten  gepflegte  Satzung  von  anderen,  mancherlei 
Geliibde  befolgenden  Brahmanen  nicht  angenommen  wird? 

Vai^amp^yana  sprach: 

68.  (13  615.)  0  Konig,  drei  Naturen  bestehen  bei  denen, 
welche  an  die  LeibHchkeit  gefesselt  sind,  die  sattvahafte, 
rajashafte  und  tamashafte,  o  Bharata. 

69.  (13616.)  Unter  alien,  die  an  den  Korper  gefesselt  sind, 
o  Kurusprof sling,  ist  der  beste  Mensch  der  sattvahafte,  0  Mann- 
tiger,  und  ihm  ist  die  Erlosung  gewifs. 

70.  (13  617.)  Schon  hienieden  erkennt  er  den  brahman- 
weisesten  Purusha;  die  Erlosung  hat  Narayana  als  Gipfel, 
darum  heifst  sie  sattvahaft. 

71.  (13  618.)  Den  hochsten  Purusha  iiberdenkend,  erlangt 
das  Ersehnte  der,  welcher  mit  alleiniger  Liebe  immerdar  dem 
Narayana  als  Hochstem  anhangt. 

72.  (13  619.)  Nach  ihm  sehnen  sich  alle  nach  Erlosung 
trachtenden  Selbstbezwinger,  und  ihnen  verleiht  Stillung  des 
Durstes  (trishndj  und  Frieden  der  Gott  Hari. 

73.  (13  620.)  Denn  der  Mensch,  welchen  bei  seiner  Geburt 
Madhusudana  anblickt,  der  ist  ein  Sattvahafter  und  ihm  ist 
die  Erlosung  gewifs. 

74.  (13  621.)  Seine  Satzung,  mit  alleiniger  Hingebung  be- 
folgt,  ist  gleichwertig  mit  Saiikhyam  und  Yoga;  in  der  den 


848  ni.    Mokshadharma. 

Narayana   als  Wesen   habenden  Erlosung   eriangen   sie   das 
hochste  Ziel. 

75.  (13  622.)  Nur  der  Mensch  kann  ein  Erweckter  werden, 
welchen  Narayana  gnadig  anblickt,  aber  durch  eigenen 
Wunsch,  o  Konig,  kann  keiner  ein  Erweckter  werden. 

76.  (13  623.)  Wo  hingegen  die  rajashafte  und  tamashafte 
Natur  [dem  Sattvam]  beigemischt  fvydmigra)  ist,  ein  en  solchen 
Menschen,  wenn  er  geboren  wird,  o  Volkerherr, 

77.  (13624.)  als  ein  mit  den  Merkmalen  der  Aktivitat  Be- 
hafteter,  blickt  Gott  Hari  nicht  selbst  an,  sondern  Gott  Brah- 
man, der  Urvater  der  Welten,  blickt  ihn  an  bei  seiner  Geburt, 

78.  (13  625.)  weil  er  von  Eajas  und  Tamas  in  seinem  Geiste 
iiberschwemmt  ist.  Gotter  und  Rishi's  freilich  wurzeln  im 
Sattvam,  o  bester  Fiirst, 

79.  (13  626.)  diejenigen  aber,  welche  dieses  feinen  Sattvam 
ganz  entbehren,  werden  Anhanger  des  Verganglichen  (vaiJid- 
riJcaJ  genannt. 

Janamejaya  sprach: 

(13  627.)  Wie  ist  es  aber  moglich,  dafs  ein  solcher  An- 
hanger des  Verganglichen  zu  dem  hochsten  Purusha  gelangt  ? 

80.  Erklare  mir  alles,  wie  du  es  geschaut  hast,  und  auch 
was  sich  daraus  ergibt,  der  Reihe  nach. 

Vaigampayana  sprach: 
(13  628.)  Zu  dem  iiberaus  feinen,  der  Wesenheit  teilhaften, 
der  drei  Laute  fa  -]-  u  -{-  m  =^  omj  teilhaften 

81.  Purusha  geht  ein  der  Purusha,  wenn  er  als  Fiinf- 
undzwanzigster  rein  von  Werken  ist.  (13  629.)  In  dieser  Er- 
kenntnis  stimmen  das  Sahkhya-Yogasystem  und  das  [die 
Upanishad  einschliefsende]  Aranyakam  des  Veda 

82.  sowie  die  Pancaratralehre  zusammen  als  gegenseitig 
sich  erganzende  Teile.  (i3  63o.)  Das  ist  die  Satzung  der  Ekan- 
tin's,  die  in  Narayana  das  Hochste  sehen. 

83.  (13  631.)  Wie  Wasserfluten  aus  dem  Ozean  hervor- 
brechen,  o  Konig,  und  wieder  in  ihn  zuriickstromen,  so 
gehen  die  grofsen  Wasserfluten  der  Erkenntnis  wieder 
in  Narayana  [als  ihren  Ursprung]  zuriick  (vgl.  Chand. 
Up.  6,10,1)! 


Adhyltya  350  (B.  348).  849 

84.  (13  632.)  Damit  habe  ich  dir,  o  Kurusprofs,  die  Satvata- 
satzung  erklart,  befolge  sie  nach  der  Vorschrift,  soweit  du 
kannst,  o  Bharata. 

85.  (13(;33.)  Denn  in  dieser  Weise  hat  der  hochbegliickte 
Narada  meinem  Lehrer  den  unverganglichen ,  ihm  allein 
huldigenden  Wandel  der  weisen  Selbstbezwinger  verkiindigt. 

86.  (13  634.)  Vyasa  aber  hat  diese  Satzung  aus  Liebe  dem 
weisen  Sohne  des  Dharma  (Yudhishthira)  iibediefert,  und 
ebendiese  habe  ich  dir  mitgeteilt,  wie  ich  sie  von  meinem 
Lehrer  iiberkommen  habe. 

87.  (13635.)  So  steht  es  mit  dieser  Satzung,  o  bester  Fiirst, 
welche  schwer  zu  befolgen  ist;  denn  wie  du  so  leben  auch 
die  anderen  hienieden  in  Verblendung. 

88.  (13  636.)  Denn  Krishna  ist  es,  der  diese  Wei  ten  bildete 
und  in  Verblendung  stiirzte,  der  sie  wieder  in  sich  zuriick- 
rafft  und  die  Ursache  ihrer  Neuentstehung  ist,  o  Volkerherr. 

So  lautet  im  Mokshadbaima 
in  der  Geschichte  vom  Nar&yana  das  'Weseii  der  ihm  alleiii  Ergebenen 

(Ndrdyantye  ekdntikabhdva). 


Adhyaya  351  (B.  349). 

Vers  13637-13712  (B.  1-74). 

Janamejaya  sprach: 

1.  (13637.)  Das  Sankhyam,  der  Yoga,  das  Pancaratram 
und  das  Aranyakam  des  Veda,  diese  Wissenschaften,  o  Brah- 
manweiser,  sind  in  der  Welt  im  Umlaufe. 

2.  (13  638.)  Haben  diese  nun  eine  gemeinsame  Grundlage 
oder  besondere  Grundlagen,  o  Muni?  Uber  diese  Frage  be- 
lehre  mich  und  iiber  das,  was  sich  daraus  ergibt,  der  Reihe  nach. 

Vai^ampayana  sprach : 
3.  (13  639.)  Ihm,  dem  vielerfahrenen ,  hochsten,  nach 
dem  Hochsten  strebenden,  grofsen  Rishi,  den  durch  Hin- 
gebung  ihrer  selbst  mitten  auf  der  Insel  die  Satyavati 
als  Sohn  dem  Paragara  gebar,  ihm,  der  die  Finsternis 
des  Nichtwissens  verscheucht,  sei  Verehrung! 

Deubsen,  Mah&bbftTatam.  54 


850  III.    Mokshadharma. 

4.  (13  640.)  Ihn,  den  grofsen  Rishi,  riihmen  sie  als 
Ursprung  des  Urvaters,  als  sechste  Verkorperung  des 
Narayana,  mit  heiliger  Machtfiille  ausgeriistet,  aus  einem 
Telle  des  Narayana  entsprungen,  als  einzigen  Sohn  auf 
der  Insel  geboren  und  als  grofsen  Behalter  des  Veda. 

5.  (13  641.)  Ihn,  den  hochsinnigen  Vyasa,  hat  am  An- 
fang  der  Zeiten  der  grofsmachtige,  hochstrebende  Nara- 
yana als  seinen  Sohn  hervorgebracht,  als  den  ewigen, 
alien,  grofsen  Behalter  des  heiligen  Vedawortes. 

Janamejaya  sprach: 

6.  (13  642.)  Vordem  wurde  in  betreff  seines  Ursprungs  von 
dir,  o  Bester  der  Zwiegeborenen,  erzahlt,  dafs  Vasishtha  als 
Sohn  den  Qakti  hatte  und  dafs  Paragara  der  Sohn  des 
Qakti  war, 

7.  (13  643.)  und  dafs  der  Weise  Krishna  Dvaipayana  der 
Sohn  des  Paragara  sei;  und  jetzt  behauptest  du,  er  sei  ein 
Sohn  des  Narayana. 

8.  (13644.)  Handelt  es  sich  dabei  um  eine  vormalige  Ge- 
burt  des  unermefslich  kraftigen  Vyasa?  Dann  erzahle  mir, 
o  du  Hochweiser,  von  jener  seiner  Geburt  aus  dem  Narayana. 

Vaigampayana  sprach: 

9.  (13  645.)  Als  den  Inhalt  des  Veda  zu  erkennen  ver- 
langend,  in  Heiligkeit  und  Askese,  mein  Lehrer,  in  der  Er- 
kenntnis  beharrend,  am  Fufse  des  Himalaya  safs 

10.  (13  646.)  und,  von  Askese  miide,  rait  Weisheit  die 
Erzahlung  von  den  Bharata's  verfafste,  da  waren  wir,  ihn  aufs 
hochste  schatzend  und  ihm  Gehorsam  leistend,  seine  Schiller, 

11.  (13  647.)  namlich  Sumantu,  Jaimini,  der  geliibdetreue 
Paila  und  ich  als  vierter,  sowie  auch  (^uka,  der  eigene  Sohn 
des  Vyasa. 

12.  (13648.)  Von  diesen  fiinf  vortreflPIichen  Schiilern  um- 
geben,  erglanzte  am  Fufse  des  Himalaya,  wie  der  von  seinen 
Geisterscharen  umgebene  Herr  der  Geister  ((^iva),  der  hei- 
lige  Vyasa, 

13.  (13  649.)  indem  er  den  Veda  samt  Vedanga's  und  den 
Inhalt  der  Bharata-Erzahlungen  allseitig  in  seinem  Geiste  be- 


Adhyaya  351  (B.  349).  851 

wegte.     Wir  aber  ehrten  mit  Hingebung  seine  geistige  Kon- 
zentration  und  Bezahmung. 

14.  (13  650.)  Wahrend  einer  Pause  in  den  Unterredungen 
mit  ihm  befragten  wir  den  Besten  der  Zwiegeborenen  nach 
dem  Sinne  des  Veda,  dem  Sinne  der  Bharata-Erzahlungen  und 
so  auch  nach  seiner  Geburt  aus  Narayana. 

15.  (13  651.)  Und  nachdem  der  Wesenskundige  uns  iiber 
den  Sinn  des  Veda  und  der  Bharata-Erzahlungen  belehrt  hatte, 
fing  er  folgendermafsen  an  von  seiner  Geburt  aus  Narayana 
zu  reden. 

16.  (13  652.)  Vernehmt,  ihr  Brahmanen,  die  folgende,  hochst 
vortreff liche ,  heilige  Geschichte,  welche  sich  zur  Urzeit  be- 
geben  hat  und  durch  Askese  von  mir  in  Erfahrung  gebracht 
wurde. 

17.  (13  653.)  Als  die  siebente,  mit  dem  Lotos  anhebende 
Wesensschopfung  herannahte,  da  liefs  Narayana,  der  iiber 
Gutes  und  Boses  erhabene  grofse  Yogin, 

18.  (13  654.)  der  unermefsHch  glanzende,  zuerst  aus  seinem 
Nabel  den  Gott  Brahman  hervorgehen.  Als  dieser  in  die 
Erscheinung  getreten  war,  sprach  zu  ihm  Narayana  das  Wort : 

19.  (13655.)  Aus  meinem  Nabel  bist  du  geboren  als  der 
machtige  Wesenschopfer ;  so  schaffe  denn,  o  Brahman,  die 
mannigfachen  Wesen,  die  ungeistigen  wie  die  geistigen. 

20.  (13  656.)  Auf  diese  Worte  senkte  Gott  Brahman  mit 
sorgeerfulltem  Geiste  sein  Antlitz,  verneigte  sich  vor  dem 
gabenspendenden  Gotte,  dem  machtigen  Hari,   und  sprach: 

21.  (13657.)  Welche  Kraft  hatte  ich,  die  Geschopfe  zu 
schaffen,  o  Gottherr,  —  Verehrung  sei  dir!  —  mir  fehlt  die 
notige  Einsicht,  o  Gott,  bestimme,  was  geschehen  soil. 

22.  (13658.)  Nach  diesen  Worten  zog  sich  der  Heilige  in 
die  Verborgenheit  zuriick  und  erdachte  die  Buddhi  (die  Weis- 
heit),  er,  der  Beste  aller  Buddhibegabten. 

23.  (13659.)  In  leibhaftiger  Gestalt  stellte  sich  darauf  die 
Buddhi  dem  machtigen  Hari  vor,  und  er,  der  iiber  Aufgaben 
Erhabene,  gab  ihr  eine  Aufgabe  auf, 

24.  (13660.)  indem  der  unvergangliche ,  machtige  Gott  zu 
der  im  Yoga  der  Gottherrlichkeit  stehenden,  zielbewufsten, 
vortreff  lichen  Buddhi  also  sprach: 

54* 


852  ni.    Mokshadharma. 

25.  (13  661.)  „Gehe  ein  in  den  Gott  Brahman,  damit  der 
Zweck  der  Weltschopfung  erreicht  werde."  Und  auf  Befehl 
des  Herrn  ging  die  Buddhi  alsbald  in  jenen  ein. 

26.  (13662.)  Als  Hari  ihn  mit  der  Buddhi  ausgestattet  sah, 
sprach  er  abermals  zu  ihm  das  Wort:  „Schaffe  die  mannig- 
fachen  Geschopfe!" 

27.  (13  663.)  „So  sei  es!"  sprach  jener  und  verneigte  sich 
dem  Befehl  des  Hari  entsprechend  mit  dem  Haupte,  worauf 
der  HeiHge  in  die  Verborgenheit  zuriickging, 

28.  (13  664.)  alsbald  jenen  dem  Gotte  zukommenden  Zu- 
stand  annahm  und,  zu  seiner  Natur  zuriickkehrend,  zur  Ein- 
heitlichkeit  gelangte. 

29.  (13  665.)  Da  aber  kam  ihm  wieder  ein  anderer  Gedanke : 
„Geschaffen  sind  von  dem  hochsten  Gotte  Brahman  diese 
mannigfachen  Wesen, 

30.  (13  666.)  aber  von  den  Scharen  der  Daitya's,  Danava's, 
Gandharva's  und  Kakshasa's  erfullt,  ist  die  Erde  da  zu  einer 
iiberladenen  und  gequalten  geworden. 

31.  (13  667.)  Auch  werden  die  Daitya's,  Danava's  und 
Kakshasa's  auf  der  Erde  zahlreich  und  stark  werden  und 
durch  Askese  ihre  hochsten  Wiinsche  verwirklichen. 

32.  (13668.)  Dann  aber  werden  sicherlich  durch  sie  alle, 
wenn  sie  durch  Erreichung  ihrer  Wiinsche  stolz  geworden 
sind,  die  Gotterscharen  und  die  askesereichen  Eishi's  be- 
drangt  werden. 

33.  (13669.)  Daher  ist  es  erforderlich,  dafs  ich  eine  Ent- 
lastung  bewirke,  indem  ich  auf  der  Erde  in  verschiedenen 
Formen  der  Reihe  nach  erscheine, 

34.  (13  670.)  um  die  Bosen  niederzuhalten  und  die  Guten 
zu  fordern.  Dann  wird  diese  gequalte,  wackere  Erde  im- 
stande  sein,  sich  zu  halten. 

35.  (13  671.)  Denn  von  mir  als  einer  in  der  Unterwelt 
hausenden  Schlange  wird  sie  getragen  werden  und  von'^mir 
gestiitzt  wird  sie  imstande  sein,  die  ganze  Welt  der  Lebenden, 
Bewegliches  und  Unbewegliches ,  zu  tragen. 

36.  (13  672.)  Somit  will  ich  die  Rettung  der  Erde  voll- 
bringen,  indem  ich  in  die  Existenz  eingehe."     Nachdem  der 


Adhyaya  351  (B.  349).  853 

heilige  Madhusudana  in  dieser  Weise  mit  sich  selbst  zu  Rate 
gegangen  war, 

37.  (13673.)  schuf  er  zum  Zwecke  seines  Entstehens  in 
einer  Verkorperung  mancherlei  Gestalten:  den  Eber,  den 
Mannlowen,  den  Zwerg  und  einen  Menschen, 

38.  (13  674.)  in  der  Absicht,  durch  diese  die  bosen  Feinde 
der  Gotter  zu  toten.  Nachdem  er  die  Welt  geschaffen  hatte, 
liefs  er,  indem  er  sie  von  dem  Laute  hhoh  widerhallen  machte, 

39.  (13  675.)  die  Rede  fsarasvatij  aus  seinem  Munde  aus- 
gehen;  daraus  entstand  Sarasvata,  der  aus  seiner  Rede  ge- 
borene,  gewaltige  Sohn,  der  auch  Apantaratamas  heifst, 

40.  (13676.)  des  Vergangenen,  Gegenwartigen  und  Zukiinf- 
tigen  kundig,  Wahres  redend  und  seine  Geliibde  haltend. 
Zu  diesem,  der  sich  mit  dem  Haupte  verneigte,  sprach  der 
ewige  Ursprung  der  Gotter: 

41.  (13677.)  0  Bester  der  Verstandigen,  der  Mitteilung  des 
Veda  [durch  mich]  sollst  du  dein  Ohr  leihen!  Befolge  also 
mein  Wort  dem  Befehle  gemafs,  o  Muni. 

42.  (13  678.)  Darauf  wurden  von  diesem  Rishi  die  Veden 
in  ihre  Teile  zerlegt  in  der  Weltperiode  des  Manu  Svayam- 
bhuva.  Da  freute  sich  der  heilige  Hari  iiber  das  von  jenem 
verrichtete  Werk, 

43.  (13  679.)  iiber  seine  wohlgeiibte  Askese,  Bezahmung 
und  Selbstbezahmung.  „Auch  in  kiinftigen  Manuperioden, 
o  Sohn,  sollst  du  in  derselben  Weise  verfahren, 

44.  (13  680.)  dann  wirst  du  unerschiitterlich  und  immerdar 
uniiberwindlich  sein,  o  Brahmane.  Weiter  aber,  wenn  das 
Zeitalter  Tishya  (Kali)  herangekommen  sein  wird,  dann  werden 
Nachkommen  des  Bharata,  welche  Kuru's  heifsen, 

45.  (13681.)  als  hochsinnige  Konige  in  der  Welt  beriihmt 
leben.  Bei  diesen  von  dir  Erzeugten  wird  ein  Familienzwist 
ausbrechen, 

46.  (13  682.)  welcher  zur  gegenseitigen  Ausrottung  fiihren 
wird,  dich  ausgenommen,  o  Bester  der  Zwiegeborenen.  Auch 
in  diesem  Zeitalter  wirst  du,  durch  Askese  gefordert,  die 
verschiedenen  Veden  in  ihre  Teile  zerlegen. 

47.  (13  683.)  Da  das  angebrochene  Zeitalter  ein  dunkles 
sein  wird,  so  wirst  auch  du  als  dunkelfarbig  geboren  werden. 


854  III.    Mokshadharma. 

Als  Vollbringer  vieler  Pflichten  und  Hervorbringer  der  Wissen- 
schaft 

48.  (13  684.)  wirst  du  zwar  an  Askese  reich,  aber  doch 
nicht  frei  von  Leidenschaft  sein;  hingegen  soil  dein  Sohn 
frei  von  Leidenschaft  sein  und  zum  hochsten  Atman  werden 
(13685.)  durch  die  Gnade  Mahegvara's;  dies  Wort  wird  nicht 
unerfullt  bleiben. 

49.  (13  686.)  Er,  den  die  Brahmanen  als  einen  geistigen 
Sohn  des  Urvaters ,  als  mit  hochster  Weisheit  begabt 
preisen,  Vasishtha,  dieses  hochste  Gefafs  der  Askese, 
dessen  Glanz  den  der  Sonne  iiberstrahlt, 

50.  (13687.)  wird  als  Nachkommen  einen  grofsen  Weisen, 
den  hochmachtigen  Paragara,  haben,  und  dieser  treff- 
lichste  Behalter  des  Veda,  diese  gewaltige  Wohnstatte 
der  Askese  wird  dein  Vater  sein. 

51.  (13688.)  Als  Jungfernsohn  wirst  du  von  diesem  Rishi 
von  einem  deinem  Vater  sich  hingebenden  Madchen  ge- 
boren  werden. 

52.  (13  689.)  Alle  Zweifel  in  betreif  vergangener,  gegen- 
wartiger  oder  kiinftiger  Dinge  werden  sich  dir  losen.  Denn 
alle  vordem  gewesenen  Wechselfalle  der  Tausende  von  Welt- 
perioden 

53.  (13  690.)  wirst  du,  von  mir  belehrt,  um  deiner  Askese 
willen  schauen.  Und  ebenso  wirst  du  die  Wechselfalle  vieler 
Tausend  [kiinftiger]  Weltalter  schauen, 

54.  (13691.)  und  auch  mich,  den  anfanglos  und  endlos  in 
der  Welt  waltenden  Diskusbewehrten ,  soUst  du  durch  das 
Denken  an  mich  schauen,  o  Muni.  Dies  Wort  wird  nicht 
unerfiillt  bleiben. 

55.  (13  692.)  Dein  Ruhm  aber,  o  du  Sattvareicher,  wird  un- 
vergleichlich  sein.  Weiterhin  wird  (^anaigcara  (Saturn),  der 
Sohn  der  Sonne,  als  ein  grofser  Manu  geboren  werden, 

56.  (13693.)  und  auch  in  der  Periode  dieses  Manu  sollst 
du  als  Oberster  der  Scharen  dieses  Manu  geboren  werden, 
0  Teurer,  durch  meine  Gnade,  so  ist  es  beschlossen. 

57.  (13  694.)  Alles,  was  in  der  Welt  geschieht,  erfolgt  auf 
meine  Veranlassung ;  mag  einer  diesen  oder  jenen  Wunsch 
hegen,  ich  bifi  es,  der  ihm  seinen  Willen  verleiht." 


Adhyaya  351  (B.  349).  855 

58.  (13  695.)  Nachdem  der  Herr  diese  Worte  zu  dem  Eishi 
Sarasvata  Apantaratama  (sic!)  gesprochen  hatte,  sagte  er: 
Du  kannst  nun  gehen!  (13  696.)  So  bin  denn  ich  [Vyasa]  durch 
die  Gnade  dieses  Gottes  Harimedhas 

59.  zunachst  als  Apantaratamas  auf  Befehl  des  Hari  ins 
Leben  getreten  (13  697.)  und  wiederum  bin  ich  geboren  worden 
als  der  beriihmte  Nachkomme  des  Vasishtha. 

60.  Damit  babe  ich  euch  meine  friihere  Geburt  erklart, 
(13698.)  wie  sie  durch  die  Gnade  des  Narayana  und  als  ein 
Teil  des  Narayana  selbst  stattgefunden  hat. 

61.  Denn  von  mir  ist  sehr  grofse,  hochst  furchtbare 
Askese  vordem  geiibt  worden  (13  699.)  unter  tiefster  Versenkung, 
o  ihr  Besten  der  Verstandigen. 

62.  Damit  babe  ich  euch,  meine  lieben  Sohne,  alles  er- 
klart, wonach  ihr  mich  gefragt  habt,  (13700.)  meine  vergangene 
und  meine  kiinftige  Geburt,  aus  Liebe  zu  euch,  die  ihr  an 
mir  hangt. 

Vaiijampayana  sprach : 

63.  (13  701.)  Damit,  o  Konig,  babe  ich  dir  die  friiheren 
Geburten  unseres  Lehrers,  des  makellosen  Vyasa,  nach  denen 
du  mich  fragtest,  erzahlt.     Hore  nun  weiter. 

64.  (13  702.)  Das  Sankhyam,  der  Yoga,  das  Pancaratram, 
die  Veden  und  das  Pa^upatam,  diese  Wissenschaften,  o  Konigs- 
weiser,  behandeln  mancherlei  Gegenstande. 

65.  (13  703.)  Als  Urheber  des  Sankhyam  gilt  der  hochste 
Rishi  Kapila,  als  Einfiibrer  des  Yoga  Hiranyagarbha  und 
kein  anderer  Weiser  der  Vorzeit. 

66.  (13  704.)  Apantaratamas  hingegen  wird  als  der  Lehrer 
der  Veden  bezeichnet ;  diesen  Weisen  nennen  einige  Pracina- 
garbha. 

67.  (13  705.)  Der  Gatte  der  Urha  bin  wiederum,  der  Herr 
der  Geister,  ^rikantha,  der  Sohn  Brahman's,  Qiva  war  es, 
welcber  gesammelten  Geistes  das  PaQupatam  offenbarte. 

68.  (13  706.)  Der  Einfiibrer  des  gesamten  Pancaratram  ist 
der  Heilige  selbst,  und  iiberhaupt  ist  fiir  alle  diese  Wissen- 
schaften, o  bester  Fiirst, 

69.  (13  707.)   wie  auch  ihre  Uberlieferung  und  Lehre  sein 


856  ni.    Mokshadharma. 

mag,    der   herrliche    Narayana    die   Grundlage.     Die    in    der 
Finsternis  Befangenen  freilich  kennen  ihn  nicht,  o  Volkerherr, 

70.  (13  708.)  aber  alle  die  einsichtigen  Urheber  der  Lehr- 
biicher  preisen  ihn,  den  weisen  Narayana,  als  die  Grundlage 
und  keinen  andern,  so  sage  ich. 

71.  (13709.)  Bei  alien,  die  frei  von  Zweifel  sind,  wohnt 
immerdar  Hari,  aber  bei  den  zweifelbehafteten  Disputierern 
wohnt  Madhava  nicht. 

72.  (13  710.)  Was  aber  die  Kenner  des  Paficaratram ,  die 
Hochsten  in  dieser  Rangordnung,  betrifft,  welche  mit  alleiniger 
Liebe  ihm  nahen,  die  gehen  sicherlich  zu  Hari  ein. 

73.  (13  711.)  Das  Sankhyam  und  der  Yoga  sind  beide 
•    ewig  und  ebenso  alle  Veden  samt  und  sonders,  o  Konig ; 

von  alien  ihren  Rishi's  aber  wird  bekannt,  dafs  Narayana 
dieses  alte  Ganze  ist. 

74.  (13  712.)  Und  alles,  was  an  guten  und  bosen  Werken 
hervortritt  und  in  alien  Welten  sich  entwickelt,  das  stammt 
von  diesem  Rishi  her,  mag  es  im  Himmel,  im  Luftraum, 
auf  der  Erde  oder  in  den  Wassern  vor  sich  gehen,  so 
soil  man  wissen. 

So  lautet  im  Moksbadbarma  die  Entstebungsgeschicbte  des  Dvaipftyana 
(Doaipdyana  -  utpatti) . 


Adhyaya  353  (B.  350). 

Vers  13713-13739  (B.  1-27). 

Janamejaya  sprach: 

1.  (13  713.)  0  Brahmane,  gibt  es  viele  Purusha's  oder  nur 
einen?  Und  welcher  unter  alien  ist  der  beste  Purusha,  welcher 
ist  als  ihr  Ursprung  zu  betrachten? 

VaiQampayana  sprach: 

2.  (13  714.)  In  der  Welt  gibt  es  viele  Purusha's  nach  der 
Betrachtungsweise  des  Sankhyam  und  Yoga,  und  das  heifsen 
sie  nicht  gut,  o  Kurusprofs,  dafs  es  nur  einen  Purusha  gabe. 


Adhy&ya  352  (B.  350).  857 

3.  (13  715.)  Da  [in  Wahrheit  aber]  die  vielen  Purusha's  nur 
einen  Ursprung  haben,  so  will  ich  dir  diesen  allbefassenden, 
kraftiiberlegenen  Purusha  erklaren, 

4.  (13  716.)  nachdem  ich  meine  Verehrung  meinem  Lehrer 
Vyasa  bezeigt  habe,  dem  Atmankenner,  dem  askesereichen, 
bezahmten,  zu  verehrenden  hochsten  Rishi. 

5.  (13  717.)  Denn  diese  Verherrlichung  des  Purusha,  welche 
in  alien  Veden,  o  Fiirst,  als  das  Rechte  und  Wahre  verkiindigt 
wird,  ist  von  jenem  Rishilowen  durchdacht  word  en. 

6.  (13  718.)  In  Darlegung  und  Bestreitung  sind  von  Rishi' s 
wie  Kapila  und  anderen,  indem  sie  die  innere  Seele  iiber- 
dachten,  die  Lehrsatze  aufgestellt  worden,  o  Bharata. 

7.  (13  719.)  In  Kiirze  aber  will  ich  dir  das,  was  Vyasa  iiber 
die  Einheit  des  Purusha  gelehrt  hat,  mitteilen  dank  der  Gnade 
des  unermefslich  Kraftvollen. 

8.  (13  720.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Unterredung  des  Tryambaka  (C'iva) 
mit  Gott  Brahman ,  o  Volkerherr. 

9.  (13  721.)  In  der  Mitte  des  Milchmeeres  erhebt  sich  wie 
Gold  glanzend  der  herrliche  Berg  Vaijayanta,  o  Fiirst. 

10.  (13  722.)  Diesen  Berg  Vaijayanta  besucht  bestandig 
von  seinem  Strahlensitze  aus  der  Gott  [Brahman],  um  in 
der  Einsamkeit  das  Wesen  des  innern  Selbstes  zu  iiber- 
denken. 

11.  (13  723.)  Als  einstmals  der  weise  Gott  mit  den  vier  An- 
gesichtern  dort  safs,  kam  zufallig  Qiva  herbei,  der  aus  seiner 
Stirn  entsprungene  Sohn. 

12.  (13  724.)  Als  grofser  Yogin  durch  die  Luft  fahrend,  liefs 
sich  damals  der  dreiaugige  Herr  alsbald  aus  dem  Luftraume 
herab  auf  den  Gipfel  des  Berges. 

13.  (13  725.)  Erfreut  trat  er  vor  jenen  und  verehrte  ihn  zu 
seinen  Fiifsen.  Als  Brahman  ihn  zu  seinen  Fiifsen  sah,  rich- 
tete  er  ihn  mit  der  linken  Hand  auf, 

14.  (13  726.)  und  er,  der  einige,  machtige  Prajapati,  der 
heilige,  sprach  zu  seinem  ihn  nach  langer  Zeit  wieder  be- 
suchenden  Sohne. 


858  III.   Mokshadharma. 

Der  Urvater  sprach: 

15.  (13  727.)  Willkommen,  o  Grofsarmiger !  Zur  guten  Stunde 
bist  du  mir  genaht!  Steht  es  immer  noch  gut  bei  dir,  o  Sohn, 
um  Studium  und  Askese? 

16.  (13  728.)  Du  bist  ja  allezeit  ein  gewaltiger  Asket,  darum 
stelle  ich  dir  immer  diese  Frage. 

Rudra  sprach: 

17.  (13  729.)  Durch  deine  Gnade,  o  Heiliger,  steht  es  gut 
bei  mir  mit  Studium  und  Askese  und  ebenso  um  das  be- 
standige  Wohlergehen  der  ganzen  Welt. 

18.  (13  730.)  Schon  lange  habe  ich  dich  auf  deinem  Strahlen- 
sitze  beobachtet  und  bin  nun  zu  diesem  Berge  gekommen, 
der  von  deinen  Fufsen  betreten  wird. 

19.  (13  731.)  Dein  Wandel  in  der  Einsamkeit  hat  meine 
Neugierde  erregt,  es  mufs  keine  geringe  Ursache  sein,  die 
dich  dazu  veranlafst,  o  Urvater. 

20.  (13  732.)  Wie  kommt  es,  dafs  du  deinen  herrHchen  Sitz, 
auf  dem  es  nicht  Hunger  noch  Durst  gibt,  der  von  Gottern 
und  Damonen  bewohnt,  von  unermefslich  glanzenden  Eishi's, 

21.  (13733.)  von  Gandharven  und  Apsaras  immerfort  be- 
sucht  wird,  dafs  du  diesen  herrlichen  Berg  verlassen  hast, 
um  dich  hier  in  die  Einsamkeit  zuriickzuziehen  ? 

Gott  Brahman  sprach: 

22.  (13  734.)  Der  vortreffhche  Berg  Vaijayanta  wird  immer 
wieder  von  mir  aufgesucht,  weil  ich  hier  mit  ungeteiltem  Geiste 
nachdenken  kann  iiber  den  allerwarts  strahlenden  fviratj 
Purusha. 

Rudra  sprach: 

23.  (13  735.)  Viele  Purusha's  sind  von  dir,  dem  Durchsich- 
selbstseienden ,  geschaffen  worden,  o  Brahman,  und  neue 
werden  immer  noch  geschaffen,  und  dabei  soil  es  nur  einen 
allwarts  strahlenden  Purusha  geben! 

24.  (13  736.)  Wer  ist  denn  dieser  eine  hochste  Purusha, 
0  Brahman,  iiber  den  du  nachdenkst?  Lose  mir  diesen  Zweifel, 
danach  trage  ich  grofses  Verlangen. 


Adhyaya  352  (B.  350).  859 

Gott  Brahman  sprach: 

25.  (13737.)  0  Sohn,  allerdings  gibt  es  die  vielen  Purusha's, 
welche  von  dir  erwahnt  wurden;  in  diesem  Sinne  ist  jene 
Einheit  als  aufgehoben  anzusehen  und  auch  wiederum  als 
nicht  aufgehoben. 

26.  (13  738.)  Ich  will  dir  aber  den  Bereich  jenes  einen 
Purusha  erklaren,  inwiefern  er  als  der  einzige  Ursprung  der 
vielen  Purusha's  zu  bezeichnen  ist. 

27.  (13  739.)  Denn  darauf  beruht  es,  dafs  in  jenen  hochsten, 
allergrofsten ,  ewigen,  allbefassenden ,  gunalosen  Purusha  die 
gunalos  gewordenen  (Purusha's)  eingehen. 

So  lautet  im  Moksbadbarma 

in    der  Gescbicbto  vom  Narftyana   die   Unterredung   zwiscben  Gott  Brabm^n  nnd  Budra 

(Ndrdyantye  Brahma-  Rudra- samvdda). 


Adhyaya  353  (B.  351). 

Vers  13740-13763  (B.  1—23). 

Gott  Brahman  sprach: 

1.  (13  740.)  Vernimm,  o  Sohn,  inwiefern  jener  eine  Purusha 
als  der  ewige,  unvergangliche ,  unzerstorbare ,  unermefsliche, 
allgegenwartige  bezeichnet  wird. 

2.  (13  741.)  Dieser  Purusha  kann  nicht  von  dir  geschaut 
werden,  o  Bester,  noch  auch  von  mir  oder  von  anderen,  so- 
fern  sie  gunahaft  sind.  Nur  von  Gunafreien  kann  der  AU- 
befassende  mit  dem  Auge  der  Erkenntnis  geschaut  werden. 

3.  (13  742.)  Korperlos  wohnt  Er  in  alien  Korpern,  und  ob- 
gleich  er  in  den  Korpern  wohnt,  wird  er  doch  nicht  durch 
die  Werke  befleckt. 

4.  (13  743.)  Er  ist  meine  innere  Seele  und  die  deine  und 
aller,  die  das  Merkmal  der  Korperlichkeit  an  sich  tragen,  er 
ist  der  Zuschauer  (sakshinj  in  alien  und  kann  daher  von 
keinem  irgendwo  geschaut  werden. 

5.  (13  744.)  Alliiberall  ist  sein  Haupt,  alliiberall  seine  Arme 
und  Fiifse,  Augen  und  Nase,  als  einziger  weilt  er  in  den  Fel- 
dern  fJcshetraJ,  nach  freiem  Willen  waltend,  wie  es  ihm  beliebt. 


860  ni.    Mokshadharma. 

6.  (13  74B.)  Die  Felder  (hsJietraJ  sind  die  Leiber,  und  der 
Same  in  ihnen  ist  das  Gute  und  Bose,  diese  Felder  erkennt 
jener  yogabeflissene  Atman,  darum  wird  er  der  Kshetrajfia 
genannt. 

7.  (13  746.)  Sein  Kommen  und  Gehen  in  den  Wesen  ist  fiir 
keinen  erkennbar.  Durch  Sankhyamethode  und  stufenweise 
gesteigerten  Yoga 

8.  (13  747.)  iiberdenke  ich  seinen  Gang,  aber  sein  hochstes 
Ziel  kenne  ich  nicht.  Aber  soweit  meine  Erkenntnis  reicht, 
will  ich  dir  den  ewigen  Purusha  erklaren. 

9.  (13  748.)  Er  hat  Einheit  und  hat  Grofse,  er  heifst  der 
eine  Purusha,  er,  der  Eine  und  Ewige,  wird  der  grofse  Purusha 
genannt. 

10.  (13  749.)  Er,  der  Eine,  wird  als  das  opferverzehrende 
Feuer  an  vielen  Orten  entziindet,  er,  der  Eine,  ist  als 
Sonne  die  einzige  Quelle  der  Glut,  er,  der  Eine,  weht 
als  der  Wind  vielfach  in  der  Welt,  er,  der  Eine,  ist  als 
der  grofse  Ozean  die  Wiege  der  Gewasser;  (13750.)  er  ist 
der  eine,  allgestaltige ,  gunalose  Purusha,  zu  ihm,  dem 
Gunalosen,  gehen  die  Erlosten  ein. 

11.  (13  751.)  Aufgebend  alles  Gunahafte,  aufgebend  das  gute 
und  bose  Werk,  beide  hinter  sich  lassend,  die  Wahrheit 
und  die  Unwahrheit,  so  wird  der  Mensch  von  den  Guna's 
befreit. 

12.  (13  752.)  Wer  ihn  erkennt  als  unausdenkbar,  geheimen 
Wesens,  in  seiner  Vierfaltigkeit  [als  Aniruddha,  Pradyumna, 
Sankarshana,  Vasudeva],  und  wer  in  Demut  wandelt,  der  ge- 
langt  zu  dem  lichten  Purusha. 

13.  (13  753.)  In  dieser  Weise  lehren  manche  Gelehrten  von 
diesem  Atman,  dafs  er  der  hochste  Atman  sei,  und  andere 
Forscher  erklaren  ihn  fiir  den  einzigen  Atman. 

14.  (13  754.)  Sofern  er  der  hochste  Atman  ist,  wird  er  als 
der  ewig  Gunafreie  geschildert,  und  er  ist  Narayana,  das  soil 
man  wissen,  denn  dieser  ist  der  allbeseelende  Purusha. 

15.  (13  755.)  Er  wird  nicht  von  den  Werkfriichten  befleckt, 
wie  das  Lotosblatt  nicht  von  dem  Wasser,  aber  als  Werk- 
behafteter  ist  er  ein  anderer,  der  Erlosung  und  Bindung 
unterworfen. 


Adhyaya  353  (B.  351).  861 

16.  (13  756.)  Als  solcher  ist  er  mit  dem  siebzehnfachen 
Aggregate  behaftet,  und  insofern  ist  dir  der  Purusha  als  in 
sich  vielf altig  nach  seinen  einzelnen  Teilen  geschildert  worden. 

17.  (13  757.)  Er  ist  das,  was  man  als  die  ganze  hochste 
Befassung  des  Weltgewebes  erkennen,  mufs,  er  ist  der 
Erkennbare  und  der  Erkenner,  der  Denker  und  das  Denk- 
bare,  der  Verzehrer  und  das  Verzenrbare,  Riecher  und 
Riechbares,  Fiihler  und  Fiihlbares, 

18.  (13  758.)  Seher  und  Sichtbares,  Horer  und  Horbares, 
Erkenner  und  Erkennbares,  das  Gunahafte  und  das  Guna- 
lose;  er  ist  auch  das,  was  als  das  allbefassende  Pradha- 
nam  (die  Prakriti),  das  bestandige,  ewige,  unvergang- 
liche,  bezeichnet  wird. 

19.  (13759.)  Sofern  er  die  erste  Schopfung  des  Schopfers 
erzeugt,  insofern  nennen  ihn  die  Brahmanen  Aniruddha; 
und  auch  was  in  der  Welt  das  lobliche  vedische,  mit 
Wiinschen  behaftete  Werk  ist,  (i3  760.)  auch  das  mufs  ihm 
zu  Ehren  dargebracht  werden. 

20.  Alle  Gotter  und  wohlberuhigten  Muni's  spenden 
ihm  vor  dem  Altare  den  Opferanteil.  (i3  76i,)  Ich,  der 
Gott  Brahman,  der  erste  Herr  der  Geschopfe,  bin  von 
ihm  geboren,  und  du  bist  wiederum  von  mir  erzeugt 
worden; 

21.  von  mir  auch  stammt  die  Welt  des  Beweglichen 
und  Unbeweglichen ,  o  Sohn,  mitsamt  den  Veden  und 
den  Upanishad's  frahasyamj. 

22.  (13  762.)  In  seinen  vier  Erscheinungsformen  treibt  der 
Purusha  sein  Spiel,  wie  er  will.  Und  ebenso  wird  der  Heilige 
durch  sein  eigenes  Erkennen  zu  einem  Erweckten. 

23.  (13  763.)  Damit  habe  ich  dir,  o  Sohn,  erklart,  wonach 
du  fragtest,  wie  es  in  der  Sankhyalehre  und  im  Yoga  aus- 
gefiihrt  worden  ist. 

So  lautet  im  MokshadhaTma  der  Schlufs  der  Geschichte  vom  N&r&yana 
(Ndrdyantyam  samdptam). 


862  III.    Mokshadharma. 

Adhyaya  354  (B.  353). 

Vers  13764-11774  (B.  1-11). 

Yudhishthira  sprach : 

1.  (13  764.)  Die  schonen  Pflichten,  welche  sich  auf  die  Er- 
losungslehre  beziehen,  sind  von  dir,  o  Grofsvater,  dargelegt 
worden.  Nun  sollst  du  mir,  o  Herr,  die  hochste  Pflicht  der 
die  Lebensstadien  Befolgenden  nennen. 

Bhishma  sprach: 

2.  (13765.)  Allbefassend  ist  die  Pflicht.  Der  Himmel  ist 
der  grofse  Lohn  fiir  die  Wahrheit.  Viele  Eingangspforten 
hat  die  Pflicht,  keine  Bemiihung  um  sie  ist  ohne  Frucht, 

3.  (13  766.)  und  wenn  einer  sich  fiir  einen  Zweig  derselben 
entschieden  hat,  so  pflegt  er  nur  diesen  und  keinen  andern 
zu  schatzen,  o  Bester  der  Bharata's. 

4.  (13  767.)  So  vernimm  denn,  o  Manntiger,  von  mir  folgende 
Geschichte,  welche  vormals  von  dem  grofsen  Weisen  Narada 
dem  Qakra  (Indra)  erzahlt  wurde. 

5.  (13  768.)  Der  grofse  Kishi,  der  vollendete,  von  den  drei 
Welten  geehrte  Narada,  durchwandert  nacheinander  die  Welten 
ungehemmt  wie  der  Wind,  o  Konig. 

6.  (13  769.)  Einstmals,  o  grofser  Bogenschiitze,  gelangte  er 
zu  der  Wohnung  des  Gotterkonigs,  und  von  dem  grofsen 
Indra  gasthch  aufgenommen,  blieb  er  in  seiner  Nahe. 

7.  (13  770.)  Indem  er  nun  behaglich  dasafs,  fragte  ihn  der 
Gatte  der  Qaci :  0  grofser  Rishi,  ist  dir  irgend  etwas  Wunder- 
bares  begegnet,  o  Untadhger, 

8.  (13  771.)  dieweil  du  doch,  o  Brahmanenpriester,  die  drei 
Welten  mit  allem  Beweglichen  und  Unbeweglichen  immer- 
fort  als  ein  Vollendeter,  teilnehmend  gleichwie  ein  Zuschauer, 
durchstreifst  ? 

9.  (13  772.)  Es  gibt  ja  nichts  in  der  Welt,  was  dir,  o  Gotter- 
weiser,  unbekannt  ware.  Wenn  du  etwas  gehort,  erlebt  oder 
gesehen  hast,  so  erzahle  es  mir. 

10.  (13  773.)  Da,  o  Konig,  erzahlte  Narada,  der  Beste  der 


Adhyaya  354  (B.  352).  863 

Redner,   dem   dasitzenden   Gotterfiirsten   auf  sein  Ansuchen 
eine  grofse  Geschichte. 

11.  (13  774.)  Wie  und  auf  welche  Weise  der  Beste  der 
Zwiegeborenen  jenem  auf  seine  Frage  die  Geschichte  erzahlt 
hat,  so  sollst  auch  du  sie  von  mir  zu  horen  bekomnien. 

So  lautet  im  Mokahadharma  die  Erzablung  vom  Ahrenleser 
(unchavritti  -  updkhydnam). 


Adhyaya  355  (B.  353). 

Vers  13775-13783  (B.  1-9). 

Bhishma  spracli: 

1.  (13  775.)  Es  lebte  einmal,  o  Bester  der  Manner,  in  der 
treffhchen  Stadt  Mahapadmam,  am  rechten  Ufer  der  Ganga, 
gesammelten  Geistes, 

2.  (13  776.)  leutselig,  aus  der  Famihe  des  Soma,  im  Veda 
beschlagen,  von  Zweifeln  frei,  in  der  Pflicht  beharrend,  ohne 
Zorn,  allezeit  zufrieden,  mit  bezahraten  Sinnen, 

3.  (13  777.)  an  Askese  und  Studium  seine  Freude  habend, 
wahrhaft,  von  den  Guten  geehrt,  mit  rechtlich  selbsterworbenem 
Reichtum  und  gutem  Charakter  ausgestattet, 

4.  (13  778.)  in  einer  an  Verwandten  und  Bekannten  reichen, 
einer  Vereinigung  von  Tugenden  vergleichbaren  grofsen  und 
beriihmten  Famihe,  einer  ausgezeichneten  Lebensfiihrung  sich 
befleifsigend  [ein  Brahmane]. 

5.  (13  779.)  Er  hatte  viele  Sohne,  betrieb  grofse  Opfer- 
werke,  indem  er  die  Famihenpflicht  treu  erfiillte,  o  Konig, 
und  beharrhch  war  in  pflichtmafsigem  Wandel. 

6.  (13  780.)  Die  vom  Veda  vorgeschriebene  Pflicht,  sowie 
die  von  den  Lehrbiichern  geforderte  und  auch  die  von  den 
Weisen  geiibte,  diese  dreifache  Pflicht  iiberdachte  er  in  seinem 
Geiste. 

7.  (13  781.)  Was  erwachst  mir  daraus,  dafs  ich  das  Gute 
iibe,  was  habe  ich  damit  erreicht  und  was  ist  mein  hochstes 
Ziel?  Mit  solchen  Fragen  qualt  er  sich  immerfort  und  kommt 
dariiber  nicht  ins  Klare. 


864  III.    Moksliadharma. 

8.  (13  782.)  Indem  er  sich  so  abqualte  und  sich  der  hochsten 
Pflichterfiillung  beflifs,  kam  einstmals  ein  Gast  zu  ihm,  ein 
wohlgesammelter  Brahmane. 

9.  (13  783.)  Den  nahm  er  gastlich  auf  in  zeremonieller 
Weise,  und  als  dieser,  ermiidet,  behaglich  dasafs,  sprach  er 
zu  ihm  folgendermafsen. 

So  lautet  im  Hoksfaadharma  die  Erzahlung  vom  Ahrenlesex 
(unchaeritti  -  updkhydnani). 


Adhyaya  356  (B.  354). 

Vers  13784-13799  (B.  1-16). 

Der  Brahmane  sprach: 

1.  (13  784.)  Ich  fiihle  mich  zu  dir  hingezogen  durch  die 
Lieblichkeit  deiner  Rede,  o  Untadliger;  du  bist  mir  ein  Freund 
geworden.     Ich  mufs  dir  etwas  sagen;  hore  mich  an. 

2.  (13  785.)  Nachdem  ich,  o  Brahmane,  die  Pflicht  des  Haus- 
vaters,  welche  Nachkommenschaft  fordert,  erfiillt  habe,  mochte 
ich  gern  die  hochste  Pflicht  vollbringen.  Welcher  Weg  fiihrt 
dazu,  o  Zwiegeborener  ? 

3.  (13  786.)  Dem  Atman  zugewendet,  sehne  ich  mich  danach, 
in  dem  Atman  allein  festgewurzelt  zu  sein,  und  wiinsche  es 
doch  wieder  nicht,  weil  ich  in  den  allgemein  menschlichen 
Fesseln  fgunaj  gebunden  bin. 

4.  (13  787.)  Ehe  noch  dieses  auf  die  Erzielung  von  Nach- 
kommenschaft gerichtete  Lebensalter  verstrichen  ist,  mochte 
ich  mich  mit  Wegekost  fiir  die  Reise  in  die  andere  Welt 
versehen. 

5.  (13  788.)  In  dieser  Weltflut  befangen,  trachte  ich  nach 
dem  jenseitigen  Ufer,  und  die  Sorge  beschaftigt  mich,  woher 
ich  das  aus  Pflichterfiillung  bestehende  Schifi"  erlangen  kann. 

6.  (13  789.)  Wenn  ich  wahrnehme,  wie  in  der  Welt  auch 
sattvahafte  (gute)  Wesen,  nachdem  sie  sich  zusammen- 
gefunden  haben,  auseinandergesprengt  werden,  wenn  ich 
sehe,  wie  iiber  den  allwarts  verbreiteten  Menschen  ein 
heuchlerischer  Heiligenschein  schwebt, 


Adhyaya  356  (B.  354).  865 

7.  (13790.)  und  wenn  ich  sogar  sehen  mufs,  wie  die 
Selbstbezwinger  an  fremden  Tiiren  betteln  gehen,  dann 
gerat  mein  Geist  nicht  mehr  in  Erregung  bei  einer 
Gelegenheit  zum  Genusse;  darum  mogest  du,  o  Gast- 
freund,  vermoge  deiner  auf  die  Kraft  der  Erkenntnis 
sich  stutzenden  Pflicht  auch  mich  zur  Pflichterfullung 
anleiten. 

8.  (13  791.)  Als  der  Gast  diese  Worte  des  die  Pflicht  zur 
Sprache  bringenden  Brahmanen  horte,  da  sprach  der  Ver- 
standige  mit  sanfter  Stimme  das  milde  Wort. 

Der  Gast  sprach: 

9.  (13  792.)  Audi  ich  bin  hieriiber  nicht  im  klaren,  auch 
mich  erfiillt  dasselbe  Verlangen  wie  dich,  und  doch  kann  ich 
nicht  zur  Gewifsheit  gelangen  fiber  die  vielen  Wege,  die  zum 
Himmel  fiihren  sollen. 

10.  (13  793.)  Einige  riihmen  die  Erlosungslehre,  andere 
Brahmanen  den  Lohn  der  Opferwerke,  einige  fufsen  darauf, 
dafs  sie  Waldeinsiedler,  andere,  dafs  sie  Hausvater  sind, 

11.  (13  794.)  manche  stiitzen  sich  auf  die  Konigspflicht, 
manche  hoffen  auf  die  Frucht  des  Atmanwissens ,  andere 
empfehlen  den  Gehorsam  gegen  die  Lehrer,  und  wieder  andere 
das  Geliibde  des  Schweigens, 

12.  (13  795.)  manche  sind  fiir  ihren  Gehorsam  gegen  Vater 
und  Mutter  zum  Himmel  gelangt,  andere  durch  Schonung  der 
Wesen,  und  wieder  andere  durch  Aufrichtigkeit, 

13.  (13  796.)  viele  boten  im  Kampfe  dem  Feinde  die  Brust 
und  gelangten  erschlagen  zum  Himmel,  andere  suchten  die 
Vollendung  durch  das  Geliibde  des  Ahrenlesens  und  schlugen 
diesen  Weg  zum  Himmel  ein, 

14.  (13  797.)  manche  Edlen  ergaben  sich  dem  Studium,  das 
Vedageliibde  befolgend,  und  sind  als  Weise,  Zufriedene,  Be- 
zahmte  zum  Himmel  gelangt, 

15.  (13  798.)  wieder  andere  hielten  fest  an  der  Rechtschaffen- 
heit,  liefsen  sich  von  den  Ungerechten  unterdriicken  und 
stiegen  als  Gerechte  mit  reiner  Seele  zum  Riicken  des  Him- 
mels  empor. 

Deussen,  Mah&bh^ratam.  55 


866  in.   Mokshadharma. 

16.  (13  799.)  Da  so  mannigfache  Himmelswelten  durch 
die  Pforten  der  Pflicht  offenstehen,  so  wird  auch  mein 
Oeist  hin  und  her  getrieben,  wie  ein  Wolkenstreifen  durch 
den  Wind. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Erzahlung  vom  Ahrenleser 
(uiichavritti  -  updkhydnani). 


Adhyaya  357  (B.  355). 

Vers  13800-13810  (B.  1-11). 

Der  Gast  sprach  [weiter]: 

1.  (13  800.)  0  Brahmane,  ich  will  dir  die  Unterweisung  in 
folgerechter  Weise  iibermitteln,  wie  sie  mein  Lehrer  mir  mit- 
geteilt  hat;  verniram  von  mir  den  wahren  Sachverhalt. 

2.  (13801.)  Wo  einstmals  in  einer  friihern  Weltperiode 
das  Rad  der  Pflicht  ins  Rollen  gebracht  wurde,  da  liegt  im 
Naimishawalde  am  Ufer  der  Gomati  eine  nach  den  Naga's 
(Schlangen)  benannte  Stadt. 

3.  (13  802.)  Dort  war  von  den  vereinigten  dreifsig  [Gottern] 
geopfert  worden,  o  Stier  der  Zwiegeborenen,  und  dort  war 
auch  dem  besten  Konige  Mandhatar  die  Uberwindung  des 
Indra  gelungen. 

4.  (13803.)  Dort  hat  ein  pflichtkundiger,  grofser  Schlangen- 
genius  seinen  Wohnsitz  aufgeschlagen,  ein  grofser  Naga, 
welcher  Padmanabha  oder  auch  Padma  genannt  wird. 

5.  (13804.)  In  Worten,  Werken  und  Gedanken,  o  Stier  der 
Zwiegeborenen,  auf  dem  dreifachen  Pfade  [des  Opfers,  der 
Erkenntnis  und  der  Verehrung,  Nil.]  beharrend,  macht  er 
sich  die  Wesen  holdgesinnt. 

6.  (13805.)  Mit  Begiitigung,  Erregung  von  Zwietracht  [unter 
den  Feinden],  Schenken  und  Strafen,  mit  diesen  vier  Mitteln 
regiert  er,  beobachtend  und  erwagend,  die  Ungerechten  und 
die  Gerechten, 

7.  (13806.)  Ihn  besuche  fatikramyaj  und  befrage  ihn  in 
vorschriftsmafsiger  Weise  nach   dem,  was  du   wissen  willst. 


Adhyaya  357  (B.  355).  867 

Er  wird  dir  aufrichtig  die  Belehrung  iiber  die  hochste  Pflicht 
geben. 

8.  (13807.)  Denn  dieser  Naga  ist  alien  Gasten  freundlich 
gesinnt,  mit  Weisheit  und  Gelehrsamkeit  begabt  und  mit 
alien  wiinschenswerten,  unvergleichlichen  Tugenden  ge- 
schmiickt. 

9.  (13808.)  Er  ist  von  Natur  immer  zu  Waschungen  ge- 
neigt,  immer  am  Studium  sich  erfreuend,  in  Askese  und  Be- 
zahmung  geiibt  und  von  edlem  Lebenswandel, 

10.  (13809.)  opferfreudig ,  freigebig,  nachsichtig,  von  vor- 
trefflichem  Benehmen,  wahrheitliebend ,  nicht  mifsgiinstig, 
charaktervoll,  Herr  seiner  Sinne, 

11.  (13810.)  Restspeise  essend,  leutselig  im  Reden, 
wohlgesinnt,  rechtschaffen,  vornehm,  des  Geleisteten  und 
Nichtgeleisteten  eingedenk,  keine  Feindschaft  hegend, 
auf  das  Wohl  der  Wesen  bedacht,  von  einer  Familie  so 
rein  wie  die  Wasserfluten  der  Gaiiga. 

So  lautet  im  Mokehadbarma  die  Erz^hlung  vom  Ahrenleser 
(uiichavritti  -  updkhydnam). 


Adhyaya  358  (B.  356). 

Vers  13811-13821  (B.  1-11). 

Der  Brahmane  sprach: 

1.  (13811.)  Eine  schwere  Last  lag  auf  mir,  und  ich  fiihle 
mich  jetzt  bedeutend  erleichtert,  nachdem  ich  diese  hochstes 
Vertrauen  einflofsenden  Worte  von  dir  vernommen  habe. 

2.  (13812.)  Wie  fiir  den  vom  Wandem  Ermatteten  das 
Lager,  wie  fiir  den  vom  Stehen  Ermiideten  der  Sitz,  wie  fiir 
den  Durstigen  der  Trank,  fiir  den  Hungrigen   die  Nahrung, 

3.  (13813.)  fiir  einen  Gast  die  rechtzeitige  Erlangung  der 
von  ihm  erbetenen  Speise,  wie  fiir  einen  alten  Mann  ein 
eigener  Sohn,  nach  dem  die  Sehnsucht  in  ihm  lange  be- 
standen  hat, 

55* 


868  in.    Mokshadharma. 

4.  (13814.)  wie  das  Wiedersehen  mit  einem  lieben  Freunde, 
den  man  im  Geiste  herbeigewiinscht  hat,  so  erfrischend  ist 
fiir  mich  das  von  dir  gesprochene  Wort. 

5.  (13815.)  Wie  einer,  der  den  Blick  nach  oben  richtet, 
schaue  ich  und  iiberlege  ich,  denn  von  einer  verstandigen 
Kede  ausgehend  ist  die  Unterweisung,  die  du  mir  ge- 
geben  hast. 

6.  (13  816.)  Gewifs  werde  ich  nach  dem  handeln,  was 
du,  0  Herr,  mir  anratst.  Diese  Nacht,  o  Guter,  verweile 
bei  mir, 

7.  (13817.)  erst  morgen  friih  magst  du  erquickt  nach  be- 
haglichem  Verweilen  weiterziehen ,  denn  schon  hat  jener 
heilige  Sonnengott  mit  matteren  Strahlen  sein  Haupt  gesenkt. 

Bhlshma  sprach: 

8.  (13818.)  Nachdem  der  Gast  von  jenem  gastfreundhch 
aufgenommen  war,  o  Feindetoter,  verbrachte  er  die  folgende 
Nacht  bei  dem  Zwiegeborenen. 

9.  (13819.)  Wahrend  die  beiden  sich  iiber  das  vierte  Lebens- 
stadium  und  was  damit  zusammenhangt  unterhielten ,  ver- 
strich  die  ganze  Nacht,  als  ware  sie  ein  Tag,  in  angenehmer 
Weise. 

10.  (13820.)  Als  der  Tag  anbrach,  wurde  der  Gast  von 
dem  Brahmanen,  der  danach  verlangte,  seine  Absicht  aus- 
zufiihren,  nach  besten  Kraften  geehrt. 

11.  (13  821.)  Darauf  begab  sich  der  rechtschaffene  Brah- 
mane,  nachdem  er  alle  seine  Geschafte  richtig  besorgt 
und  von  seinen  Leuten  Abschied  genommen  hatte,  als- 
bald  mit  wohlgefestigter  Absicht  zu  der  ihm  bezeichneten 
Behausung  des  Schlangenfursten. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Erzahlung  vom  Ahrenleeer 
(uiicliacritti  -  updkhydnam). 


Adhyaya  359  (B.  357).  869 

Adhyaya  359  (B.  357). 

Vers  13822-13834  (B.  1-13). 

Bhlsbma  sprach: 

1.  (13822.)  Nachdem  er  der  Reihe  nach  an  mancherlei 
Waldern,  Furten  und  Gewassern  voriibergekommen  war,  be- 
gegnete  er  einem  Muni. 

2.  (13823.)  Den  befragte  der  Brahmane  in  hoflicher  Weise 
nach  dem  von  jenem  Weisen  ihm  beschriebenen  Naga,  und 
nachdem  er  Antwort  bekommen  hatte,  ging  er  hin. 

3.  (13824.)  Als  der  Verstandige  der  Unterweisung  gemafs 
zu  der  Behausung  des  Naga  gelangt  war,  sagte  er  mit  an- 
mutiger  Wortwendung:  Hier  bin  ich,  o  Herr! 

4.  (13  825.)  Da  hefs  sich  auf  dieses  Wort  die  anmutige, 
pflichtergebene,  ihrem  Gatten  getreue  Gattin  des  Naga  vor 
dem  Brahmanen  sehen. 

5.  (13826.)  Diese,  ihre  Pflicht  hochhaltend,  erwies  ihm  die 
gebiihrende  Ehrung,  hiefs  ihn  willkommen  und  sprach:  „Was 
soil  ich  tun?" 

Der  Brahmane  sprach : 

6.  (13827.)  Als  milder  Wanderer  bin  ich  durch  das  freund- 
liche  Wort  der  Herrin  geehrt  worden  ;•  ich  wiinsche  den  gott- 
lichen,  trefflichsten  Naga  zu  sehen,  o  Herrin. 

7.  (13828.)  Das  ist  mein  eigentlicher  Zweck,  das  ist  mein 
hochster  Wunsch,  in  dieser  Angelegenheit  bin  ich  heute  zu 
der  Schlangenwohnung  gekommen. 

Die  Gattin  des  N^ga  sprach: 

8.  (13829.)  Mein  Gatte  ist  fiir  einen  Monat  abwesend,  um 
den  Wagen  des  Sonnengottes  zu  ziehen,  mufs  aber  in  sieben 
bis  acht  Tagen  sicher  wieder  hier  erscheinen. 

9.  (13830.)  Damit  moge  dir  der  Anlafs  fur  die  Abwesen- 
heit  meines  Gatten  bekannt  sein;  sage  mir,  was  ich  sonst 
noch  fiir  dich  tun  kann. 


870  in.    Mokshadharma. 

Der  Brahmane  sprach: 

10.  (13831.)  Nur  aus  jener  Absicht  bin  ich  hierherge- 
kommen,  o  gute  Frau,  und  will  nun  in  dem  grofsen  Walde 
dort  verweilen  und  seine  Ankunft  erwarten,  o  Herrin. 

11.  (13832.)  Sobald  er  zuriickgekehrt  sein  wird,  moge  ihm 
unfehlbar  meine  Ankunft  hier  gemeldet  werden,  und  der  gliick- 
lich  Zuriickgekehrte  moge  mein  Wort  durch  dich  iibermittelt 
erhalten. 

12.  (13833.)  Inzwischen  werde  ich  dort  auf  jener  schonen 
Sandbank  der  Gomati  wohnen,  indem  ich  fiir  die  von  dir  ge- 
nannte  Zeit  meine  Nahrung  einschranke. 

13.  (13834.)  Nachdem  der  Weise  der  Schlangenfrau  diese 
Weisung  zu  wiederholten  Malen  erteilt  hatte,  begab  sich  der 
Brahmanenstier  auf  jene  Sandbank  des  Flusses. 

So  lautet  im  Mokghadharma  die  Erzahlung  vom  Ahrenleser 
(unchavritti  -  updkhydnam). 


Adhyaya  360  (B.  358). 

Vers  13835-13847  (B.  1-13). 

Bhishma  sprach: 

1.  (13  835.)  Als  nun  aber  jener  asketische,  vortreffliche 
Brahmane  dort  verweilte,  ohne  Nahrung  zu  sich  zu  nehmen, 
da  wurden  die  Schlangenleute  besorgt. 

2.  (13836.)  Alle  Angehorigen  des  Naga,  seine  Briider, 
Kinder  und  Gattin  taten  sich  zusammen  und  begaben  sich  zu 
dem  Brahmanen. 

3.  (13  837.)  Da  sahen  sie  den  Zwiegeborenen  auf  der  ab- 
geschiedenen  Sandbank  seinem  Geliibde  treu  dasitzen,  ohne 
Nahrung  und  mit  Murmelung  beschaftigt. 

4.  (13  838.)  Alle  Angehorigen  des  gastlichen  [Naga]  be- 
gaben sich  zu  ihm  hiniiber,  verehrten  den  Brahmanen  zu 
wiederholten  Malen  und  sprachen  zu  ihm  das  offene  Wort: 

5.  (13  839.)  Nun  sind  es  schon  sechs  Tage,  o  Askesereicher, 


AdhySiya  360  (B.  358).  871 

dafs  du  hier  angekommen  bist,  und  du  redest  nicht  im  min- 
desten  davon,  zu  essen,  o  Freund  der  Pflicht. 

6.  (13  840.)  Du  bist  zu  uns  gekommen,  darum  suchen  wir 
dich  hier  auf ;  wir  mussen  fiir  ihn  die  Pflicht  der  Gastfreund- 
schaft  iiben,  denn  wir  gehoren  alle  zu  seiner  Famihe. 

7.  (13841.)  Fine  Wurzel  oder  eine  Frucht,  ein  Blatt  oder 
etwas  Milch,  o  Bester  der  Zwiegeborencxi,  oder  etwas  Speise 
solltest  du  um  der  Ernahrung  willen  geniefsen,  o  Brahmane. 

8.  (13842.)  Dadurch,  dafs  du,  in  diesem  Walde  wohnend, 
die  Nahrung  verweigerst,  fiihlt  sich  diese  ganze  Gesellschaft, 
jung  und  alt,  beschwert  von  dem  Bewufstsein,  ihre  Pflicht 
zu  vernachlassigen. 

9.  (13  843.)  Unter  uns  gibt  es  keinen  Embryototer,  keinen, 
der  bei  einem  eingetretenen  Unfalle  nicht  das  Rechte  tate, 
keinen  in  der  ganzen  Familie,  der  essen  mochte,  ehe  Gotter, 
Gaste  und  Angehorige  gespeist  haben. 

Der  Brahmane  sprach : 

10.  (13844.)  Infolge  cures  Anerbietens  nehme  ich  die  Speise 
als  genossen  an  fiir  die  Zeit  von  zehn  weniger  zwei  Nachteh 
bis  zur  Riickkunft  des  Naga. 

11.  (13  845.)  Sollte  aber  nach  Verlauf  von  acht  Nachten 
der  Schlangenherr  nicht  zuriick  sein,  so  werde  ich  Nahrung 
zu  mir  nehmen,  denn  auf  ihn  zielt  mein  Geliibde  hin. 

12.  (13  846.)  Ihr  braucht  euch  nicht  zu  beunruhigen,  geht 
nur  wie  ihr  gekommen  seid,  auf  ihn  zielt  alles,  was  ich  tue, 
und  darin  diirft  ihr  mich  nicht  storen. 

13.  (13847.)  So  wurden  die  Schlangenleute  von  dem  Brah- 
manen  verabschiedet  und  gingen  unverrichteter  Sache  wieder 
nach  Hause,  o  Mannerstier. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Erzahlung  voin  AhrenleBcr 

(uTtchavfitti  -  updkliydnarii ) . 


872  in.   Mokshadharma. 

Adhyaya  361  (B.  359). 

Vers  13848-13863  (B.  1-16). 

Bhishma  sprach: 

1.  (13848.)  Als  nun  lange  Zeit  verstrichen  war,  kam  der 
Schlangenherr  nach  Hause  zuriick,  nachdem  er  seine  Auf- 
gabe  erfiillt  hatte  und  vom  Sonnengotte  entlassen  worden  war. 

2.  (13  849.)  Ihm  kam  die  Gattin  mit  der  Fufswaschung  und 
anderen  Leistungen  entgegen,  und  als  die  Gute  zu  ihm  heran- 
trat,  da  fragte  sie  der  Schlangenherr: 

3.  (13850.)  Bist  du  auch,  o  Schone,  fleifsig  gewesen  in 
Ehrung  der  Gotter  und  Gaste  in  der  Weise,  wie  ich  sie  dir 
vordem  empfahl,  und  wie  sie  gleichfalls  durch  den  Brauch 
vorgeschrieben  ist? 

4.  (13851.)  Du  bist  doch  nicht,  wahrend  ich  die  Geschafte 
des  Gottes  besorgte,  nach  Weiberart  lassig  geworden  und 
hast  dich  wahrend  der  Trennung  von  mir  iiber  die  Schranken 
der  Pflicht  hinweggesetzt,  o  Schonhiiftige  ? 

Die  Gattin  des  Naga  sprach : 

5.  (13852.)  Sache  der  Schiiler  ist  Gehorsam  gegen  den 
Lehrer,  der  Brahmanen  Auswendigwissen  des  Veda,  des 
Dieners  der  Befehl  des  Herrn,  des  Konigs  die  Regierung 
der  Leute. 

6.  (13853.)  Die  Pflicht  des  Kshatriya  ist  es,  alle  Wesen  zu 
schiitzen,  des  VaiQya,  zum  Opfer  mitzuwirken  und  Gastfreund- 
schaft  zu  iiben. 

7.  (13  854.)  Die  Aufgabe  des  (^udra  ist  es,  den  Brahmanen, 
Kshatriya's  und  VaiQya's  zu  gehorchen,  die  des  Hausvaters, 
o  Schlangenfiirst,  fiir  das  Wohl  aller  Wesen  zu  sorgen. 

8.  (13  855.)  Bestandige  Beschrankung  der  Ernahrung  und 
jenachdem  Beobachtung  eines  Geliibdes  [wie  Keuschheit, 
Schweigen  usw.]  ist  die  Pflicht  der  Sinnesorgane  im  einzelnen, 
weil  auch  sie  der  Pflicht  unterworfen  sind. 

9.  (13856.)  Wem  gehore  ich  an?  woher  stamme  ich?  wer 
bin  ich,  und  wer  gehort  mir  an  ?  In  diesem  Bewufstsein  soil, 
wer  auf  die  rechten  Mittel  halt,  im  Erlosungsstadium  leben. 


Adhyaya  361  (B.  359).  873 

10.  (13857.)  Treue  gegen  den  Gatten  ist  die  hochste  Pflicht 
der  Gattin,  das  weifs  ich  durch  deine  Unterweisung  und  auch 
schon  durch  die  Sache  selbst. 

11.  (13858.)  Da  ich  somit  meine  Pflicht  kenne  und  du  als 
ein  in  der  Pflicht  Beharrhcher  mir  zur  Seite  stehst,  wie  konnte 
ich  da  vom  rechten  Wege  abweichen  und  auf  einen  Ahweg 
mich  veriieren! 

12.  (13859.)  Die  Beobachtung  der  Pflicht  gegen  die  Gotter, 
o  Hochbegliickter,  wird  von  mir  nicht  versaumt,  und  mit  der 
guten  Aufnahme  der  Gaste  bin  ich  unermiidlich  beschaftigt. 

13.  (13860.)  Es  sind  heute  sieben  oder  acht  Tage,  dafs  ein 
Brahmane  hierhergekommen  ist,  aber  was  er  will,  sagt  er 
mir  nicht,  sondern  wiinscht  dich  selbst  zu  sprechen. 

14.  (13  861.)  Inzwischen  sitzt  er,  nach  deinem  Anblick  ver- 
langend,  auf  einer  Sandbank  der  Gomati  und  beschaftigt  sich 
mit  Beten  als  Brahmane  mit  scharfem  Geliibde. 

15.  (13862.)  Ich  bin  aber  von  ihm,  o  Schlangenfiirst ,  an- 
gewiesen  worden  und  mufste  es  ihm  versprechen,  dich,  den 
Besten  der  Schlangenherren,  nach  deiner  Ankunft  zu  ihm  zu 
bringen. 

16.  (13863.)  Nachdem  du  dies  von  mir  gehort  hast,  o  sehr 
Weiser,  mufst  du  dich  zu  ihm  begeben  und  ihm  deinen  An- 
blick gewahren,  o  Schlangenherr. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Erziihlung  vom  Ahrenleser 

(unchavfitti  -  npdkhydnam) . 


Adhyaya  362  (B.  360). 

Vers  13864-13883  (B.  1-20). 

Der  Kaga  sprach: 

1.  (13864.)  Wer  ist  es,  den  du  da  fur  einen  Brahmanen 
angesehen  hast?  Ist  es  blofs  ein  der  Brahmanenkaste  an- 
gehoriger  Mensch  oder  vielleicht  ein  Gott,  o  heiter  Lachelnde  ? 

2.  (13  865.)  Welcher  Mensch,  o  Herrliche,  kann  danach 
verlangen    oder   ist   imstande,    mich   zu   sehen?    Wer  kann 


874  III.    Mokshadharma. 

hoffen,  mich  zu  sehen,  und  dies  in  Form  eines  Befehls  aus- 
sprechen  ? 

3.  (13  866.)  Sind  nicht,  o  Liebliche,  unter  den  Scharen  der 
Gotter  und  Damonen  und  unter  den  Gotter-Eishi's  die  Schlangen 
als  Nachkommen  der  Surasa  (lies:  sauraseyds)  von  grofser 
Kraft  und  Schnelligkeit  ? 

4.  (13  867.)  Wir  Schleichenden  miissen  verehrt  werden  als 
Gabenspender,  und  siiid  besonders  fiir  die  Menschen  nicht 
zu  sehen,  so  denke  ich. 

Die  Gattin  des  Naga  sprach: 

5.  (13  868.)  An  seiner  Schlichtheit  sehe  ich,  dafs  er  kein 
Gott  ist,  o  Windesser;  sonst  sehe  ich  nur  das  Eine  an  ihm, 
namlich  dafs  er  vol!  Ehrerbietung  ist,  o  du  Zorniger. 

6.  (13869.)  Er  begehrt  nach  irgendeiner  Sache,  und  wie 
der  wasserdurstige ,  regenfrohe  Catakavogel  nach  Regen,  so 
verlangt  er  nach  deinem  Anblick. 

7.  (13870.)  Moge  er  doch  nicht  dadurch,  dafs  er  deines 
Anblicks  verlustig  geht,  auf  ein  Hindernis  treffen;  keiner, 
der  gleich  dir  in  einer  edlen  Familie  geboren  ist,  kann  bei 
einem  solchen  Anlasse  ruhig  zusehen. 

8.  (13871.)  Darum  mufst  du  den  dir  angeborenen  Zorn 
beiseite  lassen  und  den  Mann  aufsuchen;  wenn  du  heute 
seine  Hoffnung  nicht  tauschest,  so  brauchst  du  dir  hinterher 
keine  Gewissensbisse  zu  machen. 

9.  (13  872.)  Wer  es  -versaumt,  einem  Hoffenden  seine  Tranen 
zu  trocknen,  der,  und  ware  er  ein  Konig  oder  ein  Konigs- 
sohn,  macht  sich  einer  Embryototung  schuldig. 

10.  (13873.)  Dem  Schweigen  wird  die  Erkenntnis  zum 
Lohne,  durch  Freigebigkeit  erlangt  man  grofsen  Euhm,  die 
Beredsamkeit,  wenn  einer  die  Wahrheit  redet,  wird  sogar  im 
Jenseits  geehrt. 

11.  (13874.)  Wer  Land  verschenkt,  erlangt  ein  Ziel,  das 
dem  Durchmachen  der  Lebensstadien  gleichkommt ;  wer  zur 
Erlangung  eines  geziemenden  Zweckes  Hilfe  leistet,  erlangt 
dafiir  auch  dessen  Frucht. 

12.  (13875.)  Wer  mit  Bewufstsein  eine  nicht  mit  Welthang 


Adhyaya  362  (B.  360).  875 

verflochtene  Handlung  zum  Heile  seiner  Seele  vollbringt,  der 
fahrt  nicht  zur  Holle,  das  weifs  jeder  Pflichtkundige. 

Der  N&,ga  sprach : 

13.  (13876.)  Mein  Stolz  beruht  nicht  auf  Diinkelhaftigkeit, 
sondern  meine  edle  Abstammung  ist  daran  schuld,  dafs  er 
so  grofs  ist.  Aber  jetzt  ist  der  aus  meinem  Willen  ent- 
sprungene  Zorn,  o  Gute,  durch  das  Feuer  deiner  Rede  ver- 
brannt  worden. 

14.  (13877.)  Auch  ich,  o  Gute,  sehe  keine  schlimmere  Ver- 
blendung  als  den  Zorn,  durch  sein  Ubermafs  kommen  [ydnti 
mit  C.)  wir  Schlangenherren  ins  Gerede  der  Leute. 

15.  (13878.)  Weil  er  sich  vom  Zorne  hinreifsen  liefs,  wurde 
der  Zehnkopfige  (Ravana),  der  Widersacher  des  Gottes  Qakra, 
von  Rama  im  Kampfe  getotet. 

16.  (13879.)  Fiir  den  Raub  des  in  der  innern  Wohnung 
befindlichen  Kalbes  [der  Opferkuh]  wurden  von  Rama,  als  er 
davon  horte,  die  in  Gewalttatigkeit  und  Zorn  entbrannten 
Sohne  des  Kartavirya  erschlagen, 

17.  (13880.)  Und  von  demselben  Rama,  dem  Sohne  des 
Jamadagni,  wurde  der  dem  Tausendaugigen  (Indra)  vergleich- 
bare,  gewaltige  Kartavirya  um  seines  Zornes  willen  im  Kampfe 
erschlagen  (vgl.  Mahabh.  Ill,  Adhy.  116  fg.;   XII,  Adhy.  49). 

18.  (13881.)  Darum  habe  ich  jenen  Feind  der  Askese,  jenen 
Zerstorer  des  Heils,  meinen  Zorn,  niedergekampft,  nachdem 
ich  deine  Rede  vernommen  habe. 

19.  (13882.)  Und  ich  preise  mich  besonders  gliicklich,  o  du 
Getreue,  dafs  eine  so  tugendhafte  Gattin  wie  du,  o  Grofs- 
augige,  mir  angehort. 

20.  (13883.)  Ich  gehe  jetzt  dorthin,  wo  jener  Zwiegeborene 
weilt,  er  wird  mir  sein  Anliegen  vollstandig  vortragen  und 
nach  Erreichung  seines  Zweckes  von  dannen  ziehen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  ETziihlang  yom  Ahrenleaer 

(uTichavritti  -  updkhydnam). 


876  ni-    Mokshadharma. 

Adhyaya  363  (B.  361). 

Vers  13884-13899  (B.  1-16). 

Bhishma  sprach: 

1.  (13  884.)  Darauf  begab  sich  der  Schlangenherr  zu  dem 
Brahmanen,  indem  er  auf  ihn  seine  Gedanken  richtete  und 
iiberlegte,  welchen  Zweck  er  wohl  haben  mochte. 

2.  (13885.)  Nachdem  der  verstandige  Schlangenfiirst  ihn 
erreicht  hatte  fatiJcramyaJ,  o  Mannerherr,  sprach  er,  der  von 
Natur  Pflichthebende ,  das  freundhche  Wort: 

3.  (13886.)  0  Freund,  sei  ruhig,  ich  will  zu  dir  reden,  zurne 
nicht ;  um  welcher  Sache  willen  bist  du  hierhergekommen  und 
was  ist  dein  Begehr? 

4.  (13887.)  Indem  ich  vor  dich  trete,  frage  ich  aus  Liebe 
zu  dir,  0  Zwiegeborener,  wer  ist  es,  den  du  an  dem  abge- 
schiedenen  Ufer  der  Gomati  verehrst? 

Der  Brahmane  sprach : 

5.  (13  888.)  Wisse,  dafs  ich  Dharmaranya  heifse  und  hier- 
hergekommen bin,  um  den  Naga  Padmanabha  zu  sehen, 
o  Bester  der  Zwiegeborenen,  darin  liegt  mein  Zweck. 

6.  (13889.)  Als  ich  ihn  nicht  antraf,  habe  ich  von  seinen 
Leuten  gehort,  dafs  er  fortgegangen  sei,  und  ich  harre  auf 
ihn  wie  der  Pfliiger  auf  den  Regen, 

7.  (13  890.)  Inzwischen  beschaftige  ich  mich,  dem  Yoga 
hingegeben  und  ohne  Ungemach,  mit  einer  Gebetsiibung,  die 
von  ihm  Beschwerden  fernhalten  und  sein  Heil  befdrdern  soil. 

Der  Kaga  sprach : 

8.  (13891.)  0,  da  hast  du  eine  edle  Beschaftigung ,  gut 
bist  du  und  ein  Freund  der  Guten,  du  bist  untadlig,  o  Gliick- 
licher,  weil  du  mit  Liebe  an  deinen  Nachsten  denkst. 

9.  (13892.)  Ich,  wie  du  mich  hier  siehst,  bin  jener  Naga, 
o  Brahmanenweiser,  sage  mir  nach  deinem  Belieben,  was  ich 
dir  Angenehmes  erweisen  soil. 

10.  (13893.)  Von  mein  en  Leuten  habe  ich  gehort,  dafs  du 
angekommen  bist,  darum  bin  ich  selbst  gekommen,  um  dich 
zu  sehen,  o  Brahmane. 


Adhyftya  363  (B.  361).  877 

11.  (13894.)  Da  du  hierhergekommen  bist,  soUst  du  nicht 
fortgehen,  ohne  deinen  Zweck  erreicht  zu  haben ;  mache  mich, 
o  Bester  der  Brahmanen,  vertrauensvoll  mit  deiner  Sache 
bekannt. 

12.  (13895.)  Wir  alle  sind  durch  deine  Tugend  ganz  und 
gar  gewonnen  worden,  well  du,  dein  eigenes  Wohlsein  bei- 
seite  lassend,  zu  meinen  Gunsten  dich  bemiihst. 

Der  Brahmane  sprach : 

13.  (13896.)  0  Hochbegliickter,  ich  bin  hierhergekommen 
voll  Sehnsucht  dich  zu  sehen,  ich  mochte  dich  befragen  iiber 
eine  Sache,  in  der  ich  mir  nicht  zu  helfen  weifs,  o  Schlangenherr. 

14.  (13897.)  Obgleich  ich,  im  Atman  stehend,  nach  dem 
Ziele  des  Atman  forsche,  verehre  ich  doch  nur  den  hoch- 
weisen  Atman,  sofern  er,  des  festen  Standortes  ermangelnd, 
noch  mit  dem  wankelmiitigen  Cittam  (Manas)  behaftet  ist. 

15.  (13898.)  Du,  der  du  mir  erschienen  bist  mit  den 
tugendhaften ,  ruhmgeborenen  Strahlen,  welche,  den  Be- 
riihrungen  der  Mondstrahlen  gleich,  herzerfreuhch  dein  Wesen 
offenbaren, 

16.  (13899.)  du,  o  Windesser,  mogest  mir  eine  Frage,  die 
in  mir  aufgetaucht  ist,  losen!  Sodann  will  ich  dir  meine 
Sache  mitteilen,  und  du  sollst  sie  horen. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Erzahlung  vom  Abrenleser 

(uTichanritti  -  updkhydnam). 


Adhyaya  364  (B.  362). 

Vers  13900-13917  (B.  1-18). 

Der  Brahmane  sprach: 

1.  (13900.)  Du,  o  Herr,  pflegst  ja,  wenn  die  Reihe  an  dich 
kommt,  zu  gehen,  um  den  einradrigen  Wagen  des  Sonnen- 
gottes  zu  Ziehen;  wenn  du  dort  irgend  etwas  Wunderbares 
zu  sehen  bekommen  hast,  so  mogest  du  mir  da  von  Kunde 
geben. 


878  III.    Mokshadharma. 

Der  Naga  sprach : 

2.  (13901.)  Der  Schauplatz  mannigfacher  Wunder  ist  der 
heilige  Sonnengott,  aus  welchem  alle  die  Entstandenen  her- 
vorgehen,  die  in  den  drei  Welten  geehrt  werden, 

3.  (13902.)  in  dessen  tausend  Strahlen,  wie  die  Vogel  in 
den  Zweigen,  die  vollendeten  Muni's  samt  den  Gottern  Zu- 
jflucht  und  Wohnung  finden, 

4.  (13  903.)  aus  welchem  ausgehend,  auf  die  Sonnenstrahlen 
sich  stiitzend,  der  grofse  Windgott  dort  im  Luftraume  her- 
vorbricht,  —  welch  grofseres  Wunder  konnte  es  geben  als  das ! 

5.  (13  904.)  Diesen  [Windgott]  zerteilend  aus  Wohlwollen 
fiir  die  Geschopfe,  o  Brahmanenrishi,  lafst  er  in  der  Regen- 
zeit  das  Wasser  stromen;  welch  grofseres  Wunder  konnte 
es  geben  als  das! 

6.  (13  905.)  Mitten  in  dessen  Scheibe  stehend,  entflammt 
sich  der  grofse  Atman  mit  hochstem  Glanze  und  iiberschaut 
die  Welten;  welch  grofseres  Wunder  konnte  es  geben  als  das! 

7.  (13  906.)  Er  heifst  der  Glanzende,  und  doch  tragt  er  in 
Gestalt  eines  dunklen  Strahles  das  Wasser  im  Luftraume 
und  ergiefst  es  zur  Regenzeit;  welch  grofseres  Wunder  konnte 
es  geben  als  das! 

8.  (13907.)  Und  wiederum  halt  er  acht  Monate  hindurch 
das  ausgegossene  W^asser  mit  reinem  Strahle  in  sich  zuriick 
zu  seiner  Zeit;  welch  grofseres  Wunder  konnte  es  geben 
als  das! 

9.  (13  908.)  In  dessen  unvergleichlichem  Glanze  der  Atman 
selbst  weilt,  durch  den  der  Same  und  diese  Erde  mit  Beweg- 
lichem  und  Unbeweglichem  erhalten  wird, 

10.  (13909.)  in  dem  der  grofsarmige,  gottliche,  ewige, 
hochste  Purusha  ohne  Anfang  und  Ende  weilt ;  welch  grofseres 
Wunder  konnte  es  geben  als  das! 

11.  (13910.)  Aber  als  Wunder  aller  Wunder  vernimm  dies 
eine  von  mir,  was  ich  vom  Standort  der  Sonne  aus  in  dem 
reinen  Ather  geschaut  habe. 

12.  (13  911.)  Einstmals  zur  Mittagszeit,  wahrend  die  Sonne 
die  Welten  bestrahlte,  wurde  von  iiberallher  ein  der  Sonne 
gleichkommender  Schein  gesehen, 

13.  (13912.)  welcher,  alle  Welten  mit  seinem  selbstleuch- 


AdhySiya  364  (B.  362).  879 

tenden  Glanz    durchglanzend ,   den  Himmelsraum    gleichsam 
spaltete  und  auf  die  Sonne  zueilte. 

14.  (13913.)  Wie  ein  aufflammender  Opfergufs  verbreitete 
er  Licht  mit  seinen  Strahlen,  unbeschreiblich  an  Schonheit, 
einer  zweiten  Sonne  vergleichbar. 

15.  (13  914.)  Als  er  herangekommen  war,  reichte  ihm  der 
Sonnengott  die  Hande,  und  er,  dem  diese  Ehre  gebiihrte, 
reichte  dem  Sonnengotte  die  rechte  Hand. 

16.  (13  915.)  Sodann  zerteilte  er  den  Himmelsraum,  ging 
in  die  Sonnenscheibe  ein  und  an  Glanz  mit  ihr  eins  geworden, 
ward  er  augenblicklich  zur  Sonne. 

17.  (13  916.)  Da  entstand,  als  der  Lichtglanz  der  beiden 
sich  vereinigt  hatte,  in  uns  ein  Zweifel  dariiber,  wer  von 
beiden  eigentlich  der  Sonnengott  sei,  der  auf  dem  Wagen 
Fahrende  oder  der  zu  ihm  Herbeigekommene, 

18.  (13  917.)  und,  in  diesem  Zweifel  befangen,  fragten  wir 
den  Sonnengott,  wer  der  sei,  welcher  wie  eine  zweite  Sonne 
zum  Himmel  aufgestiegen  war. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Erzahlung  vom  Ahxenleser 
(uTichacritti  -  updkhydnant). 


Adliyaya  365  (B.  363). 

Vers  13918-13924  (B.  1-6). 

Der  Sonnengott  sprach: 

1.  (13  918.)  Es  ist  nicht  der  dem  Winde  befreundete  Gott 
(des  Feuers),  auch  kein  Damon  oder  ein  Schlangenfurst,  es 
ist  ein  Muni,  welcher  zum  Himmel  emporgestiegen  ist,  weil 
er  durch  das  Geliibde  des  Ahrenlesens  die  Vollendung  er- 
reicht  hat. 

2.  (13919.)  Von  Wurzeln  und  Friichten  lebend,  von  ab- 
gefallenen  Blattern  sich  nahrend,  Wasser  trinkend  und  Wind 
trinkend  war  dieser  gesammelte  Brahmane. 

3.  (13920.)  Von  diesem  wurde  Bhava  ((^iva)  durch  Samhita- 
verse  gepriesen ;  durch  diese  auf  die  Himmelspforte  gerichtete 
Bemiihung  ist  er  zum  Dreihimmel  emporgestiegen. 

4.  (13921.)  Ohne  Umgang  und  ohne  V^iinsche,  allezeit  vom 


880  HI.    Mokshadharma. 

Ahrenlesen  lebend,  war  dieser  Brahmane  stets  um  das  Wohl 
aller  Wesen  bemiiht,  o  ihr  Schlangenherren. 

5.  (13922.)  Nicht  Gotter,  nicht  Gandharven,  nicht  Damonen 
Oder  Schlangen  stehen  hoher  als  die  Wesen,  die  dieses  hochste 
Ziel  erreicht  haben. 

[Der  Naga  sprach:] 

6.  (13  923.)  Dieses  und  von  dieser  Art  ist  das  Wunder, 
welches  ich  da  droben  gesehen  habe,  namlich  der  vollendete 
Mensch,  welcher,  nachdem  er  zur  Vollendung  gelangt  ist, 
(13  924.)  mit  der  Sonne  vereint,  die  Erde  umkreist,  o  Brahmane. 

So  lautet  im  MokRhadharma  die  Erzahlung  vom  Ahrenleser 
(unchavritti  -  updkhydnaiit). 


Adhyaya  366  (B.  364). 

Vers  13925-13934  (B.  1-10). 

Der  Brahmane  sprach : 

1.  (13925.)  Ein  Wunder  ist  es,  daran  ist  kein  Zweifel! 
0  Schlangenherr,  ich  bin  hocherfreut,  und  durch  dein 
treffendes,  mir  gespendetes  Wort  ist  mir  der  Weg  gewiesen 
worden. 

2.  (13  926.)  Heil  sei  dir!  Ich  will  jetzt  gehen,  o  du  Guter, 
Bester  der  Schlangenherren,  gedenke  meiner,  indem  du  zu 
mir  schickst  und  meine  Dienste  in  Anspruch  nimmst. 

Der  Naga  sprach: 

3.  (13  927.)  Wohin  willst  du  denn  schon  gehen,  o  Herr, 
ehe  du  noch  iiber  die  Angelegenheit,  die  dir  am  Herzen  liegt, 
gesprochen  hast?  Sprich  doch,  o  Zwiegeborener,  iiber  die 
Angelegenheit,  um  derentwillen  du  hierhergekommen  hist. 

4.  (13  928.)  Ist  aber,  ausgesprochen  oder  nicht,  deine  An- 
gelegenheit erledigt,  so  magst  du  dich  von  mir  verabschieden, 
o  Brahmanenstier,  und  von  mir  entlassen  von  dannen  gehen, 
o  Geliibdetreuer. 


Adhy&ya  3G6  (B.  364).  881 

5.  (13  929.)  Denn  als  mein  Freund  darfst  du  nicht,  kaum 
dafs  du  mich  gesehen  hast,  mich  wieder  verlassen  und  fort- 
gehen,  o  Brahmanenweiser,  wie  einer,  der  blofs  bis  zur  Wurzel 
des  Baumes  gelangt  ist  [und  nicht  zu  seinen  Friichten]. 

6.  (13930.)  [Als  Freund]  lebe  ich  in  dir,  o  Bester  der  Bruh- 
manen,  und  du  in  mir,  alle  meine  Leute  gehoren  dir  an,  welches 
Bedenken  besteht  bei  dir  gegen  mich,  o  Untadliger? 

Der  Brahmane  sprach : 

7.  (13  931.)  Es  ist,  wie  du  sagst,  o  hochweiser,  atman- 
kundiger  Schlangenherr,  die  Gotter  selbst  sind  dir  nicht 
iiberlegen  in  jedem  Sinne  wie  es  auch  sei. 

8.  (13932.)  Du  bist  es  und  ich  bin  es,  und  was  ich  bin, 
bist  auch  du,  in  ihm,  der  mich  und  dich  und  die  Wesen, 
uns  alle  immerdar  umfafst. 

9.  (13  933.)  Es  bestand  bei  mir  ein  Zweifel,  o  Schlangen- 
herr, in  betreff  der  Ansammlung  eines  Schatzes  guter  Werke, 
jetzt  aber  bin  ich  entschlossen ,  o  Guter,  das  Geliibde  des 
Ahrenlesens  auf  mich  zu  nehmen  als  das,  was  zum  Ziele  fiihrt. 

10.  (13934.)  Diese  Gewifsheit  ist  mir  geworden,  o  Guter,  ich 
habe  den  hochsten  Antrieb  mir  zu  eigen  gemacht.  Ich  griifse 
dich,  Heil  sei  dir !    Mein  Zweck  ist  erreicht,  o  Schlangenherr. 

So  lautet  im  Mokehadharma  die  Erzahlung  vom  Ahrenleser 
(unchavritti  -  updkhydnani). 


Adhyaya  367  (B.  365). 

Vers  13935-13943  (B.  1-9). 

Bhishma  sprach: 

1.  (13935.)  Nachdem  dem  Brahmanen  die  Gewifsheit  ge- 
worden war,  nahm  er  Abschied  von  dem  Besten  der  Schlangen- 
herren  und  begab  sich,  um  die  Weihe  zu  erlangen,  zu  Cya- 
vana,  dem  Bhrigusprofs, 

2.  (13  936.)  Nachdem  er  von  ihm  die  Weihe  erhalten  hatte, 
widmete  er  sich  der  Pflicht  und  erzahlte  ihm  seine  Geschichte, 
o  Konig. 

Betjbsen,  Mahftbh&ratam.  5o 


882  in.    Mokshadharma. 

3.  (13  937.)  Von  dem  Bhrigusohne  wurde  dann  weiter  in 
dem  Hause  des  Janaka  diese  heilige  Geschichte  dem  hoch- 
sinnigen  Narada  mitgeteilt,  o  Fiirst  der  Konige. 

4.  (13  938.)  Von  dem  nicht  an  Werken  hangenden  Narada 
wurde  sie,  als  man  ihn  darum  fragte,  in  dem  Hause  des  Gotter- 
fiirsten  (Indra)  weitererzahit,  o  Bester  der  Bharata's. 

5.  (13939.)  Aber  von  dem  Gotterfiirsien  wurde  einstmals 
diese  schone  Geschichte  weiter  in  einer  Versammlung  alien 
preiswerten  Brahmanen  mitgeteilt,  o  Erdeherr. 

6.  (13  940.)  Und  als  jener  furchtbare  Kampf  zwischen  mir 
und  Rama  stattgefunden  hatte  (Mahabh.  V,  Adhy.  179  fg.), 
wurde  diese  Erzahlung  mir  von  den  Vasu's  berichtet,  o  Konig. 

7.  (13  941.)  Auf  deine  Frage  habe  ich  dir  der  Wahrheit 
gemafs  diese  reine,  heilige  Geschichte  iibermittelt ,  o  Bester 
der  Gesetzestrager, 

8.  (13942.)  und  erklart,  worin  jene  hochste  Satzung  be- 
steht,  nach  der  du  mich  fragtest,  o  Bharata.  Jener  Brah- 
mane  war  weise  und  in  der  Erfiillung  seiner  Pflicht  frei  von 
Wiinschen. 

9.    (13  943.     Metrum:   Aparavaktram.)     Nachdem    er    VOn    dem 

Schlangenherrn  in  dem,  was  er  zu  tun  hatte,  unterwiesen 
worden  war,  zog  er  nach  erlangter  Gewifsheit,  stark  in 
Zucht  und  Selbstzucht,  in  den  Wald,  indem  er  sich  nur 
von  dem  nahrte,  was  das  Geliibde  des  Ahrenlesens  ge- 
stattet. 

So  lautet  im  Mokshadharma  die  Erzahlung  vom  Ahrenleser 
(u  n  chavfitti  -updkhydn  anij . 


IV. 

ANUGlTA. 

Mahabharatam  Buch  XIV,  Adhyaya  16—51,  Vers  407—1477,  C. 
(=Biich  XIV,  Adhyaya  16-51,  B.). 


56^ 


Adhyaya  16  (B.  16). 

Vers  407-453  (B.  1-46). 

Janamejaya  sprach: 

1.  (407.)  Als  der  Vollhaarige  (Krishna)  und  Arjuna,  die 
Hochherzigen,  nach  Besiegung  der  Feinde  dort  in  dem  Palaste 
weilten,  welches  war  die  Unterredung,  o  Brahmane,  die  sich 
zwischen  beiden  entspann? 

Vaigampayana  sprach: 

2.  (408.)  Nachdem  der  Sohn  der  Pritha  die  vollstandige 
Herrschaft  erlangt  hatte,  lebte  er  in  Gemeinschaft  mit  Krishna 
in  jenem  himmlischen  Palaste  von  Freude  erfiillt. 

3.  (409.)  Daselbst  begab  es  sich  einmal,  o  Fiirst,  dafs  die 
beiden,  von  ihren  Leuten  gefolgt,  zufallig  in  ein  Gemach  des 
Palastes  gelangten,  welches  einem  Gemach  des  Himmels  glich. 

4.  (410.)  Da  nun  betrachtete  der  von  Krishna  begleitete 
Sohn  des  Pandu,  Arjuna,  voll  Freude  den  herrlichen  Palast 
und  sprach  dieses  Wort: 

5.  (411.)  0  Grofsarmiger ,  als  damals  der  Kampf  begann, 
da  lernte  ich  deine  Herrlichkeit  kennen,  o  Sohn  der  Devaki, 
und  jene  deine  gottliche  Gestalt  [oben,  S.  77  fg.]. 

.  6.  (412.)  Was  du,  o  Ileiliger,  damals  zu  mir  aus  Freund- 
schaft  gesprochen,  o  Vollhaariger,  das  alles,  o  Manntiger,  ist 
mir  vermoge  der  Hinfalligkeit  meines  Geistes  verloren  ge- 
gangen. 

7.  (413.)  Aber  ich  empfinde  immer  wieder  und  wieder  ein 
Verlangen  nach  jenen  Dingen,  und  es  wird  nun  nicht  mehr 
lange  dauern,  bis  du  nach  Dvaraka  aufbrechen  wirst,  o  Ma- 
dhava. 


886  IV.    Anugita. 

Vai^ampayaua  sprach : 

8.  (414.)  Als  der  herrliche  Krishna  also  von  dem  unter 
dem  Gestirn  Phalguni  Geborenen  (Arjuna)  angeredet  wurde, 
da  umarmte  er  ihn  und  erwiderte,  er,  der  Beste  der  Kedner, 
dieses  Wort: 

Vasudeva  (Krishna)  sprach: 

9.  (415.)  Ich  habe  dir  das  Geheimnis  verkiindet,  ich  habe 
dich  belehrt  iiber  die  immerwahrende,  aus  deiner  Natur  [als 
Kshatriya]  entspringende  Pflicht  und  iiber  die  ewigen  Welten. 

10.  (416.)  Dafs  du  aus  Unverstand  das  nicht  begriffen  hast, 
das  ist  mir  im  hochsten  Grade  unerwiinscht,  denn  nicht  noch 
einmal  wieder  wird  mir  heute  die  Riickerinnerung  daran  mog- 
lich  sein.  « 

11.  (417.)  Sicherlich,  es  fehlt  dir  an  Glauben,  denn  du 
bist  torichten  Sinnes,  o  Pandusohn,  und  es  ist  mir  nicht 
moglich,  dir  alles  noch  einmal  zu  wiederholen,  o  Gutgewinner. 

12.  (418.1  Jene  Lehre  war  vollstandig  hinreichend,  um  die 
Statte  des  Brahman  zu  erlangen;  es  ist  mir  nicht  moglich, 
dir  noch  einmal  das  alles  in  derselben  Weise  zu  wiederholen. 

13.  (419.)  Jenes  hochste  Brahman  hatte  ich  dir  verkiindigt, 
weil  ich  im  Yoga  versenkt  war.  Aber  es  gibt  eine  alte  Er- 
zahlung  iiber  diesen  Gegenstand,  die  will  ich  dir  mitteilen, 

14.  (420.)  so  dafs  du,  zu  dieser  Erkenntnis  gelangend,  den 
hochsten  Weg  gehen  kannst.  Vernimm  also  von  mir,  o  Bester 
der  Gesetzestrager,  alles,  was  ich  dir  sagen  werde. 

15.  (421.)  Ein  gewisser  Brahmane,  o  Feindiiberwinder,  kam 
herab  aus  der  Himmelswelt  und  der  Brahmanwelt,  und  dieser 
gewaltige  Mann  wurde  von  uns  mit  Verehrung  empfangen. 

16.  (422.)  Und  als  er  von  uns  befragt  wurde,  was  er  da 
antwortete,  o  Stier  der  Bharata's,  nach  himmlischer  Satzung, 
o  Prithasohn,  das  vernimm,  ohne  dagegen  Bedenken  zu  hegen. 

Der  Brahmane  sprach: 

17.  (423.)  Das,  warum  du  mich  befragst,  in  betreff  der 
Lehre  von  der  Erlosung  fmokshadharmaj,  o  Krishna,  und  was 
imstande  ist,  die  Verblendung  zu  heben,  das,  o  Herr,  will 
ich  aus  Mitleid  mit  den  Wesen 


Adhyiya  16  (B.  16).  887 

18.  (424.)  dir  verkiindigen  der  Wahrheit  gemafs,  o  Madhu- 
sudana,  vernimm  es  mit  Aufmerksamkeit,  o  Madhava,  wie 
ich  es  dir  sage. 

19.  (425.)  Ein  gewisser  an  Askese  reicher  Brahmane  namens 
Kagyapa,  der  Pflichten  sehr  kundig,  besuchte  einen  gewissen 
Zwiegeborenen,  welcher  die  heilige  Uberlieferung  der  Satzungen 
kannte 

20.  (426.)  und  liber  das  Gehen  und  Kommen  [der  Wesen] 
vielfaches  Erkennen  und  Wissen  bis  auf  den  Grund  erfafst 
hatte,  welcher  iiber  Wesen  und  Zweck  der  Welt  unterrichtet 
war  und  die  Bedeutung  von  Lust  und  Schmerz  erkannt  hatte, 

21.  (42.7.)  welcher  das  Wesen  von  Geburt  und  Tod  kannte, 
das  Bose  und  das  Gute  zu  unterscheiden  wufste  und  die  Wan- 
derung  der  infolge  ihrer  Werke  zu  einer  hohen  oder  niedrigen 
Stelle  gelangenden  Seelen  durchschaute, 

22.  (428.)  welcher  dahinwandelte  wie  ein  Erloster,  voll- 
endet,  beruhigt,  mit  bezahmten  Sinnen,  und  von  brahniischer 
kSchonheit  strahlte,  wohin  er  auch  immer  sich  begeben  mochte. 

23.  (429.)  Da  nun  Kagyapa  der  Wahrheit  gemafs  iiber 
diesen  erfahren  hatte,  dafs  er  es  vermochte,  unsichtbar  zu 
wandeln  und  demgemafs  mit  unsichtbaren  Wesen,  mit  Voll- 
endeten  und  Cakradhara's  [vielleicht:  himmlischen  Musikern] 
Verkehr  zu  pflegen, 

24.  (430.)  mit  ihnen  sich  insgeheim  zu  unterreden  und 
zusammenzusitzen,  sowie  auch  nach  Belieben  und  ungehemmt 
wie  der  Wind  umherzuschweifen, 

25.  (431.)  so  nahte  sich  ihm  der  Weise,  Beste  der  Brah- 
manen,  und  nach  der  Lehre  begehrend,  warf  sich  der  an 
Askese  und  Meditation  Reiche  zu  seinen  Fiifsen  nieder,  (432.)  wie 
es  sich  geziemt,  indem  er  die  grofse  Wunderkraft  des  Mannes 
erkannte. 

26.  (433.)  Und  mit  Erstaunen  die  Wunderkraft  erkannt 
habend,  erfreute  Kagyapa  jenen  hochsten  Brahmanen  als 
seinen  Lehrer  mit  grofser  Huldigung. 

27.  Auch  war  dieses  alles  angemessen  und  in  Uberein- 
stimmung  mit  der  Schriftlehre  und  dem  guten  Lebenswandel, 
(434.)  denn  er  erfreute  ihn  durch  seine  Liebe,  wie  es  einem 
Lehrer  gegeniiber  Branch  ist,  o  Feindbezwinger. 


IV.    Aiiugita. 

28.  Jener  aber,  erfreut  und  giinstig  gestimmt,  redete  zu 
ihm,  der  von  seinem  Schiiler  begleitet  war,  die  Rede,  (435.)  welche 
du,  0  Janardana  (Krishna),  in  betreff  der  hochsten  Vollendung 
von  mir  vernehmen  mogest. 

Der  Vollendete  sprach : 

29.  (436.)  Durch  mannigfache  Werke,  o  Freund,  sowie 
durch  blofse  reine  Hingebungen  erlangen  die  Sterblichen  so- 
wohl  den  Weg  zu  dieser  Welt  als  auch  ein  Verweilen  in  der 
Gotterwelt. 

30.  (437.)  Aber  nirgendwo  wird  ihnen  ewiges  Gliick  zu- 
teil  und  nirgendwo  eine  bleibende  Statte;  immer  wieder  und 
wieder  erfolgt  ein  Herabfallen  aus  der  grofsen,  schwer  er- 
rungenen  Stellung. 

31.  (438.)  Unschone  und  fiir  mich  schlimme  Wege  wurden, 
weil  ich  Ubles  tat,  erlangt  von  mir,  da  ich  von  Lust  und 
Zorn  iiberwaltigt  und  von  Durst  ftrishnaj  verblendet  war. 

32.  (439.)  Immer  aufs  neue  wiederholt  sich  das  Sterben 
und  immer  wieder  aufs  neue  das  Geborenwerden;  mancherlei 
Speisen  habe  ich  schon  genossen,  mancherlei  Mutterbriiste 
schon  getrunken. 

33.  (440.)  Mannigfache  Mutter  habe  ich  schon  gehabt  und 
vielerlei  Vater ;  die  verschiedensten  Freuden  und  Leiden  habe 
ich  erfahren,  o  Untadliger. 

34.  (441.)  Vielfach  schon  ist  mir  widerfahren,  von  Lieben 
getrennt  zu  werden  und  mit  Unlieben  vereinigt  zu  sein  [vgl. 
die  erste  heilige  Wahrheit  des  Buddhismus],  vielfach  schon 
Verlust  des  Vermogens,  nachdem  ich  es  mit  Miihe  erworben 
hatte, 

35.  (442.)  sowie  auch  sehr  peinliche  Demiitigungen  von 
seiten  des  Konigs  und  seiner  Leute,  und  iiberaus  herbe 
Schmerzen  an  Leib  und  Geist. 

36.  (443.)  Erlitten  habe  ich  furchtbare  Erniedrigungen, 
Ermordungen  und  herbe  Fesselungen,  sowie  auch  Herab- 
stiirzung  in  die  Holle  und  Ziichtigungen  in  der  Behausung 
des  Yama. 

37.  (444.)  Auch  habe  ich  fort  und  fort  Alter  und  Krank- 
heit  und  vielfaches  Mifsgeschick  in  dieser  Welt  heftig  erleiden 


Adhy&ya  16  (B.  16).  889 

miissen,  welches  aus  den  Gegensatzen  [Kalte  und  Warme  usw,] 
entsprang. 

38.  (445.)  Darum  habe  ich  endlich  aus  Uberdrufs  und  in- 
dem  ich  meine  Zuflucht  zu  dem  Gestaltlosen  nahm,  dem  Welt- 
getriebe  entsagt,  nachdem  ich  schwer  von  Leiden  gequalt 
worden  war. 

39.  (446.)  Und  so  habe  ich  nach  dem,  was  ich  in  dieser 
Welt  auskostete,  diesen  Weg  hier  eingeschlagen ;  darauf 
wurde  mir  durch  die  Gnade  des  Atman  die  gegenwartige 
Vollkommenheit  zuteil. 

40.  (447.)  Ich  werde  nicht  wieder  hierher  zuriickkehren, 
ich  betrachte  die  Wei  ten  und  die  gliicklichen  Wege  meiner 
selbst,  die  ich  bis  zur  Vollkommenheit  von  der  Schopfung 
der  Kreaturen  an  durchwandert  habe. 

41.  (448.)  Auf  diese  Weise  habe  ich,  o  Bester  der  Zwie- 
geborenen,  die  hochste  Vollendung  erreicht;  hinfort  werde 
ich  wieder  zu  dem  gehen,  was  hoher  als  diese  Welt  ist, 

42.  (449.)  zu  der  verborgenen  Statte  des  Brahman,  daran 
mogest  du  nicht  zweifeln;  ich  werde  nicht  wieder,  o  Bedranger 
der  Feinde,  hierher  in  die  Welt  der  Sterblichen  zuriickkehren. 

43.  (4.')0.)  Ich  bin  zufrieden  mit  dir,  o  grofser  Weiser, 
sage,  was  ich  dir  tun  soil;  was  du  begehrtest,  da  du  zu  mir 
kamst,  dafiir  ist  jetzt  die  Zeit  gekommen, 

44.  (Ji>i.)  und  ich  billige  das,  um  dessentwillen  du  zu  mir 
gekommen  bist;  aber  bald  werde  ich  hiniibergehen ;  darum 
habe  ich  dir  diese  Anregung  gegeben. 

45.  (452.)  Ich  bin  sehr  erfreut  iiber  dein  Verhalten,  o  du 
Verstandiger.  Frage  nur,  was  zu  deinem  Besten  dient,  ich 
will  dir  sagen,  was  du  zu  wissen  wiinschest. 

46.  (453.)  Ich  schatze  deine  Einsicht  hoch  und  erkenne 
sie  sehr  an,  weil  ich  von  dir  entdeckt  worden  bin,  denn  du 
bist  weise,  o  Kagyapa. 

So  lautet  in  der  Anugtt&  der  erste  Adhy&ya. 


890  IV.    Anugita. 

Adhyaya  17  (B.  17). 

Vers  454-496  (B.  1-42). 

Vasudeva  (Krishna)  sprach : 

1.  (454.)  Da  umschlang  er  (Kagyapa)  seine  [des  Voll- 
endeten]  Fiifse  und  legte  ihm  schwer  zu  losende  Fragen  vor, 
und  er,  der  Beste  der  Lehrmeister,  verkiindigte  ihm  diese 
Lehren, 

Ka^yapa  sprach : 

2.  (455.)  Wie  fallt  der  Korper  dahin,  und  wie  ersteht  er 
wieder,  und  wie  wird  man,  umwandernd,  aus  dem  schlimmen 
Wanderungsumlaufe  eriost  ? 

3.  (456.)  Und  wie  geschieht  es,  dafs  der  Atman  die  Natur 
(Prakriti)  loslafst  und  diesen  Leib  aufgibt?  Und  wie  vermag 
er,  nachdem  er  von  seinem  Leibe  befreit  ist,  in  einen  andern 
einzugehen  ? 

4.  (457.)  Und  wie  konnen  an  einem  Menschen  die  guten 
und  bosen  Werke,  welche  er  begangen  hat,  vergolten  werden, 
und  wo  befindet  sich  sein  Werk,  nachdem  er  korperlos  ge- 
geworden  ist? 

Der  Brahmane  sprach  [zu  Krishna]: 

5.  (458.)  Nachdem  der  Vollendete  in  dieser  Weise  auf- 
gefordert  worden  war,  beantwortete  er  diese  Fragen  der  Reihe 
nach,  o  Varshneya;  das  vernimm,  wie  ich  es  dir  erzahle. 

Der  Vollendete  sprach  [zu  Kagyapa] : 

6.  (459.)  Wenn  die  Werke,  die  ein  Mensch  als  Leben  und 
Ruhm  fordernde  wahrend  der  Innehabung  eines  bestimmten 
Korpers  betrieben  hat,  wenn  diese  vollstandig  abgetan  sind, 

7.  (460.)  dann  legt  er  sich,  da  nun  sein  Selbst  von  der 
Vernichtung  des  Lebens  iiberwaltigt  wird,  auf  entgegengesetzte 
[dem  Leben  schadhche]  Handlungen,  und  auch  sein  Verstand 
lafst  ihn  im  Stich,  wenn  der  Untergang  bevorsteht. 

8.  (461.)  Und  wahrend  er  [ehedem]  in  dieser  Weise  seine 
Natur  und  seine  Kraft  und  die  rechte  Zeit  wohl  verstanden 
hatte,  so  gestattet  er  sich  jetzt,  wo  er  nicht  mehr  Herr  seiner 
selbst  ist,  Dinge,  die  ihm  [seinem  Wohlsein]  zuwider  sind. 


Adhy^ya  17  (B.  17).  891 

9.  (462.)  Wenn  er  sich  dann  alles  mogliche  erlaubt,  was 
ihm  sehr  schadlich  ist,  wenn  er  [zum  Beispiel]  iibermafsig 
ifst  Oder  aber  ganz  und  gar  nichts  ifst, 

10.  (463.)  wenn  er  Speisen,  Fleisch  und  Getranke  geniefst, 
die  verdorben  sind  oder  sich  nicht  miteinander  vertragen, 
Oder  wenn  er  Schwerverdauliches  allzu  reichlich  geniefst,  oder 
ehe  er  noch  vollstandig  verdaut  hat, 

11.  (464.)  oder  wenn  er  in  Korperanstrengungen  oder  im 
[geschlechtHchen]  Drauflosgehen  nicht  Mafs  halt,  oder  ge- 
wohnheitsmafsig  im  Eifer  der  Arbeit  den  natiirlichen  Drang 
zuriickhalt, 

12.  (465.)  oder  wenn  er  einFreund  scharfgewurzter  Speisen 
und  des  Schlafens  am  Tage  ist  und  dadurch,  ehe  noch  seine 
Zeit  reif  und  gekommen  ist,  selbsttatig  die  Korpersafte 
(doshaj  in  Storung  versetzt, 

13.  (466.)  dann  zieht  er  sich  durch  die  Storung  seiner 
Korpersafte  eine  Krankheit  zu,  die  zum  Tode  fiihrt,  oder 
auch  er  entschliefst  sich  zu  widerwartigen  Handlungen,  z.  B. 
indem  er  sich  aufhangt. 

14.  (467.)  Durch  diese  Ursachen  verfallt  bei  einem  leben- 
den  Wesen  der  Korper  und  sodann  auch  das  Leben;  dies 
lasse  dir  erklaren  und  behalte  es,  wie  es  sich  geziemt. 

15.  (468.)  Wenn  in  dem  Korper  die  Warme  gestort  wird, 
indem  sie  aufgeregt  wird  durch  scharfe  Windstromungen,  so 
durchzieht  sie  den  Leib  und  behindert  alle  [fiinf]  Lebenshauche. 

16.  (469.)  Wenn  nun  die  Warme  in  dem  Korper  aufgeregt 
und  iibermafsig  stark  wird,  so  dringt  sie  ein  in  die  der  Seele 
als  Sitz  dienenden  letalen  Partien  fmarmanj,  das  wisse  der 
Wahrheit  gemafs. 

17.  (470.)  Alsdann  macht  sich  die  schmerzempfindende 
Seele  alsbald  von  dem  hinfalligen  [Korper]  los,  und  das  Lebe- 
wesen  verlafst  seinen  Korper,  nachdem  die  letalen  Partien 
verletzt  worden  sind, 

18.  (471.)  und  die  Seele  wird  von  den  Schmerzen  iiber- 
waltigt,  das  wisse,  o  Bester  der  Brahmanen;  und  so  leben 
alle  Kreaturen  fortwahrend  in  der  Angst  vor  dem  Geboren- 
werden  und  Sterben. 

19.  (472.)   Man  sieht  sie,  wie  sie  ihre  Leiber  verlassen, 


892  IV.    Anugita. 

o  Stier  unter  den  Zwiegeborenen,  und  wie  sie  beim  Eingang 
in  einen  Mutterschofs  aufs  neue  in  die  Glieder  hineinkriechen. 

20.  (473.)  Einen  derartigen  Schmerz  empfmdet  der  Mensch 
auch  wiederum,  wenn  er  sich  die  Glieder  bricht,  oder  auch 
er  erfahrt  ihn  als  Nafswerden  durch  das  Wasser. 

21.  (474.)  Und  so  wie  der  Lebenshauch  das  Entstandensein 
in  den  fiinf  Elementen  unterstiitzt,  so  geschieht  es  auch,  dafs 
er  im  Korper  von  der  Kalte  aufgeregt  und  durch  einen  scharfen 
Luftzug  in  Wallung  gebracht, 

22.  (475.)  dafs  er,  der  in  den  fiinf  Elementen  sein  Be- 
stehen  in  Aushauch  und  Einhauch  hatte,  nunmehr  nach  oben 
hin  steigt  und  aus  den  ungliicklichen  Geschopfen  entweicht; 

23.  (476.)  und  so  verlafst  er  den  Korper,  und  der  Mensch 
wird  gesehen,  wie  er  ohne  Odem  ist;  und  wenn  er  in  dieser 
Weise  ohne  Warme,  ohne  Odem,  ohne  Schonheit,  seines  Be- 
wufstseins  beraubt, 

24.  (477.)  von  dem  Brahman  [der  Seele]  verlassen,  da- 
liegt,  so  wird  der  Mensch  ein  Leichnam  genannt.  Und  durch 
die  Stromungen  [die  Sinnesorgane,  ^vet.  Up.  1,5],  durch 
welche  der  Leibestrager  die  Sinnendinge  erkennt, 

25.  (478.)  durch  diese  erkennt  er  nicht  mehr  die  aus  der 
Ernahrung  entsprungenen  Lebensorgane  [er  erkennt  seinen 
Leib  nicht  mehr];  denn  derjenige,  der  dabei  im  Leibe  sich 
betatigt,  ist  nur  der  ewige  Jiva  (die  individuelle  Seele). 

26.  (479.)  Ferner:  alles,  was  irgendwo  im  Leibe  von  der 
Art  ist,  dafs  es  fiir  die  Zusammensetzung  des  Korpers  wesent- 
lich  ist,  das,  wisse,  ist  eine  letale  Stelle  fmarmanj;  denn  dies 
ist  zu  ersehen  aus  dem  Schriftkanon. 

27.  (480.)  Wenn  nun  diese  letalen  Stellen  verletzt  werden, 
so  bedrangt  von  ihnen  aus  jener  [der  Lebenshauch]  das  Herz, 
dringt  in  dasselbe  ein  und  verschliefst  alsbald  das  Sattvam 
[die  geistige  Kraft,  das  Manas]  des  betreffenden  Wesens; 
(481.)  dann  geschieht  es,  dafs  dieses  Wesen,  obgleich  mit  Be- 
wufstsein  begabt,  doch  nichts  mehr  erkennt. 

28.  Dann  wird  sein  Bewufstsein  vom  Tamas  umhiillt, 
nachdem  schon  die  letalen  Telle  davon  umhiillt  worden  waren, 
(482.)  und  die  individuelle  Seele  ist  ohne  festen  Stand  und 
wird  vom  Winde  hin  und  her  bewegt. 


Adhy&ya  17  (B.  17).  893 

29.  Dann  stofst  die  Seele  heftig  jenes  furchtbare  Rocheln 
aus,  (483.)  und  indem  sie  auszieht,  macht  sie  alsbald  den  be- 
wufstlosen  Korper  erzittern. 

30.  Dann  geschieht  es,  dafs  die  Seele  aus  ihrem  Kor- 
per herausgetrieben  und  von  ihren  Werken  umhiillt  wird, 
(484.)  beiderseits,  sowohl  von  den  guten  und  heiligen,  als  auch 
von  den  bosen. 

31.  Brahmanen,  welche  mil  Erkenntnis  begabt  sind  und, 
wie  es  sich  gehort,  Gewifsheit  aus  der  Schrift  geschopft 
haben,  (485.)  erkennen  an  bestimmten  Zeichen  den,  welcher 
Gutes  getan  hat,  und  den  andern. 

32.  Wie  einen  im  Dunkel  hier  oder  da  verschwindenden 
Leuchtkafer  (486.)  diejenigen,  welche  gute  Augen  haben,  noch 
erkennen,  so  ist  es  auch  mit  denen,  welche  das  Auge  des 
Geistes  besitzen. 

33.  Die  Vollendeten  schauen  mit  gottlichem  Auge  die 
Seele  in  dieser  Lage,  (487.)  sowohl  wenn  sie  aus  dem  Korper 
fallt,  als  auch  wenn  sie,  um  geboren  zu  werden,  in  einen 
Mutterschofs  eingeht. 

34.  Eine  dreifache  Statte  der  Seele  gibt  es,  wie  schon 
hienieden  aus  der  Schrift  zu  ersehen  ist.  (488.)  Diese  Erde, 
auf  der  Kreaturen  wohnen,  ist  das  Land  der  Werke. 

35.  Und  sodann,  je  nachdem  sie  Gutes  oder  Boses  ge- 
tan haben,  empfangen  die  Verkorperten  [den  LohnJ  dafiir; 
(489.)  schon  hienieden  empfangen  sie  hohe  und  niedrige  Ver- 
geltung  fiir  ihre  eigenen  Werke. 

36.  Diejenigen,  welche  hier  bose  Werke  tun,  gelangen 
fiir  ihre  Werke  in  die  Holle;  (490.)  dies  ist  der  schlimme  Weg 
nach  unten,  auf  dem  die  Menschen  gepeinigt  [wortlich:  ge- 
braten]  werden;  aus  ihr  [der  Holle]  ist  es  sehr  schwer  los- 
zukommen,  und  man  mufs  seine  Seele  sorgfaltig  vor  ihr 
behiiten. 

37.  (491.)  Hingegen  die  Statten,  an  welchen  die  Seelen 
weilen,  die  nach  oben  gegangen  sind,  diese,  wie  sie  schon 
hienieden  uns  verkiindigt  werden,  vernimm  von  mir  der  Wahr- 
heit  gemafs. 

38.  (492.)  So  mogest  du,  nachdem  du  die  zuverlassige  Er- 
kenntnis vernommen  hast,  die  Gewifsheit  in  betreff  der  Werke 


894  IV.    Anugita. 

erfahren.     Alle   die   Gestalten  der  Gestirne   und  jene  Mond- 
scheibe  dort, 

39.  (493.)  wie  auch  die  Welt,  in  welcher  mit  eigenem 
Olanze  die  Sonnenscheibe  strahlt,  diese  alle  wisse  als  die 
Statten  der  Menschen,  welche  heilige  "Werke  geiibt  liaben. 

40.  (494.)  Aber  nachdem  ihre  Werke  verbraucht  sind, 
miissen  sie  alle  immer  wieder  aufs  neue  herabsinken ;  auch 
ist  dort  oben  im  Himmel  eine  Unterscheidung  zwischen 
Niedrigem,  Hohem  und  Mittlerem; 

41.  (495.)  und  auch  darum  ist  dort  keine  voile  Befriedi- 
gung,  weil  man  ein  glanzenderes  Gliick  vor  Augen  sieht. 
Damit  habe  ich  dir  alle  jene  Wege  im  einzelnen  erklart. 

42.  (496.)  Nunmehr  aber  will  ich  dir  das  Eingehen  in  einen 
Mutterleib  erklaren;  und  auch  dies  vernimm  von  mir,  wie 
ich  es  dir  darlege,  mit  Aufmerksamkeit,  o  Brahmane. 

So  lautet  in  der  AnugltS,  der  zweite  Adhyaya. 


Adhyaya  18  (B.  18). 

Vers  497-531  (B.  1-35). 

Der  [vollendete]  Brahmane  sprach: 

1.  (497.)  Fiir  gute  und  hose  Werke  gibt  es  keinen  Ver- 
gang;  sie  kommen  zur  Reife,  indem  man  in  den  ihnen  jedes- 
mal  entsprechenden  Korper  eingeht. 

2.  (498.)  Wie  ein  Fruchtbaum,  der  zeugungskraftig  ist, 
viele  Friichte  hervorbringt,  so  wird  von  einem  reinen  Gemiite 
(manasj  eine  grofse  Menge  verdienstlicher  Werke  hervor- 
gebracht. 

3.  (499.)  In  derselben  Weise  wird  das  Bose  durch  ein 
boses  Gemiit  bewirkt,  denn  die  Seele  verfahrt  in  der  Weise, 
dafs  sie  das  Gemiit  [wie  ein  Filrst  seinen  Purohita]  beauf- 
tragt  fpurodhdyqj ,  das  Werk  zu  tun. 

4.  (500.)  Wie  nun  ein  Mensch,  mit  seinem  Werke  beladen 
und  in  Lust  und  Zorn  gehiillt,  in  einen  Mutterschofs  eingeht, 
auch  dies  vernimm,  wie  ich  es  dir  beantworte. 

5.  (501.)  Der  [mannliche]  Same,  mit  dem  [weiblichen] 
Blute  vermischt,    gelangt   in    den  Uterus    des   Weibes    und 


Adhy&ya  18  (B.  18).  895 

erhalt  dort  einen  aus  seinen  Werken  entstehenden  Leib,  sei 
es  einen  schonen  oder  niehtschonen. 

6.  (502.)  Und  wegen  seiner  Subtilitat  und  seines  unoff'en- 
baren  Wesens  hangt  er  [der  Purusha,  die  Seele]  nirgendwo 
[an  den  Korperelementen]  fest  [vgl.  asango  hy  ayam  purushah, 
Brih.  Up.  4,3,15] ;  darum  wird  er,  wenn  er  als  Brahmane  sein 
Verlangen  erreicht  hat,  zu  jenem  ewigen  Brahman. 

7.  (503.)  Dieses  [Brahman]  ist  der  Same  aller  Wesen, 
durch  dieses  leben  alle  Kreaturen;  dieses,  als  individuelle 
Seele  alle  Glieder  des  Embryo  Stiick  fiir  Stiick  erfiillt  habend, 

8.  (504.)  erhalt  sie  aufrecht  vermittelst  des  Bewufstseins, 
sofort  seinen  Standort  in  den  Lebensorganen  nehmend;  als- 
dann  versetzt  der  mit  dem  Geistigen  ausgestattete  Embryo 
die  Glieder  in  Zuckungen. 

9.  (505.)  Wie  der  sich  ergiefsende  Flufs  des  [geschmolzenen] 
Eisens  die  bestimmte  Form  der  Statue  ausfiillt,  so,  wisse,  ist 
das  Eingehen  der  Seele  in  den  Embryo. 

10.  (506.)  Wie  die  Feuersglut,  in  einen  Eisenklumpen  ein- 
gehend,  ihn  durch  und  durch  erhitzt,  so  ist,  das  sollst  du 
wissen,  das  Eindringen  der  Seele  in  den  Embryo. 

11.  (507.)  Und  wie  die  Lampe  leuchtet,  welche  in  einem 
Zimmer  brennt,  in  eben  dieser  Weise  erleuchtet  das  Bewufst- 
sein  die  Leiber. 

12.  (508.)  Alle  Werke,  die  einer  vollbringt,  seien  sie  gut 
oder  hose,  alles,  was  in  einer  friihern  Verkorperung  begangen 
wurde,  das  wird  unfehlbar  abgebiifst. 

13.  (509.)  Damit  wird  es  abgetragen,  aber  zugleich  sammelt 
sich  wiederum  anderes  Werk  an,  bis  dafs  einer  zur  Erkennt- 
nis  derjenigen  Pflicht  kommt,  welche  in  der  Hingebung  an 
die  Erlosung  besteht. 

14.  (510.)  Nun  will  ich  dir  das  Werk  verkiinden,  durch 
welches  einer  selig  wird,  und  wie  er  es  wird,  wahrend  er  in 
abwechselnden  Geburten  immer  wiederkehrt,  o  Bester. 

15.  (511.)  Freigebigkeit,  Geliibde,  vorschriftsmafsiges  Leben 
als  Brahmanschiiler,  Behalten  des  heiligen  Wortes,  Bezah- 
mung,  Beruhigtsein  und  Mitleid  mit  den  Wesen, 

16.  (512.)  Selbstbeherrschung,  Freiheit  von  Ubelwollen, 
Vermeidung   des   Sichvergreifens   an   fremdem   Gute,  Nicht- 


896  IV.  Anugita. 

begehen  von  Ubeltaten   auch  nur  in  Gedanken  gegen  irgend 
welche  Wesen  auf  der  Welt, 

17.  (513.)  Gehorsam  gegen  Mutter  und  Vater,  Ehren- 
erweisung  gegen  Gotter  und  Gaste,  Ehrung  des  Lehrers,  Mit- 
leid,  Reinheit,  bestandige  Beherrschung  der  Sinne 

18.  (514.)  und  Beforderung  edier  Handlungen  —  dies  wird 
der  Lebenswandel  der  Guten  genannt;  aus  ihm  entspringt 
die  Gerechtigkeit,  welche  die  Wesen  in  alle  Ewigkeit  beschiitzt. 

19.  (B15.)  Daher  wird  man  sie  immer  bei  den  Guten  sehen, 
bei  ihnen  hat  sie  ihren  bestandigen  Standort,  ihr  Wandel 
zeigt  an,  was  Gerechtigkeit  ist,  in  welcher  sie  ruhig  und  fest 
beharren. 

20.  (516.)  Ihnen  ist  dieses  Werk  anvertraut,  namlich  diese 
ewige  Gerechtigkeit;  wer  ihr  sich  zuwendet,  der  wird  sich 
nicht  auf  einen  Abweg  verlieren. 

21.  (517.)  Hierdurch  wird  die  Welt  aufrecht  erhalten,  wenn 
sie  von  den  Wegen  der  Pflicht  abirrt;  aber  ein  dem  Yoga 
Ergebener,  ein  Erloster  zeichnet  sich  auch  noch  vor  jenen  aus. 

22.  (518.)  Wenn  aber  einer  der  Pflicht  gemafs  einen  guten 
Wandel  iibt,  wo  und  wie  es  immer  sein  mag,  ein  solcher 
wird  erst  nach  langer  Zeit  iiber  den  Safisara  hinausgefiihrt. 

23.  (519.)  In  dieser  Weise  gelangt  ein  Mensch  allemal  zu 
dem  friiher  begangenen  Werke,  und  dieses  ist  die  ganze 
Ursache,  um  derentwillen  einer  in  verwandelter  Gestalt  hier- 
her  zuriickkehrt. 

24.  (520.)  Aber  durch  wen  ist  es  zu  Anfang  angeordnet 
worden,  dafs  einer  [als  Siihne  fiir  friihere  Werke]  einen 
Korper  annehmen  mufs?  —  Dariiber  besteht  in  der  Welt 
Zweifel;  das  will  ich  dir  nunmehr  erklaren. 

25.  (521.)  Als  der  Urvater  aller  Welt  sich  selbst  einen 
Leib  geschaffen  hatte,  da  liefs  er,  der  Gott  Brahman,  die  drei 
Welten  aus  sich  hervorgehen,  alles  Unbewegliche  und  Be- 
wegliche. 

26.  (522.)  Darauf  entliefs  er  aus  sich  das  Pradhanam  [die 
Urnatur,  d.  h.  doch  wohl  seinen  eigenen  Leib]  als  die  Prakriti 
[die  Urmaterie]  der  zu  verkorpernden  Seelen,  von  welcher 
diese  ganze  Welt  erfiillt  ist,  und  die  man  gemeiniglich  fiir 
das  Hochste  ansieht. 


Adhy&ya  18  (B.  18).  897 

27.  (523.)  Diese  wird  bezeichnet  als  das  Veranderliche 
("ksharamj,  das  andere  aber  ist  das  Unsterbliche,  Unverander- 
liche.  Als  eine  Verbindung  von  den  dreien  [d.  h.  von  den 
drei  Guna's,  aus  denen  die  Prakriti  besteht,  vgl.  auch  mithuna, 
Sankhya-Karika  12],  fiir  jedes  Einzelwesen  in  besonderer 
Weise,  hat  er  alles, 

28.  (524.)  hat  er  alle  Wesen  gescliaifen,  nachdem  er  als 
Schopfer  (Prajapati)  vorher  zum  Vorschein  gekommen  war 
[vgl.  Manu  1,6—7  prddur  dsit,  udbabhau],  sowie  audi  die 
Pflanzen;  so  lehrt  es  die  althergebrachte  Sehrift. 

29.  (.525.)  Aber  fiir  jenes  [Annehmen  eines  Korpers]  ver- 
ordnete  der  Weltvater  eine  Zeitgrenze  und  ebenso  die  Um- 
wanderung  unter  den  Wesen  und  die  immer  neue  Wiederkehr. 

30.  (526.)  Was  ich  dir  als  ein  weiser  Mann,  der  den  Atman 
in  einer  friihern  Geburt  erkannt  hat,  sagen  werde,  das  ist 
alles  der  Wahrheit  gemafs. 

31.  (527.)  Wer  erkennt,  wie  Lust  und  Schmerz  ganz  und 
gar  verganglich  sind,  und  dafs  der  Korper  eine  unreine  An- 
sammlung,  und  dafs  sein  Untergang  durch  die  Werke  be- 
dingt  ist, 

32.  (528.)  und  wer  bedenkt,  dafs  alle  Lust  im  Grunde  doch 
Leid  ist,  der  wird  den  furchtbaren  Ozean  des  Sansara  iiber- 
schreiten,  so  schwer  das  ist. 

33.  (529.)  Er,  der  mit  Geburt,  Tod  und  Krankheit  behaftet 
ist,  aber  die  [Illusion  der]  Materie  durchschaut,  er  erkennt 
in  alien  geistigen  Wesen  ein  und  dasselbe  Geistige. 

34.  (530.)  Dann  wird  er  der  ganzen  Welt  uberdriissig  und 
erforscht  die  hbchste  Statte.  Hieriiber  will  ich  dir,  o  Bester, 
der  Wahrheit  gemafs  Belehrung  geben. 

35.  (531.)  Und  was  die  hochste  Erkenntnis  von  jenem 
Ewigen,  Unverganglichen  ist,  das,  o  Brahmane,  sollst  du,  wie 
ich  es  dir  sagen  werde,  vollstandig  vernehmen. 

So  lautet  in  der  Anugita  dor  dritte  Adhy&ya. 


Dbussen,  Mah&bhAratam.  t  57 


898  IV.    Anugita. 

Adhyaya  19  (B.  19). 

Vers  532-598  (B.  1-66). 

Der  [voUeadete]  Brahmane  sprach : 

1.  (532.)  Wer  beharrt,  in  das  einzige  Ziel  vertieft,  schwei- 
gend,  nicht  denkend  woran  es  audi  immer  sei,  und  alles 
Friihere  hinter  sich  lassend,  der  ist  iiber  die  Bindung  hinaus- 
geschritten. 

2.  (533.)  Wer  alien  Freund  ist,  alles  duldend,  der  Ruhe 
ergeben,  die  Sinne  besiegt  habend,  frei  von  Furcht  und  Zorn 
und  Herr  seiner  selbst,  der  Mann  wird  erlost. 

3.  (534.)  Wer  alle  Wesen  wie  sich  selbst  behandelt,  be- 
zahmt,  rein,  ohne  Stolz  und  Hinterlist  ist,  der  ist  von  allem 
erlost. 

4.  (535.)  Wer  bei  beidem,  Leben  und  Tod,  bei  Freude  und 
Schmerz,  bei  Gewinn  und  Verlust,  bei  Liebem  und  Unliebern 
gleichmiitig  bleibt,  auch  der  wird  erlost. 

5.  (536.)  Nicht  begehrt  er  nach  irgend  etwas,  nicht  ver- 
achtet  er  irgendwas,  er  ist  frei  von  den  Gegensatzen  [z.  B. 
Liebe  und  Hafs]  und  in  seiner  Seele  ohne  Leidenschaft;  ein 
solcher  ist  in  jedem  Sinne  erlost. 

6.  (537.)  Wer  ohne  Freunde,  ohne  Verwandte,  ohne  Nach- 
kommenschaft  ist,  wo  es  auch  immer  sein  mag,  wer  das  Gute, 
Niitzliche  und  Angenehme  hat  fahren  lassen  und  frei  von  Be- 
gierde  ist,  wird  erlost. 

7.  (538.)  Wer  nicht  mehr  am  Guten,  nicht  mehr  am  Bosen 
hangt,  von  dem  friiher  Aufgehauften  [Verdienste  der  guten 
Werke]  sich  frei  macht,  durch  Aufreibung  der  Stoffe  seines 
Korpers  seine  Seele  beruhigt  hat  und  von  den  Gegensatzen 
sich  losgesagt  hat,  der  wird  erlost. 

8.  (539.)  Wer  ohne  Werke,  ohne  Begierde  hinblickt  auf 
die  vergangliche  W^elt,  wie  sie,  dem  Feigenbaum  [d.  h.  der 
Vielheit  seiner  Zweige,  Kath.  Up.  6,1]  vergleichbar,  immerfort 
an  Geburt,  Tod  und  Alter  gebunden  ist, 

9.  (540.)  wer  mit  dem  Bewufstsein  der  Leidenschaftslosig- 
keit  immerfort   auf  seine   Fehler   achtet,   der  vollbringt    die 


Adhy&ya  19  (B.  19).  899 

Befreiung   seiner   Seele  von   der   Bindung,    man   kann   wohl 
sagen,  in  kurzer  Zeit. 

10.  (541.)  Wer  den  unriechbaren,  unschmeckbaren,  unfiihl- 
baren,  unhorbaren,  unfafsbaren,  unsichtbaren,  unerkennbaren 
Atman  schaut,  der  wird  erlosi. 

11.  (542.)  Wer  den  von  den  Qualitaten  der  fiinf  Elemente 
freien,  gestaltlos-ursachlosen,  gunalosen  Geniefser  der  Guna's 
schaut,  der  wird  erlost. 

12.  (543.)  Durch  die  Erkenntnis  alle  Wiinsche,  die  korper- 
lichen  wie  die  geistigen,  aufgebend,  erlangt  er  nach  und  nach 
das  Nirvanam  (das  Erloschen)  wie  das  Feuer,  dessen  Brenp- 
holz  verbrannt  ist. 

13.  (544.)  Wer  frei  von  alien  Nachwirkungen  [der  friihern 
Geburt],  frei  von  den  Gegensatzen,  frei  von  allem  Anhang 
[Familie  usw.]  ist  und  durch  die  Schar  der  Sinne  mittels 
Askese  hindurchgeht,  der  ist  erlost. 

14.  (545.)  Wenn  er  von  alien  Nachwirkungen  befreit  ist, 
alsdann  erlangt  er  das  ewige,  hochste,  ruhige,  unbewegliche, 
bestandige,  unvergangliche  Brahman. 

15.  (546.)  Weiterhin  nun  will  ich  dir  die  uniibertreffliche 
Wissenschaft  des  Yoga  mitteilen  und  wie,  dieser  sich  hin- 
gebend,  die  Yogin's  den  vollkommenen  Atman  schauen. 

16.  (547.)  Uber  diesen  will  ich  dir  die  Unterweisung  mit- 
teilen, wie  es  sich  gehort;  dies  vernimm  von  mir,  durch 
welche  Pforten,  sich  selbst  in  sich  selbst  eindringen  lassend, 
man  das  Ewige  erschaut. 

17.  (548.)  Die  Sinnesorgane  in  sich  hineinziehend ,  soil 
man  das  Manas  in  sich  selbst  feststellen,  und  nachdem  man 
vorher  scharfe  Askese  geiibt  hat,  den  zur  Erlosung  fiihren- 
den  Yoga  betreiben. 

18.  (549.)  Dann  moge  der  Asket  in  dauernder  Hingebung 
die  Yogawissenschaft  betreiben,  indem  er  als  Weiser  an 
Verstand,  als  Brahmane  das  [hochste]  Selbst  in  seinem 
Selbste  schaut. 

19.  (550.)  Wenn  er  dann  als  ein  solcher  Tiichtiger  es 
vermag,  sich  selbst  in  sich  selbst  zu  vertiefen,  dann  wird 
er,  einzig  dessen  beflissen,  das  [hochste]  Selbst  in  seinem 
Selbste  schauen. 

57* 


900  IV.    Anugita. 

20.  (551.)  Bezahmt,  immerfort  hingegeben,  Herr  seiner 
selbst  und  die  Sinne  im  Zaume  haltend,  so  wird  er,  welcher 
sich  vollig  hingegeben  hat,  durch  sein  Selbst  das  Selbst 
schauen. 

21.  (552.)  Denn  so  wie  ein  Mann  im  Traume,  wenn  er 
einen  [im  Wachen]  gesehen  hat,  hinschaut  und  sagt:  „Er 
ist  es",  ebenso  sieht  der  in  rechter  Weise  Hingegebene  den 
Atman,  als  ware  er  eine  korperliche  Gestalt. 

22.  (553.)  Und  wie  einer  den  Halm  aus  dem  Schilf  heraus- 
zieht  und  vorzeigt,  so  zieht  auch  der  Yogin  aus  seinem  Leibe 
den  Atman  heraus  und  schaut  ihn  an  (Kath.  Up.  6,17). 

23.  (554.)  Das  Schilf,  so  erklart  man  dies,  ist  der  Leib, 
der  Halm  trifft  zu  auf  den  Atman;  dieses  uniibertreffliche 
Gleichnis  ist  von  Yogakennern  verkiindigt  worden. 

24.  (B55.)  Denn  wenn  der  Verkorperte  vollstandig  sein  im 
Yoga  begriffenes  Selbst  schaut,  dann  gibt  es  fiir  ihn  hienieden 
keinen  Herrn  mehr,  und  ware  er  der  Gebieter  aller  drei  Welten. 

25.  (556.)  Andere  und  wieder  andere  Gestalten,  in  die  geht 
er  ein  nach  Wunsch,  und  ob  er  schon  wiederkehrt  zu  Alter  und 
Tod,  so  harmt  er  sich  doch  nicht  und  freut  sich  auch  nicht. 

26.  (557.)  Auch  das  Gottsein  der  Gotter  weifs  der  dem 
Yoga  Hingegebene,  Machtige  sich  zu  verschaffen;  und  das 
unvergangliche  Brahman  erlangt  er,  nachdem  er  den  nicht- 
bestandigen  Leib  verlassen  hat. 

27.  (558.)  Und  wenn  auch  die  Wesen  zugrunde  gehen,  so 
ergreift  ihn  doch  keine  Furcht,  und  wenn  die  Wesen  gequalt 
werden,  so  erleidet  er  doch  keine  Qual  von  irgend  jemandem. 

28.  (559.)  Durch  fiirchterliche  Schmerzen,  Leiden  und  Be- 
angstigungen,  wie  sie  aus  dem  Hangen  und  Kleben  [am  Da- 
sein]  hervorgehen,  bleibt  der  dem  Yoga  Hingegebene  uner- 
schiittert,  ohne  Begierde  und  ruhigen  Herzens. 

29.  (560.)  Ihn  durchbohren  keine  Geschosse,  fur  ihn  gibt 
es  keinen  Tod ;  es  gibt  nichts  irgend  auf  der  Welt,  was  gliick- 
licher  ware  als  er. 

30.  (561.)  Sein  Selbst  vollig  dahingegeben  habend,  steht 
er  fest  gewurzelt  in  dem  [hochsten]  Selbste;  Alter  und 
Schmerz  haben  sich  von  ihm  abgewandt,  und  so  kann  er 
ruhig  schlafen. 


Adhy&ya  19  (B.  19).  901 

31.  (562.)  Nach  seinem  Belieben  fahrt  er  ein  in  die  Korper, 
indem  er  seinen  menschlichen  Leib  verlafst,  aber  Uberdrufs 
wird  ihn  in  keiner  Weise  iiberkommen,  indem  er  [das  Da- 
sein  in  fremden  Leibern]  geniefst. 

32.  (563.)  Wenn  er  in  volliger  Hingebung  sein  Selbst  nur 
in  dem  [hochsten]  Selbste  sieht,  dann  empfindet  er  keinen 
Neid,  auch  nicht  einmal  dem  Gott  Indra  gegeniiber. 

33.  (564.)  Wie  aber  einer,  der  sich  dessen  einzig  be- 
fleifsigt,  den  Yoga  erlangt,  das  vernimm.  Uberdacht  habend 
die  friiher  gesehene  Gegend  [die  Aufsenwelt],  nimmt  er  seinen 
Wohnsitz  in  einer  Stadt  [dem  eigenen  Innern], 

34.  (565.)  und  im  Innern  dieser  Stadt  mufs  man  das  Manas 
feststellen,  nicht  aufserhalb  derselben.  Und  wenn  er,  im  Innern 
der  Stadt  verbleibend,  in  einer  ihrer  Wohnungen  weilt,  (566.)  so 
soil  man  in  dieser  Wohnung  das  Manas  mitsamt  alien  aufseren 
und  inneren  [Organen,  lies:  ahhyantaram]  einschliefsen. 

35.  Und  wahrend  der  Zeit,  in  welcher  er,  das  All  iiber- 
denkend,  in  dieser  Wohnung  weilt,  (567.)  wahrend  dieser  Zeit 
ist  sein  Manas  in  keiner  Weise  von  aufsen  her  [beeinflufst ; 
tasmin  mit  B.,  sonst  nach  C.]. 

36.  Und  indem  man  die  Schar  der  Sinnesorgane  bandigt, 
so  dafs  sie  lautlos  in  dem  menschenleeren  Walde  verharrt, 
(568.)  soil  man  den  ganzen  innern  Korper  unabgelenkt  iiber- 
denken, 

37.  die  Zahne,  den  Gaumen,  die  Zunge,  die  Kehle  mit- 
samt dem  Halse,  (569.)  und  auch  das  Herz  soil  man  iiber- 
denken  und  ebenso  die  Adernverbindung  des  Herzens. 

38.  So  wurde  von  mir  zu  jenem  verstandigen  Schiiler 
gesprochen,  o  Madhusudana,  (570.)  da  fragte  er  mich  wiederum 
nach  jener  schwer  zu  erklarenden  Erlosungslehre. 

39.  Wie  wird  die  immer  wieder  und  wieder  genossene 
Nahrung  in  den  Eingeweiden  verdaut,  (571.)  wie  geht  sie  in 
den  Zustand  des  Saftes,  und  wie  weiter  in  den  Zustand  des 
Blutes  iiber? 

40.  Ferner,  wie  kommt  es,  dafs  Fleisch,  Fett,  Sehnen 
und  Knochen  in  dem  Weibe  wachsen,  (572.)  und  wie,  dafs 
alle  diese  Korper  der  Verkorperten 

41.  wachsen,  wenn  man  wachst,  und  wie  wachst  zugleich 


902  IV.  Anugita. 

jemandes  Kraft,  (573.)  und  wie  vollzieht  sich  der  Abgang  hin- 
dernder  Stoffe  und   der  Ausscheidungen  je   nach  ihrer  Art? 

42.  Oder  wie  kommt  es,  dafs  einer  einatmet  und  wieder 
ausatmet,  (574.)  und  welchen  Ort  des  Korpers  einnehmend  weilt 
der  Atman  in  unserem  Selbst? 

43.  Und  wie  kann  die  individuelle  Seele,  indem  sie  sich 
bewegt,  den  Leib  in  Bewegung  setzen,  (575.)  und  in  einen 
[Korper]  von  welcher  Farbe  (Kaste)  bettet  sie  abermals  einen 
wie  beschaffenen  ein? 

44.  Das  mogest  du  mir  der  Wahrheit  gemafs  erklaren, 
0  Heiliger,  Siindloser.  (576.)  Mit  diesen  Worten  wurde  ich 
von  jenem  Brahmanen  befragt,  o  Madhava, 

45.  und  ich  antwortete  ihm,  o  Grofsarmiger,  der  Schrift- 
offenbarung  gemafs,  o  Feindbezwinger.  (577.)  Wie  einer,  der 
einen  Schatz  in  seiner  Schatzkammer  niedergelegt  hat,  auf 
den  Schatz  aufmerksam  bleiben  mufs, 

46.  so  soil  man  das  Manas  in  dem  Korper  einschliefsen, 
sich  der  Ausgangspforten  wohl  versichern  (578.)  und  in  sich 
den  Atman  aufsuchen,  indem  man  die  Lassigkeit  meidet. 

47.  Wenn  man  sich  in  dieser  Weise  immerfort  in  Be- 
reitschaft  halt,  so  wird  man  mit  freudigem  Geiste  in  kurzer 
Zeit  vielleicht  schon  (579.)  in  Besitz  jenes  Brahman  gelangen, 
welches  geschaut  habend  man  auch  des  Pradhanam  (der 
Prakriti)  kundig  wird. 

48.  Nicht  mit  dem  Auge  ist  Er  zu  erfassen  und  nicht 
mit  alien  Sinnesorganen,  (58o.)  sondern  mit  dem  Manas  als 
Leuchte  wird  der  grofse  Atman  fmahdn  dtmdj  geschaut. 

49.  Nach  allwarts  ist  er  umgeben  von  Handen  und  Fiifsen, 
nach  allwarts  ist  er  Augen,  Haupt  und  Mund,  (ssi.)  nach  alien 
Seiten  hin  horend,  die  Welt  umfassend  steht  er  da  (Qvet. 
Up.  3,16,  frei). 

50.  Die  (individuelle)  Seele  schaut  sich  selbst,  wie  sie 
aus  dem  Korper  herausgetreten  ist.  (582.)  Und  indem  sie 
diesen  ihren  eigenen  [Atman]  in  dem  Korper  loslost  und  zur 
Tragerin  des  absoluten  Brahman  wird, 

51.  schaut  sie  sich  selbst  an  im  Geiste  gleichsam  lachelnd. 
(583.)  Und  indem  sie  in  dieser  Weise  jenes  Brahman  zu  ihrem 


Adhy&ya  19  (B.  19).  903 

Stutzpunkt  gemacht  hat,  gelangt  sie  darauf  zur  Erlosung  in 
mir  [sofern  ich  der  hochste  Atman  bin]. 

52.  Dieses  ganze  Geheimnis  habe  ich  dir  mitgeteilt, 
o  Bester  der  Zwiegeborenen.  (584.)  Ich  sage  dir  Lebewohl, 
ich  mufs  aufbrechen,  ziehe  hin,  o  Brahmane,  wie  es  dir 
gefallt. 

53.  Nachdem  in  dieser  Weise,  o  Krishna,  jener  askese- 
reiche  Schiller  damals  von  mir  belehrt  worden  war,  (.585.)  ging 
er,  wohin  es  ihm  gefiel,  der  Brahmane  mit  scharfem  GelUbde. 

Vasudeva  (Krishna)  sprach: 

54.  (586.)  Nachdem  in  dieser  Weise  damals,  o  Sohn  der 
Pritha,  jener  Beste  der  Zwiegeborenen  die  Rede  gesprochen 
hatte,  gab  er  sich  vollig  der  Erlosungslehre  hin  und  ver- 
schwand  daselbst  vor  meinen  Augen. 

55.  (587.)  Hast  du  wohl  jetzt,  o  Sohn  der  Pritha,  dieses 
mit  ungeteilter  Aufmerksamkeit  angehort?  Denn  auch  da- 
mals schon,  als  du  dich  auf  deinem  Streitwagen  befandest, 
hast  du  ja  das  alles  gehort. 

56.  (588.)  Denn  freihch  ist  dies  nicht  leicht  zu  fassen, 
o  Sohn  der  Pritha,  wie  ich  denke,  von  einem  zerstreuten 
Manne,  der  noch  nicht  sein  Bewufstsein  bereitet  hat  durch 
ein  gelautertes  Innere. 

57.  (.589.)  Jetzt  ist  dies  ausgesprochen  worden,  o  Stier  der 
Bharata's,  was  auch  fiir  die  Gotter  ein  grofses  Geheimnis  ist; 
und  dieses  ist  doch  gewifs  noch  niemals,  o  Sohn  der  Pritha, 
von  einem  Menschen  vernommen  worden. 

58.  (590.)  Denn  kein  anderer  Mensch  aufser  dir,  o  Un- 
tadliger,  ist  wiirdig,  dieses  zu  horen,  und  auch  jetzt  ist  es 
nicht  wohl  zu  fassen  von  einem  ungesammelten  Gemiite. 

59.  (591.)  Denn  die  Gotterwelt,  o  Sohn  der  Kunti,  wird 
von  den  Opferbringern  in  ihrem  Bestande  geschiitzt,  und  es 
ist  den  Gottern  nicht  erwiinscht,  dafs  das  Menschengeschlecht 
[durch  Eingang  in  die  Erlosung]  schwinde.* 

60.  (592.)  Denn  das,  o  Prithasohn,  ist  der  hochste  Gang, 


*  Qankara  zu  Brih.  Up.  1,4,10  p.  234,0  liest:  martyair  upari-vartanam, 
mit  anderer  Wendung  des  Gedankeus. 


904  IV.    Anugita. 

was  jenes  ewige  Brahman  ist,  in  welchem  man   nach  Ver- 
lassen  des  Korpers  ewig  selig   die  Unsterblichkeit  erlangt. 

61.  (593.)  Die,  welche  dieser  Lehre  sich  zuwenden,  auch 
wenn  sie  einem  schlechten  Mutterschofse  entsprossen,  auch 
wenn  sie  Weiber,  Vaigya's  oder  Qudra's  sind,  auch  diese 
gehen  den  h(3chsten  Weg. 

62.  (594.)  Um  wieviel  mehr  die  Brahmanen,  o  Sohn  der 
Pritha,  und  Kshatriya's,  wenn  sie  eifrig  die  Schrift  studieren, 
an  ihrer  Pflicht  Freude  haben  und  allezeit  die  Brahmanwelt 
fiir  das  Hochste  halten! 

63.  (595)  Und  dieses  ist  mit  Griinden  bewiesen  worden; 
auch  gibt  es  Mittel,  um  es  zu  vollbringen;  die  Frucht  aber 
des  Vollbringens  (hes:  siddhiphalam)  ist  die  Erlosung  und 
die  vollige  Beseitigung  des  Leidens. 

64.  (596.)  Uber  dieses  hinaus  gibt  es  kein  Gliick,  von 
welcher  Art  es  auch  sein  moge,  o  Stier  der  Bharata's.  Wer 
verstandig  ist  und  glaubig  und  tapfer,  o  Pandusohn, 

65.  (597.)  welcher  Mensch  durch  diese  Mittel  zum  Ver- 
zichten  auf  die  wertlosen  Werte  der  Welt  veranlafst  wird, 
der  findet  alsbald  den  hochsten  Weg. 

66.  (598.)  Soviel  ist  dariiber  zu  sagen ;  es  gibt  nichts,  was 
dariiber  hinaus  noch  als  Ziel  gelten  konnte;  wenn  einer  sich 
sechs  Monate  lang  immerfort  des  Yoga  beflissen  hat,  so  wird 
bei  ihm  der  Yoga  gedeihlich  fortschreiten. 

So  lautet  in  der  Anugita  der  vierto  Adhy^ya. 


Adhyaya  30  (B.  20). 

Vers  599-627  (B.  1-28). 

Vasudeva  sprach: 

1.  (599.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  diese  alte  Ge- 
schichte,  o  Sohn  der  Pritha,  von  der  Unterredung,  welche 
zwischen  zwei  Ehegatten  gepflogen  worden  war,  o  Stier  der 
Bharata's. 

2.  (600.)  Als  einen  gewissen  Brahmanen,  der  an  das  End- 
ziel  der  Erkenntnis  und  Wissenschaft  gelangt  war,  die  Brah- 


Adhyftya  20  (B.  20).  905 

manenfrau  in  der  Einsamkeit  sitzen  sah,  da  sprach  sie,  die 
Gattin,  zu  ihrem  Gatten: 

3.  (601.)  In  welche  Welt  werde  ich  gelangen,  die  ich  zu 
dir,  meinem  Gatten,  meine  Zuflucht  genommen  habe,  der  du 
das  Opferwerk  aufgegeben  hast  und  nun  dasitzest  wie  ein 
Tolpel  und  unansehnlich  ? 

4.  (602.)  Die  Frauen  erlangen  die  von  ihren  Gatten  er- 
rungenen  Wei  ten,  wie  die  Schrift  uns  sagt.  Ich  habe  dich 
als  Gatten  erlangt;  welchen  Weg  werde  ich  wohl  gehen? 

5.  (603.)  Nachdem  er  so  angeredet  war,  sprach  er  mit 
ruhigem  Geiste  und  gleichsam  lachelnd :  0  Holde,  nicht  bin 
ich  ungehalten  iiber  diese  deine  Rede,  o  Untadlige. 

6.  (604.)  Greifbar  und  sichtbar  oder  real  ist  das,  was 
fiir  ein  Werk  gehalten  wird;  bei  diesem  als  ihrem  Werke 
bleiben  die  Werkvollbringer  stehen  und  nennen  es  Werk. 

7.  (605.)  Nur  in  der  Verblendung  befestigen  sie  sich  durch 
ihr  Werk,  sie,  die  der  Erkenntnis  entbehren,  und  das  Unter- 
lassen  von  Werken  wird  in  dieser  Welt  auch  nicht  eine 
Stunde  lang  festgehalten. 

8.  (606.)  In  Taten,  Gedanken  und  Worten  bleibt  das  Werk, 
sei  es  ein  gutes,  sei  es  ein  boses,  von  der  Geburt  an  bis  zur 
Trennung  von  dem  Leibe  hin  unter  den  Wesen  in  tlbung. 

9.  (607.)  Aber  wahrend  die  Wege,  auf  denen  sichtbare 
Stoffe  geopfert  werden,  von  den  Damonen  Angriffe  erfahren, 
so  habe  ich  fiir  sie  [die  Wesen]  durch  meinen  Atraan  einen 
im  Atman  beruhenden  festen  Stiitzpunkt  ersehen. 

10.  (608.)  Wo  jenes  von  den  Gegensatzen  freie  Brahman, 
wo  der  [wahre]  Soma  und  das  Opferfeuer  ist,  dort  verkehrt 
der  Weise  bestandig,  indem  er  [sich  als  Brahman  wissend] 
die  Wesen  tragt, 

11.  (609.)  dort,  wo  die  Brahmanen  und  die  iibrigen  in 
Hingebung  jenes  Unvergangliche  verehren,  dort,  wo  die 
Wissenden,  ihrem  Geliibde  Treuen  mit  beruhigtem  Selbste 
und  bezahmten  Sinnen  weilen. 

12.  (610.)  Nicht'  ist  es  durch  den  Geruchsinn  zu  riechen, 
nicht  ist  es  durch  die  Zunge  zu  schmecken,  noch  auch  durch 
den  Tastsinn  zu  betasten,  aber  mit  dem  Manas  wird  es  erkannt. 

13.  (611.)  Nicht  konnen  sich  die  Augen  seiner  bemachtigen, 


906  IV.    Anugita. 

und  es  ist  erhaben  iiber  alles,  was  man  irgend  horen  mag, 
ist  ohne  Geruch,  ohne  Geschmack  und  Fiihlbarkeit,  die  Un- 
sichtbarkeit  und  Unhorbarkeit  hat  es  als  Merkmal. 

14.  (612.)  Es  ist  dasjenige,  von  welchem  das  Gewebe  der 
Schopfung  ausgeht  und  in  welchem  es  gegriindet  ist;  der 
Aushauch,  der  Einhauch,  der  Allhauch,  der  Zwischenhauch 
und  der  Aufhauch, 

15.  (613.)  sie  alle  gehen  von  ihm  aus  und  in  dasselbe  ein, 
in  ihm  bewegen  sich  zwischen  Allhauch  und  Zwischenhauch 
der  Aushauch  und  der  Einhauch. 

16.  (614.)  Wenn  dieses  sich  verbirgt,  so  verbergen  sich 
auch  der  Allhauch  und  der  Zwischenhauch,  und  zwischen 
Einhauch  und  Aushauch  nimmt  der  Aufhauch,  sie  durch- 
dringend,  seine  Stelle;  (6i5.)  daher  kommt  es,  dafs  der  Aus- 
hauch und  Einhauch  den  Menschen,  auch  wahrend  er  schlaft, 
nicht  verlafst. 

17.  Weil  die  [iibrigen]  Lebenshauche  durch  ihn  regiert 
werden,  darum  heifst  er  der  Aufhauch;  (6i6.)  durch  diesen 
[als  den  beherrschenden  Lebenshauch]  geschieht  es,  dafs  die 
Brahmanlehrer  sich  der  auf  das  Ich  hinzielenden  Askese  zu- 
wenden, 

18.  Unter  diesen  [Lebenshauchen],  welche  wechselseitig 
voneinander  zehren  und  alle  den  Kbrper  durchstreichen, 
(617.)  strahlt  in  ihrer  Mitte  von  innen  her  das  Feuer  VaiQva- 
nara  [das  Verdauungsfeuer  als  Lebensprinzip  und  Symbol  des 
Atman,  Brih.  Up.  5,9]  in  sieben  Richtungen: 

19.  Geruch  und  Geschmack,  Auge,  Tastsinn  und  Ohr 
als  fiinftes,  (6i8.)  ferner  Manas  und  Buddhi,  das  sind  die  sieben 
Zungen  des  Vaigvanarafeuers. 

20.  Das  Riechbare  und  das  Sichtbare,  das  Trinkbare, 
Fiihlbare  und  Horbare,  (6i9.)  ferner  das  Verstehbare  und  Er- 
kennbare,  das  sind  die  sieben  Brennholzer  fiir  mein  Ich. 

21.  Der  Riechende,  der  Schmeckende,  der  Sehende,  der 
Fiihlende  und  der  Horende  als  fiinfter,  (620.)  ferner  der  Ver- 
stehende  und  der  Erkennende,  das  sind  die  sieben  obersten 
Opferpriester. 

22.  Was  ferner  die  Objekte  des  Riechens,  Schmeckens, 
Sehens ,  Fiihlens  und  Horens   (62i.)  sowie  des  Verstehens  und 


Adhyfty^  20  (B.  20).  907 

Erkennens  betrifft,  so  wisse,  o  Holde,  dafs   sie  allemal  da- 
durch  zustande  kommen,  dafs 

23.  die  sieben  Opferpriester,  die  die  Opfergaben  [die  Data 
der  Perzeption]  siebenfach  in  die  sieben  Feuer  [die  sieben 
vom  Atman  auslaufenden  Organe  der  Perzeption],  (622.)  wie 
es  sich  geziemt,  werfen  und  dadurch  als  Weise  [Priester]  die 
genannten  Objekte  an  der  ilmen  zukommenden  Statte  [der 
Aufsenwelt]  erzeugen. 

24.  Die  Erde,  die  Luft,  der  Ather,  das  Wasser  und  das 
Feuer  zu  fiinft  (623.)  sowie  Manas  und  Buddhi,  diese  sieben 
werden  dabei  als  die  Statten  bezeichnet. 

25.  Namlich  die  zur  Opfergabe  gewordenen  Qualitaten 
der  Dinge  gehen  dabei  alle  ein  in  die  aus  dem  [Atman-] 
Feuer  entspringende  Qualitat  [der  Aperzeption],  (624.)  und 
nachdem  sie  dort  innerlich  gewohnt  haben,  werden  sie  an 
den  ihnen  zukommenden  Statten   [der  Aufsenwelt]  geboren. 

26.  Dort,  in  dem  Erzeuger  der  Elemente  [d.  h.  in  dem 
Atmanfeuer],  werden  sie  beim  Untergange  eingeschlossen, 
(625.)  und  aus  diesem  wiederum  entsteht  der  Geruch,  entsteht 
der  Geschmack, 

27.  aus  diesem  entsteht  auch  die  Gestalt  und  das  Tast- 
bare,  (626.)  aus  diesem  auch  der  Ton,  die  tJberlegung  [als 
Objekt  des  Manas]  und  die  Uberzeugung  [als  Objekt  der 
Buddhi],  so  ist  diese  ihre  Geburt  siebenfach. 

28.  (627.)  In  dieser  Weise  ist  es  von  den  Altvordern  be- 
griffen  worden  (Kaush.  Up.  3).  Durch  drei  vollstandige  Opfer- 
giisse  werden  die  ganz  vollstandigen  [drei  Welten]  durch 
das  Feuer  [des  Atman]  eingefiillt. 

So  lautet  in  der  Anugitft  der  fUnfte  Adhyftya. 


Adhyaya  31  (B.  31). 

Vers  628-G.54  (B.  1-26). 

Der  Brahmane  sprach : 
1.  (628.)    Auch    hieriiber    erzahlt   man    sich   folgende   alte 
Geschichte.     Vernimm   nunmehr,    o    Liebliche,    welches   die 
Einsetzung  der  zehn  Opferpriester  ist. 


S08  IV.    Ansgita. 

2.  (629.)  Das  Ohr,  die  Haut,  die  Augen,  die  Zunge  und 
die  Nase,  die  Fiifse,  die  Hande,  das  Zeugungsorgan ,  das 
Entleerungsorgan  und  die  Rede  (lies:  pdyur  vdg  iti),  dies 
sind,  o  Schone,  die  zehn  Opferpriesterheiten. 

3.  (630.)  Der  Ton  und  das  Gefiihl,  das  Gesicht  und  der 
Geschmack,  der  Geruch,  die  Rede,  das  Greifen,  das  Gehen 
und  die  Entleerung  des  Samens  sowie  die  von  Harn  und  Kot, 
das  sind  die  zehn  Opfergaben. 

4.  (631.)  Die  Gottheiten  der  Himmelsgegenden,  des  Windes, 
der  Sonne,  des  Mondes,  der  Erde  und  des  Feuers  nebst  Vishnu, 
Indra,  Prajapati  und  Mitra,  das  sind,  o  Schone,  die  zehn 
Opferfeuer. 

5.  (632.)  Zehn  Sinne  sind  als  Opferpriesterheiten  und 
zehn  [Stoffe  der  Wahrnehmung  als]  Opfergaben,  o  Holde; 
Sinnesobjekte  aber  heifsen  die  Brennholzer,  welche  in  den 
zehn  Opferfeuern  [in  den  genannten  Naturgbttern]  geopfert 
werden. 

6.  (633.)  Das  Denken  ist  der  Opferloffel  und  der  [beim 
Opfer  gespendete]  Reichtum;  die  Erkenntnis  ist  die  beste 
Opferseihe.  Diese  ganze  Welt  war  [zum  Zweck  dieses  Opfers] 
richtig  eingeteilt,  wie  die  Schrift  lehrt  (Rigveda  10,90,6). 

7.  (634.)  Dabei  bezieht  sich  Denken  und  Erkennen  auf 
alles  Erkennbare;  in  dem  Korper  aber,  welcher  der  Trager 
des  feinen  Leibes  fretahgariram  =  suJcshmagariramJ  ist,  ist  der 
Erkenner  der  Trager  dieses  Leibes. 

8.  (635.)  Dieser  Trager  des  Leibes  [der  Erkenner]  ist  das 
Garhapatyafeuer,  aus  ihm  wird  das  andere  Feuer  abge- 
leitet;  das  Manas  hingegen  ist  das  Ahavaniyafeuer,  in  dieses 
wird  die  Opfergabe  [der  Stoff  der  Sinneswahrnehmung]  ge- 
worfen. 

9.  (636.)  Aus  jenem  [dem  Erkenner,  d.  h.  dem  Atman]  ist 
hervorgegangen  der  Herr  der  Rede  [das  ewige,  weltschaffende 
Vedawort] ;  auf  ihn  [auf  das  Vedawort]  blickt  das  Manas  [der 
weltschaffende  Wille]  hin ,  und  die  Gestalt  [der  Aufsendinge] 
entsteht;  das  Manas  lauft  hinter  dem  Buchstaben  [des  Veda] 
her  [d.  h.  die  Dinge  werden  im  Hinblick  auf  das  ewige  Veda- 
wort geschaffen]. 


Adhy^a  ^1  (B.  21).  909 

Die  Brahmauin  sprach: 

10.  (637.)  Wie  kommt  es,  dafs  die  Rede  zuerst  und  das 
Manas  hinterdrein  entstanden  ist,  da  doch  die  Rede  das  iiber- 
nimmt,  was  vom  Manas  vorher  gedacht  worden  ist? 

11.  (638.)  Ferner:  durch  welche  Tatigkeit  des  Erkennens 
erlangt  die  Mati  (das  Manas)  den  Gedanken  und  erlangt  ihn 
doch  nicht  in  dem  erhohten  Zustande  [des  Tiefschlafes  und 
des  Yoga],  wer  hinder!  alsdann  das  Manas? 

Der  Brahmane  sprach: 

12.  (639.)  Der  Apana  hindert  es,  indem  er  es  iibermeistert  ; 
dadurch  versenkt  er  das  Manas  in  das  Apanasein ;  dies  wird 
als  der  Weg  gelehrt,  welchen  das  Manas  [im  Tiefschlafe  und 
Yoga]  geht;  darum  bhckt  das  Manas  [auf  das  Vedawort] 
hin.  [Das  Manas  funktioniert  intermittierend ,  wahrend  das 
Vedawort  ewig  ist.] 

13.  (640.)  Was  aber  deine  [erste]  Frage  betrifft,  in  der 
du  mich  nach  dem  Verbal tnis  zwischen  Rede  und  Manas  be- 
fragtest,  so  will  ich  dir  die  Geschichte  von  dem  Rangstreite 
dieser  beiden  erzahlen  (lies:  vartayisliyami). 

14.  (641.)  Beide,  die  Rede  und  das  Manas,  gingen  zum 
Bhutatman  (zur  individuellen  Seele)  und  befragten  ihn :  Sage, 
wer  von  uns  beiden  der  Beste  ist,  lose  uns  diesen  Zweifel, 
o  Herr. 

15.  (642.)  Das  Manas,  so  antwortete  der  Erhabene.  Da 
sprach  Sarasvati  (die  Rede) :  Aber  ich  bin  doch  fiir  dich  die 
Wunschkuh;  so  sprach  die  Rede  zu  ihm. 

Der  Brahmane  sprach  [als  Vertreter  des  Manas]: 

16.  (643.)  Das  Unbewegliche  und  das  Bewegliche,  diese 
beiden  wisse  als  zwei  mir  eigene  Arten  des  Manas;  das  Un- 
bewegliche ist  mir  [als  dem  Manas]  beigeordnet,  das  Beweg- 
liche gehort  in  deinen  Bereich  [du,  die  Rede,  bist  das  Manas 
in  Bewegung]. 

17.  (644.)  Alles,  was  in  diesen  Bereich  gehort,  sei  es  ein 
Vedaspruch,  sei  es  ein  Laut  oder  ein  Akzent,  das  ist  das 
Manas  als  Bewegliches,  darum  bist  du,  o  Rede,  die  Geehrtere  ; 

18.  (645.)   sowie  auch  darum,  weil  dir  die  Meditation  zu- 


910  IV.   Anugita. 

kommt;  darum  komrae  ich  aus  freien  Stiicken  zu  dir,  du 
Holde,  und  indem  ich  mich  dem  Aushauche  anschliefse,  werde 
ich  [mit  deiner  Hilfe],  o  Saras vati,  aussprechen  [was  ich  als 
Manas  denke]. 

19.  (646.)  [Hier  scheint  der  Brahmanengatte  wieder  das 
Wort  zu  nehmen.]  Ehemals  hatte  die  Gottin  Rede  ihren  be- 
standigen  Standort  zwischen  Prana  [hier  Einhauch]  und  Apana 
[hier  Aushauch],  und  wenn  sie  sich  aufserte,  so  geschah  es, 
o  gliickliche  Gattin,  indem  sie  ohne  den  Einhauch  [also  nur 
sehr  schwach]  aushauchte.  (647.)  Da  lief  sie  [hilfesuchend] 
zu  Prajapati  und  sprach:  Sei  mir  gnadig,  o  du  Erhahene! 

20.  Da  trat  der  Prana  in  die  Erscheinung,  welcher  die 
Rede  [wenn  sie  erschopft  war]  wiederum  kraftigte ;  (648.)  daher 
kommt  es,  dafs  die  Rede  niemals  spricht,  wenn  sie  sich  an 
den  Aushauch  anschliefst. 

21.  Sie  aufsert  sich  allezeit,  sei  es  in  lauter,  sei  es  in 
lautloser  Weise,  (649.)  und  auch  von  diesen  beiden  steht  die 
lautlose  Rede  hoher  als  die  laute. 

22.  Wie  eine  Milchkuh  lafst  sie  die  Dinge  und  ihren 
Wohlgeschmack  ausstromen,  die  iiberaus  reiche;  (650.)  denn 
immerfort  stromt  sie,  das  Brahman  verkiindigend,  fiir  und  fiir. 

23.  Die  Gottin  der  Rede  ist  wegen  ihrer  himmlischen 
Macht  eine  himmlische  Milchkuh,  o  du  Frau  mit  dem  heitern 
Lacheln.  (65i.)  Siehe  da  den  Unterschied  der  beiden  Subtilen 
[Rede  und  Manas]  in  ihrem  Dahinstromen. 

Die  Brahmanin  sprach: 

24.  (6.52.)  Damals,  als  noch  keine  Worte  entstanden  waren 
und  sie  [die  vorweltliche  Vedarede]  sich  getrieben  fiihlte  von 
dem  Verlangen  zu  reden,  was  hat  wohl  damals  die  Gottin 
Rede  zuerst  gesprochen? 

Der  Brahmane  sprach: 
25.  (653.)    „Sie,  welche  durch   den  Prana   (Einhauch). 
in  dem  Korper  geboren  wird  und  vom  Prana  in  den  Apana 
(Aushauch)  eingeht,  wenn  diese,  zum  Udana  (Aufhauch) 
geworden,  den  Korper  verlassen  hat,  so  erfiillt  sie  durch 
den  Vyana  (Zwischenhauch)  den  ganzen  Himmel, 


Adhy^ya  21  (B.  21).  911 

26.  (654.)  und  alsdann  hat  sie  ihren  Standort  in  dieser 
Welt  [nicht  mehr  in  einem  individuellen  Leibe,  sondern 
in  kosmischem  Sinne]  im  Samana  (Allhauch)."  Das  sind 
die  Worte,  welche  die  Gottin  der  Rede  [ihr  kosmisches 
Wesen  offenbarend]  vordem  gesproehen  hat.  —  Somit 
hat  das  Manas  die  Unbeweglichkeit  als  Merkmal  und  die 
Gottin  Rede  die  Beweghchkeit. 

So  lautet  in  der  AnugltA  der  sechste  Adhy&ya. 


Adhyaya  33  (B.  23). 
Vers  655-683  (B.  1-29). 

Der  Brahmane  sprach: 

1.  (655.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  o  Schone,  von  der  Art,  wie  die  Einsetzung  der 
sieben  Opferpriester  war. 

2.  (656.)  Die  Nase,  das  Auge,  die  Zunge,  die  Haut  und 
das  Ohr  als  fiinftes,  das  Manas  und  die  Buddhi,  das  sind 
die  sieben  Opferpriester,  welche  ihren  besondern  Sitz  haben. 

3.  (657.)  Da  sie  an  schwer  wahrnehmbarer  Statte  weilen, 
so  konnen  sie  sich  gegenseitig  nicht  sehen;  diese  sieben 
Opferpriester  sollst  du,  o  Schone,  nach  ihrer  eigentiimlichen 
Natur  kennen  lernen. 

Die  Brahmanin  sprach: 

4.  (658.)  Wie  kommt  es,  dafs  sie,  an  schwer  wahrnehm- 
barer Statte  befindlich,  sich  gegenseitig  nicht  sehen?  Und 
wie  ist  ihre  eigentiimliche  Natur,  o  Erhabener?  Das  sage 
mir,  o  Herr. 

Der  Brahmane  sprach : 

5.  (659.)  Wer  ihre  Qualitat  nicht  kennt,  der  kennt  sie 
auch  selbst  nicht,  und  wer  ihre  Qualitat  kennt,  dem  sind 
auch  sie  bekannt;  sie  selbst  aber  kennen  gegenseitig  ihre 
Qualitaten  in  keiner  Weise. 

6.  (660.)  Zunge,  Auge,  Ohr,  Haut  (lies:  tvan),  Manas  und 
Buddhi  erkennen  nicht  die  Geriiche,  sondern  die  Nase  er- 
kennt  sie. 


912  IV.    Anugita. 

7.  (661.)  Nase,  Auge,  Ohr,  Haut,  Manas  und  Buddhi  er- 
kennen  nicht  die  Geschmacke,  sondern  die  Zunge  erkennt  sie. 

8.  (662.)  Nase,  Zunge,  Ohr,  Haut,  Manas  und  Buddhi  er- 
kennen  nicht  die  Gestalten,  sondern  das  Auge  erkennt  sie. 

9.  (663.)  Nase,  Zunge,  Auge,  Ohr,  Manas  und  Buddhi  er- 
kennen  nicht  die  Gefiihle,  sondern  die  Haut  erkennt  sie. 

10.  (664.)  Nase,  Zunge,  Auge,  Haut,  Manas  und  Buddhi 
erkennen  nicht  die  Tone,  sondern  das  Ohr  erkennt  sie. 

11.  (665.)  Nase,  Zunge,  Auge,  Haut,  Ohr  und  Buddhi  er- 
kennen nicht  die  Uberlegung,  sondern  das  Manas  erkennt  sie. 

12.  (666.)  Nase,  Zunge,  Auge,  Haut,  Ohr  und  Manas  er- 
kennen nicht  die  Entscheidung,  sondern  die  Buddhi  erkennt  sie. 

13.  (667.)  Auch  hieriiher  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namHch  den  Rangstreit  der  Sinnesorgane  mit  dem 
Manas,  o  Holde. 

Das  Manas  sprach: 

14.  (668.)  Ohne  mich  kann  die  Nase  den  Geruch  nicht 
riechen,  die  Zunge  den  Geschmack  nicht  empfmden,  das  Auge 
die  Gestalt  nicht  erfassen,  die  Haut  das  Gefiihl  nicht  wahr- 
nehmen, 

15.  (669.)  und  auch  das  Ohr  vernimmt  in  keiner  Weise 
den  Ton,  wenn  es  von  mir  verlassen  ist;  ich  bin  das  vor- 
ziighchste  unter  alien  Wesen  fur  und  fiir. 

16.  (670.)  Wie  verodete  Behausungen,  wie  Feuer,  deren 
Glut  erloschen  ist,  so  erglanzen  die  Sinnesorgane  nimmer- 
mehr,  wenn  sie  von  mir  verlassen  sind. 

17.  (671.)  Wie  trocknes  Holz,  das  noch  feucht  ist  [nicht 
die  Flamme  annimmt],  so  konnen  auch  mit  angestrengten 
Sinnesorganen  alle  Geschopfe  ohne  mich  die  Objekte  der 
Qualitaten  nicht  ergreifen. 

Die  Sinnesorgane  sprachen: 

18.  (672.)  Das  ware  richtig,  so  wie  du  es  meinst,  wenn 
du  ohne  uns  die  Geniisse,  welche  unsere  Objekte  sind,  ge- 
nielsen  konntest. 

19.  (673.)  Wenn  es  ein  Genufs  ist,  noch  weiter  zu  leben, 
wenn  wir  erloschen   sind,  dann  wollen  wir  einraumen,   dafs 


Adhyaya  22  (B.  22).  913 

du  wirklich  die  Geniisse  [ohne  uns]  zu  geniefsen  vermagst, 
so  wie  du  es  meinst. 

20.  (674.)  Oder  auch  [wir  wollen  es  einraumen],  wenn  bei 
unserm  Erioschen  unter  Fortbestehen  der  Sinnesobjekte  du 
durch  dein  blofses  Vorstellen  die  Geniisse  je  nach  den  Ob- 
jekten  geniefsen  konntest. 

21.  (675.)  Oder  glaubst  du  vielleicht,  dafs  du  in  jedem 
Falle  deinen  Zweck  in  bezug  auf  unsere  Gegenstande  erreichen 
kannst,  so  versuche  es  doch  und  ergreife  die  Gestalt  mit  der 
Nase,  ergreife  den  Geschmack  mit  dem  Auge, 

22.  (676.)  ergreife  mit  dem  Ohr  die  Geriiche,  ergreife  die 
Gefuhle  mit  der  Zunge,  ergreife  mit  der  Haut  den  Ton  oder 
mit  der  Buddhi  das  Gefiihl. 

23.  (677.)  Wer  stark  ist,  der  unterliegt  ja  keinem  Zwang; 
gezwungen  zu  werden  ist  das  Los  der  Schwacheren ;  versuche 
doch  die  Geniisse  zu  ergreifen,  ohne  uns  den  Vortritt  zu  lassen, 
und  du  hast  nicht  notig  (lies:  arhasi),  nur  zu  geniefsen,  was 
wir  dir  iibriglassen. 

24.  (678.)  Ja,  wie  ein  Schiller  zum  Lehrer  gehen  mufs, 
um  den  Veda  zu  lernen,  und  erst  nachdem  er  ihn  erlernt 
hat,  seine  Vorschriften  befolgen  kann, 

25.  (679.)  so  kannst  auch  du  die  Sinnesobjekte  erst  er- 
kennen,  nachdem  wir  sie  dir  gezeigt  haben,  die  kiinftigen  so 
gut  wie  die  vergangenen,  die  im  Traume  so  gut  wie  im 
Wachen. 

26.  (680.)  Und  auch  bei  Geschopfen,  welche  ihren  Verstand 
fmanasj  verloren  haben  oder  nur  geringe  Einsicht  besitzen, 
bleibt  doch  das  Leben  erhalten,  indem  das  dazu  Notige  ge- 
tan  wird  als  unsere  Angelegenheit  [ohne  dich]. 

27.  (681.)  Und  wenn  einer  auch  viele  Vorstellungen  [des 
Manas]  besafse  und  sich  in  Traumen  [durch  das  Manas] 
wiegte,  so  miifste  er  doch  schliefslich,  vom  Hunger  gequalt, 
zu  den  [von  uns  verschafften]  Sinnendingen  seine  Zuflucht 
nehmen. 

28.  (682.)  Wer  sich  einschliefsen  wollte  wie  in  ein  tiir- 
loses  [also  schutzloses]  Haus  in  die  [blofs  ideellen]  Ge- 
niisse des  Vorstellens,  ohne  dafs  sie  mit  den  Sinnen- 
dingen verkniipft  waren   (lies:  amhaddhdn),  der  wiirde 

Deitsbek,  Mah&bhAxatam.  58 


914  IV.   Anugita. 

schliefslich  damit  zur  Ruhe  kommen,  dafs  sein  Leben 
erloschte,  wie  ein  brennendes  Feuer,  dessen  Brennholz 
verbraucht  ist. 

29.  (683.)  Zugegeben,  dafs  jeder  von  uns  nur  auf  seine 
eigene  Qualitat  beschrankt  ist,  zugegeben  auch,  dafs  wir 
unsere  gegenseitigen  Qualitaten  nicht  wahrnehmen ,  so 
steht  doch  fest,  dafs  du  ohne  uns  nicht  wahrnehmen 
kannst  und  dafs,  ohne  dafs  du  soweit  uns  zur  Hilfe 
nimmst,  ein  Genufs  dir  nicht  zuteil  werden  kann. 

So  lantet  in  der  Anugita  der  siebente  Adhyiiya. 


Adhyaya  33  (B.  23). 

Vers  684-710  (B.  1-24). 

Der  Brahmane  sprach: 

1.  (684.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte.  Vernimm  nunmehr,  o  Liebhche,  welches  die  Ein- 
setzung  der  fiinf  Opferpriester  ist. 

2.  (685.)  Der  Prana  und  der  Apana,  der  Udana,  der  Sa- 
mana  und  der  Vyana,  von  diesen  wissen  die  Weisen,  dafs 
sie  fiinf  Opferpriester  und  zugleich  die  hochste  Macht  sind. 

Die  Brahraanin  sprach: 

3.  (086.)  Von  Natur  aus  gibt  es  sieben  Opferpriester,  dies 
war  bisher  meine  Meinung;  inwiefern  hingegen  fiinf  Opfer- 
priester das  hochste  Dasein  ausmachen  sollen,  das  erklare  mir. 

Der  Brahmane  sprach: 

4.  (687.)  Der  durch  den  Prana  zusammengebrachte  Wind 
wird  weiterhin  zum  Apana;  der  im  Apana  zusammengebrachte 
Wind  wird  weiterhin  zum  Vyana. 

5.  (688.)  Der  durch  den  Vyana  zusammengebrachte  Wind 
wird  weiterhin  zum  Udana;  der  im  Udana  zusammengebrachte 
Wind  wird  sonach  zum  Samana. 

6.  (689.)  Diese  Prana's  befragten  in  der  Vorzeit  den  vor 
ihnen  entstandenen  Urvater  (den  Gott  Brahman) :  Wer  unter 


Adhyaya  23  (B.  23).  915 

uns  der  Beste  ist,   das  sage  uns  an;  der  [welchen  du  dafiir 
erklarst]  soil  unter  uns  der  Beste  sein. 

Der  Gott  Brahman  sprach: 

7.  (690.)  Derjenige,  bei  dessen  Untergang  alle  Prana's 
in  dem  Leibe  der  lebenden  Wesen  untergehen  und  bei 
dessen  Hervortreten  sie  wieder  hervortreten ,  der  ist  der 
Beste.     Nun  geht,  wohin  es  euch  beliebt. 

Der  Prana  sprach: 

8.  (691.)  Ich  bin  es,  bei  dessen  Untergang  alle  Prana's 
in  dem  Leibe  der  lebenden  Wesen  untergehen,  und  bei 
meinem  Hervortreten  treten  sie  wieder  hervor;  ich  bin 
also  der  Beste;  seht  nur  einmal,  wie  ich  untergehe. 

Der  Brahmaue  sprach : 

9.  (692.)  Da  ging  der  Prana  unter  und  trat  darauf  wieder 
hervor.  Da  sprachen  der  Samana  und  der  Udana  zu  ihm, 
o  Schone,  das  folgende  Wort: 

10.  (693.)  Du  weilst  doch  nicht  in  diesem  Leibe,  so  dafs 
du  ihn  ganz  durchdringst,  wie  wir  es  tun ;  du  bist  also  nicht 
der  Beste  von  uns,  o  Prana,  denn  nur  der  Apana  ist  dir 
untertan.  (694.)  Nachdem  der  Prana  wieder  hervorgetreten 
war,  sprach  zu  ihm  der  Apana. 

Der  Ap&,na  sprach: 

11.  (695.)  Ich  bin  es,  bei  dessen  Untergang  alle  Prana's 
in  dem  Leibe  der  lebenden  Wesen  untergehen,  und  bei 
meinem  Hervortreten  treten  sie  wieder  hervor;  ich  bin 
also  der  Beste;  seht  nur  einmal,  wie  ich  untergehe. 

Der  Brahmane  sprach : 

12.  (696.)  Als  er  so  sprach,  da  sagten  zu  ihm  der  Vyana 
und  der  Udana:  0  Apana,  du  bist  nicht  der  Beste,  sondern 
nur  der  Prana  ist  dir  untertan. 

13.  (697.)  Nachdem  der  Apana  wieder  hervorgetreten  war, 
sprach  zu  ihm  der  Vyana :  Ich  bin  der  Beste  von  alien,  ver- 
nehmt  aus  welchem  Grunde. 

58* 


916  IV.    Anugita. 

14.  (698.)  Ich  bin  es,  bei  dessen  Untergang  alle  Prana's 
in  dem  Leibe  der  lebenden  Wesen  untergehen,  und  bei 
meinem  Hervortreten  treten  sie  wieder  hervor;  ich  bin 
also  der  Beste;  seht  nur  einmal,  wie  ich  untergehe. 

Der  Brahmane  sprach : 

15.  (699.)  Da  ging  der  Vyana  unter  und  trat  darauf  wieder 
hervor.  Da  sprachen  zu  ihm  der  Prana,  der  Apana,  der  Udana 
und  der  Samana: 

16.  (700.)  Du  bist  nicht  der  Beste  von  uns,  o  Vyana,  son- 
dern  nur  der  Samana  ist  dir  untertan.  Nachdem  der  Vyana 
wieder  hervorgetreten  war,  sprach  der  Samana:  (70i.)  Ich  bin 
der  Beste  von  alien,  vernehmt  aus  welchem  Grunde. 

17.  (702.)  Ich  bin  es,  bei  dessen  Untergang  alle  Prana's 
in  dem  Leibe  der  lebenden  Wesen  untergehen,  und  bei 
meinem  Hervortreten  treten  sie  wieder  hervor;  ich  bin 
also  der  Beste;  seht  nur  einmal,  wie  ich  untergehe. 
18.  (703.)  Nachdem  der  Samana  wieder  hervorgetreten  war, 
sprach  zu  ihm  der  Udana:  Ich  bin  der  Beste  von  alien,  ver- 
nehmt aus  welchem  Grunde. 

19.  (704.)  Ich  bin  es,  bei  dessen  Untergang  alle  Prana's 
in  dem  Leibe  der  lebenden  Wesen  untergehen,  und  bei 
meinem  Hervortreten  treten  sie  wieder  hervor;  ich  bin 
also  der  Beste;  seht  nur  einmal,  wie  ich  untergehe. 

20.  (705.)  Da  ging  der  Udana  unter  und  trat  darauf  wieder 
hervor.  Da  sprachen  zu  ihm  der  Prana,  der  Apana,  der  Sa- 
mana und  der  Vyana :  (706.)  0  Udana,  du  bist  nicht  der  Beste, 
sondern  nur  der  Vyana  ist  dir  untertan. 

Der  Brahmane  sprach: 

21.  (707.)  Da  sprach  zu  ihnen  der  Gott  Brahman,  zu  alien 
zusammen,  der  Prajapati :  Ihr  seid  alle  die  Besten  oder  auch 
nicht  die  Besten,   denn  ihr  seid  alle  voneinander  abhangig. 

22.  (708.)  Ihr  seid  alle  die  Besten,  ein  jeder  in  seinem 
Bereich,  aber  ihr  seid  auch  alle  voneinander  abhangig.  Also 
sprach  zu  ihnen  alien  zusammen  der  Prajapati. 

23.  (709.)  Jeder  einzelne  von  euch,  o  ihr  fiinf  Winde,  in 
seiner  Besonderheit  ist  selbstandig  und  auch  nicht  selbstandig 


Adhyaya  23  (B.  23).  917 

denn  es  ist  nur  mein  eigenes  und  einziges  Selbst,  welches 
auch  in  eurer  Vielheit  wahrgenommen  wird. 

24.  (710.)  Als  Freunde  voneinander  und  euch  gegenseitig 
fdrdernd,  sollt  ihr  euch  gegenseitig  unterstiitzen.  Lebt  wohl, 
geht  hin,  Heil  moge  euch  zuteil  werden! 

So  lautet  in  der  Anugit&  der  achte  Adhy&ya. 


Adhyaya  34  (B.  34). 

Vers  711-727  (B.  1-17). 

Der  Brahmane  sprach: 

1.  (711.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namhch  die  Unterredung  zwischen  den  Weisen 
Narada  und  Devamata. 

Devamata  sprach: 

2.  (712.)  Wenn  ein  Geschopf  entsteht,  was  entwickelt  sich 
dann  zuerst  in  ihm,  der  Prana,  der  Apana,  der  Samana,  der 
Vyana  oder  der  Udana? 

Narada  sprach : 

3.  (713.)  Zu  demjenigen  [Prana],  durch  den  das  Geschopf 
entsteht,  gesellt  sich  ein  von  ihm  verschiedener  als  erster 
[vor  den  iibrigen]  hinzu,  denn  man  mufs  wissen,  dafs  es  eine 
Zweiheit  von  Prana's  ist,  welche  in  die  Quere,  nach  oben 
und  nach  unten  wirkt. 

Devamata  sprach: 

4.  (714.)  Welches  ist  der  Prana,  durch  den  das  Geschopf 
entsteht,  und  welches  ist  der  von  ihm  verschiedene,  der  sich 
zuerst  zu  ihm  gesellt?  Und  sage  mir,  welches  die  Zweiheit 
von  Prana's  ist,  die  in  die  Quere,  und  diejenige,  welche  nach 
oben  und  nach  unten  wirkt. 

NS.rada  sprach: 

5.  (715.)  Durch  die  Vorstellung  wird  die  Geschlechtslust 
rege,  sie  wird  auch  rege  durch  den  Ton,  auch  wird  sie  rege 


918  IV.    Anugita. 

durch  den  Geschmack,   und  sie  wird   auch  rege  durch  die 
Gestalt. 

6.  (716.)  Aus  dem  [mannlichen]  Samen,  wenn  er  sich  mit 
dem  [weiblichen]  Blute  vermischt,  entwickelt  sich  zuerst  der 
Prana,  und  nachdem  der  Samen  durch  den  Prana  umgewan- 
delt  ist,  entwickelt  sich  aus  ihm  der  Apana. 

7.  (717.)  Er  entsteht  auch  aus  dem  Samen  und  entsteht 
auch  aus  der  Fliissigkeit  [des  Blutes].  Dieses  ist  die  Form 
des  Udana,  namhch  die  Geschlechtslust  bei   der  Begattung. 

8.  (718.)  Aus  der  Lust  geht  hervor  der  Same,  aus  der 
Lust  (lies:  Jcdmdt)  geht  auch  hervor  das  Blut,  Same  aber 
und  Blut  waren  gleicherweise  hervorgebracht  worden  durch 
den  Samana  [der  die  Nahrung  verdaut]  und  den  Vyana  [der 
den  Nahrungssaft  assimiliert]. 

9.  (719.)  Der  Prana  und  der  Apana,  das  ist  die  Zweiheit, 
welche  nach  oben  und  nach  unten  geht,  der  Vyana  und  der 
Samana,  diese  beiden  heifsen  die  in  die  Quere  gehende  Ver- 
zweiheitlichung. 

10.  (720.)  „Agni  fiirwahr  ist  alle  Gottheiten",  das  ist  (Ait. 
Br.  1,1)  die  Lehre  des  Veda  (lies:  vedasya),  aus  welchem  das 
Wissen  des  Brahmanen  entspringt,  das  von  Verstandnis  be- 
gleitet  ist. 

11.  (721.)  Von  diesem  sehr  glanzenden  [Agni,  Feuer]  ist 
der  Ranch  das  Tamas,  und  seine  Asche  ist  das  Rajas;  aus 
ihm  entspringt  alles,  wenn  die  Opfergabe  hineingeworfen  wird. 

12.  (722.)  Aus  dem  Sattvam  [der  Flamme  dieses  Feuers] 
entspringen  Samana  und  Vyana;  so  wissen  es  die,  welche 
das  Opfer  verstehen ;  der  Prana  und  der  Apana  sind  die  beiden 
Buttergiisse,  zwischen  ihnen  flammt  das  Feuer. 

13.  (723.)  Dieses  ist  die  Form  des  Udana,  in  welcher  die 
Brahmanen  das  Hochste  erkennen;  warum  diese  [im  Gegen- 
satze  zu  den  gepaarten  Prana' s]  zweiheitlos  ist,  das  vernimm 
von  mir,  der  ich  es  dir  verkiinden  will, 

14.  (724.)  Tag  und  Nacht  bilden  die  Zweiheit,  in  deren 
Mitte  [bei  Tagesanbruch]  das  Opferfeuer  flammt;  dieses  ist 
die  Form  des  Udana,  in  welcher  die  Brahmanen  das  Hochste 
erkennen. 

15.  (725.)   Das   Seiende  und  das  Nichtseiende  bilden  die 


Adhyaya  24  (B.  24).  919 

« 

Zweiheit,  in  deren  Mitte  das  [als  Brahman  iiber  beide  er- 
habene]  Opferfeuer  flammt;  dieses  ist  die  Form  des  Udana, 
in  welcher  die  Brahmanen  das  Hochste  erkennen. 

16.  (726.)  Nach  oben  flammen  der  Samana  und  der  Vyana; 
durch  letztern  wird  das  Opferwerk  [wie  das  Verdauungswerk 
im  Korper]  ausgebreitet  [vyasyate  als  Erklarung  von  vydna\; 
zum  dritten  aber  [nachdem  es  emporgefiihrt  und  ausgebreitet 
wurde]  wird  es  von  dem  Samana  wiederum  zum  Stillstande 
gebracht. 

17.  (727.)  Dem  Zwecke  der  Ruhe  dient  die  Meditation 
[dhydnam  statt  des  unverstandlichen  vydnam],  und  die  Ruhe 
ist  das  Eine,  das  ewige  Brahman;  dieses  ist  die  Form  des 
Udana,  in  welcher  die  Brahmanen  das  Hochste  erkennen. 

So  lautet  in  der  AnugitS,  der  neunte  Adhyaya. 


Adhyaya  25  (B.  25). 
Vers  728-745  (B.  1-17). 

Der  Brahmane  sprach: 

1.  (728.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  wie  in  dieser  Welt  die  Einrichtung  der 
vier  Opferpriester  eingerichtet  wurde. 

2.  (729.)  Von  diesen  allem  wird  die  Einrichtung,  wie  sie 
vorschriftsmafsig  geschah,  iiberliefert ;  hore  von  mir,  o  Holde, 
wie  ich  dir  dieses  wunderbare  Geheimnis  mitteile. 

3.  (730.)  Das  Organ,  die  Tat,  der  Tater  und  die  Br- 
io sung,  das  sind,  o  du  Liebliche,  die  vier  Opferpriester, 
von  denen  diese  Welt  erfiillt  ist. 

4.  (731.)  Auch  das,  was  sie  als  Verursacher  tiusrichten, 
vernimm  alles  vollstandig.  Die  Nase,  die  Zunge,  das  Auge, 
die  Haut  und  das  Ohr  als  fiinftes,  (732.)  das  Manas  und  die 
Buddhi,  diese  sieben  soil  man  wissen  als  die  Ursachen  [der 
Erkenntnis]  der  Qualitaten  [das   Organ  als  Ursache]. 

5.  Der  Geruch,  der  Geschmack,  die  Gestalt,  der  Ton 
und  die  Beruhrung  als  fiinftes,  (733.)  ferner  das  zu  Erkennende 
und  das  zu  Verstehende,  diese  sieben  sind  die  Tat  als 
Ursache. 


920  IV.    Anugita. 

6.  Der  Riechende,  der  Schmeckende,  der  Sehende,  der 
Redende  [vaJdd,  besser:  sprashtd^  der  BeriihrendeJ  und  der 
Horende  als  fiinfter,  (734)  der  Erkennende  und  der  Verstehende, 
diese  sieben  sind  der  Tater  als  Ursache,  das  soil  man 
wissen, 

7.  sowie  auch,  dafs  diese  sieben,  an  den  Qualitaten  haf- 
tend,  die  ihnen  entsprechende  gute  oder  bose  Qualitat  ge- 
niefsen,  (735.)  dafs  ich  selbst  aber  qualitatlos  und  unendlich 
bin.  Diese  sieben  [in  dieser  Weise  als  Nicht-Ich  erkannt] 
sind  die  Erlosung  als  Ursache. 

8.  Fiir  diejenigen,  welche  wissen  und  die  Stellung  jedes 
einzelnen,  wie  es  sich  gehort,  begreifen,  (736.)  werden  jene 
Qualitaten  zu  Gottern,  welche  fort  und  fort  die  Opfergabe 
geniefsen.  [Wie  beim  Pranagnihotram  das  Essen,  so  werden 
hier  auch  das  Sehen,  Horen  usw,  als  ein  den  Gottern  der 
Sinnesorgane  dargebrachtes  Opfer  aufgefafst.] 

9.  Hingegen  der  Nichtwissende,  wenn  er  die  Speise  ge- 
niefst,  hat  es  durch  Egoismus  verrichtet,  (737.)  und  indem 
er  nur  um  seiner  selbst  willen  die  Speise  bereiten  lafst, 
wird  er  durch  Egoismus  vernichtet. 

10.  Ihn  vernichtet  das  Essen  des  Verbotenen  und  das 
Trinken  des  Berauschenden ;  (738.)  er  vernichtet  die  Speise, 
und  die  Speise  ihn ;  vernichtend  wird  er  wiederum  vernichtet. 

11.  Aber  der  dieses  Wissende,  wenn  er  die  Nahrung  ver- 
nichtet, erschafft  sie  als  Gottschopfer  wieder,  (739.)  und  durch 
die  Ernahrung  wird  bei  ihm  auch  nicht  die  kleinste  Uber- 
tretung  begangen. 

12.  Alles,  was  durch  das  Manas  erkannt,  durch  die  Rede 
gesprochen,  (740.)  durch  das  Ohr  gehort,  durch  das  Auge 
gesehen, 

13.  durch  den  Tastsinn  gefiihlt  und  durch  die  Nase  ge- 
rochen  wird,  (741.)  alle  diese  mit  Einrechnung  des  Manas  sechs 
Opfergaben  von  alien  Seiten  her  in  sich  aufnehmend, 

14.  strahlt  das  alle  Qualitaten  tragende  und  in  meinen 
Leib  eingegangene  Feuer  [der  Atman].  (742.)  Das  Yogaopfer 
ist  bei  mir  im  Gauge,  welches  durch  sein  Entstehen  das  Feuer 
der  Erkenntnis  verleiht,  dieses  Feuer,  welches  den  Prana  als 


Adhyftya  25  (B.  25).  921 

Lobgesang,   den  Apana  als  Rezitation  und  den  Verzicht  auf 
alles  als  schonen  Opferlohn  hat. 

15.  (743.)  Der  Tater  [der  Ahankara]  und  der  Einwilliger 
[das  Manas]  sind  der  Priester  Brahman,  der  Atman  [nach 
dem  Kommentar  die  Buddhi]  ist  Hotar,  Adhvaryu  und  Udga- 
tar;  die  Wahrheit  ist  der  Pragastar,  das  Tad  [das  Brahman] 
ist  das  Qastram  und  die  Erlosung  ist  der  Opferlohn  bei 
diesem  Opfer. 

16.  (744.)  Auch  Verse  rezitieren  bei  diesem  Opfer  die  deij 
Narayana  Kennenden  zu  Ehren  des  Gottes  Narayana,  darum 
dafs  sie  vordem  die  Opfertiere  [angeblich  die  Sinnesorgane] 
gefunden  [als  von  Atman  verschieden  erkannt]  haben. 

17.  (745.)  Auch  Samanlieder  singen  sie  dabei  und  erzahlen 
eine  Geschichte  zur  Erlauterung.  Diesen  Gott  Narayana,  o  du 
Schiichterne,  erkenne  als  die  Seele  der  ganzen  Welt. 

So  lautet  in  der  Anugita  der  zehnte  AdhyAya. 


Adhyaya  36  (B.  36). 

Vers  746 -763  (B.  1-18). 

Der  Brahmane  sprach: 

1.  (746.)  Ein  Gebieter  ist,  es  gibt  keinen  andern  Ge- 
bieter;  ihn,  der  im  Herzen  wohnt,  rufe  ich  an;  von  ihm 
getrieben,  wie  das  Wasser  von  einem  Abhange,  so  wie 
ich  angetrieben  bin,  fahre  ich  hin. 

2.  (747.)  Ein  Lehrer  ist,  es  gibt  keinen  andern  aufser 
ihm;  ihn,  der  im  Herzen  wohnt,  rufe  ich  an;  von  ihm 
als  Lehrer  unterwiesen  wurden  immerdar  in  der  Welt 
sogar  alle  die  verhafsten  Schlangen. 

3.  (748.)  Ein  Freund  ist,  es  gibt  keinen  andern  aufser 
ihm;  ihn,  der  im  Herzen  wohnt,  rufe  ich  an;  von  ihm 
unterwiesen,  sind  befreundet  die  Verwandten,  erglanzen 
am  Himmel,  o  Sohn  der  Pritha,  die  sieben  Rishi's  [das 
Siebengestirn  des  Grofsen  Baren]. 

4.  (749.)  Ein  Lernender  ist,  es  gibt  keinen  andern  aufser 
ihm;  ihn,  der  im  Herzen  wohnt,  rufe  ich  an;  bei  ihm  als 


922  IV.    Anugita. 

Lehrer  hat  die  Lehrerschule  durchgemacht  der  Gott  Indra 
(Chand.  Up.  8,7—12}  und  ist  dadurch  zur  Unsterblichkeit 
in  alien  Welten  gelangt  (Chand.  Up.  8,12,6), 

5.  (750.)  Ein  Hassender  ist,  es  gibt  keinen  andern  aufser 
ihm ;  ihn,  der  im  Herzen  wohnt,  rufe  ich  an ;  von  ihm  als 
Lehrer  unterwiesen  wurden  immerdar  in  der  Welt  sogar 
alle  die  verhafsten  Schlangen. 

6.  (751.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  das  Zusammenkommen  der  Schlangen 
und  der  Gotter-Eishi's  bei  Prajapati. 

7.  (752.)  Die  Gotter-Kishi's,  die  Schlangen  und  die  Da- 
monen  befragten  den  Prajapati,  indem  sie,  ihn  verehrend, 
sich  nahten:    Sage,  was  fur  uns  das  Beste  ist. 

8.  (753.)  Zu  ihnen,  da  sie  ihn  gemeinsam  befragten  nach 
dem,  was  fiir  sie  das  Beste  sei,  sprach  der  Heilige:  Om,  diese 
eine  Silbe  ist  das  Brahman!  Nachdem  sie  das  gehort,  liefen 
sie  nach  alien  Richtungen  auseinander. 

9.  (754.)  Unter  ihnen,  die  herbeigelaufen  waren,  um  sich 
zu  belehren,  hatte  sich  bei  den  Schlangen  aber  die  Neigung 
zu  beifsen  schon  vorher  entwickelt, 

10.  (755.)  wahrend  hingegen  bei  den  Damonen  sich  die 
ihnen  angeborene  Neigung  zum  Truge  entwickelt  hatte,  und 
hinwiederum  die  Gotter  sich  fiir  das  Geben  und  Nehmen, 
die  grofsen  Eishi's  aber  fiir  die  Selbstbezahmung  entschie- 
den  hatten. 

11.  (756.)  Zu  einem  und  demselben  Lehrer  hatten  sie  sich 
begeben,  und  durch  eines  und  dasselbe  Wort  waren  sie  ge- 
heiligt  worden,  und  doch  entschieden  sie  sich  alle  fiir  etwas 
Verschiedenes,  die  Schlangen,  die  Gotter-Eishi's  und  die 
Damonen. 

12.  (757.)  Es  hort  einer,  was  ihm  gesagt  wurde,  und  fafst 
es  auf,  je  nachdem  es  ist  [es  ihm  zusagt],  und  auch  wenn  er 
dann  noch  weiter  fragen  wollte,  einen  andern  Lehrer  [als  ihn 
selbst,  je  nachdem  er  das  Gesagte  aufnimmt]  gibt  es  nicht, 

13.  (758.)  und  nach  dessen  [also  seiner  eigenen]  Zustim- 
mung  richtet  sich  dann  weiterhin  das  Tun;  man  hat  den 
Lehrer  und  den  Lernenden  und  Horenden,  ja  auch  den  Feind 
im  eigenen  Herzen  und  aus  diesem  kommend. 


Adhyaya  26  (B.  26).  923 

14.  (759.)  [Nicht  die  Belehrung  ist  das  Entscheidende, 
sondern :]  Wenn  man  mit  einem  schlechten  Menschen  im 
Leben  verkehrt,  so  wird  man  einen  schlechten  Wandel  fiihren, 
und  wenn  man  mit  einem  guten  Menschen  verkehrt,  so  wird 
man  einen  guten  Wandel  fiihren. 

15.  (760.)  Aber  nach  Willkiir  lebend  seiner  Lust  gemafs 
ist  der,  welcher  dem  Sinnengenusse  huldigt;  und  ein  heiliges 
Leben  fiihrt  (ein  Brahmacarin  ist)  der  immerdar,  welcher  an 
der  Uberwindung  seiner  Sinne  seine  Freude  hat. 

16.  (761.)  Wer  aber  alle  Geliibde  und  Werke  von  sich 
tut,  nur  in  Brahman  steht  und,  zu  Brahman  geworden,  in  der 
Welt  dahinwandelt,  der  fiihrt  ein  wahrhaft  heiliges  Leben 
(ist  ein  wahrer  Brahmacarin). 

17.  (762.)  Fiir  ihn  ist  Brahman  das  Brennholz,  Brahman 
das  Feuer,  Brahman  das  Zusammenleben  [mit  den  anderen 
Schiilern],  Brahman  das  Wasser  und  Brahman  der  Lehrer, 
er  ist  in  Brahman  aufgehend. 

18.  (763.)  Das  ist  es,  was  die  Weisen  als  den  verborgenen 
heiligen  Wandel  (das  verborgene  Brahmacaryam)  erkannten 
und  erkannt  habend  befolgten,  von  ihrer  eigenen  Seele  fkshe- 
trajnaj  unterwiesen. 

So  lautet  in  der  Anag!t&  der  elfte  Adhy&ya. 


Adhyaya  37  (B.  21), 

Vers  764-787  (B.  1-24). 

Der  Brahmane  sprach : 

1.  (764.)  Wiinsche  sind  seine  stechenden  Miicken,  Leid 
und  Lust  sind  seine  Kalte  und  Glut,  die  Nacht  der  Verblen- 
dung  ist  seine  Dunkelheit,  Begierde  und  Krankheit  sind  sein 
schleichendes  Gewiirm, 

2.  (765.)  die  Sinnendinge  sind  der  einzige  gefahrliche  Pfad, 
der  hindurchfiihrt ,  Begierde  und  Zorn  sind  sein  hemmendes 
Gestriipp,  —  das'  ist  das  grofse  Dickicht,  durch  welches  ich 
durchgedrungen  und  in  diesen  grofsen  Wald  gelangt  bin. 


924  IV.    Anugita. 

Die  Brahmanin  sprach:        , 

3.  (766.)  Wo  ist  dieser  Wald,  o  grofser  Weiser,  welches 
sind  seine  Baume  und  seine  Gewasser,  seine  Berge  und  Hiigel, 
und  auf  welchem  Wege  erreichbar  ist  dieser  Wald? 

Der  Brahmane  sprach: 

4.  (767.)  Dieses  eine  [das  Wohnen  in  dem  Walde]  ist  keine 
Vereinsamung ,  und  kein  anderes  Gliick  kommt  ihm  gleich; 
jenes  andere  [das  Wohnen  in  der  Welt]  ist  keine  Nicht- 
vereinsamung,  und  es  gibt  kein  grofseres  Leid  als  dieses. 

5.  (768.)  Dieser  Wald  ist  von  allem  das  Kleinste  und  von 
allem  das  Grofste,  er  ist  von  allem  das  Feinste,  und  kein 
anderes  Gliick  kommt  ihm  gleich. 

6.  (769.)  Die  Zwiegeborenen ,  die  in  diesen  Wald  einge- 
gangen  sind,  fiihlen  keinen  Kummer  mehr  und  keine  Freude 
mehr,  sie  furchten  sich  vor  niemandem,  und  niemand  fiirchtet 
sich  vor  ihnen  mehr. 

7.  (770.)  In  diesem  Walde  gibt  es  sieben  grofse  Baume, 
sieben  Friichte  und  sieben  Gaste,  sieben  Einsiedeleien, 
sieben  Meditationen  und  sieben  Weihen;  so  ist  dieser 
Wald  beschaffen. 

8.  (771.)  Es  sind  himmlische  Bliiten  und  Friichte  von 
fiinferlei  Farbe,  welche  von  den  Baumen  hervorgebracht 
werden,  die  diesen  Wald  erfiillen. 

9.  (772.)  Von  schoner  Farbe,  von  zweifacher  Farbe  sind  die 
Bliiten  und  Friichte,  welche  von  den  Baumen  hervorgebracht 
werden,  die  diesen  Wald  erfiillen. 

10.  (773.)  Von  schonem  Geruch,  von  zweifacher  Farbe  sind 
die  Bliiten  und  Friichte,  welche  von  den  Baumen  hervor- 
gebracht werden,  die  diesen  Wald  erfiillen. 

11.  (774.)  Von  schonem  Geruch  und  einfacher  Farbe  sind 
die  Bliiten  und  Friichte,  welche  von  den  Baumen  hervor- 
gebracht werden,  die  diesen  Wald  erfiillen. 

12.  (775.)  Zahlreich  und  von  unbestimmter  Farbe  sind  die 
Bliiten  und  Friichte,  welche  von  zwei  grofsen  Baumen  her- 
vorgebracht werden,  die  diesen  Wald  erfiillen. 

13.  (776.)  Das  eine  Feuer,  welches  in  diesem  Walde 
brennt,  ist  der  wohlgesinnte  Brahmane,  und  seine  fiinf 


Adhyftya  27  (B.  27).  925 

Sinne  sind  das  Brennholz;  als  Befreiungen  von  ihnen  er- 
weisen  sich  fruchtbar  die  sieben  Weihen.  Die  Guna's 
sind  die  Friichte,  und  die  Gaste  sind  die,  welche  die 
Friichte  essen. 

14.  (777.)  Die  Gastfreundschaft  nehmen  entgegen  hier  und 
da  in  dem  Walde  grofse  Weisen;  nachdem  sie  geehrt  worden 
und  verschwunden  sind,  erglanzt  ihnen  oin  anderer  Wald, 

15.  (778.)  dessen  Baume  Weisheit,  dessen  Frucht  die  Er- 
losung,  und  der  mit  Gemiitsruhe  als  Schatten  ausgestattet 
ist;  seine  Einsiedelei  [lies:  dgrama]  ist  die  Erkenntnis,  sein 
Gewasser  ist  die  Zufriedenheit  und  seine  Sonne  ist  die 
innere  Seele. 

16.  (779.)  Fiir  die  Guten,  welche  diesen  Wald  erlangen, 
gibt  es  weiter  keine  Furcht  mehr.  Nach  oben,  nach  unten 
und  in  die  Quere  ist  das  Ende  dieses  Waldes  nicht  zu  er- 
reichen. 

17.  (780.)  Sieben  Frauen  hingegen  wohnen  Tag  fiir 
Tag  dort  [in  dem  erstgenannten  Walde],  nach  unten 
blickend,  glanzvoll,  zeugungskraftig ;  sie  [die  fiinf  Sinne, 
Manas  und  Buddhi]  benehmen  den  Geschopfen  alien  Ge- 
schmack  fiir  das  Hohere  sowie  die  Realitat  und  die  Ver- 
ganglichkeit  [die  ihre  Objekte  sind,  den  Geschmack  fiir 
das  Hohere  benehmen]. 

18.  (781.)  Dort  hinwiederum  [in  dem  himmlischen  Walde] 
haben  ihre  Stelle  und  dort  ziehen  herauf  die  vollendeten 
sieben  Sieben -Rishi's  [das  Siebengestirn  ]  mitsamt  denen, 
welche  von  Vasishtha  [dem  Stern  ^  im  Grofsen  Baren]  an- 
gefiihrt  werden. 

19.  (782.)  Ihm,  dessen  Kraft  vollkommen  ist,  gehort  Ruhm, 
Glanz,  Gliick  und  Sieg,  ihm  folgen  die  librigen  sieben  Sterne 
als  ihrer  Sonne. 

20.  (783.)  Auch  Berge  sind  daselbst  mit  Hiigeln  im  Verein 
sowie  Strome  und  Fliisse,  welche  das  Wasser  fiihren,  das 
aus  Brahman  quillt. 

21.  (784.)  Die  Vereinigung  aber  dieser  Strome  findet  statt 
an  dem  geheimen  Orte  der  drei  Opferfeuer;  von  diesem  aus 
gehen  die,  welche  sich  an  ihrem  Atman  ersattigt  haben,  ge- 
raden  Weges  zum  Urvater  hin. 


926  IV.    Anugita. 

22.  (785.)  Wenig  sich  nahrend,  nach  ihrem  guten  Geliibde 
sich  nahrend  und  ihre  Siinde  durch  Askese  verbrennend,  so 
gehen  sie  in  ihrem  Atman  in  den  Atman  ein  und  verehren 
zugleich  [exoterisch]  den  Gott  Brahman. 

23.  (786.)  Und  auch  die  Geistesruhe  preisen  an  diesem 
Wissenswalde,  die  ihn  kennen,  und  indem  sie  auf  diesen  Wald 
[Hes:  aranyam]  zustreben,  wird  er  ihnen  zuteil  je  nach  ihrer 
Einsicht. 

24.  (787.)  Von  dieser  Art  ist  dieser  heilige  Wald,  den  die 
Brahmanen  kennen,  und  wenn  sie  ihn  kennen,  so  streben  sie 
ihm  zu,  indem  ihre  eigene  Seele  ihnen  den  Weg  zeigt. 

So  lautet  in  der  Anugita  der  zwoHte  Adhyiiya. 


Adhyaya  38  (B.  2S). 

Vers  788-816  (B.  1-28). 

Der  Brahmane  sprach: 

1.  (788.)  Ich  bin  es  nicht,  der  die  Geriiche  riecht,  die 
Geschmacke  empfindet,  die  Gestalt  sieht  und  beriihrt, 
auch  bin  ich  es  nicht,  der  die  mannigfachen  Tone  hort 
oder  irgendeine  Vorstellung  fafst. 

2.  (789.)  Es  ist  die  Natur  fsvabhava  =  prakritij,  welche 
nach  den  erwiinschten  Dingen  trachtet,  und  es  ist  die 
Natur,  welche  alles  Hassenswerte  hafst;  und  auch  das- 
jenige,  wodurch  Prana  und  Apana  entstehen  und  Liebe 
und  Hafs  in  die  Leiber  der  Geschopfe  pflanzen,  das  ist 
die  Natur. 

3.  (790.)  Auch  noch  andere  Eigenschaften  als  diese, 
welche  jenen  Geschopfen  bestandig  anhaften,  werden 
[von  den  Yogin's]  erkannt  als  der  im  Korper  weilende 
natiirliche  Atman  fbhiitdtmanj ;  in  ihm  habe  ich  meinen 
Sitz  und  bin  doch  in  keiner  Weise.  mit  Lust  und  Zorn, 
mit  Alter  und  Tod  behaftet. 

4.  (791.)  Ich  aber  begehre  nicht  mehr  nach  irgend- 
einer  Lust  und  verabscheue  nicht  mehr  irgendein  Ubel, 
und  durch  die  Naturbeschaffenheiten  werde  ich  so  wenig 
befleckt,  wie  der  Wassertropfen   durch  die  Lotosblume. 


Adhy&ya  28  (B.  28).  927 

5.  (792.)  Und  diesem  Ewigen,  welches  in  mir  bemerkt 
wird,  haften  viele  ewige  Naturbeschaffenheiten  [lies: 
svahhdvdh]  an,  aber  das  Netz  der  Geniisse  klebt  nicht 
an  meinen  Werken,  wie  das  Strahlennetz  der  Sonne  nicht 
am  Himmel. 

6.  (793.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Unterredung  zwischen  einem  Adhvaryu 
(Priester  des  Yajurveda)  und  einem  Yati  (Asketen) ;  das  ver- 
nimm,  o  du  Riihmliche. 

7.  (794.)  Ein  Asket,  der  dabeisafs  und  zusah,  wie  bei 
einem  Opfer  das  Opfertier  geweiht  wurde,  sprach  zu  dem 
Adhvaryu  in  tadelnder  Weise :  Dieses  ist  eine  hinsd  [Schadi- 
gung  eines  lebenden  Wesens]. 

8.  (795.)  Zu  ihm  sprach  der  Adhvaryu:  Dieser  Bock  geht 
nicht  zugrunde,  vielmehr  wird  dieses  Geschopf  der  Seligkeit 
teilhaftig,  wenn  anders  die  betreffende  Schriftstelle  dieses 
verheifst. 

9.  (796.)  Der  Teil  von  ihm,  welcher  erdartig  ist,  geht 
wieder  zur  Erde,  und  alles,  was  an  ihm  aus  Wasser  geworden 
ist,  das  geht  in  das  Wasser  ein. 

10.  (797.)  Sein  Auge  geht  zur  Sonne,  sein  Ohr  zu  den 
Himmelsgegenden  und  sein  Lebenshauch  zum  Himmel.  Da 
ich  dabei  nach  der  heiligen  Vorschrift  verfahre,  so  trifft  mich 
kein  Vorwurf  irgendwelcher  Art. 

Der  Yati  sprach: 

11.  (798.)  Wenn  du  glaubst,  dafs  diesem  Bocke  die  Tren- 
nung  vom  Leben  zur  Seligkeit  gereicht,  so  geschieht  also  das 
Opfer  dem  Bocke  zuliebe;  was  fiir  einen  Zweck  kannst  denn 
du  fiir  dich  dabei  verfolgen? 

12.  (799.)  Ist  dem  aber  so,  dann  diirfte  dir  auch  der  Bruder 
des  Bockes  zustimmen  sowie  sein  Vater,  seine  Mutter  und 
sein  Freund;  besprich  dich  mit  ihnen,  indem  du  diesen  Bock 
zu  ihnen  bringst,  besonders  da  er  noch  von  anderen  ab- 
hangig  ist. 

13.  (800.)  Darum  miissen  sie  ihre  Zustimmung  geben,  du 
mufst  sie  deshalb  aufsuchen;  hast  du  dich  erst  ihrer  Ein- 
willigung  versichert,  so  lafst  sich  die  Sache  weiter  iiberlegen. 


928  IV.    Anugita. 

14.  (801.)  Ubrigens  werden  ja  die  Lebensorgane  dieses 
Bockes  an  die  ihnen  zukommende  Statte  befordert,  und  nur 
der  Korper  bleibt  ohne  Bewegung  zuriick,  so  denke  ich. 

15.  (802.)  Der  Korper  aber  ohne  Bewufstsein  ist  doch  nur 
dem  Brennholze  vergleichbar,  und  die,  welche  aus  der  Totung 
einen  Vorteil  ziehen  wollen,  haben  das  mit  dem  Namen  Opfer- 
tier  bezeichnete  Brennholz  [ohne  das  dazu  erforderliche  Feuer]. 

16.  (803.)  Nichtschadigung  ist  [die  oberste]  aller  Pflichten, 
so  lautet  das  Gebot  der  Altvordern;  nur  dasjenige  Werk  darf 
vollbracht  werden,  welches  ohne  Schadigung  geschehen  kann, 
das  wissen  wir, 

17.  (804.)  Man  darf  nicht  schadigen,  das  ist  meine  Be- 
hauptung,  und  wenn  ich  [um  sie  zu  erweisen]  noch  weiter 
reden  soil,  so  konnte  ich  das  Werk,  welches  von  dir  aus- 
gefiihrt  werden  soil,  in  vielen  Beziehungen  tadeln. 

18.  (805.)  Kein  Wesen  zu  schadigen,  das  ist  der  Grund- 
satz,  der  uns  unter  alien  Umstanden  einleuchtet;  wir  handeln 
aber  nach  dem,  was  uns  vor  Augen  liegt,  und  was  dariiber 
hinaus  liegt,  achten  wir  nicht. 

Der  Adhvaryu  sprach: 

19.  (806.)  Du  geniefsest  von  der  Erde  die  Qualitaten  der 
Geriiche,  du  trinkst  die  aus  dem  Wasser  stammenden  Ge- 
schmacke,  du  siehst  die  den  Lichtern  angehorige  Gestalt,  du 
fiihlst  die  vom  Winde  kommenden  Qualitaten, 

20.  (807.)  du  horst  die  aus  dem  Ather  geborenen  Tone, 
und  du  bildest  die  Vorstellung  mit  Hilfe  des  Manas;  alle 
diese  Wesen  sind  belebt,  wie  du  weifst, 

21.  (808.)  und  du  horst  gar  nicht  auf  [lies:  anivritto],  von 
ihrem  Leben  zu  nehmen,  du  lebst  fort  und  fort  in  Hinsa 
(Schadigung  lebender  Wesen}.  Es  gibt  gar  kein  Existieren 
ohne  Hinsa,  oder  wie  denkst  du  dariiber,   o  Zwiegeborener? 

Der  Yati  sprach : 

22.  (809.)  Das  Unvergangliche  und  das  Vergangliche 
machen  die  zwiefache  Existenz  des  Atman  aus.  Das  Unver- 
gangliche ist  seine  wahre  Wesenheit,  das  Vergangliche  wird 
seine  Natur  fsvahhdva  =  prakritij  genannt. 


Adby&ya  28  (B.  28).  929 

23.  (810.)  Lebenshauch,  Zunge,  Manas,  Sattvam  nebst 
Rajas  bilden  die  Natur  [lies :  svabhdvo] ;  wer  von  alien  diesen 
Wesenheiten  erlost,  frei  von  den  Gegensatzen  des  Lebens 
[Lust  und  Leid,  Hitze  und  Kalte  usw.]  und  frei  von  Wiin- 
schen  ist, 

24.  (811.)  wer  alle  Wesen  fiir  gleich  achtet,  ohne  Ichheit 
ist  und  sein  Selbst  iiberwunden  hat,  d'^r  ist  vollstandig  er- 
lost, und  keine  Furcht  wandelt  ihn  an,  wo  es  auch  sei. 

Der  Adhvaryu  sprach : 

25.  (812.)  Nur  mit  dem  [empirisch]  Eealen  haben  wir  auf 
dieser  Welt  zusammen  zu  leben,  o  Bester  der  Weisen;  gerade 
dadurch,  dafs  ich  deine  Meinung  gehort  habe,  leuchtet  meine 
Meinung  mir  als  die  richtige  ein. 

26.  (813.)  Ich  bin,  o  Heiliger,  mit  deiner  Denkungsart  ein- 
verstanden,  und  trotzdem  sage  ich :  (8i4.)  Mich,  indem  ich  die 
vom  Veda  vorgeschriebene  Satzung  ausfiihre,  trifft  keine 
Schuld,  o  Zwiegehorener. 

Der  Brahmane  sprach : 

27.  (815.)  Inlblge  dieser  Argumentation  verhielt  sich  der 
Yati  von  da  an  schweigend,  und  der  Adhvaryu  schritt  un- 
beirrt  in  der  grofsen  Opferhandlung  weiter. 

28.  (816.)  So  haben  die  Brahmanen  in  dieser  Frage  eine 
solche  gar  feine  Freisprechung  von  Schuld  erkannt,  und 
nachdem  sie  dieselbe  erkannt  durch  ihren  die  Wahrheit  er- 
kennenden  Geist  fKshetrajnaJ,  verfahren  sie  dementsprechend. 

So  lautet  in  der  Anugita  der  dreizehnto  AdhyAya. 


Adhyaya  39  (B.  39). 

Vers  817-838  (B.  1-22). 

Der  Brahmane  sprach: 

1.  (817.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte  Ge- 
schichte,  namlich  die  Unterredung  zwischen  Kartavirya  und 
Samudra  (dem  Ozean),  o  Holde. 

Deubbkn,  Mab&bh&ratam.  59 


930  IV.    Anugita; 

2.  (818.)  Arjuna  Kartavirya  war  ein  Konig  mit  tausend 
Armen,  von  welchem  die  meerumgiirtete  Erde  mit  seinem 
Bogen  erobert  worden  war. 

3.  (819.)  Einstmals,  als  er,  stolz  auf  seine  Kraft,  am  Ufer 
des  Ozeans  wandelte,  iiberschiittete  er  mit  Hunderten  von 
Pfeilen  den  Ozean,  wie  wir  vernommen  haben. 

4.  (820.)  Ihn  verehrte  der  Ozean  mit  gefalteten  Handen 
und  sprach :  Schiefse  deine  Pfeile  nicht  ab,  o  Held,  sage  was 
ich  dir  tun  soil. 

5.  (821.)  Die  Geschopfe,  deren  Zuflucht  ich  bin,  werden 
durch  die  von  dir  abgeschossenen  grofsen  Pfeile  getotet, 
o  Tiger  unter  den  Fiirsten ;  lasse  sie  in  Frieden,  o  Machtiger. 

Arjuna  sprach: 

6.  (822.)  Wenn  es  irgendwo  einen  mir  im  Kampfe  eben- 
biirtigen  Bogentrager  gibt,  den  sage  mir  an,  damit  er  es  mit 
mir  im  Kampfe  aufnehme. 

Der  Ozean  sprach: 

7.  (823.)  Wenn  du,  o  Konig,  von  dem  grofsen  Rishi  Ja- 
madagni  gehort  hast,  so  wisse,  dafs  er  einen  Sohn  hat,  der 
wiirdig  ist,  mit  dir  einen  Waffengang  in  gehoriger  Weise  zu 
machen. 

8.  (824.)  Da  ging  der  Konig  fort,  von  grofsem  Grimm  er- 
fiillt,  gelangte  zu  der  bezeichneten  Einsiedelei  und  wandte 
sich  an  Rama, 

9.  (825.)  Da  beging  er  Feindseligkeiten  gegen  Rama  und 
seine  Leute  und  erregte  dadurch  den  Verdrufs  des  hoch- 
herzigen  Rama. 

10.  (826.)  Da  entflammte  die  Kraft  des  unermefslich  kraf- 
tigen  Rama,  und  er,  o  Lotosaugige,  der  die  Heere  der  Feinde 
verbrannte, 

11.  (827.)  Rama,  erfafste  darauf  die  Axt  und  fallte  mit 
Macht  jenen  Tausendarmigen  wie  einen  Baum  mit  vielen 
Zweigen. 

12.  (828.)  Als  sie  ihn  erschlagen  und  niedergestiirzt  sahen, 
scharten  sich  alle  seine  Leute  zusammen,  ergriffen  Schwerter 
und  Speere  und  umstiirmten  den  Bhrigusprofs. 


Adhyaya  29  (B.  29).  931 

13.  (829.)  Da  ergriff  Rama  seinen  Bogen,  sprang  eilig  auf 
seinen  Streitwagen  und,  indem  er  das  Heer  des  Fiirsten  mit 
einem  Regen  von  Pfeilen  iiberschiittete,  blies  er  es  aus- 
einander. 

14.  (830.)  Da  geschah  es,  dafs  eine  Anzahl  Kshatriya's, 
von  Furcht  vor  dera  Jamadagnisohne  gequalt,  in  die  Berg- 
schluchten  fliichteten  wie  Antilopen,   die  der  Lowe  verfolgt. 

15.  (831.)  Weil  diese  aus  Furcht  vor  ihm  die  ihnen  ob- 
liegende  Pflicht  nicht  erfiillten,  sanken  ihre  Nachkommen  in- 
folge  ihres  Getrenntlebens  von  den  Brahmanen  zum  Stande 
der  Elenden  (Vrishala's  =  Qiidra's)  herab. 

16.  (832.)  So  geschah  es,  dafs  diese  als  Dravida's,  Abhira's, 
Pundra's  und  ^'abara's  in  den  Stand  der  Elenden  ((^udra's) 
gerieten  wegen  der  Unterlassung  der  Pflicht,  die  sie  als  Ksha- 
triya's hatten. 

17.  (833.)  Weiterhin  wurden  die  mit  den  Kshatriyafrauen 
nach  Totung  ihrer  Manner  von  den  Brahmanen  fdvijaj  er- 
zeugten  Kshatriya's  immer  wieder  und  wieder  vom  Jama- 
dagnisohne ausgerottet. 

18.  (834.)  Am  Ende  von  einundzwanzig  dieser  Menschen- 
opferungen  geschah  es,  dafs  eine  korperlose,  himmlische, 
milde,  in  der  ganzen  Welt  vernehmbare  Stimme  zu  Rama 
sprach : 

19.  (835.)  Rama!  Rama!  lasse  ab!  Welches  Verdienst 
siehst  du  darin,  o  Freund,  diese  Kshatriyaburschen  immer 
wieder  und  wieder  ums  Leben  zu  bringen? 

20.  (836.)  Und  ebenso  sprachen  sodann  zu  dem  Hoch- 
herzigen  seine  Vorvater  mit  Ricika  [dem  Grofsvater  des  Rama] 
an  der  Spitze  und  sagten:  Lasse  ab,  du  Vortrefflicher ! 

21.  (837.)  Aber  Rama,  der  die  Ermordung  seines  Vaters 
[durch  die  Sohne  des  Kartavirya]  nicht  vergessen  konnte, 
sprach  zu  diesen  Rishi's:  Euer  Gnaden  diirfen  mich  hieran 
nicht  hindern. 

Die  Ahnen  sprachen: 

22.  (838.)  Du  darfst,  o  Bester  der  Sieger,  nicht  diese  Ksha- 
triyaburschen toten,  denn  es  geziemt  sich  nicht,  dafs  du,  der 
du  ein  Brahmane  bist,  die  Fiirsten  totest. 

So  lautet  in  der  Anugttft  der  vierzehnte  Adhy&ya. 

.59* 


932  IV.    Anugita. 

Aclhyaya  30  (B.  30). 

Vers  839-872  (B.  1-33). 

Die  Ahnen  sprachen: 

1.  (839.)  Auch  hieriiber  erzahit  man  sich  folgende  alte  Ge- 
schichte,  und  wenn  du  dies  gehort  haben  wirst,  so  mufst  du 
danach  handeln,  o  Bester  der  Brahmanen. 

2.  (840.)  Es  war  einmal  ein  Konigs-Rishi  mit  Namen  Alarka, 
von  grofser  Askese,  pflichtkundig,  die  Wahrheit  redend,  hoch- 
•herzig  und  sehr  fasten  Geliibdes. 

3.  (841.)  Der  hatte  mit  seinem  Bogen  diese  meerumgiirtete 
Erde  erobert,  und  nachdem  er  dieses  schwere  "Werk  voll- 
bracht  hatte,  richtete  er  seinen  Geist  auf  eine  feine  Sache. 

4.  (842.)  Wahrend  er  an  den  Wurzeln  eines  Baumes  ver- 
weilte,  richtete  sich  sein  Gedanke,  indem  er  sein  grofses  Werk 
aufgab,  auf  eine  feine  Sache,  o  du  Hochsinniger. 

Alarka  sprach : 

5.  (843.)  Ein  Heer  hat  sich  gegen  mich  erhoben  aus  meinem 
Manas ;  besiege  ich  das  Manas,  so  ist  mein  Sieg  vollkommen ; 
auf  andere  Gegner  [als  die  bisherigen]  will  ich  meine  Pfeile 
richten,  denn  ich  bin  von  Feinden  rings  umgeben. 

6.  (844.)  Gegen  dieses  Ding,  welches  durch  seine  Flatter- 
haftigkeit  alle  Menschen  zu  zerstreuen  strebt,  gegen  mein 
Manas  will  ich  die  Pfeile  mit  scharfer  Spitze  losschiefsen. 

Das  Manas  sprach: 

7.  (845.)  0  Alarka,  diese  Pfeile  werden  mich  keineswegs 
durchbohren,  sondern  nur  deine  Gelenke  zertrennen,  und  wenn 
sie  zertrennt  sind,  so  mufst  du  sterben, 

8.  (846.)  Ersinne  andere  Pfeile,  durch  die  du  mir  den 
Garaus  machen  kannst.  Als  er  dies  vernommen  hatte,  sprach 
er  mit  Bedacht  das  folgende  Wort. 

Alarka  sprach: 

9.  (847.)  Wenn  der  Geruchsinn  manche  Geriiche  riecht, 
so  wird  man  von  Begierde  nach  ihnen  ergriffen;  darum  will 
ich  die  scharfen  Pfeile  gegen  den  Geruchsinn  losschiefsen. 


Adhyaya  30  (B.  30).  933 

Der  Geruchsinn  spracli : 

10.  (848.)  0  Alarka,  diese  Pfeile  werden  raich  keineswegs 
durchbohren,  sondern  nur  deine  Gelenke  zertrennen,  und  wenn 
sie  zertrennt  sind,  so  mufst  du  sterben. 

11.  (849.)  Ersinne  andere  Pfeile,  durch  die  du  mir  den 
Garaus  machen  kannst.  Als  er  dies  vernommen  hatte,  spracli 
er  mit  Bedacht  das  folgende  Wort. 

Alarka  spracb: 

12.  (850.)  Wenn  diese  Zunge  die  siifsen  Geschmacke 
schmeckt,  so  wird  man  von  Begierde  nach  ihnen  ergriffen; 
darum  will  ich  die  scharfen  Pfeile  gegen  die  Zunge  losschiefsen. 

Die  Zunge  sprach: 

13.  (851.)  0  Alarka,  diese  Pfeile  werden  mich  keineswegs 
durchbohren,  sondern  nur  deine  Gelenke  zertrennen,  und  wenn 
sie  zertrennt  sind,  so  mufst  du  sterben. 

14.  (852.)  Ersinne  andere  Pfeile,  durch  die  du  mir  den 
Garaus  machen  kannst.  Als  er  dies  vernommen  hatte,  sprach 
er  mit  Bedacht  das  folgende  Wort. 

Alarka  sprach: 

15.  (853.)  Wenn  die  Haut  manche  Gefiihle  fiihlt,  so  wird 
man  von  Begierde  nach  ihnen  ergriffen;  darum  will  ich  die 
Haut  mit  manchen  befiederten  Pfeilen  durchlochern. 

Die  Haut  sprach: 

16.  (854.)  0  Alarka,  diese  Pfeile  werden  mich  keineswegs 
durchbohren,  sondern  nur  deine  Gelenke  zertrennen,  und  wenn 
sie  zertrennt  sind,  so  mufst  du  sterben. 

17.  (855.)  Ersinne  andere  Pfeile,  durch  die  du  mir  den 
Garaus  machen  kannst.  Als  er  dies  vernommen  hatte,  sprach 
er  mit  Bedacht  das  folgende  Wort. 

Alarka  sprach: 

18.  (856.)  Wenn  das  Ohr  manche  Tone  hort,  so  wird  man 
von  Begierde  nach  ihnen  ergriffen ;  darum  will  ich  die  scharfen 
Pfeile  gegen  das  Ohr  losschiefsen. 


934  IV.    Anugit^. 

Das  Ohr  sprach: 

19.  (857.)  0  Alarka,  diese  Pfeile  werden  mich  keineswegs 
durchbohren,  sondern  nur  deine  Gelenke  zertrennen,  und  in- 
folge  davon  mufst  du  dein  Leben  lassen. 

20.  (858.)  Ersinne  andere  Pfeile,  durch  die  du  mir  den 
Garaus  machen  kannst.  Als  er  dies  vernommen  hatte,  sprach 
er  mit  Bedacht  das  folgende  Wort. 

Alarka  sprach: 

21.  (859.)  Wenn  das  Auge  manche  Gestalten  sieht,  so  wird 
man  von  Begierde  nach  ihnen  ergriffen;  darum  will  ich  das 
Auge  mit  den  scharfen  Pfeilen  toten. 

Das  Auge  sprach: 

22.  (860.)  0  Alarka,  diese  Pfeile  werden  mich  keineswegs 
durchbohren,  sondern  nur  deine  Gelenke  zertrennen,  und  wenn 
sie  zertrennt  sind,  so  mufst  du  sterben. 

23.  (861.)  Ersinne  andere  Pfeile,  durch  die  du  mir  den 
Garaus  machen  kannst.  Als  er  dies  vernommen  hatte,  sprach 
er  mit  Bedacht  das  folgende  Wort. 

Alarka  sprach: 

24.  (862.)  Diese  Buddhi  trifft  durch  ihre  Erkenntnis  Ent- 
scheidungen  in  vielfacher  Weise;  darum  will  ich  die  scharfen 
Pfeile  gegen  die  Buddhi  losschiefsen. 

Die  Buddhi  sprach: 

25.  (863.)  0  Alarka,  diese  Pfeile  werden  mich  keineswegs 
durchbohren,  sondern  nur  deine  Gelenke  zertrennen,  und  wenn 
sie  zertrennt  sind,  so  mufst  du  sterben.  (864.)  Ersinne  andere 
Pfeile,  durch  die  du  mir  den  Garaus  machen  kannst. 

Der  Brahmane  sprach  [richtiger:  die  Ahnen  sprachen]: 

26.  (865.)  Darauf  gab  sich  Alarka  ebendort  einer  furcht- 
baren,  schwer  zu  vollbringenden  Askese  hin,  aber  auch  so  er- 
langte  er  nicht  den  Pfeil,  der  durch  seine  Kraft  jenen  sieben 
[Sinnesorganen]  iiberlegen  war. 

27.  (866.)   Dann  aber  sammelte  der  Gewaltige  vollstandig 


Adhy&ya  30  (B.  30).  935 

seinen  Geist  und  dachte  nach,  und  nachdem  er,  Alarka,  lange 
Zeit  nachgedacht  hatte,  o  Bester  der  Brahmanen, 

28.  (867.)  so  fand  er,  der  Vorziiglichste  der  Verstandigen, 
kein  hoheres  Gut  als  den  Yoga,  und  indem  er  seinen  Sinn 
einzig  darauf  richtete    und   unentwegt  dem  Yoga  nachhing, 

29.  (868.)  schlug  der  Held  alsbald  mit  diesem  einzigen 
Pfeile  die  Sinnesorgane  nieder,  und  mittels  des  Yoga  in  den 
Atman  eindringend,  gelangte  er  zur  hochsten  Vollendung. 

30.  (869.)  Und  mit  Stolz  sprach  er,  der  Konigs-Rishi,  den 
Iblgenden  Spruch:  0  welches  Elend,  dafs  wir  alien  diesen 
Aufsendingen  nachstrebten, 

31.  (870.)  dafs  wir  vordem,  von  Durst  nach  Geniissen  er- 
fiillt,  unsere  Konigswiirde  hoch  schatzten!  Erst  spater  habe 
ich  begriffen,  dafs  es  kein  hoheres  Gliick  als  den  Yoga  gibt. 

32.  (871.)  Darum,  o  Rama,  gewahre  auch  du  Verzeihung 
und  tote  die  Kshatriya's  nicht;  wende  dich  vielraehr  gewalti- 
ger  Askese  zu;   dann  wirst  du   erlangen,  was  das  Beste  ist. 

33.  (872.)  Als  die  Grofsvater  also  zu  dem  Sohne  des  Ja- 
madagni  gesprochen  hatten,  da  wandte  er  sich  der  gewalti- 
gen  Askese  zu,  und  durch  sie  ging  der  iiberaus  Gliickliche 
in  die  schwer  zu  erreichende  Vollendung  ein. 

So  lautet  in  der  AnugitA  der  fi'mfzehnte  Adhyaya 


Adhy^ya  31  (B.  31). 

Vers  873-886  (B.  1-13). 

Der  Brahniane  sprach : 

1.  (873.)  Fiirwahr,  es  gibt  drei  Feinde  auf  der  Welt,  welche, 
den  drei  Guna's  entsprechend,  als  neunfach  aufgezahlt  werden. 
Freude,  Liebe  und  Wonne,  das  sind  die  drei  Qualitaten  des 
Sattvam. 

2.  (874.)  Durst,  Zorn  und  Ungestvim,  diese  gelten  als  die 
Qualitaten  des  Rajas,  Ermiidung,  Tragheit  und  Vollendung, 
das  sind  die  drei  Qualitaten  des  Tamas. 

3.  (875.)  Indem  der  Charakterfeste  diese  mit  Scharen  von 
Pfeilen   unermiidlich   niederkampft,   ist   er   imstande,   sie  als 


936  IV.    Anugita. 

Feinde  zu  iiberwinden,  mit  beruhigtem  Selbste   und  mit  be- 
zahmten  Sinnen. 

4.  (876.)  In  bezug  hierauf  riihmen  Kenner  der  Vorzeit  die 
Verse,  welche  einstmals  von  dem  Konige  Ambarisha,  als  er 
zur  Ruhe  gelangt  war,  gesungen  wurden. 

5.  (877.)  Als  namlich  seine  Fehler  sich  machtig  erhoben 
und  seine  guten  Eigenschaften  zuriickgedrangt  wurden,  da 
ergriff  der  hochberiihmte  Ambarisha  die  Herrschaft  mit  Un- 
gestiim. 

6.  (878.)  Nachdem  er  aber  dann  seiner  Fehler  Herr  ge- 
worden  war  und  seine  guten  Eigenschaften  zu  Ehren  gebracht 
hatte,  da  gelangte  er  zu  grofser  VoUendung  und  rezitierte 
folgende  Verse: 

7.  (879.)  Zum  grofsten  Teile  sind  meine  Fehler  besiegt  und 
alle  meine  Feinde  niedergekampf't  worden;  nur  ein  Fehler, 
der  grofste  von  alien,  bleibt  noch  zu  bekampfen  und  ist  noch 
nicht  von  mir  iiberwunden  worden; 

8.  (880.)  so  lange  meine  Person  mit  diesem  behaftet  bleibt, 
kann  sie  nicht  zur  Begierdelosigkeit  fvaitrishnyamj  gelangen ; 
so  lange  der  Mensch  mit  Durst  ftrishndj  behaftet  ist,  lauft 
er  Gemeinem  nach  und  ist  nicht  weise. 

9.  (881.)  Sie,  mit  welcher  behaftet  hieiiieden  der  Mensch 
treibt,  was  er  nicht  sollte,  die  Begierde  flohhaj^  mlifst  ihr  mit 
scharfen  Schwertern  ausrotten  [lies:  niJcp'ntata]  und  immer 
wieder  ausrotten. 

10.  (882.)  Denn  aus  der  Begierde  entspringt  der  Durst, 
und  aus  ihm  entwickelt  sich  die  Sorge;  die  Begierde  will  er- 
langen,  und  was  sie  erlangt,  das  sind  zumeist  die  Qualitaten 
des  Rajas;  (883.)  hat  man  aber  erst  diese  angenommen,  so 
erlangt  man  meistenteils  auch  die  Qualitaten  des  Tamas. 

11.  (884.)  Und  durch  diese  Qualitaten  kniipft  sich  neu 
des  Korpers  Bindung;  immer  wieder  und  wieder  wird  er 
geboren  und  strebt  nach  Werken.  Geht  der  Lebenslauf 
zu  Ende,  wird  sein  Leib  von  ihm  getrennt  und  zerstreut, 
so  mufs  er  wieder  durch  neuen  Lebenslauf  zu  neuem 
Tode  eilen. 

12.  (885.)  Darum  soil  man  die  Begierde  ganz  durch- 
schauen  und,  mit  J'estigkeit  sie  ziigelnd,  sich  ein  Reich 


Adhy&ya  31  (B.  31).  937 

im   Atman    griinden;   dieses    ist  das  wahre  Reich,   kein 

anderes  gibt  es  hienieden,  und  der  Atman  ist  der  Konig, 

wenn  er  nach  Gebiihr  erkannt  ist. 

13.  (886.)  So  wurde  von  dem  Konig  Ambarisha,  dem  ruhm- 
begabten,  dieser  Spruch  gesprochen;  die  Oberherrschaft  hat 
er  sich  errungen,  indem  er  die  Begierde  ausgerottet. 

So  lautet  iu  der  Anugtta  der  secbzebnte  Adhydya. 


Adhyaya  32  (B.  32). 

Vers  887-912  (B.  1-26). 

Der  Brahmane  sprach : 

1.  (887.)  Auch  hieriiber  erzahlt  man  sich  folgende  alte  Ge- 
schichte,  namlich  die  Unterredung  eines  Brahmanen  mit  dem 
Konige  Janaka,  o  du  Holde. 

2.  (888.)  Zu  einem  Brahmanen,  der  in  irgend  eine 
Verschuldung  geraten  war,  sprach  der  Konig  Janaka,  um 
ihn  zu  strafen:  Du  darfst  nicht  mehr  in  meinem  Reiche 
wohnen. 

3.  (889.)  So  angeredet,  sprach  der  Brahmane  zu  dem  Besten 
der  Konige:  Zeige  mir,  o  Konig,  dein  Reich  an,  und  wie  weit 
es  sich  in  deiner  Gewalt  befmdet. 

4.  (890.)  Ich,  der  ich  hier  stehe,  will,  o  Herr,  in  dem 
Reiche  eines  andern  Konigs  wohnen,  ich  will  nach  deinem 
Worte  tun,  dem  Gesetze  gemafs,  o  Landesherr. 

5.  (891.)  Als  nun  aber  der  Konig  so  von  dem  herrlichen 
Brahmanen  angeredet  wurde,  da  stiefs  er  plotzlich  einen 
heifsen  Seufzer  aus  und  erwiderte  nicht s. 

6.  (892.)  Als  nun  der  unermefslich  machtige  Konig  in  Ge- 
danken  versunken  dasafs,  da  iiberfiel  ihn  eine  Bestiirzung, 
dem  Damon  Rahu  vergleichbar,  der  die  glanzende  Sonne 
iiberfallt. 

7.  (893.)  Als  sodann  der  Konig  wieder  aufatmete  [lies: 
samdgvasya]  und  seine  Bestiirzung  gewichen  war,  sprach  er 
alsbald  zu  dem  Brahmanen  das  Wort. 


938  IV.    Anugita. 

Janaka  sprach: 

8.  (894.)  In  der  von  meinem  Vater  und  Grofsvater  iiber- 
kommenen  Herrschaft,  in  dem  meinem  Willen  unterworfenen 
Lands  kann  ich  kein  Reich  erblicken,  wenn  ich  an  die  [ganze] 
Erde  denke. 

9.  (895.)  Und  als  ich,  in  der  ganzen  Erde  nicht  mein  Reich 
sehend,  meine  Aufmerksamkeit  auf  Mithila  richtete,  und  auch 
in  dieser  Stadt  es  nicht  erbhckte,  richtete  ich  meine  Auf- 
merksamkeit auf  meine  FamiHe. 

10.  (896.)  Und  als  ich  auch  in  ihr  nicht  ein  [mir  volhg 
angehoriges]  Reich  erbUcken  konnte,  da  iiberkam  mich  Be- 
stiirzung.  Als  aber  dann  die  Bestiirzung  wich,  kehrte  mir 
das  klare  Bewufstsein  zuriick. 

11.  (897.)  Nunmehr  glaube  ich,  dafs  ich  iiberhaupt  kein 
Reich  habe,  oder  dafs  mein  Reich  allumfassend  ist:  auch 
mein  eigener  Leib  ist  nicht  mein,  oder  auch  die  ganze  Erde 
ist  mein, 

12.  (898.)  und  wie  sie  mir  gehort,  so  auch  den  anderen, 
so  denke  ich,  o  Bester  der  Brahmanen  (vgl.  Mahabh.  XII,  750 
und  6470  S.  112);  bewohne  sie,  soweit  du  vermagst,  und  ge- 
niefse  sie,  soweit  du  sie  bewohnst. 

Der  Brahmane  sprach: 

13.  (899.)  In  der  von  deinem  Vater  und  Grofsvater  iiber- 
kommenen  Herrschaft,  in  dem  deinem  Willen  unterworfenen 
Lande,  sage,  was  hast  du  im  Sinn,  wenn  du  dein  Eigentums- 
recht  ablehnst, 

14.  (900.)  und  was  meinst  du  damit,  dafs  dein  Reich  all- 
umfassend ist,  so  dafs  du  gar  kein  Reich  als  dir  gehorend  an- 
erkennst,  und  doch  behauptest,  dafs  dein  Reich  allumfassend  sei. 

Janaka  sprach : 

15.  (901.)  Als  verganglich  sind  die  Zustande  aller  Dinge 
in  dieser  Welt  bekannt,  und  darum  habe  ich  nichts  gefunden, 
was  so  ware,  dafs  ich  sagen  konnte:   Es  ist  mein. 

16.  (902.)  Und  auch  der  Veda  sagt  [wo?  wiifsten  wir 
ebensowenig  zu  sagen  wie  Nilakantha,  der  auf  Iqa-Up.  1  ver- 
weifst]:  „Wem  gehort  dieses?"  und  „W^em  ist  etwas  eigen?" 


Adhyaya  32  (B.  32).  939 

Indem  ich  nachdachte,  habe  ich  iiichts  gefunden,  was  so  ware, 
dafs  icli  sagen  konnte:   Es  ist  mein. 

17.  (903.)  Das  hatte  ich  im  Sinn,  wenn  ich  mein  Eigen- 
tumsrecht  auf  irgend  etwas  ahlehnte ;  hore  nun  auch,  wie  ich 
es  meine,  dafs  mein  Reich  iiberall  sei. 

18.  (904.)  Fur  mich  verlange  ich  nicht  nach  den  Geriichen, 
auch  wenn  sie  in  meine  Nase  steigen;  dadurch  hahe  ich  die 
Erde  [das  Element  des  Geruches]  besiegt;  sie  befindet  sich 
fiir  immer  in  meiner  Gewalt. 

19.  (905.)  Fiir  mich  verlange  ich  nicht  nach  den  Ge- 
schmacken,  auch  wenn  sie  in  meinem  Munde  sind;  dadurch 
habe  ich  das  Wasser  [das  Element  des  Geschmackes]  be- 
siegt; es  befindet  sich  fiir  immer  in  meiner  Gewalt. 

20.  (906.)  Fiir  mich  verlange  ich  nichf  nach  der  Gestalt 
und  dem  Lichte  des  Auges ;  dadurch  habe  ich  das  Licht  be- 
siegt; es  befindet  sich  fiir  immer  in  meiner  Gewalt. 

21.  (907.)  Fiir  mich  verlange  ich  auch  nicht  nach  den 
Gefiihlen,  welche  meine  Haut  beriihren ;  dadurch  habe  ich  den 
Wind  besiegt;  er  befindet  sich  fiir  immer  in  meiner  Gewalt. 

22.  (908.)  Fiir  mich  verlange  ich  nicht  nach  den  Tonen, 
auch  wenn  sie  in  mein  Ohr  dringen;  dadurch  habe  ich  die 
Tone  besiegt;  sie  befinden  sich  fiir  immer  in  meiner  Gewalt. 

23.  (909.)  Fiir  mich  verlange  ich  fiir  immer  nicht  nach 
dem  Manas  in  meinem  eigenen  Manas  [als  dem  Organ  des 
Verlangens];  dadurch  habe  ich  das  Manas  besiegt;  es  be- 
findet sich  in  meiner  Gewalt. 

24.  (910.)  Fiir  die  Gotter,  die  Vater,  die  Wesen  und  die 
Gaste,  fur  diese  dienen  alle  die  erwahnten  Anstrengungen 
[meiner  Sinnesorgane]. 

25.  (911.)  Da  sprach  der  Brahmane  zu  Janaka  mit  Lacheln : 
Wisse,  dafs  ich  heute  hierhergekommen  bin  als  der  Gott 
Dharma,  um  dich  auf  die  Probe  zu  stellen. 

26.  (912.)  Du  bist  fiir  dieses  zu  Brahman  fuhrende,  un- 
widerstehliche,  unriicklaufige,  mit  Sattvam  als  Radkranz  um- 
gebene  Rad  der  einzige  Beweger. 

So  lautet  in  der  Anugit4  der  siebzehnte  Adhyilya. 


940  IV.    Anugita. 

Aclhyaya  33  (B.  33). 

Vers  913-921  (B.  1-8). 

Der  Brahmane  sprach : 

1.  (913.)  Nicht  so  ist  mein  Wandel  in  der  Welt,  dafs 
du  mich,  o  Schlichterne,  durch  dein  verstandiges  Fragen 
in  Angst  versetzen  konntest;  ich  bin  ein  Brahmane,  ich  bin 
erlost,  bin  ein  Waldeinsiedler,  und  ebensosehr  bin  ich  einer, 
der  die  Hausvaterpflicht  erfiillt  hat,  seinem  Geliibde  treu. 

2.  (914.)  Und  ich  bin  nicht  so,  wie  du  mich  siehst,  be- 
haftet  mit  Gutem  und  Bosem ;  von  mir  ist  diese  ganze  Welt 
durchdrungen  und  alles,  was  auf  Erden  lebt. 

3.  (915.)  Fiir  alle  Geschopfe  in  dieser  Welt,  bewegliche 
und  unbewegliche,  bin  ich  der  Vernichter,  wie  das  Feuer  der 
des  Holzes. 

4.  (916.)  Mein  Reich  erstreckt  sich  iiber  die  ganze  Erde, 
ja  iiber  den  dreifachen  Himmel;  dieses  weifs  mein  Bewufst- 
sein,  und  mein  Bewufstsein  ist  mein  Reichtum. 

5.  (917.)  Es  gibt  nur  einen  Weg  der  Brahmanen,  auf 
welchem  gehen,  die  solches  wissen,  sei  es  im  Hausvaterstand, 
im  Einsiedlerstand,  in  der  Schiilerschaft  bei  einem  Lehrer 
oder  als  Bettler  (d.  h.  Sannyasin). 

6.  (918.)  In  mannigfaltigen ,  auf  dasselbe  Ziel  gerichteten 
Erscheinungsformen  wird  die  eine  Erkenntnis  verehrt  von 
solchen,  welche,  in  Lebensstadien  von  verschiedenen  Er- 
scheinungsformen weilend,  die  Erkenntnis  besitzen,  welche 
Beruhigung  gibt. 

7.  (919.)  Sie  alle  streben  dem  einen  Zustande  zu,  wie  die 
Fliisse  dem  Ozean;  durch  Erkenntnis  wird  dieser  Weg  be- 
treten,  nicht  wird  er  betreten  durch  den  Korper.  (920.)  Anfang 
und  Ende  habend  sind  die  Werke,  die  Korperlichkeit  aber  ist 
durch  die  Werke  bedingt. 

8.  Darum,  o  du  Gliickliche,  brauchst  du  keine  Befiirch- 
tung  in  betreff  der  andern  Welt  zu  hegen;  (921.)  da  du  an  der 
Liebe  zu  jenem  Zustande  deine  Freude  hast,  so  wirst  du  in 
meinen  Atman  eingehen. 

So  lautet  iu  der  Anugita  der  achtzehnte  Adhyaya. 


Adhyaya  34  (B.  34).  941 

Adhyaya  34  (B.  34). 

Vers  922-933  (B.  1-12). 

Die  Brahmanin  sprach: 

1.  (922.)  Das  ist  nicht  zu  begreifen,  solange  man  kleinen 
Geistes,  unbereiteten  Geistes  ist;  und  mein  Denken  ist  viel- 
faltig  und  klein,  ist  eng  und  zerfahren. 

2.  (923.)  Darum  sage  mir  das  Mittel,  durch  welches  diese 
Einsicht  erreicht  wird;  die  Ursache  mochte  ich  von  dir  er- 
fahren,  aus  welcher  diese  Erkenntnis  hervorgeht. 

Der  Brahmane  sprach : 

3.  (924.)  Die  Brahmanin  wisse  als  das  Reibholz,  ihr  Lehrer 
ist  das  obere  Reibholz;  Askese  und  Vedastudium  versetzen 
es  in  Drehung,  und  das  Feuer  der  Erkenntnis  geht  daraus 
hervor. 

Die  Brahmanin  sprach : 

4.  (925.)  Wenn  es  ein  Kennzeichen  des  Brahman  gibt, 
welches  Kshetrajna  (das  Subjekt  des  Erkennens)  heifst,  wo 
finde  ich  dieses  Kennzeichen  des  Brahman,  durch  welches  es 
ergriffen  werden  kann? 

Der  Brahmane  sprach : 

5.  (926.)  Er  [der  KshetrajBa,  das  Subjekt  des  Erkennens, 
das  Brahman]  ist  ohne  Kennzeichen,  ohne  Qualitaten,  und 
keine  Ursache  desselben  ist  zu  ersehen;  aber  ich  will  dir 
ein  Mittel  angeben,  durch  welches  er  erkannt  oder  auch 
nicht  erkannt  werden  kann. 

6.  (927.)  Ein  vollstandiges  Mittel  ist  gefunden  worden, 
durch  welches  er  gesehen  wird  wie  von  Bienen  [welche  emsig 
nach  dem  Honig  suchen] ;  dies  Mittel  ist  die  Erkenntnis  durch 
gute  Werke  [sie  lantern  und  erhellen  den  Geist];  zwar  ist 
es  [das  Brahman]  kein  Gegenstand  der  Erkenntnis,  aber  doch 
kommt  man  ihm  nahe  durch  die  [ihm  beigelegten]  intellek- 
tuellen  Merkmale, 

7.  (928.)  Allerdings  sind  die  Vorschriften,  dies  zu  tun  und 
jenes  zu  lassen,  nicht  anwendbar,  wo  es  sich  um  Erliisungs- 


942  IV.    Anugita. 

fragen  handelt,  bei  denen  vielmehr  eine  Erkenntnis  des  sehen- 
den  und  horenden  Atman  [des  Subjekts  des  Erkennens]  ent- 
stehen  mufs; 

8.  (929.)  aber  doch  tut  man  wohl,  soviel  Erkenntniselemente 
wie  moglich  zu  sammeln,  undeutliche  und  deutliche,  hundert- 
fach  und  tausendfach, 

9.  (930.)  welche  sich  samtlich  auf  vielerlei  Objekte  be- 
ziehen,  samtlich  auf  die  Wahrnehmung  sich  griinden;  denn 
auch  bei  fleifsiger  Betreibung  desjenigen,  aus  welchem  das 
Hochste  nicht  erkannt  wird,  kann  es  einem  zuteil  werden. 

Der  Heilige  (Krishna)  sprach: 

10.  (931.)  Darauf  geschah  es,  dafs  in  dieser  Brahmanen- 
frau  unter  Vernichtung  des  Kshetrajna  durch  die  Tatigkeit 
des  Kshetrajna  selbst  die  iiber  die  Kshetrajna's  hinausfiihrende 
Erkenntnis  sich  entwickelte. 

Arjuna  sprach: 

11.  (932.)  Wo  ist  wohl  jene  Brahmanin,  o  Krishna,  und 
wo  ist  jener  gewaltige  Brahmane,  durch  welche  diese  Voll- 
endung  erreicht  wurde?  Diese  bei  den  zeige  mir  an,  o  Un- 
erschiitterlicher. 

Der  Heilige  sprach: 

12.  (933.)  So  wisse  denn,  dafs  jener  Brahmane  mein  eigenes 
Manas  und  jene  Brahmanin  meine  eigene  Buddhi  ist,  der  Kshe- 
trajfia  aber,  von  dem  die  Kede  war,  der  bin  ich  selbst,  o  Ge- 
winner  der  Giiter. 

So  lautet  in  der  Anugita  der  neunzehnte  Adhy4ya. 


Adhyaya  35  (B.  35). 

Vers  934-986  (B.  1-50). 

Arjuna  sprach: 

1.  (934.)  Das  Brahman,  welches  das  hochste  Objekt  der 
Erkenntnis  ist,  das  wolle  mir  erklaren;  denn  durch  deine 
Gnade  erfreut  sich  mein  Geist  an  dem  Geheimnisvollen. 


Adhyaya  35  (B.  35).  943 

VS,sudeva  (Krishuaj  sprach: 

2.  (935.)  Auch  hieriiber  erzahit  man  sich  folgende  alte 
Geschichte,  namlich  die  Unterredung  eines  Schiilers  mit 
seinem  Lehrer  in  betreff  der  Erlosung. 

3.  (936.)  Einen  Brahmanen,  welcher  dasafs  als  Lehrer  mit 
gescharftem  Geliibde,  befragte,  o  Feindbedranger,  ein  gewisser 
verstandiger  Schiiler  nach  dem,  was  wohl  das  hochste  Gut  sei. 

4.  (937.)  Ich  bin  dir  genaht,  o  Heiliger,  einzig  beflissen, 
das  hochste  Gut  zu  erreichen;  mit  geneigtem  Haupte  bitte 
ich  dich,  o  Brahmane,  mir  zu  sagen,  was  ich  als  solches  er- 
klaren  kann. 

5.  (938.)  Zu  diesem  Schiiler,  als  er  also  sagte,  o  Sohn 
der  Pritha,  sprach  der  Lehrer :  Ich  will  dir  alles  verkiindigen, 
woriiber  du  zweifeln  magst,  o  Zwiegeborener. 

6.  (939.)  Von  seinem  Lehrer  so  angeredet,  o  Bester  der 
Kuru's,  hore,  o  Hochverstandiger,  das,  was  [lies:  yat  tat\ 
er,  der  Liebling  des  Lehrers,  mit  zusammengelegten  Handen 
fragte. 

Der  Schiiler  sprach : 

7.  (940.)  Woher  bin  ich  und  woher  du?  Erklare  mir  diese 
Realitat,  welche  die  hochste  ist;  woraus  sind  sie  entstanden, 
die  unbeweglichen  und  die  beweglichen  Wesen? 

8.  (941.)  Wodurch  leben  die  Wesen,  und  welches  ist  ihr 
hochstes  Lebensalter?  Was  ist  die  Realitat,  o  Brahmane, 
und  was  ist  Askese?  Und  welches  sind  die  Guna's,  welche 
von  tiichtigen  Mannern  verkiindigt  worden  sind? 

9.  (942.)  Welches  diirften  die  gliicklichen  Wege  sein,  was 
ist  Lust  und  was  ist  Ubeltat?  Diese  Fragen,  o  Heiliger, 
mogest  du  mir  der  Wahrheit  gemafs,  o  du  Pflichttreuer, 

10.  (943.)  erklaren,  o  Brahmanenweiser,  wie  es  sich  hier- 
bei  verhalt  der  Wahrheit  nach.  Denn  kein  anderer  aufser 
dir  vermag  diese  Fragen  zu  beantworten. 

n.  (944.)  Sprich,  o  Bester  der  Pflichtkundigen !  Ich 
empfinde  die  grofste  Wifsbegierde ;  denn  du  wirst  in  aller 
Welt  gefeiert  als  erfahren  in  der  Erlosung,  dem  Guten  und 
dem  Niitzlichen. 


944  •  IV.   Aiiugita, 

12.  (945.)  Keinen  gibt  es  aufser  dir,  der  alle  diese  Zweifel 
losen  konnte;  wir  aber  fiirchten  uns  vor  dem  Sansara  und 
verlangen  nach  der  Erlosung. 

Vasudeva  (Krishna)  sprach: 

13.  (946.)  Diesem  ihn  angehenden  und  geziemend  be- 
fragenden  Schiiler,  dem  tugendhaften ,  beruhigten,  liebge- 
wordenen, 

14.  (947.)  wie  ein  Schatten  anhanglichen,  bezahmten,  streb- 
samen,  in  Brahmanwandel  beharrenden,  beantwortete  diese 
Fragen,  o  Prithasohn,  der  weise,  in  seinem  Geliibde  feste 
(948.)  Lehrer,  o  Bester  aus  dem  Kurustamme,  samt  und  sen- 
ders,  o  Feindbezwinger. 

Der  Lehrer  sprach : 

15.  (949.)  Diese  ganze  vom  Brahman  offenbarte,  von  vor- 
ziiglichen  Weisen  gepflegte,  auf  die  Vedalehre  sich  stiitzende, 
die  Wahrheit  iiber  die  Realitat  enthiillende, 

16.  (950.)  hochste  Erkenntnis  ist  uns  bewufst  als  Entsagung 
und  aufserste  Askese;  wer  aber  die  un widerlegliche ,  durch 
diese  Erkenntnis  erlangte  Realitat  mit  Gewifsheit  erkennt, 
(951.)  namlich  den  in  alien  Wesen  weilenden  Atman,  von  dem 
gilt,  dafs  er  allgegenwartig  ist. 

17.  Wer,  dieses  wissend,  den  Einheitsstand  und  den 
Einzelstand  [der  Wesen]  sohaut  (952.)  sowie  ihre  Einheit  und 
Mannigfaltigkeit,  der  wird  von  Leiden  frei. 

18.  Wer  nicht  das  Geringste  mehr  begehrt,  nicht  das 
Geringste  mehr  beabsichtigt,  (953.)  der  ist,  schon  wahrend  er 
in  dieser  Welt  weilt,  zur  Brahmanwerdung  geeignet. 

19.  Wer  das  Wesen  der  Prakriti  fpradhdnamj  und  ihrer 
Guna's  begreift,  wer  ihre  Verteilung  in  alien  Wesen  kennt, 
(954.)  der  wird  als  ein  von  Selbstsucht  und  vom  Ahaiikara 
Freier  erlost;  daran  ist  nicht  zu  zweifeln. 

20.  Ein  grofser  [Baum]  ist:  er  erwachst  aus  dem  Un- 
offenbaren  (avyaktam  =^  prakritij  als  Samen;  die  Buddhi  ist 
sein  Stamm,  (955.)  der  grofse  Ahaiikara  ist  sein  Astwerk,  die 
Indriya's  sind  seine  Zweige  und  Hohlungen, 


Adhyaya  35  (B.  35).         ,  945 

21.  seine  Zerteilungen  {vigeshaj  sind  die  grofsen  Elemente 
(mahdhhiHa,  Ather,  Wind,  Feuer,  Wasser,  Erde),  seine  Ver- 
zweigungen  sind  ihre  besonderen  Eigenschaften  (vigesha^  Ton, 
Gefiihl,  Farbe,  Geschmack,  Geruch),  (95g.)  immer  treibt  er 
Blatter,  immer  Bliiten,  immer  bringt  er  schone  Friichte  hervor; 

22.  er  ist  der  aus  Brahman  als  Samen  erwachsene,  ewige 
Beleber  aller  Wesen.  (957.)  Wer  dieses  weifs  und  die  genann- 
ten  Prinzipien  ftattvaj  mit  der  Erkenntnis  als  vorziiglichem 
Schwerte  abhaut,  der  erlangt  Unsterblichkeit  und  wird  frei 
von  Tod  und  Geburt. 

23.  (958.)  Den  alles  Vergangene,  Gegenwartige  und  Zu- 
kiinftige  befassenden,  die  Gewifsheit  des  Guten,  Angenehmen 
und  Niitzlichen  gewahrenden,  den  Scharen  der  Seligen  be- 
kannten,  vorweltlichen ,  ewigen, 

24.  (959.)  hochsten  Ort  will  ich  dir  jetzt  verkiindigen,  du 
sehr  Verstandiger ,  welchen  erkannt  habend  hienieden  die 
Weisen  schon  bier  zur  Vollendung  gelangen. 

25.  (960.)  Einstmals  kamen,  nach  Erkenntnis  verlangend, 
zueinander  die  Weisen  Prajapati  und  Bharadvaja,  Gautama 
und  Bhargava, 

26.  (961.)  Vasishtha,  Kagyapa,  Vigvamitra  und  Atri,  Da 
Sie  alle  Wege  durchlaufen  batten  und  ihrer  Werke  miide  waren, 

27.  (962.)  stellten  diese  Zwiegeborenen  den  alten  Weisen 
Aiigirasa  an  ihre  Spitze  und  kamen,  um  in  dem  Hause  des 
Brahman  den  siindlosen  Gott  Brahman  zu  besuchen. 

28.  (963.)  Vor  ihm,  dem  Hochherzigen,  welcher  zufrieden 
dasafs,  verneigten  sich  die  grofsen  Weisen  und  befragten  ihn 
in  gehorsamer  Weise  nach  jener  hochsten  Gliickseligkeit. 

29.  (964.)  Wie  wird  durch  Betreiben  der  Werke  Gutes 
erlangt,  wie  wird  man  erlost  von  der  Siinde,  welche  Wege 
fiihren  uns  zum  Heile,  was  ist  die  Wahrheit  und  was  die 
bose  Tat? 

30.  (965.)  Und  welches  sind  die  beiden  Wege,  die  man 
durch  Werke  erlangt,  und  wie  erlangen  die  Wesen  Vergang 
und  Erlosung,  Entstehen  und  Untergang? 

31.  (966.)  Als  er  so  von  den  Besten  der  Muni's  angeredet 
wurde,  was  da  der  Urvater  antwortete,  das  will  ich  dir  ver- 
kiinden ;  vernimm  es,  o  S  chiller,  wie  es  iiberliefert  worden  ist. 

Dbubsbn,  Mah&bh&ratam.  60 


946  IV.    Aimgita. 

Der  Gott  Brahmau  sprach: 

32.  (967.)  Aus  dem  Satyam  (der  Eealitiit,  der  Wahrheit) 
sind  die  Wesen  entstanden,  die  unbeweglichen  und  die  be- 
weglichen,  und  durch  das  Tapas  [des  Schopfers]  leben  sie, 
das  wisset,  o  ihr  Geliibdetreuen. 

33.  (968.)  Uber  diesen  ihren  Ursprung  hinausschreitend, 
leben  sie  jetzt  auf  Grund  ihres  eigenen  Werkes  [in  einer 
friihern  Geburt];  das  Satyam  aber,  mit  Qualitaten  verbunden, 
bestimmt  sich  zu  dem  fiinf  Merkmale  Habenden  [zu  den  Ele- 
menten]. 

34.  (969.)  Das  Satyam  ist  Brahman,  das  Satyam  ist  Tapas, 
das  Satyam  ist  auch  Prajapati;  aus  Satyam  sind  die  Wesen 
entstanden,  Satyam  ist  die  aus  den  Wesen  bestehende  Welt 
der  Lebenden. 

35.  (970.)  Darum  halten  die  aus  Satyam  bestehenden  Brah- 
manen  den  Yoga  immer  als  das  Hochste,  iiberwindend  Zorn 
und  Leiden,  sich  selbst  bezwingend  und  die  Pflicht  iibend. 

36.  (971.)  Sie,  welche  sich  gegenseitig  in  Zucht  halten,  die 
Vedakundigen,  welche  die  Briicke  der  Gerechtigkeit  spannen, 
diese  will  ich  euch  verkiindigen,  die  ewigen  Erhalter  der  Welt. 

37.  (972.)  Ferner  die  vierfache  Wissenschaft  [vom  Guten, 
Niitzlichen,  Angenehmen  und  von  der  Erlosung],  sowie  die 
Kasten  und  die  in  den  vier  Lebensstadien  Weilenden  ins- 
besondere.  Das  eine  Gesetz  mit  seinen  vier  Fiifsen  (vgl.  oben, 
S.  334)  erklaren  die  Weisen  fiir  ewig. 

38.  (973.)  Den  Weg  will  ich  euch  verkiinden,  o  Zwie- 
geborene,  den  seligen,  zur  Ruhe  flihrenden,  den  zur  Brahman- 
werdung  vorgeschriebenen ,  von  den  Weisen  der  Vorzeit  be- 
tretenen. 

39.  (974.)  Ihr,  die  ihr  hier  zu  mir  redet,  sollt  jetzt  von 
mir  diesen  schwer  zu  findenden,  hochsten  Weg  erfahren, 
0  ihr  Gliicklichen,  und  vollstandig  den  hochsten  Ort. 

40.  (975.)  Das  Lebensstadium  des  Brahmacarin  gilt  als  der 
erste  Schritt,  das  des  Hausvaters  ist  der  zweite,  das  des  W^ald- 
einsiedlers  folgt  zunachst;  (976.)  was  darauf  folgt  und  dieinnere 
Seele  betrifft,  das  soil  man  wissen  als  den  hochsten  Schritt. 

41.  Das  Licht,  der  Ather,  die  Sonne,  der  Wind,  Indra 


Adhyaya  35  (B.  35).  947 

und  Prajapati,  —  (977.)   solange  einer  die  innere  Seele  nicht 
versteht,  solange  kennt  er  auch  diese  nicht. 

42.  Das  Mittel,  sie  zu  verstehen,  will  ich  euch  verkiindigen; 
vernehmt  es  von  vorn  an.  (978.)  Die  von  den  an  Friichten, 
Wurzein  und  Wind  sich  nahrenden  und  im  Walde  wohnenden 
Muni's  geiibte 

43.  Waldeinsiedlerschaft  wird  fiir  die  drei  zwiegeborenen 
Kasten  vorgeschrieben.  (979.)  Hingegen  wird  fiir  alle  [vier] 
Kasten  die  Hausvaterschaft  verordnet. 

44.  Die  Pflicht  hat  als  Merkmal  den  „Glauben",  so  ver- 
kiinden  die  Weisen  [Chand.  Up.  5,10,1;  Brih.  Up.  6,2,15], 
(980.)  mit  diesem  Worte  werden  euch  die  Wege  des  Devayana 
gepriesen,  welche  von  Guten  und  Weisen  betreten  werden 
und  durch  die  Werke  als  Briicke  zur  Pflicht  iiberleiten. 

45.  (981.)  Wer  aber,  verschieden  von  diesen,  mit  scharfem 
Geliibde  der  Pflicht  [des  Opferns]  obliegt,  der  bekommt  [auf 
dem  Pitriyana]  nach  langer  Zeit  immer  wieder  Entstehung 
und  Vergang  der  Wesen  zu  schauen. 

46.  (982.)  Weiter  nun  will  ich  dir  mit  einer  der  W^ahr- 
heit  entsprechenden  Begriindung  die  Prinzipien  nennen,  ent- 
sprechend  ihrer  Einteilung,  wie  sie  alle  miteinander,  in  den 
Objekten  verkorpert,  sich  vorfinden. 

47.  (983.)  Der  Mahan  Atma,  sowie  das  Avyaktam  und  der 
Ahankara,  die  elf  Indriya's  und  die  fiinf  Mahabhuta's, 

48.  (984.)  sowie  die  Vigesha's  (spezifischen  Qualitaten)  der 
fiinf  Elemente,  das  ist  die  ewige  Emanation;  als  vierund- 
zwanzig  und  eins,  als  soviel  wird  die  Zahl  der  Prinzipien 
gelehrt. 

49.  (98.5.)  Wer  nun  Entstehen  und  Vergehen  aller  dieser 
Prinzipien  versteht,  der  allein  unter  alien  Wesen  ist  weise 
und  gerat  nicht  in  Betorung. 

50.  (986.)  Wer  nach  der  Wahrheit  alle  die  Prinzipien, 
alle  die  Eigenschaften  und  alle  Gotter  kennt,  der  schiittelt 
die  Siinde  ab  und  lost  die  Bindung,  der  geht  ein  in  alle 
reinen  Welten. 

So  lautet  in  der  Anugltft  der  zwauzigste  Adhy&ya. 


60^ 


948  IV.    Anugita. 

Adhyaya  36  (B.  36). 

Vers  987-1022  (B.  1-36). 

Der  Gott  Brahman  sprach: 

1.  (987.)  Jenes  Unoffenbare,  Unerschopf liche ,  Alldurch- 
dringende,  Teste,  Bestandige  soil  man  wissen  als  die  Stadt 
mit  neun  Toren,  als  aus  den  drei  Guna's  und  den  fiinf  Ele- 
menten  bestehend, 

2.  (988.)  als  von  den  elf  [Sinnesorganen]  umgeben,  als 
das  Manas  zum  Unterscheider,  die  Buddhi  zur  Beherrscherin 
habend;  somit  ist  jenes  Hochste  elffach  [aus  drei  Guna's,  fiinf 
Elementen,  Sinnesorganen,  Manas  und  Buddhi  bestehend]. 

3.  (989.)  In  ihm  befinden  sich  drei  Stromungen,  welche 
immer  wieder  und  wieder  anschwellen;  diese  drei  Flufsarme 
treten  in  Wirksamkeit ,  ihrem  Wesen  nach  aus  den  Guna's 
bestehend. 

4.  (990.)  Tamas,  Rajas  und  Sattvam,  das  ist,  was  man 
die  Guna's  nennt;  sie  paaren  sich  alle  miteinander  und  sie 
leben  alle  voneinander  [vgl.  Sahkhya-Karika  12], 

5.  (991.)  sie  unterstiitzen  sich  gegenseitig,  richten  sich 
nacheinander  und  sind  miteinander  verflochten;  das  sind  die 
aus  den  fiinf  Elementen  bestehenden  drei  Guna's. 

6.  (992.)  Das  Tamas  paart  sich  mit  dem  Sattvam,  das 
Sattvam  mit  dem  Rajas,  das  Rajas  mit  dem  Sattvam  und 
das  Sattvam  mit  dem  Tamas. 

7.  (993.)  Wo  das  Tamas  unterdriickt  wird,  da  entwickelt 
sich  das  Rajas ;  wo  das  Rajas  unterdriickt  wird,  da  entwickelt 
sich  das  Sattvam. 

8.  (994.)  Nachtartig  nach  seinem  Wesen  ist  das  Tamas; 
es  hat  drei  Eigenschaften  und  wird  Verblendung  genannt, 
auch  hat  es  die  Ungerechtigkeit  als  Merkmal  und  ist  auf 
bose  Handlungen  beschrankt.  [Der  folgende  Halbvers  nur 
in  B.]  Diese  tamas -artige  Natur  aber  erstreckt  sich  auch 
[in  die  anderen  hinein]. 

9.  (995.)  Das  Rajas  ist  seinem  Wesen  nach  Wirkung  und 
Umwandlungen  veranlassend,  in  alien  Wesen  sich  entwickelnd, 
sichtbar  werdend  und  Entstehung  als  Merkmal  habend. 


Adhyaya  36  (B.  36).  949 

10.  (996.)  Helligkeit  in  alien  Wesen,  Leichtigkeit  und 
Glaubigkeit,  das  ist  hingegen  die  Natur  des  Sattvam;  die 
Leichtigkeit  ist  mit  dem  Guten  verwandt. 

11.  (997.)  Das  Wesen  dieser  Guna's  wird  erklart  werden 
nebst  den  Griinden  fiir  dieses  Wesen  sowohl  im  allgemeinen 
als   auch  im  besondern;  vernehmt  es  der  Wahrheit  gemafs. 

12.  (998.)  Verblendung,  Nichtwissen,  Geiz,  Unentschieden- 
heit  im  Handeln,  Schlaf,  Steifheit,  Feigheit,  Habsucht,  aus 
freien  Stiicken  Bemangelung  der  Wohltaten, 

13.  (999.)  Vergefslichkeit,  Unreife,  Nihilismus,  Vielgeschaf- 
tigkeit,  Urteilslosigkeit  und  Blindheit,  das  ist  das  Verhalten, 
welches  aus  dem  letzten  Guna  entspringt. 

14.  (1000.)  Einbildung,  dafs  man  etwas  tut,  wo  man  nichts 
tut,  dafs  man  etwas  wisse,  wo  man  nichts  weifs,  Unfreund- 
lichkeit.  Mangel  an  Beweglichkeit ,  Unglaube,  verwirrte  Ge- 
miitsverfassung, 

15.  (1001.)  Mangel  an  Geradheit,  Unbesonnenheit,  boses 
Tun,  Gedankenlosigkeit ,  Schwerf alligkeit ,  Mattherzigkeit, 
Mangel  an  Selbstbeherrschung,  Niedertrachtigkeit, 

16.  (1002.)  alle  diese  werden  als  Eigenschaften  genannt, 
welche  aus  dem  Tamas  entspringen,  und  was  man  sonst  noch 
an  Naturbeschaffenheiten  aufzahlen  mag,  welche  in  dieser 
Welt  [schonenderweise]  als  Naturell  bezeichnet  werden. 

17.  (1003.)  Alle  diese  Eigenschaften  des  Tamas  finden  sich 
hier  und  dort  als  eingewurzelt  vor.  Das  bestandige  Fiihren 
von  iibler  Nachrede  gegen  Gotter,  Brahmanen  und  Veden, 

18.  (1004.)  der  Geiz,  der  Hochmut,  die  Verblendung,  der 
Zorn,  die  Unduldsamkeit  und  die  Selbstsucht,  diese,  wo  sie 
bei  den  Wesen  vorkommen,  sind  anzusehen  als  die  Wirkung 
des  Tamas. 

19.  (1005.)  Alle  ungeregelten  Unternehmungen ,  alles  un- 
geregelte  Geben  und  ungeregelte  Essen,  das  alles  gilt  als 
Wirkung  des  Tamas. 

20.  (1006.)  Mafsloses  Reden,  Mangel  an  Ausdauer,  Egois- 
mus,  Hochmut  und  Unglaube  sind  anzusehen  als  Wirkung 
des  Tamas. 

21.  (1007.)   Alle,  welche  auf  der  Welt  von  dieser  Art  sind, 


950  IV.    Aimgita. 

alle  Ubeltater  und  schrankendurchbrechende  Menschen,  diese 
alle  werden  als  tamas-artig  betrachtet. 

22.  (1008.)  Ihre  [kiinftigen]  Geburten  will  ich  dir  ver- 
kiindigen,  wie  sie  fiir  die  Ubeltater  bestimmt  sind,  welche 
ein  Dasein  niedriger  Art  oder  in  der  Holle  erleiden  und  in 
Tiere  oder  in  die  Holle  fahren  werden. 

23.  (1009.)  Unbewegliche  Wesen  (Pflanzen),  Vieh  und  Zug- 
tiere,  fleischfressende  Tiere  und  alles,  was  da  beifst  und  kriecht 
und  fliegt  und  tlattert, 

24.  (1010.)  die  Arten  der  Eigeborenen  und  alle  Vierfiifsler, 
die  Verriickten,  Tauben,  Stummen  und  an  schlimmen  Krank- 
heiten  Leidenden, 

25.  (1011.)  diese  Unglucklichen  sind  versenkt  in  das  Ta- 
mas  und  haben  den  Charakter,  der  durch  ihre  Werke  ver- 
dient  wurde;  Abwartsstromende  kbnnen  sie  heifsen,  in 
Tamas  versenkt  und  von  Tamasart. 

26.  (1012.)  Nun  will  ich  dir  weiter  erklaren,  wie  diese-  [in 
Tamas  Versunkenen]  sich  emporarbeiten  und  hoher  steigen 
konnen,  und  wie  sie  durch  heihge  Werke  gliickselige  Welten 
erlangen  mogen. 

27.  (1013.)  Wenn  sie  eine  andere  Richtung  einschlagen, 
so  konnen  sie  hinauswachsen  iiber  das  Werk  und,  von  Brah- 
manen,  die  auf  ihre  Werke  verzichtet  haben  und  nach  dem 
Schonen  trachten, 

28.  (1014.)  gelautert,  emporsteigen  und,  nach  Weltgemein- 
schaft  mit  ihnen  strebend,  in  den  Himinel  der  Gotter  eingehen, 
wie  es  die  Offenbarung  des  Veda  lehrt. 

29.  (1015.)  Und  wiederum,  wenn  sie  eine  andere  Richtung 
einschlagen  und  in  der  Vollbringung  ihrer  Werke  sich  klug 
erweisen,  dann  fallen  sie  unter  das  Gesetz  der  Wiederkunft 
und  werden  wieder  auf  der  Erde  zu  Menschen. 

30.  (1016.)  Dann  konnen  sie  in  einen  schlechten  Mutter- 
schofs  geraten  als  Candala's,  Stumme  und  Stammelnde  und 
nach  und  nach  immer  hohere  Kasten  erlangen. 

31.  (1017.)  Aber  audi  wenn  sie  die  Geburt  als  C'udra's 
und  sonstige  [Folgen  von]  tamas- artigen  Qualitaten  iiber- 
schritten  haben  und  in  die  mittlere  Stromung  gelangt  sind, 
befinden  sie  sich  immer  noch  in  der  Qualitat  des  Tamas. 


Adhyaya  36  (B.  36).  951 

32.  (1018.)  Denn  alles  Hangen  an  Liisten  ist  grofse  Ver- 
blendung  fmahdmohaj^  so  wird  es  gelehrt,  und  auch  die  Rishi's, 
Muni's  und  Gotter  unterliegen  dieser  Verblendung,  solange 
sie  noch  nach  Lust  begehren. 

33.  (1019.)  Finsternis  ftamasj,  Verblendung  fmohaj,  grofse 
Verblendung  fmahdmohaj  und  Verfmsterung  (tamisra),  die  da 
Zorn  heifst,  —  denn  blinde  Verfinsterung  (andhatamisraj  ist 
der  Tod  —  Verfmsterung  wird  der  Zorn  genannt  [vgl.  Sankhya- 
Karika  48], 

34.  (1020.)  nach  Farbe,  Qualitat,  Ursprung  und  Wesen  ist 
das  alles  als  Tamas  euch  erklart  worden  nach  der  Vorschrift, 
o  Brahmanen. 

35.  (1021.)  Wer  ist  es  nun,  der  dies  richtig  versteht,  wer 
ist,  der  es  richtig  sieht?  Das  ist  das  wahre  Merkmal  des 
Tamas,  dafs  einer  in  dem  Nichtrealen  das  Reale  sieht. 

36.  (1022.)  Damit  sind  die  mannigfachen  Qualitaten 
des  Tamas  aufgezahlt  und  das  nach  oben  und  nach 
unten  sich  erstreckende  Tamas  gebiihrend  besprochen 
worden;  der  Mann,  welcher  alle  diese  Qualitaten  immer- 
fort  erkennt,  der  wird  von  alien  Qualitaten  des  Tamas 
erlost. 

So  lautct  in  der  AmigltS,  der  einundzwanzigste  Adhyiya. 


Aclhyaya  37  (B.  37). 

Vers  1023-1041  (B.  1-18). 

Der  Gott  Brahman  sprach: 

1.  (1023.)  Nun  will  ich  euch  das  Rajas  der  Wahrheit  ge- 
mafs  erklaren,  o  ihr  Besten;  vernehmt  es,  o  ihr  Gliicklichen, 
sowie   die  aus  dem  Rajas  sich  entwickelnden  Eigenschaften. 

2.  (1024.)  Qual,  Schongestalt,  Anstrengung,  Lust  und 
Schmerz,  Kalte  und  Hitze,  Herrschaft,  Krieg  und  Frieden, 
Rasonieren,  Lnzufriedenheit  und  Ausdauer, 

3.  (1025.)  Gewalt,  Heroismus,  Verwegenheit,  Zorn,  Streit 
und  Zank,  Neid,  Begehrlichkeit,  Klatschsucht,  Kampf,  Egois- 
mus,  Beschiitzung, 


952  IV.    Anugita. 

4.  (1026.)  Mord,  Gefangenschaft  und  Not,  Kauf  und  Ver- 
kauf,  von  den  Rufen:  „Schneide,  brich,  spalte!"  begleitetes 
Abschneiden  der  Feindesriistung, 

5.  (1027.)  Gewalttat,  Grausamkeit ,  Beschimpfung ,  Hin- 
weisung  auf  die  Schwachen  anderer,  Weltsinn  und  Sorge, 
Selbstsucht ,  Beschiitzung, 

6.  (1028.)  falsche  Rede,  falsches  Spenden,  Zweifel,  Schmah- 
sucht,  Tadeln,  Loben  und  Preisen,  Ubermacht  und  Ver- 
gewaltigung, 

7.  (1029.)  Pflege,  Gehorsam,  Bedienung,  Durst,  Unter- 
stiitzung,  Strategik  und  Politik,  Unbesonnenheit,  Tadelsucht 
und  Begiinstigung, 

8.  (1030.)  ferner  alle  Vorkehrungen ,  welche  in  der  Welt 
im  einzelnen  getroffen  werden  in  bezug  auf  Manner,  Weiber, 
Wesen,  Sachen  und  Wohnungen, 

9.  (1031.)  Qual  und  Mifstrauen,  Geliibde  und  Verpflichtungen 
sowie  alle  auf  einem  Wunsche  beruhenden  und  seine  Erfullung 
nach  sich  ziehenden  Werke  von  mannigfacher  Art, 

10.  (1032.)  die  Ausrufe  svahd !  (Heil),  namas !  (Verehrung), 
svadhd!  (Labung),  vashat!  (Spende),  beides,  Opfernlassen  und 
Lehren,  sowie  Opfern  und  Lernen, 

11.  (1033.)  Schenken  und  Annehmen,  Siihnung,  gliickliche 
Vorzeichen  und  die  aus  diesem  Guna  entspringende  Neigung, 
sich  dieses  oder  jenes  zuzueignen, 

12.  (1034.)  Nachstellung,  Tauschung,  Herabsetzung  und 
Ehrenerweisung,  Diebstahl,  Schadigung,  Ekel,  Reue,  Wach- 
samkeit, 

13.  (1035.)  Trug,  Stolz  und  Leidenschaft,  Verehrung,  Liebe 
und  Freude,  Spiel,  Gerede  der  Leute  und  Liaisons  mit  Weibern, 

14.  (1036.)  Gelegenheiten  zum  Tanzen,  Musizieren  und 
Singen,  wo  sie  immer  vorkommen  —  alle  diese  Beschaffen- 
heiten,  o  ihr  Brahmanen,  werden  erwahnt  als  aus  dem  Rajas 
entspringend. 

15.  (1037.)  Die  Menschen,  welche  auf  der  Welt  an  die 
vergangenen,  gegenwartigen  und  kiinftigen  Moglichkeiten 
denken,  welche  immerfort  an  der  Dreischar  des  Guten,  Niitz- 
lichen  und  Angenehmen  sich  freuen, 

16.  (1038.)   in  Liisten  sich  bewegen  und  an  der  Erfiillung 


Adhy£lya  37  (B.  37).  953 

aller  Liiste  ihr  Gefallen  fmden,  Herwartsstromende  konnen 
sie  heifsen,  die  Menschen,  welche  vom  Rajas  umhiillt  sind. 
17.  (1039.)  Sie  freuen  sich,  immer  wieder  und  wieder  in 
dieser  Welt  geboren  zu  werden ;  darum  streben  sie  nach  dem 
Dasein  nach  dem  Tode  und  zugleich  nach  einem  Wieder- 
kommen  in  diese  Welt ;  (1040.)  darum  schenken  sie  und  nehmen 
Geschenke  und  opfern  den  Manen  und  Gottern. 

18.  (1041.)  Damit  sind  die  mannigfachen  Qualitaten  des 
Rajas  aufgezahlt  und  das  sich  aus  ihnen  Entwickelnde 
gebiihrend  besprochen  worden;  der  Mann,  welcher  alle 
diese  Qualitaten  immerfort  erkennt,  der  wird  von  alien 
Qualitaten  des  Rajas  erlost. 

So  lautet  in  der  Anugita  der  zweiundzwanzigste  Adhy^ya. 


Adhyaya  38  (B.  38). 

Vers  1042-1057  (B.  1-15). 

Der  Gott  Brahmaa  sprach: 

1.  (1042.)  Weiterhin  will  ich  den  dritten  Guna,  den  hochsten, 
erklaren,  der  zum  Heile  aller  Wesen  in  der  Welt  dient  und 
das  untadlige  Gesetz  der  Guten  bildet. 

2.  (1043.)  Wonne,  Freude,  Uberflufs,  Helligkeit  und  Lust, 
Fassung,  Haltung,  Zufriedenheit,  Glaube, 

3.  (1044.)  Geduld,  Festigkeit,  Schonung,  Gleichmiitigkeit, 
Wahrhaftigkeit,  Geradheit,  Nichtziirnen,  Nichtmurren,  Rein- 
heit,  Tiichtigkeit,  Tapferkeit, 

4.  (1045.)  zweckloses  Erkennen,  zweckloses  Handeln,  zweck- 
loser  Kultus,  zweckloses  Bemiihen  —  wer  so  sich  seiner  Pflicht 
hingibt,  der  erlangt  im  Jenseits  die  Unendlichkeit. 

5.  (1046.)  Selbstlos,  ichbewufstseinslos,  hoffnungslos,  gleich- 
miitig  in  alien  Dingen,  frei  von  Begierde,  so  ist  beschaffen 
die  ewige  Satzung  der  Guten. 

6.  (1047.)  Vertrauen,  Schamhaftigkeit,  Ausdauer,  Freigebig- 
keit,  Reinheit,  Unermiidhchkeit ,  Nichtubelwollen ,  Nichtver- 
blendung,  Mitleid  mit  den  Wesen,  Nichtangeberei, 


954  IV.    Aiiugita. 

7.  (1048.)  Freudigkeit,  Zufriedenheit,  Stolz,  Ziicht,  gutes 
Betragen,  Reinheit  im  Erstreben  der  Ruhe,  lichtvolle  Ein- 
sicht ,  Versohnlichkeit, 

8.  (1049.)  Gleichgiiltigkeit,  Keuschheit,  Verzichten  auf 
alles,  Selbstlosigkeit,  Hoffnungslosigkeit,  unverkiirzte  Pflicht- 
erfiillung, 

9.  (1050.)  umsonst  geben,  umsonst  opfern,  umsonst  stu- 
dieren,  umsonst  Geliibde  erfiillen,  umsonst  annehmen,  umsonst 
die  Pflicht  erfiillen,  umsonst  Askese  iiben  — 

10.  (1051.)  alle,  welche  so  beschaffen  sind  in  dieser  Welt 
und  sich  auf  das  Sattvam  stiitzen  als  Brahmanen  und  in 
Brahman's  Schofs  Sitzende,  die  sind  weise  und  von  richtiger 
Einsicht. 

11.  (10B2.)  Schon  als  Menschen  alles  Bose  hinter  sich 
lassend  und  von  Kummer  befreit,  erlangen  diese  Weisen  den 
Himmel  und  schaffen  sich  dort  Verkorperungen  [nach  Be- 
lieben]. 

12.  (1053.)  Schopferkraft,  Beherrschung  der  Wesen,  Leich- 
tigkeit  [und  die  iibrigen  Siddhi's]  verschaff'en  sich  auf  ihren 
Wunsch  diese  Hochherzigen,  gleichwie  Gotter  alle  drei  Himmel 
durchziehend ; 

13.  (1054.)  Aufwartsstrbmende  konnen  sie  heifsen,  und 
Gotter,  die  ihre  Gestalt  wandeln,  werden  sie  genannt,  da  sie 
sich  vermoge  ihrer  Natur  verwandeln  konnen,  nachdem  sie 
zum  Himmel  gelangt  sind,  in  dieses  und  jenes. 

14.  (1055.)  Was  sie  immer  wiinschen  mogen,  das  alles 
verschaffen  sie  sich  bald  so,  bald  so.  Damit  habe  ich  euch, 
o  Brahmanenstiere,  mitgeteilt,  was  sich  aus  dem  Sattvam 
entwickelt.  (i056.)  Wer  dies  verstanden  hat,  der  empfangt 
von  Rechts  wegen  alles,  was  er  wiinschen  mag. 

15.  (1057.)  Damit  sind  die  Qualitaten  des  Sattvam  im 
einzelnen  aufgezahlt  und  das  sich  aus  ihnen  Entwickelnde 
gebiihrend  besprochen  worden;  der  Mann,  der  alle  diese 
Qualitaten  immerfort  erkennt,  der  geniefst  die  Qualitaten 
und  ist  doch  nicht  an  die  Qualitaten  gebunden. 

So  lautet  in  der  Anugita  der  dreiundzwanzigste  Adhyaya. 


Adhy&ya  39  (B.  39).  955 

Aclhyaya  39  (B.  39). 

Vers  1058-1083  (B.  1-25). 

Der  Gott  Brahman  sprach: 

1.  (1058.)  Es  ist  nicht  moglich,  die  Guna's,  einen  jeden 
in  seiner  Besonderheit ,  zu  erklaren,  denn  ungetrennt  treten 
auf  das  Rajas,  Sattvam  und  Tamas. 

2.  (1059.)  Denn  sie  farben  aneinander  ab,  und  sie  leben 
fiir  die  gegenseitigen  Zwecke,  stiitzen  sich  alle  gegenseitig 
und  richten  sich  nacheinander, 

3.  (1060.)  Soweit  das  Sattvam  sich  erstreckt,  reicht  auch 
das  Rajas,  daran  ist  kein  Zweifel;  soweit  das  Tamas  und 
das  Sattvam  sich  erstrecken,  soweit  wird  auch  das  Rajas 
anerkannt. 

4.  (1061.)  Miteinander  verbunden  gehen  sie  ihren  Weg; 
als  Gefahrten  in  Gesellschaft  wandelnd  und  in  Gemeinschaft 
ihre  Punktionen  iibend,  wirken  sie  als  Ursachen  und  nicht 
als  Ursachen. 

5.  (1062.)  Von  ihnen,  welche  zusammenwirken,  indem  sie 
iibereinander  hinausreichen  und  sich  iibertreffen,  soil  erklart 
werden,  inwiefern  sie  iiberall  einander  unterlegen  und  iiber- 
legen  sind. 

6.  (10C3.)  Wo  das  Tamas  iiberwiegt,  da  findet  ein  Ein- 
gehen  in  tierische  Existenzen  statt;  in  ihnen  ist  das  Rajas 
nur  in  geringem  Mafse  vorhanden  und  in  noch  geringerm 
das  Sattvam. 

7.  (1004.)  Wo  das  Rajas  iiberwiegt,  da  findet  ein  Eingehen 
in  die  mittlere  Stromung  statt;  in  ihr  ist  das  Tamas  nur  in 
geringem  Mafse  vorhanden  und  in  noch  geringerm  das  Sattvam. 

8.  (1065.)  Wo  das  Sattvam  iiberwiegt,  da  findet  ein  Ein- 
gehen in  die  Aufwartsstromung  statt;  in  ihr  ist  das  Tamas 
nur  in  geringem  Mafse  vorhanden  und  in  noch  geringerm 
das  Rajas. 

9.  (1066.)  Das  Sattvam  ist  fiir  die  Sinnesorgane  die  in 
sie  sich  umwandelnde  und  ihnen  das  Licht  spendende  Quelle, 
denn  es  gibt  keine  andere  Eigenschaft,  welche  hoher  ware 
als  das  Sattvam. 


956  IV.   Anugita. 

10.  (1067.)  Nach  aufwarts  gehen  die  im  Sattvam  Stehenden, 
in  der  Mitte  befinden  sich  die  Rajashaften,  und  ab warts  gehen 
die  mit  dem  untersten  Guna  behafteten,  tamashaften  Menschen. 

11.  (1068.)  Das  Tamas  ist  dem  Qudra,  das  Rajas  dem  Ksha- 
triya  eigen,  das  Sattvam  als  Hochstes  dem  Brahmanen;  so 
treten  in  den  drei  Kasten  die  drei  Guna's  auseinander. 

12.  (1069.)  Schon  von  weitem  zeigt  sich,  dafs  Tamas,  Satt- 
vam und  Rajas,  obgleich  sie  in  Verbindung  miteinander  zu- 
sammengehen,  doch  in  ihrer  Verschiedenheit  bestehen,  wie 
sie  uns  iiberhefert  worden  ist. 

13.  (1070.)  Aber  auch  durch  die  Sonne,  wenn  sie  sie  auf- 
gehen  sehen,  werden  die  Ubeltater  in  Furcht  versetzt,  und 
die  Wanderer  werden  von  ihrer  Hitze  gequalt  und  empfinden 
Schmerz. 

14.  (1071.)  Zwar  ist  die  Sonne  iiberwiegend  Sattvam,  aber 
die  [von  ihr  in  Schrecken  versetzten]  Ubeltater  sind  Tamas, 
und  die  [gleichfalls  von  der  Sonne  herriihrende]  Hitze  und 
Qual  der  Wanderer  ist  als  eine  Eigenschaft  des  Rajas  zu  be- 
trachten. 

15.  (1072.)  Als  Erhellung  ist  die  Sonne  Sattvam,  ihr  Er- 
hitzen  ist  eine  Eigenschaft  des  Rajas  und  ihre  Verfinsterung 
beim  Durchgang  durch  die  Knoten  ist  als  Tamas  anzusehen. 

16.  (1073.)  In  dieser  Weise  kehren  bei  alien  Himmels- 
lichtern  alle  drei  Guna's  wieder  und  treten  abwechselnd  auf 
bald  hier,  bald  dort,  bald  so,  bald  so. 

17.  (1074.)  Bei  pflanzlichen  Wesen  herrscht  das  auch  in  das 
tierische  Dasein  hiniiberreichende  Tamas ;  vermoge  des  Rajas 
aber  wandeln  sich  diese  Wesen  um  [zu  hoheren  Formen], 
und  die  in  ihnen  enthaltenen  ohgen  [sich  anschmiegenden] 
Bestandteile  stammen  aus  dem  Sattvam. 

18.  (1075.)  Dreifach  [aus  Sattvam,  Rajas,  Tamas  bestehend] 
ist  der  Tag,  das  soil  man  wissen,  und  dreifach  ist  die  Nacht, 
sind  die  Monate,  Halbmonate,  Jahre,  Jahreszeiten  und  Dam- 
merungen. 

19.  (1076.)  Dreifach  werden  "die  Gaben  gegeben,  dreifach 
geht  das  Opfer  vonstatten,  dreifach  sind  die  Wei  ten,  dreifach 
die  Gotter,  dreifach  ist  die  Wissenschaft  und  dreifach  der 
Weg  [ins  Jenseits]. 


Adhy&ya  39  (B.  39).  957 

20.  (1077.)  Das  Vergangene,  Gegenwartige  und  Zukiinftige, 
das  Gute,  Niitzliche  und  Angenehme,  der  Prana,  Apana  und 
Udana,  alles  dies  ist  aus  den  drei  Guna's  bestehend. 

21.  (1078.)  Abwechselnd  treten  sie  hervor,  bald  hier,  bald 
dort,  bald  so,  bald  so;  alles  was  auf  dieser  Welt  ist,  alles 
das  sind  die  drei  Guna's. 

22.  (1079.)  Die  drei  Guna's  iiben  ihre  Funktionen,  sie 
selbst  aber  bleiben  ewig  unoffenbar,  das  Sattvam,  Rajas  und 
Tamas,  das  ist  die  ewige  Gunaschopfung. 

23.  (1080.)  Das  Tamas,  das  Unentfaltete,  die  selige  Wohn- 
statte  [des  Sattvam],  das  Rajas,  die  ewige  Wiege,  Entstehen, 
Sichwandeln  und  Vergehen,  das  Pradhanam  (die  Urnatur), 
Ursprung  und  Vergang, 

24.  (1081.)  das  Unvermehrbare  und  Unverminderbare,  Un- 
erschiitterliche,  Unbewegliche,  Seiende  und  Nichtseiende,  dieses 
alles  ist  das  aus  den  drei  Guna's  bestehende  Unentfaltete; 
(1082.)  seine  Namen  miissen  gekannt  werden  von  Mannern,  die 
liber  das  innere  Selbst  nachdenken. 

25.  (1083.)  Wer  alle  Namen  und  Eigenschaften  des  Un- 
entfalteten  und  die  zur  Absolutheit  fuhrenden  Wege  kennt, 
der  wird,  wenn  er  des  Leibes  ledig  ist  und  das  Wesen 
der  Einteilungen  des  Unentfalteten  versteht,  von  alien 
Guna's  erlost  und  frei  von  Leiden. 

So  lautet  in  der  Anuglta  der  viernndzwanzigste  Adhy4ya. 


Adhyaya  40  (B.  40). 

Vers  1084-1096  (B.  1-13). 

Der  Gott  Brahman  sprach: 

1.  (1084.)  Aus  dem  Unentfalteten  favyaklamj  ist  zuerst 
hervorgegangen  der  Mahan  Atma  (die  grofse  Seele,  die  Welt- 
seele),  der  grofse  Weisheit  Besitzende;  er  wird  als  der  An- 
fang  aller  Bestimmungen  (gunaj  und  als  die  erste  Emanation 
bezeichnet. 

2.  (108B.)  Der  Mahan  Atma  ist  Weisheit,  ist  Vishnu,  der 
Siegreiche,  und  (^ambhu  (Qiva),  der  Gewaltige;  er  ist  Buddhi 


958  IV.    Anugita. 

(Bewufstsein) ,   Erkenntnis  und  Wahrnehmung,    er  ist   auch 
Ruhm,  Starke  und  Erinnerung. 

3.  (1086.)  Mit  diesen  synonym  gebrauchten  Worten  wird 
der  Mahan  Atma  aufgezeigt;  der  weise  Brahmane,  welcher  ihn 
erkennt,  gerat  nicht  in  Verblendung. 

4.  (1087.)  Nach  allwarts  ist  er  Hand,  Fiifse,  nach  allwarts 
Augen,  Haupt  und  Mund,  nach  alien  Seiten  hin  horend,  die 
Welt  durchdringend  steht  er  da  (Qvet.  Up.  3,16). 

5.  (1088.)  Als  Purusha  von  grofser  Macht  zeigt  er  sich 
klar  in  eines  jeden  Herzen,  als  Atomfeinheit ,  Leichtigkeit, 
Allberiihrung,  als  Gottherr,  Licht,  als  Ewiger. 

6:  (1089.)  Durch  ihn  sind  mit  Bewufstsein  fbuddhi)  begabt 
die  Welten  und  alle,  die  an  wahrem  Sein  sich  freuen,  die 
Meditierenden,  immer  des  Yoga  Beflissenen,  dem  Versprechen 
Treuen,  die  Sinne  Bandigenden, 

7.  (1090.)  und  alle,  welche  reich  an  Erkenntnis,  ohne  Be- 
gierde  und  frei  von  Zorn,  beruhigten  Herzens,  standhaft, 
selbstlos  und  ohne  Ichbewufstsein  sind. 

8.  (1091.)  Alle  diese,  nachdem  sie  erlost  sind,  gehen  in 
seine  Grofsheit  ein,  und  auch  der,  welcher  den  heiligen, 
hochsten  Weg  des  Mahan  Atma  kennt, 

9.  (1092.)  namlich,  dafs  aus  dem  Ahaiikara  die  fiinf  grofsen 
Elemente  hervorgehen,  Erde,  Wind,  Ather,  Wasser  und  Licht 
als  fiinftes, 

10.  (1093.)  und  dafs  die  Wesen  in  diese  fiinf  grofsen  Ele- 
mente verstrickt  sind.  Diese  [die  Wissenden],  obgleich  sich 
befassend  mit  Tonen,  Gefuhlen,  Gestalten,  Geschmacken  und 
Geriichen, 

11.  (1094.)  sind  beim  Untergang  der  grofsen  Elemente, 
und  wenn  die  Vernichtung  bevorsteht,  unter  alien  Lebenden 
die  Weisen,  [wahrend  fiir  die  iibrigen]  eine  grofse  Frucht 
entsteht. 

12.  (1095.)  Aber  er,  der  Weise,  verfallt  in  alien  Welten 
[die  er  bewohnt]  nicht  in  Verblendung,  sondern  er  wird  zu 
Vishnu,  wird  zu  dem  iiber  die  Urschopfung  herrschenden 
Svayambhu. 

13.  (1096.)   Wer  in  dieser  Weise  den  in  der  Hohle  des 
Herzens  wohnenden  Herrn   kennt,  den  hochsten,  alten. 


Adhyaya  40  (B.  40).  959 

allgestaltigen  Purusha,  den  Goldfarbigen,  der  die  hochste 
Zuflucht  der  Weisen  ist,  der  besteht  als  Weiser,  als  iiber 
alle  Weisheit  Erhabener. 

So  lautet  in  der  Anugiti  dor  fUnfundzwanzigste  Adhyiya. 


Adhyaya  41  (B.  41). 

Vers  1097-1101  (B.  1-5). 

Der  Gott  Brahman  sprach : 

1.  (1097.)  Jener  zuerst  entstandene  Mahan  wird  weiterhin, 
wenn  er  sich  zu  dem  Bewufstsein,  ein  Ich  zu  sein,  fort- 
entwickelt,  Ahankara  genannt  und  heifst  die  zweite  Emanation. 

2.  (1098.)  Der  Ahankara  ist  [einerseits]  der  Ursprung  der 
Eiemente  und  ist  schon  Produkt  eines  Produkts  [namlich  des 
Mahan] ;  vermoge  des  [in  ihm  enthaltenen]  Tejas  (=  Kajas) 
und  sofern  er  die  Geistigkeit  [des  Purusha]  in  sich  befafst, 
wird  er  zur  Schopfung  der  Geschopfe,  d.  h.  zu  Prajapati. 

3.  (1099.)  Er  ist  als  Ursprung  der  Gotter  ein  Gott  und  als 
Ursprung  des  Manas  der  Schopfer  der  drei  Welten;  er  fiihrt 
seinen  Namen  davon,  dafs  er  in  dem  Bewufstsein  des  Ich  auf 
das  ganze  Weltall  seine  Absicht  richtet. 

4.  (1100.)  Diese  ewige  Welt  aber  wird  denen  zuteil,  welche 
als  Muni's  sich  an  der  Erkenntnis  der  innern  Seele  sattigen, 
ihr  Selbst  zubereiten  und  in  Vedastudium  und  Opfer  zur  Voll- 
kommenheit  gelangt  sind. 

5.  (1101.)  Dem  vermittelst  des  Ahankara  jene  Guna's 
an  sich  Raffenden  [Purusha]  schafft  er  [der  Ahankara] 
als  Ursprung  der  Eiemente  [die  Welten],  und  als  Schopfer 
der  Wesen  bringt  er,  das  Produkt-Produkt,  diese  ganze 
Welt  in  Bewegung  und  belebt  sie  vermoge  des  ihm  inne- 
wohnenden  Tejas  (Rajas). 

So  lautet  in  der  Aniigita  der  sechsundzwanzigstc  Adhy&ya. 


960.  IV.    Anugita. 

Adhyaya  43  (B.  43). 

Vers  1102-1169  (B.  1-67). 

Uer  Gott  Brahmau  sprach : 

1.  (1102.)  Aus  dem  Ahankara  sind  erzeugt  worden  die 
fiinf  grofsen  Elemente,  die  Erde,  der  Wind,  der  Ather,  die 
Wasser  und  das  Licht  als  fiinftes. 

2.  (1103.)  In  diese  fiinf  grofsen  Elemente  sind  die  Wesen 
verstrickt,  namlich  in  Tone,  Gefiihle,  Gestalten  und  in  die  Ver- 
richtungen  des  Schmeckens  und  Fiihlens  (vgl.  oben,  Vers  1093). 

3.  (1104.)  Beim  Untergang  der  grofsen  Elemente,  und  wenn 
die  Vernichtung  bevorsteht,  [sind  nicht  verstrickt]  unter 
alien  Lebenden  die  Weisen,  [wahrend  fiir  die  iibrigen]  eine 
grofse  Furcht  verkiindigt  wird. 

4.  (1105.)  Dann  lost  sich  jedes  Element  in  dasjenige  Ele- 
ment auf,  woraus  es  entstanden  ist  [Erde  in  Wasser,  Wasser 
in  Feuer,  Feuer  in  Wind,  Wind  in  Ather],  sie  losen  sich  auf 
in  der  umgekehrten  Ordnung,  als  wie  sie  auseinander  ent- 
standen sind. 

5.  (1106.)  Wenn  dann  jedes  unbewegliche  und  bewegliche 
Wesen  sich  auflost,  dann  sind  es  die  Weisen,  Gedenkenden, 
welche  sich  nimmermehr  auflosen. 

6.  (1107.)  Aber  Ton,  Gefiihl,  Gestalt,  Geschmack  und  Ge- 
ruch  als  fiinfter,  diese  Tatigkeiten,  welche  immer  blofse  Organe 
sind,  sind  verganglich  und  werden  Verblendung  genannt. 

7.  (1108.)  Durch  Begierde  und  Zeugung  entstanden,  ohne 
Unterschied  [aus  den  fiinf  Elementen  bestehend],  ohne  Reali tat, 
als  Aggregate  von  Fleisch  und  Blut  voneinander  zehrend, 

8.  (1109.)  werden  sie  aufserliche  Selbste  genannt  und  sind 
elend  und  erbarmlich  lebend.  —  Ferner  der  Prana  und  Apana, 
der  Udana,  Samana  und  Vyana, 

9.  (1110.)  diese  bestimmten  fiinf  Winde  gehoren  schon  dem 
innern  Selbst  an;  zusammen  mit  Rede,  Manas  und  Buddhi 
bilden  sie  die  achtwesenhafte  Welt. 

10.  (1111.)  Haut,  Geruch,  Gehor,  Gesicht,  Geschmack  und 
Rede,  wer  diese  im  Zaume  halt  und  sein  Manas  rein  und  seine 
Buddhi|nicht  abirrend  hat. 


Adhy&ya  42  (B.  42).  961 

11.  (1112.)  bei  wem  diese  acht  Feuer  nicht  fort  und  fort 
den  Geist  verbrennen,  der  geht  ein  zu  jenem  lautern  Brah- 
man; iiber  den  hinaus  gibt  es  nichts  Hoheres. 

12.  (1113.)  Nun  will  ich  die  elfe,  welche  man  die  Sinnes- 
organe  nennt  und  welche  aus  dem  Ahankara  erzeugt  sind, 
euch,  o  Brahmanen,  im  einzelnen  erklaren. 

13.  (1114.)  Das  Ohr,  die  Haut,  die  Augen,  die  Zunge  und 
die  Nase  als  fiinftes,  die  Fiifse,  das  Entleerungs-  und 
Zeugungsorgan,  die  Hande  und  die  Rede  als  zehntes, 

14.  (1115.)  das  ist  die  Schar  der  Sinnesorgane ,  und  das 
Manas  ist  das  elfte;  diese  Schar  mufs  man  zuerst  iiberwinden, 
dann.  kommt  das  Brahman  zur  Erscheinung. 

15.  (1116.)  IJnter  ihnen  zahlt  man  fiinf  Erkenntnisorgane 
und  fiinf  Tatorgane;  namlich  fiinf,  das  Ohr  usw. ,  gibt  es, 
welche  ihrem  Wesen  nach  mit  Erkenntnis  verbunden  sind, 

16.  (1117.)  hingegen  sind  da  die  anderen,  welche  kein 
Unterscheidungsvermogen  besitzen,  aber  mit  einer  Tatigkeit 
verbunden  sind ;  zu  beiden  Arten  gehort  das  Manas ;  aber  die 
Buddhi  ist  die  zwolfte. 

17.  (1118.)  Damit  sind  diese  elf  Sinnesorgane  der  Reihe 
nach  aufgezahlt;  die  Weisen  halten  ihre  Aufgabe  fiir  voll- 
endet,  wenn  sie  diese  kennen. 

18.  (1119.)  Weiterhin  will  ich  jedes  Organ  nach  seinen 
verschiedenen  Beziehungen  erklaren.  Zuerst  entstanden  ist 
der  Ather;  in  bezug  auf  das  Selbst  heifst  er  das  Ohr, 

19.  (1120.)  in  bezug  auf  die  Dinge  der  Ton,  in  bezug  auf 
die  Gottheit  die  [Gottheiten  der]  Himmelsgegenden.  Das 
zweite  Element  ist  der  Wind ;  in  bezug  auf  das  Selbst  heifst 
er  die  Haut, 

20.  (1121.)  in  bezug  auf  die  Dinge  das  Gefiihlte,  in  bezug 
auf  die  Gottheit  der  Blitz.  Das  dritte  Element  heifst  das 
Licht;  in  bezug  auf  das  Selbst  heifst  es  Auge, 

21.  (1122.)  in  bezug  auf  die  Dinge  die  Gestalt,  in  bezug 
auf  die  Gottheit  die  Sonne.  Das  vierte  Element  ist  das 
Wasser;  in  bezug  auf  das  Selbst  heifst  es  Zunge, 

22.  (1123.)  in  bezug  auf  die  Dinge  der  Geschmack,  in  bezug 
auf  die  Gottheit  der  Soma  (Mond).  Die  Erde  ist  das  fiinfte 
Element;  in  bezug  auf  das  Selbst  heifst  sie  die  Nase, 

I)£T7gEEir,  MahAbh&ratam.  Q^ 


962  IV.   Amigita. 

23.  (1124.)  in  bezug  auf  die  Dinge  der  Geruch,  in  bezug 
auf  die  Gottheit  der  Vayu  (Wind).  Damit  ist  von  den  fiinf 
Elementen  ihre  Beziehung  zu  den  dreien  erkl^rt. 

24.  (1125.)  Weiterhin  will  ich  jedes  [Tat-]  Organ  nach 
seinen  verschiedenen  Beziehungen  erklaren.  In  bezug  auf  das 
Selbst  wird  das  erste  von  den  Brahmanen,  welche  die  Wahr- 
heit  schauen,  die  Fiifse  genannt; 

25.  (1126.)  in  bezug  auf  die  Dinge  heifst  es  das  zu  Be- 
tretende,  in  bezug  auf  die  Gottheit  der  Vishnu.  Das  Ent- 
leerungsorgan  heifst  in  bezug  auf  das  Selbst  der  nach  unten 
gehende  Apana, 

26.  (1127.)  in  bezug  auf  die  Dinge  die  Entleerung,  in  bezug 
auf  die  Gottheit  der  Mitra.  Das  Zeugungsorgan  heifst  in 
bezug  auf  das  Selbst  der  Erzeuger  aller  Wesen, 

27.  (1128.)  in  bezug  auf  die  Dinge  der  Same,  in  bezug 
auf  die  Gottheit  der  Prajapati.  Die  Hande  werden  so  ge- 
nannt in  bezug  auf  das  Selbst  von  Menschen,  welche  wissen, 
was  sich  auf  das  Selbst  bezieht, 

28.  (1129.)  in  bezug  auf  die  Dinge  heifsen  sie  Handlungen, 
in  bezug  auf  die  Gottheit  der  Qsikra.  (Indra).  Die  von  hier 
zunachst  folgende  ist  in  bezug  auf  das  Selbst  die  alle  Gotter 
preisende  Rede, 

29.  (1130.)  in  bezug  auf  die  Dinge  das  Gesprochene,  in 
bezug  auf  die  Gottheit  der  Vahni  (das  Feuer).  Das  Manas, 
welches  das  Wesen  der  fiinf  Elemente  auskundschaftet,  heifst 
so  in  bezug  auf  das  Selbst, 

30.  (1131.)  in  bezug  auf  die  Dinge  heifst  es  Saiikalpa  (Vor- 
stellung,  Wille),  in  bezug  auf  die  Gottheit  heifst  es  der  Can- 
dramas  (Mond).  Der  Ahahkara,  der  den  ganzen  Sansara  be- 
wirkt,  heifst  so  in  bezug  auf  das  Selbst, 

31.  (1132.)  in  bezug  auf  die  Dinge  heifst  er  die  Ichbeziehung 
fabhimdnaj,  in  bezug  auf  die  Gottheit  der  Rudra,  Die  Buddhi, 
welche  die  sechs  Sinnesorgane  [Manas  und  Erkenntnissinne] 
durchwaltet,  heifst  so  in  bezug  auf  das  Selbst, 

32.  (1133.)  in  bezug  auf  die  Dinge  das  Erkennbare,  in 
bezug  auf  die  Gottheit  der  Gott  Brahman.  —  Drei  Orte  gibt 
es  fiir  die  Wesen,  ein  vierter  ist  nicht  vorhanden: 

33.  (1134.)    das  feste  Land,  das  Wasser  und  der  Ather. 


Adhy^ya  42  (B.  42).  963 

Vierfach  ist  die  Entstehung  der  Wesen,  als  Eigeborene,  Sprofs- 
geborene,  Schweifsgeborene  fsamsvedajaj  und  Eihautgeborene. 

34.  (1135.)  In  dieser  Weise  wird  als  vierfach  die  Geburt  der 
Wesenschar  erkannt.    Noch  andere  Wesen  nebst  den  Vogeln 

35.  (1136.)  soil  man  als  Eigeborene  wissen,  sowie  auch 
alle  kriechenden  Tiere.  Schweifsgeborene  heifsen  die  Wiirmer 
und  andere  Geschopfe  nach  ihrer  Ordnung; 

36.  (1137.)  dieses  wird  die  zweite  Geburt  und  auch  die 
geringere  genannt.  Diejenigen  Wesen  aber,  welche  geboren 
werden,  indem  sie  im  Verlaufe  der  Zeit  die  Erde  durchbrechen, 

37.  (1138.)  werden  Sprofsgeborene  genannt  von  den  besten 
Br^hmanen.  Die  Zweifiifsler  und  die  Vielfiifsler,  welche  wage- 
rechten  Gang  haben, 

38.  (1139.)  heifsen  Eihautgeborene  und  sind  auch  von 
mancherlei  Art,  o  ihr  Besten.  —  Zweifach  ist  aber  weiter  die 
ewige  Zugangspforte  zu  Brahman, 

39.  (1140.)  namlich  Askese  und  heiliges  Werk;  so  lehren 
es  die  Wissenden.  Mannigfach  ist  das  Werk ;  Opferwerk  und 
Geschenke  bei  seiner  Feier, 

40.  (1141.)  sowie  auch  heilige  Belehrung  der  Jugend ;  das 
ist  das  Gebot  der  Alton.  Wer  dieses  nach  der  Vorschrift 
weifs  und  ihm  ergeben  ist,  der  ist,  o  Brahmanenstiere, 

41.  (1142.)  erlost  von  allem  Bosen;  darum  sollt  ihr  es 
wohl  merken.  Der  Ather  ist  als  erster  entstanden;  in  bezug 
auf  das  Selbst  heifst  er  das  Ohr, 

42.  (1143  =  1120.)  in  bezug  auf  die  Dinge  der  Ton,  in  bezug 
auf  die  Gottheit  die  [Gottheiten  der]  Himmelsgegenden.  Das 
zweite  Element  ist  der  Wind ;  in  bezug  auf  das  Selbst  heifst 
er  die  Haut, 

43.  (1144  =  1121.)  in  bezug  auf  die  Dinge  das  Gefiihlte,  in 
bezug  auf  die  Gottheit  der  Blitz.  Das  dritte  Element  heifst 
das  Licht;  in  bezug  auf  das  Selbst  gilt  es  als  das  Auge, 

44.  (1145  =  1122.)  in  bezug  auf  die  Dinge  als  die  Gestalt, 
in  bezug  auf  die  Gottheit  als  die  Sonne.  Das  vierte  Element 
ist  das  Wasser;  in  bezug  auf  das  Selbst  gilt  es  als  die  Zunge, 

45.  (1146  vgi.  1123.)  in  bezug  auf  die  Dinge  als  der  Mond, 
in  bezug  auf  die  Gottheit  als  das  Wasser.  Entsprechend  ist 
die  Lehre  in  bezug  auf  das  Selbst  [sowie  auf  die  Dinge  und 

61* 


964  IV.    Anuglta. 

die  Gottheit  bei  den   iibrigen];   sie  ist   euch   schon  von  mir 
mitgeteilt  worden  [oben,  Vers  1123—1133]. 

46.  (1147.)  Denn  die  Erkenntnis  davon  habt  ihr,  o  Pflicht- 
kundige,  hier  vernommen  von  denen,  welche  Kenntnis  haben 
von  den  Sinnesorganen ,  den  Sinnesobjekten  und  den  funf 
grofsen  Elementen.  (ii48.)  Dieses  alles  nehme  man  in  sich 
auf  und  iiberlege  es  in  seinem  Geist. 

47.  Wenn  der  Geist  voUstandig  erlischt,  so  ist  kein  an- 
genehmes  Dasein  moglich,  (1149.)  ein  solches  kommt  nur  den 
mit  Erkenntnis  begabten  Wesen  zu,  wie  die  Weisen  lehren 

48.  Nun  aber  will  ich  euch  verkiindigen  jene  ein  ver- 
borgenes  Dasein  bewirkende,  selige  (ii5o.)  Einkehr,  welche  in 
der  Mitte  aller  Wesen  erfolgt  durch  milde  oder  rauhe  Mittel. 

49.  Das  Verhalten,  welchem  Tugend  nicht  mehr  fiir 
Tugend  gilt,  welches  ohne  Anhanglichkeit ,  einsam  und  frei 
von  den  Unterschieden  ist,  (ii5i.)  dieses  ganz  in  Brahman  auf- 
gehende  Verhalten  nennt  man  das  auf  die  einzige  Statte  ge- 
richtete  Gliick. 

50.  Der  als  Weiser  die  Begierden  von  iiberallher  in  sich 
zuriickzieht  wie  die  Schildkrote  ihre  Glieder,  (1152.)  ein  solcher 
leidenschaftsloser  und  nach  alien  Seiten  freier  Mann  ist 
immerfort  gliicklich; 

51.  die  Begierden  in  sein  Inneres  zuriickdrangend ,  den 
Durst  (trishndj  vernichtend,  absorbiert  (1153.)  und  gegen  alle 
Wesen  wohlwollend  und  freundlich,  wird  er  tauglich  zum 
Brahmansein. 

52.  Durch  Niederhaltung  aller  nach  den  Dingen  trachten- 
den  Sinnesorgane  (1154.)  wird  in  dem  Muni,  indem  er  die 
Wohnstatten  der  Menschen  meidet,  das  Feuer  des  eigenen 
Selbstes  entziindet. 

53.  So  wie  das  durch  Brennholz  entflammte  Feuer  mit 
grofsem  Scheine  aufleuchtet,  (1155.)  so  wird  durch  Nieder- 
haltung der  Sinnesorgane  der  grofse  Atman  (mahdn  dtmdj 
aufleuchten. 

54.  Wenn  einer  alle  Wesen  mit  ruhigem  Selbste  in  seinem 
eigenen  Herzen  schaut,  (1156.)  dann  „dient  er  sich  selbst  als 
Licht"  (Brih.  Up.  4,3,6)  und  gelangt  aus  dem  Verborgenen 
zu  dem  allerhochsten  Verborgenen. 


Adhy^ya  42  (B.  42).  965 

55.  Seine  Sichtbarkeit  ist  Feuer,  sein  Fliefsendes  ist 
Wasser,  seine  Fiihlbarkeit  ist  Wind,  (ii57.)  sein  scheufsliches 
Schmutztragendes  ist  Erde  und  sein  Horbares  ist  Ather; 

56.  von  Krankheit  und  Leid  ist  er  erfiillt,  von  den  fiinf 
Strompforten  [den  fiinf  Sinnen]  umgeben,  (ii58.)  aus  den  fiinf 
Elementen  zusammengeflochten ,  mit  neun  Toren,  von  zwei 
Gottern  [der  hochsten  und  der  individuellen  Seele]  bewohnt, 

57.  unsauber,  unansehnlich,  dreigunahaft,  dreigrundstoff- 
haft  [Schleim,  Galle,  Wind],  (ii59.)  beriihrungssiichtig  und  vol! 
Torheit,  —  das  ist  der  Leib,  das  ist  gewifs. 

58.  Uberall  in  dieser  Welt  schwer  zu  behandeln  und  die 
Intelligenz  fsattvam)  als  Stiitze  habend,  (iieo.)  rollt  der  Leib 
in  dieser  Welt  auf  dem  Wagen  der  Zeit  dahin. 

59.  Diesen  furchtbaren,  unergriindlichen,  grofsen  Ozean, 
der  da  heifst  Verblendung,  (iiei.)  soil  man  abtun,  soil  man 
vernichten  und  die  unsterbliche  Welt  in  sich  zum  Erwachen 
bringen  (vgl.  unten.  Vers  1243). 

60.  Begierde,  Zorn,  Furcht,  Habsucht,  Tticke  und  Un- 
wahrheit,  (1162.)  diese  alle  wirft  er  durch  Unterwerfung  der 
Sinnesorgane  ab,  obgleich  sie  schwer  abzuwerfen  sind. 

61.  Wer  diese,  die  Dreigunahaften,  Fiinfelementhaften  in 
der  Welt  iiberwunden  hat,  (lies.)  dessen  Statte  ist  im  Himmel, 
dem  wird  Unendlichkeit  zuteil. 

62.  Ihn,  der  die  fiinf  Sinne  als  grofse  Ufer,  der  den 
Drang  des  Manas  als  machtige  Stromung  hat,  (ii64.)  den  Flufs, 
der  sich  zum  See  der  Verblendung  ausbreitet,  soil  man 
durchschwimmen  und  beides  iiberwinden,  die  Begierde  und 
den  Zorn. 

63.  Dann  schaut  man,  befreit  von  alien  Gebrechen,  jenes 
Hochste,  (1165.)  sein  Manas  in  seinem  Manas  einschliefsend 
und  das  Selbst  in  seinem  Selbste  schauend. 

64.  In  alien  Wesen  allwissend,  findet  er  in  seinem  Selbste 
das  Selbst,  (1166.)  indem  er  sich  in  eines  oder  in  viele  wandelt, 
bald  hier,  bald  dort. 

65.  Dann  durchschaut  er  vollig  die  (jrestalten,  so  wie 
man  mit  einer  Fackel  hundert  Fackeln  entziindet,  (ii67.)  dann 
ist  er  Vishnu  und  Mitra,  Varuna,  Agni  und  Prajapati; 

66.  dann  ist  er  Schopfer  und  Ordner,  der  Herr,  der  All- 


966  IV.    Anugita. 

gegenwartige ,  (lies.)  dann  wird  er  als   das  Herz  aller  Krea- 

turen,  als  der  grofse  Atman  erstrahlen; 

67.  (1169.)  dann  werden  ihm  Brahmanenscharen,  Gotter, 
Damonen,  Halbgotter,  Unholde,  Manen  und  Vogel,  Ko- 
boldscharen,  Gespensterscharen  und  alle  grofsen  Weisen 
fur  und  fur  lobsingen. 

So  lautet  in  der  Anugita  der  siebenundzwanzigste  Adhy^ya. 


AdhyAya  43  (B.  43). 

Vers  1170-1211  (B.  1-42). 

Der  Gott  Brahman  sprach: 

1.  (1170.)  Der  mittlere  Guna  [Rajas]  ist  vertreten  unter 
den  Menschen  als  der  Rajanya,  der  Kshatriya,  unter  den  Zug- 
tieren  als  der  Elefant,  unter  den  Waldbewohnern  als  der  Lowe, 

2.  (1171.)  unter  alien  Haustieren  als  das  Schaf,  unter  den 
Hohlenbewohnern  als  die  Schlange,  unter  den  Kiihen  als  der 
Stier,  unter  den  Weibern  als  der  Mann. 

3.  (1172.)  Der  Nyagrodhabaum,  der  Jambubaum,  der  Pip- 
pala,  der  Qalmali,  der  Qingapabaum  und  der  Mesha<?rmga, 
sowie  die  Rohre  und  Schilfe, 

4.  (1173.)  diese  sind  die  Konige  unter  den  Baumen,  daran 
ist  kein  Zweifel.  Der  Himalaya,  der  Pariyatra,  der  Sahya, 
der  Vindhya  und  der  Trikiitavan, 

5.  (1174.)  der  Qveta,  der  Nila,  der  Bhasa  und  der  Berg 
Koshthavan,  der  Guruskandha,  der  Mahendra  und  der  Berg 
Malyavan, 

6.  (1175.)  diese  sind  die  Konige  unter  den  Bergen;  ebenso 
sind  es  die  Maruts  unter  den  Gotterscharen ,  die  Sonne  ist 
der  Fiirst  unter  den  Planeten,  der  Mond  unter  den  Sternen; 

7.  (1176.)  Yama  ist  der  Fiirst  unter  den  Abgeschiedenen, 
der  Ozean  unter  den  Fliissen;  Varuna  gilt  als  Konig  der 
Wasser,  Indra  als  Konig  der  Winde. 

8.  (1177.)  Die  Sonne  ist  der  Fiirst  unter  den  Glutkorpern, 
der  Mond  unter  den  Ilimmelslichtern,  das  Feuer  ist  fiir  immer 
der  Herr  der  Elemente,  Brihaspati  der  Brahmanen, 


Adhyaya  43  (B.  43).  967 

9.  (1178.)  Soma  ist  der  Herr  der  Pflanzen,  Vishnu  der 
Oberste  unter  den  Starken,  Tvashtar  (der  Bildner)  ist  der 
Oberherr  der  Gestalten,   der  Beherrscher  der  Tiere  ist  Qiva; 

10.  (1179.)  holier  als  die  Weihen  steht  das  Opfer,  hoher 
als  die  Gotter  Maghavan  (Indra) ;  an  der  Spitze  der  Himmels- 
gegenden  steht  die  nordhche,  an  der  der  Brahmanen  der 
machtige  Konig  Soma. 

11.  (1180.)  Kubera  ist  der  Herr  aller  Schatze,  Purandara 
(Indra)  aller  Gottheiten;  diese  Schopfung  ist  der  Oberherr 
iiber  die  Elemente  und  Prajapati  iiber  die  Geschopfe. 

12.  (1181.)  Aber  der  Oberherr  aller  Wesen  bin  ich,  der 
aus  Brahman  bestehende  Grofse,  und  es  gibt  kein  hoheres 
Wesen  als  mich  oder  auch  als  Vishnu  [der  mit  mir  identisch  ist]. 

13.  (1182.)  Der  Oberkonig  aller  Konige  ist  Vishnu,  der 
aus  Brahman  bestehende  Grofse;  erkennet  seine  Gottherrlich- 
keit,  erkennet  ihn  als  den  Schopfer,  den  Unerschaffenen, 
als  Hari. 

14.  (1183.)  Uber  Menschen,  Kinnara's,  Yaksha's,  Gan- 
dharva's,  Schlangen,  Rakshas,  Gotter,  Danava's,  Naga's,  iiber 
diese  alle  ist  er  der  Herr. 

15.  (1184.)  Aber  liber  alle,  denen  die  Verehrer  der  Ge- 
schlechtslust  nachstellen,  ist  Herrin  die  schonaugige  Mahe- 
Qvari,  Mahadevi,  denn  sie  ist  es,.  welche  Parvati  genannt  wird. 

16.  (1185.)  Sie,  die  Gottin  Uma,  die  Schone,  ist  die  hochste 
unter  den  Frauen,  das  sollt  ihr  wissen,  aber  unter  den  [iibri- 
gen]  Weibern  sind  es  die  an  Schatzen  der  Liebesfreuden 
reichen  Apsaras. 

17.  (1186.)  Konige  sind  Freunde  des  Rechts,  aber  die 
Briicke  des  Rechts  sind  die  [den  Veda  lehrenden  Brahmanen] ; 
darum  soil  der  Konig  bemiiht  sein,  die  Brahmanen  zu  be- 
schiitzen. 

18.  (1187.)  Denn  Konige,  in  deren  Reich  die  Guten  Not 
leiden,  gehen  aller  ihrer  Vorziige  verlustig  und  geraten  nach 
dem  Tode  auf  Abwege. 

19.  (1188.)  Aber  Konige,  in  deren  Reich  die  Guten  Schutz 
finden,  haben  Freude  in  dieser  Welt  und  geniefsen  nach  dem 
Tode  Gluckseligkeit. 

20.  (1189.)    Das   ist   es,   was   die  Hochherzigen   erlangen, 


968  IV.    Anugita. 

das  sollt  ihr  wissen,  o  Beste  der  Brahmanen.  Weiter  will 
ich  verkiindigen,  welches  das  bestimmte  Merkmal  der  Ge- 
rechtigkeit  ist. 

21.  (1190.)  Nichtschadigung  ist  die  hochste  Gerechtigkeit; 
Schadigung  ist  das  Merkmal  der  Ungerechtigkeit.  Das  Merk- 
mal der  Gotter  ist  das  Licht,  das  Merkmal  der  Menschen 
das  Werk. 

22.  (1191.)  Der  Ather  hat  als  Merkmal  den  Ton,  der  Wind 
als  Merkmal  das  Gefiihl;  das  Merkmal  der  Lichtelemente  ist 
die  Sichtbarkeit ;  das  Wasser  hat  als  Merkmal  den  Geschmack. 

23.  (1192.)  Die  Tragerin  aller  Wesen,  die  Erde,  hat  als 
Merkmal  den  Geruch;  die  aus  Vokalen  und  Konsonanten  sich 
gestaltende  Bharati  (Rede)  hat  als  Merkmal  den  Schall. 

24.  (1193.)  Das  Merkmal  des  Manas  ist  die  Wahrnehmung, 
die  Wahrnehmung  hat  die  Erkenntnis  als  Merkmal ;  und  die 
durch  das  Manas  wahrgenommenen  Objekte  werden  determi- 
niert  durch  die  Buddhi; 

25.  (1194.)  denn  fiir  die  Buddhi  ist  charakteristisch  das 
Determinieren,  so  dafs  kein  Zweifel  mehr  bleibt.  Meditieren 
ist  ein  Merkmal  des  Manas,  Im  iibrigen  ist  es  das  Merkmal 
eines  guten  Menschen,  im  Verborgenen  zu  leben. 

26.  (1195.)  Das  Merkmal  des  Yoga  ist  Tatigkeit  [Prana- 
yama  usw.] ;  die  Erkenntnis  ist  das  Merkmal  der  Entsagung ; 
darum  soil  der  Weise  die  Erkenntnis  ins  Auge  fassen  und 
sodann  entsagen. 

27.  (1196.)  Der  mit  Erkenntnis  ausgeriistete  Entsagende 
erlangt  das  hochste  Ziel;  die  Gegensatze  iiberschreitend,  er- 
langt  er  es,  indem  er  Finsternis,  Tod  und  Alter  hinter  sich  lafst, 

28.  (1197.)  Was  mit  der  Charakteristik  der  Gerechtigkeit 
zusammenhangt,  habe  ich  euch  nach  der  Vorschrift  mitgeteilt. 
Weiterhin  werde  ich  vollstandig  darlegen,  wie  die  Eigen- 
schaften  [der  Elemente]  perzipiert  werden. 

29.  (1198.)  Was  zunachst  den  der  Erde  angehorigen  Ge- 
ruch betrifft,  so  wird  er  perzipiert  durch  die  Nase,  und  der 
in  der  Nase  wohnende  Windgott  wird  zur  Erkenntnis  des 
Geruches  verwendet. 

30.  (1199.)  Die  Essenz  des  Wassers  ist  immer  der  Ge- 
schmack, er  wird  perzipiert  durch  die  Zunge,  und  der  in  der 


Adhyaya  43  (B.  43).  969 

Zunge  wohnende  Soma  (Mondgott)   wird  zur  Erkenntnis  des 
Geschmackes  verwendet. 

31.  (1200.)  Die  Qualitat  des  Lichtes  ist  die  Sichtbarkeit; 
sie  wird  perzipiert  durch  das  Auge,  und  der  allezeit  im  Auge 
wohnende  Sonnengott  wird  zur  Erkenntnis  der  Sichtbarkeit 
verwendet. 

32.  (1201.)  Dem  Winde  ist  allezeit  angehorig  das  Gefiihl, 
und  es  wird  perzipiert  durch  die  Haut,  und  der  allezeit  in 
der  Haut  wohnende  Windgott   wird  beim  Fiihlen  verwendet. 

33.  (1202.)  Die  Qualitat  des  Athers  ist  jene  bekannte  und 
wird  perzipiert  durch  das  Ohr,  und  die  Gottheiten  der  Himmels- 
gegenden,  welche  samtlich  im  Ohre  wohnen,  werden  genannt 
als  helfend  bei  der  Erkenntnis  des  Tones. 

34.  (1203.)  Die  Qualitat  des  Manas  ist  die  Wahrnehmung, 
und  sie  wird  perzipiert  durch  das  Bewufstsein,  und  die  im 
Herzen  wohnende  geistige  Essenz  wird  verwendet  bei  der  Er- 
kenntnis des  Manas. 

35.  (1204.)  Die  Buddhi  wird  an  dem  Determinieren  [er- 
kannt]  und  der  Mahan  am  Erkennen ;  durch  ihr  determinieren- 
des  Perzipieren  wird  das  Undeutliche  zum  Deutlichen,  so  dafs 
kein  Zweifel  bleibt. 

36.  (1205.)  Ohne  Merkmal  wird  perzipiert  der  bestandige, 
seiner  Natur  nach  gunalose  Kshetrajna  (das  Subjekt  des  Er- 
kennens);  darum  ist  der  Kshetrajna  ohne  Merkmal  und  hat 
als  Kennzeichen  nur  das  Bewufstsein. 

37.  (1206.)  Das  Avyaktam  (die  Prakriti)  wird  als  Kshetram 
[Wohnsitz  des  Kshetrajfia]  bezeichnet  und  als  das,  aus  wel- 
chem  die  Guna's  hervortreten  und  worein  sie  wieder  zuriick- 
gehen;  wenn  ich  mich  in  dasselbe  aufgelost  haben  werde, 
dann  werde  ich  es  bestandig  sehen,  horen  und  erkennen. 

38.  (1207.)  Dieses  [Kshetram]  erkennt  der  Purusha,  darum 
wird  er  Kshetrajfia  genannt;  und  auch  die  Entwicklung  der 
Guna's,  wie  sie  vor  sich  geht,  schaut  der  Kshetrajfia  voll- 
standig. 

39.  (1208.)  Anfang,  Mitte',  Niedergang  und  Ende  erfahrt 
das  Ungeistige,  indem  es  geschaffen  wird ;  die  Guna's  konnen 
den  Atman  nicht  erkennen,  obgleich  sie  immer  wieder  und 
wieder  geschaffen  werden. 


970  IV.    Aimgita. 

40.  (1209.)  Keiner  findet  die  Wahrheit,  sondern  der  Kshe- 
trajfia  ist  es,  der  sie  findet,  sie,  die  Grofse,  Allerhochste, 
welche  iiber  Guna's  und  Gunaprodukte  erhaben  ist. 

41.  (1210.)  Darum  soil  der  des  Rechten  Kundige  die  Guna's 
und  sogar  das  Sattvam  hinter  sich  lassen  und  frei  von  Siinde 
und  iiber  die  Guna's  erhaben  in  den  Kshetrajfia  eingehen. 

42.  (1211.)  Frei  von  den  Gegensatzen,  vom  Verehren  und 
vom  Svaha-rufen,  wird  er  zum  unerschiitterlichen ,  heimat- 
losen  Kshetrajfia,  welcher  der  hochste  Herr  ist. 

So  lautet  in  der  Auugita  der  aohtundzwanzigste  Adhy&ya. 


Adhyaya  44  (B.  44). 

Vers  1212-1233  (B.  1-22). 

Der  Gott  Brahman  sprach: 

1.  (1212.)  Was  Anfang,  Mitte  und  Ende  hat  und  ein  Mittel 
besitzt,  durch  das  es  perzipiert  wird,  und  was  auch  mit  dem 
Merkmal  eines  Namens  verbunden  ist,  das  alles  will  ich  der 
Wahrheit  gemafs  erklaren. 

2.  (1213.)  Der  Tag  ist  der  Anfang,  und  ihm  folgt  die 
Nacht.  Die  Monate  haben  die  helle  Monatshalfte  als  Anfang. 
Die  Sternbilder  beginnen  mit  dem  Sternbilde  Qravana  (Aquila), 
die  Jahreszeiten  mit  dem  QiQira  [der  kalten  Jahreszeit,  Mitte 
Januar  bis  Mitte  Marz]. 

3.  (1214.)  Die  Erde  ist  der  Ursprung  (Anfang)  der  Ge- 
riiche,  das  Wasser  der  Geschmacke,  das  Licht,  die  Sonne, 
der  Gestalten,  der  Wind  der  Gefiihle, 

4.  (1215.)  und  der  Ather  ist  der  Ursprung  des  Tones.  Das 
ist  die  Qualitat,  wie  sie  von  jedem  Element  hervorgebracht 
wird.  —  Weiter  will  ich  den  letzten  Ursprung  der  Wesen 
erklaren. 

5.  (1216.)  Die  Sonne  ist  der  Ursprung  der  Lichter,  das 
Feuer  (die  Warme)  der  Ursprung  der  Wesen,  die  Savitri  [die 
Sonnenstrophe,  Rigveda  3,62,10]  aller  Wissenschaften,  Praja- 
pati  aller  Gotter. 

6.  (1217.)    Der  heilige  Laut   Om  ist   der   Ursprung    aller 


Adhyaya  44  (B.  44).  971 

Veden,  der  Aushauch  aller  Worte;  alles  was  in  dieser  Welt 
vedisches  Gebot  ist,  wird  unter  dem  Worte  Savitri  befafst. 

7.  (1218.)  Die  Gayatri  ist  der  Anfang  der  Versmafse,  die 
Schopfung  der  Anfang  der  Geschopfe ;  die  Kiihe  sind  der  An- 
fang der  Vierfiifsler,  die  Brahmanen  der  Menschen. 

8.  (1219.)  Der  Adler  ist  der  erste  unter  den  Vogeln,  das 
Opfer  die  hochste  unter  den  Verehrungen,  das  edelste  unter 
alien  kriechenden  Tieren  ist  die  Schlange,  o  Beste  der 
Brahmanen. 

9.  (1220.)  Das  erste  aller  Weltalter  ist  ohne  Zweifel  das 
Kritam,  unter  alien  Kleinodien  steht  das  Gold,  unter  alien 
Pflanzen  die  Gerste  am  hochsten. 

10.  (1221.)  Unter  allem  Efsbaren  und  Geniefsbaren  gilt  als 
Hochstes  die  [Reis-]  Speise ,  und  unter  allem  Fliissigen  und 
Trinkbaren  das  Beste  ist  das  Wasser. 

11.  (1222.)  Aber  unter  alien  pflanzlichen  Wesen  ohne  Aus- 
nahme  steht  obenan  der  Plaksha  (Feigenbaum)  als  ewig  ge- 
heiligter  Wohnsitz  des  Brahman. 

12.  (1223.)  Ich  iiberrage  alle  Prajapati's  (Schopfer)  ohne 
Zweifel,  mich  aber  Vishnu;  als  der  Unausdenkbare,  Durch- 
sichselbstseiende  wird  er  gefeiert. 

13.  (1224.)  Von  alien  Bergen  gilt  der  grofse  Meru  als  Erst- 
geborener,  iiber  Himmelsgegenden  und  Zwischengegenden  er- 
haben  steht  als  erste  die  ostliche  Himmelsgegend  da. 

14.  (1225.)  Ebenso  gilt  die  auf  drei  Wegen  [Himmel,  Erde 
und  Unterwelt]  fliefsende  Gaiiga  als  die  Erstgeborene  unter 
den  Fliissen,  aber  unter  alien  Gewassern  und  Wasserbehaltern 
als  Erstgeborener  gilt  der  Ozean. 

15.  (1226.)  Unter  Gottern,  Damonen,  Geistern,  Kobolden, 
Schlangen,  Unholden,  Menschen,  Halbmenschen  und  Halb- 
gottern  ist  tgvara  (Qiva)  der  Hochste. 

16.  (1227.)  Aber  der  Ursprung  der  ganzen  Welt  ist  Vishnu, 
der  aus  Brahman  bestehende  Grofse;  hoher  als  er  ist  kein 
Wesen  in  dieser  ganzen  dreifachen  Welt. 

17.  (1228.)  Unter  alien  Lebensstadien  steht  ohne  Zweifel 
der  Stand  des  Hausvaters  obenan;  der  Ursprung  der  Welten 
und  ebenso  das  Ende  von  allem  ist  das  Avyaktam  (Prakriti). 

18.  (i'J29.)  Das  Ende  der  Tage  ist  der  Sonnenuntergang,  das 


972  IV.    Anugita. 

Ende  der  Nacht  der  Sonnenaufgang;  das  Ende  derLust  ist  immer 
Leid,  das  Ende  des  Leides  ist  immer  Lust  (vgl.  oben,  S.  113). 

19.  (1230.)  Alle  Anhaufungen  endigen  mit  Vernichtung, 
alle  Erhebungen  mit  Herabstiirzen ;  Verbindung  endet  mit 
Trennung,  das  Leben  mit  dem  Tode. 

20.  (1231.)  Alles  Entstandene  endet  mit  Vergang,  allem 
Geborenen  ist  der  Tod  gewifs;  nicht  dauernd  ist  in  dieser 
Welt  stets  das  Unbewegliche  und  das  Bewegliche. 

21.  (1232.)  Opfer,  Schenken,  Askese,  Vedastudium,  Ge- 
liibde  und  Observanzen,  alles  dieses  geht  zu  Ende,  aber  ein 
Ende  der  Erkenntnis  gibt  es  nicht. 

22.  (1233.)  Darum  soil  man  durch  reines  Erkennen  sein 
Selbst  beruhigen,  seine  Sinne  bezahmen;  dann  wird  man  ohne 
Selbstsucht,  ohne  Ichbewufstsein  und  erlost  von  allem  Ubel 
werden. 

So  lautet  in  der  Anugita  der  neunundzwanzigste  Adhyaya. 


Adhyaya  45  (B.  45). 

Vers  1234-1258  (B.  1-25). 

Der  Gott  Brahmau  sprach: 

1.  (1234.)  Die  Buddhi  ist  sein  Kernstiick,  das  Manas  ist 
sein  Speichenwerk,  die  Schar  der  Sinnesorgane  ist  sein  Rad- 
kranz,  die  grofsen  Elemente  sind  seine  Felgen  [die  Schulter- 
stiicke  des  Radkranzes],  die  Griindung  des  Haushaltes  ist 
sein  Reifen; 

2.  (1235.)  mit  Alter  und  Kummer  ist  es  behaftet,  in  Krank- 
heit  und  Leidenschaft  sein  Dasein  fristend,  in  Raum  und  Zeit 
hinrollend,  von  Ermiidung  und  Anstrengung  knarrend; 

3.  (1236.)  Tag  und  Nacht  umstauben  es,  Kalte  und  Hitze 
umkreisen  es,  die  Zustande  von  Lust  und  Leid  umschlingen 
es,  Hunger  und  Durst  umnageln  es; 

4.  (1237.)  durch  Schatten  und  Glut  zerkratzt,  im  Schliefsen 
und  Offnen  der  Augen  erzitternd,  von  dem  furchtbaren  Wasser 
der  Verblendung  bespritzt,  rollt  es  dahin  ohne  Bewufstsein. 

5.  (1238.)  Monate  und  Halbmonate  zahlen  seine  Um- 
drehungen,  so  rollt  es  holpernd  durch  die  Welt,  aufgehalten 


Adhy^ya  45  (B.  45).  973 

durch   den    Schlamm   des  Tamas,   fortgetrieben    durch    den 
Drang  des  Rajas; 

6.  (1239.)  vom  grofsen  Ahankara  in  Glut  versetzt,  von  den 
Guna's  in  Drehung  erhalten,  erleidet  es  den  Widerstand 
hemmender  Unlust  und  roUt  hin  in  krampfendem  Schmerze; 

7.  (1240.)  an  Tatigkeit  und  Ursache  gekettet,  von  Leiden- 
schaften  aufgehalten,  lang  hinrollend,  von  Begierde  und  Hab- 
sucht  geschlittelt,  in  mannigfachem  Nichtwissen  sein  Dasein 
fristend, 

8.  (1241.)  von  Furcht  und  Verblendung  umhiillt,  bewirkt 
es  Verwirrung  der  Wesen,  bewegt  sich  durch  Liiste  und 
Freuden,  verstrickt  sich  in  Begierde  und  Zorn; 

9.  (1242.)  das  ist  das  vom  Mahan  bis  zu  den  Vigesha's 
(spezifische  Quahtaten)  sich  erstreckende ,  unaufhaltsame, 
ewig  neu  entstehende,  wie  die  Wiinsche  schnell  und  von  den 
Wiinschen  gehatschelt  dahinrollende  Rad  der  Zeit. 

10.  (1243.)  Dieses  an  die  Gegensatze  gebundene  und  des 
Geistigen  ermangelnde  Rad  der  Zeit  soil  man  abtun,  soil 
man  vernichten  und  die  unsterbliche  Welt  in  sich  zum  Er- 
wachen  bringen  (vgl.  oben,  Vers  iiei). 

11.  (1244.)  Wer  sich  die  Bewegung  und  den  Stillstand 
des  Rades  der  Zeit  der  Wahrheit  gemafs  immerfort  zum  Be- 
wufstsein  bringt,  der  Mann  bleibt  unter  den  Wesen  ohne 
Verblendung. 

12.  (1245.)  Befreit  von  alien  Einpragungen  fsamsMraJ,  er- 
lost  von  alien  Gegensatzen,  befreit  von  alien  Ubeln,  erlangt 
er  das  hochste  Ziel. 

13.  (1246.)  Der  Hausvater,  der  Brahmanschiiler,  der  Wald- 
einsiedler  und  der  Bettler  [d.  h.  der  Sannyasin],  das  sind  die 
vier  Lebensstadien ;  sie  alle  haben  ihre  Wurzel  im  Stadium 
des  Hausvaters. 

14.  (1247.)  Alle  heiligen  Lehren,  welche  in  dieser  Welt 
anbefohlen  werden,  diese  zu  Ende  durchzufiihren  ist  das  Beste, 
ihre  Anbefehlung  ist  eine  ewige. 

15.  (1248.)  Durch  Weihen  zuerst  zubereitet  und  das  Ge- 
Itibde  gehorig  befolgend,  moge  der  Wahrheitswisser  in  einem 
durch  Tugend  ausgezeichneten  Lebenslaufe  verharren. 


974  IV.    Anugita. 

16.  (1249.)  Mit  der  eigenen  Gattin  sich  immer  begniigend, 
den  Wandel  der  Guten  fuhrend  und  seine  Sinne  bezahmend, 
soil  er  hienieden  die  fiinf  grofsen  Opfer  [fiir  die  Gotter,  Eishi's, 
Manen,  Menschen  und  Tiere]  im  Glauben  darbringen, 

17.  (1250.)  essend,  was  Gotter  und  Gaste  iibriglassen,  an 
den  Vedawerken  sich  erfreuend  und  Opfer  und  Spenden  iibend 
nach  Kraft  und  mit  Lust. 

18.  (1251.)  Nicht  hastig  mit  Handen  und  Fiifsen,  nicht 
hastig  mit  den  Augen  ist  der  Muni,  noch  auch  hastig  mit 
Rede  und  Gliedern,  so  ist  der  Kreis,  in  dem  sich  der  Gute 
bewegt. 

19.  (1252.)  Immer  trage  er  die  heilige  Opferschnur  und 
ein  weifses  Kleid  mit  reinem  Geliibde,  bestandig  in  Bezahmung 
und  Geben,  weile  er  immer  in  Gesellschaft  der  Guten. 

20.  (1253.)  Geschlechtsglied  und  Bauch  im  Zaume  haltend, 
freundlich  und  den  Wandel  der  Guten  befolgend,  trage  er 
den  Bambusstab  und  den  Wasserkrug. 

21.  (1254.)  Studieren  und  Lehren  betreibe  er,  sowie  das 
Opfern  fiir  sich  und  andere,  das  Geben  und  das  Nehmen, 
diese  sechsfache  Tatigkeit  soil  er  iiben. 

22.  (1255.)  Drei  Tatigkeiten,  das  soil  man  wissen,  dienen 
zu  der  Brahmanen  Lebensunterhalt :  das  Opfern  fur  andere 
und  das  Lehren,  diese  beiden  und  das  Annehmen  der  Gaben 
von  einem,  der  rein  ist. 

23.  (1256.)  Ferner  was  die  iibrigen  drei  Werke  betrifft, 
namlich  Geben,  Studieren  und  Opfern,  so  liegen  ihm  diese 
als  Pflicht  ob. 

24.  (1257.)  In  diesen  drei  Werken  soil  der  Pflichtkundige 
behutsam  sich  iiben;  bezahmt,  freundlich,  geduldig  und  bei 
alien  Wesen  gleichmiitig  soil  der  Muni  sein. 

25.  (1258.)  Wenn  der  Brahmane  alles  dieses  nach  Kraften 
und  in  reiner  Absicht  ausiibt,  dann  wird  er  als  ein  diesem 
hingegebener  und  sein  Geliibde  scharf  ausiibender  Hausvater 
den  Himmel  erwerben. 

So  lautet  in  der  Anngitd.  der  dxeifsigste  Adby&ya. 


Adhyaya  46  (B.  46).  975 

Adhytiya  46  (B.  46). 

Vers  1259-1316  (B.  1-58). 

Der  Gott  Brahman  sprach: 

1.  (1259.)  Wenn  er  so  auf  dem  vorher  beschriebenen  Wege 
der  Vorschrift  gemafs  nach  Kraften  studiert  und  ebenso  die 
Keuschheit  beobachtet  hat, 

2.  (1260.)  an  seiner  Pflicht  sich  erfreuend,  weise,  alle  Sinne 
bezahmend,  schweigsam,  hingegeben  dem,  was  dem  Lehrer 
lieb  und  niitzlich  ist,  Wahrlieit  und  Recht  als  das  Hochste 
schatzend  und  rein, 

3.  (12G1.)  moge  er  mit  Erlaubnis  des  Lehrers  die  Nahrung 
zu  sich  nehmen,  ohne  sie  zu  tadeln,  von  Opfergaben  und  Er- 
betteltem  sich  nahrend,  stehend,  sitzend  und  wandelnd  [wie 
es  der  Lehrer  befiehlt], 

4.  (1262.)  zweimal  am  Tage  im  Feuer  opfernd,  sich  rein 
haltend  und  gesammelt.  Er  moge  allezeit  den  Stab  aus  Bilva- 
holz  oder  Palagaholz  tragen. 

5.  (1263.)  Aus  Leinwand,  Baumwolle  oder  aus  einem  Anti- 
lopenfelle  gefertigt,  ganz  gelbhch  oder  rot  oder  wie  es  sonst 
der  Zwiegeborene  tragt,  sei  das  Gewand. 

6.  (1264.)  Sein  Giirtel  sei  aus  Munjagras,  er  trage  die 
Haarflechte  und  habe  immer  Wasser  zur  Hand ;  mit  der  Opfer- 
schnur  sei  er  umgiirtet,  dem  Studium  ergeben,  nicht  begehr- 
hch,  treu  in  seinem  Geliibde. 

7.  (1265.)  Allezeit  mit  reinem  Wasser  Erfreuung  der  Gott- 
heiten  bewirkend  und  in  seinem  Charakter  bestandig,  so  ist 
der  Brahmacarin  des  Lobes  wiirdig. 

8.  (1266.)  In  derselben  Weise  hingegeben,  erobert  die 
Himmelswelten  der  seine  Sinne  iiberwunden  habende  Wald- 
einsiedler  (vdnaprasthaj  \  er  wandert  nicht  mehr  um  in  Wieder- 
geburten,  nachdem  er  die  hochste  Statte  errungen  hat. 

9.  (1267.)  Geheiligt  durch  alle  Sakramente  und  ebenso  [wie 
der  Brahman schiiler]  Keuschheit  beobachtend,  moge  er  das 
Dorf  verlassen  und  im  Walde  als  Einsiedler  heimatlos  wohnen. 

10.  (1268.)  Sich  kleidend  in  Tierfelle  oder  Gewander  aus 
Baumbast,  moge  er  abends  und  morgens  die  Waschungen 


976  IV.    Anugita. 

vollziehen,   fiir  immer  im  Walde   seinen  Aufenthalt  nehmen 
und  das  Dorf  nicht  mehr  betreten. 

11.  (1269.)  Die  Gaste  zur  Essenszeit  ehrend,  gewahre  er 
ihnen  auch  Unterkunft,  wahrend  er  selbst  sich  mit  Friichten, 
abgefallenen  Blattern,  Wurzeln  und  Hirse  behilft. 

12.  (1270.)  Er  halte  sich  an  das  vorhandene  Wasser,  den 
Wind  und  alias,  was  im  Walde  vorkommt,  und  geniefse  es 
eins  nach  dem  andern,  seiner  Weihe  entsprechend  und  ohne 
es  miide  zu  werden. 

13.  (1271.)  Mit  Wurzeln,  Friichten  und  Erbetteltem  moge 
er  den  Gast  ehren,  der  ihn  besucht;  was  er  zu  essen  hat, 
das  Erbettelte,  davon  gebe  er  mit,  allezeit  unermiidlich. 

14.  (1272.)  Er  esse  allezeit  erst  nach  den  Gottern  und  den 
Gasten,  indem  er  das  Keden  unterdriickt,  wenig  essend,  doch 
ohne  darein  seinen  Ehrgeiz  zu  setzen,  auf  die  Gotter  ver- 
trauend. 

15.  (1273.)  Bezahmt,  wohlwollend,  geduldig,  Haare  und 
Bart  wachsen  lassend,  opfernd  und  fleifsig  im  Studieren, 
Wahrheit  und  Gerechtigkeit  vor  allem  schatzend, 

16.  (1274.)  rein  am  Leibe  und  allezeit  wacker,  bestandig 
im  Walde  lebend,  gesammelten  Geistes,  —  diesem  sich  hin- 
gebend,  wird  der  Waldeinsiedler  seine  Sinne  ilberwinden  und 
den  Himmel  erwerben. 

17.  (1275.)  Als  Hausvater  und  als  Brahmanschiiler  oder 
auch  als  Waldeinsiedler  moge,  wer  die  Erlosung  zu  erlangen 
wiinscht,  der  vollkommensten  Lebensweise   sich  befleifsigen. 

18.  (1276.)  Allen  Wesen  Furchtlosigkeit  gewahrend,  moge 
er  in  Untatigkeit  verharren,  an  alien  Wesen  sich  freuend, 
wohlwollend,  alle  Sinne  bezahmend  und  schweigsam. 

19.  (1277.)  Unerbetenes ,  Unbereitetes ,  wie  es  sich  gerade 
trifft,  erlangt  er,  Almosen  sammelnd,  indem  er  dies  des  Vor- 
mittags  tut,  bei  Leuten,  wo  es  nicht  mehr  raucht  und  die 
schon  gegessen  haben. 

20.  (1278.)  Erst  nachdem  die  Teller  aufgeraumt  sind,  soil 
der  Erlosungskundige  um  Almosen  bitten;  er  soil  sich  nicht 
freuen,  wenn  er  es  erhalt,  und  nicht  ungehalten  sein,  wenn 
er  nichts  erhalt.    [Der  folgende  Halbvers  nur  in  B.]    Er  soil 


Adhyaya  46  (B.  4B).  977 

nicht  im  Ubermafs  Almosen  fordern,   da  er  imr  sein  Leben 
erhalten  will. 

21.  (1279.)  Um  sein  Leben  zu  erhalten,  soil  er  mit  ruhigem 
Gemiite  betteln,  indem  er  die  Zeit  abwartet.  Er  soil  nicht 
mit  anderen  zusammen  betteln  und  er  soil  nicht  essen  unter 
Ehrenbezeigungen. 

22.  (1280.)  Denn  als  Bettler  soil  er  es  vermeiden,  Ehren- 
bezeigungen zu  empfangen.  Wenn  die  genossenen  Speisen 
bitter  oder  herb  oder  scharf  schmecken, 

23.  (1281.)  so  soli  er  den  Geschraack  nicht  beachten,  wenn 
er  ifst,  und  ebensowenig  den  siifsen  Geschmack.  Nur  soviel, 
um  zu  leben,  soil  er  essen,  nicht  mehr  als  hinreicht,  das 
Leben  zu  unterhalten. 

24.  (1282.)  Ohne  andere  Wesen  zu  beeintrachtigen ,  soil 
der  Erlosungskundige  nach  seinem  Lebensunterhalt  streben. 
Auch  soil  er,  wenn  er  bettelt,  niemals  andere  [lies:  ant/ad] 
Speise  fordern  [als  die,  welche  man  ihm  gibt]. 

25.  (1283.)  Er  soil  sich  nicht  mit  seiner  Frommigkeit 
briisten,  sondern  ohne  Leidenschaft  in  der  Einsamkeit  wan- 
dern;  eine  leere  Behausung,  einen  Wald,  die  Wurzel  eines 
Baumes  oder  einen  Flufs 

26.  (1284.)  soil  er  als  Obdach  aufsuchen  oder  auch  eine 
Berghohle.  Im  Sommer  soil  er  nur  eine  Nacht  durch  Be- 
sucher  eines  Dorfes  sein,  aber  wahrend  der  Regenzeit  mag 
er  an  demselben  Orte  verbleiben. 

27.  (1285.)  Sein  Weg  wird  ihm  durch  die  Sonne  gezeigt. 
Die  Erde  soil  er  durchschweifen  wie  ein  Insekt.  Zur  Schonung 
der  Wesen  soil  er,  auf  die  Erde  blickend,  wandern. 

28.  (1286.)  Er  soil  keine  Vorrate  ansammeln  und  keine 
Lieblingsorte  haben ;  sondern  mit  reinem  Wasser  soil  er,  der 
Erlosungskundige,  allezeit  die  Pflicht  ausiiben. 

29.  (1287.)  Waschen  soil  sich  der  Mensch  stets  mit  frisch- 
geschopftem  Wasser;  Nichtschadigung,  Keuschheit,  Wahr- 
haftigkeit,  Geradheit, 

30.  (1288.)  Zornfreiheit ,  Nichtmurren,  Bezahmung  allezeit 
und  Nichthinterbringen,  diesen  acht  Geliibden  soil  er  immer 
treu  bleiben,  seine  Sinne  bezahmend. 

31.  (1289.)  Immer  soil  er  ein  nicht  boshaftes,  nicht  tiickisches, 

Deubsbn,  Mahd,bhfl,ratam.  62 


978  IV.    Amigita. 

nicht  krumme  Wege  gehendes  Betragen  einhalten;  als  Nah- 
rung  soil  er  sich  den  dargebotenen  Imbifs  schmecken  lassen 
ohne  Neid. 

32.  (1290.)  Nur  um  sich  zu  erhalten,  soil  er  essen,  und 
nur  soviel,  wie  zu  seinem  Lebensunterhalte  dient;  so  moge 
er  sich  nahren  von  dem  rechtmafsig  Empfangenen  und  nicht 
seinen  Llisten  nachhangen. 

33.  (1291.)  Was  iiber  Ernahrung  und  Bedeckung  hinaus- 
reicht,  das  soil  er  unter  keinen  Umstanden  annehmen;  soviel, 
als  er  zur  Nahrung  bedarf,  mag  er  annehmen,  und  nicht  mehr. 

34.  (1292.)  Fiir  andere  soil  er  nichts  annehmen,  noch  auch 
ihnen  etwas  mitgeben,  nur  dafs  er  als  verstandiger  Mann 
immer  abgibt,  wo  er  ein  Wesen  im  Elend  sieht. 

35.  (1293.)  Er  soil  nicht  nehmen,  was  anderen  gehort,  noch 
auch  zugreifen,  ohne  aufgefordert  zu  sein;  in  keinem  Falle 
darf  er,  wenn  er  etwas  genossen  hat,  wiederum  danach  Ver- 
langen  tragen. 

36.  (1294.)  Erde  und  Wasser  (dpas  als  Ace),  Nahrungs- 
mittel,  Blatter,  Blumen  und  Friichte  mag  er  nehmen,  soweit 
sie  nicht  eingezaunt  sind  und  frei  wachsen,  wenn  er  sie 
braucht. 

37.  (1295.)  Er  soil  nicht  von  einem  Kunstgewerbe  leben, 
noch  auch  nach  Gold  trachten;  er  soil  nicht  hassen  und  seine 
Belehrung  nicht  aufdrangen,   sondern  ohne  Zuriistung  leben. 

38.  (1296.)  Er  soil  essen,  was  kraft  seines  Glaubens  ge- 
reinigt  ist,  soil  Zeichendeutungen  meiden,  wohlgemut  leben, 
ohne  an  etwas  zu  hangen  und  ohne  sich  bemerkbar  zu  machen, 
bei  wem  es  auch  sei. 

39.  (1297.)  Alles,  was  mit  Wiinschen  verbunden  ist,  und 
alles,  was  mit  Schadigungen  verbunden  ist,  sowie  alle  Ver- 
anstaltuhgen ,  die  Menschen  zu  regieren,  soil  er  nicht  be- 
treiben,  noch  auch  betreiben  lassen. 

40.  (1298.)  Sich  alien  Verbal tnissen  enthebend,  soil  er 
leichtgeschiirzt  umherschweifen,  gleichmiitig  gegeniiber  alien 
Wesen,  den  unbeweglichen  wie  den  beweglichen. 

41.  (1299.)  Er  soil  keinen  andern  erzittern  machen  und 
auch  vor  keinem  erzittern,  alien  Wesen  Vertrauen  einflofsend, 
dann  wird  er  ein  hochster  Kenner  der  Erlosung  genannt. 


Adhy^ya  -tO  (B.  46).  979 

42.  (1300.)  Fiir  die  Zukunft  soil  er  nicht  sorgen,  iiber  das 
Vergangene  nicht  griibeln  und  das  Gegenwartige  nicht  achten, 
unbekiimmert  um  die  Zeit  und  ruhigen  Gemiits. 

43.  (1301.)  Nicht  mit  Blicken,  nicht  mit  Gedanken,  nicht 
mit  Worten  soil  er  irgendwo  verletzen,  nicht  offen  und  nicht 
heimlich  soil  er  irgend  etwas  tun,  was  verletzen  konnte. 

44.  (1302.)  Die  Sinnesorgane  von  iibexallher  in  sich  herein- 
ziehend,  wie  die  Schildkrote  ihre  Glieder,  die  Sinne,  das  Manas 
und  die  Buddhi  vernichtet  habend,  verharrt  ohne  Streben  der 
aller  Wesenheit  Kundige. 

45.  (i3o;5.)  Frei  von  Gegensatzen,  von  Verehrungefi  und 
von  Heilsrufen,  selbstlos,  ohne  Ichbewufstsein ,  ohne  Erwerb 
und  Besitz,  des  Atman  teilhaft, 

46.  (1304.)  ohne  Wiinsche,  ohne  Qualitaten,  beruhigt,  ohne 
Anhiinglichkeit  und  ohne  Abhangigkeit,  an  den  Atman  sich 
haltend  und  die  Wesenheit  erkennend,  wird  er  erlost,  daran 
ist  kein  Zweifel. 

47.  (1305.)  Jenes,  welches  ohne  Fiifse,  Hande  und  Riicken, 
ohne  Kopf  und  ohne  Bauch  ist,  Ihn,  der  frei  von  Qualitaten 
und  Werken,  absolut,  fleckenlos  und  bestandig  ist, 

48.  (1306.)  jenes,  welches  ohne  Geruch,  Geschmack  und 
Geflihl,  ohne  Gestalt  und  Ton  ist,  jenes  Nachfolge  Verdienende, 
Nichtanhangende  und  Fleischlose, 

49.  (1307.)  das  Sorgenfreie,  Unvergangliche,  Himmlische, 
iiberall  Heimische,  den  in  alien  Wesen  wohnenden  Atman,  — 
wer  diesen  sieht,  der  ist  unsterblich. 

50.  (1308.)  Zu  ihm  dringen  nicht  die  Buddhi,  nicht  die 
Sinne,  nicht  die  Gottheiten,  nicht  Veden,  Opfer  und  Welten, 
nicht  Askese,  noch  auch  Geliibde, 

51.  (1309.)  zu  ihm,  dessen  nicht  durch  Merkmale  ergreif- 
bare  Erlangung  den  Wissenden  vorbehalten  blieb ;  darum  wird 
nur  der,  welcher  seine  merkmallose  Beschaffenheit  kennt,  das 
Wesen  seiner  Beschaffenheit  erreichen. 

52.  (1310.)  Hingegeben  der  hauslichen  Pflicht,  soil  der 
Weise  einen  Wandel  des  Wissens  beobachten;  nicht  toricht 
wandle  er  dahin,  als  ware  er  toricht,  doch  ohne  seiner  Pflicht 
Unehre  zu  machen. 

53.  (1311.)   Selbst  auf  die  Gefahr  hin,   dafs   die  anderen 

62* 


980  IV.    Anugita. 

ihn  bestandig  verachten,    wandle  er  in  dieser  Weise  ruhig 
dahin,  doch  ohne  die  Satzung  der  Guten  zu  tadeln. 

54.  (1312.)  Wer  diesen  Wandel  sich  angeeignet  hat,  der 
wird  ein  vollkommener  Muni  genannt,  wenn  er  dabei  Sinne 
und  Sinnendinge  sowie  die  fiinf  grolsen  Elemente 

55.  (1313.)  nebst  Manas,  Buddhi  [lies :  buddhim],  Ahankara, 
Avyaktam  und  Purusha,  dieses  alles,  wie  es  sich  gehort,  durch- 
zahlt,  weil  ihm  die  Prinzipien  zur  Gewifsheit  geworden  sind. 

56.  (1314.)  Alsdann  erlangt  er  den  Himrnel,  erlost  von  alien 
Banden.  Indem  er,  der  Prinzipienkundige ,  dieselben  in  dem 
genannten  Umfange  durchzahlt,  moge  er  sie,  wenn  das 
Ende  naht, 

57.  (1315.)  meditieren,  feststehend  in  dem  einen  Ziele; 
dann  wird  er  erlost,  keiner  Stiitzen  mehr  bediirftig,  frei  von 
allem,   was  ihm  anhing,  wie  der  Wind  in  dem  Weltraume, 

58.  (1316.)  und  frei  von  Hiillen  {koga,  cf.  Taitt.  Up.  2)  und 
ohne  Bedrangnis,  erlangt  er  sodann  jenes  Hochste. 

So  lautet  in  der  Anugita  der  einunddreirsigste  Adhyaya. 


Adhyaya  47  (B.  47). 

Vers  1317-1333  (B.  1-17). 

Der  Gott  Brahman  sprach: 

1.  (1317.)  Als  Askese  haben  bezeichnet  die  Entsagung  die 
Alten,  deren  Aussagen  Gewifsheit  sind;  und  die  Brahmanen, 
die  im  Schofse  des  Brahman  weilen,  wissen,  dafs  die  Er- 
kenntnis  als  hochstes  Ziel  das  Brahman  hat. 

2.  (1318.)  Uberaus  entfernt  nach  seinem  Wesen  ist  das 
Brahman ;  es  beruht  auf  dem  "Wissen  des  Veda ;  ohne  Gegen- 
satze  ist  es  und  ohne  Eigenschaften,  ewig,  von  unausdenk- 
barer  Natur  und  das  Allerhochste. 

3.  (1319.)  Durch  die  Erkenntnis  und  durch  die  Askese 
schauen  die  Weisen  jenes  Hochste,  sie,  welche  gereinigten 
Geistes  und  gelautert,  frei  von  Leidenschaften  und  flecken- 
los  sind. 

4.  (1320.)  Durch  die  Askese  gehen  den  ruhigen  Weg  zum 


Adhyaya  47  (B.  47).  981 

hochsten  Herrn   die  Menschen,   welche  allezeit   sich  an   der 
Entsagung  freuen,  und  die,  welche  des  Brahman  kundig  sind. 

5.  (1321.)  Die  Askese  ist  eine  Leuchte,  so  sagt  man,  ist 
der  rechte  Wandel,  der  die  Pflicht  erfiillt,  aber  die  Erkenntnis 
fiirwahr  ist  die  hochste  Entsagung  und  der  Gipfel  der  Askese, 
das  soil  man  wissen. 

6.  (1322.)  Wer  aber  die  keiner  Stiitze  bediirfende  Erkenntnis 
vermoge  der  Gewifsheit  iiber  die  Prinzipien  besitzt,  wer  den 
in  alien  Wesen  weilenden  Atman  kennt,  der  gilt  fiir  allgegen- 
wartig. 

7.  (1323.)  Wer  als  ein  Wissender  das  Einwohnen  in  den 
Wesen  und  das  Getrenntwohnen  [des  Brahman]  von  ihnen 
sieht,  und  ebenso  seine  Einheit  und  seine  Vielf altigkeit ,  der 
wird  von  Leiden  erlost. 

8.  (1324.)  Wer  nichts  mehr  begehrt  und  nichts  mehr  ver- 
achtet,  der  ist  schon  wahrend  er  in  dieser  Welt  weilt  zur 
Brahmanwerdung  tauglich. 

9.  (1325.)  Wer  die  Prakriti,  die  Guna's  und  die  Prinzipien 
kennt,  wer  die  Prakriti  in  alien  Wesen  weifs,  der  ist  selbst- 
los,  ohne  Ichbewufstsein  und  wird  erlost,  daran  ist  kein  Zweifel. 

10.  (1326.)  Ohne  Gegensatze,  ohne  Verehrung  und  ohne 
Svadharuf  geht  er  ruhevoll  zu  dem  Gunalosen,  Ewigen,  Gegen- 
satzlosen  ein. 

11.  (1327.)  Aufgebend  alles,  was  aus  den  Guna's  besteht, 
und  das  gute  wie  das  bose  Werk  aufgebend,  beides,  das 
Wahre  und  das  Unwahre,  wird  der  Mensch  erlost,  daran  ist 
kein  Zweifel. 

12.  (1328.)  Entspringend  aus  der  Prakriti  als  Wurzel,  die 
Buddhi  als  Stamm  habend,  grofs,  den  grofsen  Ahaiikara  als 
Ast  habend,  die  Sinnesorgane  als  Zweige  und  Hohlungen 
habend, 

13.  (1329.)  iibertrifft  er,  durch  die  grofsen  Elemente  machtig 
entfaltet,  alle  Baume,  stets  voll  Blatter,  stets  voll  Bliiten,  gute 
und  schlechte  Friichte  hervorbringend 

14.  (1330.)  und  alien  Wesen  den  Lebensunterhalt  gewah- 
rend,  —  das  ist  der  ewige  Brahmanbaum.  Der  Weise  haut 
diesen  Baum  ab  und  spaltet  ihn  mit  der  Erkenntnis  der  Prin- 
zipien als  Axt; 


982  IV.    Aimgita. 

15.  (1331.)  er  lost  sich  von  den  Stricken  der  Weltanhang- 
lichkeit,  welche  aus  Geburt,  Tod  und  Alter  stammen,  und 
selbstlos  und  ohne  Ichbewufstsein  wird  er  erlost,  daran  ist 
kein  Zweifel. 

16.  (1332.)  Jene  beiden  ewigen  Vogel  [vielleicht  Buddhi 
und  Ahankara]  sind  alle  beide  miteinander  ungeistig;  aber 
der  andere,  welcher  hoher  als  diese  beiden  ist,  der  wird  ge- 
nannt  der  Geistige. 

17.  (1333.)  Der  [wegen  seiner  Behaftung  mit  den  Guna's] 
ungeistige  innere  Atman  [of.  Mai tr.  Up.  3,2;  Sechzig  Upa- 
nishad's,  S.  323],  nachdem  er  von  der  ganzen  Anzahl 
der  Wesenheiten  befreit  ist,  wird  das  iiber  die  Wesen- 
heiten  Erhabene  inne.  Er,  der  als  Ortskenner  jene  ganze 
Anzahl  erkannte,  iiberschreitet  dann  die  Guna's  und  wird 
von  allem  Ubel  erlost. 

So  lautet  in  der  Anugitii  der  zweiunddrcifsigete  Adhyaya. 


Adhyaya  48  (B.  48). 

Vers  1334-1347  (B.  1-13). 

Der  Gott  Brahman  sprach: 

1.  (1334.)  Einige  glauben,  dafs  der  aus  Brahman  bestehende 
Baum,  einige,  dafs  der  grofse  Brahman wald,  einige,  dafs  das 
Brahman  und  das  Unentfaltete,  einige,  dafs  das  hochste  Leid- 
lose,  (1335.)  dafs  alles  dies  aus  dem  Unentfalteten  entstehe  und 
wieder  vergehe. 

2.  Derjenige,  welcher,  und  ware  es  auch  nur  beim  letzten 
Aushauche,  zur  Zeit  des  Endes  gleichmiitig  auf  alles  blickt 
(1336.)  und  sich  auf  den  Atman  zuriickzieht ,  der  ist  reif  fiir 
die  Unsterblichkeit. 

3.  Wenn  er,  und  ware  es  nur  fur  einen  Augenblick,  seinen 
Atman  in  dem  Atman  befafst,  (1337.)  so  geht  er  durch  die  Gnade 
des  Atman  zu  dem  ewigen  Endziele  der  Wissenden  ein; 

4.  indem  er  dabei  durch  die  Kegelungen  des  Atmens  die 
Lebenshauche  wieder  und  wieder  bandigt,  (1.338.)  sei  es  durch 
zehn  Oder  zwolf  solcher  Regelungen,  —  geht  er  ein  in  das, 
was  hoher  als  das  Vierundzwanzigste  ist. 


Adhy£lya  48  (B.  48).  983 

5.  Wer  auf  diese  Weise  vorher  seinen  Atman  zur  Ruhe 
gebracht  hat,  der  erreicht  alles,  was  er  wiinscht;  (1339.)  sein 
Sattvam,  das  [iibrige]  Unentfaltete  uberragend,  ist  geeignet, 
ihm  die  Unsterblichkeit  zu  schaffen. 

6.  Es  gibt  nichts  anderes,  was  hoher  ware  als  das  Satt- 
vam, als  solches  riihmen  es  hienieden  die,  welche  es  kennen ; 
(1340.)  durch  Folgerung  erkennen  wir  den  Purusha,  der  sich 
auf  das  Sattvam  stiitzt. 

7.  Nicht  kann  man  auf  andere  Weise  zum  Purusha  ge- 
langen,  o  ihr  Besten  der  Zwiegeborenen.  (1341.)  Geduld,  Festig- 
keit  und  Nichtschadigung ,  Gleichmiitigkeit ,  Wahrhaftigkeit, 
Geradheit,  Erkenntnis,  Freigebigkeit  und  Entsagung,  diese 
geUen  als  die  Funktionen  des  Sattvam. 

8.  (1342.)  Durch  eben  jene  Folgerung  erkennen  die  Weisen, 
dafs  es  ein  Sattvam  und  einen  Purusha  [als  verschieden] 
gibt,  daran  ist  kein  Zweifel. 

9.  (1343.)  Einige  Gelehrte,  die  in  der  Erkenntnis  wohl- 
bewandert  sind,  behaupten  die  Einheit  des  Kshetrajna  [Purusha] 
und  des  Sattvam;  aber  das  geht  nicht  an; 

10.  (1344.)  denn  das  Sattvam  ist  von  jenem  verschieden, 
daran  ist  nicht  zu  zweifeln,  und  man  mufs  ihre  gesonderte 
Existenz  anerkennen,  sowie  auch,  dafs  dieselbe  in  Wahrheit 
durch  Verwandtschaft  verbunden  ist. 

11.  (1345.)  In  dieser  Weise  ist  ihre  Einheit  und  Verschieden- 
heit  nach  der  Lehrmeinung  der  Kenner  anzunehmen,  wie  man 
ja  auch  zwischen  der  Fliege  und  dem  Blatte  des  Feigenbaumes 
eine  Einheit  und  zugleich  eine  Verschiedenheit  wahrnimmt. 

12.  (1346.)  Es  ist,  wie  der  Fisch  von  dem  Wasser  ver- 
schieden ist  und  doch  eine  Verbindung  zwischen  beiden  be- 
steht,  oder  wie  die  Verbindung  der  Wassertropfen  auf  dem 
Blatte  der  Lotosblume  mit  diesem. 

Der  Lelirer  sprach : 

13.  (1347.)  Nachdem  jene  Brahmanen  sich  in  dieser  Weise 
mit  dem  Urvater  der  Welt  besprochen  batten,  gerieten  die 
Besten  der  Muni's  abermals  in  einen  Zweifel  und  fragten 
wie  folgt. 

So  lautet  in  der  Anugita  der  dreiunddreifsigste  Adhyftya. 


984  IV.    Anugita. 

Aclhyaya  49  (B.  49). 

Vers  1348-1365  (B.  1-17). 

Die  Rishi's  sprachen: 

1.  (1348.)  Welche  von  den  Pflichten  gilt  hier  wohl  fiir 
die  am  meisten  zu  befolgende?  Im  Widerspruch  gleichsam 
sehen  wir  den  mannigfachen  Weg  der  Pflicht. 

2.  (1349.)  Einige  behaupten,  sie  bestehe  liber  den  Leib 
hinaus,  andere  sagen,  dafs  dem  nicht  so  sei;  einige  halten 
die  ganze  Pflicht  fiir  zweifelhaft,  andere  fiir  unzweifelhaft. 

3.  (1350.)  Sie  sei  unverganglich  oder  sie  sei  verganglich, 
behaupten  manche,  sie  sei  nicht  real  oder  sie  sei  real,  meinen 
wieder  andere.  Sie  sei  einfach  oder  sie  sei  zweifach,  be- 
haupten manche,  und  wieder  einige,  sie  sei  beides  zugleich. 

4.  (1351.)  Und  auch  von  Brahmanen,  welche  das  Brahman 
kennen  und  die  Wahrheit  schauen,  meinen  einige,  sie  sei  ein- 
fach, andere,  sie  sei  mehrfach,  und  wieder  andere  behaupten 
ihre  Vielfachheit. 

5.  (1352.)  Einige  behaupten,  dafs  beide,  Raum  und  Zeit, 
real  sind,  andere  leugnen  es;  einige  tragen  Haarflechten  und 
Ziegenfelle,  andere  gehen  kahlkopfig  und  unbekleidet. 

6.  (1353.)  Man  brauche  sich  nicht  zu  baden,  lehren  die 
einen,  man  miisse  sich  baden,  die  anderen,  und  so  behaupten 
auch  Brahmanen  (lies:  eva),  welche  das  Brahman  kennen 
und  die  Wahrheit  schauen. 

7.  (1354.)  Einige  sind  der  Meinung,  man  miisse  essen, 
andere  freuen  sich  am  Fasten;  einige  empfehlen  die  Werke, 
andere  die  Untatigkeit. 

8.  (1355.)  [Einige  behaupten,  dafs  beide,  Raum  und  Zeit, 
real  sind,  andere  leugnen  es ;  —  diese  Wiederholung  aus  Vers  5 
nur  in  C]  Einige  riihmen  die  Erlosung,  andere  die  Geniisse 
von  mancherlei  Art;  (1356.)  einige  trachten  nach  Reichtum, 
andere  nach  Besitzlosigkeit ;  einige  sind  fiir  die  Befassung 
mit  Objekten  der  Verehrung  fiipdsyasddhanamj ,  andere  ver- 
werfen  dieses. 

9.  (1357.)  Einige  halten  fest  an  der  Nichtschadigung,  andere 
legen   den  grofsten  Wert  auf  die  Totung   [von  Tieren  beim 


Adhyiya  49  (B.  49).  985 

Opfern] ;  einige  halten  auf  religioses  Verdienst  oder  auf  Ehre, 
andere  behaupten,  dafs  es  nichts  damit  sei. 

10.  (1358.)  Einige  haben  ihre  Freude  an  der  [metaphysi- 
schen]  Realitat,  andere  bleiben  beim  Bezweifeln  derselben 
stehen;  wieder  andere  lassen,  die  einen  aus  dem  Leiden,  die 
anderen  aus  der  Lust,  die  Meditation  entspringen. 

IL  (1359.)  Einige  Brahmanen  empfehlen  das  Opfern,  andere 
das  Almosengeben,  wieder  andere  die  Askese  und  noch  andere 
das  Studium. 

12.  (1360.)  Einige  behaupten,  dafs  die  wahre  Wissenschaft 
in  der  Entsagung  bestehe,  andere  finden  sie  in  der  Natur 
und  griibeln  nach  liber  die  Elemente;  einige  loben  alles  und 
andere  nicht  alles. 

13.  (1361.)  Da  in  dieser  Weise  die  Pflicht  verschieden  auf- 
gestellt  und  vielfach  in  abweichender  Weise  gelehrt  wird, 
so  kommen  wir  zu  keiner  Gewifsheit  und  sind  verwirrt, 
0  Bester  der  Gotter. 

14.  (1362.)  „Dies  ist  das  Beste!"  „Nein,  dies  ist  das  Beste!" 
mit  solchen  Behauptungen  stehen  sich  die  Leute  gegeniiber, 
und  jeder  schatzt  jedesmal  dasjenige  als  Pflicht,  woran  er 
gerade  sein  Gefallen  findet. 

15.  (1363.)  Darum  ist  unsere  Erkenntnis  unsicher  und 
unser  Denken  nach  vielen  Richtungen  getrieben,  und  wir 
wiinschen  dies  erklart  zu  haben,  was  das  Beste  ist,  o  du  Guter. 

16.  (1364.)  Aber  auch  das  Geheimnis,  was  noch  dariiber 
hinaus  besteht,  sollst  du,  o  Herr,  uns  erklaren,  namlich  durch 
welche  Ursache  die  Verbindung  des  Sattvam  mit  dem  Kshe- 
trajna  (der  Seele)  bedingt  ist. 

17.  (1365.)  Nachdem  der  Weltenschopfer  in  dieser  Weise 
von  jenen  Brahmanen  angeredet  worden  war,  teilte  es  ihnen 
der  Pflichtbeseelte,  Weise  der  Wahrheit  gemafs  mit. 

So  lautct  in  der  Anugitik  dor  vicrunddreifsigste  Adhyftya. 


986  IV.    Anugita. 

Adhyaya  50  (B.  50). 

Vers  1366-1423  (B.  1-56). 

Der  Gott  Brahmau  sprach : 

1.  (1366.)  Wohlan,  ich  will  euch  verkiindigen,  o  ihrBesten, 
wonach  ihr  mich  fragt.  Vernehmt  denn,  was  von  einem 
Lehrer  zu  seinem  Schiiler,  der  ihm  genaht  war,  einstmals 
gesagt  wurde. 

2.  (1367.)  Vernehmt  es  hier  vollstandig  und  haltet  durch- 
aus  daran  fest.  Nichtschadigung  aller  Wesen,  das  ist  das 
grofse,  das  hochste  Gebot. 

3.  (1368.)  Und  dieses  ist  das  unerschiitterliche  Ziel,  das 
Hochste,  was  als  Pflicht  bezeichnet  wird:  die  Erkenntnis  ist 
das  hochstfe  Gut;  so  sagten  die  Alten,  welche  die  Wahrheit 
schauten. 

4.  (1369.)  Darum  wird  man  durch  reine  Erkenntnis  von 
alien  Siinden  erlost.  Aber  alle,  welche  die  Totung  [beim 
Opfer]  hochschatzen  und  welche  das  Leben  eines  Nihilisten 
fiihren,  (1370.)  behaftet  mit  Begierde  und  Verblendung,  die 
fahren  zur  Holle. 

5.  Die  aber,  welche  unermiidlich  die  mit  Wiinschen  ver- 
bundenen  Opferwerke  vollbringen,  (i37i.)  die  freuen  sich  in 
dieser  Welt,  in  der  sie  immer  wieder  geboren  werden. 

6.  Die  aber,  welche  glaubig  und  weise  die  Werke  so 
vollbringen,  (1372.)  dafs  sie  dabei  eine  wiinschelose  Hingebung 
iiben,  die  sind  verstandig  und  sehen  das  Richtige. 

7.  Weiter  nun  will  ich  euch  verkiindigen,  wie  zwischen 
dem  Sattvam  und  dem  Kshetrajfia  (1373.)  die  Verbindung  und 
die  Trennung  erfolgt,  das  vernehmt,  o  ihr  Besten. 

8.  Das  Objekt-  und  das  Subjektsein,  das  wird  die  Ver- 
bindung genannt;  (1374.)  das  Subjekt  ist  immer  nur  der  Purusha, 
und  das  Sattvam  wird  das  Objekt  genannt. 

9.  So,  wie  es  in  der  obigen  Weise  (Vers  1345  fg.)  an  der 
Miicke  und  dem  Feigenblatte  erlautert  wurde,  U375.)  hat  das 
Sattvam  als  Objekt  des  Genusses  keine  Erkenntnis  und  ist 
allezeit  ohne  Bewufstsein;  wer  aber  so  [mit  Bewufstsein  be- 
gabt]  ist,  der  erkennt  sowohl  den,  welcher  geniefst,  als  auch 
den,  welcher  genossen  wird. 


Adhyaya  50  (B.  50).  987 

10.  (1376.)  Das  Sattvam  ist  alJezeit  mit  den  Gegensatzen 
behaftet,  so  sagen  die  Weisen ;  ohne  Gegensatze,  ohne  Telle, 
ewig  und  seinem  Wesen  nach  frei  von  Guna's  ist  der  Kshe- 
trajfia. 

11.  (1377.)  Dieser  weilt  iiberall  in  gleicher  Weise,  dem 
Erkennen  nachgehend,  und  geniefst  allezeit  das  Sattvam,  wie 
ein  Lotosblatt  das  Wasser. 

12.  (1378.)  Obgleich  er,  der  Weise,  mit  alien  Guna's  ver- 
flochten  ist,  wird  er  doch  von  ihnen  niclit  befleckt,  wie  der 
bewegliche  Wassertropfen ,  der  auf  einem  Lotosblatte  sich 
befindet. 

13.  (1379.)  So  ist  auch  der  Purusha  nicht  gebunden,  daran 
ist  kein  Zweifel,  und  das  Sattvam  dient  nur  als  substantielles 
Objekt  fiir  den  Purusha,  das  ist  gewifs. 

14.  (1380.)  Wie  zwischen  einem  materiellen  Objekte  und 
dem,  der  es  bearbeitet,  so  ist  die  Verbindung  zwischen  jenen 
beiden.  Wie  man  eine  Lampe  nimmt  und  mit  ihr  im  Dunkeln 
geht,  (1381.)  so  gehen  die,  welche  nach  dem  Hochsten  trach- 
ten,  mit  dem  Sattvam  als  Lampe. 

15.  Solange  das  01  fdravyamj  und  der  Docht  fgunaj  be- 
stehen,  solange  leuchtet  die  Lampe;  (1382.)  vergehen  aber  01 
und  Docht,  so  geht  auch  das  Licht  verloren. 

16.  In  ahnlicher  Weise  ist  der  Guna  Sattvam  offenbar, 
und  der  Purusha  ist  nicht  oifenbar ;  (i383.)  das,  o  Brahmanen, 
sollt  ihr  wissen;  wohlan,  ich  will  euch  noch  mehr  sagen. 

17.  Auch  durch  tausend  [Belehrungen]  gelangt  der  Tor 
nicht  zur  Einsicht;  (1384.)  auch  durch  den  vierten  Teil  [einer 
Belehrung]  gelangt  der  Verstandige  zu  gliicklichem  Gedeihen. 

18.  So  mul's  auch  die  Vollbringung  der  Pflicht  durch 
das  rechte  Mittel  erkannt  werden,  (i385.)  und  der  Weise,  welcher 
dieses  Mittel  kennt,  erlangt  unendliches  Gliick. 

19.  Wie  etwa  ein  Mann,  der  eine  Reise  unternimmt  ohne 
Wegzehrung,  (1386.)  nur  mit  grofser  Beschwerde  vorwarts- 
kommt,  ja  w^ohl  gar  unterwegs  zugrunde  geht, 

20.  so  mufs  man  bei  den  Handlungen  iiberlegen,  ob  sie 
fruchtbringend  sind  oder  nicht;  (1387.)  fiir  einen  Menschen 
aber  ist  die  Einsicht  in  Gutes  und  Boses  fiir  seine  Seele  das 
allerheilsamste. 


988  IV.    Anugita. 

21.  Und  wie  einer  einen  weiten  Weg,  den  er  nicht  vor- 
her  kannte,  (1388.)  unbedachterweise  zu  Fufs  unternimmt,  so 
ist  der,  welcher  der  Einsicht  in  das  wahre  Wesen  entbehrt. 

22.  Aber  wie  einer,  der  ebendenselben  Weg  mit  einem 
schnell  dahinrollenden  Wagen,  (i389.)  der  von  Pferden  gezogen 
wird,  durchlauft,  so  ist  die  Fahrt  der  Verstandigen. 

23.  Er  will  einen  hohen  Berg  besteigen  und  beachtet 
nicht  die  Beschaffenheit  des  Bodens;  (i39o.)  siehe,  wie  er,  auf 
seinem  Wagen  hinauffahrend,  sich  abqualt,  der  Unverstandige; 

24.  aber  jener  andere  fahrt  auf  dem  Wagen  nur  soweit 
der  Fahrweg  reicht,  (I39i.)  und  wo  die  Wagenspuren  auf- 
horen,  da  verlafst  er,  der  Weise,  den  Wagen  und  geht  zu  Fufs. 

25.  Und  so  wird  der  Weise,  der  die  Ordnung  der  Prin- 
zipien  und  des  Yoga  kennt,  (1392.)  der  sie  vollig  durchschaut 
und  die  Guna's  versteht,  von  dem  Hohen  zu  Hoherm  und 
immer  Hoherm  sich  aufscliwingen. 

26.  So  wie  einer  sich  in  den  furchtbaren  Ozean  stiirzt, 
ohne  Schiff  (1393.)  und  nur  mit  Hilfe  seiner  Arme,  und  in 
seiner  Verblendung  unzweifelhaft  dem  Untergange  zustrebt, 

27.  und  wie  hingegen  der  Weise,  der  den  Unterschied 
begreift,  ein  Schiff  mit  guten  Rudern  benutzt,  (1394.)  ohne  Er- 
miidung  auf  dem  Wasser  hinfahrt  und  schnell  das  Meer 
durchschifft, 

28.  aber  nach  seiner  Durchschiffung  zum  jenseitigen  Ufer 
gelangt  und  dort  das  Schiff  [seine  empirische  Daseinsform] 
frei  von  Ichheit  aufgibt,  (1395.)  das  ist  in  der  vorher  be- 
sprochenen  Weise  zu  erklaren  wie  bei  dem  Wagen  und  dem 
Fufsganger. 

29.  Wer  aber  aus  Haftung  [an  dem  Irdischen],  etwa  wie 
der  Fischer  an  seinem  Boote,  in  Verblendung  gerat,  (i396.)  der 
wird  vom  Egoismus  iiberwaltigt  und  bleibt  in  ihm  befangen. 

30.  Es  ist  ja  nicht  moglich,  ein  Schiff  zu  besteigen  und 
mit  ihm  auf  dem  festen  Lande  zu  fahren,  (1397.)  und  ebenso- 
wenig  kann  man  einen  Wagen  besteigen  und  mit  ihm  auf 
dem  Wasser  vorwartskommen. 

31.  Ebenso  werden  mannigfache  Werke  vollbracht,  welche 
sich  bald   auf  diesen,  bald  auf  jenen  Gegenstand  beziehen, 


Adhyaya  50  (B.  50).  989 

(1398.)  imd  wie  das  Werk  in  der  Welt  vollbracht  worden  ist, 
so  kommt  es  ihnen  [den  Tatern]  heim. 

32.  Das,  was  als  geruchlos,  geschmacklos ,  gestaltlos, 
unfiihlbar  und  unhorbar  (1399.)  die  Weisen  durch  ihre  Einsicht 
erkennen,  das  nennen  sie  Substanz  [Pradhanam  =  Prakritij. 

33.  Hierbei  ist  das  Unentfaltete  [die  Prakriti]  die  Sub- 
stanz, und  cine  Modifikation  fgunaj  des  Unentfalteten  ist  der 
Mahan.  (i4oo.)  Ferner  von  dem  Mahan  als  Substanz  ist  eine 
Modifikation  der  Ahankara. 

34.  Aus  dem  Ahankara  aber  entspringt  eine  Modifikation, 
welche  zu  den  grofsen  Elementen  wird;  (I40i.)  namlich  als 
Modifikationen  der  einzelnen  Elemente  gelten  dann  weiter  die 
Sinnendinge. 

35.  Hierbei  dient  das  Unentfaltete  als  Same  und  ist  seiner 
Natur  nach  erzeugend.  (1402.)  Weiter  dient  der  Mahan  Atma 
als  Same  und  ist  auch  erzeugt;  so  ist  es  uns  iiberliefert. 

36.  Und  wiederum  dient  der  Ahankara  als  Same  und 
auch  er  ist  erzeugt.  (i403.)  Aber  auch  die  fiinf  grofsen  Ele- 
mente dienen  als  Same  und  sind  auch  erzeugt. 

37.  Als  Same  dienend  sind  sie  [alle  die  vorgenannten : 
Prakriti,  Mahan,  Ahankara,  Mahabhutani]  und  sind  zugleich 
erzeugt.  (1404.)  Die  Unterschiede  fvigeshdhj  der  grofsen  Ele- 
mente werden  an  ihnen  als  unterscheidende  Merkmale  fvigesha- 
namj  wahrgenommen.     [Namlich:] 

38.  Hierbei  hat  der  Ather  eine  Qualitat  fgunaj,  der  Wind 
zwei  Qualitaten,  (1405.)  das  Feuer  drei  Qualitaten,  das  Wasser 
vier  Qualitaten. 

39.  Fiinf  Qualitaten  hat  die  Erde,  welche  von  dem  Be- 
weglichen  und  Unbeweglichen  erfiillt  ist,  (1406.)  die  Gottin, 
welche  alle  Wesen  schafft  und  [in  ihren  Lebenslaufen]  die 
guten  und  bosen  Werke  zur  Offenbarung  bringt. 

40.  Ton,  Gefiihl,  Sichtbarkeit,  Geschmack  und  Geruch 
als  fiinfter,  (1407.)  diese  soil  man  wissen  als  die  fiinf  Quali- 
taten der  Erde,  o  ihr  Besten  der  Zwiegeborenen. 

41.  Der  Geruch  gehort  immer  nur  der  Erde  an;  er  ist 
aber  von  vielerlei  Art;  (i408.)  ich  will  euch  ausfiihrlich  die 
vielen  Qualitaten  dieses  Geruches  mitteilen. 

42.  Angenehmer  und  unangenehmer  Geruch,  siifser,  saurer 


990  IV.    Anugita. 

und    stechender,    (1409.)    durchdringender ,    stickiger,    milder, 
scharfer  und  reiner, 

.43.  als  soldier  ist  zehnfach  anzunehmen  der  Geruch, 
welcher  der  Erde  angehort.  (uio.)  Ton,  Gefiihl,  Sichtbarkeit 
und  Geschmack  (lies :  7'asa)  sind  die  Qualitaten  des  Wassers ; 

44.  die  Wissenschaft  vom  Geschmack  aber  will  ich  mit- 
teilen;  der  Geschmack  aber  ist  von  vielerlei  Art,  (uii.)  als 
siifser,  saurer,  stechender,  bitterer,  herber  und  salziger; 

45.  in  dieser  Weise  ist  der  dem  Wasser  angehorige  Ge- 
schmack von  sechsfacher  Verbreitung.  (1412.)  Ton,  Gefiihl 
und  Sichtbarkeit,  diese  drei  Qualitaten  hat  das  Feuer. 

46.  Die  Eigenschaft  des  Feuers  ist  die  Sichtbarkeit,  die 
Sichtbarkeit  aber  ist  von  vielerlei  Art,  (i4i3.)  als  weifs,  schwarz, 
rot,  blau,  gelb  und  rotlichgelb, 

47.  als  kurz,  lang,  diinn,  dick,  viereckig  und  rund. 
(1414.)  In  dieser  Weise  ist  die  dem  Feuer  angehorige  Sicht- 
barkeit von  zwolffacher  Verbreitung. 

48.  Dies  soil  man  erkennen,  wie  es  von  den  alten,  pflicht- 
kundigen,  wahrheitredenden  Brahmanen  gelehrt  worden  ist. 
(1415.)  Ton  und  Gefiihl,  durch  diese  beiden  wird  der  Wind  als 
zwei  Qualitaten  habend  gelehrt. 

49.  Die  Eigenschaft  des  Windes  ist  das  Gefiihl,  das  Ge- 
fiihl aber  ist  von  vielerlei  Art,  (1416.)  als  rau,  kalt  und  warm, 
zart  und  geschmeidig, 

50.  als  steif,  schliipfrig,  glatt,  schleimig,  hart  und  weich. 
(1417.)  In  dieser  Weise  ist  die  dem  Winde  angehorige  Qualitat 
von  zwolffacher  Verbreitung  [nur  elf  waren  genannt]  gelehrt 
worden 

51.  der  Kegel  gemafs  von  vollkommenen,  pflichtkundigen, 
wahrheitschauenden  Brahmanen. 

52.  (1418.)  Der  Ather  hat  nur  eine  Qualitat,  und  als  diese 
gilt  die  des  Tones;  die  vielen  Qualitaten  des  Tones  will  ich 
ausfiihrlich  mitteilen. 

53.  (1419.)  Sie  sind  Tonika,  Sekunde,  Terz,  Quart,  Quinte, 
ferner  Sexte  und  Septime,  (1420.)  angenehmer  Ton  und  un- 
angenehmer  und  ein  solcher,  der  aus  Teilen  zusammengesetzt 
ist  [ein  Akkord]. 

54.  In  dieser  Weise  ist  der  aus  dem  Ather  entspringende 


Adhyaya  50  (B.  50).  991 

Ton  als  zehnfach  zu  verstehen.   (1421.)  Der  Ather  ist  das  oberste 
Element,  iiber  ihm  steht  der  Ahankara, 

55.  iiber  dem  Ahankara  die  Buddhi,  iiber  der  Buddhi 
der  Atman,  (1422.)  iiber  diesem  das  Unentfaltete,  iiber  dem 
Unentfalteten  der  Purusha. 

56.  Wer  diese  Bangs tufe  der  Wesen  kennt  und  zugleich 
die  Reihenfolge  aller  ihrer  Funktionen,  (1423.)  der  wird  zum 
Selbste  aller  gewordenen  Selbste  und  geht  ein  zu  dem  un- 
verganglichen  Selbste. 

So  lautet  in  der  Anugtt^  der  fUnfunddreifsigsto  Adhyiya. 


Arthyaya  51  (B.  51). 

Vers  1424-1477  (B.  1-52). 

Der  Gott  Brahman  sprach: 

1.  (1424.)  So  wie  das  Manas  der  Beherrscher  jener  liinf 
Elemente  ist  und  wie  beim  Vergehen  und  Entstehen  das 
Manas  der  Element -Atman  ist, 

2.  (1425.)  so  ist  das  Manas  auch  allezeit  der  Lenker  der 
grofsen  Elemente ;  die  Buddhi  proklamiert  die  Herrschaft,  und 
der,  der  sie  iibt,  wird  der  Kshetrajna  genannt. 

3.  (1426.)  Das  Manas  schirrt  die  Sinnesorgane  an,  wie 
gute  Pferde  der  Wagenlenker;  die  Sinnesorgane,  das  Manas 
und  auch  die  Buddhi  werden  allezeit  vereinigt  unter  der  Herr- 
schaft des  Kshetrajfia. 

4.  (1427.)  Auf  diesen  von  grofsen  Pferden  gezogenen  und 
von  der  Buddhi  gelenkten  Wagen  steigt  jener  Element-Atman 
und  fahrt  nach  iiberall  bin. 

5.  (1428.)  Durch  die  Schar  der  Sinnesorgane  gezogen,  das 
Manas  als  Wagenlenker  und  die  Buddhi  als  Ziigel  habend, 
so  besteht  immerdar  der  grofse,  brahmanartige  Wagen. 

6.  (1429.)  Wer  in  dieser  Weise  als  Wissender  allezeit  den 
brahmanartigen  Wagen  kennt,  der  unter  alien  Wesen  ist 
weise  und  verfallt  nicht  in  Verblendung. 

7.  (1430.)  Vom  Unentfalteten  an  bis  zu  den  Vigesha's  sich 
erstreckend,  alles   Unbewegliche   und  Bewegliche  befassend, 


992  IV.    Auugita. 

einen  Anblick  gewahrend  gleich  dem  Glanze  der  Sonne  und 
des  Mondes,  mit  Planeten  und  Sternbildern  geziert, 

8.  (1431.)  iiberall  mit  Flufsnetzen  und  Bergketten  ausge- 
schmiickt  und  allerwarts  durch  mancherlei  Gewasser  ver- 
schonert, 

9.  (1432.)  alle  Wesen  ernahrend  und  alles,  was  Odem  hat, 
erhaltend,  —  so  ist  der  ewige  Brahmanwald  und  in  ihm  wandelt 
der  Kshetrajna. 

10.  (1433.)  Alle  Wesen,  wie  sie  in  dieser  Welt  sind,  be- 
wegliche  und  unbewegliche,  diese  sind  es,  welche  zuerst  zu- 
grunde  gelien,  und  nach  ihnen  die  aus  den  Elementen  stam- 
menden  Eigenschaften,  (1434.)  und  nach  den  Eigenschaften  die 
fiinf  Elemente,  so  ist  die  Stufenfolge  der  Wesen. 

11.  Gotter,  Menschen,  Gandharva's,  Piqaca's,  Damonen 
und  Rakshasa's,  (1435.)  sie  alle  sind  durch  ihre  eigene  Natur 
geschaffen,  nicht  durch  Tatigkeiten  oder  die  Verursachung 
[eines  Schopfers]. 

12.  Auch  jene  weisen  Weltschopfer  werden  hienieden 
immer  wieder  und  wieder  geboren,  (1436.)  und  die,  welche  von 
ihnen  in  jenen  fiinf  grofsen  Elementen  erzeugt  werden,  die 
gehen  mit  der  Zeit  wieder  zugrunde,  wie  die  Wellen  in 
dem  Ozean. 

13.  (1437.)  Aber  von  den  selbst  auch  entstandenen  Welt- 
schopfern  stammen  die  grofsen  Geschopfe  allenthalben.  Aber 
nur  wer  von  alien  fiinf  Elementen  sich  befreit  hat,  geht  den 
hochsten  Gang. 

14.  (1438.)  Der  Herr,  der  Schopfer,  hat  diese  ganze  Welt 
durch  sein  Manas  erschaffen;  aber  auch  durch  das  Tapas 
sind  die  Weisen  zu  den  Gottern  hinaufgelangt. 

15.  (1439.)  Und  durch  die  Stufenfolge  des  Tapas  werden 
die,  welche  nur  Friichte  und  Wurzeln  essen,  nachdem  sie 
durch  ihr  Tapas  zur  Vollkommenheit  gelangt  sind,  schon 
hienieden  die  Dreiwelt  im  Zustande  der  Meditation  schauen. 

16.  (1440.)  Auch  Heilkrauter,  Arzneien  und  mancherlei 
Wissenschaften  allerwarts  werden  durch  das  Tapas  zustande 
gebracht,  denn  ein  solches  Mittel  hat  als  Wurzel  das  Tapas. 

17.  (1441.)  Alles,  was  schwer  zu  erlangen,  schwer  zu  lehren, 
schwer  zu  bezwingen,  schwer  zurechtzubringen  ist,  das  alles 


Adhy&ya  51  (B.  51).  993 

ist  durch  Tapas  vollbringbar,  denn  das  Tapas  ist  schwer  zu 
iiberbieten. 

18.  (1442.)  Der  Branntweintrinker,  der  Brahmanenmorder, 
der  Dieb,  der  Toter  der  Leibesfrucht,  der  Beflecker  des  Bettes 
des  Lehrers,  sie  alle  werden  durch  wohlentziindetes  Tapas 
von  ihrer  Siiiide  erlost. 

19.  (1443.)  Menschen,  Vater,  Gotter,  Haustiere,  Waldfiere 
und  Vogel  und  was  sonst  noch  an  Wesen,  beweglichen  und 
unbeweglichen ,  vorhanden  ist, 

20.  (1444.)  sie  alle  schatzen  Tapas  als  Hochstes,  sie  alle 
erlangen  durch  Tapas  stets  die  Vollendung,  und  auch  die 
mit  grofsen  Wunderkraften  ausgeriisteten  Gotter  sind  nur 
durch  das  Tapas  zum  Himmel  gelangt. 

21.  (1445.)  Diejenigen,  welche  unermiidlich  von  Wiinschen 
begleitete  Opferwerke  vollbringen  und  mit  Ichbewufstsein  be- 
haftet  sind,  gelangen  nur  bis  zu  Prajapati. 

22.  (1446.)  Die  aber,  welche  durch  eine  reine  Hingebung 
an  die  Meditation  selbstlos  und  ohne  Ichbewufstsein  sind, 
diese  Hochsinnigen  erlangen  die  grofse,  die  hochste  Welt. 

23.  (1447.)  Hingebung  an  die  Meditation  iibend  und  alle- 
zeit  beruhigten  Geistes,  gehen  in  das  Unentfaltete  mit  seiner 
Fiille  von  Freuden  die  vollkommenen  Atmankenner  ein. 

24.  (1448.)  Und  von  der  Hingebung  an  die  Meditation  aus- 
gehend,  gelangen  sie,  frei  von  Selbstsucht  und  Ichbewufst- 
sein, schon  hienieden  zu  dem  Unentfalteten ,  der  hochsten 
Welt  der  Grofsen. 

25.  (1449.)  Und  aus  dem  Unentfalteten  wiederum  geboren 
und  zum  Bewufstsein  der  Gleichheit  [mit  alien  Wesen]  ge- 
langend,  wird  Er,  von  Tamas  und  Rajas  befreit  und  nur  dem 
reinen  Sattvam  hingegeben, 

26.  (1450.)  erlost  von  allem  Bosen,  die  Welt  samt  und 
senders  abstreifend,  —  und  das  ist  der  Kshetrajna,  das  soil 
man  wissen;  wer  diesen  weifs,  der  ist  vedafest. 

27.  (1451.)  Von  einer  Erkenntnis  zur  andern  vordringend, 
moge  der  Weise  dasitzen  voll  Selbstbeherrschung,  dann  wird 
er  sicherlich  zu  dem,  was  er  erkennt,  zu  jenem  geheimnis- 
vollen  Ewigen. 

Deussen,  Mab&bbdratam.  G3 


994  IV.    Anugita. 

28.  (1452.)  Alles,  von  dem  Unentfalteten  an  bis  herab  zu 
den  Vigesha's,  hat  als  Merkmal  das  Nichtwissen,  als  solches 
sollt  ihr  diese  Welt  wissen,  und  dafs  ihr  Charakter  durch 
die  Guna's  bedingt  ist. 

29.  (1453.)  Zwei  Silben  bedeuten  den  Tod,  drei  Silben 
das  ewige  Brahman,  mama  (mein)  bedeutet  den  Tod,  na  mama 
(nicht  mein)  das  Ewige. 

30.  (1454.)  Manche  Menschen,  die  sich  eines  tragen  Denkens 
erfreuen,  preisen  das  Werk ;  aber  die  hochherzigen  Alten  preisen 
das  Werk  nicht. 

31.  (1455.)  Durch  das  Werk  entsteht  der  Mensch  mit  seinem 
Korper,  mit  seinen  sechzehn  Teilen  [cf.  Chand.  Up.  6,7,1 ;  (^vet. 
Up.  5,14;  Mund.  Up.  3,2,7;  Pragna  Up.  6  und  unsere  einleiten- 
den  Bemerkungen  dazu  Sechzig  Upanishad's,  S.  571] ;  aber 
das  Wissen  schliirft  den  Purusha,  das  ist  der  Trank  derer, 
welche  Amritam  geniefsen. 

32.  (1456.)  Darum  kleben  nicht  mehr  an  den  Werken  alle 
die,  welche  das  jenseitige  Ufer  schauen ;  aus  Wissen  bestehend 
ist  jener  Purusha,  nicht  aber  aus  Werken  bestehend. 

33.  (1457.)  Wer  dieses  weifs,  wer  den  unsterblichen,  ewigen, 
unfafsbaren,  immerwahrenden,  unverganglichen,  freien,  unver- 
flochtenen  Atman  kennt,  der  ist  nicht  mehr  sterblich. 

34.  (1458.)  Wer  den  uranf  anglichen,  unerschaffenen,  ewigen, 
unzweifelnden  Atman  erlangt,  den  unangreif baren ,  Amritam 
essenden,  (1459.)  der  wird  unangreif  bar  und  unsterblich  und 
steht  aus  diesen  Griinden  fest. 

35.  Alle  Lebenseindriicke  iiberwaltigend  und  sich  selbst 
in  sich  selbst  ergreifend,  (1460.)  erkennt  er  jenes  schone  Brah- 
man, iiber  welches  hinaus  nichts  mehr  zu  wissen  bleibt. 

36.  Und  wenn  sein  Sattvam  erst  zur  Ruhe  kommt,  er- 
langt auch  er  die  voile  Ruhe;  (I46i.)  das  Kennzeichen  der  Ruhe 
aber  ist,  dafs  er  [das  Dasein]  wie  einen  Traum  betrachtet. 

37.  Dieses  ist  der  Weg  der  Erlosten,  die  festgewurzelt 
im  Wissen  sind,  (1462.)  und  alle  Begebenheiten ,  wie  sie  da 
sind,  sie  sehen  sie  an  als  dem  Veranderlichen  angehorig. 

38.  Dieses  ist  der  Weg  der  Leidenschaftslosen ,  dieses 
ist  die  ewige  Satzung,  (1463.)  dies  ist,  was  die  Erkennenden 
erlangen,  dies  ist  das  untadlige  Verhalten. 


Adhyaya  51  (B.  51).  995 

39.  Wer  gleichmiitig  gegen  alle  Wesen,  wer  ohne  Be- 
gierde  und  ohne  Wunsch  ist,  (1464.)  wer  uberall  ein  und  das- 
selbe  sieht,  der  kann  diesen  Weg  gehen. 

40.  Dies  alles  ist  euch  von  mir  erklart  worden,  o  ihr 
Besten  der  Brahmanenweisen,  (i465.)  und  dementsprechend  un- 
gesaumt  richtet  euren  Wandel  ein,  dann  werdet  ihr  die  VoU- 
kommenheit  erlangen. 

Der  Guru  sprach: 

41.  (1466.)  Nachdem  jene  Muni's  in  dieser  Weise  von  Gott 
Brahman  als  Lehrer  belehrt  worden  waren,  handelten  die 
Hochherzigen  demgemafs  und  erlangten  infolgedessen  die 
Himmelswelt. 

42.  (1467.)  Und  auch  du,  o  Gliicklicher,  mogest  dich  nach 
dieser  von  mir  mitgeteilten  Rede  des  Gottes  Brahman  voll- 
standig  richten,  o  du  Geistigreiner ,  dann  wirst  du  die  Voll- 
endung  erlangen. 

Vasudeva  (Krishna)  sprach: 

43.  (1468.)  Das  ist  die  Eede,  durch  welche  damals  jener 
Schiller  von  seinem  Lehrer  belehrt  wurde;  er  erfiillte  voll- 
standig  die  hochste  Pflicht,  o  Sohn  der  Kunti,  und  erlangte 
darauf  die  Eriosung. 

44.  (1469.)  Und  nachdem  sodann  der  Schiiler  das  Ziel  er- 
reicht  hatte,  so  gelangte  er,  o  Sprofs  der  Kurufamilie,  zu 
jener  Statte,  wo  man  kein  Leid  mehr  empfindet. 

Arjuna  sprach: 

45.  (1470.)  Wer  war  denn  jener  Brahmane,  o  Krishna, 
und  wer  war  jener  Schiller  von  ihm,  o  Menschenbedranger  ? 
Wenn  es  mir  geziemt,  dieses  zu  horen,  so  sage  es  mir  an, 
o  Herr. 

V&sudeva  sprach: 

46.  (1471.)  Ich  selbst  [d.  h.  der  Atman]  war  der  Lehrer, 
o  Grofsarmiger ,  und  das  Manas  sollst  du  als  jenen  meinen 
Schiiler  wissen.  Und  aus  Liebe  zu  dir  habe  ich  dir  jenes 
Geheimnis  mitgeteilt,  o  Gutgewinner. 

63* 


996  IV.    Anugita. 

47.  (1472.)  "Wenn  deine  Liebe  allezeit  mir  zugewandt  ist, 
o  Sprofs  der  Kurufamilie,  dann  mogest  du,  nachdem  du  in 
betreff  des  Atman  dieses  vernommen  hast,  vollig  danach  leben, 
0  Geliibdetreuer. 

48.  (1473.)  Dann  wirst  du,  o  Feindbedranger,  nachdem  du 
diesem  Gesetze  geraafs  vollstandig  gelebt  hast,  von  allem 
Bosen  befreit,  die  absolute  Erlosung  erlangen. 

49.  (1474.)  Schon  vormals  habe  ich  dir  dieses  mitgeteilt, 
als  die  Zeit  des  Kampfes  bevorstand,  darum,  o  Grorsarmiger, 
nimm  es  dir  zu  Herzen. 

50.  (1475.)  Aber  es  ist  schon  lange  her,  o  Bester  der 
Bharata's,  dafs  ich  meinen  Herrn  Vater  gesehen  habe;  ihn 
mochte  ich  mit  deiner  Erlaubnis  besuchen,  o  du  unter  dem 
Phalgunigestirn  Geborener. 

Vai^ampayana  sprach : 

51.  (1476.)  Zu  Krishna,  als  er  dieses  Wort  gesprochen 
hatte,  versetzte  er,  der  Gutgewinner:  Noch  heute,  o  Krishna, 
gehen  wir  zusammen  zu  der  nach  den  Elefanten  benannten 
Stadt  [Hastinapuram]. 

52.  (1477.)  Dort  wirst  du  mit  dem  gesetzestreuen  Konige 
Yudhishthira  zusammenkommen ,  und  nachdem  du  dich  von 
dem  Konige  verabschiedet  hast,  magst  du  nach  deiner  Vater- 
stadt  wandern. 

So  lautet  in  der  Anugit^  der  sechsunddreifsigste  Adhyaya. 


INDEX 

BEMERKENSWERTER  NAMEN  UND  BEGRIFFE. 


(Die  Zahlen  verweisen  auf  die  Seiten  des  Werkes.) 


A. 

Abhauen  von  Baumen  bei  Mondwech- 

sel  verboten  506. 
Abschreckungstheorie  447  fg. 
Abwartsstromende  (avdksrotas)  durch 

Tamas  950. 
Abzeichen  wertlos  677. 
dcdra  177  fg. 
dgrama's  (Lebensstadien),  vier  170  fg. 

173  fg.    343.   463  fg.    712  fg.    946; 

Lebensrichtungen  542  fg. 
A^vattha  92  fg. 

Agvatthaman,  Sohn  Drona's  33. 
Adern  259. 

adhydtman  (das  innere  Selbst)  180  fg. 
Agastya,  der  Rishi,  von  Nahusha  ge- 

tretea  808. 
Agni,  Feuer,  Gott  des  Feuers. 
Ahalya  von  Indra   vergewaltigt  803. 
ahankdra  (der  Ichmacher),  Ichbewufst- 

sein,  Egoismus,  psychisch  und  kos- 

misch  48.    145  fg.    611.    774.    775; 

=  Brahman  834;  =  Prajapati  959. 
ahihsd  (Nichtschadigung)  927  fg.  986; 

vgl.  Opfer. 
Airdvana  (Airdvata),  Elefant  Indra's 
^  291.  307. 
Ajagara,  unterredet  sich  mit  Prahr&,da 

132  fg. 
Akkumulationstheorie  337.  989;  vgl. 

Mischungstheorie. 


Aktivitat  und  Passivitat  (pravritti  und 
nivritti)  776.  783  fg.  788 'fg.  790. 
792.  839.  840.  848.  984.  994. 

Alarka  als  Bekampfer  des  innern 
Feindes  932  fg. 

Allegorien  347  fg.  350  fg.  393.  400  fg. 
538.  597.  603  fg.  694.  729  fg.  730. 
923  fg.  944  fg.  965.  972  fg.  981. 
992. 

AUgegenwart  durcb  Atmanerkenntnis 
944.  981. 

Almosen  9  fg.  usw. 

Alte  Jungfern  691. 

dmdgaya  156. 

Amritam,  Unsterblichkeitstrank  (vgl. 
Ambrosia  und  Nektar  der  Griechen) 
74  usw.  usw. 

Angehorigkeit  548. 

Auhanglichkeit  an  die  Welt  (saflga) 
44.  46.  47.  48.  52.  56  usw. 

Aniruddha  (Sohn  Pradyumna's,  Enkel 
Krishna's),  vierter  Vyftha  (s.  d.)  des 
Vishnu,  dem  Ahankara  entsprechend 
773.  786;  Vater  des  Gottes  Brah- 
man 776. 

dnvikshiki  662.  663. 

Apdna  (nach  unten  gehend)  962 ;  vgl. 
Prana's. 

Aranyaka%  Anhange  der  Brahmana's 
des  Veda,  in  der  Kegel  die  Upani- 
shad's  einschliefsend  771. 


998 


Index  bemerkenswerter  Namen  und  Begriffe. 


Arjuna,dritterSohndesPan(}u,  Stamm- 

vater    des    Abhimanyu,    Parikshit, 

Janamejaya  33  fg.  usw. ;  Arjuna  und 

Krishna  identifiziert  mit  Nara  und 

NS,rayana  798. 
Arjuna  Kartavirya  929  fg. 
Arundhati  (Stern)  658. 
Arzte,  Polemik  gegen  sie  738. 
dsanam  59. 
Asita  Devala  74  (das  Komma  ist  zu 

tilgen)  327  fg.  478  fg. 
Askese  (tapas)  12  fg.  98.  267.  284  fg. 
^  570.  992  fg. 

Asuri  (Lehrer  des  Panca^ikha)   271. 
Atemhemmung  (prdndydma)  53. 
AtharvaQiras-Upanishad  769. 
Atharvan  16. 
Atman  (das  Selbst,  die  Seele)  43.  48. 

979.  994  usw. ;  sieben  Atman's  337. 
Aiigenbrauenpunkt  57.  67.  212. 
Auslander,  als  Schmach  des  Landes 

723. 
Avatdra'^   (die  Verkorperungen   des 

Vishnu,   ihre  Zahl  schwankt)   779. 

853.  " 
Avyaktam  (das  Unentfaltete,  Unoffen- 

bare)  =  Prakriti  (s.  d.)  65.  730.  957. 

969  usw. 
Ayurveda  (vedische  Heilkunde)  795. 

B. 

Badari   (Einsiedelei   des  Nara   und 

Narayana)  748.  749.  780.  819.  821. 
balam  (Kraft)  als  sechstes  Tatorgan 

480. 
Bali  (Damon)  137.  290  fg.  307  fg.  777. 
Bana,  Sohn  des  Bali  778. 
Begattung,  wahrend  der  Periode  ver- 

boten  507. 
Beispielsammlungen     aus     der     Ge- 

schichte  344  fg.  usw. 
Bergnamen  966. 
Bescholtene  Gewerbe  566. 
Besitzlosigkeit  geriihmt  123  fg.  usw. 
Bestattung,  ruhmliche  581. 
Bhagavata's  783.  823.  826;  vgl.  Ekan- 

tin's,  Pancaratra's  und  S&tvata's. 


Bhagavadgita  842;  vgl.  Harigita. 

Bharadvaja  144  fg.  809. 

Bharata,  Staramvater  der  Kuru's; 
Bharata's,  die  Nachkommen  des  B. ; 
Bharata,  ein  Nachkomme  des  B. 

Bhdratam  varsham  (Land  der  Bhara- 
ta's, Indien)  708. 

bhdvdh  (Zustande)  64.  73. 

bhikshu  379  fg. 

Bhima  (zweiter  Sohn  des  Pan4*i)  33  fg. 

Bhishma  (Sohn  des  Qantanu  von  der 
GaiSga)  33  fg.  usw.;  sein  Sterben 
beim  Nordgang  der  Sonne  609. 

Bhrigu  144  fg. 

bhuta's,  s.  Elemente. 

Bhutdtman  {Eleraent-Atmani)  181.  214. 
222.  224.  360.  361.  399.  579.  612. 
909.  926.   991. 

Bodhya  130  fg. 

Boses,  sein  Ursprung  49. 

Brahmacdrin  19  fg.  370  fg.  975. 

brahmacaryam  (Brahmanwandel)  19. 
258.  921. 

Brahman  neutr.  (das  weltschopferische 
Prinzip)  =  Prakriti  89;  brahman 
und  kshatram  801  fg. ;  vgl.  Wort- 
brahman. 

Brahman  masc.  (das  personifizierte 
brahman,  im  Mahabh.  Sohn  des 
Vishnu)  775.  776 ;  seine  sieben  Ge- 
burten  836.  842  fg. 

Brahmanen,  ihre  Macht  803  fg.;  der 
wahre  Brahmane  9. 

Brahmanenmord ,   s.  Brahmavadhyd. 

Brahman's  Tag  und  Nacht  68. 

brahmasutra  86. 

Brahmavadhyd  (Brahmahatyd)  503  fg. 
505  fg.  806.  808. 

Brihaspati  521 ;  sein  Gesetzbuch  757. 

Buddhi  (Erkenntnis)  im  System  = 
Mahdn,  Mahdn  Atmd  (selten  Ma- 
hat  sc.  tattvam)  103.  386  fg.  388  fg. ; 
kosmisch  und  psychisch  182  fg. ; 
unterschieden  vom  Mahan  969 ;  im 
Korper  allgegenwartig  535 ;  als  Weis- 
heit  des  Narayana,  weltschaifendes 
Prinzip  851. 


Index  bemerkenswerter  Namen  imd  Begriffe. 


999 


Buddhismus,  heilige  Wahrheiten  888; 
Buddhisten  273  fg. 

C. 

^aci  (Gemahlin  des  Indra)  806  fg. 

gaivya  33. 

g&kha's  (Vedaschulen)  814. 

Qakra,  Beiname  Indra's. 

Cakradhara's  887. 

Qambhu  (Qiva)  als  Weltschopfer  610 ; 

=  Atman  647. 
Qampaka  122. 

Candala's  (Unterart  der  Qftdra's)  140. 
gariram  337 ;  vgl.  Leib. 
Qatapatha-Brdhmanam  661.  662.  802. 
^aunaka,  sein  Opfer  783. 
Cekitana  33. 

cetand  (Bewufstsein)  277.  537. 
Chinesen  (cma)  708. 
^i^upala  779. 
Qikhanda's  508  Anm. 
Qikhandin  34. 

Qikshd  (Phonetik)  814.  837. 
Cirak^riu    (der   langsam   Handelnde) 

437  fg. 
CitraQikhandin's,  aufgezahlt  755. 
Cittam  (Manas)  279.  342.  383.  693. 

876;  vom  Manas  unterschieden  480. 
Qiva  (vgl.  Eudra  und  Qambhu)^  Ge- 

mahl  der    Umd  (Pdrvati),   neben 

Vishnu    und   Brahman    die   dritte 

oberste  Gottheit  553  fg.  703  fg. ;  mit 

Vishnu  identisch  817 ;  =Kala818; 

seine  Blauhalsigkeit  803.  815. 
qraddhd  434  fg. 
gravanaphalam  106  usw. 
gri  (Glucksgottin)  298  fg.  318  fg. 
grivatsa  809.  817. 
gruti,  die  heilige  Uberlieferung  des 

Veda,    in  Anpassung   an   okziden- 

tale  Anschauungen  durch  „Schrift" 

iibersetzt. 
gudra  3.  575  usw.;  milde  zu  behan- 

deln  563  fg.;  als  Lehrer  668;   Er- 

losung  auch  fiir  ihn  904. 
guka  (SohnVyasa's)  126.  333  fg.  692  fg. 

702  fg. 


gukra  (Planet  Venus,  Same)  555.  562. 
gunahgepa  562. 

Qvetadvipa  735  fg.  760  fg.  768  fg.  782. 
817.  820  fg. 

D. 

Dadhica,  seine  Knochen  805. 

Dadhici  516  fg.  815. 

Daksha   (ein  Praj&pati)  234.  510  fg. 

515  fg.  803.  809  fg.  815.  845 ;  =  Ka 

238. 
Damonische  Menschen  95  fg. 
D&nava's  241  usw. 
Devaydna  (Gotterweg)  121.  947 ;  mifs- 

verstanden  68  fg.  579.  609. 
dhdrdna's    (Fesselungen    des   Manas 

im  Yoga)  351.  595.  597. 
Dharma,  in  Gestalt  der  Gazelle  473. 
Dhrishtadyumna  34. 
Dhrishtaketu  33. 
Dhritarashtra  (Sohn  des  Vicitravirya 

und  des  Vy^sa   von   der  Ambika, 

blinder   Konig    der   Kuru's)    3  fg. 

33  fg. 
Dialektik,  getadelt  141.  384.  856. 
Dirghatamas,  seine  Geschichte  799. 
Diti,  Tochter  Daksha's  234.  242. 
Draupadi  (Gattin  der  fiinf  Pandava's); 

ihre  Sohne  33  fg. 
Drona  35. 
Drupada  (Vater  der  Draupadi)  33  fg.; 

sein  Sohn  (Dhrishtadyumna)  33. 
Duryodhana  (Sohn  des  Dhritarashtra) 

33.  35. 
Dyumatsena  445  fg. 
Dva,para,  s.  Yugam. 
Dvaraka    (Stadt   des    Krishna)    778. 

779.  885. 

E. 

Echo,  seine  Entstehung  746. 
Egoismus  des  Hausvaters  569. 
Ekdntin's  (die  dem  Vishnu  allein  Er- 

gebenen)  841 ;  selten  zu  finden  846; 

Verschwinden  uud  Wiederaufkom- 

men  ihrer  Lehre  842  fg. ;  vgl.  Bh&ga- 

vata's. 


1000 


Index  bemerkenswerter  Namen  und  Besrriffe. 


Ekata,  Dvita,  Trita  758  fg.  771.  778. 

799. 
Eleinente  (bhiitdni,  mahdbhutdni)  145. 

149.  150.  181.  385  fg.  960;  als  Wel- 

tenstofF  478  fg. ;  iin  Leibe  479 ;  ihre 

Qualitaten  181.  402;  Elemente,  Or- 

gane,  Objekte  und  Schutzgottheiten 

961  fg.  963.  968  fg. 
Embryologie  684  fg.  736  fg.  895.  918. 
Entsagung  14.  85.  100  fg.  usw. ;  E.  und 

Erkenntnis  968.  980  fg. 
Erfordernisse  der  Rede,  fiinf  680  fg. 
Erkenntnistheoretisches  480 ;  vier  Pra- 

mana's  194. 
Erlosung  898  fg.  981 ;   als  Befreiuug 

des  Purusha  von  der  Prakriti  631  fg. ; 

audi  fiir  den  ^udra  904. 
Eschatologisches  209.  826.  893  fg.  993; 

Gang  zur  Sonne  nach  dem  Tode  740; 

den  Organen  entsprechende  Statten 

nach  dem  Tode  658. 
Etymologien     der    Namen    Vishnu's 

798  fg.  811  fg.;  von  Vasudeva  840. 
Evolutiqnsstufen  246  fg.   611.   626  fg. 

642.  990  fg. ;  vgl.  Prinzipien. 
Extreme,  geriihmt  114. 

F. 

Farben  der  Zustaade  der  Seele  493  fg. 

497  fg. 
Fastenbufse  (kricchra)  258. 
Fehler  95. 

Fieber  502  fg.  513  fg. 
Fleischesseu  134.  140.  178.  323. 
Fliege   und    Feigenblatt,    Fisch    und 

Wasser     (Purusha    und     Prakriti) 

635  fg.  983  u.  6. 
Freigebigkeit,  empfohlen  561  fg. 
Freiheit,  die  wahre  550. 
Freundschaft  24. 

G. 

GS,lava  542  fg. 

Gandiva  (Bogeu  des  Arjuna)  36. 

Gaiiga  318  u.  6. 

Gafigadvara  511.  515. 


Geben  98  fg. 

Gebetsmurmeln  189  fg.  192.  193  fg. 
195  fg.  210  fg. 

Geburtsstunde,  Stern  dabei  141. 

Gegensatze  der  Lehrmeinungen  984  fg. 

Gerechtigkeit,  vierfiifsig  334.  791.  946. 

Geruch  usw.,  eingeteilt  990. 

Geschlechtslust  120.  322. 

Gesellschaft,  schlechte  und  gute  545  fg. 

Gesetz  als  Erfindung  der  Schwacheu 
414. 

Gewissen  559. 

Ghritaci  (Apsaras)  704  fg. 

Glaube  65.  97  u.  6. 

Gleichmiitigkeit  59.  91  fg.  usw. 

Gluck  10. 

Gnade  265. 

Gotteraufzahluug  238  fg. 

Gottheiten  als  Opferfeuer  908. 

Gotterweg,  s.  Devayana. 

Grihastha  (vgl.  dgrama's)  372  fg.  453  fg. 

guda  (Verdauungskaual)  155. 

Guha  (=  Skanda,  Kriegsgott)  584. 

Guna  (Faktor,  Qualitiit).  —  Die  drei 
Gwwrt's  (Sattvam,  Rajas,  Tamas), 
aus  denen  die  Prakriti  besteht,  sind 
die  Faktoren,  deren  Produkte  alle 
Evolutionen  der  Prakriti  sind;  oft 
abgeblafst  „Qualitaten"  42.  46.  48. 
51.  64.  87.  88.  90  fg.  182  fg.  253. 
278  fg.  387.  536  fg. ;  aus  dem  Atman 
stammend  538;  als  weifs,  rot, 
schwarz  613.  645.  649  fg. ;  als  Feinde 
zu  iiberwinden  935  fg. ;  sich  paarend 
948.  955 ;  ihr  Wirken  an  der  Sonne 
erlautert  956;  als  Prinzipien  627. 
630.  644;  =  Vi^esha's  643.  786; 
Fesseln  864;  vgl.  Erlosung. 

H. 

Haha   und   Huhu   (Gandharven)  515. 

706. 
Hara  =  ^iva. 
Hari  =  Vishnu. 
Hari  (Bergname)  708. 
Harigita  (vgl.  Bhagavadgita)  831.  846. 
Harita  486. 


Index  bemerkenswerter  Namen  uad  Begriffe. 


1001 


Hausvaterstaud  s.  Grihastha. 

Hemmuisse  des  Yoga,  funf  363.  477. 

Herz  388. 

Herzensknoten  587. 

Himalaya  174.  222. 

Himmel  8;  keine  Befriedigung  ge- 
wahrend  894. 

Hiranyagarbha  ( Erstgeborener  der 
Schopfung,  Urquell  der  Weisheit; 
=  Brahman)  644;  =  Buddhi,  Mah&n, 
Virinci  610;  Urheber  des  Saiikliyam 
637;  Urheber  des  Yoga  855. 

HiranyakaQipu  (ein  Damon)  804. 

Holien,  symbolisch  194.  210. 

Hunnen  [huna)  708. 

I. 

Identitat  der  Wesen  56  fg. 

Igvara  (der  „Herr",  der  personliche 

Gott)   50;   auf  Egoismus  beruheud 

253.  383.  630. 
Ikshvaku    (Stammvater    der   Sonuen- 

dj'nastie,  Sohn  des  Manu  Vaivas- 

vata)  50. 
Indra  (Konig  der  Gotter)  137  fg. ;  seine 

Flucht  und  Riickkehr  806  fg. 
indriya's  (die  fiinf  Sinnesorgane  und 

funf  Tatorgaue)   278.   961;  zu  be- 

siegen  940;  als  Lampe  538;  kenuen 

sich  gegenseitig  nicht  912;  als  zehn 

Opferpriester  908;  als  sieben  Opfer- 

priester  911.  914. 

J. 

Jaigishavya  327  fg. 

Jajali  418  fg. 

Jamadagni  930  fg. 

Jauaka  (Konig  von  Mithila)   47.  130. 

270  fg.  937;  legt  wegen  Erkenntnis 

seine    Herrschaft    nieder    669;    J. 

Dharmadhvaja  673  fg. ;  vgl.  Karala- 

janaka. 
Janamejaya,  Konig,  Nachkomme  des 

Arjuna,    dem   Vaigampayaua    beim 

grofsen  Schlangenopfer  das  Maha- 

bharatam  erzahlt. 


Janardaua  (.Meuschenqualer,  Beiuame 

Vishnu-Krishna's)  36  fg. 
Jarasandha  778. 
Jiva  (individuelle  Seele;  ihr  entspricht 

Sankarshana,  s.  d.)  156  fg.  158  fg. 

368.  773.  892. 
jndna-dtman  (Erkenntnis - Selbst)  = 

Purusha  248. 
Jyeshthasdman-Geliihde  845. 
Jyotisham  (Vedakalender)  795. 

K. 

Ka  (Beiname  Prajapati's)  662.  663. 

Ka(;i  (Benares)  33  fg. 

Ka^yapa  (Kagyapa)  137  fg.  234  fg.  238. 

Kala  (die  Zeit  als  zerstorende  Gott- 
heit)  293  fg.  309  fg. ;  Rad  der  Zeit 
973;  vgl.  Zeitalter,  Zeit. 

Kalayavana  778. 

Kali,  s.  Yugam. 

Kalpa  (Weltperiode  von  einer  Welt- 
schopfung  bis  zur  entsprechenden 
Weltvernichtung  reichend)  70  u.  6. 
493;  vgl.  Weltschopfung ,  Weltver- 
nichtung, Yugam. 

Kama  (Begierde)  127  fg. 

Kaiisa  (Konig  von  Mathura,  von 
Krishna  erschlagen)  778. 

Kapila,  nrspr.  =  Hiranyagarbha,  dem 
personlichen  Brahman  598.  776. 
814  (von  Hiranyagarbha  unter- 
schieden  855);  als  Urquell  der 
Weisheit  mythischer  Urheber  des 
Sankhyasystems  75.  270.  271.  449. 
857;  seine  Lehre  707;  K.  usw.  als 
geistige  Sohne  Brahman's  790. 

Karalajanaka  609. 

Karna  (Heerfiihrer)  33. 

Kasten  fvarnfl ,  jafij  162  fg.  164  fg.; 
ihre  Pflichten  104.  563  fg.  566  fg. 
575;  ihre  Schopfung  235;  ihre  Ver- 
mengang  37;  Mischkasten  573;  auf- 
gehoben  72;  vgl.  Brahmanen,  Ksha- 
triya,  Vai(;ya,  ^ddra. 

Kau^ika  803. 

A7efa's  114. 

Konigtum,  seine  Schattenseiten  686  fg. 


1002 


Index  bemerkenswerter  Namen  und  Begriffe. 


Kosmographisches  146  fg. 

Korperteile  voa  Vater  und  Mutter 
620;  vgl.  Leib. 

Korperfeuer  161. 

Kramapatha  (eine  besondere  Methode, 
den  Veda  zu  rezitieren)  814. 

Krahe  und  Palmfrucht  126. 

Kripa  33. 

Krishna  (Vasudeva),  Sohn  des  Vasu- 
deva  und  der  Devaki,  Bruder  des 
Balarama,  schon  im  Mahabharatam 
eine  Inkarnation  Vishnu's  33.  35  fg. 
233.  243.  245.  885  fg.  usw.;  seine 
Geburt  in  Mathura  778;  ihm  feind- 
liche  Stamme  236. 

Krishna  Dvaip&yana,  s.  Vya,sa. 

Kritam,  s.  Yugam. 

Kshatriya  (Kriegerkaste  =  kshatram, 
Eajanya)  9  usw.;  Pflichten  41.  577; 
von  Rama  ausgerottet  931. 

Kshetrajna  („Ortskenner",  Subjekt 
des  Erkennens,  das  hochste  Prinzip 
=  Purusha)  86  fg.  161.  181  fg.  250. 
267.  271.  280.  350.  353.  368.  383. 
387.  389.  390.  477.  480.  535.  536. 
537.  538.  627.  630.  652.  773.  774. 
790.  812.  941.  942.  969  fg.  982. 
993;  individuell  gefafst  606;  = 
antardtman  750.  751;  mit  Vasu- 
deva identifiziert  826.  846.  860. 
923,  929;  Kshetrajna  und  Sattvam 
(vgl.  Purusha  und  Prakriti)  983. 
986  fg. ;  Gleichnisse  daruber  987  fg. ; 
Kshetrajna,  Buddhi,  Manas,  Siune 
991;  vgl.  sdkshin. 

Kshetram  („Ort",  der  Leib)  86  fg.  u.  o. 

Ku^alin  559. 

Kii(;asthali  (Stadt)  778. 

Kuhgewinner  {govinda  =  Krishna) 
36.  39  u.  0. 

Kun4adhara  466  fg. 

Kuntibhoja  33. 

Kuru,  Stamm vater  der  Kuru's  und 
Pandava's. 

Kuruiand  33. 

Kunti  =  Pritha,  Mutter  des  Yudhish- 
thira,  Bhima  und  Arjuna  84 fg.  u.  o. 


L. 

Laster  13  fg.  23.  24  usw. 

Lebensstadien,  s.  dgrama's. 

Lehrbiicher  542. 

Leib  578;  geschildert  601;  pessi- 
mistisch  730.  965;  als  Aggregat  der 
Elemente  360.  534  fg. ;  Pforten,  vier 
590;  seine  dreifsig  Qualitaten  683 
der  feine  Leib  (vgl.  Lingam)  655. 
908;  vgl.  Korperteile,  Korperfeuer. 

letale  Stellen  (marman)  891  fg. 

Lingam  (der  feine  Leib,  s.  d.)  27. 
297.  625;  =  Korper  220.  223. 

Literaturkreis  215;  vgl.  Aranyakam, 
Brahmasutra's,  Qatapatbabrahma- 
nam,  Puranam,  Vedasutram,  Wissen- 
schaften,  Yajnavalkya. 

Lockiger  {guddkega  =  Arjuna)  35. 
39  usw. 

Lust  und  Schmerz  113  u.  o. 

M. 

Madhava  (Krishna)  34.  36  u.  o. 

Madhu  (Damon)  234;  und  Kaitabha 
835  fg. 

MadhusGdana  (Madhutoter  =  Krishna) 
36.  38  usw. 

Mahabharatam,  als  fiinfter  Veda  785; 
von  Vyasa  verfafst  831 ;  besteht  aus 
hunderttausend  Versen  819. 

mahdbhutdni,  s.  Elemente. 

Mahdn,  Mahdn  Atmd  (in  der  Begel 
=  Buddhi,  s.  d.)  145.  390.  481. 
610.  (verganglich  612.)  790.  902. 
957  fg.  964.  966.  988;  hoher  als 
jndnam  und  buddhi  225-,  =  Purusha 
248 ;  als  fiinfundzwanzigstes  Prinzip 
(s.  d.)  619.  627.  634. 

Mahdniyama  (eine  Askese)  787. 

Manas  als  Regierer  der  Erkenntnis- 
organe  dem  Verstand,  als  Lenker 
der  Tatorgane  dem  (bewufsten) 
Willen  entsprechend  60  fg.  773; 
beim  Yoga  188.  212;  weltschaffend 
249;  als  Zustand  der  Buddhi  536; 
als  Organ  des  Sehens  usw.  646; 
als  Zentralorgan  682;  mit  den  In- 


Index  bemerkenswerter  Namen  und  Begriffe. 


1003 


driya's  sich  gegenseitig  bedingend 

912  fg.;  mit  Buddhi  968;  mit  Ahan- 

kara  und  Buddhi  968. 
Mdnasa  145  fg.  148.  161. 
Manenklassen  454.  775. 
Manibhadra  467  fg. 
MaBki  125  fg.  137. 
Manovaha,  eine  Ader  259  fg. 
Manu  50.  73;  sein  Gesetzbuch  757; 

M.  Svarocisha  844. 
Mannlowe  804;  vgl.  Vishnu. 
Martanda,  Geburt  aus  der  Aditi  809. 
Materialismus  272  fg. 
Maya  10.  50.  64.  106.  140.  774;  von 

Vishnu  ausgehend  255. 
Meditation  6  u.  o. 
Menschsein,  erfreulich  580;  ein  Un- 

gluck  617.  727. 
Mem  148.  509. 
Mischkasten,  s.  Kasten. 
Mischungstheorie  397;  vgl.  Akkumu- 

lationstheorie. 
Mithim  (vgl.  Janaka)  130.  483. 
Mitleid  261.  308.  316. 
Moralisches  640  fg.  872  fg.  974;  vgl. 

Sitten,  Stromungen,  Tugenden. 
Muni  (Schweiger,  Einsiedler)  18.  43. 

58  usw. 
Mutter,  gepriesen  440. 

Nahrung  und  Schlaf  59  fg. 

Nahusha  (alter  Konig,  Sohn  des  Ayus, 
Vater  des  Yay&ti,  Stammvater  der 
Kuru's  und  Yadu's,  zu  denen  Krishna 
gehort)  130.  427.  449.  806  fg. 

Naighantukam  813. 

nakshatra''s  (Sternbilder,  Mondhauser) 
809. 

Nakula  (vierter  Sohn  des  Pandu)  34. 

Namensammlungen  311.  376  fg. 

Namuci  137.  303  fg. 

Nandin  (Diener  Q'iva's)  510.  512.  534. 

Narada  (mythischer  Weiser)  74.  177. 
330  fg.  405  fg.  516.  748  fg.  831. 

Nar^yana  (Name  Vishnu's,  besonders 


im    monotheistischen    Sinne)    266. 

270.  748  fg.  781.  919. 
Nastika  (Nihilist)  273  u.  o. 
Niruktam  812. 
Nirvdnam  (Erloschen,  Seligkeit)  45. 

57.   59.    166.    174.    187.    189.   776. 

784.  812.  899. 

O. 

Objekte  als  Opfergaben  908. 

Om-Laut  64.  67  u.  o. 

0/M,  Tat,  Sat  99. 

Opfer,  umgedeutet  52  fg.;  Polemik 
dagegen  429  fg.;  ohne  Wiinsche 
darzubringen  797;  ohne  Tiertotung 
auszufuhren  436  fg.  451  fg.  473. 
759.  764.  791;  Opfertier  zum  Him- 
mel  eingehend  927;  vgl.  AhinsS,. 

Organe,  s.  Indriya's. 

P. 

PaQupata's  (Anhanger  ^iva's)  533.  855. 

Paderastie  324. 

Vsikvkq&ya.  156. 

Panca^ikha     (alter     Sankhyalehrer, 

Schiller  des   Asuri)  270  fg.   671  fg. 

675.  688. 
Pancala  (Verfasser   des  Kramapatha, 

s.  d.)  839. 
Pa,ncaratralehre  (PancarJitralehre)  755. 

762.  780.  848.  855 fg.;  vgl.  BhSiga- 

vata's. 
pancikaranam  812;  vgl.  Mischungs- 
theorie. 
P&ndava's    (Sohne    des    Pindu:    Yu- 

(ihishthira,  Bhlma,  Arjuna,  Nakula 

und  Sahadeva)  33.  34  usw. 
Par&?ara  (Vater  des  Vyisa)  556  fg. 
Passivitat,  s.  Aktivitat. 
Perzeption  als  Opfer  906  fg. 
Pflanzen  beseelt  151. 
Pflicht  413  fg.  416  fg. ;  gegeu  die  Eltern 

438  fg. 
Pinaka,  Etymologie  553. 
Pinda's,  ihr  Ursprung  828  fg. 
Pifigaia,  (Iletare)  117. 
Pitriy&,na   (Vaterweg)   947;   mifsver- 

standen  68 fg.;  vgl.  Devay&na. 


1004 


Index  bemerkcDswerter  Namen  und  Begriffe. 


Pradyumna  (dritter  Vyuha,  s.  d.);  vgl. 
Aniruddha. 

Pradestinatioa  896  fg. 

Pradhdnam,  s.  Prakriti. 

Prahrada  132  fg.  137."  286  fg.  717. 

Prajapati  (Personifikation  des  schopfe- 
rischen  Prinzips)  46;  einundzwaa- 
zig  751. 

Prakriti  {  =  Pradhdnam  =Avyaktam, 
s.  d.),  die  erkenntnislose  Urnatur 
aus  den  drei  Guna's  besteheud  46. 
48.  50.  86  fg.  ,246  usw.;  achtfach 
63;  P.  und  Purusha  88.  651  u.  6.; 
aus  Brahman  entsprungeu  896;  aus 
dem  Purusha  78G. 

Pram&na's,  s.  Erkenntnistheoretisches. 

Prana's  (die  fiinf  Lebenshauche,  die 
OrganederNutrition) :  Prana,  Apana, 
Vyana,  Udana,  Samana  152.  155. 
256.  724.  906.  917.  960;  P.  und 
Ap&na  (s.  d.)  910;  ihr  Rangstreit 
915  fg.;  als  Opferpriester  914. 

Pranagnihotram  53. 

Pritha,  s.  Kunti. 

Prinzipien  (der  Sankhyalehre) ,  fiinf- 
undzwanzig  49  fg.  947;  vierund- 
zwanzig  611;  elf  398;  das  vierund- 
zwanzigste  Prinzip  666  fg. ;  der 
Funfundzwanzigste  612.  622.  623. 
628.  629.  630.  633.  634  fg.  638. 
665.  666  fg.  772.  774.  848.  982; 
der  Sechsundzwanzigste  634  fg.  665. 
666  fg.;  vgl.  Evolutionsstufen. 

Psychischer  Organismus  86. 

Pulkasa's  140. 

Pupillenbild  658. 

Puranam  238;  vedisches  661;  =  Bra,h- 
manam  795. 

Purujit  33. 

Purusha  (=  Kshetrajna,  das  reine 
Subjekt  des  Erkennens)  56.  66  fg. 
86  fg.  94.  209;  seine  Vielheit  und 
Einheit  856  fg.  859  fg. ;  Identitat 
aller  Purusha's  690;  P.  und  Prakriti 
(vgl.  Kshetrajiia  und  Sattvam)  als 
Mann  und  Weib  620;  widerlegt 
623;  beide  voUig  verschieden  636. 


654;  beide  =  Vishnu  834.  861;  als 
iQvara  623;  vgl.  sdkshin. 

R. 

Rajas  (Leidenschaft,  was  Unlust  be- 

reitet,  s.  Guna)  49.  61;  arvdksrotas 

951  fg. 
Rama    (Sohn    des    Jamadagni)    875. 

930  fg. 
Rangstreit  zwischen  Manas  und  Rede 

909  fg. 
Rantideva  562. 
Rasa  (Unterwelt)  838. 
Eathantaram  500.  517. 
Ratselfragen  591  fg. 
Raum  und  Zeit  nicht  real  984. 
Raumya's  (Damonen)  518. 
Raupe  ihr  Gehause  spinneud  614. 
Ravana  und  die  Affen  778. 
Reizmittel    beim    Yoga,     sarncodand 

625;  codand  656. 
rhetorische  Regeln  681  fg. 
Rishi's,  sieben  234.  237. 
Rofshaupt   769.   775.   792.   814.   833. 

837  fg. 
Rudra  (alterer  Name  fiir  ^iva,  s.  d.), 

sein  Ursprung  774.   790.  796;   mit 

Isarayana  identisch  797. 

S. 

Sadhya's  („die  zu  Verehrenden",  eine 
Gotterklasse)  587  fg. 

Sahadeva,  funfter  Sohn  des  Pandu  34. 

sdkshin  (Zuschauer,  Subjekt  des  Er- 
kennens) 387.  536;  vgl.  Kshetrajna, 
Purusha. 

Samaiiga  539  fg. 

Same  259  fg. 

samkalpa  (Funktion  des  Manas)  342. 

samskdra  (Einpragungen  von  einer 
friihern  Geburt  her  haftender  Ein- 
drucke)  973. 

Sanatkumara  490  fg.  510.  727.  844. 

Sanatsujata  3  fg. 

Sanjaya  33  fg. 

Sankarshana  (Bruder  Krishna's),  zwei- 
ter    Vyuha    (s.  d.)    Vishnu's,    dem 


Index  bemerkenswerter  Nameu  und  Begrifife. 


1005 


Jiva  eutsprechend  (vgl.  Pradyumna, 
Aniruddha)  234  u.  6. 

Sankhyam  (von  saiikhyd,  Reflexion), 
die  an  die  Atmaulehre  der  Upani- 
shad's  sich  anschliefsende  Re- 
flexionsphilosophie  (im  Gegen- 
satze  zum  Yoga,  der  reflexionslosen 
Vertiefung  in  das  Selbst,  den 
Atman),  spater  Name  eines  philo- 
sophischen  Systems  41.  46.  55.  88. 
101;  Sankhyam  und  Yoga  190.  593. 
633.  655;  Sankhyatraditiou  637  fg. ; 
Saiikhya-Auhauger  nach  dem  Tode 
604  fg. 

Sanuyasin  (vierter  dgrama)  58.  376. 
377  fg.  u.  6. 

Sarasvata  Apantaratamas  als  friibere 
Existenzform   des  Vyasa  835.  855. 

Sarasvati  (Gottiu  der  Rede)  149.  756. 

Sattvam  (erster  der  drei  Guna's,  was 
Lust  erregt)  683;  (urdhvasrotas) 
953  fg.  983;  =  Manas  892;  im 
Gegensatze  zu  den  Guna's  360; 
ahulich  wie  Lingam  399;  als  Ver- 
treter  der  Prakriti  537.  983.  986  fg. 

sdttviJca,  vydmiqra,  vaikdrika  847  fg. 

Satvata's  (eigentlich  das  Volk  des 
Krishna,  dann  Name  einer  mouo- 
tbeistisch-vishnuitischeu  Sekte;  vgl. 
Bhagavata's)  779.  812.  844.  846. 
849;  ihre  Lehre  754.  755. 

Satyakasprofs  (Yuyudhana)  34. 

Satyam  (Wahrheit,  Kealitat)  166.  946. 

Satyavant  445  fg. 

Saubha  (die  Luftstadt)  778. 

Sauti  erzahlt  dem  ^'aunaka  das  von 
Vai^ampayana  (s.  d.)  ihm  tiber- 
lieferte  Mahabharatani. 

S&,vitri  (die  Sonnengottiu)  473. 

Schildkrote  und  Glieder  44.  116.  964. 

Schicksal  114.  143;  Tat,  Natur,  Schick- 
sal  338.  357. 

Schlaf  606. 

Schmerz  257. 

Schopfung  7. 

schopferische  Wesenheiten,  acht,  Ma- 
rici  usw.  786. 


Schrift,  8.  (I'ruti, 

Schutzgottheiten  der  Organe  648  fg. 

Schwan  {hahsa  =  Brahman)  587  fg. 

Schweigen  11. 

Seeleuwanderung      614.     638.     888. 

950  u.  o.;  vgl.  Vergeltung,  Wieder- 

geburt, 
Selbstmord  891. 
Selbstzucht  282  usw. 
Senajit  112  fg. 
Siddhi's  (die  durch  den  Yoga  erlang- 

baren  acht  iibernatttrlichen  Krafte) 

954. 
Sinnesorgane,  s.  Indriya's. 
Sitten ,   gute   und   schlechte   322  fg.  ^ 

vgl.  Moralisches. 
Smriti   (die   Tradition    im    Gegensatz 

zu  ^ruti,  s.  d.)  244  u.  6. 
Soma   (Opfertrank,    Mond)    809  fg. ; 

s.  Teil. 
Somadattasohn  (Bhurigravas)  34. 
Sterbestunde  66  fg.  982;  vgl.  Tod. 
Sterne  als  abgeschiedene  Seelen  463. 
Strafen,  Abmessung  derselben  446 fg.; 

nach  dem  Tode  695. 
Stromungen,   drei  moralische  643  fg. 

948  fg. 
Struppiger     {hrisMkeqa  =  Krishna) 

34.  35.  39  usw. 
Subhadrasohn  (Abhimanyu)  33  fg. 
Subjektivitat  der  Auffassung  des  Lehr- 

stoffs  922. 
Sulabha  673  fg. 
Surasa  873. 

Surya,  Sonne,  Sonnengott. 
svabhdva  (die  eigene  Natur)  221.  386. 

390;  =  Prakriti    56.    287  fg.    926. 

928.  944;  vgl'.  Schicksal. 
Syftmaragmi  449  fg. 

T. 

Tag   und  Nacht    des  Brahman    644; 

des   Brahman  645;   des  Ahankara 

645;  der  Elemente,  Vigesha's  und 

des  Manas  645  fg. 
Tamas   (Finsternis)    dritter    der   drei 

Guna's,  alles  befassend,  was  weder 


1006 


Index  bemerkenswerter  Namen  und  Begriffe. 


Lust  Doch  Unlust  bereitet,  gleich- 
gultig  lafst  90  fg.;  (avdksrotas) 
949  fg.  usw. ;  vgl.  Guna's. 

Tapas,  s.  Askese. 

Teil  der  Mondscheibe,  sechzehnter, 
unverganglich  619. 

Tieropfer,  s.  Opfer. 

Tishya  =  Kali  263  fg.  853. 

Traum  263  fg.  399.  480.  994. 

trishnd  (Durst,  Begierde)  14.  90.  113. 

'  116.  117.  126.  130.  139.  269.  274. 
288.  463.  477.  482.  541.  596.  847. 
888.  936.  964. 

Trisuparna-Ritus  843. 

Tugenden,  aufgezahlt  10.  13.  15.  23. 
86  fg.  94  fg.  129.  895  fg. ;  vgl. 
Moralisches. 

Tuladhara  418  fg. 

Tochter  374. 

Tod,  ist  nicht  3  fg.  5.  119  fg.  404  fg. 
577  fg.;  auf  dem  Schlachtfelde  577; 
Vorzeichen  desTodes  696;  schmah- 
licher  579;  erst  nach  Abbiifsung 
der  Werke  890  fg.;  Todesstrafe 
mifsbilligt  445  fg.;  Todeswind  696; 
vgl.  Sterbestunde. 

Tone  der  Tonleiter  154. 


U. 

IjQanas  488  fg.  552  fg.  803;  sein  Ge- 

setzbuch  757. 
Uma  (Gemahlin  giva's)  511  fg.  517  fg. 

810  fg.;  ihre  Beinamen  967. 
Umgang,  sein  Einflufs  590. 
Uuentfaltet :  Tcshetram,  sattvam,  tgvara 

628. 
Unsterblichkeit  39  fg.  u.  o. ;  Unsterb- 

lichkeitstrank,  s.  Amritam. 
Uparicara    (Vasu)     754  fg.     758  fg. 

764  fg. 
Upa^ruti     (Gottiu     der     Erhorung) 

807. 
Urelemente,  acht  479. 
Urgesclilechter,  vier  574. 
Urmaterie,  Urnatur,  s.  Prakriti. 
Uttamaujas  33. 


Vadavamukha  (Narayana)  810. 
Vaigampayana    (Schiiler    des    Vyasa) 
erzahlt      dem     Janamejaya     beim* 
grofsen  Schlangenopfer  das  MahS,- 
bharatam  4  fg.  u.  6. 
VaiQvanarafeuer  906. 
Vaigya,  die  dritte  Kaste,  s.  d. 
Vaikhanasa  376. 
Vaitarani  (Hollenflufs)  695. 
Vajapeya-Opfer  532. 
Vanaprastha,  Waldeinsiedler^  dritter 

A^rama  (s.  d.)  375  fg.  u.  6. 
Vasishtha  500. 
asor  dhara  766. 
Vasudeva  64  u.  o. ;  s.  Krishna,  Vyuha's. 
Vayu  als  Psychopompos  412. 
Veda,  von  den  Damoneu  geraubt  835; 
Veda  und  Lehrsystem  620;   Veda- 
polemik    230  fg.     254.    394.    430. 
449  fg.  670;  s.  Q'ruti. 
Vedanga's   (Hilfsschriften    des  Veda, 
vgl.  Qiksha,  Jyotisham,  Niruktam) 
195  u.  0. 
Vedanta  (=  Upanishad,  spater  Name 

eines  Systems)  94  u.  o. 
Vedasutram  789. 
Vergeltung  557. 
Verwandtenheirat  getadelt  679. 
ViQesha'&  (Unterschiede,  im  Mahabh. 
die  spezifischen  Qualitaten  der  Ele- 
mente)    611.    626.    629.    643.    645. 
945.  973.  989.  991.  994;  vishmja  = 
vigesha  247. 
Vigvarupa  als  Gotterfeind  804  fg. 
Vigvavasu  (ein  Gandharva)  662. 
Vidarbha's  (Volksname)  472. 
Vidura  3  fg. 
Vikarna  34. 
Virabhadra  518. 
Viraj  796. 
Virata  33  fg. 

Vishnu  (urspriinglich  der  „wirkende" 
Sonnengott),  im  Mahabh.  meist 
die  oberste  Gottheit,  identifiziert 
mit  Narayana,  Krishna  (Vasudeva), 


Index  bemerkenswerter  Namen  und  Begriffe. 


1007 


Kshetrajna  und  gelegentlich  mit 
^iva  817;  mit  ihm  kampfend  816. 
269.  490  fg.;  als  Zwerg  235;  als 
Eber  242;  alsEber,  Mannlowe  (804), 
Aditya,  Para^u-Rama,  Rama  777; 
als  Vrishakapi  813.  829;  =  Jiva 
846;  =  Purusha  und  Prakriti  834. 
861;  vgl.  Vyuha's. 

Vivasvant  50. 

Vorzeichen ,  unheilvolle  658  fg. ;  vgl. 
Tod. 

Vollhaariger  {kegava  —  Krishna)  36. 
43.  45  usw. 

Vrishakapi,  8.  Vishnu. 

Vrishni  37. 

Vi-itra  488  fg.  498  fg.  806. 

Vyasa  (Krishna  Dvaipa,yana) ,  Sobn 
des  Paragara  von  der  Satyavati 
(Gandhavati),  Vater  des  (^uka,  Ver- 
fasser  des  Mahabharatam  (s.  d.)  74. 
333  fg.  703  fg. ;  seine  menschliche 
Genealogie  850;  seine  fruhere 
Existenzform  s.  Sarasvata  Apantara- 
tamas ;  seine  Schuler  (VaiQamp^yana, 
Jaimini,  Paila,  Sumantu  und  Quka) 
718.  785.  850. 

Vyuha\,  die  vier  Entfaltungen  des 
Vishnu  als  Vasudeva  (kshetrajna), 
Sank'arshana  (jiva) ,  Pradyumna 
(manas),  Aniruddha  (ahankdra) 
826.  846.  860. 

W. 

Wahrnehmung  273. 
Wahrheit  202  fg. 
Waldeinsiedler,  s.  Vanaprastha. 
Wallfahrten,  uberflussig  433. 
Wasser,    seine    Verunreinigung    ver- 

boten  507. 
Weiber,  verachtet  255  fg.  380.  700. 

905;  zum  Yoga  berufen  366.  894; 

zum  Studium  zugelassen  533. 
weifse  Manner  (Bewohner  von  Qveta- 

dvipa)  823. 
Weltschopfung  145  fg.;  Weltvernich- 

tung646fg.  773. 834.960;  vgl.  i/ugraw. 


Werke  215  fg.  557. 

Wiedergeburt    91  fg.;    vgl.    Seelen- 

wanderung. 
Winde,sieben  600. 724 fg.;  dersiebente 

604. 
Wissenschaften  246. 
Wortbrahman  62.  339.  350.  356.  365. 
Wunder,  bei  Quka's  Flug  744  fg. 

Y. 

Yajnavalkya  belehrt  den  Janaka 
642  fg. ;  empfangt  von  der  Sonne 
den  weifsen  Yajurveda  660. 

Yama  (Hollenfurst)  5.  409. 

Yaska  (Verfasser  desNiruktam)  811  fg. 

Yayati  714. 

Yoga  (Anspannung) ,  1.  die  Methode, 
durch  Verinnerlichung  (Vertiefung 
in  das  eigene  Selbst)  mit  dem  Atman 
(Brahman)  eins  zu  werden;  2.  die 
Yogapraxis,  spater  Name  eines  philo- 
sophischen  Systems ;  3.  Yoga  =  Yogin 
(Anhanger  des  Yoga)  41.    43.    55. 
58  fg.   187  fg.  212.  242.  899.   935 
qualitathaft  und  qualitatlos  655  fg. 
Yogakraft  593  fg.;  Yogamacht  708 
Yogapraxis  67.    624  fg.    655.    741 
Yogaverzuckung     625 ;      Yogavoll- 
kommenheiten,    acht    655;     Yoga- 
zauberkunst  674;  Theismus  des  Y. 
592 ;  Yoga  bezw.  Yogin  46.  52.  57. 
58.  59  fg. ;  wo  er  hineinfahren  kann 
597;   seine  Nahrung  und  Kleidung 
596.  615. 

Yudh§,manyu  33. 

Yudhishthira  (altester  Sohn  desPandu) 
34  u.  0. 

yugam  236.  448;  und  kalpa  610. 

Z. 

Zeit,  ihr  Rad  973;  ihre  Einteilung 

333  fg. ;  vgl.  Kala. 
Zeugung  894  fg. 
Zorn  116. 
Zweckloses  Tun  das  hochste  953. 


ZITATEN-INDEX. 


Bigveda : 

1,154,5 

3,62,10 

6,16,1 

7,33,11 

10,90,3 

10,90,6 

10,90,12 

10,90,15 

10,114,3-5 

10,190 


27 
970 
801 
609 
497 
908 
573 
451 
843 
258 


Aitareya  -  Brahmanam : 

1,1  918 

7,13  374 

7,13  fg.  562 

Aitareya-Upanisliad : 

1,3,13  fg.  493 

2,1  fg.  439.  572 

Eaushitaki-Upanishad : 

3  907 

PancavinQa- 

Brahmanam : 

16.3.3  '       450 

Chandogya-Upanishad : 

3,11,1  302 

3.11.4  384 
3,14,1  400 
3,19  644 
4,14,3  654 
5,3-10  69 


5,10,1 

5,19  fg. 

6,1,3 

6,3,2 

6,4 

6,4,1 

6,7,1 

6,10,1 

7,1,4 

7,8,1 

7,25,2 

8,1,1 

8,3,2 

8,6,6 

8,7  fg. 

8,12,6 

8,13 

8,15 


43 


947 

53.  430 

22.  25 

381 

613 

352 

994 

848 

785 

342 

.47.185.396 

30 

304.  686 

579 

4.  493.  922 

922 

6 

370 


Kena-Upanishad : 

29  268 

Taittirij  a-Upanishad : 

2  297.  382.  980 

2,4  774 

2,8  27 

Eatbaka-Upanishad : 

2.6  5 

2.7  41 
2,15  67 

2.18  40.  482 

2.19  40.  294 
3,10  49.  388 


3,10  fg.  225.  383 

3,12  161 

4,14-15  29 

5,15  93 

6,1.  26.  92.  898 

6.7  49 
6,9  26.  28 

6.15  587 

6.16  579 

6.17  19.  37.  354. 
653.  900. 

('vetaqvatara- 

Upanishad : 

1,5        271.  892 

2.8  350 

3.16  87.  362.  522. 
610.  648.  902. 
958. 

3.17  87 
4,5  613 
5,2  75.  637.  776 
5,14          994 

Maitrajanija- 

Upanishad : 

1,4  134 

3.2  654.  982 

3.3  220 
6,22        62.  339 

Vajasaneyi-Saiuhita : 

31,18  21.  22.  87 

32,2  268 


Zitaten- Index. 


1009 


Brihadaranyaka- 

Upauishad : 

1,2,5 

616 

1,3,7 

281 

1,4,6 

800 

1,4,10 

903  A. 

1,5,14 

368 

1,5,14-15 

751 

2,4,12 

276 

3,5 

21 

369 

3,7 

29 

3,9,4 

655 

4,3,6 

823 

964 

4,3,13 

224 

4,3,15 

895 

4,4,7 

393 

4,4,16 

87 

4,4,22 

122 

539 

4,4,23 

348 

5,1 

27 

5,9 

906 

6,1,14 

451 

6,2 

69 

6,2,15 

947 

6,4,4-5 

258 

6,5,3 

660 

tQa-Upanishad 

: 

1 

938 

4 

297 

Atharvaveda: 

11,4,21 

27 

11,8,32 

523 

Mundaka-Upanishad : 

1,1,5  195 

2,2,8         54.  305.  391 
3,1,4  47 

3.2.7  994 

3.2.8  280 


PraQua-Upanishad : 

6  994 

6,3  600 

Man^ukya-Karika : 


Yog-a-Sutrani: 

1,41  588 

2,3  114 

2,30.32  627 


2,26 

634 

Brabuia-Sutrani : 

1,2,32 

57 

Brahmabindn- 

gankarazu3,2,10 

131 

Upanishad : 

12 

219 

Yedantasara : 

§  99  Bohtl. 

156 

Manu: 

§124     „ 

397 

1,6,7 

897 

1,10 
1,12.13 

798 
644 

Bbagavata-Puranam ; 

1,29 

337 

11,9,2 

131 

1,65  fg. 

334  fg. 

1,74 

610 

Panini : 

2,87 

358 

6,1,127 

697 

4,7-9.55 

372 
374 

4,179-185 

6,2 

375 

Platon : 

6,18.22-23 

376 

Gorgiasp.523E. 

697 

11,213 

258 

Phaedonp.eOB. 

113 

Harivan^a : 

506  fg. 

334  fg. 

Ev.  Mattbaei: 

Sankhya-Earika : 

5,23 

590 

12 

897.  948 

5,29 

115 

23.  44-45.48 

744 

6,20 

696 

48 

951 

10,14 

172 

Sankbya-Sutrani : 

Ev.  Jobannis : 

4,5 

131 

4,14 

430 

4,9 

132 

8,57-58 

50 

7 

4,11 

131 

14,20 

72 

4,12 

131 

4,13 

131 

Galaterbrief: 

4,14 

131 

3,28 

72 

Dbussen,  Mah&bh&Tatam. 


64 


1010 


Stammtafel. 


t>^ 

^      03  CS 

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+ 


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+ 


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+! 


+--1 


Von  demselben  Verfasser  sind  erschienen: 

Commentatio  de  Platonis  Sophfstae  compositione 
ac  doctrina.    Bonn,  Marcus,  18^9,    1  M.  20  Pf. 

Das  System  des  Ved^nta  nach  den  Brahma-  Sutra's  des 
Badarayana  und  dem  Kommentare  des  Qaiikara  iiber 
dieselben  als  ein  Kompendium  der  Dogmatik  des  Brah- 
manismus  vom  Standpunkte  des  (^'ankara  aus.  Leipzig, 
F.A.Brockhaus,  1883.  Zweite  Auflage  1906.  8.  Geh.  12M. 
Geb.  14  M. 

Die  Sutra's  des  Vedanta  oder  die  ^ariraka-Mimansa  des 
Badarayana  nebst  dem  vollstandigen  Commentare  des  (^aii- 
kara.  Aus  dem  Sanskrit  iibersetzt.  Leipzig,  F.  A.  Brock- 
haus,  1887.     18  M. 

On  the  philosophy  of  the  Vedanta  in  its  relations 
to  Occidental  Metaphysics,  an  address  delivered  before 
the  Bombay  Branch  of  the  Royal  Asiatic  Society,  the 
25*»»  February  1893.  Bombay  1893.  One  Ana.  Leipzig, 
F.  A.  Brockhaus.     10  Pf. 

Zur  Erinnerung  an  Gustav  Glogau.  Gedachtnisrede, 
gehalten  an  der  Christian  -  Albrechts  -  Universitat  am 
11.  Mai  1895.     Kiel,  Lipsius  &  Tischer,  1895.     50  Pf. 

tJber  die  Notwendigkeit ,  beim  mathematisch-natur- 
wissenschaftlichen  Doktorexamen  die  obligatorische  Prii- 
fung  in  der  Philosophic  beizubehalten.  Kiel,  Lipsius 
&  Tischer,  1897.     50  Pf. 

Jacob  Bohme.  Uber  sein  Leben  und  seine  Philosophic. 
Rede,  gehalten  (in  kiirzerer  Fassung)  zu  Kiel  am  8.  Mai 
1897.     Kiel,  Lipsius  &  Tischer,  1897.     50  Pf. 

Sechzig  Upanishad's  des  Veda,  aus  dem  Sanskrit  iiber- 
setzt und  mit  Einleitungen  und  Anmerkungen  versehen. 
Leipzig,  F.  A.  Brockhaus,  1897.  Zweite  Auflage  1905. 
Geh.  20  M.     Geb.  22  M. 


AUgemeine  Geschiclite  der  Philosophie  mit  beson- 
derer  Beriicksichtigung  der  Religionen  (2  Bande  in  6  Ab- 
teilungen). 

Erster  Band,  erste  Abteilung:  AUgemeine  Einleitung  und 
Philosophie  des  Veda  bis  auf  die  Upanishad's.  Leipzig, 
F.  A.  Brockhaus,  1894.    Zweite  Auflage  1906.     Geh.  7  M. 

Erster  Band,  zweite  Abteilung:  Die  Philosophie  der  Upa- 
nishad's.    Leipzig,  F.  A.  Brockhaus ,  1899.     Geh.  9  M. 

Erinnerungen  an  Friedrich.  Nietzsche.  Mit  einem 
Portrat  und  drei  Brief  en  in  Faksimile.  Leipzig,  F.  A.  Brock- 
haus, 1901.     Geh.  2  M.  50  Pf.     Geb.  3  M.  50  Pf. 

Die  Elemente  der  Metaphysik.  Als  Leitfaden  zum 
Gebrauche  bei  Vorlesungen  sowie  zum  Selbststudium  zu- 
sammengestellt.  Dritte,  durch  eine  Vorbetrachtung  Uber 
das  Wesen  des  Ideal ismus  vermehrte  Auflage. 
Leipzig,  F.  A.  Brockhaus,  1902.  Geh.  5  M.  Geb.  6  M. 
(Englisch,  London,  Macmillan  &  Co.,  1894.  Fran- 
zosisch,  Paris,  Perrin  et  Cie.,  1899.) 

Outlines  of  Indian  Philosophy.  Bombay  1902.  (Indian 
Antiquary.) 

Discours  de  la  Methode  pour  bien  etudier  I'histoire 
de  la  philosophie  et  chercher  la  verite  dans 
les  syst^mes.     Paris,  Armand  Collin,  1902. 

Der  kategorische  Imperativ.  Rede.  Zweite  Auflage. 
Kiel ,  Lipsius  &  Tischer,  1903.     50  Pf. 

Erinnerungen  an  Indien.  Mit  einer  Karte  und  sechzehn 
Abbildungen.  Kiel  u.  Leipzig,  Lipsius  &  Tischer,  1904. 
Geh.  5  M.     Geb.  6  M. 


K^ 


PK 
3635 

1906 
cop. 2 


Mahabhars  ta .      German 

Vier  phiiosophische  Texte 
des  Mahabharatam 


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