VIER
PHILOSOPHISCHE TEXTE
DES MAHABHARATAM:
samtsujAta-paevan - bhagavadgItA
MOKSHADHAEMA - ANUGItA.
IN GEMEINSCHAFT MIT Dk. OTTO STRAUSS
AUS DEM SANSKRIT UBERSETZT
VON
Dr. PAUL DEUSSEN
PROFESSOR AN DER tJNIVKRSITAT KIEL.
LEIPZIG:
F. A. BROCKHAUS.
1906.
PK
C z'p .
a
Bruck von F. A. Brockhaus in Leipzig.
VOEWOET.
V or einem halben Jahrhundert, als man bei den
Worten Veddnta und Sdnkhyam nicht sowohl an die
Upanishadlehre und die daraus erwachsene Re-
flexionsphilosophie der epischen Zeit, als viel-
mehr an die spateren Systeme dieses Namens dachte,
pflegte man die vorwiegend durch die Bhagavadgita be-
kannte Philosophie des Mahabharatam ftir eine aus
beiden Systemen zusammen^^mischte X^ehre zu erklaren,
und noch heute fehlt/ es nicht an namhaften Yertretern
einer ahnlichen An^chauuilgj • sfei «s, dais man der aus
den Upanishad's iit^erkommenen vedantiscHen Grund-
lage die selbstandig ftir sich entsprungenen Saiikhya-
lehren, oder, umgekehrt, einem urspriinglich auf
Saiikhyagrund errichteten Lehrsysteme hinterher Ve-
dantagedanken beigemischt sein lalst.
Ohne in dieser ftir den Entwicklungsgang der in-
dischen Philosophie entscheidenden Frage ftir jetzt ein
Urteil zu fallen, woUen wir in gegenwartigem Werke
die vier grofsen Haupttexte der Mahabharataphilo-
VI Vorwort.
Sophie in einer lesbaren und getreuen Ubersetzung vor
Augen stellen und abwarten, ob sich dem Eindrucke
dieser Texte gegentiber die herkommliche Ansicht
aufrecht erhalten lalst oder ob die Philosophic des
Mahabharatam , unbeschadet der mannigfachen An-
schauungen, die in ihr zu Worte kommen, doch
nicht sowohl als eine Mischphilosophie, sondern
vielmehr als eine Ubergangsphilosophie zu be-
zeichnen ist, namlich als die Philosophie des epischen,
zwischen dem Veda und dem klassischen Sanskrit
stehenden Zeitalters, in welchem sich der Ubergang
von dem Idealismus des Vedanta zu der realistischen
Denkweise des klassischen Sankhyam vor unseren Augen
voUzieht. Dieser Ubergang, welcher durch die spateren
Upanishad's, Kathaka, Qvetagvatara, Maitrayaniya u. a.
vorbereitet wird, findet in den philosophischen Texten
des Mahabharatam nebst den nahe verwandten Stticken
in Manu seine naturgemafse Fortentwicklung, bis er
sich schlielslich zu der abgeklarten Grestalt kristalli-
siert, in welcher ihn die Saiikhya-Karika vor Augen
stellt. Die aulsere Prazision und Konzinnitat dieser
Haupturkunde des klassischen Sankhyam hatte nicht
dariiber tauschen soUen, dais wir in ihr das letzte
Produkt einer langen Entwicklung zu sehen haben,
welche sich vom philosophischen Standpunkte aus nur
als eine stufenweise zunehmende Entartung des ur-
spriinglichen Idealismus der alteren Upanishad's ver-
stehen lafst.
Vorwort. "VH
Eine niihere Darlegung dieser Verhaltnisse muls
der dritten Abteilung meiner allgemeinen Geschichte
der Philosophie vorbehalten bleiben. Wie die zweite
Abteilung dieses Werkes sich auf meine Ubersetzung
der Sechzig Upanishad's grtindet, so hat die dritte Ab-
teilung zur unumganglichen Yoraussetzung die im
folgenden dargebotene Ubersetzung der vier philoso-
phischen Haupttexte des Mahabharatam. Diese letztere
umfangreiche und muhsame Arbeit wiirde mir bei der
stark erschtitterten Gebrauchsfahigkeit meiner Augen
nicht wohl moglich gewesen sein, hatte ich mich nicht
im ganzen Verlaufe des Unternehmens des vierjahrigen
treuen Beistandes meines jungen Freundes und ehe-
maligen Schiilers Dr. Otto Strauls zu erfreuen gehabt.
Die auf dem Titel erwahnte Gremeinschaft ist dahin
zu verstehen, dais wir nach den entfernteren Vor-
bereitungen gemeinschaftlich die Worte des indischen
Grrundtextes Vers fiir Vers durchberaten und oft erst
nach schweren tjberlegungen die endgliltige Fassung
festgesetzt haben. Fiir einen kleinern Teil des Granzen,
die Anugita, habe ich in gleicher Weise die Mithilfe
eines andern jungen Freundes, des Dr. Paul Emile
Dumont, dankbar anzuerkennen. Fiir die endgliltige
Fassung wird freilich in beiden Fallen zunachst der
Unterzeichnete die Verantwortung zu tragen haben.
Diese Verantwortung ist keine leichte, da sich der
Text des grofsen Epos, namentlich im Mokshadharma
und in der Anugita stellenweise in einem Zustande be-
VIII Vorwort.
findet, welcher es nur mit Anstrengung ermoglicht,
den Worten des Originals einen verstandlichen Sinn
abzugewinnen. Der Kommentar des Nilakantha (von
uns als Nil. zitiert) versagt haufig gerade an den
schwierigsten Stellen und ist nur mit Vdrsicht zu ge-
brauchen, da er oftmals offenbar seine spateren An-
schauungen in die Worte des Originals hineintragt.
Noch weniger JSTutzen konnte aus der unter dem Namen
des Pratapa Chandra Ray verofEentlichten englisclien
tjbersetzung gezogen werden, unter deren Wortschwall
mitunter die Worte des Sanskrittextes gar nicht mehr
wiederzuerkennen sind. Sehr nahe lag haufig die Yer-
suchung, dem Texte durch Konjekturen aufzuhelfen.
Aber wir haben nur im aufsersten Notfalle von diesem
Mittel Gebrauch gemacht, da die Konjekturalkritik
erst dann wird wirksam einsetzen konnen, wenn die
diplomatische Kritik ihre Aufgabe gelost haben wird,
wozu bei dem Umfange des Riesenepos und der Un-
zahl von Hands chrif ten, in denen es in Indien ver-
breitet ist, in absehbarer Zeit wenig Hoffnung sein
dtirfte. Aber selbst wenn es gelingen sollte, die Gre-
nealogie der vorhandenen Handschriften zu ermitteln
und aus ihnen die altesterreichbare Form der Uber-
lieferung herauszuschalen, diirften die Schwierigkeiten
nur wenig verringert werden, da die Fehler oft sehr
alte zu sein scheinen. Am besten ist die Uberlieferung
in der Bhagavadgita , und auch 2,40 ist eine Textes-
anderung, wie sie zur Rechtfertigung unserer Uber-
Vorwort. IX
setzung vorgenommen werden miilste, keineswegs not-
wendig. Wir verzichten daher auf den allerdings
schonen Gredanken, den wir hier zu finden glaubten
und bitten, dort einfach mit der Uberlieferung zu
lesen: „Dann gibt es ftir dich keinen Mifserfolg und
keine Widerwartigkeit mehr." Die neueste Uber-
setzung der Bhagavadgita durch Richard Garbe, welche
uns erst zuging, als die unsrige schon langer fertig-
gestellt war, wurde nachtraglich noch mit Dank be-
nutzt, und auch der Leser kann sich durch Yergleich
derselben eine Yorstellung dariiber bilden, innerhalb
welcher Grrenzen der Urtext der Freiheit des Uber-
setzers Spielraum lalst, nur dafs dieser Spielraum in
dem am wenigsten bekannten Mokshadharma ein be-
deutend grofserer ist. Wir haben auch den Moksha-
dharma vollstandig iibersetzt, obgleich zwischen die
philosophischen Gredanken zahlreiche, mitunter amii-
sante, stellenweise auch insipide Erzahlungen einge-
flochten sind, welche immerhin dem abendlandischen
Leser zur Einfiihrung in die indische Art zu denken,
zu empfinden und die Dinge anzuschauen nicht un-
willkommen sein diirften. Uber den Zusammenhang der
von uns tibersetzten vier Texte mit dem grofsen Ganzen
des Mahabharatam wird die von Hermann Jacobi
herausgegebene vortreffliche Inhaltsangabe dieses um-
fangreichsten Dichterwerkes aller Zeiten die beste
Orientierung gewahren.
Zum Schlufs sei nur noch bemerkt, dais unsere
X Vorwort.
tJbersetzung an die alte Bombay -Ausgabe (Qakabdah
1785) sich anschliefst, von welcher sich die spateren
Bombayer Drucke, soweit wir sie verglichen haben,
nur durch eine Anzahl von mehr oder weniger sinn-
storenden Druckfehlern unterscheiden. Wo wir, von
der erwahnten Bombay -Ausgabe abweichend, mit der
Calcuttaer Ausgabe 1834 fg. gegangen sind, deren
Lesarten allerdings haufig den Eindruck erleichtern-
der Konjekturen machen, ist dies jedesmal von uns
angemerkt worden.
Kiel, im August 1906.
Paul Deussen.
INHALT8VERZEICHNIS.
Seite
Vorwort V
I. SANATSUJATA-PARVAN.
Adhy-aya (ed. Calc.)
40. Sanatsujata, der ewige Jiingling, erscheint dem Dhritarashtra
und belehrt ihn 3
41. Der Tod ist niclit, Identitat der individuellen und hochsten Seele 4
42. tjber Maunam, Tapas und Unzulanglichkeit des Veda .... 11
43. Uber den Brahmacarin und das Wesen des Brahman .... 18
44. Aufzahlung von Tugenden und Fehlern 23
45. Das Schauen des Atman im Yoga 25
II. BHAGAVADGiTA.
1—6. Ethischer Teil.
1. Verzagtheit des Arjuna beim Beginn des Kampfes 33
2. Krishna belehrt ihn: Ewigkeit des Atman; Kshatriyapflicht;
Werk ohne Welthang 38
3. Interesseloses Handeln, Werke notwendig zum Bestande der Welt 45
4. Das Werk als ein dem Gott dargebrachtes Opfer 50
5. Der Entsagende weifs, dafs nur die Prakriti wirkt 55
6. Der Yoga als Weg zur Entsagung und Einswerdung mit Gott. 58
7—12. Theologischer Teil.
7. Gott als Prakriti, Jiva und hochstes Wesen 63
8. Meditation durch Om und Yoga; Eingehen in Gott 66
9. Gott schafft die Welt durch Maya und steht als Aufseher iiber ihr 69
10. Alles ist Gottes Machtentfaltung, aus ihm stammt alles Schone
und Kraftige 73
11. Krishna zeigt sich dem Arjuna als Allgestaltiger und Allver-
nichtender 77
12. Gottesverehrung, Meditation, moralischer Wandel 84
Xn Inhaltsverzeichnis.
Adhy&ya (ed. Calc.) Seite
13—18. Psychologischer Teil.
13. Kshetram, Jhanam, Jiieyam, Prakriti, Purusba 86
14. Beschreibung der drei Guna's, Befreiung von ihnen als hochste
Aufgabe ' 89
15. Der verganglicbe, der unverganglicbe und der bochste Purusba 92
16. Scbilderung der gottlicben und der damoniscben Lebensfiibrung 94
17. Der dreifacbe Glaube und seine Betatigung. Om, Tad, Sad . 97
18. Zerlegung des menscblichen Handelns; Weg zur Vollendung,
Verebrung des bocbsten Wesens 100
III. MOKSHADHARMA.
174. Trostung des Konigs Senajit bei Verlust seines Sobnes. Die
Hetare Pingala Ill
175. (=: 278.) Der Vater empfieblt die A^rama's, sein Sobn die Ent-
sagung 118
176. ^ampaka lobt die Armut. Gefabren des Reicbtums .... 122
177. Manki und die Ocbslein. Entsagung als Weg zum Gltick . . 125
178. Janaka und Mitbila. Die sechs Merkworte des Bodbya . . . 130
179. Entsagung als die Losung des Ajagara 132
180. Der arme Kagyapa von Indra als Scbakal getrostet und belebrt 137
181. VergeltuDg der Werke 142
182. Schopfung der Welt durcb den Mdnasa und Kosmograpbie . . 144
183. Entstebung der Elemente 148
184. Beseeltbeit der Pflanzen. Die Elemente und ibre Qnalitaten . 150
185. Die fiinf Prana's im menscblicben Korper 154
186. Bestreitung der Existenz des Jiva 15G
187. Griinde fur die Existenz des Jiva 158
188. Abstammung aller anderen Kasten von den Brabmanen . . . 162
189. Cbarakteristik der vier Kasten und Moraliscbes 164
190. Wabrbeit und Unwahrbeit, Lust und Leid 166
191. Pflicbten des Brabmacarin und Gribastha 169
192. Vanaprastha und Parivrajaka. Himmliscbe und irdiscbe Welt. 173
193. Vorscbriften fiir den guten Lebenswandel 177
194. Elemente, Organe, Ksbetrajna, Guna's, Bindung und Erlosung. 180
195. Yogameditation unter Fesselung des Manas 187
196. Bescbrankter Wert des Gebetsmurmelns 189
197. Gebetsmurmeln in selbstsiicbtiger Absicbt fiibrt zur Holle . . 192
198. Empiriscbe Daseinsformen als Hollen und der Atman als Himmel 193
199. Erlebnisse eines Gebetsmurmlers 195
200. Eingang des Gebetsmurmlers in den Himmel 210
201. Werkfrucbt und Frucbt der Erkenntnis 214
202. Der Atman, die Organe und Elemente 218
203. Atman, Bbutatman, Lingam (Korper) 221
204. Erkenntnis durcb die Sinne und reine Erkenntnis 224
205. Scbmerz. Buddbi und Manas. Der psycbiscbe Komplex . . 226
Inhaltsverzeichnis. XIII
Adhy&ya (ed. Calc.) Seite
206. Die Guna's, der Purusha und der Hochste 229
207. Schopfung der Welten, Gutter und Wesen durch Krishna . . 233
208. Schopfung der Gotter und Rishi's. Ihre Himmelsgegenden . . 237
209. Vishnu -Krishna als Eber bekampft die Danava's 240
210. Krishna schafft die Wesen. Purusha und Evolutionsstufen . . 244
211. Avyaktam, Vyaktam und Kshetrajua 249
212. Ahankara und Guna's als Quelle des Bosen 251
213. Rajas und Tamas. Weib und Kind. Organe aus dem Willen
entspringend 255
214. Brahmacaryam. Adern und Samen 257
215. Reinheit und Bezahmung als Weg zur Brahmanwerdung. . . 260
216. Das Manas im Wachen, Schlaf und Traum 263
217. Prakriti, Purusha und Brahman. Tapas und Wissen .... 266
218. Pafica^ikha entwickelt vor Janaka zunachst die Thesis der Ma-
terialisten, 270
219. sodann belehrt er iiber Atman, Entsagung, Organe, Guna's und
Erlosung ' ... 276
220. Preis der Selbstzucht und ihre Fruehte 282
221. Das wahre Tapas und seine Betatigung im Leben 284
222. Prahrada bespricht den Gegensatz von Svabhava (Prakriti) und
Purusha ' ... 286
223. Indra befragt den Bali, wie ihm nach seinem Bturze zumute sei 290
224. Bali weist auf die Notwendigkeit alles Geschehens hin (Kala) . 293
225. Die Qri geht von Bali zu Indra, der sie vierfach verteilt . . 298
226. Der gestiirzte Kamuci schopft aus der Erkenntnis der Notwendig-
keit Gleichmut 303
227. Eine andere Version von Adhyaya 223 und 224 306
228. Ubergang der ^ri von den Danava's zu den Gottern .... 318
229. Jaigishavya zeigt den Weg zur wahren Gliickseligkeit. . . . 327
230. Narada wird als ethisches Ideal geschildert 330
231. Vyasa belehrt den ^uka uber die Einteilung der Zeiten, . . 332
232. liber die Schopfung der Elemente und der Welt aus Brahman
und ihre Degeneration, 336
233. iiber die Auflosung der Welt in Brahman, 340
234. iiber die Pflichten der A^rama's und Beispiele belohnter Frei-
gebigkeit, 342
235. aberVedastudium,OpferunddasethischeVerhaltendesBrahmanen, 346
236. iiber Yoga und seine Fruehte, Avyaktam und Vyaktam, San-
khyam und Yoga, 349
237. iiber die Erkenntnis als Weg zur Erlosung und die Klassifika-
tion der Wesen, 354
238. iiber Werke und ihre zunehmende Degeneration in den Weltaltern, 357
239. uber den Atman und sein Verhaltnis zur Leiblichkeit, . . . 359
240. iiber das rechte Verhalten des Yogin, 362
241. tiber die Bindung durch Werke und die Erlosung durch Wissen, 366
242. iiber die Pflichten des Brahmaca.rin, 368
XIV Inhaltsverzeichnisi
Adhy4ya (ed. Calc). Seite
243. iiber den Grihastlia und seine vier Unterarten, 372
244. ilber den Vanaprastha und Sannyasin, . 375
245. iiber den Bhikshu (Sannyasin), 378
246. iiber die Beruhigung als Frucht des Wissens, 383
247. iiber die Elemente im Korper, die psychischen Organe und die
Guna's, ^ 385
248. iiber Manas und Buddhi, den Atman und die Guna's, .... 388
249. iiber die Abschiittlung der Guna's und die Erlangung der Er-
kenntnis, 390
250. iiber die Konzentration des Geistes und ihre Frucht .... 392
251. iiber moraliscbes Verhalten und seine Frucht, 394
252. iiber die Elemente und ihre Verbreitung im Leibe, .... 397
253. iiber Lingam, Sattvam, Bhiitatman, 398
254. iiber die Begierde als Baum und den Menschen als verseuchte
Stadt, 400
255. und anliangsweise iiber die Qualitaten von Elementen, Manas
und Buddhi 402
257. (B. 256.) Narada erzahlt, wie Gott Brahman die Geschopfe ver-
brennen woUte, 404
258. wie auf ^iva's Bitte das Feuer sich in die Mrityu verwandelte, 406
259. wie Mrityu sich weigert, die Geschopfe zu vernichten, und wie
die von ihr vergossenen Tranen als Krankheiten die Geschopfe
wegraffen 408
260. Moralischer Wandel und gutes Gewissen als Folge 413
261. Skeptische Einwendungen gegen die Autoritat der Pflicht . . 416
262. Jajali lafst auf seinem Kopfe die Vogel briiten und geht zu
Tuladhara 418
263. Tuladhara fordert statt Askese Schonung der Wesen, .... 423
264. statt der vedischen nur unblutige Opfer 428
265. Die Vogel stimmen ihm zu und preisen die ^raddba (Glaube) . 433
266. Ausspruche des Konigs Vicakhyu gegen das Tieropfer . . . 436
267. Erzahlung vom Cirak&,rin ; Kindespfiichten ; Lob der Saumseligkeit 437
268. Gesprach des Dyumatsena und Satyavant iiber die Todesstrafe 445
269. SyiimaraQmi verteidigt gegen Kapila die Tieropfer, 449
270. sowie den Hausvaterstand gegeniiber der Entsagung .... 453
271. Kapila lobt die alten Zeiten und die Entsagung 461
272. Der Brahmane und Kundadhara: Nicht Reichtum, sondern Ge-
rechtigkeit und Askese sind begehrenswert 466
273. Satya und die Gazelle: Verwerfung des Tieropfers 471
274. B5ses und Gutes, Weltverdrossenheit und Erlosung .... 474
275. Selbstbezahmung als Weg zur Erlosung 476
276. Elemente, psychisclie Organe und der Atman 478
277. Janaka preist die Besitzlosigkeit und Entsagung 482
278 = 175 484
279. Das Leben des Sannyasin nach Harita's Vorschrift 484
280. Der gesturzte Vritra weist auf die Allmacht der Zeit hin . . 486
Ifthaltsverzeichnis. XV
Adhyftya (ed. Calc.) Seite
281. Ugauas preist den Vishnu als Allseele und klassifiziert die
Statten der Seelen nach den Farben 490
282. Indra, von Qiva als Fieber und Vishnu als Donnerkeil unter-
stiitzt, bekampft den Vritra 498
283. und totet ihn; wird von der Brahmahatya befallen und von ihr
befreit 502
284. Daksha's Opfer wird auf Antrieb der Uma von ^iva's Scharen
gestort; Entstehung des Fiebers und seine Verteilung . . . 509
285. Andere Version derselben Erzahlung 515
286. Das Qivasahasrandman. ^iva's Gnade gegen Daksha .... 522
287. Grofse Elemente; korperliche und psychische Organe; der Atman
schaftit die Guna's 534
288. Samaiiga lehrt: Erkenntnis befreit vom Leiden ...... 539
289. Vier Lebensrichtungen mit gemeinsamer Moral. Warnung vor
schlechtem Umgang . 541
290. Arishtanemi lehrt: Loslosung von Welthang und Angehorigen
macht wahrhaft frei 547
291. Geschichte vom U^anas als Qukra (Planet Venus, Same) . . . 552
292. Paragara lehrt die Vergeltung der Werke, 556
293. spricht iiber die Frucht guter und boser Werke, 558
294. empfiehlt Freigebigkeit und Rechtschaffenheit, 561
295. Schonung des ^udra und Befolgung der Kastenpflichten, . . . 563
296. schildert die Korruption der Sitten und ihre Wiederherstellung
durch Q'iva, 566
297. warnt vor Egoismus und empfiehlt die Askese, 569
298. spricht iiber Mischkasten, besondere und allgemeine Kasten-
pflichten, 572
299. iiber Todesarten und Schicksale nach dem Tode, 577
300. iiber Nichtanhanglichkeit, Leidenschaftslosigkeit, Entsagung und
Askese 581
301. Brahman als Schwan empfiehlt Sanftmut, Geduld und weitere
Tugenden 587
302. Kraft, Frucht, Methode und Zauberkunst des Yogin .... 592
303. Inbegriff und Eschatologie der hier Saiikhyam genannten Atman-
lehre 598
304. Evolution des Mahan usw. aus dem Urwesen (Qiva, Vishnu) . 609
305. Der Purusha wahnt sich in die Prakriti verstrickt und verfallt
der Wanderung 614
306. Purusha und Prakriti mit den Mondteilen verglichen .... 618
307. Janaka's Vergleich von Purusha und Prakriti als Mann und
Weib durch Vasishtha widerlegt 620
308. Yogapraxis. Der Fiinfundzwanzigste und die tibrigen Sankhya-
prinzipien 624
309. Das Vergangliche und Unvergangliche; der Funfundzwanzigste
im Stande der Erweckung 629
310. Der Sechsundzwanzigste als der Erweckte; wem mitzuteilen . 633
XVI Inhaltsverzeichnis.
Adhyiya (ed. Calc.) Seite
311. Schilderuiig des guten Menschen 639
312. Vierundzwanzig Evolutionsstufen und neun Emanationen im
Sankhyam 641
313. Tag und Nacht von Brahman, Brahman, Ahankara und Elemen-
ten, Funktion des Manas 644
314. Stufenweise Vernichtung der Welt und Eingang in ^amhhu . 646
315. Organe, Funktionen, Schutzgottheiten. Schilderung der drei
Guna's 648
316. Verflechtung der Guna's. Prakriti und Kshetrajha 650
317. Purusha und Prakriti verschieden und doch zusammen wirkend . 652
318. Qualitathafter und qualitatloser Yoga 655
319. Statten nach dem Tode; Vorzeichen des Todes 657
320. Yajnavalkya erhalt vom Sonnengott den weifsen Yajurveda und
beantwortet die Fragen des Vi^vavasu iiber den Atman der
Sankhyalehre 660
321. Panca^ikha iiber die Verganglichkeit des Lebens 671
322. Streitreden zwischen Konig Janaka und der Bettelnonne Sulabha 673
323. Vyasa belehrt den Quka iiber Verganglichkeit, Pflichterfiillung
und Vergeltung 692
324 = 181 701
325. Vyasa tibt Askese, um einen iibermenschlichen Sohn zu erhalten 702
326. Quka's wunderbare Geburt und Erziehung 704
327. ^uka's Wanderung nach Mithila und Empfang am Hofe des
Konigs Janaka 707
328. Janaka belehrt den Quka iiber die vier A?rama's und die Erlosung 711
329. Q!uka wird Schiiler seines Vaters auf dem Himalaya. Episode
von Skanda's Lanze 716
330. Vyasa und ^uka studieren den Veda. Exkurs iiber die sieben
Winde 721
331. Narada erteilt dem Quka ethische und psychologische Lehren, 726
332. spricht buddhistisch iiber das Leiden und seine Heilung durch
Erkenntnis, 732
333. erortert Verganglichkeit, Zufalligkeit und Ungerechtigkeit des
Daseins. Q'uka nimmt Abschied von Narada und Vyasa . . 735
334. guka's Flug zum Himmel . 741
335. Vyasa fliegt dem Quka nach. Entstehung des Echos .... 744
336. Narada sucht in Badarl den Nara und Narayana auf, die dort
den Atman verehren 748
337. Narada geht nach ^vetadvipa. Uparicara. Das Gesetzbuch der
Citra^ikhandin's 752
338. Opfer des Uparicara, Besanftigung des Brihaspati durch die Er-
zahlung von den weifsen Mannern 758
339. Parteiischer Schiedsspruch und Strafe des Uparicara .... 764
340. N&rada preist den grofsen Purusha mit 199 Namen .... 768
341. Nfi.rayana zeigt sich dem Narada und teilt ihm seine vier Vyuha's
und seine Avat^ra's mit 770
Inhaltsverzeichnis. XVII
Adhy&ya (ed. Calc.) Seite
342. Narayana belehrt die Gotter und Rishi's tiber die Satzungen
der Aktivitiit und Passivitat 783
343. Identitat von ^iva und Vishnu. Etymologie der Namen Vishnu's 794
344. Entstehung von Agni und Soma. Beispiele fiir die Ubermacht
der Brahmanen. Streit und Identifikation Vishnu's mit Qiva's 800
345. Narada berichtet in Badari seine Erlebnisse in ^vetadvipa . . 818
346. Hervorgehen der Saiikhyaprinzipien aus Vishnu, Eingang in ihn
nach dem Tode ' 824
347. Opfer auf Vishnu zielend; die Sohne als Lehrer der Vater;
Vishnu (Vrishdkapi) und die drei Pindah 827
348. Vyasa als Verfasser des Mdhdhhdratam. Das Rofsopfer. Preis
des Vishnu 830
349. Brahman's Entstehung aus Vishnu, Vedenraub, das Rofshaupt
als Retter ' 832
350. Ekantin's = Satvata's. Siebenmalige Erneuerung ihrer Lehre.
Die vier Vyuha's. Sattvika's, Vyamicjra's und Vaikarika's . 841
351. Vyasa's Abstammung. Brahman Weltschopfer durch Vishnu's
Buddhi. Sarasvata Apantaratamas als Ordner der Veden . . 849
352. Brahman erklart dem Qiva die Einheit und Vielheit der Purusha's 856
353. tjber den hochsten Purusha 859
354—367. Ein Brahmane forscht nach der hochsten Pfiicht und wird
von einem Naga durch die Erzahlung von dem Eingange des
Ahrenlesers in die Sonne dariiber belehrt, dafs Entsagung
das Hochste sei 862
IV. ANUGiTA.
16. Krishna erzahlt dem Arjuna, was ein Siddha uber den Weg zu
seiner Vollendung dem Ka^yapa mitgeteilt habe 885
17. Uber die Auflosung des Leibes und die Schicksale nach dem Tode 890
18. Wesen des Jlva. Brahman schafEt. das Pradhanam 894
19. Weg zur Erlosung und Theorie des Yoga 898
20. Gesprache eines Brahmanen mit seiner Frau iiber den Korper,
die Prana's und das Vaigvanarafeuer 904
21. Die zehn Organe und ihre Objekte als Hotar^s und Havis . . 907
22. Die sieben Hotar's. Verhaltnis des Manas zu den Indriya's . 911
23. Machtsphare der funf Prana's (Hotar's) 914
24. Entstehung und wechselseitiges Verhaltnis der Prana's . . . 917
25. Karanam, karma, kartar, moksha als Hotar's 919
26. Narayana (der Atman) als Herr im Herzen weilend .... 921
27. Sansara und Brahman als Wildnis und Wald 923
28. Gesprach eines Adhvaryu mit einem Yati liber die Ahinsd . . 926
29. Kartavirya und Rama. Vernichtung der Kshatriya's .... 929
30. Bekampfung der Sinne als der starksten Feinde durch Yoga . 932
31. Sattvam, Rajas und Tamas als Feinde. Atman und Trishna . 935
32. Konig Janaka als alles und nichts besitzend 937
Deussen, Mah&bb^ratam. |j
XVIII Inhaltsverzeichnis.
Adhyiya (ed. Calc.) Seite
33. Schlufs des Gespraches zwischen demBrahmanen und seiner Gattin, 940
34. sie sind Manas und BuddM des Krishna 941
35. Ein Lehrer belehrt seine Schiller iiber die ftinfundzwanzig
Prinzipien 942
36. Zusammensetzung des Leibes. Tamas. Avdicsrotas .... 948
37. Das Rajas. Arvdksrotas 951
38. Das Sattvam. Urdhvasrotas 953
39. Verflechtung der Guna's. Die Prakriti 955
40. Der Mahan, der Ahankara und die Elemente 957
41. Ahankara und Prajapati 959
42. Die psychischen Organe, Befreiung von ihnen durch Meditation 960
43. Verschiedenes. Die Organe und der Atman 966
44. Ursprung und Ende der Wesen im einzelneu 970
45. Allegorie: Das Leben als Rad 972
46. Brahmacarin , Vanaprastha und Sannyasin , ihre Pflichten und
ihr Ziel 975
47. Entsagung und Erkenntnis ; die Welt als Baum, der zu fallen ist 980
48. Verbindung und Verschiedenheit zwischen Purusha und Sattvam 982
49. Befragung des Brahman liber den wahren Dharma 984
50. Ahiiisa und Jrianam. Kshetrajna und Kshetram. Die Organe
und ihre Eigenschaften 986
51. Die Sinne als Rosse und verwandte Allegorien. Die Erlangung
des Brahman als Ziel 991
Index bemerkenswerter Nam en und Begriffe 997
Zitaten-Index 1009
Stammtafel 1010
AUSSPRAOHE.
In indischen Wortern ist
c, cli wie tsch, tschli
j, jh wie dsch, dschh
zu sprechen; also: Yddschnavalkya, Tschhdndogya usw.
^ ist ein mittlerer Laut zwischen s (stets scharf) und sli ( = sch).
Die Betonung richtet sich, wie im Lateinischen, nach der Quantitat
der vorletzten Silbe; ist dieselbe lang, so hat sie den Akzent, ist sie
kurz, so liegt er auf der drittletzten Silbe (e und o sind stets lang).
Nach der von uns befolgten Schreibweise sind alle Worter auf a
Maskulina, alle auf k Feminina, alle auf am Neutra: der Veddnta,
die Mtmdhsd, das Sdnkhyam (sc. darqanam).
I.
SANAT8UJATA-PARVAN.
Mah^bh&ratam Buch V, Adhyaya 40-45, Vers 1565-1790, C.
(= Biich V, Adhyaya 41-46, B.).
Detjssen, Mahftbliftratam.
Adhyaya 40 (B. 41).
Vers 1565-1576 (B. 1-12).
Dhritarashtra sprach:
1. (1565.) Wenn, o Vidura, irgend etwas ist, was durch
deine Rede noch nicht gesagt wurde, das sage, indem ich
zuhore, denn Wunderbares redest du.
Vidura sprach:
2. (1566.) 0 Dhritarashtra, jener alte ewige Jiinghng,
Sanatsujata, hat gesagt: „Der Tod ist nicht", o Bharata.
3. (1567.) Er, der Beste aller Weisen, wird dir, o grolser
Konig, alle Zweifel des Herzens, die geheimen wie die
offenen, losen.
Dhritarashtra sprach :
4. (1568.) Weifst du das nicht besser, was mir der Ewige
sagen soil? Sage du es mir doch, o Vidura, wenn deine
Weisheit nicht schon erschopft ist.
Vidura sprach:
5. (1569.) Ich bin aus einem Qudra-Schofs geboren und
vermag nichts weiter mehr zu sagen ; aber von der Weisheit
jenes Jiinglings weifs ich, dafs sie eine ewige ist.
6. (1570.) Denn wer in einem brahmaniscljen Mutterschofse
geweilt hat, der ist, auch wenn er sehr Geheimnisvolles ver-
kiindet, dafiir von den Gottern nicht zu tadeln, darum sage
ich dir dieses.
Dhritarashtra sprach:
7. (1571.) Befrage fur mich, o Vidura, jenen Alten, Ewigen,
wie sein Zusammenkommen mit dieser meiner Leiblichkeit
hier moglich ist.
1*
4 I. Sanatsujiita-parTan.
Vaigampayana (der Erzahler) sprach:
8. (1572.) Da gedachte Vidura jenes Weisen von geprie-
senem Wandel, und dieser, erkennend, dafs man seiner ge-
dachte, machte sich sichtbar, o Bharata.
9. (1573.) Er aber empfing ihn mit der aus dem Eitual
bekannten Zeremonie, und nachdem jener sich behagHch
niedergelassen und ausgeruht hatte, sprach Vidura zu ihm:
10. (1574.) 0 Heihger, ein Zweifel besteht in dem Herzen
des Dhritarashtra , welchen ich ihm nicht erklaren kann, so
wolle du ihm ihn erklaren,
11. (1575.) damit dieser Fiirst der Menschen, seine Er-
klarung vernommen habend, zu einem iiber alle Leiden Er-
habenen werde, dergestalt, dafs ihn weder Gewinn noch Verlust,
weder Liebes noch Hassenswertes , weder Alter noch Tod,
12. (1576.) weder Furcht noch Unmut, weder Hunger noch
Durst, weder Ubermut noch Uberhebung, weder Unlust noch
Erschlaffung, weder Begierde noch Zorn, weder Schmalerung
noch Forderung zu iiberwaltigen vermogen.
So lautet im Sanatsuj&ta-parvan die Bitte dcs Vidura
( Vidura -prdrthand).
Adhyaya 41 (B. 42).
Vers 1577-1620 (B. 1-46).
VaiQampayana (der Erzahler) sprach :
1. (1577.) Da geschah es, dafs der weise Konig Dhri-
tarashtra, nachdem er jenes von Vidura geaufserte Wort
verehrt, verlangend zum grofsen Atman zu werden, den
Sanatsujata in der Einsamkeit nach der hochsten Erkennt-
nis befragte.
Dhritarashtra sprach :
2. (1578.) 0 Sanatsujata! Was ich hier als deine Be-
hauptung hore, dafs der Tod nicht sei — die Gotter und
die Damonen wurden ja Brahmanschiiler , um den Nicht-
Tod zu erlangen (Chand. Up. 8,7 fg.) — welches von beiden
[dies Oder das GegenteilJ ist da die Wahrheit?
Adhyaya 41 (B. 42). 5
Sanatsuj&,ta sprach:
3. (1579.) Wonach du durch die Zeremonie [oben, Vers 1573]
gefragt hast, ob es keinen Tod gebe oder das Gegenteil,
dariiber vernimm, was ich dir sage, o Konig, damit du keinen
Zweifel dariiber habest.
4. (1580.) Vernimm, 0 Fiirst, hieriiber beide Wahrheiten
[die empirische und die metaphysische]. Nur aus Ver-
blendung wird der Tod von den Sangern fiir wahr ge-
halten. Ich aber erklare den Tod fiir eine Tauschung,
und fiir die Nicht -Tauschung erklare ich das Unsterblich-
sein.
5. (1581.) An dieser Tauschung sind die Damonen zu-
grunde gegangen, durch die Nicht -Tauschung gelangt
man zum Brahmansein. Der Tod ist doch nicht wie ein
Tiger, der die Menschen verschHngt, und er hat doch
nicht eine Gestalt, die man wahrnehmen konnte.
6. ( — .) Hingegen ist, wie einige lehren, Yama ein von
jenem (Mrityu) verschiedener Todesgott, Namhch im
Atman wurzelnd und unsterbUch ist der Brahmanwandel,
wahrend jener Gott in der Vaterwelt sein Reich regiert,
giitig gegen die Guten, nicht giitig gegen die Nicht-Guten.
7. (1582.) Auf sein Geheifs verbreitet sich iiber die Men-
schen der Zorn, die Tauschung und der Tod, der seinem
Wesen nach Begierde ist. Und durch die Selbstsucht
auf Abwege gefiihrt, erlangt keiner Vereinigung mit dem
Atman,
8. (1583.) s6ndern verblendet leben sie unter seiner
[des Todes] Herrschaft, und von hier abgeschieden ver-
fallen sie derselben wiederum (Kath. Up. 2,6). Und ihnen
nach geraten die Gotter [vielleicht die Sinnesorgane]
in Verwirrung: dann nimmt der Todesgott den Namen
Tod an.
9. (1584.) Indem das Werk ihnen vorschwebt, indem
sie der Frucht der Werke nachtrachten , schreiten sie
auf diesem Wege fort und kommen nicht iiber den Tod
hinaus, und die Seele, die Hingebung an heilsame Zwecke
verfehlend, dreht sich im Kreise, den Geniissen hin-
gegeben.
Q I. SanatsujMa-parvan.
10. (1585.) Dieses ist die grofse Verblendung der
Sinne: des Menschen Gang bewegt sich fort und fort
im Dienste triigerischer Zwecke, und die innere Seele
von diesem Dienste triigerischer Zwecke geschadigt
und ihrer nur bewufst verehrt die Sinnenwelt, die sie
umgibt.
11. (1586.) Die Begierde ist es, welche zuerst die Men-
schen schlagt, und sie zieht Lust und Zorn als ihr Ge-
folge schnell hinter sich her, diese aber fiihren die Toren
dem Tode in die Arme, wahrend die Einsichtigen durch
ihre Einsicht den Tod iiberwinden.
12. (1587.) Man unterdriicke durch die Meditation die
r -J aufflatternden [Liiste], in Unbekiimmertheit sie nicht be-
achtend; einen solchen frifst nicHt gleichsam der zum
Tode gewordene Todesgott, ihn der solches wissend die
Liiste niederschlagt.
13. (1588.) Der Mensch, welcher den Liisten nachhangt,
geht hinter ihnen her zugrunde; wer aber die Liiste aus
dem Felde schlagt, der schiittelt von sich alien [Siinden-]
Staub (Chand. Up. 8,13).
• 14. (1589.) Als ein lichtloses Dunkel sehen die Kreaturen
diese Holle vor sich; wie verblendet laufen sie ihr entgegen,
indem sie leichtlich wie in eine Grube hineinstiirzen.
15. (1590.) Wenn aber ein Mensch hienieden unverwirr-
ten Geistes ist, was kann dem wohl der Tod anhaben?
Fiir ihn ist er gleichsam ein mit Heu ausgestopfter
Tiger. Und um nichts anderes sich bekiimmernd, o Fiirst,
griible er nicht und stofse aus von sich die Lebenskraft
[der Liiste].
16. (1591.) Er ist Zorn und Habsucht, ist die mit
1 : caS Verblendung behaftete innere Seele, das fiirwahr ist
der Tod, was als solches in deinem Leibe wohnt. Wer
erkannt hat, dafs auf diese Weise der Tod entsteht,
wer in dieser Erkenntnis feststeht , der ' fiirchtet sich
K. f i*^ hienieden vor dem Tode nicht. Der Tod, in eines sol-
chen Bereich gelangend, wird zunichte, ahnlich wie der
Mensch zunichte wird, wenn er in den Bereich des Todes
gelangt.
Adhyaya 41 (B. 42). 7
Dhritarashtra sprach:
17. (1592.) Sie reden doch von seligen Welten, von
allerheiligsten , ewigen, welche der Zwiegeborene durch
Opferwerk erlange, und die Veden predigen, dafs diese
das hochste Ziel sind. Wer das weifs, wie kann der um-
hin, das Werk zu betreiben? (lies: na upaiti).
Sanatsujata sprach;
18. (1593.) Der Nichtwissende ist es, welcher in dieser
Weise dorthin iibergeht, und auch fiir diesen Fall ver-
heifsen die Veden Erreichung der Zwecke ; aber nur wer
ohne Streben ist, gelangt zum Hochsten. Als hochster
Atman geht er seinen Weg, jene Wege meidend.
Dhritarashtra sprach :
19. (1594.) Wer ist es, der in Verbindung treten konnte
mit jenem Ungeborenen, Alten, wenn dieser Schritt fiir
Schritt das ganze Universum ist. Was ist sein Wirken,
was ist seine Freude, das sage mir alles, du, der es weifs,
der Walirheit nach.
Sanatsujata sprach:
20. (1595.) Grofse Versiindigung liegt hier in der Ver-
bindung mit der Mannigfaltigkeit, aber durch Verbindung
mit dem Anfanglosen wird man ewig. Dabei geht seine
Erhabenheit in keiner Weise verloren; durch die Ver-
bindung mit dem Anfanglosen haben ihr Sein die Men-
schen.
21. (1596.) Was nun so dieser Heilige, Ewige ist, der
erschafft durch Verbindung mit dem Wandelbaren das
Weltall. Denn fiir so grofs erachtet man seine Schopfer-
kraft, und ebenso entstehen [aus ihm] im Zusammenhang
mit dem Schopfungsinhalt die Veden.
Dhritarashtra sprach:
22. (1597.) Derer sind einige, welche in dieser [Schop-
fung] die Pflichten nicht erfiillen, und- wieder andere
gibt es, welche hienieden die Pflichten erfiillen. Wird
8 I- Sanatsujata-parvan.
nun wohl die Pflicht durch das Bose iiberwunden, oder
liberwindet vielmehr die Pflicht das Bose?
Sanatsujata sprach:
tj^ 23. (1598.) Beiderlei Vergeltung wird in dieser Welt
' / i «.V verhangt, solche fiir die Pflichterfullung und solclie fiir
das Gegenteil.
24. (1599.) Aber wer in jenem [dem Brahman] fest-
steht, der Weise schlagt durch sein Wissen beiderlei Voll-
brachtes fiir immer nieder. Und anderseits wiederum
erntet die Seele das Verdienst der guten Werke, und
ebenso erntet sie, wenn es zur Reife gekommen, das
vollbrachte Bose.
25. (1600.) 1st es dazu gekommen, dann wird beides
vermoge des Werkes sicherlich iiber ihn verhangt; er
[erntet die Frucht] des Guten und auch des Bosen ver-
moge seines Werkes. Aber der Weise treibt durch die
. (• {, J Pflicht das Bose hienieden von sich ; denn die Pflicht ist
das Starkere, das bildet seine Richtschnur.
Dhritar&,shtra sprach:
26. (iGOi.) Die Himmelswelten, welche man uns ver-
heifst fiir die selbstvollbrachte Pflicht, uns, den Zwie-
geborenen, Gutes Vollbringenden , die ewigen Welten,
deren Stufenreihe verkiinde mir und auch die ihnen ent-
gegengesetzten, o du Wissender, nicht aber wiinsche ich
vom Werke zu horen.
Sanatsujata sprach:
27. (1602.) Jene . Brahmanen , welche in Erfiillung ihrer
"i Pflicht wetteifern, wie Starke in Betatigung ihrer Starke,
diese werden von hier abscheidend in der Brahmanwelt glanzen.
28. (1603.) Sie, welche in Erfiillung ihrer Pflicht wett-
eifern, ihnen wird dieses ein Mittel zur Erlangung der Er-
kenntnis, und solche Brahmanen gehen, aus dieser Welt
erlost, in den Himmel, in die himmlische Dreiwelt ein.
29. (1004.) Von einem solchen erklaren die vedakundigen
Menschen, dafs sein Wandel vollkommen sei; nicht soil er
Adhy&ya 41 (B. 42). 9
irgendeinen Menschen, sei es einen Fremden, sei es eincn
Nahestehenden, sonderlich beachten.
30. (1G05.) Wo er aber einen besonders ehren will, da
moge er von ihm, dem Brahmanen, wie man in der Regen-
''' zeit Gras abrupft, so sein Essen und Trinken [annehmen];
davon lebe er und empfmde keinen Neid.
31. (1606.) Wenn aber einer ihm, dem Schweigenden,
[statt eines Almosen] mit Unfreundlichkeit oder Drohung
entgegenkommt, wer dann sich dabei verhalt, als geschahe
nichts Besonderes , der und kein anderer ist der beste
Mann.
32. (1607.) Wenn aber einer fiir die Person des schweigend
Dastehenden kein Mitgefiihl empfmdet, eines solchen Brah-
manen Habe soil er nicht geniefsen. Das gilt fiir die Art,
wie Gerechte sich ernahren.
33. (1608.) Wie ein Hund das eigene Ausgebrochene wieder
verzehrt fort und fort zu seinem Schaden, so verzehren jene
[Nicht-Gebenden] das Ausgebrochene, well sie auf ihre Uber-
legenheit trotzen.
34. (1609.) „Mein Wandel soil immer unbekannt bleiben",
so soil der Brahmane denken. Wer aber unter seinen Ver-
wandten wohnen bleibt, den halten die klugen Leute fiir
einen Brahmanen.
35. (1610.) Denn welcher ware wohl imstande, geradezu
^ seinen Atman zu toten, den merkmallosen , unwandelbaren,
reinen, von aller Zweiheit freien?
36. Denn von diesem ausgehend nimmt das Brahman
il-*^' auch in [dem Leibe] eines Kshatriya seinen Wohnsitz und
blickt aus ihm heraus.
37. (1611.) Wer den anders seienden Atman anders [als
er ist] auffafst, welches Bose ist von dem nicht getan worden,
von einem Diebe, der den Atman beraubt.
38. (1612.) Unermiidet, nicht nehmend, besonnen, un-
.1^ gefahrdet, gelehrt, und doch als ware er nicht gelehrt, das
ist der Brahmane, der brahman wissende Weise.
39. (1613.) Nicht reich an irdischer Habe, aber reich an
gottlicher Einsicht, uniiberwindlich, unerschiitterlich, wer so
ist, den wisse man als Wohnstatte des Brahman.
10 I- Sanatsujata-parvan.
40. (1614.) Aber jeder, der hier auf Erden aller Gotter
als gute Wiinsche gewahrender sich bewufst ist, der kommt
einem Brahmanen nicht gleich, sondern in jenem [Gotter-
dienst] miiht er sich mit seinem ganzen Selbste ab.
41. (1615.) Aber der, welchen sie als einen, der sich nicht
abmiiht, erachten, der ist wahrhaft geachtet; er achte sich
nicht fiir einen, der geachtet ist, nicht soil nach Achtung er
mit Miihe trachten.
42. (1616.) Die Welt bewegt sich ja immerfort ihrer Na-
tur gemafs, wie wenn man die Augen schliefst und wieder
offnet; aber die Wissenden hienieden achten ihn, und da-
durch erachte er sich als geachtet.
43. (1617.) Im Unrechttun gewandt, betort sind in dieser
Welt die in der Maya welt Bewanderten; mogen sie immer-
hin den achten, der keine Achtung verdient, und die der
Achtung Wiirdigen verachten.
44. (1618.) Denn niemals wohnen beieinander Weltruhm
und Einsiedlertum ; dies ist die Welt des Ruhmes, jene die
des Einsiedlertums , das wissen sie.
45. (1619.) Das Gliick ist hier auf Erden eine Wohnstatte
der Lust, aber in Wahrheit ist es nur ein Hindernis auf
dem Wege. Hingegen das brahmische Gliick ist schwer
zu erlangen fiir solche, welche der Erkenntnis ermangeln,
o Fiirst.
46. (1620.) Um zu diesem zu gelangen, gibt es, so sagen
die Guten, vielfaltige, aber schwer zu offnende Pforten; sie
sind: Wahrhaftigkeit, Gradsinn, Schamhaftigkeit, Bezahmung,
Reinheit und Wissen; diese verhindern, dafs Verblendung
entstehe [B. : belehren, so dafs keine Verblendung entsteht].
So lautet im Sanatsujftta-parvan die Eede des Sanatsujata
(Sanatsujdta-vdkyam),
■ij^mut^
Adhy^ya 42 (B. 43). 11
Adhyaya 43 (B. 43).
Vers 1621-1683 (B. 1-63).
Dhritar^shtra sprach:
1. (1621.) Wessen ist jenes einsiedlerische (schweigende)
Verhalten, um welche Art des Schweigens handelt es sich
dabei? Sage du mir, der du es weifst, das Wesen des
einsiedlerischen Schweigens. Ferner sage mir, ob der
Weise durch Schweigen zura [Einsiedler-] Schweigen ge-
langt, und wie, o Einsiedler, man dieses Schweigen hie-
nieden betreibt.
Sanatsujata sprach:
2. (1622.) Sofern die Veden mitsamt dem Verstande
keinen Eingang bei ihm finden, insofern entsteht sein
Schweigen. Namlich, wenn das Wort des Veda ertont,
dann, o Fiirst, ist er es eben, welcher erglanzt, weil jenes
[Vedawort] sein Wesen ausmacht.
Dhritarashtra sprach:
L- 3. (1623.) Wenn einer, der den Rigveda, den Yajurveda und
y I den Samaveda weifs, Boses tut, wird er dann von dem Bosen
befleckt, oder wird er nicht befleckt?
Sanatsujata sprach:
4. (1624.) Nicht die Saman-Lieder, noch auch die Rigveda-
Verse, auch nicht die Yajus-Spriiche vermogen einen Toren
vor bosem Werke zu behiiten. Nicht sage ich dir die Un-
wahrheit.
5. (1625.) Die heiHgen Lieder retten ihn nicht vor dem
Unheil, den Verblendeten, in Verblendung Lebenden. Wie
die Vogel das Nest verlassen, wenn ihnen die Fliigel ge-
wachsen sind, so verlassen ihn die heiligen Lieder, wenn
sein Ende gekommen ist.
Dhritarashtra sprach:
6. (1626.) Wenn die Veden ohne Pflichterfiillung nicht im-
. stande sind, ihn zu retten, o W^eiser, warum dann dieses
endlose Gerede der Brahman en?
12 I. Sanatsujata-parvan.
Sanatsujata sprach :
7. (1627.) Vermoge der in ihm. [dem Veda] enthaltenen
mannigfachen Formen, wie Namen usw., erglanzt diese
ganze Welt , o Grof smachtiger ; die Veden zeigen sie auf
und erklaren sie vollstandig, sie legen diese ganze Mannig-
faltigkeit dar.
8. (1628.) Zu diesem Zwecke wird [vom Veda] das
Tapas, zu diesem Zwecke das Opfer gelehrt, weil durch
diese beiden der Wissende einen Schatz guter Werke
erlangt, und weil er durch diesen Schatz das Bose nieder-
schlagt und sodann zu einem solchen wird, dessen Atman
durch das Wissen erleuchtet ist.
9. (1629.) Denn durch das Wissen erlangt der Wissende
den Atman. Hingegen im andern Falle, wenn er nach
himmlischem (lies : svarga, oder varga „gemeinem" C.) Lohne
verlangt, dann rajfft er alles zusammen, was er im Dies-
seits getan hat, geniefst dafiir im Jenseits und kommt
sodann auf seinem Wege wieder zuriick.
10. (1630.) Das Tapas wird in dieser Welt geiibt, seine
Frucht wird in jener genossen; den Brahmanen, wenn sie in
dem sich aufzuerlegenden [dhatve = dhdtavya Nil.) Tapas fest
stehen, werden die jenseitigen Wei ten zuteil.
Dhritarashtra sprach:
11. (1631.) AVie kommt es, dafs das Tapas, wenn es doch
rein ist, gedeihlich und wiederum nicht gedeihlich werden
kann? 0 Sanatsujata, das erklare, damit auch wir dasselhe
wissen.
Sanatsujata sprach:
12. (1632.) Sundloses Tapas, das ist es, was man reines
Tapas nennt, und dieses reine Tapas ist gedeihlich und ge-
diehen.
13. (1633.) Alles das, wonach du mich fragst, o Fiirst,
hat das Tapas zur Wurzel; durch Tapas haben die Veda-
wissenden sogar die hochste Unsterblichkeit erreicht.
DhritarS,shtra sprach:
14. (1634.) Erklare mir, was fiir Siinde dem Tapas an-
haften kann, denn es gibt, wie ich hore, ein sundloses [mit-
Adhyaya 42 (B. 43). 13
hin audi ein siindhaftes] Tapas, damit icli, o Sanatsujata,
dieses ewige Geheimnis erfahre.
Sanatsuj&,ta sprach :
15. (1635.) Dasjenige [ist das siindhafte], welcliem die
zwolf Mangel und ebenso, o Konig, die dreizehn Nieder-
7 trachtigkeiten anhaften. Hingegen jene anderen [siind-
losen] Qualitiiten sind die zwolf, Pflicht usw,, welche
aus der Lehre der Vater von den Brahmanen erkannt
werden.
16. (1636.) Zorn, Liisternheit, Habgier und Verblendung,
Unstetheit, Hartlierzigkeit, Mifsgunst, Diinkel, Verdrossen-
heit, Begierde, Neid und Heimtiicke, das sind die zwolf
menschlichen Fehter, welche von den Mensclien allezeit
zu vermeiden sind.
17. (1637.) Jeder einzelne von ihnen umlauert die Men-
schen, o Mannerstier, nach einer Blofse spahend, wie der
Jager das Wild [beschleicht].
18. (1G38.) Der Prahlerisclie, der Begehrliche, der Hoch-
miitige, der Nachtragende, der Wankelmiitige und der
Schutzversagende — denen liaften die sechs bosen Eigen-
schaften an, welche die bosen Menschen betatigen, ohne
vor der Gefalir [der sie sich aussetzen] zu zittern.
19. (1639.) Nur an sein Vergniigen zu denken, aus Hoch-
mut unwillig zu sein, seine Freigebigkeit zu bereuen, zu
geizen, allzu schwachlich zu sein, die Schar [der Sinnen-
freuden] zu riihmen, die Gattinnen zu liassen, das sind
die sieben schlimmsten Klassen von Menschenfeinden.
20. (1640.) Pflichterfiillung,Wahrhaftigkeit, Bezahmung,
Tapas, Selbstlosigkeit , Schamhaftigkeit, Geduld, Neid-
losigkeit, Opfern, Almosengeben, Festigkeit und Schrift-
studium, das sind die zwolf Geliibde der Brahmanen.
21. (1641.) Wer sich durch diese zwolf hervortut, der
wird diese ganze Erde beherrschen ; wer aber mit dreien,
zweien oder nur einer von ihnen begabt ist, dem wird
Eigentum zuteil, so soil man wissen.
22. (1642.) Bezahmung, Entsagung und Besonnenheit, in
diesen liegt Unsterblichkeit beschlossen ; sie werden als Ein-
14 I. Sanatsujata-parvan.
gangspforten zur Wahrheit bezeichnet von Brahmanen, welche
weise sind.
23. (1643.) Die Bezahmung nun befafst achtzehn Tugen-
den. [Wem nicht anhaften]: Widerspenstigkeit im Tun und
Lassen, Unwahrheit, Mifsgunst, Lust und Ausgehen auf Nutzen,
Begelirlichkeit,
24. (1644.) Zorn, Verdrossenheit und Durst ftrishndjy Be-
gierde, Ohrenblaserei, Selbstsucht, Grausamkeit, Selbstanklage,
Verstimmtheit,
25. (1645.) Vergefslichkeit , hochfahrendes Wesen und
, -, Selbstvergotterung ; — wer von diesen Fehlern befreit ist,
der wird von den Guten ein Bezahmter genannt.
26. (1646.) Unbesonnenheit hat achtzehn Fehler, Entsagung
ist von sechsfacher Art. Erstere [achtzehn] werden als Gegen-
satze, namhch als Fehler der Unbesonnenheit genannt.
27. (1647.) Hoher aber steht die Entsagung. Sie ist von
sechs Arten ; von ihnen ist die dritte schwer zu vollbringen ;
mit ihr aber befreit man sich vom Leid; wer sie vollbringt,
der gewinnt sich einen Freund [B. gewinnt, was ihm ver-
feindet war].
28. (1648.) Hoher aber steht die Entsagung; sie ist von
sechs Arten : dafs man iiber erlangtes Gliick sich nicht freut
[ist die erste] ; dafs man Opfer und gute Werke vollbringt,
ist die zweite, weil diese zu der vollstandigen Begierdelosig-
keit gehoren.
29. (1649.) Aber die Entsagung in bezug auf die Lust,
o Fiirst der Konige, das ist die dritte Art, so wird gelehrt.
Von ihr sagt man auch, dafs sie unaussprechlich sei; das
'O^r ^^^ ^^^ dritte Eigenschaft, so wird gelehrt.
30. (1650.) Dasjenige, was einem zuteil wird durch Ent-
sagung in bezug auf Giiter und durch Nicht -Anhanglichkeit
an sie aus Lust, [der Nachsatz fehlt in C.] das wird einem
nicht auch zuteil durch Giiter und auch nicht durch An-
hanglichkeit an sie.
31. Und wenn auch die Werke nicht vollbracht werden,
so ist das nicht schlimm, und man betnibe sich nicht dar-
iiber. (i65i.) Ubrigens kann auch mit alien Tugenden ver-
bunden sein, wer reich an Giitern ist.
Adhyaya 42 (B. 43). 15
32. Wenn aber Unerfreuliches ihn trifft, so wird er nie
j^ dadurch erschiittert werden. (1652.) Sohne und Gattinnen, so
^\) erwiinscht sie sind, moge er niemals fordern.
33. Dem Wiirdigen, wenn er etwas fordert, soil er es
geben, so ist es recht. (icss.) Zu einem Besonnenen wird er
durch das Folgende; und dieser besitzt acht Eigenschaften :
34. Wahrhaftigkeit, Meditation, Versenkung, Betriebsam-
keit und Begierdelosigkeit, {iGbQ Ehrlichkeit, Keuschheit und
Unbestechlichkeit.
35. Entsprechend sind die Fehler der Unbesonnenheit,
und diese Fehler soil man meiden. (i655.) So stelit es mit
der Entsagung und der Besonnenheit, und diese [letztere]
besitzt die acht Eigenschaften.
36. Acht Fehler sind der Unbesonnenheit und diese Fehler
0 ( soil man meiden. (ig56.) Wer von den fiinf Sinnen und von
dem Manas, o Bharata, vom Vergangenen und vom Zukiinf-
tigen Befreiung erlangt hat, dem ist wohl.
37. (1657.) Sei wahrhaften Selbstes, o Fiirst der Konige;
in der Wahrheit wurzeln die [Himmels-JWelten; sie haben
die Wahrhaftigkeit als Pforte. In der Wahrhaftigkeit ist die
Unsterblichkeit beschlossen.
38. (1658.) Man soil die Siinde austilgen und das Geliibde
des Tapas befolgen; das ist das vom Schopfer beobachtete
Verhalten und das wahrhafte Geliibde der Guten.
39. (1659.) Wenn man von jenen Siinden sich befreit und
mit jenen Tugenden angetan ist, das ist das iiberaus gedeih-
liche, lautere Tapas.
40. (1660) Und wonach du mich fragst, o Fiirst der
Konige, darauf sage ich dir zusammenfassend : dieses ist das
gute Werk, welches das Bose vertilgt, und welches Geburt,
Tod und Alter abwehrt.
Dhritarashtra sprach:
41. (1661.) Wer die vier Veden mit den [erganzenden]
Erzahlungen als fiinftem kennt, der Mensch wird am hochsten
gepriesen; ebenso andere, welche die vier Veden kennen, und
wieder andere, welche drei Veden studiert haben,
42. (1662.) und wieder andere, welche zwei Veden, welche
16 I. Sanatsujata-parvan.
4. einen Veda und welche gar keine Vedaverse kennen. Wer
von diesen alien ist derjenige, den ich als den wahrhaften
Zwiegeborenen betrachten soil?
Sanatsuj&.ta sprach;
43. (1663.) Wegen der Unkenntnis des einen Zuwissenden
(mit C. : vedyasya) sind jene vielen Veden verfafst worden,
jenes einen Wahren, o Fiirst der Konige, in welchem nur
wenige wurzeln.
44. (1664.) Dies ist der wahre Veda ; ihn kennt man niclit
und lebt in demWahne: „ich bin wissend". Almosengeben,
Vedastudium und Opfer, das alles entspringt aus der Be-
gierde.
45. (1665.) Und derartiges Verlangen entsteht bei solchen,
welche vom Wahren abgefallen sind. Daraus entspringt die
Ausbreitung der Opfer, indem man sie fiir das Wahre halt.
46. (1666.) Aus Gedanken entspringt es bei dem einen,
aus Worten bei dem andern oder auch aus Werken. Aus
Verlangen ist der Mensch gemacht, auf Verlangen griindet
er sich.
47. (1667.) Weil er nicht fest an jenem Einen halt, darum
: betreibt er das Weihegeliibde ; es ist blofses Wort, aus der
Naturanlage entsprungen. Aber fiir die Guten ist jenes Wahre
das Hochste.
48. (1668.) Das Wissen ist etwas Immanentes, als ein
Transfcendentes entsteht das Tapas. Aber einen Zwie-
geborenen, der viel studiert, wisse als einen, der viele Worte
macht.
49. (1669.) Darum, 0 Fiirst, mogest du nicht einen wegen
seines vielen Geredes fiir einen Zwiegeborenen ansehen, und
nur, wer von dem Wahren nicht abweicht, den sollst du an-
€rkennen als einen Brahmanen.
50. (1670.) Die heiligen Lieder namlich, sie hat jener
Atharvan umgeben von der Schar der grofsen Weisen vor-
l 0 mals gesungen; sie, welche jene heiligen Lieder kennen,
wie auch welche den Veda nicht studiert haben, sie alle
wissen nicht die Wesenheit des durch den Veda (hier:
die Upanishad's, Nil.) Zuwissenden.
Adhy^ya 42 (B. 43). 17
51. (1671.) Denn die heiligen Lieder, o Trefflichster
der Menschen, entstehen hier durch die Anklammerung
an die eigenen Wiinsche. Die Kenner der heiligen
Hymnen und sie, welche jene [Veden] nicht studiert
haben, alle diese Edlen gelangen nicht zu dem, was
man aus dem Veda nicht lernen kann.
52. (1672.) Mancher ist nicht ein Kenner der Veden,
und mancher wiederum, o Fiirst, kennt sie. Wer die
Veden kennt, der kennt darum noch nicht das Zu-
wissende, aber wer in der Wahrheit feststeht, der er-
kennt das Zuwissende.
53. (1673.) Mancher ist nicht ein Kenner der Veden ;
durch das, was durch Wissen zu erreichen ist, wissen
J I [andere] den Veda, aber nicht das Unwifsbare. Wer den
Veda weifs, der weifs nur das Wifsbare; wer das Wifs-
bare weifs, der weifs darum noch nicht die Wahrheit.
54. (1674.) Wer die Veden weifs, der weifs zwar das
Wifsbare, nicht aber wissen ihn [den Atman] die Veda-
kenner, noch audi die Veden. Immerhin wissen durch
den Veda das Wissen solche Brahmanen, welche veda-
kundig sind.
55. (1675.) Denn was die Zweige eines Baumes [fiir
das Aufsuchen am Himmel] eines kleinen Teiles der Mond-
sichel sind, das sind, wie man uns lehrt, die Veden fiir
die Erkenntnis des hochsten Atman als das wahre Ziel.
56. (1676.) Ich erkenne an als Brahmanen einen kundigen
Erklarer; er, der die Bedenken abgestreift hat, er hellt alle
Zweifel auf.
57. (1677.) Nicht moge das Suchen nach ihm nach Osten
und nicht nach Siiden gehen, nicht herwarts zu, noch weniger
in die Quere; nicht soil man versuchen ihn irgendwie [auf
dem Wege der Erkenntnis] aufzuzeigen,
58. (1678.) oder irgendwie Nachforschungen iiber ihn an-
zustellen bei den ihm entgegengesetzten [vielheitlichenDingen],
indem man somit darauf verzichtet, ihn im Veda zu suchen, —
das Tapas schaut ihn als den Herrn.
59. (1679.) Schweigend soil man in Verehrung sitzen, ohne
sich auch nur im Geiste zu bewegen; so wende dich hin
Deussen, Mahftbharatam. 9
18 I. Sanatsujata-parvan.
zu jenem Brahman, welches im innern Selbste vernehm-
bar ist.
60. (1680.) Nicht durch Schweigen wird man zum Muni,
nicht zum Muni durch Wohnen im Walde, sondern wer die
Wesenheit des Selbstes kennt, der wird der beste Muni
genannt.
61. (1G81.) Durch Analysis aller Dinge wird man ein
Analytiker genannt; well er diese Analysis von Grund aus
analysierend iibt, darum heifst er so.
62. (1682.) Ein Mann, der das Wahrnehmbare sieht in
diesen Welten, ist ein Allsehender, aber der Brahmane, der in
der "Wahrheit fest steht und sie erkennt, ist ein Allwissender.
63. (1683.) Und audi wer in der Pflicht usw. beharrt, kann
auf diese Weise das Brahman schauen, wie auch der, der die
Veden der Reihe nach treibt. Dieses sage ich dir mit tjber-
zeugung.
So lautet im Sanatsujilta-parvan die Rede des Sanatsujata
(Sanatsujdta-vdkyam).
Adhy^ya 43 (B. 44).
Vers 1684-1714 (B. 1-31).
Dhritarashtra spracli:
1. (1084.) 0 Sanatsujata, jene hochste Lehre vom
Brahman, die allumfassende, von der du sprichst, jene
hochste, freihch schwer zu fassende Mitteilung, jene
Rede verkiinde mir, o Fiirstensohn.
Sanatsujata sprach:
2. (1685.) Nicht von einem Eiligen ist jenes Brahman
zu erfassen, nach welchem mich fragend du dich so iiber-
aus aufgeregt zeigst. Nur dann, wenn das Manas in
der Buddhi absorbiert ist, lafst sich diese im Denken
zu erfassende Wissenschaft durch Brahmanwandel er-
langen.
Dhritar&shtra sprach :
3. (1686.) Jene unendliche, ewige Wissenschaft, von
der du sagst, dafs sie nur durch Brahmanwandel zu ver-
11^
Adhyaya 43 (B. 44). 19
wirklichen sei, und welche unergreifbar ist, solange
hienieden die Zeit des Wirkens andauert, wie lafst sie
sich, wie lafst sich Brahmanheiligkeit , Unsterblichkeit
erlangen ?
Sanatsujata sprach:
4. (1687.) Ich will dir die geheime Wissenschaft der
Altvordern verkiinden, welche durch Einsicht und Brah-
manwandel von ihnen verwirklicht wurde, welche erlangt
habend man diese sterbliche Welt aufgibt, und welche
fiirwahr nur solchen eigen ist, die bei einem Lehrer er-
zogen wurden.
Dhritarashtra spracli :
5. (1688.) Wenn diese Wissenschaft durch Brahman-
wandel ohne Schwierigkeit erlangt werden kann, von wel-
cher Art ist dieser Brahmanwandel ? Das, o Brahmane,
sage mir.
Sanatsujata sprach :
6. (1689.) Die, welche hienieden in den Mutterleib
eines Lehrers eingehend und zu seiner Leibesfrucht wer-
dend den Brahmanwandel wandeln, die werden hier auf
Erden Urheber der Lehrbiicher, und nachdem sie den
Leib verlassen haben, gehen sie in die hochste Gemein-
schaft ein.
7. (1690.) In dieser Welt fiirwahr iiberwinden sie die
Liiste, indem sie dem Feststehen in Brahman mit Aus-
dauer nachstreben; diese reifsen schon hienieden den
Atman aus dem Leibe heraus, wie den Halm aus dem
Schilfe (Kath. Up. 6,17), und stehen fest in der Wahrheit.
8. (1691.) Den Leib erzeugen diese zwei, der Vater und
die Mutter, o Bharata, aber die Geburt, welche sie erklaren
als aus dem Lehrer geschehend, die ist heilig, die ist nicht
alternd und unsterblich.
9. (1692.) Ihn, der die Ohren (lies: harnan) anfiillt mit
Wahrheit, das Rechte vollbringt, Unsterblichkeit gewahrt,
den soil man fiir seinen Vater und seine Mutter halten, den
soil man nicht kranken, indem man bedenkt, was er an einem
getan hat.
2*
20 I- Sanatsujata-parvan.
10. (1693.) Dem Lehrer soil der Schiiler allezeit griifsend
nahen und um Vedalehre bitten, rein und wohlbedaclitig ;
er soil keinen Hochmut zeigen, nicht in Zorn geraten;
das ist das erste Viertel des Brahmanwandels.
11. (1694.) Wer in Lauterkeit durch die stufenweise Er-
fuUung der Schiilerpflichten die Wissenschaft erlangt, fiir den
ist dieses das erste Viertel seines Brahmanwandelgeliibdes.
12. (1695.) Dem Lehrer soil er Freude machen mit seinem
Gut und Blut, in Werken, Gedanken und Worten, dies wird
das zweite Viertel genannt.
13. (1696.) "Wie sein Wandel gegeniiber dem Lehrer ist,
so soil er sich auch gegen die Gattin des Lehrers benehmen,
und wenn er dasselbe Verhalten auch bei dem Sohne des
Lehrers beobachtet, dann ist das das zweite Viertel.
14. (1697.) Wenn er begreift, dafs sein Selbst durch
den Lehrer geschaffen wurde, und wenn er die Bedeutung
der Worte verstehend : „Von ihm bin ich geschaffen
worden", von dankbarer Gesinnung gegen ihn erfullt ist,
das furwahr ist das dritte Viertel des Brahmanwandels.
15. (1698.) Hat er die Erkenntnis erlangt, so soil er
seine Abreise nicht vornehmen, ohne es dem Lehrer ver-
golten zu haben; und nicht soil er etwa denken: „Ich
tue so vieles an ihm", noch auch sich dessen riihmen,
das furwahr ist das vierte Viertel des Brahmanwandels.
16. (1699.) Durch die Zeit erlangt er jenes erste Viertel
und zugleich den [Veda-]Inhalt; das zweite Viertel so-
dann durch Anhanglichkeit an den Lehrer; wenn er in
der Anstrengung bestandig ist, fallt ihm ein weiteres
Viertel zu; und ein letztes Viertel erreicht er aus der
Kenntnis des Schriftkanons.
17. (1700.) Wenn einer die zwolf [Gebote], Pflicht-
erfiillung usw. zu seinem Wesen gemacht hat, wenn er
auch die iibrigen Telle der Lehre und [durch sie] Kraft
gewonnen hat, dann sagt man von ihm, sein Brahman-
wandel ist durch Verbindung mit dem Lehrer und durch
Verbindung mit dem Inhalte des Brahman (des Veda) ein
erfolgreicher.
Adhy^ya 43 (B. 44). 21
18. (1701.) Was er, indieserWeisegefordert, empfangen
hat, dafiir soil er dem Lehrer einen Entgelt bieten; auf
• I- diese Weise schlagt er den tugendreichen Wandel der
Guten ein, und dasselbe Verhalten erstreckt sich audi
auf den Sohn des Lehrers.
19. (1702.) Wenn er hierin beharrt, so gedeiht er nacli
alien Seiten hin, er erlangt viele Sohne und eine [ange-
'-^ sehene] Stellung; die Himmelsgegenden und Zwischen-
himmelsgegenden spenden ihm Regen, und die Leute
nehmen als Brahmanschiiler bei ihm Wohnung.
20. (1703.) Durch einen solchen Brahmanwandel haben
die Gotter ihr Gottsein, haben die weisen Rishi's, die gliick-
lichen, die Brahmanwelt erlangt.
21. (1704.) Durch ihn wurde den Gandharven und Apsarasen
'^ihre Schonheit zuteil, durch diesen Brahmanwandel wird auch
dem Tage die Sonne geboren.
22. (1705.) Gleichwie diejenigen, welche, nach einem be-
stimmten Elixier trachtend, durch Erlangen des ersehnten
Gegenstandes [befriedigt werden], so sind jene durch die Er-
kenntnis zu einer so hohen Stellung als solche [die sie sind]
gelangt.
23. (1706.) Wer dazu seine Zuflucht nimmt und sich
lautert, o Fiirst, wer seinen ganzen Leib mit Tapas durch-
' ^ gluht, der gelangt dadurch als Wissender zur Kindlich-
keit (Brih. Up. 3,5), und er iiberwindet den Tod, wenn
das Ende kommt.
24. (1707.) Ein Ende habend sind die Welten, o Fiirst,
welche jene anderen Menschen durch reine Werke ge-
winnen ; aber wer das Brahman weifs, der erlangt durch
dasselbe das All, nicht gibt es einen andern Weg zum
Gehen. (Vaj. Samh. 31,18.)
Dhritarashtra sprach :
25. (1708.) Erscheint es als weifs oder rot oder als
schwarz oder dunkelfarbig oder braun ? Der rechte Brah-
mane, der hier als ein Wissender es schaut, in welcher
Gestalt schaut er jenes Unsterbliche, jene unvergangliche
Statte?
22 I- Sanatsujata-parvan.
Sanatsujata sprach :
26. (1709.) Es erscheint als weifs oder rot oder als
schwarz oder eisenfarbig oder sonnenfarbig ; es weilt
nicht in der Erde, nicht im Luftraum, nicht tragi es
im Ozean [als Gewand] das Wasser.
27. (1710.) Es erscheint nicht in den Sternen, hat seinen
Sitz nicht in dem Bhtze, nicht in den Wolken ist seine
Gestalt zu sehen, nicht in dem Winde, nicht in den Gott-
heiten, nicht in dem Monde ist es zu sehen, noch auch
in der Sonne,
28. (1711.) nicht in den Versen ist es, nicht in den
Opferspriichen, nicht in den Atharvan-Liedern ; nicht ist
es zu sehen in den lauteren Saman-Liedern, im Rathan-
taram oder im Barhadratham [wohl gleichBrihad], oKonig;
auch nicht einmal im Mahavratam [doppelsinnig , auch:
grofses Geliibde] schaut man jenes Unwandelbare.
29. (1712.) UniiberwindHch ist es, hinausgelangt iiber
die Finsternis (VaJ. Samh. 31,18), und auch der Tod zer-
geht in ihm, wenn das Ende kommt. Es ist kleiner an
Gestalt [als das Kleinste], ist vergleichbar der Schneide
eines Schermessers ; und doch grofs an Gestalt, [noch
grolser] als die Berge.
30. (1713.) Das ist die Grundlage, dies das Unsterbliche,
die Welten, dies ist das Brahman, dies die Herrlichkeit, denn
aus ihm sind die Wesen entstanden und gehen wieder unter
in dasselbe.
31. (1714.) Das ist das Krankheitlose , Grofse, Aus-
gespannte, Herrliche; nur auf Worten [beruhe] seine Um-
wandlung, so erklaren die Weisen (Chand. Up. 6,1,3).
Dieses, worin diese ganze Welt gegriindet ist, — die
das erkennen, werden unsterblich.
So lautet im Sanatsujata-parvan die Bede des Sanatsuj&ta
(Sanatsiijdta-vdk-j/am).
Adby^ya 44 (B. 45). 23
£7ri^ C/i: Aclhyaya 44 (B. 45).
Vers 1715-1736 (B. 1-21).
Sanatsuj&,ta sprach:
1. (1715.) Kummer und Zorn, Begierde und Lust, Hoch-
mut und Schlaffheit, Neid, Verblendung, Unbestandigkeit,
Weichmiitigkeit , Verdrossenheit, Feiglieit,
2. (171G.) das sind die zwolf grofsen Siinden, welche das
Leben der Menschen verderben; (I7i7.) sie sind es, o Fiirst
der Konige, welche die Menschen, den einen wie den andern,
umlauern, und von welchen besessen der Mensch mit be-
tortem Bewufstsein sich fiir das Bose entscheidet.
3. (1718.) DerBegehrHche, der Gewalttatige, der Rauhe,
der Geschwatzige, der Zornmiitige und der Prahlerische,
das sind die sechs Menschen, welche von menschenfeind-
licher Gesinnung sind; audi wo sie eine Veranlassung
hatten, erweisen sie doch nicht die gebiihrende Ehre.
4. (1719). Der Genufssiichtige, der Unbillige, der Hoch-
miitige, der mit seiner Freigebigkeit Prahlende, der Gei-
zige und Schwache, der viel sich Riihmende, der sein
Weib Hassende, diese sieben [acht?] heifsen die iibel-
gesinnten Menschenfeinde.
5. (1720.) Pflichterfullung, Wahrhaftigkeit, Tapas, Be-
zahmung, Selbstlosigkeit, Schamhaftigkeit, Geduld und
Neidlosigkeit, Almosengeben , Schriftstudium, Festigkeit
und Geduld, das sind die zwolf grofsen Geliibde des Brah-
manen.
6. (1721.) Wer von diesen zwolfen nicht abfallt, der
wird diese ganze Erde beherrschen ; wer aber mit dreien,
zweien oder nur einem von ihnen begabt ist, dem wird
kein Eigentum zuteil , so soli man wissen [oben,
Vers 1641, das gerade Gegenteil].
7. (1722.) Bezahmung, Entsagung, Besonnenheit, in diesen
besteht Unsterblichkeit ; sie sind eigen denen, welche Brah-
man als Hochstes schatzen, den Brahmanen, welche weise
sind (vgl. Vers 1642).
24 I- Sanatsujata-parvan.
8. (1723.) Die Beleidigung , wahr oder nicht wahr, eines
Brahmanen ist nicht zu billigen; in die Holle gehoren sie,
die Menschen, die so etwas tun.
9. (1724.) Unbesonnenheit hat achtzehn Fehler, wie schon
vorher erwahnt wurde (Vers 1646), namheh: Menschenhafs,
Widerspenstigkeit, Verdrossenheit, unwahre Rede,
10. (1725.) Lust und Zorn, Unselbstandigkeit, Verleumdung,
Angeberei, Vernachlassigung des Besitzes, Streitsucht, Selbst-
sucht, Tierqualerei,
11. (1726.) Neid, Ausgelassenheit, hochfahrendes Wesen,
Verlust der Besonnenheit und Verdriefslichkeit, — darum soil
der Weise Unbesonnenheit meiden, denn sie ist immer
tadelnswert.
12. (1727.) Was aber die Freundschaft betrifft, so soil
man wissen, dafs sie aus sechs Tugenden besteht: dafs
man am Wohlsein des Freundes sich freut, dafs man
sich bekiimmert, wenn es ihm iibel geht, dafs man dem
Bittenden auch das gibt, was einem selbst sehr wert
[B. : schon lange eigenj ist, dafs man sogar wohl auch das
nicht zu Fordernde gibt, (1728.) denn auch geliebte Sohne,
Schatze, ja sogar die eigene Gattin soil man, darum ge-
beten, hingeben, wenn man reinen Sinnes ist,
13. dafs man nach Hingabe seines Besitzes nicht etwa
aus Verlangen danach [beim Freunde] wohnen bleibt, und
dafs man an der Tat selbst seine Freude hat und Dankes-
wiinsche ablehnt.
14.. (1729.) Reich an Gut und reich an Tugenden ist der,
welcher in dieser Weise das Seinige hingibt als ein von Giite
(sattvamj Erfiillter; ein solcher halt die fiinf Elemente von
seinen fiinf [entsprechenden Sinnesorganen] fern.
15. (1730.) Dieses vollbrachte lautere Tapas ist auch dann
aufwartsfiihrend , wenn es von solchen, die des Sattvam er-
mangeln, aus Wunsch [nach Lohn] geiibt wird.
16. (1731.) Denn die Opfer gedeihen dadurch, dafs man
die Wahrheit unterdriickt , mag dies von dem einen in Ge-
danken, von einem andern in Worten oder auch in Werken
geschehen.
Adhy&ya 44 (B. 45). 25
17. (1732.) Aber hoher als der in Wiinschen sein Endziel
findende Mensch steht der Wunschlose, besonders wenn es
sich um einen Brahmanen handelt. Was sonst noch zu sagen
ist, hore weiter von mir.
18. (1733.) Man studiere dieses Grofse, Riihmliche, dafs
alle Umwandlungen nur Worte sind (Chand. Up. 6,1,3),
wie die Weisen sagen. In [dem Objekte] dieser Hin-
gebung ist die ganze Welt begriindet. Wer solches weifs,
der wird unsterblich.
19. (1734.) Nicht durch das Werk, auch nicht durch
das Wohlgetane, o Fiirst, kann man die Wahrheit er-
werben, erspenden oder eropfern. Darum geschieht es,
dafs der Tor nicht den Nicht-Tod erlangt und nicht den
Frieden, wenn es zu Ende geht.
20. (1735.) Schweigend und einsam soil man verehren,
ohne sich auch nur in Gedanken zu bewegen; man soil bei
Lob und Tadel Freude und Zorn von sich fernhalten.
21. (1736.) Dann geht man, noch hienieden weilend,
o Fiirst, schon in das Brahman ein und bekommt es nach
und nach auch in den Veden zu schauen. Dieses sage ich
dir als einer, der es weifs.
So lautet im SanatsujAta-parvan die Kede des Sanatsujata
(Sanatsujata-odkyarn).
Adhyaya 45 (B. 46).
Vers 1737-1790 (B. 1-31).
Sanatsujata sprach:
1. (1737.) Was jenes Reine ist, das grofse glanzende
Licht, die grofse Herrlichkeit , das fiirwahr verehren die
Gotter, aus dem erstrahlt die Sonne. (1738.) Ihn schauen die
Yogin's, den Heiligen, Ewigen.
2. (1739.) Aus jenem Reinen entsteht das Brahman (der
Veda), durch jenes Reine wachst es empor, jenes Reine in-
mitten der Lichter, nicht gliihend, macht die Sonne ergliihen.
(1740.) Ihn schauen die Yogin's, den Heiligen, Ewigen.
26 !• Sanatsujata-parvan.
3. (1741.) Die Wasser [schuf er], und aus den Wassern
empor inmitten des Gewoges lehnen sicli an den Luftraum
die beiden Goiter, und unermiidlich als der Erleuohter des
Savitar tragi er sie beide, die Erde und den Himrael.
(1742.) Ihn schauen die Yogin's, den Heiligen, Ewigen.
4. (1743.) Und diese beiden Goiiheiten, die Erde und
den Himmel, tragi der Eeine, er tragi die Himmels-
gegenden, tragi die Welt; aus ihm sind die Himmels-
gegenden und aus ihm rinnen die Strome, aus ihm sind
die grofsen Ozeane geschaffen worden. (1744.) Ihn schauen
die Yogin's, den Heiligen, Ewigen.
5. (1745.) Er isi es, den die am Rade des rollenden, ewig
wirkenden Wagens befindlichen Rosse als den Glanzbringenden
dahinfiihren, ihn den Ilimmlischen , Alterlosen, droben am
Himmel. (i746.) Ihn schauen die Yogin's, den Heiligen, Ewigen.
6. (1747.) Nichi isi zu schauen die Gestali desselben,
nicht sieht ihn irgendwer mit seinem Auge ; nur wer ihn
durcli Herz und Sinn und Geisi erkennt, — unsierblich
werden, die ihn also kennen (Kath. Up. 6,9, frei). (1748.) Ihn
schauen die Yogin's, den Heiligen, Ewigen.
7. (1749.) Indem sie [die Wesen] den von Goitern gehiiieien
zwolfarmigen Strom [das Naturleben im Laufe des Jahres]
irinken und den in ihm befindlichen Honig erblicken, scharen
sie sich hier um den ungeheuren [Strom]. (1750.) Ihn schauen
die Yogin's, den Heiligen, Ewigen.
8. (1751.) Jenen Honig, nachdem sie ihn wahrgenommen,
trinki die Biene [die Seele] einen halben Monai lang [wahrend
des diesseitigen Lebens im Gegensatz zum jenseitigen], denn
der Herr hat ihn unter alien Wesen als ein Opfermahl fiir
sie bereiigestellt. (1752.) Ihn schauen die Yogin's, den Hei-
ligen, Ewigen.
9. (1753.) Zu dem Feigenbaume mit goldenen Blaiiern
(vgl. Kath. Up. 6,1) treien sie heran ohne Fliigel; und nach-
dem sie bei ihm gefliigelt geworden [nachdem sie im Ge-
niefsen der Lebenserfahrung die erlosende Erkenninis gewonnen
haben], fliegen sie nach alien Richtungen davon. (1754.) Ihn
schauen die Yogin's, den Heiligen, Ewigen.
. Adhyaya 45 (B. 46). 27
10. (1755.) Aus Vollem schopfen sie Voiles, aus Vollem
bereiten sie sich Voiles; sie entnehmen dem Vollen Voiles,
und doch bleibt das Voile iibrig. (Brih. Up. 5,1 ; Sechzig Upa-
nishad's S. 488.) (1756.) Ihn schauen die Yogin's, den Hei-
ligen, Ewigen.
11. (1757.) Aus ihm ist fiirwahr der Wind entsprungen,
und in ihm verbreitet er sich immerfort, aus ihm stammt
Agni und Soma, in ihm ist ausgespannt der Lebensodem
(vgl. Taitt. Up. 2,8).
12. (1758.) Alles soil man wissen als aus ihm entsprungen,
aber es selbst, jenes Wesen, konnen wir nicht in Worten
fassen. (1759.) Ihn schauen die Yogin's, den Heiligen, Ewigen.
13. (1760.) Den Einhauch verschlingt der Aushauch, den
Aushauch verschlingt der Mond, den Mond verschlingt die
Sonne, die Sonne verschlingt der Hochste. (i76i,) Ihn schauen
die Yogin's, den Heiligen, Ewigen.
14. (1762.) Nicht einenFufs darfherausziehen der Wander-
vogel, indem er aus der Flat herausgeht [die Fiifse sind prdna
und ajidna, durch welche Jiansa, hier die hochste Seele, das
Leben des Universums, salilam, unterhalt ; vgl. Atharvav. 11,4,21
und Gesch. d. Ph. I, 1, S. 304] ; wenn er diesen allverbreiteten
[Fufs] nach oben [herauszoge] , dann wiirde nicht Tod sein
und nicht Unsterblichkeit [nicht Menschen und nicht Gotter].
(1763.) Ihn schauen die Yogin's, den Heiligen, Ewigen.
15. (1764.) Der Purusha, zollhoch, als innere Seele (Kath.
Up. 6,17), durch die Verbindung mit dem Liiigam wan-
dert er immerfort; ihn sehen die Toren nicht, wie es
sich gehort, den Herrn, den Preiswerten, Uranfanglichen,
Glanzvollen. (i765.) Ihn schauen die Yogin's, den Hei-
ligen, Ewigen.
16. (1766.) Mogen sie nun ohne die Heilsmittel oder
mit Heilsmitteln ausgeriistet sein, jenes [Lebensprinzip]
ist alien Menschen gemeinsam; gemeinsam ist es der
unsterblichen [Himmelswelt] und der andern [der Welt
der Sterblichen] ; in ihm erlangen die Erlosten den Brun-
nen des Honigs (vgl. Rigv. 1,154,5). (i767.) Ihn schauen
die Yogin's, den Heiligen, Ewigen. ,
28 I. Sanatsujata-parvan.
17. (1768.) Beide Welten mit seiner Wissenschaft durch-
dringend geht er [der Wissende] dahin : dann ist [so gut
wie] dargebracht auch das nicht dargebrachte Agniho-
tram. Moge dir deine Brahmanschaft nicht mit klein-
lichem Sinn sich umkleiden. Erkenntnis sei sein Name,
welchen die Weisen erlangen. (i769.) Ihn schauen die
Yogin's, den Heiligen, Ewigen.
18. (1770.) So beschaffen ist jener hochherzige Mensch
fpurushaj, weicher das [Opfer-]Feuer verschlingt (vgl. Gesch.
d. Ph. 1,2, S. 338); fiirwahr wer diesen Menschen begreift
[sein Tun wiirdigt] , dessen Sache leidet hienieden keinen
Schaden. (i77i.) Ihn schauen die Yogin's, den Heihgen,
Ewigen.
19. (1772.) Wenn einer tausendmal tausend Fliigel aus-
breitete und vorwartsfloge , der wiirde nur zu der mittelsten
' ^ Mitte [und niemals an sein Ende] gelangen, selbst wenn er
schnell ware wie ein Gedanke. (1773.) Ihn schauen die Yogin's,
den Heihgen, Ewigen.
20. (1774.) Nicht ist zu schauen die Gestalt desselben
(Kath. Up. 6,9) , aber es sehen ihn solche, welche ganz
gereinigten Wesens sind ; der Gesetzte, Verstandige wird
in seinem Geiste nicht gequalt; sie, welche hinausziehen
[in den Wald], die werden unsterbHch. (1775.) Ihn schauen
die Yogin's, 'den Heihgen, Ewigen.
21. (1776.) Die Menschen durch ihre Schulweisheit,
durch ihr Treiben verkriechen sich wie Schlangen in
ihren Kliiften; in ihnen verirren sich, wie auf einem
Wege, die verwirrten Menschen, und geraten in Wirr-
sal zu ihrem Schrecken. (1777.) Ihn schauen die Yogins,
den Heihgen, Ewigen.
22. (1778.) Ich werde nicht fiir immer in Unehre bleiben ;
^Af\ i>tr weder Tod noch Nicht -Tod wird mir werden , noch
auch Unsterbhchkeit ; Reales und Unreales werden gleich-
mafsig niedergehaUen in der [ewigen] ReaUtat; die
- 'J Quelle des Seienden und des Nicht- Seienden ist ein
und dieselbe. (1779.) Ihn schauen die Yogin's, den Hei-
ligen, Ewigen.
Adhyaya 45 (B. 46). 29
23. (1780.) Nicht durch gutes noch audi durch nicht-
gutes Werk [ist das Heil zu erlangen]; beides, wie es
unter den Menschen herrscht, wird fiir gleich angesehen,
und das gleiche wisse er von der Unsterblichkeit; wer
so bereitet ist, der mag nach jenem Honig trachten.
(1781.) Ihn schauen die Yogin's, den Heiligen, Ewigen.
24. (1782.) Nicht qualen hochmiitige Reden sein Herz,
nicht qualt es seinen Geist, dafs er nicht studiert, nicht
das Agnihotram dargebracht hat; die Brahmanschaft
wappne ihn mit leichtem Sinn [anders oben, Vers 1768],
Erkenntnis [gebe er] ihm als Name, welchen die Weisen
erlangen. (1783.) Ihn schauen die Yogin's, den Heihgen,
Ewigen.
25. (1784.) Wer in solcher Weise in alien Wesen, wie sie
an diesen oder jenen Ort gebunden sind, den Atman schaut,
woriiber sollte der sich weiterhin Kummer machen?
26. (1785.) Wie mit einem grofsen Wasserbehalter , in
welchem von alien Seiten das Wasser zusammengeflossen
ist, so steht es mit alien Veden fiir den, welcher den Atman
kennt (vgl. Kath. Up. 4,14-15).
27. (178G.) Der Purusha, zollhoch an Lange, der grofse
Atman, dieser ist nicht sichtbar, da er in das Herz ein-
gegangen ist; der Ungeborene, Tag und Nacht Wan-
dernde, der Unermiidliche, diesen iiberdenkt der Weise
und sitzt da in Frieden.
28. (1787.) Ich bin, wie man lehrt. Mutter und Vater und
bin audi wiederum der Sohn; und ich bin auch der Atman
(die Seele) in allem, was nicht ist und was ist.
29. (1788.) Ich bin der Grofsvater, der ehrwvirdige, bin
der Vater und der Sohn, o Bharata ; ihr lebt in meinem Atman,
und doch seid ihr nicht mein und ich nicht eiier.
30. (1789.) Der Atman ist meine Statte, der Atman ist
meine Wiege, ihm bin ich eingewoben und verwoben
(Brih. Up. 3,7) , mein Standort ist das Alterlose; ich bin
ungeboren, bin unermiidlich bei Tag und bei Nacht,
mich iiberdenkt der Weise und sitzt da in Frieden.
30 I- Sanatsujata-parvan.
31. (1790.) Kleiner als das Kleinste weilt er wohlgemut
in alien Wesen, in dem Wachenden [und Schlafenden] ; ihn,
den Vater wissen sie in alien Wesen verborgen in der Lotos-
blume (Chand. Up. 8,1,1).
»
So lautet im Sauatsujata-parvan die Kede des Sanatsujata
(Sanatsiijata-v&kyam).
Vollendet ist dieser Sanatsuj^ta-Abschnitt.
II.
BHAGAVADGlTA.
Mahabh^ratam Bucli VI, Adhyaya 25-42, Vers 830-1532, C.
(= Buch VI, Adhyaya 25-42, B.).
I (Adhyaya 25).
Vers 830-878 (B. 1-47).
Dhritarashtra sprach:
1. (830.) Als im heiligen Lande, im Kurulande, zusammen-
trafen, um zu kampfen die Meinigen und die Pandava's, was
taten sie da, o Sanjaya?
Sanjaya sprach:
2. (831.) Als damals Duryodhana das Heer der Pandava's
in Schlachtordnung aufgestellt sah, da trat er, der Konig,
zu seinem Lehrer und sprach das Wort:
3. (832.) Sieh dort, o Meister, die grofse Schlachtreihe
der Pandusohne, wie sie von dem Drupudasohne , deinem
weisen Schiiler, aufgestellt worden ist. •
4. (833.) Da sind Helden zu sehen, grofse PfeilscMtzen,
die es dem Bhima und Arjuna im Kampfe gleichtun, da sind
Yuyudhana und Virata und Drupada auf grofsem Streit-
wagen,
5. (834.) Dhrishtaketu, Cekitana und der heldenmiitige
Konig von Kagi, Purujit, Kuntibhoja und Qaivya, der
Mannerstier,
6. (835.) Yudhamanyu, der tapfere, und Uttamaujas, der
heldenmiitige, der Subhadrasohn und die Draupadisohne, alle
auf grofsen Streitwagen.
7. (836.) Welche aber von den Unsrigen hervorragen, als
Anfiihrer meines Heeres, diese vernimm, o Bester der Zwie-
geborenen, ich nenne sie dir, damit du sie kennst:
8. (837.) Da hist du selbst, da ist Bhishma und Karna
und Kripa, der Sieger im Kampf, da sind AQvatthaman
Sexjssek, Mah^bb&ratam. 3
34 n. Bhagavadgita.
und Vikarna und der Sohn des Somadatta mit siegreichem
Wagen ,
9. (838.) und viele andere Helden, die mir zuliebe ihr
Leben wagen, indem sie mit mancherlei Waffen zum Angriff
schreiten, des Kampfes alle kundig.
10. (839.) Unzulanglich aber ist diese unsere Streitkraft,
welche von Bhishma gefiihrt wird, und zulanglich ist die
Streitmacht jener andern, welche von Bhima gefiihrt wird.
11. (840.) Darum sollt ihr alle, je nach eurer Ordnung
aufgestellt, bei alien Waffengangen euch um Bhishma ge-
schart halten.
12. (841.) Ihm [dem Duryodhana, der so gesprochen] er-
fullte der Kuru-Alte, der Grofsvater [Bhishma], das Herz mit
Freude, indem er, der Bufsereiche, laut wie Lowengebriill,
die Muschel blies.
13. (842.) Nun erdrohnten machtig die Muscheln, die
Pauken und die Trommeln, die Tamburins und Trompeten
und ein gewaltiger Larm erhob sich.
14. (843.) Da geschah es, dafs [auch auf seiten der Gegner]
Madhava (Krishna) und der Pandava (Arjuna), auf einem
grofsen, von weifsen Kossen gezogenen Streitwagen stehend,
ihre himmlischen Muscheln bliesen.
15. (844.) Da bli€s der Struppige (Krishna) die Volker-
versammelnde [Muschel], der Beutemacher (Arjuna) die Gott-
gegebene und der fiirchterliche Wolfsbauch (Bhima) die wie
Kohrpfeifen ertonende grofse Muschel;
16. (845.) der Konig Yudhishthira , der Sohn der Kunti,
blies die Allsiegerin, Nakula und Sahadeva bliesen die Laut-
schallende und die Edelsteinblumige.
17. (846.) Der Konig von KaQi, der gewaltige Bogen-
schiitze, und Qikhandin auf grofsem Streitwagen, Dhrishta-
dyumna und Virata und der uniiberwindliche Satyakasprofs
(Yuyudhana),
18. (847.) Drupada und die Sohne der Draupadi, o Erde-
herr, und der Sohn der Subhadra (Abhimanyu) mit grofsen
Armen, diese bliesen von alien Seiten her, jeder einzelne, ihre
Muscheln.
19. (848.) Dieser Larm zerrifs die Herzen der Anhanger
I (Adhy&ya 25). 35
des Dhritarashtra, als er erdrohnend Himmel und Erde wider-
hallen machte.
20. (849.) Als darauf der mit dem Affen in der Fahne
(Arjuna) die Anhanger des Dhritarashtra in Schlachtordnung
aufgestellt sah, und als schon die Geschosse heriiber und
hiniiber flogen, da machte auch er, der Sohn des Pandu
(Arjuna), seinen Bogen bereit,
21. (850.) und zu dem Struppigen sprach er, o Erdenherr,
damals dieses Wort.
Arjuna sprach:
(851.) Halte an, o Unerschiitterlicher, meinen Streitwagen
in der Mitte der beiden Heere,
22. damit ich jene mustere, welche kampfbegierig sich
aufgestellt haben, (852.) [und sehe] mit wem ich in dieser ent-
brannten Schlacht zu kampfen haben werde.
23. Da sehe ich sie, welche sich dort kampf bereit ver-
sammelt haben (853.) und dem iibel beratenen Dhritarashtra-
sohne (Duryodhana) zuliebe mit uns kampfen woUen.
Sanjaya sprach :
24. (854.) Als der Struppige (Krishna) von dem Lockigen
(Arjuna) in dieser Weise angeredet worden war, o Bharata,
da hielt er in der Mitte der beiden Heere den trefflichsten
Wagen an,
25. 855.) und angesichts des Bhishma, des Drona und aller
Fiirsten sprach er: „0 Sohn der Pritha, siehe da driiben die
zusammengescharten Kuru's".
26. (856.) Da sah der Prithasohn sich gegeniiberstehend
Vater und Grofsvater, Lehrer, Oheime, Briider, Sohne, Enkel
und Genossen,
27. (857.) Schwiegervater und Freunde in den beider-
seitigen Heeren. Als der Sohn der Kunti diese sah, wie sie
alle als Verwandte sich feindlich gegeniiberstanden ,
28. (858.) da wurde er von tiefem Mitleid ergriifen und
verzagend sprach er dieses Wort.
Arjuna sprach:
(859.) Wenn ich, o Krishna, dort meine eigene Verwandt-
schaft zum Kampfe bereit aufgestellt sehe,
36 II- Bhagavadgita.
29. dann versagen meine Glieder, mein Mund wird trocken,
(860.) mein ganzer Leib zittert und meine Haare strauben sich.
30. Mein Bogen Gandiva gleitet aus meiner Hand, und
meine Haut brennt, (86i.) nicht kann ich mich aufrecht halten
und mein Sinn verwirrt sich.
31. Ich sehe widrige Vorzeichen, o Vollhaariger, (862.) und
ich sehe kein Heil darin, meine eigenen Verwandten im Kampfe
zu tbten.
32. Ich verlange nicht nach Sieg, o Krishna, nicht nach
Herrschaft und Freuden ; (863.) was soil uns das Keich, o Kuh-
gewinner, was sollen uns Geniisse oder auch das Leben!
33. Diejenigen, um derentwillen Herrschaft, Geniisse und
Freuden von mir gewiinscht werden, (864.) die stehen mir dort
im Kampfe gegeniiber, um ihr Leben und ihr Vermbgen zu
verlieren,
34. sie, welche uns Lehrer, Vater, Sohne, und Grofs-
vater, (865.) Oheime, Schwiegervater, Enkel, Schwager und
Verwandte sind.
35. Diese mag ich nicht toten, sollte ich auch selbst
getotet werden, o Madhusudana, (see.) auch nicht um der Herr-
schaft iiber die Dreiwelt willen, viel weniger wegen der iiber
die Erde.
36. Wenn wir die Leute des Dhritarashtra toten, welche
Befriedigung kann uns das gewahren, o Janardana! (867.) Die
Siinde wiirde auf uns fallen, wenn wir diese bewaffnet uns
Entgegenkommenden toteten.
37. Darum diirfen wir die Leute des Dhritarashtra, die
unsere eigenen Verwandten sind [mit C], nicht tbten; (8G8.) denn
wie kbnnten wir wohlgemut sein, o Madhava, wenn wir unsere
eigene Verwandtschaft getotet haben.
38. Und wenn auch jene, deren Geist von Begierde ge-
blendet ist, nicht einsehen, (869.) welche Schuld wir durch
Vernichtung unserer FamiHe, welche Siinde wir durch Verrat
an unsern Freunden auf uns laden,
39. wie sollten nicht wir erkennen, dafs wir uns dieser
Siinde enthalten miissen, (870.) wir, die wir die Schuld voraus-
sehen, o Janardana, welche aus der Vernichtung unsere
Familie hervorgeht!
I (Adhy^ya 25). 37
40. Werden die Familien vernichtet, so gehen die ewigen
[Opfer-] Pflichten der Familien zugrunde; (87i.) geht die Pflicht
zugrunde, so iiberwaltigt Pflichtlosigkeit die ganze Familie.
41. Wenn Pflichtlosigkeit sie iiberwaltigt, so werden die
Weiber der Familie verderbt, o Krishna. (872.) Sind erst die
Weiber verderbt, o Abkommliug des Vrishni, so entsteht
Vermengung der Kasten.
42. Vermengung aber fiihrt zur Holle die Familienver-
derber und die Familien selbst. (873.) Dann stiirzen ihre Vor-
fahren, wenn die Darbringungen an sie von Klofsen und
Wasser unterbrochen werden.
43. Durch diese Siinden der Familienverderber und durch
die Vermengung der Kaste als Folge davon (874.) werden die
ewigen Pflichten der Geschlechter und der Familien ent-
wurzelt.
44. Werden aber die Pflichten der Familien unter den
Menschen entwurzelt sein, o Janardana, (875.) dann fahren
diese sicherlich zur Holle, so ist es uns iiberliefert worden.
45. 0 wehe ! Wir sind im Begriffe eine grofse Siinde zu
begehen, (876.) die wir aus Begierde nach den Freuden der
Herrschaft unsere eigenen Verwandten toten wollen.
46. Fiirwahr! Wenn mich, den Waffenlosen, ohne dafs
ich ihnen etwas antue, mit den Waffen in der Hand (877.) die
Leute des Dhritarashtra im Kampfe toten wiirden, das wiirde
mir noch ertraglicher sein.
Safijaya sprach:
47. (878.) So sprach Arjuna im Schlachtgetiimmel, setzte
sich auf dem Sitze seines Wagens nieder und liefs Pfeil und
Bogen fallen, im Geiste von Kummer erschiittert.
So lautet in der BhagavadgitS, die Verzagtheit des Arjuna
(Arjuna-viahdda).
38 II- Bhagavadgita.
II (Adhyaya 26).
Vers 879-950 (B. 1-72).
Sanjaya sprach:
1. (879.) Als er ihn so von Mitleid durchdrungen , die
Augen von Tranen erfiillt und getriibt in seiner Verzagtheit
sah, da sprach zu ihm Madhusiidana dieses Wort.
Der Heilige sprach:
2. (880.) Woher kommt dir in gefahrlicher Lage diese
Bestiirzung, o Arjuna, die eines Edlen unwiirdige, den Himmel
verschliefsende , unriihmliche ?
3. (881.) Verfalle nicht in Schwachlichkeit, o Sohn der
Pritha, denn sie ziemt dir nicht. Lafs die erharmhche Her-
zensschwachheit fahren und erhebe dich, o Bedranger deiner
Feinde.
Arjuna spracli:
4. (882.) Wie kann ich in der Schlacht, o Madhusudana,
den Bhishma und den Drona mit meinen Pfeilen hekampfen,
da mir heide doch ehrwiirdig sind, o Feindetoter.
5. (883). Wahrhch, es ware mir hesser, die hoch-
wiirdigen Lehrer nicht zu toten und hier auf der Welt
Bettelbrot zu essen, als dafs ich die Lehrer, ohgleich
sie nach unserm Gut trachten, totete und Freuden ge-
nosse, die mit Blut hesudelt sind.
6. (884.) Fiirwahr, wir wissen nicht, was wir vorziehen
mochten, dafs wir sie oder dafs sie uns hesiegen; denn
solche, nach deren Totung wir selbst nicht leben mochten,
die stehen uns feindlich gegeniiber, geschart um Dhrita-
rashtra.
7. (885.) Da mein Herz in der Schwache des Mitleids
befangen ist, und mein Geist verwirrt ist iiber das, was
meine Pflicht ist, so frage ich dich danach, was das
Kichtige ist; sage es mir mit Bestimmtheit; ich bin dein
Schiiler; belehre mich, der ich dich darum angehe.
8. (886.) Denn ich sehe nicht, was von mir den sinne-
ausdorrenden Kummer fern zu halten vermochte, auch
II (Adhy&ya 26). 39
wenn ich auf Erden ein bliihendes Reich ohne Neben-
buhler, auch wenn ich die Oberherrschaft liber die Gotter
erlangen sollte.
Sanjaya sprach :
9. (887.) Also sprach zum Struppigen der Lockige, der
Feindeschreck zum Kuhgewinner : „ich mag nicht kampfen ! "
und schwieg.
10. (888.) Da war es, als ob der Lockige lachelte, o Bha-
rata, und inmitten der beiden Heere sprach er zu dem Ver-
zagenden dieses Wort.
Der Heilige sprach:
11. (889.) Du beklagst solche, welche nicht zu beklagen
sind, wenn auch deine Reden verstandig sein mogen; iiber
Tote und iiber Lebende klagt der Weise nicht.
12. (890.) Nie war die Zeit, da ich nicht war, da du nicht
warst und alle diese Fiirsten, und nie in Zukunft wird die
Zeit kommen, da wir allesamt nicht sind.
13. (891.) Wie fiir den Trager eines Leibes in diesem
seinem Leibe Kindheit, Mannheit und Greisenalter ist, so ist
fiir ihn auch die Erlangung eines neuen Leibes ; das ist dem
Weisen klar.
14. (892.) Nur die Verbindungen mit dem Stoffhchen,
o Sohn der Kunti, bewirken Kalte und Hitze, Lust und
Schmerz; sie aber kommen und gehen und sind verganghch ;
ertrage sie, o Bharata, mit Geduld,
15. (893.) Der Mann, den diese nicht erschiittern, o Manner-
stier, der Weise, welcher gleichmiitig bleibt bei Lust und
Leid, der ist reif fiir die Unsterbhchkeit.
16. (894.) Das Nicht - Seiende kann nicht werden, das
Seiende kann nicht vergehen, den Unterschied dieser beiden
[des Nicht- Seienden und des Seienden] erkennen die, welche
die Wahrheit schauen.
17. (895.) Wisse, dafs das unverganglich ist, durch welches
diese ganze Welt ausgebreitet wurde; das Zunichtewerden
dieses Unverganglichen kann keiner bewirken.
18. (896.) Verganglich sind diese Leiber, ewig der, welcher
40 II- Bhagavadgita..
den Leib beseelt; unverganglich ist er und unermerslich*
darum kampfe, o Bharata.
19. (897.) Wer vermeint, dafs jemand tote, wer vermeint,
dafs jemand getotet werde, die wissen beide nicht die Wahr-
heit : keiner totet und keiner wird getotet. (Kath. Up. 2,19.)
20. (898.) Nicht wird geboren und nicht stirbt einer
jemals, nicht ist er entstanden oder wird zukiinftig ent-
stehen ; von ewig her bleibt ewig er der Alte, wird nicht
getotet, wenn den Leib man totet. (Kath. Up. 2,18.)
21. (899.) Wer diesen Unzerstorbaren , Ewigen, Ungebo-
renen, Unverganghchen weifs, wie konnte der, o Sohn der
Pritha, irgendeinen toten lassen, wie konnte der irgendeinen
toten !
22. (900.) Gleichwie ein Mann die alten Kleider ab-
legt und andere neue anzieht, so legt der Trager des
Leibes (die Seele) die alten Leiber ab und geht in andere
neue ein.
23. (901.) Ihn verwunden nicht Schwerter, ihn brennt
nicht das Feuer, ihn netzen nicht die Wasser, ihn trocknet
nicht der Wind.
24. (902.) Unverwundbar ist er und unverbrennbar, nicht
benetzbar und nicht zu trocknen, ewig ist er und allgegen-
wartig, bestandig, unbewegHch und immerwahrend.
25. (903.) Unoffenbar ist er und unausdenkbar, unwandel-
bar wird er genannt; darum wenn du ihn als solchen kennst,
darfst du niemandem nachtrauern.
26. (904.) Aber auch wenn du glaubst, dafs er immer
wieder geboren werde und immer wieder sterbe, auch dann,
o Grofsarmiger, darfst du niemandem nachtrauern.
27. (905.) Dem Geborenen ist der Tod gewifs, dem Ge-
storbenen die Geburt; darum darfst du iiber eine unvermeid-
Uche Sache keine Trauer empfmden.
28. (906.) Das Unoffenbare als Anfang haben die Wesen,
das Offenbare als Mitte und das Unoffenbare als Ende, o Bha-
rata, was ist da zu bejammern?
29. (907.) Wie ein Wunder betrachtet ihn mancher,
wie ein Wunder verkiindigt ihn ein anderer, wie von
einem Wunder hort von ihm ein anderer, und auch wenn
II (Adhygiya 26). 41
er von ihm gehort hat, versteht ihn doch keiner (vgl.
Kath. Up. 2,7).
30. (908.) Der Trager des Leibes ist ewig unverletzbar in
dem Leibe eines jeden, o Bharata; darum sollst du alle Wesen
nicht betrauern.
31. (909.) Aber auch wenn du an die dir obliegende Pflicht
denkst, darfst du nicht schwanken, was du zu tun hast. Denn
fiir einen Kshatriya gibt es nichts Hoheres als einen pflicht-
mafsigen Kampf.
32. (910.) Und mit Freuden, o Sohn der Pritha, begriifsen
die Kshatriya' s gleichwie eine zufallig sich ihnen darbietende
offene Himmelspforte einen derartigen Kampf.
33. (911.) Wienn du hingegen diesen als Pflicht dir ob-
liegenden Kampf nicht auf dich nehmen wirst, dann vernach-
lassigst du deine Pflicht und deinen Ruhm und wirst in
Schuld geraten.
34. (912.) Auch wird alles dich mit ewiger Schmach iiber-
haufen, fiir einen Mann von Ehre aber ist Schmach schlimmer
als Tod.
35. (913.) Auch werden sie, welche auf grofsen Streit-
wagen einherfahren, argwohnen, dafs du aus Furcht vom
Kampfe abgelassen hast, und so wirst du bei solchen, die
dich bisher hoch verehrten, in Geringschatzung verfallen.
36. (914.) Diejenigen aber, welche dir iibel wollen, werden
viele schmahliche Reden iiber dich fiihren und deine Be-
fahigung tadeln; was aber ware schmerzlicher als das?
37. (915.) Entweder du fallst und gehst zum Himmel ein,
Oder du siegst und geniefsest die Herrschaft iiber die Erde,
darum stehe auf, o Sohn der Kunti, und entschliefse dich zu
kampf en.
38. (916.) Sei doch gleichgiiltig gegen Lust und Schmerz,
gegen Gewinn und Verlust, gegen Sieg und Niederlage und
bereite dich so zum Kampfe, so wirst du nicht in Schuld
geraten.
39. (917.) Diese Ansicht wurde dir vorgetragen vom Stand-
punkte der berechnenden Uberlegung (sdnkhyamj . — Vernimm
die folgende vom Standpunkte der Hingebung (yoga J aus.
42 II- Bhagavadgita.
Wenn du dir diese letztere Ansicht zu eigen machst, o Sohn
der Pritha, so wirst du dich von der Gebundenheit durch
die Werke frei machen.
40. (918.) Dann gibt es fiir dich keine Hoffnung mehr
des Emporkommens [in der Seelenwanderung] und keine
Mogliclikeit des Niederganges [in ihr], Wer auch nur ein
weniges von dieser Satzung sich aneignet, den rettet sie aus
grofser Not.
41. (919.) Hier gibt es, o Liebling der Kuru's, nur eine
Ansicht, welche Entschiedenheit in sich tragt, walirend viel-
verzweigt und endlos die Ansichten der Unentschiedenen sind.
42. (920.) Eine blumenreiche Rede gibt es, welche die
Unweisen verkiindigen, sie, welche an Vedareden sich letzen,
o Prithasohn, und behaupten, dafs es nichts anderes gebe;
43. (921.) sie, welche in Werken befangen, zum Himmel
streben und jener Rede huldigen, welche als Lolin der Werke
eine Neugeburt verheifst und viel Redens macht von beson-
deren Zeremonien zum Zwecke des Genusses und der himm-
lischen Herrlichkeit :
44. (922.) Wer durch sie seinen Geist verfiihren lafst, der
klammert sich an Genufs und himmlische Herrlichkeit; aber
jene Ansicht, welche Entschiedenheit in sich tragt und auf
Versenkung [sich griindet], wird ihm nicht zuteil.
45. (923.) Im Drei-Gunahaften sind die Veden befangen,
du aber, o Arjuna, befreie dich vom Drei-Gunahaften. Sei frei
von den Gegensatzen [des empirischen Daseins], feststehend
in der ewigen Realitat, frei von Erwerb und Besitz, dem
Atman treu.
46. (924.) Soviel Nutzen von einem Wasserbehalter ist,
in welchem von alien Seiten das Wasser zusammengeflossen
ist, soviel ist in alien Veden zu fmden fiir einen Brahmanen,
welcher die Erkenntnis besitzt (vgl. oben, Sanatsujatiya,
Vers 1785).
47. (925.) Dein Beruf ist es freilich, das Werk zu tun,
nicht aber nach seinen Friichten zu streben. Lafs nicht die
Frucht der Werke deinen Beweggrund sein, aber verfalle
auch nicht in Untatigkeit.
II (Adhy&ya 26). 43
48. (926.) Fest in der Hingebung fyogaj vollbringe die
Werke, aber lafs fahren die Anhanglichkeit [an ihren Lohn],
o Siegreicher; bleibe gleichmiitig beim Gelingen und Mifs-
lingen, dieser Gleichmut wird Yoga (Hingebung) genannt.
49. (927.) Tief steht das Werk unter der Hingebung an
die Erkenntnis, o Siegreicher; in der Erkenntnis suche deine
Zuflucht, elend sie, welche vom Lohn getrieben werden.
50. (928.) Wer der Erkenntnis hingegeben ist, der lafst
hinter sich beides, das gute und das bose Werk ; darum gib
dich der Hingebung fyogaj hin; Hingebung macht auch
tiichtig zu Werken.
51. (929.) Die Weisen, der Erkenntnis hingegeben, ver-
zichten auf der Werke Prucht, und erlost von der Fessel der
Geburten gehen sie ein zu der leidlosen Statte.
52. (930.) Wenn deine Erkenntnis iiber den Wirrwarr der
Verblendung hinausschreiten wird, dann wirst du iiberdriissig
werden dessen, was du aus den heiligen Schriften lernen
kannst und gelernt hast.
53. (931.) Und wenn deine Erkenntnis sich den heiHgen
Schriften entgegensetzen und unerschiitterKch in der Medi-
tation feststehen wird, dann wirst du den Yoga erlangen.
Arjuna sprach:
54. (932.) Welches ist die Beschreibung des in der Er-
kenntnis Feststehenden und in der Meditation Beharrenden,
o Vollhaariger, was wird der reden, der in seinem Geiste fest
ist, wie wird er sitzen und wie wird er wandeln?
Der Heilige spracli:
55. (933.) Wenn einer, o Sohn der Pritha, alle Begierden
fahren lafst, die in sein Herz kommen, und nur an dem
Selbste (Atman) und durch das Selbst seine Preude hat
(Chand. Up. 7,25,2) , der wird ein in der Erkenntnis Pest-
stehender genannt.
56. (934.) Wenn einer im Leiden unerschiitterlich und in
Preuden frei von Begierde bleibt , befreit von Leidenschaft,
von Purcht und Zorn, er wird ein im Geiste Fester, wird ein
Muni genannt.
44 II- BhagavadgitS,.
57. (935.) Wer allerwarts frei von Anhaftung ist, mag ihm
dieses oder jenes Erfreuliche oder Unerfreuliche begegnen,
wer dann weder Freude noch Hafs empfindet, dessen Er-
kenntnis ist eine feststehende.
58. (936.) Und wenn ein solcher von iiberallher, wie die
Schildkrote ihre Glieder, so seine Organe von ihren Objekten
gelost in sich hereinzieht , dessen Erkenntnis ist eine fest-
stehende.
59. (937.) Die Sinnendinge kehren sich ab von der Seele,
die sich nicht mehr an ihnen nahrt, und hat sie ihren Ge-
schmack nicht mehr, so wird auch der Geschmack an ihnen
zunichte, nachdem sie das Hochste geschaut hat.
60. (938.) Denn auch bei einem sich beherrschenden weisen
Manne, o Sohn der Kunti, reifsen die ungestiimen Sinne den
Geist gewaltsam mit sich fort.
61. (939.) Sie alle iiberwaltigend soil man dasitzen, hin-
gegeben und mich [den Allgeist] als Hochstes habend, denn
wer seine Sinne in der Gewalt hat, dessen Erkenntnis ist
eine feststehende.
62. (940.) Wenn hingegen ein Mensch an die Sinnen-
geniisse denkt, so bildet sich bei ihm eine Anhanglichkeit an
sie; aus der Anhanglichkeit entsteht Begierde, aus der Be-
gierde entsteht Zorn,
63. (941.) aus dem Zorn entsteht Verblendung, aus der
Verblendung entsteht Triibung der Erinnerung; ist erst die
Erinnerung getriibt, so folgt Verlust der Erkenntnis, ist die
Erkenntnis verloren, so ist er auch selbst verloren.
64. (942.) Wer aber an den Sinnendingen voriibergeht mit
Sinnen, die von Liebe und Hafs sich losgemacht haben und
seinem Atman untertan sind, dessen Seele beruhigt sich und
geht ein zum Frieden.
65. (943.) Hat er aber Ruhe von alien Schmerzen, so ent-
steht in ihm die Resignation, und ist erst sein Geist beruhigt,
dann kommt auch alsbald seine Erkenntnis zu vollkommenem
Feststehen.
66. (944.) Wer nicht Hingebung iibt, hat nicht die Er-
kenntnis, wer nicht Hingebung iibt, hat nicht Verinnerlichung;
II (Adhy^ya 26). 45
wer nicht Verinnerlichung hat, hat keinen Frieden, wer keinen
Frieden hat, woher kame dem Freude!
67. (945.) Denn wenn die Sinne umherschwarmen und der
Verstand mit ihnen fortgezogen wird, dann reifst er die Er-
kenntnis mit sich dahin, wie der Wind ein Schiff auf dem
Wasser.
68. (946.) Darum, o Grofsarmiger, wenn einer seine Sinne
allerwarts von den Sinnendingen zuriickhalt, dessen Erkennt-
nis ist eine feststehende.
69. (947.) "Was Nacht ist fiir alle Wesen, darin ist wach
der Selbstbezwinger, und worin alle Wesen wach sind, das
ist Nacht fiir den schauenden Weisen.
70. (948.) Gleichwie die Wasser zur Ruhe kommen in
dem vollen, unerschiitterlichen Ozean, so kommen alle
Begierden in ihm zur Ruhe, und er erlangt den Frieden,
nicht aber der, welcher von Begierde getrieben wird.
71. (949.) Der Mann, welcher alle Begierden fahren lafst
und ohne Verlangen dahinwandelt, ohne Ichbewufstsein und
ohne Selbstsucht, der erlangt den Frieden.
72, (950.) Dieses ist das Feststehen im Brahman, o Sohn
der Pritha ; wer es erlangt, wird frei vom Wahn, und in ihm
beharrend, erreicht er zur Zeit des Endes das Erloschen
{nirvdnamj in Brahman.
So lautet in der Bhagavadgit4 tjberlegung und Hingebung
(Sdhkhya-yoga).
Ill (Adhyaya 37).
Vers 951-993 (B. 1-43).
Arjuna sprach:
1. (951.) Wenn nach deiner Meinung, o Janardana, die
Erkenntnis hoher steht als das Werk, warum spornst du
mich dann an zu einem grausamen Werke, o Vollhaariger ?
2. (952.) Durch deine widerspruchsvolle Rede verwirrst
du meinen Geist; sage mir doch das Eine mit Bestimmtheit,
wodurch ich das Heil erlangen kann.
46 11.
Der Heilige sprach:
3. (953.) Zwei Standpunkte gibt es in dieser Welt, wie
ich schon vordem gelehrt habe, o Untadeliger : Die Hingebung
an die Erkenntnis ist der Standpunkt der Reflektierenden
fSdnJchyaJ , die Hingebung an das Werk ist der der Yoga-
Ubenden.
4. (954.) Nicht durch Enthaltung von den Werken erlangt
der Mensch die Werkbefreiung, und nicht durch blofses Weg-
werfen von allem gelangt er zur VoUendung.
5. (955.) Der Mensch kann doch nie auch nur einen Augen-
bhck bestehen, ohne Werke zu tun. Denn ein jeder wird
auch gegen seinen Willen gezwungen zu wirken durch die
seiner Natur fprdkritij eingeborenen Guna's (Beschaffenheiten).
6. (956.) Wenn einer zwar die wirkenden Sinnesorgane
im Zaume halt und miifsig sitzt, aber in seinem Herzen den
Sinnendingen nachhangt, der ist betorten Geistes und auf fal-
schem Wege.
7. (957.) Wer hingegen die Sinne durch das Manas im
Zaume halt und dann, o Arjuna, mittels der Tatorgane sich
dem Tun hingibt ohne Anhanglichkeit, mit dem steht es
anders.
8. (958.) Vollbringe du das notwendige Werk, denn das
Tun steht hoher als das Nichttun, und auch der Fortgang
des Korperlebens ist nicht moglich, ohne dafs man Werke tut.
9. (959.) Auch abgesehen von den Werken, welche um
der Opferpflicht willen notwendig sind, bleibt diese Welt an
Werke gebunden. Darum, o Kuntisohn, tue das Werk, aber
tue es ohne Anhanglichkeit.
10. (9C0.) Als der Schopfer Prajapati zugleich mit dem
Opfer vordem die Wesen schuf, da sprach er zu ihnen : Durch
dieses sollt ihr euch fortpflanzen , dieses sei euch die eure
Wiinsche erfiillende Wunschkuh.
11. (961.) Fordert ihr durch das Opfer die Gotter, und
die Gotter wiederum sollen euch fordern; indem ihr euch
gegenseitig fordert, werdet ihr das hochste Gliick erlangen.
12. (962.) Denn die Gotter, durch eure Opfer gefordert,
werden euch die gewiinschten Geniisse gewahren; wer das
Ill (Adhyaya 27). 47
von ihnen Gewahrte geniefst, ohne ihnen etwas wieder-
zugewahren, der ist eben ein Dieb.
13. (963.) Die Guten essen, was vom Opfer iibrigbleibt,
und werden dadurch von alien Siinden gereinigt; die Bosen
aber, welche nur zu ihrem eigenen Besten kochen, die essen
zu ihrem Verderben.
14. (964.) Die Wesen entstehen aus der Nahrung, die
Nahrung entsteht aus dem Regen fparjanyaj, der Regen ent-
steht aus dem Opfer, das Opfer entsteht aus dem Werke;
15. (965.) das Werk entsteht aus dem Vedaworte {Brah-
manj, das Vedawort entsteht aus dem Unverganglichen ; so-
mit hat das allumfassende fsarvagataj Vedawort allezeit seinen
Halt im Opfer.
16. (966.) So drelit sich das Rad im Kreise, und wer es
nicht in Umdrehung versetzt hienieden, der fiihrt ein ruch-
loses Leben, ist ein Tummelplatz der Sinne und lebt, o Sohn
der Pritha, vergeblich.
17. (967.) Aber der Mensch, welcher am Atman sich freut,
am Atman sich ersattigt und am Atman sein Geniige fmdet
(vgl. Chand. Up. 7,25,2. Mund. Up. 3,1,4), fur den gibt es keine
Pflicht mehr.
18. (968.) Er hat keinen Zweck im Auge bei dem, was
er tut, er hat keinen Zweck im Auge bei dem, was er nicht
tut; und bei alien Wesen sucht er keinen Stiitzpunkt seiner
Zwecke.
19. (969.) Darum betreibe allezeit die obhegende Pflicht
ohne Anhanglichkeit ; denn wer ohne Anhanglichkeit seine
Pflicht erfiillt, der Mann erlangt das Hochste.
20. (970.) Nur durch ihre Werke sind Konige wie Janaka
zur Vollendung gelangt; und auch darum mufst du handeln,
damit du die andern Menschen [zu ihrer Pflicht] anhaltst.
21. (971.) Denn was der an hochster Stelle Stehende tut,
das ahmen die iibrigen Menschen nach, und was er sich als
Richtschnur erwahlt, danach richtet sich auch das Volk.
22. (972.) Nicht liegt mir [als Allgeist], o Sohn der Pritha,
in alien drei Welten irgend etwas ob, was ich zu tun hatte,
noch gibt es fiir mich etwas zu erlangen, was ich nicht schon
erlangt hatte, und doch betatige ich mich in Wirkungen.
48 II- Bhagavadgit^.
23. (973.) Denn, sollte es je geschehen, dafs ich nicht
unermiidlich tatig ware, so wiirden, o Sohn der Pritha, die
Menschen allerwarts meinem Beispiel folgen.
24. (974.) Alle Welten wiirden in Untatigkeit verharren,
wenn ich nicht mein Werk voUbrachte, und ich wiirde Ver-
wirrung veranlassen und die Geschopfe hier zugrunde richten.
25. (975.) Und so wie die Nichtwissenden handeln mit
Anhanglichkeit an ihr Werk [und seinen Lohn] , so soil der
Wissende ohne Anhanglichkeit handeln, um [durch sein Bei-
spiel] die iibrigen dazu anzuhalten, o Bharata.
26. (976.) Er soil die Nichtwissenden, die noch an dem
Werke hangen, in ihrem Bewufstsein nicht irre machen; er,
der Wissende, soil sie veranlassen, alle Werke mit Freudig-
keit zu tun, indem er selbst mit Hingebung sie betreibt.
27. (977.) Die Werke, wo sie auch immer geschehen,
werden getan durch die Guna's der Prakriti, aber der Mensch,
in seinem Selbste betort durch den Ahankdra (Ichbewufst-
sein), wahnt: Ich bin der Handelnde.
28. (978.) Wer aber die Wesenheit kennt, o Grofsarmiger,
der macht einen Unterschied zwischen den Guna's und dem
[gunalosen] Werke; er begreift, dafs die Guna's sich unter
den Guna's betatigen, und halt sich frei von Anhanglichkeit.
29. (979.) Die Menschen, betort durch die Guna's der
Prakriti, sind an jene Werke der Guna's anhanglich, sind
tragen Geistes und Halbwissende; sie moge der Ganzwissen-
den nicht irre machen.
30. (980.) Mir soUst du alle Werke weihen, den Geist ge-
richtet auf den hochsten Atman, und so, von Hoffnung und
Selbstheit frei, mogest du kampfen ohne Bekiimmernis.
31. (981.) Die Menschen, welche allezeit diese meine Vor-
schrift befolgen, im Glauben und ohne Murren, die gelangen
sogar durch ihre Werke zur Erlosung.
32. (982.) Diejenigen aber, welche murren und diese meine
Vorschrift nicht befolgen, diese in allem Erkennen Betorte
und Besinnungslose wisse als Verlorene.
33. (983.) Betatigt sich doch auch der Wissende ent-
sprechend seiner eigenen Natur; ihrer Natur (FrakritiJ folgen
alle Wesen, was kann da Hemmung ausrichten!
Ill (Adhyaya 27). 49
34. (984.) Jedes Sinnesorgan steht fest, sei es in Liebe,
sei es in Hafs, seinem Gegenstande gegeniiber; unter diese
beiden soil man sich nicht beugen, denn beide sind hinter-
listige Feinde des Menschen.
35. (985.) Besser ist es die eigene Pflicht ohne Tiichtig-
keit, als die fremde Pflicht mit Erfolg zu betreiben ; ja, es ist
besser in der Erfiillung der eigenen Pflicht zugrunde zu gehen,
Befassen mit fremder Pflicht bringt Gefahr!
Arjuna sprach:
36. (986.) Aber durch wen wird der Mensch angestiftet,
das Bose zu tun, selbst gegen seinen Willen, o Nachkomme
des Vrishni, und gleichsam mit Gewalt dazu gedrangt?
Der Heilige sprach:
37. (987.) Es ist die Begierde, es ist der Zorn, entspringend
aus dera Guna des Rajas (Leidenschaft), ein grofser Fresser,
ein grofser Bosewicht, ihn wisse hienieden als den wahren
Widersacher.
38. (988.) Wie das Feuer vom Rauch umhiillt wird, wie
Rostflecken den Spiegel verdecken, wie der Embryo von
der Eihaut umschlossen wird, so ist von ihm diese ganze
Welt iiberzogen.
39. (989.) Verdunkelt wird sogar das Wissen des Wissen-
den von diesem ewigen Widersacher, der die Gestalt der
Begierde annimmt, o Sohn der Kunti, und ein unersattliches
Feuer ist.
40. (990.) Die Sinnesorgane , das Manas und die Buddhi
sind sein Standort ; von diesen aus verdunkelt er das Wissen
und iiberschattet die Seele.
41. (991.) Darum vor allem, o Stier der Bharata's, bandige
deine Sinnesorgane und schlage jenes Bose aus dem Felde,
welches Erkenntnis und Lebenserfahrung vergiftet.
42. (992.) Die Sinnesorgane, heifst es, sind vorziiglich,
vorziiglicher als die Sinnesorgane ist das Manas, vorziighcher
als das Manas ist die Buddlii (vgl. Kath. Up. 3,10. 6,7), wer
-aber noch vorziiglicher als die Buddhi ist, das ist er [der
Atman].
Detjsbes, Mahibh&ratam. 4
50 II- Bhagavadgita,
43. (993.) Also wisse ihn als vorziiglicher nocli als die
Buddhi, befestige deinen Atman durch den [hochsten] Atman
und bekampfe jenen Feind, o Grorsarmiger, der sich in die
Begierde kleidet und schwer zu fassen ist.
So lautet in der Bhagavadgita, die Hingebung an das "Work
(karma -yoga).
IV (Adhyaya 38).
Vers 994-1035 (B. 1-42).
Der Heilige sprach:
1. (994.) Diese ewige Yogalehre [der Hingebung an das
Werk] habe ich dem Vivasvant (dem Sonnengotte) verkiindet,
Vivas vant lehrte sie dem Manu, Manu dem Ikshvaku.
2. (995.) In dieser Weise von Geschlecht zu Geschlecht
iiberliefert, gelangte diese Yogalehre zu den Konigsweisen,
aber im Laufe der langen Zeit ging sie verloren, o Feind-
bezwinger.
3. (996.) Heute aber ist dieser uralte Yoga dir von mir
mitgeteilt worden, denn du bist mein Verehrer und mein
Freund, daher ich dir dieses hochste Geheimnis [anvertraut
habe].
Arjuna sprach:
4. (997.) Spater ist deine Geburt, friiher die Geburt des
Vivasvant, wie soil ich es verstehen, dafs du die Lehre ur-
anfanghch verkiindet hast (vgl. Ev. Joh. 8, Vers 57-58).
Der Heilige sprach:
5. (998.) Zahlreich sind meine vergangenen Geburten und
auch deine, o Arjuna; mir sind sie alle bewufst, dir aber
sind sie nicht bewufst, o Feindbezwinger,
6. (999.) Ungeboren bin ich und unverganglichen Wesens^
bin der Gottherr figvaraj der Geschopfe; aber indem ich ein-
gehe in meine eigene Natur fpralritij, entstehe ich durch
meine Zauberkunst fmdyd).
IV (Adhyaya 28). 51
7. (1000.) Denn jedesmal, wenn die Gesetzlichkeit welk
geworden ist, o Bharata, und Ungesetzlichkeit iiberwaltet,
dann erschaffe ich selbst mich selbst.
8. (1001.) Zur Rettung der Guten und zur Vernichtung
der Bosen entstehe ich in jedem Weltalter, um die Gesetz-
lichkeit wieder aufzurichten.
9. (1002.) Gotthch ist meine Geburt und gotthch mein
Werk ; wer das in Wahrheit weifs, der, wenn er seinen Leib
verlafst, geht nicht ein in eine neue Geburt, zu mir geht er
ein, o Arjuna.
10. (1003.) Viele sind ihrer, welche befreit von Leiden-
schaft, von Furcht und Zorn, zu mir werdend, zu mir ihre
Zuflucht nehmend, gelautert durch die Askese der Erkennt-
nis, in meine Wesenheit eingehen.
11. (1004.) Und in dem Mafse, wie sie zu mir sich hin-
wenden, in demselben Mafse Hebe ich sie wieder, und so
wandeln von iiberallher, o Prithasohn, die Menschen auf
meinem "VVege.
12. (1005.) Nach dem Gelingen der Werke trachten ja
[die Menschen] und verehren darum die Gotter ; denn schnell
zeigt sich in der Menschenwelt das Gehngen, welches aus
Werken entspringt.
13. (1006.) Ich bin es ja, der die vier Kasten schuf, der
die Guna's und Werke unter sie verteilte; von dem allem,
wisse, bin ich der Schopfer und docliNicht-Schopfer fiir und fiir.
14. (1007.) Denn mich beflecken die Werke nicht, weil ich
nicht nach der Frucht der Werke begehre; wer mich als
solchen erkennt, der wird durch seine Werke nicht gebunden.
15. (1008.) Und in dem Bewufstsein, dafs in dieser Weise
das Werk geiibt wurde, auch von den Altvordern, welche
nach Erlosung trachteten, vollbringe auch du das Werk, wie
es vordem von den Altvordern vollbracht wurde.
16. (1009.) Was ist das Werk und was das Nicht-Werk?
In dieser Frage haben auch die Weisen geirrt. Darum will
ich dir das Werk erklaren, welches erkannt habend du vom
tjbel erlost sein wirst.
17. (1010.) Man mufs dabei merken auf das (gute) Werk
und man mufs merken auf das Abwerk (das hose Werk),
4*
52 II, Bhagavadgita.,
auch mufs man merken auf das Nicht-Werk. Tief verborgen
ist das Wesen des Werkes.
18. (1011.) Wer im Werke das Nicht-Werk sieht und im
Nicht-Werke das Werk, der ist ein Weiser unter den Menschen,
ein Hingegebener (YoginJ, ein alle Werke VoUbringender.
19. (1012.) Der, dessen ganzes Tun frei ist von Liisten
und Wiinschen, und dessen Werke verbrannt sind durch das
Feuer der Erkenntnis, den nennen die Kundigen einen Weisen.
20. (1013.) Er hat sich frei gemacht von der Anhanghch-
keit an die Frucht der Werke, ist ewig befriedigt, frei von
der Hoffnung Kriicken; ein solcher, auch wenn er sich mit
Werken befafst, tut doch gar nichts.
21. (1014.) Er ist frei von Wiinschen, hat die Gedanken
in sich gebandigt, hat weggeworfen alles, was an das Leben
kettet, nur dem Leibe nach tut er das Werk, und obschon
er es tut, bleibt er doch frei von Versiindigung.
22. (1015.) Er begniigt sich mit dem, was der Zufall ihm
darbietet, ist erhaben iiber die Gegensatze [des Lebens] und
frei von Eigensucht, gleichmiitig bei Gehngen und Mifshngen,
und obgleich er handelt, verfallt er doch nicht der Bindung.
23. (1016.) Fiir ihn, der die Anhanghchkeit hat fahren
lassen, sich frei gemacht hat und mit seinem Denken fest-
steht in der Erkenntnis, fiir ihn, der das Werk nur als ein
Opfer betreibt, ist dasselbe volHg zunichte geworden.
24. (1017.) Brahman ist seine Darbringung, Brahman seine
Opferspeise, Brahman spendet er im Feuer durch das Brah-
man, und so wird er eingehen in das Brahman, er, dessen
Meditation dieses Brahmanwerk ist.
25. (lois.) Einige dieser Hingegebenen huldigen dem Opfer
als einem den Gottern dargebrachten, andere hingegen bringen,
im Brahmanfeuer opfernd, das Opfer selbst zum Opfer dar [sie
verzichten darauf].
26. (1019.) Wieder andere opfern das Gehor und alle Sinne
in dem Feuer der Selbstbezwingung, und noch andere opfern
in dem Feuer der Sinne das Gehorte und alle andern Sinnen-
dinge.
27. (1020.) Und abermals andere opfern alle Verrichtungen
der Sinnesorgane und alle Verrichtungen der Lebenshauche
IV (Adhyaya 28). 53
fprdnahj in dem Yogafeuer der Selbstbezwingung, welches
von der Erkenntnis angefacht wird.
28. (1021.) Manche bringen ihr Vermogen dar, oder sie
opfern durch Kasteiung oder durch Yoga oder durch Veda-
studium und Erkenntnis, sie alle als Bezwinger mit scharfem
Geliibde.
29. (1022.) Manche auch opfern den Aushauch im Ein-
hauch und den Einhauch im Aushauch [die Hemmung des
Aushauchens wahrend des Einhauchens gilt ihnen als ein
Opfer desselben und umgekehrt], indem sie den Gang des
Aushauches und des Einhauches einschranken und die Hem-
mung des Atmens als hochsten Zweck sich setzen.
30. (1023.) Andere regeln die Ernahrung und opfern die
Lebenshauche in den Lebenshauchen [indem beim Pranagni-
hotram, Chand. Up. 5,19—23, die Ernahrung jedes einzelnen
Lebenshauches als eine zeitweilige Aufopferung der vier
iibrigen erscheint]. — Alle diese sind des Opfers kundig und
vernichten durch das Opfer ihre Siinden.
31. (1024.) Diejenigen, welche [in dieser Gesinnung] das
Amritam (Nektar) des Opferrestes geniefsen, die gehen ein
in das ewige Brahman. Nicht einmal diese Erdenwelt wird
dem Nichtopfernden zuteil, wieviel weniger die andere, o Bester
der Kuru's!
32. (102.5.) In dieser Weise sind mannigfache Opfer aus-
gebreitet in dem Munde des Brahman [im Veda, der sie als
ihr Mund offenbart]. Sie alle aber, wisse, wurzeln in dem
Werk; wenn du dies erkannt hast, wirst du erlost werden.
33. (1026.) Aber besser als das aus stofflichen Dar-
bringungen bestehende Opfer ist das Opfer, das im Erkennen
besteht, o Bezwinger der Feinde; das ganze Opferwerk ohne
Ausnahme, o Sohn der Pritha, wird vollbracht, indem man
Erkenntnis hat.
34. (1027.) Dies Wissen erwirb, indem du dich niederlafst
zu des Lehrers Fiifsen, indem du ihn befragest und ihm
dienest; dann werden jene Wissenden, Wahrheitschauenden
dich das Wissen lehren.
35. (1028.) Wenn du es erlernt hast, das Wissen, so wirst
du nicht wiederum, so wie jetzt, der Verblendung [des Samsara]
54 II- Bhagavadgita.
verfallen, o Pandusohn, das Wissen, vermoge dessen du die
Wesen ohne Ausnahme schauen wirst in dir selbst und so-
dann in mir.
36. (1029.) Und wenn du unter alien Bosewichtern der
argste warest, so wirst du doch mit dem Schiff der Erkennt-
nis alles Schlimme iiberschreiten.
37. (1030.) So wie, o Arjuna, das angeziindete Feuer das
Brennholz zu Asche macht, so macht das Feuer der Erkennt-
nis alle Werke zu Asche.
38. (1031.) Denn es gibt auf der Welt kein Lauterungs-
mittel, welches der Erkenntnis gleichkame, und dieses findet
der im Yoga VoUkommene von selbst mit der Zeit in seinem
eigenen Innern.
39. (1032.) Der Glaubige erlangt die Erkenntnis, wenn er
einzig nach ihr trachtet und seine Sinne bezahmt, und hat
er die Erkenntnis erlangt, so geht er binnen kurzem zum
hochsten Frieden ein.
40. (1033.) Aber der Nichtwissende , Nichtglaubende , von
Zweifel Erfiillte geht zugrunde; nicht diese Welt und nicht
die andere, nicht Freude hat, wer erfiillt von Zweifel ist.
41. (1034.) Aber wer durch den Yoga die W^erke ab-
geworfen und durch die Erkenntnis alle Zweifel von sich
gelost hat (Mund. Up. 2,2,8), wer den Atman besitzt, den
binden die Werke nicht mehr, o Beutemacher.
42. (1035.) Darum, o Bharata, zerspalte mit dem Schwerte
der Erkenntnis jenen im Nichtwissen wurzelnden, in deinem
Herzen wohnenden Zweifel, gib dich dem Yoga hin und er-
manne dich.
So lautet in der Bbagavadgitd. die Hingobung an die Erkenntnis
(jndna-yoga).
V (Adhy^ya 29). 55
V (Adhyaya 39).
Vers 1036-1064 (B. 1-29).
Arjuna sprach:
1. (1036.) Du riihmst, o Krishna, den Verzicht auf die
Werke und wiederum Hingebung an dieselben. Was ist von
diesen beiden das Bessere? Das sage mir mit Bestimmtheit.
Der Heilige sprach:
2. (1037.) Verzicht auf die Werke und Hingebung an sie,
beides fiihrt zum hochsten Heil; aber unter ihnen wird der
Verzicht von der Hingebung an die Werke iibertroffen.
3. (1038.) Der ist zu wissen als ein bestandig Verzichtender,
welcher nicht hafst und nicht begehrt; denn frei von den
Gegensatzen [des Lebens], o Grorsarmiger, wird er leicht von
der Bindung erlost.
4. (1039.) Nur die Toren behaupten, dafs Sankhyam (Weg
der Reflexion) und Yoga (Weg der Verinneriichung) ver-
schieden seien, nicht aber die Weisen. Wer auch nur eines
von ihnen richtig betreibt, der erlangt die Frucht aller beiden.
5. (1040.) Die Statte, welche von den Reflektierenden
fsdnJchyaihJ errungen wird, eben diese wird auch von den
Yoga-Ubenden erlangt. Eines sind das Sankhyam, und der
Yoga. Wer das sieht, der ist sehend.
6. (1041.) Aber das Verzichten, o Grorsarmiger, ist schwer
zu erlangen, wenn es nicht vom Yoga ausgeht; wahrend der
dem Yoga sich hingebende Weise in kurzer Zeit das Brah-
man erreicht.
7. (1042.) Wer dem Yoga sich hingegeben hat, reinen
Wesens, besiegten Wesens, mit bezahmten Sinnen, und dessen
Selbst zum Selbste aller Wesen geworden ist, der wird, auch
wenn er Werke tut, nicht befleckt.
8. (1043.) Wer dem Yoga hingegeben die Wesenheit er-
kennt, der ist sich bewufst, dafs nicht er es ist, welcher
iraendein Werk tut, und wenn er sieht und hort und fiihlt
und riecht, wenn er ifst und wandelt, schlaft und atmet,
56 11- BhagavadgitS,,
9. (1044.) wenn er redet, ausscheidet und greift, die Augen
offnet und schliefst, so ist er sich dabei bewufst, dafs es nur
seine Sinnesorgane sind, welche sich mit den Sinnendingen
befassen.
10. (1045.) Wer so handelt, dafs er seine Werke dem
Brahman weiht und sich von dem Hang [nach Lohn] frei-
gemacht hat, der bleibt vom Bosen unbefleckt, wie das Lotos-
blatt vom Wasser.
11. (1046.) Nur mit dem Leibe, mit dem Manas und der
Buddhi, nur mit den Sinnesorganen allein vollbringen die
Yogin's das Werk, indem sie die Anhanglichkeit [an den
Lohn] fahren lassen, um ihre Seele (Atman) reinzuhalten.
12. (1047.) Der dem Yoga sich Hingebende verzichtet auf
die Frucht der "Werke und erlangt den unvergangHchen Frie-
den; der Nicht-Hingegebene handelt aus Begierde, ist an-
hangHch an den Lohn und bleibt gebunden.
13. (1048.) Alle Werke mit Bewufstsein von sich werfend
sitzt er da, heiter und Herr [seiner Sinne], der Trager des
Leibes in der Stadt mit den neun Toren [dem Leibe], indem
er weder handelt noch handeln lafst.
14. (1049.) Nicht das Tatersein und nicht die Werke schafft
der Herr der Welt [der Purusha], noch auch den Zusammen-
hang zwischen den Werken und ihrem Lohne, vielmehr ist
es die eigene Natur fsvabhdva =^prakritij, die sich darin betatigt.
15. (1050.) Nicht das Bose von irgendwem und nicht sein
gutes Werk erkennt der Allmachtige an als sein, sondern es
ist die Verdunkelung des Wissens durch das Nichtwissen,
vermoge dessen die Geschopfe in der Irre gehen.
16. (1051.) Aber diejenigen, bei denen dieses Nichtwissen
vernichtet ist durch die Erkenntnis des Atman, deren Er-
kenntnis macht ihnen gleichwie eine Sonne jenes Hochste
offenbar.
17. (1052.) Dieses erkennend, dieses als ihr Selbst er-
fassend, in diesem feststehend, dieses als hochstes Ziel habend,
gehen sie ein dorthin, von wo es keine Wiederkehr gibt, sie,
welche durch die Erkenntnis das Bose abgeschiittelt haben.
18. (1053.) In dem mit Wissenschaft und Zucht begabten
Brahmanen, in dem Ochsen, in dem Elefanten, ja sogar in
V (Adhyaya 29). 57
dem Hunde und in dem Hundefleischverzehrer sieht der Weise
eines und dasselbe.
19. (1054.) Schon hienieden haben sie sich das All erobert,
deren Geist darin fest geworden ist, in allem das Gleiche zu
sehen. Denn siindlos ist das in allem gleichmafsig vorhandene
Brahman, darum sind sie fest beliarrend in dem Brahman.
20. (1055.) Er freut sich nicht, wenn ihm Angenehmes be-
gegnet, er bleibt unerschiittert, wenn ihn Unangenehmes trifft;
festen Sinnes und unbeirrt kennt er das Brahman, steht er
im Brahman fest.
21. (1056.) An den Beriihrungen der Aufsenwelt hangt sein
Atman nicht, in sich selbst findet er, was ihn begliickt; der
Hingebung an Brahman mit ganzer Seele ergeben eriangt er
unvergangliches Gliick.
22. (1057.) Alle Freuden, welche aus der Beriihrung mit
der Welt entspringen, die sind eine Quelle der Leiden, sie
haben einen Anfang und ein Ende, o Kuntisohn, nicht freut
sich ihrer der Weise.
23. (1058.) Wer schon hienieden vor der Erlosung vom
Leibe den Sturm zu bewaltigen weifs, der aus Lust und Zorn
entspringt, der ist ein Hingegebener, ist ein gliickseliger Mann.
24. (1059.) Wer in sich die Freude, in sich das Ergotzen
findet und in sich das Licht, der ist ein Yogin, und zu Brah-
man geworden, gelangt er zum Erloschen in Brahman fbrdhma-
nirvdnamj.
25. (1060.) Dieses Erloschen in Brahman erlangen die
Rishi's, wenn die Siinde vernichtet, die Zweiheit abgeworfen,
das Selbst bezahmt ist, sie, welche sich am Wohle aller Wesen
erfreuen.
26. (1061.) Fiir die von Lust und Zorn befreiten Selbst-
bezwinger, die ihre Gedanken im Zaume halten und den
Atman erkannt haben, tritt ganz und vollstandig [abhitas^
nach (^aiikara: im Leben und Tode] das Erloschen in Brah-
man ein.
27. (1062.) Wer die Beriihrungen der Aufsenwelt nach
aufsen zuriickdrangt und das Augenmerk auf den Punkt
zwischen den Brauen richtet [wo nach Brahmasutra 1,2,32
der Sitz des Atman ist], wer Einhauch und Aushauch einander
58 II- Bhagavadgita.
gleich maclit und so durch das Innere der Nase streichen
lafst,
28. (1063.) wer als ein Muni Sinne, Manas und Buddhi
bezahmt, der Erlosung als hochstem Ziel zustrebt und Wiin-
schen, Fiirchten und Ziirnen von sich abtut, der ist fiir immer
erlost.
29. (1064.) Und indem er mich erkennt als den Empfanger
aller Opfer und Kasteiungen, als den grofsen Herrn aller
"Welten und als den Freund aller Wesen, geht er ein zum
Frieden.
So lautet in der Bhagavadgita, Werkverziclit und WerkMngebung
(karma - sannydsa - yoga).
VI (Adhyaya 30).
Vers 1065-1111 (B. 1-47).
Der Heilige sprach:
1. (1065.) Wer olme auf des Werkes Frucht zu bauen,
das Werk voUbringt, das ihm obliegt, der ist ein Sannyasin
(Entsagender), ist ein Yogin (Hingegebener), nicht aber, wer
ohne Opferfeuer, ohne Werke ist.
2. (1066.) "Was man Sannyasa (Entsagung) nennt, das wisse,
ist der [wahre] Yoga, o Pandusohn, denn keiner ist ein Yogin,
der nicht seinen Wiinschen entsagt hat.
3. (1067.) Fiir den Muni, der zum Yoga emporsteigen will,
ist die Tatigkeit der Weg; fiir ebendenselben , nachdem er
zum Yoga emporgestiegen ist, ist der Weg die Rulie.
4. (1068.) Denn wenn einer nicht mehr an den Sinnen-
dingen, nicht mehr an den Werken hangt, wenn er alien
Wiinschen entsagt hat, dann ist er ein zum Yoga Empor-
gestiegener.
5. (1069.) Man reifse heraus das Selbst durch das Selbst
[aus dem Ozean des Samsara], nicht lasse man das Selbst
[in ihm] versinken, denn ein jeder ist der Bundesgenosse
seiner selbst, und ein jeder ist audi ein Feind seiner selbst.
6. (1070.) Ein Bundesgenosse seiner selbst ist er dann,
wenn er sein Selbst durch das Selbst iiberwunden hat; so-
VI (Adhyaya 30). 59
lange aber noch die Feindschaft besteht dessen, was [an ihm]
nicht Selbst ist, solange ist einer ein Feind seiner selbst.
7. (1071.) Wer sein Selbst iiberwunden hat und zur Ruhe
gelangt ist, in dem hat das hochste Selbst Wohnung ge-
nommen, bei Kalte und Hitze, bei Lust und Leid, bei Ehre
und Schande.
8. (1072.) Wer an Erkenntnis und Wissen sich ersattigt^
erhaben iiber alles, die Sinne gebandigt, der heifst als ein
Hingegebener Yogin, gleichmiitig blickt er hin auf Erd-
klumpen, auf Steine und auf Gold.
9. (1073.) Bei Freunden und Genossen, bei Feinden, Gleich-
giiltigen und Unparteiischen, bei Gegnern und Verwandten,
bei Guten und bei Bosen bleibt er gleichmiitig, daran erkennt
man ihn.
10. (1074.) Als Yogin [urspriinglich : ein sich Anschicken-
der] schicke er sich an, immerwahrend in der Einsamkeit
verharrend, alleinstehend, die Regungen seines Herzens ban-
digend, ohne Hoffnung, ohne umgeben zu sein von den
Seinen.
11. (1075.) An einem reinen Orte errichte er fiir sich einen
festen Sitz, nicht zu hoch und nicht zu niedrig, iiberdeckt
mit Gewand, Antilopenfell und Kugagras.
12. (1076.) Daselbst konzentriere er sein Manas auf einen
Punkt, unterdriicke die Tatigkeiten des Denkens und der
Sinne, setze sich nieder auf den Sitz und spanne den Yoga
an zur Lauterung seines Selbstes.
13. (1077.) In gleichmafsiger Richtung Rumpf, Kopf und
Hals unbeweglich haltend, blicke er unentwegt auf seine
Nasenspitze, ohne nach den Seiten hinzusehen.
14. (1078.) Beruhigten Selbstes und frei von Furcht, in
dem Geliibde eines Brahmanschiilers beharrend, sein Manas
bezahmend und an mich denkend, sitze er da im Yoga, mir
einzig ergeben.
15. (1079.) In dieser Weise allezeit sich selbst anschickend
und seine Gedanken bandigend, erlangt der Yogin den in mir
wurzelnden Frieden, dessen letztes Ende das Nirvdnam ist.
16. (1080.) Nicht dem, der iibermafsig ifst, wird der Yoga
zuteil, aber auch nicht dem, der ganz und gar nicht ifst,
60 II- Bhagavadgita.
ebenso nicht dem, o Arjuna, der libermafsig zu schlafen pflegt
oder zu wachen.
17. (1081.) Wer aber mafsig in Nahrung und Erholung
ist, mafsig im Wandeln und Handeln, mafsig im Schlafen
und Wachen, dem wird der Yoga zuteil, der schmerzstillende.
18. (1082.) Wenn der Gedanke geziigelt, nur auf den Atman
gerichtet ist, wenn einer nicht mehr begehrend ist nach irgend-
welchen Liisten, dann wird er ein Yogabeflissener genannt.
19. (1083.) Wie eine an windstillem Ort stehende Lampe
nicht flackert, dieses Gleichnis gilt von dem Yogin, der seine
Gedanken unterdriickt hat und seine Seele dem Yoga hingibt.
20. (1084.) Wenn das Denken, unterdriickt, durch den
Yogadienst zur Ruhe kommt, wenn man nur das Selbst durch
das Selbst schauend an dem Selbste seine Lust hat,
21. (1085.) wenn man jene unendliche, nur von der Buddhi
zu erfassende, iiber die Sinne erhabene Lust empfindet und
in diesem Zustande beharrend nicht von der wahren Wesen-
heit abweicht,
22. (1086.) wenn man das ergriffen hat, von dem man sich
bewufst ist, dafs es nichts anderes Hoheres zu ergreifen
gibt, und in ihm beharrend auch durch schweres Leiden
nicht erschiittert wird,
23. (1087.) das, soil man wissen, ist der von der Beriihrung
mit Leiden freie Zustand, welchen man den Yoga nennt ; und
diesem Yoga soil man mit Entschiedenheit sich hingeben,
mit unverdrossenem Geiste [anirvinnacctasd mit Qankara].
24. (1088.) Indem man auf alle aus dem Wunsch ent-
springenden Liiste ohne Unterschied Verzicht leistet, indem
man durch das Manas die Rotte der Sinnesorgane von alien
Seiten her niederkampft,
25. (1089.)" soil man vermittelst der mit Festigkeit er-
griffenen Buddhi mehr und mehr zur Ruhe kommen, das
Manas in dem Atman zum Stillstande bringen und gar nichts
mehr denken.
26. (1090.) Wohin auch immer das Manas, das wankel-
miitige, unbestandige, ausschwarmen mochte, von iiberallher
moge man es zwangsweise in dem Atman wieder zum Ge-
horsam zuriickfiihren.
VI (Adhy^ya 30). 61
27. (1091.) Einen solchen Yogin, der sein Manas zur Ruhe
gebracht hat, erfiillt die hochste Wonne, ihn, dessen Leiden-
schaft (rajas) beschwichtigt, der zu Brahman, dem sundlosen,
geworden ist.
28. (1092.) In dieser Weise allezeit sich seinem Atman hin-
gebend, wird der Yogin, von Siinde frei, mit Lust die in der
Einswerdung mit Brahman hestehende, uneridHche Wonne
erlangen.
29. (1093.) Er schaut sein eigenes Selbst in alien Wesen
und alle Wesen in dem eigenen Selbst, mit seinem Selbst
dem Yoga hingegeben, erblickt er iiberall das gleiche Wesen.
30. (1094.) Wer mich in allem sieht und alles sieht in
mir, dem gehe ich nicht verloren, und der geht mir nicht
verloren.
31. (1095.) Wer mich verehrt als in alien Wesen weilend
und in der Einheit feststeht, in welcher Lage der auch immer
sein mag, er ist ein Yogin, ist in mir.
32. (1096.) Wer, o Arjuna, wegen der Gleiclilieit mit dem
eigenen Selbste iiberall das Gleiche sieht, sei es im Gliick,
sei es im Ungliick, er ist ein vollendeter Yogin.
Arjuna sprach:
33. (1097.) Der Yoga, von dem du lehrst, o Madhusudana,
dafs er in [dem Bewufstsein] der Gleichheit bestehe, der
kann doch wegen der Wankelmiitigkeit nicht von bestandiger
Dauer sein.
34. (1098.) Denn wankelmiitig ist das Manas, o Krishna,
ungestiim, gewaltig, stark, und seine Ziigelung, wie die des
Windes, ist schwer zu vollbringen.
Der Heilige sprach:
35. (1099.) Ohne Zweifel, o Grofsarmiger, ist das Manas
schwer zu ziigeln und beweglich, aber durch Ubung, o Kunti-
sohn, und durch Entsagung wird es bezwungen.
36. (1100.) Von dem freilich, dessen Selbst ungebandigt
ist, ist der Yoga schwer zu erlangen, so meine ich; wer aber
sich selbst in Gehorsam halt und beherrscht, der kann ihn
durch das rechte Mittel erlangen.
62 II- Bhagavadgita,.
Arjuna sprach:
37. (1101.) Wenn einer sich nicht selbst bezwingt, wenn
er zwar von Glauben erfiillt isi, aber vom Yoga mit seinem
Manas abfallt, und so die Yogavollendung nicht erreicht, was
wird, o Krishna, aus diesem?
38. (1102.) Wird er nicht beider [der Frucht des Glaubens
und des Yoga] verlustig gehen und zerfliefsen, wie eineWolke,
die sich zerteilt, da er, o Grofsarmiger, ohne Halt und auf
dem Pfade zu Brahman hin verirrt ist?
39. (1103.) Diesen Zweifel, o Krishna, mufst du mir volHg
losen, denn nicht gibt es einen aufser dir, der diesen Zweifel
losen konnte.
Der Heilige spracli:
40. (1104.) 0 Prithasohn, ein solcher ist weder in dieser
Welt noch in der andern ein Verlorener, denn nicht kann
irgendeiner, der etwas Gutes tut, einen schlimmen Gang gehen.
41. (1105.) Daher ein solcher, nachdem er die Welten der-
jenigen, welche gute Werke getan, erlangt und in ihnen
zahllose Jahre geweilt hat, darauf, wenn er auch des Yoga
verlustig ging, doch in einem reinen und gliicklichen Hause
wiedergeboren wird.
42. (1106.) Oder er wird sogar geboren in der Familie
weiser Yogin's; und das ist schwerer als alles andere in der
Welt zu erlangen, dafs man einer solchen Geburt teilhaft wird.
43. (1107.) Daselbst erlangt er dieselbe Einsicht, die er
schon in seiner friihern Geburt hatte, o Liebling der Kuru's,
und strebt von ihr aus weiter hin zur VoUendung.
44. (1108.) Vermoge jener seiner friihern Bemiihung eben
wird er auch wider Willen fortgerissen, ist bestrebt den Yoga
kennen zu lernen und kommt ilber das blofse Wortbrahman
(Maitr. Up. 6,22) hinaus.
45. (1109.) Und wenn er mit Ernst weiterstrebt , wird er
sich als Yogin von der Siinde reinigen und, durch mannig-
fache Geburten gelautert, endlich den hochsten Weg gehen.
46. (1110.) Der Yogin steht hoher als die, welche das
Tapas iiben, hoher audi als die, welche der Erkenntnis leben ;
der Yogin steht auch hoher als die, welche die Werke be-
treiben; darum werde ein Yogin, o Arjuna.
VI (Adhyaya 30). 63
47. (nil.) Aber unter alien Yogin's ist der, welcher sein
inneres Selbst mir hingibt und glaubig mich verehrt, der
mir am innigsten Verbundene.
So lautet in der BbagavadgltA die Hingebung an die Selbstbezwingnng
(dtma-samyaina-yoga).
VII (Adhyaya 31).
Vers 1112-1141 (B. 1-30).
Der Heilige spracli:
1. (1112.) Wenn du, o Prithasohn, mit deinem Geiste mir
hingegeben und auf mich bauend den Yoga betreibst, so wirst
du sicherlich mich voll und ganz erkennen; vernimm, in
welcher Weise.
2. (1113.) Ich will dir jetzt diejenige Erkenntnis, dasjenige
Wissen vollstiindig mitteilen, nach dessen Erkenntnis hie-
nieden nichts weiteres mehr zu erkennen iibrig ist.
3. (1114.) Unter tausend Menschen gibt es kaum einen,
der nach VoUendung strebt, und unter diesen Strebenden
und zur Vollendung Gelangenden gibt es kaum einen, der
mich in Wahrheit erkennt.
4. (1115.) Die Erde, das Wasser, das Feuer, der Wind
und der Ather, das Manas, die Buddhi und der Ahankara,
diese machen meine Natur fpraJcritiJ aus, sofern sie achtfach
gespalten ist.
5. (inc.) Du mufst aber wissen, o Grofsarmiger, dafs ich
noch eine andere, von dieser verschiedene, hochste Natur
(pralmtij habe, welche eine lebendige Seele ist, und von der
diese ganze Welt getragen wird.
6. (1117.) Diese meine Naturen sind der Mutterschofs aller
Wesen, das merke wohl, ich bin fiir diese ganze Lebewelt
der Ursprung und auch der Untergang.
7. (1118.) Es gibt, o Beutemacher, nicht irgend etwas an-
deres, welches hoher ware als ich; wie eine Perlenreihe an
der Schnur, so ist an mir die ganze Welt aufgereiht.
8. (1119.) Ich bin der Geschmack in den Wassern, o Sohn
der Kunti, ich bin der Lichtglanz in Mond und Sonne, ich
64 II- Bhagavadgita.
bin der heilige Laut fomj in den Veden, bin der Ton im
Ather, bin in den Mannern die Manneskraft.
9. (1120.) Ich bin der reine Geruch in der Erde, ich bin
das Licht in des Feuers Glanz, bin das Leben in alien Wesen,
bin das Tapas der Tapas-Ubenden.
10. (1121.) Ich bin, das sollst du wissen, o Prithasohn,
der ewige Same aller Wesen, ich bin der Verstand der Ver-
standigen, bin die Kraft der Kraftvollen.
11. (1122.) Ich bin die Starke der Starken, soweit sie sich
von Begier und Leidenschaft frei halt, ich bin, o Stier der
Bharata's, die Liebe in den Wesen, sofern sie dem Gesetze
nicht zuwiderlauft.
12. (1123.) Alle sattva-artigen Zustande, alle rajas-artigen
und alle tamas-artigen stammen aus mir, das sollst du wissen ;
ich bin nicht in ihnen, aber sie sind in mir.
13. (1124.) Von diesen drei auf den Guna's beruhenden
Zustanden {hlidvahj wird diese ganze Welt in Verblendung
gehalten und erkennt nicht mich, der ich iiber sie erhaben
und unverganglich bin.
14. (1125.) Das ist jene, meine gottentstandene , aus den
Guna's bestehende Maya (Blendwerk), welche schwer zu iiber-
winden ist; wer aber zu mir seine Zuflucht nimmt, der schreitet
iiber jene Maya hinaus.
15. (1126.) Nicht aber gelangen zu mir die Ubeltater, die
Verblendeten , der Menschen Niedrigste, sondern durch die
Maya der Erkenntnis beraubt, haben sie auf eine damonische
Natur ihr Vertrauen gesetzt.
16. (1127.) Vier Arten sind, o Arjuna, der guten Menschen,
"welche mich verehren : der Bedrangte, der Erkenntnisdurstige,
der Giiterverlangende und der Erkennende, o Stier der Bharata's.
17. (1128.) Unter ihnen zeichnet sich aus als immer hin-
gegeben und nur eines verehrend der Erkennende, denn dem
Erkennenden bin ich lieb iiber alles, und er ist mir lieb.
18. (1129.) Hochstrebend sind alle Genannten, aber der
Erkennende ist mein eigenes Selbst, so sage ich; denn er, mit
hingegebenem Geiste, vertraut auf mich als hochste Zuflucht.
19. (1130.) Wer die Erkenntnis besitzt, der geht am Ende
"vieler Geburten zu mir ein; „dieses Wei tall ist Vasudeva"
VII (Adby^ya 31). 65
(Krishna), so denkt ein solcher Hochherziger , schwer zu
Findender.
20. (1131.) Andere liiDgegen, deren Erkenntnis bald durch
diese, bald durch jene Begierde fortgerafft wird, nehmen ihre
Zuflucht zu anderen Gottheiten, bald dieser, bald jener Notigung
gehorchend, genotigt durch ihre eigene Natur fprdkritij.
21. (1132.) Wer immer, irgendeiner Gestalt ergeben, sie
im Glauben zu verehren wunscht, ich bin es, der einem sol-
chen seinen unerschiitterlichen Glauben verleiht.
22. (1133.) Und mit diesem Glauben begabt, sucht er jene
Gottheit giinstig zu stimmen und erhalt von ihr die Wiinsche,
deren Erfiillung in Wahrheit nur von mir verfiigt wird.
23. (1134.) Aber die Frucht, welche solche Mehschen von
heschranktem Geiste erreichen, ist eine endliche; zu den
Gottern gehen sie, welche die Gotter verehren; wer mir an-
hangt, der kommt auch zu mir.
24. (1135.) Jene Toren wahnen, dafs ich nur das Un-
entfaltete favyalitam, prakritij bin, welches zur Entfaltung
gelangt sei; mein hochstes, unvergangliches , uniibersteig-
liches Wesen aber, das kennen sie nicht.
25. (113G.) Nicht jedem bin ich erkennbar, der ich von
dem Zauber des Yoga umhiillt bin; diese betorte Welt er-
kennt mich nicht, den Unentstandenen , Unverganglichen.
26. (1137.) Ich kenne die vergangenen Wesen und die
gegenwartigen und die zukiinftigen, mich aber kennt nie-
mand, o Arjuna.
27. (1138.) Durch die aus Begierde und Hafs entspringende
Verblendung in den Gegensatzen, o Bharata, geraten alle
Wesen der geschaffenen Welt, o Feindbezwinger, in die Irre.
28. (1139.) Diejenigen Menschen aber, deren Boses durch
heilige Werke ein Ende genommen hat, die werden befreit
von dem Wahn der Gegensatze und verehren mich mit un-
erschiitterlichem Geliibde.
29. (1140.) Diejenigen, welche zu mir ihre Zuflucht nehmen
und nach Erlosung von Alter und Tod streben, die gelangen
zur Erkenntnis des Brahman, des ganzen eigenen Selbstes
und alles Werks.
Beussen, Mah4bli4iatain. ^
QQ II. Bliagavadgita.
30. (1141.) Wer aber mich erkennt als gegenwartig in den
AVesen, gegenwartig in den Gottern und gegenwartig im
Opfer, der wird mich hingegebenen Geistes auch dann er-
kennen, wenn es mit ihm zu Ende geht.
So lautet in der Bhagavadgit4 die Hingebung an die Erkenntnis
(jhdna-yoga).
VIII (Adhyaya 33).
Vers 1142-1169 (B. 1-28).
Arjuna sprach:
1. (1142.) Was ist jenes Brahman, was ist das eigene
Selbst und was ist das Werk (oben, Vers ii4o), o hochster
Geist, und was ist das von dir (oben, Vers ii4i) erwahnte
Gegenwartigsein in den Wesen und Gegenwartigsein in den
Gottern?
2. (1143.) Und wie kann einer, der in diesem Leibe ver-
korpert ist, gegenwartig in den Opfern sein, o Madhusudana,
und wie konnen die, welche ihr Selbst bezwungen haben,
dich erkennen, wenn es mit ihnen zu Ende geht?
Der Heiiige sprach:
3. (1144.) Das Brahman ist das hochste UnvergangHche ;
unter dem eigenen Selbste ist die eigene Natur zu verstehen;
und Werk heilst die Opferspende, welche die Beschaffenheit
und das Entstehen der Wesen bedingt.
4. (1145.) Meine Gegenwart in den Wesen ist mein fliefsen-
des Sein, meine Gegenwart in den Gottern ist der Purusha
[mein Sein als Purusha], meine Gegenwart in den Opfern ist
mein in diesem Leibe verkorpertes Ich, o Edelster der Ver-
korperten.
5. (114G.) Und wer, wenn er den Leib verlafst, dahin-
scheidet, indem er in seiner letzten Stunde meiner gedenkt,
der geht in meine Wesenheit ein, daran ist kein Zweifel.
6. (1147.) Denn, an welches Sein denkend, einer zur End-
zeit den Leib verlafst, zu diesem Sein geht er ein, o Kunti-
sohn, indem er jedesmal zu dessen Natur umgestaltet wird.
VIII (Adhyaya 32). 67
7. (1148.) Darum mogest du zu alien Zeiten an mich denken
und [deine Pflicht erfullend] kampfen; auf mich Sinn und
Verstand richtend, wirst du zu mir eingehen, daran ist kein
Zweifel.
8. (1149.) Wer mit einem durch Studium und Yoga hin-
gegebenen, niclit zerstreuten Geiste den hochsten, himmlischen
Purusha iiberdenkt, der geht, o Sohn der Pritha, zu ihm ein.
9. (1150.) Wer da iiberdenkt den alien Weisen, den
Gebieter, den Kleinern als das Kleinste, den Schopfer
des Wei tails, den unausdenkbaren, sonnenfarbigen, finster-
nisjenseitigen,
10. (1151.) wer diesen zur Endzeit mit unentwegtem
Geiste durch Verehrung und Yogakraft, ihm hingegeben,
iiberdenkt, indem er den Prana vollstandig sammelt
zwischen den Augenbrauen, der geht zum gottlichen
hochsten Geiste ein.
11. (1152.) Das Unvergangliche faksharam, audi die
Silbe omj, welches die Vedakenner sprechen, in welches
die leidenschaftfreien Selbstbezwinger eindringen, nach
welchem verlangend man den Lebenswandel als Brahma-
carin auf sich nimmt, dieses als Wort will ich dir in
einem Inbegriffe sagen (vgl. Kath. Up. 2,15).
12. (1153.) Wenn einer alle Pforten [des Korpers] schliefst,
das Manas im Herzen zuriickhalt, seinen Lebenshauch im
Haupte ansammelt, und so die Festigkeit im Yoga erlangt,
13. (1154.) wenn ein solcher, die Silbe Om, welche das
Brahman bedeutet, aussprechend und meiner dabei gedenkend,
dahinscheidet, indem er den Leib verlafst, der geht den hoch-
sten Gang.
14. (1155.) Wer immerfort, ohne seine Gedanken auf etwas
anderes zu richten, unentwegt meiner gedenkt, fiir einen sol-
chen bestandig sich hingebenden Yogin bin ich, o Sohn der
Pritha, leicht zu erlangen.
15. (1156.) Und wenn sie zu mir gelangt sind, so brauchen
sie nicht einzugehen in eine abermalige Geburt, in eine solche
vergangliche Behausung der Schmerzen, sie, die hohen Geistes
die hochste VoUendung erreicht haben.
5*
g3 II. Bhagavadgita.
16. (1157.) Alle Welten bis hinauf zur Brahmanwelt sind
[zur Erde] zuriickfiihrend , o Arjuna; wer aber zu mir ein-
geht, o Sohn der Kunti, fiir den gibt es keine abermalige
Geburt mehr.
17. (1158.) Wenn man erkannt hat, dafs ein Tag des Brah-
man die Dauer von tausend Yuga's (Weltaltern) befafst und
dafs seine Nacht ebenfalls tausend Yuga's durch dauert, —
die Menschen, die das erkannt haben, die wissen in Wahr-
heit, was Tag und Nacht sind.
18. (1159.) Bricht der Tag an, so gehen aus dem Un-
entfalteten alle Entfaltungen hervor, bricht die Nacht an, so
zergehen sie wieder in jenem, was das Unentfaltete heifst.
19. (1160.) Diese ganze Schar der Wesen, welche wird
und immer wieder wird, zergeht, wenn die Nacht anbricht,
o Sohn der Pritha, und sie entsteht wieder beim Anbruche
des Tages, [beides] gegen ihren Willen.
20. (1161.) Aber jene andere Wesenheit, welche hoher als
jenes Unentfaltete, auch unentfaltet und ewig ist, die geht
nicht zugrunde, wenn auch alle Wesen zugrunde gehen.
21. (1162.) Diese unentfaltete Wesenheit ist es, welche
man AJcshara (unverganglich) nennt und als das hochste Ziel
bezeichnet, zu welchem gelangt man nicht zuriickkehrt, und
das ist meine hochste Wohnstatte.
22. (1163.) Das ist, o Prithasohn, jener hochste Purusha,
der durch eine nur ihm zugewandte Verehrung ergriffen wird,
der alle Wesen in sich befafst und durch den dieses ganze
Weltall ausgebreitet ist.
23. (1164.) Zu welcher Zeit aber hinscheidend die Yogin's
zur Nichtwiederkehr oder aber zur Wiederkehr gelangen, die
Zeit, o Stier der Bharata's, will ich dir sagen.
24. (1165.) Das Feuer als Licht, der Tag, die helle Monats-
halfte, die sechs Monate, da die Sonne nach Norden geht, —
auf diesem Wege [dem Gotterwege] fortziehend, gehen die
brahmanwissenden Menschen zu Brahman ein.
25. (1166.) Der Rauch, die Nacht, die dunkle Monatshalfte,
die sechs Monate, da die Sonne nach Siiden geht, — auf
diesem Wege [dem Vaterwege] gelangt der Yogin zu dem
Lichtreiche des Mondes und mufs wieder zuriickkehren.
VIII (Adhyliya 32). 69
26. (1167.) Diese beiden Wege, der helle und der dunkle
[welche aus Chand. Up. 5,3—10 == Brih. Up. 6,2 ubernommen,
aber vom Verfasser mifsverstanden werden], bestehen ewig
fiir die Welt der Lebenden, auf dem einen gelangt man zur
Nichtwiederkehr, auf dem andem kehrt man wieder zuriick.
27. (1168.) Keiner, o Prithasohn, der als Yogin diese beiden
Wege kennt, geht in der Irre, darum, o Arjuna, sei zu alien
Zeiten des Yoga beflissen.
28. (1169.) Alles, was als Frucht guter Werke fiir Veda-
studium, Opfer, Askese und Almosengeben verheifsen
wird, das alles iiberschreitet , dieses wissend, der Yogin
und gelangt zu der hochsten, uranfanglichen Statte.
So lautet in der Bbagavadgiti die Hingebung an den grofsen Geist
(mahdpurusha - yoga).
IX (Adhyaya 33).
Vers 1170-1204 (B. 1-34).
Der Heilige sprach:
1. (1170.) Dieses aber will ich als Geheimnisvollstes dir,
der du mich willig anhorst, verkiindigen, eine Erkenntnis,
von Wissen begleitet, welcbe erkannt habend, du erlost werden
wirst von dem Ubel.
2. (1171.) Ein Konigswissen, ein Konigsgeheimnis ist dieses
hochste Lauterungsmittel , unmittelbar verstandlich , heilig,
leicht auszufiihren und unverganglich.
3. (1172.) Menschen, welche an diese Satzung nicht glau-
ben, 0 Feindbezwinger, gelangen nicht zu mir und kehren
zuriick auf dem Wege des Todes und der Seelenwanderung.
4. (1173.) Von mir in der Gestalt des Unentfalteten ist
diese ganze Welt ausgebreitet worden. Alle Wesen werden
von mir, nicht aber werde ich von ihnen befafst.
5. (1174.) Und doch werden auch wieder die Wesen nicht
von mir befafst, da siehst du meine gottliche Zauberkunst:
Ich trage die Wesen und bin doch nicht in den Wesen be-
fafst, mein Selbst ist der Bildner der Wesen.
70 n. Bhagavadgita.
6. (1175.) Wie, von dem Raume befafst, der grofse Wind
immerfort nach alien Seiten streicht, so werden alle Wesen
von mir befafst, das sollst du merken.
7. (1176.) Alle Wesen, o Sohn der Kunti, gehen zuriick
in meine Natur fprakritij, wenn ein Kalpa (Weltperiode) zu
Ende geht, und wiederum bin ich es, der sie am Anfang des
nachsten Kalpa erschafft.
8. (1177.) Immer wieder und wieder schaffe ich, auf meine
eigene Natur fprdkritij mich stiitzend, diese ganze Schar der
Wesen auch gegen ihren Willen (oben. Vers iieo) kraft meiner
Prakriti.
9. (1178.) Und doch binden mich diese Werke nicht, oBeute-
macher, sondern ich sitze da wie einer, der miifsig ist, und
bin nicht in diesen Werken befangen.
10. (1179.) Durch mich als Aufseher [getrieben] gebiert
die Prakriti das Bewegliche und Unbewegliche [Menschen,
Tiere und Pflanzen], und dies ist die Ursache, o Kuntisohn,
durch welche die Welt der Lebenden in Umlauf bleibt.
11. (1180.) Gering achten mich, wenn ich in einen mensch-
lichen Leib eingehe, die Toren, welche mein hochstes Sein
als grofser Gott der Wesen nicht kennen.
12. (1181.) Ihr Hojffen ist eitel, ihre Werke sind eitel, ihr
Wissen ist eitel; unbesonnen vertrauen sie auf meine damo-
nische, wider go tthche, verblendende Prakriti.
13. (1182.) Aber edelgesinnte Menschen vertrauen auf mich,
o Prithasohn, auf meine gottliche Prakriti, und verehren un-
entwegten Geistes das, was sie als den ewigen Ursprung der
Wesen erkannt haben.
14. (1183.) Ohne Unterlafs preisen sie mich und streben
zu mir festen Geliibdes, und indem sie mir glaubig huldigen,
verehren sie mich in bestandiger Hingebung.
15. (1184 vacat. 1185.) Audcro verchren mich, indem sie mir
ihre Erkenntnis als Opfer darbringen, mich, der ich als Ein-
heit bestehe und vielfach als Besonderheit nach alien Seiten
mich erstrecke.
16. (1186.) Ich bin die Opferhandlung, bin das Gotteropfer
und Manenopfer, ich bin der Pflanzensaft , der Spruch, die
Opferbutter, das Opferfeuer und zugleich das Geopferte.
IX (Adhyaya 33). 71
17. (1187.) Ich bin der Vater dieser Welt und die Mutter,
der Schopfer, der Allvater, ich bin des Wissens Inbegriff,
das Lauterungsmittel, die Silbe Om^ bin Ric, Saman und zu-
gleich Yajus.
18. (1188.) Ich bin das Ziel, der Erhalter, der Herr, der
Zeuge, die Wohnstatte, die Zuflucht, der Freund, ich bin
Entstehen und Vergehen, der Standort, der Hort, der ewige
Same.
19. (1189.) Ich brenne [als Sonne], ich halte den Regen
zuriick und lasse ihn stromen, ich bin das Unsterbliche und
der Tod [Gotter und Menschen], bin das Seiende und das
Nicht-Seiende, o Arjuna.
20. (1190.) Von mir erflehen die Drei-Veda-Kenner, die
Somatrinker, vom Bosen gelautert und das Opfer dar-
bringend, den Weg zum Himmel, und sie gelangen zu
der heiligen Welt des Fiirsten der Gotter und geniefsen
im Himmel himmlische Gotterfreuden.
21. (1191.) Und nachdem sie die weite Himmelswelt
genossen haben, kehren sie nach Verbrauch ihrer guten
Werke zur Welt der Sterblichen zuriick. In dieser Weise,
der Satzung der drei Veden folgend und nach Wiinschen
verlangend, erlangen sie Hingehen und Wiederkommen.
22. (1192.) Die Menschen aber, welche, ihr Denken auf
nichts anderes richtend, mich verehren, diesen allezeit Be-
flissenen bereite ich Erwerb und Besitz [des Ewigen].
23. (1193.) Diejenigen aber, welche, anderen Gottern an-
hangend, dieselben glaubig verehren, auch diese verehren in
Wahrheit mich, o Kuntisohn, auch ohne dafs eine Vorschrift
dafiir vorherginge.
24. (1194.) Denn ich bin der Geniefser und der Herr aller
Opfer; aber sie erkennen mich nicht in Wahrheit, und darum
sinken sie herab [im Samsara].
25. (1195.) Zu den Gottern gehen die, welche den Gottern
anhangen, zu den Vatern die, welche den Vatern anhangen,
zu den Damonen die, welche die Damonen fhhutaj verehren, —
wer mich verehrt, der geht zu mir.
26. (1196.) Wer auch nur ein Blatt, eine Blume, eine Frucht,
ein Wasser mir verehrungsvoll darbringt, das geniefse ich,
72 II- Bhagavaclgit&,.
wenn es mir in Verehrung mit hingegebenem Geiste dar-
gebracht worden ist.
27. (1197.) Was du tust, was du ifst, was du opferst und
was du schenkst und was du dir als Kasteiung auferlegst,
o Sohn der Kunti, das mache zu einer Gabe an mich.
28. (1198.) Auf diese Weise wirst du erlost werden von
den an die Werke gekniipften guten und schlimmen Friichten,
und, magst du dich der Entsagung oder der Hingebung [an
die Werke] widmen, erlost zu mir eingehen.
29. (1199.) Fiir alle Wesen bin ich der Gleiche, ich habe
keinen, den ich basse, und keinen Giinstling, die aber in Ver-
ehrung mir anhangen, die sind in mir und ich bin in ihnen
(vgl. Ev. Joh. 14, Vers 20).
30. (1200.) Und ware einer gewesen von sehr bosem Wan-
del, der mich und nichts aufser mir verehrte, der mufs als
ein Guter gelten, weil er sich zur rechten Gesinnung ent-
schlossen hat.
31. (1201.) Er wird bald ein Rechtschaffener und geht ein
zum ewigen Frieden; o Kuntisohn, das lafs dir gesagt sein,
wer mir anhangt, der geht nicht verloren.
32. (1202.) Denn die, welche auf mich vertrauen, o Pritha-
sohn, auch wenn sie von schlechter Geburt sind, auch wenn
sie Weiber oder Vaigya's oder Qudra's sind, auch solche gehen
den hochsten Gang (Galater 3,28),
33. (1203.) um wieviel mehr heilige Brahmanen und fromme
Konigsweise ! Da du geraten bist in diese vergangliche, freud-
lose Welt, so verehre mich.
34. (1204.) Auf mich richte deinen Geist, mir huldige, mir
opfere, mich verehre, so wirst du, in dieser Weise dich mir
hingebend und mich iiber alles schatzend, zu mir eingehen.
So lautet in der Bhagavadgltd.
die Hingebung an das Eonigs^Yis6en und Eonigsgeheimois
(rdjavidyd - rdjaguhija - yoga).
X (Adhy^ya 34). 73
X (Adhyaya 34).
Vers 1205-1246 (B. 1-42).
Der Heilige sprach:
1. (120B.) Noch welter, o Grofsarmiger , vernimm meine
allerhochste Rede, welche ich dir, den ich liebe, mitteilen
will aus "Wohlwollen fiir dich.
2. (1206.) Niclit die Scharen der Goiter, niclit die grofsen
Weisen kennen meinen Ursprung, denn ich bin der Anfang
der Gotter und der grofsen Weisen alliiberall.
3. (1207.) Wer micli weifs als den Ungeborenen, den An-
fanglosen, als den grofsen Herrn der Welt, der lebt unter
den Menschen ohne Verblendung und wird von allem Bosen
erlost.
4. (1208.) Verstand, Wissen, Besonnenheit, Geduld, Wahr-
haftigkeit, Bezahmung, Ruhe, Lust, Schmerz, Entstehen und
Nichtsein, Furcht und Furchtlosigkeit ,
5. (1209.) Schonung, Gleichmut, Zufriedenheit , Askese,
Freigebigkeit, Ehre und Schande, — alle diese einzelnen Zu-
stande fbJidvdhJ der Wesen entspringen aus mir.
6. (1210.) Meines Wesens sind die sieben vorweltlichen
grofsen Weisen und die vier Manu's, sie sind meine geistigen
Sohne, deren Weltschopfung diese Wesen sind.
7. (1211.) Wer diese meine Machtentfaltung und Zauber-
kunst fyogaj in Wahrheit erkennt, der wird mit unerschiitter-
lichem Yoga angetan, daran ist kein Zweifel.
8. (1212.) Ich bin der Ursprung des Weltalls, aus mir ent-
wickelt sich das Weltall, das wissen die Weisen und ver-
ehren mich, in Liebe mir hingegeben.
9. (1213.) An mich denkend und mir das Leben hingebend,
ermahnen sie sich gegenseitig, riihmen mich fort und fort
und finden in mir ihre Befriedigung und Freude.
10. (1214.) Solchen Menschen, wenn sie, auf Grund ihrer
Liebe zu mir, mir immerfort hingegeben und anhanglich sind,
verleihe ich jene Vertiefung der Erkenntnis, durch welche
sie zu mir gelangen.
74 II. Bhagavadgita.
11. (1215.) Und aus Mitleid mit ihnen gehe ich in ihr Wesen
ein und vernichte die aus dem Nichtwissen entsprungene
Finsternis durch die leuchtende Fackel der Erkenntnis.
Arjuna sprach^
12. (1216.) Das hochste Brahman, die hochste Statte, das
hochste Lauterungsmittel bist du, o Herr; fiir den ewigen,
himmlischen Purusha, fiir den Urgott, den ungeborenen, all-
durchdringenden,
13. (1217.) erklaren dich alle die Weisen und der Gotter-
weise Narada nebst Asita, Devala und Vyasa, und auch du
selber sagst es mir.
14. (1218.) Alles das nehme ich als wahr an, was du mir
sagst, o Vollhaariger , denn weder Gotter noch Damonen,
o HeiHger, kennen deine Entstehung.
15. (1219.) Nur du allein kennst dich selbst durch dich
selbst, o hochster Geist, du Wesenbildner, du Wesenherr, du
Gottergott, du Weltgebieter.
16. (1220.) So sage es mir ohne Vorbehalt, denn himm-
hsch sind deine Machtentfaltungen, durch welche Macht-
entfaltungen du, die Welten durchdringend, dastehst.
17. (1221.) Wie kann ich als Yogin dich erkennen, dar-
iiber sinnend fiir und fiir, und in welcherlei Wesensformen
bist du, o Heiliger, von mir zu iiberdenken?
18. (1222.) Erklare mir noch mehr, o Janardana, in Aus-
fiihrhchkeit deine Zauberkunst (yoga) und Machtentfaltung,
denn wenn ich dir zuhoren darf, bietet mir selbst Ambrosia
kein Geniige mehr.
Der Heilige sprach:
19. (1223.) Wohlan! ich will sie dir verkiinden, dennliimm-
lisch sind meine Entfaltungen , — im ganzen und grofsen,
o Bester der Kuru's, denn meiner Ausbreitung ist kein Ende.
20. (1224.) Ich bin, o Lockiger, die Seele, die in der Tiefe
aller Wesen weilt, ich bin der Anfang der Wesen, bin ihre
Mitte und ihr Ende,
21. (1225.) Ich bin Vishnu unter den Aditya's, bin unter
den Lichtern die strahlende Sonne, bin Marici unter den
Marut's, ich bin unter den Gestirnen der Mond.
X (Adhyaya 34). 75
22. (1226.) Icli bin der Samaveda unter den Veden, bin
Vasava (Indra) unter den G(3ttern, das Manas unter den Sinnes-
organen, der Geist in den Wesen.
23. (1227.) Ich bin Qaiikara (Qiva) unter den Rudra's, bin
der Schatzeherr (Kubera) unter den Yaksha's und Rakshas',
der Gott des Feuers unter den Vasu's, der Gotterberg Meru
unter den Bergen.
24. (1228.) Unter den Hauspriestern, o Prithasohn, wisse,
bin ich Brihaspati, unter den Heerfiihrern Skanda (Kriegsgott),
unter den Wassern der Ozean.
25. (1229.) Ich bin Bhrigu unter den grofsen Weisen, bin
die eine Silbe fomj unter den Worten, unter den Opfern bin
ich das Opfer des Murmelns, unter den Bergen bin ich der
Himalaya.
26. (1230.) Unter alien Baumen bin ich der Agvattha (Ficus
religiosaj, unter den Gotter weisen Narada, unter Gandharva's
Citraratha, unter den Seligen der rote Weise [Jcapilo munih,
vgl. Qvet. Up. 5,2; der rote Weise ist Hiranyagarbha].
27. (1231.) Unter den Rossen wisse mich als Uccaih(?ravas,
der zugleich mit dem Amritam entstand, unter den edelsten
Elefanten als Airavata, unter den Menschen als Konig.
28. (1232.) Unter den Waffen bin ich der Donnerkeil, unter
den Kiihen die himmlische Wunschkuh, ich bin der zeugende
Liebesgott, bin Vasuki unter den Reptilien.
29. (1233.) Unter den Schlangen bin ich Ananta (Schlange
des Vishnu), unter den Seeungeheuern Varuna, unter den ab-
geschiedenen Vatern bin ich Aryaman, unter den Zwingherren
Yama (der Hollenfiirst).
30. (1234.) Unter den Daitya's bin ich Prahlada, fiir die
Zahlenden bin ich die Zeit, unter den Waldtieren der Lowe,
unter den Vogeln der Vogel des Vishnu.
31. (1235.) Ich bin der Wind unter den Luftreinigern,
Rama unter den Waffentragern, unter den Meertieren bin ich
der Delphin, unter den Fliissen die Ganga.
32. (1236.) Ich bin Anfang, Mitte und Ende der Schopfungen,
unter den Wissenschaften bin ich das Wissen vom hochsten
Atman, ich bin die These der Disputierenden.
76 II. Bhagavadgita,.
33. (1237.) Unter den Lauten bin ich der a-Laut, unter
den zusammengesetzten Wortern die kopulative Zusammen-
setzung (dvanda)^ ich bin die unvergangliche Zeit, ich bin
der Schopfer mit Angesichtern nach alien Seiten.
34. (1238.) Ich bin der alles dahinraffende Tod, ich bin
die Entstehung dessen, was entsteht, ich bin unter den weib-
Uchen Gotterwesen die Ehre, die Schonheit und die Rede,
die Erinnerung, die Weisheit, die Festigkeit und die Geduld.
35. (1239.) Unter den Saman's bin ich das Brihatsaman,
unter den Metren die Gayatri, unter den Monaten der Marga-
Qirsha (der erste Monat im Jahre), unter den Jahreszeiten
bin ich die Blumenreiche.
36. (1240.) Unter dem, was triigt, bin ich das Wiirfelspiel,
ich bin der Glanz der glanzenden Dinge, ich bin der Sieg,
die Entschlossenheit, die Giite fsattvamj der Guten.
37. (1241.) Unter den Vrishnisohnen bin ich Vasudeva
(Krishna), unter den Pandava's bin ich der Beutemacher
(Arjuna), unter den Weisen bin ich Vyasa, unter den Meistern
bin ich der Meister Uganas.
38. (1242.) Ich bin die Rute der Ziichtigenden , bin die
Staatsklugheit der nach Sieg Strebenden, das Schweigen der
Geheimnisse, bin das Wissen der Wissenden.
39. (1243.) Und was bei alien lebenden Wesen der Same
ist, das bin ich, o Arjuna; es gibt kein Wesen ,. beweglich
Oder unbeweglich, welches ohne mich ware.
40. (1244.) Kein Ende ist meiner himmlischen Macht-
entfaltungen , o Feindbezwinger, und nur andeutungsweise
habe ich dir diese Auseinandersetzung meiner Machtentfaltung
mitgeteilt.
41. (1245.) Alles, was machtig und gut, alles, was schon
und liraftvoU ist, das aUes, sollst du wissen, entsteht als ein
Teil aus meiner Kraft.
42. (1246.) Aber was soil dir dieses vielerlei Wissen, o Ar-
juna! Ich beharre und trage mit einem Teile von mir die
ganze Welt der Lebenden.
So lautet in der Bhagavadglti die Zauberkunst der Machtentfaltung
(vibhuti-yoga).
XI (Adhy&ya 35). 77
XI (Adhyaya 35).
Vers 1247-1301 (B. 1-55).
Arjuna sprach:
1. (1247.) Dieweil du aus Gnade gegen mich diese hochste
geheimnisvolle Rede, die da lieifst die Rede vom hochsten
Atman, mitgeteilt hast, darum ist meine Betorung von mir
gewichen.
2. (1248.) Denn ich habe ausfiihrlich nun vernommen den
Ursprung und Vergang der Wesen von dir, o Lotosaugiger,
und die unvergangliche Majestat.
3. (1249.) So wie du nun in dieser Weise dich selbst ge-
schildert hast, o hochster Gott, so mochte ich deine gottUche
Gestalt schauen, du hochster Geist.
4. (1250.) Wenn du es fiir moghch haltst, dafs dieselbe
von mir gesehen wird, o Gebieter, dann zeige du mir, o Herr
des Yoga, dein unverganghches Selbst.
Der Heilige sprach :
5. (1251.) Siehe, o Prithasohn, meine Gestalten hundert-
fach und tausendfach, die mannigfaltigen, himmlischen, welche
mancherlei Farben und Formen zeigen.
6. (1252.) Siehe die Aditya's, die Vasu's, die Rudra's, die
Agvin's und die Marut's, siehe, o Bharata, viele nie zuvor
gesehene Wundergestalten,
7. (1253.) siehe hier gegenwartig vereinigt die ganze Welt
des Beweglichen und Unbeweglichen in meinem Leibe,
o Lockiger, und was du sonst noch zu sehen wiinschst.
8. (1254.) Aber du wirst mich nicht mit diesem deinem
eigenen Auge sehen konnen [lies: gaJcshyase mit Schlegel];
ich gebe dir ein himmlisches Auge, mit dem soUst du meine
gottliche Zauberkunst sehen.
Sanjaya (der Erzahler) sprach:
9. (1255.) Nachdem so, o Konig, der Herr der grofsen
Zauberkraft Hari (Vishnu -Krishna) gesprochen hatte, zeigte
er dem Sohne der Pritha seine hochste gottliche Gestalt,
78 II. BhagavadgM.-
10. (1256.) mit vielen Miindern und Augen, mit vielen
wunderbaren Anblicken, mit vielem himmlischem Schmucke,
mit himmlischen geziickten Waffen von mancherlei Art,
11. (1257.) ihn, den mit himmlischen Kranzen und Ge-
wandern angetanen, mit himmlischen Wohlgeriichen gesalb-
ten, alle Wunder in sich hefassenden, unendlichen, nach
alien Seiten seine Angesichter kehrenden Gott.
12. (1258.) Wenn am Himmel auf einmal der Glanz von
tausend Sonnen sich erhobe, ein solcher Glanz wiirde ahn-
lich sein dem Glanze jenes Hochsinnigen.
13. (1259.) Daselbst schaute der Sohn des Pandu in dem
Leibe des Gottes der Gotter die ganze Welt in einem befalst
in ihren mannigfachen Teilen.
14. (1260.) Und von Erstaunen erfiillt, mit gestraubtem
Haare, verneigte sich der Ge winner der Giiter mit seinem
Haupte vor dem Gotte, legte seine Hande zusammen und
sprach :
Arjuna sprach:
15. (1261.) Ich sehe, o Gott, in deinem Leibe alle Gotter
und die Schar der mannigfachen Wesen, den Gottherrn
Brahman auf seinem Lotossitze und alle Rishi's und die
himmlischen Schlangengotter.
16. (1262.) Ich sehe dich mit vielen Armen, Leibern,
Miindern und Augen, deine Gestalt nach alien Seiten ins
Unendliche erstreckend, kein Ende, keine Mitte und keinen
Anfang deiner sehe ich, o Allgott, AUgestaltiger.
17. (1263.) Mit Diadem, mit Keule und mit Diskus in
einer Fiille von Glanz, nach alien Seiten hinflammend,
sehe ich dich, den schwer zu Schauenden, den nach alien
Seiten wie flammendes Feuer und Sonnen Strahlenden,
Unermefslichen.
18. (1264.) Du bist das hochste Unvergangliche , das
soil man wissen, du bist der hochste Hort dieser ganzen
Welt, du bist der unwandelbare Hiiter der ewigen Ge-
setze, du bist von mir erkannt worden als der unver-
gangliche Purusha.
19. (1265.) Ich sehe dich als ohne Anfang, Mitte und
Ende, von unendlicher Tapferkeit, niit unendlichen Armen,
XI (Adhyliya 35). 79
mit Sonne und Mond als Augen, mit dem lohenden Opfer-
feuer als Mund, mit deiner Glut das ganze Weltall durch-
gliihend.
20. (1206.) Alles dies hier, was zwischen Himmel und
Erde liegt, und alle Weltenraume sind erfiillt von dir,
dem Einen. Die Dreiwelt, o Hochsinniger, sieht diese
deine wunderbare, furchtbare Gestalt und erzittert.
21. (1-267.) Hier diese Scharen von Gottern gehen ein
in dich, und andere, voll Furcht, lobsingen dir mit zu-
sammengelegten Handen; „sei uns gegriifst", so sprechen
Scharen von grorsen Weisen und Vollendeten, und preisen
dich mit liberstromenden Lobgesangen.
22. (1268.) Die Rudra's, Aditya's, Vasu's und Sadhya's,
die Vigve Devah, die beiden Agvin's, die Marut's, die
Geniefser der Totenspende, die Gandharva's, Yaksha's,
Asura's und Siddha's, in Scharen schauen sie dich an
und alle staunen.
23. (1269.) Deine grofse Gestalt, deine vielen Miinder
und Augen, o Grofsarmiger, deine vielen Arme, Schenkel
und Fiifse, deine vielen Leiber, deine vielen, klaffenden
Zahne, — die Welten sehen sie und erbeben, und so
auch ich.
24. (1270.) Wenn ich dich sehe, wie du bis zum Himmel
aufreichst, flammend und vielfarbig, mit aufgerissenem
Rachen, mit gliihenden grofsen Augen, so erzittert meine
innere Seele, o Vishnu, und ich finde keine Fassung und
keine Ruhe.
25. (1271.) Und wenn ich deine Miinder mit klaffendem
Gebifs sehe, wie sie dem Weltuntergangsfeuer vergleich-
bar sind, so unterscheide ich die Himmelsrichtungen nicht
mehr und finde mir keine Rettung; sei gnadig, o Herr
der Gotter, der du die Welt der Lebenden erfiillst!
26. (1272.) Auch sie [gehen ein] in dich, die Sohne
dort des Dhritarashtra, alle mitsamt den iibrigen Scharen
der Erdeherren, Bhishma und Drona und jener Wagen-
lenkersohn (Karna), und ebenso die auf unserer Seite
stehenden vorziigHchsten Kampfer,
80 II' Bhagavadgita.
27. (1273.) sie alle stiirzen eilig in deine zahneklaffen-
den furclitbaren Raclien, und manche von ihnen scheinen
schon mit zermalmten Hauptern zwischen deinen Zahnen
zu hangen.
28. (1274.) Wie die vielen Wasserstiirze der Strome
auf den Ozean zueilen, so stiirzen diese Helden der Men-
schenwelt in deine ringsum flammenden Rachen.
29. (1275.) Wie Miicken sich zu ihrem Verderben mit
"beschleunigter Eile in ein flammendes Feuer stiirzen, so
stiirzen sich die Welten zu ihrem Verderben mit be-
schleunigter Eile in deine Rachen.
30. (1276.) Du ziingelst, indem du die gesamten Wel-
ten ringsum in deine gliihenden Rachen hineinschlingst,
und deine furchtbaren Flammen, o Vishnu, erfiillen mit
ihrem Lichtglanz die ganze Welt und setzen sie in
Gluten.
31. (1277.) Erldare mir, wer du hist, der du diese
furchtbare Gestalt tragst, Verehrung sei dir, o hochster
Gott, sei mir gnadig ! Dich, den Uranfanglichen, mochte
ich erkennen, denn ich begreife nicht, wie du dich be-
tatigst.
Der Heilige sprach:
32. (1278.) Ich bin die Zeit, welche in ihrem Fortschrei-
ten den Untergang der Welt bewirkt, und betatige mich
hienieden darin, dafs ich die Menschen hinwegraffe ; und
auch ohne dich wiirden sie alle nicht am Leben bleiben,
sie, welche in Schlachtreihen als Kampfer gegeniiber-
stehen.
33. (1279.) Deshalb erhebe dich, erwirb dir Ruhm, be-
siege die Feinde, geniefse die gliickliche Herrschaft.
Schon langst sind diese hier von mir erschlagen, du
sollst nur mein Werkzeug sein, du auch mit der linken
Hand Gewandter.
34. (1280.) Drona, Bhishma, Jagadratha, Karna und
die anderen Kampfeshelden sind schon von mir erschlagen,
so erschlage du sie ohne Zagen; kampfe, denn du wirst
die Wider sacher in der Schlacht besiesen.
XI (Adhy&ya 35). 81
Saujaya (der Erzahler) sprach:
35. (1281.) Als dieses Wort des Vollhaarigen der Diadem-
trager mit zusammengelegten Handen und zitternd gehort
hatte, da sprach er in Ehrfurcht weiter zu Krishna mit
stammelnder Stimme, vol! Angst und Schrecken, indem
er sich verneigte.
Arjuna sprach:
36. (1282.) Mit Recht geschieht es, o Struppiger, dafs
die Welt bei deinem Namen sich erfreut und an ihm
hangt, dafs die bosen Geister von Furcht ergriffen nach
alien Seiten fliehen und dafs alle Scharen der Vollendeten
dir Verehrung zollen.
37. (1283.) Und wie sollten sie sich dir nicht beugen,
o Hochsinniger , der du alter selbst als der Gott Brah-
man, der du der Urschopfer bist; du, o unendlicher Herr
der Gotter und Welterfiiller, du bist jenes Hochste, Un-
vergangliche , das da ist und zugleich nicht ist.
38. (1284.) Du bist der Erstlingsgott, der Purusha, der
Alte, du bist der hochste Hort dieses Weltalls, der Wisser
alles Wifsbaren und die hochste Statte; durch dich ist
dieses Weltall ausgebreitet, o Unendlichgestalteter.
39. (1285.) Du bist Vayu, Yama, Agni, Varuna und
der Mondgott, du bist Prajapati und der Ururvater der
Welt. Verehrung sei dir, Verehrung tausendfach und
abermals und weiter Verehrung um Verehrung!
40. (1286.) Verehrung sei dir von Osten und von Westen,
Verehrung dir von alien Seiten, du Allseitiger! Unend-
lich ist deine Kraft, unermefslich dein Heldentum, du
durchdringst die Welt nach alien Seiten, darum bist du
der Allseitige.
41. (1287.) Wenn ich, dich blofs fur einen Freund
haltend, ohne Umschweife zu dir geredet habe mit den
Worten: „du Krishna, du Yadava, du, der du mein Freund
bist"; wenn ich in dieser Weise, da ich diese deine Maje-
stat nicht kannte, aus Unbedacht oder mit Vertraulich-
keit gesprochen habe,
Seussek, Mah&bhATatam. g
82 II. Bhagavadgita.
42. (1288.) Oder wenn ich scherzweise dir beim Lust-
wandeln, Lagern, Sitzen oder Speisen niclit die gebiihrende
Ehre erwiesen habe, sei es dafs du allein mit mir warst,
o Unerschiitterlicher, oder in Gegenwart von diesen dort^
so bitte ich dich um Verzeihung, dich, den Unermefslidien.
43. (1289.) Du bist der Vater der Welt, des Beweg-
lichen und Unbeweglichen , du von ihr zu verehren als
Meister und mehr als Meister; dir ist keiner gleich, viel
weniger iiberlegen in den drei Welten, o unvergleichlich
Gewaltiger.
44. (1290.) Darum neige ich mich, werfe meinen Leib
vor dir nieder und bitte dich, den preiswerten Gottherrn,
um Gnade ; wie der Vater mit dem Sohne, wie der Freund
mit dem Freunde, wie der Liebende mit der Geliebten
mogest du, o Gott, mit mir Nachsicht haben.
45. (1291.) Ich bin entzuckt, indem ich sehe, was ich
friiher nie gesehen, und zugleich ist mein Geist von Furcht
erschiittert. Zeige mir, o Gott, diese deine Gestalt, er-
zeige mir die Gnade, du Gottherr, der du die Welt der
Lebenden erfiillst.
46. (1292.) Mit dem Diadem, mit der Keule, mit dem
Diskus in der Hand mochte ich dich auch einmal sehen,^
erscheine mir in dieser Gestalt, mit vier Armen, o Tausend-
armiger, Allgestaltiger.
Der Heilige spracli:
47. (1293.) Aus Gnade, o Arjuna, habe ich dir diese
meine hochste Gestalt gezeigt durch meines Selbstes
Zauberliraft, die aus Glanz bestehende, voile, unendliche,
uranf angliche , welche aufser dir keiner je an mir ge-
schaut hat.
48. (1294.) Nicht durch Veda, Opfer und Studium,
. nicht durch Schenken, nicht durch Zeremonien, nicht
durch furchtbare Askese kann ich in solcher Gestalt
in der Menschenwelt gesehen werden aufser von dir,
o Kuruheld.
49. (1295.) Keine Bestiirzung, kein verwirrtes Wesen
soil dich liberkommen, wenn du diese meine so furcht-
XI (Adhy^ya 35). 83
bare Gestalt sehen wirst; befreit von Furcht vielmehr
und erfreuten Herzens soUst du diese meine Gestalt
schauen.
Safijaya (der Erzahler) sprach:
50. (1296.) Nachdem Vasudeva mit diesen Worten dem
Arjuna ja gesagt liatte, zeigte er ihm sodann weiter seine
Gestalt, und da er von Furcht erfullt wurde, flofste er
ihm wieder Mut ein, indem er wiederum in seiner milden
Gestalt erschien, der Hochherzige.
Arjuna sprach:
51. (1297.) Indem ich, o Janardana (Heimsucher der Men-
schen), diese deine menschliche und milde Gestalt wiederum
sehe, bin ich nun wieder zur Besinnung gelangt und zu mir
selbst zuriickgekommen.
Der Heilige sprach:
52. (1298.) Jene schwer zu schauende Gestalt, in der du
mich gesehen hast, — auch die Gotter sind allezeit verlangend,
mich in dieser Gestalt zu schauen.
53. (1299.) Nicht durch Veden, nicht durch Askese, nicht
durch Gaben und nicht durch Opfer kann einer es erreichen,
mich in der Gestalt zu schauen, in der du mich erblickt hast.
54. (1300.) Aber durch Verehrung, die mir allein gewidmet
ist, kann einer, o Arjuna, in dieser Weise mich erkennen,
mich schauen, wie ich bin, und in mich eingehen, o Schreck
der Feinde.
55. (1301.) Wer meine Werke tut, mich als das Hochste
hat und mich verehrt ohne Anhanglichkeit an die Welt, wer
ohne Feindschaft ist gegen alle Wesen, der kommt zu mir,
o Pandusohn.
So lautet in der BhagavadgltA daa Schauen der AUgestalt
(vt<;varupa - dar^anam).
84 II- Bhagavadgita.
XII (Adhyaya 36).
Vers 1302-1321 (B, 1-20).
Arjuna sprach:
1. (1302.) Die, welche in dieser Weise iramerfort hingegeben
dir in Verehrung huldigen, und die, welche dem. Unvergang-
lichen, Unoffenbaren huldigen, welche von diesen sind am
meisten der Hingebung (yoga) kundig?
Der Heilige sprach:
2. (1303.) Die, welche ihren Geist in mich vertiefen und
mich in bestandiger Hingebung verehren, erfiillt von dem
hochsten Glauben, diese sind es, welche ich fiir die mir am
meisten Hingegebenen erachte.
3. (1304.) Die hingegen, welche das Unvergangliche, Un-
aussprechliche , Unofltenbare verehren, das Allgegenwartige
und Unausdenkbare, das Allerhochste, Unwandelbare, Feste,
4. (1305.) indem sie die Schar der Sinnesorgane bandigen
und auf alle Dinge mit Gleichmut blicken, auch diese an dem
Wohlsein aller Wesen sich Freuenden gelangen sicherlich
zu mir.
5. (1306.) Aber grofser ist die Miihe derer, welche ihren
Geist an das Unoffenbare anhangen, denn nur schwer ist der
unoffenbare Weg fiir die Verkorperten zu erlangen.
6. (1307.) Die aber, welche alle ihre Werke auf mich
werfen und mich fiir das Hochste erachten, mich mit einer
auf nichts anderes gerichteten Hingebung meditieren, verehren,
7. (1308.) fiir diese, die ihren Geist in mich versenken,
werde ich, o Sohn der Pritha, alsbald zum Erretter aus dem
Ozean des Todes und der Seelenwanderung.
8. (1309.) Mir also gib deinen Sinn hin, in mich vertiefe
deinen Geist, so wirst du bei mir Wohnung nehmen nach
diesem Dasein, daran ist kein Zweifel.
9. (1310.) Kannst du aber dein Denken nicht dauernd in
mich versenken, dann suche mich, o Beutemacher, wenigstens
durch Hingebung an die Ubung zu erreichen.
XII (Adhyliya 36). 85
10. (1311.) Bist du aber auch zu dieser Ubung nicht fahig,
so halte dich an die mir geweihten Werke, denn auch, wenn
du um meinetwillen die Werke vollbringst, wirst du die VoU-
endung erreichen.
11. (1312.) Bist du aber auch dieses zu tun und der Hin-
gebung an mich zu leben nicht imstande, so bezwinge deinen
Geist und leiste wenigstens Verzicht auf die Frucht aller Werke.
12. (1313.) Denn hoher als die Ubung steht das Erkennen,
hoher als das Erkennen die Meditation, hoher als die Medita-
tion die Entsagung in betreff des Lohnes der Werke, der
Entsagung folgt der Friede auf dem Fufse.
13. (1314.) Wer gegen alle Wesen ohne Hafs, freundschaft-
lich gesinnt und mitleidvoll ist, frei von Selbstsucht und Ich-
bewufstsein, gleichmiitig in Lust und Leid, geduldig,
14. (1315.) zufrieden, immer hingegeben, bezahmten Selb-
stes und festen Entschlusses auf mich gerichtet mit Sinn
und Geist und mir ergeben ist, der ist mein Freund.
15. (1316.) Von dem die Menschen nicht beunruhigt wer-
den und wer von Menschen nicht beunruhigt wird, wer frei
von den Beunruhigungen der Freude, des Verdrusses und der
Furcht ist, der ist mein Freund.
16. (1317.) Wer, ohne die Welt zu beachten, rein, tiichtig,
gleichgiiltig, frei von Erregung, auf alle Zwecke verzichtend
sich mir hingibt, der ist mein Freund.
17. (1318.) Wer nicht sich freut und nicht hafst, nicht
trauert und nicht begehrt und verzichtend auf Angenehmes
und Unangenehmes voU Hingebung ist, der ist mein Freund.
18. (1319.) Wer gleichgiiltig ist gegen Feind und Freund,
gegen Ehre und Schande, gegen Kalte und Hitze, gegen Lust
und Schmerz, frei von Anhanglichkeit,
19. (1320.) wer gleichmiitig ist bei Tadel und bei Lob,
still, zufrieden mit allem, wie es kommt, ohne Heimat, festen
Glaubens und voll Hingebung, der ist mein Freund.
20. (1321.) Die aber, welche dieses heilige, von mir mit-
geteilte Amritam (Ambrosia) verehren und im Glauben mir
anhangen und huldigen, die sind vor alien meine Freunde.
So lautet in der Bhagavadglta die Hingebung an die Verehrnng
(bhakti-yoga).
86 II. Bhagavadgita.
XIII (Adhyaya 37).
Vers 1322-1355 (B. 1-34).
Arjuna sprach:
(1322.)* Die Prakriti und den Purusha, den Ort und den
Ortskenner, das Wissen und das Zuwissende, dieses wiinsche
ich zu verstehen, o Vollhaariger.
Der Heilige sprach:
1. (1323.) Dieser Korper, o Kuntisohn, wird als der Ort
(hshetramj bezeichnet; den, der sich desselben bewufst ist,
nennen die Kundigen den Ortskenner (hshetrajnaj .
2. (1324.) Der Ortskenner, das sollst du wissen, in alien
Orten bin ich, o Bharata; die Erkenntnis des Orts und des
Ortskenners, das erst ist wahre Erkenntnis, so sage ich.
3. (1325.) Was dieser Ort ist, von welcher Art, welchen
Umwandlungen unterworfen und woher er stammt, und hin-
wiederum, wer er (der Ortskenner) ist und von welcher Macht,
das vernimm in der Kiirze von mir,
4. (1326.) wie es vielfach von den Vedadichtern in mancher-
lei Liedern im einzelnen besungen worden ist, und durch die
von Griinden begleiteten, klar dargelegten Worte der Lehr-
spriiche iiber das Brahman fbrahmasutraj.
5. (1327.) Die grofsen Elemente, der Ahaiikara (der Ich-
macher), die Buddhi, das Avyaktam [das Unentfaltete , die
Prakriti], die [mit Einschlufs von Manas] elf Indriya's und
die fiinf Objekte der Indriya's;
6. (1328.) ferner Begierde, Hafs, Lust, Schmerz, das [korper-
liche] Aggregat, Bewufstsein und Festigkeit, — damit ist in
summarischer Weise der Ort fkslietramj mit seinen Umwand-
lungen bezeichnet.
7. (1329.) Demut, Ehrlichkeit, Schonung, Nachsicht, Gerad-
sinnigkeit, Verehrung des Lehrers, Reinheit, Standhaftigkeit,
Selbstbeherrschung,
* Dieser Vers steht in C, wird in B. als unecht bezeichnet und fehlt
in den Separatausgaben.
XIII (Adhy^ya 37). 87
8. (1330.) Entsagung den Sinnendingen, Freiheit vom Ich-
bewufstsein, Einsicht in das Leiden und die Mangel von Ge-
burt, Tod, Alter und Krankheit,
9. (1331.) Nicht-Anhanglichkeit [an die Welt], Nicht-Ge-
bundensein an Kind, Weib, Haus und dergleichen, bestandige
Gleichmiitigkeit der Gedanken bei erwiinschten und un-
erwiinschten Wechselfallen,
10. (1332.) unerschiitterliche Verehrung fiir mich ohne Hin-
gebung an einen andern, Aufsuchen einsamer Orte, Unlust zu
menschlicher Gesellschaft,
11. (1333.) Standhaftigkeit in der Erkenntnis des hochsten
Selbstes und Auffassen dei: Wahrlieitserkenntnis als Zweck, —
dieses wird bezeichnet als das Wissen; als Nichtwissen das,
was davon verschieden ist.
12. (1334.) Nun will ich dir erklaren, was das Zuwissende
ist, welches erkennend man die Unsterblichkeit eriangt. Es
ist das anfanglose hochste Brahman; dieses wird bezeichnet
als das weder Seiende noch Nicht-Seiende.
13. (1335.) Nach allwarts ist es Hand, Fiifse, nach allwarts
Augen, Haupt und Mund, nach alien Seiten hin horend, die
Welt umfassend steht es da {= Qvet. Up. 3,16).
14. (1336.) Durch aller Sinne Kraft scheinend und doch
von alien Sinnen frei [bis hierher Qvet Up. 3,17], ohne [Welt-]
Anhanglichkeit und doch Trager des Weltalls , ohne Guna's
und doch Geniefser der Guna's.
15. (1337.) Aufserhalb der Wesen ist es und innerhalb,
ist das Bewegliche und das Unbewegliche ; wegen seiner Fein-
heit ist es unerkennbar, es ist das Feme und ist das Nahe.
16. (1338.) Ungeteilt wohnt es in den Wesen und doch
als ware es geteilt, es ist zu wissen als die Wesen erhaltend,
vernichtend und hervorbringend.
17. (1339.) Es ist auch das Licht der Lichter (Brih. Up.
4,4,16), es wird das Finsternisjenseitige (vgl. Vaj. Samh. 31,18)
genannt. Es ist das Wissen, das Zuwissende, durch Wissen
zu Erlangende, es weilt im Herzen eines jeden.
18. (1340.) Damit sind in der Kiirze erklart der Ort, das
Wissen und das Zuwissende. Wer mich verehrt und dies
erkennt, der geht in meine Wesenheit ein.
88 II- Bhagavadgita.
19. (1341.) Du sollst wissen, dafs die Prakriti und ebenso
der Purusha beide anfanglos sind; von den Umwandlungen aber
und den Guna's wisse, dafs sie aus der Prakriti entspringen.
20 (fehlt in C). Als Ursache von Wirkung, Werkzeug
(lies: Jcarana) und Tatersein gilt die Prakriti, als Ursache
des Geniefserseins von Lust und Schmerz gilt der Purusha.
21. (1342.) Der Purusha, in der Prakriti weilend, geniefst
namlich die aus der Prakriti entsprungenen Guna's; sein Be-
haftetsein mit den Guna's ist die Ursache fiir sein Geboren-
werden in einem guten oder schlechten Mutterschofs.
22. (1343.) Zuschauer, Bewilliger, Erhalter, Geniefser, grofser
Herr und hochster Atman, mit diesen Worten wird in diesem
Leibe der Purusha, welcher der Hochste [das hochste Prinzip]
ist, genannt.
23. (1344.) Wer in dieser Weise den Purusha wie auch
die Prakriti mitsamt ihren Guna's versteht, der wird, in welcher
Lage er sich auch immer befinden mag, nicht wieder geboren.
24. (1345.) Manche schauen mittels der Meditation [des
Yoga] das Selbst durch sich selbst in sich selbst, andere er-
kennen es durch Hingebung an die Reflexion fsdnhhyamj, noch
andere durch Hingebung an das [uninteressierte] Werk.
25. (1346.) Noch andere, welche nicht in dieser Weise zur
Erkenntnis durchdringen , horen [iiber den Atman] von an-
deren und verehren ihn, und auch diese iiberschreiten den
Tod, wenn sie sich an das gehorte Veda wort als Hochstes
halten.
26. (1347.) Wo nur immer ein Wesen entsteht, ein un-
bewegliches oder bewegliches, da geschieht dies durch Ver-
bindung des Ortskenners mit dem Ort, das wisse, o Bharatastier.
27. (1348.) Wer aber in alien Wesen den hochsten Gott
wohnen sieht, der nicht vergeht, wenn sie vergehen, wer den
sieht, der ist wahrhaft sehend.
28. (1349.) Denn indem er allerwarts denselben Gott wohnen
sieht, wird er nicht sich selbst durch sich selbst verletzen
wollen, und so geht er den hochsten Weg.
29. (1350.) Wer einsieht, dafs die Werke allerwarts nur
durch die Prakriti vollbracht werden, und dafs der Atman
Nicht -Tater ist, der ist wahrhaft sehend.
XIII (Adhy&ya 37). 89
30. (1351.) Wenn einer erkennt, dafs die Besonderheit der
Wesen in jenem Einen ihren Standort hat und von ihm her
sich ausbreitet, der geht in das Brahman ein.
31. (1352.) Vermoge seiner Anfanglosigkeit und Gunalosig-
keit wird jener unvergangHche hochste Atman, obgleich er
im Leibe weilt, o Kuntisohn, doch nicht zu einem Tater und
wird nicht befleckt.
32. (1353.) Wie der alldurchdringende Ather wegen seiner
Feinheit nicht befleckt wird, so wird auch der den ganzen
Korper durchdringende Atman doch nicht durch ihn befleckt.
33. (1354.) So wie die eine Sonne diese ganze Welt er-
leuchtet, so erleuchtet, o Bharata, der Ortsbewohner den ganzen
Ort (Leib).
34. (1355.) Wer mit dem Auge der Erkenntnis in dieser
Weise die Verschiedenheit des Ortes und des Ortskenners,
sowie die Losgelostheit der Wesen von der Prakriti erkannt
hat, der geht zum Hochsten ein.
So lautet in der Bhagavadgit&
die Hingebung an die Unterscheidung von Ort und Ortskeuner
(kshetra - kshetrajna - vibhdga-yo(/a).
XIV (Adhyaya 38).
Vers 1856-1382 (B. 1-27).
Der Heilige sprach:
1. (1356.) Als Hochstes will ich dir weiter verkiindigen
die Wissenschaft, welche von alien Wissenschaften die oberste
ist, und durch deren Erkenntnis alle Muni's von hier zur
hochsten Vollendung eingegangen sind.
2. (1357.) Indem sie, auf diese Wissenschaft gestiitzt, zur
Wesenseinheit mit mir gelangt sind, werden sie bei der Neu-
schopfung der Welt nicht wiedergeboren und brauchen beim
Weltuntergang nicht zu zittern.
3. (1358.) Mein Mutterschofs ist das grofse Brahman [hier
die Prakriti bedeutend], in dieses lege ich den Keim, und
daraus geschieht die Entstehung aller Wesen, o Bharata.
90 n. Bhagavadgita.
4. (1359.) "Was auch immer fiir Gestalten in alien Mutter-
schofsen entstehen mogen, fiir sie alle ist der Mutterschofs das
grofse Brahman, und ich bin der den Keim verleihende Vater.
5. (1360.) Sattvam, Rajas und Tamas, das sind die
Guna's, welche aus der Prakriti hervorgehen ; sie sind es,
o Grofsarmiger , welche in dem Leibe den unverganglichen
Trager des Leibes gebunden halten.
6. (1361.) Unter diesen ist das Sattvam vermoge seiner
Makellosigkeit erhellend und leidlos, es bindet durch die Be-
xiihrung mit der Lust und durch Beriihrung mit der Erkennt-
nis, o Untadeliger.
7. (1362.) Das Rajas, wisse, ist seinem Wesen nach Leiden-
schaft und entspringt aus Beriihrung mit der Begierde ftrishndj ;
es bindet, o Kuntisohn, den Leibtrager durch die Beriihrung
mit den Werken.
8. (1363.) Das Tamas, wisse, entspringt aus dem Nicht-
wissen und wirkt betaubend auf alle Leibtrager; es bindet die-
selben, o Bharata, durch Unbesonnenheit, SchlaffheitundSchlaf.
9. (1364.) Das Sattvam bringt in Beriihrung mit der Lust,
das Rajas mit dem Werke, o Bharata, das Tamas hingegen
umhiillt das Bewufstsein und bringt daher in Beriihrung mit
der Unbesonnenheit.
10. (1365.) Das Sattvam entsteht, o Bharata, indem es
Rajas und Tamas iiberwaltigt, das Rajas, indem es Sattvam
und Tamas, das Tamas, indem es Sattvam und Rajas iiber-
waltigt.
11. (1366.) Wenn durch alle [Sinnes-] Pforten in diesem
Leibe das Licht als Erkenntnis eindringt, dann nimmt das
Sattvam iiberhand, das mufs man wissen.
12. (1367.) Begierde, Tatigkeit, Unternehmen von Werken,
Unruhe, Verlangen, diese sind es, welche entstehen, wenn das
Rajas iiberhand nimmt, o Bester der Bharata's.
13. (1368.) Verdunkelung , Untatigkeit, Unbesonnenheit,
Verblendung, diese entstehen, wenn das Tamas iiberhand
nimmt, o Kurusprofs.
14. (1369.) Wenn der Verkorperte dahinscheidet, nachdem
das Sattvam iiberhand genommen hat, dann gelangt er zu
den fleckenlosen Welten der Weisesten.
XIV (Adhy&ya 38). 91
15. (1370.) Stirbt einer unter der Herrschaft des Rajas, so
wird er unter werkhaften Menschen wiedergeboren ; kommt
er um unter der Herrschaft des Tamas, so wird er in dumpfen
Mutterschofsen wiedergeboren.
16. (1371.) Die Frucht des guten Werkes gilt fiir sattva-
haft und fleckenlos, die Frucht des Rajas ist Leiden, die Frucht
des Tamas Nichtwissen.
17. (1372.) Aus dem Sattvam entsteht Wissen, aus dem
Rajas Begierde, aus dem Tamas Unbesonnenheit und Ver-
blendung, sowie das Nichtwissen.
18. (1373.) Nach oben gehen die im Sattvam Stehenden,
in der Mitte weilen die Rajashaften, die in der Betatigung
des untersten Guna lebenden Tamashaften gehen nach unten.
19. (1374.) Wenn einer als Einsichtiger erkennt, dafs kein
anderer Tater als die Guna's vorhanden ist, und wenn er den
weifs, der erhaben iiber die Guna's ist, der geht in meine
Wesenheit ein.
20. (1375.) Der Verkorperte, diese drei Guna's, die der
Ursprung des Korpers sind, hinter sich lassend, wird von
Geburt, Tod, Alter und Leiden befreit und erlangt die Un-
sterblichkeit.
Arjuna spracb :
21. (1376.) Mit welchen Merkmalen, o Herr, ist der be-
haftet, der diese drei Guna's iiberschritten hat? Welcher Art
ist sein Wandel und wie kann er iiber diese drei Guna's
hinausgelangen ?
Der Heilige sprach:
22. (1377.) Wenn einer, o Pandusohn, Erhellung, Tatig-
keit und Verblendung [die Aufserungen der drei Guna's]
nicht hafst, wo sie ihm entgegentreten , und nicht ersehnt,
wo sie ihm fehlen,
23. (1378.) wenn er, gleichwie ein Miifsiger dasitzend,
durch die Guna's nicht aus der Fassung gebracht wird, und
in der Erkenntnis, dafs nur die Guna's es sind, die ihr Wesen
treiben, abseits steht, ohne bewegt zu werden,
24. (1379.) wenn er gleichmiitig in Leid und Lust in sich
feststehend, Erdklumpen, Steine und Gold fiir einerlei haltend,
92 II- Bhagavadgita.
Liebes und Unliebes fiir gleich erachtend, standhaft bleibt und
gleichgiiltig dagegen, ob man ihn tadelt oder lobt,
25. (1380.) wenn er gleichmiitig ist bei Ehre und Unehre,
gleichmiitig zwischen den Parteien der Feinde und Freunde
und auf alle Unternehmungen verzichtet, ein solcher hat die
Guna's iiberwunden.
26. (1381.) Und wer mit unentwegter hingebender Ver-
ehrung mir anhangt, der ist, nachdem er jene Guna's iiber-
wunden hat, tauglich zur Brahmanwerdung.
27. (1382.) Denn ich bin das Fundament des unsterbUchen,
unvergangKchen Brahman, der ewigen Satzung und der un-
getriibten SeHgkeit.
So lautet in der Bhagavadgltft
die Hingobung an die Unteischeidung der drei Guna's
(guna - traya - vibhdga - yoga).
XV (Adhyaya 39).
Vers 1383-1402 (B. 1-20).
Der Heilige sprach:
1. (1383.) Es ist (Kath. Up. 6,1) die Rede von dem un-
verganglichen Agvatthabaum fFicus religiosaj*, welcher die
"Wurzel oben und die Zweige nach unten hat; seine Blatter
sind die heihgen Lieder, wer ihn kennt, der ist vedakundig.
2. (1384.) Seine Aste erstrecken sich nach oben und
nach unten, aus den Guna's erwachsend, seine Zweige
sind die Sinnendinge; nach unten zu strecken sich aus
seine Wurzeln, getrieben durch die Werke, in der Men-
schenwelt.
3. (1385.) Zwar wird seine Gestalt hienieden nicht, wie
sie geschildert wird, erkannt, nicht sein Ende, nicht sein
Anfang und nicht sein Standort, aber indem man jenen
Agvattha mit wohl erstarkter Wurzel durch das feste
Messer der NichtanhangHchkeit [an die Welt] abschneidet,
* Schon derVerfasserscheintirrtiimlichandenNyagrodha (Ficusindica)
zu deiiken; vgl. die Anmerkung zu K^th. Up. 6,1, Sechzig Upanishad's S. 284.
XV (Adhy^ya 39). 93
4. (1386.) soil man sodann jene Statte ausforschen, zu
welcher eingegangen man nicht wieder zuriickkehrt, mit
dem Gedanken: zu ihm, dem uranfanglichen Purusha,
nehme ich meine Zuflucht, von welchem die alte Welt-
entwicklung ausgegangen ist,
5. (1387.) Frei von Diinkel und Wahn nach Besiegimg
der Siinde der Weltanhanglichkeit , bestandig in dem
hochsten Atman, die Begierden verabschiedend, von den
Gegensatzen, die da heifsen Lust und Schmerz, erlost,
gehen sie frei von Verblendung zu jenem unvergang-
lichen Orte ein.
6. (1388.) Dort leuchtet nicht die Sonne, nicht der Mond,
noch auch das Feuer (vgl. Kath. Up. 5,15), wohin gelangend
sie nicht zuriickkehren ; das ist meine hochste Wohnstatte.
7. (1389.) Ein unverganglicher Teil von mir ist es, was,
in der Lebewelt zur individuellen Seele geworden, die in der
Prakriti wurzelnden [fiinf] Sinne mit Manas als sechstem an
sich heranzieht.
8. (1390.) Wenn er als Herr sich des Leibes bemachtigt
und wenn er wieder aus ihm auszieht, dann streicht er bin,
indem er jene an sich rafft, wie der "Wind die Diifte von dem
Orte, wo er weilte.
9. (1391.) Indem er iiber Ohr, Auge, Gefiihl, Geschmack
und Geruch sich zum Herrn aufwirft und ebenso iiber das
Manas, gibt er sich dem Genufs der Sinnendinge bin.
10. (1392.) Mag er ausziehen, mag er weilen, mag er, von
Guna's umkleidet, geniefsen, die Verblendeten seben ibn nicht,
es schauen ihn die, deren Auge die Erkenntnis ist.
11. (1393.) Die Yogin's, wenn sie sich abmiihen, schauen
ihn, wie er in ihnen selbst weilt; die aber unbereiteten Geistes
sind, auch wenn sie sich abmiihen, die Unverstandigen,
schauen ihn nicht.
12. (1394.) Der Glanz, der, in der Sonne weilend, die ganze
Welt erleuchtet, und der in dem Monde, der im Feuer weilt,
dieser Glanz, wisse, ist der meine,
13. (1395.) In die Erde eingehend erhalte ich die Wesen
durch meine Kraft; ich bringe alle Pflanzen zum Gedeihen,
ich werde zum Soma, dem saftreichen.
94 II- Bhagavadgita.
14. (1396.) Ich, zu dem Verdauungsfeuer geworden, gehe
ein in den Leib der Lebenden, und, von Aushauch und Ein-
hauch begleitet, verdaue ich die vier Arten der Speise [Ge-
trunkenes, Gelecktes, Gekautes und Verschlungenes].
15. (1397.) Ich bin eingegangen in das Herz eines jeden,
von mir stammt Erinnerung und Erkenntnis, sowie deren
Verlust, auch bin ich es, der durch alle Veden zu erkennen
ist, ich bin der Schopfer des Vedanta und der Kenner
des Veda.
16. (1398.) Es gibt in der Welt diese beiden Purusha's,
den verganghchen und den unverganghchen ; der vergang-
Hche sind alle Wesen, der unvergangliche wird der an der
Spitze stehende genannt.
17. (1399.) Der hochste Purusha aber ist ein anderer, er
wird der hochste Atman genannt ; eingehend in die drei Wel-
ten, tragt er sie als unverganglicher Gottherr.
18. (1400.) Weil ich dem Verganglichen iiberlegen und,
als auch iiber das Unvergangliche erhaben, der Hochste bin,
darum werde ich in der Welt und im Veda gefeiert als der
hochste Purusha.
19. (1401.) Wer mich in dieser Weise unbetort erkennt
als hochsten Purusha, der weifs [in mir] alles und verehrt
mich vermoge seines Allbewufstseins , o Bharata.
20. (1402.) Damit ist von mir, o Untadeliger, diese ge-
heimnisvolle Lehre verkiindigt worden ; wer diese erkennt, der
hat Erkenntnis, der hat das zu Erreichende erreicht, o Bharata.
So laatet in der Bhagavadgita die Hingebung an den hSchsten Purusha
(purushottama - yoga).
XVI (Adhyaya 40).
Vers 1403-1426 (B. 1-24).
Der Heilige sprach:
1. (1403.) Furchtlosigkeit, Reinheit des Wesens, Erkennt-
nis, Hingebung, Bestandigkeit , Freigebigkeit , Bezahmung,
Opfer, Vedastudium, Askese, Geradsinnigkeit,
2. (1404.) Schonung, W^ahrhaftigkeit , Nichtziirnen, Ent-
XVI (Adhy^ya 40). 95
sagung, Nicht-Hinterbringen, Mitleid mit den Wesen, Nicht-
Begehrlichkeit , Milde, Schamhaftigkeit , Nicht-Unstetsein,
3. (1405.) Energie, Geduld, Festigkeit, Sauberkeit, Harm-
losigkeit, Nicht-Uberhebung, — diese, o Bharata, werden dem
zuteil, welcher fiir ein gottliches Geschick geboren ist.
4. (1406.) Hinterlist, Stolz, Hochmut, Zorn, Schroffheit,
Nichtwissen, — diese dem, der fiir ein damonisches Geschick
geboren ist, o Prithasohn.
5. (1407.) Das gottliche Geschick fiihrt zur Erlosung, das
damonische zur Bindung. Klage nicht, o Sohn des Pandu,
du bist fiir ein gotthches Geschick geboren.
6. (1408.) Zwei Wesen sschopfungen gibt es in dieser Welt,
die gotthche und die damonische; die gottliche ist ausfiihr-
lich besprochen worden, vernimm von mir die damonische,
o Prithasohn.
7. (1409.) Die damonischen Menschen wissen nicht, was
sie tun und lassen sollen. Nicht Reinheit, nicht guter Wandel,
nicht Wahrheit ist bei ihnen zu finden.
8. (1410.) Sie behaupten, dafs die Welt ohne Wahrhaftig-
keit, ohne tragenden Grund, ohne Gott sei, nicht entstanden
durch geregelte Abkunft und nichts anderes als Geschlechts-
lust zur Ursache habend.
9. (1411.) In dieser Anschauung sich verhartend, mit ver-
derbter Seele, mit schwacher Einsicht werden sie geboren
als Ubeltater der Welt zum Schaden, die Bosewichter.
10. (1412.) Schwer zu ersattigender Lust huldigend, von
Hinterlist, Hochmut und ToUheit erfiillt, in ihrer Verblendung
eine bose Wahl wahlend, gehen sie dahin in unreinenGrundsatzen.
11. (1413.) Auf mafsloses, zum Verderben ausschlagendes
Denken sich stiitzend und den Genufs der Liiste fiir das
Hochste haltend, sind sie iiberzeugt, dafs es nichts weiter gebe.
12. (1414.) Von hundert Stricken der Hoffnungen gebunden,
nichts Hoheres als Begierde und Zorn kennend, streben sie
schrankenlos nach Aufhaufung von Giitern, um ihren Liisten
zu fronen.
13. (1415.) „Diesen Wunsch habe ich heute erreicht, diesen
„hoffe ich zu erlangen, dieses Gut habe ich und dieses wird
„mir wiederum zuteil werden.
96 II- Bhagavadgit^,.
14. (1416.) ,,dieser Feind ist von mir getotet worden und
„andere werde ich noch toten, ich bin Herr, Geniefser, voll-
„kommen, machtig und gliicklich,
15. (1417.) „ich bin reich, hochgeboren, welcher andere
„kame mir gleich, ich werde opfern, werde schenken, werde
„geniefsen", so sprechen sie, vom Nichtwissen betort.
16. (1418.) Von mancherlei Gedanken umhergetrieben , in
das Netz der Verblendung verstrickt und den Geniissen der
Lust anhangend, stiirzen sie in die unsaubere Holle hinab.
17. (1419.) Sich selbst die Ehre gebend^ hochfahrend, von
Keichtumsdiinkel und Tollheit besessen, bringen sie Opfer,
die es nur dem Namen nach sind, triigerisch und den Vor-
schriften nicht entsprechend.
18. (1420.) Gestiitzt auf Selbstsucht, Kraft, Stolz, Lust
und Zorn, hassen sie mich in ihren eigenen und in fremden
Leibern, die Norgler.
19. (1421.) Ich stiirze sie, die hassenden, grausamen, nied-
rigsten Menschen, ich stiirze sie auf ihrer Wanderung ohne
Unterlafs, die Unsauberen, in damonische Mutterleiber.
20. (1422.) Und in einen daraonischen Mutterleib geraten,
verblendet von einer Geburt zur andern, finden sie mich nicht,
o Kuntisohn, und gehen den tiefsten Weg.
21. (1423.) Dreifach ist jene Pforte der Holle, welche die
Seele vergiftet, als Begierde, als Zorn, als Liisternheit, darum
soil man diese drei meiden.
22. (1424.) Aber der Mann, o Kuntisohn, der erlost ist
aus diesen drei Pforten der Finsternis, betreibt das Heil seiner
Seele und geht den hochsten Weg.
23. (1425.) Hingegen der, welcher die Vorschriften des
Gesetzes von sich wirft und nach eigenem Belieben wandelt,
der kann nicht die Vollendung, nicht das Gliick und nicht
den hochsten AVeg erreichen.
24. (1426.) Darum moge in der Bestimmung dessen, was
zu tun und was zu lassen ist, das Gesetz deine Richtschnur
sein; erkennend, was vom Gesetze vorgeschrieben ist, mogest
du hienieden dein Werk ausfiihren.
So lautet in der Bhagavadgitft
der UnterBchied des gottlichcn und damonisohen Loses
(daiva - dsura - sampad - vibhdga).
XVII (Adhy^ya 41). 97
XVII (AcUiyaya 41).
Vers 1427-1454 (B. 1-28).
Arjuna sprach:
1. (1427.) Wie aber steht es mit denen, o Krishna, welche
zwar die Vorschrift des Gesetzes von sich werfen, aber im
Glauben Verehrung iiben? Auf welchem Boden stehen sie,
auf dem des Sattvam, des Rajas oder des Tamas?
Der Heilige sprach:
2. (1428.) Dreifach ist der Glaube der Verkorperten , wie
er aus ihrer Naturbeschaffenheit entspringt: er ist sattva-
artig, rajas-artig und tamas-artig, dariiber vernimm.
3. (1429.) Der Glaube, o Bharata, ist bei einem jeden seiner
Wesenheit entsprechend ; aus Glaube bestelit der Mensch, wie
einer glaubt, so ist er (vgl. Mokshadharma 9458).
4. (1430.) Die Sattva-artigen verehren die Gotter, die Rajas-
artigen die Halbgotter und Damonen, die iibrigen aber, die
tamas - artigen Menschen, verehren die Geister und die Ge-
spensterscharen.
5. (1431.) Diejenigen Menschen, welche eine furchtbare,
aber nicht vom Gesetz vorgeschriebene Askese iiben und da-
bei behaftet mit Heuchelei und Selbstsucht und von Lust,
Leidenschaft und Gewalttatigkeit erfiillt sind,
6. (1432.) diese Torichten qualen nur die im Leibe ver-
sammelte Schar der Elemente und mich, der ich in ihrem
Leibe weile; deren Entschliefsung, das sollst du wissen, ist
eine damonische.
7. (1433.) Dreifach aber ist audi die Nahrung, die jedem
lieb ist, und ebenso sein Opfer, seine Askese und sein Schenken.
Vernimm, was deren Unterschied ist.
8. (1434.) Die Nahrungsmittel, die das Leben, Tiichtigkeit,
Kraft, Gesundheit, Lust und Behagen vermehren, und welche
als saftreich, olig oder fest das Herz starken, die werden von
sattvahaften Menschen geliebt,
Deussen, MahAbh&ratam. 7
98 II. Bhagavadgita.
9. (1435.) Die Nahrungsmittel, die einen stechenden, sauern,
salzigen, erhitzenden, scharfen, rauhen und brennenden Ge-
schmack haben, sind bei rajasbaften Menschen beliebt und
veranlassen Schmerz, Beschwerde und Krankheit.
10. (1436.) Abgestandeiie, schal gewordene, iibelriechende,
iibertagige, iibrig gelassene und nichtopferwiirdige Speisen
werden von den tamashaften Menschen geliebt.
11. (1437.) Ein Opfer, welches im Hinbhck auf die Vor-
schrift dargebracht wird von solchen, welche nicht nach Lohn
verlangen, sondern sich dazu entschhef sen , weil man eben
opfern mufs, ein solches Opfer ist sattvahaft.
12. (1438.) Ein Opfer hingegen, welches mit Absicht auf
den Lohn oder aus Heuchelei dargebracht wird, ein solches
Opfer, o Bester der Bharata's, ist rajashaft.
13. (1439.) Ein Opfer, welches nicht vorschriftsmafsig, ohne
Spenden von Speise, ohne Vedaspriiche, ohne Opferlohn und
ohne Glauben daran dargebracht wird, ein solches Opfer nennt
man tamashaft.
14. (1440.) Verehrung der Gotter, Brahmanen, Lehrer und
Weisen, Keinheit, Geradheit, Keuschheit und Nicht- Schadigung,
diese bilden die Askese des Leibes.
15. (1441.) Eine nicht Aufregung veranlassende, wahrhafte,
freundliche und heilsame Rede, sowie die Betreibung des Veda-
studiums, diese bilden die Askese der Rede.
16. (1442.) Heiterkeit des Gemiites, Milde, Schweigen,
Selbstbeherrschung , Reinheit des Herzens, diese bilden die
Askese des Geistes.
17. (1443.) Diese dreifache, aus hochster Glaubigkeit ge-
iibte Askese, wenn sie von Menschen ohne Verlangen nach Lohn
und mit Hingebung geiibt wird, nennt man sattvahafte Askese.
18. (1444.) Eine Askese, welche um der Hochschatzung,
Bewunderung und Verehrung willen mit Heuchelei geiibt wird,
eine solche heifst rajashaft, ist wankelmiitig und unbestandig.
19. (1445.) Eine Askese, welche aus verblendeter Ent-
schliefsung die Selbstqual unternimmt, oder auch um einen
andern zu iiberbieten, eine solche heifst tamashaft.
20. (1446.) Eine Gabe, welche in dem Bewufstsein, dafs
man geben mufs, am rechten Ort zur rechten Zeit der rechten
XVII (Adhyaya 41). 99
Person, ohne dafs sie es vergelten kann, erwiesen wird, eine
solche Gabe heifst sattvahaft.
21. (1447.) Hingegen eine Gabe, welche um einer Gegen-
leistung willen oder im Hinblick auf einen Lohn mit "Wider-
streben geschenkt wird, eine solche Gabe heifst rajashaft.
22. (1448.) Eine Gabe, welche am unrechten Orte zur un-
rechten Zeit der unrechten Person mit Geringschatzung oder
Verachtung dargeboten wird, eine solche Gabe heifst tamashaft.
23. (1449.) Om, Tat, Sat (Om, Dieses, das Seiende), das
gilt als die dreifache Bezeichnung des Brahman, und kraft
dieser wurden in der Vorzeit die Brahmanen, Veden und
Opfer in ihre Stellung eingesetzt.
24. (1450.) Darum werden die vorgeschriebenen Ubungen
von Opfer, Gabe und Askese allezeit von Bekennern des
Brahman damit begonnen, dafs sie den Laut Om aussprechen.
25. (1451.) Tat (dieses sc. Brahman), mit diesem Worte
werden ohne Absicht auf Lohn die mannigfachen Verrich-
tungen von Opfer, Askese und Gaben von solchen dargebracht,
welche nach Erlosung verlangen.
26. (1452.) Das Wort Sat (das Seiende) wird gebraucht,
um die Realitat und die Giite [des Brahman] zu bezeichnen,
und so wendet man, o Prithasohn, das Wort Sat auch auf
eine riihmliche Handlung an.
27. (1453.) Sat heifst auch die Beharrlichkeit in Opfer,
Askese und Gaben, und so wird auch das um ihrer willen
unternommene Werk als sat (seiend, gut) bezeichnet.
28. (1454.) Was aber an Opfer, Gaben, Askese und Werken
ohne Glauben dargebracht wird, das, o Sohn der Pritha, heifst
asat (nicht seiend, nicht gut) und ist nichtig sowohl nach
dem Tode als auch schon hier.
So lautet in der Bhagavadgitd. die dreifache Einteilung des Glaubens
(graddhd - traya - vibhdga - yoga).
100 II. Bhagavadgita.
XVIII (Adhyaya 42).
Vers 1455-153'2 (B. 1-78).
Arjuna sprach:
1. (1455.) Das Wesen der Verzichtung wiinsche ich zu
wissen, o Grofsarmiger, und das der Entsagung, o Struppiger,
insbesondere, o Bezwinger des Ke<?in.
Der Heilige sprach:
2. (1456.) Unter Verzichtung verstehen die Weisen das
Verzichten auf Werke, die mit dem Wunsch nach Lohn ver-
richtet werden , wahrend das Entsagen hinsichtlich der Frucht
aller Werke von den Weisen Entsagung genannt wird.
3. (1457.) Einige Weise lehren, dafs man dem Werke als
einer Siinde entsagen miisse, andere behaupten, dafs dem
Opfern, dem Geben und der Askese als Werken nicht zu ent-
sagen sei.
4. (1458.) Hore hieruber meine Entscheidung in betreff der
Entsagung, o Bester der Bharata's; denn die Entsagung,
o Tiger unter den Mannern, wird als eine dreifache geriihmt.
5. (1459.) Dem Opfern, dem Geben und der Askese als
Werken ist nicht zu entsagen, sondern sie sind zu betreiben,
denn Opfern, Geben und Askese sind die Lauterungsmittel
der Weisen.
6. (1460.) Aber auch diese Werke sind nur in der Weise
zu tun, dafs man der Anhanglichkeit und dem Lohne ent-
sagt; dieses, o Prithasohn, ist mein entschiedenes und end-
giiltiges Erachten.
I'i4'^- (1461.) Hingegen ist es nicht moglich, auf ein not-
wendiges Werk zu verzichten, und wenn einem solchen aus
blofsem ^ Wahne entsagt wird, so heifst dies eine tamashafte
Entsagung.
8. (1462.) Wenn hingegen einer einem Werke, weil es mit
Schmerz verbunden ist, aus Furcht vor der korperlichen Be-
schwerde] entsagt, der libt eine rajashafte Entsagung und wird
denLohn der Entsagung nicht erlangen.
XVIII (Adhy^ya 42). 101
9. (1463.) Wenn hingegen, o Arjuna, ein notwendiges Werk
nur in dem Bewufstsein, dafs es Pflicht sei, vollbracht wird,
indem man dabei der Anhanglichkeit und dem Lohne entsagt,
so heifst diese Entsagung eine sattvahafte.
10. (1464.) Ein unangenehmes Werk nicht zu meiden und
an einem angenehmen nicht zu hangen, das ist das Zeichen
eines vom Sattvam durchdrungenen, weisen und vom Zweifel
befreiten Entsagers.
11. (1465.) Denn solange man an den Leib gebunden ist,
kann man den Werken nicht vollstandig entsagen ; wer aber
der Frucht der Werke entsagt, der verdient den Namen eines
Entsagers.
12. (1466.) Dreifach, namhch unerwiinscht, erwiinscht und
gemischt, ist die Frucht des Werkes fiir die Nichtentsagenden
nach dem Tode, in keiner Weise aber fiir die, welche ver-
zichtet haben.
13. (1467.) Erfahre von mir, o Grofsarmiger, dafs es fol-
gende fiinf Ursachen sind, durch welche nach dem auf Re-
flexion fsdfilxhyamj gestiitzten Lehrbegriff alle Werke zustande
kommen :
14. (1468.) Erstens die Lage, sodann der Tater und ferner
das Organ, dazu die mannigfachen Betatlgungen im einzelnen
und schliefslich als Fiinftes das Schicksal.
15. (1469.) Was fiir ein Werk auch immer ein Mann mit
Korper, Worten oder Gedanken unternehmen mag, sei es ein
vorschriftsmafsiges oder das Gegenteil, zu dem wirken diese
fiinf Ursachen zusammen.
16. (1470.) Wenn nun, da dem so ist, einer sich selbst allein
als Tater ansieht, der hat nicht die vollstandige Erkenntnis
und entbehrt als ein Ubelberatener der richtigen Ansieht.
17. (1471.) Derjenige, dessen Natur nicht der Selbstsucht
verfallen, dessen Einsicht nicht getriibt ist, ein solcher, wenn
er auch diese ganze Welt totete, totet doch nicht und ist
nicht gebunden.
18. (1472.) Das Erkennen, das Erkannte und der Erkenner,
in diesen liegt der dreifache Antrieb zum Handeln; das Tun,
die Tat und der Tater, in diesen liegt die dreifache Summe
der Handlung.
102 II- Bhagavadgita.
19. (1473.) Die Erkenntnis, die Tat und der Tater werden
je nach den Guna's als dreifach in der Aufzahlung der
Guna's erklart; in welcher Weise, auch das sollst du von mir
erfahren.
20. (1474.) Diejenige Erkenntnis, durch welche man in
alien Wesen die eine unvergangliche Wesenheit erblickt,
welche ungeteilt in den geteilten weilt, diese Erkenntnis,
wisse, ist sattvahaft.
21. (1475.) Diejenige Erkenntnis, welche in der Vereinze-
lung mancherlei besondere Wesenheiten in alien Wesen er-
kennt, diese Erkenntnis, wisse, ist rajashaft.
22. (1476.) Diejenige Erkenntnis, welche sich ohne Grund
an ein einzelnes Geschopf, als ware es das Ganze, anklam-
mert, gegen den Tatbestand und in kleinlicher Weise, diese
Erkenntnis wird bezeichnet als tamashaft.
23. (1477.) Ein notwendiges Werk, welches ohne Anhang-
lichkeit und ohne Leidenschaft und Hafs getan wird von
einem solchen, der nicht nach Lohn verlangt, ein solches
Werk heifst sattvahaft.
24. (1478.) Hingegen ein Werk, welches von einem nach
Erfiillung seines Wunsches Verlangenden oder auch von einem
vom Bewufstsein des eigenen Ich Erfiillten mit grofser An-
strengung getan wird, ein solches wird als rajashaft bezeichnet.
25. (1479.) Ein Werk, welches blindlings und ohne Riick-
sicht auf die Folgen, den Verlust, die Schadigung und die
cigene Leistungsfahigkeit unternommen wird, ein solches
Werk heifst tamashaft.
26. (1480.) Ein Tater, welcher frei von Anhanglichkeit,
frei von Prahlerei, mit Standhaftigkeit und Energie begabt
und dabei im Gelingen wie im Mifslingen immer sich gleich-
bleibend ist, ein solcher Tater heifst sattvahaft.
27. (1481.) Ein Tater, welcher leidenschaftlich, nach dem
Lohne seines Tuns trachtend, begehrlich, zum Schadigen ge-
neigt und unrein ist, dazu nicht frei von Freude und Trauer,
ein solcher Tater wird bezeichnet als rajashaft.
28. (1482.) Ein Tater, welcher ohne Hingebung, gemein
gesinnt, halsstarrig, verschlagen, andere herabwiirdigend, trag,
kleinmiitig, saumsehg ist, ein solcher Tater heifst tamashaft.
XVIII (Adhy^ya 42). 103
29. fi483.) Nunmehr vernimm die nach den Guna's drei-
fache Einteilung der Buddlii und der Festigkeit, wie ich sie
erschopfend im einzelnen, o Beutemacher, darlegen werde.
30. (1484.) Eine Buddhi, welche zur rechten Zeit anzu-
fangen und aufzuhoren, zu tun und zu lassen, zu schauen
und nicht zu schauen weifs und dazu der Bindung und der
Erlosung kundig ist, eine solclie Buddhi, o Sohn der Pritha,
heifst sattvahaft.
31. (1485.) Eine Buddhi, durch welche man das Rechte
und das Unrechte, das Zutuende und das Zulassende nicht,
wie es sich verhalt, erkennt, eine solche Buddhi, o Pritha-
sohn, heifst rajashaft.
32. (I486.) Eine Buddhi, welche, von Finsternis umhiillt,
das Falsche fiir das Rechte halt und alle Dinge umgekehrt sieht,
als sie sind, eine solche Buddhi, o Prithasohn, heifst tamashaft.
33. (1487.) Eine Festigkeit, durch welche man die Ver-
richtungen von Manas, Prana (Lebenshauch) und Indriya's
(Sinnesorgane) kraft einer unentwegten Yogahingehung fest-
macht, eine solche Festigkeit, o Prithasohn, ist sattvahaft.
34. (1488.) Eine Festigkeit, o Arjuna, durch die man an
dem Guten, Angenehmen und Niitzlichen mit Anklammerung
und Verlangen nach Lohn festhalt, eine solche Festigkeit,
o Prithasohn, heifst rajashaft.
35. (1489.) Eine Festigkeit, durch die ein Ubelberatener
nicht loslassen will von Schlaf, Furcht, Kummer, Verzagtheit
und Unbesonnenheit, eine solche Festigkeit gilt als tamas-
haft, o Prithasohn.
36. (1490.) Nunmehr vernimm von mir, o Stier der Bharata's,
die Lehre von der dreifachen Lust. Eine Lust, an welcher
man sich auch bei ihrer Wiederkehr erfreut und zur Befreiung
von Leiden gelangt,
37. (1491.) und welche am Anfang wie Gift und am Ende
der Ambrosia vergleichbar ist, eine solche Lust, welche aus
der Heiterkeit der Seele und des Bewufstseins entspringt,
wird sattvahaft genannt.
38. (1492.) Eine Lust, welche vermoge der Verbindung der
Sinne mit den Sinnendingen am Anfang der Ambrosia vergleich-
bar und am Ende wie Gift ist, eine solche Lust heifst rajashaft.
104 II. Bhagavadgita,.
39. (1493.) Eine Lust, welche zu Anfang und in ihrem
Verlaufe die Seele verblendet und aus Schlaf, Tragheit und
Unbesonnenheit entspringt, eine solche Lust heifst tamashaft.
40. (1494.) Es gibt keine Wesenheit weder auf der Erde,
noch im Himmel unter den Gottern, welche von diesen drei
aus der Prakriti entspringenden Guna's frei ware.
4L (1495.) Die Aufgaben der Brahmanen, Kshatriya's, Vai-
Oya's und (^udra's, o Feindbezwinger, sind unterschieden nach
den in ihrer Naturanlage hervortretenden Guna's.
42. (1496.) Kuhe, Bezahmung, Askese, Reinheit, Geduld
und Rechtschaffenheit, Wissen, Wissenschaft und positiver
Standpunkt, das ist die aus seiner Natur entspringende Auf-
gabe des Brahmanen.
43. (1497.) Heldenmut, Energie, Standhaftigkeit, Tiichtig-
keit und Ausharren im Kampfe, Freigebigkeit und Herrscher-
macht, das ist die aus seiner Natur entspringende Aufgabe
des Kshatriya.
44. (1498.) Ackerbau, Viehzucht und Handel ist die aus
seiner Natur entspringende Aufgabe des Vaigya ; die Aufgabe
des Qudra^ wie sie aus seiner Natur entspringt, besteht im
Dienen.
45. (1499.) Die Vollendung erreicht der Mensch, indem er
sich an der ihm gewordenen Aufgabe erfreut; wie er durch
die Freude an seiner Aufgabe zur Vollendung gelangt, das
vernimm.
46. (1500.) Ihn, aus welchem der Ursprung der Wesen ist
und durch welchen dieses Weltall ausgebreitet wurde, wer
diesen dadurch ehrt, dafs er die ihm gewordene Aufgabe er-
fiillt, der Mensch gelangt zur Vollendung.
47. (1501.) Besser, ist es die eigene Pflicht ohne Tiichtig-
keit als die fremde Pflicht mit Erfolg zu betreiben (= Vers 98o) ;
wer die durch seine Natur ihm auferlegte Aufgabe erfiillt, der
verfallt nicht in Siinde.
48. (1502.) Die angeborene Aufgabe, o Kuntisohn, soil man
nicht fahren lassen, auch wenn sie mit Schuld behaftet ist, denn
alles Tun ist von Schuld umhiillt wie das Feuer vom Rauche.
49. (1503.) Wer in seinem Bewufstsein ohne Weltanhang-
lichkeit, allerwarts sich selbst iiberwunden habend, frei von
XVIII (Adhyliya 42). 105
Begierde ist, der erreicht durch Entsagung die hochste Voll-
endung der Werklosigkeit.
50. (1504.) Wie der, welcher die Vollkommenheit erlangt
hat, eben damit das Brahman erlangt, das, o Kuntisohn, ver-
nimm von mir in der Kiirze, wie es der hochste Standpunkt
des Wissens ist.
51. (1505.) Mit gelauterter Erkenntnis begabt, sein Selbst
mit Festigkeit ziigelnd, auf die Sinnendinge, Tone usw., ver-
zichtend, Leidenschaft und Hafs abwerfend,
52. (1506.) die Einsamkeit suchend, leichte Nahrung zu
sich nehmend, Worte, Leib und Gedanken bezahmend, die
Hingebung an die Meditation allezeit als das Hochste er-
achtend und die Leidenschaftslosigkeit errungen habend,
53. (1507.) befreit von Selbstsucht, Gewalttatigkeit, Stolz,
Begierde, Zorn und Famihenanhang, — so wird man selbst-
los und beruhigt zur Brahmanwerdung reif.
54. (1508.) Wer aber Brahman geworden, dessen Geist ist
heiter, er trauert nicht und verlangt nicht ; gleichmiitig gegen
alle Wesen, ergreift er meine Verehrung als Hochstes.
55. (1509.) Durch die Verehrung erkennt er mich, meine
Grofse und wer ich bin, dem Wesen nach; hat er mich aber
dem Wesen nach erkannt, so geht er sogleich in dasselbe ein.
56. (1510.) Und indem er allezeit alle seine Werke tut im
Hinblick auf mich, erlangt er durch meine Gnade die ewige,
unvergangliche Statte.
57. (1511.) Indem du im Geiste alle Werke auf mich wirfst,
mich als Hochstes erachtest, sollst du, gestiitzt auf Erkennt-
nis und Hingebung, allezeit meiner gedenken.
58. (1512.) Meiner gedenkend wirst du durch meine Gnade
alle Schwierigkeiten iiberwinden; wenn du aber aus Eigen-
willen nicht auf mich horst, wirst du zugrunde gehen.
59. (1513.) Wenn du dich auf deinen Eigenwillen versteifst
und dir vornimmst, nicht zu kampfen, so ist dieser dein Ent-
schlufs ein vergeblicher ; deine Natur wird dich dazu zwingen.
60. (1514.) Bist du aber durch die aus deiner eigenen Natur
entspringende Aufgabe gebunden, dann wirst du, o Kuntisohn,
das, was du aus Verblendung nicht tun willst, auch gegen
deinen Willen tun miissen.
106 II. Bhagavadgita.
61. (1515.) Der Herr aller Wesen wohnt, o Arjuna, in der
Gegend ihres Herzens und wirbelt alle Wesen herum, als
waren sie durch die Maya an einem Rade befestigt.
62. (1516.) Zu ihm begib dich in Schutz mit deinem ganzen
Sein, 0 Bharata, dann wirst du durch seine Gnade die hochste
Ruhe und die ewige Statte erlangen.
63. (1517.) Damit ist dir das Wissen, welches geheimer
als das Geheime ist, von mir mitgeteilt worden; iiberdenke
es bei dir voll und ganz und tue, was du willst.
64. (1518.) Hore noch weiter von mir das allergeheimste,
hochste Wort ; ich liebe dich gar sehr, darum will ich sagen,
was zu deinem Heile dient.
65. (1519.) An mich denke, mir hange an, mir huldige,
mich verehre, und du wirst zu mir gelangen, ich verspreche
es dir wahrhaftig, denn du bist mir lieb.
66. (1520.) Lafs alle Satzungen dahinten, nimm zu mir
allein deine Zuflucht, ich werde dich von allem Ubel erlosen,
trauere nicht!
67. (1521.) Diese Rede darfst du niemals einem mitteilen,
der nicht asketisch gesinnt, der nicht fromm, der nicht ge-
horsam ist, und auch niemandem, der gegen mich murrt.
68. (1522.) Wer aber dieses hochste Geheimnis solchen
darlegt, welche mich verehren, der beweist mir damit die
hochste Verehrung und wird unzweifelhaft zu mir eingehen.
69. (1523.) Es ist keiner unter den Menschen, der mir
etwas Lieberes erwiese als eben ein solcher, und kein anderer
als ein solcher wird mir auf der Welt lieber sein.
70. (1524) Und wer diese heilige Unterredung zwischen
uns beiden studieren wird, der hat mir damit das Opfer der
Erkenntnis dargebracht, so denke ich dariiber.
71. (1525.) Und auch der Mann, welcher glaubig und ohne
Ubelwollen dieses hort, der wird nach seiner Befreiung vom
Leibe die herrlichen Welten derer erlangen, deren Tun
heilig war.
72. (1526.) Bast du nun, o Sohn der Pritha, dieses von
mir mit ungeteilter Aufmerksamkeit vernommen? Und ist
die Verblendung des Nichtwissens von dir gewichen, o Gut-
gewinner ?
XVIII (Adhyaya 42). 107
Arjuna sprach :
73. (1527.) Gewichen ist die Verblendung , empfangen ist
die Kunde von mir durch deine Gnade, o Unerscliutterlicher ;
fest stehe ich und frei von Zweifel ; ich werde tun nach deinera
Worte.
Sanjaya (der Erzahler) sprach:
74. (1528.) Also habe ich diese Unterredung zwischen dem
Vasudevasohne und dem hochherzigen Sohne der Pritha an-
gehort, die wunderbare, haarstraubende.
75. (1529.) Nachdem ich durch die Gnade des Vyasa dieses
hochste Geheimnis iiberkommen habe, den Yoga, wie der Herr
des Yoga, Krishna, ihn selbst unmittelbar verkiindet hat,
76. (1530.) so habe ich, o Konig, indem ich mich immer
wieder und wieder an dieses wunderbare, heihge Zwiegesprach
zwischen dem VoUhaarigen und Arjuna erinnere, jedesmal
aufs neue meine Freude daran.
77. (1531.) Und indem ich mich immer wieder und wieder
erinnere an die wunderbare Erscheinung des Hari (Vishnu),
erfiillt mich grofses Staunen, o Fiirst, und ich freue mich
daran stets wieder aufs neue.
78. (1532.) Auf wessen Seite Krishna, der Herr des Yoga,
auf wessen Seite der bogentragende Sohn der Pritha steht,
da ist Heil, Sieg, Gedeihen und ein festes Verhalten, so
glaube ich.
So lautet in der Bhagavadglt& die zur Erlosung fiihrende Entsagung
(rnoksha - sannydsa - yoya).
III.
MOKSHADHAEMA.
Mahabharatam Buch XII, Adhy^ya 174-367, Vers 6457-13943, C.
(= Buch XII, Adhyaya 174-365, B.).
Aclhyaya 174 (B. 174).
Vers 6457-6521 (B. 1-63).
Yudhishthira sprach:
1. (6457.) Die schonen Gesetze, soweit sie sich auf das
Gesetz fiir Konige beziehen, wurden von dir, dem Grofsvater,
mitgeteilt; das vortrefflichste Gesetz der asketisch Lebenden
mogest du, o Fiirst, mir nun verkiinden.
Bhishma sprach:
2. (6458.) Allerstreckend sind die Verordnungen des Ge-
setzes ; auch fiir den, der lebt und nicht dahingeschieden ist,
gibt es einen Lohn fiir seine Askese ; viele Tore hat das Ge-
setz, und auch hienieden ist seine Erfiillung nicht ohne Frucht.
3. (6459.) Aber welcher Art auch der Gegenstand sein
mag, iiber welchen irgendeiner zur Gewifsheit gelangt, so
erkennt er dadurch doch nur eben diesen Gegenstand, o Bester
der Bharata's, und keinen andern.
4. (6460.) In welcher Weise man auch immer das morsche
Gewebe dieser Welt iiberschauen mag, auf jede Weise ent-
springt daraus Abwendung von ihr, daran ist kein Zweifel.
5. (6461.) Und da somit die Welt, o Yudhishthira, als
mit vielen MSngeln behaftet sich erweist, so mufs ein ver-
standiger Mann doch wohl nach einem Mittel trachten, sein
Selbst von ihr zu erlosen.
Yudhishthira sprach:
6. (6462.) Wenn man sein Vermogen verloren hat, oder
wenn einem Weib, Sohn oder Vater gestorben ist, durch
112 III. Mokshadharma.
welche Erkenntnis kann man den Kummer abschiitteln ? Das,
o Grofsvater, sage mir.
Bhishma sprach :
7. (64G3.) Wenn man sein Vermogen verloren hat, oder
wenn einem Weib, Sohn oder Vater gestorben ist, so moge
man durch den Gedanken: „Je nun, es ist ein Schmerz!"
zur Abwerfung des Kummers gelangen.
8. (6464.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, wie zum Senajit ein ihm befreundeter Brahmane
gekommen und mit ihm gesprochen habe.
9. (6465.) Zu diesem Konige, den er, gequalt von Kummer
iiber seinen Sohn, vor Schmerz aufser Fassung und nieder-
geschlagenen Geistes sah, sprach der Brahmane dieses Wort :
10. (6466.) Warum bist du doch so ganz und gar ver-
stort, warum klagst du, wo du selbst zu beklagen bist, da
sie ja doch auch dich beklagen werden und dann selbst als
beklagenswert denselben Weg gehen miissen.
11. (6467.) Du selbst, 0 Fiirst, und ich und alle, die dir
huldigen, wir alle werden dorthin gehen, woher wir ge-
kommen sind.
Senajit sprach:
12. (6468.) Was ist das fiir eine Erkenntnis, was fiir eine
Askese, o Brahmane, was fiir eine Meditation, o Askesereicher,
was fiir ein Wissen und was fiir eine Schriftgelehrsamkeit,
welche erlangt habend, du nicht aufser Fassung kommst?
Der Brahmane sprach:
13. (6469.) Sieh doch hin, wie die Wesen auf den hochsten,
mittleren und tiefsten Stufen alliiberall bei dieser oder jener
Sache hienieden in Schmerz verstrickt sind.
14. (6470.) Auch dieses mein Selbst hier ist nicht mein,
oder auch die ganze Erde ist mein, und wie sie mein ist,
gehort sie auch den anderen, so denke ich und bleibe un-
erschiittert. (6471.) Diese Erkenntnis erlangt habend, freue
ich mich nicht und betriibe mich nicht.
15. Wie ein Stiick Holz und ein anderes Stiick Holz sich
zusammenfinden in dem grofsen Weltmeere (6472.) und, nach-
Adhyaya 174 (B. 174). 113
dem sie sich zusainmengefunden, sich wieder trennen, so steht
es mit dem Zusammenkommen der Wesen.
16. Ebenso steht es mit Kindern und Kindeskindern, mit
Bekannten und Verwandten. (6473.) Liebe zu ihnen soil man
nicht fassen, denn die Trennung von ihnen ist sicher.
17. Aus der Unsichtbarkeit herbeigekommen und wiederum
in die Unsichtbarkeit zuriickgegangen , (6474.) kennt ein an-
derer nicht dich und kennst du nicht ihn ; wer bist du denn,
dafs du etwas beklagen solltest?
18. Aus der Qual der Begierde ftrishndj entsteht der
Schmerz, aus der Qua! des Schmerzes entsteht die Lust,
(6475.) und aus Lust entsteht wiederum Schmerz, so ist es,
und abermals Schmerz.
19. Der Lust unmittelbare Folge ist Schmerz, des Schmer-
zes unmittelbare Folge ist Lust; (6476.) Lust und Schmerz bei
den Menschen roUen um wie ein Rad.
20. Wenn du aus der Lust in den Schmerz geraten bist,
so wirst du aus ihm wiederum in die Lust geraten ; (6477.) man
kann nicht immerfort Schmerz empfmden und man kann
nicht immerfort Lust empfinden (vgl. Platon, Phadon p. 60 B).
[Das Folgende nur in C.j Der Korper ist die Heimstatte so-
wohl des Schmerzes als auch der Lust.
21. (6478.) Der Korper ist die Heimstatte fiir die Lust,
und ebenso fiir den Schmerz ist die Heimstatte der
Korper ; welcher Art auch das Werk sein mag, das man
mit seinem Korper vollbringt, jedenfalls erlangt nur durch
ihn der Mensch jenes [Lust und Schmerz].
22. (6479.) Und auch das Leben entsteht zugleich mit
jenem Korper; beide entfalten sich zugleich, und beide gehen
zugleich zugrunde.
23. (6480.) Durch vielfaltige Fallstricke der Begierden haben
sich die Menschen in den Sinnendingen verfangen, und, ohne
ihren Zweck erreicht zu haben, lassen sie nach, wie Damme
aus Sand im Wasser.
24. (6481.) Wie das Sesamkorn um des Oles willen, wird
alles in dem Miihlrade der Schopfung ausgequetscht, nach-
dem man durch die Olmiiller hineingeraten ist, das heifst
Deussen, Mah4bh4ratam. «
114 in. Mokshadharma.
durch die aus dem Nichtwissen entsprungenen Charakter-
schwachen [Mega, vgl. Yogasutra 2,3).
25. (6482.) Der Mann hauft auf sich das bose Werk um seines
Weibes willen, aber er allein verfallt dadurch in Charakter-
fehler, die dem Menschen im Jenseits wie im Diesseits anhaften.
26. (6483.) An Kindern, Weibern und Familie hangen alle
Menschen; sie gehen unter in dem schlammigen Meere der
Sorgen, wie alte Waldelefanten im Schlamm.
27. (6484.) Bei Verlust der Kinder, bei Verlust des Ver-
mogens oder auch der Freunde und Verwandten empfindet
man einen sehr grofsen Schmerz, einem Waldbrandfeuer ver-
gleichbar, o Herr. (6485.) Vom Schicksal abhangig ist diese
ganze Welt in Lust und Leid, in Werden und Vergehen.
28. Mag einer keine Freunde haben oder Freunde haben,
mag er Feinde oder Bundesgenossen haben, (6486.) mag er
weise sein oder der Weisheit bar, sein Gliick empfangt er
durch das Schicksal.
29. Freunde reichen nicht aus, um gliicklich, Feinde
reichen nicht aus, um ungliicklich zu machen; (6487.) Weis-
heit reicht nicht aus, um reich, Reichtum reicht nicht aus,
um gliicklich zu werden.
30. Klugheit geniigt nicht zur Erlangung von Reichtum,
Dummheit hindert nicht am Erfolg; (6488.) diesen Verlauf des
Weltlaufes begreift der Weise und nicht der Tor.
31. Den Verstandigen und Mutigen, den Betorten und
Feigen, den Stumpfen und den Weisen, (6489.) den Schwach-
ling und den Starken, wen es trifft, dem fallt das Gliick in
den Schofs.
32. Die Kuh gehort dem Kalbe und dem Hirten und dem
Eigentiimer und dem Diebe; (6490.) wer die Milch von ihr
trinkt, dem gehort die Kuh, das ist gewifs.
33. Die Allertorichtesten im Leben und die Allerweisesten,
(6491.) diese haben leicht Erfolg, aber der zwischen beiden
Stehende hat zu leiden.
34. Der weise Mann freut sich an den Extremen, nicht
freut er sich an dem Mittelmafsigen. (6492.) In der Erlangung
eines Extrems findet man das Gliick, das Leid liegt zwischen
den beiden Extremen.
Adhy^ya 174 (B. 174). 115
35. Diejenigen aber, welche zum Gliicke der Erkenntnis
gelangt, iiber die Gegensatze erhaben und frei von Selbst-
sucht sind, (6493.) diese erschiittert weder Gliick noch Ungliick
irgendwann.
36. Hingegen diejenigen, welche noch nicht zur Erkennt-
nis gelangt, aber iiber die Stufe der Verworrenheit schon
hinausgeschritten sind, (6494.) diese sind es, welche iibermafsig
sowohl Freude als audi Qual erfahren miissen.
37. Die Verworrenen sind immer vergntigt, wie Gotter-
scharen im Himmel, (6495.) vermoge ihres grofsen Hochmutes
und ihres Stolzes, diese Toren.
38. Die Lust, wenn sie in Tragheit besteht, endigt im
Schmerz, der Schmerz, wenn er in Tatigkeit besteht, fiihrt
zur Lust, (6496.) mi thin wohnt Gedeihen und Gliick bei dem
Tatigen und nicht bei dem Tragen.
39. Aber mag es sich nun um Lust oder um Schmerz,
um Angenehmes oder Unangenehmes handeln, (6497.) das
Errungene soil man als ein Errungenes hochhalten in seinem
Herzen und sich nicht niederzwingen lassen.
40. Tausend Anlasse zu Kummer und hundert Anlasse
zur Furcht (6498.) beschleichen Tag fiir Tag den Verworrenen,
nicht den Weisen.
41. Wer verstandig ist, Erkenntnis gewonnen hat, naoh
Schriftwissen trachtet, frei von Mifsgunst, (6499.) bezahmt und
Herr seiner Sinne ist, einen solchen Mann beriihrt der Kum-
mer nicht.
42. Auf diese Erkenntnis stiitze sich der Weise und
iiberwache seine Gedanken, (6500.) dann kennt er den Auf-
gang und Untergang der Welt, und kein Schmerz kann ihn
anriihren.
43. Aus welcher Veranlassung auch immer ein Kummer
entstehen mag oder eine Qual oder ein Leid (650i.) oder eine
Gemiitsaufregung, dasjenige, woraus sie entspringen, soil man
von sich abtun, und ware es ein Glied des eigenen Korpers
(Ev. Matth. 5,29).
44. Wo irgend etwas ins Werk gesetzt wird aus egoisti-
scher Gesinnung, (6502.) da wird man diese als den ganzen
Inbegriff des Leidens fmden.
116 III. Mokshadharma.
45. Was man auch immer an Begierden wegraumt, ihr
Raum wird von Gliick ausgefiillt. (6503.) Der Mann aber,
welcher hinter den Begierden herlauft, der geht auch hinter
den Begierden her zugrunde.
46. Alles Gliick, was aus Erfiillung der Wiinsche in der
Welt, und alles, was an grorsem Gliick im Himmel sein mag,
(6504.) alle beide wiegen nicht den sechzehnten Teil des Gliickes
auf, welches in der Vernichtung der Begierde ftrislmdj besteht.
47. Alles gute Werk und alles bose, was in einer friihern
Verkorperung begangen worden ist, (6505.) das wird einem
jeden zuteil, sei er ein Weiser oder ein Tor oder ein Held,
so wie es begangen worden ist.
48. In dieser Weise fiirwahr ist alles, das Angenehme
und Unangenehme, (6506.) bei den Seelen in Umlauf mit Leid
und Lust.
49. Auf diese Erkenntnis sich stiitzend sitzt er, der Tiich-
tige, behaglich da. (6507.) Vor alien Begierden moge er sich
hiiten, die Begierden [C. : den Zorn] moge er hinter sich werfen.
50. Er, der sich im Herzen regt, er, der, wenn er er-
starkt ist, als Tod im Geiste lebt, (esos.) Zorn ist sein Name,
so wird er, weilend im Leibe der Verkorperten, von den Weisen
genannt.
51. Wenn einer von iiberallher die Begierden in sich zu-
sammenkrampft, wie die Schildkrote ihre Glieder, (6509.) dann
wird er als das Selbst in seinem Selbste das Selbstlicht schauen.
52. Wenn einer sich vor niemand fiirchtet und niemand
sich vor ihm fiirchtet, (65io.) wenn er nicht mehr begehrt und
nicht mehr hafst, dann geht er in das Brahman ein.
53. Wenn er beides aufgibt, das Wahre und das Un-
wahre, Schmerz und Freude, Furcht und Mut, wenn er Liebes
und Nichtliebes hinter sich lafst , (65ii.) dann wird er be-
ruhigten Geistes leben.
54. Wenn er als weiser Mann alien Wesen keinerlei
Ubles zufiigt, (6512.) weder in Werken, noch in Gedanken
oder Worten, dann geht er in das Brahman ein.
55. Sie, welche von Torichtgesinnten schwer aufgegeben
wird, sie, welche nicht altert mit dem Alternden , (esis.) jene
Krankheit, welche nur mit dem Leben selbst zu Ende geht,
Adhy&ya 174 (B. 174). 117
es ist die Begierde ftrisJindJ; wohl dem, der sich von ihr
befreit.
56. Dariiber hort man die Verse; o Fiirst, die einst von
der Pingala dariiber gesungen wurden, (6514.) wie sie in der
Zeit des Elends zu dem ewigen Gesetze gelangte.
57. Als namlich die Buhlerin Pingala beim Stelldichein
von ihrem Geliebten im Stiche gelassen worden war, (6515.) da
wufste sie in ihrem Elend ihren Geist zur Ruhe zu bringen.
Pingala sprach:
58. (6516.) Ich war versessen auf einen Geliebten, der nicht
auf mich versessen war, und habe ihn lange Zeit gehegt im
Innersten als meinen Liebling, aber bisher liatte ich ihn nicht
durchschaut.
59. (6517.) Von nun an werde ich das Haus mit der einen
Saule (dem Rumpf) und den neun Toren verschlossen halten,
denn welche konnte jetzt noch von dem Geliebten, wenn er
hierher kame, glauben, dafs er ein Geliebter sei.
60. (6518.) Ich Hebe nicht, und wenn sie unter dem Schein
der Liebe kommen, die Schelme, die dem Hollendamon Naraka
gleichenden, so sollen sie mich nicht wieder betriigen, ich
bin erweckt worden, ich bin wach.
61. (6519.) Auch Ungliick kann zum Glilck ausschlagen
vermoge des Schicksals oder der Werke in einer friihern Ge-
burt; ich bin erwacht, ich bin frei von sinnlichen Gestalten,
ich bin jetzt nicht mehr eine, welche die Sinne nicht iiber-
wunden hatte.
62. (6520.) Der Hoffnungsfreie schlaft sanft, Hoffnungs-
freiheit ist das hochste Gliick, denn, die Hoffnung mit Nicht-
Hoffnung vertauscht habend , schlaft ruhig die Pingala.
Bhlshma sprach:
63. (6521.) Durch diese und andere, von Griinden begleitete
Gesprache des Brahman en wieder aufgerichtet , freute sich
der Konig Senajit und war zufrieden.
So lautet im Mokshadharma
die ErzaUung vom Gesprache des Brahmauen mit Seuajit
{brdhmana - Senajit - samvdda).
118 III. Mokshadharma.
Adhyaya 175 (B. 175).*
Vers 6522-6561 (B. 1-39).
Yudhishthira sprach:
1. (6522.) In dieser hinfliefsenden Zeit, welche den Unter-
gang aller Wesen herbeifiihrt, was lafst sich da als das Beste
erreichen, das sage mir, o Grofsvater.
Bhishma sprach:
2. (6523.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlicli die Unterredung eines Vaters mit seinem
Sohne; diese vernimm, o Yudhishthira.
3. (6524.) Ein gewisser Zwiegeborener, o Sohn der Pritha,
welcher seine Freude im Vedastudium fand, hatte einen ver-
standigen Sohn, welcher Medhavin (der Verstandige) mit Na-
men hiefs.
4. (6525.) Da sprach zu seinem an der Betreibung des
Vedastudiums sich erfreuenden Vater der Sohn, welcher der
Erlosung, des Guten und des Nutzens kundig und in dem
Wesen der Welt erfahren war.
Der Sohn sprach:
5. (6526.) Was mufs wohl, o Vater, ein weiser und
verstandiger Mann tun? Denn schnell hinfallig ist das
Leben der Menschen. Das sage mir, o Vater, wie es
sich in Wahrheit verhalt, in richtiger Ordnung, damit
ich meine Pflicht erfiillen kann.
Der Vater sprach:
6. (6527.) Mein Sohn, nachdem einer im Stadium des
Brahmacarin die Veden studiert hat, soil er Sohne er-
streben zur Siihnung fiir seine Vater und, nachdem er
die Feuer angelegt und nach Vorschrift die Opferhand-
lungen betrieben hat, soil er in den Wald gehen und
sich bemiihen, ein Muni zu werden.
* Nahezu identisch mit Adhyaya 278.
Adhyaya 175 (B. 175). 119
Der Sohn sprach:
7. (6528.) Da die Welt so heimgesucht wird und vollig
abgegrenzt ist, und da die Nicht-Vergeblichen dahinfliehen,
was redest du da, als warest du weise?
Der Vater sprach:
8. (6529.) Wie soil denn die Welt heimgesucht und wo-
durch soil sie abgegrenzt sein, und wer sind hier die Nicht-
Vergeblichen, welche dahinfliehen? Wovor willst du mich
bange machen?
Der Sohn sprach:
9. (6530.) Vom Tode ist die Welt heimgesucht, ^urch das
Alter wird sie abgegrenzt, und die Tage und Nachte sind es,
welche dahinfliehen; ist dem nicht so? Warum begreifst du
das nicht?
10. (6531.) Und die Nachte sind es ja doch, welche als
die Nicht-Vergeblichen [als die uns altern Machenden] immer-
fort kommen und gehen. Wo ich dieses weifs, dafs namlich
der Tod keinen Stillstand kennt, (6532.) was kann ich mir
davon versprechen, dafs ich, von dem [vedischen] Wissen
umhiillt, dahinginge?
11. Wenn es wahr ist, dafs das Leben immer kiirzer
wird, indem eine Nacht nach der andern verstreicht, (6533.) dann
diirfte der Einsichtige weiter audi von dem Tage finden, dafs
er unfruchtbar sei.
12. Wer mochte da Freude finden, wo er doch wie ein
Fisch in seichtem Wasser ist ; (6534.) noch ehe er seine Wiinsche
erfiillt sieht, iiberkommt den Menschen der Tod.
13. Wie einen der Blumen pfliickt, so wird ihn, wahrend
sein Geist anderswohin gerichtet ist, (6535.) der Tod be-
schleichen, wie eine Wolfin das Lamm, und mit seinem
Raube davoneilen.
14. Heute noch tue, was zu deinem Besten dient; moge
diese Zeit nicht [ungenutzt] iiber dich hinweggehen. (6536.) Denn
ehe noch die Aufgaben erfiillt sind, reifst einen der Tod mit
sich fort.
15. Was morgen zu tun ist, das tue man lieber heute,
am Vormittage lieber, was nachmittags zu tun ist, (6537.) denn
120 ni. Mokshadharma.
der Tod wartet nicht, ob einer sein Werk vollendet hat oder
nicht.
16. Denn wer weifs, wessen Todesstunde lieute sein wird?
(6538.) Schon der Jiingling gewohne sich, seine Pflicht zu tun,
denn das Leben ist verganglich. Erfiillte Pflicht bringt Ruhm
auf Erden und im Jenseits Gliicksehgkeit.
17. (6539.) Denn von Verblendung besessen miiht einer
sich ab fiir Weib und Kind; aber ob er dabei das Ziel er-
reicht oder nicht, diesen ganzen Wohlstand mufs er abgeben.
18. (6540.) Wenn der Mensch mit Kindern und Herden
gesegnet ist und sein Herz daran hangt, dann, wie der Tiger
eine schlarf'ende Antilope, holt ihn der Tod.
19. (6541.) Noch ist er dabei, zu sammeln, noch sind seine
Begierden nicht gesattigt, da, wie der Tiger ein Stiick Vieh
raubt, holt ihn der Tod.
20. (6542.) „Dies ist getan, dies mufs getan werden und
jenes andere ist halb getan", so ist einer in Bestrebungen
und Befriedigungen befangen, da unterwirft ihn sich der Tod.
21. (6543.) Den Menschen, ehe er noch die Frucht seiner
getanen Geschafte einheimst, ihn, der von seinem Geschafte
den Namen tragt, ihn, der sein Herz an Pelder und Waren
und Hauser hangt, holt der Tod.
22. (6544.) Mag er schwach oder stark sein, ein Held oder
ein Feigling, dumm oder klug, ihn, ehe er noch an das Ziel
aller seiner Wiinsche gelangt ist, holt der Tod.
23. (6545.) Tod und Alter, Krankheit und Leiden, wie sie
aus vielen Ursachen hervorgehen, da diese dem Korper nach-
stellen, wie kannst du da unerschiittert bleiben?
24. (6546.) Jeden, der geboren ist, iiberkommen am Ende
Tod und Alter ; diesem Paare sind alle Wesen, die unbeweg-
lichen (Pflanzen) und beweglichen, verfallen.
25. (6547.) Eine Pforte fmukhamj des Todes ist die Ge-
schlechtslust des im Dorfe Wohnenden [Grihastha], aber ein
Sammelpunkt der Gotter ist der Wald [als Aufenthalt des
Vanaprastha] , so sagt die Schrift.
26. (6548.) Ein fesselnder Strick ist die Geschlechtslust
des im Dorfe Wohnenden. Die Guten durchschneiden ihn
und entkommen, die Bosen durchschneiden ihn nicht.
Adhyaya 175 (B. 175). 121
27. (6549.) Wer die Kreaturen nicht verletzt, weder durch
Gedanken, noch durch Worte, noch durch seinen Korper, der
wird auch nicht verletzt von Lebewesen, welche Leben und
Besitz rauben [nach B.].
28. (6550.) Kein Mensch vermag das heranziehende Heer
des Todes jemals zuriickzuschlagen ohne die Wahrheit; das
Unwahre mufs man aufgeben [nach B.], denn in der Wahr-
heit ist das Unsterbliche gegriindet.
29. (C551.) Darum, wer im Geliibde der Wahrheit wandelt,
Hingebung an die Wahrheit als das Hochste hat, in wahrer
UberHeferung und bestandiger Bezahmung verharrt, der iiber-
windet durch die Wahrheit den Tod. •*
30. (6555.) Beides, das Nicht -mehr-sterben-miissen und
das Sterben-miissen, hat seine Grundlage in der Verkorperung;
das Sterben-miissen kommt von der Verblendung, durch die
Wahrheit kommt das Nicht-mehr-sterben-miissen.
31. (6553.) Ich, der ich niemanden schadige, nach Wahr-
heit verlange, Begierde und Zorn von mir abgetan habe, bei
Leid und Lust gleichmiitig und friedfertig bin, ich werde
von dem Tode frei werden, wie ein Unsterblicher,
32. (6554.) An der Beruhigung als Darbringung mich er-
freuend, bezahmt, in der Verehrung des Brahman beharrend,
als ein Muni Rede, Gedanken und Werke als Opfer dar-
bringend, so werde ich auf dem Nordwege der Sonne [dem
Devayana] dahingehen.
33. (6555.) Wie konnte einer wie ich mit Totung ver-
bundene Tieropfer darbringen wollen? Wie konnte er als
weiser Mann endliche Frucht habende Korperopfer darbringen,
als ware er ein blutgieriger Damon?
34. (6556.) Derjenige, welcher Worte und Gedanken immer-
fort vollstandig [im Yoga] versenkt hat, wer Askese, Ent-
sagung und Wahrheit besitzt, der wahrlich erlangt das All.
35. (6557.) Kein Auge kommt der Wissenschaft gleich,
keine Askese der Wahrheit, kein Ungliick kommt der Leiden-
schaft, kein Gliick der Entsagung gleich.
36. (6558.) In meinem Selbste durch mein Selbst geboren,
in mir selbst feststehend, auch ohne Nachkommen, werde ich
122 III. Moksliadharma.
nur in dem Selbste leben, Nachkommenschaft hilft mir nicht
zur Rettung (vgl. Brih. Up. 4,4,22).
37. (6559.) Fiir einen Brahmanen steht kein Reichtum
so hoch wie Einheit, Gleichmut, Wahrhaftigkeit , Giite,
Festigkeit, Nichtstrafen und Rechtschaffenheit und, nach
und nach, in ihrem Gefolge Abstehen von den AVerken.
38. (6560.) Was sollen dir Reichtum, was Verwandte,
was sollen dir, o Brahmane, Weiber, da du sterben mufst?
Den Atman suche, der in die Hohle [des Herzens] ein-
gegangen ist. Wohin sind deine Vorvater und dein Vater
gegangen ?
Bhishma sprach:
39. (6561.) Wie es der Vater tat, nachdem er dieses Wort
des Sohnes vernommen hatte, so mogest auch du, o Fiirst,
wandeln, Wahrheit und Recht fiir das Hochste haltend.
So lautet im Mokshadharma das Gesprach zwischen Vater und Sohn
(pitd-putra-samvdda).
Adhyaya 176 (B. 176).
Vers 6562-6585 (B. 1-23).
Yudhishthira sprach :
1. (6562.) Die Reichen und die, welche besitzlos sind, leben
dahin , beide in ihrer Weise. Was fiir Freuden und Leiden
ergeben sich daraus fiir sie und in welcher Weise?
Bhishma sprach:
2. (6563.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, welche herriihrt von Qampaka, der schon hie-
nieden erlost und zur Ruhe gelangt war.
3. (6564.) Einstmals sprach zu mir ein gewisser Brahmane,
der sich der Entsagung ergeben hatte, und der von einem
bosen Weibe, von schlechter Kleidung und Hunger geplagt war :
4. (6565.) Den Menschen, wie er hier in der Welt ent-
standen, treffen von Geburt an mancherlei Leiden und Freuden.
Adhyaya 176 (B. 176). 123
5. (6566.) Was audi immer von diesen beiden ihn auf dem
einen oder andern Wege geleiten mag, wenn ihn Freude trifft,
soil er sich nicht freuen, wenn ihn Leid trifft, sich nicht be-
schwert fiihlen.
6. (G567.) Du gelangst doch nicht zu dem, was zu deinem
Heile dient, noch dazu, dafs du Herr deiner selbst bist, da
du, obgleich [in Wahrheit] einen begierdelosen Atman habend,
das Joch eben immerdar zu tragen hast.
7. (6568.) Wenn du als besitzlos umbers treiohst, so wirst
du es dir mit Behagen schmecken lassen; der Besitzlose
schlaft behaglich und steht ebenso wieder auf.
8. (6569.) Besitzlosigkeit ist ein Gliick in der Welt, sie
ist forderlich, heilsam und vor Krankheiten schiitzend; sie
ist der wahre Weg, um keine Feinde zu haben, der so schwer
und doch wieder so leicht zu fmden ist.
9. (6570.) DemBesitzlosen, Reinen, injeder HinsichtWohl-
gewappneten, — wenn ich auf alle drei Welten blicke, so fmde
ich nichts in ihnen, was dem gleichkame.
10. (6571.) Die Besitzlosigkeit und die Konigsherrschaft
habe ich auf einer Wage gegeneinander abgewogen; die Ar-
mut hatte das Ubergewicht und war auch der Konigsherr-
schaft an Trefflichkeit iiberlegen.
11. (6572.) Zwischen Besitzlosigkeit und Konigsherrschaft
besteht dieser sehr grofse Unterschied, dafs der Reiche immer-
fort in Angst lebt, als hatte ihn schon der Tod im Rachen.
12. (6573.) Uber den haben nicht das Feuer, nicht wovor
man unversehrt zu bleiben wiinscht, nicht der Tod, nicht die
Damonen Gewalt, wer durch Verzicht auf Besitz sich frei-
gemacht hat und ohne Wiinsche lebt.
13. (6574.) Wahrlich, wer immer nach Belieben herum-
streicht, ohne Streu schlaft, mit den Armen als Kopfkissen
und ohne Sorge, den preisen die Himmelsbewohner gliicklich.
14. (6575.) Der Reiche, besessen von Zorn und Habgier,
von Sinnen gebracht, mit spahendem Seitenblick, vertrock-
neten Mundes, bosartig die Brauen zusammenziehend,
15. (6576.) sich auf die Lippen beifsend, zornmiitig, von
barscher Rede, — wer mochte dem gern seine Aufwartung
machen, auch wenn er einem die ganze Erde schenken wollte.
124 ni. Mokshadharma.
16. (6577.) Das fortwahrende Zusammenwohnen mit dem
Gliick verblendet einen unverstandigen Menschen; das Gliick
fegt seine Besonnenheit hinweg, wie der Wind die Wolke im
Herbste.
17. (6578.) Dann packt ihn der Schonheitsdiinkel und der
Reichtumsdiinkel : „ich bin hochgeboren, ich bin vollkommen,
ich bin ein Ubermensch" fndsmi JcevalamdnushahJ.
18. (6579.) Durch die genannten drei Ursachen wird sein
Denken in Verwirrung gebracht, und trotz seinem Haften
[am Irdischen] verschleudert er die von den Vorfahren auf-
gehauften Genursmittel, (6580.) und, heruntergekommen , halt
er es fur recht, andern das Ihre zu rauben.
19. Und nachdem er das Mafs iiberschritten hat und
von iiberallher raubt, (658i.) verjagen ihn die Konige, wie die
Jager mit ihren Pfeilen ein wildes Tier.
20. So geschieht es, dafs diese Leiden, bald diese, bald
jene, hienieden den Menschen (6582.) in mannigfacher Weise
anfallen, wie auch die, welche aus der Antastung seines Leibes
entspringen.
21. Aus Einsicht in diese iiberaus grofsen Leiden moge
man sich dem Bettelstande ergeben, (6583.) indem man ver-
achtet, was in der Welt Branch ist bei den Sicherstehenden
und bei denen, die in unsicherer Lage sind.
22. Wer nicht entsagt hat, kommt nicht zum Gliick,
wer nicht entsagt hat, kommt nicht zum Hochsten, (6584.) wer
nicht entsagt hat, schlaft nicht in sicherer Ruhe, entsage
allem und sei gliicklich.
23. So wurde dies ehedem in Hastinapuram mir dar-
gelegt von dem Brahmanen (6585.) ^ampaka, darum halte ich
die Entsagung fiir das Hochste.
So lautet im Mokshadharma der &esang des Qamp&ka
((^ampdka-gitd).
Adhyaya 177 (B. 177). 125
Adhyaya 177 (B. 177).
Vers 6586-6639 (B. 1-54).
Yudhishthira sprach:
1. (6586.) "Wenn einer, nach grofsen Dingen strebend, den
Reichtum nicht erlangt und doch von Durst nach Reichtum
beherrscht wird, was mufs der tun, um gliicklich zu werden?
Bhishma sprach:
2. (6587.) Wenn einer in alien Lagen Gleichmut, unauf-
geregtes Wesen und Wahrhaftigkeit, o Bharata, dazu Welt-
verdrossenheit und Unternehmungslosigkeit besitzt, der ist
ein gliickliclier Mann.
3. (6588.) Die erwahnten fiinf Worte wurden von den Alten
zur Beruhigung des Gemiites mitgeteilt; das ist der Himmel
und die Gerechtigkeit , das wird fiir das allerhochste Gliick
gehalten.
4. (6589.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich was aus Weltiiberdrufs Manki vor-
getragen hat. Das vernimm, o Yudhishthira.
5. (6590.) Manki strebte nach Reichtum und war in diesem
Streben ein Mai ums andere Mai gescheitert. Da kaufte er
mit einem geringen Reste seines Vermogens ein Paar junge
Ochsen.
6. (6591.) Diese beiden jungen Ochsen waren, fest mit-
einander verbunden, ins Freie gebracht worden, um ein-
gefahren zu werden ; da rannten sie plotzlich auf ein Kamel
zu, welches gerade kniete, und nahmen es in die Mitte.
7. (6592.) Als sie sich nun an die Schultergegend des Ka-
mels herandrangten , wurde dieses ungeduldig, sprang auf,
rifs die beiden Ochslein in die Hohe und lief mit grofser
Geschwindigkeit davon.
8. (6593.) Da nun Manki sah, wie seine beiden Ochslein
von dem wiitenden Kamel fortgeschleppt wurden und den
Erstickungstod starben, da sprach er folgendes Wort:
9. (6594.) Es hilft nichts, nach Reichtum zu streben, der
einem vom Schicksal nicht gegonnt wird, selbst wenn man
126 in. Mokshadharma.
tiichtig ist und mit Glauben ausgerustet und sein Streben
mit aller Macht verfolgt.
10. (6595.) Duroh die Kettung an das Unheil meiner Werke
in einem friihern Dasein habe ich, obgleich mich bemiihend,
doch, wie ihr seht, da es mich einmal treffen sollte, das vom
Schicksal verhangte Ungliick erlitten.
11. (6596.) Dafs es [das Kamel] auf ungliicklichem Wege
dahingeht, indem es meine Ochslein immerfort wiirgt, dafs
es sie in die Hohe rifs und auf einem Abwege davonlief, das
ist ein Verhangnis, wie die Erschlagung der Krahe durch
die Palmfrucht.
12. (6597.) Wie zwei Schmuckstiicke des Kamels baumeln
meine lieben Ochslein; es ist eine Fiigung des Schicksals;
wenn das Gewalt braucht, ist die Menschentat fiir nichts.
13. (6598.) Aber selbst wenn irgend einmal das, was man
Menschentat nennt, in Frage kommen sollte, so wird sich
auch das, wenn man weiter nachforscht, als Schicksal heraus-
stellen.
14. (6599.) Darum mufs einer, der hier auf der Welt gliick-
lich zu werden wiinscht, sich der Weltentsagung zuwenden;
der schlaft ruhig, wer entsagt und die Hoffnung auf Zwecke
und Mittel aufgibt.
15. (6600.) Ach, wie richtig ist das von Quka gesagt
worden, als er sich von allem losmachte und aus dem Hause
seines Vaters in den grofsen Wald hinauszog!
16. (6601.) Gesetzt, einer erlangte alle seine Wiinsche,
und gesetzt, einer verzichtete auf sie ganz und gar, so ist
der Erlangung aller Wiinsche der Verzicht auf dieselben vor-
zuziehen.
17. (6602.) Noch nie ist irgend jemand vordem gelangt
bis zum Ziel seiner Unternehmungsgeliiste ; im Leibe und
wahrend des Lebens ist bei einem Toren der Durst ftrishndj
bestandig im Wachsen.
18. (6603.) Wende dich ab von den Unternehmungs-
geliisten, beruhige dich, indem du entsagst, o Begehrhcher;
mehr als einmal bist du schon angefiihrt worden, und willst
trotzdem nicht entsagen?
Adliyaya 177 (B. 177). 127
19. (6604.) Wenn ich [die Begierde] auch nicht bei dir
auszurotten bin, und wenn du auch in dieser Weise an mir
dich ergotzest, so maclie mich doch nicht torichterweise aus
Habsucht zu deinem Bundesgenossen, du nach Reichtum Be-
gehrender.
20. (6605.) Immer aufs neue haufst du Schatze auf und
verlierst sie immer wieder und wieder. Schhefshch mufst
du Tor doch einmal das Streben nach Reichtum von dir ab-
tun, o du nach Reichtum Begehrender.
21. (6606.) 0 weh liber meine [des Begehrenden] Torheit,
der ich [o Begierde] dein Spielzeug gewesen bin. Mochte
denn wolil jemals in dieser Weise ein Mensch sich in die
Sklaverei von anderen begeben?
22. (6607.) Noch niemals haben friiher oder spater Lebende
die Grenze der Begierden erreicht; aber nachdem ich alle
Unternehmungsgeliiste habe fahren lassen, bin ich erweckt
worden und bin jetzt wach.
23. (6608.) Gewifs ist dein Herz, o Kama (Begierde), von
diamantener Harte, da es, von hundert Ungliicksf alien ge-
troffen, nicht in hundert Stiicke zerspringt.
24. (6609.) Ich kenne dich sehr wohl, o Kama, und alles,
was dir lieb ist; solange ich danach trachte, was dir lieb
ist, fmde ich nicht in mir selbst das Gllick.
25. (6610.) 0 Kama, ich kenne deine Wurzel, du ent-
springst aus dem Verlangen; ich werde nach dir kein Ver-
langen haben, und du wirst keine Wurzeln bei mir schlagen.
26. (6611.) Das Trachten nach Reichtum ist nicht be-
gliickend, und hat man ihn erlangt, so ist die Sorge nur um
so grofser geworden ; das Entbehren des erlangten ist [bitter]
wie der Tod, mag man ihn verloren oder gar nicht gehabt
haben.
27. (6612.) Entgeht er uns [paritydge mit B.], so erreichen
wir nicht, was wir wiinschen, und was konnte schmerzlicher
als das sein! Haben wir ihn aber erlangt, so sind wir doch
nicht zufrieden und begehren immer weiter.
28. (6613.) Besitz ist nur dursterregend, siiTs wie das Wasser
der Gaiiga, aber dies fiihrt zu meinem Verderben ; ich bin er-
wacht; — entsage!
128 in. Mokshadharma.
r
29. (6614.) Die Schar von Wesen, welche diesen meinen
Leib umdrangt, die moge sich fortscheren , wohin sie will,
und bleiben, wo es ihr beliebt.
30. (6615.) Ich habe bier keine Freude mehr an euch, die
ihr mich mit Begierde und Verlangen beschleicht; darum.
streife ich alle Begierden von mir ab und nehme meine Zu-
flucht zur Wahrheit.
31. (6616.) Alle Wesen in meinem Leibe sehend und in
dem Herzen meiner selbst, und die Erkenntnis im Yoga,
die Wahrheit in der Schrift, das Herz im Brahman fest-
haltend,
32. (6617.) werde ich meine Zeit hinbringen ohne Anhang-
lichkeit, gliicklich, nicht mehr an der Welt krankend, so dafs
du [o Begierde] mich nicht mehr so wie friiher in Schmerzen
versenken wirst.
33. (6618.) Fiir mich, der ich von dir herumgestofsen
wurde, gibt es keinen andern Ausweg, denn du, o Kama,
bist allezeit die Quelle von Durst, Kummer und Miihsal.
34. (6619.) Verliert man sein Vermogen, so kommt ein
noch argeres Leid dazu, schlimmer, wie ich glaube, als alles
andere, indem die Verwandten und Freunde den, der sein
Vermogen verloren hat, verachten.
35. (6620.) Aber schlimmer noch als tausend Verachtungen
sind die dem Reichtum anhaftenden libel, und das bifschen
Gliick, was im Reichtum steckt, auch das wird nur unter
Leiden gespendet.
36. (6621.) Er hat Geld, so denkend von einem Menschen,
erschlagen ihn mit Vorliebe die Rauber; sie qualen ihn mit
mancherlei Martern und halten ihn immerfort in Angst.
37. (6622.) Die Begehrlichkeit nach Reichtum ist ein Leiden,
davon habe ich mich schon lange iiberzeugt; was du auch
immer vornehmen magst, es sei was es wolle, darin stofst
du auf Hindernisse.
38. (6623.) Du kennst das wahre Wesen nicht und bist
ein Tor, schwer zu befriedigen, ein unersattliches Feuer; du
weifst nicht mehr zu unterscheiden , was leicht zu erlangen
und was schwer zu erlangen ist.
39. (6624.) 0 Kama, wie eine schwer zu sattigende HoUe
Adhyaya 177 (B. 177). 129
willst du mich in Leiden verstricken, aber jetzt kann ich
nicht noclimals ein von dir Besessener werden.
40. (0625.) Zur Weltentsagung habe ich mich gewendet,
weil ich durch Zufall verier, was mein war; nachdem ich
vollkommene Enthaltung von allem Tun erlangt habe, brauche
ich nicht mehr Begierden nachzutrachten.
41. (6626.) Ubergrofse Plagen iiberwinde ich dadurch; ich
denke nicht mehr wie ein Unverstandiger, sondern herunter-
gebracht durch den Verlust meines Besitzes, ruhe ich, am
ganzen Leibe ohne Beschwerde.
42. (6627.) Ich gebe dich auf, o Kama, indem ich alle
Herzenswiinsche fahren lasse, weiterhin wirst du, o Kama,
keine Wohnung in mir, keine Freude an mir finden.
43. (6628.) Wenn sie mich schmahen, werde ich geduldig
sein, werde nicht wieder verletzen, wenn ich verletzt werde;
bin ich bei Feinden, so werde ich Freundhches reden und
ihrer Unfreundlichkeit keine Beachtung schenken.
44. (6629.) Zufrieden, mit gefesteten Sinnen und immer
lebend als hatte ich erreicht, was ich wollte, so seiend, werde
ich nicht tun, was du wiinschest, o Kama, der du mein
Feind bist.
45. (6630.) Weltentsagung, Heiterkeit des Gemiits, Zu-
friedenheit, Ruhe, Wahrhaftigkeit, Bezahmung, Geduld und
Mitleid mit alien Wesen, die, wisse, habe ich erreicht.
46. (6631.) Darum sollen Wunsch, Begierde, Durst und
Jammer von mir weichen, der ich Grund gefunden habe, denn
jetzt habe ich mich gegriindet auf die Wahrheit.
• 47. (6632.) Aufgebend Wunsch und Begierde, habe ich
nunmehr das Gliick gefunden; von nun an werde ich nicht
mehr unter der Herrschaft der Begierde stehen und Schmerz
■erleiden als Nicht-Herr meiner selbst.
48. (6633.) Soweit einer mit den Begierden aufraumt, so-
weit fiillt sich ihr Platz mit Gliick; wer unter der Herrschaft
der Begierde steht, der gerat immerfort in Leiden.
49. (6634.) Alle mit Begierde verkniipfte Leidenschaft
{rajasj^ die ein Mensch von sich abstofst, ist aus Begierde
^nd Zorn entspringendes Leiden, ist Schamlosigkeit und
Freudlosigkeit.
Dkusben, Mah&bh&ratam. 9
130 HI. Mokshadharma.
50. (6635.) Ich habe in Brahman meinen Grund gefunden,
Ibin wie ein kiihles Wasser mitten in der Sommerhitze, ich
bin beruhigt, volhg ausgeloscht fparinirvdmij , lauter Gliick
umfangt mich.
51. (6636.) Was in der Welt vorhanden ist an Gluck, das
aus der Lust entspringt, und was an grofsem himmhschem
Gliicke vorhanden ist, diese wiegen alle beide nicht den sech-
zehnten Teil auf von dem Gliick, welches aus Vernichtung
des Durstes ftrishndj entspringt.
52. (6637.) Den Kama als selbsiebenten und argsten Feind
niedergeworfen habend, werde ich die unbezwingliche Burg
des Brahman erobern und gliicklich wie ein Konig in ihr sein.
53. (6638.) Zu dieser Erkenntnis gelangend, erreichte Maiiki
die Weltentsagung , indem er auf alle Begierden verzichtete
und das Brahman als grofses Gliick erreichte.
54. (6639.) Weil ihm seine Ochslein verloren gingen, ge-
langte damals Maiiki zur Unsterblichkeit ; er schnitt die Wurzel
der Begierde durch, damit erlangte er grofses Gliick.
So lautet im Mokshadbarma der Gesang des Maiiki
(Manki-gitd).
Adhyaya 178 (B. 178).
Vers 6640-6652 (B. 1-13).
Bhishma sprach:
1. (6640.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, welche vorgetragen wurde von Janaka, dem Konig
der Videha's, da er zur Ruhe gelangt war.
2. (6641.) Unendlich fiirwahr ist mein Reichtum, dieweil
ich gar nichts besitze; selbst wenn Mithila in Flammen auf-
geht, gibt es nichts mehr, was mir verbrennen konnte.
3. (6642.) Hierbei fiihrt man auch die Sammlung von Merk-
wortern des Bodhya an, welche zum Zwecke der Entsagung
vorgebracht worden war; diese vernimm, o Yudhishthira.
4. (6643.) Der Konig Nahusha befragte den zur Ruhe ge-
langten Weisen Bodhya, der aus Uberdrufs an der Welt zur
Adhy^ya 178 (B. 178). 131
Ruhe gekommen war und die Erkenntnis der Lehrbiicher
satt hatte:
5. (6644.) Belehre mich, o grofser Weiser, iiber die Unter-
weisung der Beruhigung, und welcher Erkenntnis du nach-
gesonnen hast, durch die du so ruhig und heiter dahingehst.
Bodhya sprach:
6. (6645.) Mit Unterweisung befasse ich mich nicht und
belehre auch niemand hienieden, aber ein Merkwort fiir die-
selbe will ich dir sagen, das moge von dir selbst weiter iiber-
dacht werden.
7. (6646.) Die Pingala, der Seeadler, die Schlange, das
Weiden der Antilopen im Walde, der Pfeilschnitzer , das
Madchen, diese sechs sind meine Lehrer.
Bhishma sprach:
8. (6647.) Die Hoffnung, o Konig, tut uns Gewalt an, Frei-
heit von Hoffnung ist das hochste Gltick; die Hoffnung zur
Nichthoffnung gemacht habend, schlaft Piiigala sanft [vgl.
Sankhya- Sutra 4,11].
9. (6648.) Als ein Seeadler einen andern Seeadler sah, der
sich eines Fleischstiickes bemachtigt hatte und von solchen,
die ohne Beute waren, getotet wurde, da verzichtete er auf
die Beute und lebte gliicklich weiter [ahnlich, aber anders
ib. 4,5 und Bhagavata-Puranam 11,9,2].
10. (6649.) Das Bauen eines Hauses macht Not und nie-
mals Freude ; die Schlange schlupfte in das von einem andern
gebaute Haus und lebt gliicklich [vgl. Sankhya- Sutra 4,12].
11. (6650.) Gliicklich leben die Einsiedler, welche sich an
die Ernahrung durch Erbetteltes halten, ohne dafs sie irgend-
einem Wesen ein Leid an tun, wie die Antilopen, wie die Vogel.
[Der Kommentar denkt bei sdranga an Bienen, vielleicht mit
Riicksicht auf ib. 4,13, Bohtlingk an eine Vogelart.]
12. (6651.) Ein Mann, der einen Pfeil schnitzte, hatte seinen
Geist so sehr auf den Pfeil gerichtet, dafs er sogar den Konig,
der nahe an ihm vorbeiging, nicht bemerkte [ib. 4,14 und
Qahkara zu Vedanta-Sutra 3,2,10, unsere Ubersetzung S. 517],
132 ni. Mokshadharma.
13. (6652.) Wo viele sind, da entsteht immer Streit, wo
zwei sind, ist die Unterredung gesichert; ich werde mich fiir
mich allein halten, wie die kleine Muschel des Madchens
[welches ihr Muschelarmband bis auf eine Muschel entfernte,
damit ihre Gaste, fiir welche sie Reis zerstampfte, nicht durch
das Geklapper gestort wiirden; vgl. Saiikhya- Sutra ib. 4,9
und Nilakantha zu unserer Stelle, der schon die Geschichte
ahnlich erzahlt, wie sie Garbe laut seiner deutschen Uber-
setzung der Saiikhya- Sutra's p. 254 aus dem Kreise der
Benares -Pandit's miindlich sich berichten liefs].
> So lautet im Mokshadharma der Gesang des Bodhya
(Bodhya-gitd).
Adhyaya 179 (B. 179).
Vers 6653-6689 (B. 1-37).
Yudhishthira sprach:
1. (6653.) Durch welchen Wandel, o du des Wandels
Kundiger, kann einer frei von Kummer auf der Erde leben,
und was mufs ein Mann in der Welt tun, damit er zu dem
hochsten Wege gelange?
Bhishma sprach:
2. (6654.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich die Unterredung des Prahrada und des
Einsiedlers Ajagara.
3. (6655.) Einen gewissen umherpilgernden Brahmanen,
von tiichtigen Gedanken und frei von Ungemach, befragte
der Konig Prahrada, er, der Verstandige, den um seines Ver-
standes Willen Geschatzten.
Prahrada sprach:
4. (6656.) Auf dich selbst gegriindet, kraftig [C. und Nil. :
reinj, milde, bezahmt, ohne Neuerungssucht und ohne Mifs-
gunst, wohlberedt, selbstbewufst und verstandig, so ziehst
du, weiser Mann, dahin, einem Kinde gleich.
Adhyaya 179 (B. 179). 133
5. (6657.) Du verlangst nach Geschenken und bist audi
nicht bekiimmert, wenn man dir nichts schenkt, und, allezeit
zufrieden, o Brahmane, verachtest du nichts (avamanyasej.
6. (6658.) Und wahrend die Geschopfe durch den Strom
des Lebens fortgerissen werden, erscheinst du wie einer, der
sich keine Gedanken dariiber macht, und der iiber das
Streben nach dem Guten, Angenehmen und NiitzHchen er-
haben ist.
7. (6659.) Nicht bist du her hinter dem Guten und Niitz-
Hchen, und nicht bewegst du dich im Angenehmen; unbe-
kiimmert um die Sinnendinge gehst du dahin, frei wie ein
blofser Zuschauer fsakshinj.
8. (6660.) Welches ist deine Weisheit, deine Schriftgelehr-
samkeit, dein Lebenswandel , o Einsiedler? Das sage mir
geschwind, o Brahmane, und was du hienieden fur das
Heil haltst.
Bhishma sprach:
9. (6661.) Nachdem der auf die Gesetzmafsigkeit in der
Welt sich verstehende Weise also befragt worden war, sprach
er zu Prahrada mit geschmeidiger, zielbewufster Rede wie folgt :
10. (6662.) Siehe, o Prahrada! iiber die Entstehung der
Wesen, wie sie zwecklos erfolgt, iiber ihr Schwinden,Wachsen
und Vergehen empfmde ich weder Freude noch Aufregung.
11. (6663.) Als aus Naturnotwendigkeit hervorgehend mufs
man alle Entstehungen betrachten, und aus Naturnotwendig-
keit gehen sie alle zugrunde, ich empfmde keine Freude iiber
irgend etwas.
12. (6664.) Siehe, o Prahrada, die Verbindungen, wie sie
auf Trennungen hinauslaufen , und die Sammlungen, wie sie
mit Verlorengehen endigen! Ich hange mein Herz nicht an
irgend etwas.
13. (6665.) Wenn einer sieht, wie die trefflich ausgestatteten
Wesen zugrunde gehen, wenn einer das Entstehen und Ver-
gehen beobachtet, was bleibt ihm da librig, was er wohl tun
mochte ?
14. (6666.) Auch bemerke ich, wie nacheinander auch die
Wassertiere zugrunde gehen, die grofsen sowohl wie die kleinen
Leiber in dem grofsen Ozean.
134 ni. Mokshadharma.
15. (66G7.) Fiir die beweglichen und unbeweglichen Wesen,
o Gebieter der Damonen, welche auf der Erde leben, sehe ich
deutlich den Tod, der ihnen von alien Seiten droht.
16. (6668.) Und auch den die Luft durchstreifenden Vogeln,
o Bester der Danava's, steht, wenn die Zeit kommt, der Tod
bevor, wenn sie auch noch so stark sind.
17. (6669.) Und auch die am Himmel hinwandelnden Lichter,
die kleinen wie die grofsen, sehe ich herabstiirzen, wenn die Zeit
gekommen ist (vgl. Maitr.Up.1,4. Sechzig Upanishad's S. 317).
18. (6670.) Indem ich sah, wie die Wesen von dem Tode
verfolgt werden, gelangte ich als Wissender, der das Ziel
erreicht hat, zur Erkenntnis von der Gleichheit aller Wesen
und schlafe nun ruhig.
19. (6671.) Auch einen grofsen Schmaus, wenn ich ihn
zufallig erlange, lasse ich mir sphmecken, und wiederum liege
ich viele Tage da, ohne etwas zu essen.
20. (6672.) Man bietet mir manchmar vortreffliche und
reichliche Nahrung an, manchmal mafsige, manchmal spar-
liche, und manchmal kommt es iiberhaupt nicht dazu.
21. (6673.) Manchmal kaue ich an Kornern, oder ich esse
Olkuchen oder verzehre Reis und Fleisch, vornehme und ge-
ringe Nahrung, wie es kommt.
22. (6674.) Manchmal liege ich auf einem Polster, und
dann wieder schlafe ich auf der Erde, manchmal wird mir
auch ein Bett in einem Palaste zuteil.
23. (6675.) Ich kleide mich in Lumpen, in hanfene oder
leinene Kleider oder in Tierfelle, und gelegentlich trage ich
sehr kostbare Gewander.
24. (6676.) Wenn mir ein erlaubter Genufs zufallig sich
bietet, so verschmahe ich ihn nicht, trachte ihm aber auch
nicht nach, wenn er schwer zu erlangen ist.
25. (6677.) Den Unerschiitterlichen , Unverganglichen,
Seligen, Kummerlosen, Reinen, Unvergleichlichen , im
Geiste der Weisen Weilenden, von den Toren nicht Ge-
liebten und nicht Gesuchten, — dieser Losung des Aja-
gara folge ich in Reinheit.
26. (6678.) Der in seinem Denken Unentwegte, Un-
erschiitterliche , nach eigener Satzung seinen Wandel
Adhy^ya 179 (B. 179). 135
Regelnde, das Hochste und Tiefste Kennende, von Furcht,
Leidenschaft, Begierde und Verblendung Freie, — dieser
Losung des Ajagara folge ich in Reinheit.
27. (6679.) Ihn, welcher nicht [wie die individuellen
Wesen] den Genufs einer bestimmten Frucht [der Werke]
zu essen und zu trinken hat, ihn, der nur vermoge der
Umwandlung durch die Schopfung in Raum und Zeit
zerteilt wird, den Herzerfreuenden , von Unedeln nicht
Verehrten, — dieser Losung des Ajagara folge ich in
Reinheit.
28. (6680.) Den Menschen, welcher von der Begierde
ftrishndj bald nach diesem, bald nach jenem iiberwaltigt
wird, und welcher, wenn er nicht zu Reichtum kommt,
verzweifelt, wenn man einen solchen durch Erkenntnis
der wahren Wesenheit weise sich vor Augen fiihrt, —
dieser Losung des Ajagara folge ich in Reinheit.
29. (6681.) Wenn man vielfach beobachtet, wie auf
dieser Welt um des Gel des willen in jammerlicher AVeise
der edle Mensch sich an den unedeln hangt, und wenn
man sodann im Lichte der Seelenruhe seiner selbst sich
bewufst und ruhig bleibt, — dieser Losung des Ajagara
folge ich in Reinheit.
30. (6682.) Lust und Leid, Verlust und Gewinn des
Vermogens, Vergniigen und Mifsvergniigen, Sterben und
Leben, all das erkenne ich in Wahrheit als vom Schick-
sal verhangt, — dieser Losung des Ajagara folge ich in
Reinheit.
31. (6683.) Wenn ich frei von Furcht, Leidenschaft,
Verblendung und Stolz, begabt mit Festigkeit, Einsicht
und Verstand, beruhigt beobdchte, wie die Menschen die
zur Reife gekommene Werkfrucht geniefsen, — dieser
Losung des Ajagara folge ich in Reinheit.
32. (6684.) Indem ich ohne festes Lager und festen Sitz,
durch Naturanlage schon mit Bezahmung, Selbstiiber-
windung, Geliibde, Wahrheit und Reinheit begabt und
von der Anhaufung der Werkfrucht befreit, mich dessen
freue, — dieser Losung des Ajagara folge ich in Reinheit.
136 III. Mokshadharma.
33. (6685.) Wenn ich sehe, wie einer sich liinreifsen
lafst, um dem Leiden zu entgehen, von Gegenstanden
des Strebens, wahrend ich die Erkenntnis eriangt habe
und in mir selbst feststehe (lies: dtmasamsthah), wahrend
jener von Durst erfiillt ist und ohne die Macht, sein
Manas zu ziigeln, — dieser Losung des Ajagara folge
ich in Reinheit.
34. (6686.) Als ich, meinem Herzen nebst Rede und
Verstand nicht nachgebend, die Schwererreichbarkeit von
Liebem und Lust und ihre VergangHchkeit, dieses beides
iiberschaute , — dieser Losung des Ajagara folge ich in
Reinheit.
35. (6687.) Jenes von den Verstandigen vielfach Be-
sprochene und auch von den Dichtern, die den Ruhm
des Atman verkiindigen, die das Tiefe erforschen durch
eigenes und fremdes Denken und erkennen, wie das eine
hier und das andere dort ist,
36. (6688.) indem ich dieses iiberblickte und zugleich
den Abgrund, welchem unverstandige Menschen auf dieser
Welt zueilen, so freue ich mich unter den Menschen iiber
das Unendliche, welches das jenseitige Ufer endloser
Siinde ist, ich, der ich Siinde und Begierde im Zaume
halte.
Bhishma sprach:
37. (6689.) Wer hier als ein hochsinniger Mann die
von Ajagara befoTgte Losung sich zur Richtschnur nimmt,
indem er seine Leidenschaft ziigelt, der fiirwahr wird,
frei von Furcht, Begierde, Verblendung und Zorn, im
Gliick diesen Wandel befolgen.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung des Ajagara mit Frahi&da
(Ajagara - Prahrdda - samvdda).
Adhyaya 180 (B. 180). 137
Adhyaya 180 (B. 180).
Vers 6690-6744 (B, 1-54).
Yudhishthira sprach:
1. (6690.) Verwandte, Tatigkeit, Keichtum oder Wissen,
welches von diesen dient hienieden dem Menschen als Stiitze,
o Grofsvater ? Das sollst du mir, dem Fragenden, beantworten.
Bhishma sprach:
2. (6691.) Das Wissen ist die Stiitze der Wesen, das Wissen
gilt als hochster Gewinn, das Wissen ist das Allerbeste auf
der Welt, das Wissen gilt den Guten als Himmel.
3. (6692.) Durch Wissen gelangte ja auch Bali zu Reich-
tum, als seine Herrlichkeit zertriimmert war, und ebenso
Pralirada, Namuci und Maiiki; was gibt es Hoheres als das
Wissen ?
4. (6693.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich die Unterredung zwischen Indra und
KaQyapa. Diese vernimm, o Yudhishthira.
5. (6694.) Ein gewisser Vai^ya hatte mit seinem Wagen
den Kagyapa, der ein scharfes Geliibde beobachtete, den Sohn
eines Rishi, zu Fall gebracht, er, der Reiche und Stolze den
Asketen.
6. (6695.) Dieser, gequalt, da er hingefallen war, sprach
darauf, im Zorne sich selbst vergessend: „Ich will sterben,
fiir einen Armen hat das Leben auf dieser Welt keinen Zweck."
7. (6696.) Als er nun so, zu sterben verlangend, dasafs,
lautlos und ohne Gedanken, da nahte ihm Indra in Schakal-
gestalt und redete den in seinem Geiste Erschiitterten {kshuhdha
mit C.) an.
8. (6697.) Alle Wesen allerwarts trachten danach, als Men-
schen geboren zu werden, und wenn sie das Menschensein
erlangt haben, so freuen sich alle darauf, Brahmanen zu
werden. '
9. (6698.) Du bist ein Mensch und ein Brahmane, hist so-
gar ein Schriftgelehrter, o Kagyapa ; nachdem du dieses schwer
138 ni. Mokshadharma.
zu Erlangende erreicht hast, darfst du dich nicht versundigen
und sterben wollen.
10. (6699.) Aller Reichtum verleitet zur Geringschatzung,
das ist ein wahres Schriftwort; du hast eine Daseinsform,
mit der man sich wohl zufrieden geben konnte, wahrend du
sie aus Begehrhchkeit geringschatzt.
11. (6700.) 0 iiber das Gliick derer, welchen in diesem
Dasein Hande beschieden sind, ich beneide iiber die Mafsen
die, welche Hande haben.
12. (6701.) Wir Schakale beneiden die, welche Hande haben,
so wie du den Reichtum. Hande zu erhalten, dariiber hinaus
gibt es kein grofseres Gliick.
13. (6702.) Weil wir keine Hande haben, o Brahmane,
konnen wir uns keinen Dorn ausziehen, und auch die Tierchen,
die uns oben und unten am Leibe beifsen, mochten wir lieber
nicht durch Wegjucken schadigen.
14. (6703.) Hingegen die, welchen die Gotter Hande mit
zehn Fingern gegeben haben, konnen die beifsenden Insekten
von ihrem Korper ablesen und durch Kratzen verscheuchen.
15. (6704.) Sie konnen sich auch gegen Regen, Winter
und Hitze schiitzen und erfreuen sich der Kleidung und Nah-
rung, eines angenehmen Lagers und windgeschiitzten Obdachs.
16. (6705.) Und die Erde beherrschend , leben sie froh in
der Welt und lassen andere fiir sich arbeiten, und mit vielen
Mitteln machen sie dieselben sich untertanig.
17. (6706.) Diese freilich, welche keine Sprache besitzen,
bemitleidenswert , von kurzer Lebensdauer und ohne Hande
sind, miissen diese Leiden erdulden; zum Gliick steht es nicht
so mit dir, o Muni.
18. (6707.) Du bist zum Gliick kein Schakal, kein Wurm,
keine Maus, keine Schlange, kein Frosch oder sonst ein aus
schlechtem Mutterschofs Entsprossener.
19. (6708.) Schon um dieses Vorzugs willen mufst du froh
sein, o Kagyapa, um wieviel mehr, da du unter alien Ge-
schopfen als Brahmane am hochsten stehst.
20. (6709.) Mich beifsen diese Insekten, zu deren Beseitigung
ich nicht die Macht habe, weil mir die Hande fehlen. Sieh
doch diesen meinen Zustand an!
Adhyaya 180 (B. 180). 139
21. (6710.) Und doch behaupte ich nicht, dafs es nicht
auszuhalten sei, und ich gebe diesen meinen Leib nicht auf,
denn jch mochte nicht aus ihm einem noch schlechtern Mutter-
schofse verfallen.
22. (6711.) In einen mittlern unter den schlechten Mutter-
schofsen bin ich gelangt, indem ich in den einer SchakaHn
einging. Es gibt aber noch viel mehr andere schlechtere
unter den schlechten Mutterschofsen.
23. (6712.) Freilich gibt es einige, welche durch ihre Ge-
burt gliicklicher sind, aber auch andere, die um vieles un-
gliicklicher sind; ich sehe aber nicht, dafs irgendeinem
irgendwo auf der Welt ein absolutes Gliick zuteil geworden
ware.
24. (6713.) Sind die Menschen erst reich geworden, so
wiinschen sie weiterhin Konige zu sein; aus Konigen wollen
sie Gotter werden, und sind sie erst Gotter, so mochten sie
gar Indra sein.
25. (6714.) Gesetzt, du warest reich, so warest du doch
noch nicht Konig, noch nicht eine Gottheit, und hattest du
das Gottsein, ja selbst das Indrasein erlangt, so wiirdest du
auch dann noch nicht zufrieden sein.
26. (6715.) Durch Erlangung von Wiinschen ist keine
Sattigung zu finden, der Durst ftrisJmd) ist durch kein Wasser
zu stillen, er wird nur um so brennender, wie das Feuer durch
Holzscheite.
27. (6716.) Freilich, wohl hast du auch Kummer, aber
ebensosehr hast du auch Freude, und so hast du beides,
Lust und Leid, was ist da zu bejammern?
28. (6717.) Hat man sie einmal abgeschnitten, die Wurzel
aller Begierden und Bemiihungen, die Schar der Erkenntnis-
organe, [und halt sie gefangen] wie Vogel in einem Kafig,
29. (6718.) so haben wir doch dann keinen zweiten Kopf,
um ihn abzuschneiden, und keine dritte Hand ; was nicht ist,
das haben wir auch nicht mehr zu fiirchten.
30. (6719.) Ein Verlangen kann nicht irgendwo mehr ent-
stehen, wenn man seinen Geschmack nicht mehr kennt, denn
nur aus dem Beriihren, Sehen oder Horen entsteht das Ver-
langen.
140 in. Mokshadharma.
31. (6720.) Du [als Brahmane] denkst nicht mehr daran,
den Palmwein zu trinken und die Latvavogel zu schmausen,
und doch gibt es keinen Leckerbissen , der diese beiden
iibertrafe.
32. (6721.) Und was es auch sonst noch geben mag, das
sich fiir irgendeines unter den Wesen zur Speise eignet, was
auch immer du friiher niemals geschmeckt hast, daran hast
du auch keine Erinnerung.
33. (6722.) Nichts zu essen,- nichts anzufassen und nichts
anzuschauen, darin besteht die Bezahmung eines Menschen,
so meine ich, und sein Heil, daran ist kein Zweifel.
34. (6723.) FreiHch sind die, welche Hande haben, dadurch
machtig und reich; aber durch die Menschen selbst werden
die Menschen in Knechtschaft gebracht
35. (6724.) und werden immer wieder aufs neue mit den
Qualen des Todes und der Gefangenschaft bedrangt; freihch
freuen sie sich auch anderseits und jubeln und lachen.
36. (6725.) Andere wiederum, die durch ihre Arme machtig
sind, Wissenschaft erworben haben und Verstand besitzen,
fiihren einen elenden, schlechten Lebenswandel , dessen sie
sich schamen soUten.
37. (6726.) Auch gewinnen sie es wohl iiber sich, einen
andern Lebenswandel zu fiihren, doch nur soweit es durch
ihre eigenen Werke [in einer friihern Geburt] bedingt ist; —
aber dem ist so, weil es einmal sein mufs.
38. (6727.) Kein Pulkasa und kein Candala [obgleich den
niedrigsten Kasten angehorig] wunscht seinen Leib zu ver-
lassen ; vielmehr freut er sich dieser seiner Geburt ; so grofs,
siehst du, ist ihre Verblendung fmdydj.
39. (6728.) Wenn du die Menschen siehst, wie sie ge-
brechlich und lendenlahm und krank sind, so bist du doch
mit voUstandigen GHedern ausgestattet und schon durch deine
Geburt ein reicher Mann, o Kagyapa.
40. (6729.) Wenn doch, o Brahmane, dein Korper ohne
Leiden und ohne Krankheit ist, und deine GHeder vollstandig
sind, und du auch nicht unter den Leuten beschimpft wirst,
41. (6730.) nicht durch irgendeine Nachrede, die Grund
hat und dir Abbruch tut, so ermanne dich zu deiner Pflicht,
Adhyaya 180 (B. 180). 141
o brahmanischer Weiser, und wolle nicht deinen Leib auf-
geben.
42. ((5731.) Wenn du, o Brahmane, dieses horst und meinen
Worten Glauben schenkst, so wirst du fiir den im Veda be-
fohlenen Pflichtwandel einen vorziiglichen Lohn eriangen.
43. (6732,) Das Vedastudium und die Pflege der Feuer
mogest du sorgfaltig beobachten, dazu Wahrhaftigkeit , Be-
zahmung, Freigebigkeit, dann brauchst du keinen zu beneiden.
44. (6733.) Alle solche, welche das Vedastudium betreiben
und zum Opfern und Opfernlassen gelangt sind, wie konnten
die es dir wohl nachmachen und sich harmen oder an Un-
edles denken!
45. (6734.) Sie mogen ja, sobald sie es wiinschen, zu ihrer
Erbolung grofse Lust eriangen, und geboren unter einem
gliicklichen Sterne, an einem gliicklichen Tage und zur gliick-
lichen Stunde, (6735.) beeifern sie sich in dem Streben nach
Opfer, Freigebigkeit und Nachkommenschaft , je nachdem
ihnen die Moglichkeit dazu gegeben ist.
46. Andere freilich, die unter einem damonischen Sterne,
an einem schlimmen Tage und zur schlimmen Stunde ge-
boren sind, (6736.) geraten in einen damonischen Mutterschofs,
wo sie des Opferns und der Nachkommenschaft entbehren.
47. Ich war so ein kleiner Pandit, ein Griibler und Veda-
tadler, (6737.) ein Anhanger der argumentierenden Dialektik,
die nichts taugt.
48. Ich argumentierte mit Griinden, und trat in den Ver-
sammlungen als Redner auf in rasonierender Weise, (6738.) ein
lauter Schreier war ich und einer, der in den Reden iiber
Brahman die Zwiegeborenen niederredete,
49. ein Nihihst, ein Allbezweifler , ein Narr, der sich fiir
einen Gelehrten hielt. (6739.) Dafiir ist mir dies als Frucht
erwachsen, dafs ich ein Schakal bin, o Zwiegeborener.
50. Und geschieht es je, so kann es doch nur in Hun-
derten von Tagen und Nachten von jetzt an erfolgen, (6740.) dafs
ich, der ich ein Schakal bin, wieder in einen menschlichen
Mutterschofs gelange.
51. Dann wiirde ich zufrieden sein und sorgsam und
mich an Opfern, Geben und Askese erfreuen, (6741.) wiirde
142 in. Mokshadharma.
nur erforschen, was man erforschen darf, und wiirde meiden,
was zu meiden ist.
52. Darauf erhob sich der Einsiedler Kagyapa und sprach
zu jenem : (6742.) „0, wie bist du erfahxen und vol! Weisheit",
so sprach er mit Bewunderung.
53. Dann betrachtete der Brahmane ihn mit seinem durch
Erkenntnis weitsehenden Auge (6743.) und sah, dafs er unter
den Gottern der Gott Indra und der Gemahl der Qaci war.
54. Da verehrte KaQyapa den mit Falben Fahrenden
(6744.) und, von ihm entlassen, begab er sich in seine Wohnung.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung des Schakals mit E^^yapa
(srigdla - Kd^yapa- sanwdda).
Adhyaya 181 (B. 181).
Vers 6745-6764 (B. 1-20).
Yudhishthira sprach:
1. (6745.) Wenn Almosen gespendet und geopfert und
Askese geiibt worden ist, oder auch Gehorsam gegen die
Lehrer, das sage mir, o Grolsvater [was daraus folgt].
Bhlshma sprach:
2. (674G.) Vermoge des in das Ungliick verstrickten Atman
gerat das Manas in Siinde, und indem es seine Aufgabe in
unreiner Weise voUbringt, wird es einer elenden Welt zu-
gewiesen.
3. (6747.) Aus Mifswachs in Mifswachs, aus Not in Not,
aus Gefahr in Gefahr, aus Gestorbensein in weiteres Sterben
geraten die armsehgen Ubeltater.
4. (6748.) Hingegen von Fest zu Fest, von Himmel zu
Himmel, von Lust zu Lust gelangen die Glaubigen, Bezahm-
ten, Reichbegliickten, Wohltuenden.
5. (6749.) Mitten unter wilden Tieren, unter Elefanten und
auf ungangbaren Wegen, unter Schlangen, Dieben und Ge-
fahren mit gebundenen Handen gehen dahin die Unglaubigen,
was konnte schhmmer sein !
Adhyaya 181 (B. 181). 143
6. (6750.) Hingegen die, welche Gastfreundschaft an Fretin-
den und Gottern iiben, freigebig sind und ihren Freunden
wohlgesinnt, die wandeln auf dem friedevollen Wege der
Atmanhaften mit tiichtigen Handen.
7. (6751.) Wie die Spreu unter dem Weizen, wie die
Puppen unter den Schmetterlingen , so sind unter den Men-
schen diejenigen, welche sich nicht von der Pflicht antreiben
lassen.
8. (6752.) Auch wenn einer sehr schnell lauft, holt ihn
sein Schicksal ein, es liegt neben ihm, wenn er schlaft, wer
er auch sei, entsprechend seinen Taten.
9. (6753.) Es steht neben ihm, wenn er steht, und wenn
er geht, so geht es ihm nach, es vollbringt das Werk des
Wirkenden, wie sein Schatten begleitet es ihn.
10. (6754.) Was fiir ein Werk und wie es irgend jemand
vordem betrieben hat, das hat er einzig und allein jedesmal
zu biifsen als seinem Atman auferlegt.
11. (6755.) Diese Schar der Wesen, welche die Frucht
ihrer eigenen Werke [als zuriickzuzahlendes Pfand] hinter-
legt haben und von ihrem eigenen Schicksal bewacht werden
[wie Gefangene], wird von iiberallher durch die Zeit fort-
geschleppt.
12. (6756.) So wie Bliiten und Friichte, auch ohne ange-
trieben zu werden, ihre Zeit im Jahre einhalten, so auch die
vordem begangene Tat.
13. (6757.) Hochschatzung und Geringschatzung, Gewinn
und Verlust, Schwinden und Wachsen, wie sie sich begeben
haben, so kehren sie wieder, jedesmal wenn die Schicksals-
frist zu Ende geht.
14. (6758.) Durch das eigene Selbst wird das Leid ver-
hangt, durch das eigene Selbst wird die Lust verhangt ; nach
Einbettung in einem Mutterleibe wird die Frucht der friihern
Verkorperung genossen.
15. (6759.) Was einer Gutes oder Boses tut, sei es als
Kind, als Jiingling oder als Greis, dafiir erlangt er in eben-
demselben Zustande die Vergeltung.
16. (6760.) Wie unter tausend Kiihen das Kalb seine Mutter
herausfindet, so verfolgt die friiher begangene Tat ihren Tater.
144 ni. Mokshadharma.
17. (6761.) Ein Kleid, welches an seinem Saume nafs wurde,
wird nachmals rein durch die Waschtatigkeit ; so wird auch
denen, welche sich [zu ihrer Lauterung] mit Fasten abqualen,
dafiir ein langes, ein unendliches Gliick zuteil.
18. (6762.) Denjenigen, welche durch langwierige, in einem
Biifserhain geiibte Askese die Siinde durch dieses Wohlver-
halten abwerfen, gehen ihre Wiinsche in Erfiillung.
19. (6763.) Wie der Zug der Vogel in der Luft und der
Fische im Wasser nicht mit den Augen verfolgt werden kann,
so auch der Weg derer, welche die Erkenntnis hesitzen.
20. (6764.) Fort mit weiteren Zurechtweisungen und mit
der Aufzahlung von Ubertretungen ; man voUbringe in schoner
und angemessener Weise, was zum Heile der Seele dient.
So lautet im Mokshadharma der hunderteinundachtzigste AdhyAya.
Adhyaya 183 (B. 183).
Vers 6765-6803 (B. 1-38).
Yudhishthira sprach:
1. (6765.) Woraus ist diese ganze Lebewelt des Unbeweg-
lichen und Beweglichen geschaffen, und in wen geht sie beim
Weltuntergange ein? Das sage mir, o Grofsvater.
2. (6766.) Von wem ist diese Welt mit Ozeanen, Himmels-
zelt, Bergen, Wolken, Erde, Feuer und Wind geschaffen worden ?
3. (6767.) Auf welche Weise wurden die Wesen geschaffen,
auf w^elche Weise die Einteilungen in Kasten, wie kam deren
Reinheit und Unreinheit zustande und wie das Gesetz fiber
Gutes und Boses?
4. (6768.) Von welcher Art ist die Seele der lebenden
Wesen, und auf welchem Wege gehen sie, wenn sie ge-
storben sind, aus dieser Welt in jene Welt? Das alles mogest
du, 0 Herr, uns verkiinden.
Bhishma sprach:
5. (6769.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich die Belehrung, welche von Bhrigu dem
ihn befragenden Bharadvaja erteilt wurde.
Adhyaya 182 (B. 182). 145
6. (6770.) Als Bharadvaja den grofsen Weisen Bhrigu strah-
lend und von grofser Kraft auf dem Gipfel des Kailasa sitzen
sah, da befragte er ihn wie folgt:
7. (6771.) Von wem ist diese Welt mit Ozeanen, Himmels-
zelt, Bergen, Wolken, Erde, Feuer und Wind geschaffen
worden ?
8. (6772.) Auf welche Weise wurden die Wesen geschaffen,
auf welche Weise die Einteilungen der Kasten, wie kam deren
Reinheit und Unreinheit zustande und wie das Gesetz iiber
Gutes und Boses?
9. (6773.) Von welcher Art ist die Seele der lebenden
Wesen, und auf welchem Wege gehen sie, wenn sie gestorben
sind, in die andere Welt und [zuriick] in diese? Das alles
mogest du uns verkiindigen.
10. (6774.) Als der Heilige in dieser Weise von Bharadvaja
nach diesem Problem befragt wurde, da erklarte der brahman-
ahnliche Brahmanweise ihm alles.
Bhrigu sprach:
11. (6775.) Der Urspriingliche, der da heifset Mdnasa (der
Geistige), dessen Offenbarung von den grofsen Weisen ver-
nommen wurde, der anfanglose und endlose Gott, der unteil-
bare, nicht alternde und nicht sterbende,
12. (6776.) der da genannt wird der Unoffenbare favydktaj,
der Ewige, Unzerstorbare, Unvergangliche, von welchem ge-
schaffen die Wesen geboren werden und sterben,
13. (6777.) dieser Gott schuf zuerst den mit Namen Malidn
(der Grofse) Genannten ; der Mahan schuf den Ahankdra und
dieser wiederum, der Heilige, darauf
14. (6778.) ihn, der da Ather fdMgamJ genannt wird, er,
der Herr, der alle Wesen tragt; aus dem Ather entstand
das Wasser, aus dem fliissigen Elemente Feuer und Wind,
und (6779.) aus der Verbindung von Feuer und Wind entstand
dann weiter die Erde.
15. Darauf wurde von dem durch sich selbst Seienden
eine aus Kraft bestehende himmlische Lotosblume geschajffen ;
(6780.) aus dieser Lotosblume entstand der Gott Brahman, der
aus den Veden bestehende, der Umfasser,
Seussen, Mah4bh4ratam. \()
146 ni. Mokshadharma.
16. der, welcher AhahMra genannt wird, der als die Seele
von alien Wesen die Wesen schuf, (6781.) er in der Tat ist
jener kraftvolle Brahman, von welchem diese fUnf Elemente
herstammen.
17. Die Berge heifsen seine Knochen, sein Fett und
rieisch ist die Erde, (6782.) die Ozeane sind sein Blut und
der Ather (^dJcdgamJ ist sein Bauch,
18. der Wind ist sein Odem, seine Korperwarme das
Feuer, die Strome sind seine Adern, (6783.) Agni und Soma,
die Sonne und der Mond, werden als seine Augen gepriesen;
19. der Himmel droben ist sein Haupt, die Erde seine
Fiifse, die Himmelsgegenden seine Arme. (6784.) Schwer er-
kennbar ist dieser unausdenkbare Atman, sogar fiir die
Seligen, daran ist kein Zweifel.
20. Er wird als der heilige Vishnu gepriesen, als der
Unendliche ; (6785.) als das Selbst aller Wesen weilt er in den
Wesen, schwer erkennbar fiir die, deren Selbst nicht be-
reitet ist,
21. er, der den Ahankdra erschuf zum Zweck der Ent-
stehung aller Wesen, (6786.) er, aus dem alles das geworden
ist, wonach ich hier von dir gefragt wurde.
Bharadv&,ja sprach :
22. (6787.) Von dem Himmelszelte und von den Himmels-
gegenden, von dem Erdboden und von dem Feuer, welches
sind die Mafse von diesen? Diesen Zweifel lose mir der
Wahrheit gemafs.
Bhrigu sprach:
23. (6788.) Unendlich ist jener Raum fdkdgamj, bewohnt
von Seligen und Gottheiten, erfreulich, mit mancherlei Wohn-
statten iibersat, dessen Grenze unerreichbar ist.
24. (6789.) Oberhalb ihres Machtbereiches und unterhalb
werden Mond und Sonne nicht mehr gesehen, dort sind die
Gotter ihr eigenes Licht, glanzend wie die Sonne und strah-
lend wie das Feuer.
25. (6790.) Und auch sie sehen nicht die Grenze des
machtig ausgebreiteten Himmelszeltes, weil dieselbe schwer
Adhyftya 182 (B. 182). 147
erreichbar, well sie endlos ist, das lerne von mir, der du mir
die Ehre gibst.
26. (6791.) Nach oben aber und immer weiter nach oben
hin wird von flammenden, selbstleuchtenden Wesen jener
Weltraum angefiillt, der auch von Gottern nicht ausmefsbar ist.
27. (6792.) An der Grenze der Erde aber sind die Meere,
an der Grenze der Meere herrscht Finsternis, wie es heifst,
an der Grenze der Finsternis ist das Wasser, wie sie sagen,
und an der Grenze des Wassers ist Feuer.
28. (6793.) An der Grenze der Unterwelt ist Wasser, an
der Grenze des Wassers wohnen die Schlangenfiirsten , an
ihrer Grenze kommt wieder der Weltraum und an der Grenze
des Weltraums wiederum Wasser.
29. (6794.) Dieses als Grenze habend ist der Umfang des
Heiligen und des Wassers, schwer zu erkennen auch von
den Gottern des Feuers, des Windes und des Wassers.
30. (6795.) Die Erscheinungen des Feuers, Windes, Was-
sers und der Erde werden gegen den Ather [nur darum]
abgegrenzt und von ihm unterschieden, weil man die Wahr-
heit [die Einheit des Seienden] nicht erkennt fatattvadarcandtj.
31. (6796.) Und auch die Weisen lehren in den verschie-
denen Lehrbiichern, in dem Ozean der drei Wei ten, die Di-
mensionen, wie sie eben dargelegt worden sind.
32. (6797.) Aber wer konnte fiir das Unsichtbare, Unbetret-
bare einen Mafsstab ausfindig machen! Wenn doch sogar
der Machtbereich der Seligen und der Gotter ein begrenzter
ist, (6798.) dann ist der Name des Unendlichen nur bildlich
zu verstehen, wo das Wort „unendlich" gebraucht wird
33. von dem diesem Namen entsprechenden hoch-
sinnigen Mdnasa [vgl. oben Vers 6775].
34. (6799.) Wenn aber auch eine gottliche Gestalt abnimmt
und wieder zunimmt, welcher andere [aufser den Gottern]
kann das wissen, und ware dieser andere auch ein den Gottern
Gleicher.
35. (6800.) Aus jener Lotosblume wurde er geschaffen, der
allwissende, korperlich gewordene hehre Gott Brahman, der
aus Gerechtigkeit bestehende, anfangliche, hochste Prajapati.
10*
X48 HI- Mokshadharma.
Bharadvaja sprach:
36. (6801.) Wenn er aus der Lotosblume entsprungen ist,
so ist doch die Lotosblume das Al teste, und doch sagst du,
o Herr, dafs der Gott Brahman der Anfangliche ist, das ist
mein Bedenken.
Bhrigu sprach:
37. (6802.) Es ist die Gestalt des Mdnasa, welche in das
Sein als der Gott Brahman eingegangen ist, und, um ihm
einen Sitz zu bereiten, wird die Erde Lotosblume genannt.
38. (6803.) Von dieser zu einer Samenkapsel sich zu-
spitzenden Lotosblume streckt sich der Gotterberg Meru in
den Himmel hinauf und, mitten darauf stehend, schafft der
Herr der Wesen die Welten.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Bhrigu und Bharadvaja
(Bhrigu - Bharadodja - samvdda).
Adhyaya 183 (B. 183).
Vers 6804-6820 (B. 1-17).
Bharadv&,ja sprach:
1. (6804.) Wie hat der Herr jene mannigfaltige Schopfung
der Wesen geschaffen, der Gott Brahman, als er mitten auf
dem Meru stand? Das sage, o Bester der Zwiegeborenen.
Bhrigu sprach:
2. (6805.) Der Mdnasa (der Geistige) schuf durch seinen
Geist die mannigfache Schopfung der Kreaturen, und zwar
wurde zum Zwecke der Erhaltung der Wesen zuerst geschaffen
das Wasser.
3. (6806.) Dieses, welches das Leben aller Wesen ist, durch
welches die Geschopfe gedeihen und von welchem verlassen
sie zugrunde gehen, von ihm ist dieses Weltall umgeben.
4. (6807.) Die Erde, die Berge, die Wolken und was sonst
noch an festen Gestalten vorhanden ist, alles das ist, dies
soil man wissen, von Wasserart, weil das Wasser ihm als
Trager dient.
Adhyaya 183 (B. 183). 149
Bharadvaja sprach:
5. (6808.) Wie ist das Wasser entstanden? Und wie das
Feuer und die Luft? Und wie wurde die Erde geschaffen?
Dariiber bin ich in grofsem Zweifel.
Bhrigu sprach:
6. (6809.) In einem Weltalter des Brahman batten sich
einstmals, o Brahmane, die Brahmanweisen versammelt; da
entstand unter den Hochsinnigen ein Zweifel tiber die Ent-
stehung der Welt.
7. (6810.) Da standen sie, in Meditation versenkt, schweigend
und unbeweglich, ohne Nahrung, den Wind trinkend, so stan-
den die Zwiegeborenen hundert gottliche Jahre da.
8. (6811.) Da traf ihr aller Ohr eine von Brahman kom-
mende Stimme, die gottliche Sarasvati (Rede) entstand da
vom Himmel her.
9. (6812.) Vordem stand es so, dafs der unbewegliche,
unendliche, einem Berge vergleichbare Ather fdJcdgamJ, in
welchem Mond, Sonne und Wind untergegangen waren, gleich-
sam wie eingeschlafen aufglanzte.
10. (6813.) Aus ihm entstand das Wasser, wie in einer
Finsternis eine zweite Finsternis, und sodann durch Aus-
quetschung des Wassers entstand der Wind.
11. (6814.) So wie ein Gefafs, solange es ungestort bleibt,
dasteht ohne einen Ton von sich zu geben, wird es aber mit
Wasser gefullt, so macht der [entweichende] Wind es ertonen,
12. (6815.) ebenso geschah es, dafs an dem unmittelbar
vom Wasser umschlossenen Himmelsende der Wind, indem
er die Flache des Wassers durchbrach, mit Gerausch nach
oben entwich.
13. (6816.) Dieser Wind also, der durch die Ausquetschung
des Wassers entstanden war, streicht dahin, und, indem er
zu der Statte des Athers gelangt ist, kommt er doch nicht
zur Ruhe.
14. (6817.) Bei dieser Reibung zwischen Wind und Wasser
wurde das entziindete Glut habende, sehr gewaltige, mit Spitz-
flammen nach oben strebende [Feuer] offenbar und befreite
den Himmelsraum von der Dunkelheit.
150 in. Mokshadharma.
15. (6818.) Dann verbiindete sich das Feuer mit dem Wind
und trieb das Wasser in den Weltraum hinauf [als Wolken],
das Feuer aber durch seine Verbindung mit dem Winde ver-
dichtete sich [zum Sonnenfeuer].
16. (6819.) Was von dem in den Weltraum emporgedrunge-
nen (lies: nipatatah) Wasser an weiterer Feuchtigkeit zuriick-
blieb, die gelangte zur Verdichtung und wurde zur Erde.
17. (6820.) Diese Erde ist fiir die Safte, fiir alle Geriiche,
fiir die Feuchtigkeiten , sowie auch fiir die lebenden Wesen
anzusehen als der Mutterschofs, in welchem alles erzeugt wird.
So lautet im Mokshadharma die TJnterredung zwischen Bhrigu und Bharadv4ja
(Bhrigu - Bharadvdja - sainvdda).
Adhyaya 184 (B. 184).
Vers 6821-6865 (B. 1-44).
Bharadvaja sjirach:
1. (6821.) Es gibt diese fiinf Elemente, welche der Gott
Brahman ehedem schuf, von welchen diese Welten erfiillt sind
und welche als die grofsen Elemente fmahabhutdnij bezeichnet
werden.
2. (6822.) Da jener Hochweise doch Tausende von Ge-
schopfen erschaffen hat, wie ist es zu verstehen, dafs es dabei
nur fiinf Elemente gibt?
Bhrigu sprach:
3. (6823.) Nur auf jene unmefsbar grofsen bezieht sich
das Wort „grors"; die iibrigen Wesen {hhutdnij gelangen
[durch die Mahabhutani] zur Entstehung, darum ist nur fiir
jene [funf] das Wort „MahdbMta'' zutreffend.
4. (6824.) Bewegung ist der Wind, Weite der Ather, Hitze
das Feuer, Fliissigkeit das Wasser, Kompaktheit die Erde;
der Leib besteht aus alien funf Elementen.
5. (6825.) So ist aus diesen fiinf Elementen zusammen-
gefiigt das Unbewegliche (Pflanzen) und das Bewegliche (Tiere
und Menschen) ; das Gehor, der Geruch, der Geschmack, das
Gefiihl und das Gesicht heifsen die Sinne.
Adhyaya 184 (B. 184). 151
Bharadvaja sprach:
6. (6826.) Aber wenn wirklich sowohl das Unbewegliche
als das Bewegliche aus den fiinf Elementen zusammengesetzt
ist, wie kommt es, dafs in dem Korper der Unbeweglichen
(der Pflanzen) die fiinf Elemente nicht zum Vorschein kommen?
7. (6827.) Denn bei den Baumen, da sie weder Warme noch
Bewegung, sondern in Wahrheit nur Festigkeit haben, sind
doch in ihrem Korper nicht alle fiinf Elemente nachweisbar.
8. (6828.) Sie horen nicht, sie sehen nicht, sie haben kein
Bewufstsein von Geruch und Geschmack und ebenso kein
Gefiihl ; wie konnen sie also aus den fiinf Elementen bestehen ?
9. (6829.) Da die Baume weder fliissig noch feurig, noch
erdig, noch auch windhaft sind, noch auch den Raum [den
sie einnehmen] ausmessen konnen, so konnen sie doch nicht
aus den Elementen gebildet sein.
Bhrigu sprach:
10. (6830.) Wenn auch die Baume fest sind, so haben sie
doch ohne Zweifel Akaga [Raum, d. h. eine Beziehung zum
Weltraum], denn sie haben immerfort die Moglichkeit, ihre
Bliiten und Friichte [in den Raum] hinaus zu entfalten.
11. (6831.) Vermoge der Warme verwelkt das Blatt (lies:
parnam), die Rinde, die Frucht und die Bliite; sie verwelkt
und fallt ab, folglich ist im Baume Gefiihl fspargaj vorhanden.
12. (6832.) Durch den Larm, welchen der Wind, das Feuer
[beim Waldbrande] und der Donner machen, werden Friichte
und Bliiten zerstort; der Larm wird durch das Gehor wahr-
genommen, folglich horen die Baume.
13. (6833.) Die Schlingpflanze umwindet den Baum und
kriecht nach alien Seiten ; ohne Gesicht aber kann man seinen
Weg nicht finden, folglich sehen die Pflanzen.
14. (6834.) Ferner, durch gute und schlechte Geriiche und
durch mancherlei Ausraucherung werden die Pflanzen gesund
und bliihend, folglich haben sie Geruchssinn.
15. (6835.) Da er mit seinen Wurzeln das Wasser trinkt,
da er [durch unmafsigen Genufs] krank wird und in der
Krankheit [durch Arznei] geheilt wird, so mufs der Baum
auch Geschmacksvermogen besitzen.
152 in. Mokshadharma.
16. (6836.) Da die Pflanze [z. B.] durch den Stengel der
Lotosblume als Mund das Wasser in die Hohe zieht, so mufs
sie mit Luft versehen sein, um es mittels der Wurzeln empor-
zusaugen.
17. (6837.) Da sie fiir Lust und Schmerz empfanglich sind
und, wenn abgeschnitten, wieder ausschlagen, so erkenne ich
daran, dafs die Baume eine Seele f'jivaj besitzen, ein un-
beseeltes Wesen facaitanyamj gibt es nicht.
18. (6838.) Wenn dadurch das Wasser aufgesogen worden
ist, so verdauen es Feuer und Wind, und vermoge der Assimi-
lation der Nahrung bildet sicli klebriger Saft und Wachstum.
19. (6839.) Was weiter die beweglichen Wesen betrifft,
so enthalten sie alle in ihrem Korper die fiinf Elemente, und
sie lassen sich alle einzeln unterscheiden , sofern durch sie
der Korper sich bewegt.
20. (6840.) Die Haut, das Fleisch, die Knochen, das Mark
und die Sehnen als Fiinftes, der Komplex dieser Bestandteile
macht am Korper das Erdige aus.
21. (6841.) Der Glanz [des Korpers] ist Feuer, ebenso der
Zorn, das Auge und die Korperwarme, und da das Feuer
auch die Verdauung bewirkt, so sind die korperlichen Wesen
im Besitze von fiinf Feuern.
22. (6842.) Das Ohr, die Nase, der Mund, das Herz und
die Eingeweide, diese fiinf Bestandteile im Korper der lebenden
Wesen riihren [vermoge ihrer Hohlraume] vom Akaga her.
23. (6843.) Als Schleim, als Galle, als Schweifs, als Fett
und als Blut sind in fiinffacher Form die Wasser allezeit in
dem Leibe der Lebenden vorhanden.
24. (6844.) Durch den Prana wird der Lebende in Bewegung
gesetzt fpramyatej, durch den Vyana strengt er sich an fvyd-
yacchatej, der Apana geht nach unten, der Samana hat seinen
Sitz im Herzen.
25. (6845.) Durch den Udana haucht er seine Seele aus
und durch Verteilung [des Prana auf die Stimmorgane] redet
er ; in dieser Weise veranlassen diese fiinf Winde die Lebens-
tatigkeiten der Verkorperten.
26. (6846.) An der Erde nimmt der Verkorperte die Quali-
tat des Geruchs wahr, an den Wassern die des Geschmacks,
Adhy&ya 184 (B. 184). 153
durch Licht und Auge nimmt er die Gestalt wahr und durch
den Wind das Gefuhl.
27. (6847.) AIs Geruch, Gefiihl, Geschmack, Gesicht und
Gehor werden die Qualitaten der fiinf Elemente bezeichnet.
Zunachst werde ich die Eigenschaften des Geruches in aus-
fiihrlicher Darlegung mitteilen.
28. (6848.) AIs angenehm und unangenehm, als siifs, als
stechend, muffig, stickig, olig, kratzend und rein,
29. (6849.) in dieser Weise ist als neunfach zu erkennen
die der Erde angehorige Vielheit der Geriiche. Das Licht
sieht man mit den Augen, des Gefiihls wird man sich be-
wufst durch den Wind.
30. (6850.) Aufser dem [Geruche] gelten als Qualitaten Hor-
barkeit, Fiihlbarkeit , Sichtbarkeit und Schmeckbarkeit. Ich
will dir jetzt die Kenntnis der Geschmacke mitteilen; ver-
nimm sie, wie ich sie dir sage.
31. (6851.) Der Geschmack wird von den beriihmten Weisen
als vielfach gelehrt, als siifs, salzig, bitter, herb, sauer und
stechend.
32. (6852.) Dies ist die sechsfache Einteilung des Ge-
schmacks, er gilt als Qualitat des Wassers. — Das Feuer
hat die drei Qualitaten der Horbarkeit, Fiihlbarkeit und Sicht-
barkeit.
33. (G853.) Das Licht [als Sehkraft] sieht die Gestalten,
die Gestalten aber sind von vielerlei Art: kurz und lans;,
dick, viereckig und rund (lies: anuvrittavdnj,
34. (6854.) weifs und schwarz, rot, gelb und dunkelrot,
fest, glatt, geschmeidig, schliipfrig, weich und hart.
35. (6855 a.) In dieser Weise hat die Gestalt als Qualitat
des Lichts sechzehn Unterarten. — (cssia.) Der Wind hat die
zwei Qualitaten der Horbarkeit und Fiihlbarkeit.
36. (6855 b.) Die Qualitat des Windes ist die Fiihlbarkeit,
diese ist von vielerlei Art : (6856.) Warm, kalt, angenehm und
unangenehm, feucht, rein,
37. ferner hart, weich, rauh, leicht, schwer und durch-
dringend ftaraj, (6857b.) in dieser Weise wird die Fiihlbarkeit
als Qualitat des Windes zwolffach gerechnet.
154 III. Mokshadharma.
38. (6858.) Weiter wird gelehrt, dafs der Ather nur eine
Qualitat, namlich die der Horbarkeit, besitzt. Die Einteilung
des Tons, welche eine mannigfaltige ist, will ich dir sagen.
39. (C859.) Shadja, Kishabha, Gandhara, Madhyama und
Dhaivata, ferner Paficama und endlich Nishadavan [die sieben
Tone der indischen Tonleiter];
40. (G860.) so wird als siebenfach die aus dem Ather ent-
springende Qualitat erklart. Er befindet sich mit seiner
Herrschermacht iiberall und so auch in Pauken und anderen
Instrumenten.
41. (6861.) Von Tamburins, von Pauken und von Muscheln,
vom Donner und vom Wagen, und auch sonst von jedem
Tone, der gehort wird, sei es von einem lebenden oder leb-
losen Wesen, (6862.) von diesen alien gilt, dafs sie in seinen
[des Athers] Bereich gehoren.
42. So ist denn von mannigfacher Art der aus dem Ather
entspringende Ton. (6863.) Von dem aus dem Ather geborenen
Tone gilt, dafs man ihn neben den Qualitaten des Windes,
43. und auch wenn diese nicht in Bewegung gebracht
sind, wahrnimmt, jedoch ihn nicht wahrnimmt, wenn sie ihm
feindlich entgegenstehen. (6864.) Immer aber gilt, dafs die
Elemente sich durch die andern Elemente in ihrer Wirkung
verstarken.
44. Von ihnen sind Wasser, Feuer und Wind in dem
Verkorperten immer wach, (6865.) denn sie sind die Wurzel
des Korpers und befinden sich in ihm, indem sie die Lebens-
hauche durchdringen.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Bhrigu und Bharadv&ja
(Bhrigu - Bharadedja - samvdda) .
Adhyaya 185 (B. 185).
Vers 6866-6882 (B. 1-17).
Bharadvaja sprach :
1. (6866.) Wie kann, o Herr, auf der Grundlage des erdigen
Elements das im Korper befindliche Feuer bestehen und wie
kann sich in ihm der Wind durch eine besondere Art von
Hohlraumen bewegen?
Adbyaya 185 (B. 185). 155
Bhrigu sprach:
2. (6867.) Ich will dir, o Brahmane, den Weg des Windes
erklaren, o Untadeliger, und wie dieser Wind die Leiber der
Lebenden mit Macht in Bewegung setzt.
3. (6868.) Das Feuer hat seinen Sitz im Kopfe, von wo
aus es den Korper beschiitzt, der Prana aber bewegt sich,
indem er im Kopfe und im Feuer sich befindet.
4. (6869.) Er ist das Geschopf , die Seele aller Wesen, ist
der ewige Purusha, er ist Manas, Buddhi und Ahankara, ist
die "VVesen und auch das Objekt.
5. (6870.) Da dem so ist, so wird der Lebende nach alien
Richtungen bin von dem Prana [als allgemeinem Lebens-
prinzip] in Bewegung gesetzt; hinterher aber [d. h. nach der
Geburt] verfolgt jeder [der fiinf Prana' s] vermoge des Sa-
mana den ihm eigentiimlichen Weg.
6. (6871.) Indem er sich stiitzt auf die Blasenoffnung und
den Darm und sich anschliefst an das Verdauungsfeuer , be-
wegt er sich, auch sofern er Harn und Kot abfiihrt, als der Apana.
7. (6872.) Denjenigen aber, welcher sich bei Anstrengung,
Tatigkeit und Kraft in diesen dreien als einer betatigt, den
nennen die des innern Selbstes kundigen Menschen den Udana.
8. (6873.) Derjenige Wind hingegen, welcher in alle Ge-
lenke eingegangen ist in den Leibern der Menschen, der wird
bezeichnet als Vyana.
9. (6874.) Wiederum wird das in den Korperstoffen ver-
breitete Feuer angefacht durch den Samana; darin, dafs er
die Safte, die Korperstoffe und die Fliissigkeiten fdoshaj in
Bewegung versetzt, hat er seine Aufgabe.
10. (6875.) Hingegen zwischen Apana und Prana und an-
gefacht von Prana und Apana voUbringt, auf seinen Standort
[den Nabelkreis] konzentriert, das Feuer die vollstandige Ver-
dauung.
11. (6876.) Vom Munde anfangend [lies; dsyddi] und am
Ende im After auslaufend, erstreckt sich der Guda (Ein-
geweide) genannte Kanal ; aus diesem entspringen alle iibrigen
Kanale in den Lebewesen.
12. (6877.) Aus dem Zusammentreffen der Prana's entsteht
ein Zusammentreffen [mit dem Verdauungsfeuer] ; und die
156 ni. Mokshadharma.
Korperwarme ist, so soil man wissen, das Feuer, welches die
Speise der lebenden Wesen verdaut.
13. (6878.) Durch die Gewalt des Feuers dahinfahrend,
wird der Prana am Ende des Darms zuriickgetrieben , und
indem er wiederum nach oben strebt, schiirt er [seinerseits]
das Feuer an.
14. (6879.) Unterhalb des Nabels befindet sich der Pakva-
<?aya (Sitz der verdauten Nahrung), oberhalb der Amagaya
(Sitz der unverdauten Nahrung) ; in dem Nabel als Mitte des
Korpers haben alle Prana' s ihren Sitz.
15. (6880.) Auslaufend von der Mitte des Herzens, fiihren
alle (lies: sarvdh) Adern in die Quere, nach oben und nach
unten die aus der Nahrung gewonnenen Safte, wobei sie von
den zehn Prana's [den fiinf erwahnten nebst Naga, Kurma,
Krikara, Devadatta, Dhananjaya (Vedantasara § 99 Bohtl.}]
angetrieben werden.
16. (6881.) Dies ist auch der Weg der Yogabeflissenen,
auf welchem sie zu jenem Orte [der Erlosung] aufsteigen,
sie, welche die menschliche Schwache iiberwunden haben,
gleichmiitig und bestandig sind, nachdem sie ihren Atman
im Haupte gesammelt haben fddadhan!).
17. (6882.) Das in dieser Weise iiber alle Prana's und
Apana's verteilte Feuer wird [vorher] jedesmal in jenem [dem
Kopfe] zur Entflammung gebracht, in welchem es wie in einem
Feuertopfe angelegt wurde.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwiechen Bhrigu und BharadvAja
(Bhrigu - Bharadedja - samvdda).
Aclhyaya 186 (B. 186).
Vers 6883-6897 (B. 1-15).
Bharadvaja sprach:
1. (6883.) Wenn der Wind dasjenige ist, was belebt
^prdnayatej , so ist es auch der Wind, welcher bewegt und
atmet und redet, somit ist die Annahme eines Jiva (einer
individuellen Seele) unnotig.
Adhyaya 18G (B. 186). 157
2. (6884.) Wenn das Vorhandensein der Korperwarme vom
Feuer herriihrt, und wenn mittels des Feuers verdaut wird,
so ist es auch das Feuer, welches die Verdauung vollendet;
somit ist die Annahme eines Jiva unnotig.
3. (688B.) Wenn ein Mensch sich auflost, so ist von einem
Jiva nichts zu bemerken, soildern es ist nur der Wind, der
ihn verlafst, und das Vorhandensein der Korperwarme, welches
verloren geht.
4. (6886.) Wenn der Jiva windartig ware oder wenn eine
Verbindung desselben mit dem Winde stattfande, dann miifste
er, anzusehen wie ein Windwirbel, im Verein mit den Scharen
der Winde dahinfahren.
5. (6887.) Und wenn eine Verbindung mit dem Winde
statthatte, und wenn er darum [durch Losung der Verbindung]
zugrunde gehen soil, [so ist dagegen daran zu erinnern, dafs]
ein Gefafs mit Wasser, weil es von dem grofsen Meere ab-
getrennt worden ist, [darum doch nicht vergeht, sondern fort-
besteht] als ein anderes.
6. (6888.) Und wiirde man wohl Wasser in einen Brunnen
oder eine Fackel in ein Feuer hineinwerfen ? So wie diese,
hineingelangt, schnell zunichte werden wiirden, so wiirde auch
er, der Jiva, zunichte werden, [wenn er als eine Art Wind
den Korperwinden beigemischt worden sein sollte].
7. (6889.) Wozu braucht man bei diesem Korper, da er
von den fiinf [Elementen] erhalten wird, noch [aufser ihnen
als sechstes] ein Leben anzunehmen, da doch, wenn das eine
oder andere von diesen fiinfen fehlt, bei den vier librigen das
ganze Aggregat (lies: sangraha) nicht mehr bestehen kann.
8. (6890.) Das Wasser im Korper verschwindet, wenn man
keine Nahrung zu sich nimmt, der Wind, wenn man das
Atmen hemmt, der Ather, wenn man die Hohlraume [im
Korper] zerstort, das Feuer schwindet, wenn man nicht ifst;
9. (6891.) wenn man von Krankheit und Blasse gequalt
wird, so geht das erdige Element in die Briiche; kurzum,
wenn das eine oder andere von ihnen Not leidet, so geht das
Aggregat in die fiinf auseinander.
10. (6892.) Und wenn der Korper in die Fiinfheit der Ele-
mente zertallt, welchem von diesen lauft der Jiva nach? Wo-
158 III. Mokshadharma.
durch macht sich iiberhaupt der Jiva bemerklich? Hort er
vielleicht, oder spricht er? —
11. (6893.) Wenn einer sagt: diese [den Brahmanen ge-
schenkte] Kuh wird mir in der andern Welt zur Rettung
dienen, und wenn der, welcher die Kuh geschenkt hat, ge-
storben ist, wem soil denn da die Kuh zur Rettung dienen?
12. (6894.) Wenn doch sowohl die Kuh als auch der,
welcher sie annahm (lies: pratigrahitd) und der, welcher sie
gab, alle zusammen schon hier der Vernichtung anheimfallen,
wie sollen sie sich da [im Jenseits] wieder begegnen?
13. (6895.) Wenn einer von Vogeln verzehrt wurde oder
von einem Berge abstiirzte oder vom Feuer verzehrt wurde,
woher soil der zu neuem Leben kommen?
14. (6896.) Wenn von einem abgehauenen Baume die Wur-
zel nicht wieder ausschlagt, sondern nur sein Same sich fort-
pflanzt, wie soUte da ein Toter wiederkommen ?
15. (6897.) Nur der Same, der einst sich ergofs, ist es,
der hier seinen Kreislauf vollendet; die Toten sind tot und
dahin; nur aus Samen entwickelt sich neuer Samen.
So lautet im Mokshadharma. der Angrifl gegen die Natur der Seele
(jtva- svarUpa- dkshepa).
Adhyaya 187 (B. 187).
Vers 6898-6929 (B. 1-31).
Bhrigu sprach:
1. (6898.) Es gibt keinen Vergang des Jiva (der indivi-
duellen Seele), noch auch des Geschenkten oder des Voll-
,brachten. Der Lebende geht in einen andern Leib ein, und
nur der Korper zerfallt.
2. (6899.) Nicht vergeht der in einen Leib eingegangene
Jiva, wenn der Leib vergeht, sondern er ist wie ein Feuer,
nachdem das Brennholz verbrannt ist.
Bharadvaja sprach:
3. (6900.) Wenn seine Vernichtung nur insofern nicht zu-
gegeben wird, wie die eines solchen Feuers, so ist zu erwidern,
Adhyaya 187 (B. 187). 159
dafs ja auch das Feuer nach Verzehrung des Brennholzes
nicht mehr wahrzunehmen ist.
4. (6901.) Er wird zunichte, sage ich und betrachte ihn
wie das ohne Brennholz erlbschende Feuer, von dem man
nicht sagen kann, wohin es gehe, welch ein Beweis dafiir
vorhanden sei und welches sein Aufenthaltsort sein moge.
Bhrigu sprach:
5. (6902.) So wie, wenn man ihm kein Brennholz mehr
zufiihrt, das Feuer nicht mehr wahrnehmbar, sondern wegen
seines Ubergegangenseins in den Ather schwer zu erfassen,
weil ohne feste Statte, ist,
6. (6903.) ebenso befmdet sich der Jiva, wenn er den Leib
verlassen hat, in einem dem Ather ahnlichen Zustande, wird
aber wegen seiner Feinheit nicht wahrgenommen , wie der
Schein jenes Feuers, daran ist nicht zu zweifeln.
7. (6904.) Namlich das im Korper befmdliche Feuerelement
hat die Aufgabe, die Prana's zu stiitzen, denn der Jiva mufs
unterstutzt werden ; dieses die Winde im Korper unterstiitzende
Feuer erstickt, wenn der Atmungsprozefs gehemmt wird.
8. (6905.) Ist aber dieses Feuer im Korper erloschen, so
wird der Leib bewufstlos, und niederstiirzend geht er in das
Erdelement iiber, denn sein gewiesener Gang ist die Erde.
9. (6906.) Denn von alien Kreaturen, mogen sie beweglich
[als Menschen und Tiere] oder unbeweglich [als Pflanzen]
sein, geht der Wind iiber in den Ather, und das Feuer folgt
ihm nach. (6907.) Wahrend die genannten drei eine Einheit bil-
den, so nehmen die beiden iibrigen ihren Standort in der Erde.
10. Wo der Ather ist, da ist auch der Wind, und wo
der Wind ist, da ist auch das Feuer; (6908.) diese drei mufs
man als gestaltlos wissen, obwohl sie die Gestalt der Ver-
korperten ausmachen [helfen].
Bharadvaja sprach:
11. (6909.) Wenn Feuer, Wind, Erde, Ather und Wasser
in den Verkorperten wahrgenommen werden, welches Merk-
mal in ihm lafst auf den Jiva schliefsen? Das sage mir,
o Untadeliger.
160 III. Mokshadharma.
12. (6910.) Wahrend der Leib aus jenen fiinfen besteht,
durch jene fiinf sich erfreut und durch die Erkenntniskraft
jener fiinf zu einem bewufsten wird, so mochte ich wohl
wissen, welcher Art da noch die Funktion des Jiva sein soil.
13. (6911.) Wenn der Leib, der ein Aggregat von Fleisch
und Blut, eine Anhaufung von Fett, Sehnen und Knochen
ist, in seine Teile zerlegt wird, so wird dabei von einem Jiva
doch nichts wabrgenommen.
14. (691-2.) Ist aber der Leib obne Jiva nur aus den fiinf
Elementen zusammengesetzt, wer ist es dann, so konnte man
einwenden, der bei korperlichem oder geistigem Schmerze sich
des Leides bewufst wird?
15. (6913.) Nun, ist es etwa der Jiva, der das Gesprochene
hort? Hort man es nicht vielmehr mit den Ohren, o grofser
Rishi, und sogar dann noch, wenn das Manas unaufmerksara
ist? Der Jiva ist also doch iiberfliissig.
16. (6914.) Alles, was iiberhaupt zu sehen ist, sieht man
durch das mit dem Manas verbundene Auge; und freilich,
wenn das Manas verwirrt ist, so sieht das Auge und sieht
doch nicht.
17. (6915.) Man sieht nicht und man riecht nicht, man
hort nicht und redet nicht, man empfmdet keine Beriihrung und
keinen Geschmack, sobald man vom Schlafe iiberkommen ist.
18. (6916.) Wer ist es, [etwa der Jiva?] der dann sich
freut und ziirnt und sich bekiimmert und fiirchtet und wiinscht
und denkt und hafst und redet?
Bhrigu sprach :
19. (6917.) Bei dem alien vermag der aus den fiinf
Elementen zusammengefiigte Leib nichts, und nur der
innere Atman regiert ihn ; er empfindet die Geriiche, Ge-
schmacke, Gerausche, die Beriihrung, die Gestalt und was
sonst noch fiir Qualitaten vorhanden sein mogen.
20. (6918.) Wer in dem aus den fiinf Elementen be-
stehenden Korper die fiinf Qualitaten wahrnimmt, das ist
der alle Glieder durch waltende innere Atman ; er empfindet
Leid und Lust im Leibe, und hat er sich losgetrennt,
so empfindet der Korper nicht mehr.
Adhy^ya 187 (B. 187). 161
21. (6919.) Wenn keine Sichtbarkeit, Fiihlbarkeit und keine
Warme des Korperfeuers mehr vorhanden ist, dann, nach
Erloschen des Korperfeuers, verliifst der Atman den Leib, aber
er vergeht nicht,
22. (6920.) Diese ganze Welt ist aus den [Ur-]Wassern
gebildet, und die Wasser sind die Gestalt der Verkorperten ;
in ihnen, in alien Wesen weilt der Atman, der Manasa, der
Gott Brahman, der Weltschopfer.
23. (6921.) Der Atman, sofern er mit den aus der Prakrit
stammenden Guna's verbunden ist, wird der Kshetrajna (Orts-
kenner) genannt; sofern er aber von diesen befreit ist, wird
er als Paramdtman bezeichnet.
24. (6922.) Ihn erkenne als den Atman, der seiner Natur
nach das Heil aller Welten fordert [vgl. Platons Idee des
Guten], und der sich in diesem Leibe niedergelassen hat wie
ein Wassertropfen auf der Lotosblume.
25. (6923.) Ihn, der seiner Natur nach immerfort das Heil
der Welt fordert, erkenne als den Kshetrajfia, aber Tamas,
Kajas und Sattvam, diese wisse als seine, des Jiva, Guna's.
26. (6924.) Sofern er [der Atman] mit Geistigkeit aus-
gestattet ist, bezeichnet man den Jiva als seine Wesens-
beschaffenheit ; er ist es, der sich bewegt und alles sich
bewegen macht, hoher als diesen [den Jiva] bezeichnen
ihn die Kenner der Leiblichkeit als den, welcher alle
sieben Welten {bhur, bhuvah^ svar, mahar, janas, tapas,
satyamj in Gang gebracht hat.
27. (6925.) Nicht wird der Jiva zunichte, wenn er sich
von dem Leibe trennt, falsch ist es, was die Toren sagen:
„er ist tot", sondern der im Korper verborgene Jiva zieht
aus ihm aus, und der Zerfall in die Halbzehnheit [der
Elemente] ist nur seine Lostrennung vom Leibe.
28. (6926.) So weilt in alien Wesen er versteckt und wan-
delt in der Verhiillung ; dem scharfsten Denken nur sichtbar,
dem feinsten derer, die die Wahrheit sehen [frei nach Kath.
Up. 3,12].
29. (6927.) Ihm gibt sich in friiheren und spateren Nachten
(d. h. Zeiten) der Weise immerfort im Yoga hin ; mafsig sich
Dkussen, Mahabharatam. 11
i[g2 HI- Mokshadharma.
A
nahrend und reinen Herzens schaut er alsdann den Atman
in sich selbst.
30. (6928.) Nach Klarung seines Denkens steht er von
guten und bosen Werken ab und beruhigten Selbstes im
Selbste weilend erlangt er selige Ewigkeit.
31. (6929.) Der Manasa Agni (das geistige Feuer) in den
Leibern wird Jiva genannt; er ist eine Schopfung des Praja-
pati, der ihn zum innern Selbst der Wesen bestimmte.
So lautet im Mokshadharma die Darlegung der Natur der Seele
(jiva-svarupa-nirApanam) .
Adhyaya 188 (B. 188).
Vers 6930-6949 (B. 1-20).
Bhrigu sprachi
1. (6930.) Zuerst also erschuf der Gott Brahman Brah-
manen als Prajapati's, welche sich aus eigener Kraft ent-
wickelten und an Glanz dem Sonnenfeuer gleichkamen.
2. (6931.) Darauf bestimmte der Herr Wahrheit, Gerechtig-
keit, Askese und das ewige Brahman (die rehgiose Andacht),
sowie den guten Wandel und die Eeinheit fiir den Himmel
[d. h. als zum Himmel fiihrend].
3. (6932.) Darauf wurden die Gotter, die Danava's (gotter-
feindliche Wesen), die Gandharva's (himmlische Genien), die
Daitya's (bose Geister), die Asura's (Damonen) und die
grofsen Schlangen, die Yaksha's (Halbgotter), die Rakshasa's
(Kobolde), die Schlangen, die Pigaca's (Unholde) und die
Menschen,
4. (6933.) namlich Brahmanen, Kshatriya's, Vaigya's und
(^udra's, o Bester der Zwiegeborenen, sowie die iibrigen Klassen
der Wesenscharen von ihm geschaffen.
5. (6934.) Die Farbe [varna, auch Kaste) der Brahmanen
ist weifs, die der Kshatriya's rot, die der Vaigya's gelb und
die Farbe der Qudra's schwarz.
Bharadvaja sprach:
6. (6935.) Wenn bei den vier Kasten der [moralische]
Kastencharakter fvarnaj nach der Farbe fvarnaj eingeteilt
Adhyaya 188 (B. 188). 163
werden soil, so folgt doch daraus, dafs bei alien Kasten schon
eine Vermengung der Kasten [und ihres moralischen Charak-
ters] eingetreten sein mufs.
7. (6936.) Denn Liebe, Zorn, Furcht, Habgier, Kummer,
Sorge, Hunger und Ermiidung, das kommt doch bei uns alien
vor, wozu also die Einteilung in Kasten?
8. (6937.) Schweifs, Harn und Kot, Sclileim, Galle und
Blut, alles dies, der ganze Korper ist bei alien fortwahrendem
Wechsel unterworfen, wozu also die Einteilung in Kasten?
9. (6938.) Von beweglichen Wesen und ebenso von den
unbeweglichen gibt es unzahlige Arten, welche alle von ver-
schiedenem Aussehen sind, wie kann man da die Kasten
[gerade als vier] bestimmen?
Bhrigu sprach:
10. (6939.) Urspriinglich besteht keine Verschiedenheit der
Kasten, brahmisch ist die ganze Welt der Lebenden, aber
das, was urspriinglich von Gott Brahman geschaffen war, das
ist infolge der Werke in das Kastenwesen auseinandergegangen.
•11. (6940.) Sie, welche Lust und Genufs lieben, scharf,
zornmiitig und Freunde von Gewalttat sind, ihre urspriing-
liche Pflicht vergessen und ihre Glieder mit Blut befleckt
haben, das sind Brahmanen, welche in das Kshatriyatum
herabgesunken sind.
12. (6941.) Jene anderen, welche aus der Viehzucht ihren
Unterhalt gewinnen, von gelber Farbe, vom Ackerbau lebend,
auch sie betreiben nicht mehr ihre urspriingliche Obliegen-
heit, sondern sind Brahmanen, welche in das Vaigyatum herab-
gesunken sind.
13. (6942.) Und endlich jene, welche an Schadigung und
Liige sich freuen, habgierig sind und alle Geschafte zu ihrem
Unterhalt betreiben, die Schwarzen, von der Reinheit Ab-
gefallenen, das sind Brahmanen, welche in das (^udratum
herabgesunken sind.
14. (6943.) In dieser Weise geschah es, dafs Brahmanen,
durch derartige Werke getrennt, in die anderen Kasten ge-
raten sind, und nicht immer ist ihnen Frommigkeit und Opfer-
werk benommen gewesen.
11*
164 in. Mokshadharma.
15. (6944.) So sind alle diese vier fcaturo fiir catvdroj Kasten
solche, denen das gottliche Vedawort anvertraut worden war,
die urspriinglich als Brahmanen erschaffen waren, aber aus
Habgier in das Nichtwissen herabgesunken sind.
16. (6945.) Die Brahmanen aber sind die, welche der hei-
ligen Lehre treugeblieben sind; ihre Askese ist unvergang-
lich, indem sie immerfort das heilige Wort hochhalten so-
wie die Geliibde und die Selbstbezahmungen.
17. (6946.) Sie, welche das Vedawort, das hochste, ge-
schaffene, nicht kennen, das sind die Nicht-Brahmanen , von
ihnen aber gibt es mannigfache , voneinander verschiedene
Arten hier und dort.
18. (6947.) Da gibt es Pigaca's (Unholde), Rakshasa's (Ko-
bolde), Gespenster und mancherlei barbarische Geschlechter,
die Erkenntnis und Wissen verloren haben und einen Wandel
nach eigenem Geliiste fiihren.
19. (6948.) So wurden die Geschopfe derartig, dafs sie die
Weise der Brahmanen und die Bestimmung gemafs ihren
eigenen Werken [in einer friiheren Weltperiode] an sich
trugen, von den Rishi's kraft der ihnen einwohnenden Askese
geschaffen, die einen von diesen, die anderen von jenen.
20. (6949.) Das ist die aus dem Anfangsgotte entsprungene,
in Gott Brahman wurzelnde, unverganghche und ewige Schop-
fung, welche die geistige fmdnasV genannt wird und das Ver-
kniipftsein mit der heiligen Pflicht als Hochstes hat.
So lautet im Mokshadharma die Darleguug der Kasteneinteilung
(varna - vibhdga - kathanarn).
Adhyaya 189 (B. 189).
Vers 6950-6967 (B. 1-18).
Bharadvaja sprach:
1. (6950.) Wodurch wird einer ein Brahmane oder ein
Kshatriya, o Bester der Zwiegeborenen , oder ein Vaigya
oder Qudra, o Brahmanen weiser? Das erklare, o Bester der
Redner.
Adhyaya 189 (B. 189). 165
Bhrigu sprach:
2. (6951.) Wer durch die Geburtszereraonie und die iibrigen
AVeihen geheiligt und rein ist, mit dem Vedastudium begabt
und in den sechs taglichen Werken feststehend,
3. (6952.) wer in reinem Wan del durchaus beharrt, von
Resten sich nahrt {vighasdgwj und dem Lehrer lieb ist, alle-
zeit seine Geliibde halt und die Wahrheit iiber alles schatzt,
der wird ein Brahmane genannt.
4. (6953.) Der, bei welchem Wahrhaftigkeit, Freigebigkeit,
Treue, Wohlwollen, Schamhaftigkeit , Barmherzigkeit und
Askese gesehen werden, der gilt fur einen Brahmanen.
5. (6954.) Wer hingegen die der Zerstorung dienenden
Werke iibt, am Vedastudium teilnimmt, am Geben [den Brah-
manen] und am Nehmen [von den Untertanen] Freude hat,
der wird ein Kshatriya genannt.
6. (6955.) Wer hingegen an Handel, Viehzucht, Ackerbau
und Geben [an die Brahmanen] sich freut und rein ist, auch
mit dem Vedastudium begabt, der wird als einVai^ya bezeichnet.
7. (6956.) Wer endlich sich damit zufrieden gibt, alles zu
essen, alle Handlungen verrichtet und unrein ist, des Veda
entbehrt und ohne guten Wandel ist, der heifst ein Qudra.
8. (6957.) Dies ist die Charakteristik des Qudra, und sie
trifft auf einen Zwiegeborenen nicht zu ; [ohne sie] wiirde der
^udra nicht Qudra und der Brahmane nicht Brahmane sein.
9. (6958.) Durch alle Mittel sich der Begierde und des
Zornes zu enthalten, das ist das Lauterungsmittel alles Wis-
sens, sowie auch dafs man sein Selbst im Zaume halt.
10. (6959.) Diese beiden [Begierde und Zorn], welche,
wenn sie aufkommen, das Heil vernichten, soil man mit der
ganzen Kraft seines Wesens fernhalten,
11. soil allezeit sein Wohlbefinden vor Zorn und seine
Askese vor Selbstsucht bewahren, (6960.) sowie seine Wissen-
schaft vor Hochmut und Verachtung und sich selbst vor Un-
besonnenheit.
12. Der, dessen Bestrebungen alle ohne Verbindung mit
Wiinschen erfolgen, o Zwiegeborener, (696i.) dessen ganzes
Opfer im Entsagen besteht, der ist ein Entsagender, der ist
ein Weiser
166 ni. Mokshadharma.
13. Ohne irgendein Wesen zu schadigen, moge er dahin-
gehen, indem er den Weg der Freundlichkeit wandelt, (6962.) und
indem er alien Anhang von sich abtut, moge er durch seine
Erkenntnis die Sinne besiegen; dann wird er eine von Rum-
mer freie Stellung hienieden erreichen und Furchtlosigkeit
im Jenseits.
14. (6963.) Beharrlich in der Askese, sich bezahmend, ein
Muni, das eigene Selbst beherrschend, das Uniiberwundene
zu iiberwinden trachtend, so soil man sein, und ohne An-
hanglichkeit an alles, woran das Herz hangt.
15. (6964.) Alles, was von den Sinnen erfafst werden kann,
das gehort zum Vyaktam (zur entfalteten Natur), das ist ge-
wifs; das Avyaktam (die unentfaltete Natur), das soil man
wissen, lafst sich nur aus Anzeichen erkennen, da sie iiber-
sinnlich ist.
16. (6965.) Nicht soil man im Mifstrauen [gegen Veda und
Lehrer] dahingehen, sondern sein Manas im Vertrauen fest-
machen, das Manas aber halte man nieder in dem Prana, und
den Prana mache man fest in Brahman.
17. (6966.) Aus Weltverdrossenheit wende man sich dem
Nirvanam zu, und nicht sorge man sich iiber irgend etwas^
denn als ein Gliick erlangt der Brahmane durch die Welt-
verdrossenheit das Brahman.
18. (6967.) Dann ist er allezeit mit Reinheit verbunden,
mit gutem Wandel begabt und voll Mitgefiihl fiir die Wesen.
Das ist das Merkmal des wahren Zwiegeborenen.
So lautet im Mokshadharma die Darlegung der Natur der Kasten
(carna - svarupa - kathanam).
Adhyaya 190 (B. 190).
Vers 6968-6983. (B. 1-16.)
Bhrigu sprach:
1. (6968.) Das Satyam (die Wahrheit) ist Brahman, das
Satyam ist Askese, das Satyam schafft die Geschopfe, durch
das Satyam wird die Welt getragen, durch das Satyam geht
man zum Himmel ein.
Adhyaya 190 (B. 190). 167
2. (6969.) Die Unwahrheit ist von der Art des Tamas
(Finsternis), durcli das Tamas wird man nach unten gefiihrt,
von dem Tamas verschlungen sieht man nicht das Licht,
well man von Tamas umhiillt ist.
3. (6970.) Der Himmel ist Licht, so sagt man, und die
Holle ist Finsternis ; Wahrheit und Unwahrheit, beide werden
von den auf der Erde Wandelnden ergriffen.
4. (6971.) Dementsprechend ist auch der Lauf der Welt
Wahrheit und Unwahrheit, Recht und Unrecht, Licht und
Finsternis, Leid und Lust.
5. (6972. Prosa.) Dabei steht es so: die Wahrheit ist das
Recht, das Recht ist das Licht, das Licht ist die Lust; hin-
gegen: die Unwahrheit ist das Unrecht, das Unrecht ist die
Finsternis, die Finsternis ist das Leid.
6. (6973.) Hierbei wird bemerkt: Aus korperiichem und
geistigem Leid und aus Lust, die aus dem Leide hervorgeht,
besteht die Weltschopfung, das sehen die Weisen und lassen
sich nicht betoren.
7. (6974.) Darum strebt der Weise nur danach, sich vom
Leid zu befreien, denn die Lust der Wesen ist etwas Hin-
faUiges, sowohl in dieser Welt als auch in der andern.
8. (6975.) Wie das Licht des vom Rahu verschlutigenen
Mondes [bei der Mondfinsternis] nicht leuchtet, so geht die Lust
der von der Finsternis ftamasj iiberwaltigten Wesen zugrunde.
9. (6976. Prosa.) Was nun die Lust betrifft, so wird ge-
lehrt, dafs sie zweifach sei, namlich korperlich und geistig.
Es geschehen aber sowohl in dieser als in jener Welt die
Entwicklungen der Dinge, wie iiberliefert wird, um der Lust
willen, denn iiber diese hinaus gibt es keine vorziiglichere
Frucht der Dreiheit von Bestrebungen [nach dem Angenehmen,
Niitzlichen und Guten]; dabei aber dient die spezielle Quali-
tat des Angenehmen den Qualitaten des Guten und Niitz-
lichen zum Antrieb. Diese beiden sind die Ursachen, aus
denen jenes [das Angenehme] hervorgeht, und sie werden in
Angriff genommen um der Lust willen als Zweck.
Bharadvaja sprach:
10. (6977. Prosa.) Wcun du, o Herr, behauptest, dafs die
Liiste am hochsten stehen, so nehmen wir das nicht an. Denn
168 III. Mokshadharma.
jenen Weisen, welche im Mahdn feststanden, ware jene be-
sondere Qualitat des Angenehmen nicht unerreichbar gewesen,
und doch trugen sie nach ihr kein Verlangen. Ferner, was
den Schopfer der drei Welten, den Gott Brahman, den Herrn,
betrifft, so lehrt die Schrift, dafs er ganz allein im Tapas
sich hielt. Auch ist zu bemerken, dafs der Brahmacarin
sich keineswegs dem Angenehmen und der Lust hingibt.
EndUch erinnere ich daran, dafs der heihge Herr des Welt-
alls, der Gatte der Uma, den Kama (Liebesgott), als er ihm
zu nahen wagte, durch die an ihm vollzogene Korpervernich-
tung zur Kuhe bettete. Darum sage ich : Von jenen Hoch-
sinnigen ist diese Qualitat [des Angenehmen] nicht ergritfen
worden, und wenn du behaupten solltest, dafs sie eine so
ausgezeichnete Art von Qualitat nicht batten haben konnen,
so nehme ich dies von dir, o Ehrwiirdiger, nicht an. Wenn
du aber behauptest, dafs es nichts Hoheres gabe als die Lust,
so ist zu bemerken, dafs nach allgemeiner Annahme das Ent-
stehen der Frucht von zweifacher Art ist, sofern durch gute
Werke Lust und durch bose Leid erlangt wird.
Bhrigu sprach:
11. (6978. Prosa.) Dagegen ist zu bemerken: Aus der Un-
wahrheit ist die Finsternis ftamasj hervorgegangen, und von
der Finsternis verschlungen wenden sich die Menschen dem
Bosen zu und nicht dem Guten, und in Zorn, Habgier, Grau-
samkeit, Unwahrheit usw. versunken, konnen sie natiirlich
weder in dieser Welt noch im Jenseits zur Lust gelangen;
vielmehr werden sie, mit mancherlei Krankheit, Gebrechen
und Qualen iiberschiittet, von Totung, Fesselung und anderen
Noten, sowie von den durch Hunger, Durst und Ermiidung
verursachten Qualen gequalt. Auch werden sie von den aus
Kegen, Wind, iibergrofser Hitze und libergrofser Kalte ent-
springenden Befiirchtungen und von korperlichen Schmerzen
heimgesucht, und nicht weniger werden sie von den aus Unter-
gang von Verwandten und Reichtum und aus der Trennung
von ihnen entsprungenen geistigen Schmerzen iiberkommen,
sowie von anderen, welche Alter und Tod ihnen bereiten.
12. (6979. Prosa.) Nur der aber, welcher von diesen korper-
Adhyaya 190 (B. 190). 169
Jiclien und geistigen Leiden nicht beriihrt wird, kann die Lust
geniefsen ; im Himmel aber kommen dergleichen Mangel nicht
vor, und dort befinden sie [die Guten] sich eben.
13. (6980.) Ein angenehmer Wind weht im Himmel und
ein lieblicher Geruch begleitet ihn. Dort gibt es nicht Hunger,
nicht Durst, nicht Qualen, nicht Alter und nicht Schlechtigkeit.
14. (6981.) Im Himmel herrscht ewige Lust, auf Erden
beides. Lust und Leid; in der Holle, so heifst es, ist nur
Leid. Lust hingegen ist jenes hochste Gefilde der Seligen.
15. (6982.) Die Erde ist die Gebarerin aller Wesen, und
ihr ahnlich sind die Frauen, der Mann hingegen ist fiir sie
Prajapati, und sein Same ist von Feuerart.
16. (6983.) So ist diese Weltschopfung vor Zeiten von
Gott Brahman geordnet worden ; die Geschopfe leben ihr nach,
ein jeder von seinen friiheren Werken umhiillt.
So lautet im MokBhadharma die Unterredung des Bhrigii mit Bharadv^ja
(Bhrigu - Bharadcdja - samvdda).
AdhyAya 191 (B. 191).
Vers 6984-7001 (B. 1-18).
Bharadvaja sprach:
1. (6984.) Welcher Lohn wird in Aussicht gestellt fiir Frei-
gebigkeit, Pflichterfiillung und guten Wandel, fiir wohldurch-
gefiihrte Askese, fiir Vedastudium und fiir Opfer?
Bhrigu sprach:
2. (6985.) Durch Opfer wird das Bose beschwichtigt, durch
Vedastudium der hochste Frieden erreicht, durch Almosen-
geben erlangt man Freuden, wie es heifst, und durch Askese
den Himmel.
3. (6986.) Das Almosengeben aber ist, wie gelehrt wird,
von zweifaeher Art, je nachdem es um des Jenseits willen
Oder fiir das Diesseits geschieht; alles, was von Guten ge-
spendet wird, das erwartet sie im Jenseits.
170 III. Mokshadharma.
4. (6987.) Aber was von Nichtguten gespendet wird, diese
Gabe wird schon hier vergolten. In welcher Gesinnung einer
die Gabe gibt, dementsprechend erlangt er die Frucht.
Bharadvaja sprach:
5. (6988.) Worin besteht fiir jeden der Wandel in der
Pflicht und was ist das Kennzeichen der Pflicht? Wie viel-
fach ist ferner die Pflicht ? Das mogest du, o Herr, mir sagen.
Bhrigu sprach:
6. (6989.) Weise Menschen geben sich dem Wandel in der
ihnen obliegenden Pflicht bin und erlangen als Lohn den
Himmel; wer es anders macht, der ist ein Tor.
Bharadvaja sprach:
7. (6990.) Das System der vier Lebensstadien ist vor Zei-
ten von Brahmanweisen eingerichtet worden. Jedes derselben
hat einen ihm eigentiimlichen Wandel; den soUst du mir er-
klaren.
Bhrigu sprach:
8. (6991. prosa.) Vor Zeiten wurden von dem erhabenen
Gotte Brahman, da er das Heil der Welt im Auge hatte, um
der Erhaltung der Pflicht willen die vier Lebensstadien vor-
gezeichnet. Hierbei bezeichnet man als das erste Lebens-
stadium das Wohnen in der Familie eines Lehrers. Es be-
steht darin, dafs man sein Selbst vollstandig durch Reinheit,
Weihen, Bezahmung und Gelubde bandigt, beide Dammerungen
und in ihnen die Gottheiten der Sonne und des Feuers ver-
ehrt, Triigheit und Schlaffheit fahren lafst, durch Begriifsung
des Lehrers, sowie durch Studieren und Horen des Veda sein
inneres Wesen lautert, die drei taglichen Waschungen be-
treibt, durch Pflege des Brahmacarya-Feuers, durch Gehorsam
gegen den Lehrer und durch beharrliches Betteln und Er-
nahrung durch Erbetteltes vollstandig zum Bewufstsein seiner
innern Seele gekommen ist, ohne Widerstreben A^ort und Be-
fehl des Lehrers befolgt und das dafur durch die Gnade des
Lehrers empfangene Vedawissen als das Hochste schatzt.
Adhyaya 191 (B. 191). 171
9. (6992.) Dariiber ist auch dieser Vers:
Der Zwiegeborene , welcher den Lehrer sich freundlich
stimmt und von ihm den Veda erlangt, der erlangt als Frucht
den Himmel, und sein geistiges Wesen kommt zur VoU-
endung.
10. (6993. Prosa.) Den Stand des Hausvaters nun welter
bezeichnet man als das zweite Lebensstadium, die Merkmale
des richtigen Wandels in diesem wollen wir nunmehr voll-
standig auseinandersetzen. Fiir solche, welche aus der Schiiler-
schaft zuriickkehren , sich eines guten Lebenswandels be-
fleifsigen und nach der Frucht eines gemeinschafthchen Wan-
dels in der [Ehe-] Pflicht verlangen, wird der Wandel als
Hausvater vorgeschrieben. Denn in ihm wird das Gute, Niitz-
liche und Angenehme erlangt. Indem man mit Riicksicht auf
die Erlangung dieser Dreiheit in vorwurfsfreier Tatigkeit zu
Reichtum gelangt, soil man mittels dieses Reichtums — mag
er vorwiegend durch Unterricht im Veda gewonnen sein oder
durch einen Brahmanweisen erzaubert, oder aus den Schatzen
der Berge erworben, oder infolge Opferns an Gotter und Manen
und Betreibens der Bezahmung durch die Gnade der Gotter
verliehen- sein — als Hausvater den Hausvaterstand antreten.
Denn diesen erklart man fiir die Wurzel aller Lebensstadien.
Denn auch fiir diejenigen, welche in der Familie des Lehrers
wohnen bleiben, und fiir die anderen, welche als Pilger
umherziehen und der zwangsmafsigen Pflicht eines unter-
nommenen Geliibdes obliegen, auch fiir diese werden die Zu-
teilungen von Almosen und Spenden aus dem Hausvater-
stande bestritten.
11. (6994. Prosa.) Und auch fiir die Waldeinsiedler ist eine
Beisteuer von Sachen [durch den Hausvater] angebracht, denn
so wenigstens pflegen meist diese Guten, mit guter Wege-
kost versehen und nur mit Vedastudium beschaftigt, zum
Besuche von heiligen Badeplatzen und zur Besichtigung der
Gegenden die Erde zu durchstreifen, und ihnen gebtihrt gast-
liche Aufnahme durch Aufstehen, Entgegengehen, Begriifsen,
nichtverdriefsliches Spenden von Worten und Anbieten eines
angenehmen starkenden Sitzes und eines angenehmen Lagers-
nebst Verpflegung.
172 III. Mokshadharma.
12. (6995.) Dariiber ist auch der Vers:
Wenn ein Gast mit getauschter Hojffnung vor einem Hause
umkehrt, so iibertragt er seine bosen Werke auf dessen Be-
sitzer [vgl. Ev. Matth. 10,14] und nimmt dessen gute Werke
mit sich fort.
13. (6996. Prosa.) Auch werden in diesem Stande [des Haus-
vaters] die Gotter durch Opfer werke erfreut, die Vater durch
Vorsetzen [des Manenopfers], die Rishi's durch Betreiben, An-
horen und Behalten der Wissenschaft und Prajapati durch
Erzeugung von Nachkommen.
14. (6997.) Und dariiber sind zwei Verse :
Aus Zartgefiihl fiir alle Wesen sollen die Reden fiir das
Ohr liebhch khngen; Qualen, Schlagen und hartes Anfahren
ist das dabei zu Tadelnde.
15. (6998.) Hochmut, Selbstsucht und Falschheit wird ge-
tadelt, hingegen ist Nicht-Schadigung, Wahrhaftigkeit und
Enthaltung von Zorn eine Askese, die alien Lebensstadien
geziemt.
16. (6999. Prosa.) Auch ist dabei [in Betracht zu ziehen]
das Trachten nach Schmiickung mit Kranzen und nach be-
standiger Freude an Kleidern und Salben, nach Tanz, nach
Ergotzung des Ohres durch Gesang und Musik und Erfreuung
<les Auges durch liebHche Anblicke, ferner der Genufs mannig-
facher Gaumenfreuden , wie Essen, Schmausen, Schlecken,
Trinken und Schliirfen, Freude an eigenen Belustigungen
und Streben nach Geschlechtsgenufs.
17. (7000.) In wessen Hausvaterstande eine bestandige Ent-
wicklung von tiichtigen Leistungen in der Dreischar [des
Guten, Niitzlichen und Angenehmen] statthat, der kann die
Freuden der Erde geniefsen und doch den Gang der Meister
gehen.
18. (7001.) Wenn ein Hausvater, auch ein solcher, der auf
Ahrenlesen angewiesen ist, an dem Wandel in der eigenen
Pflicht seine Freude hat und das Streben nach Lust und Ge-
nufs von sich abtut, fiir den ist der Himmel nicht schwer zu
«rlangen.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung des Bhrigu mit Bharadvaja
(Bhrigu - Bharadvdja - samvdda).
Adhyaya 192 (B. 192). ITS
Adhyaya 193 (B. 193).
Vers 7002-7031 (B. 1-27).
Bhrigu sprach:
1. (7002 Prosa.) Die Waldeinsiedler (vdnaprasthdhj nun aber
sind diejenigen, welche ihre Pflicht dadurch betreiben, dafs
sie heilige Badeplatze und Flufsmiindungen besuchen, wah-
rend sie in abgelegenen, von Antilopen, Biiffeln, Ebern, Tigern
und Waldelefanten belebten Waldern Askese iiben, und in-
dem sie den Genufs der im Dorfe iiblichen Nahrung und
Kleidung aufgeben, auf wildwachsende Krauter, Friichte,
Wurzeln und Blatter beschrankt, mancherlei kargliche Nah-
rung finden, hingegen, an einem Orte weilend, auf Erde,
Steinen, Kies, Geroll, Sand und Asche sich lagern, ihren
Korper in Graser, Binsen, Felle und Baumbast kleiden, Kopf-
haare, Bart, Nagel und Korperhaare wachsen lassen, zu be-
stimmter Zeit die Abwaschungen vornehmen, in nicht zu ver-
saumenden Zeiten Spenden und Opfer darbringen, iibrigens
vor Brennholz, vor Darbringung von Kugagras und Blumen,
sowie vor Abwaschung der Opfergerate Ruhe haben, durch
den Widerstand gegen Kalte, Hitze, Regen und Wind die
ganze Haut voll Risse haben, durch die mannigfachen Askesen,
Observanzen, Wanderungen, Befolgungen und ObHegenheiten
ganz ausgetrocknet an Fleisch, Blut, Haut und Knochen sind
und, die Standhaftigkeit iiber alles schatzend, der ewigen Reah-
tat ergeben, ihren Korper dahinschleppen.
2. (7003.) Wer aber mit Strenge diesen von den Brahman-
weisen vorgeschriebenen Wandel einhalt, der verbrennt wie
ein Feuer seine Siinden und erobert schwer zu erobernde
Welten.
3. (7004. Prosa.) Was nun endhch den Lebenswandel der
Parivrajaka's (Heimatlosen) betrifft, so steht es damit folgender-
mafsen : Indem sie Opferfeuer, Habe, Weib und Anhang
im Stich lassen und in Anhanglichkeit an den Atman die
Fesseln der Neigung abschiitteln, wandern sie heimatlos um-
her, (7005.) und wahrend sie Erdschollen, Steine und Gold fiir
gleich aohten , ihren Geist nicht mehr an die Produkte der
174 III- Mokshadharma.
Dreiheit [des Guten, Niitzlichen, Angenehmen] hangen, mit
gleicher Gesinnung auf Feinde, Freunde und Gleichgultige
blicken, gegen Pflanzen, Lebendgeborenes , Eigeborenes,
Schweifsgeborenes und Keimgeborenes , gegen alle diese
Wesen in Gedanken, Worten und Werken ohne Falsch sind
und ohne eigene Behausung Berge, Sandbanke, Baumwurzeln
Oder Gottertempel als Aufenthalt wahlen, so mogen sie um
des Unterkommens willen zwar eine Stadt oder ein Dorf auf-
suchen, so jedoch, dafs sie in einer Stadt nur fiinf Nachte,
in einem Dorfe nur eine Nacht verweilen, und wenn sie, um
ihr Leben zu fristen, einkehren, so soUen sie nur die Hauser
von unbescholtenen Zwiegeborenen besuchen, una von dem
in die Almosenschale gelegten, nichtgeforderten Almosen zu
leben, abstehend von Liebe, Zorn, Stolz, Habgier, Verblen-
dung, Lamentieren, Trug, Nachrede, Hochmut und Schadigung.
4. (7006.) Auch sind dariiber folgende Verse:
Wer als Muni so lebt, dafs er alien Wesen Furchtlosig-
keit einflofst, fiir den entsteht keine Furcht vor irgendeinem
Wesen.
5. (7007.) Indem er das Agnihotram in seinem eigenen
Leibe aufnimmt, opfert er dem Feuer seines Leibes in
dem eigenen Munde, und als Brahmane durchstreift er
die Welt mittels der als Almosen ihm iibergebenen Opfer-
spenden fiir die [in ihm] geschichteten Feuer.
6. (7008.) Wer in der genannten Weise das Lebens-
stadium der Erlosung betreibt, indem er rein und wohl-
bereiteten und befreiten Geistes ist, der Mensch gelangt
zur Brahmanwelt, wie ein Feuer, welches aus Mangel an
Brennholz erloschen ist [d. h. er gelangt zum Nirvanam].
Bliaradv&,ja sprach:
7. (7009.) Uber diese Welt hinaus gibt es eine hohere
Welt, so lehrt die Schriftoffenbarung, aber nicht die Wahr-
nehmung; diese Welt mochte ich kennen lernen, das mogest
du, o Herr, mir erklaren.
Bhrigu sprach:
8. (7010.) Auf der nordlichen Seite des Himalaya, der
heiligen, mit alien Trefflichkeiten ausgestatteten , befindet
Adhyaya 192 (B. 192). 175
sich, wie gelehrt wird, jene heilige, friedvolle und freudvolle
hohere Welt.
9. (7011.) Dort namlich sind die Menschen, welche frei
von bosen Werken, rein, vollig makellos, ohne Begierde und
Verblendung sind, ohne dafs ihnen ein Ubel zustofst.
10. (7012.) Das ist das dem Himmel gleiche Land, dort
sind, wie gelehrt wird, die schonen Vorziige zu fmden; zur
Zeit, wo man dort ist, hat der Nioht-Tod die Oberhand, und
keine Krankheiten kommen einem m'ehr zu nahe.
11. (7013.) Dort besteht keine Begierde mehr nach frem-
den Weibern, der Mann begniigt sich mit seinem eigenen
Weibe, dort wird nicht mehr gegenseitig gemordet, und es
besteht kein Stolz auf Reichtum mehr ; (70i4.) die Ungerechtig-
keit hat nicht mehr die Oberhand, und ein Zweifel ficht keinen
mehr an.
12. Dort tritt die Frucht der guten Werke augenschein-
lich zutage; (70i5.) man ist wohlversehen mit Speise, Trank
und Sitz und wohnt in Palasten als Wohnungen.
13. [Anders ist es hienieden :] Einige sind von alien Liisten
umgeben und mit Goldgeschmeide geschmiickt, (70i6.) wahrend
es anderen nur eben gelingt, ihr Leben zu fristen,
14. und manche konnen nur mit grofser Anstrengung
ihren Lebensunterhalt finden. (7017.) Einige freilich halten
schon hienieden die Pflicht als Hochstes, andere aber er-
niedrigen [ihre Mitmenschen] ; einige sind gliicklich , andere
ungliicklich, die einen reich, die anderen arm.
15. (7018.) Hienieden herrschen Miihe, Furcht, Torheit,
scharfer Hunger und Habgier, in den Menschen durch die
Giiter entfacht, durch welche die Unweisen sich betoren
lassen.
16. (7019.) Hienieden gibt es manche Arten des Erwerbs,
je nachdem einer des Guten oder des Bosen beflissen ist; der
Weise, der dies beides unterscheidet, wird nicht vom Ubel
befleckt.
17. (7020.) Betriigerei, Gemeinheit, Dieberei, iible Nach-
rede, miirrisches Wesen, Verletzung und Schadigung der Mit-
menschen, Zwischentragerei und Liige,
18. (7021.) wer derartiges betreibt, dessen asketisches Ver-
176 III. Mokshadharma.
dienst ist verloren, aber dem Weisen, der sich nicht mit der-
gleichen befafst, gedeiht dadurch die Askese.
19. (7022.) In dieser Welt ist vielfache Sorge um pflicht-
mafsiges und pflichtwidriges Tun; hier ist die Statte der
Werke, wer in dieser Welt hier das Gute oder Bose tut,
(7023.) der erlangt durch das Gute Gutes, und Boses erlangt,
wer es anders treibt.
20. Prajapati und die Gotter nebst der Schar der Rishi's
haben hier vor Zeiten (7024.) geopfert. Nachdem sie Askese
zum Opfer gebracht, sind sie gelautert zur Brahmanweli erapor-
gestiegen.
21. Der nordliche Teil der Erde ist von alien der hei-
ligste und schon; (7025.) dort werden die hier lebenden Men-
schen wiedergeboren , soweit sie heilige Werke voUbracht
haben,
22. nachdem man ihnen die letzte Ehre erwiesen hat;
andere hingegen [werden wiedergeboren] in Tierleibern,
(7026.) wenn ihr Leben dahin ist; und noch andere gehen auf
der Erde zugrunde,
23. die sich gegenseitig aufzufressen geneigt sind, die,
in Habgier und Verblendung befangen, (7027.) auf dieser Erde
sich herumtreiben, solche gehen nicht in die nordliche Gegend.
24. Aber die, welche als sich selbst bezahmende Brah-
manschiiler ihre Lehrer verehren, (7028.) die kennen als Weise
den Weg zu alien Welten.
25. Damit ist jene von Gott Brahman eingesetzte Welt-
ordnung in der Kiirze von mir dargelegt worden. (7029.) Fiir-
wahr, wer weifs, was in der Welt Recht und Unrecht ist,
der ist ein Weiser.
Bhishma sprach:
26. (7030.) Als in dieser Weise, o Konig, der askesereiche
Bharadvaja von Bhrigu belehrt worden war, da verehrte er,
der hochst Rechtschaffene, den Bhrigu mit Bewunderung.
27. (7031.) Damit ist dir, o Konig, die Schopfung der Welt
verkiindigt worden ganz und gar, o du Hochweiser. Was
wiinschest du weiter zu horen?
So lautet im Mokshadharma die Unteriedang des Bhrigu mit Bhaxadv^ja
(Bhrigu- Bharadodja-samvdda).
Adhyaya 193 (B. 193). 177
Adhyaya 193 (B. 193).
Vers 7032-7065 (B. 1-33).
Yudhishthira sprach:
1. (7032.) Die Kegel des guten Wandels facdraj^ oVaterchen,
von dir erklart, o Untadeliger, die mochte ich horen, o Pflicht-
kundiger, denn ich schatze dich als einen, der alles weifs.
Bhishma sprach:
2. (7033.) Diejenigen, welche einen schlechten Wandel
fiihren, sich schlecht benehmen, schlechte Einsicht haben und
Gewalttatigkeiten lieben, die werden die Nichtguten genannt,
die Guten hingegen sind die, welche sich durch einen guten
Wandel (dcdrq) auszeichnen.
3. (7034.) Diejenigen Menschen, welche auf offener Strafse,
umgeben von Kiihen oder umgeben von Getreide ihren Kot
Oder Urin nicht entleeren, die sind anstandig.
4. (7035.) Wenn man die vorgeschriebene Reinigung voll-
zieht und die Spendung an die Gotter, das nennt man die
Pllicht der Menschen; man soil keinen Flufs durchschreiten,
ohne sich zu waschen;
5. (7036.) man soil allezeit die Sonne verehren, auch nicht
mehr bei Sonnenaufgang schlafen ; man soil abends und mor-
gens stehend das Dammerungsgebet murmeln, das friihe und
das andere;
6. (7037.) man soil erst essen, nachdem man die Fiinf
[Hande, Fiifse, Mund] benetzt hat, nach Osten gerichtet und
Schweigen beobachtend ; man soil die zum Essen vorgesetzte
Speise nicht bemangeln und das Schmackhafte als schmack-
haft geniefsen.
7. (7038.) Man soil die Hande waschen, wenn man von
Tische aufsteht, man soil nicht mit nassen Fiifsen in der
Nacht schlafen, so hat es der Gotter- Rishi Narada als Merk-
mal eines guten Wandels verkiindigt.
8. (7039.) Eine heilige Gegend, einen Ochsen, eine Gotter-
wohnung, einen Kreuzweg, einen Brahmanen, einen Heiligen
Dbtjbskn, Mahftbhftratam. • 12
X78 III- Mokshadharma.
und einen geweihten Baum soil man beim Vorbeigehen immer
zur Rechten haben.
9. (7040.) Wenn ein Mann mit alien Gasten, mit Boten,
mit seiner Familie dasselbe Essen teilt, so wird er von seinen
Leuten gepriesen.
10. (7041.) Es ist dem Menschen vom Veda gesetzt, dafs er
abends und morgens seine Mahlzeit nimmt, ein Essen in der
Zwischenzeit ist nicht vorgesehen, und so lange soil man niich-
tern bleiben.
11. (7042.) Wer zur Zeit des Opferns das Opfer bringt,
zur Zeit der Empfanglichkeit beiwohnt und keine fremde Frau
besucht, der Mann ist weise und heiligen Wandels.
12. (7043.) Als Ambrosia gilt gemeiniglioh , als das Herz
der Mutter, was von einem Brahmanen iibrig gelassen ist;
als solches verehren es die Leute, die guten Menschen aber
scharen sich um das wahrhaft Gute.
13. (7044.) Ein Mensch, der [zum Zwecke des Opfers] die
Erde zertritt und das Gras ausrauft, ein Mensch, der an den
Nageln kaut [das mit den Nageln zerrissene Opferfleisch kaut,
Nil.], der ist ein Ewigunreiner [wortlich: einer, der sich nie
nach dem Essen den Mund ausspiilt], ist wie ein angepflock-
ter Papagei und kommt auch hienieden nicht zu langem Leben.
14. (7045.) "Wer vom Fleischessen sich losgesagt hat, der
soil auch kein durch das Opfer geweihtes Fleisch essen;
ebensosehr wie beliebiges Fleisch, wie Riickenfleisch [spricli-
wortlich fiir iible Nachrede] soil er es verraeiden.
15. (7046.) Sei es im eigenen Lande, sei es im fremden,
den Gast soil man nicht hungern lassen; hat man die Frucht
eines zu bestimmten Zwecken veranstalteten Opfers erlangt,
so soil man sie als den Lehrern gehorig diesen zukommen
lassen.
16. (7047.) Den Lehrern soil man einen Sitz bieten und
die Begriif sung gewahren ; wer die Lehrer ehrt, der wird mit
langem Leben, mit Ruhm und Schonheit begliickt.
17. (7048.) Man soil weder die aufgehende Sonne, noch
auch ein fremdes Weib, wenn es nackt ist, ansehen ; die ge-
setzliche Begattung soil man immer, und zwar im Verborgenen,
ausiiben.
Adhyaya 193 (B. 193). 179
18. (7049.) Das Herz von allem, was heilig ist, ist die
heilige Person, das Herz von allem, was rein ist, ist das
reine Feuer; rein ist alles, was ein echter Arya tut, sogar
das Beriihren von Haaren.
19. (7050.) Jedesmal, wenn man sich wiedersieht, soil man
die Frage nach dem Wohlbefmden stellen; morgens und
abends die Brahmanen zu begriifsen ist Vorschrift.
20. (7051.) Bei einem Gotteshause, unter Kiihen und bei
arztlicher Behandlung von Brahmanen, beim Vedastudium
und beim Essen soil man die rechte Hand gebrauchen.
21. (7052.) Die Verehrung der Brahmanen am Abend und
am Morgen der Vorschrift gemafs, das glanzt als die Ware
aller Waren, das wird geriihmt als der Acker aller Acker,
(7053.) als das, was die Feldfrucht vervieltaltigt, das gilt unter
allem Fahren als das Fahren mit Kiihen,
22. das soil man immer als erlangte Sattigung beim
Essen und Trinken, (7054.) das soil man ansehen als die gute
Zubereitung bei Milchspeisen, Reissuppen und Sesambrei.
23. Wenn einer beim Bartscheren begriffen ist, oder beim
Niesen, Baden oder Essen, so soil man ihm, (7055.) wie auch
alien Kranken, ein langes Leben wiinschen.
24. Man soil nicht gegen die Sonne gewendet harnen
oder seinen eigenen Kot beschauen; (7056.) man soil es ver-
meiden, neben einem Weibe zu liegen oder mit ihr zusammen
zu essen.
25. Das Duzen und das Nennen beim Namen soil man
bei Respektspersonen vermeiden, (7057.) Geringeren und Gleich-
stehenden gegeniiber ist es nicht tadelnswert.
26. Das aufsere Gebaren schon verrat das bose Ge-
wissen der Ubeltater, (7058.) sofern sie sich ihres Bosen be-
wufst sind, und sie sind verloren, auch wenn sie sich unter
der Menge zu verbergen suchen.
27. Das mit Bewufstsein begangene Bose sucht der des
Veda Unkundige zu verheimlichen, (7059.) aber wenn ihn auch
die Menschen nicht sehen, so sehen ihn doch die droben im
Himmel.
28. Das von dem bosen Menschen verheimlichte Bose
schlagt aus zum Bosen ; (7060.) das aus Rechtschaffenheit ver-
12*
180 III. Mokshadharma.
heimlichte Gute schlagt aus zum Guten; das von dem Recht-
schaffenen begangene Gute schlagt aus zum Guten.
29. (7061.) Wohl mag der Tor hier sich nicht an das
Bose erinnern, welches er getan hat, und doch folgt es
ihm, auch wenn der Tater sich wandelt. Wie Rahu
den Mond verfolgt, so verfolgt den Toren sein hoses Werk.
30. (7062.) Die Werkmasse, welche in der Hoffnung [auf
Lohn] aufgehauft wurde, wird [im Jenseits] nicht ohne Leiden
[liber ihr Schwinden] genossen ; darum riihmen es die Weisen
nicht und brauchen nicht [wie jene] auf den Tod zu warten.
31. (7063.) Die Weisen erklaren, dafs das Gute aller Wesen
auf Gesinnung beruhend frndnasa) sei, darum soil man bei
alien Wesen der Gesinnung nach Wohlwollen walten lassen.
32. (7064.) Die Pflicht mufs jeder allein iiben, in der Pflicht-
erfullung gibt es keine Gemeinschaft , [man iibt sie,] indem
man sich nur an das Gesetz halt, was kann dabei ein Ge-
fahrte tun?
33. (7065.) Das Gesetz ist die Lebensquelle fiir die Men-
schen, wie fur die Gotter im Himmel das Amritam, durch
die Gesetzeserfiillung erlangt man nach dem Tode den Genufs
ewiger Wonne.
So lautet im Mokshadbaxma die Vorschrift fiir den guten Lebenswandel
(dcdra-vidin).
Adhyaya 194 (B. 194).
Vers 7066-7128 (B. 1-63).
Yudhishthira sprach:
1. (7066.) Das, was an dem Menschen hier bemerkt und
mit dem Namen des innern Selbstes belegt wird, was und
wie dieses innere Selbst, ist, das erklare mir, o Grofsvater.
2. (7067.) Woher ist ferner dieses Weltall mit Unbewea:-
lichem und Beweglichem geschaffen worden, und wie ver-
schwindet es beim Weltuntergange ? Das sollst du mir jetzt
sagen, o Brahmane.
Adhyaya 194 (B. 194). l81
Bhishma sprach:
3. (7068.) Das, was man das innere Selbst nennt, nach
dem du mich fragst, o Prithasohn, das will ich erklaren,
o Freund, als das allerbeseligendste Gliick.
4. (7069.) Als mit Schopfung und Vergang behaftet wird
€S von den Lehrern geschildert; der Mensch, welcher es er-
kannt hat, findet in der Welt Freude und Gliickseligkeit,
<7070.) und audi eine Frucht desselben gibt es, und das ist
das Wohlwollen gegen alle Geschopfe.
5. Die Erde, der Wind, der Ather, das Wasser und das
Licht als fiinftes, (70710 dies sind die grofsen Elemente fmahd-
bhutdnij, welche der Ursprung und der Vergang aller Wesen
•sind.
6. In das, woraus sie [die Wesen] geschaffen sind, da-
iiinein kehren sie auch immer wieder und wieder zurtick,
<7072.) namlich in die grofsen Elemente [aus ihrer voriibergehen-
den Gestaltung] als Wesen, wie die Wellen des Ozeans.
7. Wie eine Scbildkrote ihre Glieder aus sich heraus-
streckt und wieder in sich hereinzieht, (7073.) so schafft der
Bhutatman (Element-Atman) die Wesen und zieht sie wieder ein.
8. Er, der Wesensschopfer, ist es, welcher die in alien
Wesen vorhandenen fiinf grofsen Elemente (7074.) geschaffen
hat, aber seine Wesensverschiedenheit von diesen erkennt
der Jiva (die individuelle Seele) nicht.
9. Der Ton, das Gehor und die Ohroffnungen, diese drei
sind aus dem Ather als ihrem Ursprung entstanden. (7075.) Aus
dem Winde aber sind das Gefiihl, die Bewegung und die
Haut, diese drei, entsprungen.
10. Die Gestalt, das Auge und das Brennen, das ist das
dreifache Feuer. (7076.) Der Geschmack, die Feuchtigkeit und
die Zunge, diese werden als die drei Qualitaten des Wassers
bezeichnet.
11. Der Geruch, die Nase und der Leib, das sind die
drei Qualitaten der Erde; (7077.) das sind die fiinf grofsen
Elemente und als sechstes gilt das Manas.
12. Die Sinne und das Manas sind fiir einen die Er-
kenntnisorgane, o Bharata ; (7078.) als siebente gilt die Buddhi
und der Kshetrajfia ist der achte.
182 in. Mokshadharma.
13. Das Auge dient dem Sehen, das Manas erhebt die
zweifelnde Uberlegung, (7079.) die Buddhi hat als Aufgabe die
Entscheidung , der Kshetrajna steht als Zuschauer da.
14. Er schaut alles, was oberhalb der Fufssohlen, was
hierher zu und was nach oben ist, (708O.) von ihm, das sollst
du wissen, ist diese ganze Welt innerlich durchdrungen.
15. Die Aufgabe der Menschen ist es, die Sinnesorgane
vollstandig kennen zu lernen, (708i.) denn auch Tamas, Rajas
und Sattvam, diese Wesenheiten, beruhen darauf [auf Er-
kenntnis der Sinne].
16. Der Mensch, welcher sie durch seine Erkenntnis er-
kannt hat und dazu das Kommen und Gehen der Wesen
(7082.) erwagt, der gelangt nach und nach zur hochsten Ruhe.
17. Die Buddhi fiihrt die Eigenschaften [gundn mit
Vers 8989 zu lesen] an, und sie fiihrt auch die Sinnesorgane
(7083.) samthch mit dem Manas als sechstem an; gabe es keine
Buddhi, wie konnten die Eigenschaften bestehen!
18. Somit ist diese ganze Welt des Unbeweglichen und
Beweglichen aus ihr [der Buddhi] bestehend ; (7084.) [mit ihr]
vergeht sie und entsteht, somit erweist sie sich als so [durch
die Buddhi bedingt].
19. Dasjenige, wodurch sie [die Buddhi] sieht, das ist
das Auge, wodurch sie hort, das wird das Ohr genannt,
(7085.) wodurch sie riecht, das ist die Nase, und den Geschmack
erkennt sie durch die Zunge.
20. Durch die Haut empfmdet sie die Gefiihle, die Buddhi
ist es, welche sich jedem einzelnen Falle anpafst, (7086.) sofern
sie irgend etwas begehrt, wird sie zum Manas.
21. Namlich funffach sind die Stiitzpunkte der Buddhi,
je nach dem besondern Zwecke, (7087.) und diese nennt man
die Sinnesorgane; iiber ihnen thront der Unsichtbare [der
Kshetrajfia].
22. Die Buddhi, wenn sie im Menschen wohnt, befindet
sich in drei Zustanden; (7088.) manchmal empfangt sie Lust
[durch das Sattvam], manchmal wird sie in Leid versetzt
[durch das Rajas],
23. manchmal befindet sie sich so, dafs sie weder von
Lust noch von Unlust beriihrt wird [vermoge des Tamas];
Adhyaya 194 (B. 194). 183
(7089.) und so geschieht es, dafs die Buddhi im Geiste der
Menschen sich in drei Zustanden befindet.
24. Sie ist es, welche diesen Zustanden verwandt diese
drei Zustande iiberwindet, (7090.) wie der wellenreiche Ozean
als Herr der Fliisse deren grofsen Zustrom.
25. Nachdem die Buddhi liber die Zustande hinausgelangt
ist, verweilt sie in dem Manas als ihrem Zustande. (709i.) Dann
aber regt sich das Rajas und iiberkommt diesen Zustand.
26. Dann setzt sie alle Sinnesorgane in Tatigkeit; [der
folgende Halbvers fehlt in C] und weiterhin iiberkommt die
Wesenheit des Tamas das Sattvam, indem es sich an dessen
Lust heranmacht.
27. (7092.) Das Sattvam ist Lust, das Rajas ist Leid, das
Tamas ist Dumpfheit, so sind diese drei; alle in der Welt
herrschenden Zustande bestehen aus diesen dreien im Verein.
28. (7093.) Damit babe ich dir, o Bharata, das ganze Wesen
der Buddhi erklart; es ist aber Aufgabe des Weisen, alle
Sinne zu iiberwinden.
29. (7094.) Sattvam, Rajas und Tamas sind bei den Leben-
den allezeit zusammenhangend , und dementsprechend ist in
den Wesen eine dreifache Empfindung [von Lust, Leid und
Gleichgiiltigkeit] vorhanden,
30. (7095.) namlich die auf das Sattvam, die auf das
Rajas und die auf das Tamas beziigliche, o Bharata; als Lust
empfunden wird der Guna des Sattvam, als Schmerz der des
Rajas; (7096.) beide kommen mit dem Guna des Tamas ver-
bunden zur Verwirklichung.
31. Wenn nun etwas als angenehm im Korper oder im
Geiste sich kundgibt, (7097.) so muls man dies daraus erklaren,
dafs die Empfindung fiir das Sattvam sich geltend macht.
32. Wenn hingegen etwas als unangenehm uns beriihrt,
indem es Unlust erregt, (7098.) so soil man denken, das Rajas
macht sich geltend, und es nicht beachten oder sich darum
kiimmern.
33. Und endlich wenn etwas als Dumpfheit undeutlich
in das Bewufstsein tritt, (7099.) ohne recht erschlossen oder
erkannt werden zu konnen, das soil man als Tamas auffassen.
34. Freude, Befriedigung, Wonne und Freiheit von Sorgen,
184 III. Mokshadharma.
(7100.) WO diese auftreten, da sagt man, dafs die Qualitaten
des Sattvam sich so oder so betatigen.
35. Unbefriedigung, Qual, Kummer, Begierde und Un-
geduld, (7101.) diese, mag man ihre Griinde kennen oder nicht,
werden angesehen als Merkmale des Rajas.
36. Als Diinkel, Verblendung, Unbesonnenheit, Schlaf
und Tragheit, (7102.) als eines oder das andere von diesen,
machen sich die verschiedenen Eigenschaften des Tamas
geltend.
37. Wer das weitschweifende, viel herumstreifende, Ver-
langen und Zweifel hegende (7103.) Manas gut in der Zucht
halt, der ist gliicklich im Diesseits und im Jenseits.
38. Zwischen dem Sattvam [als Hauptvertreter der Pra-
kriti] und dem Kshetrajna [dem Purusha], zwischen diesen
beiden schwer erkennbaren besteht der Unterschied, (7104.) dafs
ersteres die Qualitaten aus sich hervorgehen lafst, letzterer
aber nicht.
39. Gleichwie die Miicke und der Feigenbaum [auf dem
sie sitzt] immerfort verbunden (7105.) zu sein scheinen, so ist
auch die Verbindung von Sattvam und Kshetrajna;
40. denn wiewohl sie ihrer Natur nach verschieden sind,
so sind sie doch allezeit verbunden ; (7106.) wie der Fisch und
das Wasser, so sind auch diese beiden verbunden.
41. Die Guna's kennen nicht den Atman, aber er kennt
die Guna's allesamt, (7107.) jedoch als der Erkenner der Guna's
glaubt er, dafs sie mit ihm vermengt sind.
42. Aber um seine Schritte zu beleuchten, tut mit den
Sinnesorganen und der Buddhi als siebentem, (7108.) obwohl
diese unbeweglich und unbewufst sind, der Atman seine
Schritte fpadamj, wie mit einer Leuchte.
43. Das Sattvam namlich lafst die Qualitaten aus sich
hervorgehen, und der Kshetrajfia schaut sie an, (7109.) das ist
die bestandige Verbindung dieser beiden, des Sattvam und
des Kshetrajna.
44. Das Sattvam und der Kshetrajna haben keine ge-
meinschaftliche Basis, (7110.) der letztere vermischt sich nie-
mals mit Sattvam, Manas und alien Qualitaten.
45. Wenn er mittels des Manas die Ziigel der Qualitaten
Adhyaya 194 (B. 194). 185
regiert, (7iii.) dann leuchtet sein eigenes Wesen durch, wie
ein brennendes Licht in einem Topfe.
46. Wer nun die aus der Prakriti stamraende Tatigkeit
aufgibt und als Einsiedler allezeit am Atman seine Freude
hat [Chand. Up. 7,25,2], (7112.) der wird zum Atman aller
Wesen, darum geht er den hochsten Gang.
47. Wie ein Wasservogel durch das Wasser nicht be-
netzt wird, (7113.) in ahnHcher Weise lebt unter den Wesen
der, welcher die Erkenntnis erlangt hat.
48. Also moge der Mensch durch seine Einsicht in dieser
Weise sich von seiner eigenen Natur lossagen, (7ii4.) nicht
mehr jammernd, nicht mehr sich freuend, gleichmiitig und
frei von Selbstsucht.
49. Wer aber durch die Verbindung mit seiner eigenen
Natur gefesselt bleibt, der lafst immer wieder die Guna's aus
sich hervorgehen, (7ii5.) wie die Spinne den Faden; die Guna's
sind als der Faden anzusehen.
50. Sind sie [im Tode] zerfallen, so werden sie doch nicht
zunichte, denn ihre Vernichtung wird nicht wahrgenommen
(7116.) durch Sinneswahrnehmung ; freilich ist die Sache iiber-
sinnlich, es wird aber durch Folgerung fanumdnamj bewiesen
[dafs sie fortbestehen].
51. So entscheiden sich die einen, wahrend die anderen
behaupten, dais sie vernichtet werden. (7117.) Man moge
beides iiberlegen und sich entscheiden, wie man will,
52. Jedenfalls moge man diesen festen , aus den Ver-
zweigungen der Buddhi bestehenden Herzensknoten (7118.) losen
und heiter dasitzen und keinen Kummer mehr empfinden, da
der Zweifel gelost ist.
53. Obgleich sie befleckt sind, erlangen sie die VoU-
endung, wie Manner einen vollen Flufs erlangen (7119.) und
in ihm eintauchen, wohl wissend [dafs sie dadurch rein
werden], und du mufst wissen, dafs es die Erkenntnis ist,
welche dies vollbringt.
54. Durch einen grofsen Flufs wird einer auch dann ge-
qualt, wenn er das [zu erreichende] Ufer sieht, das ist nicht
anders, (7120.) hingegen [in unserm Falle] wird einer nicht
186 in. Mokshadharma.
gequalt, well er die Wahrheit kennt, sondern die Frucht im
Auge habend schwimmt er hiniiber.
55. So ist es mit denen, welche den innern Atman er-
kennen als reine und hochste Erkenntnis.
56. (7121.) Der Mann, welcher das hier stattfmdende all-
gemeine Hingehen und Wiederkommen der Wesen erkennt
und erwagt, der erlangt aus dieser Erkenntnis sodann nach
und nach die Beruhigung.
57. (7122.) Wer die Dreiheit [von Angenehmem, Niitzlichem
und Gutem] erkannt hat und mit Bewufstsein sich von ihr
lossagt und immer sucht mit hingegebenem Geiste, der schaut
die Wesenheit und wird frei von Verlangen.
58. (7123.) Der Atman kann nicht geschaut werden mittels
der Sinne, welche zersplittert hierhin und dorthin sich zer-
streuen und schwer zu bandigen sind von solchen, deren
Atman nicht bereitet ist.
59. (7124.) Wer dieses weifs, der ist weise, welches andere
Kennzeichen gabe es; denn dieses erkannt habend sind sich
die Weisen bewufst, ihre Aufgabe erfiillt zu haben.
60. (7125.) Wer dieses weifs, fiir den gibt es keine
Furcht mehr, wahrend die Nichtwissenden in grofser
Furcht verharren. Einen hohern Weg gibt es fiir keinen,
nach erreichter Tiichtigkeit preisen sie seine Unvergleich-
lichkeit.
61. (7126.) Wer da handelt ohne vorangehende Ab-
sicht und zugleich abstofst, was er vordem getan hat,
fiir den besteht beides nicht mehr, die Unlust und noch
weniger die Lust. Das bewirkt an einem hienieden voU-
standig [die Erkenntnis].
62. (7127.) Dann ist der Mensch dieser kranken Welt
iiberdriissig ; das bewirkt an einem hienieden vollstandig
[die Erkenntnis].
63. Siehe in der Welt, indem du dich aus ihr zuriick-
ziehst, wie in ihr die kranken Menschen bald dies, bald
jenes vielfach bejammern; (7128.) siehe in ihr auch Ge-
sunde, welche es nicht bejammern, es sind die, welche
Adhyaya 195 (B. 195). 187
jenen zweifachen Weg der Guten kennen [die Stufen-
erlosung auf dem Devayana und die voile Erkenntnis].
So lautet im Mokshadharma die Lehre vom innern Selbste
(adhijdtnia-kathanaiii).
Adliyaya 195 (B. 195).
Vers 7129-7150 (B. 1-22).
Bhishma sprach:
1. (7129.) Wohlan/ich will ihn dir verkiinden, o Pritha-
sohn, den vierfachen Meditationsyoga, welchen erkannt habend
schon hienieden die grofsen Weisen zur ewigen Vollendung
gelangen.
2. (7130.) In der "Weise betreiben die Yogin's die Medita-
tion, wie sie richtig betrieben werden mufs, die grofsen Wei-
sen, welche an Erkenntnis sich sattigen und ihren Geist auf
das Nirvanam richten.
3. (7131.) Sie kehren nicht zuriick, o Sohn der Pritha,
wenn sie erlost sind von der Schuld des Samsara. Getilgt
ist die Schuld ihrer Geburt, fest stehen sie in ihrer eigenen
"Wesenheit.
4. (7132.) Ohne Zweiheit sind sie, bestandig in der Reali-
tat beharrend, befreit, in der Bezahmung ausharrend. Was
ohne Anhanglichkeit ist, unwidersprechlich und dem Herzen
Ruhe gewahrend,
5. (7133.) darin soil der Muni durch Meditation das ihn
umklammernde Manas auf einen Punkt konzentrieren und
fesseln, indem er zugleich die Schar der Sinnesorgane zu-
sammenrollt und dasitzt wie ein Stiick Holz.
6. (7134.) Nicht mehr soil er den Ton mit dem Ohr er-
fassen, nicht mehr die Gefiihle mit der Haut empfinden
Oder die Gestalten mit dem Auge oder die Geschmacke mit
der Zunge erkennen.
7. (7135.) Und auch von alien Empfindungen des Geruchs
soil abstehen durch die Meditation der Yogawissende ; alles
dies, was die Fiinfschar [der Sinne] in Aufregung bringt, soil
er tapfer von sich ablehnen.
188 III. Mokshadharma.
8. (7136.) Sodann soil er mit Geschick die Fiinfschar in
■dem Manas beschliefsen und das umherschweifende Manas
mitsamt den fiinf Sinnen zur Ruhe bringen.
9. (7137.) Das Manas, das zerfahrene, haltlose, fiinftorige,
immer bewegliche, soil zuerst der Weise auf dem Wege der
Meditation in sich zur Ruhe bringen.
10. (7138.) Wenn er die Sinne mitsamt dem Manas zu-
sammengerollt hat, das wird als erste Stufe der Meditation
von mir bezeichnet.
11. (7139.) Dann wird ihm das sechste, schon innerlich in
ihm eingeschlossene [Manas] noch zucken, wie der geziickte
Blitz in der Wolke.
12. (7140.) Wie ein beweglicher Wassertropfen auf dem
Blatte nach alien Seiten bin und her rollt, so ist dann auch
«ein Manas, wenn er auf dem Wege der Meditation wandelt.
13. (7141.) Auch wenn es, fiir einen Augenblick einiger-
mafsen zur Ruhe gebracht, auf dem Wege der Meditation
zum Stillstand kommt, wird das Manas wieder auf den Pfad
■des Windes hinausschweifen, dem Winde vergleichbar.
14. (7142.) Unverdrossen und unbekiimmert, frei von Schlaff-
heit und Selbstsucht, soil er das Manas wiederum zur Ruhe
bringen durch die Meditation, er, der Meditationskundige.
15. (7143.) Dann entstehen Bedenken, Erwagen und Zweifel
in dem Muni, wenn er zum ersten Male die Meditation von
Anfang an in Gang bringt.
16. (7144.) Aber auch wenn er durch sein Manas belastigt
wrird, soil er die Andacht durchfiihren ; nicht moge der Muni
verdrossen werden, sondern das Heil seiner Seele schaffen.
17. (7145.) Wie Haufen, die aus Staub, Asche oder Schutt
geschichtet sind, wenn man sie plotzlich mit Wasser be-
^iefst, nicht sogleich zusammenbacken,
18. (7146.) oder wie trockenes Mehl, wenn es etwas feucht
geworden ist, doch noch nicht zusammenklumpt , aber nach
und nach doch dieses alles allmahlich eine feste Masse bildet,
19. (7147.) so wird er auch nur nach und nach die Schar
-der Sinnesorgane zusammenknaulen und sie allmahlich zu-
«ammenhalten, — dann wird er vollig zur Ruhe kommen.
20. (7148.) Nachdem er aus freien Stiicken sein Manas
Adhyaya 195 (B. 195). 18&
und die Fiinfschar in dieser Weise, o Bharata, zunachst auf
dem Wege der Meditation zum Stillstande gebracht hat, dann
kommt er durch fortgesetzten Yoga zur Ruhe.
21. (7149.) Nicht kann durch Menschenwerk , nicht kann
durch irgendeine Gottergabe jemand zu der Sehgkeit ge-
langen, die der besitzt, welcher so sein Selbst liberwaltigt hat.
22. (7150.) In dieser Sehgkeit begriffen, wird er die Aus-
iibung der Meditation geniefsen, und so gehen die Yogin's
ein in das von Krankheit freie Nirvanam.
So lautet im Mokshadharma die Beschreibung dea Toga
(yo^a - lathanani).
Adhyaya 196 (B. 196).
Vers 7151-7173 (B. 1-23).
Yudhishthira sprach:
1. (7151.) Das Wesen der vier Lebensstadien ist von dir
erklart worden, sowie auch die Konigspflichten ; auch hast du
viele, auf mancherlei beziighche Erzahlungen im einzelnen
mitgeteilt.
2. (7152.) Ich habe die von dir mitgeteilten Geschichten
und die an sie gekniipften Belehrungen vernommen, o Hoch-
weiser. Aber ein gewisser Zweifel kommt mir, den mogest
du, o Herr, mir losen.
3. (7153.) Ich mochte, o Bharata, belehrt werden iiber die
Frucht, welche die Murmler der Gebete erlangen; welche
Frucht wird fiir die Gebetsmurmler verheifsen und wo haben
sie ihren Platz?
4. (7154.) Auch die ganze Kegel des Gebetsmurmelns mogest
du mir erklaren, o UntadeHger, und ob unter dem Worte
Gebetsmurmler etwa eine Vorschrift der Tatigkeit der Re-
flexion fsdnkhyamj oder der Hingebung fyogaj zu verstehen ist,
5. (7155.) oder ob es eine Vorschrift des Opferns bedeutet;
was ist unter dem Gebetsmurmeln zu verstehen? Das alles
mogest du mir erklaren, denn ich erachte dich fiir einen, der
alles weifs.
190 III. Mokshadharma.
Bhishma sprach:
6. (7156.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Oeschichte, namlich was sich ehemals begeben hat zwischen
Yama, Kala und einem Brahmanen [vgl. Adhy. 199].
7. (7157.) Was aber die Reflexion fsdrilchyam) und die Hin-
gebung (yoga) betrifft, welche von den die Erlosung kennenden
Weisen erwahnt werden, so liegt im Vedanta nur die Ent-
sagung vor , und gegen das Gebetsmurmeln (7i58.) wenden
sich die Vedaworte ; nur die, welche die Beruhigung gefunden
haben, stehen im Brahman fest.
8. Was aber die Reflexion und die Hingebung betrifl't,
von dem die Weisen, iiberall dasselbe Sehenden reden, (7159.) so
sind auch diese beiden zwei Wege, welche gangbar sind, aber
nicht von der Schrift gelehrt werden.
9. Fiir das, was in der Schrift gelehrt wird, o Konig,
kann auch eine Begriindung durch jene beiden gegeben wer-
den, (7160.) auch in ihnen wird die Versenkung des Geistes
und ebenso die Bekampfung der Sinne gelehrt.
10. Wahrhaftigkeit , Pflege der Feuer, Aufsuchen ent-
legener Orte, (7i6i.) Meditation, Askese, Bezahmung, Geduld,
Nichtmurren, mafsige Ernahrung,
11. Zuriickziehung von den Sinnendingen, mafsiges Reden
und Beruhigung, (7162.) das ist das Opfer, welches fordert.
Nun hore auch das, welches hemmt,
12. und inwiefern das Werk des Gebete murmelnden
Brahmacarin hemmt, (7i63.) das alles moge man vollstandig,
so wie es gesagt ist, reiflich iiberlegen.
13. Wer den hemmenden Weg betritt, mag er ihm klar
oder unklar sein, den Weg, der keine feste Stiitze gewahrt,
14. (7164.) der wird, wenn auch auf einem Haufen von
KuQagras sitzend, Kugagras in der Hand haltend, mit Kuga-
gras auf dem Kopfe, von Kugagras umgeben und in dieser
Umgebung auch noch von KuQagras bedeckt,
15. (7165.) dennoch den Sinnendingen frohnen, — dieSinnen-
dinge aber soil man nicht ehren, sondern, Gleichmiitigkeit
durch das Manas gewinnend, im Manas das Manas bergen.
16. (7166.) Dann meditiert man im Denken das Brahman,
wobei man immerhin einen guten Samhitaspruch murmeln
Adhyaya 196 (B. 196). 191
mag. Oder einer verzichtet auch auf diesen und verharrt in
der Absorption.
17. (7167.) Dann fordert er die Meditation, indem er sich
dabei auf die Meditation des Samhitaspruches stiitzt, und mit
reinem Herzen, durch Askese gezahmt, Hafs und Liebe in
sich vernichtet.
18. (7168.) Dann wird er, ohne Leidenschaft, Verblendung
und Zweiheitlichkeit, nicht trauern und nicht anhangen, und
nicht mehr Tater sein von Ursachen oder von Wirkungen,
das steht fest.
19. (7169.) Dann wird er nicht mehr das Manas in Ver-
bindung mit dem Ahankara irgendwohin aussenden, nicht
mehr beschaftigt sein mit dem Greifen von Dingen, nicht
hochmiitig und doch nicht untatig.
20. (7170.) Die Tatigkeit der Meditation als Hochstes
schatzend, hingegeben, meditationsreich , die Meditation mit
Entschlossenheit betreibend, so wird er in der Meditation die
Absorption erzeugen und dann auch jene [Meditation] nach
und nach aufgeben.
21. (7171.) Wenn er in diesem Zustande mit Freudigkeit
jede Entsagung vollbracht hat, dann lafst er wunschlos seine
Lebenshauche fahren und geht ein in einen brahmischen Leib.
22. (7172.) Oder auch, falls er alsdann nicht wiinschen
sollte, einen Brahmanleib zu bewohnen, so steigt er empor
und weilt auf dem Wege [dem Devayana], aber geboren wird
er nicht wieder.
23. (7173.) Und in der Erkenntnis des Atman beharrend,
beruhigt geworden und frei von Krankheit, geht er leiden-
schaftslos in den unsterblichen reinen Atman ein.
So lautet im Mokshadharma die ErSrterung liber den Gebetsmurmler
(jdpaka - updkhydnam).
192 ni. Mokshadharma.
Aclhyaya 197 (B. 197).
Vers 7174-7186 (B. 1-13).
Yudhishthira sprach:
1. (7174.) Du hast davon gesprochen, inwieweit die Er-
langung des hochsten der Wege auch fiir die Gebetsmurmler
moglich ist ; aber das ist doch nur der eine Weg, den sie geheii
konnen; gehen sie wohl auch einen andern?
Bhishma sprach:
2. (7175.) Vernimm mit Aufmerksamkeit, o Konig, einen
Weg der Gebetsmurmler, o Herr, auf dem sie in mancherlei
Hollen fahren, o Mannerstier.
3. (7176.) Derjenige Gebetsmurmler, der nicht vorher be-
treibt, was wir soeben besprochen haben, der ist einseitig
dem Opferwerke zugewendet und fahrt in die Holle.
4. (7177.) Wenn er aus Hochmut das Werk betreibt, nicht
erfreuend und nicht erfreut, ein solcher Gebetsmurmler fahrt
zur Holle, daran ist kein Zweifel.
5. (7178.) ^lle, welche aus Selbstsucht handeln, fahren
zur Holle; ein Mensch, der die andern verachtet, wird der
Holle verfallen.
6. (7179.) Wer hingegen in seiner Torheit unter vorher-
gehender Absicht das Gebetsmurmeln vollzieht, der wird da-
fiir jedesmal in den Leib eingehen, auf den sein leidenschaft-
liches Verlangen gerichtet ist.
7. (7180.) Und auch wenn bei den Veranstaltungen zur
Erlangung von iibernatiirlichen Kraften der Gebetsmurmler
sich in diese vergafft, so gereicht ihm das zur Holle, und
er kann nicht von ihr freikommen.
8. (7181.) Ein solcher Gebetsmurmler vollzieht in seiner
Torheit das Gebetsmurmeln aus leidenschaftlichem Verlangen,
und er wird dafiir jedesmal in den Leib eingehen, auf den
sein leidenschaftliches Verlangen gerichtet ist.
9. (7182.) Unverstandig und ohne erlangte Einsicht ist er
in seinem unsteten Manas; einen unsteten Weg wandelt er
Oder gerat in die Holle.
Adhy^ya 197 (B. 197). 193
10. (7183.) Ohne erlangte Einsicht als ein Tor gerat der
Gebetsmurmler in Verblendung, und aus der Verblendiing
fahrt er in die Holle; ist er dort, dann wird er jammern.
11. (7184.) Ich weifs, was ich will, so denkt der Gebets-
murmler und murmelt sein Gebet; er ist nicht voll von seiner
Sache, ist ihr nicht hingegeben und fahrt in die Holle.
Yudhishthira sprach:
12. (7185.) Unverganglich ist jenes Hochste, Unoffenbare,
in Brahman Kuhende [der Atman]; wenn ein Gebetsmurmler
zu diesem wird, warum mufs auch ein solcher hienieden wieder
in einen Korper eingehen?
Bhlshma sprach:
13. (7186.) Viele HoUen werden fur mangelhafte Erkennt-
nis in Aussicht gestellt. Selbst wenn die Gebete in loblicher
Weise gemurmelt werden, so haften diesem Tun doch immer-
hin derartige Fehler an.
So lautet Im Mokshadharma die Eiortervmg Ubex den Gebetsmurinler
(jdpal-a - updkhydnam).
Adhyaya 198 (B. 198).
Vers 7187-7197 (B. 1-11).
Yudhishthira sprach:
1. (7187.) Was ist das fiir eine Holle, in welche der Ge-
betsmurmler fahrt? Das schildere mir; Wifsbegierde erfiillt
mich, 0 Konig, darum soUst du es mir sagen.
Bhishma sprach:
2. (7188.) Du bist erzeugt als ein Sprofs des Gottes der
Gereehtigkeit ("DharmaJ, du bist von Natur iiberaus gerecht,
so vernimm denn mit Aufmerksamkeit, o Untadeliger, die
Rede, welche sich griindet auf die Wurzel der Gereehtigkeit.
3. (7189.) Jene Orte der Gotter von hochster Wesenheit
Decbben, Mah&bb&Tatam. 13
194 III. Mokshadharma.
mit mancherlei Standorten und Farben, mit mancherlei Ge-
stalten und Friichten,
4. (7190.) jene himmlischen , nach Belieben zu durch-
wandelnden Palaste und Hallen, jene mannigfachen Spiel-
platze, 0 Konig, und goldenen Lotosteiche
5. (7191.) der vier Welthiiter, des Venusplaneten und des
Jupiter, der Winde und der Gesamtgotter, der Vollendeten
und der A<?vin's,
6. (7192.) der Rudra's, Aditya's, Vasu's und der anderen
Himmelsbewohner, das sind eben, o Freund, die Hollen, die
Verhiillungen des Ortes des hochsten Atman.
7. (7193.) Dieser Ort aber ist furchtlos, kausalitatlos,
nicht von Plagen erfullt, frei von den zweien [Lust und Un-
lust] , frei von den dreien [Guna's] , frei von den achten
[Sinne, Manas, Buddhi, Avidya] und den anderen dreien [Ob-
jekt, Subjekt und Tatigkeit des Erkennens],
8. (7194.) frei von den vier Merkmalen [der Sichtbarkeit,
Horbarkeit, Denkbarkeit, ErkennbarkeitJ , frei von den vier
Ursachen, frei von den vier Erkenntnisgriinden [Wahrneh-
mung, Folgerung, Tradition und Vergleich], ohne Freude,
ohne Wonne, ohne Kummer und ohne Ermiidung.
9. (7195.) Eine Zeit gibt es dort, und doch ist die Zeit
nicht Herr, sondern Er ist der Herr iiber die Zeit, o Konig,
und der Gebieter des Himmels.
10. (7196.) Wer die Absolutheit des Atman erlangt hat,
der geht dorthin und trauert nicht. Von dieser Art ist die
hochste Statte, und die Hollen sind von jener Art. J
11. (7197.) Damit habe ich dir alle Hollen nach ihrem
Wesen erklart; weil sie jenen hochsten Ort verhiillen, werden
sie die Hollen genannt.
So lautet im Mokshadharma die Erorterang iiber den Gebetsmurmlei
(jdpaka-updkhydnam).
Adhyaya 199 (B. 199). 195
Adhyaya 199 (B. 199).
Vers 7198-7329 (B. 1-128).
Yudhishthira sprach :
1. (7198.) Es wurde dir einstmals die zwischen Kala,
Mrityu und Yama mit Ikslivaku und einem Brahmanen ge-
pflogene Unterredung erzahlt; die mogest du, o Herr, mir
mitteilen.
Bhishma sprach:
2. (7199.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlicli was sich zwischen Ikshvaku, dem Sohne
des Surya (Sonne) und einem Brahmanen hegeben hat,
3. (7200.) sowie auch, was sich zwischen Kala und Mrityu
begeben hat; das vernimm von mir, wie zwischen ihnen alien
und an welchem Orte die folgende Unterredung statt-
gefunden hat.
4. (7201.) Es war einmal ein Brahmane, ein Gebets-
murmler, in der Pflicht bewandert und von grofsem Ruhme,
die sechs Vedanga's [Lautlehre, Kultus, Grammatik, Wort-
schatz, Metrik, Astronomic; Mund. Up. 1,1,5] kennend, von
grofsem Wissen, ein Sohn des Pippalada und Abkommling
des Kugika.
5. (7202.) Ihm war iiber dem Studium der sechs Vedanga's
eine iibernatiirliche Erkenntnis zuteil geworden ; und auch in
den Veden war er beschlagen, am Fufse des Himalaya
wohnend.
6. (7203.) Er iibte eine mit Reden verbundene fsodyaj^
heilige Askese, indem er mit Selbstzwang die Samhita
murmelte, und unter dieser Kasteiung gingen ihm tausend
Jahre dahin.
7. (7204.) Da liefs sich die Gottin vor ihm leibhaftig sehen
und sprach: „ich bin mit dir zufrieden"; er aber, da er be-
schaftigt war, sein Murmelgebet in Drehung zu erhalten,
schwieg still und erwiderte ihr nichts.
8. (7205.) Aus Mitleid mit ihm erwies sich die Gottin
13*
196 ni. Mokshadharma.
ilim freundlich, und sie, die Mutter des Veda, ehrte sein
Murmelgebet.
9. (7206.) Als er aber mit Murmeln fertig und aufgestanden
war, warf er sich mit dem Kopfe zu den Fiifsen der Gottin
nieder, und er, der Pflichttreue , sprach zu der Gottin dieses
Wort:
10. (7207.) Zur gliicklichen Stunde, o Gottin, bist du mir
gnadig und bist mir sichtbar erscbienen; wenn du mir aber
gnadig bist, so moge sich dein Geist an meiner Murmelung
erfreuen.
Savitri sprach:
11. (7208.) Was verlangst du, o Brahmanenweiser, und
was wiinschest du, das ich dir tun soil? Sprich es aus, o
Bester der Murmler, es soil dir alles zuteil werden.
12. (7209.) So von der Gottin angeredet, sprach der pflicht-
kundige Brahmane: Auf mein Murmeln bezieht sich der
Wunsch, den ich hege, namlich dafs es gedeihen moge fort
und fort,
13. (7210.) und dafs die Absorption meines Geistes, o
Schone, zunehmen moge Tag fiir Tag. Da sprach die Gottin
milde: So sei es!
14. (7211.) Und weiter sprach noch dieses die Gottin aus
Wohlwollen zu ihm: Du soUst nicht in die Holle fahren,
wohin die Gewaltigsten der Brahmanen gegangen sind.
15. (7212.) Du sollst gelangen zu der Statte des Brahman,
der ursachlosen, tadellosen; das vollbringe ich, und du sollst
zu dem werden, um was ich heute von dir gebeten wor-
den bin.
16. (7213.) Mit Selbstzwang murmele, der Sache ganz hin-
gegeben, und [der Gott des Rechtes] Dharma wird zu dir
treten, und Kala [der Gott der Zeit] und Mrityu und Yama
[die Gotter des Todes] werden sich bei dir einfinden.
17. (7214.) Und es wird eine Unterredung stattfmden hier-
selbst zwischen dir und ihnen, heiliger Pflicht gemafs.
Bhishma (der Erzahler) sprach t :
(7215.) So sprach die heilige Gottin und ging in ihre Be-
hausung zuriick.
Adhyaya 199 (B. 199). 197
18. Und wieder sitzt der Brahmane murmelnd da hundert
gottliche Jahre lang, (7216.) immer bezahmt, den Zorn iiber-
windend, mit Wahrheit vereint und ohne Neid.
19. Und als diese Selbstbezwingung vollbracht war, da
geschah es, dafs vor des weisen Brahmanen (7217.) Augen er-
freut der Gott Dharma diesem Zwiegeborenen erschien.
Dharma sprach:
20. (7218.) 0 Zwiegeborener, erkenne mich als den Gott
Dharma; dich zu besuchen bin ich gekommen, und was als
Lohn dieses deines Murmelns erlangt worden ist, das ver-
nimm von mir.
21. (7219.) Alle Welten sind von dir erobert worden, die
gottlichen sowohl als die menschlichen, und zu alien Be-
hausungen der Gotter wirst du, o Guter, emporsteigend ge-
langen.
22. (7220.) Lasse dein Leben fahren, o Muni, und gehe
ein in die von dir gewiinschten Welten; sobald du deinen
Leib aufgegeben hast, wirst du diese Welten erlangen.
Der Brahmane sprach:
23. (7221.) Was sollen mir diese Welten, o Dharma? Geh
du nur hin, wohin es dir beliebt! Meinen Leib, den viel Leid
und Lust enthaltenden, will ich nicht aufgeben, o Herr.
Dharma sprach :
24. (7222.) Notwendigerweise freilich mufst du deinen Leib
aufgeben, 0 Stier unter den Muni's, steige doch auf zum
Himmel, 0 Brahmane; oder was mochtest du denn sonst, 0
Untadeliger ?
Der Brahmane sprach:
25. (7223.) Ich finde keinen Gefallen daran, ohne meinen
Leib im Himmel zu wohnen, 0 Herr; geh nur, o Dharma,
ich trage kein Verlangen danach, ohne Leib in den Himmel
einzugehen.
198 ni. Mokshadharma.
Dharma sprach :
26. (7224.) Hore auf, deinen Sinn auf den Korper zii
richten, gib deinen Leib auf und werde gliicklich. Gehe ein
in die staubfreien Welten, wohin gelangt du nicht mehr
trauerst.
Der Brahmane sprach :
27. (7225.) Ich habe meine Freude am Gebetsmurmeln , o
Herrlicher, was sollen mir die ewigen Welten! mit meinem
Leibe will ich in den Himmel gehen oder gar nicht, o Herr.
Dharma sprach :
28. (7226.) Wenn du deinen Leib nicht aufgeben willst^
dann sieh einmal, o Zwiegeborener, da kommen Kala und
Mrityu und Yama, um dich zu besuchen.
Bhishma (der Erzahler) sprach:
29. (7227.) Da kamen Vaivasvata (Yama), Kala und Mrityu
zu dreien, o Herr, zu diesem herrlichen Brahmanen und
sprachen folgendermafsen.
Yama sprach:
30. (7228.) Fiir diese wohldurchgefiihrte Askese und fur
deinen guten Lebenswandel wird dir Erlangung der schonsten
Frucht zuteil, ich, der Gott Yama, spreche dich an.
KS,Ia sprach:
31. (7229.) Entsprechend diesem Gebetsmurmeln ist als
hochste Frucht dir zuteil geworden, dafs dir die Zeit (MlaJ
gekommen ist, zum Himmel aufzusteigen. Ich, Kala [der
Gott der Zeit], bin zu dir gekommen.
Mrityu sprach:
32. (7230.) Wisse mich, o Pflichtkundiger, als Mrityu (Tod)
leibhaftig hier erschienen, um, von Kala (Zeit) aufgefordert,
dich, o Brahmane, heute von hier abzuholen.
Adhyaya 199 (B. 199). 199
Der Brahmane sprach:
33. (7231.) Willkommen heifse ich den Sohn der Sonne
und den hochherzigen Kala, den Mrityu und den Dharma!
Was ist es, das ich fiir euch ausrichten soil?
Bhishma (der Erzahler) sprach:
34. (7232.) Nachdem er ihnen sodann dort bei der Zu-
sammenkunft die Ehrengabe und das Fufswasser dargeboten
hatte, sprach er hocherfreut: Was kann ich mit meinen
Kraften fiir euch tun?
35. (7233.) Zu derselben Zeit geschah es, dafs der auf der
Wallfahrt zu einem heiligen Badeplatze begriffene Ikshvaku
dorthin kam, wo jene, o Herr, sich versammelt hatten.
36. (7234.) Nachdem der Konigsweise sie alle geehrt und
sich vor ihnen verneigt hatte, richtete er, der Beste der
Konige, an alle die Frage nach ihrem Wohlbefinden.
37. (7235.) Ihm hot sodann der Brahmane einen Sitz nebst
Fufswasser und Ehrengabe, und nachdem er sich nach seinem
Wohlbefinden erkundigt, sprach er zu ihm das Wort:
38. (7236.) Sei willkommen, o grofser Konig, sage, was
du hier wiinschen magst! Was kann ich aus eigener Kraft
fiir dich tun? Das mogest du, o Herr, mir mitteilen.
Der Konig sprach:
39. (7237.) Ich bin ein Konig und du ein Brahmane, und
dieweil du ausdauernd bist in den sechs Werken [Opfern
fiir sich und fiir andere, Lernen und Lehren, Geben und
Empfangen], so mochte ich dir irgend etwas Riihmliches
schenken; sage mir, was es sein soil.
Der Brahmane sprach:
40. (7238.) Von zweierlei Art sind die Brahmanen, o Konig,
und von zweierlei Art ist auch die Pflicht, wie gelehrt wird.
Es gibt Zugewandte und Abgewandte, ich bin vom Geschenk-
empfangen abgewandt.
41. (7239.) Gib du die Geschenke denen, die ihnen zu-
gewandt sind, o Mannerherr. Ich nehme keine Geschenke
an, aber was wiinschest du, was kann ich dir geben?
200 ni. Mokshadharma.
(7240.) Sage du, o Bester der Fiirsten, was kann ich durch
meine Askese fur dich erwirken?
Der Konig sprach:
42. (7241.) Ich bin ein Kshatriya, und das Wort „gib"
kenne ich nicht. Wir, o Bester der Brahmanen, sagen nur:
Gib uns einen Kampf!
Der Brahmane sprach:
43. (7242.) Du freust dich an deiner Pflicht und wir an
der unserigen, o Fiirst; darin ist zwischen uns kein Unter-
schied, so betreibe denn, was dir erwiinscht ist.
Der Konig sprach:
44. (7243.) Du hast vorher gesagt, dafs du mir nach
eigener Kraft etwas geben wollest. Nun, so bitte ich dich,
gib mir, o Brahmane, die Frucht deines Gebetsmurmelns.
Der Brahmane sprach:
45. (7244.) Du sagst ja selbst, dafs deine Rede immer nur
verlangt nach Kampf; mit mir gibt es nichts zu kampfen;
warum forderst du nun doch wieder etwas?
Der Konig sprach:
46. (7245.) Es heifst von den Brahmanen, dafs sie die
Rede als Donnerkeil fiihren, wahrend die Kshatriya's von
der Starke ihres Armes leben; und hier hat sich, o Brah-
mane, ein scharfer Redekampf zwischen mir und dir ent-
sponnen.
Der Brahmane sprach:
47. (7246.) Das war soeben mein Versprechen, so sage,
was soil ich dir geben nach meinen Kraften; ich. will es dir
geben, o Fiirst der Konige, wofern es in meiner Macht steht,
ohne Verzug.
Der Konig sprach:
48. (7247.) Was jenes durch voile hundert Jahre von dir,
dem Murmelnden, vollbrachte Murmeln ist, die Frucht, die
Adhyaya 199 (B. 199). 201
dir dafiir zukommt, die gib mir, wofern du anders willens
bist, zu geben.
Der Brahmane sprach:
49. (7248.) So nimm von mir entgegen die hochste Frucht,
die von mir ermurmelt worden ist, und empfange die Halfte
der Frucht desselben ohne Bedenken.
50. (7249.) Oder du magst auch allenfalls, o Konig, die
ganze Frucht meines Murmelns hinnehmen, wenn du sie
ganz zu haben wiinschest.
Der Konig sprach:
51. (7250.) Es handelt sich um das Ganze mit Verlaub,
als ich das Ermurmelte erbat. Lebewohl! ich gehe nun,
aber sage mir, was ist die Frucht dessen, was, du mir ge-
schenkt hast?
Der Brahmane sprach:
52. (7251.) Welche Frucht dafiir erlangt wird, das weifs
ich nicht, aber ich habe dir gegeben, was ich ermurmelt
habe ; hier Dharma, Kala, Tama und Mrityu sind des Zeugen.
Der Konig sprach:
53. (7252.) Wenn ich die Frucht dieser Observanz nicht
kenne, was kann sie mir dann helfen. Wenn du mir nicht
die Frucht deiner Observanz, die du im Murmeln libtest,
nennen kannst, (7253.) dann soil der Brahmane die Frucht be-
halten, ich mag nicht, was zweifelhaft ist.
Der Brahmane sprach:
54. (7254.) Ich nehme kein weiteres Reden an; ich habe
die Frucht davon verschenkt, und mein Wort ist entscheidend,
o Konigsweiser , fiir das, was heute zwischen mir und dir
abgemacht worden ist.
55. (7255.) Bei meinem Murmeln habe ich niemals eine
vorgefafste Absicht gehabt; wie soUte ich also, o Tiger unter
den Konigen, die Frucht meines Murmelns kennen?
56. (7256.) Du hast nur gesagt: „gib mir", und ich habe
gesagt: „ich will es dir geben"; mein Wort will ich nicht
202 III. Mokshadharina.
verleugnen, so bleibe auch du bei der Wahrheit und sei be-
standig.
57. (7257.) Oder willst du das Wort, welches ich heute
gesprochen habe, nicht wahr machen, dann wiirde es ein
grofses Unrecht sein, welches du, o Konig, fahrlassiger-
weise begehst.
58. (7258.) Es ziemt sich aber nicht fiir dich, eine fahr-
lassige Eede zu fiihren, o Feindbezwinger, und andererseits
•ist es auch mir unmoglich, meine Zusage Liigen zu strafen.
59. (7259.) Auch ist von mir ohne Bedenken versprochen
worden, es zu geben; so nimm denn auch du es ohne Be-
denken an, wenn du anders bei der Wahrheit bleiben willst.
60. (7260.) Du kamst ja doch hierher, o Konig, und er-
batest die i'rucht meines Murmelns; ich habe sie dir iiber-
lassen; so nimm sie denn an, bleibe auch du standhaft bei
der Wahrheit.
61. (7261.) Fiir den ist nicht diese Welt und nicht die
andere, der rettet nicht seine Vorfahren [vom Verderben]
und noch weniger seine Nachkommen, welcher einer fahr-
lassigen Rede huldigt.
62. (7262.) Ihn retten nicht die Friichte des Opfers und
nicht Gabon, noch auch Selbstbezahmung; so gewifs, wie
das in der andern Welt gilt, so gilt es auch hier, o Mannerstier.
63. (7263.) Mag einer Askesen betrieben haben, mag einer
noch weiter Askesen betreiben wollen, durch diese, und waren
es hundert oder hunderttausend, steht er nicht hoher als
durch die Wahrheit.
64. (7264.) Die Wahrheit ist das eine unvergangliche
Brahman, die Wahrheit ist die eine unvergangliche Askese,
die Wahrheit ist das eine unvergangliche Opfer, die Wahr-
heit ist die eine unvergangliche Schriftoffenbarung.
65. (7265.) Die Wahrheit halt Wache in den Veden, die
Wahrheit bringt nach der Uberlieferung den hochsten Lohn,
aus Wahrheit entspringen Gerechtigkeit und Bezahmung, in
der Wahrheit ist das Weltall gegriindet.
66. (7266.) Wahrheit sind die Veden und Vedanga's, Wahr-
heit sind die Upanishadlehren und die Ritualvorschriften,
Adhyaya 199 (B. 199). 203
Wahrheit ist der Wandel im Geliibde, und Wahrheit ist der
heilige Laut Om.
67. (72G7.) Wahrheit ist die Erzeugung der Lebewesen,
Wahrheit ist ihre Fortpflanzung, durch Wahrheit braust der
Wind heran, durch Wahrheit gliiht die Sonne.
68. (7268.) Durch Wahrheit brennt das Feuer, auf Wahr-
heit ist der Himmel gegriindet, Wahrheit sind Opfer, Askese,
Veden, Singlaute, Spriiche und heilige Eede.
69. (7269.) Auf die Wage wurden gelegt die Gerechtigkeit
und die Wahrheit, so ist uns erzahlt worden; sie halten sich
das Gleichgewicht , aber auf Seiten der Wahrheit ist da&
Ubergewicht.
70. (7270.) Woraus die Gerechtigkeit entspringt, daraus
entspringt auch die Wahrheit, alles gedeiht durch die Wahr-
heit; warum, o Konig, willst du unwahres Werk tun?
71. (7271.) Mache dein Gemiit fest in der Wahrheit, o
Konig, tue nicht, was unwahr ist; warum willst du unedel
sein und dein Wort „gib" unwahr machen?
72. (7272.) Wenn du die von mir geschenkte Frucht der
Murmelung nicht annehmen wirst, o Fiirst, dann wirst du
deinen Pflichten abtriinnig werden und so von Welt zu Welt
umherirren.
73. (7273.) Wer verspricht und dann nicht geben will,
und wer bittet und dann nicht annehmen will, diese sind
beide unaufrichtig, wolle du nicht fahrlassig handeln.
Der Konig sprach:
74. (7274.) Man mufs kampfen und beschiitzen, darin be-
steht ja doch die Pflicht des Kshatriya, o Brahmane; „Ge-
bende" heifsen die Kshatriya's, wie kann ich von dir etwas
annehmen !
Der Brahmane sprach:
75. (7275.) Ich verlange nicht dich giinstig zu stimmen,
o Konig, ich habe nicht dein Haus aufgesucht, sondern du
bist hierher gekommen und hast mich um etwas gebeten;
wie kannst du es nun jetzt nicht annehmen wollen?
204 ni. Mokshadharma.
Dharma sprach:
76. (7276.) Kein Streit sei zwischen euch; wisset mich
hierher gekommen als den Gott der Gerechtigkeit ; der Brah-
mane ist gebunden durch das Geben und seine Friichte, der
Konig durch die Wahrheit und ihre Fruclit.
Der Himmel sprach:
77. (7277.) Ich, der Himmel, bin leibhaftig hierher ge-
kommen, das soUst du wissen, o Fiirst der Konige, kein
Streit sei zwischen euch, ihr habt beide gleiche Friichte [zu
erwarten].
Der Konig sprach:
78. (7278.) Ich habe mit dem Himmel nichts zu schaffen,
gehe bin, o Himmel, wie du gekommen bist; will aber der
Brahmane [in den Himmel] gehen, so kann er von der von
mir erworbenen Frucht Gebrauch machen.
Der Brahmane sprach:
79. (7279.) Wenn auch in der Kindheit von mir aus Un-
wissenheit die Hand ausgestreckt wurde [um zu nehmen], so
betreibe ich doch jetzt, wenn ich meine Samhita murmle,
eine Pflicht, bei der dies Merkmal [der Hoffnung auf Lohn]
wegfallt,
80. (7280.) und mich, der ich schon seit lange [von der
Hoffnung auf Lohn] abgewandt bin, wie kannst du, o Konig,
mich wiederum zu einem Begehrlichen machen woUen! Aus
eigenem Antriebe werde ich tun, was ich zu tun habe, ich
mag nicht eine Frucht von dir iibernehmen, o Konig.
81. (7281.) Ich befleifsige mich der Askese und des Stu-
diums und bin dem Nehmen von Geschenken abgeneigt.
Der Konig sprach:
(7282.) Wenn doch einmal die hochste Frucht der Murme-
lung von dir weggegeben ist, so schlage ich vor, dafs alles,
was an Frucht uns beiden angehort, uns beiden gemein-
schaftlich gehoren soil.
82. (7283.) Die Brahmanen haben ja den Beruf, Geschenke
Adhyaya 199 (B. 199). 205
anzunehmen, aber wer aus einer Konigsfamilie stammt, der
ist ein Gebender. Wenn du, o Brahmane, im Veda gelernt
hast, was Recht ist, so sei damit einverstanden , dafs die
Frucht uns beiden gemeinschaftlich gehort.
83. (7284.) Oder wenn du nicht willst, dafs wir sie beide
gemeinschaftlich genief sen , so nimm du meine Frucht an
und eigne dir das von mir verdiente Gute an, wenn du mir
eine Gunst erweisen willst.
Bhishma (der Erzahler) sprach:
84. (7285.) Da geschah es, dafs zwei Manner von mifs-
gestaltetem Aussehen herankamen, sich anfassend und in
schlechte Lumpen gehiillt, und zueinander sprachen.
85. (7286.) Der eine sprach : Du bist es mir nicht schuldig ;
der andere sprach: Ich bin es dir doch schuldig; dariiber
streiten wir uns, aber hier der Konig soil Schiedsrichter sein.
86. (7287.) Ich sage die Wahrheit, du schuldest mir nichts,
0 Herr. — Du sagst nicht die Wahrheit, ich bin es dir wohl
schuldig.
87. (7288.) So erhitzten sich beide sehr und sprachen zum
Konige: Entscheide du (lies parihsha)^ damit wir nicht hier
als zwei Bescholtene dastehen (lies sydva).
Der Unformige sprach:
88. (7289.) Ich bin dem Mifsgestalteten hier, o Tiger unter
den Mannern, den Lohn fiir eine Kuh schuldig, ich will ihn
ihm geben, und der Mifsgestaltete will ihn nicht von mir
annehmen, o Erdeherr.
Der Mifsgestaltete sprach:
89. (7290.) Der Unformige hier ist mir durchaus nichts
schuldig, o Mannerherr, er redet zu dir, was falsch ist und
nur den Schein der Wahrheit hat, o Mannerherr.
Der Konig sprach:
90. (7291.) Unformiger! was schuldest du ihm denn? das
mogest du mir sagen. Nachdem ich es gehort habe, werde
ich dementsprechend entscheiden, das ist bei mir beschlossen.
206 in. Mokshadharma.
Der Unformige sprach :
91. (7292.) Hore es mit Aufmerksamkeit, o Konig, wie ich
-es dem Mifsgestalteten da schuldig geworden bin, o Konigs-
weiser, hore es ausfiihrlich, o Mannerherr.
92. (7293.) Um von diesem das Gesetz zu erlernen, hatte
ich, 0 Untadehger, eine schone Milchkuh ihm, dem Brah-
manen, geschenkt, o Konigsweiser, ihm, welcher der Askese
und des Vedastudiums beflissen war.
93. (7294.) Und auch das durch ihre Schenkung erworhene
religiose Verdienst erhalt er von mir, freilich ohne gefragt
zu sein [ob er es annehmen wolle], Und der Mifsgestaltete
hat doch mir [die Belehrung] gegeben aus reinem Herzen!
94. (7295.) Darum habe ich, um auch meinerseits rein da-
zustehen, eine weitere gute Tat getan ; ich habe namhch zwei
rotbraune, ihre Kalber liebende, reichlich milchende Kiihe
gekauft,
95. (7296.) und die sind von mir diesem Ahrenleser (armen
Schlucker) iiberlassen worden. Da namhch von ihm jenes
[die Belehrung] vorschriftsmafsig und glaubenstreu [geleistet
worden war], so will ich hingegen, o Herr,
96. (7297.) der ich sie angenommen habe, dafiir heute ihm
eine zweifache Frucht schenken. So mufs es doch sein, o
Tiger unter den Mannern ! Wer ist hier nun unschuldig und
wer ist schuldig?
97. (7298.) Um diese Sache sind wir in Streit und haben
uns zu dir hierher begeben; du magst nun in deiner Ent-
scheidung gerecht oder ungerecht verfahren, jedenfalls bringe
uns in Ordnung.
98. (7299.) Und wenn er meine Gabe nicht annehmen
will, wie sie von dem hier [von mir] gegeben worden ist,
so wirst du, o Herr, hier, der du charakterfest hist, uns
beide auf den richtigen Weg leiten.
Der Konig sprach :
99. (7300.) Warum willst du, Mifsgestalteter , nicht an-
nehmen, was dir gegeben und geschuldet wurde; da es dir
-zuerkannt worden ist, so nimm es an und ohne Zogern.
Adhyaya 199 (B. 199). 207
Der Mifsgestaltete sprach:
100. (7301.) Jener behauptet mir etwas schuldig zu sein,
ich aber habe gesagt, ioh wolle es [die Belehrung] ihm geben,
folglich ist er mir jetzt nichts schuldig und mag gehen, wo-
hin er will.
Der Konig sprach:
101. (7302.) Wenn jener dir etwas gibt und du es niclit
annimmst, so scheint mir das unbillig; fiir strafbar halte ich
dich, dariiber ist gar kein Zweifel.
Der Mifsgestaltete sprach:
102. (7303.) Was ich ihm, o Konig, gegeben habe, wie
kann ich das wieder annehmen ? Gesetzt aber ich bin im Un-
rechte, so magst du, o Herr, eine Strafe gegen mich erkennen.
Der Unformige sprach:
103. (7304.) Wenn du auf keine Weise dazu zu bringen
bist, anzunehmen, was ich dir gebe, so wird dich der Konig
hier dazu zwingen, welcher ein Schiedsrichter ist iiber das
Recht.
Der Mifsgestaltete sprach:
104. (7305.) Wie kann ich das Gut, welches ich, darum
gebeten, gab, wieder an mich nehmen? Gehe hin, Unformi-
ger, ich beurlaube dich.
Der Brahmane sprach:
105. (7306.) Du hast gehort, o Konig, was diese beiden
gesprochen haben, darum mufst auch du das, was ich dir
versprochen habe [die Frucht der Murmelung], ohne Bedenken
annehmen.
Der Konig sprach:
106. (7307.) Da die erwahnte grofse Streitsache dieser
beiden schwer zu ergriinden ist, wie kann fiir dich als
Murmler eine Bestatigung daraus entnommen werden?
107. (7308.) Wenn ich freilich nicht annehmen will, was
ein Brahmane mir gibt, so werde ich nicht umhin konnen,
mich mit einem grofsen Unrecht zu beflecken.
208 in. Mokshadharma.
108. (7309.) Sodann sprach der Konigsweise zu jenen
beiden : Ihr werdet weggehen, nachdem euer Streit entschieden
ist. Da ihr mich hier jetzt angegangen habt, so darf die
Konigspflicht nicht vernachlassigt werden.
109. (7310.) Die Konige miissen die ihnen obliegende Pflicht
wahrnehmen, daran ist kein Zweifel. Ich war nicht bei mir
selbst, als die schwer zu verstehende Pflicht der Brahmanen
mich liberkam [so dafs ich ein Geschenk annahm].
Der Brahmane sprach:
110. (7311.) Nimm es an, ich bin es dir schuldig; du hast
es erbeten und ich habe es dir zugesprochen , und wenn du
es nicht annimmst, o Konig, so werde ich dich verfluchen,
das steht fest.
Der Konig sprach:
111. (7312.) Wehe iiber die Konigspflicht, welcher diese
Entscheidung des Rechtshandels hier obliegt, und die ich um
dieser Sache willen ausiiben mufs, indem ich mich frage, wie
kann es etwas gleich Schweres geben?
112. (7313.) Noch nie habe ich friiher diese meine Hand
ausgestreckt, um etwas hineinzulegen , aber nunmehr gebe
ich zu, o Brahmane, dafs du mir das, was du mir schuldig
bist, geben magst.
Der Brahmane sprach:
113. (7314.) Alle Tugend, soviel ihrer ist, die von mir
durch das Murmeln der Samhita erworben wurde, das alles
nimm von mir an, wenn ich liberhaupt irgend etwas habe.
Der Konig sprach:
114. (7315.) Genug (Hes alam), dies ist, o Brahmane, in
meine Hand gelangt, so moge es bilhg sein, dafs es.uns ge-
meinschafthch gehore, das kannst du, o Herr, annehmen.
Der Unformige sprach:
115. (7316.) Wisse, dafs wir beiden Biegierde und Zorn
sind, die wir dich in Aufregung versetzt haben ; da du aber
Adhyaya 199 (B. 199). 209
das Wort „gemeinschaftlich" ausgesprochen hast, so sollen
die gleichen Welten dir und ihm gehoren,
116. (7317.) Jener ist dir nichts schuldig, sondern du bist
nur auf die Probe gestellt worden. Hier sind Kala, Dharma
und Mrityu, ferner Begierde und Zorn, und endlich ihr beiden
[zu diesem Zwecke versammelt].
117. (7318.) Dir, der du alles nach seinem gegenseitigen
inneren Wesen gepriift hast, [kommen sie zu,] so gehe denn
ein in die Welten, die du durch dein Tun verdient hast, so-
fern du willst.
Bhishma (der Erzahler) sprach :
118. (7319.) Die Frucht, welche die Murmler erlangen, die
habe ich dir aufgezeigt und das Ziel, den Ort und die Welten,
wie sie von dem Murmler errungen werden.
119. (7320.) Wer die Samhita studiert, der geht ein zu
dem hochsten Gott Brahman, oder er gelangt zu Agni, oder
auch er geht ein in die Sonne.
120. (7321.) Und wenn er sich bei ihnen einer lichtartigen
Natur erfreut, so erwirbt er sich ihre Qualitaten, von Liebe
zu ihnen geblendet.
121. (7322.) Und ebenso wenn er im Monde und im Winde
in einen erdigen oder atherischen Leib eingeht, wohnt er bei
ihnen voU Liebe und bewegt sich in ihren Qualitaten.
122. (7323.) Oder wenn er bei ihnen von Liebe sich be-
freiend ins Zweifeln kommt und nach dem Hochsten, Unver-
ganglichen verlangt, so geht er weiter zu diesem ein.
123. (7324.) Und von Unsterblichkeit zu Unsterblichkeit
gelangend, beruhigt geworden und selbstlos, zu Brahman ge-
worden und frei von Zweiheit ist er selig, beruhigt und
ohne Leid.
124. (7325.) Dann geht er ein zu der Brahmanstatte, von der
keine Wiederkehr ist, zu der einen, die das Unvergangliche
heifst, zu dem schmerzlosen, alterlosen und beruhigten Orte.
125. (7326.) Zu dem von den vier Merkmalen [den vier
Erkenntnisnormen] freien, sowie von den sechs [Schwachen]
und von den sechzehn (Sechzig Upanishad's S. 571) freien
Purusha emporsteigend (hes adhihramya) , gelangt er in den
Ather.
Beussek, Mab&bh&ratam. 14
210 in. Mokshadharma.
126. (7327.) Oder wenn er von Liebe erfiillt, es nicht will,
so wird er Herrscher iiber dieses Wei tall, und was er be-
gehrt, das erlangt er durch seinen Willen.
127. (7328.) Oder wenn er hinblickt auf die Welten alle,
welche HoUen heifsen, so kann er sich auch. in ihnen frei
von Verlangen und von allem losgebunden erfreuen.
128. (7329.) Damit habe ich dir, o grofser Konig, das Ziel
des Murmlers, wie es ist, vollstandig erklart; was wiinschest
du noch weiter zu horen?
So lautet im Mokshadharma die Erzahlung vom Murmler
(jdpaka - updkhydnam).
Adhyaya 300 (B. 300).
Vers 7330-7364 (B. 1-34).
Yudhishthira sprach:
1. (7330.) Was taten damals weiter nach der Beendigung
dieser Unterredung die beiden, der Brahmane und auch der
Konig? Das sage mir, o Grofsvater.
2. (7331.) Oder, nachdem jene beiden dort zusammen-
gekommen waren, wie du erzahlt hast, was folgte darauf
etwa fiir eine Unterredung dieser beiden, oder was haben sie
sonst getan?
Bhishma sprach:
3. (7332.) Nachdem er mit dem Worte: „so sei es" zu-
gestimmt [Vers 73i8] und den Dharma, so wie auch, o
Herr, den Yama, Kala, Mrityu und Svarga, diese Wiirdigen,
verehrt hatte,
4. (7333.) nachdem er auch die andern Brahmanenstiere,
welche dort zusammengekommen waren, vorher alle durch
Neigen des Hauptes verehrt hatte, sprach dieser Zwiegeborene
zu dem Konige wie folgt:
5. (7334.) 0 Konigsweiser, nunmehr mit jener Frucht aus-
gestattet, gehe du ein in die Hochstheit, ich aber, von dir
entlassen, will weiter fortmurmeln.
6. (7335.) Denn schon vordem wurde mir dieser Wunsch
Adhydya 200 (B. 200). 211
von der Gottin gewahrt [oben Vers 7208 fg.] , o Hochmach-
tiger, indem sie, o Herr des Volkes, sprach: „Moge der
Glauben an dein Murmeln dir immer treu bleiben."
Der K5nig sprach:
7. (7336.) Wenn auch in dieser Weise [durch Ubertragung
der Frucht an mich] deine VoUendung der Frucht beraubt
wurde und der Glaube an das Murmeln in dir fortbesteht,
so komme, o Priester, und erlange mit mir die Frucht fur
dein Murmeln.
Der Brahmane sprach:
8. (7337.) Grofse Anstrengung ist [von uns beiden] ge-
macht worden in Gegenwart von jenen alien; zusammen,
gleichen Teil an der Frucht habend, gehen wir beiden nun-
mehr dahin, wohin unser Weg uns fiihrt.
[Bhishma sprach:]
9. (7338.) Als der Herr der dreifsig [Gotter] den Ent-
schlufs dieser beiden erkannte, da kam er mit den welt-
hiitenden Gottern herbei, sowie ferner auch
10. (7339.) die Seligen, die Vigve Devah, die Marut's und
machtig grofse Musikinstrumente, sowie die Fliisse, die Berge,
die Meere und mancherlei heilige Orte,
11. (7340.) ferner die Askesen und die Lehre der Verbin-
dung [von Gott und Seele], die Veden, die Lobgesange, die
Savasvati [Gottin der Rede], Narada und Parvata, [die
Gandharven] Vigvavasu, Haha und Huhu,
12. (7341.) sowie der Gandharva Citrasena nebst den
Scharen seiner Umgebung, auch die Schlangen, die Vollende-
ten, die Muni's, der Gottergott, Prajapati,
13. (7342.) Vishnu und der unausdenkbare, tausendkopfige
Gott [der Purusha, Rigveda 10,90] kam herbei. Dabei liefsen
sich horen im Luftraume Pauken und sonstige Musikinstru-
mente, o Herr.
14. (7343.) Es erfolgten daselbst himmlische Blumenregen
von diesen Hochherzigen her, es tanzten Scharen von Apsaras
hier und dort iiberall.
14*
212 ni. Mokshadharma.
15. (7344.) Da sprach in korperlicher Gestalt Svarga (der
Himmel) zu dem Brahmanen das folgende Wort: du bist ein
AUvoUendeter, Hochbegliickter , und auch du, o Konig, bist
ebenso ein Vollendeter.
16. (7345.) Darauf, o Konig, bewirkten jene beiden in einer
sich einander unterstiitzenden Weise das Abtun der Sinnen-
dinge von sich beiderseits.
17. (7346.) Und nachdem die beiden ihren Prana, Apana,
Udana, Samana und Vyana in dieser Weise in ihrem Manas
zum Stillstand gebracht hatten, versenkten sie ihr Manas in
ihren beiderseitigen [zentralen] Lebenshauch [den Mukhya-
prana],
18. (7347.) Und nachdem sie diesen zur Fixierung gebracht
hatten an der Nasenwurzel unterhalb der Augenbrauen, hielten
sie ihn durch Zusammenziehung der Augenbrauen mitsamt
dem Manas daselbst fest.
19. (7348.) Mit unbeweghchen Korpern und festem Blicke
in Meditation versunken und sich selbst iiberwunden habend,
verlegten die beiden ihren Atman in das Haupt.
20. (7349.) Da spaltete er [der Atman] die Gaumengegend
des hochsinnigen Brahmanen und ging als eine machtige
Lichtflamme zum Himmel empor.
21. (7350.) Ringsumher aber erhob sich ein allgemeiner
Ausruf der Bewunderung „haha" !, und jenes Licht, von Lob-
gesangen begleitet, ging ein zum Gotte Brahman.
22. (7351.) Da sprach der Urvater zu jenem Lichte: sei
willkommen!, indem er ihm, dem spannegrofsen Purusha
[Sechzig Upanishad's S. 144 fg.], entgegen ging, o Volkerherr.
23. (7352.) Und weiter sprach er noch das liebliche Wort :
Gleiche Frucht haben die Gebetsmurmler mit den Yoga-
iibenden, daran ist kein Zweifel.
24. (7353.) Was den Yoga betrifft, so hegt vor aller Augen
die Erkenntnis der Frucht fiir jene, die ihn iiben; den Ge-
betsmurmlern aber sei noch als eine besondere Auszeichnung
das Emporsteigen [zu mir] beschieden.
25. (7354.) So nimm denn in mir Wohnung! So sprach
er iind belehrte ihn des weiteren fort und fort. Da ging in
seinen Mund hinein der von Leid befreite Brahmane.
Adhyaya 200 (B. 200). 213
26. (7355.J Und auch der Konig ging auf diese Weise
ebenso wie der Brahmanentiger in den heiligen Urvater ein.
27. (7356.) Darauf begriifsten die Gotter den durch sich
selbst Seienden und sprachen : Den Gebetsmurmlern aber sei
noch als eine besondere Auszeichnung das Emporsteigen fzu
dirj beschieden.
28. (7357.) Um der Gebetsmurmler willen geschah diese
Bemiihung, dafs wir hierher gekommen sind; beide [die
Murmler und die Yogin's] verehren dich gleichmafsig, beide
empfangen von dir die gleiche Frucht.
29. (7358.) Heute fiirwahr tritt es zutage, dafs der Yoga-
Ubende und der Gebetsmurmler eine grofse Frucht ernten;
alle Welten iiberschreitend diirfen sie wandern, wo es ihnen
beliebt.
Der Gott Brahman sprach:
30. (7359.) Auch der, welcher die Mahasmriti, und der,
welcher die schone Anusmriti studiert [nach Nil. die Sarnhitti
und die sechs Vedaiiga's, vielleicht ist die Rezitation und
kiinftige Rezitation unserer Stelle gemeint], auch diese beiden
mogen zu der Weltgemeinschaft mit mir eingehen.
31. (73G0.) Und wer dem Yoga ergeben ist, auch von dem
gilt es, daran ist kein Zweifel ; auf dieselbe Weise wird auch
er nach dem Ende des Leibes meine Welten erlangen. (736i.)
Ich breche auf, und auch ihr moget hingehen an euren Ort
zum gliicklichen Gelingen.
Bhishma sprach:
32. (7362.) So sprach der Gott und verschwand, und auch die
Gotter griifsten sich und gingen ein jeder in seine Wohnstatte.
33. (7363.) Und auch alle die anderen Hochherzigen, nach-
dem sie ihrer Pflicht ehrenvoll geniigt batten, gingen hinter
ihnen her, o Konig, alle mit hocherfreutem Geiste.
34. (7364.) So steht es mit der Frucht der Gebetsmurmler
und das ist der Weg, der ihnen verkiindigt worden ist der
Schrift gemafs, o grofser Konig! — Was wiinschest du nun
weiter zu horen?
So lautet im Mokshadharma die Erzahlung vom Murmler
(jdpaka - updkhydnam).
214 ni. Mokshadharma.
Adhyaya 301 (B. 301).
Vers 7365-7393 (B. 1-27).
Yudhishthira sprach:
1. (7365.) Was ist die Frucht der Hingebung an die Er-
kenntnis, der Veden und der Bezahmung, und wie ist der
Bhutatman (die empirische Seele) erkennbar? Das sage mir,
o Grofsvater.
Bhishma sprach:
2. (7366.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich die Unterredung zwischen Manu, dem
Vater der Geschopfe, und dem grofsen Rishi Brihaspati.
3. (7367.) Dem Prajapati, dem Oberherrn der Geschopfe,
stellte der Vorziiglichste in der Schar der Gotterweisen,
der grofse Weise Brihaspati, folgende Frage in der Vor-
zeit, indem er sich als Schiiler vor ihm als Lehrer ver-
neigte.
4. (7368.) Was die Weltursache ist, von wo die Opfer-
satzung ausging, und welche Frucht die Weisen der Er-
kenntnis zuschreiben, sowie was durch den Wortlaut der
Hymnen nicht zum Verstandnis gebracht worden ist, das
sage mir, o Heiliger, wie es ist.
5. (7369.) Was von den Kennern der Klugheitsregeln,
der heihgen Uberheferung und der Mantra's als die durch
mancherlei Opfer und Schenken von Kiihen zu erlangende
Frucht [verheifsen], und was als solche von jenen Grofsen
geschatzt wird, was ist das und wie wird es oder wo
sich verwirklichen ?
6. (7370.) Woher entstanden sind die Erde, die Erd-
geborenen, der Wind, der Luftraum, die Wasserbewohner
und das Wasser, sowie der EQmmel und die Himmels-
bewohner? Diese alte Lehre telle mir mit, o Heiliger.
7. (7371.) Die Quelle, aus der der Mensch das Wissen
zu gewinnen sucht, aus dieser entspringt auch die auf
den Zweck des Wissens gerichtete Betatigung. Ich aber
kenne dieses hochste Urspriingliche nicht und weifs nicht,
ob ich einen irrtiimlichen Weg der Betatigung einschlage.
Adhyaya 201 (B. 201). 215
8. (7372.) Obgleich ich die Sammlung der Kic's und
Saman's, sowie die Yajus, die Metren, den Gang der Ge-
stirne und die Worterklarung studiert habe, nebst Gram-
matik, Ritual und Lautlehre, so kenne ich doch nicht
den Ursprung der Wesen.
9. (7373.) Das alles mogest du mir, o Herr, erklaren
mit allgemeinen Worten und in seinen Besonderheiten,
das also mogest du mir, o Herr, darlegen, und welche
Frucht aus der Erkenntnis oder aus den Werken ent-
springt,
10. (7374.) und wie die Seele aus dem Korper heraus-
fahrt, und wie sie wieder in einen neuen Korper eingeht.
Manu sprach:
(7375.) Alles, was einem lieb ist, das nennt man Lust,
und Schmerz wird das Unerwiinschte benannt;
11. und „das Erwiinschte moge mir zuteil werden,
das andere moge mir fern bleiben", diesem Wunsche
zuliebe ist die Werkvorschrift gegeben worden. (7376.)
Aber „das Erwiinschte und das Unerwiinschte moge mir
beides nicht zuteil werden", wer so denkt, dem zuliebe
ist die Erkenntnisvorschrift gegeben worden.
12. Die wunschbehafteten Hingebungen an das Werk
werden im Veda gelehrt; nur wer von ihnen sich frei
gemacht hat, erlangt das Hochste ; (7377.) aber der Mensch,
der nach Lust begehrend auf dem mannigfaltigen Pfad
der Werke dahinwandelt, der fahrt zur Holle.
Brihaspati sprach:
(7378.) Also Erwiinschtes und Unerwiinschtes , Lust
und Schmerz, der auf diese gerichtete Wunsch schwebt
dem Menschen vor, wenn er Werke vollbringt?
Manu sprach:
13. (7379.) Nur wer von ihnen sich frei gemacht hat,
ist in das Hochste eingegangen; um jener willen aber
ist die Werkvorschrift gegeben worden; den Wunsch-
haften gefallt die Hingebung an die Werke; wer von
216 III. Mokshadharma.
ihnen sich frei gemacht hat, der ergreift damit das
Hochste.
14. (7380.) Entflammt durch Werke, die ihn selbst und
anderes zum Ziele haben, bewegt sich der nach Lust
Strebende glanzend in der Pflicht ; aber als ein von dem
Pfade der Werke Fernliegendes erlangt man das wunsch-
lose hochste Brahman.
15. (7381.) Die Wesen sind erschaffen durch den
Wunsch fmanasj und durch das Werk, und diese beiden
sind als "die guten Wege bei den Leuten beliebt; das
Werk scheint ihnen teils ewig, teils verganglich zu sein,
aber nur das Aufgeben der Wiinsche ist die Ursache
zur [Erreichung des Ewigen], und eine andere gibt
es nicht.
16. (7382.) Vermoge seines eigenen Atman [sieht er],
wenn sein Atman nicht mehr von Finsternis umhiillt ist,
so wie das Auge der Fiihrer ist, wenn die Nacht weicht ;
sein Wissen aber ist mit der Tugend des Erkennens aus-
gestattet, und er sieht, dafs das Werk unschon und zu
vermeiden ist.
17. (7383.) Schlangen, scharfe Grasspitzen und Brunnen-
locher meiden die Menschen, wenn sie sie erkannt haben ;
aber aus Unkenntnis geraten manche in sie hinein ; siehe,
welch ausgezeichnete Frucht in dem Erkennen liegt!
18. (7384.) Aber der vollstandige und vorschriftsmafsig
verwendete Hymnus, ferner die vorgeschriebenen Opfer
und der dabei gespendete Opferlohn, das Spenden von
Nahrung und die Meditation des Geistes, — funffach, so
sagen sie, ist das Werk und seine Frucht.
19. (7385.) Tugendhaft ist das Werk, wie die Veden
sagen, um seinetwillen ist der Hymnus da, den das Werk
voraussetzt, ist die Vorschrift da, das Vorgeschriebene
und seine Erfassung mit dem Verstande, aber bei allem
dem ist der verkorperte Atman der, welcher die Frucht
geniefst.
20. (7386.) Tone, Gestalten und schone Geschmacks-
empfindungen , schone Beriihrungen und Geriiche, iiber
Adhyaya 201 (B. 201). 217
diese ist ein Mensch" Herr, auch elie er zum Orte [der
Vergeltung] gelangt ist, denn eine derartige Frucht wird
ihm sicher zuteil in der durch seine Werke verdienten
Welt.
21. (7387.) Alle Werke, die einer mit seinem Korper
vollbringt, deren Frucht erlangt er, indem er wieder mit
einem Korper verbunden wird; nur der Korper ist der
Tummelplatz der Lust, und auch des Schmerzes Tummel-
platz ist nur der Korper.
22. (7388.) Alle Werke, die einer mit seiner Rede voll-
bringt, deren Frucht erlangt er durch die Rede; und alle
Werke, die einer durch sein Manas vollbringt, deren
Frucht erlangt einer, indem er mit einem Manas ver-
bunden ist.
23. (7389.) Je nachdem einer die Qualitat der Werke
betreibt, nach ihrer Frucht begehrend und auf die Frucht
der Werke versessen, dementsprechend wird er mit dieser
Qualitat verkniipft und geniefst die gute oder schlechte
Frucht seines Werkes.
24. (7390.) Wie ein Fisch der Stromung nachfolgt, so
folgt der Mensch dem von ihm vorher begangenen Werke
nach; aber nur an dem guten Werke erlebt er Freude,
aber keine Freude erlebt an der Ubeltat die erhabene
Seele.
25. (7391.) Nachdem du erfahren hast, woher diese
ganze Lebewelt entsprungen ist, und woran Selbst-
bewufste vorbeigehen, so mogest du auch das, was durch
den Wortlaut der Hymnen nicht zum Verstandnis ge-
bracht worden ist, dieses, was das Hochste ist, ver-
nehmen von mir, der ich es dir sage.
26. (739-2.) Das von Geschmack und den mancherlei
Geriichen Freie, das Tonlose, Unberiihrbare, Unsichtbare,
Ungreifbare, Unoffenbare, Farblose, Eine, dieses hat die
fiinf Arten der Geschopfe erschaffen.
27. (7393.) Was nicht Weib, noch Mann, noch auch
ein Neutrum ist, nicht seiend, noch auch nichtseiend
und auch nicht seiend und nichtseiend zugleich, was die
218 ni. Mokshadharma.
tl
brahmanwissenden Menschen scliauen, dieses Unvergang-
liche vergeht nicht, das soUst du merken.
So lautet im Mokshadbarma die UnterTedang zwischen Manu und Bribaspati
(Manu - BrUiaspati - samvdda).
Aclhyaya 203 (B. 302).
Vers 7394-7416 (B. 1-23).
Manu sprach:-
1. (7394.) Aus dem Unverganglichen ist der Ather ent-
standen, aus diesem der Wind, aus diesem das Feuer, aus
diesem das Wasser, aus dem Wasser die Erde, auf der Erde
entsteht die Welt der Lebenden.
2. (7395.) Aus diesen Leibern in das Wasser iiber-
gehend und aus dem Wasser zu Feuer, Wind, Ather ge-
worden, kehren jene, welche das [wahre] Wesen besitzen,
nicht aus dem Ather zuriick, sondern erlangen die hochste
Erlosung.
3. (7396.) Nicht warm ist es und nicht kalt, nicht
weich, noch hart, nicht sauer, herb, siifs oder bitter,
nicht horbar, nicht riechbar und nicht sichtbar ist jene
hochste Wesenheit.
4. (7397.) Es kennt der Leib das Gefiihl, die Zunge
den Geschmack, die Nase die Geriiche, es kennen die
Ohren die Tone und das Auge die Gestalten, nicht aber
erfassen jenes Hochste die Menschen, welche nicht den
hochsten Atman kennen.
5. (7398.) Abkehrend den Geschmackssinn von den Ge-
schmacken, die Nase vom Geruch, die Ohren von dem
Tone, die Haut von der Beriihrung und das Auge von
der Eigenschaft der Sichtbarkeit, schaut man das Hochste,
die eigene Selbstwesenheit.
6. (7399.) Dasjenige aber, durch welches ergreifend
man etwas tut, dasjenige, in welchem man diese Tatig-
keit anhebt, dasjenige, in welchem und durch welches
einer zum Tater von etwas wird, was die Ursache ist, das
erkennen jene Weisen als ein [blofses] Aggregat.
Adhyaya 202 (B. 202). 219
7. (7400.) Aber dasjenige, was alldurchdringend und
allvollbringend ist, was von Liedern [wie Brahmabindu-
Up. 12, nach Nil.] gefeiert in der Welt bestehen bleibt,
was die Allursache ist und als hochste Seele wirkend,.
das ist es, was verschieden ist von dem, was Ursache
und Wirkung heifst.
8. (7401.) Denn so wie ein Mensch durch seine eigenen
[lies sva] Werke Gutes und Schlimmes unfehlbar er-
langt, so wird in guten und schlimmen Verkorpeningen
vermoge der aus den eigenen Werken entspringenden
Trucht die Wissenschaft [von dem Hochsten] gebunden
(latent).
9. (7402.) Wie eine vorher angeziindete Fackel, indem
sie leuchtet, dem, was sie nicht ist, Sichtbarkeit verleiht,.
so streben hier die in den Fackeln der fiinf Sinne sich
verzweigenden Baume, wenn sie von der Erkenntnis ent-
ziindet werden, nach dem Hochsten bin.
10. (7403.) Und wie von einem Konige beauftragt die
vielen Minister seine Autoritat im einzelnen zum Aus-
druck bringen, so sind in den L^eibern fiinf einzelne
Richtungen der Erkenntnis vorhanden, aber Er ist ihr
Oberherr.
11. (7404.) Wie die Flammen des Feuers, wie die Stofse
des Windes, wie die Strahlen der Sonne und die Wasser
der Strome bin und her wogend gehen und kommen, so
steht es auch mit den Korpern der Verkorperten.
12. (7405.) Und wie einer, der die Axt ergriffen hat,
nicht den Ranch und das Feuer sieht, die in dem [zu
spaltenden] Holze verborgen schlummern, so kann einer
den Leib mit Bauch, Handen und Fiifsen zerschneiden
und sieht doch nicht das, was von dem allem verschie-
den ist.
13. (7406.) Wie aber einer, der eben jene Holzscheite
aneinander reibt, durch ihre Verbindung den Ranch und
das Feuer zu sehen bekommt, so sieht der Verstandige,.
zugleich mit Sinnen und Geist Behaftete, als ein Er-
weckter [lies budhah mit C] das Hochste, namlich jene
seine eigene Wesenheit.
220 III. Mokshadharma.
14. (7407.) Und wie man etwa im Traume den eigenen
Leib auf die Erde herabgestiirzt sieht als verschieden
von dem, was man in Wirklichkeit ist, so geht der mit
den Sinnesorganen, mit Manas und mit Buddhi Behaftete
[beim Tode] aus dem einen Liiigam (hier gleich Korper)
in ein anderes Liiigam iiber.
15. (7408.) Durch die Zufalligkeiten, Entstehen, Wachs-
tum und Vergehen wird jener hochste Verkorperte nicht
betroffen, sondern wandert unsichtbar aus einem Lingam
in ein anderes Lingam vermoge der Behaftung mit der
Frucht der Werke.
IG. (7409.) Nicht mit dem Auge sieht man die Gestalt
des Atman, und nicht gelangt man irgendwie dazu, ihn
zu beriihren, auch ist er es nicht, der durch jene fOrgane]
eine Wirkung vollbringt; sie konnen ihn nicht sehen,
wohl aber sieht er sie.
17. (7410.) So wie in der Nahe eines flammenden Feuers
irgendeiner [z. B. ein Eisenklumpen nach Nil.] die aus
der Glut herriihrende Erscheinungsform annimmt, aber
aufser ihr keine andere Beschaffenheit der Gestalt zu-
gleich mit iibernimmt, so wird an einem Menschen nur die
eine Erscheinungsform [namlich die Geistigkeit, caitanyam]
desselben [des Atman] sichtbar [nicht aber Allwissen-
heit, Allgegenwart usw., vgl, auch Maitr. Up. 3,3; Sechzig
Upanishad's S. 324].
18. (7411.) Und so geht auch der Mensch, nachdem
er den Leib verlassen hat, unsichtbar in eine andere
Korperlichkeit ein; und indem er seinen Leib in den
grofsen Elementen zuriicklafst, so iibernimmt er dann
eine [neue] auf jenen [den grofsen Elementen] beruhende
Erscheinungsform.
19. (7412.) Sodann geht der Leibtrager (die Seele) ein
in die von alien Seiten zusammengebrachten Ather, Wind,
Feuer, Wasser und Erde, und die Sinnesorgane wie
Ohren usw., mit ihrer betreffenden Aufgabe sich be-
fassend, von vielen Seiten unterstutzt, nehmen ihre fiinf
Qualitaten an.
20. (7413.) Das Ohr iibernimmt sie aus dem Ather, der
Adhyaya 202 (B. 202). 22^1
Geruchsinn aus' der Erde, feuerartig ist sodann die Sicht-
barkeit wie auch die Verdauung; die auf das Wasser
sich stiitzende Energie wird sodann Geschmack [lies
rasah mit C] genannt , und windartig ist die Qualitat,
die sich zum Gefiihl gestaltet.
21. (7414.) In den grofsen Elementen wohnen die fiinf
[Qualitaten] und ebenso wohnen sie als die Zwecke der
fiinf Sinnesorgane in den Sinnesorganen. Diese alle aber
folgen dem Manas nach, das Manas wiederum der Buddhi
und die Mati (Buddhi) der Selbstnatur (svabhdvaj.
22. (7415.) "Was an guten oder bosen Werken oder
sonstwie getan worden ist, das nimmt er auf in seinen
Leib; dem Manas folgen nach die hohen und die niedri-
gen Taten, wie die Wassertiere dem Strome in seinem
Laufe.
23. (7416.) So wie das fliichtig Voriibergehende in den
Gesichtskreis des Blickes eintritt, und wie ein Grofs-
gestalteter als klein erscheint, und wie man seine eigene
Wesenheit [im Spiegel] als Gestalt erschaut, so geht das
Hochste in den Gesichtskreis der Buddhi ein.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Manu und Brihaspat
(Manu - Bnhaspati- samvdda).
Adhyaya ^03 (B. 303).
Vers 7417-7439 (B. 1-23).
Manu sprach :
1. (7417.) Aber dasjenige, was, zunachst von den Sinnes-
organen umhiillt, die ihm angehefteten Guna's lange Zeit
in der Erinnerung nicht los werden kann, dieses, nam-
lich die hochste Selbstwesenheit , erscheint weiterhin,
nachdem die Sinnesorgane gehemmt sind, in der Gestalt
der Buddhi.
2. (7418.) Solange einer nicht imstande ist, die gleich-
zeitig und zu verschiedenen Zeiten von alien Seiten her
auf ihn eindringenden Sinnendinge vollig zu verachten,.
222 III- Mokshadharma.
solange bewegt er, der Weise, sich in der veranderlichen
Welt; darum ist er, der Eine, Hochste, ein Verkorperter.
3. (7419.) In das Rajas, das Tamas und in das Sattvam
als drittes, in diese verschiedenen, seinen Standort bilden-
den Guna's geht er ein; so geschieht es, dafs der Ver-
korperte in die Sinnesorgane hineinfahrt, wie der Wind
in das im Brennholze lodernde Feuer.
4. (7420.) Nicht durch das Auge kann man die Gestalt
des Atman schauen, nicht schaut ihn der Tastsinn, ein
Sinn nach dem andern [schaut ihn nicht], auch ist kein
Wahrnehmen desselhen, welches das Ohr als Kennzeichen
hat, durch das Gehor moglich; er schaut, was in dieser
Weise [durch das Sinnesorgan] getan wird, das Organ
aber fallt dahin [wird als nichtig erkannt].
5. (7421.) Das Ohr und die iibrigen Organe sehen nicht,
sondern jeder sieht seinen Atman durch den Atman; er als
allwissend und allschauend, er als allwissend schaut jene.
6. (7422.) Wie die andere Seite des Himalaya, wie die
Riickseite des Mondes, so ist es nie von Menschen vorher
gesehen worden, aber darum ist es doch nicht nicht.
7. (7423.) Ebenso ist in den Wesen jener subtile Bhut-
4tman (Element-Atman) , der den Erkenntnis- Atman in sich
enthalt, nie mit Augen vorher gesehen worden, aber darum
ist er doch nicht nicht.
8. (7424.) So wie die Leute die Zeichnung im Monde, ob-
gleich sie sie sehen, doch nicht herausfinden, ebenso ist jenes
zwar vorhanden, aber nicht hervortretend ; doch kann man
nicht sagen, dafs es nicht das Hochste sei.
9. (7425.) Die Weisen, auf den Gang der Sonne merkend,
sehen mit dem Auge des Geistes die gestalthafte Sonne, auch
wo sie vor dem Aufgang oder nach dem Untergang keine
Gestalt zeigt.
10. (7426.) Ebenso suchen mit der Leuchte des Verstandes
die sehr Weisen das Entfernte sich nahe zu bringen, so dafs
€s erkennbar wird und die Erkenntnis sich darauf richten kann.
11. (7427.) Denn es kann ja doch ohne das richtige Mittel
kein Zweck erreicht werden, wie ja auch die am Wasser Leben-
den nur mittels gestrickter Netze die Fische fangen konnen.
Adhy^ya 203 (B. 203). 223
12. (7428.) So wie der Fang von Wild durch Wild, von
Vogeln durch Vogel, von Elefanten durch Elefanten bewerk-
stelligt wird, so wird das zu Erkennende durch die Erkennt-
nis ergriffen.
13. (7429.) Nur die Schlange ist ja auch imstande, die
Fufsspuren (paddnj der Schlange zu sehen, wie wir horen;
ebenso sieht man in den Gestalten durch die Erkenntnis den
in den Gestalten weilenden zu Erkennenden.
14. (7430.) Wie die Sinnesorgane nicht imstande sind, die
Sinnesorgane wahrzunehmen , so ist auch hier der hochste
Verstand nicht imstande, das Hochste, zu Verstehende zu
sehen.
15. (7431.) So wie der Mond in der Neumondsnacht nicht
gesehen wird, weil ein Merkmal fehlt, er aber darum nicht
vernichtet ist, so, wisse, ist es mit dem Verkorperten.
16. (7432.) Denn in der Neumondsnacht ist der Mond nicht
sichtbar, weil seine Behausung verschwunden ist; ebenso ist
jener Verkorperte nicht wahrnehmbar, wenn er von der Kor-
perlichkeit befreit ist.
17. (7433.) Und so wie, einen andern Raum erlangt habend,
der Mond wieder glanzt, so glanzt der Verkorperte wieder,
nachdem er einen andern Korper (lingamj erlangt hat.
18. (7434.) Entstehen, Wachsen und Schwinden desselben
wird durch den Augenschein wahrgenommen , aber dies ist
nur der Fall beim Monde, nicht aber bei jenem Verkorperten.
19. (7435.) Wie durch die Kraft seines Entstehens und
Wachsens der Mond als solcher auch in der Neumondsnacht
erschlossen wird, so steht es auch mit dem Gestalteten.
20. (7436.) Wie die Finsternis, wenn sie den Mond be-
schleicht und wieder freigibt, nicht gesehen wird, siehe, so
ist es mit dem Verkorperten, wenn er [den Korper] loslafst
und wieder in ihn hineinschleicht.
21. (7437.) Wie die Finsternis nur vermoge ihrer Verbin-
dung mit Mond und Sonne sichtbar ist, so wird vermoge
seiner Verbindung mit dem Korper der Verkorperte als solcher
erkannt.
22. (7438.) Wie Rahu, nachdem er von Sonne und Mond
[die er verschlungen hatte] losgekommen ist, nicht wahr-
224 III. Mokshadharma.
genommen wird, so wird, nachdem er vom Korper losgekommen
ist, der Verkorperte nicht wahrgenommen.
23. (7439.) Und wie der Mond, nachdem er in der Neu-
mondsnacht geweilt hatte, wieder mit den Mondhausern ver-
bunden wird, so wird [der Verkorperte], nachdem er vom
Korper befreit ist, mit den Friichten seines Werkes verbunden.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Manu und Brihaspati
(Manu- Brihaspati - samvdda).
Adhyaya 204. (B. 204).
Vers 7440-7459 (B. 1-20).
Manu sprach:
1. (7440.) So wie im Traume dieser sichtbare Leib daliegt
und das Geistige, das mit den Sinnesorganen verbundene Be-
wufstsein, umherschweift [vgh Brih. Up. 4,3,13], ebenso ist
es auch nach dem Tode mit dem, was entsteht, und dem,
was vergeht.
2. (7441.) Wie einer in ruhigem Wasser mit dem Auge
seine Gestalt sieht, so sieht man, weil die Sinne zur Ruhe
gebracht sind, mit der Erkenntnis das zu Erkennende.
3. (7442.) Und wie ebenderselbe , wenn jenes Wasser be-
wegt ist, seine Gestalt nicht mehr sieht, ebensowenig ftathd)
kann man im aufgeregten Zustande der Sinnesorgane das zu
Erkennende durch die Erkenntnis schauen.
4. (7443.) Durch Nichtwissen wird Buddhilosigkeit bewirkt,
durch Buddhilosigkeit wird das Manas mitfortgerissen , wird
aber das Manas verdorben, so werden seine fiinf Abkomm-
linge [die Indriya's] mitverdorben.
5. (7444.) Wer sich am Nichtwissen erfreute und in die
Sinnendinge versenkt war, der wird [nach dem Tode] nicht
erfreut, sondern in einer mit der unsichtbaren Werkfrucht
behafteten Weise kehrt sein Bhutatman zu den Sinnendingen
zuriick.
6. (7445.) Eine Abscheidung von dem Durste ftarsha)
fmdet hienieden nicht statt fiir den Menschen fpurushaj wegen
Adhyaya 204 (B. 204), 225
seines Beschmutztseins. Erst dann erlischt der Durst, wenn
die Siinde zu Ende gegangen ist.
7. (7446.) Aber wegen der Befangenheit und des Zuflucht-
suchens des Ewigen in den Sinnendingen und weil einer mit
dem Manas anderes [als er sollte] verlangt, gelangt er nicht
zu dem Hochsten.
8. (7447.) Die Erkenntnis geht dem Menschen auf, wenn
das bose Werk vernichtet wird, dann schaut er wie in einer
klaren Spiegelflache sich selbst in sich selbst.
9. (7448.) Wer den Sinnesorganen die Ziigel schiefsen lafst,
der leidet; wer ebendieselben bandigt, dem ist es wohl; darum
soil man von den Objekten der Sinnesorgane sich selbst durch
sich selbst ziigelnd zuriickhalten.
10. (7449.) Den Sinnesorganen steht das Manas voran, und
hoher als dieses ist die Buddhi; hoher als die Buddhi ist das
Bewufstsein fjndnamj, hoher als das Bewufstsein steht das
grofse Prinzip [mahat sc. tattvam, d. h. der Mahan].
11. (7450.) Aus dem Unentfalteten [d. h. der PrakritiJ geht
hervor das Bewufstsein, aus diesem die Buddhi, aus dieser
das Manas [wie Kath. Up. 3,10-11, mit Einschiebung von
jndnam]; das Manas, mit Ohr usw. sich verbindend, erkennt
richtig die Tone usw,
12. (7451.) Wer diese, die Tone usw., aufgibt und mit
ihnen alle iibrigen Entfaltungen [vyaMayah als Akkusativ!],
namlich die aus der Prakriti entspringenden Scharen, fahren
lafst, der, indem er diese loslafst, erlangt Unsterblichkeit.
13. (7452.) So wie der Sonnengott, wenn er aufgeht, den
Kranz der Strahlen aus sich ausbreitet, und wenn er unter-
geht, das alles wieder in sich selbst hereinzieht,
14. (7453.) ebenso geschieht es, dafs das innere Selbst, in
den Korper eingehend, nachdem es mit den Strahlen der
Sinnesorgane die fiinf Qualitaten der Sinnesorgane erreicht
hat, zuriickkehrend wieder untergeht.
15. (7454.) Den durch das Werk gewiesenen Weg wird
einer immer wieder und wieder gefiihrt und erlangt die Frucht
der Werke, nachdem er die aus ihnen hervorgehende Be-
schaffenheit erlangt hat.
16. (7455.) Die Sinnendinge kehren sich ab von der Seele,
Dbussen, Mah^bh&Tatam. 15
226 m. Mokshadharma.
die sich nicht mehr an ihnen nahrt, und indem sie nicht mehr
geschmeckt werden, geht auch der Geschmack an ihnen ver-
loren fiir einen, der das Hochste geschaut hat.
17. (7456.) Wenn die Buddhi, von den Quahtaten ihres
Wirkens befreit, im Manas weilt, dann geht dieses ein in das
Brahman, indem es in eben demselben untergeht.
18. (7457.) Dann geht man ein in die nicht-fiihlende, nicht-
horende, nicht-schmeckende , nicht-sehende, nicht-riechende
und nicht-denkende hochste Wesenheit.
19. (7458.) In dem Manas versinken die Gestalten, das
Manas aber geht ein in die Mati (Buddhi), die Mati geht
ein in das Bewufstsein fjndnamj, das Bewufstsein in das
Hochste.
20. (7459.) Nur durch die Sinnesorgane kann das Manas
sich betatigen, nicht kann das Manas die Buddhi erkennen,
nicht die Buddhi das Unentfaltete, aber das Feine [der AtmanJ
schaut sie alle.
So lautet im Mokshadharma die Unterredang zwisohen Manu xinA Bribaspati
(Manu - Brihaspati - samvdda) .
Adhyaya 305 (B. 305).
Vers 7460-7485 (B. 1-26).
Manu sprach :
1. (7460.) Wenn ein Schmerzanfall, sei es ein korperlicher
oder geistiger, sich einstellt, gegen den eine Anstrengung
nichts ausrichten kann, so soil man sich nicht weiter um ihn
kiimmern.
2. (7461.) Das ist das Heilmittel des Schmerzes, dafs man
sich nicht um ihn kiimmert, denn wenn man iiber ihn griibelt,
so drangt er sich auf und wachst nur noch mehr an.
3. (7462.) Durch Denken soil man den geistigen Schmerz
l)ekampfen, wie den korperlichen durch Arzneimittel , denn
dazu ist die Erkenntnis fahig ; man soil es den Kindern nicht
gleichtun.
4. (7463.) Verganglich ist Jugend, Schonheit, Leben, Be-
Adhyaya 205 (B. 205). 227
sitzanhaufung, Gesundheit und Zusammensein mit Freunden;
der Weise soil nicht danach trachten.
5. (7464.) Man soil nicht als einzelner klagen iiber das
Leid, das das ganze Land betrifft, sondern ohne zu klagen
soil man ihm abhelfen, wenn man ein Heilmittel ersieht.
6. (7465.) Im Leben iiberwiegt das Leid die Lust, daran
ist kein Zweifel, und fur einen, der noch an den Sinnen-
dingen klebt, ist vermoge seiner Verblendung der Tod un-
erwiinscht.
7. (7466.) Der Mensch, welcher beides, Leid und Lust,
aufgibt, der erlangt das unendliche Brahman; solche Weisen
klagen nicht.
8. (7467.) Mit Schmerz werden die Schatze erworben, und
auch ihre Bewahrung macht keine Freude ; mit Schmerz werden
sie erlangt, um ihren Verlust soil man sich nicht kiimmern.
9. (7468.) Die Erkenntnis entspringt aus dem Erkenntnis-
objekte, das wisse, und das Manas besitzt die Qualitat des
Erkennens, es ist mit dem Organ der Erkenntnis ausgeriistet,
und nach ihm tritt die Buddhi in Tatigkeit.
10. (7469.) Wenn die mit der Qualitat ihrer Tatigkeit aus-
geriistete Buddhi im Manas sich betatigt, dann wird durch
Erkenntnis, Hingebung und Versenkung das Brahman erkannt.
IL (7470.) Solange diese Buddhi mit den Qualitaten be-
haftet ist, beschaftigt sie sich auch nur mit den Qualitaten
und gleitet von dem andern [dem Brahman] ab, wie Wasser
von einem Berggipfel.
12. (7471.) Aber wenn sie die qualitatlose Meditation, die
schon vorher da war, im Manas [weilend] erlangt, dann wird
das Brahman erkannt, wie der Goldstrich auf dem Probierstein.
13. (7472.) Aber wenn das Manas, nachdem es vorher sich
fortreifsen liefs durch den Anblick der Sinnendinge, nicht
mehr achtet auf die Qualitaten des vor Augen Liegenden, dann
gewinnt es einen Einblick in das Qualitatlose.
14. (7473.) Alle jene Pforten verschliefsend, gelangt man,
im Manas stehend und im Manas die Konzentration bewirkend,
zu jenem Hochsten.
15. (7474.) Wenn die grofsen Elemente durch Aufhebung
15*
228 in. Mokshadharma.
ihrer Qualitaten zunichte werden, dann nimmt die Buddhi die
Sinnesorgane in sich auf und verharrt im Manas.
16. (7475.) Wenn diese Buddhi im Manas verharrt und
sich im Innern desselben halt und dabei mit der Quahtat der
Entschhelsung begabt ist, dann bemachtigt sie sich des Manas.
17. (7476.) Und wenn das vorher mit den QuaHtaten des
Quahtathaften belastete Manas zur Quahtat der Meditation
gelangt, dann lafst es alle jene QuaHtaten fahren und er-
langt das Quahtatlose.
18. (7477.) Aber was die Erkenntnis des Unentfalteten be-
trifft, so ist ein entsprechendes Schauen desselben nicht mog-
lich. Denn wo kein Abdruck einer Fufsspur vorhanden ist,
wer kann da eines Gegenstandes habhaft werden?
19. (7478.) Durch Askese, durch Schlufsfolgerung, durch
Tugenden, durch edle Geburt und durch Schriftgelehrtheit
soil man dem hochsten Brahman nachstreben mit reinem
innern Geiste.
20. (7479.) Von Qualitaten frei geht man aufserhalb der-
selben dem guten Wege nach zu dem, was zwar wegen Er-
mangelung der Qualitaten oder seiner Natur nach unerforsch-
lich ist, aber doch dem Erkennbaren sich ahnlich macht.
21. (7480.) Dann erlangt die Buddhi, die sich bisher in
den Qualitaten bewegt hatte, wegen ihrer Qualitatlosigkeit
das Brahman und kehrt zuriick von ihrem Behaftetsein mit
den Qualitaten [die dann in ihr schlummernj wie das Feuer
im Brennholze.
22. (7481.) So wie die fiinf Sinne [etwa im Schlafe] von
ihren Tatigkeiten frei werden, so wird auch das hochste
Brahman frei, welches hoher ist als die Prakriti.
23. (7482.) In dieser Weise treten alle Verkorperten aus
der Prakriti hervor, und bei ihrer Abkehr von derselben kehren
sie zuriick und gehen in den Himmel ein.
24. (7483.) Der Purusha, die Prakriti, die Buddhi, die
Sinnesobjekte fvishaydhj und die Sinnesorgane findriydnij,
der Ahankara und (!) das Ichbewufstsein fabhimdna) , das ist
der Komplex, welcher ein Wesen fhhidamj genannt wird.
25. (7484.) Die urspriingliche Entstehung dieses Komplexes
geht hervor aus der Prakriti fpradhdnamj, die sekundare halt
Adhyaya 205 (B. 205). 229
sich an die gegenseitige Paarung, durcheinander ohne Unter-
schied.
26. (7485.) Dann wird aus gutem Verhalten Gliickseligkeit
gewonnen und aus bosem Unseligkeit ; der mit Leidenschaften
Behaftete geht ein in die Prakriti, aber leidenschaftlos soil
der sein, welcher das Wissen besitzt.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Manu und Brihaspati
(Manu - Bnhaspati - samvdda).
Adhyaya 306 (B. 206).
Vers 7486-7517 (B. 1-32).
Manu sprach:
1. (7486.) Solange die fiinf [Indriya's] samt dem Manas
mit jenen fiinfen [den Qualitaten] verbunden sind, wird jenes
Brahman gesehen werden, wie ein Faden, der sich durch einen
Edelsteinschmuck durchzieht.
2. (7487.) Und wie es dann wieder derselbe Faden ist, der
ein Goldgeschmeide durchzieht oder in Perlen, Korallen oder
in einem tonernen Schmuck erscheint,
3. (7488.) so erscheint in Ochsen, Pferden und Menschen
oder in Elefanten und Antilopen, ja auch in Wiirmern und
Schmetterlingen der durch seine eigenen Werke in sie ge-
bannte Atman.
4. (7489.) Und je nach dem Korper, in welchem er lebt,
und je nach dem Werke, welches er in ihm vollbringt, dem-
entsprechend erlangt er durch diese oder jene Verkorperung
die eine oder die andere Frucht.
5. (7490.) Wie die Erde, die doch nur einen Geschmack
hat, sich den Zwecken der verschiedenen Pflanzen anpafst,
so bringt die Buddhi den jeweiligen innern Atman zur Er-
scheinung, indem sie sich dabei nach seinen Werken richtet
[oder: so richtet sich die den innern Atman zur Erscheinung
bringende Buddhi nach den jeweiligen inneren Werken].
6. (7491.) Nach der Erkenntnis richtet sich das Verlangen,
230 in. Mokshadharma.
nach dem Verlangen die Absicht, nach der Absicht das Werk,
das Werk als Wurzel habend ist sodann die Frucht,
7. (7492.) Die Frucht geht zuriick auf das Werk, das Werk
auf das Erkennbare, das Erkennbare auf die Erkenntnis, die
Erkenntnis auf das, was ist und nicht ist.
8. (7493.) Wenn die Erkenntnisse und ihre Friichte, wenn
die Erkenntnisobjekte und auch die Werke zugrunde gegangen
sind, dann bleibt als Frucht das Wissen als eine Erkenntnis,
die auf das Erkenntnisobjekt sich griindet.
9. (7494.) Dieses ist das grofse hochste Wesen, welches
die Yogin's schauen ; ihn, der im Atman weilt, schauen nicht
die Unverstandigen , deren Verstandnis in den Guna's be-
fangen ist.
10. (7495.) Grofser als die Erscheinungsform der Erde ist
die der Wasser ; grofser als die Wasser ist das Feuer, grofser
als das Feuer der Wind,
11. (7496.) grofser als der Wind ist der Ather, hoher als
dieser steht das Manas, grofser als das Manas ist die Buddhi,
grofser als die Buddhi wird die Zeit genannt;
12. (7497.) grofser als die Zeit ist jener heilige Vishnu,
der diese ganze Welt beherrscht; nicht Anfang, nicht Mitte,
nicht Ende gibt es dieses Gottes.
13. (7498.) Weil er ohne Anfang, ohne Mitte und ohne
Ende ist, ist er der Unvergangliche ; er ist erhaben iiber alle
Leiden, denn das Leiden ist etwas Endliches.
14. (7499.) Er ist das hochste Brahman, ist die Heimat,
die hochste Statte; die, welche zu ihm gelangen, werden er-
lost von dem Reiche der Zeit und gehen in die Erlosung ein.
15. (7B00.) Sie leuchten hervor unter den Guna's; weil
gunalos, ist dariiber erhaben das Hochste; die wahre Pflicht
hat als Merkmal Einkehr in sich, dadurch wird man reif fur
die Unendlichkeit.
16. (7501.) Die Hymnen, Opferspriiche und Lieder des Veda
stiitzen sich auf den Korper, schweben auf der Zungenspitze,
sind miihsam zu gebrauchen und verganglich.
17. (7B02.) Nicht aber gilt von Brahman, dafs es auf den
Korper sich stiitzend entstehe, nicht gilt von ihm, dafs es
Adhyaya 206 (B. 206). 231
miihsam zu gebrauchen sei, auch hat es weder Anfang, Mitte,
noch Ende.
18. (7503.) Einen Anfang haben die Hymnen, einen An-
fang die vedischen Lieder und Opferspriiche, und was einen
Anfang hat, das nimmt auch ein Ende; von dem Brahman
aber gibt es keinen Anfang.
19. (7504.) Und weil es anfanglos und endlos ist, ist es
ohne Ende und unverganghch , und weil es unverganglich
ist, ist es frei von Leiden, keine Gegensatze enthaltend und
daher das Hochste.
20. (7505.) Vermoge ihres Verhangnisses , ihrer Ratlosig-
keit und ihrer Kettung an die Werke sehen die Menschen
nicht, wodurch sie zu seiner Statte gelangen konnen.
21. (7506.) Denn weil der Mensch mit den Sinnendingen
behaftet ist und in ihnen etwas ewig [auch in der Brahman-
welt] Fortdauerndes sieht und somit in seinem Herzen nach
etwas anderm trachtet, darum gelangt er nicht zum Hochsten.
22. (7507.) Was sie hier als Guna's [der Prakriti] sehen,
danach trachten die niedrigen Menschen und verlangen nicht
nach dem Hochsten, weil es gunalos ist, sie aber nach den
Guna's begehren.
23. (7508.) Wer aber in die niederen Guna's (Qualitaten)
verstrickt ist, wie sollte der auch nur hohere Guna's er-
kennen, — nur durch Folgerung ist es ja zu erkennen — wie
sollte er durch die Guna's als seine Glieder das Hochste erlangen?
24. (7509.) Durch feines Denken erkennen wir es, durch
die Rede konnen wir es nicht ausdriicken; denn der Geist
mufs durch den Geist erfafst werden und das Sichtbare durch
das Sehen.
25. (7510.) Durch die Erkenntnis lautert man die Buddhi,
durch die Buddhi das Manas und durch das Manas die Schar
der Organe, so erlangt man das Hochste.
26. (7511.) Wer durch die Buddhi freigemacht und
durch das Manas gekraftigt worden ist, der kann zu dem
Wunschlosen, Gunalosen gelangen, aber hienieden in ihrer
Verstorung bleiben die Menschen von dem Hochsten aus-
geschlossen, wie der Wind von dem Feuer, welches im
Brennholze schlummert.
232 m. Mokshadharma.
27. (7512.) Wenn die Guna's zertrilmmert und Trennung
von ihnen erreicht ist, dann richtet sich der Geist fmanasj
immerfort auf das, was fiir die Buddhi zu hoch und zu
tief ist; auf diese Weise vorgehend, gelangt man beim
Abstreifen der Guna's zum Brahmanleibe.
28. (7513.) Der Purusha, unentfalteten Wesens, nach-
dem er die Werke entfaltet hat, geht zur Zeit des Endes
wieder in die Unentfaltetheit ein, zusammen mit den Or-
ganen, welche wachsen und wieder hinwelken, entwickelt
auch er sich, nach Beheben sich gestaltend.
29. (7514.) Mit alien Sinnesorganen verbunden und
einen Korper erlangt habend, stiitzt er sich auf die fiinf
Elemente; weil er dazu nicht imstande ist vermoge des
Werks, geht er hienieden nicht zu Ihm, von Ihm ver-
lassen, der das Hochste, Ewige ist,
30. (7515.) Der Mensch sieht nicht das Ende dieser
Erde, und doch wird ihr Ende kommen, das sollst du
wissen; sie [wohl: die Werke] verschlagen ihn, den in
Verwirrung geratenen Hochsten, wie der Wind ein Schiff
auf dem Meere.
31. (7516.) Wie die Sonne, nachdem sie sich mit einer
Beschaffenheit versehen hat, frei von dieser Beschaffen-
heit wird, indem ihr Strahlenkranz schwindet, so geht
ein Muni, wenn er hienieden das Unterschiedlose erlangt
hat, zu dem qualitatlosen, unverganglichen Brahman ein.
32. (7517.) Den nicht [in den Samsara] Eingegangenen,
der das hochste Ziel der Wohlgesinnten ist, den durch
sich selbst Seienden, den Hort alles Entstehens, den Un-
verganglichen, dieses Ewige, Unsterbliche , Unvergang-
liche, Bestandige, wer dieses erkennt, der erlangt die
hochste Unsterblichkeit.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischeu Manu und Brihaspati
(Manu - Brihaspati - savwdda).
Adhyaya 207 (B. 207). 233
Adhyaya 207 (B. 207),
Vers 7518-7566 (B. 1-49).
Yudhishthira sprach:
1. (7518.) 0 hochweiser Grofsvater! Von dem lotosaugigen,
unerschutterliclien Weltschopfer, dem unerschaffenen Vishnu,
dem Ursprung und Vergange der Wesen,
2. (7519.) von dem Narayana, dem Struppigen, dem Kuh-
gewinner, dem Uniiberwindliclien , von diesem, dem Voll-
haarigen, wiinsche ich, o Bester der Bharata's, der Wahrheit
gemafs zu horen.
Bhishma sprach :
3. (7520.) Mitgeteilt wurde diese Sache von Rama, dem
Sohn des Jamadagni, der sie erzahlte, und von dem Gotter-
weisen Narada und von Krishna und von Dvaipayana (Vyasa).
4. (7521.) Asita und Devala, o Freund, und der bufsereiche
Valmiki und Markandeya erzahlen von dem Kuhgewinner ein
grofses Wunder.
5. (7522.) Der Vollhaarige (Krishna), o Bester der Bharata's,
wird mit vielen Namen bezeichnet als der Heihge, der Gott,
der Herr, der Purusha, das All, der AUdurchdringende.
6. (7523.) Was aber die Brahmanen in der Welt wissen
von dem Trager des hornernen Bogens (Vishnu-Krishna), von
dem Hochherzigen, das vernimm, o Yudhishthira, du mit den
langen Armen.
7. (7524.) Und was, o Fiirst der Menschen, die Kenner
des Altertums an Taten betreifend den Kuhgewinner erzahlen,
die will ich dir berichten.
8. (7525.) Er, das Selbst der Wesen, das grofse Selbst
und der hochste Purusha, hat die grofsen Elemente, Wind
[lies: vdyuni], Feuer, W^asser, Ather und Erde, nacheinander
geschaffen.
9. (7526.) Und er, der Herr und Meister aller Wesen, nach-
dem er die Erde geschaffen hatte, schuf sich eine Behausung
in den Wassern, er, der hochherzige, hochste Purusha.
10. (7527.) Der alle Krafte in sich befassende, hochste
234 III- Mokshadharma.
Purusha, in dieser Behausung liegend , schuf als Erst-
geborenen aller Wesen den Sankarshana [nach Nil. gleich
Ahaiikara] ;
11. (7528.) ihn hat er als Trager aller Wesen mittels seines
Manas geschaffen, so haben wir vernommen, und dieser tragi
die Wesen, beide, die vergangenen und die zukiinftigen.
12. (7529.) Darauf entstand in diesem Grofsarmigen, Hoch-
herzigen, nachdem er in die Erscheinung getreten war, in
seinem Nabel eine sonnengleiche, himmlische Lotosblume.
13. (7530.) In dieser Lotosblume entstand, die Himmels-
gegenden bestrahlend , der heilige Gott Brahman, o Freund,
der Urvater aller Wesen.
14. (7531.) Und weiter entstand in diesem Grofsarmigen,
Hochherzigen , nachdem er in die Erscheinung getreten war,
mittels des Tamas ein grofser Damon mit Namen Madhu.
15. (7532.) Diesen Gewaltigen, Gewalttatigen , gewaltige
Werke Unternehmenden erschlug der hochste Purusha, dem
Gotte Brahman Genugtuung verschaffend.
16. (7533.) Und weil er, o Freund, diesen erschlagen hatte,
so nannten ihn alle Gotter, Danava's und Menschen den
Madhusudana (Madhutoter) , ihn, den Stier unter dem Volke
der Satvant's.
17. (7534.) Weiterhin schuf der Gott Brahman als seine
geistigen Sohne die den Daksha als Siebenten Habenden,
Marici, Atri, Ahgiras, Pulastya, Pulaha und Kratu.
18. (753B.) Marlci als Erstgeborener zeugte, o Freund, als
Erstgeborenen den Kagyapa, als seinen geistigen Sohn, den
kraftvollen Brahmankundigsten.
19. (7536.) Und noch vor Marici hatte Gott Brahman aus
seiner Zehe einen erschaffen, und der war, o Bester der Bha-
rata's, der Daksha genannte Schopfer der Wesen.
20. (7537.) Ihm wurden zunachst, o Bharata, als dem
Schopfer der Wesen dreizehn Tochter geboren, von diesen
war die Al teste die Diti.
21. (7538.) Und der die Unterschiede aller Pflichten ken-
nende, unbefleckte Ehre habende, hochberiihmte Sohn des
Marici, der KaQyapa, o Freund, wurde ihrer aller Gatte.
22. (7539.) Und nachdem der sehr Gliickliche mit ihnen
Adhyaya 207 (B. 207). 235
zehn weitere Tochter gezeugt hatte, gab er, der Daksha, der
Schopfer der Wesen, sie dem Dharma, er, der Dharmakundige.
23. (7540.) Die Soline des Dharma waren die Vasu's, die
unermefslich kraftigen Rudra's, die Vigve Devah, die Sadhya's
und die Marutvant's, o Bharata.
24. (7541.) Auch waren da noch siebenundzwanzig weitere,
von jenen verschiedene , jiingere Tochter [des Daksha], und
zum Gatten von ihnen alien wurde der sehr gliickliche Soma.
25. (7542.) Aber jene anderen [dreizehn Frauen des Kagyapa]
gebaren Gandharva's, Rosse, Vogel, Kiihe, Kimpurusha's,
Fische, Pflanzen und Baume.
26. (754.^.) Aditi gebar die Aditya's als die Besten der
Gotter von grofser Kraft; unter ihnen war es Vishnu, der
als Zwerg entstand und auch als der Herr, Govinda, geboren
wurde.
27. (7544.) Durch das Ausschreiten des Vishnu wurde das
Gliick der Gotter vermehrt, und die Danava's wurden besiegt,
wie auch die damonische Nachkommenschaft der Diti.
28. (7545.) Namlich Danu hatte die Danava's mit Vipra-
citti als Oberstem erzeugt, Diti aber hatte alle die Damonen
von grofser Macht geboren.
29. (7.546.) Madhusudana schuf Tag und Nacht, die Zeit
den Jahreszeiten entsprechend, den Vormittag und den Nach-
mittag, dies alles bildete er.
30. (7547.) Nachdem er meditiert hatte, schuf er die Wolken,
sowie das Unbewegliche und Bewegliche, imd auch die ganze
Erde mit ihrem Inhalt schuf er durch seine grofse Kraft.
31. (7548.) Dann weiter schuf der sehr gliickliche Krishna,
o Yudhishthira, als Beste ein Hundert Brahmanen, aus seinem
Munde schuf sie der Herr,
32. (7.549.) und aus seinen Armen hundert Kshatriya's,
aus seinen Schenkeln hundert Vaigya's und aus seinen Fiifsen
hundert Qudra's schuf der Vollhaarige, o Stier der Bharata's.
33. (7550.) Und nachdem er, der Askesereiche, in dieser
Weise die vier Kasten hervorgebracht hatte, bildete er als
Aufseher aller Wesen den Schopfer selbst,
34. (7551.) den Verleiher des Vedawissens, den unermefs-
lich glanzenden Gott Brahman. Und als Aufseher der Geister-
236 HI. Mokshadharma.
und Miitterscharen schuf er den Gott mit den seltsamen Augen
[virupaksha, d. h. ^iva].
35. (7552.) Ferner schuf der alle Wesen Beseelende den
Ziichtiger der Bosen und Beherrscher der Vater, den Gerechtig-
keit Ubenden [Yama], sowie auch den schatzhiitenden Herrn
des Reichtums [Kubera].
36. (7553.) Auch schuf der Herr als Beschiitzer der See-
tiere den Varuna, den Herrn der Wasser, und als Aufseher
aller Gotter bildete er den Vasava [Indra].
37. (7554.) Solange jedesmal bei den Menschen die Lust
bestand, einen Korper zu tragen, solange lebten sie damals,
und es bestand keine Furcht vor Yama [dem Todesgotte].
38. (7555.) Auch bestand fur sie, o Stier der Bharata's,
noch nicht der Branch der Begattung, sondern auf ihren
blofsen Wunsch hin entstand ihnen Nachkommenschaft.
39. (7556.) Dann aber in der Zeit des Weltalters Treta
entstand die Nachkommenschaft durch blofse Beriihrung, und
auch fiir die damals Lebenden bestand noch nicht der Brauch
der Begattung, o Mannerfiirst.
40. (7557.) Aber in dem Zeitalter Dvapara entstand unter
den Menschen der Brauch der Begattung, o Herr, und in dem
Zeitalter Kali, o Konig, gerieten die Menschen in Zwietracht.
41. (7558.) Jener (Krishna) wird der Herr der Wesen,
o Freund, und der gute Aufseher [von den Frommen] ge-
nannt. Nun aber will ich dir, o Kuntisohn, diejenigen nennen,
welche sich nicht um ihn kiimmern; das vernimm.
42. (7559.) Es sind als Bewohner des Siidens, o Bester
der Manner, alle Andhraka's, die Guha's, Pulinda's, (^abara's,
Cucuka's und Madraka's.
43. (7560.) Es sind aber auch Bewohner des Nordens, auch
diese will ich dir nennen : die Yauna's, Kamboja's, Gandhara's,
Kirata's und Barbara's.
44. (7561.) Diese, o Freund, leben als Ubeltater auf dieser
Erde und haben Gebrauche, o Mannerherr, wie die Hunde-
kocher, Krahen und Geier.
45. (7562.) Diese, o Freund, lebten noch nicht im Welt-
alter Kritam auf dieser Erde, sondern erst vom Weltalter
Treta an entstanden diese Volker, o Stier der Bharata's.
Adhyaya 207 (B. 207). 237
46. (7563.) Nun aber, nachdem diese furchtbare Welt-
periode der Dammerung angebrochen war, gerieten die Konige
aneinander und griflPen sich gegenseitig an.
47. (7564.) In dieser Weise hat, o Bester der Kuru's, jener
von dem Hochsinnigen ans Licht gebrachte Gotterweise Narada,
der alle Welten Schauende, den Gott verkiindigt.
48. (7565.) Und Narada war es auch, welcher die Hochst-
heit des Krishna erkannte, o Mannerherr, und seine Ewig-
keit, 0 Grofsarmiger, der Wahrheit nach, o Stier der Bharata's.
49. (7566.) Und darum ist jener grofsarmige, wahrhaft
tapfere Vollhaarige, der Unausdenkbare , Lotosaugige; nicht
ist er ein blofser Mensch.
So lautet im Mokshadharma die Entstehung aller Wesen
(tarva - bhita - utpatti).
Adhyaya 308 (B. 208).
Vers 7567-7603 (B. 1-37).
Yudhishthira sprach;
1. (7567.) Welche Herren der Geschopfe sind vordem ge-
wesen, o Stier der Bharata's, und welche hochbegliickten
Rishi's werden je nach den einzelnen Himmelsgegenden liber-
liefert?
Bhishma sprach:
2. (7568.) Vernimm, o Bester der Bharata's, das, wonach
du mich fragst, welche Herren in dieser Welt gewesen sind,
und welche Rishi's fur die einzelnen Himmelsgegenden er-
wahnt werden.
3. (7569.) Als erster war der eine Heilige, durch sich selbst
Seiende, der ewige Gott Brahman, von Brahman aber stammen
sieben hochherzige, durch sich selbst seiende Sohne:
4. (7570.) Marici, Atri, Angiras, Pulastya, Pulaha, Kratu
und [an Stelle des oben Vers 7B34 erwahnten Daksha] der
hochbegliickte VaQishtha, vergleichbar dem durch sich selbst
Seienden.
6. (7571.) Als sieben Brahman's werden diese in dem
238 in. Mokshadharma.
Puranam mit Gewifsheit bezeugt. Weiter will ich dir nun
alle Herren der Geschopfe mitteilen.
6. (7572.) Aus dem Geschlechte des Atri entsprang, dem
Stamme des Gottes Brahman angehorig, der ewige, heilige
Pracinabarhis ; von ihm stammen die zehn Pracetas.
7. (7.573.) Diese zehn hatten einen Sohn, den Daksha ge-
nannten Herrn der Geschopfe, welcher in der Welt zwei
Namen fiihrt, indem er Daksha und auch Ka genannt wird.
8. (7574.) Von Marici stammt sein Sohn Kagyapa, und
auch er hat zwei Namen; die einen kennen ihn als Arishtanemi,
die andern als Kagyapa.
9. (7575.) Von Atri stammte als leiblicher Sohn der herr-
liche Konig Soma, der Held, welcher zehn gottliche Welt-
.alter durch Verehrung iibte.
10. (7576.) Auch Aryaman, der heilige, und seine Sohne,
o Herr; diese werden als Gesetzgeber und als Weltschopfer
genannt.
11. (7577.) (^agabindu aber hatte zehntausend Gattinnen,
o Unerschiitterlicher, und von jeder einzelnen von ihnen
wurden tausend Sohne geboren.
12. (7578.) In dieser Weise entsprangen von diesem Hoch-
sinnigen zehnmal hunderttausend Sohne; diese alle erkennen
keinen andern Herrn der Geschopfe [als ihren Stammvater] an.
13. (7579.) Diese Nachkommenschaft des Qagabindu be-
zeugen die alten Weisen, und dieses grofse Geschlecht des
Herrn der Geschopfe war der Ursprung des Vrishnistammes.
14. (7580.) Damit sind die beriihmten Herren der Geschopfe
dargelegt. Weiter will ich dir von den Gottern reden, welche
die Dreiwelt regieren.
15. (7581.) Bhaga, Anga und Aryaman, Mitra, sowie auch
Varuna und Savitar, Dhatar und der grofsmachtige Vivasvant,
16. (7582.) Tvashtar, Pushan und Indra und als zwolfter
wird Vishnu genannt, diese zwolf Aditya's sind Sohne des
Ka<?yapa.
17. (7583.) Nasatya und Dasra werden uberHefert als die
beiden AQvin's, diese sind Sohne des Martanda, des hoch-
sinnigen achten [Aditya, d. h. des Vivasvant].
18. (7584.) Diese wurden vordem als Gotter und als die
Adhyaya 208 (B. 208). 239
zwei Arten der Vater bezeichnet [die Prajapati's als Vater
der Welt und die Sohne der Gotter, welche von den durch
sie belehrten Gottern Vater genannt wurden]. Der Sohn des
Tvashtar war der herrliche, hochberiihmte Vigvarupa;
19. (7585.) ferner Aja Ekapat, Ahi, Bradhna, Virupaksha
und Raivata, Hara, Bahuriipa und Tryambaka, der Herr der
Gotter,
20. (7586.) Savitra und Jayanta und der unbesiegbare
Pinakin. Schon oben wurden die hochbegliickten acht Vasu's
genannt.
21. (7587.) Diese so gearteten Gotter stammen von Manu,
dem Herrn der Geschopfe. Diese wurden vordem als Gotter
und als die zwei Arten der Vater bezeichnet.
22. (7588.) An Charakter und Jugend verschieden war die
Schar der Siddha's, und von ihr verschieden die der Sadhya's;
Ribhu's und hinwiederum Marut's wird eine Schar von Gottern
genannt.
23. (7589.) Als solche werden auch jene Vigve Devah er-
wahnt, sowie die Agvin's. Die Aditya's sind die Kshatriya's
unter diesen [Gottern], die Marut's die VaiQya's.
24. (7590.) Die Agvin's hingegen gelten fur Qudra's, haben
aber ungeheure Askese betrieben ; und endlich die von Angiras
stammenden Gotter sind die Brahmanen unter ihnen, das ist
gewifs.
25. (7591.) In dieser Weise wird das Vierkastensystem
auch in betreff der Gotter gelehrt. Wer nun, nachdem er
morgens aufgestanden, diese Gotter preiset,
26. (7592.) der wird von allem Bosen, mag es von ihm
selbst stammen, oder von anderen herriihren, befreit. Yava-
krita, Raibhya, Arvavasu und Paravasu,
27. (7593.) Kakshivant, der Sohn der Ugij, und Bala, der
Sohn des Angiras, der Rishi Kanva, der Sohn des Medhatithi,
sowie Barhishada,
28. (7594.) diese Schopfer der Dreiwelt, wohnen, sowie
auch die sieben Rishi's, im Osten. Unmuca und Vimuca
und der heldenmiitige Svastyatreya,
29. (7595.) Pramuca,IdhmavahaundderheiligeDridhavrata,
ferner Agastya, der askesereiche Sohn des Mitra und Varuna,
240 ni. Mokshadharma.
30. (7596.) diese Brahmanweisen halten sich allezeit auf
in der siidlichen Gegend. Ushaiigu, Kavasha, Dhaumya,
Parivyadha, der Held,
31. (7597.) auch Ekata, Dvita und Trita, die grofsen
Weisen, und der heilige Sohn des Atri, der machtige Sarasvata,
32. (7598.) alle diese Hochherzigen wohnen in der west-
lichen Himmelsgegend. Atreya, Vasishtha und der grofse
Weise Kagyapa,
33. (7599.) ferner Gautama, Bharadvaja und Vigvamitra,
der Sohn des Kugika, sowie des hochherzigen Ricika heiliger
Sohn,
34. (7600.) Jamadagni, diese siehen wohnen in der nord-
lichen Himmelsgegend. Damit sind alle die kraftvoU Kraf-
tigen nach ihrer Himmelsgegend aufgezahlt,
35. (7601.) die hochherzigen Zeugen [der Weltschopfung]
und Schopfer der Welten. In dieser Weise wohnen diese
Hochherzigen, ein jeder in seiner Himmelsgegend.
36. (7602.) Wer sie anruft, der wird von allem Bosen er-
lost, indem er sich dadurch unter den Schutz derjenigen
Himmelsgegend stellt, welcher jeder einzelne von ihnen an-
gehort.
37. (7603.) Er wird erlost von allem Bosen und geht be-
gliickt nach Hause.
So latitet im Mokshadharma die Glilcksformel der Himmelsgegeudeu
(di\dm svaslikam).
Adhyaya 209 (B. 209).
Vers 7604-7640 (B. 1-36).
Yudhishthira sprach:
1. (7604.) 0 weiser Grofsvater, du walirhaft Tapferer im
Kampfe, ich wiinsche in Vollstandigkeit zu horen von Krishna^
dem ewigen Gotte,
2. (7605.) und welches seine iiberaus grofse Kraft und
welches sein vordem vollbrachtes Werk ist. Das alles sage
mir der Wahrheit gemafs, o du Stier unter den Mannern.
Adhyaya 209 (B. 209). 241
3. (7606.) Sage mir, wie der Herr, in einen Tierschofs
eingegangen, sich zur Erscheinung brachte, und durch welche
Grofstat-Gewahrung dies geschah, das verkiindige mir, o
Grofsmachtiger.
Bhishma sprach:
4. (7607.) Einstmals auf die Jagd gegangen weilte ich in
der Einsiedelei des Markandeya; daselbst sah ich Scharen
von Muni's, welche zu Tausenden umhersafsen.
5. (7608.) Diese erwiesen mir Ehre durch eine Honigspende,
ich aber nahm die Ehrenerweisung entgegen und sprach den
Eishi's meinen Dank aus.
6. (7609.) Daselbst wurde von dem grofsen Weisen Kagyapa
folgende Geschichte erzahlt. Diese herzerquickende , himm-
lische Erzahlung vernimm mit aufmerksamem Geiste.
7. (7610.) Einstmals geschah es, dafs die Obersten der
Danava's, von Zorn und Begierde erfiillt, von Kraft trunken,
zu Hunderten mit Naraka an der Spitze, dafs diese grofsen
Damonen
8. (7611.) und noch viele andere Danava's von arger Wild-
heit im Kampfe es nicht ertrugen, das hochste Gedeihen der
Gotter zu sehen.
9. (7612.) Die Gotter aber und die Gotterweisen, von den
Danava's bedrangt, fanden keinen Schutz, o Konig, indem
sie hierhin und dor thin fliichteten.
10. (7613.) Da sahen die Bewohner des Himmels die Erde
in bedrangter Lage, wie sie von den Danava's, den furcht-
bar gestalteten, grofsmachtigen, ganz iiberdeckt war
11. (7614.) und, von dieser Last gedriickt, freudlos und
schmerzgequalt versank. Da sprachen die geangstigten Sohne
der Aditi zum Gotte Brahman folgendermafsen : *
12. (7615.) Wie werden wir, o Brahman, der Vergewalti-
gung durch die Danava's Meister werden? Da sprach der
durch sich selbst Seiende : Ich habe hierfiir schon einen Aus-
weg vorbereitet.
13. (7616.) Ganz erfiillt von ihrem Werte, ihrer Gewalt
und ihrer Tollheit bemerken sie nicht, die Toren, den Vishnu,
dessen Erscheinung noch verborgen ist,
Detjssen, Mah&bh^ratam. \Q
242 ni. Mokshadharma.
14. (7617.) den, wenn er die Gestalt eines Ebers annehmen
wird, auch von Unsterblichen unbezwingbaren Gott. Der
wird im Sturm dorthin eilen, wo jene gemeinen Danava's
15. (7618.) in die Erde eingedrungen, die Furchtbaren, zii
Tausenden weilen, und wird sie zur Ruhe bringen. Als dies
die vortreffliohen Gotter horten, freuten sie sich.
16. (7619.) Darauf nahm der sehr kraftige Vishnu die Ge-
stalt eines Ebers an, drang in die Erde ein und ging auf die
Sohne der Diti los.
17. (7620.) Als nun die Ditisohne allesamt dieses nicht-
menschliche Wesen sahen, da erhoben sie sich alle mit Ge-
walt und Ungestum, vom Todesgotte (Kala) verblendet.
18. (7621.) Darauf stiirmten sie alle im Verein auf den
Eber los und packten ihn ; und voU Zorn zerrten sie den Eber
von alien Seiten.
19. (7622.) Aber die Danava-Fiirsten, obgleich mit grofsen
Leibern und von grofser Tapferkeit und hochfahrend vermoge
ihrer Kraft, vermochten ihm nichts anzutun, o Herr.
20. (7623.) Da gerieten die Danava-Fiirsten in Staunen
und in Furcht und begrijffen zu Tausenden, dafs ihr eigenes
Selbst Gefahr zu laufen drohte.
21. (7624.) Da geschah es, dafs der Obergott der Gotter,
von Yoga erfiillt und als Lenker der Yoga-Anschirrung zum
Yoga greifend, o Bester der Bharata's, dafs er, der Heilige,
damals
22. (7625.) ein grofses Gebriill ausstiefs und dadurch die
Daitya's und Danava's in Verwirrung brachte, ein Gebriill,
von welchem die Welten und alle zehn Himmelsgegenden
widerhallten.
23. (7626.) Durch diesen widerhallenden Ton entstand eine
Erschiitterung der Welten, die Gotter mit Indra an der Spitze
gerieten in der Welt in grofsen Schrecken,
24. (7627.) und die Lebewelt war ganz starr damals, die
unbewegliche und die bewegliche, durch dieses Gebriill in
Bestiirzung geratend,
25. (7628.) und alle die Danava's, durch dieses Gebriill in
Furcht versetzt, stiirzten leblos nieder, betaubt durch die
Kraft des Vishnu.
Adhyaya 209 (B. 209). 243
26. (7629.) Und auch in die Unterwelt stieg der Eber hinab
und zerrifs mit seinen Klauen das Gefiige von Fleisch, Fett
und Knoohen der Gotterhasser.
27. (7630.) Aber wegen jenes grofsen Gebriills fnddaj
wurde er Sanatana (der Ewige) genannt, er, der lotos-
entsprossene, grofse Yogin, der Lehrer und Fiirst der Wesen.
28. (7631.) Da liefen alle die Gotterscharen zum Urvater
und, bei ihm angelangt, sprachen die Hochherzigen zum Herrn
der Welt:
29. (7632.) Was ist das fiir ein Gebriill, o Gott, wir kennen
es nicht, o Herr? Was ist es mit ihm, und von wem kommt
das Gebriill, durch welches die Welt ins Wanken ge-
bracht wird
30. (7633.) und Gotter und Danava's in Verwirrung ge-
raten vermoge seiner durchdringenden Macht? In diesem
Augenblicke erhob sich in der Gestalt des Ebers Vishnu,
(7634.) 0 Grofsarmiger, er, der von grofsen Weisen Gepriesene.
Der Allvater sprach:
31. (7635.) Der die Danava-Herren niedergeworfen hat, der
sehr erhabene, sehr kraftige, dieser Gott, der grofse Yogin,
der Beseeler und Bildner der Wesen,
32. (7636.) der Herr aller Wesen, der Yogin, der Muni,
das Selbst des Selbstes, — bleibt getrost! — es ist Krishna,
der Vernichter aller Hindernisse.
33. (7637.) Er ist es, der dieses iiberaus wohltatige, un-
mogliche Werk vollbracht hat, der unermefslich Glanzende,
nunmehr in seine Wesenheit Zuriickgekehrte, der sehr Gliick-
liche, sehr Leuchtende,
34. (7638.) der Lotosnablige, der grofse Yogin, der hoch-
herzige Bildner der Wesen. Keine Qual, keine Furcht, kein
Kummer iiberkomme euch, o Beste der Gotter!
35. (7639.) Er ist der Schopfer, ist die Majestat und ist
auch die Vernichtung bewirkende Zeit. Von ihm, der die
Wei ten erhalt, von dem Hochherzigen ist jenes Gebriill aus-
gestofsen worden.
36. (7640.) Und er, der Grofsarmige, wird in alien Welten
16*
244 ni. Moksliadharma.
verehrt, der Unerschiitterliche , Lotosaugige, der Ursprunj
aller Wesen, der Gottherr.
So lautet im Mokshadharma das Spiel in der Erde
(antar - bh'&mi - vikridanam) .
Adhyaya 310 (B. 310).
Vers 7641-7688 (B. 1-46).
Yudhishthira sprach:
1. (7641.) Den hochsten Yoga der Erlosung, o Freund, er-
klare mir, o Bharata; ihn wiinsche ich der Wahrheit gemafs
zu erkennen, o Bester der Redenden.
Bhishma sprach :
2. (7642.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich die Unterredung eines Schiilers mit seinem
Lehrer in betreff der Erlosung.
3. (7643.) Einem Brahmanen, der dasafs als Lehrer, als vor-
ziiglicher Weiser, als eine Fiille von Glanz, hochherzig, sein
Wort haltend, seine Sinne bezahmend,
4. (7644.) diesem nahte ein iiberaus verstandiger , heils-
bediirftiger, sehr aufmerksamer Schiller, umfafste seine Fiifse
und sprach, indem er mit zusammengelegten Handen vor
ihm stand:
5. (7645.) Wenn du zufolge meiner Verehrung mir gnadig
bist, 0 Heiliger, so mogest du mir einen grofsen Zweifel, den
ich hege, aufklaren: (7646.) Woher bin ich und woher bist
du? Diese wichtigste Frage mogest du mir vollstandig be-
antworten.
6. Und wie kommt es, o Bester der Zwiegeborenen , da
doch alle Wesen unter den gleichen Bedingungen stehen,
(7647.) dafs ihr regelrecht verlaufendes Vergehen und Wieder-
geborenwerden in so entgegengesetzter Weise stattfindet?
7. Und auch was der Veda dariiber sagt, und was die
wpltjich^^ j^r,;alle verbindliche Tradition [der Smriti] davon
Adhyaya 210 (B. 210). 245
lehrt, (7648.) das, o Weiser, mogest du mir alles der Wahr-
heit gemafs erklaren.
Der Lehrer sprach:
8. (7649.) Vernimm, o hochverstandiger Schiller, dieses
hochste Brahmangeheimnis , und was das Gute ist an alien
Wissenschaften und heiligen Uberliefeningen , sofern es das
innere Selbst betriflPt.
9. (7650.) Der Sohn des Vasudeva (Krishna) ist jenes
Hochste, ist der Mund der ganzen Brahmanoffenbarung; er ist
Wahrheit und Wissen, ist Opfer, Ausharren, Bezahmung und
Kedlichkeit.
10. (7651.) Er ist es, den die Vedakenner als den Purusha,
den ewigen Vishnu wissen, als den Urheber von Schopfung
[sarga mit C.) und Vergang, als das unoffenbare, ewige
Brahman.
11. (7652.) So vernimm dieses heilige Wort, die Erzah-
lung betreffend den Vrishnisprofs (Krishna). Ein Brahmane
mufs von Brahmanen gehort werden, ein Krieger von Kriegern,
12. (7653.) ein Vaigya mufs von Vaigya's gehort werden
und ein (^udra, wenn er hochsinnig ist, von (^udra's. Du
sollst die Majestat des Gottergottes, des Vishnu von unermefs-
licher Kraft, —
13. (7654.) wiirdig dessen bist du — du sollst den schonen,
hochsten Vrishnisprofs kennen lernen, der das Rad der Zeit
ist, den Anfanglosen, Endlosen, der Sein und Nichtsein als
Merkmale an sich tragt.
14. (7655.) In ihm, dem Herrn aller Wesen, dreht sich
die Dreiwelt wie ein Rad. Jenes unvergangliche, unoffenbare,
unsterbliche, ewige Brahman (7656.) bezeichnen sie, o Manner-
tiger, als den Vollhaarigen, den Stier unter den Mannern.
15. Er hat die Vater, Gotter und Rishi's und ebenso die
Halbgotter und Kobolde, (76B7.) die Schlangen, Damonen und
Menschen geschaffen, er, der Hochste, Unvergangliche.
16. Und er hat auch die Vedavorschriften und die ewigen
Weltgesetze, (7658.) nachdem er Vergang und Neuschopfung
bewirkt, zu Anfang der Weltalter wiederum geschaffen.
17. So wie in einer Jahreszeit die mannigfachen Attribute
246 in. Mokshadharma.
der Jahreszeit im Umlaufe der Zeit (7659.) zur Erscheinung
kommen, bald die einen, bald die andern, so ist es mit den
Zustanden fhhdvaj am Anfange der Weltalter.
18. Und was inuner irgendwann durch Fiigung der Zeit
zu Anfang der Weltalter zum Vorschein kommt (7660.) an
Wissen, das gelangt zur Entstehung, indem es nach Ordnung
des Weltganges geboren wird.
19. Was am Ende eines Weltalters an Veden und epi-
schen Gedichten latent geworden war, (7661.) das haben grofse
Weise [im neuen Weltalter] vor Zeiten kraft ihrer Askese
empfangen, begnadet damit durch den durch sich selbst
Seienden.
20. Als Vedakenner weifs [den Veda] der Heilige, die
Vedanga's weifs Brihaspati, (7662.) und der Bhrigusohn hat
das Lehrbuch der Lebensfiihrung zum Heile der Welt ver-
kiindet.
21. Die Musikwissenschaft weifs Narada, die Kriegs-
wissenschaft Bharadvaja, (7663.) den Lebenslauf der Gotter-
weisen Gargya, die Heilkunde Krishnatreya.
22. Die mannigfachen Lehrbiicher der Logik wurden von
diesen und jenen Lehrern gelehrt, (7664.) und alles, was an
Argumenten, heiligen Uberlieferungen und gutem Lebens-
wandel gelehrt worden ist, das soil man verehren.
23. Jenes anfanglose hochste Brahman wissen nicht
Gotter und nicht Weise, (7665.) nur einer weifs es, der heilige
Schopfer, Narayana, der Herr.
24. Von Narayana stammen die Scharen der Rishi's so-
wie die obersten Gotter und Damonen, (7666.) auch die alten
Konigsweisen und das hochste Heilmittel der Schmerzen.
25. Wenn nun die Prakriti die vom Purusha (Narayana)
verwalteten Zustande (hhdvaj gebiert, (7667.) dann entwickelt
sich die durch sie vorher mit den Ursachen ihrer Entstehung
ausgestattete Welt.
26. Wie an einer Fackel andere Fackeln tausendfach
sich entziinden, (7668.) so gebiert die Prakriti und wird doch
wegen ihrer Unerschopfhchkeit nicht vermindert.
27. Aus dem Unentfalteten (der Prakriti) entsteht die
werkbedingte Buddhi, und sie erzeugt den Ahankara; (7669.) aus
Adhyaya 210 (B. 210). 247
dem Ahaiikara [entspringt] der Ather, aus dem Ather ent-
steht der Wind,
28. aus dem Wind das Feuer, aus diesem das Wasser,
und aus dem Wasser geht die Erde hervor ; (767o.) diese acht
sind die Grundnaturen und in ihnen ist die Welt gegriindet.
29. Der Erkenntnisorgane sind fiinf, sowie auch fiinf
Tatorgane, (767i.) ferner fiinf Objekte fvishayaj und das eine
Manas als Sechzehntes, im Bereiche des [aus den Grund-
naturen] Umgewandelten.
30. Auge, Ohr, Haut, Augen, Zunge und Nase sind die
Erkenntnisorgane; (7672.) Fiifse, Entleerungs- und Zeugungs-
organ, Hande und Kede sind die Tatorgane (Jcarmani, im
Dual!)
31. Ferner sind da Ton, Gefiihl, Gestalt, Geschmack und
Geruch, (7673.) und als das sie alle durchdringende Geistes-
organ soil man das Manas wissen.
32. Zur Erkenntnis des Geschmacks dient die Zunge,
zum Sprechen die Rede; (7674.) vermoge seiner Verbindung
mit den mannigfachen Organen ist das Manas die ganze
[fiinfzehnfach] entfaltete Natur.
33. Von diesen sechzehn soil man wissen, dafs sie, ein
jedes an seinem Teil, Gottheiten sind, (7675.) welche den in
den Leibern weilenden Urheber der Erkenntnis verehren.
34. Demnach ist der Geschmack die Qualitat des Wassers,
der Geruch die Qualitat der Erde, (7676.) das Gehor die Quali-
tat des Athers und das Gesicht die Qualitat des Feuers; das
Gefiihl soil man wissen als Qualitat des Windes in alien
Wesen jederzeit.
35. (7677.) Das Manas gilt fUr eine Qualitat des Sattvam,
das Sattvam aber ist aus dem Unentfalteten geboren; darum
soil der Weise dieses [das Sattvam] erkennen als das, was
zu ihrem Selbste geworden in alien Wesen weilt.[
36. (7678.) Diese Wesenheiten fhhdvaj tragen die ganze
Welt mit allem Beweglichen und Unbeweglichen ; sie aber
griinden sich auf den von Leidenschaft frajasj freien Gott,
den man noch hoher stellt als die Prakriti.
37. (7679.) Die heilige Stadt mit den neun Toren [der
Leib] ist von diesen Wesenheiten erfullt; in ihr liegt, sie
248 III- Mokshadharma.
durchdringend, das grofse Selbst fmahdn dtmdj; darum wird
es der Purusha genannt.
38. (7680.) Nicht alternd und unsterblich ist dieser, als
Entfaltetes und Unentfaltetes wird er bezeichnet; alldurch-
dringend ist er, gunabehaftet und unerkennbar, er ist die
Grundlage der Guna's in alien Wesen.
39. (7681.) So wie eine Fackel, mag sie klein oder grofs
sein, ihrem Wesen nach Licht ist, so soil man das Erkennt-
nisselbst fjndna-dtmanj als den Purusha in alien Geschopfen
erkennen.
40. (7682.) Er ist es, der fiir das Ohr das zu Erkennende
erkennbar macht, er ist es, der da hort und der da sieht;
Ursache dieses Tuns ist dieser Leib, er aber ist der Bewirker
aller Werke.
41. (7683.) Wie das im Holz latente Feuer, auch wenn
man das Holz spaltet, nicht zu sehen ist, so wird dieser im
Korper weilende Atman nur durch den Yoga gesehen.
42. (7684.) Wie namlich das Feuer, wenn man das Holz
durch eine Vorrichtung reibt, sichtbar wird, so wird dieser
im Korper weilende Atman nur durch den Yoga gesehen.
43. (7685.) Wie das Wasser an den Flufs gebunden ist,
wie die Strahlen an die Sonne, wie diese, weil an sie ge-
kniipft, sie begleiten, so verbal ten sich die Korper zu den
Verkorperten.
44. (7686.) Daran, dafs bei der Versenkung in den Schlaf
der Atman mit den fiinf Sinnen verbunden, den Korper ver-
lassend, umherschweift, daran wird er als der Atman erkannt.
45. (7687.) Durch das Werk [wenn seine Frucht abgelaufen
ist] wird die Erscheinung verdrangt, und durch das Werk
wird sie [im neuen LebenslaufJ wieder wahrgenommen, durch
das Werk wird sie in einen neuen Zustand versetzt, durch
das selbstbegangene, iiberaus machtige Werk.
46. (7688.) Wie aber die Seele aus einem Leibe, nachdem
sie ihn verlassen, in einen andern eingeht, demgemafs will
ich dir diesen andern erklaren, namlich die durch ihre eigenen
Werke wiedergeborene Schar der Wesen.
So lautet im Mokshadharma Varshneya als das innere Selbst
(Vdnhneya-adhydtmam).
Adhyaya 211 (B. 211). 249
Adhyaya 211 (B. 211).
Vers 7689-7706 (B. 1-17).
Bhishma sprach :
1. (7689.) Die vier Arten der unbeweglichen und beweg-
lichen Wesen haben aus dem Unentfalteten ihre Entstehung,
und in das Unentfaltete gehen sie wieder unter. (7690.) Das
Unentfaltete als Merkmal habend, von Natur an das Un-
entfaltete als Wesen habend ist das Manas.
2. Wie der grofse Baum in dem Samenkorn des Feigen-
baumes verborgen liegt (7691.) und, nachdem er sich daraus
entwickelt hat, sichtbar wird, so ist die Entstehung des Ent-
falteten aus dem Unentfalteten.
3. Wie das ungeistige Eisen auf den Magnetstein zu-
eilt, (7692.) und wie die aus ihrer eigenen Natur als Ursache
entsprungenen Wesenheiten zu etwas anderm derartigen
[magnetartigen hinstreben],
4. so werden die aus dem Unentfalteten als Bewirker
geborenen Wesenheiten ("bhdvaj, welche das Merkmal ihrer
Ursache an sich tragen (7693.) und ohne Bewufstsein sind,
durch das Beseelende als Ursache zu einem Komplexe ver-
bunden.
5. Damals war nicht die Erde, nicht Ather, Himmel und
Wesen, nicht dieRishi's, nicht Gotter undDamonen, (7694.) nichts
anderes war, ausgenommen die Seele; jene [genannten] aber
batten sich noch nicht der [spater] mit ihnen aggregierten
Seele genaht,
6. der urspriinglichen , ewigen, allgegenwartigen , das
Manas erzeugenden, merkmallosen , (7695.) noch nicht durch
Erkennen und Wirken charakterisierten , — dieses ist das
Merkmal der [Seele als] Weltursache.
7. Diese [Weltursache] verband sich namlich mit den
[materiellen] Ursachen und bewirkte ein Aggregat ihrer Wir-
kungen; (7696.) wodurch dieses anfang- und endlos'e grofse
Weltrad sich in Umdrehung befmdet.
8. Seine Nabe ist das Unentfaltete, seine Speichen sind
das Entfaltete, sein Radkranz sind die Umwandlungen,
250 in. Mokshadharma.
(7697.) regiert wird dieses Rad von der Seele ("kshetrajnaj, mit
oliger Achse dreht es sich um ohne Fehl.
9. Weil seine Achse geblt ist, darum wird in diesem
Rade die ganze Welt der Lebenden zermalmt wie Sesam-
korner (7698.) von den aus dem Nichtwissen entspringenden
Geniissen, wie von Olmiillern, die dazu angestellt sind.
10. Dieses Werk vollbringt sie [die Welt der Lebenden]
wegen der Begierde ftarsJiaJ und wegen ihres Umschlungen-
seins vom Ahankara. (7699.) In der Verkniipfung von Ursache
und Wirkung wird dieses [die Begierde und das Umschlungen-
sein] als der Grund erklart.
11. Nicht erkennt die Ursache die Wirkung, und die
Wirkung erkennt nicht die Ursache, (7700.) sondern es ist die
Zeit, welche bei diesem Tun mittels Entfaltung der Wirkung
die bewirkende Ursache bildet.
12. Durch diese Ursache sind miteinander verbunden die
schaffenden Potenzen und ihre Umwandlungen ; (7701.) beide
stehen in Beziehung zueinander, indem sie immerfort vom
Purusha regiert werden.
13. Und [nach dem Tode ist es die individuelle Seele,
welche] von rajasartigen und tamasartigen Beschaffenheiten
fbhdvaj herabgezogen und, von der Gewalt der Ursache ge-
trieben, (7702.) der hochsten Seele {hshetrajnaj nachfolgt, wie
der Staub, der vom Winde aufgewirbelt wird.
14. Sie aber wird von jenen Beschaffenheiten nicht be-
riihrt, noch auch diese von ihr, der Hohen; (7703.) wie ja
audi der an sich staublose Wind nicht staubartig werden
kann.
15. So soil der Weise diesen Unterschied erfassen zwischen
dem Sattvam [als Vertreter der Prakriti] und dem Kshetrajna;
(7704.) wenn er mit Fleifs sich dieser Sache hingibt, wird er
er nicht wieder in die Prakriti verfallen.
16. Diesen aufgetauchten Zweifel loste der heilige Bishi,
(7705.) und so soil man nach einer Kunde ausschauen, welche
den von ihm gegebenen Andeutungen entsprechend ist.
17. Gleichwie die vom Feuer gerosteten Samenkorner
nicht wieder keimen konnen, (7706.) so wird der Atman mit
Adhyaya 211 (B. 211). 251
den durch die Erkenntnis verbrannten Ubelstanden fklegaj
nicht mehr behaftet.
So lautet im Mokshadharma VArshneya als das innere Selbst
(Vdrshneija - adliydtritam).
Adhyaya 313 (B. 313).
Vers 7707-7741 (B. 1-33).
Bhishma sprach:
1. (7707.) So wie die auf Tatigkeit zielende Lebensregel
[von den gewohnlichen Menschen] vollstandig begriffen wird,
ebenso haben die, welche in der Erkenntnis fest gegriindet
sind, kein Wohlgef alien an irgendeinem andem Prinzip.
2. (7708.) Schwer zu finden sind Vedakenner, die in den
Vedaworten vollstandig bewandert sind ; aber wegen der Grofse
des Ansporns {prayojanamahattvat mit C.) streben sie dem
vielgepriesenen Wege nach.
3. (7709.) Hingegen ist dieses [kontemplative] Verhalten,
weil es von edlen Menschen befolgt wurde, untadelig; dieses
ist die Erkenntnis, durch welche man, nachdem man sie er-
griffen hat, den hochsten Gang geht.
4. (7710.) Die verkorperte Seele nimmt aus Verblendung
allerlei Anhangsel an und verbindet sich mit Zustanden {hhavaj^
wie Zorn und Begierde, welche aus dem Rajas und Tamas
entspringen.
5. (7711.) Darum soil man in dem Streben, seinen Leib
zu erhalten, nichts Unlauteres begehen, denn wer durch sein
Werk sich eine Blofse gibt, der wird die schonen Welten
nicht erlangen.
6. (7712.) Wie das mit Erz vermischte Gold, solange es
noch nicht ausgeschmolzen ist, nicht erglanzt, so leuchtet
auch das Wissen nicht auf, solange es noch erscheint als
nicht aus der Unreinheit ausgeschmolzen.
7. (7713.) Und wer noch am Unrecht festhalt und aus
Begierde von Lust und Zorn sich treiben lafst, der, auch
wenn er den rechten Weg betreten hat, geht doch mitsamt
seinem Anhange zugrunde.
252 in. Mokshadharma.
8. (7714.) Darum moge einer nicht aus leidenschaftlicher
Lust den Sinnendingen , wie Tonen usw., nachhangen; denn
Zorn, Freude und Verzweiflung werden eines aus dem andern
geboren.
9. (7715.) Da dieser Leib aus fiinf Elementen besteht und
aus Sattvam, Rajas und Tamas gebildet ist, was kann einer
dabei sagen, wen kann er mit Lobpreis erheben, wen kann
er tadelnd anfahren?
10. (7716.) Torichte Menschen geraten in eine Abhangig-
keit von Beriihrung, Gestalt, Geschmack usw., und weil
sie nur dieses Wissen besitzen, begreifen sie nicht, dafs ihr
leibliches Selbst eine erdartige Qualitat ist.
11. (7717.) So wie ein Lehmhaus nur mit Lehm iiberschmiert
wird, ebenso schiitzt sich dieser aus Erde gebildete Leib vor
dem Untergange nur durch erdentstammende Produkte.
12. (7718.) Honig, 01, Milch, Butter, Fleisch, Salz und
Melasse, Getreidekorner , Friichte und Wurzeln, sowie auch
das Wasser sind erdentstammende Produkte.
13. (7719.) Wie einer, der in der Wildnis wohnt, seinem
Verlangen nachgibt und von den Dorfbewohnern Speise an-
nimmt, auch wenn sie nicht wohlschmeckend ist, um nur
sein Leben zu fristen,
14. (7720.) so moge der, welcher in der Wildnis des Sam-
sara wohnt und Kasteiungen mit Bifer betreibt, um der Fristung
des Lebens willen Nahrung einnehmen, wie der Kranke die
Arznei.
15. (7721.) Mit Wahrhaftigkeit, Reinheit, Geradheit, Ent-
sagung, Hoheit und Mut, mit Geduld und Festigkeit, mit
Einsicht, Verstand und Enthaltsamkeit
16. (7722.) soil man alle Gemiitszustande (hhava) betrach-
ten als von aufsen herandringend und zur Sinnenwelt gehorig
und nach Frieden suchend mit heiterem Geiste seine Sinne
bezahmen.
17. (7723.) Aber verwirrt durch Sattvam, Rajas und Tamas,
werden die Menschen wie Rader gewaltsam im Kreise um-
gewirbelt infolge ihres Nichtwissens.
18. (7724.) Darum moge man die Fehler, welche aus dem
Nichtwissen entspringen, griindlich prufen und das aus dem
Adhy^ya 212 (B. 212). 253
Nichtwissen hervorgehende Ubel, namlich den Egoismus
fahankdraj meiden.
19. (7725.) Die grofsen Elemente, die Sinnesorgane und
die Guna's, Sattvam, Rajas und Tamas, ja die ganze Drei-
welt mitsamt dem tgvara, das alles grundet sich auf den
Egoismus fahafiharaj .
20. (7726.) So wie hienieden die regelmafsig verlaufende
Zeit die Eigenschaften der Jahreszeiten zur Erscheinung bringt,
so, wisse man, bringt der Egoismus an den Wesen ilire Werke
hervor.
21. (7727.) Das Tamas soli man begreifen als verblendend,
schwarz, aus Nichtwissen entspringend, und ebenso [das Satt-
vam und Rajas] als mit Lust und Schmerz verkniipft; als
solche soil man alle die drei Guna's wissen.
22. (7728.) Nun vernimm folgendes als die Qualitaten des
Sattvam, des Rajas und des Tamas. Heiterkeit, Zufriedenheit,
welche aus der Freudigkeit entspringt, Zweifelsfreiheit, Festig-
keit und Erinnerung, (7729.) diese wisse als die Qualitaten des
Sattvam, und die folgenden als die des Rajas und Tamas.
23. Sie sind Begierde, Zorn, Unbesonnenheit, Liistern-
heit, Verblendung, Furcht und Schlaffheit, (7730.) sowie Ver-
zagtheit, Kummer, Unlust, Hochmut, Stolz und unedle Ge-
sinnung.
24. Indem man von diesen und anderen Fehlern die
Schwere oder Leichtigkeit in Betracht zieht, (7731.) priife man
daraufhin seinen eigenen Zustand im einzelnen fort und fort.
Yudhishthira sprach :
25. (7732.) Welche Fehler werden durch das Manas ab-
gestreift, und welche werden durch die Buddhi gelockert,
welche stellen sich immer wieder und wieder ein, und gegen
welche ist zufolge der Verblendung das Ankampfen nahezu
fruchtlos ?
26. (7733.) Und welches sind die Eigenschaften, deren
Starke oder Schwache man durch Vernunft und Griinde ab-
wagen soil? Dariiber, 0 Freund, besteht bei mir Zweifel,
den lose mir, o Grofsvater.
254 in. Mokshadharma.
Bhishma sprach:
27. (7734.) Indem er die Fehler mit der Wurzel ausrottet,
wird einer gereinigten Selbstes von ihnen erlost; er vernichtet
das ihm Angeborene, wie Eisen das aus Eisen Bestehende
vernichtet, (7735.) und indem er so sein Selbst bereitet hat,
geht [das ihm Anhaftende] mitsamt den angeborenen Fehlern
zugrunde.
28. Das Rajashafte und Tamashafte, sowie auch das
siindlose, dem reinen Selbste Angehorige, (7736.) das alles
bildet den Samen der Verkorperten ; das Sattvam hat der
Atmanhafte mit ihnen gemeinsam.
29. Darum soil der Atmanhafte das Rajas und das Tamas
abstreifen; (7737.) dann gelangt sein Sattvam, von Rajas und
Tamas befreit, zur fleckenlosen Reinheit.
30. Hingegen diirfte man sagen, dafs das Vedahafte zur
Erlangung des Atman ein schlechter Weg ist, (7738.) vielmehr
ist es die Ursache dafiir, dafs man ihn nicht erlangt und ein
unreines Gesetz [durch Tieropfer usw.] beobachtet.
31. Das Rajas ist es, durch welches man die mit Un-
recht behafteten Werke ergreift (7739.) und auf Zwecke Ge-
richtetes iiber die Mafsen verfolgt und alle Begierden.
32. Durch das Tamas hingegen pflegt das, was mit Ge-
liisten verbunden ist und aus Zorn entspringt, derjenige,
(7740.) der an Schadigung und Zerstreuung sich ergotzt, trage
und dem Schlafe ergeb^n.
33. Und endHch, wer im Sattvam feststeht, der schaut
die sattvahaften, reinen Gemiitszustande (hhdvaj und griindet
sich auf sie; (7741.) dieser ist der fleckenlose, gliicksehge Ver-
korperte, begabt mit Glauben und Wissenschaft.
So lautet im Mokshadharma Y&rshneya aU das innere Selbst
( Vdrshneya - adfiydtmam).
Adhyaya 213 (B. 213). 255
Adhyaya 313 (B. 213).
Vers 7742-7763 (B. 1-21).
Bhlshma sprach:
1. (7742.) Durch Rajas wird die Verblendung bewirkt und
durch Tamas, o Stier der Bharata's; [aus ihr folgen] Zom,
Habgier, Furcht und Hochmut, wer diese zur Ruhe bringt,
der ist rein.
2. (7743.) Den obersten, hochsten Atman, den unvergang-
lichen, ewigen Gott Vishnu, der im Unentfalteten seinen Stand-
ort hat, den wissen sie als den besten Gott.
3. (7744.) In die von ihm ausgehende Illusion fmdydj ver-
strickt, der Erkenntnis beraubt und ohne Besonnenheit sind
die Menschen; wegen dieser Verblendung ihrer Erkenntnis
verfallen sie in Zorn.
4. (7745.) Durch den Zorn geraten sodann in Begierde, in
Habsucht und Verblendung die Menschen, in Stolz, Hochmut
und Egoismus und durch den Egoismus zu Werken;
5. (7746.) durch die Werke in die Fesseln der Weltliebe,
durch die Weltliebe sodann in Kummer, und indem sie von
Lust und Schmerz zum Tun angetrieben werden, verstreichen
ihnen die Augenblicke des Daseins in Geburt und Ungeburt
(Tod).
6. (7747.) Von der Zeugung an das Wohnen im Mutter-
leibe, die Entstehung aus Samen und Blut, welche von Kot
und Urin benetzt und durch die Entstehung aus dem Blute
unsauber ist,
7. (7748.) das sind die Dinge, durch welche der von Be-
gierde (trishndj Uberwaltigte gebunden wird, und indem er
diese bei sich herumgehen lafst, wird er begreifen : die Weiber
sind es, welche das Gewebe des Samsara fortsetzen.
8. (7749.) Sie sind von Natur {prdkrityd mit C.) das Acker-
land fhshetramj , die Manner sind ihrem Wesen nach die
Kshetrajfia's (Kenner des Ackerlandes, auch Seelen). Darum
soil der Mann sie ohne Unterschied ganz besonders meiden.
9. (7750.) Denn verschmitzt sind sie und von schreck-
licher Art und betoren den Unkundigen; sie sind ganz in
256 III. Mokshadharma.
Rajas ver sunken und eine ewige Verkorperung der Sinnlich-
keit findriydndmj .
10. (7751.) Aus dieser in ihnen verkorperten Leidenschaft
als Samen entstehen die Kinder, und wie man die aus dem
eigenen Leibe geborenen und doch nicht als das eigene Selbst
zu bezeichnenden Wiirmer aus dem Leibe entfernt, (7752.) so
soil man die als eigenes Selbst bezeichneten und doch nicht
dieses Selbst seienden, Kinder genannten Wiirmer von sich
fernhalten.
11. Aus dem Samen und dem Blutsafte entstehen aus
dem Korper die Nachkommen, (7753.) sei es durch Naturnot-
wendigkeit oder durch den Zusammenhang mit Werken in
einer friiheren Geburt ; der Weise wird ihnen keine Beachtung
schenken.
12. Das Rajas ist dem Tamas eingefiigt und das Sattvam
griindet sich auf das Rajas; (7754.) das [aus alien dreien be-
stehende] Unentfaltete ist der Standort des Bewufstseins und hat
[potentiell] als Merkmale in sich die Buddhi und den Ahaiikara.
13. Dieses Unentfaltete nennt man den Samen der Ver-
korperten, und dieser Same heifst individuelle Seele (jwa)\
(7755.) durch die Werke [in einer friiheren Geburt] im Verein
mit der Zeit erhalt sich der Samsara in Umdrehung.
14. So wie die Seele im Traume sich nur mittels des
Manas ergotzt, als hatte sie einen Leib, (7756.) so wird sie nur
durch die die Werke als Keim habenden Qualitaten in einem
Mutterleibe empfangen.
15. Jedes Organ, welches aus dem Werke als Samen zum
Aufkeimen gebracht wird, (7757.) das wird aus dem Egoismus
(ahanMroJ durch den von Geschlechtstrieb frdgaj erfiillten
Willen geboren.
16. Aus dem Verlangen frdgaj nach dem Tone entsteht
das Ohr bei der sich gestaltenden Seele (7758.) und aus dem
Verlangen nach Gestalten das Auge, aus dem Wunsch zu
riechen das Geruchsorgan ;
17. und ebenso verhalt sich zum Beriihren die Haut.
,Der Wind nimmt seinen Standort in Prana und Apana, (7759.)
(diese nebst] Vyana, Udana und Samana bewirken zu fiinfen
die Erhaltung des Leibes. [
. Adhyaya 213 (B. 213). 257
18. Mit den zugleich entstehenden, aus den Werken ent-
spriefsenden Gliedern wird der Mensch von der Korperfiille
umhiillt geboren, (7760.) mit den Gliedern, welche Schmerz,
korperlichen und geistigen Schmerz, als Anfang, Mitte und
Ende haben.
19. Der Schmerz entspringt aus der Anklammerung an
das Dasein, und er wird durch den Eigendlinkel gesteigert;
(7761.) durch Entsagung wird Befreiung von dem allem er-
reicht, und wer die Befreiung erkennt, der wird erlost.
20. Im Rajas nur haben die Organe beides, ihren Ur-
sprung und Vergang; (7762.) umsichtig moge der Weise ein-
herwandeln, wie es sich gebiihrt, mit der Lehre als Auge.
21. Dann werden die Erkenntnisorgane frei von Begierde
nicht mehr nach den Sinnendingen streben, (7763.) und indem
sie ihre Organe dahinten lafst, wird die Seele nicht wiederum
einen Kiirper anzunehmen brauchen.
So lautet im Mokshadfaarma Varshneya als das innere Selbst
C Vdrshneya - adhydtiiiam).
Adhyaya 214 (B. 314).
Vers 7764-7792 (B. 1-29).
Bhishma sprach:
1. (7764.) Nun will ich dir das Mittel verkiinden der Wahr-
heit gemafs; wer mit der Lehre als Auge die Prinzipien er-
kennend dahinwandelt , o Konig, der wird das hochste Ziel
erlangen.
2. (7765.) Unter alien Wesen gilt fiir das hochste der
Mensch, unter den Menschen stehen am hochsten die Zwie-
geborenen, unter den Zwiegeborenen die Kenner des Veda.
3. (7766.) Sie sind zum Selbste aller Wesen geworden,
sind allwissend und allschauend; die Brahmanen, welche die
Lehre des Veda kennen, sind iiber den Sinn der Wesenheit
zur Gewifsheit gelangt.
4. (7767.) Wie einer, dem das Auge fehlt, auf seiner Wan-
derung in Not gerat, so ist in dieser Welt einer, dem das Wissen
fehlt. Darum sind die Wissenden den: anderen iiberlegen.
Decssen, Mahabhiratam. J7
258 HI. Mokshadharraa.
5. (7768.) Die Freunde der Satzungen verehren der heiligen
Uberlieferung gemafs diese oder jene Satzungen; ihr Ziel ist
nicht das gleiche [wie das der Wissenden], aufser dafs sie
folgende Tugenden erlangen:
6. (7769.) Reinheit in Rede, Leib und Gedanken, Geduld,
Wahrhaftigkeit, Festigkeit und Erinnerung [sind ihnen eigen] ;
und die aller Satzungen Kundigen weisen schone Tugen-
den auf.
7. (7770.) Aber jene Verkorperung des Brahman, welche
Brahmanwandel genannt wird, steht hoher als alle Satzungen,
und nur durch diesen geht man den hochsten Gang
8. (7771.) zu demjenigen, welches von der Verkniipfung
mit Merkmalen frei und des Tones sowie der Beriihrung er-
mangelnd ist, welches durch das Ohr zum Horen und durch
das Auge zum Sehen wird,
9. (7772.) welches im Sprechen der Rede sich betatigt,
aber dem Verstande entriickt ist. Mit Einsicht soil man sich
entschlielsen zu dem siindlosen Brahmanwandel;
10. (7773.) wer ihn vollkommen verwirklicht, der gelangt
zur Brahmanwelt, der mittelmafsig Strebende hingegen ge-
langt zu den Gottern, und wer nur ein geringes Streben betatigt,
der wird als Bester der Zwiegeborenen, als Weiser geboren.
11. (7774.) Schwer zu verwirklichen ist der Brahman-
wandel, vernimm das Mittel, welches dazu dient. Wenn das
Rajas sich entflammt und machtig emporstrebt, soil der Zwie-
geborene es dampfen.
12. (7775.) Einem Gesprache iiber die Weiber soil er nicht
zuhoren, sie auch nicht ansehen, wenn sie unbekleidet sind;
beim zufalligen Anblicke solcher iiberkommt (durhaldn dviget
mit C.) schwache Menschen das Rajas.
13. (7776.) Gerat er in Leidenschaft, so soil er sich der
Fastenbufse (kricchra, vgl. Manu XI, 213) unterziehen; wird
er sehr von ihr befallen, so soil er sich ins Wasser setzen;
geschieht es, wahrend er in Schlaf versunken ist, so soil er in
Gedanken dreimal das Siindentilgungsgebet (aghamarshanam,
angebhch Rigveda X, 190, vgl. jedoch Brih. Up. 6,4,4-5)
murmeln.
14. (7777.) Auf diese Weise wird er die aus dem innern
Adhyaya 214 (B. 214). 259
Rajas entsprungene Siinde verbrennen als ein Verstandiger
mittels des mit Erkenntnis begabten angespannten Geistes.
15. (7778.) Wie an eine an Leichen und Unreines schmie-
dende, unzerreifsbare Fessel, so soil er sich selbst, der in den
Leib eingegangen ist, wissen als an die Fessel des Leibes
geschmiedet.
16. (7779.) Den Wind, die Galle, den Schleim, das Blut,
die Haut, das Fleisch, die Sehne und den Knochen, das Mark
und den ganzen Korper emahren die Safte der Menschen ver-
ffiittelst des Adernetzes.
17. (7780.) Man mufs wissen, dafs es im Korper zehn Ge-
fafsleitungen gibt, welche den fiinf Sinnen ihre Qualitaten
zufiihren; von diesen aus verbreiten sich andere feine Kanale
tausendfach.
18. (7781.) So geschieht es, dafs diese Aderfliisse, indem
sie die Safte spenden (wohl rasadd zu lesen), den Ozean des
Korpers zu ihrer Zeit ernahren wie die Fliisse den Ozean.
19. (7782.) Von ihnen befindet sich eine Ader mitten im
Herzen, welche die Wunschleitende fmanovahdj heifst; diese
lost bei den Mannern den aus dem Willen entsprungenen
Samen aus alien GHedern heraus.
20. (7783.) Von ihr abhangend verbreiten sich die Gefafse
in alien Gliedern, indem sie [z. B.] in die Augen gelangen
und ihnen die Lichtqualitat zufiihren.
21. (7784.) Gleichwie die in der Milch enthaltene Butter
mittels der Quirlstabe herausgequirlt wird, so wird im Korper
mittels der aus dem Willen gebildeten Quirlstabe der Same
herausgequirlt,
22. (7785.) Und so wie das aus dem Willen entspringende
Rajas auch im Schlafe das Manas liberkommt, ergiefst beim
Manne die wunschleitende fmanovahdj Ader aus dem Korper
den aus dem Willen erzeugten Samen.
23. (7786.) Der heilige Atri, der grofse Weise hat dieses
als den Ursprung des Samens erkannt. Weil der Same aus
drei Quellen [dem Saft rasa^ der Ader manovahd und dem
Willen samJcalpa nach Nil.] entspringt und dabei Indra als
Schutzgott hat, darum wird er auch [hier und Vers 8377] In-
driyam genannt.
17*
260 ni. Mokshadharma.
24. (7787.) Wer so die Natur des Samens, der die Ver-
mischung der Wesen bewirkt, begriffen hat, der wird befreit
von Leidenschaft, verbrennt seine Siinden und braucht nicht
einen neuen Leib anzunehmen.
25. (7788.) Er erlangt den Gleichgewichtszustand der
Guna's [in dem sie zur Ruhe kommen], und indem er, nur den
Gang des Leibes unterhaltend, die Lebenshauche in die wunsch-
leitende Ader fmanovalidj mittels des Manas hineinstofst,
wird er zur Zeit des Endes erlost.
26. (7789.) Es bildet sich das Wissen des Manas und das
Manas selbst wird lichtvoll, leidenschaftslos und ewig, nach-
dem es in den Hochherzigen durch den Mantra [den Laut om
nach Nil.] zur Voilendung gelangt ist.
27. (7790.) Darum soil man, um jenes [Rajas] nieder-
zuwerfen, nur fleckenlose Werke tun, dann lafst man Rajas
und Tamas hienieden zuriick und wandelt den erwiinschten
Weg.
28. (7791.) Dann geht das vom Jiingling erworbene Wissen
in die Kraftlosigkeit des Greisenalters ein, und gereift an Ein-
sicht erlangt man mit der Zeit geistige Kraft.
29. (7792.) So wie einer auf die Bindung durch die Guna's
wie auf einen beschwerlichen Weg, den er hinter sich hat,
zuriickblickt, so hat er die Fehler hinter sich gebracht und
erlangt die Unsterblichkeit. i
So lautet im Mokshadharma Varshneya als das innere Selbst
( Vdrshneya - adhydtmam).
Adhyaya 315 (B. 215).
Vers 7793-7820 (B. 1-27).
Bhishma sprach:
1. (7793.) Die Menschen , welche den iibel endigenden
Sinnendingen anhangen, sinken herab, aber die Hochherzigen,
welche nicht an ihnen hangen, gehen den hochsten Gang.
2. (7794.) Von Geburt, Tod, Alter und Schmerzen, von
Adhyaya 215 (B. 215). 261
Krankheiten und geistigen Schwachen die Welt durchdrungen
sehend, moge der Weise nach Erlosung streben.
3. (7795.) An Rede, Gedanken und an Leib rein moge er
sein, und ohne Selbstsucht, beruhigt, erkenntnisreich , als
Bet tier und unbekiimmert wird er glucklich dahinwandeln.
4. (7796.) Und wenn er sich auf einer Anhanglichkeit
seines Geistes betrifft aus Mitleid mit den Geschopfen, so
moge er auch hierauf keine Riicksicht nehmen, indem er be-
greift, dafs die Welt der Lebenden die Frucht ihrer eigenen
Werke biifst.
5. (7797.) Was an guten Werken getan worden ist oder
je nach Umstanden an bosen, das erntet der Mensch; darum
soil man gute Werke vollbringen in Reden {vdg mit C), Ge-
danken und Taten.
6. (7798.) Nicht-Sohadigung, Wahrhaftigkeit und Recht-
schaffenheit gegen alle Wesen, Geduld und Behutsamkeit,
wer diese iibt, der wird gliicklich.
7. (7799.) Darum soil man einen durch Einsicht in Samm-
lung gehaltenen Verstand unter den Wesen betatigen; wer
diese hochste, alle Wesen erfreuende Pflicht
8. (7800.) als den Ausweg aus dem Leiden erkannt hat,
der ist allweise und glucklich; darum soil man einen durch
Einsicht in Sammlung gehaltenen Verstand unter den Wesen
betatigen.
9. (7801.) Man soil nicht verachten und nicht begehren,
nichts Ziigelloses, Ungehoriges denken, dann wird man mit
erfolgreicher Anstrengung seinen Geist in der Erkenntnis zur
Ruhe bringen, (7802.) dann wird er sich nicht vergeblich mit
Reden abmiihen, dann entwickelt sich in lieblicher Weise
10. die Freude am Reden, die heilsame Rede und die
Riicksicht auf das verborgene Gesetz; (7803.) dann wird er
wahre und heilsame Rede fiihren, welche nicht absprechend ist,
11. welche frei von Schmutz ist, nicht rauh, nicht feind-
selig und nicht verleumderisch ; (7804.) derartiges und Spar-
liches soil man sprechen mit nicht zerfahrenem Geiste.
12. An Reden gekettet ist der Samsara, und wenn er in
leidenschaftlichen Reden sich ergeht, (7805.) so wird er, ob-
2^2 ni. Mokshadbarma.
gleich sein Manas durch Einsicht gefordert ist, dennoch
tamas-artige Werke
13. vermoge seiner Organe, die ja aus dem Rajas ent-
sprungen sind, in seinem Tun vollbringen. (7806.) Dann gerat
er in Leid in dieser Welt und verf allt der HoUe ; darum soil
man mit Denken, Rede und Leib die Festigkeit seines Atman
betatigen.
14. (7807.) Als eine mannigfach zusaramengesetzte Last
tragt man [den Samsara] — wie wenn sie von Raubern fort-
geschleppt wird in einer Gegend, die sie als gefahrlich er-
kennen — so tragen unweise Menschen den Samsara.
15. (7808.) Und wie der Rauber ebendiese Last von sich
wirft und in eine ungefahrliche Gegend gelangt, so wirft
einer die Werke des Rajas und Tamas von sich ab und ge-
langt zum Heile.
16. (7809.) In zweifelsfreier Weise, des Strebens ledig und
von allem Anhang erlost, abgesondert lebend, wenig essend,
Askese iibend und die Sinne bezahmend,
17. (7810.) durch Erkenntnis die Beschwerden verbrannt
habend, seines Unternehmens sich freuend und seines Atman
sich bewufst, so erlangt man mit nicht abschweifendem Geiste
jenes Hochste.
18. (7811.) Voll Festigkeit und seines Selbstes sich be-
wufst, soil man frei von Zweifel seine Buddhi ziigeln, soil
man das Manas durch die Buddhi ziigeln und die Sinne
wiederum durch sein Manas.
19. (7812.) Wenn einer so seine Sinne ziigelt und sie der
Herrschaft des Manas unterwirft, dann leuchten die Gott-
heiten [der Sinnesorgane] hervor und gehen freudig ein zu
ihrem Herrn [dem Manas].
20. (7813.) Und aus dem mit ihnen verbundenen . Manas
leuchtet sodann das Brahman hervor, und indem auch das
Sattvam nach und nach schwindet, wird man tauglich zur
Brahmanwerdung.
21. (7814.) Oder sie kommt nicht zur Entwicklung, — dann
moge man es durch Fortwebung des Yoga versuchen und
das, wodurch dem das Gewebe Fortwebenden ein Erfolg zu-
tejl wird , betreiben.
Adhyaya 215 (B. 215). 263
22. (7815.) Auch sind da Korner, Fnichtschleim, Olkuchen,
Gemiise und Gerstengriitze, sowie Wurzeln, Friichte und Er-
betteltes, das moge er abwechselnd geniefsen.
23. (7816.) Auch eine sattva-artige Beschrankung der Nah-
rung nach Ort und Zeit moge man dabei wohlbedachtig be-
folgen , dies ist der Entwicklung fdrderlich.
24. (7817.) Was sich entwickelt, das moge man nicht
hemmen ; nach und nach wie ein Feuer moge man zum Brennen
bringen dies von dem Wissen Begleitete ; dann wird der Sonne
gleich das Wissen aufleuchten.
25. (7818.) Das Wissen wird iiberwaltigt von dem Nicht-
wissen, alle drei Welten werden von ihm iiberwaltigt und
das durch Erkenntnis gewonnene Wissen wird durch das
Nicht -Wissen herabgezogen.
26. (7819.) Durch Isoherung und Hingebung ohne Murren
erkennt man das Ewige, und die Befreiung von jenen beiden
[empirischem Wissen und Nicht- Wissen] erkennend, wird raian
frei von Leidenschaft und der Erlosung teilhaft.
27. (7820.) Uber das Leben hinauskommend und Alter und
Tod iiberwindend, erlangt er jenes ewige, unsterbliche Brah-
man, welches jenes Unzerstorbare und Unvergangliche ist.
Ho lantet im Mokshadharma Ydrehneya als dag innere Selbst
C VdrsJmeya - adhydtmam).
Adhyaya 216 (B. 316),
Vers 7821-7841 (B. 1-20).
Bhishma sprach:
1. (7821.) Von dem, welcher einen fleckenlosen Brahman-
wandel bestandig zu beobachten wiinscht, mufs mit aller
Kraft der Schlaf gemieden werden in Anbetracht der im
Traume moglichen Siinden.
2. (7822.) Denn im Traume wird die Seele von Rajas und
Tamas iiberwaltigt, und auch einem, der sonst frei von Be-
gehren ist, ergeht es, als ware er in einen andern Leib hinein-
gefahren.
264 ni. Mokshadharma.
3. (7823.) Weil das Wachen sich um das Wissen bemiiht,
findet es um der Forschung willen ununterbrochen statt,
und wegen seiner Versessenheit auf die Erkenntnis wacht
einer nachtlos immerfort.
4. (78-24.) Hier konnte einer fragen: Was ist das doch
fiir ein Zustand, der im Traume gleichsam Objekte schafft,
und wo die Seele trotz des Schwindens der Sinne sich bewegt,
als geschahe es mit einem Korper.
5. (7825.) Hierauf dient zur Antwort: Wie Hari (Vishnu),
der Herr des Yoga, dieses auffafst, dementsprechend schil-
dern es zutreffenderweise die grofsen Rishi's.
6. (78-26.) Obgleich die Sinnesorgane ermattet sind, schweift
doch der Traum iiberall hin, so sagen die W^eisen; denn da
das Manas nicht auch geschwunden ist, so hat es, wie sie
sagen, dieses oder jenes Traumgesicht.
7. (7827.) Auch bei dem Wachenden entsteht in dem durch
Tatigkeit in Anspruch genommenen Manas die Vorstellung,
und je nachdem nun ein Vorwiegen der W^iinsche stattfindet,
dementsprechend ergeht sich das Manas im Traume.
8. (7828.) Der von Verlangen beseelte Geist erlangt dabei
aus den unzahHgen Lebenslaufen im Samsara jenes Ge-
wiinschte, denn der oberste Purusha ist sich alles dessen
bewufst, was im Manas verborgen Hegt.
9. (7829.) Oder wenn es von den Guna's herriihren und
durch Werke bedingt sein soDte, alles legen die Wesen an
den Tag, was und wie es als Manas gestaltet worden ist.
10. (7830.) Dann iiberkommen die aus dem Rajas, Tamas
oder auch Sattvam stammenden Qualitaten je nach dem Zu-
sammenhang mit ihnen den Menschen, in welchem die Frucht
desunmittelbarvorhergehendenLebenszurErscheinungkommt.
11. (7831.) Dann sehen die Menschen wegen ihres Nicht-
wissens die aus Wind, Galle und Schleim aufsteigenden
[Erscheinungen] vermoge ihrer aus Rajas und Tamas hervor-
gegangenen Zustande, und auch derartiges gilt fiir unver-
meidUch.
12. (7832.) Alles, was einer als Erzeugnis des Manas vor-
stellt, das sieht bei Beruhigung der Sinnesorgane, wenn sich
ein Traumbild einstellt, das erregte Manas.
Adhyaya 216 (B. 216). 265
13. (7833.) Uberall hin dringend, bewegt sich in alien Wesen
ohne Hindernis das Manas vermoge der Macht des Atman;
den soil man wissen [als den eigentlichen Urheber], denn
alle Sinnengotter sind im Atman.
14. (7834.) In dem Manas ist eine verborgene Pforte, und
in ihm schlummert-, in den Menschenleib eingehend, alles
Seiende, Nicht-Seiende und Unentfaltete als Traumgesicht ;
(7835.) aber den, welcher als Selbst aller Wesen in den Wesen
weilt, diesen weifs man als die Naturbeschaffenheit des innern
Selbstes.
15. Und wenn einer mit seinem Manas vermoge seines
Wunsches eine gottliche Beschaffenheit zu erlangen wiinscht,
(7836.) so wisse er, dafs eine solche auf der Gnade des Atman
beruht, denn alle Gotter sind im Atman enthalten.
16. Und so ist das wie eine Sonne jenseits der Finsternis
(Tamas) Leuchtende durch Tapas bedingt. (7837.) Es ist die
alle drei Welten erschaffende Seele, es ist, wenn die Finsternis
gewichen ist, der grofse Herr [der Gott Brahman].
17. Denn das Tapas steht unter dem Schutz der Gotter
und das tapas -schadigende Tamas unter dem der Damonen.
(7838.) Das ist es, was die Gotter und was die Damonen be-
htiten, und seine Kenntnis gilt als das Merkmal des wahren
Wissens.
18. Sattvam, Rajas und Tamas weifs man als die Quali-
taten der Gotter und Damonen; (7839.) das Sattvam soil man
wissen als die Qualitat der Gotter, die beiden anderen als
Qualitaten der Damonen.
19. Jenes Brahman ist das hochste Wissen, das unsterb-
liche, unvergangliche Licht; (7840.) die, welche es mit be-
reitetem Geiste erkennen, gehen den hochsten Weg.
20. Soviel kann man argumentierend mit dem Auge des
Wissens erschauen [durch Sankhyam], (784i.) oder auch lafst
sich das unvergangliche Brahman erkennen mittels Einziehung
der Sinnesorgane [im Yoga].
So lautet im Mokshatlharma Varshiieya als das iunere Selbst
(Vdrxhneya - adkijatmam).
266 ni. Mokshadharma.
AdhyAya 317 (B. 217).
Vers 7842-7880 (B. 1-38).
Bhishma sprach:
1. (7842.) Der kennt das hochste Brahman nicht, der nicht
die Vierheit [Traum, Tiefschlaf, attributhaftes und attribut-
loses Brahman nach Nil.] kennt und das, was als entfaltete
und unentfaltete Wesenheit von dem hochsten Weisen ver-
kiindet worden ist.
2. (7843.) Das Entfaltete hat als Endpunkt den Tod, das
soil man wissen, das Unentfaltete ist die unsterbliche Statte.
Die Satzung, welche als Merkmal die Tatigkeit hat, ist von
dem Weisen Narayana erklart worden.
3. (7844.) In ihr sei das All gegriindet, die Dreiwelt mit
Beweglichem und Unbeweglichem ; hingegen sei die Satzung,
welche die Nichttatigkeit als Merkmal habe, das unentfaltete,
ewige Brahman.
4. (7845.) Und auch Prajapati hat die Satzung der Tatig-
keit erklart: Tatigkeit fiihrt zur Wiederkehr, Untatigkeit
fiihrt den hochsten Weg.
5. (7846.) Diesen hochsten Gang weifs der Einsame, welcher
die Untatigkeit als Hochstes schatzt, dem die Erkenntnis alle-
zeit als hochstes Prinzip gilt, der das Gute und das Bbse
iiberschaut.
6. (7847.) Darum soil man diese beiden erkennen, das Un-
entfaltete [die Prakriti] und den Purusha, aber auch das-
jenige, was vom Unentfalteten und Purusha verschieden und
noch grofser als beide ist [das hochste Brahman].
7. (7848.) Diesen Unterschied soil der Weise ganz be-
sonders im Auge behalten; jene beiden sind beide ohne An-
fang und Ende und beide ohne Merkmale.
8. (7849.) Beide sind ewig und unw^andelbar und grofser
als alles, was grofs ist; hierin sind beide gleich, ebenso aber
gibt es weiter einen Unterschied zwischen beiden.
9. (7850.) Namlich der Prakriti, welche ihrer Natur nach
schopferisch ist und als Wesen die drei Gunas hat, entgegen-
Adhyaya 217 (B. 217). 267
gesetzt ist die Charakteristik des Kshetrajfia (Purusha), das
soil man wissen.
10. (7851.) Ihn wisse man als den, welcher die Entfaltungen
der Prakriti anschaut und frei von den Guna's ist. Unfafs-
bar sind jene beiden Purusha's [der Purusha und das hochste
Brahman], weil sie keine Merkmale haben, und beide sind
unzusammengesetzt [kein Aggregat].
11. (7652.) Hingegen hat die Geburt als Merkmal die Zu-
sammensetzung, und wie sie durch die Werke [einer friihern
Geburt] ergriffen wird, so geschieht auch mittels der Organe
die Fortentwicklung der Werke und alles dessen, worin der
Tater sich betatigt; (7853.) dabei wird er durch Worte und
Namen bezeichnet, indem man [unterscheidend] fragt: wer
bin ich und wer ist jener dort?
12. Gleichwie einer, der einen Turban tragt, sein Haupt
mit drei Tuchstreifen umwickelt, (7854.) so ist auch die ver-
korperte Seele umwickelt mit Sattvam, Rajas und Tamas.
13. Darum soil man wissen, dafs die Vierheit [die Seele
in ihren vier Zustanden, oben Vers 7842] von den genannten
Ursachen [den Guna's] umschlungen ist. (7855.) Je nachdem
einer sich dessen richtig bewufst wird, verfallt er zur End-
zeit nicht der Verblendung.
14. Nach himmlischer Seligkeit verlangend, moge er mit
Hoheit und rein an Geist (7856.) in furchtbaren korperlichen
Ubungen ein siindloses Tapas betreiben.
15. Die Dreiwelt ist von Tapas durchdrungen vermoge
des in ihr enthaltenen Lichtelements, (7857.) und die Sonne
wie der Mond glanzen am Himmel vermoge des Tapas.
16. Dieses Licht des Tapas ist das Wissen, es wird in
der Welt als Tapas geriihmt ; (7858.) denn diejenige Tatigkeit,
welche das Rajas und Tamas niederschlagt, macht das Wesen
des Tapas aus.
17. Der Brahmanwandel und die Nicht-Schadigung heifst
das korperliche Tapas, (7859.) die Bezahmung von Rede und
Gedanke wird zutreffend das geistige Tapas genannt.
18. Die Nahrung, welche den der Sitte kundigen Zwie-
geborenen zu sich zu nehmen erlaubt ist, ist eine besondere,
268 ni. Mokshadharma.
(7860.) und durch Einschrankung der Ernahrung kommt das
rajas-artige Bose im Menschen zur Ruhe.
19. Seine Organe gelangen zur Abwendung von der
Sinnenwelt, (786i.) darum soil man nur soviel [zur Ernahrung]
annehmen, wie zu diesem Zwecke erforderlich ist.
20. Dann wird er zur Zeit des Endes vermoge allmah-
licher Steigerung seiner Kraft riistig (786-2.) mit so zuberei-
tetem Geiste das Wissen erwerben, welches hinreicht [zur
Erlosung].
21. Von Rajas sich befreiend wird dann der Verkorperte,
obgleich noch mit dem Korper behaftet, wie ein Ton [im
Ather] dahinwandeln, (7863.) und mit einem durch Geschafte
nicht mehr gestorten Sinn wird er, leidenschaftslos , wenn
auch noch in der Prakriti stehend,
22. vom Korper aus behutsam wandelnd, von dem letzten
Reste der Korperlichkeit frei. (7864.) Durch Ursachen bedingt
ist jederzeit die Schopfung der Wesen wie auch ihr Vergang.
23. Wenn aber die Erkenntnis des Hochsten eingetreten
ist, kehrt die Notwendigkeit [von Geburt und Tod] nicht
mehr wieder (7865.) fiir diejenigen, welche Ende und Anfang
des Daseins erkennen und unentwegt faviparymjamj [im Yoga]
dasitzen.
24. Andere hingegen klammern sich hartnackig an ihre
Leiber test, schranken ihre Gedanken auf ihren eigenen Ver-
stand ein, (7866.) und von dem schon erreichten Standpunkte
herabfallend verehren sie jene [Gotter der Sinnesorgane]
wegen deren Feinheit.
25. Und so gehen sie bin, wie sie gekommen sind; in
solchem Falle wird die Erkenntnis nur mit dem eigenen Ver-
stande [statt durch den Yoga] erstrebt. (7867.) Mancher hin-
gegen iiberdenkt wohlbereiteten Geistes das Ende des Leibes,
ohne sich auf ihn zu verlassen;
26. andere wiederum sind mit Hingebung und Festig-
keit, wie es sich gebtihrt, Verehrer des Realen [des attribut-
haften Brahman nach Nil.], (7868.) oder sie beschaftigen sich
mit der hochsten Gottheit, mit dem Unverganglichen, das da
heifset der Blitz (Vaj. Samh. 32,2 und Kena-Up. 3,29),
27. dieses verehren sie zur Zeit des Endes, nachdem sie
Adhyftya 217 (B. 217). 269
ihre Siinde durch Tapas verbrannt haben. (786!>.) Alle diese
Hochherzigen gehen den hochsten Gang.
28. Die feine Verschiedenheit derselben moge man priifen
mit dem Auge der Lehre. (787o.) Einen solchen, wenn er das
Ende des Leibes erreicht hat, soil man wissen als Hochsten,
Erlosten, Anhanglosen,
29. als vom Luftraum noch verschieden [an Grofse], als
festhaltend mit seinem Geiste an der Beharrlichkeit. (7871.)
Solche also werden von der Welt der Sterblichen erlost, da
sie mit ihrem Denken am Wissen festhalten.
30. Zu Brahman geworden und frei von Rajas gehen sie
sodann den hochsten Gang. (7872.) So beschreiben das Gesetz als
den einzigen Weg die Menschen, welche des Veda kundig sind.
31. Indem sie ihrem Wissen entsprechend die Verehrung
iiben, gehen sie alle den hochsten Gang, (7873.) und die, wel-
chen das von Triibung freie, unerschiltterliche Wissen zuteil
wird, auch diese gehen zu den hochsten Welten; sie werden
erlost entsprechend ihrer Kraft.
32. (7874.) Zu dem heiligen, unentstandenen himmlischen
Vishnu, der da das Unentfaltete heifst, gehen mit Liebe die,
welche rein an Erkenntnis, gesattigt und frei von Wiin-
schen sind.
33. (7875.) Und da sie den Hari (Vishnu) als in ihnen
selbst weilend erkannt haben, kehren sie nicht zuriick, son-
dern sind unverganglich , und jenen hochsten Ort, den un-
zerstorbaren, unverganglichen erlangt habend, freuen sie sich.
34. (7876.) Darin besteht diese Erkenntnis, dafs jenes
iiber Sein und Nicht -Sein erhaben ist, und dafs die ganze
Welt in den Banden des Durstes ftrishndj befangen sich wie
ein Rad im Kreise dreht.
35. (7877.) Wie das Fadengewebe der Lotosknollen von
einem Ende zum andern den Knollen allenthalben durchzieht,
so durchzieht das anfang- und endlose Fadengewebe des
Durstes den Korper allezeit.
36. (7878.) Wie ein Nahender mit der Nadel den Faden
durch das Gewand hindurch fadelt fsamsdrmjati), so wird das
Fadengewebe des Samsara von der Nadel des Durstes durch-
zogen.
270 HI. Mokshadharma.
37. (7879.) Wer die erschaffene Welt und die Prakriti und
auch den ewigen Purusha in richtiger Weise unterscheidet,
der ist frei vom Durst und wird erlost.
38. (7880.) Dieses Erieuchtende, Unsterbliche hat der
heilige, weise Narayana aus Mitleid mit den Wesen verkiin-
digt, er, der das Ziel der Welt ist.
So laiitet im Mokshadharma Varshneya als das innere Selbst
C Vdrs>ineya - adhydtrnain).
Adhyaya 318 (B. 318).
Vers 7881-7929 (B. 1-49).
Yudhishthira sprach :
1. (7881.) Auf welchem Wege, o Kenner der Wege, ist
Janaka, der Konig von Mithila, der erlosungskundige, in die
Erlosung eingegangen, indem er die Geniisse der Menschen
von sich warf?
Bhishma sprach:
2. (7882.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich auf welchem Wege jener des Rechten
Kundige zu grofser Gliickseligkeit gelangt ist.
3. (7883.) Der Konig Janaka [nach Nil. ein Nachkomme
des Janaka mit Namen Janadeva], der Oberherr des Volkes
in Mithila, war dem Nachdenken iiber die Pflichten hin-
gegeben, welche iiber die Korperlichkeit hinausfiihren.
4. (7884.) In seinem Hause wohnten bestandig hundert
Lehrer, welche, in den verschiedenen Lebensstadien stehend,
iiber deren besondere Pflichten Belehrung erteilten,
5. (7885.) Aber mit ihrer Erklarung in betreff des Zu-
standes nach dem Tode und der Wiedergeburt nach dem
Tode war er, der an der heiligen Uberlieferung Festhaltende,
namentlich sofern es sich um das Wesen des Atman han-
delte, nicht zufrieden.
6. (7886.) Da geschah es, dafs ein Anhanger des Kapila,
ein grofser W^eiser, mit Namen Pancagikha, indem er die ganze
Erde durchstreifte, auch nach Mithila kam.
Adhyaya 218 (B. 218). 271
7. (7887.) Dieser war in der Erklarung, welche die Er-
kenntnis des Wesens aller Satzungen des Weltverzichts
fsannydsaj betrifft, von sehr entschlossener Sinnesart, iiber
die Gegensatze erhaben und frei von Zweifeln.
8. (7888.) Er war der, welchen sie als einzig unter den
^¥eisen, als nicht iiberwaltigt von Begierde unter den Men-
schen riihmen und welcher dem ewigen Heile, dem unend-
lichen, schwer zu erreichenden, nachforschte.
9. (7889.) Und wenn die Sankhya's den Kapila als den
hochsten Weisen und Schopferherrn preisen, so glaube ich,
dafs jener [Pancagikha] leibhaftig fsvayamj in dessen [Ka-
pila's] Gestalt die Welt in Erstaunen setzt.
10. (7890.) Er war der, welchen sie als den ersten Schiiler
des Asuri, als den Langlebenden riihmen; der, welcher in
dem Lande der funf Strome ein tausendjahriges Somaopfer
abgehalten hatte.
11. (7891.) Als er dieses dort abhielt und zu ihm, dem
Kapilasprofs , ein grofser Kreis sich scharte, da geschah es,
dafs er, der funf Strome der Sinne (Qvet. Up. 1,5) Kundige
und in dem fiinftagigen Somaopfer Erfahrene,
12. (7892.) der Fiinfkundige, fiinffach Tatige, Fiinftugend-
hafte, PaiicaQikha (Fiinfflammige) Genannte, ihnen verkiindigte
das im hochsten Sinne reale Unentfaltete, welches dem
Purusha als Standort dient.
13. (7893.) Hatte doch auch schon [sein Lehrer] Asuri,
als er wegen seiner Abhaltung einer langen Somafeier und
noch mehr wegen seiner Askese befragt worden war, die Ent-
faltung von Seele fhshetrajnaj und Leib {hshetramj als ein
Gottschauender erkannt.
14. (7894.) Denn was als jenes eine, unvergangliche Brah-
man in seinen mannigfachen Erscheinungsformen geschaut
wird, dieses Ewige hatte schon Asuri auf diesem Erdkreise
ergriffen.
15. (789.5.) Und dessen Schiiler war Paficagikha geworden,
seitdem er mit der Milch eines Menschenweibes aufgezogen
worden war. Denn zu der Familie [des Asuri] gehorte eine
Brahmanin mit Namen Kapila,
16. (7896.) und indem er (PancaQikha] zu ihr in das Ver-
272 UI- Mokshadharma.
haltnis eines Sohnes trat, trank er an den Briisten dieses
Weibes; auf diese Weise wurde er der Abstammung von
Kapila teilhaft und der unverganglichen Erkenntnis.
17. (7897.) So hat mir der Heilige die Entstehung des
Kapilasprosses [Pancagikha] , seine Abstammung von Kapila
und seine uniibertreffliche AUwissenheit erklart.
18. (7898.) Zu dem billig denkenden Konig Janaka also
war der rechtskundige [Pancagikha], nachdem er die hochste
Erkenntnis erkannt hatte, getreten und hatte dessen hundert
Lehrer durch seine Argumente in Verlegenheit gebracht.
19. (7899.) Janaka aber, von der Darlegung des Kapila-
sprosses ganz entziickt, entliefs seine hundert Lehrer und
folgte ihm nach.
20. (7900.) Diesem nun, der aufs beste vorbereitet war
und sich pflichtmafsig verneigt hatte, erklarte er [Panca<?ikha]
die hochste Erlosung, wie sie im Sankhyam dargelegt wird.
21. (7901.) Und nachdem er das Abstehen von den Kasten
besprochen hatte, erklarte er das Abstehe^ von den Werken ;
und nachdem er das Abstehen von den Werken besprochen
hatte, erklarte er das Abstehen vom Weltall.
22. (7902.) Und auch sie lehrte er, um deren Willen die
Befassung mit Pflichten und das Reifen der Frucht der Werke
ist, jene kein Vertrauen verdienende, verganglich-schwankende,
haltlose Verblendung.
23. (7903.) Namlich: da die Vernichtung in unmittelbarer
Wahrnehmung gesehen und von aller Welt bezeugt wird, so
ist damit auch der, welcher auf Grund der Schrift behauptet,
dafs es ein Hoheres gabe, widerlegt.
24. (7904.) Denn der Nicht-Atman [zu dem man sterbend
wird] ist der Tod des Atman, ja schon die Beschwerde, die
als Greisenalter auftritt, ist Tod. Und wenn einer aus Ver-
blendung an einen Atman glaubt, so ist diese gegnerische
Meinung ungereimt.
25. (7905.) Und wenn dem so ware, dann kann auch etwas
sein, was nach dem Weltlaufe unmoglich ist, wie wenn einer
z. B. behaupten wollte, der Konig hier werde niemals altern
und nie sterben.
26. (7906.) Oder behauptet man, dafs es mbglicherweise
Adhyaya 218 (B. 218). 273
so sei Oder nicht so sei, indem ein dafur entscheidendes Merk-
mal nicht vorliege, so frage ich, ob man wohl so etwas be-
haupten kann, wenn man sich nur an den sichern Gang des
Weltlaufs halt?
27. (7907.) Die Wahrnehmung ist denndoch wohl die Wurzel
fiir beide, fur die Argumentation und audi fiir die Uberlieferung,
und eine heilige Uberlieferung, die mit der Wahrnehmung in
Widerspruch steht, sowie auch eine derartige Argumentation
sind gar nichts.
28. (7908.) Uberall wo es sich um eine solche Folgerung
handelt, sagen wir, fort mit ihr (hritamj und auch mit dem,
der sich die Dinge so zurecht legt ! Nein, die Seele ist nichts
anderes als der Korper und als solche nach der Meinung der
Nihilisten fndstikaj festgestellt.
29. (7909.) Dafiir sprechen : die Samenkraft in dem Feigen-
baumkerne, das Vorhandensein der Butter schon in der ver-
dauten Nahrung, das Geborenwerden [durch materielle Ur-
sachen], die Erinnerung [an materielle Vorgange], der Magnet-
stein, der [das Sonnenlicht einsaugende] Suryakantastein und
das Verdampfen des Wassers.
30. (7910.) [Auf diese Behauptung des Materialisten er-
widert der Idealist:] Sowohl das Verlassen des Leibes [durch
die Seele], nachdem der Tod eingetreten ist, als auch, dafs
man die [immateriellen] Gotter anruft, dafs die Werke beim
Tode zunichte werden miifsten [was durch die Frucht, die
sie bringen, widerlegt wird], sind sichere Beweise [fiir die
Existenz einer Seele].
31. (7911.) Alle jene Griinde des Gegners grlinden sich
auf materielle Vorgange; es ist aber nicht statthaft, das Im-
materielle mit dem Materiellen auf gleiche Stufe zu stellen.
32. (7912.) Andere wiederum [nach Nil. die Buddhisten]
sagen: Es ist vielmehr das Nichtwissen, welches bei der Neu-
geburt die Ursache der Betatigung in Werken ist, es ist viel-
mehr Begierde und Verblendung, es ist vielmehr die Khech-
tung unter die Siinden.
33. (7913.) Das Nichtwissen, so sagen sie weiter, ist das
Ackerland, und das Werk wird dabei al& del* Same betrachtet,
Peussen, Mah&bh^ratain. \^
274 liJ- Mokshadharma.
der Durst ftrishndj ist die Zeugung und das Zusammenkleben
dieser [drei] ist die Wiedergeburt.
34. (7914.) Und wenn einer verschwunden oder verbrannt
oder zerstiickelt ist und dem Tode verfallen, dann entsteht
aus jenem [Zusammenkreben] ein neuer Leib; dieses nennen
sie die Wesensvernichtung.
35. (7915.) Und wenn [der Neuentstandene] nach seiner
Natur, Geburt, seinen guten Werken und Zwecken ein anderer
ist, kann man wohl von einem sagen, er ist derselbe [wie
in einer friiheren GeburtJ, oder soil man annehmen, dafs alles
durcheinander geht?
3(). (7910.) Und ferner, wenn dem so ware, welches Inter-
esse kann man an den Anstrengungen des Schenkens, der
Wissenschaft und der Askese haben, wenn das von einem
vollbrachie Werk in alles mogliche andere iibergehen kann ?
37. (7917.) Auch wiirde folgen, dafs einer hienieden in-
folge des von andern friiher Begangenen (prdkkritaih mit C.)
Leiden zu erdulden hatte. Nein! mag einer im Gliick oder
im Ungliick leben, mafsgebend fiir das Unwahrnehmbare mufs
doch das Wahrnehmbare sein [wo jeder seines Gluckes
Schmied ist].
38. (7918.) Wenn dem so ware [konnte der Gegner sagen],
dann konnte man auch den Korper mit Morserstosseln zer-
stampfen und erwarten, dafs er darauf neu entstiinde. Nein !
das Bewufstsein, welches ein anderes ist, mufs auch ein ver-
schiedenes sein, da so etwas [die Fortdauer des vernichteten
Bewufstseins in der neuen Geburt] nicht moglich ist.
39. (7919.) Und wie der Augenschein lehrt, dafs Jahres-
zeiten, Jahre, ein ganzes Weltalter, dafs Kalte und Warme,
Erwiinschtes und Unerwiinschtes dahinschwinden , so ist es
auch mit der Wesensvernichtung.
40. (7920.) W^enn einer vom Greisenalter uberkommen wird
und dem vernichtenden Tode verfallt, dann stiirzt nach und
nach alles, was schwach geworden ist, wie bei einem Hause
zusammen.
41. (7921.) Sinnesorgane, Manas, Lebenshauch, Blut, Fleisch
und Knochen, alles geht nach und nach zugrunde und kehrt
in sein Element zuriick.
Adhyaya 218 (B. 218). 275
42. (7922.) Audi wiirde es eine Unterbrechung des Welt-
laufes sein, wenn Schenken und Opferpflicht einen [jenseiti-
gen] Lohn brachten, und auf einen Lohn zielen doch die
Vedaworte hin, ebensogut wie die weltlichen Bestrebungen.
43. (7923.) So stellen sich bei einem richtigen Denken
die vielfachen Griinde ein, und hat man erkannt, dafs dieses
so ist und jenes so ist, so gibt es keine Wahrnehmung, die
dem widersprache.
44. (7924.) Aber jene [Gegner], welche hin und her iiber-
legen und dieser oder jener Meinung zulaufen, werden es ja
erleben, dafs einmal ihr Verstand still steht und wie ein
Baum hinfallig wird.
45. (7925.) So werden denn alle Menschen durch ihre
Zwecke und audi durch Zweckloses gequalt ; durch die Veda-
Lehren werden sie [von der Wahrheit] abgelenkt wie Ele-
fanten durch ihre Treiber.
46. (792G.) So geschieht es, dafs viele hier, indem sie
lechzenden Mundes nach Zwecken trachten, welche ihnen
ewige Seligkeit schaffen sollen, sich damit nur in noch
grofseres Leid stiirzen ; denn wenn sie auch allem Locken-
den entsagen, verfallen sie doch der Herrschaft des Todes.
47. (7927.) Was sollen dem verganglichen Menschen,
dessen Leben so unsicher ist, Verwandte niitzen, was ein
Anhang, von dem er sich trennen mufs! Ihm, der, alles
dieses verlassend, dahingeht und, wenn er dahingegangen
ist, nicht wiederkommt!
48. (7928.) Erde, Ather, Wasser, Feuer und Wind er-
halten den Korper in seinem Bestande fort und fort. Wer
dies bedenkt, wie soUte der sich freuen; dagegen, dafs
er verganglich ist, gibt es keinen Schutz.
49. (7929.) Indem der Mannerfiirst [Janaka] dieses un-
fehlbare Wort, das untriigliche, hoclist heilsame, dessen
Zeuge er geworden war, mit Erstaunen priifend be-
trachtete, ging er dazu iiber wiederum in folgender Weise
zu fragen.
So lautet im Mokshadbaimu
ia der Bede des Pafica(;ikha die Bekampfung der Ketzer
(Pancap'kha-vdkije pdshanda-khandanam).
18*
276 III- Mokshadharma.
Adhyaya 319 (B. 219).
Vers 7930-7983 (B. 1-52).
Bhishma sprach:
1. (7930.) Der Konig Janaka aber, in dieser Weise von
dem hochst Weisen belehrt, befragte ihn abermals iiber das
Sein Oder Nichtsein nach dem Tode.
Janaka sprach :
2. (7931.) 0 Heiliger, wenn keiner nach dem Tode ein
Bewufstsein behalt [wie schon Yajnavalkya Brih. Up. 2,4,12
lehrt], was kann, wenn dem so ist, Nichtwissen oder Wissen
fiir eine Bedeutung haben?
3. (7932.) Dann steht es doch fest, dafs alles vernichtet
wird, und bedenke auch dieses, o Bester der Zwiegeborenen,
welchen Unterschied es dann begriinden kann, wenn einer
unbesonnen oder besonnen war.
4. (7933.) Wenn nur bei denen, welche entstanden sind,
Nichtvermengung , und bei denen, welche zugrunde gehen,
Vermengung [der Individuahtat] stattfindet, fiir wen arbeitet
man dann und hofft man dann? Welchen Bescheid kann
man der Wahrheit gemafs darauf geben?
Bhishma sprach :
5. (7934. j Zu ihm, der von Finsternis umgeben, verwirrt
und gleichsam krank war, sprach, um ihn durch seine Worte
wieder zu beruhigen, der Weise Pancagikha folgendermarsen :
6. (7935.) Es steht nicht fest, dafs hienieden alles ver-
nichtet wird, und es steht auch nicht fest, dafs es fortbesteht ;
jedenfalls ist der Mensch eine Zusammenraffung von Korper,
Sinnesorganen und Manas, (7936.) welche gesondert besteht,
wenn man sich auch bei den Handlungen wechselseitig auf-
einander stiitzt.
7. Die Elemente sind [das Folgende nach C] fiinffach:
Wassei , Ather, Wind, Lichtelement fjyotishoj und Erde;
(7937.) diese bestehen durch ihre eigene Natur und werden
vermoge ihrer eigenen Natur getrennt.
Adhyaya 219 (B. 219). 277
8. Ather, Wind und Hitze, das fliissige und das erdige
Element, (7938.) die Zusammenraffung dieser fiinf bildet den
Korper und er ist nicht einheitlich.
9. Das Bewufstsein, die Korperwarme und der Korper-
wind, diese bilden die dreifache Summe ihrer Produkte;
(7939.) die Sinnesorgane und die Sinnendinge, ihre Eigenart,
die Wahrnehmung und das Manas, Aushauch und Einhauch
und was aus dem allem hervorgeht, das sind die Bestand-
teile, welche sich auf jene drei stiitzen.
10. (7940.) Das Horen und Fiihlen, Zunge, Gesicht und
Nase, diese fiinf Sinnesorgane sind ihre [der Elemente], das
Manas (cittamj als Fiihrer habende Qualitaten.
11. (7941.) Dabei ist ein mit Bewufstsein verbundenes,
dreifaches, beharrliches Geistiges (cetand) tatig, welches man
bezeichnet als [1] Lust empfindend, [2] Schmerz empfindend,
sowie [3] als schmerzlos und lustlos.
12. (7942.) Ton und Beriihrung, Gestalt, Geschmack und
Gerucli, diese Wesenheiten dienen bis zum Tode bin als fiinf
oder [mit Einschlufs der Funktion des Manas] als sechs
Qualitaten dem Vollbringen der Erkenntnis.
13. (7943.) Neben ihnen steht die Ausbreitung der Werke
[durch die Karmendriya's] und die Feststellung der Bedeutung
aller Wesenheiten [durch die Buddhi]; diese nennt man das
hochste Reine, audi Buddhi, und das grofse Unvergangliche.
14. (7944.) Wer dieses Aggregat der Guna's [Sattvam,
Rajas, Tamas] als das Wesen des Atman ansieht, fiir den
kommt, weil er die Dinge unrichtig sieht, unendliches Leiden
nicht zum Aufhoren.
15. (7945.) Wer sie hingegen als das Nichtselbst erkennt
und spricht: sie sind nicht ich und sind nicht mein, auf
welchen Grund sich stiitzend konnte dann die Fortsetzung
des Leidens von statten gehen?
16. (7946.) Nunmehr sollst du die allerhochste Entsagungs-
lehre, welche den Namen „die alles zermalmende" fiihrt, ver-
nehmen, welche ausgesprochen zu deiner Erlosung dienen wird.
17. (7947.) Diese Entsagung in bezug auf alle, auch auf
die [als Pflicht] auferlegten Werke, gilt jederzeit unter den
Irregeleiteten fiir eine schmerzvoUe Plage.
278 in. Mokshadharma.
18. (7948.) Im Verzicht auf die Opfersubstanzen bestehen
die Werke, im Verzicht auf das Genielsen die Geliibde, im
Verzicht auf Lust besteht Askese und Hingebung, im Ver-
zicht auf alles die hochste Erringung.
19. (7949.) Zu diesem Verzichten auf alles wird dieser und
kein zweiter Weg gelehrt, der zum Aufgeben des Leidens
fiihrt, auf anderm Wege diirfte es schwer erreichbar sein.
20. (7950.) Nachdem ich die fiinf Erkenntnisorgane ge-
nannt habe, zu welchen sich im Bewufstsein Manas als sechstes
gesellt, so will ich nunmehr die fiinf Tatorgane aufzahlen, zu
welchen sich die Kraft fhdlamj als sechstes gesellt.
21. (7951.) Die Hande sind das Organ des Handelns, die
Fiifse das Organ des Gehens, der Penis das der Zeugung
und Wollust, der Anus ist das Organ der Entleerung.
22. (795-2.) Die Rede endlich dient zur Artikulierung der
Tone, so wird sie [die Tat] von den fiinf Organen geleitet.
Das also sind die elf Organe. Man soil das Manas alsbald
mitsamt der Buddhi von sich loslosen.
23. (7953.) Die Ohren, der Ton und der Verstand fcittam
= manasj, diese drei [wirken zusammen] beim Auffassen
durch das Gehor; entsprechend ist es beim Fiihlen, ent-
sprechend beim Sehen, entsprechend beim Schmecken und
Riechen.
24. (7954.) So sind diese fiinf Qualitaten dreifach zum
Zwecke ihrer Auffassung, weil sich dieses dreifache Zusammen-
wirken der Reihe nach bei ihnen einstellt.
25. (7955.) Als sattva-artig, rajas -artig und tamas-artig,
als diese drei treten hervor, indem sie alles zustande bringen,
[jene Wesenheiten] in welchen somit ein dreifaches Empfinden
herrscht.
26. (7956.) Als Freude, Befriedigung , Wonne, Lust und
beruhigtes geistiges Verbal ten, mogen sie nirgendwoher oder
irgendwoher stammen, als diese wird der sattva-artige Guna
gedacht.
27. (7957.) Unbefriedigtheit, Qual, Kummer, Begierde und
Unduldsamkeit, diese treten hervor als Merkmale des Rajas,
mogen sie einen [aufsern] Grund haben oder nicht.
28. (7958.) Nichtunterscheidung, Verblendung, Unbesonnen-
Adhyaya 219 (B. 219). 279
heit, Schlaf und Schlaffheit, wie sie auch immer [entstanden J
sein mogen, sind die mannigfachen Qualitaten des Tamas.
29. (7959.) Was nun mit Befriedigung verkniipft ist, sei
es im Korper, sei es im Geiste, das ist der sattva-artige Zu-
stand, dementsprechend hat man dieses zu beriicksichtigen.
30. (7960.) Was aber mit Nichtbefriedigung verbunden
ist und einem IJnlust bereitet, in diesem tritt das Rajas her-
vor; da dem so ist, moge man auch dies bedenken.
31. (7961.) Was aber mit Verblendung verbunden ist, sei
es im Korper, sei es im Geiste, was des Nachdenkens und
des Bewufstseins entbehrt, das soil man als das Tamas be-
trachten.
32. (7962.) Das Gehor stiitzt sich auf den Ather und der
Ton stiitzt sich auf das Gehor ; jene beiden [Ather und Gehor]
werden bei Erkenntnis des Tones nicht bewufst, mag dabei
das Bewufstsein [mana^] tatig sein oder das Gegenteil statt-
finden.
33. (7963.) Ebenso [namlich dafs nur die Empfindung,
nicht aber das Element und die ihm entsprechende Tatig-
keit in das Bewufstsein treten] steht es mit Haut, Augen,
Zunge und Nase als funftem bei dem Fiihlen, Sehen, Schmecken
und Riechen ; sie alle sind Bewufstsein, das Bewufstsein aber
ist Manas.
34. (7964.) Bei diesen Zehnen findet ein mit ihrer Tatig-
keit gemeinsames Wirken [des Manas] statt. Dieses, das
Erkenntnisorgan fcittam = manasj soil man wissen als elftes,
und die Buddhi ist das zwolfte.
35. (7965.) Wenn diese [Buddhi, Manas und Sinne] nicht
zusammen wirken , so liegt es daran, dafs das Tamas-artige
nicht beseitigt worden war; besteht aber ihr gemeinsames
Wirken, so ist das die normale Betatigung.
36. (7966.) Aber auch der, welcher die schwer erkenn-
baren Sinnesorgane infolge vorheriger Belehrung durch den
Veda wahrnimmt und iiberdenkt, kommt zu keiner voll-
standigen Erfassung, solange er mit den drei Guna's be-
haftet ist.
37. (7967.) Dasjenige Manas fcittamj namlich, welches vom
Tamas behindert, [vor-] schnell zusammenfassend und up-
280 III. Moksliadharma.
-sicher, ein Aufhoren [des Zusammenwirkens] im Korper ver-
schuldet, das nennen die Weisen ein tamas-behaftetes.
38. (7968.) Und auch jenes Manas, welches auf Grund der
heiligen Uberlieferungen nicht das Elend [des irdischen Da-
seins] iiberblickt, nimmt auch hier [wie bei Betrachtung der
irdischen Realitat] nur gleichsam das durch Tamas sich ent-
faltende Unwahre [der vedischen Theologie] wahr.
39. (7969.) Der hiermit dargelegte, auf den eigenen Werken
[einer friihern Geburt] sich griindende Guna [das Tamas]
bleibt zuweilen vollstandig herrschend, wahrend er bei einigen
schwindet.
40. (7970.) Somit bezeichnen die nach der innern Seele
Forschenden das [korperhche] Aggregat als den Ort fksetramj ;
hingegen wird die im Geiste ruhende Wesenheit [des Purusha]
der Ortskenner fhshetrajnaj genannt.
41. (7971.) Aber da dem so ist, worin besteht die Los-
losung, und wie kann sie ewig sein, da doch alle Geschopfe
aus ihrer eigenen Natur heraus und infolge von Griinden
[ihrer AVerke in einer friihern Geburt] sich betatigen miissen?
42. (7972.) Wie die zum Ozean eilenden Fliisse ihre Formen
und Namen aufgeben [Mund. Up. 3,2,8], und die Stromungen
des Ozeans dieselben in sich aufnehmen, so ist die Wesens-
vernichtung zu denken.
43. (7973.) Da dem so ist, woher kann dann aber im Zu-
stande nach dem Tode wiederum ein [individuelles] Bewufst-
sein entstehen, da die Seele doch [mit dem All] verfliefst und
vollstandig [von dem All] umschlungen wird.
44. (7974.) Wer diese Erkenntnis von der Erlosung
besitzt und frei von Unbesonnenheit nach dem Atman
forscht, der wird nicht mehr von den unerwiinschten
Friichten der Werke befleckt, dem Blatte der Lotospflanze
vergleichbar, wenn es mit Wasser benetzt wird.
45. (7975.) Wenn der Mensch befreit von den starken
Fesseln, geschmiedet durch die Familie und den Gottes-
dienst, Lust und Schmerz hinter sich lafst, dann geht
er, erlost und frei von Charaktereigenschaften, den
hochsten Gang.
46. (7976.) Gestiitzt auf die Autoritat der Schrift und
Adhyaya 219 (B. 219). 281
die Verheifsungen der heiligen Lehre bleibt er ruhig und
lafst sich durch die Furcht vor Alter und Tod nicht mehr
schrecken. Sein gutes Werk schwindet, sein boses hat
ihn verlassen und die dadurch bedingte Frucht ist ver-
nichtet. (7977.) Und so geht er ein zu dem fleckenlosen,
merkmalfreien Ather, und in ihm weilend verharrt er in dem
Grofsen als ein Schauender und frei von Anhanglichkeit.
47. Wie eine sich hin und her wendende Spinne,
wenn ihr der Faden bricht, herabgefallen in Ruhe ver-
weilt, (7978.) so lafst der Erloste das Leid fahren und zer-
stiebt wie ein Erdklofs, wenn er auf einen Stein trifft
[Brih. Up. 1,3,7].
48. Wie der Hirsch, wenn er sein altes Geweih ab-
wirft, wie die Schlange, wenn sie ihre Haut (7979.) ab-
streift, fortgeht, ohne zuriickzublicken , so wirft der Er-
loste das Leid von sich.
49. Wie der Vogel einen ins Wasser stiirzenden Baum
verlafst und herabfliegt, ohne sich an ihn zu halten,
(7980.) so verlafst jener [Erloste] Lust und Leid und geht
von ihnen befreit ohne Charaktereigenschaften den hoch-
sten, allerhochsten Gang.
50. (7981.) Auch gibt es ein Lied, welches von einem
Fiirsten von Mithila gesungen wurde, als er sah, wie
seine Stadt vom Feuer verzehrt wurde: „Furwahr, da
brennt nichts von dem Meinigen !" Dieses sprach der Fiirst
des Landes selbst.
51. (7982.) Als der Konig diese nektargleiche Rede ge-
hort hatte, welche von Paficaqikha selbst zu ihm ge-
sprochen worden war, da priifte er alles und wurde sich
klar iiber seinen Zweck und wandelte hin, hochbegliickt
und frei von Kummer.
52. (7983.) W^er diese Darlegung iiber die Erlosung
rezitiert, o Yudishthira, und sie ebenso wie jener immer-
fort im Sinne hat, der erfahrt keine Widerwartigkeiten,
keine Leiden und wird erlost wie der Konig von Mithila,
als er sich an den Kapilasprofs gewandt hatte.
So laiitot im Moksbadharma die Rede des Pafica(,ikha
(ranca^il-lia - vdkyam).
282 in. Mokshadharma.
Adhyaya '^'^O (B. '^'>0).
Vers 7984-8003 (B. 1-20).
Yudhishthira sprach :
1. (7984.) Durch welches Tun eriangt man Lust, durch
welches Tun eriangt man Leid, durch welches Tun wandelt
der Vollkommene furchtlos in der Welt, o Bharata?
Bhishma sprach:
2. (7985.) Die Selbstzucht ist es, welche die dem Schrift-
wort nachdenkenden Alten anempfehlen sowohl alien Kasten
als auch besonders den Brahmanen.
3. (7986.) Wer keine Selbstzucht besitzt, dem geht das
Gedeihen [diesem Mangel] entsprechend nicht vonstatten;
Werk, Askese und Wahrhaftigkeit, das alles ist in der Selbst-
zucht begriindet.
4. (7987.) Die Selbstzucht steigert die Energie, die Selbst-
zucht wird ein Lauterungsmittel genannt ; frei von Siinde und
Furcht fmdet der Selbstzucht iibende Mensch das Grofse.
5. (7988.) Mit Lust schlaft ein, wer die Selbstzucht be-
sitzt und mit Lust wacht er wieder auf; mit Lust verkehrt
er in der Welt und sein Gemiit ist in Ruhe.
6. (7989.) Die Energie wird durch Selbstzucht aufrecht
erhalten, und wer durch sie energisch geworden, kommt zu
Gelingen; in sich selbst sieht er allezeit viele und mannig-
fache Feinde.
7. (7990.) Wie vor Raubtieren fiirchten sich die Wesen
stets vor denen, die keine Selbstzucht besitzen, und um sie
zu ziigeln, ist der Konig von dem Schopfer erschaffen worden.
8. (7991.) Hoher als alle [vier] Lebensstadien steht die
Selbstzucht, und die Frucht, welche an die Pflichterfiillung
in ihnen sich kniipft, wird in noch hbherem Malse dem Selbst-
zucht Ubenden zuerkannt.
9. (7992.) Ich will die Merkmale derjenigen verkiindigen,
die in der Selbstzucht Erfolg haben ; sie sind Nichtkleinmiitig-
keit, Nichtungestiim , Zufriedenheit und glaubige Gesinnung,
10. (7993.) Freiheit von Zorn, bestandige Geradheit, ohne
Adhyaya 220 (B. 220). 283
Grofssprecherei und Hochmut, Ehrung des Lehrers, Nicht-
norgeln, Mitgefiihl mit den "Wesen und Freiheit von Hinterlist,
11. (7994.) Enthaltung von Klatscherei, Liige, Lob und
Tadel. Nur nach dem Guten begehrend sei sein Trachten,
nicht [richte er] sein Verlangen auf erhoffte Dinge.
12. (7995.) Sein Umgang sei mit solchen, die keine Peind-
schaft hegen, gleichmiitig bleibe er bei Tadel und Lob, von
gutem Wandel, charaktervoll, beruhigten Geistes, seiner selbst
gewifs und sich beherrschend.
13. (7996.) Dann wird er freundliche Behandlung erfahren
und nach dem Tode in den Himmel eingehen; er hilft alien
Wesen bei dem, was ihnen Schwierigkeiten macht, und ist
voll Freudigkeit und begliickt.
14. (7997.) Wer, so bedacht auf das Wohl aller Wesen,
keinen Menschen hafst, der wird, wie ein grofser See von
Wellen nicht bewegt, an Erkenntnis sich sattigend in Ruhe
verharren.
15. (7998.) Wer sich nicht raehr vor den Wesen furchtet,
und vor welchem alle Wesen sich nicht mehr fiirchten, der
wird von ihnen alien geehrt, der ist selbstzuchtbesitzend
und weise.
16. (7999.) Er freut sich nicht, wenn er Grol'ses erreicht
hat, er klagt nicht, wenn ihn ein Ungliick trifft, so ist er
mit seinem Wissen sich bescheidend, so wird er ein Selbst-
zucht iibender Brahmane genannt.
17. (8000.) Mit Schriftwissen begabt, von guten Werken
umgeben und rein und allezeit in Zucht sich haltend, ge-
niefst er ihre grofse Frucht.
18. (8001.) Nicht -Norgeln, Nachsicht, Gemiitsruhe, Zu-
friedenheit und freundliches Reden, Wahrhaftigkeit , Frei-
gebigkeit und Kummerlosigkeit, das ist der Weg, den Ubel-
gesinnte nicht zu finden wissen.
19. (8002.) Begierde und Zorn, Habsucht, Neid gegen
andere, Prahlerei, Begierde und Zorn bemeistert er, keusch
und die Sinne bezahmend,
20. (8003.) so schreitet mutig dahin in der furchtbaren
Finsternis der Brahmane mit scharfem Gelubde ; seine Stunde
284 ni. Moksliadharma.
ersehnend moge er in der Welt wallen, ohne Mifserfolg,
seines Atman gewifs.
So lautet im Mokshadharma der I'reia der Selbstzucht
(dama -pra^amsd).
A€lhyaya 331 (B. 331).
Vers 8004-8020 (B. 1-17).
Yudhishthira sprach:
1. (8004.) Dafs die in einem Geliibde begriffenen Zwie-
geborenen in der bekannten Weise die Opferspeise geniefsen
als Nahrung, dem Brahmanenbrauche zuliebe, wie ist das zu
beurteilen, o Grofsvater?
Bhishma si^rach :
2. (8005.) Sowohl diejenigen, welche die im Veda be-
fohlenen Geliibde nicht betreiben und essen, indem sie ihren
Geschaften nachgehen, als audi diejenigen, welche den Veda-
worten entsprechend essen, beide sind ihrem Geliibde ab-
triinnig geworden (lies mit C. : luptd/j), o Yudhishthira.
Yudhishthira sprach : .
3. (8006.) Das Fasten, was das gemeine Volk so mit dem
Namen des Tapas (Askese) bezeichnet, ist dieses das Tapas,
o grofser Konig, oder wenn nicht, was ist denn Tapas?
Bhishma sprach:
4. (8007.) Was die Leute fiir Tapas halten, indem man
einen Halbmonat durch fastet, das ist vielmehr nur eine
Schadigung des Leibesbestandes und wird von guten Men-
schen nicht als Tapas angesehen.
5. (8008.) Entsagung und Demut, diese gelten als hochstes
Tapag; [wer sie hat] der hat das fortwahrende Fasten, der
hat die bestandige Keuschheit.
6. (8009.) Bin Einsamer sei allezeit der Brahmane, eine
Gottheit sei er allezeit, fiir seine Familie sorgend, seine Pflicht
liebend allezeit und ohne Schlafrigkeit, o Bharata.
7. (8010.) Allezeit enthalte er sich der Fleischnahrung,
Adhyaya 221 (B. 221). 285
allezeit wirke er lauternd, allezeit labe er sich an Amritam,
indem er Gotter und Gaste ehrt.
8. (8011.) Allezeit nahre er sich von Restspeise, allezeit
erfiille er das Gastgeliibde ; glaubig sei er allezeit, voll Ehr-
erbietung gegen Gotter und Brahmanen.
Yudhishthira sprach:
9. (8012.) Wie kann er das fortwahrende Fasten, wie kann
er die bestandige Keuschheit haben, wie kann er allezeit
Restspeise essen und das Gastgeliibde erfiillen?
Bhishma sprach:
10. (8013.) Wer zwischen der Morgenmahlzeit und der
Abendmahlzeit zwischendurch nicht nochmals ifst, der hat
das fortwahrende Fasten.
11. (8014.) Wenn er zur gesetzten Zeit die Gattin besucht,
dann hat der Brahmane die bestandige Keuschheit, der Mann,
welcher immerdar die Wahrheit redet und immer der Er-
kenntnis obliegt.
12. (8015.) Er soil nicht ohne Not Fleisch essen oder auch
der Fleischnahrung sich ganz enthalten, immerfort spendend
und lauternd, nicht schlafrig und nicht bei Tage schlafend.
13. (8016.) Wer immerfort nur dann ifst, nachdem seine
Leute und seine Gaste gesattigt sind, der labt sich an reinem
Amritam, das wisse, o Yudhishthira.
14. (8017.) Der Zwiegeborene, welcher allezeit nicht ifst,
bevor jene gegessen haben, der hat durch dieses Nichtessen
sich den Himmel erworben.
15. (8018.) Wer das von Gottern, Vatern, Angehorigen und
(jrasten Ubriggelassene ifst, der heifst ein Restspeise-Esser.
16. (8019.) Die so leben, denen gehoren die unendlichen
Welten, und mit Gott Brahman denselben Sitz teilend, wan-
deln sie, von Apsaras bedient, als Himmelsbewohner umher.
17. (8020.) Sie, welche in Gemeinschaft mit den Gottern
und Vatern geniefsen, die freuen sich an Kindern und Kindes-
kindern und ihrer ist der hochste Gang.
So lautet im Mokshadharma die Frage nacb dem Amritam
(anirita • prdgnikam).
286 III. Mokshadliarma.
Adhj aya '422 (B. 222).
Vers 8021-8057. (B. 1-37.)
Yudhishthira sprach:
1. (8021.) Das in dieser Welt begangene Werk, sei es
gut Oder bose, welches den Purusha (Mensch, Seele) bindet
durch Bindung an die Frucht, o Bharata,
2. (8022.) ist dessen Tater der Purusha oder nicht? Dar-
iiber besteht Zweifel; dieses wiinsche ich der Wahrheit ge-
mafs von dir, o Grofsvater, zu vernehmen.
Bhishma sprach :
3. (8023.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich, o Yudhishthira, die Unterredung zwischen
Prahrada und Indra.
4. (8024.) Den nicht anhanglichen , von Bosem befreiten
aus guter Familie geborenen, der Schrift sehr kundigen, an-
spruchslosen , selbstlosen, in der Wahrheit festen, sich an
Verpflichtung freuenden,
5. (802.'>.) Tadel und Lob gleichachtenden , bezahmten, in
einem einsamen Hause wohnenden, Ursprung und Vergang
der beweglichen und unbeweglichen Wesen kennenden,
6. (8026.) nicht ziirnenden und nicht sich freuenden iiber
Liebes und Unliebes, auf beides, mochte es Gold oder Erd-
klumpen sein, gleichmafsig blickenden,
7. (8027.) in der Erkenntnis des Seelenheils festen, Klar-
heit errungen habenden, das Hochste und Tiefste unter den
Wesen kennenden, alles wissenden, auf alles gleichmiitig
blickenden,
8. (8028.) diesen Prahrada, wie er einsam und mit be-
zahmten Sinnen dasafs, suchte, um seine Erkenntnis zu er-
lernen, der Gott Qakra, (Indra) auf und sprach zu ihm:
9. (8029.) Alle Tugenden, um deren willen ein Mann in
der Welt geehrt wird, o Konig [nripa mit C), alle diese
Tugenden sehen wir unverlierbar, o Herr, verwirklicht in dir.
10. (8030.) Und auch dein Bewufstsein erscheint [so rein],
Adhyaya 222 (B. 222). 287
wie das der Kinder zu sein pflegt. Der du den Atman iiber-
denkst, was haltst du hienieden fiir das Heil?
11. (8031.) Mit Stricken gebunden, aus deiner Stellung
verstofsen, in die Hand deiner Feinde gegeben und vom
Gliick verlassen, o Prahrada, bist du in einer beklagens-
werten Lage und klagst doch nicht.
12. (8032.) Kommt es daher, weil du die Erkenntnis ge-
wonnen hast, o Daityafiirst, oder wegen der Festigkeit deines
Charakters, dafs du, o Prahrada, wohlgemut bleibst, obgleich
du dich selbst im Ungliick siehst?
V6. (8033.) Als der Weise, zur Klarheit Gekommene mit
diesen Worten von jenem [Indra] angespornt worden war,
da antwortete er mit sanfter Stimme, indem er seine Er-
kenntnis an den Tag legte.
Prahrada sprach:
14. (8034.) Wer das Entstehen und Vergehen der Wesen
nicht begreift, der mag wegen seiner Torheit dariiber staunen,
wer sie begreift, der wird nicht staunen.
15. (803o.) Vermoge der Natur fsvabJidva =^ pralcritij ent-
stelit und vergeht alles, was ist und nicht ist; fiir den Purusha
aber gibt es keinen Zweck.
16. (8036.) Und da es keinen Zweck des Purusha gibt, so
ist kein Purusha je ein Tater, aber obgleich er selbst nie-
mals ein Tater ist, so besteht doch hienieden der Wahn,
als wenn er es sei.
17. (8037.) Wer nun seinen Atman fiir den Tater halt des
Guten oder Bosen, dessen Bewufstsein ist mangelhaft und
erkennt die Wahrheit nicht, so meine ich.
18. (8038.) Ware, o Qakra, der Purusha der Tater, dann
wiirden unfehlbar die von ihm zu seinem Gliicke gemachten
Anstrengungen zum Ziele fiihren, und er wiirde niemals dies
Ziel verfelilen.
19. (8039.) Abwendung des Unerwiinschten und Nicht-
Abwendung des Gewiinschten zeigt sich ja als Ziel bei alien
Strebenden; wie sollte also der Purusha ein Ziel verfolgen!
20. (8040.) Ein Zustandekommen des Unerwiinschten und
ebenso ein Gelingen des Erwiinschten sehen wir bei manchen
288 ni. Mokshadhaj-ma.
ohne Anstrengung eintreten; dies gescliieht durch die Natur
fsvahJidvaJ.
21. (8041.) Manche, die wohlgestalteter und verstandiger
sind, miissen, wie die Erfahrung zeigt, von Mifsgestalteten
und weniger Verstandigen die Eriangung von Giitern erbitten.
22. (8042.) Wo nun alle Eigenschaften, die guten wie die
schlechten, nur in die Erscheinung treten, indem sie durch
die Natur in Gang gebracht werden, wie konnte da irgend
jemand Grund haben, auf etwas stolz zu sein!
23. (8043.) Alles dies wird durch die Natur bewirkt, dies
ist meine feste Uberzeugung , welche sich auf den Atman
griindet, und fiir mich gibt es keine andere Erkenntnis
als diese.
24. (8044.) Andrerseits besteht die Ansicht, dafs das Er-
langen einer guten oder bosen Frucht durch [friihere] Werke
bedingt sei; darum will ich dir die ganze Tragweite der
Werke erklaren, vernimm sie von mir.
25. (804.5.) So wie eine Krahe, indem sie ifst, das Vor-
handensein von Nahrung [den anderen Krahen] kundmacht,
so bekunden alle Werke nur die Natur [aus der sie hervor-
gehen].
26. (8046.) Wer nur die Entfaltungen erkennt und nicht
die hochste Prakriti, der mag wegen seiner Torheit dariiber
staunen, wer sie begreift, der wird nicht staunen.
27. (8047.) Fiir einen, der mit Sicherheit begreift, dafs
alles Seiende auf der Welt nur aus der Natur hervorgehe,
was kann dem noch Stolz oder Hochmut anhaben?
28. (8048.) Ich kenne alle Pflichtvorschriften und auch die
Verganglichkeit der Wesen , darum, o Qakra , trauere ich
nicht, denn alles, was auf dieser Welt existiert, geht einmal
zu Ende.
29. (8049.) Frei von Selbstsucht und Ichbewufstsein, ohne
Wiinsche, von Banden frei, in mir selbst gegriindet und los-
gelost, schaue ich hin auf Entstehen und Vergehen der Wesen.
30. (8050.) Wem die Erkenntnis geworden ist, wer be-
zahmt, frei vom Durst (trishndj und frei von Wiinschen ist,
fiir den, o Qakra, gibt es kein Bemiihen mehr, indem er die
unvergangliche Statte schaut.
Adhyaya 222 (B. 222). 289
31. (8051.) In der Prakriti und in dem, was aus ihr ent-
standen ist, ist nichts, das ich liebte oder liafste, ist nie-
mand, den ich fiir einen Feind hielte oder der auf mich An-
spriiche erheben konnte fmamdyatej.
32. (8052.) Nicht in der Hohe, nicht in der Tiefe, noch in
der Mitte irgendwo ist etwas, das ich begehrte, o Qakra,
nichts habe ich zu tun mit den Gegenstanden der Erkenntnis,
nichts mit der Erkenntnis und dem Wissen.
^akra sprach:
33. (8053.) Wodurch diese Erkenntnis gewonnen, wodurch
diese Kuhe erlangt wird, das Mittel sage mir an, der ich
dich geziemend frage, o Prahrada.
Prahr§,da sprach:
34. (8054.) Durch Geradheit, durch Besonnenheit , durch
Heiterkeit, durch Selbsthaftigkeit und durch Beachtung dessen,
was die Alten lehrten, o Q'akra, erlangt der Mensch das Grofse.
35. (8055.) Durch die Natur fsvabhdvaj erlangt man die
Erkenntnis, durch die Natur gelangt man zur Beruhigung,
durch die Natur nur besteht diese ganze Welt und alles,
was du erblickst.
36. (8056.) Als der Fiirst der Daitya's so gesprochen hatte,
geriet Qakra in Erstaunen, und voll Freude, o Konig, zollte
er dieser Rede Verehrung.
37. (8057.) Und nachdem er den Daityafiirsten gepriesen
hatte, nahm er, der Herr und Gebieter der drei Welten, von
dem Fiirsten der Damonen Abschied und begab sich in seine
Behausung.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwiscben (^'akra und Prahr&da
(Qakra - Prahrdda - samvdda).
Deussen, Mah&bh^ratam. 19
290 HI- Mokshadharma.
Adhyaya 22li (B. 22ii),
Vers 8058-8087 (B. 1-30).
Yudhishthira spracli :
1. (8058.) Wie beschaffen ist das Bewufstsein, mit welchem
ein Fiirst, der aus seiner gliicklichen Lage gestiirzt wurde,
auf der Erde lebt, nachdem er durch die Schlage des Kala
(der Zeit) zermalmt ist? Das sage mir, o Grofsvater.
Bhishma sprach:
2. (8059.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich die Unterredung des Vasava (Indra) mit
Bali, dem Sohne des Virocana.
3. (8060.) Dem Urvater sich nahend und vor ihm mit zu-
sammengelegten Handen niederfallend, befragte ihn Vasava,
nachdem er schon alle Damonen besiegt hatte, nach dem Bali.
4. (8061.) Ihn, dem sein Reichtum, obwohl er ihn abgab,
niemals verloren ging, diesen Bali fmde icli nicht, o Gott
Brahman; sage mir, wo Bali weilt.
5. (8062.) Er ist der Windgott und ist Varuna, ist die
Sonne und ist der Mond, er warmt als Agni die Wesen und
er ist auch das Wasser.
6. (8063.) Diesen Bali finde ich nicht, o Gott Brahman;
sage mir, wo Bali weilt. Er geht [als Sonne] unter und er
erhellt die Weltgegenden.
7. (8064.) Er lafst den Regen regnen je nach der Zeit un-
ermiidlich. Diesen Bali finde ich nicht, o Gott Brahman;
sage mir, wo Bali weilt.
Uer Gott Brahman sprach:
8. (8065.) Es ist dir nicht gut, o Machtiger, dafs du nach
ihm fragst; aber wenn man gefragt wird, soil man nicht
die Unwahrheit sagen, darum will ich dir sagen, wo Bali
weilt.
9. (8066.) Mag er unter den Kamelen zu finden sein oder
unter den Rindern, den Eseln oder den Pferden, er wird als
der Beste seiner Art in einem leeren Hause [als Einsiedler]
weilen, o Gemahl der Qaci.
Adhyaya 223 (B. 223). 291
(,"akra (Indra) spracli:
10. (8067.) Wenn ich, o Gott Brahman, mit dem Bali in
einem leeren Hause zusammentreffe, soil ich ihn dann toten,
Oder soil ich ihn nicht toten? Dariiber, o Brahman, be-
lehre mich,
Der Gott Brahmau sprach:
11. (80(5S.) Nicht mogest du, o (^akra, den Bali toten, nicht
verdient Bali getotet zu werden, vielmehr nach seiner Lebens-
regel, o (^akra, magst du ihn, soviel es dir beliebt, fragen,
o Vasava.
Bhishma (der Erzahler) sprach:
12. (8069.) Nachdem der Heilige so zu ihm gesprochen
hatte, durchstreifte der grofse Indra auf dem Kiicken seines
Elefanten Airavata die Erde, von Herrlichkeit umgeben.
13. (8070.) Da sah er den Bali, in die Gestalt eines Esels
gehiillt, so, wie es ihm von dem Heiligen beschrieben worden
war, in einem leeren Hause wohnend.
Qakra sprach :
14. (8071.) Der du in den Mutterschofs einer Eselin ge-
raten bist und Getreidehiilsen verzehrst, o Danava, wird diese
deine ganz niedrige Geburt von dir beklagt oder nicht?
15. (8072.) Unansehnlich , ach! sehe ich dich, in die Ge-
walt deiner Feinde geraten, von Gliick und Freunden ver-
lassen, deiner Mannhaftigkeit und Tapferkeit verlustig.
16. (8073.) Dafs du so mit tausend Wagen und von An-
gehorigen umgeben, alle Welten erwarmend, dahinzogst, ohne
dich um uns zu kiimmern,
17. (8074.) und dafs die Daitya's, von dir angefiihrt, sich
unter deiner Herrschaft ausbreiteten , und dafs die Erde un-
gepfliigt zu ernten erlaubte, das alles geschah unter deiner
Oberherrschaft.
18. (8075.) Und heute, wo dich dieses Mifsgeschick ge-
troffen hat, beklagst du es da oder beklagst du es nicht?
Als du noch dastandest am ostlichen Ufer des Ozeans mit
[libermutigem] Ziingeln,
19. (8076.) wie war dir damals, wenn du Reichtum an
19*
292 III. Mokshadharma.
deine Angehorigen verteiltest, zumute? Als vor dir zu Tau-
senden geschart gottliche Frauen tanzten,
20. (8077.) indem du viele Jahresreihen hindurch lust-
wandelnd vor Gliick strahltest, Frauen, alle mit Lotos bekranzt,
alle von goldgleichem Glanze,
21. (8078.) wie war dir damals und wie ist dir heute zu-
mute, o Fiirst der Danava's? Du hattest einen sehr grofsen
Sonnenschirm aus Gold und mit Edelsteinen geschmiickt,
22. (8079.) und vor dir tanzten siebenmal sechstausend
Gandharven; einen machtig grofsen Opferpfosten hattest du,
ganz aus Gold, wenn du opfertest
23. (8080.) und aus diesem Anlafs zehntausend Myriaden
von Kiihen verschenktest , je tausend mit einem Male; wie
war dir damals, o Daitya, zumute?
24. (8081.) Und als du als Opferherr die ganze Erde durch-
wandeltest, indem du deinen Mafstab iiber sie ausstrecktest,
wie sah es damals in deinem Herzen aus?
25. (8082.) Ich sehe nicht mehr deinen goldenen Trink-
becher, nicht mehr den Sonnenschirm und die beiden Facher,
ich sehe nicht mehr, o Fiirst der Damonen, den Kranz, welchen
dir Gott Brahman schenkte.
Bali sprach:
26. (8083.) Nicht siehst du mehr meinen goldenen Trink-
becher, nicht mehr den Sonnenschirm und die beiden Facher,
nicht wirst du mehr sehen, o Vasava, den Kranz, welchen
mir Gott Brahman schenkte.
27. (8084.) Du fragst nach meinen Kleinodien, die in der
Hohle verborgen sind. Wenn meine Zeit da sein wird, dann
wirst du sie sehen.
28. (8085.) Aber es geziemt deinem Ruhme und deiner
hohen Abkunft nicht, dafs du, der du im Gliicke bist, mir,
der ich nicht im Glucke bin, dies prahlend in Erinnerung
bringen willst.
29. (8086.) Denn nicht trauern im Leid und nicht freuen
sich im Gliick diejenigen, welche Erkenntnis erlangt und am
Wissen sich gesattigt haben, die Weisen, welche gelernt
haben geduldig zu sein.
Adhj aya 223 (B. 223). 293
30. (8087.) Du aber prahlst, o Stadtezerstorer, mit ge-
meinem Verstande; wenn du erst sein wirst wie ich, dann
wirst du nicht mehr so sprechen.
So lautet im Mokebadharma die Unterredung zwischen Bali uud Indra
(Bali - Vdsava - samvdda) .
Adhyaya *^24 (B. '^24).
Vers 8088-8147 (B. 1-60).
Bhishma sprach :
1. (8088.) Wiederum sprach Qsikra lachelnd dieses Wort
zu ihm, der wie eine Schlange zischte, und setzte die Rede
fort, 0 Bharata.
Q'akra sprach:
2. (8089.) Dafs du so mit tausend Wagen und von An-
gehorigen umgeben, alle Welten erwarmend, dahinzogst, ohne
dich um uns zu kiimniern,
3. (8090.) und dafs du jetzt diesen deinen so klagliciien
Zustand siehst, o Bali, wo du von Angehorigen und Freunden
verlassen bist, beklagst du das oder beklagst du es nicht?
4. (8091.) Nachdem du vordem unvergleichliche Freude
hattest und die Welten in deiner Gewalt standen, beklagst
du da diesen Zusammenbruch deiner aufsern Macht oder be-
klagst du ihn nicht?
Bali sprach:
5. (8092.) Weil ich in dieser Welt nur Vergangliches sehe
infolge des Gesetzes des Umschwungs der Zeit ('Mia J, darum,
o Qakra, klage ich nicht, denn alles hienieden ist endlich.
6. (8093.) Endlich sind diese unsere Leiber und die der
iibrigen Wesen, o Herr der Gotter, darum, o Qakra, beklage
ich nicht, was ohne meine Schuld herbeigefiihrt ist.
7. (8094.) Das Leben und der Leib werden bei der Geburt
zusammen geboren, wachsen beide zusammen und gehen zu-
sammen wieder beide zugrunde.
8. (8095.) Denn keinerlei Beunruhigung, da ich einen der-
artigen entblofsten Zustand gegen meinen Willen erlangt
294 III. Mokshadharma.
habe und mir dessen bew uf st bleibe — welcherlei Beunruhigung
konnte mir werden, da ich dies weifs!
9. (8096.) Der Tod ist das Endziel der Wesen, wie der
Ozean das Endziel der Fliisse; die Menschen, welche dies
nicht vollstandig begreifen, gehen in der Irre, o Donnerkeil-
bewaffneter.
10. (8097.) Die nun, welche dies nicht erkennen und der
Leidenschaft und Verblendung huldigen, verzagen, wenn sie
ins Elend geraten, denn ihr Verstand lafst sie im Stiche.
11. (8098.) Wen aber sein Verstand nicht verlafst, der
stofst alle Siinde von sich ab und frei vom Bosen ergreift
er das Gute (sattvam) und kommt im Guten beharrend zur
Kuhe.
12. (8099.) Diejenigen hingegen, welche sich vom Guten
abwenden und immer wieder und wieder geboren werden,
werden jammerlich gequ^lt, indem sie durch diese Zwecke
hier sich angetrieben fiihlen.
13. (8100.) Gliickerlangung und Ungliick, Leben und Tod,
die Friichte der Lust und des Leides verabscheue ich nicht
und begehre sie auch nicht.
14. (8101.) Ein Toter totet einen Toten, wenn ein Mensch
den andern totet, „irr gehen dieser wie jener" (Kath. Up. 2,19),
der, welcher totet, und der, welcher getotet wird.
15. (8102.) Wenn einer totend und siegend mannhafte
Taten vollbringt, so ist nicht er der Tater, sondern ein
[anderer] Tater ist es, der die Tat vollbringt.
16. (8103.) Wer ist es denn, der beides, Vergang und
Neuentstehung der Welt, macht? Von einem Gemachten
wird jenes [menschliche Werk] gemacht, und sein eigent-
licher Tater ist ein anderer.
17. (8101.) Aus Erde, Feuer, Ather, Wasser und Wind
als lunftem, aus diesen sind die Wesen entsprungen, was
ware da zu beklagen!
18. (8105.) Der sehr Weise und der Unweise, der Starke
und der Schwache, der Ansehnliche und der Unansehnliche,
der Gliickliche und der Unglilckliche, —
19. (8106.) alles verleiht ihnen Kala (die Zeit), welcher
tief gegriindet ist in ihrer eigenen Kraft; und da dies alles
Adhyaya 224 (B. 224). 295
unter der Herrschaft des Kala steht, wie sollte ich mich be-
unruhigen, da ich dieses weifs.
20. (8107.) Der Mensch verbrennt nochmals, was schon
verbrannt war, getotet wird von ihm, was schon getotet war,
vernichtet wird das schon vorher Vernichtete und ergriffen
das, was zu ergreifen vorher bestimmt war.
21. (8108.) Keine Insel ist hier zu sehen, kein jenseitiges
Ufer und kein diesseitiges , keine Grenze erbhcke ich dieser
gotthchen Ordnung, so sehr ich dariiber nachdenke.
22. (8109.) Ja, wenn es nicht der Fall ware, dafs Kala
(die Zeit) vor meinen Augen vernichtete, dann konnte ich
vielleicht, o Gemahl der (^aci, Freude und Stolz und Zorn
hegen.
23. (8110.) Du aber, da du mich Hiilsen kauen, in einem
menschenleeren Hause wohnen und Eselsgestalt tragen siehst,
kommst zu mir und beschimpfst mich!
24. (8111.) Wollte ich es, so konnte ich ja meine Gestalten
noch vielfach umwandeln und so furchtbar machen, dafs du
bei ihrem Anblicke vor mir fliehen wiirdest.
25. (8112.) Kala (die Zeit) ist es, der alles nimmt, Kala,
welcher alles gibt, durch Kala wird alles verhangt; tue dir
nichts auf deine Mannhaftigkeit zugute.
26. (8113.) Ehemals zitterte alles, wenn ich ziirnte, o Stadte-
zerstorer, jetzt aber erkenne ich, o Qakra, dafs ein ewiges
Gesetz diese Welt regiert.
27. (8114.) Sieh auch du es so an und verfalle nicht in
Bewunderung deiner selbst; Entstehung und Macht stehen
nimmermehr bei uns selbst.
28. (8115.) Kindisch ist dein Geist, heute noch ebenso wie
vordem. Besinne dich, o Mach tiger, und komme zu einer
verstandigen Auffassung.
29. (8116.) Gotter und Menschen, Vater, Gandharven,
Schlangen und Kobolde standen alle unter meiner Herrschaft,
das alles weifst du, o Vasava.
30. (8117.) „Verehrung sei der Himmelsgegend, in welcher
Bali, der Sohn des Virocana, weilt!" mit solchen Worten
kamen sie auf mich zu, in ihrem Geiste durch Selbstsucht
verblendet.
296 m. Mokshadharma.
31. (8118.) Ich bin dariiber nicht betriibt, nicht iiber
nieinen Sturz, o Gemahl der Qaci. Denn mir ist das sichere
Bewufstsein geworden, dafs ich unter der Gewalt eines
[andern] Herrn stehe.
32. (8119.) Die Erfahrung zeigt, wie ein Hochgeborener,
an Ansehen und Majestat Eeicher mitsamt seinen Angehorigen
oft im Leiden lebt, denn es mufste so sein.
33. (8120.) Und wiederum zeigt die Erfahrung, wie ein
niedrig Geborener, der noch dazu torichten Sinnes und von
schlechter Art war, o ^akra, mitsamt seinen Angehorigen
oft in Freuden dahinlebt, denn es mufste so sein.
34. (8121.) Ein schones, edelgestaltetes Weib lebt oft im
Ungliick, o Qakra, und eine andere, die unansehnhch und
mifsgestaltet ist, lebt im Gliick.
35. (8122.) Es ist nicht unser Werk, o Qakra, und ist,
o Qakra, nicht dein Werk, dafs es dir so ergeht, o BUtz-
schleuderer, und dafs es uns so ergangen ist.
36. (8123.) Nicht ist dieses Werk von dir (bhavatd mit C.)
gewirkt worden, oder meines; sei es Gliick oder sei es Un-
gliick, es wird gewirkt durch den Umschwung [der Zeit].
37. (8124.) Ich sehe dich als Herrscher und Gotterkonig
feststehend, im Gliicke und im Glanze donnernd iiber mir.
38. (8125.) Hatte nicht Kala mich in dieser Weise iiber-
mannt, so wiirde ich dich heute mitsamt deinem Donnerkeil
mit meiner Faust niederstrecken.
39. (8126.) Aber es ist jetzt keine Zeit zu tapferen Taten,
die Zeit der Beruhigung ist gekommen. Kala ist es, der
alles ordnet, Kala, der alles zur Reife bringt.
40. (8127.) Wenn mich Kala iiberkommen hat, der ich als
Fiirst der Danava's geehrt war, welchen andern, der da
donnert und leuchtet, wird er nicht iiberkommen?
41. (8128.) Ich war es, der ich als nur einer die Krafte
von euch zwolf hochmachtigen Aditya's alien gestiitzt habe,
o Gotterkonig.
42. (8129.) Ich ziehe die Wasser empor (dpah Ace!) und
schiitte sie herab, o Vasava, ich erwarme die drei Welten,
und ich allein erleuchte sie.
Adhyaya 224 (B. 224). 297
43. (8130.) Icli erhalte und ich zerstore, ich gebe und ich
nehme, ich umfasse und ich bandige als Herr und Gebieter
in den Welten.
44. (8131.) Diese Herrschermacht ist mir jetzt benommen,
o Herr der Gotter, von der Heeresmacht des Kala bin ich
gestiirzt worden, und das alles erglanzt mir nicht mehr.
45. (8132.) Nicht ich bin der Tater und nicht du bist es,
und auch kein anderer ist der Tater, o Gemahl der Qaci;
durch den Zeitumschwung werden die Welten beherrscht, o
Qakra, wie es der Zufall fiigt.
46. (8133.) Ihn, dessen M'ohnung Monate und Halbmonate,
dessen Gewand Tag und Nacht, dessen Pforten die Jahres-
zeiten, dessen Giebel das Jahr ist [varsha mit C), soil man,
wie die der Lebenswissenschaft kundigen Menschen
47. (8134.) sagen, als dieses Weltall betrachten, wie einige
Menschen ihn ihrer Weisheit [lehren], und die fiinf Seiten
dieser Betrachtung konnte ich [nach Taitt. Up. 2, wo jede
der fiinf Hiillen des Brahman fiinffach zergliedert wird] noch
fiinffach umschreiben.
48. (8135.) Aber tief und unergriindlich ist das Brahman
wie ein grofser Wasserozean, als anfanglos und endlos schildern
sie es, als das Unwandelbare und das Wandelbare.
49. (8136.) Als eingehend in das Lihgam [den die Seele
umhiillenden psychischen Apparat] und doch als jenes an
sich Liiigalose, als den Unwandelbaren betrachten ihn die
Menschen, welche die Wahrheit schauen.
50. (8137.) Wenn sie aber behaupten, dafs er, der Heilige,
die Umwandlung der Wesen bewirke [die Weltursache sei],
so darf doch nicht soweit gegangen werden [das Kausalitats-
gesetz findet auf Brahman keine Anwendung], noch auch
[bis zu der Frage], woraus er wiederum entstanden sei.
51. (8138.) Er ist das Ziel aller Wesen, wohin konnte
einer gehen, wenn nicht zu ihm, der auch von einem Laufen-
den nicht zu iiberholen ist, ja, der, auch wenn er still steht,
nicht iiberholt werden kann (vgl. tga Up. 4).
52. (8139.) Ihn nehmen alle Sinne, fiinffach wie sie sind,
nicht wahr, ihn nennen einige Agni, einige Prajapati,
53. (8140.) ihn bezeichnen andere als Jahreszeiten, Monate
298 HI. Mokshadliarina.
und Halbmonate, als Tage und Momente, als Vormittag, Nach-
mittag oder Mittag,
54. (8141.) oder auch als Stunde, indem sie ihn den einen
in vielfacher Weise benennen, du aber wisse ihn als Kala
(die Zeit), in dessen Gewalt die ganze Welt ist.
55. (8142.) Viele tausend Indra's, o Vasava, die mit Kraft
und Mannheit ausgestattet waren, wie du, o Gatte der Qaci,
sind schon voriibergegangen.
56. (8143.) Und auch dich, o (^'akra, den Ubermachtigen,
den Gotterkonig, den Kraftstrotzenden , wird, wenn die Zeit
da ist, der grolsmachtige Kala zur Ruhe bringen,
57. (8144.) der diese ganze Welt verschlingt; darum, o
(^akra, bleibe ruhig; nicht von mir, noch von dir oder von
den friiheren ist es moglich, ihn abzuwehren.
58. (8145.) Diese hochste konigliche Herrlichkeit, von der
du dir bewufst bist, sie erlangt zu haben, wenn du glaubst,
dafs die in deiner Gewalt stehe, so irrst du dich; sie steht
in niemandes Gewalt.
59. (814C.) Denn sie stand in der Hand von tausend Indra's,
welche weit vortrefflicher waren als du; mich hat die un-
stete verlassen und ist auf dich iibergegangen , o Herr der
Gotter.
60. (8147.) Betrage dich nicht wieder, wie du es getan
hast, o Qakra, beruhigt solltest du werden; denn auch von
dir, wenn sie dich in deinem Stolze sieht, wird die Herrlich-
keit bald auf einen andern iibergehen.
So lautet jm Mokshadharma die Unterredung zwischen Bali tiud Indra
(Bali- Vdsaca- aaincdda).
AclhyAya !2*25 (B. *^t>5).
Vers 8148-8186 (B. 1-38).
Bhishma sprach:
1. (8148.) Da sail der hundertkraftige Gott, wie aus dem
hochherzigen Bali mit Glanz die leibhaftige (-Yi (Gliicksgottin)
aus seinem Leibe herauszog.
Adhyiiya -I'lb (B. 22o). 299
2. (8149.) Als der erhabene Damonenziichtiger diese von
Glanz flammend erblickte, da richtete er, der Vasava, mit
vor Erstaunen weit geoffneten Augen an den Bali die Frage.
^'akra sprach:
o. (8150.) 0 Bali, wer ist diese Glanzende, Federbusch-
geschmiickte, welche soeben aus dir auszog, aus dir, in dem
sie mit Armspangen geziert und mit eigenem Glanze strah-
lend geweilt hatte?
Bali sprach :
4. (8151.) Weder als eine Damonin noch als eine Gottin
Oder als ein Menschenweib erkenne ich sie; frage sie selbst
oder frage sie nicht, mache es, o Vasava, wie du willst.
(j!akra sprach:
5. (8153.) Wer bist du, die du glanzend und federbusch-
geschmiickt aus dem Bali ausgezogen bist? Sage mir, der
ich ihn nicht kenne, deinen Namen, o heiter Lachelnde.
6. (8153.) Wer bist du, die du in dieser Weise in eigenem
Glanze strahlend an mich herantrittst, nachdem du den Besten
der Daitya's verlassen hast, o Schonbrauige ? Das beantworte
mir auf meine Frage.
Die (^vi (Gliicksgottin) sprach :
7. (8154.) Mich kennt nicht Virocana und nicht dieser von
Virocana stammende Bali; sie nennen mich die Schwerzu-
ertragende und auch als die Tatendurstige kennen sie mich.
8. (8155.) Auch als die Fiille (hhutij und die Schonheit
flakshmij bezeichnen sie mich, oder auch als das Gliick (grij,
0 Vasava. Du kennst mich nicht, o (^'akra, alle Gotter wissen
nicht, wer ich bin.
(^akra sprach:
9. (8156.) Geschieht es um meinetwillen oder um des Bali
willen, dafs du, o Schwerzuertragende, ihn in dieser Weise
verlafst, nachdem du lange in ihm geweilt hattest?
300 in. Mokshadharma.
Die ^ri sprach:
10. (8157.) Kein Schopfer ist es und kein Ordner, der
mich irgendwie verordnet, sondern Kala (Zeit) ist es, welcher
kreist, den mogest du, o (^akra, nicht gering achten.
^•akra sprach:
11. (8158.) Wie kommt es, dafs Bali von dir verlassen
wurde, oder warum geschah es, o Federbuschgeschmiickte,
und wie mache ich es, dafs du mich nicht verlassest; das
sage mir, o heiter Lachelnde.
Die Qri sprach:
12. (8159.) Ich weile, wo Wahrheit, Freigebigkeit, Ge-
liibde, Askese, Mannhaftigkeit und Pflicht sind, von ihnen
alien hat sich Bali abgewandt.
13. (8160.) Ehedem war er brahmanenfreundlich, die Wahr-
heit redend und die Sinne bezahmend, dann aber zeigte er
UbelwoUen (abhyasiiyat) gegen die Brahmanen und beriihrte
mit ungewaschenen Handen die Opferbutter.
14. (8161.) Er war stets opfereifrig gewesen und hatte
selbst die Opfer mir dargebracht; aber er nahm die Welten
in Anspruch, torichten Sinnes und von Kala heimgesucht.
15. (8162.) Von ihm mich loslosend, o (^akra, werde ich
in dir wohnen, o Vasava ; durch Besonnenheit mufst du mich
festhalten, durch Askese und Tapferkeit.
^akra sprach:
16. (8163.) Nicht unter Gottern und Menschen, nicht unter
alien Wesen gibt es einen Mann, der dich als einziger in
seine Gewalt bringen konnte, o Lotosbewohnende !
Die rjri sprach:
17. (8164.) Allerdings gibt es keinen Gott, Gandharva,
Damon oder Kobold, der mich als einziger in seine Gewalt
bringen konnte, o Stadtezerstorer.
^akra sprach :
18. (8165.) Wie du fiir immer in mir weilen kannst, das
sage mir, o Schone, und was du mir sagst, das werde ich
tun, dies mogest du mir wahrheitsgemafs sagen.
Adhyaya 225 (B. 225). 301
Die (^ri sprach:
19. (8166.) Wie ich fiir immer in dir weilen kann, o Gotter-
fiirst, das vernimm : Nach der im Veda enthaltenen Vorschrift
zerlege mich in vier Teile.
(^akra sprach:
20. (8167.) Gewifs, ich werde dich unterbringen, wo Kraft
und Macht, dich zu tragen, ist, nur moge mir, o Lakshmi,
kein Vergehen dir gegeniiber jemals begegnen.
21. (8168.) Die Erde gilt unter den Menschen als die
Tragerin und Wesenbildnerin , sie wird ein Viertel von dir
tragen konnen, denn sie ist dazu imstande, so meine ich.
Die ^ri sprach:
22. (8109.) Dieses Viertel von mir ist wohlgeborgen,
welches auf der Erde ruht; nun, o (^akra, sorge daher, dal's
auch mein zweites Viertel wohlgeborgen sei.
(^akra sprach:
23. (8170.) Die Wasser gelten unter den Menschen als die
Fliefsenden und Umschliefsenden (paricdrimh Nom. PI.) ; die
mogen ein Viertel von dir tragen, denn die Wasser sind im-
stande, es zu tragen.
Die ^ri sprach:
24. (8171.) Dieses Viertel von mir ist wohlgeborgen,
welches in den Wassern ruht; nun, o ^akra, sorge daher,
dafs auch mein drittes Viertel wohlgeborgen sei.
(^akra sprach:
25. (8172.) Das, worauf die Veden und die Opfer, worauf
die Gotter gegriindet sind, das Feuer wird dein drittes Viertel
tragen, so wird es wohlgetragen sein.
Die ^ri sprach :
26. (8173.) Dieses Viertel von mir ist wohlgeborgen,
welches im Feuer ruht ; nun, o Qakra, sorge daher, dafs auch
mein viertes Viertel wohlgeborgen sei.
302 III. Mokshadharma.
^)akra sprach :
27. (S174.) Diejenigen unter den Menschen, welche gut
und fromm und Wahrheit redend sind, die mogen ein Viertel
von dir tragen, die Guten sind imstande, es zu tragen.
Die Tri sprach :
28. (8175.) Dieses Viertel von mir ist wohlgeborgen,
welches in den Guten ruht; in dieser Weise also, o Qakra,
mache mich wohlgeborgen in den Wesen.
^^akra sprach:
29. (8176.) Wer unter den Wesen dich, nachdem ich dich
in ihnen wohlgeborgen habe, verletzen will, der ist von mir
zu bekampfen; mogen sie dieses mein Wort vernehmen! —
(8177.) Da sprach der von der (^ri verlassene Bali, der Konig
der Daitya's.
Bali sprach:
30. (817S.) Solange das Tagesgestirn im Osten leuchtet,
solange erleuchtet es auch die siidliche und westliche, so-
lange auch die nordliche Himmelsgegend.
31. (8179.) Wenn aber die Sonne ebenso [leuchtend] im
Mittag [stehend] nicht [mehr] untergeht, dann soil der Kampf
zwischen Gottern und Damonen wieder entbrennen, dann
werde ich euch besiegen.
32. (8180.) Ja, wenn die Sonne an dem einen Punkte fest-
stehend alle Welten bestrahlen wird (vgl. Chand. Up. 3,11,1),
dann werde ich in dem Kampfe zwischen Gottern und Da-
monen dich besiegen, o Hun der tkraf tiger!
■ Qakra sprach :
33. (8181.) Von Gott Brahman bin ich angewiesen worden,
dich nicht zu toten (oben Vers 8068), darum schleudere ich,
o Bali, den Donnerkeil nicht auf dein Haupt.
34. (8182.) Gehe, wohin es dir beliebt, o Fiirst der Daitya's,
moge es dir wohl ergehen, o grofser Damon; denn niemals
wird die Sonne so leuchten, dafs sie in der Mitte feststeht.
Adhyaya -225 (B. 225). 303
35. (8183.) Denn ihre Satzung ist ehedern von dem durch
sich selbst Seienden bestimmt worden, unermiidlich wandelt
sie um in Treue, die Geschopfe erwarmend.
3(). (8184.) Ihr Gang geht sechs Monate nach Norden und
ebenso nach Siiden, auf dem sie in den Welten wandelt, die
Sonne, Kalte und Warme verbreitend.
Bhishma sprach:
37. (8185.) Nachdem zu Bali, dem Fiirsten der Daitya's,
von Indra so gesprochen worden war, o Bharata, ging jener in
die siidliche Gegend und der Stadtezerstorer in die nordliche.
38. (8186.) Nachdem er dieses von Bali vorgetragene,
durch Freiheit und Selbstsucht gekennzeichnete Wort ver-
nommen hatte, stieg der Tausendaugige zum Ather empor.
So laiitet im Mokshadharma die Verteihiiig der GlucksgSttin
(Qri - taiiini'l/idnarii).
Ailliyaya 226 (B. 22(y).
Vers 8187-8211 (B. 1-23).
Bhishma sprach:
1. (8187.) Dariiber erzahlt man sich auch folgende alte
Geschichte, namlich die Unterredung zwischen dem Hundert-
kraftigen (Indra) und Namuci, o Yudhishthira.
2. (8188.) Zu ihm, der vom Gliick verlassen dasafs, still
wie ein unbewegtes Meer, und das Entstehen und Vergehen
der Wesen kannte, sprach folgendermafsen der Stadte-
zerstorer :
3. (8189.) Mit Stricken gebunden, aus deiner Stellung ver-
stofsen, in die Hand deiner Feinde gegeben und vom Gliick
verlassen, o Namuci, beklagst du dich oder beklagst du dich
nicht? (vgl. Vers 803i).
Namuci sprach :
4. (8190.) Durch unabwendbares Leid wird der Korper
gequalt und die Feinde freuen sich, im Leid hat man keine
Genossen.
k.
304 III- Moksliadharma.
5. (8191.) Darum, o ("akra, klage ich nicht, denn alles
auf dieser Welt ist verganglich, durch das Leiden wird die
Gestalt hinfallig, durch das Leiden wird man hinfallig von
seinem Gliick.
6. (8192.) Durch Leiden wird das Leben hinfiilHg und auch
die Pflicht, o Herr der Gotter; wer aber den Schmerz dar-
iiber von sich fern halt, in dessen Geist tritt das Ewige
hervor.
7. (8193.) Dann soil man mit bewufstem Geiste das im
Herzen befindliche Schone iiberdenken, und so oft ein Mensch
seinen Geist auf dieses Schone richtet, (8194.) so oft gehen
ihm alle seine Wiinsche in Erfiillung (Chand. Up. 8,3,2), daran
ist kein Zweifel.
8. (8195.) Ein Gebieter ist, es gibt keinen zweiten, ihm
gleichen Gebieter; dem Menschen, schon wenn er noch
im Mutterleibe liegt, gebietet dieser Gebieter; von ihm
getrieben strome ich wie Wasser den Abhang herab, je
nachdem er mich antreibt.
9. (8196.) Indem ich Entstehen und Vergehen erkenne
und aus dieser Erkenntnis heraus mir des Wertvolleren,
Besseren bewufst bin, bin ich es doch nicht, der das-
selbe verwirklicht , sondern, wenn ich fiir pflichtmafsige
oder fur pflichtwidrige Hoffnungen tatig bin, strome ich,
so wie ich von ihm getrieben werde.
10. (8197.) Je nachdem einer dazu bestimmt ist, etwas
zu erlangen, dementsprechend erlangt er es, und wie etwas
bestimmt ist, zu geschehen, dementsprechend geschieht
es auch.
11. (8198.) Und wozu immer einer vom Schopfer schon'
im Mutterleibe immer wieder [bei jeder neuen Geburt] be-
stimmt ist, darin verharrt er, und nicht in dem, was er
selbst wiinscht.
- 12. (8199.) Dieser Standpunkt, zu dem ich herabgekommen
bin, zu dem war es mir bestimmt zu kommen; wer allezeit
einen solchen Standpunkt [der Welt gegeniiber] einnimmt,
der wird nie in Verwirrung geraten.
13. (8200.) Durch die Zeitlaufte werden die Menschen
herumgestofsen und keiner ist, der sie beschuldigen konnte;
Atlhyaya 226 (B. 226). 305
aber darin besteht das Leid, dafs der Unzufriedene wahnt,
er selbst sei der Tater.
14. (8201.) Mogen es Weise sein oder Goiter, oder
grofse Damonen, Kenner der drei Veden oder Einsiedler
im Walde, wer ist nicht [besser ware nu „wohl"], den
in der Welt das Ungliick nicht beugte ! Die aber, welche
das Hochst-und-Tiefste (Mund. Up. 2,2,8) erkannt haben,
werden dadurch nicht erschtittert.
1.0. (8202.) Der Weise ztirnt nicht mehr und strebt
nicht mehr, er ist nicht verzagt imd freut sich nicht;
auch in iiberaus {ati mit Nil.) schlimmen Notlagen ist
er nicht bekiimmert, sondern steht seiner Natur nach
unerschiitterlich wie der Himalaya.
16. (820.S.) Wen das hochste Gelingen seines Vorhabens
nicht verwirrt macht und wen ebenso eine zeitweilige
Notlage nicht verwirrt macht, wer vielmehr Lust und
Leid sowie den mittlern Zustand ruhig hinnimmt, der
Mann ist ein Fiihrender.
17. (8204.) In welchen Zustand auch immer ein Mensch
geraten mag, mit dem gebe er sich zufrieden und harme
sich nicht, indem er auf diese Weise jede erwachsende,
im Herzen aufkeimende, Kummer bereitende Pein von
seinem Leibe fernhalt.
18. (8205.) Es gibt keine Sitzung, keine Zusammen-
kunft der Guten, keine Ratsversammlung, in welche ein-
tretend er nicht jederzeit Furcht einflofst; er, der Ver-
standige, welcher das Wesen des Gesetzes ergrlindet hat
und versteht, der Mann ist ein Fiihrender.
19. (8206.) Die Werke des Weisen sind schwer zu voll-
bringen ; der Weise wird nicht verwirrt zur Zeit der Ver-
wirrung, und auch wenn er, der Beste, von seiner Stelle
herabgestofsen ist, gerat er nicht in Verwirrung, er, der
Erfahrene, wenn er ein so elendes Mifsgeschick er-
litten hat.
20. (8207.) Nicht durch Zauberspriiche, Kraft oder Tapfer-
keit, Weisheit und Mannhaftigkeit , nicht durch Charakter-
festigkeit, nicht durch sein Verhalten noch auch durch Gliick
in seinen Unternehmungen , (8208.) kann der Sterbliche er-
Deussen, Mababharatam. 20
306 III- Mokshadliarma. ,
langen, was ihm zu eriangen versagt ist — was hilft es da
zu klagen!
21. Was in dieser Weise dem Spatergeborenen die Welt-
ordner vorher bestimmt haben, (8209.) dem werde ich nach-
kommen, was kann mir der Tod anhaben!
22. Man erapfangt nur, was man empfangen sollte, man
geht nur, wohin man gehen sollte, (8210.) man kommt nur zu
dem, wozu man kommen sollte, mag es Leid oder Lust sein.
23. Der Mann, welcher dieses vollstandig erkannt hat
und nicht in Verwirrung gerat, (8211.) sondern in alien Leiden
gefafst bleibt, das ist ein alles besitzender Mann.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen (^'akra und Namuci
(<^akfa-JS'amuci-samvdda).
Adliyaya '^21 (B. 2211),
Vers 8212-8332 (B. 1-119).
Yuclhislithira sprach :
1. (8212.) Was ist fiir einen Mann, der in jammerlichen
Zustand herabgesunken ist, das Beste, o Erdeherr, wenn er
seine Verwandten verloren oder auch sein Konigreich ver-
loren hat?
2. (8213.) Du bist ja fiir uns der beste Erklarer in dieser
Welt, o Stier der Bharata's; dich befrage ich dariiber, das
mogest du mir erklaren.
Bhishma spracli :
3. (8214.) Wenn einer von Kindern und Gattinnen, von
Freuden und Reichtum entblofst und in einen jammerlichen
Zustand herabgesunken ist, dann ist, o Fiirst, dasjenige, was
sein Bestes fordert, Standhaftigkeit.
4. (8215.) Der Leib, welcher immerfort durch Standhaftig-
keit aufrecht erhalten wird, gerat nicht in Verfall; Freiheit
von Gram gewahrt Behagen und gewahrt grofste Gesundheit.
5. (8216.) Durch Gesundheit des Leibes aber kommt wieder
zu Gliick ein Mann, der verstandig ist und an einem sattva-
artigen Verhalten festhalt.
Adhyaya 227 (B. 227). 307
6. (8217.) Ein soldier besitzt Herrschaft und Festigkeit
und Entschlossenheit im Handeln. Gerade dariiber erzahlt
man sich folgende alte Geschichte,
7. (8-218.) namlich die abermalige Unterredung zwischen
Bali und dem Vasava (Indra), o Yudhislithira, Als in dem
Kampfe zwischen Gottern und Damonen die Vernichtung der
Daitya's und Danava's vollendet war,
8. (8219.) als Vishnu die Welten durchschritt, der Hundert-
kraftige (Indra) als Gotterkonig thronte, die Gotter verehrt
wurden und das Vierkastensystem festgestellt worden war,
9. (8220.) als die drei Welten nur Gliick kannten und der
Durch-sich-selbst- seiende von Freude erfiillt war, da geschah
es, dafs, von Rudra's, Vasu's, den Aditya's, den AQvin's, so-
wie von Rishi's,
10. (8221.) Gandharva's, Schlangenfiirsten und sonstigen
seligen Wesen umgeben, der Herr seinen viergezahnten, wohl-
gezahmten, von Schonheit umgebenen Elefantenfiirsten, (8222.)
seinen Airavana, er, der (^akra, bestieg und die drei Welten
durchzog.
11. Da geschah es, dafs der Donnerkeiltrager einstmals
am Rande des Meeres in einer Berghohle (8223.) den Bali, den
Sohn des Virocana, erblickte und sich ihm naherte.
12. Aber obgleich Bali ihn auf dem Haupte des Airavata
thronend und von Gotterscharen umgeben sah, (8224.) ihn, den
Gotterfiirsten Indra, er, der Daityafiirst , so klagte er doch
nicht und kam nicht aus der Fassung.
13. Als er nun ihn, den Bali, so sah, wie er dastand
ohne seine Haltung zu verandern und furchtlos, (8225.) da
sprach zu ihm der auf dem Besten der Elefanten reitende
hundertkraftige Gott:
14. 0 Daitya, dafs du unerschiitterlich bleibst, sei es
aus Heldenmut, sei es weil du durch Verehrung der alten
Weisen (8226.) und Askese gefafsten Geistes bist, jedenfalls
mufs das sehr schwer zu vollbringen sein.
15. Da du von deinen Feinden unterjocht worden und
der hochsten Stellung verlustig gegangen bist, (8227.) worauf,
o Sohn des Virocana, stiitzest du dich, wenn du iiber das
Beklagenswerte nicht klagst?
20*
308 in. Mokshadharma.
16. Du, der du unter den Deinigen die hochste Stelle
einnahmst und grofser, unvergleichlicher Geniisse teilhaft
warst, (8228.) und der du jetzt deines Besitzes, deiner Kleinodien
und deines Reiches beraubt bist, sage mir, wie es kommt,
dafs du nicht klagst.
17. Einstmals warst du der Herr auf dem Throne deines
Vaters und Grofsvaters, (8229.) heute mufst du zusehen, wie er
dir von deinen Widersachern entrissen ist; wie kommt es,
dafs du nicht klagst?
18. Du, mit den Fesseln des Varuna gebunden und von
dem Donnerkeile getroffen, (8230.) der Gattin beraubt und der
Giiter beraubt, sage mir, warum du nicht klagst.
19. Da du dein Gliick verloren hast und aus deiner Macht
herabgestiirzt bist, mufs es dir doch schwer fallen, nicht zu
klagen; (8231.) welcher andere wiirde wohl nach Verlust der
Herrschaft iiber die drei Welten es ertragen, noch weiter zu
leben !
20. Ihn (den Indra), der dieses und anderes Rauhe
sprach, mit Geringschatzung (8232.) und behaghch ohne Er-
regung angehort habend, erwiderte Bah, der Sohn des
Virocana.
Bali sprach:
21. (8233.) Nachdem ich so schwer gedemiitigt bin, o Qakra,
was soil da dein Gerede! Ich sehe dich jetzt mit geziicktem
Donnerkeile vor mir stehen, o Stadtezerstorer.
22. (8234.) Und vordem warst du machtlos und bist mit
knapper Not zur Macht gelangt! Wer aufser dir vermochte
wohl soldi eine rohe Rede zu fiihren!
23. (8235.) Nur den, welcher imstande ist, fur den unter-
worfenen Feind, den er in der Gewalt hat, Mitleid zu fiihlen,
fiir ihn, der als ein Held in seine Hande gelangt ist, nur
einen solchen kann man fur einen Mann halten.
24. (8236.) Wenn zwei in Kampfen gegeneinander streiten,
so besteht doch Unentschiedenheit, einer nur kann siegen
und einer mufs unterliegen.
25. (8237.) Es hatte auch geschehen konnen, dafs diese
Stellung dir nicht zuteil wurde, o Gotterstier, und dafs du.
Adhyaya 227 (B. 227). 309
der du jetzt der Herr iiber alle Wesen bist, durch Tapferkeit
mit Gewalt besiegt worden warest.
26. (8288.) Es ist nicht mein Werk, o (^akra, und es ist,
o Qakra, auch nicht dein Werk, dafs es dir so ergangen ist,
o Donnerer, und dafs es mir so ergangen ist.
27. (8239.) Ich war einst, was du heute bist und du kannst
einst werden, was ich bin; verachte nicht, was ich geleistet
habe, mag es milslungen sein oder nicht.
28. (8240.) Lust und Leid erlangt der Mensch durch den
Zeitlauf ; durch den Zeitlauf bist du zum Qakrasein gelangt,
o Qakra, und nicht durch dein Werk.
29. (8241.) Kala (der Gott der Zeit) fiihrt mich im Lauf
der Zeit, aber ebenso fiihrt Kala auch dich. Darum stehe
ich heute nicht da, wo du stehst, und du nicht, wo ich stehe.
30. (8242.) Nicht Gehorsam gegen Mutter und Vater, nicht
Verehrung der Gotter, nicht andere Betreibung einer Tugend
fiihrt den Menschen zum Gliick.
31. (8-243.) Nicht das Wissen, nicht Askese und Freigebig-
keit, nicht Freunde und Verwandte sind imstande, einen
Menschen zu retten, wenn er von Kala bezwungen wird.
32. (8244.) Ein herankommendes Unheil konnen die Men-
schen nicht durch hundert Vorkehrungen abwenden unge-
achtet der Kraft ihrer Einsicht.
33. (8245.) Fiir die, welche durch die Zeitlaufte getroffen
werden, gibt es keinen Retter, aber das schmerzt, dafs du,
o Qakra, wahnst, du seiest der Tater.
34. (8246.) Ware der Tater wirklich der Tater, so konnte
er niemals erschaffen worden sein; weil aber der Tater er-
schaffen worden ist, darum ist er, obgleich Tater, doch nicht
Herr seiner Tat.
35. (S247.) Durch Kala habe ich dich besiegt und durch
Kala bin ich von dir besiegt worden; Kala ist der Gehende
in denen, die da gehen, Kala ist es, der die Geschopfe an-
treibt (kalayatij.
36. (8248.) 0 Indra, wegen deiner niedrigen Einsicht wirst
du dir der Verganglichkeit nicht bewufst, und auch manche
andere schatzen dich hoch, gleich als hattest du durch eigene
Tat die Oberherrlichkeit erlangt.
310 in. Mokshadharma.
37. (8249.) Aber wie konnte wohl einer wie ich, der den
Lauf [pravrittayah als Akk.) der Welt kennt, wenn er von
Kala getroffen wird, klagen, oder verwirrt oder auch nur er-
schiittert werden.
38. (8250.) Sollte wohl je in mir oder meinesgleichen,
wenn die Zeit uns iibermannt, unser Verstand, wenn wir in
Not geraten, wie ein leckes Schiff versinken?
39. (8251.) Ich und du und alle anderen Gotterherren, die
da kommen werden, sie alle, o Qakra, werden den Weg gehen,
den hundert Indra's vor ihnen gegangen sind.
40. (8252.) Auch dich, der du so schwer zu bewaltigen
bist und im hochsten Gliicke strahlst, wird, wenn die Zeit
herum ist, der Zeitgott forttreiben wie mich.
41. (8253.) Viele tausend Indra's und [andere] Gottheiten
sind im Laufe der Weltperioden von Kala iiberholt worden,
denn Kala (die Zeit) ist schwer zu iiberholen.
42. (82B4.) Du aber, nachdem du diese Stellung erlangt
hast, diinkest dich etwas Grofses zu sein, als warest du der
Urgrund aller Wesen, der ewige Gott Brahman.
43. (8255.) Und doch ist diese Stellung nicht unerschiitter-
lich, noch ewig, wer sie auch immer einnehmen mag; du
aber wahnst mit kindischem Verstande: dieses ist mein.
44. (8256.) Du vertraust auf das, worauf nicht zu vertrauen
ist, und wahnest an dem Verganglichen ein Unvergangliches
zu haben, und dem ist so, o Herr der Gotter, obgleich dein
Wesen immerdar von Kala iiberwaltigt wird.
45. (8257.) In deiner Verblendung bist du bestrebt, die
Konigsherrlichkeit dir zu erhalten, indem du glaubst, sie sei
dein ; sie ist aber weder dein noch mein, noch irgendwelchen
andern bestandig zu eigen.
46. (8258.) Denn sie ist liber viele andere hinweggegangen
und endlich zu dir gelangt; und nachdem sie einige Zeit dir
treu geblieben ist, wird sie, o Vasava, ihre Wankelmiitig-
keit zeigen.
47. (8259.) Wie eine Kuh, die ihre Behausung verlal'st,
wird sie wieder zu einem andern gehen; Konigswelten sind
schon vor ihr iibergangen worden, mehr als ich aufzuzahlen
vermag.
Adhyaya 227 (B. 227). 311
48. (8260.) Und viele andere werden nach dir kommen,
o Stadtezerstorer ; diese Erde mitsamt ihren Baumen, Krau-
tern und Edelsteinen, mitsamt ihren Geschopfen, Waldern
und Fundgruben,
49. (8261.) sie ist ehemals von denen genossen worden,
welche ich jetzt nicht mehr sehe: Prithu, Ailomaya, Bhima,
Naraka und Qambara,
50. (8262.) Agvagriva und Puloman, Svarbhanu, Amita-
dhvaja, Prahrada, Namuci, Daksha, Vipracitti, Virocana,
51. (826.S.) Hrinisheva und Suhotra, Bhurihan, Pushpavan,
Vrisha, Satyeshu, Kishabha, Bahu, Kapilaksha, Virupaka,
52. (8264.) Bana, Kartasvara, Vahni, Vigvadanshtra, Nair-
riti, Sankoca, Varitaksha, Varahagva, Ruciprabha,
53. (8265.) Vigvajit und Pratirupa, Vrishanda, Vishkara,
Madhu, Hiranyakagipu und der Danava Kaitabha,
54. (8266.) die Daiteya's und die Danava's, diese alle mit-
samt den Nairrita's, diese und viele andere friihere und noch
friihere,
55. (8267.) die Daityafiirsten und Danavafursten, und von
welchen anderen wir noch gehort haben, viele vormalige
Daityafiirsten, — sie haben die Erde verlassen und sind dahin-
gegangeUi
56. (8268.) Diese alle sind von Kala niedergeworfen, denn
Kala ist starker als sie alle ; und doch wurde von ihnen alien
mit hundert Opfern geopfert, nicht du allein bist der Hundert-
opferhafte.
57. (8269.) Auch sie alle achteten die Opferpflicht als das
Hochste, auch sie alle vollbrachten immerfort grofse Soma-
opfer, auch sie alle durchwandelten den Luftraum, auch sie
alle kampften Angesicht gegen Angesicht.
58. (8270.) Sie alle waren mit Korperkraft begabt, hatten
alle Arme wie Torbalken, besafsen alle hundert Zauberkrafte,
vermochten alle beliebige Gestalten anzunehmen.
59. (8271.) Sie alle gingen in den Kampf, und man hort
nicht, dafs sie je besiegt worden seien, sie alle schiitzten es
als Hochstes, dem Geliibde treu zu bleiben, sie alle ergingen
sich nach Belieben.
60. (8272.) Sie alle achteten das vedische Geliibde als das
312 ni. Mokshadliarma,
Hochste, waren alle sehr bewandert in der heiligen Schrift
und liatten alle als Gottherren die erwiinschte Gottherrlich-
keit erlangt.
61. (8273.) Und alle diese Hochherzigen batten ebemals
keinen Hocbmut wegen ibrer Gottberrlichkeit, sondern alle
spendeten, wie es sicb gebiihrt, und waren alle von Selbst-
sucbt frei.
62. (8274.) Sie alle gingen mit alien Wesen in geziemender
Weise um, waren alle Sobne der Daksbatochter und macb-
tige Nacbkommen des Prajapati.
63. (8275.) Aber obgleicb sie leucbteten und funkelten,
wurden sie docb von Kala fortgerissen , und audi du, wenn
du diese Erde genossen babend sie wieder verlassen mufst,
64. (8276.) wirst, o Qakra, alsdann nicbt imstande sein,
den Kummer deines Herzens zu iiberwinden. Lafs fabren
den Wunscb nacb Geliisten und Geniissen, lafs fabren den
aus deinem Gliick entspringenden Hocbmut.
65. (8277.) Dann wirst du beim Verluste deiner Selbst-
berrscbaft den Scbmerz zu ertragen vermogen; zur Zeit des
Rummers mogest du nicbt bekiimmert, zur Zeit der Freude
nicbt freudig sein.
66. (8278.) Lafs das Vergangene und das Zukiinftige auf
sicb beruben und befasse dicb mit dem, was dir gegenwartig
zuteil geworden ist, indem du unverdrossen bleibst, wenn die
Zeit wieder fiir micb kommen wird, der icb stets darauf ge-
fafst bin.
67. (8279.) Halte an dicb, o Indra, bald wird [Kala] audi
dicb iiberkommen; wenn du micb bier bedrobst, o Fiirst der
Gotter, so zerbaust du micb gleicbsam mit blofsen Worten.
68. (8280.) Jetzt freilicb, wo icb niedergebalten bin, diinkst
du dicb grofs; aber Kala bat micb zuerst beimgesucbt, und
spater bolt er dicb ein.
69. (8281.) Darum donnerst du jetzt, o Fiirst der Gotter,
weil icb vorber durcb Kala niedergeworfen bin; denn wer
konnte sonst in der Welt standbalten im Kampfe gegen micb,
wenn icb ziirne!
70. (8282.) Aber Kala, der Macbtige, ist fiir dicb ge-
koriimen, darum stelist du bocb, o Vasava; docb das, was
Adhyaya 227 (B. 227). 313
nach tausend Jahren geschehen wird, das Mdrd schnell ein-
treffen.
71. (8283.) Wahrend mir, dem Hochmachtigen, alle meine
Glieder in unziemlicher Verfassung sind und ich von der
fiirstlichen Stellung herabgestiirzt bin, stehst du als Fiirst
im Himmel obenan.
72. (8284.) Aber nur durch den Umschwung des Kala bist
du in dieser bunten Lebewelt zu verehren, denn was hast du
getan, dafs du jetzt Indra bist, und was haben wir getan,
warum wir herabgestiirzt sind?
73. (8285.) Kala ist Bewirker und Umgestalter, alles andere
ist wirkungslos, [nur er bewirkt] Vergang und Untergang,
Gottherrlichkeit, Lust und Leid, Entstehen und Zugrunde-
gehen.
74. (8286.) Der Weise, dem es so ergangen ist, soil sich
nicht liber die Mafsen freuen, noch auch verzagen; du kennst
mich ja, o Indra, und ich kenne dich, o Vasava.
75. (8287.) Was briistest du dich gegen mich und was
bist du, du durch Kala schamlos Gewordener! Du weifst ja
doch von lange her, welche Mannhaftigkeit mir damals zu
eigen war,
76. (8288.) und wie ich tapfer war in Kampfen, dafiir ist
der Beweis geliefert worden; sind doch die Aditya's und
Rudra's, die Sadhya's mitsamt den Vasu's
77. (8289.) von mir vordem vollig besiegt worden mitsamt
den Marut's, o Gemahl der (,'aci, in dem Kampfe zwischen
Gottern und Damonen, wie du wohl weifst, o Qakra.
78. (8290.) Alle die weisen Gotter sind von mir mit Un-
gestiim im Kampfe zerschmettert und die Berge mehr als
einmal umgesturzt worden mitsamt ihren Waldern und Wald-
bewohnern,
79. (8291.) mitsamt ihren Klippen und Gipfeln von mir im
Kampfe auf deinem Haupte zerschlagen worden! Und was
kann ich jetzt ausrichten? Ja, Kala ist schwer zu iiberwinden.
80. (8292.) Denn es ist mir keineswegs unmoglich, dich
zu toten mit meiner Faust, dich, der du den Donnerkeil
schwingst; aber jetzt ist nicht die Zeit fiir tapfere Tat en,
jetzt ist die Zeit gekommen, Geduld zu iiben.
314 III. Mokshadharma.
81. (8293.) Darum ertrage ich dich, o (^'akra, der ich von
dir wohl schwieriger zu ertragen sein wiirde. Dii aber unter-
nimmst es gegen mich, der ich, da der Umschwung der Zeit
gekommen ist, vom Zeitfeuer uberkommen worden bin,
82. (8294) gegen mich, der ich gehemmt und durch den
Strick der Zeit gebunden bin, zu prahlen, o Qakra, aber
dieser schwarze Genius der Welt [die Zeit] ist schwer zu
iiberwinden,
83. (8295.) Er, der Rudrasohn, hat mich gebunden wie ein
Stiick Vieh mit einer Kette und steht neben mir; Gewinn
und Verlust, Lust und Leid, Begierde und Zorn, Entstehen
und Vergehen,
84. (8296.) Bindung und Losung der Waffen, das alles
wird von der Zeit empfangen; nicht ich bin Tater und nicht
du bist Tater, sondern Tater ist er, Kala, der allezeit unser
Herr ist.
85. (8297.) Kala bringt mich zur Reife wie eine Frucht,
die am Baume gewachsen ist; alles vom Menschen Voll-
brachte wird von Kala mit Lust verbunden,
86. (8298.) und ebendieses Vollbrachte wird von Kala auch
mit Schmerz verbunden; darum soil der Kalakenner, wenn
er von Kala heimgesucht wird, nicht klagen.
87. (8299.) Darum, o Qakra, klage ich nicht, mache nicht
die Klage zu meinem Gefahrten, denn wenn ein Klagender
sich der Klage hingibt, so vermag er nicht das Unheil zu
heben.
88. (8300.) Wer klagt, der hat keine Tatkraft, darum klage
ich jetzt nicht (gocimij. — Nachdem dies,es zu dem tausend-
augigen, heiligen Ziichtiger des Paka gesprochen worden war,
89. (8301.) da ziigelte der Hundertopferhafte sein Un-
gestiim und sprach folgendermafsen : Wer mochte, wenn er
den mit dem Donnerkeil bewehrten ausgestreckten Arm und
die Fesseln des Varuna sieht,
90. (8302.) nicht in seinem Geiste erzittern, und ware er
der Tod, der zum Schlage ausholt ! Dein Geist aber erzittert
nicht, sondern bleibt unerschtitterlich , indem er die Wahr-
heit schaut.
91. (8303.) Gewifs zitterst du heute nicht, o du durch
Adhyaya 227 (B. 227). 315
Festigkeit wahre Tapferkeit Habender ; wer, der einen Korper
besitzt, mochte wohl Vertrauen in die Dinge oder in seinen
Korper setzen!
92. (8304.) Ertragt es wohl einer in der Welt, zu handeln,
wenn er sieht, wie die Welt eingerichtet ist? Auch ich er-
kenne ebenso, dafs diese Welt verganglich ist.
93. (8305.) Sie ist beschlossen in dem furchtbaren, ver-
borgenen, unermiidlich tatigen, unverganglichen Kalafeuer,
und keiner, wer es auch sei, kann sich, wenn er von Kala
heimgesucht wird, ihm entziehen,
94. (8306.) weder die subtilen, noch die grol'sen Elemente,
wenn sie in ihm zur Reife kommeii. Wer in dem keinen
Herrn iiber sich habenden, nicht unbesonnenen und die Ele-
mente immerfort zur Eeife bringenden,
95. (8307.) nie aufhorenden Kala zur Vernichtung gelangt
ist, der wird nicht von ihm erlost. Besonnen unter den Un-
besonnenen, wacht Kala unter den Menschen.
96. (8308.) Auch durch Bemiihung kann er, solange er
fern ist, von niemandem vorausgesehen werden, er, der eine
alte, ewige Satzung ist, welcher alles Lebende gleichmafsig
unterliegt.
97. (8309.) Kala ist nicht zu umgehen und lafst sich nicht
iiberspringen ; die Tage und Nachte und die Monate, die Mi-
nuten, Sekunden, Terzen und Quarten,
98. (8310.) Kala ist es, welcher sie zusammenhauft , wie
ein Wucherer die Zinsen. Und wenn einer spricht: Heute
werde ich dieses tun und morgen gedenke ich jenes zu tun,
99. (8311.) so packt ihn Kala und reifst ihn fort, wie der
Ansturm des Stromes den Baum. Jetzt eben noch habe ich
ihn gesehen, wie kann er tot sein?
100. (8312.) So hort man die Menschen jammern, wahrend
sie von der Zeit fortgerissen werden. Es vergehen die Giiter
und die Geniisse, die Stellung und die Gottherrlichkeit.
101. (8313.) Das Leben der Lebewesen wird von Kala,
wenn er herankommt, fortgefiihrt; die Erhebungen endigen
mit Herabstiirzen , das Sein und das Nicht- Sein, das alles
ist nur er.
102. (8314.) Alles ist verganglich und unbestandig, und
316 in. Mokshadharma.
eine sichere Erkenntnis ist schwer zu gewinnen, aber dem
Verstand schwankt nicht, sondern ist unerschiitterlich, die
Wahrheit schauend.
103. (8315.) Ich bin einstmals etwas gewesen, so nimmst
du audi nicht einmal in Gedanken an {budhyase mit C), in
dieser Welt , welche von Kala, dem Ubermachtigen, wenn er
herankommt, zur Reife gebracht wird.
104. (8316.) Dafs es nichts Hochstes und nichts Niedrigstes
gibt, bemerkt die Welt nicht, indem sie hin und her ge-
worfen wird in Neid, Hochmut, Begierde, Liebe, Zorn und
Furcht ;
105. (8317.) sondern befangen in Verlangen, Verblendung
und Hochmut, geht die Welt in der Irre. Du aber erkennst
die Wahrheit des Daseins als ein Wissender, begabt mit Ein-
sicht und Askese;
106. (8318.) ganz deutlich siehst du den Kala, wie die
Myrobalanenfrucht in der Hand, der du bekannt mit dem
Wesen des Kalalaufes und aller Lehrbiicher kundig bist.
107. (8319.) In der Unterscheidung hast du deine Seele
befestigt und bist von den Erkennenden zu beneiden, denn
ich glaube, dafs diese ganze Welt von dir an Einsicht iiber-
troffen wird.
108. (8320.) Indem du nach alien Seiten hin frei wandelst,
bleibst du nirgendwo hangen, denn Rajas und Tamas be-
riihren dich nicht.
109. (8321.) Du verehrst den Atman, der ohne Freude und
ohne Qual ist, den Freund aller Wesen, den Feindschaft-
freien, in seinem Geiste Beruhigten.
110. (8322.) Wenn ich dich ansehe, so empfmdet der mir
eingeborene Sinn Mitleid mit dir; einen «o grofsen Weisen
mochte ich nicht im Waffengange toten.
111. (8323.) Wohlwollen und Mitleid mit dir ist fiir mich
das hochste Gesetz, diese Stricke des Varuna werden von
dir gelost werden durch den Umschwung der Zeit.
112. (8324.) Dann moge dir, o grolser Asura, Wohlsein
zuteil werden, indem deine Untertanen dir huldigen, wahrend
die Schwiegertochter (lies: snushd) zu ihrer Bedienung die
betagte Schwieger mutter antreiben wird;
Adhyaya 227 (B. 227). 317
113. (8325.) dann wird ein Sohn seinen Vater aus Ver-
blendung beim Opferwerke wegschicken, und gemeine Men-
schen werden sich durch Brahmanen die Fiifse waschen lassen ;
114. (8326.) und Qudra's werden ohne Scheu sich der
Gattin eines Brahmanen nahen, wahrend die Menschen den
Samen in ungeziemende Mutterschofse niederlegen,
115. (8327.) und somit in messingenen Gefafsen eine un-
reine Mischung und in schlechten Behaltern ihre Spende
niederlegen, wahrend die ganze Ordnung der vier Kasten ihre
bestimmenden Schranken verlieren wird.
116. (8328.) Dann wird sich nach und nach ein Strick
nach dem andern von dir losen. Von mir hast du nichts zu
fiirchten, bleibe nur deiner Bestimmung getreu; (8329.) lebe
gliicklich, frei von Anfechtung, gefafsten Geistes und ohne Leid.
117. (8330.) Nachdem der heilige Hundertopferige also
gesprochen hatte, zog er von dannen, getragen von dem
Elefantenlursten, und als Herr der Gotter alle Damonen
iiberwunden habend, ergotzte er sich in Freude und war
der Alleinherrscher.
118. (8331.) Und grofse Weise priesen ihn ohne Unter-
lafs als den Mannaften und Herrn iiber alles Beweg-
liche und Unbewegliche. Und der Kaltewehrer fiihrte
ihm beim Opfer die Opferspeise zu, und auch das Am-
ritam wurde ihm dargebracht, denn auch dariiber ist er
der Herr.
119. (8332.) Indem er von den allerwarts verbreiteten
Hochsten der Zwiegeborenen gepriesen wurde, gelangte
er, der Vasava, voU feuriger Kraft, frei von Groll und
als Gottherr beruhigten Geistes und freudig zu seiner
Wohnung im Indrahimmel und genofs seines Gliickes.
So lautet im Moksliadhanua die Unterredung zwischen Bali und V&sava
(Bali - Vdnaca - saincdda).
318 III. Mokshadharma.
Adhyaya 228 (B. 329*).
Vers 8333-8428 (B. 1-96).
Yudhishthira sprach :
1. (8333.) Die friiheren Daseinsformen eines Menschen, der
im Begriff ist, zu entstehen, o Konig, und sodann wieder zu
vergehen, die erklare mir, o Grofsvater.
Bhishma sprach:
2. (8334.) Die Gesinnung ist es, welche die friiheren Da-
seinsformen eines Menschen zu erkennen gibt, welcher im
Begriff' ist, zu entstehen — Heil sei dir! — und wieder zu
vergehen.
3. (833,5.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namhch die Unterredung des Qakra (Indra) mit
der Qn (der Gliicksgottin) ; diese vernimm, o Yudhishthira.
4. (8336.) Indem er durch den Glanz grofser Askese beide
Welten, die obere und die untere, schaute und mit den die
Brahman welt bewohnenden Rishi's zu gleicher Wiirde ge-
langt war,
5. (8337.) wandelte, wie Gott Brahman unermefsUche ent-
flammte Kraft habend, siindlos und askesereich nach BeUeben
in den drei Welten Narada.
6. (8338.) Einstmals stand er des Morgens auf, und da er
reines Wasser beriihren woUte, ging er zu der aus dem Felsen-
tor hervorbrechenden Ganga und stieg zu ihr herab.
7. (8339.) Da geschah es, dafs auch der tausendaugige,
donnerkeilbewehrte Toter des ^ambara und Paka zu ihrem
von Gotterweisen besuchten Ufer gelangte.
8. (8340.) Beide mit bezahmtem Selbste nach vollbrachter
Murmelung fuhren in Gemeinschaft auf einem Schiff'e, ge-
langten zu einer mit feinem Goldsande bedeckten Sandbank
des Flusses,
* Durch einen Fehler in der Zahlung ist 228 in B. iibersprungen.
Adhyaya 228 (B. 229). 319
9. (8341.) und, auf ihr niedersitzend, erzahlten sie sich durch
heilige Werke beriihmte und von Gotterweisen bericlitete, von
grofsen Weisen wiedererzahlte Geschichten.
10. (8342.) Indem sie nun das vormals Geschehene und
Vergangene sich mit ruhigem Geiste erzahlten und die mit
einem Strahlennetze umgebene aufgehende Sonne
11. (8343.) in ihrer vollen Scheibe erblickten und, sich er-
hebend, die vor ihren Augen aufgehende Sonne verehrten,
da — vergleichbar einer zweiten Sonne —
12. (8344.) wurde im Ather ein Licht erbhckt, welches an
Glanz der strahlenden Sonne ahnHch war; dieses, indem es
in ihrer Nahe war, wurde von ihnen erbhckt, o.Bharata.
13. (8345.) Dieses Licht, von den Strahlen der Sonne um-
geben und emporgestiegen zu der Statte des Vishnu, erglanzte
an Lichtfiille unvergleichbar , indem es die Dreiwelt er-
leuchtete.
14. (8346.) Da geschah es, dafs die beiden die von schon-
glanzenden Apsaras gefolgte, grofse, dem strahlenden Monde
ahnliche, der Sonne vergleichbare,
15. (8347.) sternenahnliches Geschmeide habende, einen
perlschmuckgleichen Kranz tragende Qri, die da heifset Padma,
auf einem Lotosblatte vor sich stehen sahen.
16. (8348.) Und herabsteigend von der Hohe ihres Wagens,
naherte sich die herrlichste der Frauen dem Herrn der drei
Welten und dem Gotterweisen Narada.
17. (8349.) Da ging, von Narada gefolgt, der Machtige
geradezu auf sie los mit hohl zusammengelegten Handen und,
sich der Gottin durch sich selbst vorstellend,
18. (8350.) vollzog die hochste Ehrenerweisung ihr gegen-
iiber der allwissende Gotterkonig und redete zu der Qri,
o Konig, das folgende Wort.
^akra sprach :
19. (8351.) Wer bist du, und zu welchem Zwecke bist du
hergekommen, o du Schonlachelnde, und woher des Weges,
o Schonbrauige, und wohin willst du gehen, o Holde?
320 in. Mokshadharma.
Die (^vi sprach:
20. (8352.) In den drei heiligen Welten erstreben alle be-
weglichen und unbeweglichen Wesen sehnsuchtsvoll meine
Wesenheit als das an sich Hbchste.
21. (8353.) Ich bin die in der von den Sonnenstrahlen ge-
weckten Lotosblume zum Heil aller Wesen geborene Padma
(^ri, die Lotosbekranzte.
22. (8354.) Ich bin die Gliicksgottin , bin die Fiille, ich
bin die Qn, o Balatoter, ich bin der Glaube und die Ein-
sicht, die Zuneigung, Sieg und Bestandigkeit.
23. (8355.) Ich bin die Festigkeit, bin die Vollkommen-
heit, ich bin auch dein Gedeihen, ich bin der Svaharuf und
die Labung, die Zuneigung, die Schickung, das Gedenken.
24. (8356.) An der Spitze der Heere siegreicher Konige
und an ihren Bannern, in der Behausung der Pflichttreuen
und in den hochsten Sinnesobjekten,
25. (8357.) in dem siegprangenden , im Kampfe nicht
weichenden Helden, in dem Fiirsten der Manner weile ich
allezeit, o Balatoter.
26. (8358.) In dem gesetzestreuen, sehr verstandigen, brah-
manhaften, Wahrheit redenden, fugsamen und freigebigen
Manne weile ich allezeit.
27. (8359.) Vormals weilte ich bei den Damonen, gebunden
an sie durch Wahrheit und Recht; nachdem ich sie aber als
abgekehrt davon erkannte, hat es mir gefallen, in dir zu
wohnen.
(^akra sprach:
28. (8360.) Wie benahmen sich die Daitya's, dafs du bei
ihnen Wohnung nahmst, o hold Erscheinende ? Und was hast
du dort gesehen, dafs du hierher gekommen hist, die Daitya's
und Danava's verlassend?
Die Qri sprach:
29. (8361.) Solange sie Wesen waren, welche ihre Pflicht
befolgten und in ihrer Beharrlichkeit nicht wankten, sondern
an dem Himmelswege ihre Freude hatten, hatte ich mein
Wohlgefallen an ihnen.
Adhyaya 228 (B. 229). 321
30. (8362.) Damals herrschte unter ihnen in Wahrheit
Almosengeben, Vedastudium , Darbringung von Opfern, Ver-
ehrung der Ahnen und der Gotter, sowie der Lehrer iind
der Gaste.
31. (8363.) Sie hielten ihre Herzen rein, bezahmten das
Verlangen nach Weibern, batten Opfergaben und Feuer, waren
den Lehrern gehorsam, bezahmt, brahmanhaft und die Wahr-
heit redend,
32. (8364.) glaubig, den Zorn iiberwindend , fleifsig im
Geben und ohne Murren, unterhielten ihre Kinder, ihre Haus-
genossen, ihre Frauen und waren frei von Neid.
33. (8365.) Niemals waren sie mit Unduldsamkeit aufein-
ander eifersiichtig, und als Weise argerten sie sich nie iiber
fremdes Gedeihen.
34. (8366.) Sie waren freigebig und ordnunghaltend, edel-
miitig, mitleidempfindend , sehr gnadig, geradsinnig, in der
Verehrung fest und die Sinne bezahmend,
35. (8367.) von zufriedenen Dienern umgeben, dankbar,
freundUch redend, wie es sich gebiihrt Ehre erweisend und
Zwecke fordernd, der Schamhaftigkeit bethssen und streng
in ihren Geliibden,
36. (8368.) allezeit an den Mondfesten wohlgebadet, wohl-
gesalbt und wohlgeschmiickt , fleifsig in Fasten und Askese,
zufrieden und heihge Worte redend.
37. (8369.) Niemals iiberraschte sie der Sonnenaufgang,
noch auch schHefen sie in den Morgen hinein, und jederzeit
enthielten sie sich in der Nacht der sauren Milch und der
Griitze.
38. (8370.) Und des Morgens friih beschauten sie die ge-
schmolzene Butter, hingegeben und heilige Gesprache fiihrend,
beachteten gliickliche Vorzeichen und ehrten die Brahmanen.
39. (8371.) Immer zu denen gehorig, welche das Rechte
reden, immer zu denen, welche keine Geschenke annehmen,
welche nur die halbe Nacht schlafen und bei Tage nicht
schlafen,
40. (8372.) welche sich allezeit an Mitleid und Wohltun
gegen Blende, Schutzlose und Alte, Schwache, Kranke und
Weiber erfreuten (anumodatdm mit C),
Deusskn, Mah^bh^Tatam. 21
322 HI. Mokshadharma.
41. (8373.) waren sie immer bestrebt, den Zitternden, Ver-
zagenden, Erschrockenen, Furchtgequalten, Leidenden, Diirfti-
gen, Beraubten, von Ungliick Heimgesuchten durch Trost
wieder aufzurichten.
42. (8374.) Nur der Pflicht folgten sie, schadigten sich nicht
gegenseitig, ihren Obliegenheiten nachgehend, gegen Lehrer
und Alte dienstfertig.
43. (8375.) Sie ehrten Manen, Gotter und Gaste, wie es
sich gebiihrt, afsen, was diese iibrig liefsen und waren alle-
zeit fest in Wahrheit und Askese.
44. (837fi.) Wenn ihnen etwas Gutes zufiel, genossen sie
es nicht allein, gingen nicht zu fremden Frauen und benahmen
sich aus Mitleid gegen alle Wesen wie gegen sich selbst.
45. (8377.) Nicht im Freien, nicht bei Tieren, nicht in
schlechten Scholsen, nicht an Feiertagen erlaubten sie sich
jemals Befriedigung der Sinnhchkeit.
46. (8378.) Bestandiges Geben, Tlichtigkeit und beharr-
liche Geradheit, Anstrengung, Selbstlosigkeit und hochste
Freundschaft,
47. (8379.) Wahrhaftigkeit, Freigebigkeit, Askese, Mitleid
und milde Rede und keine Hinterlist gegen Freunde, das alles
war bei ihnen zu linden, o Herr.
48. (8380.) Schlaf, Tragheit, Unzufriedenheit, miirrisches
Wesen und Riicksichtslosigkeit, Unlust, Verzagtheit und Be-
gehrlichkeit waren bei ihnen nicht heimisch.
49. (8381.) Von soldier Art waren die Tugenden der Da-
nava's, bei welchen ich vordem wolinte, von der Schopfung
der Wesen an, langer als den Umlauf eines Weltalters hin-
durch.
50. (8382.) Aber im Umschwung der Zeiten mufste ich
sehen, wie ihre Tugenden ins Gegenteil umschlugen, wie die
Gerechtigkeit von ihnen wich, wie sie sich der Lust und dem
Zorne in Knechtschaft gaben.
51. (8383.) Sie verlachten die Reden der in der Versamm-
lung sitzenden Alten und Guten, wenn sie zu ihnen sprachen,
und murrten gegen alle Alten, obgleich sie ihnen in der
Tugend nachstanden.
Adhyaya 228 (B. 229). 323
52. (8384.) Die jungen Leute, wenn sie zusammensafsen
und die Alien zu ihnen hereintraten, versaumten es, sie, wie
vordem, durch Aufstehen und Begriifsen zu ehren.
53. (8385.) Audi wo der Vater noch vorhanden war, rifs
der Sohn die Macht an sicli, und Fremde, die man zu Haus-
genossen gemacht hatte, verrieten Geheimes ohne Scham.
54. (8386.) Und wenn irgendwelche durcli ein pflicht-
widriges und tadelnswertes Werk zu grofsem Reichtum ge-
langt waren, so suchten sie diesen nachzueifern.
55. (8387.) Geiioben war nachts ihre Stimme, gesunken
glomm dabei das Opferfeuer, die Sohne erhoben sich iiber
ihre Vater, die Weiber iiber ihre Gatten.
06. (8388.) Miitter, Vater, Greise, Lehrer, Gaste und Meister
wurden nicht als Hoherstehende gegriifst, und die Kinder
nicht iiberwacht.
57. (8389.) Ohne Almosen und Spende dargebracht zu
haben, genossen sie selbst die Nahrung, ohne vorher geopfert
und mitgeteilt zu haben, w^eder an Manen und Gotter, noch
an Gaste und Lehrer.
dS. (8390.) Die Leute, welche ihnen als Koche dienten,
beobachteten nicht die Reinheitsvorschriften ; nicht durch Ge-
danken, Werke und Worte war beschrankt, was zu essen war.
59. (8391.) Selbst verstreute Korner, wie sie Krahen und
Mausen zum Futter dienen [waren nicht ausgeschlossenj ; un-
zugedeckt stand die Milch, ungesaubert von Speiseresten be-
riihrten sie die Opferbutter.
60. (8392.) Die Hausfrau kiimmerte sich nicht darum, dafs
Spaten und Sichel, Korb und Messinggeschirr, Sachen und
Gerate, alles zerstreut umherlag.
61. (8393.) Dem Verfall der Mauern und Hauser halfen
sie nicht ab, sie banden die Tiere an und versorgten sie nicht
mit Futter und Wasser.
62. (8394.) Das Essen ihrer Kinder afsen sie, wahrend diese
zusahen, selbst, und so sattigten sie auch nicht all ihr Diener-
volk, diese Danava's.
63. (8395.) Milchreis und Fleisch, Kuclien und Backwerk
liefsen sie fiir sich selbst kochen und afsen nacli Belieben
Fleisch.
21*
324 HI- Mokshadharma.
64. (8396.) Nach Sonnenaufgang schliefen sie noch und
machten alle die Morgenfriihe zur Nacht, und dann gab es
Gezank bei Tag und Xacht von Haus zu Haus.
65. (8397.) Die von Geburt Unedlen versagten den da-
sitzenden Edlen und die Gesetzlosen dem die Lebensstadien
Beobachtenden die Ehrenerweisung, ja sie hafsten sich gegen-
seitig.
66. (8398.) Kastenmischungen waren an der Tagesordnung
und Keinheit bestand bei ihnen nicht, mochten sie nun veda-
kundige Brahmanen oder eingestandenermafsen Vedalose sein.
67. (8399.) Sie machten keinen Unterschied in dem Gegen-
satze von Hochschatzung und Verachtung, und nur darauf
sahen sie, ob Perlenschnur und Schmucksachen bei einem
fehlten oder von ihm getragen wurden.
68. (8400.) Ihre Arbeitsmadchen huldigten der von schlech-
ten Menschen befolgten Sitte, die Weiber erschienen in
Mannerkleidung vor Mannern, welche Weiberkleidung trugen.
69. (8401.) An Spiel, Geschlechtslust und Vergniigungen
fanden sie ihre hochste Lust, hingegen die vordem von autori-
tativen Edlen iiberkommenen [geistigen] Erbschaften
70. (8402.) beachteten sie aus Nihilismus nicht, und ebenso-
wenig [beach tete es], auch wenn er in der Lage war, der
Freund, wenn er von dem Freunde in Geldverlegenheit ge-
legentlich angegangen wurde.
71. (8403.) Hingegen wenn ihr eigenes Interesse auch nur
um eine kleine aufserste Spitze auf dem Spiele stand, ver-
nichteten sie seinen [des Freundes] Besitz, indem sie ihre
Lust daran batten, fremdes Gut sich anzueignen, und sich
auf Handelsgeschafte einliefsen.
72. (8404.) Unter den Kasten der Arier wurden sogar
askesereiche Qudra's erblickt; einige studierten den Veda
ohne Geliibde, andere mit falschem Geliibde.
73. (8405.) Der Schiiler war seinem Lehrer ungehorsam,
mitunter war der Lehrer des Schiilers Liebhaber, Vater und
Mutter waren so schlaff, als batten sie einen Feiertag hinter
sich, (8406.) und wenn sie alt waren, verloren sie ihr Ansehen
und mufsten ihre Kinder um Nahrung bitten.
Adhyaya 228 (B. 229). 325
74. Dabei waren die gelehrten Vedakenner an Tiefe
(Dunkelheit) dem Ozean vergleichbar.
75. (8407.) Sie verwandten ihre Zeit auf Ackerbau und
dergleichen, blieben unwissend, verzehrten die Opfer fiir die
Manen selber und allmorgendlich machten sie sich wichtig
mit Fragen nach dem Wohlbefmden und Schicken von Bot-
schaft.
76. (8408.) Ihre Lehrer gewannen, aus eigenem Antrieb
und ohne aufgefordert zu sein, Schiiler; die Ehefrau gab in
Gegenwart des Schwiegervaters und der Schwiegermutter
den Dienstboten Befehle,
77. (8409.) audi kommandierte sie ihren Gatten und gab
ihm Widerworte, um ihn herauszufordern ; ja der Vater hiitete
sich sorgfaltig vor den Absichten des eigenen Sohnes.
78. (8410.) Er verteilte aus unbesonnenem Eifer sein Ver-
mogen und brachte sich so in eine peinUche Lage, der Be-
sitz aber wurde durch Feuersbriinste oder Diebe oder durch
die Konige geraubt.
79. (8411.) Wenn sie sich sahen, verlachten sie sich aus
Hafs, sogar wenn sie als Freund begriifst wurden; sie waren
undankbar, unglaubig, boshaft und tasteten die Frauen ihrer
Lehrer an.
80. (841-2.) Sie freuten sich am Genusse verbotener Speisen,
waren mafslos und des Ansehens beraubt. Da diese im Um-
lauf der Zeit einen derartigen Wandel fiihrten,
81. (8413.) so mag ich, o Fiirst der Gotter, nicht mehr bei
den Danava's wohnen, das ist mein AVille; darum magst du
mich, die ich aus freien Stiicken zu dir iibergegangen bin,
willkommen heifsen, o Gatte der (^aci.
82. (8414.) Mich, die von dir Geehrte, o Herr der Gotter,
werden die Gotter hochschatzen, denn wo ich bin, da sind
auch die von mir (dem Gliick) GeHebten, von mir Aus-
gezeichneten, mit mir Beschenkten.
83. (841.').) Sieben Gottheiten und der Sieg als achte werden
bei dir achtfach Wohnung nehmen, die Hoffnung, der Glaube,
die Festigkeit, die Nachsicht, die Eroberung, die Demut und
die Geduld.
84. (8416.) Die achte unter diesen ist die vorziigUchste,
326 in. Mokshadharma.
o Ziichtiger des Paka. Mit mir sind diese Gottheiten, die
Asura's verlassen habend, in euren Bereich gelangt.
85. (8Jti7.) Bei den dreifsig Gottern werden Avir ^^'ohnung
nehmen, die ihr inneres Selbst im Gesetze fest gegriindet
haben. So sprach die Gottin und wurde freudig von den
beiden begriifst,
86. (8418.) von Narada, dem Gotterweisen, und von Vasava,
dem Vritratoter. Da wehte der Freund des Feuers, der Wind,
auf den Pfaden der Gotter,
87. (8419.) lieblich duftend, erquicklich anzufiihlen, alle
Sinne mit Lust erfiillend, und die dreifsig Gotter erwahlten
eine reine Gegend zu ihrem gewohnlichen Aufenthalt
88. (8420.) und trachteten danach, den in Gemeinschaft mit
Lakshmi thronenden machtigen Indra anzuschauen.
89. (8421.) Da geschah es, dais der tausendaugige, den
Himmel erlangt habend, von der (^ri (mit C.) begleitet
und von seinem Freunde, dem grofsen Weisen, auf
seinem von falben Kossen gezogenen Wagen, er, der Stier
der Gotter, von ihnen verehrt, zum Wohnsitze der Gotter
gelangte.
90. (8422.) Da iiberdachte in seinem Geiste Narada das,
was geschehen war zwischen dem Donnerkeiltrager und
der Gottin Qri, und er pries, die Macht der Unsterblichen
erkennend, sein Zusammenkommen mit dem Gnadigen
(Indra) und den grofsen Rishi's bei der ^ri.
91. (8423.) Darauf regnete der glanzreiche Himmel
Amritam nieder auf den Sitz des durch sich selbst seien-
den Urvaters, Pauken ertonten, ohne geschlagen zu
werden, und die beruhigten Himmelsgegenden erglanzten.
92. (8424.) Vasava liefs regnen auf die zur rechten
Zeit reifende Feldfrucht; kein Mensch wich ab von dem
Wege des Gesetzes, die Erde trug als Schmuck man-
cherlei Edelsteinlager, indem sie liebliches Geton ertonen
liefs bei dem Siege der weltbewohnenden Gotter,
93. (8425.) Die Menschen freuten sich am Opferwerk
und glanzten durch Einsicht, indem sie beharrten auf
dem schonen Wege der gut Handelnden ; Menschen und
A.lliyaya 228 (B. 229). 327
Gotter, Kinnara's, Yaksha's und Rakshasa's gediehen
und waren wohlgesinnt.
94. (8426.) Niemals fiel zur Uiizeit eine Blume, ge-
schweige denn eine Frucht vom Baume, auch wenn er
vom Winde bewegt wurde. Die Kiihe spendeten ihren
Saft, und man konnte jeden Wunsch aus ihnen ermelken,
und keinem Menschen 'entschliipfte je ein hartes Wort.
9.0. (8427.) Diejenigen, welche diese Huldigung der (/ri
mitsamt den alle Wiinsche gewahrenden und von Qakra
angefuhrten Gottern studieren , nachdem sie in einer
Brahmanenwohnung zusammengekommen sind, deren
Wiinsche gedeihen, und sie erlangen (^ri, die Gottin des
Gliicks.
96. (8428.) 0 Bester der Kuru's, was von dir angeregt
worden war, namlich ein hochstes Beispiel fiir Werden
und Vergehen zu geben, das alles ist dir heute von mir
mitgeteilt worden, du aber mogest es priifen und die
Wahrheit dir zu eigen machen.
So lautet ira Mokshadharma die Unterredung zwischen (^ri und Vasava
((^ri- Vdsava- smnvdda).
AdhyAya ^^29 (B. 230).
Vers 8429-8453 (B. 1-25).
Yudhishthira spracli :
1. (8429.) Durch welchen Charakter, welchen Wandel,
welche Wissenschaft und welche Tapferkeit erlangt man die
Statte des Brahman, welche erhaben iiber die Prakriti und
bestandig ist?
Bhishma sprach :
2. (8430.) Den Erlosungslehren fmokshadharmaj sich hin-
gebend, mafsig sich nahrend und die Sinne bezwingend, er-
langt man die Statte des Brahman, sie ist erhaben iiber die
Prakriti und bestandig.
3. (84;ji.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, o Bharata, namlich die Unterredung des Jaigi-
shavya mit Asita.
328 III. Mokshadharma.
4. (8432.) Den Jaigishavya, den sehr weisen, dem die
Uberlieferung der Pflichten iiberliefert worden war, den Nicht-
Ziirnenden und Nicht-sich-freuenden, sprach Asita Devala an.
Devala sprach:
5. (8433.) Du freust dich nicht, wenn du gelobt wirst, und
wenn du getadelt wirst, ziirnest *du nicht. Welches ist diese
deine Weisheit, woher hast du sie und was schwebt dir als
hochstes Ziel derselben vor?
Bhishma (der Erzahler) sprach :
6. (8434.) So von diesem angeredet, verkiindete jener
Askesereiche die grofse , unbezweifelbare , Worte reichen
Sinnes enthaltende, reine Lehre.
Jaigishavya sprach:
7. (8435.) Den Gang, das hochste Ziel, die Beruhigung der
heihge Werke Ubenden, diese will ich dir erklaren, die grofse
Beruhigung, o Bester der Rishi's.
8. (8436.) Diejenigen, welche, gleichgesinnt bei Tadelnden
allezeit und bei Lobenden, o Devala, es verheimlichen, wenn
sie gegen andere die Pflicht erfiillt und Wohltaten geiibt
haben,
9. (8437.) welche angeredet dem Redenden auf Unfreund-
liches nicht Unfreundliches erwidern werden und als Weise
den, der sie schlug, nicht wiederzuschlagen wiinschen,
10. (8438.) welche nicht beklagen, was ihnen nicht ein-
getroffen ist, und das ausfiihren, dessen Zeit da ist, nicht
klagen iiber Vergangenes und es doch auch nicht gut heifsen,
11. (8439.) welche, auch wenn man sie aus Liebe verehrt,
0 Devala, doch nur so handeln, wde es bei der Sache ange-
messen ist, kraftvoll und ihrem Geliibde treu,
12. (8440.) welche, gereiften Wissens, von grofser Einsicht,
besiegten Zorn und besiegte Sinne habend, in Gedanken,
Werken und Worten niemals sich vergehen,
13. (8441.) welche neidlos nie bestrebt sind, einander zu
schadigen, noch auch jemals als Weise Unbehagen empfmden
wegen fremder Erfolge,
Adhyaya 229 (B. 230). 329
14. (8442.) welche, wenn sie andere tadeln oder loben,
niemals iibertreiben, und, wenn sie getadelt oder gelobt
werden, niemals ihr Betragen andern,
15. (8443.) welche in jeder Lage ruhig bleiben und sich
am Wohlsein aller Wesen erfreuen, nicht zurnen, nicht jubeln,
noch audi jemals sich vergehen,
16. (8444.) welche, den Knoten des Herzens gelost habend,
in Wohlbehagen einherwandein, keinen Anhang haben, noch
auch Anhang von anderen sind,
17. (8445.) welche keine Feinde besitzen, noch auch feind
gegen irgend jemand sind, — die Menschen, welche so han-
deln, die leben allezeit gllicklich,
18. (8446.) da sie das Gesetz befolgen als Gesetzeskundige,
o Bester der Zwiegeborenen. Die aber, welche diesen Weg
verfehlen, geben sich der Freude und der Furcht hin.
19. (8447.) Ich aber, der ich diesen Weg gefunden habe,
wie sollte ich gegen jemanden Unwillen empfinden, und
warum sollte ich mich dariiber aufregen, dafs ich getadelt
oder gelobt werde?
20. (8448.) Mogen darum die Menschen dem zustreben,
was sie begehren, ich werde durch Tadel oder Lob weder
Verkleinerung noch Erhohung erlangen.
21. (8449.) Wie an Amritam erquicke sich der Weise an
der ihm gezollten Verachtung, wie vor Gift fiirchte sich der
Kundige allezeit vor Ehrenerweisung.
22. (8450.) Wer verachtet wird, der schlaft ruhig, ohne
Furcht, hienieden und im Jenseits; er ist aller Schuld ledig;
aber den Verachter flieht der Schlaf.
23. (84.51.) Alle diejenigen nun, welche als Weise nach
diesem hochsten Ziele streben, alle diese Menschen ergreifen
dieses Geliibde und kommen zu gliicklichem Gedeihen.
24. (8452.) Bin solcher, von iiberallher alle Geisteskrafte
konzentrierend und die Sinne bezwingend, erlangt die Statte
des Brahman, welche erhaben iiber die Prakriti und be-
standig ist.
25. (8453.) Nicht Gotter, nicht Gandharva'.s, nicht Pigaca's,
330 ni. Mokshadharma.
nicht Rakshasa's gelangen hinauf bis zu dessen Statte, der
so das hochste Ziel erlangt hat.
So lautet im Mokshadhaima die TJnterredung zwischen Jaigishavya und Asita
(Jai;)Miaeya- Anita - sameddn).
Adhyaya 230 (B. *>31).
Vers 8454-8477 (B. 1-24).
Yudhishthira spracli:
1. (8454.) Geliebt von aller Welt, liber alle Wesen sich
freuend imd mit alien Tugenden begabt, — welchen Men-
schen gibt es auf der Welt, von dem dies galte?
Bhishma sprach :
2. (8455.) In bezug darauf will ich dir auf deine Frage,
o Stier der Bharata's, die TJnterredung vorfiihren, welche
Ugrasena mit dem Ke(?ava iiber den Narada gepflogen hat.
Ugrasena sprach:
3. (8456.) Der Narada, den die Welt mit Recht riihmt,
der mufs doch wohl an Tugenden reich sein: iiber ihn sprich
mir, der ich dich befrage.
Vasudeva sprach:
4. (8457.) Die Tugenden des Narada, welche ich fiir vor-
trefflich halte, die vernimm von mir, der ich sie dir, o Fiirst,
in der Kiirze vorfiihren will.
5. (8458.) Nicht ist fiir ihn die korperqualende Selbstsucht
der Beweggrund seines Lebenswandels und nicht weicht von
der Schriftiiberlieferung sein Lebenswandel ab, darum ist er
iiberall geehrt.
6. (8459.) Unzufriedenheit , Zorn, Wankelmiitigkeit und
Furcht fmden sich nicht bei Narada: er ist nicht saumselig,
ist ein Held, darum ist er iiberall geehrt.
7. (84G0.) Narada ist gar sehr zu verehren ; in seiner Rede
ist keine Anmafsung, sei es aus Verlangen oder aus Hab-
gier, darum ist er liberal] geehrt.
Adhyaya 230 (B. 231). 331
8. (8461.) Er kennt das Wesen der Vorschriften liber die
hochste Seele, ist geduldig, kraftvoll und Herr seiner Sinne,
geradsinnig und wahrheitsliebend, darum ist er uberall geehrt.
9. (8462.) Durch Kraft, Ruhm, Verstand, Wissen und Zucht,
durch seine Geburt und seine Askese ist er machtig, darum
ist er uberall geehrt.
10. (8463.) Er ist charaktervoll, von Gliick erfiillt, edel im
Geniefsen, sorgfaltig und rein, wohlredend und frei von Neid,
darum ist er uberall geehrt.
11. (8464.) Er vollbringt das Schone mit Tiichtigkeit, das
Schlechte fmdet bei ihm keine Statte, er liebt nicht andere
um ihres Vermogens willen, darum ist er uberall geehrt.
12. (8465.) Durch die heiligen Schriften des Veda und
durch Erzahlungen sucht er seinen Unterhalt zu gewinnen,
er ist ausdauernd und nicht geringgeschatzt , darum ist er
uberall geehrt.
13. (8466.) Wegen seiner Unparteilichkeit hat er keinerlei
Giinstling oder Feind und redet nur, was er denkt, darum
ist er uberall geehrt.
14. (8467.) Er ist schriftkundig und reich an Erzahlungen,
gelehrt, nicht liistern, nicht verschlagen, munter, von Zorn
und Begierde frei, darum ist er uberall geehrt.
15. (8468.) Nicht ist seine Individualitat auf Besitz, Reich-
tum oder Lust von Natur gerichtet, und seine Fehler hat er
ausgetilgt, darum ist er uberall geehrt.
16. (8469.) Von fester Frommigkeit und tadellosem Wesen,
schriftkundig und ohne Bosheit, ist er frei von Verblendung
und Schuld, darum ist er uberall geehrt.
17. (8470.) Ohne Hang zu allem Verlockenden , nur dem
Atman anhangend zeigt er sich, ohne langes Zaudern und
redekundig, darum ist er uberall geehrt.
18. (8471.) Nicht ist er versenkt in das Angenehme und
Niitzliche, niemals riihmt er sich selbst, er ist neidlos und
mild in der Unterredung , darum ist er uberall geehrt.
19. (8472.) Die mancherlei Meinungen der Leute betrachtet
er, ohne sie zu tadeln, er ist der Wissenschaft des Umgangs
mit Menschen kundig, darum ist er uberall geehrt.
20. (847.3.) Er bemangelt keine Tradition und lebt doch
332 III- Mokshadharma.
nach eigenen Grundsatzen, lafst die Zeit nicht ungenutzt und
ist Herr seiner selbst, darum ist er iiberall geehrt.
21. (8474.) Reich an Miihe, reich an Erkenntnis, nicht
miide werdend der Meditation, stets hingegeben und ohne
Unbesonnenheit, darum ist er iiberall geehrt.
22. (8475.) Nie in Verlegenheit, eifrig bei der Sache, be-
dacht auf das Wohlsein der anderen, nicht eindringend in
fremde Geheimnisse, darum ist er iiberall geehrt.
23. (8476.) Er freut sich nicht Uber den Gewinn und ver-
zagt nicht, wenn er nicht gewinnt, ist festen Geistes, ohne
Anhanglichkeit, darum ist er iiberall geehrt.
24. (8477.) Ihn, der so mit alien Tugenden begabt ist,
tiichtig, rein und frei von Krankheit, die rechte Zeit er-
kennend und verstehend, was zum Besten dient, wer mochte
den nicht zu seinem Freunde machen!
V
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Vasudeva und Ugrasena
(Vdsudeva - Ugrasena - samvdda).
Adhyaya 331 (B. 233).
Yers 8478-8509 (B. 1-32).
Yudhishthira sprach :
1. (8478.) Anfang und Ende aller Wesen wiinsche ich zu
wissen, o Kurusprofs, sowie audi Andacht, Werke, Zeitlange
und Lebensdauer in jedem der Weltalter,
2. (8479.) sowie audi das Wesen der Welt in seiner Voll-
standigkeit und das Kommen und Gehen der Geschopfe; das
Entstehen und das Vergehen, wodurch entwickelt sich dieses?
3. (8480.) Wenn dein Geist gegen uns giinstig gestimmt
ist, o Bester unter den Guten, so frage ich dich danacli, du
aber sage es mir.
4. (8481.) Denn dadurch, dafs ich vordem das vorziigliche
Gesprach des Bhrigu und des Priesterweisen Bharadvaja
dariiber habe wiedererzahlen horen [oben, S. 144 fg.], ist mir
eine vorziigliche Einsicht,
Adhyaya 231 (B. 232). 333
5. (8482.) eine iiberaus gerechtfertigte , in dem gottlichen
Urgrund begriindete, zuteil geworden. Aber nur um soviel
mehr befrage ich dich, und du, o Herr, mogest mir es sagen.
Bbishma spracb :
6. (8483.) Dariiber will ich dir eine alte Geschichte vor-
fiihren, welche der heilige Vyasa seinem Sohne, der ihn be-
fragte, vorgetragen hat.
7. (8484.) Nachdem er (Quka) die samtlichen Veden mit-
samt den Vedaiiga's und Upanishad's durchstudiert hatte,
und da er nach vollkommenem Werke im Hinblick auf die
Totalitat des Gesetzes Verlangen trug,
8. (8485.) legte (^uka, der Vyasasohn, dem Vyasa Krishna-
dvaipayana diesen Zweifel vor, ihm, der alle Zweifel iiber
den Sinn des Gesetzes gelost hatte. Der erhabene ^'uka
sprach :
9. (8486.) Den Schopfer der Wesenschar, der durch die
Erkenntnis der Zeiten sicher war in seinem Tun, und die
dem Brahmanen obliegende Pflicht, die mogest du mir,
0 Herr, erklaren.
Bhishma (der Erzahler) sprach:
10. (8487.) Ihm, dem fragenden Sohne, erklarte dieses alles
der Vater, der des Vergangenen und Zukiinftigen Kundige,
Allwissende, alle Pflichten Kennende.
Vyasa sprach:
11. (8488.) Das anfanglose, endlose, ungeborene, gottliche,
nicht alternde, feste, unvergangliche , unerschliefsbare und
unerkennbare Brahman regte sich am Anfang.
12. (8489.) Fiinfzehn Nimesha's (etwa Terzen) machen
eine Kashtha (Sekunde), dreifsig Kashtha's rechnet man
auf eine Kala (Minute); aus dreifsig Kala's nebst dem
zehnten Telle einer Kala besteht der Muhurta (Stunde).
13. (8490.) Aus dreifsig Muhurta's bestehen Tag und
Nacht, eine von den Muni's iiberlieferte Zahlung; der
Monat gilt als bestehend aus dreifsig Tag-und-Nachten,
das Jahr enthalt zwolf Monate.
334 III. Mokshadharma.
14. (8491.) Das Jahr aber besteht aus den beiden
Sonnengangen, wie die Zeitrechnungskenner lehren, dem
Gang nach Sliden und dem nach Norden.
15. (8492.) Die Sonne teilt Tage und Nachte ein, die mensch-
lichen und die kosmischen: die Nacht dient zum Schlafe der
Wesen, der Tag zur Tatigkeit in Werken (vgl. Manu I, 65).
16. (8493.) Ein Tag -und -Nacht der Vater ist ein Monat
und zerfallt ebenfalls in zwei Teile: die helle Monatshalfte
ist der Tag und dient zur Werktatigkeit, die dunkle, zum
Schlafe dienend, ist die Nacht (umgekehrt Manu I, 66 und
Harivam<?a 506).
17. (8494.) Ein Tag -und -Nacht der Gotter ist ein Jahr
und zerfallt ebenfalls in zwei Teile: der Nordwartsgang der
Sonne ist der Tag, ihr Siidwartsgang ist die Nacht (vgl.
Manu I, 67).
18. (8495.) Die Tag -und -Nachte, welche als menschliche
und kosmische vorher erwahnt wurden (Vers 8492), von diesen
die Summe der Jahre zusammenzahlend, will ich dir erklaren,
was ein Tag-und-Nacht des Brahman ist.
19. (8496.) Ich werde dir gesondert die Summen der Jahre
der Keihe nach angeben, wie sie im Weltalter Kritam, Treta,
Dvapara und Kali bestehen.
20. (8497.) Viertausend Jahre, so heifst es, bilden das
Weltalter Kritam, ebensoviele Hunderte seine Morgendamme-
rung und ebensogrofs ist die Abenddammerung (vgl. Manu I,
69 und Harivam<ja 511).
21. (8498.) Fiir die drei iibrigen Weltalter, sowie fiir ihre
Morgendammerungen und Abenddammerungen werden die
Tausende und die Hunderte jedesmal um ein Viertel ver-
mindert (vgl. Manu I, 70).
22. (8499.) Diese Weltalter tragen die bestandigen, ewigen
Welten, und von ihnen, o Freund, wissen die Brahmankenner,
dafs sie das ewige Brahman sind.
23. (8500.) In dem Weltalter Kritam ist die Gerechtigkeit
vierfiifsig und vollstandig und ebenso die Wahrheit; in diesem
Zeitalter gibt es keine Bereicherung durch Ungerechtigkeit,
die von der Gerechtigkeit abwiche (vgl. Manu I, 81).
Adhyaya 231 (B. 232). 335
24. (8501.) In dem folgenden Weltalter wird die Gerechtig-
keit infolge der Bereicherung je um einen Fufs verringert
und die Ungerechtigkeit nimmt durch Diebstahl, Unwahrheit
und Trug zu (vgl. Manu I, 82).
25. (8502.) Im Kritam sind die Menschen ohne Krank-
heiten, bringen alle ihre Plane zum Gelingen und leben
vierhundert Jahre, in der Treta und den folgenden Welt-
altern nimmt ihre Lebensdauer je um ein Viertel ab (vgl.
Manu I, 83).
26. (8503.) Audi das Studium des Veda nimmt den Welt-
altern entsprechend ab, so haben wir vernommen, und ebenso
steht es mit der Lebensdauer, den Segenswiinschen und mit
der Frucht, welche der Veda bringt (vgl. Manu I, 84).
27. (8504.) Andere sind die Pflichten der Menschen im
Weltalter Kritam und andere in der Treta und im Dvapara,
und wieder andere sind sie im Weltalter Kali, entsprechend
der Verkiirzung des Weltalters (vgl. Manu I, 85).
28. (8.505.) Askese ist die hochste Aufgabe im Weltalter
Kritam, in der Treta ist die Erkenntnis das Oberste, Opfer
im Dvapara und nur das Geben im Weltalter Kali (vgl.
Manu I, 86).
29. (8506.) Als diese zwolftausend Jahre umfassend wissen
die Weisen die Zeitdauer eines [gottlichen, vier menschliche
Weltalter umfassenden, vgl. Harivamga 515] Weltalters, und
ein solches tausendmal verlaufend wird ein Brahman tag ge-
nannt (vgl. Manu I, 73),
30. (8507.) und die Nacht [des Brahman wissen siej als
ebensogrofs. Dieses Weltall war zu Anfang der Igvara ; nach-
dem er beim [vorhergehenden] Weltuntergang in Meditation
versunken und eingeschlafen war, gelangt er am Ende [der
Nacht] zum Erwachen (vgl. Manu I, 73 fg., Harivamga 532 fg.).
31. (8508.) Weil sie den Tag des Brahman wissen als
tausend [gottliche] Weltalter befassend und seine Nacht als
nach tausend Weltaltern zu Ende gehend, darum sind diese
Menschen die [wahren] Kenner von Tag und Nacht.
32. (8509.) Ist der Igvara erwacht, so schafft er am Ende
der Nacht das unversano-liche Brahman wieder um und lafst
336 ni. Mokshadharma.
aus ihm hervorgehen die grofse Wesenheit [den Mahan] und
aus ihm das zum Bereiche des Entfalteten fvyciktam) gehijrige
Manas.
So lautet ini Mokshadharma die Frage des (Juka
((,'uka - anaprat;na).
AclhyAya 233 (B. 233).
Vers 8510-8554 (B. 1-43).
Vyasa sprach:
1. (8510.) Das glanzreiche, reine Brahman ist es, von dem
diese ganze Welt herriihrt, aus diesem einen Wesen entspringt
die zweifache Wesenheit, namlich das Unbeweghche und das
BewegHche.
2. (8511.) Am Anfange des Tages erwachend, schaift er
[der Igvara] vermoge der Avidya (des Nichtwissens) die Welt,
und zwar zu Anfang die grofse Wesenheit [den Mahan] und
alsbald das zum Bereiche des Entfalteten fvyaktamj gehorige
Manas.
3. (8512.) Und iiberhandnehmend hienieden schuf das
Glanzreiche [Brahman] sieben Manas-artige [die beiden ge-
nannten Mahan und Manas einbegriffen]. Namlich das in die
Feme reichende, nach vielen Seiten gehende, Verlangen und
Zweifel als Wesen habende
4. (8513.) Manas entfaltet die Schopfung, indem es vom
Verlangen zu schaffen getrieben wurde. Aus ihm entsteht
der Ather fakaQcimJ, als seine Qualitat bezeichnet man den
Ton (vgl. Manu I, 75 fg.) ;
5. (8514.) aus dem Ather, indem er sich umwandelt, ent-
steht der alle Diifte tragende, reine, machtige Wind, als seine
Qualitat gilt die Beriihrung.
6. (8515.) Aus dem Winde sodann, indem er sich um-
wandelt, entsteht das glanzreiche, leuchtende, reine Feuer,
als seine Qualitat wird die Sichtbarkeit genannt.
7. (8516.) Aus dem Feuer sodann, indem es sich um-
wandelt, entsteht das die Eigenschaft des Geschmacks be-
sitzende Wasser; aus dem Wasser entspringt der Geruch;
Adhyiiya 232 (B. 233). 337
nebst [seinem Element] der Erde gilt er als eine Schopfung
aller [Vorhergehenden].
8. (8517.) Die Qualitiiten jedes vorhergehenden [Elements]
gehen ein in jedes nachfolgende, und die wievielte Stelle ein
jedes einnimmt, soviele Qualitaten werden ihm zugeschrieben.
9. (8518.) Wenn einige, weil sie den Geruch schon in dem
Wasser wahrnehmen, diesem ihn zuschreiben, so ist das un-
zutreffend ; nur in der Erde soil man ihn wissen als ein Pro-
dukt aus Wasser und Wind.
10. (8519.) Diese siebenfach vorhandenen Atman's, obgleich
sie jeder einzelne mannigfache Krafte batten , vermochten
nicht die Geschopfe zu schaffen, wenn sie nicht zu einem
Ganzen sich vereinigten.
11. (8520.) Da vereinigten sich die Hochherzigen , indem
sie sich wechselseitig aufeinander griindeten und so den
Korper fgariramj als Grundlage fdgrayanamj erlangten; darum
wird [das Ganze] Purusha (Mensch) genannt.
12. (8521.) Zum Korper wird es, weil dieser seine Grund-
lage ist [Wortspiel zwischen gariram und crayanam], der
gestalthafte, sechzehnwesenhafte ; in ihn gehen ein die grofsen
Elemente mitsamt ihrer Funktion.
13. (852J.) Er aber, der alle Geschopfe erwahlte, um in
ihnen das Tapas zu betreiben, wurde zum Anfangsschopfer
der Wesen; und ihn nennt man Prajapati.
14. (8523.) Er also schafft die Wesen, die unbeweglichen
und beweglichen; darauf schafft er, der Gott Brahman, die
Gotter, Rishi's, Vater und Menschen,
15. (8524.) die Weltraume, Fliisse und Meere, die Welt-
gegenden, Berge und Baume, die Menschen, Kinnara's und
Rakshas, die Vogel, Haustiere, Waldtiere und Schlangen,
(8525.) das Unvergangliche und das Vergangliche, beides, das
Unbewegliche und das Bewegliche.
16. Und welche Werke irgendeiner von diesen vor seinem
Geschaffenwerden sich zugeeignet hatte, (8526.) die werden ihm
wieder zugeeignet, indem er immer wieder neu geschaffen wird.
17. Lust zu schaden und Lust zu schonen, Milde und
Harte, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Wahrheit und Un-
wahrheit (Manu I, 29), (8527.) das alles eignen sie sich an,
Deusskn, MahAbharatam. 22
338 III. Mokshadharma.
weil sie dazu vorausbestimmt sind, darum gefallt dem einen
dies, dem andern jenes.
18. Die Mannigfaltigkeit in den grofsen Elementen, den
Sinnendingen und Gestalten (85'28.) und ihre Verteilung unter
den Wesen, — der Schopfer ist es, welcher alles dies verleiht.
19. Einige Menschen nun aber behaupten, dafs die mensch-
liche Tat bei den Werken [das Wirkende] sei, (8529.) andere
Weise erklaren das Schicksal, und manche Naturgriibler er-
klaren die Natur [fur das Wirkende].
20. Die menschliche Tat, das Schicksal und das Hervor-
gehen der Frucht von Natur aus, (8530.) diese drei erscheinen
dabei als gesondert, wahrend einige behaupten, dafs unter
ihnen kein Unterschied sei.
21. Es kann so sein und nicht so sein, oder beides nicht
sein, oder keines von beiden nicht sein, oder auch dieses nicht,
(8531.) so sprechen sich iiber den Gegenstand aus die werk-
tiichtigen, in der Wahrheit stehenden Unparteiischen.
22. Die Askese {tapas mit C.) ist das Heil der Wesen,
ihre Wurzel Beruhigung und Bezahmung, (8532.) durch sie er-
langt man alle Wiinsche, die man im Herzen hegt.
23. Durch Tapas erlangt es der Schopfer, dafs er die
gewordene Welt geschaffen hat, (8533.) und indem er zu ihr
geworden ist, wird er der Herr aller Geschopfe.
24. Durch Tapas studierten die Rishi's die Veden Tag
und Nacht, (8534.) und durch ebendasselbe ist die anfang-
und endlose Wissenschaft als heilige Rede geschaffen worden
von dem, der durch sich selbst ist, [es folgt nur in C. :] die
von Anfang an aus dem Veda bestehende gottliche, aus der
alle Entwicklungen hervorgehen.
25. (8535.) Die Namen der Rishi's und die in den Veden
erwahnten Schopfungen, sowie Namen und Gestalten der
Wesen und die Entwicklung der Werke,
26. (8536.) das alles schafft jener Igvara am Anfang aus
, den Vedaworten, und auch die Namen der Rishi's und die in
den Veden erwahnten Schopfungen (S537.) verleiht der Un-
geborene am Ende der Weltnacht an andere unter den Edel-
geborenen. ,
Adhyaya 232 (B. 233). 339
27. In der Verschiedenheit der Namen, in der Askese
und dem, was Werk und Opfer genannt wird, bestehen die
Ziele der Welt; (8538.) das Ziel des Atman aber wird in den
Veden auf zehnerlei (vielerlei) Arten gelehrt.
28. Das Tiefsinnige, was in den Vedaworten ausge-
sprochen wurde von denen, die den Veda geschaut hatten,
(8539.) das wird schliefslich nach seiner Bedeutung durch
stufenweise zunehmende Hingebung erkannt.
29. Durch die Werke bedingt und mit den Gegensatzen
behaftet ist diese individuelle Existenz der Seele ; (8540.) diese
lafst hinter sich mit Kraft der Mensch, welcher durch die
Erkenntnis das Ziel des Atman erreicht hat.
.30. Zwei Brahman's mufs der Mensch kennen, das Wort-
brahman und das hochste; (8541.) wer im Wortbrahman be-
wandert ist, erreicht auch das hochste Brahman (vgl. Maitr.
Up. 6,22).
31. Das Opfer der Kshatriya's ist die Totung, das Opfer
der Vaigya's die Darbringung, (8542.) das Opfer der Qudra's
die Dienstleistung , das Opfer der Zwiegeborenen ist Tapas.
32. Jedoch gilt diese Vorschrift der Opfer nur fiir das
Tretazei taker, nicht fiir das Zeitalter Kritam, (8543.) im Dva-
parazeitalter geraten die Opfer in Verfall und ebenso im Zeit-
alter Kali.
33. Nicht gesonderte Satzungen habend sind die Menschen
in betreff des Rig-, Sama- und Yajurveda, (8544.) wahrend sie
die auf spezielle Wiinsche gerichteten Opfer als gesonderte
ansehen, sowie vermoge der asketischen Ubungen das Tapas.
34. Aber in dem Tretazeitalter geschah es, dafs alle jene
hochkraftigen Dinge, welche geoffenbart worden waren (8545.)
als die Ziigler des Unbeweglichen und Beweglichen allerwarts,
35. dafs diese im Tretazeitalter verkiirzt wurden, namlich
die Veden, die Opfer, die Kasten und die Lebensstadien. (8546.)
Vermoge der Beschrankung der Lebenszeit aber verfallen diese
[noch mehr] im Zeitalter Dvapara,
36. und im Kalizeitalter vollends kommen die gesamten
Veden nur noch stellenweise zum Vorschein (8547.) und schwin-
den hin mitsamt den Opfern, unterdriickt durch die vollige
Gesetzlosigkeit.
22*
340 ni. Mokshadharma.
37. Was im Kritazeitalter Gesetz war, das ist nur noch
zu finden als bei den Brahmanen (8548.) vorhanden, welche am
Atman, am Tapas und an der Schriftoffenbarung festhalten.
38. Aber von Zeitalter zu Zeitalter werden entsprechend
seinem Charakter mitsamt den Zusammenhangen der Satzungen
und Geliibde (8549.) die durch Uberlieferung iiberkommenen
und in ihrem eigenen Gesetze begriindeten Vedareden entstellt.
39. Wie in der Regenzeit durch den Regen alle Geschopfe
immer zahlreicher (855o.) hervorgebracht werden, die beweg-
lichen und unbeweglichen, so wuchern die Unsitten von Zeit-
alter zu Zeitalter fort.
40. Wie in den verschiedenen Jahreszeiten die mannig-
fachen Attribute derselben im Verlaufe (8551.) als diese oder
jene zum Vorschein kommen, so ist es bei den Vernichtungen
durch Brahman und [seinen Neuschopfungen] :
41. So namlich ist die anfanglose und endlose Mannig-
faltigkeit der Zeiten vorausbestimmt ; (8552.) dies ist dir schon
vordem verkiindet worden: das Brahman erzeugt und ver-
schlingt die Geschopfe.
42. Das Brahman schafft und ist der Ort der Wesen, es
wird angesehen als die Zeit; (8553.) sie aber entwickeln sich
ihrer Natur gemafs, indem sie vielfach den Gegensatzen unter-
worfen sind.
43. Schopfung, Zeit, Opferwerke und Veden, der Schopfer
und die Frucht der Pflichterfiillung — (8554.) alles dieses ist
erklart worden, mein Sohn, wonach du mich gefragt hast.
So lautet im Mokshadharma die Frage des tjuka
(Quka - anupra<^na).
Adhy%a *i33 (B. *^34).
Vers 8555-8574 (B. 1-19).
Vyasa spi-ach:
1. (8555.) Nun will ich dir reden von der Absorption der
Welt zu Anfang der Weltnacht, nachdem der Tag dahin ist,
und wie der Igvara dieses Weltall zu seinem eigenen, uberaus
feinem Selbste macht.
Adhyaya 233 (B. 234). 341
2. (8556.) Es brennen dann am Himmel die Sonne und
sieben, mit Spitzflammen lohende Feuersgluten , und diese
ganze Welt, von ihren Gluten erfiillt, geht in Flammen auf.
3. (8557.) Die Wesen, bewegliche und unbewegliche, welche
sich auf der Erde befinden, diese gehen zunachst zugrunde
und werden wieder zur Erde.
4. (8558.) Wenn dann alles zugrunde geht, das Unbeweg-
liche und das Bewegliche, dann erscheint die Erde baumlos
und graslos, wie der Riicken einer Schildkrote.
5. (8559.) Wenn dann das Wasser den Geruch, wiewohl
er die Qualitat der Erde ist, in sich aufnimmt, dann ist die
des Geruches beraubte Erde zum Untergange reif.
6. (8560.) Dann bestehen die wogenden, machtig brausen-
den Wasser noch fort, und indem sie diese ganze Welt er-
fiillen, stehen und gehen sie hin und her.
7. (8561.) Wenn dann weiter das Feuer die Qualitat des
Wassers [den Geschmack] in sich aufnimmt, dann kommen
die ihrer Qualitaten beraubten Wasser in dem Feuer zur Kuhe.
8. (8562.) Wenn dann die flammenden Gluten die in ihrer
Mitte befindliche Sonne umhiillen, dann geht der ganze von
Gluten erfiillte Himmel in Flammen auf.
9. (8563.) Wenn dann der Wind die Sichtbarkeit, wiewohl
sie die Qualitat des Feuers ist, in sich aufnimmt, dann kommt
das Feuer zur Ruhe und der grofse Wind durchbraust mach-
tig das All.
10. (8564.) Indem dabei der Wind das Getose, aus welchem
sein Ursprung war, sich zu eigen macht, durchbraust er nach
unten, oben und in die Quere alle zehn Himmelsgegenden.
11. (8565.) Wenn dann der Ather die Beriihrung, wiewohl
sie die Qualitat des Windes ist, verschlingt, dann kommt der
Wind zur Ruhe und nur der tonerfiillte Ather besteht noch,
12. (8566.) Ohne Sichtbarkeit, ohne Geschmack und Be-
riihrung, ohne Geruch und ohne Gestalt durchtont die ganze
Welt und besteht weiter der tonerfiillte Ather.
13. (8567.) Den Ton, obwohl er die Qualitat des Athers
ist, [verschlingt] das seiner Natur nach offenbarende Manas,
den offenbaren Teil des Manas verschlingt sein unoffenbarer,
[so erfolgt] die Weltauflosung in Brahman.
342 III. Mokshadharma.
14. (8568.) Dieses Manas, indem es in seine Qualitat [den
Wunsch samkal^oa] eingeht, verschlingt der Mond, und wahrend
das Manas zur Ruhe kommt, besteht es weiter in dem Monde.
15. (8569.) Diesen Wunsch fsamkalpa) bringt durch lange
Zeit der Mond in seine Gewalt; namlich der Samkalpa ver-
schlingt das Cittam (Manas), dieses aber [das Cittam in Ge-
stalt seiner Quahtat des Samkalpa] wird verschlungen von
dem hochsten Bewufstsein;
16. (8570.) das Bewufstsein wird verschlungen von der
Zeit, die Zeit wieder von der Kraft, wie die Schrift lehrt
[Chand. Up. 7,8,1]; die Kraft aber wird von der Zeit ver-
schlungen und diese wiederum wird von dem Wissen unterjocht.
17. (8571.) Dann nimmt der Wissende den Ton des Athers
in sich auf, und das ist dann das hochste Brahman, das ist
das uniibertreff liche Ewige. (8572.) So steht es mit alien Wesen,
das Brahman ist ihre Auflosung;
18. wie es dir vollstandig verkiindet worden ist, so steht
es damit, daran ist kein Zweifel, (8573.) wie die aus dem
Wissen stammende Belehrung geschaut wurde von den
Yogin's, die den hochsten Atman besafsen.
19. So erfolgen immer wieder und wieder Weltausbrei-
tung und Weltvernichtung in der unoffenbaren Wesenheit
des Brahman (8574.) am Anfange der Tausende von Welt-
altern, aus denen beide bestehen, und so steht es mit dem
Tage und der Nacht [des Brahman].
So lautet im Mokshadharina die Frage des (,'nka
(Quka - anupra(;na).
Adhyaya 234 (B. 235).
Vers 8575-8612 (B. 1-38).
Vyasa sprach:
1. (8575.) Was vorausbestimmt war fiir die Schar der
Wesen, das ist dir von mir verkiindet worden. Was aber
die Pflicht eines Brahmanen ist, das will ich dir sagen, das
vernimm.
Adhyaya 234 (B. 235). 343
2. (8576.) Von der Geburtszeremonie an soil fiir ihn die
Ausfiihrung der opferlohnbringenden Werke bis zur Heim-
kehr aus der Lehre unter einem Lehrer erfolgen, der den
Veda ganz durchstudiert hat.
3. (8577.) Nachdem er die gesamten Veden studiert und
an dem Gehorsam gegen den Lehrer seine Freude gehabt
hat, soil er nach Abtragung der Schuld an den Lehrer als
ein Opferkundiger heimkehren.
4. (8578.) Nachdem er von seinem Lehrer entlassen ist,
soil er eines der vier Lebensstadien bis zur Erlosung von
dem Leibe nach der Vorschrift einhalten,
5. (8579.) sei es durch Zeugung von Nachkommen und
Heirat oder durch eine [fortgesetztej Brahmanschiilerschaft
oder durch das Wohnen im W^alde in der Nahe des Lehrers
oder auch durch Ubernahme der Pflichten eines Yati (San-
nyasin).
6. (8580.) Aber der Hausvater gilt fiir die Wurzel aller
dieser Pflichtstadien , denn wo gekochter Saft [oder doppel-
sinnig: abgetane Siinde] ist, da gedeiht iiberall der sich Be-
zahmende.
7. (8581.) Als kinderreich, schriftkundig und opferfleifsig
die drei Schulden abgetragen habend, mag er sodann, durch
Werke gelautert, spater zu anderen Lebensstadien iibergehen.
8. (8582.) Den reinsten Ort auf der Erde, den er kennt,
soil er bewohnen, an diesem strebe er nach Vorbildlichkeit
und [beharre] in hochstem Ansehen.
9. (8583.) Durch grofse Askese oder auch durch volliges
Durchdringen der Wissenschaft oder durch Opfern oder
Almosengeben konnen die Brahmanen zu Beriihmtheit ge-
langen.
10. (8584.) Solange einem in dieser Welt riihmliches Lob
zuteil wird, solange erlangt der Mensch die unendlichen
Welten der Vollbringer heiliger W^erke (Gen. mit C).
11. (8585.) Er moge den Veda lehren und lernen, er moge
opfern lassen oder opfern, er moge nie Gaben empfangen
oder spenden, wo es nicht berechtigt ist.
12. (8586.) Mag es herriihren von einem Opferherrn oder
Schiller oder Madchen, es gelte ihm als grofse Gabe; und
344 ni. Moksliadharma.
wenn er etwas erhalt oder opfert oder spendet, auf keinen
Fall soil er als einziger geniefsen.
13. (8587.) Fiir ihn, solange er ein Hausvater ist, gibt es
kein anderes Siihnemittel , welches dem gleichkame, wenn
um der Gotter, Vater, Rishi's oder Lehrer willen die Alten,
Kranken und Hungrigen von ihm ein Almosen erhalten.
14. (8588.) Wenn welche sind, die von geheimen Feinden
bedrangt werden und ilir Dasein nach Kraften zu erhalten
suchen, so soil man solchen audi iiber seine Kraft hinaus
spenden von dem, was man aus seinen Mitteln zubereitet hat.
15. (8589.) Es gibt gar nichts, was nicht an Wiirdige und
Achtbare zu geben ware, denn sogar das Rofs Uccaihgravasa
kann, wie man weifs, von Edlen erlangt werden.
IG. (8590.) Einem Wunsche nachgebend hat der geliibde-
ti-eue Satyasandha mit seinem Leben das Leben der Brah-
manen gerettet und ist zum Himmel eingegangen.
17. (8591.) Und auch Rantideva, der Sohn des Saiikriti,
nachdem er dem hochherzigen Vasishtha kaltes und warmes
Wasser gespendet hat, geniefst dafur die Herrlichkeit auf
dem Riicken des Himmels.
18. (8592.) Und auch Indradamana, der Nachkomme des
Atri, der weise Fiirst, nachdem er einem Wiirdigen mannig-
faches Gut gespendet hatte, ging dafiir in die ewigen Wel-
ten ein.
19. (8593.) Und Cibi, der Sohn des Uginara, nachdem er
seine Glieder und seinen eigenen lieben Sohn [Brihadgarbha]
dem Brahmanen zuliebe hingegeben hatte, ist infolgedessen
zum Riicken des Himmels aufgestiegen.
20. (8594.) Und Pratardana, der Konig von Kagi, der seine
eigenen Augen einem Brahmanen hingegeben hatte, erlangte
dafiir unvergleichlichen Ruhm hier und im Jenseits.
21. (8595.) Nachdem Devavridha seinen gottlichen, acht-
stangigen, goldenen, hochst gedeihlichen Sonnenschirm ab-
gegeben hatte, fuhr er mitsamt seinem Konigreiche zum
Himmel.
22. (8596.) Und Saiikriti, aus dem Geschlechte des Atri,
der Hochgewaltige, welcher seinen Schiilern das attributlose
Brahman lehrte, ging ein in die uniibertrefflichen Welten.
Adhyaya 234 (B. 235). 345
23. (8597.) Der glanzreiche Ambarisha schenkte den Brah-
manen elfhunderi Millionen Kiihe und fuhr mitsamt seinem
Konigreiche zum Himmel.
24. (8598.) Urn eines Brahmanen willen verzichtete Savitri
auf die himmlischen Ohrringe und Janamejaya auf seinen
Leib und beide gingen dafiir ein zu der hochsten Statte.
25. (8599.) Vrishadarbhi Yuvanagva hat alle seine Schatze,
seine lieben Frauen und seine herrliche Wohnung hingegeben
und ist dafiir zur Himmelswelt gelangt.
26. (8600.) Nimi, Konig von Videha, gab den Brahmanen
sein Reich, der Sohn des Jamadagni die Erde, Gaya die weite
Welt mit ihren Stadten.
27. (8601.) Und als Parjanya nicht regnete, belebte als
Wesenschopfer Vasishtha alle Wesen, wie Prajapati die Ge-
schopfe.
28. (8602.) Und auch der Sohn des Karandhama, der wohl-
bereitete Maruta, gab seine Tochter dem Aiigiras und ge-
langte alsbald in den Himmel.
29. (8603.) Und Brahmadatta, der Konig der Paficala's,
der Beste unter den Weisen, gab seinen Schatz, die Muschel,
den Obersten der Zwiegeborenen und erlangte dafiir die
Himmelswelten.
30. (8604.) Auch der Konig Mitrasaha gab dem hoch-
herzigen Vasishtha seine geliebte Madayanti und kam dafiir
mit ihr in den Himmel.
31. (8605.) Der hochberiihmte Konigsweise Sahasrajit gab
um eines Brahmanen willen das liebe Leben hin und gelangte
in die untibertrefflichen Welten.
32. (8606.) Und der Fiirst (^'atadyumna, nachdem er sein
mit allem Wiinschenswerten erfiilltes goldenes Haus dem
Mudgala gegeben hatte, ging in den Himmel ein.
33. (8607.) Und der mit Namen Dyutiman genannte herr-
liche Konig der (^'alva's iibergab sein Reich dem Ricika und
ging ein zu den hochsten Welten.
34. (8608.) Auch der machtige Konigsweise Somapada gab
seine Tochter (^anta dem Rishyagringa und wurde dafiir reich-
lich mit allerlei Wiinschenswertem beschenkt.
346 in. Mokshadharma.
35. (8609.) Auch der Konigsweise MadiraQva gab seine
schlanke Tochter dem Hiranyahasta und gelangte in die von
Gottern gepriesenen Welten.
36. (8610.) Und Prasenajit, der machtige Konig, weleher
hunderttausend Kiihe mitsamt ihren Kalbern verschenkt hatte,
gelangte in die hochsten Welten.
37. (8611.) Diese und viele andere Hochherzige sind durch
Gaben und Askese zum Himmel gelangt, belehrten Geistes
und mit bezahmten Sinnen.
38. (8612.) Ihr Ruhm steht lest, solange die Erde stehen
wird; sie alle eriangten durch Gaben, Opfer und Erzeugung
von Nachkommen den Himmel.
So lautet im Mokshadharma die Frage des <i,'uka
((^uka - anupra^na).
Adhyaya *^35 (B. 236),
Vers 8613-8644 (B. 1-32).
Vyasa sprach :
1. (8613.) Die dreifache Wissenschaft, wie sie in den Veden
ausgesprochen ist, soil man sodann gliedweise betrachten
nach Worten und Silben der Rikverse und der Samanlieder
und ebenso beim Yajur- und Atharvaveda.
2. (8614.) In ihnen lebt der Erhabene, beharrend in den
sechs Werken [des Lernens, Lehrens, Opferns, Opfernlassens,
Gebens und Nehmens]. Denn diejenigen, welche mit den
Vedaworten bekannt und mit der hochsten Seele bekannt sind,
3. (8(;i5.) iiberschauen als Realitathafte und Hochbegliickte
das Entstehen und Vergehen. So moge er im Gesetze leben
und das Opfer als ein Unterrichteter betreiben.
4. (8616.) Ohne die Wesen zu bedrangen, soil der Zwie-
geborene seine Aufgabe zu erfiillen suchen, von den Guten
das Wissen iiberkommen habend, belehrt, der Satzung kundig.
5. (8617.) Seiner Pflicht gemafs steht in der Werkwelt, in
Opferwerken und Wahrheit wurzelnd und lebend, der Zwiege-
borene als Hausvater fest in den sechs Werken (vgl. Vers 8614).
Adbyaya 235 (B. 236). 347
6. (8618.) Die fiinf Opfer [an Gotter, Eishi's, Vater, Men-
schen und Tiere] moge er immerfort darbringen als ein Glau-
biger, Beharrlicher, Besonnener, Bezahmter, Pflichtkundiger,
Atmanhafter.
7. (8619.) Frei von Freude, Ubermut und Zorn wird der
Brahmane nicht lassig. Geben, Studieren, Opfer, Askese,
Schamhaftigkeit, Rechtschaffenheit und Selbstbeherrschung,
8. (8620.) das sind die Mittel, durch welche er seine Kraft
steigert und das Ubel fernhalt, er, der das Bose abgeschiittelt
hat, voll Weisheit, mafsig sich nahrend und bezahmter Sinne.
9. (8621.) Lust und Zorn bewaltigt habend, moge er der
Statte des Brahman nachspiiren, moge die Opferfeuer und
Brahmanen hochachten und die Gottheiten verehren.
10. (8G22.) Er halte fern von sich ^ herrische Rede und
Totung, sofern sie nicht vom Gesetze geboten ist. Dies wird
als die von den Alten eingehaltene Lebensweise des Brah-
manen vorgeschrieben.
11. (8623.) Indem er nach Wissen und UberHeferung die
Werke vollzieht, bringt er es in ihnen zur Vollkommenheit.
Den die fiinf Sinne als Wasser habenden, furchtbaren, aus
der Begierde entspringenden, schwer zu durchschwimmenden,
12. (8624.) den Zorn als Schlamm fiihrenden, unaufhalt-
samen Strom durchschreitet der Weise. Er schaue hin auf
die bestandig lauernde, unendliches Wirrsal bringende Zeit.
13. (8625.) Durch die grofse, vom Schicksal ausersehene,
unwiderstehliche Gewalt, durch den Strom der Xatur wird
die gewordene Welt unaufhorlich fortgerissen.
14. (8626.) Durch diesen Strom, dessen Wasser die Zeit
ist, den grofsen, dessen Strudel fort und fort die Jahre sind,
der die Monate als Wellen, die Jahreszeiten als Stromschnellen,
die Monatshalften als Buschwerk und Graser hat,
15. (8627.) dessen Schaum die aufblitzenden Augenblicke,
dessen Wasser die Tage und Nachte sind, der furchtbar ist
durch das Krokodil der Lust, auf dem Veda und Opfer als
Schiffe dienen,
16. (8628.) auf dem das Gute die Rettungsinsel fiir die
Wesen bildet, dessen Wasser das Niitzliche und Angenehme
sind, der die Wahrheit, das heilige Wort und die Erlosung
348 III- Mokshadharma.
als Ufer hat, der die Scliadigungen als Baumstamme mit
sich fiihrt,
17. (8629.) in dessen Mitte die Weltalter die Fluten eines
Sees bilden, dessen Vergang und Entstehen aus Brahman
ist, — durch diesen Strom werden die von dem Schopfer ge-
schaffenen Wesen fortgefiihrt in die Behausung des Yama.
18. (8630.) Diesen Strom iiberschreiten Besonnene, Weise
mit den aus Opfern bestehenden Schiffen, aber die, welche
dieses Schiff nicht haben, was werden diese Unverstandigen
machen ?
19. (8631.) Was einen auch immer treffen mag, der Weise
hilft sich heraus, aber kein anderer, denn von feme schon
iiberschaut der Weise allenthalben Tugend und Laster.
20. (8632.) Aber der Begierdehafte, Wankelmiitige , Ein-
sichtarme, Unweise kommt nicht iiber den Zweifel hinaus;
denn wer stillsitzt, kommt nicht vorwarts.
21. (8633.) Aber der Schiff lose halt in seiner Verblendung
die grofse Siinde fest; wenn er von dem Krokodil der Lust
ergriffen ist, so ist ihm auch die Erkenntnis als Schiff
nichts niitze.
22. (8634.) Darum soil, wer weise ist, sich bemiihen empor-
zutauchen; darin aber besteht sein Emportauchen , dafs er
ein Brahmana [pragnant wie Brih. Up. 4,4,23] wird.
23. (8635.) Darum soil, wer in einer gelauterten Familie
geboren ist, obgleich mit den drei [Guna's] zusammengeknetet,
durch Vollbringen der drei Werke [des Studiums, Opfers und
Gebens] in dem Auftauchen beharren, damit er durch Er-
kenntnis sich rette.
24. (8636.) Denn ihm, welcher geweiht, bezahmt, in sich
gefestigt, Herr seiner selbst und weise ist, wird als unmittel-
bare Folge VoUendung zuteil in dieser Welt und im Jenseits.
25. (8637.) In diesen Verhaltnissen lebe der Hausvater ohne
Zorn und ohne Murren und bringe fort und fort die fiinf
Opfer [vgl. Vers 86i8] dar, indem er sich von den Opfer-
resten nahrt.
26. (8638.) Er beharre in der Pflicht der Guten, betreibe
als ein Kundiger das Opferwerk und trachte, ohne die Mit-
menschen zu bedrangen, nach einem unbescholtenen Wandel.
Adhyaya 235 (B. -236). 349
27. (8039.) Die Schrift, das Wissen und die Wahrheit
kennend, wandelnd nach der Lehre und kundig, tatig in Er-
fiillung seiner Pflicht und auch in seinen Handlungen, die
Vermischung mit anderen Kasten meidend,
28. (8(540.) werkeifrig, glaubig, bezahmt, weise, zufrieden
und den Unterschied von Gutem und Bosem kennend, so iiber-
windet er jede Schwierigkeit.
29. (8641.) Glaubig, beharrlich, besonnen, bezahmt, pflicht-
kundig, atmanhaft, frei von Freude, Ubermut und Zorn wird
der Brahmane nicht lassig [vgl. Vers 86i8— 8i;i9].
30. (8C42.) Dieses wird als die althergebrachte Lebens-
fiihrung des Brahmanen vorgeschrieben; wenn er mit dieser
Erkenntnis ausgeriistet die Werke vollbringt, kommt er aller-
warts zum Gelingen.
31. (8643.) Der Unwissende, auch wenn er das Rechte hebt,
tut doch das Unrecht; er vollbringt das Rechte oder den
Schein des Rechten gleichsam mit ^Viderstreben.
32. (8644.) Er glaubt, das Rechte zu tun, und tut das
Unrechte; er strebt nach dem Unrechten und tut das
Rechte; den Unterschied beider Handlungsweisen nicht
verstehend, wird ein solcher Mensch geboren und stirbt
als ein Tor.
So lautet im Mokshadharma die Frage des '^'uka
((^uka-anupra<;na).
Adhyaya *i:^6 (B. 237).
Vers 8645-8687 (B. l-41j.
Vyasa sprach:
1. (8645.) Wenn nun einer dazu gelangt, an diesem [Ge-
sagten] Gefallen zu fmden, wahrend er von dem Strome fort-
gefiihrt wird, so wird er emportauchend und sinkend als
Weiser nicht des Schiffes ermangeln.
2. (8646.) In der Erkenntnis gefestigt, setzen die Weisen
auf Schiffen die Unweisen iiber den Strom, aber die Un-
weisen sind nicht imstande, andere oder §ich selbst irgend-
wie iiberzusetzen.
350 III- Mokshadharma.
3. (8G47.) Die Siinde vernichtend, moge der von ihr Be-
freite durch den Yoga die zwolf [Leib, Manas und Sinne
Qvet. Up. 2,8] anspannen, indem er iiber Ort, Werk, Leiden-
schaft, Zweck, unzulangliche Mittel und ihre Beseitigung Ge-
wifsheit besitzt.
4. (8648.) Durch Einschrankung des Auges und der Er-
nahrung moge mitsamt Denken und Sehen die Rede und das
Manas durch die Buddhi niederhalten , wer die hochste Er-
kenntnis zu erlangen wiinscht.
5. (8649.) Durch die Erkenntnis moge sein Selbst bandi-
gen, wer die Beruhigung seines Selbstes zu erringen wiinscht.
Wenn er zum blofsen Zuschauer aller jener Dinge geworden
ist, dann wird auch der sehr Hartherzige zum Purusha.
6. (8650.) Mag der Brahmane nun alle Veden oder mag
er keinen Vers da von kennen, mag er ein pflichttreuer
Opferer oder ein Erzbosewicht sein,
7. (8651.) mag er nun ein ausgezeichneter Mann oder ein
von den Beschwerden fJclegaJ iiberwaltigter sein, — wenn er
so verfahrt, so iiberschreitet er den schwer zu iiberwindenden
Ozean von Alter und Tod.
8. (8652.) Wenn er in dieser Weise durch diesen Yoga
sich so von Grund aus bereitet, dann gelangt er, wenn er
auch noch so erkenntnisdurstig ist, iiber das Wortbrahman
hinaus.
9. (8653.) Der Gerechtigkeit als Wagensitz hat, Scham-
haftigkeit als Schutzbrett, Gelingen und Mifslingen als Deichsel,
Einhauch als Achse, Aushauch als Joch, Bewufstsein, Leben
und Seele als Bander,
10. (8654.) der Geistigkeit als Standbrett hat, der schone,
der Ergreifung eines guten Wandels als Radkranz, Sehen
und Fiihlen als Beweger, Riechen und Horen als Zugtiere hat,
11. (8655.) dem die Erkenntnis als Nabe, alle Lehrbiicher
als Stachelstock, das Wissen als Wagenlenker, der Kshe-
trajna (Atman) als Wagenfahrer dient, der feste, der Glauben
und Bezahmung als Vorlaufer,
12. (8656.) Entsagung als kleinen Nachlaufer hat, der
sicheren Sitz Bietende, im Reinen Dahinfahrende , dessen
Bahn die Meditation ist, — das ist der von der Seele an-
Adhyaya 236 (B. 237). 351
geschirrte, gottliche Wagen, der in der Brahmanwelt er-
glanzt.
13. (8657.) Wer ohne Verzug den Wagen in dieser Weise
zu bespannen sucht und auf ihm zu dem Unverganglichen
zu gelangen strebt, dessen schnellen Lauf will ich dir er-
klaren.
14. (8658.) Die Stimme unterdriickend, gelangt man zu den
sieben vollstandigen Fixierungen [des Manas], und andere
ebenso grofse sind nach riickwarts [auf die Kreise von Sonne,
Mond, Polarstern usw. Nil.] und nach seitwarts [auf Nasen-
spitze, Brauen, Kehlgrube usw. Nil.] gerichtet; dies sind die
Fesselungen [des Manas].
15. (8659.) Dadurch geschieht es, dafs man stufen weise
zur Herrschaft iiber die Erde und die Luft — ebenso steht
es mit Ather und Wasser — zur Herrschaft iiber das Feuer
und ebenso iiber Ahaiikara und Buddhi, (8660.) und stufen-
weise audi zur Herrschaft iiber das Avyaktam gelangt.
16. Fiir den, welcher unter ihnen, die mit dem Yoga
solcher Art beschaftigt sind, diese Tiichtigkeiten besitzt, (866i.)
welcher so den Yoga iibt, ihm hingegeben und die Voll-
kommenheit in sich selbst schauend,
17. fiir ihn, den als ein Erloster (Nom. nirmucyamdnah !)
vermoge seiner Feinheit jene Gestalten Schauenden, (8662.) fiir
ihn ist, gleichwie ein feiner winterlicher Nebel den Himmel
iiberzieht,
18. so, wenn er von seinem Leibe erlost ist, seine friihere
Gestalt. (8663.) Wenn dann der Nebel sich senkt, so folgt
das Sehen einer zweiten Erscheinung,
19. namlich wie man so etwas wie Wasser im Ather
bemerkt, so sieht er etwas derartiges in seinem eigenen
Innern. (8664.) Und nachdem er iiber das Wasser hinaus-
gelangt ist, erscheint ihm eine Art Feuer.
20. Ist dies zur Ruhe gekommen, so erscheint ihm der
seine Waffen in sich tragende fpitagastra?) Trejber (der
Wind). (8665.) Alsdann erscheint seine Gestalt wie eines, der
weifs wie Wolle ist.
21. Wenn er sodann den weifsen Pfad gegangen ist und
weiter zu dem feinen Windartigen, (8666.) dann wird ferner-
352 in. Mokshadharma.
hin dem Brahmanen auch die nichtweifse Feinheit des Feuers
(vgl. Chand. Up. 6,4,1} verheil'sen.
22. Nachdem nun dieses alias erlblgt ist, so hore, welche
Friichte daraus entspringen. (8667.) Wenn er dazu geworden
ist, so wird ihm vermoge der Gottherrlichkeit liber das Erd-
artige Schopferkraft verliehen,
23. und wie der unwandelbare Prajapati • schafft er aus
seinem Leibe die Geschopfe (sees.) nur mit seinen Fingern
und Daumen oder mit seinen Handen und Fiifsen.
24. Die Erde vermag er ganz allein zu erschiittern, in-
dem er, wie die Schrift sagt, zur Qualitat des Windes ge-
worden ist. (S669.) Wenn er zum Ather geworden ist, so
erglanzt er in ihm, indem er seine Farbe annimmt, oder von
der Farbe [abstehend] macht er sicli unsichtbar, oder auch
er trinkt die Behalter [Brunnen, Teiche, Seen] leer.
25. (8e70.) Auch kann es geschehen, dafs seine Gestalt
nicht erst wie die von Feuern sichtbar wird und dann ver-
schwindet: Hat er erst den Ahaiikara iiberwunden, so sind
alle jene fiinf [Elemente] seinem Willen untertan.
26. (8671.) Dann gewinnt er, indem auch die Buddhi iiber-
wunden wurde, die Herrschaft iiber jene in ihm vorhandenen
sechs [die fiinf seinen Korper bildenden Elemente und den
Ahaiikara], und es iiberkommt ihn der voile, fleckenlose Glanz.
27. (8672.) Und ebenso geht dann sein Entfaltetes in den
unentfalteten Atman [die Prakriti] ein, aus welchem die Welt
ausstromt und durch welchen sie den Namen des Entfalteten
erlangt.
28. (8673.) Nunmehr vernimm von mir ausfiihrlich die auf
das Unentfaltete beziigliche Wissenschaft, ferner lerne vor-
her von mir das, was nach der Saiikhyalehre das Entfaltete
ausmacht.
29. (8G74.) Die fiinfundzwanzig Prinzipien, welche gleich-
mafsig in beiden, dem Yoga und dem Sankhyam, gelten,
und ebenso den Unterschied beider Lehren sollst du von
mir horen.
30. (8675.) Das Entfaltete (vyaUamJ heifst dasjenige, wel-
ches entsteht, wachst, altert und stirbt, indem es mit [diesen]
vier Merkmalen behaftet ist.
Adhyaya 286 (B. 237). 353
31. (8676.) Hingegen dasjenige, welches ihm entgegen-
gesetzt ist, wird das Unentfaltete genannt. Ferner werden
zwei Atman's [Prakriti und Purusha] in den Veden und den
Lehrbiichern [nach Nil.: dem Vedanta] unterschieden.
32. (8677.) Aber das Ersterwahnte, welches die vier Merk-
male an sich tragi, bezeichnen sie als den Caturvarga [die
vier Klassen von Wesen: Gotter, Menschen, Tiere, Pflanzen].
Das Entfaltete und das Unentfaltete [die Prakriti] wird auf-
gefafst als ein Ungeistiges, (8678.) und audi das [noch zur
Prakriti gehorige] Sattvam und der Kshetrajfia [Purusha]
werden als zwei verschiedene aufgezeigt.
33. Beide Atman's hangen, wie die Veden lehren, den
Sinnendingen an, (8679.) aber die Zuriickziehung von den
Sinnendingen sollst du als Merkzeichen der Sankhya's [nach
Nil. der Auj^anishada' s] wissen.
34. Dann wird man selbstlos, frei von Ichbewufstsein,
von Gegensatzen und von Zweifeln, (8680.) dann ziirnt man
nicht und hafst nicht und spricht keine unwahren Worte.
35. Wird einer angeschrien oder geschlagen, so sinnt
er aus Liebe nicht auf Boses. (868i.) Rache durch Worte,
durch Taten oder in Gedanken legt er alle drei von sich ab.
36. Gleichmafsig gegen alle Wesen, wendet er sich zu
Gott Brahman bin, (8682.) er wiinscht nichts und ist doch
nicht wunschlos, sich begniigend mit dem blofsen Unterhalte
seines Lebens.
37. Nicht begehrlich, unerschiitterlich , sich bezahmend
ist er, ungekiinstelt und doch nicht ohne Kunst, (8683.) seine
Sinnlichkeit ist nicht auf vielerlei gerichtet, seine Wiinsche
gehen nicht nach alien Seiten.
38. In alien Wesen sieht er dasselbe, freundlich ge-
sinnt, gleichgiiltig auf Erdschollen und Goldklumpen blickend,
(8684.) gleichmlitig bei Angenehmem und Unangenehmem, gleich-
miitig gegen Tadel und Lob.
39. Begierdelos gegeniiber alien Wiinschen, fest in dem
Geliibde des Brahmanwandels, (8685.) kein Wesen schadigend,
so sich verhaltend wird der Anhanger des Saiikhyam der
Erlosung teilhaftig.
40. Wie sie vom Yoga aus zur Erlosung gelangen und
Deusses, Mah&bh&ratani. 23
354 ni. Mokshadharma.
durch welche Ursachen, das vernimm. (8686.) Wer, die Gott-
herrlichkeit als Yoga iiberschreitend, iiber sie hinausgelangt,
der wird erlost.
41. Damit ist dir die aus dem richtigen Verhalten ent-
springende Erkenntnis erklart worden, daran ist kein Zweifel.
(8687.) Auf diese Weise wird man von den Gegensatzen frei
und gelangt zu Gott Brahman. [Nur in C. :] Und hingegeben
in \\ erken und Gedanken, wendet man sich dem Gott Brah-
man zu.
So lautet im Mokshadharma die Frage des (^uka
(Quka - anupr<i(;na) .
Adhyaya 337 (B. 338).
Vers 8688-8712 (B. 1-25).
Vyasa sprach:
1. (8688.) Wenn der Weise das Schiff der Erkenntnis be-
stiegen hat, namhch die Ruhe der Seele, soil er, emporgehoben
und niedersinkend , seine Zuflucht in dem Wissen suchen.
Quka sprach :
2. (8689.) Aber was soil ich unter diesem Wissen ver-
stehen, durch welches man die Zweiheit iiberschreitet. Hat
diese Kegel als Merkmal ein Tun oder ein Ablassen vom
Tun, das sage mir.
Vyasa sprach :
3. (8690.) Wer aber aus seiner Natur heraus die Dinge
ansieht ohne das richtige Verhalten fbJidvaJ, der ist unver-
standig; hingegen durch die Erkenntnis bringt man alle zum
Gedeihen, welche nach der Erlosung [muMi mit C] streben.
4. (8691.) Diejenigen, welche trotz des vollig hingebenden
Verhaltens die Ursache in ihrer eigenen Natur zu fmden
glauben, die gelangen, auch wenn sie Gras oder Halm von
der Umhiillung siiubern [den Atman wie einen Halm aus dem
Schilfe herausziehen nach Kath. Up. 6,17], doch zu nichts.
5. (8692.) Diejenigen, welche, diese Richtung einschlagend.
Adhy^ya 237 (B. 238). 355
als Torichte wiederkehren, die konnen, weil sie in ihrer eigenen
Natur die Ursache suchen, nicht zum Heile gelangen.
6. (8693.) Die eigene Natur, welche in Verblendung, Werken
und Wiinschen wurzelt, fiihrt zum Verderben, und dieses gilt
von beiden, von der eigenen und von der sie umgebenden Natur.
7. (8694.) Die irdischen Tatigkeiten des Pfliigens usw. und
des Erntens der Feldfrucht sind von Weisen hervorgebracht,
sowie auch die Wagen, Sessel und Hauser.
8. (8695.) Von Spielplatzen, Hausern und Arzneimitteln
gegen Krankheiten sind Urheber die Weisen , unterstiitzt
durch Verstandige.
9. (8696.) Die Erkenntnis beschenkt mit Giitern, die Er-
kenntnis erlangt auch das Heil; in gleicher Weise geniefsen
die Konige ihr Konigtum vermoge der Erkenntnis.
10. (8697.) Das Hochste und Tiefste wird durch die Er-
kenntnis von den Wesen erlangt, durch das Wissen, o Freund,
wird es von den Geschopfen erlangt, das Wissen ist das
hochste Ziel.
1 1 . (8698.) Die Entstehung aller der mannigfachen Wesen
ist als vierfach, namlich als Lebendgeborenes , Eigeborenes
Sprofsgeborenes und Schweifsgeborenes , zu betrachten.
12. (8699.) Ferner mufs man daran festhalten, dafs die
beweglichen Wesen von den unbeweglichen verschieden sind,
denn es geziemt sich, dafs die Bewegung unterschieden werde
durch Unterscheidungskunst. [Besser: von der Nicht -Be-
wegung, aviceshtayd nach Bohtlingks Konjektur.]
13. (8700.) Die beweglichen Wesen bezeichnet man als
vielfiifsig, aber es gibt vielmehr zwei Arten, denn es gibt
auch viele zweifiifsige, welche von den vielfiifsigen verschie-
den sind.
14. (8701.) Die Zweifufsler sind von zweierlei Art, erd-
bewohnende und andere [Vogel]; die erdbewohnenden sind
[von letzteren] verschieden, denn sie nahren sich von Speise.
15. (8702.) Die erdbewohnenden sind wiederum zweifach,
namlich mittlere und hohere ; die mittleren unterscheiden sich,
sofern man Geburt und Eigenschaften in Betracht zieht.
16. (8703.) Die mittleren sind wieder zweifach, die Gesetzes-
kundigen und die iibrigen; die Gesetzeskundigen unterscheiden
23*
356 ni. Mokshadharma.
sich [von den letzteren], sofern man auf das Tunsollen und
Nicht-Tunsollen achtet.
17. (8704.) Die Gesetzeskundigen sind wieder zweifach, die
Vedakundigen und die iibrigen; die Vedakundigen unterschei-
den sich [von letzteren] , denn sie sind der Trager des Veda.
18. (8705.) Die Vedakundigen sind wieder zweifach, Leh-
rende und die iibrigen ; die Lehrenden unterscheiden sich [von
letzteren], sofern man die ganze Pflicht [Lehren und Lernen]
in Betracht zieht.
19. (8706.) Denn diejenigen, von welchen die Veden mit
alien ihren Pflichten, Werken und Friichten erkannt werden,
von diesen, als den Lehrenden, stromen die ganzen Veden
mitsamt den Pflichten aus.
20. (8707.) Die Vedalehrer sind wieder zweifach, die Atman-
kenner und die iibrigen ; die Atmankenner unterscheiden sich
[von letzteren], sofern man das Dazu-geboren-sein und Nicht-
dazu-geboren-sein in Betracht zieht.
21. (8708.) Nur wer die Zweiheit der Satzungen [Wissen
und Werke] kennt, der ist ein Vedawisser, ein Vedakundiger,
der ist ein Entsager, von wahrhaftem Katschlusse, wahrhaft,
rein und Herr.
22. (8709.) Ihn, der in der Erkenntnis des Brahman ge-
wurzelt ist, erkennen die Gotter als einen Brahmanen an,
ihn, der sowohl in dem Wortbrahman bewandert, als auch
in dem hohern Brahman zur Klarheit gelangt ist.
23. (8710.) Denn das Innere und das Aufsere mit allem,
was das Opfer und die Gotter betrifft, sehen die mit dem
Wissen Begabten, und sie, o Freund, sind Gotter, sind wahr-
haft Zwiegeborene.
24. (8711.) In ihnen ist alles dieses Entstandene und die
ganze Welt der Lebenden beschlossen, ihnen kommt an Hoch-
herzigkeit des Charakters nichts anderes gleich.
25. (8712.) Sie sind hinausgelangt liber Entstehen und
Vergehen und iiber die Werke allerwarts, sind iiber die vier
Arten von Wesen, iiber das Weltall Gottherren und Durch-
sich-selbst-seiende.
So lautet im Mokshadharma die Fiage des (Juka
(<,'uka - anupra^na).
Adhyaya 238 (B. 239). 357
Adhyaya 288 (B. 239).
Vers 8713-8783 (B. 1-21).
Vy&,sa si)rach :
1. (8713.) Dieses vorher erwahnte Verhalten wird als das
eines Brahmanen anbefohlen ; nur der die Erkenntnis Besitzende
kommt, indem er die Werke vollbringt, iiberall zum Ziele.
2. (8714.) Wenn es dabei sich nicht so verhalt, so wird
der Erfolg des Werks zweifelhaft. Aber nun fragt sich, ob
dabei das eigentliche Wesen des Werks in der Erkenntnis
oder vielmehr in dem Werke besteht.
3. (8715.) Hierauf diirfte die Vedavorschrift antworten : die
Erkenntnis [ist das Wesen tliche], wenn es sich um den Purusha
handelt; das will ich dir diirch Argumentation und Perzeption
darlegen, das vernimm.
4. (8716.) Einige Menschen behaupten, dafs bei den Werken
die Menschen tat die Ursache sei, andere preisen als solche
das Schicksal und noch andere Leute die Natur.
5. (8717.) Die menschhche Tat, das Schicksal und das
zei tliche Hervorgehen von Natur aus, diese drei erscheinen
als gesondert, wahrend einige behaupten, dafs unter ihnen
kein Unterschied sei [vgl. oben, Vers 8529—30].
6. (8718.) Es kann so sein und nicht so sein oder beides
nicht sein oder auch keines von beiden nicht sein, so sprechen
sich iiber den Gegenstand aus die werktatigen, in der Wahr-
heit stehenden Unparteiischen [vgl. oben. Vers 8530—31].
7. (8719.) In den Zeitaltern der Treta und des Dvapara
wie auch in dem Kali sind die Menschen mit Zweifel behaftet ;
hingegen askesereich, beruhigt und in der Wahrheit stehend
sind sie im Zeitalter Kritam.
8. (8720.) In ihm sind alle von gleichen Anschauungen in
betreff des Rig-, Sama- und Yajurveda beseelt, und Liebe
und Hafs von sich fernhaltend, ergeben sie sich im Krita-
zeitalter dem Tapas.
9. (8721.) Und gebunden an die Satzung des Tapas, be-
harrend im Tapas und durch dasselbe gescharft, erlangt der
Mensch durch dasselbe alle Wiinsche, die er im Herzen hegt.
358 ni. Mokshadharma.
10. (8722.) Durch das Tapas erlangt er das, wozu geworden
er Weltschopfer ist. Und nachdem er dazu geworden ist,
wird er dadurch zum Herrn iiber alle Wesen.
11. (8723.) Dieses in den Vedaworten von den Vedasehern
dunkel Ausgesprochene und in den Vedantalehren klar Dar-
gelegte tritt zutage durch die Hingebung an das Werk.
12. (8724.) Die Kshatriya's opfern durch tapferes Vor-
dringen, die Vai^ya's durch Darbringung von Opferspeise,
die (^udra's durch Dienen, die Zwiegeborenen [also hier gleich
Brahmanen] durch Murmelung der Gebete.
13. (8725.) Denn der Zwiegeborene ist in seiner Pflicht
vollig bestimmt durch das Vedastudium , mag er noch sonst
etwas treiben oder nicht treiben, der Brahmane gilt dabei
immer als freundlich gesinnt [vgl. Manu II, 87].
14. (8726.) Zu Anfang des Zeitalters Treta sind Veden,
Opfer, Kasten und Lebensstadien noch voUstandig vorhanden,
aber gleichzeitig mit der Verkiirzung des Lebensalters ge-
raten sie ins Schwanken im Zeitalter Dvapara.
15. (8727.) Im Dvapara geraten die Veden in Verfall und
ebenso im Zeitalter Kali, und voUends zu Ende des Kalizeit-
alters kommen sie zum Vorschein und nicht zum Vorschein.
16. (8728.) Dann, von der Ungesetzlichkeit bedrangt, sinken
die jedem obliegenden Pflichten, und ebenso ist es mit den
Kraften der Kiihe, der Erde, des Wassers und der Krauter.
17. (8729.) Dann werden durch die Ungerechtigkeit Veden,
Vedapflichten und Lebensstadien erstickt, und die unbeweg-
lichen und beweglichen Wesen, die [bis dahin] ihrer Obliegen-
heit treu waren, werden umgewandelt.
18. (8730.) Wie der Regen alle Wesen auf der Erde be-
netzt und ihre Glieder nach alien Seiten zum Wachstum
bringt, so der Veda in jedem Weltalter.
19. (8731.) Was als die anfanglose und endlose Mannig-
faltigkeit des Kala (der Zeit) vorausbestimmt ist, was die
■Geschopfe erzeugt und wieder verschlingt, das ist vordem
von mir mitgeteilt worden.
20. (8732.) Was nun dieses betriift, namlich Entstehen,
Bestehen, Untergehen und Regiertwerden der Wesen, so be-
wegen sie sich gemafs ihrer eigenen Natur, obgleich sie
Adhyaya 238 (B. 239). 359
vielfach von den Gegensatzen [wie vom Kegen] getroffen
werden.
21. (8733.) Schopfung, Zeit, Bestand, Veden, Tater, Pflicht,
Werk und Frucht, das alles, wonach du mich befragt hast,
ist dir, o Freund, von mir mitgeteilt worden.
So lautet im Mokshadharma die Frage des (Juka
(i^'iika - anupra<,na).
Adhyaya 239 (B. 240).
Vers 8734-8767 (B. 1-34).
Bhishma sprach:
1. (8734.) Nachdem Qnka diese Rede vernommen und die
Unterweisungen des hohen Rishi beifallig aufgenommen hatte,
ging er dazu iiber, die folgende, auf Erlosung, Pflicht und
Nutzen beziigHche Frage zu stellen.
^uka sprach:
2. (8735.) Wer weise, schriftgelehrt, opferfleifsig, verstandig
und ohne Mifsgunst ist, wie kann ein solcher das ihm un-
bekannte und nicht verkiindigte Brahman erlangen?
3. (8736.) Ob er es durch Askese, Brahmanwandel, vollige
Entsagung, Weisheit im Sankhyam oder im Yoga [erlangt],
das sage mir auf meine Frage.
4. (8737.) Auch wie und durch welches Mittel die Kon-
zentration des Manas und der Sinnesorgane von den Menschen
erlangt wird, das sollst du mir erklaren.
Vyasa sprach :
5. (8738.) Nicht ohne Wissen und Askese, nicht ohne
Ziigelung der Sinne, nicht ohne vollige Entsagung kann
einer die Vollkommenheit erlangen.
6. (8739.) AUe die grofsen Elemente sind von dem durch
sich selbst Seienden einzeln zustande gebracht worden und
namentlich auch in die Schar der Lebewesen, in die Ver-
korperten eingegangen.
360 in. Mokshadharma.
7. (8740.) Aus der Erde stammt der Leib, aus dem Wasser
seine Fliissigkeit, aus dem Feuer die Augen, auf dem Winde
beruhen Aushaucli und Einhauch, aus dem Weltraum besteht
der Raum in den Lebewesen.
8. (8741.) In dem Gauge des Menschen findet Vishnu eine
Statte des Geniefsens, in seiner Kraft Indra, in seinen Ein-
geweiden Agni [als Verdauungsfeuer], in den Ohren geniefsen
die Weltgegenden das Horen, in der Zunge weilt die Gottin
der Rede und Beredsamkeit {vak sarasvaUJ.
9. (8742.) Die Ohren, die Haut, die Augen, die Zunge und
die Nase als fiinfte heifsen die Sinne der Anschauung und
sind Pforten, zum Zwecke der Ernahrung dienend.
10. (8743.) Der Ton, die Beriihrung und die Gestalt, der
Geschmack und der Geruch als fiinfter, diese sind die ein-
zelnen, den Sinnesorganen jedesmal entsprechenden Sinnes-
objekte,
11. (8744.) Das Manas schirrt die Sinne an wie der Wagen-
lenker die folgsamen Rosse und der im Herzen wohnende
Elementar-Atman {hlnitdtmanj schirrt immerfort das Manas an.
12. (8745.) Auch ist das Manas Herr iiber alle jene Sinnes-
organe beim Anziehen und Nachlassen der Ziigel, und ebenso
der Elementar-Atman iiber das Manas.
13. (8746.) Die Sinnesorgane und die Sinnesobjekte, die
Naturbeschaffenheit (svabhdvaj, der Geist fcetandj und das
Manas, Aushauch und Einhauch, sowie die individuelle Seele
Cjivaj weilen immer in den Korpern der Verkorperten.
14. (8747.) Das Sattvam hat keinen Stiitzpunkt und die
Guna's sind ein blofses Wort, nicht aber Geist fcetandj, denn
das Tejas [die geistige Energie] lafst aus sich hervorgehen
das Sattvam, aber nimmermehr die Guna's. [Wie es scheint,
werden hier die Guna's geleugnet und das Sattvam fiir ein
blofses Produkt des Tejas erklart.]
15. (8748.) In dieser Weise ist der Siebzehnte [der Atman]
umhiillt von den sechzehn Qualitaten [den vorerwahnten : fiinf
Sinnesorganen, fiinf Sinnesobjekten, der Naturbeschaffenheit,
dem Geiste, dem Manas, dem Aushauch und Einhauch und
der individuellen Seele, Vers 8746], der verstandige Weise er-
schaut diesen Atman in sich selbst.
Adhyaya 239 (B. 240). 361
16. (S74i).) Dieser Atman ist nicht durch das Auge zu
schauen, noch auch durch alle iibrigen Sinnesorgane ; nur
durch das Manas als Leuchte wird der grofse Atman sichtbar.
17. (8750.) Jenes ist ohne Ton, Beriihrung und Gestalt,
ohne Geschmack und Geruch, unverganghch. Man schaue
es m den Korpern, das Korperlose, Organlose.
18. (8751.) Unoffenbar hat dieses Hochste in alien sterb-
lichen Korpern Wohnsitz genommen ; wer es schaut^ der wird
nach dem Tode geeignet zur Brahmanwerdung.
19. (8752.) In dem mit Wissen und edler Geburt begabten
Brahmanen, in der Kuh, in dem Elefanten, in dem Hunde
und sogar in dem Hundekocher, in allem erkennt der Weise
die gleiche Wesenheit.
20. (8753.) Denn in alien Wesen, den beweglichen und
unbeweglichen, wohnt jener eine grofse Atman, durch welchen
dieses Weltall ausgespannt ist.
21. (8754.) Wenn der Elementar-Atman sich selbst in alien
Wesen und alle^Wesen in sich selbst sieht, dann geht er in
das Brahman ein.
22. (8755.) Soweit die Seele (die Wesenheit) des Veda in
der Seele ist, soweit ist die Seele in der hochsten Seele; wer
sich dessen immerfort bewufst ist, der ist geeignet fiir die
Unsterblichkeit.
23. (8750.) Wer zum Selbste aller Wesen geworden und
daher gegen alle Wesen freundlich ist, dessen Pfad verbirgt
sich sogar den Gottern, wenn sie die Spur des Spurlosen
verfolgen.
24. (8757.) W^ie die Spur der Vogel im Luftraum, der
Fische im W^asser nicht sichtbar ist, so ist es mit der Spur
derer, die das Wissen besitzen.
25. (8758.) Die Zeit macht durch sich selbst in sich hie-
nieden alle Wesen miirbe, aber denjenigen, in welchem die
Zeit miirbe gemacht wird, den versteht hienieden niemand.
26. (875;».) Dieses kann nicht oben, nicht querdurch, nicht
unten, nicht so, noch so, noch auch in der Mitte von irgend-
einem Dinge irgendwoher erfafst werden.
27. (8760.) Alle Welten sind in ihm enthalten, und aul'ser
ihnen ist nichts vorhanden. Wenn es unermiidlich in den
362 ni. Mokshadharma.
Dingen gegenwartig ist, ist es wie eine Harfe, deren Saiten
gertihrt werden.
28. (8761.) Nicht kann jemand, wenn er es noch so sehr
wiinscht, bis zum Ende des Urprinzips vordringen ; so fein ist
es, dafs es nichts feineres gibt und auch nichts groberes.
29. (8762). Nach allwarts ist es Hand, Fiifse, nach all-
warts Augen, Haupt und Mund, nach alien Seiten hinhorend,
die "Welt umfassend steht es da [— Qvet. Up. 3,16; vgl. oben,
S. 87].
30. (8763.) Dieses ist feiner als das Peine und grofser als
das Grofse, innerlich in alien Wesen bestandig weilend, wird
es niclit gesehen.
31. (8764.) Es ist das Unvergangliche und das Vergang-
liche, das ist die Zwienatur des Atman; als verganglich ist
es in alien Wesen, aber als das gottliche, unsterbliche ist es
unverganglich.
32. (8765.) In die Stadt mit neun Toren eingegangen, ist
er als Wandervogel eingekerkert und doch gebietend als Herr
alles Seienden, des unbeweglichen und beweglichen.
33. (8766.) In den dem Wechsel des Schwindens und Ver-
gehens unterworfenen und durch Haufung [der Elemente]
wieder neuen Korpern erkennen den Ewigen als Wandervogel
diejenigen, welche das jenseitige Ufer schauen.
34. (8767.) Jenes als Wandervogel und als ewig bezeioh-
nete Allerhochste, Ewige, dieses Ewige als Wissender erlangt
habend, verlafst man Leben und Neugeburt.
So lautet im Mokshadharma die Frage des (^uku
({'uka - anuprarna).
Adhyaya '^40 (B. '^41).
Vers 8768-S803 (B. 1-3G).
Vyasa sprach:
1. (8768.) Auf deine Fragen, o guter Sohn, habe ich, so
wie es in Wahrheit sich verhalt, mitgeteilt, was mit der
Sankhyawissenschaft in Zusammenhang steht.
Adhyaya 240 (B. '241). 363
2. (87G9.) Jetzt aber will ich dir die ganze Yogapflicht
entwickeln, vernimm sie; namlich die Konzentration von
Buddhi, Manas und den Sinnesorganen von aller warts her.
3. (8770.) Dieses, o Freund, ist die uniibertreffliche Er-
kenntnis des alldurchdringenden Atman; sie kann nur von
dem Beruhigten, Bezahmten, im innern Atman Bewanderten,
4. (8771.) des Atman Frohen, Verstandigen , reine Werke
Ubenden verstanden werden, sofern er die Hemmnisse des
Yoga ausrottet, deren die Weisen fiinf kennen,
5. (8772.) namlich Lust, Zorn, Begierde, Furcht und Schlaf
als fiinftes. Den Zorn iiberwindet man durch Ruhe, die Lust
durch Fernhalten der Wiinsche,
6. (8773.) den Schlaf soil der Weise durch Pflege des
Sattvam ausrotten, durch Festigkeit soil er Geschlechtslust
und Efsgier iiberwachen und Hand und Fufs durch das Auge,
7. (8774.) Auge und Ohr durch das Manas, Manas und
Rede durch Tatigkeit. Durch Besonnenheit befreie er sich
von Furcht, von Hinterlist durch Verkehr mit Verstandigen.
8. (8775.) In dieser Weise moge er fort und fort unermiid-
lich die Hemmnisse des Yoga iiberwinden, moge die Opfer-
feuer und die Brahmanen hochachten und die Gotter ehren.
9. (8776.) Er meide herrische, beleidigende, das Herz ver-
letzende Rede. Aus Brahmankraft besteht das Reine, dessen
Geschmack dieses Weltall an sich hat;
10. (8777.) aus diesem Wesen entsprungen zeigt sich das
Unbewegliche und Bewegliche. Meditation, Studium, Schen-
ken, Wahrhaftigkeit, Schamhaftigkeit, Geradheit, Geduld,
11. (8778.) Reinheit, Lauterkeit des Wandels und Ziigelung
der Sinne, das sind die Mittel, durch welche er die Brahman-
kraft fordert und das Bose von sich fernhalt.
12. (8779.) Dann gelingen alle seine Zwecke und seine
Erkenntnis schreitet fort ; er ist gleichmiitig gegen alle Wesen,
sich zufrieden gebend, mag er etwas erreichen. oder nicht.
13. (8780.) Das Bose abschiittelnd, energievoll, mafsig sich
nahrend, die Sinne bezahmend. Lust und Zorn iiberwindend,
moge er der Statte des Brahman nachspiiren.
364 III. Mokshadharma.
14. (8781.) Gesammelt und die Konzentration von Manas
und Sinnen bewirkend, soil er in der ersten Nachthalfte sowie
in der zweiten das Manas in sich selbst fesseln fdhdrayetj.
15. (8782.) Wenn bei einem solchen Menschen von den
fiinf [von der Aufsenwelt abgesperrten] Sinnen auch nur eines
einen Rifs bekommt, dann flierst seine Erkenntnis weg, wie
Wasser aus dem untern Ende des Schlauches.
16. (8783.) Vor allem mufs er das Manas festhalten wie
der Fische Totende einen bosen Fisch [der entschliipfen will],
und so auch Ohr, Auge, Zunge und Geruch, er, der den Yoga
kennt.
17. (8784.) Sodann soil der Selbstbezwinger dieselben im
Manas einzwangen und zur Ruhe bringen und ebenso das
Manas von seiner Tatigkeit des Vorstellens und Wiinschens
fernhalten und im Atman fesseln.
18. (8785.) Zusammenzwangend die fiinf Sinne, soil sie der
Selbstbezwinger im Manas zur Ruhe bringen, und wenn sie
zum Stillstand gekommen sind, soil er sie mit dem Manas
als sechstem in sich einschliefsen.
19. (8786.) Und wenn sie zusammengedrangt zum Still-
stand kommen, dann leuchtet das Brahman auf wie eine
glanzende, rauchlose Flamme, wie die glanzreiche Sonne.
20. (8787.) Wie das Blitzfeuer im Raume, so erscheint dann
der Atman in seinem Selbste, dann ist er allseiend und ver-
moge der Durchdringung allgegenwartig.
21. (8788.) Dann schauen ihn (den Atman) die hochherzigen
weisen Brahmanen, welche charakterfest und hochverstandig
sich am Wohlsein aller Wesen freuen.
22. (8789.) Wenn er in dieser Weise mit gescharftem Ge-
liibde die vorgeschriebene Zeit einhalt, dasitzend allein in der
Einsamkeit, dann geht er ein in die Gleichhheit mit dem Un-
verganglichen.
23. (8790.) Dann treten auf Verblendung, Verwirrung,
Schwindel, Geriiche, Tone und Ges'ichte, Wundererscheinun-
gen, Geschmacke und Gefiihle, Kaltes und Warmes und Wind-
artigkeit [schneller Gang, Unsichtbarkeit und Luftwandeln
nach Nil.].
Adliyaya 240 (B. 241). 365
24. (8791.) Obgleich ihn dann vermoge des Yoga Anfalle
von tibernatiirlicher Riickerinnerung und Besessenheit iiber-
kommen, so soil der Wahrheitwisser nicht auf sie achten,
sondern nur in den Atman sich vertiefen.
25. (879-2.) Der Muni erwerbe sich Vertrautheit mit dem
Yoga, indem er sich an die drei Zeiten [Morgenstunde, erste
und zweite Nachthalfte Nil.] halt; er bringe ihn in Gang auf
einem Berggipfel, an einer geweihten Statte oder an der
Wurzel eines Baumes.
26. (8793.) Die Schar der Sinnesorgane in dem Verschlufs
[des Herzens] haltend und das Manas gleichsam einkapselnd,
soil er sein Denken immerfort auf einen Punkt konzentrieren
und das Manas nicht vom Yoga abirren lassen.
27. (8794.) Durch welches Mittel immer er das wankel-
miitige Manas zu fesseln vermag, das soil er hingegeben zur
Anwendung bringen und nicht davon abweichen.
28. (8795.) Leere Berghohlen, Gottertempel oder leere
Hauser soil der sich Konzentrierende aufsuchen und bewohnen.
29. (8796.) Er nehme keinen andern in seine Arme, nicht
in Worten, Werken oder Gedanken ; gleichgiiltig, mafsig sich
nahrend moge er gleichmiitig bleiben, ob er etwas erreicht
oder nicht.
30. (8797.) Mag einer ihn freundlich begriifsen, oder mag
er ihn tadeln, er sei gleichgiiltig gegen beides und frage
nichts nach Angenehmem und Unangenehmem.
31. (8798.) Er freue sich nicht beim Empfangen, und be-
kiimmere sich nicht beim Nicht-Empfangen, gleichmiitig gegen
alle Wesen, dem Winde vergleichbar [an Nicht-Anhanglich-
keit und Heimatlosigkeit Nil.].
32. (8799.) Wer als ein Tiichtiger in dieser Weise selb-
standigen Wesens geworden ist, iiberall das Gleiche sieht
und sechs Monate hindurch bestandig den Yoga iibt, den
gibt das Wortbrahman frei.
33. (8800.) Obgleich er die Geschopfe von Leiden gequalt
sieht, so bleibt er, der mit demselben Gleichmut auf Erd-
klumpen, Steine und Gold hinblickt, auf diesem Wege zur
Beruhigung gelangend , beruhigt und gerat nicht in Ver-
wirrung.
366 HI. Mokshadharma.
34. (8801.) Mag es auch ein seiner Kaste Entfremdeter,
mag es auch ein pflichtstrebendes Weib sein, selbst solche
konnen auf diesem Wege zum hochsten Ziele gelangen.
35. (8802.) DaslJngeborene,Alte, Nicht-Alternde, Ewige,
welches man nur bei volhger Ruhe der Sinne wahr-
nehmen kann, und welches kleiner als das Kleinste,
grofser als das Grofste ist, dieses Freie erschaut der
Atmanhafte durch seinen Atman.
36. (8803.) Wenn sie diese Rede des hochherzigen
grofsen Weisen, so wie sie gesprochen wurde, mit dem
Geiste betrachten und dabei diese Identitat mit dem Aller-
hochsten iiberdenken, dann gehen die Weisen den iiber
die Wesen hinausfiihrenden Weg.
So lautet im Mokshadharma die Frage des (^uka
((^iika - anupra<;na).
Adhyaya 241 (B. 34*^).
Vers 8804-8823 (B. 1-20).
^uka sprach:
1. (8804.) Wenn es doch im Veda befohlen wird, das Werk
zu vollbringen und auch von ihm abzustehen ; welches ist die
Region, zu der man durch das Wissen, welches die, zu der
man durch das Werk gelangt?
2. (8805.) Das wiinsche ich zu horen, das mogest du,
o Herr, mir erklaren, beides ist ja doch voneinander ver-
schieden, da es sich sogar widerspricht.
Bhlshma sprach:
3. (8806.) So angesprochen antwortete seinem Sohne der
Sohn des Paragara folgendermafsen : Ich will dir diese beiden
im Werke und im Wissen bestehenden, verganglichen und
unverganglichen Wege erklaren.
4. (8807.) Die Region, zu der sie durch das Wissen ge-
langen, und die, zu welcher die Werke fiihren, vernimm mit
angespanntem Geiste, o Teurer, denn ihr Unterschied ist
schwer ergriindlich.
Adhyaya 241 (B. 242). 367
5. (8808.) Wie wenn einer sagen wollte, es gibt eine
Satzung, und dabei zugleich, es gibt keine solche, einem der-
artigen Gegensatz ahnlich ist der von mir aufgestellte.
6. (8809.) Es gibt also diese beiden Wege, in welchen die
Veden gegriindet sind : die eine Satzung hat die Tatigkeit als
Merkmal, die andere, in Nicht-Tatigkeit bestehend, wird eben-
falls mit Recht gelehrt.
7. (8810.) Durch das Werk wird der Mensch gebunden,
durch das Wissen hingegen wird er erlost, darum tun kein
Werk die Asketen, die das jenseitige Ufer schauen.
8. (8811.) Vermoge des Werkes wird man nach dem Tode
geboren als ein Korperhafter , Sechzehnteilhafter, durch das
Wissen wird man geboren als das Ewige, Unoffenbare, Un-
sterbliche.
9. (8812.) Manche Menschen, die sich nur geringer Ein-
sicht erfreuen, riihmen das Werk, darum schatzen sie die
Fesseln des Leibes und schmeicheln ihnen.
10. (8813.) Diejenigen aber, welche, zur hochsten Erkennt-
nis gelangend , das Gesetz durch Erfahrung schauen , die
riihmen das Werk nicht, wie der aus dem Flusse Trinkende
nicht den Brunnen.
11. (8814.) Durch das Werk erlangt man als Frucht Lust
und Leid, Entstehen und Vergehen; durch das Wissen er-
langt man jenes, zu welchem gelangt einer keinen Kummer
mehr empfindet,
12. (8815.) wohin gelangt einer nicht mehr stirbt, wohin
gelangt er nicht mehr geboren wird, wo er nicht wieder-
geboren wird, von wo er nicht mehr zuriickkehrt,
13. (8816.) wo jenes hochste, unoffenbare, unwandelbare,
bestandige, unentfaltete , miih close, unsterbliche , [von der
Seele] unabtrennbare Brahman sich befindet,
14. (8817.) wo sie nicht gequalt werden durch die Gegen-
satze oder durch geistige Miihsal, wo sie in alien Lagen gleich-
miitig, freundlich und am W^ohlsein aller Wesen sich er-
freuend sind.
15. (8818.) Ein anderer ist der mit Wissen behaftete, ein
anderer der mit Werken behaftete Geist, so, wisse, ist es
368 HI. Mokshadharma.
noch derselbe Mond, der beim Neumond als schmale Sichel
am Himmel steht.
16. (8819.) Diese Wahrheit [die Identitat der hochsten imd
individuellen Seele], wie sie vom Rishi [nach Nil. Brih. Up.
1,5,14] verkiindigt wurde, wird naher auch durch Folgerung
erkannt, wenn man den Mond sieht, wie er neu geboren
gleichsam als ein krummer Faden am Himmelsgewande
fambarej steht.
17. (8820.) Der in elffacher Umwandlung [vielleicht als
Manas und Indriya's] erscheinende, aus der Zusammensetzung
von Teilen gebildete Atman, welcher der Verkorperte heifst,
den, o Freund, wisse als den mit Werken und Guna's be-
hafteten.
18. (8821.) In diesem hat sich ein Gott niedergelassen,
wie ein Wassertropfen auf der Lotosbliite; den soil man be-
greifen als den Kshetrajna, den ewigen, der durch den Yoga
errungen wird.
19. (8822.) Tamas, Rajas und Sattvam wisse als die Guna-
Wesenheit des Jiva (der individuellen Seele), den Jiva be-
greife man als blofsen Guna (Qualitat) des Selbstes, den
Atman als das Hochste an dem Selbste.
20. (8823.) Es gilt als Eigenschaft des Jiva, mit Geistig-
keit verbunden zu sein, dadurch vermag er sich zu bewegen
und alles zu beleben; ein Hoherer als er ist der, welchen die
Kenner des Kshetrajna verkiindigen , der alle sieben Welten
geschaffen hat.
So lautet im Mokshadharma die Frage des (^'uka
(<,'uJca-anupra(^na).
AdhyAya 2^2 (B. 243).
Vers 8824-8853 (B. 1-30).
(^'uka sprach:
1. (8824.) Die mit dem Verganglichen anhebende Schopfung
und die guna-artigen Sinnesorgane, sowie die fernere Schopfung
der sie beherrschenden Buddhi riihrt nach der Schrift von der
Prakriti und dem Atman her.
Adhyaya 242 B. 243). 369
2. (8825.) Welter aber mochte ich die durch die Zeit be-
dingte Entwicklung des Seienden in dieser Welt, durch
welche die seienden Wesen sich fortentwickein , naher ver-
folgen.
3. (8826.) In dem Veda aber wird ausgesprochen , dafs
man das Werk voUbringen und dafs man davon abstehen soil ;
wie soil ich das verstehen? Das mogest du mir erklaren.
4. (8827.) Wenn ich die Wahrheit in betreif des Welt-
treibens erkenne, durch die Belehrung des Meisters gelautert
bin, Erkenntnis gewonnen und meinen Atman befreit habe,
werde ich dann den unverganglichen Atman schauen?
Vyasa sprach :
5. (8828.) Der Lebenswandel, wie er vordem von Gott
Brahman selbst vorgeschrieben wurde, ist von den vormaligen,
vorziiglichen hochsten Weisen befolgt worden.
6. (8829.) Durch den Brahmanwandel erobern die hochsten
Weisen die Himmelswelten und weiter suchten sie in sich
selbst durch den Geist das Heil ihres Selbstes.
7. (8830.) Im Walde von Wurzeln und Friichten sich
nahrend, einer sehr grofsen Askese sich hingebend, einen
heiligen Bezirk bewohnend, kein Wesen schadigend,
8. (8831.) in der Zuriickgezogenheit eines Vanaprastha
ohne Herdfeuer und ohne Morsergebrauch lebend und zur an-
gemessenen Zeit den Bettelgang antretend, wird man geeignet
zum Brahmansein.
9. (8832.) Ohne zu preisen und ohne zu verehren, Schones
und Unschones hinter dir lassend, wandle einsam im Walde,
dich nahrend, wie es eben kommt. [Vgl. Brih. Up. 3,5 Schlufs.]
^uka sprach:
10. (8833.) Wie kann diese Vedalehre, da sie der Ansicht
der Menschen widerspricht, mag der Widerspruch begriindet
Oder nicht begriindet sein, als Vorschrift gelten?
11. (8834.) Das wiinsche ich zu horen, welches aber sind
die Beweisgriinde fiir beide Ansichten? Und wie kann die
Erlosung vonstatten gehen, ohne von den Werken gehindert
zu werden?
Deubsen, Mahabbaratam. 24
370 III- Mokshadharma.
Bhishma sprach :
12. (8835.) So angeredet, sprach zu seinem Sohne der Sohn
der Gandhavati (— Satyavati) folgendermafsen , der Weise,
indem er diese Rede des iiberaus scharfsinnigen Sohnes ehrte.
Vyasa sprach:
13. (8836.) Der Brahman schiiler, der Hausvater, der Wald-
einsiedler und der Bettler gehen alle vier, sofern sie den
vorgeschriebenen Wandel einhalten, den hochsten Gang.
14. (8837.) Wenn auch nur einer allein diese Lebensstadien
vorschriftsmafsig betreibt und frei von Liebe und Hafs ist, so
ist er zu dem Hochsten berufen.
15. (8838.) Denn diese viersprossige Stufenleiter ist im
Brahman gegriindet, und wer diese Stufenleiter erkhmmt, wird
in der Brahmanwelt herrhch geehrt.
16. (8839.) Den vierten Teil des Lebens soil einer ohne
Murren als Brahmanschiiler beim Lehrer oder beim Sohne des
Lehrers wohnen, indem er iiber den Inhalt des Gesetzes sich
belehrt.
17. (8840.) Als letzter gehe er zu Bette, nachdem er als
erster im Hause des Lehrers aufgestanden ist, und was von
einem Schiiler oder auch einem Diener zu tun ist, das tue er.
18. (8841.) Und wenn er das alles vollbraoht hat, soil er
mit der Meldung : „Es ist getan" [bescheiden] zur Seite stehen ;
er sei ein Diener fiir alle Verrichtungen und geschickt in
alien Tatigkeiten.
19. (8842.) In der von der Arbeit iibrigbleibenden Zeit
[Chand. Up. 8,15] soil er beim Lehrer eifrig strebend studieren,
er sei wacker und enthalte sich iibler Nachrede ; wird er ge-
rufen, so begebe er sich zum Lehrer.
20. (8843.) Rein, ttichtig und tugendhaft, moge er in der
Zwischenzeit [von Arbeit und Studium] nur Liebliches reden;
unverwandt richte er sein Auge auf den Lehrer und bezahme
seine Sinne.
21. (8844.) Er soil nicht essen, ehe der Lehrer gegessen
hat, noch auch trinken, ehe er getrunken hat, auch nicht
sitzen bleiben, wenn er nicht bleibt und nicht einschlafen,
bevor er schlaft.
Adhyaya 242 (B. 243). 371
22. (8845.) Die Handflachen nacli oben gerichtet, soil er
seine [des Lehrers] Fiifse sanft beriihren, mit der rechten
Hand soil er dessen rechte, mit der Linken dessen linke
Hand driicken.
23. (8846.) Nachdem er den Lehrer begriifst hat, mag er
zu ihm sagen: „Lehre mich, o Ehrwiirdiger", „ich will jetzt
dies tun, o Ehrwiirdiger", oder „ich habe dies getan".
24. (8847.) „0 Brahmane, ich werde tun, was mir der Ehr-
wurdige noch weiter auftragen wird", in dieser Weise soil
er vorschriftsmafsig fiir alles die Erlaubnis einholen und alles
melden.
25. (8848.) Das alles soil er tun und, w^enn er es getan
hat, dem Lehrer dariiber wieder Bericht erstatten. Aber
solche Wohlgeriiche und Leckerbissen, die dem Brahmacarin
verboten sind,
26. (8849.) die mufs er bis zu seiner Heimkehr aufschieben,
so ist es im Gesetz fest bestimmt. Alle Pflichten, wie sie
ausflihrlich fiir den Brahmacarin verkiindigt sind,
27. (8850.) die soil er alle immer beobachten und dem
Lehrer nicht von der Seite gehen. In dieser Weise moge
er dem Lehrer, soweit es in seinen Kraften steht, seine Liebe
beweisen.
28. (8851.) Aus seinem Lebensstadium in die folgenden
iibergehend, soil der Schiiler in Tatigkeit verharren. Und
nachdem in vedischen Observanzen und Abstinenzen der vierte
Teil des Lebens hingegangen ist,
29. (8852.) soil er dem Lehrer die Dakshina (das Honorar)
darbringen und heimkehren, wie das Gesetz es vorschreibt.
30. Mit einer vorschriftsmafsig gefreiten Gattin verbunden
und mit Fleifs die Opferfeuer pflegend, (8853.) soil er dann
den zweiten Teil des Lebens hindurch ein pflichtgetreuer
Hausvater sein.
So lautet im Moksbadharma die Frage des <j,'uka
("Cwia - anupra^na).
24*
372 III- MoksLadharma.
Adhyaya 343 (B. 244).
Vers 8854-8883 (B. 1-29).
Vyasa sprach:
1. (8854.) Den zweiten Teil seines Lebens hindurch soil
er als Hausvater in seinem Hause wohnen und mit einer vor-
schriftsmafsig gefreiten Gattin verbunden, sich treulich der
Opferfeuer annehmen.
2. (8855.) Fiir den Grihastha werden von den Weisen vier
Verhaltungsstufen iiberliefert : Auf der ersten bewahrt er sein
Korn in Kornkammern, auf der folgenden in einem Topfe,
3. (8856.) dann folgt der von der Hand in den Mund
Lebende und endlich der wie die Tauben [von Ahrenlesen
Nil.] sich Nahrende. Unter ihnen ist der jedesmal Folgende
der Hoherstehende , da er durch Pflichterfiillung mehr und
mehr die Pflicht erobert [vgl. Manu IV, 7 — 8].
4. (8857.) Die sechs Werke [Opfern fiir sich und andere,
Lernen und Lehren, Geben und Empfangen Nil.] betreibt der
Eine, mit dreien [Opfern, Studieren, Geben Nil.] befafst sich
der Zweite, mit zweien [Geben und Studieren Nil.] der Dritte,
der Vierte beschrankt sich auf das Brahmasattvam. [Ver-
ehrung des heiligen Lautes Om Nil., anders iiber alle vier
die Kommentare zu Manu IV, 9.]
5. (8858.) Hierbei verkiindet man als grofse Obliegenheiten
des Hausvaters, dafs er nicht nur um seiner selbst willen
Speise kochen und nicht ohne den Zweck [des Opfers] Tiere
toten lafst.
6. (8859.) Mag es sich um ein Lebendiges [Ziege usw.
Nil.] Oder Nicht-Lebendiges [Feigenbaum usw. Nil.] handeln,
so soil er dessen Weihe [zum Zweck des Opferns] mittels
eines Opferspruches vollziehen; er soil niemals bei Tage
schlafen, noch auch zu Anfang und Ende der Nacht. [Vgl.
Manu IV, 55.]
7. (8860.) Nicht soil er in der Zwischenzeit [der Mahl-
zeiten] essen und nicht aufser der fruchtbaren Periode die
Gattin rufen; nicht soil jemals in seinem Hause ein Brahmane
ungespeist oder ungeehrt weilen.
Adhyaya 243 (B. 244). 373
8. (8861.) So soil er seine Gaste ehren. Am Gotter- und
Manenopfer sollen ihr Teil haben alle, die in der Wissen-
schaft und den Geliibden des Veda erfahren, schriftkundig,
den Veda vollig beherrschend,
9. (8862.) ihrer Pflicht lebend, bezahmt, opfertatig und
fleifsig in der Askese sind. Fiir diese alle ist, um sie zu
ehren, ein Anteil am Gotter- und Manenopfer vorgeschrieben.
10. (8863.) Auch einem, der [als Scheinasket] mit un-
geschnittenen Nageln einhergeht oder sich seiner Gesetzlich-
keit riihmt, der das Agnihotram vernachlassigt oder gegen
seinen Lehrer Falschheit iibt,
11. (8864.) auch einem solchen ist, wie alien Wesen, ein
Anteil zu geben. So ist denn auch denen, welche nicht
kochen konnen, von dem Hausvater eine Spende zu reichen.
12. (8865.) Er soil immer die Reste essen, dann speist er
immer Amritam; denn der Opferrest ist Amritam, ein Ge-
nufs, der der Opferspeise selbst gleichkommt.
13. (8866.) Wer ifst, was seine Leute iibrig lassen, den
nennt man einen Restverzehrer ; ein solcher Rest ist, was
seine Leute iibrig lassen, der Opferrest aber ist Amritam.
14. (8867.) Er begniige sich mit seiner Gattin, sei enthalt-
sam, neidlos und beherrsche seine Sinne. Mit Opferpriestern,
flauspriestern und Lehrern, mit Oheimen, Gasten und Schutz-
befohlenen,
15. (8868.) mit Alten, Kindern und Kranken, mit Arzten,
mit Bekannten, Angehorigen und Verwandten, mit Vater und
Mutter, mit Schwiegertochtern, mit dem Bruder, dem Sohne,
der Gattin,
16. (8869.) mit der Tochter und mit dem Gesinde soil er
keinen Streit haben. Indem er sich vom Streit mit diesen
lossagt, sagt er sich von allem Bosen los.
17. (8870.) Damit dafs er sich von ihnen besiegen lafst,
ersiegt er alle Welten, daran ist kein Zweifel, denn der Lehrer
ist Herr in der Brahmanwelt, der Vater Gebieter in der Pra-
japatiwelt,
18. (8871.) der Gast in der Indrawelt, die Opferpriester sind
es in der Gotterwelt, die Schwiegertochter in der Welt der
Apsaras, die Bekannten in der Welt der ViQve Devah,
374 in. Mokshadharma.
19. (8872.) die Angehorigen und Verwandten in den Welt-
gegenden, Mutter und Oheim auf der Erde, die Alten, Kinder,
Kranken und Abgezehrten sind Herrscher im Atherraume;
20. (8873.) der alteste Bruder ist gleich dem Vater, die
Gattin und der Sohn sind gleich dem eigenen Leibe zu achten,
das Gesinde gleich dem eigenen Schatten und die Tochter
ist ein Gegenstand des hochsten Mitleides. [Vgl. Ait. Br. 7,l3.j
21. (8874.) Darum, wenn er von diesen beleidigt wird, soli
es immer ohne Beschwerde tragen [Vers 8867—8874 = Manu IV,
179—185] der die Pflicht des Hausvaters als Hochstes schatzende
Weise, welcher pflichteifrig und unerraiidlich ist.
22. (8875.) Keiner aber, der die Pflicht hochhalt, moge
aus materiellen Interessen die Werke betreiben. Es gibt drei
Verbal tungsstufen des Hausvaters [oben, Vers 8855, waren es
vier], sie fiihren zur hochsten Gliickseligkeit.
23. (8876.) In dieser Weise lehrt man eine Stufenfolge,
denn eine solche gilt [auch im allgemeinenj von den vier
Lebensstadien ; ihre Obliegenheiten sind [was den Grihastha
betrifft] die genannten fiir einen solchen, der eifrig bestrebt
ist, alle Pflichten zu erfiillen.
24. (8877.) Durch solche, die ihr Korn in einem Topfe
bewahren oder von Ahrenlesen leben — es sind die wie
die Tauben sich Nahrenden [oben, Vers 8856] — , das Reich,
in welchem solche Wiirdige wohnen, kommt zum Gedeihen.
25. (8878.) Zehn Vorfahren und zehn nachfolgende Ge-
schlechter reinigt, ja selbst fapij die Urvater, wer diese Ob-
liegenheiten des Hausvaters unentwegt betreibt.
26. (8879.) Wer das tut, der erreicht ein ahnliches Ziel,
wie es die Welten des Vishnu sind, oder auch ihr Ziel wird
als das gleiche bezeichnet wie fiir die, welche ihre Sinne
iiberwunden haben.
27. (8880.) Fiir solche hochherzige Hausvater ist die Him-
melswelt bestimmt, ihnen wird die mit Palasten ausgestattete,
blumenreiche Himmelswelt vom Veda in Aussicht gestellt.
28. (8881.) Fiir die treubestandigen Hausvater ist die
Himmelswelt als Wohnung bestimmt, weil diese Statte ihnen
von Gott Brahman verheifsen wird. (888-2.) Wer dieses [Lebens-
stadium] erlangt hat, wird in Brahman's Welt verherrlicht.
Adhyaya 243 (B. 244). 375
•
29. (8883.) Weiterhin kennt man als hochstes Lebens-
stadium ein drittes fiir solche, die ihren Leib nicht mehr
achten; vernimm dieses unvergleichliche Ziel der in den
Wald ziehenden und ihren Korper zum Schrumpfen bringen-
den Hausvater [das kurze i soil nach Nil. vedisch sein].
So lautet im Mokshadharma die Frage des (Juka
((Juka - anupragna).
Adhyaya 344 (B. 245).
Vers 88&4-8914 (B. 1-31).
Bhishma sprach:
1. (8884.) Das Verhalten des Hausvaters, wie es von den
Weisen verordnet wurde, ist dir mitgeteilt worden ; was nachst-
dem gesprochen wurde, das vernimm, o Yudhishthira.
2. (8885.) Nachdem nun der Hausvater nach und nach
auch jene hochste dritte Verbal tungsstufe [oben, Vers 8875]
von sich abgetan hat, [folgt das Lebensstadium] der des Ehe-
geliibdes Miiden, im Lebensstadium der Waldeinsiedler Wei-
lenden,
3. (8886.) welche, vernimm es o Sohn zu deinem Heile,
die ganze Welt als ihre Einsiedelei betrachtend, nach vor-
heriger Uberlegung an einem reinen Orte ihre Wohnung
nehmen.
Vyasa sprach:
4. (8887.) Wenn nun der Hausvater an sich Runzeln und
graue Haaie bemerkt und die Kinder seiner Kinder sieht,
dann soil er in den Wald iibersiedeln [= Manu VI, 2].
5. (8888.) Den dritten Abschnitt seines Lebens soil er so-
dann in dem Lebensstadium des Waldeinsiedlers zubringen
und dabei ebendieselben Opferfeuer pflegen als ein Opferherr,
der schon dem Himmel angehort.
6. (8889.) Dafs er dabei sich bezwingt, seine Nahrung ein-
schrankt, nur die sechste Mahlzeit zu sich nimmt [alle drei
Tage nur einmal ifst], das ist sein Agnihotram, das sind
seine Kiihe [als Opferlohn], das sind seine Opferhandlungen
insgesamt.
376 III. Mokshadharma.
7. (8890.) Keis und Gerste, die nicht durch die Pflugschar
gewonnen sind, Korner von wildem Reis und Speisereste soil
er auch in dieser Lage als Opfergaben an den fiinf Fasten
[Agnihotra, Neu- und Vollmondsopfer, Viermonatsopfer, Tier-
opfer und Somaopfer Nil.] darbringen.
8. (8891.) Auch fiir das Lebensstadium des Waldeinsied-
lers werden folgende vier Verhaltungsstufen erwahnt : Einige
waschen taglich auf [reinigen die Gefafse von alien Resten],
andere sammeln Vorrate fiir einen Monat,
9. (8892.) andere fiir ein Jahr, andere fiir zwolf Jahre
[vgl. Manu VI, 18], sei es um die Gaste zu ehren, sei es um
den Faden des Opfers fortzuspinnen.
10. (8893.) In der Regenzeit geben sie sich dem Regen
preis, im Winter begeben sie sich ins Wasser, im Sommer
setzen sie sich den fiinf Gluten [der Sonne und vier ange-
ziindeten Feuern] aus, und zu jeder Zeit beschranken sie ihre
Ernahrung [vgl. Manu VI, 23].
11. (8894.) Sie walzen sich auf der Erde oder stehen auf
den Fufsspitzen, verharren im Stehen oder Sitzen und be-
netzen sich zu den drei Kelterungszeiten [vgl. Manu VI, 22].
12. (8895.) Manche benutzen ihre Zahne als Morser, andere
zermalmen die Nahrung mit Steinen, einige trinken wahrend
der hellen Monatshalfte Reismehlbriihe, die nur einmal auf-
gekocht ist.
13. (8896.) Andere trinken sie wahrend der dunklen Mo-
natshalfte oder sie essen, was ihnen gerade vorkommt. Bald
mit Wurzeln, bald mit Friichten, bald mit Blumen pflegen
sie, ihrem Geliibde treu,
14. (8897.) ihr Leben nach der Vorschrift zu fristen, indem
sie den Weg der Vaikhanasa's einschlagen. Diese und mancher-
lei andere Weihen bestehen fiir solche Weisen.
15. (8898.) Als vierte allgemeine Lebensregel gilt sodann
die in den Upanishad's gelehrte [des Sannyasin], sie geht
hervor aus jenen des Vanaprastha und Grihastha als eine
verschiedene
16. (8899.) und wurde auch im gegenwartigen Weltalter
von Weisen, welche die voile Wahrheit durchschauten, [geiibt].
Agastya, die sieben Rishi's, Madhucchanda, Aghamarshana,
Adhyaya 244 (B. 245). 377
17. (8900.) Sankriti, Sudivatandi , Yathavasa und Akrita-
Qrama [oder: Sudivatandi, der wohnte, wie es gerade kam,
und sich um nichts beklimmerte] , Ahovirya, ferner Kavya,
Tandya und der weise Medhatithi,
18. (8901.) der machtige Karnanirvaka und der vielgeiibte
(^unyapala, — sie alle befolgten diese Lebensregel und gingen
dafiir in den Himmel,
19. (8902.) sie alle hatten, o Freund, die Lebensregel vor
Augen und so auch ganze umherschweifende Scharen von
Weisen, welche gewaltige Askese iibten und das Gesetz klar
vor sich sahen.
20. (8903.) Und auch andere unzahlige Brahmanen haben
sich in den Wald begeben, die Vaikhanasa's, die Valakhilya's,
die Saikata's und andere.
21. (8904.) Diese alle, der Werke iiberdriissig, in der Pflicht
bestandig und mit bezahmten Sinnen, wandelten dahin, die
Lebensregel vor Augen habend, und begaben sich in den Wald.
22. (8905.) Und jetzt, obwohl sie keine Sterne sind, er-
glanzen sie uniiberwindlich als leuchtende Scharen am Himmel.
Vom Greisenalter geplagt und von Krankheiten gequalt,
23. (8906.) soil einer in dem vierten noch iibrigen Teile
des Lebens das Stadium des Waldeinsiedlers verlassen, in-
dem er als Opfer nur darbringt [lies: mrnpya], was sich so-
gleich fertigstellen lafst, und als Opferlohn sein ganzes Ver-
mogen hingibt.
24. (8907.) Dem Atman opfernd, am Atman sich freuend,
mit dem Atman spielend, auf den Atman vertrauend, soil er
die Opferfeuer in seinen Atman aufnehmen, sich von allem
Anhang losmachen
25. (8908.) und stets nur sogleich fertigstellbare Opfer und
Spenden darbringen. Wenn seine Darbringung, iiber das ge-
wohnliche Opfer der Opfernden sich erhebend, in dem Atman
vonstatten geht,
26. (8909.) dann mag er die drei Opferfeuer samtlich in
seinem Atman verehren, um seinen Atman zu erlosen. Fiir
die Lebenshauche soil er, mit einem Opferspruche anhebend,
fiinf bis sechs [Bissen] ohne Murren verzehren.
27. (8910.) Kopfhaare, Korperhaare und Nagel abschnei
378 in. Mokshadharma.
dend, soil sodann der im Walde wohnende Muni aus einem
Stadium in ein anderes heiliges Stadium, von den Werken
gereinigt, iibergehen.
28. (8911.) Der Zwiegeborene, welcher so umherpilgert,
indem er alien Wesen Furchtlosigkeit gewahrt, dem gehoren
glanzreiche Welten und er erlangt nach dem Tode die Un-
endlichkeit.
29. (8912.) Als edier Charakter sich betatigend, von
Siinden befreit, wiinscht er weder hier noch im Jenseits
Werke zu betreiben; frei von Zorn und Verblendung,
ohne Freundschaft und ohne Feindschaft, soil der atman-
wissende Menscli dasitzen als ein Miifsiger.
30. (8913.) Wenn Pflichten des Selbstzwanges an ihn
herantreten, soil er nicht vor ihnen zuriickschrecken,
sondern sich tapfer an die ihm gemafsen Lehrbiicher,
Leitfaden und [symbolisch umgedeuteten] Opferspriiche
halten; dann wird sein Weg nach Wunsch sich gestalten
und in ihm, der den Atman kennt, die Pflicht fiir das
Hochste halt und die Sinne bezahmt hat, kein Zweifel
bestehen bleiben.
31. (8914.) Nun sollst du weiter von mir das durch
iibermafsige trefPliche Tugenden beste, die drei anderen
iibertreffende, hohere Aufgabe habende, hochste, als vier-
tes benannte, oberste Lebensstadium vernehmen, welches
als das Treff lichste , Uniibertrefflichste geriihmt wird.
So lautet im Mokshadharma die Frage des (^'iika
((,'uka - anupra(;na).
Adhyaya 345 (B. Z4.Q),
Vers 8915-8950 (B. 1-36).
(^uka sprach:
1. (8915.) Wie der in dem Lebensstadium des Waldeinsied-
lers verweilende Atman anzuschirren sei, wie ist das zu er-
fahren von einem, der mit aller Macht nach dem Hochsten
strebt?
Adhyaya 245 (B. 246). 379
Vyasa sprach:
2. (8916.) Nachdem einer durch die beiden vorherigen
Lebensstadien bereitet worden ist, — hore mit hingegebenem
Geiste, was er dann weiter zu tun hat, um das hochste Ziel
zu erreichen.
3. (8917.) Nachdem er in den drei gesellschafthchen Stadien
sich alsbald von dem Siindenschmutze gereinigt hat, soil er
auf das hochste Ziel mit unvergleichlicher Pilgerschaft hin-
pilgern.
4. (8918.) Dieses mogest du in dieser Weise iiberdenken
und darin verharren. Vernimm also: Allein und ohne Ge-
fahrten soil er weiterhin seiner Pflicht obliegen, um die Voll-
kommenheit zu erreichen.
5. (8919.) Wer als ein Sehender allein wandelt, der ver-
lafst nicht und wird nicht verlassen; ohne Feuer und ohne
Behausung, moge er das Dorf nur um der Nahrung willen
aufsuchen.
6. (8920.) Ohne Sorge fiir den morgenden Tag sei der
Muni, welcher der Realitat ergeben ist, wenig essend, die
Nahrung beschrankend , nur einmal taglich Speise zu sich
nehmend.
7. (8921.) Die Almosenschale, die Baumwurzeln [als Aufent-
halt], das Lumpengewand, das Unbegleitetsein und die Gleich-
giiltigkeit gegen alle Wesen, an diesen erkennt man einen
Bhikshu (Bettler = Sannyasin).
8. (8922.) Er, in welchem, gleichwie gescheuchte Elefanten
in einem Brunnenloch [aus dem sie nicht wieder heraus konnen],
die Reden einsinken und nicht wieder zu dem, der ihn an-
spricht, zuriickkehren, ein solcher darf im Lebensstadium der
Erlosung weilen.
9. (8923.) Nichts Tadelnswertes soil er jemals sehen oder
horen von irgend jemandem, zumal nicht von Brahmanen,
und audi nie dergleichen sprechen.
10. (8924.) Was einem Brahmanen heilsara ist, das allein
soil er allezeit reden; wird er getadelt, so verharre er im
Schweigen und betreibe die Heilung seiner Seele.
11. (8925.) Durch den allein der ganze Weltraum allezeit
ausgefiillt wird, und fiir den hinwiederum die von Menschen
380 ni. Mokshadharma.
erfiillte Welt ein Leeres ist, den wissen die Goiter als einen
Brahmanen.
12. (8926.) Wer sich bekleidet, womit es auch immer sei,
sich ernahrt, wovon es auch immer sei, und schlaft, wo es
auch immer sei, den wissen die Gotter als einen Brahmanen.
13. (89-27.) Der sich vor der Volksmenge wie vor einer
Schlange scheut, vor dem Wohlbehagen wie vor der Holle
und vor den Weibern wie vor einem Kadaver, den wissen
die Gotter als einen Brahmanen.
14. (89'28.) War nicht ziirnt, wenn er verachtet wird, nicht
sich freut, wenn er geehrt wird, und alien Wesen Furcht-
losigkeit gewahrt, den wissen die Gotter als einen Brahmanen.
15. (8929.) Er freue sich nicht auf den Tod, er freue sich
nicht auf das Leben, sondern warte auf seine Zeit, wie der
Diener auf den Befehl.
16. (8930.) Unbefleckt sei er in seinem Denken, unbefleckt
in seinem Keden und von allem Bosen rein; keine Feinde
hat er, vor wem sollte er sich fiirchten!
17. (8931.) Er, der sich vor keinem Wesen fiirchtet und
vor dem" sich kein Wesen fiirchtet, ist von der Verblendung
erlost und keine Angst kann ihn anwehen.
18. (8932.) Wie in dem Elefantenwege alle von anderen
angebahnten Wege verschwinden, nachdem der Elefant den
Weg gebahnt hat,
19. (8933.) so verschwindet alles andere Gute und Forder-
liche in der Ahinsd (Nicht- Schadigung). Der lebt ewig als
Unsterblicher, welcher nicht den Weg der Schadigung betritt.
20. (8934.) Der Nicht- Schadigende, Gleichmiitige , Wahr-
hafte, Feste, seine Sinne Beherrschende und alle Wesen
Schiitzende erlangt das hochste Ziel.
21. (8935.) Wer in dieser Weise mit Erkenntnis gesattigt,
furchtlos und wunschlos ist, fiir den ist der Tod nicht ein
Zustand, der ihn iiberkommt, sondern er iiberkommt den Tod.
22. (8936.) Wer, von aller Anhanglichkeit frei, als Muni
dasteht [unwandelbar] wie der Weltraum, einen solchen Selbst-
losen, Einsamen, Beruhigten wissen die Gotter als einen Brah-
manen.
23. (8937.) Wessen Leben der Pflicht, wessen Pflicht dem
Adhyaya 245 (B. 246). 381
Hari (Vishnu) und wessen Tage und Nachte der Heiligung
geweiht sind, den wissen die Gotter als einen Brahmanen.
24. (8938.) Ihn, der frei von Wiinschen, frei von Streben,
frei von Verehrung und Preisung ist, der von alien Fesseln
erlost ist, den wissen die Gotter als einen Brahmanen.
25. (8939.) Alle Wesen freuen sich an der Lust und
alle schrecken heftig vor dem Schmerz zuriick; wer es
miide geworden ist, ihnen Furcht einzuflofsen, der wird,
des Glaubens voll, keine Werke mehr tun.
26. (8940.) Denn eine Gabe, durch welche die Furcht-
losigkeit der Wesen als Dakshina (Opferlohn) gespendet
wird, iibertrifft alle anderen irdischen Gaben. Wer erst
die schadenbringende Korperlichkeit aufgibt, der erlangt
Unendlichkeit und Ungefahrdetsein von alien Kreaturen.
27. (8941.) Er opfert auch nicht mehr in seinen ge-
oifneten Mund die Opferspeise, wird zum Nabel der Welt,
zum tragenden Grund der lebenden Wesen und, wenn
Vaigvanara [das Leichenfeuer] ihn mit Haupt und Glie-
dern, mit Vollbrachtem und Nicht -Vollbrachtem verzehrt,
so verzehrt er mit ihm diese ganze Welt.
28. (8942.) Was in dem eine Spanne grofsen Herzen
wohnt, darin bringt der dem Atman Opfernde die Lebens-
hauche dar; sein Feueropfer, dargebracht in dem eigenen
Atman, ist damit in alien Weltraumen mitsamt ihren
Gottheiten geopfert.
29. (8943.) Diejenigen, welche das Gottliche, Drei-Ele-
ment-hafte [vgl. Chand. Up. 6,3,2], Dreifache, Schon-
gefliigelte [den Jiva], sowie auch die oberste Wesenheit
der hochsten Seele erkennen, die werden in alien Welten
verherrlicht und Gotter wie Sterbliche preisen ihr Wohl-
verhalten.
30. (8944.) Wer aber als das zu Wissende, sowohl die
Veden als auch ihre samtlichen Vorschriften, sowie ferner
deren Erklarung und die Wesenheit der hochsten Seele,
wer dies alles schon wahrend seiner Verkorperung er-
kennt, auf den sind sogar die Gotter allezeit eifersiichtig.
31. (8945.) Ihn, der nicht an der Erde hangt und auch
im Himmel unausmefsbar ist, den goldenen, aus dem Ei
382 ni. Mokshadharma.
geborenen, in dem Ei weilenden, den schongefliigelten
Vogel im Luftraiime, wer diesen, durch seine Strahlen
erleuchtet, schon bei Lebzeiten erkennt,
32. (8946.) ihn, der das wiederkehrende, nicht alternde,
umrollende , sechsmalige [Jahreszeiten] , zwolfspeichige
[Monate], wohlgegliederte und zugleich in der Hohle des
Herzens verborgene Zeitrad ist, in dessen Rachen das
Universum hineinzieht,
33. (8947.) wer diesen als die Vollberuhigung und als
den Leib der Welt weifs, der erlangt schon hienieden
alle Welten. In ihm erquickt er zugleich alle Gotter,
und sie, indem sie erquickt werden, laben seinen Mund.
34. (8948.) Aus Glanz bestehend, von jeher bestehend
und uranfanglich erlangt ein solcher Mensch die ewigen
furchtlosen Welten, und weil sich die Wesen niemals
vor ihm fiirchten, darum fiirchtet auch er sich niemals
vor den Wesen.
35. (8949.) Er ist nicht zu schelten und schilt auch
nicht andere ; ein solcher Brahmane schaut den hochsten
Atman ; befreit von Verblendung und fern von aller Sunde,
braucht er nicht hienieden und nicht im Jenseits nach
Speise zu gehen [weil er sich in alien Kreaturen weifs
und ernahrt].
36. (8950.) Frei von Zorn und Verblendung, Erdklumpen
und Gold fiir gleich achtend, ohne Aufspeicherung [oder :
frei von den Hiillen Taitt. Up. 2], Freundschaft und Feind-
schaft hinter sich lassend, (iber Tadel und Lob erhaben,
nicht mehr liebend und hassend und dahinwandelnd wie
ein Miifsiger, — so lebt der Bhikshu.
So lautet im Mokshadharma die Frage des (j!uka
(Quka - anupra^na) .
Adliyaya 2-46 (B. 247). 383
Adhyaya 246 (B. 247).
Vers 8951-8973 (B. 1-23).
Vyasa sprach:
1. (89.51.) Was nun aber die Umwandlungen der Prakriti
betrifft, so ist der Kshetrajfia an ihre Spitze gestellt. Sie
erkennen ihn nicht, er aber erkennt sie.
2. (8952.) Durch sie vollbringt er das ^¥erk, namlich
durch die Indriya's mit Manas als sechstem, wie ein Wagen-
lenker durch wohlgebandigte, starke, vortreffliche Rosse.
3. (89.-).!.) Holier als Sinne stehen Dinge, hoher als Dinge
Manas steht, holier als Manas steht Buddlii, hoher als sie
das grofse Selbst [Kath. Up. 3,10].
4. (8954.) Holier als dies steht das Avyaktam, hoher als
dies das Unsterbliche, hoher als das Unsterbliche steht nichts
mehr, es ist Endziel iind hochster Gang [vgl. Kath. Up. 3,11].
5. (8955.) So weilt es in alien Wesen als Atman, unsicht-
bar, versteckt, dem scharfsten Denken nur sichtbar, dem
feinsten des, der Feines sieht [vgl. Kath. Up. 3,12].
6. (8956.) Einschmiegend in das innere Selbst voll Weis-
heit die Sinne mit Manas als sechstem und die Sinnesobjekte,
ohne sicli um allerlei Sorgen zu kiimmern [mit C. acintayan^
vgl. Vers 9042],
7. (8957.) und durch die Meditation Beruhigung und durch
Wissenschaft Beseitigung des Manas erreicht habend, er-
langt er sodann, keinen Hohern {igvaraj iiber sich wissend
und beruhigten Geistes, die unsterbliche Statte.
8. (8958.) Der [gewohnliche] Sterbliche hingegen, mit
seinem Atman alien Sinnen unterworfen und schwankende
Erinnerung habend, gelit durch Verrat an seinem Selbste in
den Tod.
9. (8959.) Vielmehr moge man, alle Vorstellungen nieder-
schlagend, das Cittam (Manas) in dem Sattvam zur Ruhe
bringen, und nachdem man das Cittam im Sattvam zur Ruhe
gebracht hat, wird man [unerschiitterlich wie] der Berg
Kalanjara werden.
384 ni. Mokshadharma.
10. (8960.) Durch die Beruhigung seines Cittam lafst der
Asket Schones und Unschones hinter sich, und mit beruhig-
tem Selbste in seinem Selbst verharrend, gelangt er zu un-
endlicher Freude.
11. (8961.) Das Kennzeichen der Beruhigung aber ist so,
wie wenn man im Schlafe siifs schlummert, oder wie wenn
eine im Windstillen angeziindete Flamme nicht flackert.
12. (8962.) Wenn er so friih und spat sein Selbst in das
Selbst versenkt, wird er, mafsig sich nahrend und reinen
Selbstes, das Selbst in seinem Selbste schauen.
13. (8963.) Als Geheimlehre aller Veden, frei von Legenden
und Traditionen, bildet dieser den Atman zum Bewu'"stsein
bringende Lehrkanon, mein Sohn, die wahre Unterweisung.
14. (8964.) Durch Ausquirlung des ganzen Reichtums der
Gesetzeslehren und Wahrheitslehren , sowie von zehntausend
Vedaversen ist dieses Amritam als Produkt gewonnen worden.
15. (8965.) Wie die Butter aus dem Rahm, wie das Feuer
aus dem Reibholze, so ist das Wissen der Weisen zum Besten
der Sohne gewonnen worden.
16. (8966.) Dieser Kanon, o Sohn, ist zu bezeichnen als
die Belehrung des Snataka [des Schiilers am Ende der Lehr-
zeit]. Man soil sie keinem mitteilen, welcher noch nicht
beruhigt, noch nicht bezahmt, noch nicht askesereich,
17. (8967.) noch nicht vedakundig, nicht ein anhanglicher
Schiller ist, keinem, der nicht frei von Mifsgunst, der nicht
geradsinnig ist, der der Unterweisung nicht folgt,
18. (8968.) keinem, der in den Lehrbiichern der Dialektik
beschlagen oder hinterlistig ist; vielmehr nur einem Riihm-
lichen, gut Beleumundeten , Beruhigten, Askesereichen,
19. (8969.) einem geliebten Sohne und anhanglichen Schiller
ist diese geheime Satzung zu ilberliefern, keinem andern, wer
es auch sei.
20. (8970.) Und wenn ein Mensch ihm diese mit Edel-
steinen gefiHlte Erde anbote, so soil der der Wesenheit
Kundige denken: „Dies ist noch mehr wert als das alles!"
[vgl. Chand. Up. 3,11,4].
21. (8971.) Nunmehr aber will ich dir das noch Geheimnis-
voUere, auf das innere Selbst Bezilgliche, Ubermenschliche,
Adhyaya 246 (B. 247). 385
von den grofsen Weisen Geschaute und in den Vedanta-
texten Besungene
22. (8972.) mitteilen, da du mich danach fragst.
23. (8973.) Wenn noch etwas weiteres deinen Geist
bewegt Oder wenn dir irgendwo ein Zweifel geblieben
ist, so hore mich weiter; was soil ich dir, der du vor
mir stehst, o Sohn, noch mehr sagen?
So lautet im Mokshadharma die Frage des (^tika
((^'uka - anupra<;na).
Adhyaya 347 (B. 348).
Vers 8974-8998 (B. 1-25).
Q'uka sprach:
1. (8974.) Sage mir noch einmal ausfiihrlich das auf das
innere Selbst Beziigliche; was ist das innere Selbst und wie
ist es, o Heiliger, Bester der Weisen?
Vyasa sprach:
2. (8975.) Was, o Teurer, als das innere Selbst an einem
Menschen gepriesen wird, das will ich dir entwickeln, davon
vernimm diese Erklarung.
3. (8976.) Erde, Wasset, Feuer, Wind und Ather, diese
grofsen Elemente (maliabhutdnij sind fur die Wesen, was die
Wellen fiir den Ozean sind.
4. (8977.) Wie eine Schildkrote ihre Glieder ausstreckt
und wieder einzieht, so wandeln sich die grofsen Elemente
um in ihre jiingeren [Produkte].
5. (8978.) Somit ist alles dieses Unbewegliche und Be-
wegliche aus ihnen gebildet; bei seinem Entstehen wie bei
seinem Vergehen wird es erlautert an diesem [Bilde von der
Schildkrote].
6. (8979.) Fiinf grofse Elemente also gibt es, und aus
ihnen stellte der Wesenschopfer in alien Wesen, o Freund,
eine Mannigfaltigkeit her, je nachdem er diesen oder jenen
Zweck im Auge hatte.
Dbusskn, Mahabhitratam. 25
386 ni. Mokshadharma.
^uka sprach:
7. (8980.) Aber wie kann man erkennen, was er zu den
Korpern beigetragen hat ; da sind Sinnesorgane und da sind
Eigenschaften , wie soil man die herauserkennen ?
Vyasa sprach:
8. (8981.) Das will ich dir der Eeihe nach entwickeln,
wie es ist; vernimm du es mit ungeteilter Aufmerksamkeit,
wie es seiner Wesenheit nach sich verhalt.
9. (8982.) Der Ton, das Gehor und die Hohlraume [im
Korper], diese drei entspringen aus dem Ather; der Lehens-
odem, die Bewegungen [der Glieder] und das Gefiihl, das
sind die drei Eigenschaften des Windes.
10. (8983.) Die Sichtbarkeit, das Auge und die Verdauung,
in diese drei zerlegt sich das Feuer; der Geschmack, das
Schmecken und die Fliissigkeit, das sind die drei Eigen-
schaften des Wassers.
11. (8984.) Der Duft, das Riechen und die Korperlichkeit,
das sind die drei Eigenschaften der Erde; insoweit ist der
Mensch vermoge der Schar der Sinne als aus den fiinf Ele-
menten bestehend erklart.
12. (8985.) Aus dem Winde stammt die Beriihrung, aus
dem Wasser der Geschmack, aus dem Feuer die Sichtbar-
keit; aus dem Ather entspringt der Ton, der Geruch gilt als
eine Eigenschaft der Erde.
13. (8986.) Manas, Buddhi und Svabhava (Natur), diese
drei haben ihren eigentiimlichen Ursprung; sie schlagen nicht
[wie jene fiinf Elemente] zu Eigenschaften aus, da sie auf
Hoheres als diese Eigenschaften gerichtet sind.
14. (8987.) Wie gleichsam eine Schildkrote ihre Glieder
herausstreckt und wieder einzieht, so schafft die Buddhi die
Schar der Sinnesorgane und zieht sie wieder in sich herein.
15. (8988.) Was man oberhalb der Fufssohlen und unter-
halb des Schadels wahrnimmt, in diesem ganzen Gemachte
herrscht die Buddhi als hochstes Prinzip.
16. (8989.) Die Buddhi fiihrt die Eigenschaften an und
sie fiihrt auch die Sinnesorgane samtlich mit dem Manas als
Adhyaya 247 (B. 248). 387
sechstem an (neniyatej; gabe es keine Buddhi, wie konnten
die Eigenschaften bestehen! [vgl. Vers 7082 und 10502].
17. (8990.) Der Sinne gibt es fiinf im Menschen, das Manas
wird als sechstes gezahlt, als siebentes gilt die Buddhi, als
achtes endlich der Kshetrajna.
18. (8991.) Das Auge dient nur zum Sehen, das Manas
erhebt den Zweifel, die Buddhi entscheidet ihn, der Kshetrajfia
ist der Zuschauer fsakshinj.
19. (8992.) Rajas, Tamas und Sattvam, diese drei haben
ihren eigentiimhchen Ursprung, sie sind in alien Wesen die
gleichen, als die Guna's soil man sie ansehen.
20. (8993.) Alles nun, was man in sich selbst wahrnimmt
als mit der Lust fpritij verwandt, und was gleichsam beruhigt
und rein ist, das hat man als Sattvam anzusehen.
21. (8994.) Was aber mit Unlust fsamtdpaj verwandt ist,
sei es korperlich oder geistig, und was das Regsame ist, das
soil man als das Rajas ansehen.
22. (8995.) Was aber der Verblendung verwandt und in
den Dingen undeutlich, unbegreiflich und unerkennbar ist,
das ist als das Tamas festzuhalten.
23. (8996.) Freude, Lust, Wonne, Herrschaft, Bewufstsein
der eigenen Selbstandigkeit , mag es begriindet sein oder
nicht, das bildet die Eigenschaften des Sattvam.
24. (8997.) Eigendiinkel, falsche Rede, Begehrlichkeit, Ver-
blendung, Lassigkeit, das sind die Merkmale des Rajas, mogen
sie Grund haben oder nicht.
25. (8998.) Endlich: Verblendung, Unbesonnenheit, Schlaf,
Tragheit und Unverstand, wie sie auch immer einen an-
wandeln mogen, sind als Eigenschaften des Tamas anzusehen.
So lautet im Mokshadharma die Frage des (^uka
((^uka-anupra<;na).
25'
388 III. Mokshadharma.
Adhyaya 248 (B. 248^'^.
Vers 8999-9023 (B. 1-24).
Vyasa sprach:
1. (8999.) Das Manas schafft aus sich die Existenz [der
Aufsendinge], die Buddhi stellt [ihre Beschaffenheit] fest, das
Herz empfindet das Angenehme und Unangenehme ; so ist
der Antrieb zu den Werken dreifach.
2. (9000.) Hoher als Sinne stehen Dinge, hoher als Dinge
Manas steht, hoher als Manas steht Buddhi, hoher als sie
der Atman steht [vgl. Kath. Up. 3,10].
3. (9001.) Die Buddhi ist das Selbst des Menschen, die
Buddhi ist durch das Selbst in dem Selbste; wenn sie sich
zur Existenz entfaltet, so wird sie [zunachst] zum Manas.
4. (9002.) Weiter wird dann die Buddhi wegen der Einzel-
existenz der Sinnesorgane zerlegt: sofern sie hort, wird sie
zum Ohr, sofern sie fiihlt, wird sie zum Gefiihl,
5. (9003.) sofern sie sieht, wird sie zum Auge, sofern sie
schmeckt, wird sie zum Geschmackssinn, sofern sie riecht,
zum Geruchsinn , * so zerlegt sich die Buddhi im einzelnen.
6. (9004.) Diese werden Sinnesorgane genannt, und liber
ihnen thront der unsichtbare [Atman]. Die Buddhi, sofern
sie im Menschen wohnt, bewegt sich in drei Zustanden (hhdvaj.
7. (9005.) Manchmal empfindet sie Freude fpritij, manch-
mal Schmerz und manchmal ist sie weder von Lust noch
von Leid beriihrt.
8. (9006.) Sie, deren Wesen in diesen Zustanden besteht,
entwickelt sich zu den drei Zustanden, wie der wellenreiche
Herr der Fliisse, der Ozean, zu den grofsen Fluten.
9. (9007.) Wenn sie irgend etwas begehrt, dann wird sie
zum Manas, aber jene [die Sinnesorgane] sind als die be-
sonderen Sitze in der Buddhi zu betrachten. (9008.) Die mit
Intelligenz ausgestatteten Sinnesorgane miissen vollstandig
unterjocht werden,
10. alle nacheinander, je nachdem die Reihe an eines
kommt. (9009.) Soweit die Buddhi in der Existenz [der Sinne
und Aufsendinge] zur Zerlegung kommt, weilt sie im Manas.
Adhyaya 248 (B. 248 bis). 389
11. Alle Verhaltnisse, die sich entwickeln, sind in jenen
drei [Zustanden, d. i. Guna's] beschlossen; (90io.) sie setzen
sich zu den entsprechenden Aufsendingen fort, wie die Rad-
speichen zum Radkranze.
12. Um zu erleuchten, ist das Manas tatig mittels der
von der Buddhi regierten Sinne, (90ii.) welche je nach ihrer
Verwendung ausschwarmen oder, wie es sich trifft, miifsig
bleiben.
13. Von solcher Natur ist dies alles, wer das weifs, geht
nicht irre, (9012.) er klagt nicht und freut sich nicht, da er
stets frei von Selbstsucht ist.
14. Aber der Atman kann nicht gesehen werden von
den ihrer Begierde nachgehenden Sinnen, (9013.) mogen sie
schuldlos sich betatigen oder zur Ubeltat neigen, wenn ihr
Wesen nicht gebandigt ist.
15. Wenn man aber ihre Ziigel durch das Manas straff-
halt, (9014.) dann leuchtet in einem der Atman auf wie eine
Gestalt, die von der Lampe erhellt wird.
16. Wie in alien Wesen, wenn das Dunkel verscheucht
ist, (9015.) alles seine Beleuchtung empfangt, so ist dieses
aufzufassen.
17. Wie ein Wasservogel nicht benetzt wird, wenn er
im Wasser schwimmt, (9016.) so wird der Yogin, dessen Atman
erlost ist, nicht von den Siinden befleckt.
18. So wird einer, dem die Erkenntnis geworden ist
und der nicht mit Siinde sich in die Sinnendinge verliert,
(9017.) ohne an irgend etwas zu kleben, in keiner Weise befleckt.
19. Wer das friiher begangene Werk abstreift und alle-
zeit seine Lust nur am Atman hat, (9018.) wer, zum Selbste
aller Wesen geworden, nicht mehr an der Schar der Guna's
hangt,
20. dessen Atman vertieft sich nur in das Sattvam und
niemals mehr in die [iibrigen] Guna's. (90i9.) Die Guna's
kennen nicht den Atman, aber er kennt immerdar die Guna's.
21. Er ist der AUschauer der Guna's und ist ihr All-
schopfer, je nachdem es kommt, (9020.) darin liegt der Unter-
schied zwischen den beiden schwer Erkennbaren, dem Sattvam
und dem Kshetrajna.
390 III. Mokshadharma.
22. Der eine [Purusha] schafft die Guna's, der andere
[erloste] schafft sie nicht. (9021.) Beide [Purusha und die
Guna's] sind ihrer Natur nach verschieden und doch immer-
dar miteinander verbunden.
23. So wie der Fisch vom Wasser verschieden ist und
doch beide verbunden sind, (9022.) oder wie die Fhege und
das Feigenblatt miteinander verbunden sind,
24. oder wie der Halm und das Schilfrohr verschieden
und doch vereinigt sind, (9023.) in ahnhcher Weise sind jene
beiden [Purusha und Guna's] verbunden urid aufeinander sich
stiitzend.
So lautet im HokBhadharma die Frage des Quka
((,'uka - anupra<;na).
Adhyaya 249 (B. 249).
Vers 9024-9037 (B. 1-14).
Vyftsa sprach:
1. (9024.) Das Sattvam schafft die Guna's, der Kshetrajfia
steht liber ihnen, iiber alien sich umwandelnden Guna's als
miifsiger Herrscher figvaraj.
2. (9025.) Alles dies ist an den Svabhava [die Prakriti]
gebunden. Wenn er die Guna's aus sich hervorgehen lafst,
dann lafst er so, wie die Spinne den Faden, die Guna's aus
sich her aus.
3. (9026.) Sind diese abgeschiittelt [durch die Erkenntnis],
so sind sie damit nicht vernichtet, aber es wird keine Tatig-
keit derselben mehr wahrgenommen, so entscheiden einige
die Frage, wahrend andere lehren, dafs sie zunichte werden.
4. (9027.) Beide Moglichkeiten halte man sich vor und
entscheide nach bestem Wissen; ist dies so vollbracht, so
bleibt der Mahan als Keim bestehen. [Nach C. : so geht der
Mahan in den Atman ein.]
5. (9028.) Denn der Atman ist ohne Entstehen und Ver-
gang, ihn soil der Mensch erkennen und danach leben, ohne
Zorn und ohne Freude, allezeit von Selbstsucht frei.
Adhyaya 249 (B. 249). 391
6. (9029.) Nachdem man in dieser Weise den von Sorgen
der Buddhi erfiillten, starken, verganglichen Knoten des Her-
zens [gespalten hat, vgl. Mund. Up. 2,2,8], moge man nach
Losung aller Zweifel friedlich und ohne Kummer verharren.
7. (9030.) Wie Menschen sich abmiihen, wenn sie unver-
merkt vom Ufer in einen gescliwollenen Strom stiirzend unter-
tauchen, so, wisse, ist diese Welt.
8. (9031.) Aber nicht so braucht sicli der Wissende ab-
zumiihen, sondern er wandelt, die Wahrheit erkennend, auf
festem Boden, wenn er in dieser Weise den Atman, wenn er
die lautere Erkenntnis seiner selbst erlangt.
9. (9032.) Dann erkennt der Mensch das Ganze, das Ent-
stehen und Vergehen der Kreaturen, iiberblickt ihre Mannig-
faltigkeit und gelangt zur hochsten Beruhigung.
10. (9033.) Dieses ist die Bestimmung des Daseins, nament-
lich bei einem Brahmanen: den Atman zu erkennen und die
Beruhigung zu erlangen, damit ist das Hochste erreicht.
11. (9034.) Wer dieses erkannt hat, der ist rein, kein
anderes Kennzeichen gibt es des Weisen; dieses erkennend
haben die Weisen ihr Ziel erreicht und sind erlost.
12. (9035.) Grofse Angst besteht nicht mehr fiir den
Wissenden, die grofse Angst, welcher der Nicht -Wissende
vor dem Jenseits hat; ein hoheres Ziel gibt es fiir keinen,
denn das des Wissenden ist ein ewiges.
13. (9036.) Der Mensch murrt iiber diese kranke Welt
und sie betrachtend jammert er, aber betrachte die Kun-
digen, die frei von Leid sind, sie, welche beides wissen,
das Erwirkbare und das Unerwirkbare.
14. (9037.) Was er noch tut, geschieht ohne vorher-
gehende Absicht, und was er vordem getan hat, das stofst
er von sich ab, und wenn er hienieden noch handelt, so
bereitet es ihm beides nicht mehr, weder Lust noch
Unlust.
So lautet im Moksbadharma die Frage des (^uka
(Quka • anupragna).
392 in. Mokshadharma.
Adhyaya 250 (B. 250).
Vers 9038-9063 (B. 1-25).
^uka sprach:
1. (9038.) Diejenige Pflicht, hoher als welche es keine
andere hienieden gibt, und welche sich vor alien anderen
Pflichten auszeichnet, die mogest du, o Herr, mir mitteilen.
Vya,sa sprach:
2. (9039.) Ich werde dir die alte Pflicht erklaren, welche
von den Weisen festgesetzt wurde, und welche sich vor alien
anderen Pflichten auszeichnet; vernimm sie mit ungeteilter
Aufmerksamkeit.
3. (9040.) Wenn man die wankelmiitigen Sinnesorgane,
welche nach alien Seiten auseinanderflattern mochten, durch
die Buddhi streng im Zaume halt wie ein Vater seine eigenen
Sohne,
4. (9041.) so i'st eine solche Konzentration des Manas und
der Sinne die hochste Askese. Dies ist wichtiger als alle
anderen Pflichten, dieses wird die hochste Pflicht genannt.
5. (9042.) Sie alle mit dem Manas als sechstem mit Weis-
heit in seine Gewalt bringend, moge er dasitzen, an dem
Atman sich gleichsam ersattigend und ohne sich um allerlei
Sorgen zu kiimmern.
6. (9043.) Wenn sie von ihren Weideplatzen heimgetrieben
und in ihrer Behausung festgehalten werden, dann wirst du
durch deinen Atman den hochsten, ewigen Atman schauen.
7. (9044.) Den All -Atman, den grofsen Atman, gleichwie
eine rauchlose Flamme, ihn schauen dann die hochherzigen,
weisen Brahmanen.
8. (9045.) Wie ein grofser, weitverzweigter , mit Blumen
und Friichten beladener Baum von sich selbst nicht weifs,
wo seine Bliiten, wo seine Frtichte sind,
9. (9046.) so weifs auch der Atman nicht, wohin er geht
und woher er kommt. Denn in ihm ist ein anderer innerer
Atman, der [frei von individueller Erkenntnis] alles iiberschaut.
Adhyaya 250 (B. 250). 393
10. (9047.) Dann schaut man mit der durch die Erkenntnis
entziindeten Fackel durch seinen Atman den Atman, und
wenn du den Atman durch deinen Atman erkannt hast, so
werde atmanlos und allwissend,
11. (9048.) frei von allem Ubel, wie eine von der Haut
befreite Schlange [vgl. Brih. Up. 4,4,7], die hochste Erkenntnis
schon hienieden erlangt habend, vom Ubel erlost und frei
von Krankheit.
12. (9049.) Den furchtbaren Flufs, welcher mit alien Stromen
die Welt liberflutet, in dem die fiinf Sinne als Krokodile
wohnen, dessen Ufer Manas und Saiikalpa (Wunsch) sind,
13. (9050.) der mit dem Schilfgras der Begierde und Ver-
blendung iiberwuchert ist und Lust und Zorn als schleichende
Tiere birgt, dessen Furt die Wahrheit, dessen Wellenschlag
die Liige und dessen Schlamm der Zorn ist, diesen mach-
tigen Flufs,
14. (9051.) dessen Ursprung im Unoffenbaren ist, den
reifsenden, schwer iiberschreitbaren von solchen, die un-
bereiteten Geistes sind, diesen von den Ungeheuern der Lust
erfiillten Strom sollst du durch die Erkenntnis iiberschreiten.
15. (9052.) Ihn, der in den Ozean des Sansara miindet,
dessen Quellen und unterirdische Hohlungen schwer zu er-
grunden sind, der mit deiner Geburt, o Freund, anhebt, dessen
Strudel die Reden sind, dem nicht gut zu nahen ist,
16. (9053.) ihn, welchen nur die erkenntnisreichen , cha-
raktervoUen Weisen zu iiberschreiten vermogen, wenn du
den, von allem befreit, festen Sinnes, des Atman kundig und
rein iiberschritten
17. (9054.) und die hochste Erkenntnis erreicht hast, dann
wirst du ein zu Brahman Gewordener sein. Dem ganzen
Sansara entflohen, beruhigten Geistes und unbefleckt,
18. (9055.) magst du dann wie von einem Berge aus die
irdischen Wesen iiberschauen, ohne Zorn und ohne Freude,
frei von Ubelwollen gegen irgendwen.
19. (9056.) Dann wirst du Ursprung und Vergang aller
Wesen iiberschauen. Das ist die von den Weisen als erhaben
liber alle Wesen erklarte (9057.) Pflicht, von den Wahrheit
schauenden Muni's, von den vorziiglichsten Erfiillern der Pflicht.
394 HI. Mokshadharma.
20. Diese Erkenntnis des alldurchdringenden Atman ist,
o Sohn, als Kegel (9058.) anzubefehlen einem Hingegebenen,
Freundlichen und Folgsamen.
21. Dies ist das geheimnisvolle Wissen vom Atman, das
grofse, allergeheimnisvollste, (9059.) welches ich dir, o Freund,
vor deinem Atman als unmittelbarem Zeugen mitgeteilt habe.
22. Nicht weiblich, noch mannlich, noch audi sachlich
ist dieses (906O.) schmerzlose und lustlose Brahman, welches
seinem Wesen nach das Vergangene, Zukiinftige und Gegen-
wartige ist.
23. Wer dieses erkannt hat, sei es Weib oder Mann,
braucht nicht wiedergeboren zu werden ; (9061.) zur Erlangung
dieses Nicht-Geboren werden s ist diese Pflicht verordnet.
24. Wie dies alles zu verstehen ist und wie es seinem
Wesen nach ist, (9062.) so ist es, o Sohn, von mir erklart
worden, das Seiende und das Nicht-Seiende.
25. (9063.) Wenn einer, o guter Sohn, von einem lieben-
den, tugendhaften , selbstbeherrschenden Sohne gefragt
wird, so soil er freudigen Sinnes diesem Sohne dieses
von mir Gesagte wahrheitsgemafs mitteilen.
So lautet im Mokshadharma die Frage des (^'uka
((^uka - anupra^na).
Adhyaya 251 (B. *^51).
Vers 9064-9087 (B. 1-24).
Vyasa sprach:
1. (9064.) Man gebe den Geriichen, den Geschmacken,
gebe der Lust keine Folge und nehme keine Schmuck-
sachen an von dem oder jenem; man trachte auch nicht
nach Ehre, Ruf oder Ruhm; das ist das Verhalten eines
sehenden Brahmanen.
2. (9065.) Man mag alle Veden studieren und keusch sein,
aber damit, dafs man den Rigveda, Yajurveda und Samaveda
kennt, ist man noch kein wahrer Zwiegeborener.
Adhyaya 251 (B. 251). 395
3. (9066.) Wer aber sich alien Wesen verwandt fiihlt, all-
wissend und alle Veden kennend und frei von Verlangen ist,
der stirbt nie und von ihm kann man nicht sagen, dafs er
kein wahrer Zwiegeborener sei.
4. (9067.) Auch wenn einer mancherlei Opfer aufzuweisen
hat und heilige , mit Opfergaben verbundene Werke , so er-
langt er dadurch noch keineswegs die wahre Brahmanschaft,
well er noch nicht in sich gesetzt ist.
5. (9068.) Aber wenn ebenderselbe nicht mehr fiirchtet,
und wenn man sich vor ihm nicht mehr fiirchtet, wenn er
nicht mehr wiinscht und nicht mehr hafst, dann erlangt er
das Brahman.
6. (9069.) Wenn er gegen alle Wesen keine bose Ge-
sinnung betatigt in Werken, Gedanken oder Worten, dann
geht er in das Brahman ein.
7. (9070.) Die Bindung durch die Lust ist die einzige,
keine andere Bindung gibt es auf der Welt; wer von der
Bindung durch die Lust frei wird, der ist zur Brahmanwerdung
tauglich.
8. (9071.) Von der Lust erlost gleichwie der Mond von
Dunst und Wolken, wiinscht er ohne Leidenschaft die Zeit
des Endes herbei und verharrt fest in seiner Bestandigkeit.
9. (9072.) Derjenige, in welchemalleLiiste verschwinden,
wie in dem vollen, unerschiitterlich gegriindeten Ozean
die Wasser verschwinden, der erlangt die Beruhigung,
nicht der nach Liisten Liisterne.
10. (9073.) Er wird von den Liisten geliebt, aber er
liebt die Liiste nicht; ein solcher Mensch steigt von
der Lust zum Himmel auf.
11. (9074.) Des Veda geheimer Sinn fupanishadj ist die
Wahrheit, der Wahrheit geheimer Sinn ist die Bezahmung,
der Bezahmung geheimer Sinn ist das Geben, des Gebens
geheimer Sinn ist die Askese.
12. (9075.) Der Askese geheimer Sinn ist die Entsagung,
der Entsagung geheimer Sinn ist das Gliick, des Gliickes ge-
heimer Sinn ist der Himmel, des Himmels geheimer Sinn ist
die Beruhigung.
396 III. Mokshadharma.
13. (9076.) Die Benetzung des Kummers und Wunsches
ausgliihend fsantdpamj mitsamt der Begierde, trachtest du
durch Zufriedenheit nach dem wahren Wesen, welches Be-
ruhigung mit sich bringt und das Hochste ist.
14. (9077.) [Diese Zufriedenheit besitzend,] frei von Kummer
und Selbstsucht, beruhigt, gesetzten Geistes und ohne Eifer-
sucht, wer diese sechs Merkmale an sich tragi, der wird als
ein Vollendeter zuriickkehren.
15. (9078.) Diejenigen, welche bei ihrem Hinscheiden ver-
moge der [genannten] sechs, mit der Eigenschaft des Sattvam
ausgestatteten, geistigen [Tugenden] erkannt haben, dafs der
Atman [nur] hienieden mit den drei [Guna's] behaftet ist, die
verstehen jene Eigenschaft [die Beruhigung].
16. (9079.) Wer zu dem ungekiinstelten , unbestechlichen,
urspriinglichen , ungeschminkten, edlen, innern Selbste ge-
langt ist, der erlangt unverganghches Gliick.
17. (9080.) Wenn man das Manas vom Umherschweifen
abhalt und es von alien Seiten her zum Stillstand bringt, so
erlangt man dadurch eine Befriedigung seiner selbst, welche
auf keine andere Weise zu erreichen ist.
18. (9081.) Durch ihn wird man satt, ohne zu essen, durch
ihn wird man satt, ohne reich zu sein, durch ihn gewinnt
man Starke ohne Fettleibigkeit, wer ihn kennt, der kennt
den Veda.
19. (908-2.) Denn der gelehrte Brahmane, welcher die ver-
borgenen Pforten seines Atman sorgsam verschliefst, der wird
ein am Atman sich Freuender genannt. [Vgl. Chand. Up.
7,25,2.]
20. (9083.) Ihn, welcher konzentriert in der hochsten
Wesenheit nach Vernichtung der Begierden dasteht, iiber-
kommt von alien Seiten her Gliick, [anwachsend] wie die
Gestalt des Mondes.
21. (9084.) Bei dem Weisen, welcher die Wesen ohne
Unterschied und die Guna's hinter sich lafst, wird durch
sein Gliick das Leiden verscheucht wie durch die Sonne die
Finsternis.
22. (9085.) Ihm, der die W'erke iiberwunden, der die iiber-
wundenen Guna's vernichtet hat, dem Brahmanen, der nicht
Adhyaya 251 (B. 251). 397
mehr mit den Sinnendingen verflochten ist, konnen Alter und
Tod nichts mehr anhaben.
23. (9086.) Wenn er dann nach alien Seiten frei, gleich-
miitig und fest dasteht, dann ist er, schon im Leibe weilend,
iiber die Sinnesorgane und Sinnendinge hinausgelangt.
24. (9087.) Fiir ihn, der nach Ergreifung der hochsten Ur-
sache aufgehort hat, ein Produkt zu sein, gibt es keine
Wiederkehr mehr, nachdem er zur hochsten Statte gelangt ist.
So lautet im Mokshadharma die Fiage dee (Juka
(<^uka-anupra(;na). i
Adhyaya 35'^ (B. 253).
Vers 9088-9100 (B. 1-12).
Vyasa sprach:
1. (9088.) Wer, nach der Erlosung forschend, sich mit den
Gegensatzen, mit dem Guten und Niitzlichen beschaftigt, der
soil als Schiller von einem tiichtigen Lehrer zunachst unter-
richtet werden in folgender grofser Sache.
2. (9089.) Ather, Wind, Feuer, Wasser und als fiinftes die
Erde nebst Entstehen und Vergehen und der Zeit sind in
alien fiinf Elementen [vermoge des Pancikaranam vgl. Vedan-
tasara § 124] enthalten.
3. (9090.) Der Ather ist im Innern des Korpers, der aus
ihm gebildete Sinn ist das Gehor; als seine Qualitat erkennt
den Ton an, wer mit den Lehren der iiber den Korper han-
delnden Lehrbiicher vertraut ist.
4. (9091.) Das Hinstreichen ist das Wesen des Windes,
aus ihm sind Aushauch und Einhauch gebildet, als seinen
Sinn wisse man das Gefiihl und als auf ihm beruhend die
Beriihrung.
5. (9092.) Hitze, Kochung, Erhellung, Licht und Gesichts-
sinn als fiinftes [machen das Element des Feuers aus]; als
seine Qualitat wisse man die Gestalt, welche ihrem Wesen
nach rot, weifs und schwarz ist.
6. (9093.) Benetzung, Verschiebbarkeit und Anhaftung,
diese werden dem Wasser zugeschrieben ; Blut, Mark und
398 III. Mokshadharma.
was sonst noch klebrig ist, wisse man als zu seiner Natur
gehorig.
, ,,7, (9094.) Das Schmecken^ die Zunge als Organ und der
Geschmack gelten als Qualitat des Wassers. Festigkeit ist
dem erdigen Element eigen, Knochen, Zahne und Nagel,
8. (9095.) Bart, Korper- und Haupthaare, Adern, Sehnen
und Haut. Das Sinnesorgan heifst Geruchsinn und wird auch
Nase genannt;
9. (9096.) der Geruch ist das diesem Sinne entsprechende
Objekt, und man mufs begreifen, dafs er aus der Erde be-
steht. Alle hoheren Wesen besitzen auch liohere Eigen-
schaften.
10. (9097.) Die Weisen kennen die Verbreitung der fiinf
elementaren Komplexe [bestehend aus dem Element, seinem
Organ und dessen Objekt]. Das Manas gehort zu den ge-
nannten [fiinf Elemente, Entstehen, Vergehen und Zeit, oben,
Vers 9089] als neuntes, die Buddhi wird als zehntes gezahlt.
11. (9098.) Der elfte ist der unendliche Atman, er wird
als der Allseiende und Hochste bezeichnet. Die Buddhi hat
als Wesen das Entscheiden, das Manas das Zerlegen. (9099.) Aus
der Tatigkeit zu erschliefsen ist der Jiva (die individuelle
Seele), welcher von der Korperlichkeit seinen Namen hat.
12. Wer auf dieses mit den genannten, die Zeit als Wesen
habenden Zustanden behaftete Ganze selbst (9ioo.) unbefleckt
hinblickt, der verfallt nicht in das mit Verblendung ver-
kniipfte Werk.
So lautet im Mokshadharma die Frage des (^uka
(Quka - aniiprai^na) .
AdhyAya 353 (B. 253).
Vers 9101-9115 (B, 1-15).
Vyasa sprach:
1. (9101.) Die vom Leibe losgeloste, in feiner Gestalt fort-
bestehende, verkorperte Seele schauen mittels ihres im Kanon
vorgeschriebenen Tuns die Kenner des [Yoga-] Kanons.
Adhyaya 253 (B. 253). 399
2. (!)io2.) Wie die Strahlen miteinander ausstromen
und ul)erall sich verbreitend gesehen werden, so durch-
streifen die von den Korpern losgelosten iibermensch-
lichen Wesenheiten die Weltraume.
3. (9103.) So wie der Glanz der Sonne als Abbild im
Wasser gesehen wird, so schaut er [der des Yoga kundig
ist] das Sattvam als Abbild in den von diesem Sattvam Be-
seelten.
4. (9104.) Und nachdem diese feinen Wesenheiten (Sattva)
vom Leibe sich losgelost haben, schauen die Wahrheits-
kundigen, Sinnebezahmten mittels ihres eigenen Sattvam diese
[Sattva' s].
5. (9105.) Was immer von alien gedacht werden mag im
Schlafe oder auch [mit C. caiva] im Wachen, oder wenn
sie, von der Verbindung mit der Materie losgelost, die aus
den Werken entspringende Leidenschaftlichkeit hinter sich
lassen, —
6. (9106.) allezeit bei Tage wie bei Nacht, bei Nacht wie
bei Tage steht ihr Sattva selbst unter der Herrschaft der
Yoga iibenden Yogin's.
7. (9107.) Ihr Elementatman fbMddtmdJ ist immer und alle-
zeit unaufhorlich behaftet mit sieben feinen Qualitaten [an-
geblich Mahan, Ahankara und die fiinf Tanmatra's nach Nil.],
er, der regsame, nicht alternde, nicht sterbende.
8. (9108.) Dem Manas und der Buddhi unterworfen, den
eigenen Leib und fremde Leiber kennend, wird die individuelle
Seele auch im Traume zum Erkenner von Lust und Leid.
9. (9109.) In ihm empfindet sie bald Schmerz, bald Lust,
und wenn sie sich dem Zorn und der Begierde hingibt, gerat
sie ins Ungliick.
10. (9110.) Oder auch sie glaubt sich begliickt, wenn sie
grofse Zwecke erreicht, sie vollbringt in ihm [dem TraumeJ
gute Werke und ist sehend wie im wirklichen Leben.
11. (9111.) Ja selbst in die Hitze gelangt und zum Embryo
geworden und zehn Monate lang in der Bauchhohle verweilend,
wird sie doch nicht wie die Nahrung verdaut.
12. (9112.) Diesen Bhutatman, welcher als ein Teil der
hochsten Kraft [der Allseele] im Herzen wohnt, konnen die
400 III. Mokshadharma.
von Tamas und Rajas beherrschten Menschen nicht in den
Korpern sehen.
13. (9113.) Sie, welche den Yogakanon hochschatzen und
dadurch von Verlangen nach jenem Atman erfullt sind,
[schauen, nach Nil. iiberschreiten] jene nicht mitsterhenden,
nicht grobmateriellen Wesenheiten, welche unzerstorbar wie
Diamanten sind.
14. (9114.) Als die Einzelwesen geschaffen warden, um
die Werke des vierten Lebensstadiums zu iiben, da hat Qan-
dilya im Zustande der Versenkung in dieser Weise den Yoga
fiir die Beruhigung erklart. [Vgl. Chand. Up. 3,14,1 Qanta'
ujmsUa.]
15. (9115.) Wer die sieben feinen Wesenheiten [vgl. Vers 9107]
und den sechsgliedrigen [ Allwissenheit , Allgeniigsamkeit,
Geistigkeit, Freiheit, ununterbrochenes Schauen und Allmacht
besitzenden. Nil.] hochsten Gott erkannt hat, der schaut das
in die Materie unverstrickt bestehende hochste Brahman.
So lautet im Mokshadhaima die Frage des Quka
((,'uka - anupra^na).
Adhyaya 354 (B. 254).
Vers 9116-9130 (B. 1-14).
Vyasa sprach:
1. (9116.) Im Herzen wachst der bunte Baum der Begierde,
aus dem Wust der Verblendung entspringend, Zorn und Hoch-
mut sind seine machtigen Aste und von Absichten wird er
bewassert.
2. (9117.) Sein tragender Grund ist das Nicht-Wissen,
seine Bewasserung geschieht durch die Unbesonnenheit, Ubel-
wollen bildet seine Zweige, vormalige Ubeltaten sind sein
Kernholz.
3. (9118.) Verblendung und Sorge sind seine Ranken, der
Kummer bildet sein Astwerk, dm Furcht seine Sprofslinge;
er ist umwuchert von verwirrenden Durstgeliisten als Schling-
pflanzen.
Adhyaya 254 (B. 254). 401
4. (9119.) Diesen grofsen Baum verehren die sehr Begehr-
lichen, nach seinen Friichten Verlangenden, von Aufregungen
wie von Stricken gebunden, um seiner Friichte willen ihn
umschlingend.
5. (9120.) Wer dieser Stricke Meister wird und den Baum
ausreifst, der gelangt ans Ende beider Leiden [der Lust und
des Schmerzes] und wird von beiden befreit.
6. (9121.) Weil der Unverstandige allezeit den Baum ge-
deihen macht fsamrohatHJ, darum totet dieser ihn, wie das
Giftgeschwiir den Kranken.
7. (9122.) Aber dieses weiterwurzelnden Baumes Wurzel
wird mit Macht losgetrennt mittels der Gleichmiitigkeit als
vorziighchem Messer von dem, der durch die Beruhigung des
Yoga bereitet ist.
8. (9123.) Wer in dieser Weise es versteht, alle Begierde
zu vernichten, der gelangt iiber die Knechtschaft unter dem
Gesetz der Begierde und iiber die Leiden hinaus.
9. (9124.) Den Korper betrachtet man als die Stadt, als
Herrscherin in ihr gilt die Buddhi, und das Manas ist es,
welches die Zwecke der auf das Wesen gerichteten Buddhi
besorgt.
10. (9125.) Die Sinnesorgane sind die dem Manas unter-
stellten Burger und ihren Zwecken zu dienen ist seine Haupt-
aufgabe. In der Stadt herrschen zwei furchtbare Seuchen,
sie heifsen Tamas und Rajas. (9i26.) Von jenen Zwecken leben
die Burger mitsamt den Stadtherren.
11. Unberechtigterweise leben von jenen Zwecken auch
die beiden Seuchen. (9127.) Hierbei sinkt die schwer zu iiber-
waltigende Buddhi auf die gleiche Stufe wie das Manas
herab.
12. Die Burger aber zittern vor dem Manas, und so
wird auch ihre Stellung eine unsichere (9128.) und die Zwecke,
welche die Buddhi verfolgt, sinken zur Zwecklosigkeit herab.
13. Wenn nun die Buddhi einen gesonderten Zweck
verfolgt, so leidet das Manas darunter, (9129.) denn von der
Buddhi abgesondert bleibt das Manas isoliert.
14. Dann bemachtigt sich des von jenem entblofst ge-
lassenen Menschen das Rajas, (9i30.) ja, das Manas schliefst
Deussen, Mahilbharatam. 26
402 III- Mokshadharma.
sogar mit dem Rajas Freundschaft und verbiindet sich ihm,
nimmt den in der Stadt wohnenden Burger gefangen und
liefert ihn dem Rajas aus.
So lautet im Mokshadharma die Frage des Tuka
(Qulca - anuj)ra(;na).
Atlliyaya *^55 (B. 255).
Vers 9131-9143 (B. 1-13).
Bhishma sprach:
1. (9131.) Vernimm, o Sohn, weiter die Aufzahlung der
Elemente, wie sie, o Untadeliger, in hochst riihmlicher Weise
dem Munde des Dvaipayana (Vyasa) entstromte.
2. (9132.) Einem flammenden Feuer ahnlich sprach der
Heilige zu ihm, der an Aussehen dem Rauche ghch, und
nunmehr will ich dir, o Sohn, wieder die Erklarung mit-
teilen.
3. (9133.) Der Erde kommen zu: UnerschLitterlichkeit,
Schwere, Festigkeit, Produktivitat , Geruch, [nochmalsj
Schwere, Kraft, Kompaktheit, Fahigkeit zu stiitzen und Aus-
dauer.
4. (9134.) Dem Wasser kommen zu: Kalte, Geschmack,
Nasse, Fliissigkeit, Anhaftung und Geschmeidigkeit, Ge-
schmacksorgan , Tropfbarkeit und Garmachung fester Stoffe.
5. (9135.) Dem Feuer sind eigen: Schwerbezwinglichkeit,
Licht, Hitze, Kochung, Helle, Glut, leichte Erregbarkeit, Hef-
tigkeit und bestandiges Nach-oben-flammen.
6. (9136.) Dem Winde kommen zu: unbestimmtes Gefiihl
[nicht warm.noch kalt Nil.], Tragen der Rede, Freiheit, Starke,
Geschwindigkeit, Bewirken der Entleerung, Fahigkeit zu be-
wegen und Sich-erheben.
7. (9137.) Die Qualitat des Athers ist der Ton, Alldurch-
dringung, Widerstandslosigkeit, ohne Trager und Stiitze zu
sein, Unwahrnehmbarkeit, Unwandelbarkeit,
8. (9138.) sowie Durchlassigkeit. Die Elemente selbst
und ihre Umwandlungen werden als fiinfzig Qualitaten ge-
Adhyaj a 255 (B. 255). 403
rechnet w elche sich aus dem Wesen der fiinf Elemente ent-
wickeln.
9. (9139.) Festigkeit und Uberlegen, Verdeutlichung, Aus-
breitung, Vorstellung und Nachgiebigkeit , Giite und Nicht-
Giite, sowie Schnelligkeit , das sind die neun Qualitaten des
Manas.
10. (9140.) Vergessenmachen des Erwiinschten und Un-
erwiinschten, Entscheidung, Vertiefung, Zweifel und Zustim-
mung, diese gelten als die fiinf Qualitaten der Buddhi.
Yudhishthira sprach :
11. (9141.) Wie kann die Buddhi fiinf Qualitaten und wie
konnen diese Qualitaten die fiinf Sinne zu ihrer Verfiigung
haben ? Diese ganze subtile Wissenschaft erklare mir, o Grofs-
vater !
Bhishma sprach :
12. (9142.) Man lehrt, dafs es sechzig Qualitaten der
Buddhi gibt, welche von den Elementen verschiedene und
immer von ihnen getrennte Entfaltungen der Elemente
sind; von dem Unverganglichen (aksharaj sind sie er-
schaffen worden; das iibrige, o Sohn, hienieden nennt
man das Nichtbestandige.
13. (9143.) Das alles ist mit Sorgen erfiillt. Ich habe
es dir jetzt mitgeteilt, obwohl es nicht auf heiliger Uber-
lieferung beruht fandgatamj. Nachdem du aber die ganze
Bedeutung der Elemente erfahren hast, mogest du von
der Herrschaft der Elemente her zur Beruhigung deiner
Buddhi gelangen.
So lautet iin Mokshadhariua die Frage des (j^'uka
(Quha • anupra<pia).
26^
404 III. Mokshadharma.
Adhyaya '^57* (B. 256).
Vers 9144-9164 (B. 1-21).
Yudhishthira sprach :
1. (9144.) Siehe diese Erdeherren, welche auf dem Bodeii
daliegen, die Grofsmachtigen , welche im Kampfgewiihl das
Bewufstsein verloren haben.
2. (9145.) Obgleich sie Mann fiir Mann von furchtbarer
Kraft und auch noch durch die Kraft ihrer Elefanten ver-
starkt waren, sind sie doch im Kampfe niedergemacht worden
von Mannern, welche ebenso grofse Energie und Starke hatten.
3. (9146.) Ich sehe ihn nicht, der ihr eigentlicher Toter
im Kampfe war. Mit Tapferkeit waren sie begabt, mit Energie
und Starke ausgeriistet,
4. (9147.) und nun liegen die sehr weisen Helden leblos
da und auf sie, wie sie leblos daliegen, findet der Ausdruck
Anwendung, dafs sie tot seien.
5. (9148.) Denn tot sind sie, diese Fiirsten, die doch sonst
eine furchtbare Tapferkeit besafsen, und mich erfafst dabei
ein Zweifel, woher die Bezeichnung komme, dafs sie tot seien.
6. (9149.) Was am Menschen unterliegt dem Tode, woher
kommt der Tod und wie kommt es, dafs der Tod hienieden
die Menschen wegrafft, o du Gottahnlicher ? Erklare mir
das, o Grofsvater!
Bhishma sprach :
7. <9i50.) Einstmals im Weltalter Kritam, o Freund, gab
es einen Konig mit Namen Akampana (C. Anukampaka), der
geriet in die Gewalt seiner Feinde, nachdem im Kampfe sein
Wagen zerstort worden war.
8. (9151.) Dieser hatte einen Sohn mit Namen Hari, der
dem Narayana (Vishnu) auch an Kraft ahnlich war; dieser
wurde mitsamt seinem Heere und seinem Gefolge im Kampfe
von den Feinden getotet.
9. (9152.) Da geschah es, dafs jener von den Feinden ge-
* Durch eineu Fehler iu der Zahlung ist 256 in C ubersprungen
(vgl. oben, S. 318).
Adhyaya 257 (B. 256). 405
fangene und vom Kummer iiber seinen Sohn erfiillte Konig,
nach Beruhigung verlangend, zufallig den Narada vor sich
auf dem Boden stehen sah.
10. (9153.) Ihm erzahlte der Konig alles, wie es sich be-
geben hatte, wie er im Kampfe von den Feinden gefangen
genommen und wie sein Sohn getotet worden war.
11. (!>i54.) Als der askesereiche Narada seine Rede an-
gehort hatte, da erzahlte er ihm, um den Kummer iiber den
Sohn zu verscheuchen, folgende Geschichte.
Narada sprach:
12. (9155.) 0 Konig, vernimm nun folgende ausfiihrhche
Geschichte, wie sie sich begeben hat und von mir gehort
worden ist, o Herr der Erde.
13. (9156.) Als der machtige Urvater bei der Schopfung
der Kreaturen die Geschopfe geschaffen hatte, da wollte er
es nicht dulden, dafs die Geschopfe iibermafsig wuchsen und
sich mehrten.
14. (9157.) Denn durch die Geschopfe wurde nirgendwo
ein freier Zwischenraum gelassen, o UnerschiitterHcher, und
alle drei Wei ten waren so vollgepfropft , o Konig, dafs man
beinahe nicht atmen konnte.
15. (9158.) Da richtete sich seine Absicht darauf, sie
wieder zu vernichten, o Konig, und indem er dariiber nach-
dachte, fand er kein geeignetes Mittel , diese Vernichtung zu
bewirken.
16. (9159.) Da brach infolge seines Zornes aus seinen
Korperoffnungen Feuer hervor, o Grofskonig; damit ver-
brannte der Urvater alle Weltgegenden.
17. (9160.) Da wurde der Himmel, die Erde, der Zwischen-
raum, sowie die Welt der Lebenden mitsamt Beweglichem
und Unbeweglichem von dem Feuer verbrannt, welches aus
dem Zorn des Heiligen entsprungen war.
18. (9161.) Da wurden alle Wesen, die gehenden und
stehenden, verbrannt durch den grofsen Ansturm des Zornes,
welchen der Urvater hegte.
19. (916-2.) Da geschah es, dafs [der bei seinen asketischen
Ubungen] baumstammahnliche, die Opferlocke tragende Herr
406 ni. Mokshadharma.
der Vedaopfer, Gott Qiva, den Gott Brahman um Hilfe an-
ging, er, der Toter der feindlichen Helden.
20. (9163.) Als dieser Baumstammahnliche aus Wohlwollen
fur die Kreaturen sich genaht hatte, da sprach der hochste
Gott gleichsam lodernd zu ^iva:
21. (9164.) Welche Gunst soil ich dir heute erweisen?
Du bist von mir einer Gnadengabe fur wiirdig erachtet, denn
ich will den Wunsch erfiillen, welchen du, o Heilbringer, im
Herzen hegst.
So lautet im Mokshadharma die TJnterredung zwischen Mrityu und Prajapati
(Mfitiju - Prajapati - sanwdda).
Adhyaya 358 (B. 257).
Vers 9165-9186 (B. 1-22).
Der Baumstammahnliche sprach :
1 (^9165.) Um die Schopfung der Geschopfe handelt es
sich bei meinem Anliegen, das wisse, o Herr; sie sind doch
von dir geschaffen worden, so ziirne ihnen denn auch nicht,
o Urvater.
2. (9166.) Durch das Feuer deiner Energie, o Gott, werden
die Geschopfe alien thalben verbrannt; ihr Anblick erweckte
mein Mitleid, so ziirne denn auch du ihnen nicht, o Herr
der Welt.
^ Prajapati (der Herr der Welt) sprach:
3. (9167.) Ich ziirne nicht und mein Verlangen ist nicht
darauf gerichtet, dafs die Geschopfe nicht bestehen soUen,
aber um die Last der Erde zu erleichtern, ist ihre Vernichtung
erwiinscht.
4. (9168.) Denn diese Erdgottin hat mich, da sie durch
ihre Last gequalt wurde, dazu angetrieben, die Geschopfe zu
vernichten, o Mahadeva, denn schon beginnt sie, wegen ihrer
Last im Wasser zu versinken.
5. (9169.) Als ich mit meinem Verstande trotz vielfachen
Uberlegens nicht herausbringen konnte, wie sie, nachdem
Adhyaya 258 (B. 257). 407
sie so gewachsen sind, vernichtet werden konnen, da iiber-
kam mich der Zorn.
Der Baumstammahnliche sprach:
6. (9170.) Wegen ihrer Vernichtung beruhige dich und
ziirne nicht, o Herr der Gotter, damit [dein Ziirnen] nicht
die Geschopfe und mit ihnen alles Bewegliche und Unbeweg-
liche vernichte fmd vyaninagatlj,
7. (9171.) nebst alien Gewassern und alien Grasern und
Strauchern, dem Beweglichen und dem Unbeweglichen und
der vierfachen Schar der Wesen.
8. (9172.) Darum, bevor alles dies zu Asche geworden
und die ganze Welt der Lebenden zugrunde gegangen ist,
sei gnadig, du Heiliger, du Guter, das ist die Gunst, die ich
mir erbitte.
9. (9173.) Werden erst diese Geschopfe vernichtet worden
sein, so konnen sie in keiner Weise wieder hervorkommen,
darum moge dieses ungeschehen bleiben vermoge der dir
eigenen Machtvollkommenheit.
10. (9174.) Ersinne ein anderes Mittel aus Wohlwollen
gegen die Wesen, so dafs alle diese Geschopfe nicht zu ver-
brennen brauchen, o Urvater,
11. (9175.) damit die Geschopfe nicht zugleich mit Aus-
rottung ihrer Nachkommenschaft der Vernichtung anheim-
fallen. Ich bin ja von dir, o Herr der Gotter, mit der gott-
lichen Fiirsorge betraut worden.
12. (9176.) Aus dir ist ja, o Weltenherr, alles dieses Be-
wegliche und Unbewegliche entsprungen; indem ich dich
besanftige, o grofser Gott, erbitte ich von dir, dafs die Ge-
schopfe wiederkehren konnen.
Narada sprach :
13. (9177.) Als der Gott dieses Wort des Baumstamm-
gleichen gehort hatte, ziigelte er Rede und Gedanken und
zog jene Glut wieder in sein inneres Selbst zuriick.
14. (9178.) Nachdem nun der von den Welten verehrte
Heilige das Feuer in sich zuriickgezogen hatte, ordnete er,
der Herr, das Entstehen und Vergehen der Wesen.
408 iii- Mokshadharma.
15. (9179.) Indem er nun jenes durch seinen Zorn ent-
standene Feuer in sich zuriickzog, kam aus alien Korper-
offnungen des Hochsinnigen ein Weib hervor,
16. (9180.) bekleidet mit schwarz und rotem Gewande,
mit schwarzen Augen und schwarzen inneren Handflachen,
mit gottlichen Ohrringen ausgestattet und mit himmlischem
Schmuck geziert.
17. (9181.) Nachdem diese aus seinen Korperoffnungen
hervorgegangen war, wandte sie sich der siidlichen Himmels-
gegend zu, und beide gottlichen Beherrscher des Weltalls
schauten das Madchen.
18. (9182.) Da rief sie der gottliche Schopfer und Herr
der Welt heran, o Fiirst, und sprach zu ihr : 0 Mrityu (Tod),
tote diese Geschopfe!
19. (9183.) Denn du bist durch mein Denken an die Ver-
nichtung und durch mein Ziirnen erdacht worden, darum ver-
nichte du alle Geschopfe, die unbeseelten und die beseelten.
20. (9184.) Alle Geschopfe ohne Unterschied raffe bin, du
Holde, denn durch Erfiillung dieses meines Auftrags wirst
du das hochste Gliick erlangen.
21. (9185.) So angesprochen, sann die lotosbekranzte Gottin
Mrityu dem nach, die Jungfrau, von Schmerz erfiillt und unter
einem Strom von Tranen.
22. (9186.) Ihre Tranen hemmte sie mit beiden Handen,
o Volkerfiirst, und sprach aus Wohlwollen fiir die Menschen
weiterhin eine Bitte aus.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Mrityu und I'rajapati
(Mrityu - Prajdpati- samvdda).
Adhyaya 259 (B. 358).
Vers 9187-9228 (B. 1-42).
N§,rada sprach:
1. (9187.) Indem die langaugige Jungfrau ihren Schmerz
durch sich selbst ziigelte, sprach sie mit zusammengelegten
Handen und vorgeneigtem Korper zu jenem:
Adhyaya 259 (B. 258). 409
2. (9188.) Wie kann ein von dir, o Bester der Redenden,
geschaffenes Weib wie ich zu einem so grausamen Werke
geboren worden sein, durch welches sie allem Lebenden Furcht
einflofst?
3. (9189.) Ich fiirchte mich vor dem Unrecht, weise mir
ein gerechtes Werk an. Nimm Riicksicht auf mein Fiirchten,
siehe mich mit gnadigem Bhcke an.
4. (9190.) Ich will nicht Kinder, Greise und in der Voll-
kraft Stehende, will nicht unschuldige Lebende hinwegraffen,
o Herr der Lebenden, Verehrung sei dir, sei mir gnadig!
5. (9191.) Nicht wegraffen will ich liebe Sohne, bliihende
Briider, Mutter und Vater. Sie werden mich verwiinschen,
wenn sie so gestorben sind, ich fiirchte mich vor ihnen,
6. (9192.) Ihre Benetzung durch Tranen des Jammers wird
mich ewige Jahre durch brennen; ich fiirchte mich gewaltig
vor ihnen, zu dir nehme ich meine Zuflucht.
7. (9193.) Nur Ubeltater, o Gott, werden hinabgestiirzt in
die Behausung des Yama. Ich bitte dich um Gnade, o Gaben-
verleiher, erweise mir deine Gunst, o Herr.
8. (9194.) Das ist der Wunsch, den ich von dir erbitte,
o Urvater der Welt, ich will gern, um dich zu begiitigen,
Askese iiben, o grofser Gott.
♦ Der Urvater sprach:
9. (9195.) 0 Mrityu, du bist von mir geschaffen worden,
um die Geschopfe wegzuraffen. Gehe hin und raffe alle Ge-
schopfe weg, besinne dich nicht.
10. (9l96.) Es mufs notwendig so geschehen und kann
nicht anders sein; fiihre mein Wort aus, o Schongliedrige,
wie ich es gesprochen habe, o Untadelige.
11. (9197.) Nachdem, o Grofsarmiger , die Mrityu diese
Antwort vernommen hatte, o Eroberer feindlicher Burgen,
gab sie keine Antwort, sondern stand gebeugt und zu dem
Heiligen emporblickend da.
12. (9198.) Wieder und wieder wurde die Glanzvolle auf-
gefordert, einer Geistesabwesenden gleichend. Da schwieg
der Gott, welcher Herr ist iiber die Gotterherren.
13. (9199.) Und er, der Gott Brahman, besanftigte sich
410 in. Mokshadharma.
durch sich selbst und lachelnd blickte er, der Herr der Welten,
auf alle Welten herab.
14. (9200.) Als der Zorn des Heiligen, Uniiberwindlichen
verraucht war, da ging die Jungfrau weg von ihm, so ist es
uns iiberliefert.
15. (9201.) Und weggehend, ohne der Vernichtung der
Geschopfe zugestimmt zu haben, gelangte eilig, o Fiirst der
Konige, die Mrityu nach Dhenukam [einem heiligen Bade-
platz Nil.].
16. (9202.) Dort iibte die Gottin gewaltige, schwer zu voll-
bringende Askese, denn sie stand fiinfzehntausend Millionen
Jahre auf einem Fufse.
17. (9203.) Zu ihr, welche dort in dieser Weise gewaltige,
schwer zu vollbringende Askese iibte, sprach wiederum der
grofsmachtige Gott Brahman das folgende Wort:
18. (9204.) Fiihre meinen Befehl aus, o Mrityu! — Sie
aber beachtete das Wort nicht und stand flugs noch einmal
weitere sieben
19. (9205.) und sechs und fiinf und zwei Tausende von
Millionen Jahren auf einem Fufse, o Ehrenspender, und lebte
dann noch weitere zehntausend mal tausend Millionen mit
den Tieren des Waldes zusammen, o Freund.
20. (9206.) Und nachdem sie sodann, o Bester der Manner,
noch zwei Myriaden Jahre nur vom Wind sich genahrt hatte,
o Hochweiser, so beobachtete sie dann weiter das tiefste
Schweigen,
21. (9207.) wahrend sie siebentausend und tausend Jahre
im Wasser stand, o Erdeherr. Dann ging die Jungfrau zum
Flusse Kaugiki, o Bester der Fiirsten.
22. (9208.) Dort lebte sie, von Wind und Wasser sich
nahrend, noch weiter in Selbstbezahmung. Darauf ging die
Vortreffliche nur noch zur Gaiiga und zum Berga Meru.
23. (9209.) Dann stand sie aus Wohlwollen fiir die Ge-
schopfe unbeweglich wie ein Stiick Holz auf dem Gipfel des
Himalaya, wo die Gotter gemeinschaftlich geopfert haben,
24. (9210.) auf einer Fufszehe, o Fiirst der Konige, noch-
mals wieder hunderttausend Millionen Jahre. So stand sie
da und erfreute durch ihre Bemiihung den Urvater.
Adhyaya 259 (B. 258). 411
25. (9-211.) Da sprach zu ihr er, der Ursprung und Ver-
gang der Welt ist: Was soil das heifsen, o Tochter, erfiille
doch den Befehl, den ich dir gegeben habe.
26. (9212.) Da sprach die Mrityu zu dem heiligen Urvater :
Ich mag die Geschopfe nicht wegraffen, ich bitte dich noch-
mals um Gnade.
27. (9213.) Zu ihr, welche sich fiirchtete, Unrecht zu tun,
und ihn nochmals anflehte, sprach wiederum der Gott der
Gotter, ihr Einhalt gebietend, dieses Wort:
28. (9214.) Du begehst damit kein Unrecht, o Mrityu,
bringe diese Kreaturen in deine Gewalt, o Schone, denn was
ich einmal gesagt habe, o Holde, das darf nimmermehr un-
wahr werden.
29. (9215.) Als ewige Verpflichtung wird es dir hier auf-
erlegt ; ich und die Gotter werden uns immer an deinem Wohl-
sein erfreuen.
30. (9216.) Ich erfiille diesen und jeden andern Wunsch,
den du im Herzen hegst; die Geschopfe sollen nicht durch
deine Schuld, sondern von Krankheit befallen zu dir kommen.
31. (9217.) Fiir die Manner sollst du ihrer Natur ent-
sprechend ein Mann sein, bei Frauen sollst du die Gestalt
einer Frau annehmen und bei den iibrigen wirst du sach-
lichen Geschlechts sein.
32. (9218.) Nachdem sie so angeredet war, o grofser Konig,
da sprach sie mit zusammengelegten Handen abermals zu dem
hochherzigen, ewigen Herrn der Gotter: Es kann nicht sein.
33. (9219.) Da sprach der Gott zu ihr: 0 Mrityu, raffe
die Menschen weg. Es soil dir nicht als Unrecht angerechnet
werden, so werde ich es auffassen, o Schone.
34. (9220.) Die Tranentropfen, die ich dir ehedem her-
vorbrechen sah und die du mit deinen Handen zuriick-
hieltest, die sollen als furchtbare Krankheiten den Men-
schen, wenn ihr Ende herannaht, ein Ende bereiten.
35. (9221.) Bei alien lebenden Wesen, wenn es mit
ihnen zu Ende geht, sollst du Begierde und Zorn im
Verein gegen sie entfesseln. So wirst du unermefslicher
Gerechtigkeit teilhaftig sein und bei solchem Verfahren
kein Unrecht veriiben.
412 in. Mokshadharma.
36. (9222.) In dieser Weise wirst du die Gerechtigkeit
wahren und wirst dich nicht in Ungerechtigkeit stiirzen.
Darum heifse die Begierde willkommen, wenn sie sich
dir naht, verbinde dich mit ihr und raffe die Ge-
schopfe weg.
37. (9223.) Da sprach die Mrityu Genannte, welche sich
vor dem Befehl wegen des darauf lastenden Fluches ge-
fiirchtet hatte, zu ihm : Nun wohl, es sei ! — Daher kommt
es, dafs sie das Leben der Lebendigen, nachdem sie die-
selben mittels Begierde und Zorn verblendet hat, ver-
nichtet.
38. (9224.) Tranenstrome der Mrityu sind sie, diese
Krankheiten, durch welche der Leib der Sterblichen ge-
brochen wird; darum sollst du beim Lebensende aller
Lebenden keinem Kummer Raum geben, mit Uberlegung
es iiberlegend.
39. (9225.) AUe Seelen der lebenden Wesen gehen weg
am Ende des Lebens, kehren wieder und verschwinden
aufs neue [Nil. denkt an Schlaf und Wachen, wohl mit
Unrecht]; so miissen auch alle Menschen so gut wie
die Gotter [als Schutzgottheiten der Organe] am Ende
des Lebens weggehen und wiederkehren , o Lowe unter
den Konigen.
40. (9226.) Furchtbar mit furchtbarem Sausen und ge-
waltiger Kraft fahrt Vkju [der Windgott] dahin, und
er, als der Lebenshauch in alien lebenden Wesen, fiihrt
sie bei der Trennung der Seelen von ihrem Leibe auf
verschiedenen Wegen, darum gilt Vayu als Gott iiber
den Gottern [den Schutzgottheiten der Organe].
4L (9227.) Alle Gotter tragen das Merkmal der Sterb-
lichkeit an sich, alle Sterblichen tragen das Merkmal
der Gottlichkeit an sich, darum, o Lowe unter den Konigen,
beklage deinen Sohn nicht, dein Sohn ist zum Himmel
gelangt und freut sich dort.
42. (9228.) So ist es denn wahr, dafs die Mrityu, von
den Gottern geschaffen, wenn die Zeit der Lebenden ge-
kommen ist, sie dahinrafft, wie es sich gebiihrt; die
Adhyaya 259 (B. 258). 413
Krankheiten, jene von ihr vergossenen Tranen, raffeu
die Wesen hienieden dahin, vrenn ihre Zeit gekommen ist.
So lautet im Mokshadbarma die Unterredung z-wiscben Mrityu und Fraj&pati
(itrityu -Prajdpati- samvdda).
Adhyaya '^60 (B. *^59).
Vers 9229-9256 (B. 1-27).
Yudhishthira sprach :
1. (9229.) Alle die Menschen sind in betreff der Pflicht
in Ungewifsheit ; was ist die Pflicht, woher stammt die Pflicht ?
Das, o Grofsvater, sage mir.
2. (9'230.) Ist die Pflicht nur fiir das Diesseits Zweck oder
auch fiir das Jenseits, oder ist sie Zweck fiir beide? Das,
o Grofsvater, sage mir.
Bhishma sprach:
3. (9231.) Gute Sitte, RechtsiiberHeferung und Vedaglaube
ist das dreifache Kennzeichen der Pflicht; als viertes Kenn-
zeichen der Pflicht gilt bei den Weisen der gewollte Zweck.
4. (9232.) Auch haben sie die von ihnen verkiindigten
Pflichten eingeteilt in hohere und niedere. Damit die Welt
hienieden ihren richtigen Gang gehe, ist die Auferlegung der
Pflicht erfolgt.
5. (9233.) Aber das Resultat der Pflicht ist beide Male
Gliick, sowohl hienieden als auch im Jenseits, wahrend der-
jenige, welcher die genaue und richtige Pflicht sich nicht
zu eigen macht, als Ubeltater mit Ubel behaftet sein wird.
6. (9234.) Und auch wenn sie ins Ungliick geraten, werden
die Ubeltater dadurch nicht von ihrem Ubel frei. Wer aber
nichts Ubles redet, der steht dem gleich, welcher die Pflicht
erfiillt. (9235.) Der tragende Grund der Pflicht ist ein guter
Wandel, dessen dich befleifsigend wirst du erkennen, was
Pflicht ist.
7. Von Ungerechtigkeit erfiillt, bemachtigt sich der Rauber
des Gutes ; (9236.) und indem der Dieb fremdes Gut raubt, freut
er sich einer bestehenden Anarchic.
414 in. Mokshadliarma.
8. Wenn aber andere ihn berauben wollen, dann ver-
langt er nach einem Konige (!»237.) und beneidet diejenigen,
welche sich ruhig ihres Besitzes erfreuen.
9. Wer hingegen rein ist, der naht sich [jederzeit] ohne
Furcht und Bedenken der Pforte des Konigs, (9238.) denn er
ist sich in seinem Herzen keiner Ubeltat bewufst.
10. Die Rede der Wahrheit ist gut, es gibt nichts Hoheres
als die Wahrheit. (9239.) Durch die Wahrheit wird alles aus-
einandergehalten, auf die Wahrheit ist alles gegriindet.
11. Auch schreckhche Bosewichter halten unter beson-
deren Umstanden zur Wahrheit (9240.) und, auf sie sich stiitzend,
bewahren sie [unter sich] Treue und Eintracht.
12. Wiirden sie in ihre Vereinigung Zwiespalt tragen,
so miifsten sie ohne Zweifel zugrunde gehen. (9241.) Aber
es ist ein ewiges Gesetz, dafs man fremdes Gut nicht
rauben darf.
13. Die Starken freilich halten es fiir ein Gesetz, welches
von den Schwachen aufgestellt sei. (9242.) Wenn aber auch
sie durch das Verhangnis in Schwache geraten, dann leuchtet
auch ihnen das Gesetz ein.
14. Denn sie bleiben nicht ewig stark und gliicklich,
(9243.) darum sollst du deinen Sinn niemals auf Ungeradheit
richten.
15. Ein solcher braucht sich nicht vor dem Bosen zu
fiirchten, nicht vor Dieben und nicht vor dem Konig;
(9244.) keinem irgend etwas tuend, wird er ohne Furcht und
rein leben.
16. Der Dieb fiirchtet sich nach alien Seiten hin, wie
eine Gazelle, die in ein Dorf geraten ist, (9245.) das vielfach
von ihm veriibte Bose erwartet er auch von den anderen.
17. Der Reine hingegen geht frohlich dahin, allezeit ohne
Furcht irgendwoher, (9246.) denn er hat nichts Boses getan,
dessen er sich auch bei anderen zu versehen hatte.
18. Man soil freigebig sein, diese Forderung ist auf-
gestellt worden von solchen, die sich am Wohlsein der Ge-
schopfe freuten, (0247.) aber die Reichen glauben, dafs dieses
Gesetz von den Bediirftigen aufgebracht worden sei.
Adhyaya 260 (B. 259). 415
19. Wenn aber audi sie durch das Verhangnis in Diirftig-
keit geraten, dann leuchtet auch ihnen das Gesetz ein,
(9248.) denn sie bleiben nicht ewig reich und gliicklich.
20. Was ein Mensch sich nicht von anderen angetan
wiinscht, (9249.) das fiige er auch nicht anderen zu, da er an
sich selbst ferfaliren hat, was unangenehm ist.
21. Wer mit eines andern Weib buhlt, wie kann der
irgend jemandem Vorwiirfe machen, (9250.) aber ich denke,
was er dem andern an tut, das wiirde er sich nicht von ihm
gefallen lassen,
22. ^Ver selbst das Leben liebt, wie mag der einen an-
dern ermorden ! (9251.) Was er fiir sich selbst wiinscht, dafiir
sorge er auch bei den anderen.
23. An der iibermafsigen Fiille soil man andere, die nichts
besitzen, teilnehmen lassen; (9252.) wer aus diesen Griinden
sein Geld anlegt, dem kommt es mit Wucher heim.
24. Zu der Zeit, wo er des Beistandes der Gotter noch
bedarf, moge er sich so verhalten, (9253.) aber auch zur Zeit,
wo er erlangt hat, was er wiinscht, steht es ihm wohl an,
in der Pflicht zu verharren.
25. Alle Pflicht wird erfiillt durch Wohltun, so lehren
die Weisen, (9254.) beach te, 0 Yudhishthira , dieses als den
Nachweis des Merkmals fiir Gutes und Boses.
26. Das Bestehen der Welt zu befordern, ist vordem vom
Schopfer verordnet worden (9255.) der vollkommene, durch
feine Gesetze und Zwecke geregelte Wandel der Guten.
27. Dieses ist dir als Kennzeichen der Pflicht erklart
worden, o Bester der Kuru's, (9256.) darum sollst du deinen
Sinn niemals auf Uno-eradheit richten.
So laiitet im Mokshadharma das Kennzeichen der I'flicht
(dharrna - lakshanam).
416 HI. Mokshadharma.
Adhyaya 261 (B. 260).
Vers 9257-9276 (B. 1-20).
Yudhishthira si)rach :
1. (9257.) Subtil und von guten Menschen erwiesen ist
die im heiligen Schriftwort gelehrte Pflicht. Es fallt mir aber
dabei etwas ein, was auf Argumentation beruht, das mochte
ich aussprechen.
2. (9258.) Die meisten Fragen, die ich auf dem Herzen
hatte, die hast du mir gelost; ich mufs aber hier noch etwas
wei teres vorbringen, nicht aus blofser Lust am Disputieren,
o Konig.
3. (9259.) Diese [Elemente] erhalten unser Leben und
schaffen es und lassen es entfliehen; was recht ist, das lafst
sich nicht so summarisch ausmachen.
4. (9260.) Anders ist die Pflicht fiir den, dem es gut geht,
und anders fiir den, dem es schlecht geht; wie kann man
alle schhmmen Eventuahtaten so summarisch voraussehen.
5. (9261.) Der Wandel der Guten gilt als Gesetz, wer aber
gut ist, dariiber entscheidet wieder der Wandel; wie kann
man also wissen, was zu tun und zu lassen ist, da der Wandel
der Guten kein sicheres Merkmal bietet?
6. (9262.) Aus dem, was recht ist, wird erkannt, dafs der
schlechte Mensch Unrecht tut, und aus dem, was Unrecht
ist, wild erkannt, dafs der edle Mensch recht tut.
7. (9263.) Ferner: die Autoritat des Gesetzes beruht auf
dem, was die Kenner des Veda aus ihm vorbringen, aber die
Worte des Veda schwinden im Verlaufe der Weltalter, wie
die Schrift selbst uns lehrt.
8. (9264.) Anders sind die Satzungen im Weltalter Kritam
und anders in dem der Treta und des Dvapara, und wieder
anders sind die Satzungen im Weltalter Kali, indem sie nur
nach der jeweiligen Leistungskraft erfiillt werden konnen.
9. (926B.) Das Wort der heiligen Uberlieferung ist die
Wahrheit, das ist die allgemeine Ansicht; und aus der hei-
ligen Uberlieferung hervorgehend, haben sich die Veden nach
alien Seiten verbreitet.
Adhyaya 261 (B. 260). 417
10. (9266.) Waren sie nun die einzige Autoritat fiir alles,
so ware eine unbedingte Autoritat auf der Welt vorhanden.
Aber wenn diese Autoritat nun in Widerspruch steht mit
dem, was nicht unbedingte Autoritat ist [z. B. der Smriti],
wo bleibt dann ihr kanonisches Ansehen?
11. (9267.) Wenn irgendeine rituelle Pflicht ausgefiihrt
wird und dabei machtige Ubelwollende irgend etwas an dem
Schema modifizieren, so ist damit auch das Ganze nichtig
geworden.
12. (9268.) Wir wissen eine Sache oder wir wissen sie
nicht, es ist moglich sie zu wissen oder es ist nicht mog-
lich, mag sie feiner als die Schneide eines Schermessers
oder mag sie massiger als ein Gebirge sein.
13. (9269.) Aber sie [die Pflicht] hat zuerst das Aussehen
einer Fata Morgana, und wenn sie von den Weisen naher
gepriift wird, so verschwindet sie wieder ins Nichts.
14. (9270.) Wie Trinkgruben fiir die Kiihe oder ein auf
das Feld geleitetes Bachlein [mit C. kuli/eva], o Bharata
[schnell austrocknen] , so schwindet, wie die Uberlieferung
lehrt, das ewige Gesetz hin und wird nicht mehr gesehen.
15. (9271.) Auch kommt es vor, dafs aus Begierde oder
Verlangen nach Veranderung oder aus anderen Ursachen
viele andere Menschen, obwohl sie nicht rechtschaffen sind,
sich ihres lockern Lebenswandels [ungestraft] freuen.
16. (9272.) Oder ihnen gilt die Pflicht als ein billiges Ge-
rede bei den Guten oder sie erklaren dieselben fiir verriickt
oder lachen sie auch aus.
17. (9273.) Und auch hochsinnige Menschen wenden sich
von der Pflicht ab und erkennen nur noch das Staatsgesetz
an; es gibt eben keinen Lebenswandel, der fiir alle verbind-
lich ware.
18. (9274.) Durch seinen Lebenswandel kommt der eine
in die Hohe und bringt dadurch einen andern herunter, und
dieser, je nachdem es sich trifft, zeigt sich wiederum ahnlich
[als Unterdriicker anderer].
19. (9275.) Derselbe Wandel, durch den der eine in die Hohe
kommt, bringt dadurch andere herunter; man sieht daran, dafs
nicht alle Lebensfiihrungen auf dasselbe Ziel hinstreben.
Deubsen, Mah&bh&ratam. 27
418 ni. Moksliadharma.
20. (9276.) Vor Zeiten wurde ein von langher liberkommener
Wandel fiir die Pflicht erklart, und nun ist sie durch jenen
friihern Wandel zu einer ewigen Norm geworden.
So lautet im Mokshadharma der Angriff auf die Autoritat der Pflicht
(dharma - prdmdnya - dkshepa).
Adhyaya 26'^ (B. 361).
Vers 9277-9328 (B. 1-51).
Bhishma sprach:
1. (9277.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich die Unterredung des Tuladhara mit dem
Jajali liber die Pflicht.
2. (9278.) Ein gewisser Brahmane mit Namen Jajali, der
im Walde als Waldbewohner lebte, wandte sich zum Meere
hin und iibte als grofser Asket daselbst Askese,
3. (9279.) indem er als ein weiser Einsiedler lange Keihen
von Jahren hindurch sich kasteite, seine Nahrung einschrankte,
Lumpengewand, Antilopenfell und Haarschopf trug und sich
mit Schmutz und Schlamm bestrich.
4. (9280.) Einstmals geschah es, dafs dieser gewaltige
Brahmanenweise, wahrend er [mit seinem Leibe] im Wasser
weilte, o Fiirst, schnell wie der Gedanke [durch Yogakraft]
die Welten schauend durcheilte.
5. (9281.) Da bedachte dieser Muni, wahrend er im Wasser
weilte und auf die meerumgiirtete Erde mit ihren Waldern
und Hainen hinblickte:
6. (9282.) Es gibt doch in dieser ganzen Welt des Be-
weglichen und Unbeweglichen keinen, der mir gleichkame,
der zugleich mit mir im Wasser weilend den Luftraum durch-
messen konnte.
7. (9283.) Wahrend er im Wasser und von den Rakshas
ungesehen so redete, sprachen die Pigaca's zu ihm: Es ge-
ziemt dir nicht also zu reden.
8. (9284.) Selbst der hochberiihmte Tuladhara, seines
Zeichens ein Kaufmann, der in Benares wohnt, selbst dieser
darf nicht so sprechen wie du, o Bester der Zwiegeborenen.
Adhyaya 262 (B. 2B1). 419
9. (9285.) So von den Kobolden angeredet, erwiderte der
askesereiche Jajali: Diesen weisen und beriihmten Tuladhara
mochte ich sehen.
10. (9286.) Als der Rishi so gesprochen hatte, holten ihn
die Rakshas aus dem Meere und sprachen: Diesen Weg
schlage ein und gehe ihn, o Bester der Brahmanen.
11. (9287.) Nachdem Jajali von den Kobolden so angeredet
worden war, ging er bestiirzten Geistes nach Benares zum
Tuladhara, und ihm nahend, sprach er folgendermafsen.
Yudhishthira sprach:
12. (9288.) Was hatte doch der Jajali vorher fiir ein
schwieriges Werk voUbracht, o Freund, wodurch er jene
hochste VoUkommenheit erlangte, das mogest du mir er-
klaren.
Bhishma sprach:
13. (9289.) Er hatte sich gar sehr mit furchtbarer Askese
beschaftigt. Abends und morgens hatte der gewaltige Asket
seine Freude am Baden und Mundausspiilen.
14. (9290.) Er pflegte piinktlich seine Feuer und schatzte
als Zwiegeborener das Studium iiber alles, und indem er so
die Regel der Waldeinsiedler beobachtete, strahlte er von
Schonheit.
15. (9291.) Im Walde beharrte er bei der Askese und
achtete keine Satzung gering; in der Regenzeit lag er im
Freien, im Winter steckte er im Wasser.
16. (9292.) Im Sommer ertrug er Wind und Sonnenglut
und fand immer noch nicht die wahre Pflichterfiillung. Er
ertrug manche beschwerlichen Lagerungen und walzte sich
auf der Erde.
17. (9293.) Manchmal geschah es, dafs dieser Muni, wah-
rend der Regenzeit im Freien verweilend, fort und fort aus
der Luft das Wasser mit seinem Kopfe auffmg.
18. (9294.) Dabei wurden seine zusammengeflochtenen Haar-
biischel nafs, o Herr, und von dem fortwahrenden Herum-
streifen im Walde wurde er schmutzig, der so fleckenlosen
Wesens war.
27*
420 III. Mokshadharma.
19. (9295.) Manchmal stand er, der Askesereiche , ohne
Nahrung nur vom Winde zehrend, da wie ein Stiick Holz^
ohne sich umzusehen und ohne sich irgendwie zu bewegen.
20. (9296.) Wie er nun so einem Baustamm gleich un-
bewegHch dastand, o Bharata, bauten zwei Kuhngavogel auf
seinem Haupte ihr Nest.
21. (9297.) Der Brahmanweise duldete es aus Mitleid, dafs
das Eheparchen sein Nestchen aus Grashalmen und Faden in
seinem Haarschopf machte.
22. (9298.) Da der grofse Asket sich wie ein Baustamm
nicht riihrte, so fafsten die beiden Vogel gern Vertrauen und
wohnten begltickt auf ihm.
23. (9299.) Als nun die Regenzeit voriiber war und der
Herbst sich einstellte, geschah es, dafs nach den Satzungen
des Schopfers, von Liebe verfiihrt, vertrauensvoll
24. (9300.) das Vogelparchen Eier auf seinem Haupte legte,
o Konig. Sie bemerkte der machtige, sein Geliibde scharf
beobachtende Brahma ne.
25. (9301.) Und obwohl es der gewaltige Jajah bemerkte,
riihrte er sich doch nicht, denn er richtete seinen Geist be-
standig auf die Pflicht und fand kein Wohlgefallen an dem,
was der Pflicht zuwider war.
26. (9302.) Tag fiir Tag flogen die beiden Voglein auf
seinen Kopf zuriick und wohnten daselbst vertrauensvoll und
frohhch, o Herr.
27. (9303.) Weiter aber wurden aus den bebriiteten Eiern
kleine Vogelchen geboren und wuchsen daselbst heran, Jajah
aber riihrte sich nicht.
28. (9304.) Und der Geliibdetreue beschiitzte die Eier der
Kulihgavogel und stand dabei ebenso weiter unbeweghch,
der Pflichttreue, und in Meditation vertieft.
29. (9305.) Darauf, im Verlaufe der Zeit, wurden die Jungen
fliigge, und der Muni merkte, dafs die Kuhiigavoglein ihre
Federn bekommen batten.
30. (9306.) Und als der Geliibdefeste einstmals diese Vogel
ansah, da wurde er, der Weiseste der Weisen, von grofser
Freude erfiillt.
Adhyaya 262 (B. 261). 421
31. (9307.) Wahrend er sie so heranwachsen und die Freude
der Gedeihenden sah, w ohnten die beiden Vogel mitsamt ihren
Jungen furchtlos auf ihm.
32. (9308.) Er beobachtete die Vogel, wie sie, fliigge ge-
worden, ausflogen und allabendlich wieder zuriickkehrten, und
er riihrte sich nicht, der weise Jajali.
33. (9309.) Und auch nachdem sie von Vater und Mutter
verlassen worden waren, flogen sie manchmal herzu und flogen
immer wieder weg, Jajali aber riihrte sich nicht.
34. (9310.) In dieser Weise gingen die Vogel am Tage weg
und kehrten am Abend, o Fiirst, zuriick, um auf ihm zu iiber-
nachten.
35. (9311.) Manchmal flogen die Vogel fiir fiinfTage weg
und kamen erst am sechsten Tage wieder, Jajali aber riihrte
sich nicht.
36. (9312.) Nach und nach aber pflegten die Vogel alle,
nachdem ihre Lebenskraft erstarkt war, viele Tage lang nicht
heimzukehren.
37. (9313.) Einstmals aber flogen die Vogel davon und
kehrten einen ganzen Monat nicht zuriick, da machte sich
auch Jajali auf den Weg, o Konig.
38. (9314.) Als sie nun davongeflogen waren, da iiber-
kam den JajaH Bewunderung, und er bildete sich ein,
die Vollendung erreicht zu haben, da beschlich ihn der
Hochmut.
39. (9315.) Als nun der Geliibdestrenge erkannte, dafs die
Vogel ihn verlassen hatten, bewunderte er sich selbst, und in-
dem er sich bewunderte, wurde er von grofser Freude erfiillt.
40. (9316.) Nachdem er sich im Flusse gebadet und ge-
spiilt und das Feuer genahrt hatte, zollte der Askesereiche
der aufgehenden Sonne seine Verehrung.
41. (9317.) Als der Beste der Murmler so auf seinem Kopfe
die Spatzen gepflegt hatte, da brach er laut in den Ruf aus :
Wahrlich, die Pflicht ist von mir erfiillt!
42. (9318.) Da kam aus dem Luftraum eine Stimme und
Jajali horte sie sagen: 0 Jajali, du bist an Pflichterfiillung
doch noch nicht dem Tuladhara gleichgekommen.
43. (9319.) In Benares wohnt der hochweise Tuladhara,
422 in. Mokshadliarma.
und selbst der darf nicht so sprechen, wie du, o Brahmane,
redest.
44. (9320.) Da wurde er von Unmut iibermannt, und be-
gierig, den Tuladhara kennen zu lernen, wanderte er, der
Muni, in die Welt hinaus, indem er sein Haus da hatte, wo
ihn der Abend liberkam.
45. (9321.) Lange Zeit wanderte er bis zur Stadt Benares;
da sah er den Tuladhara, wie er seine Waren feilhielt.
46. (9322.) Als der vom Verkauf seiner Waren Lebende
den Brahmanen herankommen sah, erhob er sich voll Freude
und ehrte ihn durch den Willkommensgrufs.
TulMhara sprach:
47. (9323.) 0 Brahmane, schon wie du herbeikamst, habe
ich dich unzweifelhaft erkannt, aber vernimm, o Bester der
Zwiegeborenen, das Wort, welches ich dir zu sagen habe.
48. (9324.) Du bist zum Gestade des Ozeans gegangen und
hast gewaltige Askese geiibt, und doch weifst du noch lange
nicht, was Pflicht heifst.
49. (9325.) Weiter wurden, als du in der Askese dich ver-
vollkommnet hattest, o Brahmane, alsbald Vogel auf deinem
Kopfe geboren und von dir grofsgezogen.
50. (9326.) Und als diese fliigge geworden und sich iiberall
hin auf Wanderung begeben hatten, da wahntest du, o Brah-
mane, dafs die Pflichterfiillung im Grofsziehen von Spatzen
bestiinde.
51. (9327.) Da hortest du in der Luft eine Rede, die auf
mich hinwies, o Bester der Zwiegeborenen, und von Unmut
iibermannt, bist du sodann hierher gekommen. (9328.) Was
kann ich dir zuliebe tun? Das sage mir, o Bester der Zwie-
geborenen.
So lautet im Mokshadharma die Uuterredung zwischeu Tuladb&ra und J&jali
( 2'ulddhdra - Jdjali - samvdda) .
Adhyaya 263 (B. 262). 423
AdhyAya 263 (B. 262),
Vers 9339*- 9395 (B. 1-55).
Bhishma sprach:
1. (9339.) In dieser Weise von dem verstandigen Tuladhara
angeredet, sprach der verstandige Jajali, der Beste der
Murmler, das folgende Wort.
Jajali sprach:
2. (9340.) Obwohl als Kaufmannssohn von einem [ab-
stammend], der allerlei Essenzen und Wohlgeriiche , Baum-
holz und Krauter nebst ihren Wurzeln und Friichten verkauft,
3. (9341.) bist du zu einer festen Erkenntnis gelangt.
Woher ist dir das gekommen? Das alles berichte mir voU-
standig, o Hochsinniger.
Bhishma sprach:
4. (9342.) So angeredet von dem beriihmten Brahmanen,
erklarte Tuladhara, der, obgleich ein Vai<?ya, Zweck und Wesen
der Pflicht erkannt hatte, die Feinheiten der Pflichterfullung
(9343. fehit in B.) dem schwere Askese iibenden Jajah, er, o Kbnig,
der sich an der Erkenntnis gesattigt hatte.
Tuladhara sprach:
5. (9344.) Ich kenne, o Jajali, die ewige, geheimnisvoUe
Pflicht, die alien Wesen heilsame und wohlwollende, welche
als eine uralte unter den Menschen gilt.
6. (9345.) Das Verhalten, welches ohne Falsch oder mog-
lichst ohne Falsch gegen die Wesen ist, das ist die hochste
Pflicht, und ihr lebe ich nach, o Jajali.
7. (9346.) Aus abgeschnittenem Holz und Stroh habe ich
mir diese Hiitte gebaut. Roten Lack, Padmakaholz, Tunga-
holz, feine und geringere Wohlgeriiche
8. (9347.) und vielerlei Essenz mit Ausschlufs berauschen-
der Getranke kaufe ich aus anderer Hand und verkaufe sie
wieder mit Ehrlichkeit.
Die Zahlung der Verse springt von 9328 auf 9339 iiber.
424 III. Mokshadharma.
9. (9348.) Wer stets ein Freund aller Menschen ist und
wer das Wohlsein aller Menschen in Werken, Gedanken und
Worten fordert, der kennt die Pflicht, o Jajali.
10. (9349.) Ich begiinstige nicht und iibervorteile nicht,
ich basse nicht und liebe nicht und bin unparteiisch alien
Wesen gegeniiber, da siehst du, o Jajali, meinen Wahlspruch.
(9350.) Meine Wage wagt fiir alle Wesen gleichmafsig, 6
Jajali.
11. Was andere tun, lobe ich nicht und tadle ich nicht
(9351.) und blicke auf das bunte Treiben der Welt, o Fiirst
der Brahmanen, wie [auf die Wolkenspiele] im Himmels-
raume.
12. Als einen solchen wisse mich, o Jajali, als gegen
alle Welt (9352.) unparteiisch, 0 Bester der Weisen, als gleich-
miitig blickend auf Erdklumpen, Steine und Gold.
13. Wie Blinde, Taube und Verriickte den Tod immer-
fort herbeisehnen , (9353.) weil die Pforten [der Sinne] ihnen
von den Gottern verschlossen sind, ahnlich ergeht es mir,
obgleich ich sehend bin.
14. Wie Alte, Kranke und Schwachliche in bezug auf
die Sinnendinge ohne Begierde sind, (9354.) so ist auch mir
das Verlangen nach Nutzen, Lust und Genufs vergangen.
15. Wenn einer sich nicht mehr fiirchtet und wenn man
sich vor ihm nicht mehr fiirchtet, (9355.) wenn er nicht mehr
wiinscht und nicht mehr hafst, dann erlangt er das Brahman.
16. Wenn einer keine bose Gesinnung mehr gegen all6
Wesen betatigt (9356.) in Werken, Gedanken und Worten,
dann erlangt er das Brahman.
17. Es gab, wird geben und gibt keine andere Pflicht
als diese. (9357.) Wer in bezug auf alle Wesen keine Furcht
hegt Oder einflofst, der erlangt die Statte, wo es keine Furcht
mehr gibt.
18. Vor wem aber alle Welt wie vor dem Rachen des
Todes zittert, (9358.) wer in seinen Reden hart, in seinen
Strafen grausam ist, der erlangt die Statte der grofsen Furcht.
19. Den Alten, mitsamt Sohnen und Enkeln, recht-
schaffen Wandelnden (9359.) folgen wir in ihrer Lebensfiihrung,
den Hochherzigen, welche kein Wesen krankten.
Adhyaya 263 (B. 262). 425
20. Die ewige Verpflichtung [des Wohlwollens] ist ver-
loren gegangen und durch den guten [asketischen] Wandel
verdunkelt worden ; (9360.) durch diesen wurden Vedakundige,
Asketen und Gewaltige verwirrt.
21. Allerdings mag durch den guten Wandel ein ver-
standiger Mensch leicht zur Pflichterfullung gefuhrt werden,
(9361.) aber nachdem er durch die Guten [und ihr Vorbild]
zur Selbstbezahmung gelangt ist, mufs er truglosen Geistes
wandel n.
22. Wie in der Welt ein Stiick Holz im Flusse zufallig
fortgeschwemmt wird (9362.) und zufallig init irgendeinem
andern Holze sich zusammenfindet,
23. und wie sich dann an diese wechselseitig andere
Baumstamme festklammern (9363.) mit Stroh und Holz und
allerlei Abfall, blindlings und beliebig, [so ist es mit der
Tradition des guten Wandels bestellt].
24. Vor wem niemals und in keiner Weise irgendein
Wesen zittert, (9364.) der erlangt fiir alle Zeit, o Muni, Furcht-
losigkeit vor alien Wesen.
25. Vor wem sich aber alle Welt fiirchtet wie vor einem
Wolfe (9365.) Oder wie vor einem Gebriill alle Wassertiere,
wenn sie dem Ufer nahen, [der erlangt auch fiir sich keine
Furchtlosigkeit] .
26. Somit ist nur jene Lebensfiihrung [der Schonung
aller Wesen], mag sie herriihren, woven sie will, (9366.) die-
jenige, welche Freunde erwirbt, Reichtum erwirbt, gliick-
bringend und die hochste ist.
27. Darum werden sie [die dieser Lebensfiihrung huldi-
gen] in den Lehrbiichern gepriesen von den Weisen, (9367.) um
des Ruhmes willen von ihnen, welche wenig vom Zweifel ge-
qualt werden, scharfsinnig und vollkommen klar denkend sind.
28. Durch alle Askese, Opfer und Gaben und weisheits-
volle Reden (9368.) erreicht man hienieden nicht mehr, als
was man als Frucht der Furchtlosigkeitsgewahrung erlangt.
29. Wer in der Welt alien Wesen die Opfergabe der
Furchtlosigkeit spendet, (9369.) der ist so gut, als wenn er
alle Opfer darbrachte, und der erlangt als Opfergabe die Furcht-
losigkeit.
426 ni. Mokshadharma,
30. Es gibt keine edlere Pflicht als die Schonung fdhihsd)
der Wesen. (9370.) Vor wem niemals und in keiner Weise
irgendein Wesen zittert, der eriangt Furchtlosigkeit vor alien
Wesen, o grofser Muni.
31. (!)37i.) Vor wem alle Welt zittert wie vor einer ins
Haus geschliipften Schlange, der eriangt nicht die Pflicht-
erfiillung, weder hienieden noch im Jenseits.
32. (9372.) Wer als einer, dem alle Wesen zum eigenen
Selbste geworden sind, auf alle Wesen hinblickt, an dessen
Weg werden auch die Gotter irre, verfolgend des Spur-
losen Spur.
33. (9373.) Die Gabe der Furchtlosigkeit der Wesen er~
klaren sie unter alien Gaben als die hochste, das sage ich
dir als die Wahrheit, glaube es mir, o Jajali.
34. (9374.) Einundderselbe, der zum Gliick gelangt ist,
kann auch wieder ungliicklich werden, und wenn die Leute
den Verfall seiner Verhaltnisse sehen, dann wenden sie sich
jedesmal von ihm ab,
35. ^9375.) Allerdings ist die Pflicht nicht ohne Grund,
aber sie ist schwer zu verstehen, o Jajali; um des Gewordenen
und Kiinftigen [Irdischen und Himmlischen] willen erfolgte
hienieden die Verkiindigung der Pflicht.
36. (9376.) Wegen ihrer Schwerverstandlichkeit kann die
vielfach widerspruchsvolle Pflicht nicht erkannt werden, und
nur, indem man zwischendurch [wahrend ihres Studiums]
andere Lebensfiihrungen ins Auge fafst, wird sie [durch den
Gegensatz] erkannt.
37. (9377.) Die, welche [jungen Stieren] die Hoden aus-
schneiden und die Nasenwande durchbohren [um sie zu
lenken], mit ihnen grofse Lasten fahren, sie ihnen aufbinden
und sie zahmen
38. (9378.) und lebende Wesen toten und verspeisen, wie
solltest du die nicht tadeln? Ja sogar den Menschen macht
der Mensch zum Sklaven und nutzt ihn aus
39. (9379.) und zwingt ihn durch Schlage, Fesseln und Ge-
fangenschal't. Tag und Nacht zu arbeiten! Und durch sich
selbst weifs er doch, wie schmerzlich Schlage und Fesseln sind.
40. (9380.) In den mit fiinf Sinnesorganen ausgestatteten
Adhyaya 263 (B. 262). 427
Wesen wohnt jede Gottheit: die Sonne [im Auge], der Mond
[im Manas], der Wind [im Tastsinn], Brahman, Prana, Kratu
und Yama [in anderen Organen].
41. (9381.) Wenn man diese noch bei Lebzeiten verkauft,
wie sollte man Umstande mit ihnen machen, wenn sie tot
sind ! Der Ziegenbock ist Agni, der Widder ist Varuna, das
Pferd ist Siirya, die Erde als Viraj
42. (!)38'2.) ist die Kuh und ihr Kalb ist der Soma; wer so
etwas verkauft, kann nicht gliicklich werden. Aber welches
[Bedenken] konnte bestehen beim Verkauf von Sesamol und
zerlassener Butter, o Brahmane, von Honig und Krauter-
saften?
43. (9383.) Da wachsen die Tiere frohhch auf in einer
Gegend, wo es keine Bremsen und Fhegen gibt, und ob-
gleich der Mensch weifs, wie Heb sie ihren Miittern sind,
kommt er oft
44. (9384.) und fiihrt sie fort in Gegenden voll Bremsen
und Schmutz, und andere wieder schmachten als Jochtiere,
gegen die gotthche Ordnung durch Ziehen gequalt.
45. (9385.) Ich sollte denken, sogar die Embryototung ist
nicht schlimmer als so etwas. Das Pfliigen des Ackers halt
man fiir etwas Gutes, und doch ist auch das ein grausames
Geschaft.
46. (9386.) Denn das Pflugholz mit eiserner Spitze verletzt
die Erde und was in ihr lebt. Und dann denke auch an die
angespannten Ochsen, o Jajali!
47. (9387.) Aghnyd (die Nicht-zu-Totende) wird ja die Kuh
genannt, wer darf sie also toten ? Ja, eine grofse Unbill ver-
iibt, wer einen Stier oder eine Kuh opfert.
48. (9388.) Das war es ja auch, was die Weisen und
Biifser dem Nahusha vorhielten: Du hast eine Kuh und so-
gar eine Mutterkuh getotet und einen Stier, eine Verkorperung
des Prajapati.
49. (9389.) Eine Untat hast du veriibt, o Nahusha, wir
werden durch dich zu leiden haben. Hundert und eine Krank-
heit haben sie iiber die Wesen gebracht.
50. (9390.) Diese unter den Untertanen hochbedeutenden
Rishi's, o Jajali, nannten den Nahusha einen Embryo-
428 ni. Mokshadharma.
toter und erklarten, dafs sie seinen Opfertrank nicht opfern
konnten.
51. (9391.) So sprachen sich alle jene hochherzigen , das
Wesen der Dinge erkennenden, durch Askese beruhigten
AVeisen und Biifser aus und hielten es ihm vor,
52. (9392.) Diese unseligen, greulichen Brauche, wie sie
auf dieser Welt geiibt werden, o Jajali, verurteilst du nur
darum nicht, weil sie als guter Wandel iiberliefert sind.
53. (9393.) Yom Grunde aus soil man die Pflicht erforschen
und nicht dem iiberlieferten Wandel der Leute folgen. Und
auch das merke dir, o Jajali: Mag einer mich schlagen oder
mag er mich loben,
54. (9394.) beides gilt mir gleich, es gibt fiir mich nichts
Liebes und Unliebes. Das ist die Pflichterfiillung , welche
die Weisen riihmen.
55. (9395.) Denn sie beruht auf gutem Grunde und wird
von den Selbstbezwingern hochgehalten, welche immerfort in
der Pflichterfiillurig sich iibten, und von dem Verstandigen
wird sie beobachtet.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Tulidhiira und J4jali
( Tulddhdra - Jajali - samvdda).
Adhyaya 264 (B. 263).
Vers 9396-9441 (B. 1-42).
Jajali sprach:
1. (9396.) Diese Pflichterfiillung, wie du sie mit der Kramer-
wage in der Hand empfiehlst, wiirde den Eingang zum Himmel
und auch das Leben der Geschopfe unmoglich machen.
2. (9397.) Durch das Pfliigen des Ackers wird Nahrung
erzeugt, und von der lebst auch du; von Viehzucht und Krau-
tern leben die Menschen, o Kramersohn.
3. (9398.) Und da durch das Genannte erst das Opfer mog-
lich wird, so redest du sogar der Unglaubigkeit das Wort,
und auch diese Welt konnte nicht bestehen, wenn sie auf
den Erwerb ganz und gar verzichtete.
Adhyaya 264 (B. 263). 429
Tuladhara spr.ich :
4. (9399.) Ich will dir sagen, wie die Geschopfe leben
konnen, und von Ungliiubigkeit kann bei mir keine Rede
sein, o Brahmane. Ich tadle das Opfer auch gar nicht, aber
einer, der sich auf das Opfer versteht, ist schwer zu finden.
5. (9400.) Ich verehre, o Brahmane, das Opfer und die,,
welche sich auf das Opfer verstehen, aber die Brahmanen
haben das ihnen geziemende Opfer aufgegeben und haben
sich dem Kshatriya- Opfer ergeben,
6. (9401.) einem Opfer, o Brahmane, welches von Hab-
gierigen und nur auf den Gewinn sehenden Unglaubigen auf-
gebracht wurde, welches aus Unkenntnis der Vedaworte nur
scheinbar wahr, in Wirklichkeit unwahr ist.
7. (9402.) Dies mufs man geben und das mufs man geben,
so heifst es, und ein solches Opfer wird gelobt; darum artet
es zur Dieberei und zur Unart aus, o Jajali.
8. (9403.) Die Gotter haben ihre Freude nur an einem
Opfer, welches in rechter Weise dargebracht wird, namlich
mit Verehrung als Opferspeise und mit Vedastudium als
Krautersaften. (9404.) Denn man soil die Gotter so verehren,,
wie es der Schriftkanon vorschreibt.
9. Durch Opfer und fromme Werke schlechter Menschen
wird nur eine untiichtige Nachkommenschaft erzielt, (9405.) von
Habgierigen wird nur ein Habgieriger erzeugt, von Billig-
denkenden nur ein Billigdenkender.
10. Wie die Opferherren und die Priester selbst sind
[doch wohl dtmdnah zu lesen], so sind auch ihre Nachkommen ;
(9406.) aus dem Opfer entspringt die Nachkommenschaft, wie
reines Wasser aus der Wolke.
11. Der in das Feuer gegossene Opfertrank, o Brahmane,.
geht hinauf zur Sonne, (9407.) aus der Sonne stammt der
Regen, aus dem Regen die Nahrung, aus ihr die Nach-
kommenschaft.
12. Darum haben die festgegriindeten Altvorderen alle
ihre Wiinsche erlangt, (9408.) ungepfliigt liefs die Erde ihre
Friichte reifen, durch die blofsen Gebete gediehen die Pflanzen,.
13. aber damals fafsten sie weder fiir das Opfer noch
fiir sich selbst einen Lohn ins Auge. (9409.) Diejenigen hin-
430 ni. Mokshadharma.
gegen, welche ihr Opfer mit Besorgnis um die Frucht dar-
bringen,
14. werden als schlechte Menschen, als Bosewichter, Hab-
gierige, nach Reichtum Trachtende geboren. (94io.) Der geht
wegen seines schlechten Werks in die Welten der Ubel-
tater ein,
15. welcher aus Mangel an einer Richtschnur sich eine
schlechte Richtschnur schafft; (9411.) und er ist allezeit hie-
nieden von schlechtem Charakter und mangelhafter Erkennt-
nis, 0 Bester der Brahmanen.
16. Wenn von Gebotenem die Rede ist, so ist sich der
Brahmane ohne Scheu bewufst, dafs es nur Gebotenes ist;
(9412.) als Brahmane verharrt er in der Welt und wendet sich
nicht wieder der Befolgung von Gebotenem zu.
17. Freilich haben wir [im Veda] vernommen, dafs ein
untugendhaftes Werk hoher stehe, (9413.) namlich eine Totung
aller moglichen Wesen und die Erzwingung einer Frucht der
"Werke.
18. Das Opfer der Wahrheit, das Opfer der Selbst-
bezahmung, das ist das Opfer, welches alle der Habgierigen
und der Habe satten, (94i4.) auf das Gewordene verzichtenden,
selbstlosen Menschen darbringen.
19. Das Wesen von Leib und Seele fhshetrajnaj er-
kennend und bei dem ihnen geziemenden Opfer verharrend,
(9415.) studieren sie den iiber das Brahman belehrenden Veda
und erfreuen dadurch auch die anderen.
20. Alle Gottheit ohne Ausnahme ist Brahman und ruht
in Brahman, (9416.) und wenn einer, 0 Jajali, [im Pranagni-
hotram, vgl. Chand. Up. 5,19 fg.] sich sattigt, mag er dabei
satt werden oder nicht, so haben die Gotter an ihm ihre Freud e.
21. Wie einer, der an allem Wohlgeschmack satt ge-
worden ist, nach nichts mehr verlangt, (9417.) so wird dem,
welcher sich an der Erkenntnis gesattigt hat, eine begliickende,
ewige Sattigung zuteil [vgl. Ev. Job. 4,14].
22. Solche sind Trager der Pflicht, freuen sich der Pflicht
und sind iiber alles zur Entschiedenheit gelangt. (9418.) Uns
ist in Wahrheit das Grofsere eigen, so sprechend blickt der
Weise auf die Welt.
Adhyaya 264 (B. 263). 431
23. Manche, das Wissen erkennend und das jenseitige
Ufer erstrebend, (94i!».) das vollkommene Heiligkeit verleihende,
heilige, von heiligen Geschlechtern bewohnte,
24. wohin gelangt, sie nicht mehr trauern, nicht mehr
wanken und unerschiittert bleiben, (9420.) solche Sattvahaften
€rlangen schon hienieden jene Statte des Brahman.
25. Sie verlangen nicht nach dem Himmel, sie bringen
nicht Prunk und Reichtum zum Opfer dar, (9421.) sondern sie
wandeln den Pfad der Guten und bringen als Opfer die
Schonung aller Wesen.
26. Sie wissen Bescheid mit Baumen und Krautern, mit
Friichten und Wurzeln (9422.) und lassen nicht gierig und
nach Lohn verlangend durch diese Opferpriester opfern.
27. Indem sie die ihnen geziemende Sache betreiben,
voUbringen sie wieder als rechte Zwiegeborene das Opfer,
(9423.) in ihren Werken fest bestimmt durch den Wunsch,
den Kreaturen Wohlwollen zu erweisen.
28. Darum sind es nur die Gierigen, welche durch die
Opferpriester , diese hafshchen Menschen , opfern lassen ;
(9424.) wer aber die ihm geziemende Pflicht beobach tet, der
sichert sogar seinen Nachkommen [einen Platz] im Himmel.
Das ist meine Meinung, 0 Jajali, die ich unabanderlich iiberall
vertrete.
29. (9425.) Dasjenige, was hienieden in den Opfern dar-
gebracht wird, [durch das] steigen allezeit die weisen Besten
der Zwiegeborenen auf jenem Gotterpfade empor, o grofser
Muni ,
30. (942G.) und der eine kehrt auf diesem wieder zuriick
[was freilich nach den Upanishad's unmoglich ist], aber fiir
den Weisen gibt es auf ihm keine Riickkehr.
31. (9427.) Fiir solche [Weise] schirren sich die Ochsen
[anaduJiah als Nominativ] von selbst an und ziehen den Wagen,
die Kiihe geben ihre Milch von selbst durch die Zauberkraft
des im Manas gehegten Wunsches,
32. (9428.) und ebenso erlangen sie von selbst den Opfer-
pfosten und opfern, indem der Opferlohn sich von selbst ein-
stellt; wer in dieser Weise seinen Atman bereitet hat, der
mag sogar eine [nur gedachte] Kuh opfern.
432 III. Mokshadharma.
33. (9429.) Darum mogen, o Brahmane, solche Menschen
in dieser Weise nur Pflanzen opfern, nachdem sie vorher zur
Entsagung gelangt sind. Einen solchen will ich dir ver-
kiindigen :
34. (9430.) Wer ohne Wunsch und ohne Vorhaben, ohne
Verehrung und Preisung ist, fortlebend, ohne dafs sein Werk
fortlebt, den erkennen die Go tier als einen Brahmanen an.
35. (9431.) Wenn er, nicht den Veda lehrend, nicht opfernd
und nicht einmal den Brahmanen spendend, die von ihm er-
wiinschte Verhaltungsweise anstrebt, welchen Weg geht er
dann, o Jajali? (9432.) Er wird, dieses Verhalten zur Gottheit
einschlagend, das seinem Opfer Entsprechende erlangen.
Jajali sprach:
36. (9433.) Von den Weisen vernehmen wir nicht die
Wahrheit, dicli frage ich nach ihr, o Kramersohn, eine
schwierige Sache ist es. Die alten Rishi's haben sich
nicht darum gekiimmert, und auch in der Folgezeit haben
die Weisen diese Sache nicht festgestellt.
37. (9434.) Wenn bei einem aus freien Stiicken die Opfer-
tiere sich zum Opferfeste einstellen, welches ist denn dabei
sein Verdienst, wodurch er das Gliick erlangen soil ? (9435.) Das
sage mir, o Weiser, ich schenke dir vollen Glauben.
Tuladhara sprach:
38. (9436.) Mag man es Opfer oder nicht Opfer nennen,
jene Tiere verdienen es nicht, geopfert zu werden ; nur durch
ihre Butter, Milch und saure Milch, namentlich wenn sie in
vollem Gusse gespendet werden, (9437.) sowie durch Haare,
Horn und Hufe bringt die Kuh [auch ohne geschlachtet zu
werden] das Opfer zustande.
39. Und wenn er so verfahrt, so zieht er dadurch die
Gattin [auch wenn keine solche vorhanden ist] heran und
stellt sie an. (943S.) Indem er das wiinschenswerte Verhalten
zur Gottheit einschlagt, wird er das seinem Opfer Entsprechende
erlangen (vgl. Vers 9432).
40. Denn von dem Opferkuchen heifst es ja, dafs er vor
Adhyaya 264 (B. 263). 433
alien Tieren opferwiirdig sei. (943J>.) Alle Flusse sind [ebenso
heilig wie] Sarasvati und alle Berge sind heilig,
41. und der Atman ist der geweihte Boden, o Jajali,
andere Gegenden brauchst du nicht zu besuchen. ('J440.) Wer
diese so beschaffenen Pflichten befolgt, o Jajali, und die Pflicht
von Grund aus erforscht, der erlangt schone Welten.
Bhishnia sprach:
42. (9441.) Diese so beschaffenen Pflichten empfiehlt Tula-
dhara an, sie, welche durch Griinde gestiitzt allezeit von den
Outen befolgt werden.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Tul&dhdra und Jajali
(Tiilddlidra - Jajali - smtivdda).
Aclhyaya 265 (B. 264).
Vers 9442-9466 (B. 1-23).
Tuladhara sprach:
1. f!i442.) Diesen Weg, mag er nun von Guten oder Nicht-
Guten eingeschlagen sein — es soil dir recht anschaulich
gemacht werden — den wirst du erkennen nach seinem Wesen.
2. (9443.) Du siehst diese Vogel, wie sie liberall umher-
iliegen, es sind die auf deinem Haupte geborenen, sowie
Falken und andere Arten.
3. (9444.) Rufe sie herbei, o grofser Brahmane, wie sie
Mer und dort sich niedersetzen ; siehe, wie sie dabei Fliigel
und Fiifse von alien Seiten an ihren Leib anschmiegen.
4. (9445.) Von dir wurden sie grofsgezogen und nun be-
griifsen sie dich als Vater, denn du bist doch unzweifelhaft
ihr Vater, da du sie als deine Kinder herbeirufst, o Jajali.
Bhishma sprach:
5. (9446.) Da geschah es, dafs die von diesem Jajali her-
"beigerufenen Vogel in Worte ausbrachen, um die Pflicht zu
•erklaren,
Devssen, Mab^bharatam. 28
434 ni. Mokshadharma.
6. (9447.) Das ohne Nicht-Totung [lies: anahinsd] unter-
nommene Werk totet hienieden und im Jenseits den Glauben
(^graddhdj, o Brahmane, und dieser, wenn getotet, totet den
Menschen.
7. (9448.) Wenn Billigdenkende, Glaubige, Bezahmte, "Wohl-
verstandige opfern, das heifst ein wahres Opfer; dies Opfer
ist nie unerwunscht.
8. (9449.) Diese (^raddha (der Glaube), von Vivasvant
stammend, ist die Tochter der Sonne, o Zwiegeborener, sie
ist fordernd und nachkommenverleihend, ist erhaben (hahis)
iiber Worte und Gedanken.
9. (9450.) Die Qraddha schiitzt, was aus der Rede ent-
springt und was aus dem Manas entspringt, o Bharata; was
aus der (^raddha entspringt, schiitzt Rede und Manas, das
Werke kann beide nicht schiitzen.
10. (9451.) Dariiber sagen die Weisen der Vorzeit in Lie-
dern, die von Brahmanen gesungen wurden: Wenn einer rein
und unglaubig war, oder glaubig und unrein,
11. (9452.) so erachteten die Gotter die Darbringung beider
beim Opfer fiir gleichwertig. Wenn einer schriftkundig und
knauserig oder freigebig und ein Wucherer war,
12. (9453.) so legten die Gotter, nachdem sie beides er-
wogen, beider Opferspeisen gleichen Wert bei. Da aber
sprach Prajapati zu ihnen: Das heifst nicht recht verfahren.
13. (9454.) Durch Glauben gelautert ist die Gabe des
Freigebigen und die des andern ist verwerflich, weil ihm
der Glaube fehlt; darum mogt ihr die Opferspeise des Frei-
gebigen entgegennehmen , die Opferspeise des Knauserigen
und Wucherers aber nicht.
14. (9455.) Denn dieser ist in Wahrheit unglaubig und
nicht wiirdig, den Gottern Opfer zu bringen; seine Opfer-
gabe diirft ihr nicht annehmen, wie es auch die Kenner der
Pflicht erkannt haben.
15. (9456.) Der Unglaube ist das hochste Ubel, der Glaube
erlost vom Ubel, der Glaubige streift das Ubel ab, wie eine
Schlange ihre alte Haut.
16. (9457.) Die Abkehr [vom Ubel], verbunden mit dem
Adhyaya 265 (B. 264). 435
Glauben, ist das vornehmste Suhnemittel ; wer seine Charak-
terfehler abgelegt hat und dabei glaubig ist , der ist ge-
lautert.
17. (9458.) Wozu braucht er Askese, wozu den guten
Lebenswandel , wozu den Atman : Aus Glaube besteht der
Mensch, wie einer glaubt, so ist er (vgl. oben, S. 97).
18. (9459.) Damit ist, was Pflicht ist, erklart von Guten,
den Sinn der Pflicht Erkennenden, und wir, die wir danach
forschten, sind zum Ziele gelangt und haben die Pflicht
erkannt.
19. (9460.) Erwirb Glauben, o grofser Weiser, und du wirst
dadurch das Hochste erlangen ; der Glaubige ist vom Glauben
beseelt und ist die [verkorperte] Pflicht, o Jajali, (9461.) und
auf seinem Wege beharrend, ist er von hochster WiirdSj
o Jajali.
Bhishma sprach:
20. (9462.) Darauf sind nach geraumer Zeit Tuladhara und
auch der andere als grofse Weise zum Himmel emporgestiegen
und werden dort sich der Seligkeit erfreuen,
21. (9463.) nachdem sie den jedem von ihnen zukommen-
den, durch ihre Werke erworbenen Ort erreicht haben. So
also war die inhaltreiche Rede des Tuladhara.
22. (9464.) Damit ist die ewige Pflicht vollstandig erkannt
und ausgesprochen worden, und jener Brahmane, nachdem
er die Reden dieses durch seine Tiichtigkeit beriihmten
23. (9463.) Tuladhara gehort hatte, ist, o Kuntisohn, zum
Frieden eingegangen. So also geschah die gedankenreiche
Rede des Tuladhara, (9466.) vermittels einer gleichnisweisen
Belehrung. Was willst du nun weiter horen?
So lautet im Moksbadharma die Unterredung zwischen Tul&dh&ra und J&jali
(Tulddhdra - Jdjali - samvdda).
28*
436 ni. Mokshadharma.
Adhyaya 266 (B. 265).
Vers 9467-9480 (B. 1-14).
BMshma sprach:
1. (9467.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich das, was aus Mitleid mit den Kreaturen
von dem Konig Vicakhyu (mit C; B, Vicakhnu) gesungen
wurde.
2. (9468.) Als dieser Konig gesehen hatte, wie dem Stiere
die Gebeine zerschlagen wurden und die Kiihe laut jammerten,
und wie der Fiirst wahrnahm, dafs bei der Stierschlachtung
auf dem Opferplatze
3. (9469.) sodann der Ruf laut wurde : „Heil sei den Kiihen
in aller Welt" — denn wenn die Schlachtung vor sich geht,
ist dieser Segenswunsch vorgeschrieben — , [da sprach er:]
4. (9470.) Nur von mafslosen, betorten, unglaubigen, zweifel-
behafteten und obskuren Menschen ist die Tiertotung verherr-
licht worden.
5. (9471.) Denn der von Pflichtbewufstsein erfullte Manu
hat befohlen, bei alien Werken nicht zu toten, Nur aus
eigenem Geliiste toten die Menschen auf dem Vorplatze der
Vedi die Tiere.
6. (9472.) Aus diesem Grunde mufs von dem Kundigen
die schwer erkennbare Pflicht befolgt werden ; die Schonung
aller Wesen steht hoher als alle anderen Pflichten.
7. (9473.) Wer durch Fasten sein Geliibde gescharft hat,
der geht ab von den im Veda gegebenen Vorschriften [und
sagt:] der Branch ist ein Mifsbrauch, erbarmlich sind, die
sich von der Hoffnung auf Lohn treiben lassen.
8. (9474.) Wenn die Menschen in Hinblick auf Opfer, hei-
lige Baume und Opferpfosten nur beliebiges [nicht vom Opfer
herriihrendes] Fleisch zu essen vermeiden, so ist dieser Branch
nicht zu loben.
9. (9475.) Branntwein, Fische, Honig, Fleisch, Rum und
Sesamreis [zu geniefsen], das ist von Nichtswiirdigen ein-
gefiihrt worden und nicht in den Veden zugelassen.
Adhyaya 266 (B. 265). 437
10. (9476.) Aus Hochmut, Verblendung und Begierde ist
das Geliiste nacli solchen Dingen aufgekommen. Aber Brah-
manen sehen in alien Opfern nur den einen Vishnu,
11. (9477.) und dessen Opfer geschieht nach der 'Uber-
lieferung nur mit Milchspenden und Blumen, und wenn etwa
noch opferwiirdige Baume dafur im Veda vorgesehen sind,
12. (9478.) oder was sonst noch an wohlgeweihten Dingen
von Lauteren, sehr Tiichtigen mit reinem Herzen dargebracht
werden mag, alles das ist des Gottes wiirdig. •
Yudhishthira sprach:
13. (9479.) Das leibliche Bediirfnis und Notfalle erheben
Einspruch gegen die, welche nicht toten wollen; wie kann,
ohne dafs man dergleichen unternimmt, der Unterhalt des
Korpers vonstatten gehen?
Bhishma sprach:
14. (9480.) Damit der Korper nicht hinwelke und damit
er nicht der Gewalt des Todes anheimfalle, mag man sich
in seinem Tun dementsprechend verhalten und nach Kraften
die Pflicht erfiillen.
So lautet im Mokshadharma der Sang des Vicakhyu
( Vicakhyu - gitd).
Adhyaya 26t (B. 366).
Vers 9481-9558 (B. 1-78).
Yudhishthira sprach :
1. (9481.) Wie soli man ein vorliegendes Werk priifen,
schnell oder langsam? Allezeit in unserer schwierigen Auf-
gabe warst du ja unser bester Lehrmeister.
Bhishma sprach:
2. (9482.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich was ehemals dem Cirakari[n] aus dem
Stamme des Angiras begegnet ist.
438 III. Mokshadharma.
3. (9483.) 0 Saumseliger fciraMriJcaJ, Heil sei dir, Heil
sei dir, o Saumseliger, denn Cirakarin (der Saumselige), der
Verstandige, versiindigt sich nicht in seinem Tun.
4. (9484.) Der sehr verstandige Cirakarin war ein Sohn
des Gautama und ging bei alien Geschatten erst zu Werke,
nachdem er die Sachen lange iiberlegt hatte.
5. (9485.) Er pflegte die Sachen lange zu iiberlegen, lange
im Wachen und lange im Schlafe, lange, wenn ihm ein Auf-
trag gegeben wurde, darum nannte man ihn Cirakarin.
6. (9486.) Weil er trage war beim Angreifen einer Sache,
wurde er auch beschrankt genannt von einem leichtsinnigen,
kurzsichtigen Menschen.
7. (9487.) Mit Ubergehung der anderen Sohne wurde er
von seinem erziirnten Vater beauftragt, seine Mutter infolge
eines bestimmten Fehltrittes zu toten.
8. (9488.) Und nachdem der weise Gautama, der Beste
der Murmler, ihm diesen Befehl erteilt hatte, ging der Mach-
tige ohne weitere Uberlegung in den Wald.
9. (9489.) „So sei es", antwortete langsam, wie es seine
Art war, der langsam handelnde Sohn, und indem er seiner
Langsamkeit entsprechend die Sache iiberdachte, verfiel er
dariiber in langes Sinnen:
10. (9490.) Wie kann ich den Befehl des Vaters ausfiihren ?
Wie kann ich es vermeiden, die Mutter zu toten ? Wie kann
ich es verhindern, dafs ich dabei als schlechter Mensch in
eine Pflichtiibertretung verfalle?
11. (9491.) Der Befehl des Vaters ist hochste Pflicht, aber
Naturpflicht ist es, die Mutter zu schiitzen, ein Sohn ist nicht
frei in seinem Handeln, wie mache ich es, dafs mich nicht
hinterher die Reue qualt.
12. (9492.) Wer ein Weib und noch dazu seine Mutter
getotet hat, wie kann der je wieder froh werden! Und wer
seinen Vater mifsachtet, wie kann der zu Ansehen ge-
langen !
13. (9493.) Den Vater nicht zu mifsachten geziemt sich,
und die Mutter zu beschiitzen ist Gesetz ; beide Pflichten sind
als auferlegte berechtigt, wie ist es moglich, dafs die Sache
mich nicht in Verlegenheit bringt?
Adhyaya 267 (B. 266). 439
14. (9494.) Der Vater legt bei der Zeugung sein Selbst in
die Gattin, so heifst es (Ait. Up. 2, 1—2), um Charakter, guten
Wandel und Geschlecht und seine Familie fortzufiihren.
15. (9495.) Ich selbst bin als Sohn vom Vater und auch
wiederum von der Mutter geschaffen worden, wie sollte ich
mir dessen nicht bewufst sein! Erkenne ich doch beide als
meinen Ursprung an.
16. (9496.) Was der Vater bei der Geburtszeremonie und
beim Upakarman [Zeremonie nach der Heimkehr vom Lehrer
Nil.] gesprochen hat, dessen Bestatigung besteht in der Ge-
wifsheit der vaterlichen Autoritat.
17. (9497.) [Was] dec Lehrer [sagt] ist die oberste und
hochste Pflicht, weil er sich mit Pflege und Belehrung be-
fafst, und was der Vater sagt, ist ebenfalls Pflicht, weiche
auch in den Veden eingescharft wird.
18. (9498.) Der Sohn ist fiir den Vater eitel Freude, und
der Vater ist fiir den Sohn alles, denn der Vater allein ver-
leiht ihm den Leib und alles, dessen er bedarf.
19. (9499.) Darum ist das Wort des Vaters auszufiihren
und niemals dabei zu zaudern; auch von Siinden wird ge-
reinigt, wer die Gebote des Vaters erfiillt.
20. (9500.) Beim Geniefsen, beim Essen, beim Studium,
bei Belehrung iiber weltliche Dinge, sowie beim Verkehr mit
dem Gatten und bei der Scheitelziehungszeremonie [gewohn-
lich im vierten Monat der Schwangerschaft]
21. (9501.) ist der Vater das Gesetz, ist der Vater der
Himmel, ist der Vater die hochste Askese; wenn der Vater
Freude hat, dann freuen sich alle Gottheiten.
22. (9502.) Alle jene [bei den Zeremonien gesprochenen]
Segenswiinsche begliicken einen Menschen, wenn sie der
Vater spricht, und eine Befreiung von alien Siinden ist es,
wenn der Vater seine Zufriedenheit aufsert.
23. (9503.) Die Blume wird vom Stengel fahren gelassen und
die Frucht vom Baume, der Vater aber, auch wenn er den Sohn
aus Liebe ziichtigen mufs, so lafst er ihn doch niemals fahren.
24. (9504.) Damit ware also die Autoritat des Vaters iiber
den Sohn durchgedacht, der Vater ist kein geringes Moment,
nun aber mufs ich auch an die Mutter denken.
440 III. Mokshadharma.
25. (9505.) Dieses mir gehorige Korperaggregat , Welches
seinem sterblichen Telle nach aus den fiinf Elementen be-
steht, hat als Ursache meine Mutter, wie das Feuer als Ur-
sache das Reibholz hat.
26. (9506.) Die Mutter ist das Reibholz fur den Leib des
Menschen und ist ein Gliick fiir jeden in seiner Not. Wer
eine Mutter hat, der hat eine Beschiitzerin , und ohne Be-
schiitzerin ist, wer sie nicht hat.
27. (9&07.) Der braucht nicht zu klagen, den bringt das
Alter nicht herunter, wer, auch vom Gliick verlassen, wenn
er nach Hause kommt „Mutter!" sagen kann.
28. (9508.) Wenn einer auch Sohne und Enkel hat und
zu seiner Mutter kommt, der, und ware er hundert Jahre alt,
naht ihr wie ein zweijahriges Kind.
29. (9509.) Mag einer tiichtig sein oder untiichtig, mag er
kranklich sein oder gesund, die Mutter ist es immer, welche
den Sohn behiitet, keinen andern Pfleger hat er nach der
Naturordnung.
30. (9510.) Dann ist er alt geworden, dann ist er elend
geworden, dann ist die Welt fiir ihn leer, wenn er die Mutter
verloren hat.
31. (9511.) Der Mutter kommt kein kiihlender Schatten
gleich, der Mutter kommt keine Zuflucht gleich, der Mutter
kommt kein Schutz gleich, der Mutter kommt keine an Liebe
gleich.
32. (9512.) Wegen des Tragens im Mutterleib heifst sie
dhdtri (die Tragende), wegen des Gebarens heifst sie jafiam
(die Gebarende), wegen der Pflege der Glieder heift sie ambd
[ein Lallwort wie Mama], weil sie Helden hervorbringt, heifst
sie virasu (Heldenmutter).
33. (9513.) Weil ihr die Kinder gehorchen, heifst die Mutter
gucru (etwa: der man gehorcht). Und ihren Leib sollte ohne
weiteres ein verstandiger Mann, der kein Hohlkopf ist, toten ?
34. (9514.) Die Absicht, welche bei Verschlingung der
Lebenshauche der Eltern bestand, die [teilen] Vater und
Mutter; der erreichte Zweck fallt der Mutter zur Last.
35. (9515.) Die Mutter weifs, aus welchem Geschlechte, die
Mutter weifs, von wem einer ist; aus dem blofsen Tragen
Adhyaya 267 (B. 266). 441
im Leibe entspringt schon die Liebe der Mutter, dem Vater
liegt nur an der Nachkommenschaft.
36. (9516.) Wenn die Manner aus freien Stiicken die Ver-
bindung der Hande geschlungen und die gemeinsame Ehe-
pflicht eingegangen haben und dann davonlaufen, so haben
die Frauen nicht notig, ihnen gute Worte zu geben.
37. (9517.) Weil er die Frau ernahrt, heifst er der Er-
nahrer, weil er iiber sie herrscht, heifst er der Herr, wenn
seine Tugend zunichte wird, dann ist er nicht mehr Ernahrer
und auch nicht mehr Herr.
38. (9518.) In einem solchen Falle ist das Weib schuldlos
und nur der Mann schuldig, und auch wenn er die grofse
Siinde des Ehebruchs begeht, ist nur der Mann schuldig.
39. (9519.) Freilich steht fiir eine Frau ihr Gatte am
hochsten, er gilt fiir ihre hochste Gottheit, aber sie hat doch
einem seinem Selbste ahnlichen, gleichfalls hochsten Selbste
das Leben gegeben [anders Nil.].
40. (9520.) Die Frauen versiindigen sich nicht, der Mann
ist es, der sich versiindigt, denn weil bei alien derartigen
Handeln an ihnen gesiindigt wird, sind die Frauen nicht der
siindigende Teil.
41. (9521.) Er, an den keine Aufforderung von seiten des
Weibes zum Geschlechtsgenusse erging, der vielmehr seiner-
seits offen darauf die Rede brachte, er ist der schuldige Teil,
daran ist kein Zweifel.
42. (9522.) Dafs ein Weib, und besonders eine Mutter, der
eine so hohe Wiirde zukommt, nicht getotet werden darf, das
diirften sogar die unverniinftigen Tiere begreifen.
43. (9523.) Man weifs, dafs der Vater fiir sich allein ein
Inbegriff von Gottern ist, der Mutter aber naht man als einer
solchen, die vermoge ihrer Liebe ein Inbegriff von Sterblichen
und Gottern ist.
44. (9524.) Wahrend der Sohn in dieser Weise vermoge
seiner Saumseligkeit hin und her iiberlegte, war eine gar
lange Zeit verstrichen; — da kam sein Vater zuriick.
45. (9525.) Der weise Medhatithi, der askesefeste Gautama,
hatte sich wahrend dieser Zeit die Ubertretung der Ordnung
durch die Gattin iiberlegt
442 in. Mokshadharma.
46. (9526.) und sprach nun sehr bekiimmert, indem er aus
Schmerz Tranen vergofs, da er dank seinem Vedastudium
und festen Charakter Reue empfand:
47. (9527.) Der Herr der drei Welten, der Stadtezerstorer
(Indra) war zu meiner Einsiedelei gekommen und hatte, als
Oast auftretend, die Gestalt eines Brahmanen angenommen.
48. (9528.) Ich gewann ihn durch freundliche Worte, ehrte
ihn durch den Willkommensgrufs und verhalf ihm vorschrifts-
mafsig zur Gastspende und zum Fufswasser.
49. (9529.) Ich stehe ganz zu Diensten, so sprach ich, und
[erwartete], er werde sich infolgedessen freundUch zeigen,
und wenn dann etwas Unpassendes sich ereignet hat, so fallt
meinem Weihe der Fehltritt nicht zur Last.
50. (9530.) So trifft weder mein Weib noch mich, noch
den Wanderer, den Herrn der dreifsig Gotter, ein Vorwurf
der Pflichtverletzung, sondern ein Vorwurf trifft nur meine
L nbesonnenheit.
51. (9531.) Darum sagen die das Keuschheitsgeliibde Be-
folgenden, dafs Eifersucht zu Unheil fiihrt, von Eifersucht aber
war ich befallen und in einem Ozean von Ubeltat versunken.
52. (9532.) Ich habe sie getotet, die gute Frau, die leiden-
schaftlich geliebte, die ich als Gattin hatte schiitzen miissen,
wer hilft mir nun aus der Not!
53. (9533.) In einer Anwandlung von Schwache habe ich
dem hochherzigen Cirakarin den Befehl erteilt ; sollte er dies-
mal wirklich ein Cirakarin (Saumseliger) gewesen sein, so
konnte er mich vor dem Verbrechen bewahrt haben.
54. (9534.) 0 Saumseliger, Heil sei dir, Heil sei dir, o
Saumseliger, wenn du diesmal saumselig gewesen hist, so
tragst du deinen Namen Cirakarika mit Recht.
55. (9535.) Rette mich und die Mutter und den von mir
aufgesammelten Schatz von Askese und dich selbst vor Ver-
siindigungen, sei diesmal ein Cirakarika.
56. (9536.) Die Saumseligkeit ist dir vermoge deiner grofsen
Verstandigkeit angeboren, so moge sie von Erfolg gewesen
sein, sei diesmal ein Cirakarika.
57. (9537.) Lange fciramj wurdest du von deiner Mutter
ersehnt, lange in ihrem Leibe getragen, mache diesmal deine
Adhyaya 267 (B. 266). 443
Langsamkeit erfolgreich als der Langsamhandelnde (Cira-
karika).
58. (9538.) Mag er langsam handeln aus Kummer, mag
€1 lange iiber dem gewordenen Auftrage schlafen, wegen des
uns beide treffenden langen Rummers bedachtsam, o du Cira-
.karika! [Dieser Vers ist in B. in Paranthesen eingeschlossen.]
59. (9539.) In dieser Weise von Schmerz erfiillt, o Konig,
sail der grofse Rishi Gautama seinen Sohn Cirakari[n] sich
^egeniiberstehen.
60. (9540.) Als aber Cirakarin, von tiefem Schmerze er-
fiillt, seinen Vater erblickte, da warf er seine Waffe von sich
und naherte sich dem Vater gebeugten Hauptes, um ihn
^nadig zu stimmen,
61. (9541.) Als Gautama sah, wie sein Sohn sich mit dem
Haupte zur Erde neigte, und wie auch seine Gattin dastand
ohne Fassung [vor Scham versteinert, nach Nil.], geriet er
in grofse Freude.
62. (9542.) Fortan blieb diese Gattin nicht mehr von dem
Hochherzigen geschieden, selbst wenn er in der Einsamkeit
seine Einsiedelei bewohnte, und ebenso sein besonnener Sohn.
63. (9543.) Tote sie, so hatte der Befehl gelautet, wahrend
der Sohn mit der Waffe in der Hand gehorsam dagestanden
hatte, indes die Sache drangte und [der Vater] sich davon
machte, obwohl es doch seine Sache war.
64. (9544.) Und als er jetzt seinen Sohn sah, wie er sich
zu den Fiifsen des Vaters neigte, da kam ihm die Einsicht:
Meinen Leichtsinn, zur Waffe zu greifen, macht er wieder
gut durch seine Furcht [vor den Folgen].
65. (9545.) Lange lobte ihn darauf der Vater, lange kiifste
er ihn auf das Haupt, lange hielt er ihn in seinen Armen
und rief ihm zu: Mogest du lange leben.
66. (9546.) So geschah es, dafs der hochweise Gautama,
von Liebe und Freude erfiillt, zum Grufse folgendes Wort
sprach :
67. (9547.) Heil sei dir, o saumseliger Cirakarin, bleibe
lange ein Saumseliger, weil ich dir als Saumseligem, o Trauter,
langezeit ein vor Schmerz Bewahrter sein werde.
444 III- Mokshadharma.
68. (9548.) Und der weise Gautama, der Beste der MuniV,.
sang Lobhymnen, welche die Tugend der Langsamhandeln-
den, Besonnenen feierten:
69. (9549.) Langsam moge er den Freund an sich fesseln
und nur langsam den Gewonnenen aufgeben, denn der lang-
sam gewonnene Freund ist wert, lange festgehalten zu werden.
70. (9550.) Wer bei Liebe, Stolz, Hochmut, Betrug, Ubeltat
und bei unangenehmen Auftragen langsam handelt, der ist
zu loben.
71. (9551.) Wenn bei Verwandten, Freunden, Dienern und
Weibervolk ein Vergehen nicht klar zutage liegt, so ist e&
loblich, langsam zu handeln.
72. (9.552.) So wurde, o Bharata, dieser Gautama durch
diese Handlungsweise seines Sohnes, o Kurusprofs, dank
seiner Saumseligkeit erfreut.
73. (9553.) So wird ein Mensch, wenn er in alien An-
gelegenheiten iiberlegt und nur langsam seinen Entschlufs
fafst, vor langer Reue bewahrt.
74. (9554.) Lange halt er mit dem Zorn an sich, lange
halt er mit der Tat zuriick; dann wird kein Werk von ihm
vollbracht, das Reue nach sich ziehen kann.
75. (9555.) Lange sitze er zu Fiifsen der Alten, lange ihnen
huldigend ehre er sie, lange betreibe er die Pflicht, lange
beschaftige er sich mit der Forschung.
76. (9556.) Wenn er lange den Weisen huldigt, lange die
Gelehrten besucht und lange sich selbst ziigelt, so wird er
zu langdauernder Achtung gelangen.
77. (9557.) Und [so wie diese Rede] soil man auch die
Rede eines andern, wenn sie sich mit der Pflichterfiillung be-
schaftigt, nur langsam mitteilen, auch wenn man danach ge-
fragt wurde; dann wird man keine lange Reue erleiden.
78. (9558.) Nachdem der askesereiche Brahmane in jener
Einsiedelei noch viele Jahre lang seine Verehrung fortgesetzt
hatte, ist er zugleich mit seinem Sohne in den Himmel ein-
gegangen.
So lautet im Mokshadharma die Geschiehte von dem Saumseligen
(Vi/akdrika - updklnjdnam)
Adhyaya 268 (B. 267). 445
Aclliyaya 368 (B. 367).
Vers 9559-9595 (B. 1-36).
Yudhishthira sprach:
1. (9559.) Wie vermag ein Konig seine Untertanen zu
schiitzen, ohne dafs er irgendwie einmal [jemanden] hin-
richten lafst? Darnach frage ich dich, o Bester der Guten,
das erklare mir, o Grofsvater.
Bhishma sprach:
2. (95G0.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich die Unterredung des Dyumatsena mit
dem Konige Satyavant.
3. (9561.) Noch nicht Ausgesprochenes sprach Satyavant
aus, so wird erzahlt, als einige auf Befehl seines Vaters ab-
gefiihrt wurden, um hingerichtet zu werden:
4. (9562.) Das Recht wird zum Unrecht und das Unrecht
zum Recht! Mag auch die Hinrichtung ein Recht sein, so
sollte doch dergleichen nicht geschehen.
Dyumatsena sprach:
5. (9563.) Wenn die Hinrichtung ein Unrecht ist, wie kann
dann die Gerechtigkeit jemals bestehen? Wenn die Rauber
nicht getotet werden diirfen, o Satyavant, so wiirde Ariarchie
die Folge sein.
6. (9564.) „Dieses ist raein uhd jenes gehort ihm", [diese
Scheidung] konnte im Kali-Zeitalter nicht bestehen, und
Handel und Wandel ware unmoglich. Wenn du da Rat
weifst, so sage es uns.
Satyavant sprach:
7. (9565.) Alle die drei librigen Kasten miissen der Brah-
manenkaste unterworfen sein, dann wird auch jeder andere,
der nicht den Fesseln des Gesetzes unterworfen ist, ebenso
wie sie handeln.
8. (9566.) Und wenn einer von ihnen sich vergehen sollte,
dann soil ihm ein Zwiegeborener zureden, und wenn dieser
446 ni. Mokshadliarma.
sagt: der Mensch will nicht auf mich horen, so mag der
Konig strafend einschreiten.
9. (9567.) Was der Gesetzeskanon vorschreibt , ohne dafs
einer der Existenz beraubt wird, das mufs eingehalten und
nicht anders, nicht ohne Priifung der Tat und der entsprechen-
den Gesetzesvorschrift verfahren werden.
10. (9568.) Der Konig totet den Rauber, aber zugleich
mit ihm viele Unschuldige, denn zugleich mit dem Ver-
brecher werden Gattin, Mutter, Vater und Sohn mitbetroffen,
(9569.) darum moge der Konig, wenn sich einer gegen ihn
vergeht, die Sache sorgfaltig iiberlegen.
11. Auch ein nichtguter Mensch kann mitunter einen
guten Charakter sich aneignen. (9570.) Von einem Guten, aber
auch von Nicht- Guten kann eine edle Nachkommenschaft er-
zeugt werden.
12. Man braucht nicht die ganze Wurzel auszurotten,
das befiehlt kein ewiges Gesetz; (9571.) auch wenn man sehr
wenig von der Totung Gebrauch macht, kann eine Siihnung
des Verbrechens erreicht werden.
13. Durch Einschiichterung, Gefangenschaft, Verstiimme-
lung, (9572.) und Todesstrafe soil man sie nicht vor dem Ge-
richtshofe des Purohita qualen,
14. sondern wenn sie den Purohita angehen und um
Schutz bitten und sagen: (9573.) Wir woUen das Verbrechen
nicht wieder begehen, o Priester,
15. dann verdienen sie wohl losgelassen zu werden, das
ist das Gesetz des Schopfers. (9574.) Aber sogar ein mit Stab
und Fell daherkommender kahlkopfiger Brahmane mufs [unter
Umstanden] seine Ziichtigung erhalten.
16. Ja, je hoher einer steht, um so hoher mufs die Strafe
sein. (9575.) Vergeht sich einer zu wiederholten Malen, so
darf er nicht freigesprochen werden, wie beim ersten Male.
Dyumatsena sprach:
17. (9576.) Soweit nur immer zu irgendeiner Zeit die
Untertanen [ohne Strafe] im Zaume gehalten werden konnen,
braucht das Gesetz nur in Erinnerung gebracht zu werden,
solange es nicht ubertreten wird.
Adhyaya 268 (B. 267). 447
18. (9577.) Soil aber die Todesstrafe gar nicht mehr ver-
hangt werden, so gerat alios in Verfall; freilich die friiheren
und noch friiheren Geschlechter waren noch leicht zu regieren ;
19. (9578.) sie waren milde, wahrheitsliebend, selten be-
triigend und selten zornig. Zuerst war schon das „Pfui!'^
eine Strafe, ihm folgte als Strafe der Vorwurf.
20. (9579.) Oder es geniigte auch eine Vermogens-
schmalerung als Strafe, heute aber herrscht die Todesstrafe,.
und nicht einmal durch sie ist es moglich, niedrige Menschen
im Zaume zu halten.
21. (9580.) Ein Rauber hat keine Gemeinschaft mit den
Menschen, keine Gemeinschaft mit Gottern, Gandharven und
Manen : mit wem hatte er sie ? Er ist iiberhaupt kein Mensch
mehr.
22. (9581.) Er raubt die Lotosblume vom Leichenacker
und ist noch ein schlimmerer Damon als ein Pi^aca; wer
mochte mit diesen Unwissenden und Geistbetorten Gemein-
schaft machen? [mit C]
Satyavant sprach:
23. (9582.) Wenn du durch Enthaltung vom Toten die
Guten nicht hinreichend schiitzen kannst, so mache ein Endo
[statuiere ein Exempel], indem du irgendeinen friiher oder
spater dingfest machst.
24. (9583.) Die Konige legen sich ja, um die Welt in Ord-
nung zu halten, die grofste Askese auf, sie schamen sich
solcher Ubeltater und darum benehmen sie sich so,
25. (9584.) Aus Angst und nicht zu ihrem Vergniigen toten
sie als Wohltater [der Menschheit] die Bosewichter, denn
um ihnen wohlzutun regieren doch die Konige zumeist ihre
Untertanen.
26. (9585.) Und so folgt die Welt dem Beispiel des jedes-
mal Bessern, denn die Menschen richten sich immer nach
dem Vorbilde eines Lehrers.
27. (9586.) Wer sich selbst nicht im Zaume halt und andere
im Zaume halten will, wer den Dingen gegeniiber ein Knecht
seiner Sinnlichkeit ist, den verlachen die Menschen.
28. (9587.) Wer aus Trug oder Torheit gejen den Konig
448 ni. Mokshadharma.
etwas Unangemessenes begeht, der ist durch alle Mittel in
seine Schranken zu weisen, dann lafst er vom Bosen ab.
29. (i)588.) Seiner selbst mufs zuerst Herr werden, wer
des Bosen Herr werden will, dann mag er weiterhin selbst
die nachsten Verwandten mit schweren Strafen belegen.
30. (958!).) Denn wo den gemeinen Ubeltater nicht grofses
Leiden trifft, da nehmen die bosen Taten iiberhand und die
Gerechtigkeit geht unfehlbar in die Briiche.
31. (9690.) So hat es ein mitleidvoller , weiser Brahmane
Ijefohlen, und in diesem Sinne bin audi ich, o Freund, von
friiheren Vorfahren belehrt worden,
32. (9591.) welche aus Mitleid [ihremVolke] festesVertrauen
einzuflofsen suchten, indem sie folgendermafsen sprachen:
Diese Welt moge ein Konig im Krita-Zeitalter durch das erst-
genannte [gelindeste, oben, Vers 9578] Mittel beherrschen.
33. (9592.) Im Treta-Zeitalter moge er vorgehen mit dem
um ein Viertel verminderten Gesetze [vgl. oben, Vers 85oo fg.],
im Dvapara nur mit zwei Vierteln und mit einem Viertel
in dem letzten Zeitalter.
34. (9593.) Aber nachdem dieses Kali-Zeitalter eingetreten
ist, bleibt wegen der schlechten Fiihrung des Konigs und
vermoge der Verschiedenheit der Zeit [schliefslich] nur noch
ein Sechzehntel des Gesetzes bestehen.
35. (9594.) Dann wiirde durch das erstgenannte Mittel,
o Satyavant, Anarchie entstehen, daher mufs er in Anbetracht
des Lebensalters , der Fahigkeit und der Zeit Bufsen auf-
erlegen.
36. (9595.) Damit fiir die Erlangung des Wahren die grofse
Frucht der Gerechtigkeit hienieden nicht unzulanglich werde,
hat aus Mitleid mit den Geschopfen Manu Svayambhuva dieses
verkiindigt.
"( . So lautet im Mokshadharma
die Unterredung zwischen Dyumatsena und Satyavant
(Dyumatsena- Satyavant - sainrddu).
Adhyaya 269 (B. 268). 449
Adhyaya 269 (B. 268).
Vers 9596-9635 (B. 1-40).
Yudhishthira spracli:
1. (9596.) Der Yoga freilich vermag es, ohne Beeintrach-
tigung der Kreaturen seine sechs Vorzuge [Gottherrlichkeit,
Wissen, Ruhm, Schonheit, Entsagung und Pflichterfiillung,
Nil.] hervorzubringen ; aber nun sage mir, o Grofsvater, die-
jenige der beiden Pflichten, welche beider Frucht in sich befafst,
2. (9B97.) die der Hausvaterpflicht und die der Yogapflicht,
der einen wie der andern; beide stehen ja nicht weit von-
einander ab, was ist nun vorzuziehen, o Grofsvater?
Bhishma sprach:
3. (9598.) Beide Pflichten sind sehr hervorragend , beide
sind iiberaus schwer zu erfiillen, beide bringen grofse Frucht
und beide werden von Guten betrieben.
4. (9599.) Ich werde dir jetzt die autoritative Geltung der
beiden entwickeln; so bore, o Prithasohn, mit ungeteilter
Aufmerksamkeit mich an, der ich den Zweifel iiber den Sinn
des Gesetzes iiberwunden habe.
5. (9600.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich die Unterredung zwischen Kapila und
einer Kuh, die vernimm, o Yudhishthira.
6. (9601.) Eingedenk des alten, ewigen, unverbriichhchen
Branches wollte Nahusha einstmals [zu Ehren] des Tvashtar
eine Kuh schlachten, so wird erzahlt.
7. (9602.) Als sie schon an dem Pfosten angebunden war,
erblickte sie heiteren Geistes der wahrheitfeste , askesefrohe,
erkenntnisreiche, mafsige Kapila,
8. (9603.) und er, welcher zum hochsten, festgegriindeten,
furchtlosen, edlen, nicht wankenden, wahrhaften Bewufstsein
durchgedrungen war, sprach nur das Wort : „0 diese Veden !"
9. (9604.) Da geschah es, dafs ein Rishi mit Namen Syu-
maragrai in die Kuh hineinfuhr und aus ihr heraus folgender-
mafsen zu dem Asketen sprach: Ei, ei! wenn du sagen
kannst: o diese Veden! so mochte ich wissen, von wem sind
denn andere [bessere] Satzungen erdacht worden?
Deussen, Mah&bb&Tatam. 29
45G III. Mokshadharma.
10. (9605.) Askesereiche , Charakterfeste, in der Schrift-
wissenschaft Gelehrte sind dock der Meinung, dafs alles,
was im Veda vorkommt, . von dem Wesenskenner uns offen-
bart worden ist.
11. (9606.) Und wenn er, der Durstfreie, Leidlose, Wunsch-
lose, vollig Werkfreie in dieser Weise in den Veden sick ge-
aufsert kat, wie kann da einer nock etwas sagen wollen!
Kapila sprach :
12. (9607.) Ick tadle die Veden nickt und gedenke nickts
gegen sie zu sagen, aker in der Sckrift wird gelekrt, dafs
die Werke der Menscken in den versckiedenen Lebensstadien
alle dasselbe Ziel kaben.
13. (9608.) Auf dieses strebt der Entsagende [Sannyasin]
kin, auf dieses der Waldeinsiedler , auf dieses streben beide
kin, der Hausvater und der Brakmansckiiler.
14. (9609.) Denn es gibt vier ewige zu den Gottern fiikrende
fdevaydndhj Wege, und ikr grofserer oder geringerer Wert,
ikre Starke und Sckwacke kegt in ikrer Fruckt.
15. (9610.) Dieses wissend, soil man alle Dinge in Angriff
nekmen, das ist Vedalekre, und nickt anders soil man sie in
Angriff nekmen, das lekrt die unverbriicklicke Sckriftiiber-
lieferung.
10. (9611.) Wer sie nickt [anders] in Angriff nimmt, den
trifft keine Sckuld, wer sie aber [anders, d. k. okne Kenntnis
der Vedavorsckrift] in Angriff nimmt, der versilndigt sick
sckwer. So stekt es mit dem Kanon, und dock ist aus ilim
die Starke und Sckwacke [der zu den Gottern fiikrenden
Wege] sckwer zu erkennen.
17. (9612.) Wenn es nun in der Welt irgend etwas gibt,
von dem die Erfakrung, abgeseken von der Sckriftiiberliefe-
rung, lekrt, dafs es koker als die Nicktsckadigung steke, so
nenne mir das, wenn du kannst.
SyumaraQmi sprach :
18. (9613.) Immer wieder [z, B. Pancav. Br. 16,3,3] keifst
es in der Sckrift: „wer nack dem Himmel begekrt, soil
[dies oder das] opfern"; erst nackdem man die Fruckt in
Adhyaya 269 (B. 268). 451
Aussicht genommen hat, wird sodann das Opfer bewerk-
stelligt.
19. (9614.) Ziegenbock, Rofs, Widder, Kuh und alle Vogel-
arten und die zahmen und wilden Krauter dienen dem Prana
zur Nahrung, so lehrt die Schrift [vgl. Brih. Up. 0,1,14].
20. (9615.) Und dasselbe wird vorgeschrieben in bezug auf
die tagliche Mahlzeit abends und morgens, und auch Haus-
tiere und Getreidekorner bilden einen Teil des Opfers, wie
•die Schrift lehrt.
21. (9616.) Alles dies hat Prajapati zugleich mit dem Opfer
erschaffen, und dieses Opfer hat Prajapati, der Herr, den
Gottern dargebracht.
22. (9617.) Und so sind alle die siebenmal sieben Klassen
lebender Wesen, eines immer hoher stehend als das andere,
ja diese ganze Welt zum Opfer bestimmt bis hinauf zu dem,
was den hochsten Namen fiihrt [dem Purusha], wie die Veden
lehren (Eigveda 10,90,15).
23. (9618.) Das ist fiir zulassig erklart worden von den
Alton und den noch Alteren; wer, der dies weifs, mochte
nicht immer nach seiner Leistungsfahigkeit [das Beste zum
Opfer] aussondern.
24. (9619.) Tiere und Menschen, Baume und Krauter ver-
langen nach dem Himmel und kein Himmel ist ihneu
{sicherer] als durch dieses Geopfertwerden.
25. (9620.) Krauter, Tiere, Baume, Strauchwerk, Schmelz-
butter, Milch und saure Milch, Opferspeise, Erde, Himmels-
gegenden, Glaube und Zeit, das sind zwolf;
26. (9621.) dazu Rigverse, Yajus-Spriiche, Saman-Lieder
und der Opferherr macht sechzehn; Agni ist als Hausvater
■anzusehen und gilt als der siebzehnte.
27. (9622.) Dieses sind die Glieder des Opfers, das Opfer
aber ist die Wurzel [der Welt], wie die Schrift sagt. Durch
Schmelzbutter, Milch, saure Milch, Dung, Quark, Haut,
2^. (9623.) Haare, Horn und Fufs geht die Kuh in das
Opfer ein; so ist im einzelnen alles beschaffen, was bei ihm
vorgeschrieben ist.
29. (9624.) Diese Bestandteile, in das Opfer eingehend,
fiihren es empor mitsamt den abgelohnten Priestern, diese>
29*
452 in. Mokshadharma,
fassen das alles zusammen und bringen das Opfer in
Gang.
30. (9625.) Denn um beim Opfer zu dienen sind sie ge-
schaffen worden, wie die Schrift der Wahrheit gemafs lehrt^
so haben alle die vormaligen Menschen verfahren.
31. (9626.) Nichts totet oder vergewaltigt oder iiberlistet
der, welcher mit dem Gedanken : das Opfer mufs dargebracht
werden, ohne Verlangen nach Lohn opfert.
32. (9627.) Diese Bestandteile des Opfers, wie sie in ihrer
Keihenfolge das Opfer genannt werden, und wie sie durch die
Vorschrift mit Gebrauchsanweisung versehen sind, stiitzen
sich gegenseitig.
33. (9628.) Die heilige Uberlieferung, auf welcher die Veden
beruhen, sehe ich als eine von Eishi's herriihrende an; und
nach ihr richten sich die Weisen, indem sie das Brahmanam
als Richtschnur nehmen.
34. (9629.) Von Brahmanen hat das Opfer seinen Ursprung^
und durch Brahmanen ist es uns iiberliefert worden, die ganze
Welt ist dem Opfer entsprechend gebildet, und das Opfer ent-
spricht der Welt immerdar.
35. (9630.) Der Laut Om ist die Quelle des Veda, dazu
die Ausrufe: namas, svdhd, svadhd und vashat. Wer diese
benutzt und nach Kraften verwendet,
36. (9631.) fiir den gibt es in alien drei Welten keine
Furcht vor dem Jenseits, so lehren hienieden die Veden und
die vollendeten hochsten Weisen.
37. (9632.) Die Rigverse, Yajusspriiche und Samanlieder
mit ihren richtig vorgetragenen Modulationen , bei wem das
alles richtig vorhanden ist, der ist hienieden ein wahrer
Zwiegeborner.
38. (9633.) Was sonst noch bei der Feueranlegung und
Somapressung Branch ist, und was durch die anderen grofsen.
Opfer gewirkt wird, das weifst du ja, o Heiliger.
39. (9634.) Darum, o Brahmane, soil man ohne Bedenken
opfern und opfern lassen; wer nach der den Himmel be-
treffenden Vorschrift opfert, dem wird nach dem Tode als.
grofser Lohn der Himmel zuteil.
Adhy&ya 269 (B. 268). 453
40. (963).) Wer nicht opfert, dem wird wahrlich weder
diese Welt noch die andere Welt zuteil, fiir beides als Autoritat
sind die Kenner der Vedaworte anzusehen.
So lautet im Moksbadharma die Begebenheit zwischen Kapila und der Kuh
(go-kapilii/am).
Adhyaya 370 (B. 369).
Vers 9636-9706 (B. 1-68).
«
Kapila sprach :
1. (9636.) Das alles, soviel es ist, sehen die Asketen an
und verfolgen ihren Weg, fiir sie gibt es in aller Welt keine
Ubertretutig [weil sie dem Ritualgesetz nicht mehr unter-
worfen sind].
2. (9637.) Frei von den Gegensatzen, von Verehrung, von
den Fesseln der Wiinsche, verstandig, erlost von alien Siinden
wandeln sie dahin, rein und fleckenlos.
3. (9638.) Sie besitzen die Gewifsheit in betreff der Er-
losung, Entsagung und Erkenntnis, als Brahmanhafteste,
Brahmangewordene, in Brahman ihre Heimat Findende.
4. (9639.) Ihnen sind die kummerlosen, staubfreien, ewigen
Welten eigen; wozu brauchen sie, welche das hochste Ziel
erlangt haben, erst noch Hausvater zu werden?
SyfimaraQmi sprach:
5. (9640.) Zugegeben, dafs sie das hochste Ziel, den hochsten
Weg verfolgen, so kann doch, ohne sich auf die Hausvater
zu stiitzen, kein anderes Lebensstadium Bestand haben.
6. (9641.) Wie alle Wesen, nur sofern sie auf eine Mutter
sich stiitzen, ihr Leben haben, so konnen die iibrigen Lebens-
stadien nur bestehen, sofern sie auf den Hausvaterstand sich
stiitzen.
7. (9642.) Der Hausvater ist es, der opfert, er ist es, der
die Askese iibt, der Hausvater ist die Wurzel jeder Pflicht
fiir alles, was lebt und webt.
8. (9643.) Alle lebenden Menschen haben sich aus der
454 ni. Mokshadharma.
Zeugung und dem, was ihr folgt, entwickelt, und die Zeu-
gung ist aufserhalb des Hausvaterstandes nicht moglich.
9. (9644.) Und was die Graser und Krauter sind, und was
aufser ihnen noch auf den Bergen wachst [entsteht auch
durch Zeugiing, und durch sie alles andere], weil ohne die
Krauter, ohne ihr Leben keines denkbar ist.
10. (9645.) Wer konnte diese Behauptung als wahr hin-
stellen, dafs vom Hausvaterstande aus die Erlosung nicht er-
folgen konne! Nur von Unglaubigen, Unverstandigen , sub-
tiler Erkenntnis Ermangelnden,
11. (9646.) Auswiirf Hngen , Tragen, Matten, unter der
Arbeit Seufzenden, Unweisen wird die Hingabe an die Ruh&
nur im Waldeinsiedlertum gefunden.
12. (9647.) Denn als Ursache der drei Welten und ihre
ewige feste Begrenzung wird, als von Geburt an geheiligt^
^er geehrt, der den Namen Brahmane tragt.
13. (9648.) Schon vor ihrer Empfangnis werden heilige
Spriiche fur die Zwiegeborenen verwendet und sind wirksam
in Sachen des Glaubens und der Erfahrung [nach Nil.],
14. (9649.) bei der Leichenverbrennung und beim Eingang^
in einen neuen Leib, und nach diesem Eingange beim Trinken
und Essen, beim Schenken von Kiihen und anderem Vieh
und beim Eintauchen der Manenklofse ins Wasser.
15.. (9650.) Und auch die Abgeschiedenen, die Glanzreichen,,
die auf der Streu Sitzenden und die Fleischfressenden [arcish-
mantah, barJiishadah, kravydddh, „three classes of Pitris" nach
Pratapa Chandra Ray] sind der Meinung, dafs auch fiir den
Toten Spriiche und abermals Spriiche das Wirksame sind.
16. (9651.) Wenn dies die Veden uns entgegenrufen, wie
sollte dann fur irgendeinen [ohne den opfernden HausvaterJ:
die Erlosung moglich sein, zumal die Menschen gegen Manen,.
Gotter und Brahmanen in der Schuld sind.
17. (9652.) Von gliickverlassenen, tragen Gelehrten ist diese
Ignorierung der Vedaworte aufgebracht worden wie eine Liige^
die den Schein der Wahrheit hat.
18. (9653.) Nicht wird vom Ubel erfafst und fortgerafft
der Brahmane, welcher nach Vorschrift des Veda opfert^
Adhyaya 270 (B. 2G9). 465
empor zum Himmel steigt er mit den Opfertieren, und
selbst befiiedigt, befriedigt er auch ihre Wiinsche.
19. (9654.) Nicht durch Mifsachtung der Veden, nicht
durch Trug und Tauschung erlangt der Mensch Grofses,
sondern niir im Brahman (Veda) findet «r das Brahman.
Kapila sprach:
20. (9655.) Fiir den Weisen gab es das Neu- und Voll-
mondsopfer, das Agnihotram und die Viermonatsopfer, in
ihnen liegt ein ewiges Gesetz.
21. (9656.) Hingegen die nichts Unternehmenden , Wohl-
gefestigten, Reinen, die den Namen des Brahman tragen,
diese, nach UnsterbHchkeit verlangend, erfreuen die Gotter
nur durch ihr Brahman (heihgen Wandel).
22. (9657.) Wer auf alle Wesen hinbHckt als einer, der
zum Selbste aller Wesen geworden ist, an dessen Weg werderi
sogar die Gotter irre, verfolgend des Spurlosen Spur.
23. (9658.) Den Menschen, der vier Tore [Arme, Rede,
Bauch, Genitahen] und vier Pforten [Leib, Sinne, Manas,
Buddhi] hat, betritt er [der Atman] vermittelst der Be-
lehrung als vierfaltiger [Viraj, Sutratman, Antaryamin
und (^uddha; die Erganzungen nach Nil.]; dabei soil man
von Armen, Rede, Bauch und Genitalien aus deren Tor-
eingang als Torwachter zu bewachen suchen.
24. (9659.) Man spiele nicht mit Wlirfeln, man nehme
kein fremdes Eigentum, man befasse sich nicht mit der
gekochten [Opferspeise, Nil.] eines Unebenbiirtigen
fayomyaj; erziirnt, moge der Weise nicht zu Tatlich-
keiten schreiten, so werden seine Hande und Fiifse wohl
bewacht sein,
25. (9660.) Er lasse sich nicht zu Schmahungen fort-
reifsen, er fiihre nicht lose Reden, er befasse sich nicht
mit Angeberei und Nachrede; er sei wahren Geliibdes,
mafsvoller Rede und besonnen, dann ist bei ihm das Tor
der Rede wohlbewacht.
26. (9661.) Er enthalte sich nicht der Speise, nehme
aber auch nicht viele Speise zu sich, sei ohne Habgier
und in Gesellschaft der Guten, nehme Nahrung nur ein,
456 UI- Mokshadharma.
um sein Leben zu erhalten, dann ist bei ihm das Tor
des Bauches wohlbewacht.
27. (9662.) Er soil sich nicht mit einem Weibe, die
eines Edlen Gattin ist, vergniigen, er soil auch nicht ein
Weib durch Unwahrheit an sich locken, das Ehegeliibde
bewahre er treu im Herzen, dann ist bei ihm das Tor
der Genitalien wohlbewacht.
28. (9663.) Wer als Weiser alle diese Tore wohlbewacht,
Genitalien, Bauch, Arme und Rede, der ist ein wahrer Zwie-
geborener [wohl dvijah zu lesen].
29. (9664.) Alles aber ist nutzlos flir den, der diese Tore
nicht bewacht; was niitzt ihm Askese, was Opfer, was der
Atman !
30. (9665.) Wer kein Ubergewand tragt, keine Streu als
Lager benutzt, nur die Arme als Kopfkissen hat und be-
ruhigten Gemiites ist, den erkennen die Gotter als einen
Brahmanen an.
31. (9666.) Wer an der Ruhe vor alien Gegensatzen einzig
als Weiser seine Freude hat und sich um die anderen nicht
bekiimmert, den erkennen die Gotter als einen Brahmanen an.
32. (9667.) Wer alles vollkommen erkannt hat, die Ur-
natur (prahritij und ihre Entfaltungen und die Ziele aller
Wesen kennt, den erkennen die Gotter als einen Brah-
manen an.
33. (9668.) Wenn einer sich vor alien Wesen nicht mehr
fiirchtet und alle Wesen nicht mehr vor ihm, wer zum Selbste
aller Wesen geworden ist, den erkennen die Gotter als einen
Brahmanen an.
34. (9669.) Die Menschen aber nehmen ununtwbrochen zu
ihrer Richtschnur die Frucht von Gaben, Opfern und Zere-
monien, indem sie alles jenes [Gesagte] verkennen, da etwas
anderes sie als Frucht lockt.
35. (9670.) Von solchen, welche sich auf die vermoge ihrer
Werke betriebene, furchtbare Askese stiitzen, haben sie dieses
als alten, ewigen, unverbriichlichen guten Wandel iiber-
nommen,
36. (9671.) und doch sind sie nicht imstande, dasjenige,
was [in Wahrheit] im Gesetze vorgeschrieben wird, irgendwie
Adhy&ya 270 (B. 269). 457
zu erfiillen, denn der Wandel, welcher es sich zum Gesetze
macht, kein Unheil [durch Totung] anzurichten, ist der wahr-
haft besonnene und unumstofsliche;
37. (9672.) sie aber sehen nur auf die fruchtbringenden
Werke, welche ihnen als gediegen entgegenglanzen und doch
kraftlos sind und des einen wahren Zieles entbehren.
38. (9673.) Auch sind die dabei [beim Opfer] wirkenden
Faktoren sehr schwer zu erkennen und, werden sie erkannt,
sehr schwer in die Tat umzusetzen, und wenn sie auch rich-
tig ausgefiihrt sind, so bringen sie doch nur endHche Frucht,
das siehst du selbst wohl ein.
SyftmaraQmi sprach :
39. (9674.) [Wie kann es zusammen bestehen], dafs der
Veda die Richtschnur, und dafs doch die Entsagung das
wahrhaft Fruchtbare ist? Das sind doch offenbar zwei ver-
scl)iedene Wege! Erklare mir das, o Heihger.
Kapila sprach:
40. (967.').) Wenn ihr hienieden euch auf einem richtigen
"Wege befindet, so habt ihr dabei ein sichtbares [Ziel] vor
Augen; was ist denn nun das sichtbare Ziel dabei, was ihr
so hochschatzt?
Syftmara^mi sprach:
41. (9676.) 0 Brahmane, ich, Syumaragmi, bin hierher ge-
kommen, um mich zu belehren, aus Verlangen nach dem
Heil babe ich dich angesprochen in ehrhcher Absicht und
nicht um blofs zu reden.
42. (9677.) Und diesen furchtbaren Zweifel mogest du,
o Heihger, mir losen. Wenn ihr hienieden euch auf einem
richtigen Wege befindet, so habt ihr dabei ein sichtbares
{Ziel] vor Augen, (9678.) was ist denn nun das so sehr sicht-
bare Ziel, was ihr hochschatzt
43. als den Inhalt der heiligen Uberlieferung als soldier
und abgesehen von den argumentierenden Lehrbiichern?
(9679.) Die heilige Uberlieferung besteht in den Worten dos
458 HI. Mokshadharma.
Veda, aber [gewisse] argumentierende Lehrbiicher sind auch
heilige Uberlieferung.
44. Nach dem Lebensstadium, in dem man steht, richtet
sich das, was man [als Pflicht] hochschatzt, dann kommt die
heilige Uberlieferung zu ihrem Rechte, (9680.) und dafs sie zu
ihrem Rechte komme, darin besteht das sichtbare Ziel, denn
dies ist klarlich iiberliefert.
45. Wie ein Schiff, welches an ein anderes SchiflF ge-
bunden ist, durch dessen Dahinschiefsen mit fortgerissen wird;,.
weil es gebunden ist, (9681.) — wie kann einer, o Brahmane,.
sich von seinen irrigen Ansichten freimachen? Das mogest
du, o Heiliger, mir sagen, ich komme als Schiiler, belehre
mich, o Herr.
46. (9682.) Es gibt keinen Entsagenden, keinen Zufriedenen,.
keinen Kummerlosen, keinen von Krankheit Freien, keinen
Wunschlosen [lies : na virvidhitsah] , keinen Insichgekehrten,.
keinen von der Welt Abgekehrten, wer es auch sei.
47. (9683.) Auch ihr freut euch und betriibt euch, so gut
wie wir; auch euch sind die Sinnendinge mit alien iibrigen
Geschopfen geraeinsam.
48. (9684.) Da dieses in bezug auf die Tatigkeit der vier
Kasten und Lebensstadien, welche alle auf demselben Grunde
stehen, klar ist, was gibt es da, was wirklich gesund ware ?
Kapila spracli:
49. (9685.) Jeder Kanon, den einer sich bei seinem Tun
als Richtschnur nimmt, fiihrt zum Ziele, und was auch immer
einer recht betreibt, das ist iiber Anfeindungen erhaben.
50. (9686.) Die Erkenntnis lenkt das Schiff eines jeden>
der die Erkenntnis zur Richtschnur nimmt; eine Handlungs-
weise, welche von der Erkenntnis abweicht, bringt die Leute
ins Verderben.
51. (9687.) Wenn ihr die Erkenntnis habt, dann seid ihr
sicherlich in jedem Sinne unanfechtbar, und zur Einheit mit
dem Atman kann jeder irgend einmal gelangen.
52. (9688.) Aber manche Menschen, welche, vertrauend auf
die Macht ihrer Rede, den Kanon nicht in Wahrheit verstehen^
Adhyaya 270 (B. 269). 459
werden von Begierde und Hafs iiberwaltigt und geraten unter
die Herrschaft des Ahaiikara (der Selbstsucht).
53. (9689.) Die wahre Wesenheit der Lehrbiicher nicht
verstehend, sind sie nur die Sklaven der Lehrbiicher, Diebe
an Brahman, ohne Halt, dem Trug und der Tauschung hin-
gegeben.
54. (9690.) Sie sehen iiberall nur Untugend und mogen
sich daher nicht mit Tugenden befassen; sie sind das ver-
korperte Tamas, und Tamas ist ihr hochstes Ziel.
55. (9691.) Wer ein der Prakriti gemafser Mensch ist und
unter der Herrschaft der Prakriti steht, dem sind zu eigen
Hafs und Begierde, Zorn, Trug, Unwahrheit und Rausch,
(9G92.) und diese aus der Prakriti entspringenden Eigenschaften
haften ihm immerdar an.
56. Wer in dieser Weise nach reiflicher Uberlegung die
Sache ansieht, der lafst Gutes und Boses hinter sich, (9693.) es
sind die, welche nach dem hochsten Ziele trachten, als Selbst-
bezwinger, der Bezwingung froh.
SyiimavaQmi sprach :
57. (9694.) Das alles ist [auch] von mir, o Brahmane, auf
Grund des Schriftkanons verkiindet worden, denn ohne
Kenntnis des Schriftinhalts kann das rechte Tun nicht er-
folgen.
58. (9695.) Jeder vernunftgemafse Lebenswandel entspricht
dem ganzen Kanon, so lehrt die Schrift, und was nicht ver-
nunftgemafs ist, das ist auch gegen den Kanon, das ist es,
was die Schrift lehrt.
59. (9696.) Nicht gibt es ein rechtes Tun ohne den Schrift-
kanon, das ist ganz gewifs, und was den Vedavorschriften
widerstreitet, das geht gegen den Kanon an, so lehrt die
Schrift.
60. (9697.) Viele, welche sich an die erscheinende Welt
halten, haben eine von der Schrift abweichende Anschauung
(ihre Erkenntnis ist durch Unwissenheit getrubt, sie er-
mangeln der Erkenntnis und sind von TamaS umhiillt, —
dies nur in C), (9698.) sie sehen nicht ihre von der Schrift
geriigten Fehler und leiden doch so gut wie wir [die wir
460 III. Mokshadharma. #
unsere Versiindigungen gegen die Schrift empfinden]; denn
auch euch sind die Sinnendinge [und ihre Qual] mit alien
iibrigen Geschopfen gemeinsam.
61. (9699.) Da dieses in bezug auf die Tatigkeit der vier
Kasten und Lebensstadien, welche alle auf demselben Grunde
stehen, alliiberall klar ist,
62. (9700.) so ist es nur fiir einen, welcher die Ewigkeit
preist, die Kraft dazu hat und seinen Geist auf sie richtet, , —
denn [bei uns iibrigen] ist die Erkenntnis durch Unwissen-
heit getriibt, [wir] ermangeln der Erkenntnis und sind von
Tamas umhiillt [dies nur in B.]. —
63. nur fiir diesen Einen, dem Yoga Hingegebenen, wel-
cher in jedem Sinne seine Aufgabe vollendet hat, (970i.) ist es
moglich, allein von dem gereichten Bissen lebend mit Be-
herrschung seines Selbstes (C. alliiberall) umherzuschweifen,
(nur fiir diesen, der sich auf Streiten nicht mehr einlafst, in
sich klar ist und Beherrschung seines Selbstes besitzt, — dies
nur in C.)
64. (9702.) nur fiir diesen ist es moglich, gestiitzt auf
[gewisse] Vedalehren, zu behaupten, das sei die Erlosung,
indem er dabei vom Schriftkanon, der unsere Kegel ist, ab-
geht und alle Welt tadelt.
65. (9703.) Unser Werk aber, welches auf eine Famihe
sich stiitzt, ist sehr miihsam auszufiihren : zu spenden, zu
studieren, zu opfern, Kinder zu zeugen und dabei recht-
schaflfen zu bleiben.
66. (9704.) Wenn einer das alles tut und dadurch nicht
die Erlosung erreichen soil, dann ist es schade um den Tater
und seine Werke, denn alle seine Miihe ist verloren.
67. (9705.) Nein! Jedes andere Verhalten, das dem Veda
den Riicken kehrt, ist Nihilismus. Wie so etwas zur ewigen
Erlosung fiihren soil, das mochte ich, o Heiliger, sogleich
von dir horen.
68. (9706.) Sage mir die Wahrheit, o Brahmane, ich will
dein Schiiler sein, belehre mich, o Meister! Wie die Erlosung
von dir verstanden wird, das mochte ich gern von dir lernen.
So lautet im Mokshadharma die Begebenheit zwischen Kapila und der Kuh
(go - kapiltyam).
Adhyaya 271 (B. 270). 461
Adhyftya 2U (B. 370).
Vers 9707-S>754 (B. 1-47).
Kapila sprach:
1 . (9707.) Die Veden sind Autoritat fiir alle Welten, nicht
handelt es sich um ein Verfahren, das dem Veda den Riicken
kehrt. Aber: Zwei Brahman's mufs der Mensch kennen, das
Wortbrahman und das liochste,
2. (9708.) wer im Wortbrahman bewandert ist, erreicht
auch das hochste Brahman (vgl. oben Vers 8540 fg.). Das
Wesen des Leibes macht das aus, was [als Empfangnis-
zeremonie usw. Nil.] in der Vedavorschrift den Leib bildet.
3. (9709.) Denn der Brahmane, dessen Korper in reiner
Weise gebildet wurde, ist ein wiirdiges Gefafs; in diesem
Sinne verstehe die ewige Erlosung [als Frucht] der Werke,
ich will sie dir erklaren,
4. (9710.) wie sie besteht [auch] ohne heilige Lehre und
phne Tradition als eine sichtbare und von der Welt bezeugte.
Diejenigen, welche die Opfer nur aus Pflichtbewufstsein und
ohne Hoffnung auf Lohn ausiiben,
5. (9711.) sind zum Entsagen durchgedrungen, frei von
Begehren, von Mitleid und Unzufriedenheit unberiihrt; das
ist der Weg zum Reichtum, dafs man Wiirdige beschenkt.
6. (9712.) Niemals auf bose Wege geratend, aber doch
dem Werke hingegeben, an Geist und Gedanken vollkommen,
im sicheren Besitze reiner Erkenntnis,
7. (9713.) frei voii Zorn und Murren, ohne Eigenliebe und
Selbstsucht, in der Erkenntnis fest, dreimal rein und am
Wohlsein aller Wesen sich erfreuend,
8. (9714.) so waren von je meistenteils die Hausvater, in
ihren Werken ohne Ubertretung beharrend, und so waren
auch die ihrer Aufgabe hingegebenen Konige und die nach
der Vorschrift lebenden Brahmanen.
9. (9715.) Gleichmiitig waren sie und gradsinnig, zu-
frieden und im sicheren Besitz der Erkenntnis, ihre Pflicht
klar vor Augen habend, rein, glaubig im hochsttn und ticfsten
[Brahman].
462 III. Mokshadharma.
10. (9716.) Von altersher wohlbereiteten Geistes und ihre
Geliibde geziemend beobachtend, befolgten sie das Gesetz,
auch in Elend und Not treu zusammenhaltend.
11. (9717.) Und indem sie treu zusammenhaltend das Ge-
setz iibten, war dieses von jeher ihre Freude und niemals
brauchte ihnen eine Siihne auferlegt zu werden.
12. (9718.) Denn die wahrhafte Pflicht iibend, galten sie
fiir volhg uniiberwindhch , sie dienten nicht der Sinnenwelt,
noch im geringsten dem Schein der Pflicht.
13. (9719.) Nur die vorziiglichste Moglichkeit wahlten sie
sich gemeinsam als Richtschnur, und niemals brauchte ihnen
eine Siihne auferlegt zu werden.
14. (9720.) Denn fiir solche, welche diese Vorschrift be-
harrlich verfolgen, ist keine Siihne erforderlich, nur fiir einen
schwachen Charakter besteht die Siihnung, so lehrt die Schrift.
15. (9721.) Von dieser Art gab es in alter Zeit viele opfer-
bringende Priester, grofsgezogen in der dreifachen Wissen-
schaft, rein, von gutem Wandel und ruhmreich,
16. (9722.) Tag fiir Tag die Opfer vollbringend, festhaltend
an der Wunschlosigkeit und weise. Bei denen waren Opfer
und Veden und Werke der heiligen Uberlieferung gemafs,
17. (9723.) das Vedastudium erfolgte zur rechten Zeit und
die Entschliefsungen am rechten Orte, bei ihnen, welche frei
von Begierde und Zorn, einem schwer zu befolgenden Wandel
oblagen
18. (9724.) und, scharf ihre eigenen Werke betreibend, von
Natur gescharften Geistes, geradsinnig, in der Gemiitsruhe
bestandig, ihrer eigenen Werke sich befleifsigten,
19. (9725.) diesen war die vollstandige ewige Erlosung
gewifs, so lehrt uns die unvergangliche Schrift. Von ihnen,
welche unverdrossenen Gemiites einen schwer zu vollbringen-
den Wandel iibten
20. (972G.) und mit den ihnen obliegenden Werken iiber-
hauft waren, wurde eine furchtbare Askese geiibt. Von solchen
aber, welche diesen guten, wunderbaren, alien, ewigen, festen
Wandel
21. (9727.) nicht irgendwie einzuhalten vermochten, nament-
Jich nicht die Feinheit in den Gesetzesbestimmungen — denn
Adhyaya 271 (B. 270). 463
<ier Wandel, welcher es sich zum Gesetze macht, kein Unheil
[(lurch Totung] anzurichten, ist der wahrhaft besonnene und
unumstofsliche,
22. (!)728.) und durch ihn gab es in alien entstandenen
Kasten keinerlei Ubertretung, — von solchen wurde, wie die
Brahmanen wissen, die eine Lebensordnung in die vier Lebens-
«tadien zerlegt.
23. (972i).) Diese [neu geschaffene Ordnung] sich an-
eignend, gelangen die Guten zum hochsten Ziel. Die einen,
aus dem Hausvaterstande austretend, ziehen [als Vanaprastha]
in den Wald hinaus,
24. (i)730.) nachdem sie vorher sich dem Hause gewidmet
hatten. Von beiden verschieden sind die Brahmanschiiler, und
-alle diese sind es, welche, als Zwiegeborene zu Sternen ge-
Avorden, am Himmel sichtbar sind,
25. (9731.) wie die Mondhauser an ihren bestimmten Platzen
als zahlreiche Sternhaufen, nachdem sie die ewige Erlosung
•dank ihrer Vollberuhigung erlangt haben, — so lehrt's der
Veda.
26. (9732.) Und wenn solche wiederum zum Samsara zu-
riickkehren und in einen Mutterschofs eingehen, so werden sie
•doch niemals durch Ubeltaten befleckt, welche aus [friiheren]
Werken entspringen.
27. (9733.) So steht es mit dem Brahmanschiiler, welcher
<lem Lehrer gehorsam und in erhabener Sicherheit dasteht;
wer so sich hingab, der ist ein wahrer Brahmane, jeder
andere ist ein Schein-Brahmane.
28. (9734.) In dieser Weise gehort das Werk dem Menschen
an, so heifst es, mag es gut oder bose sein. Die, welche so
von Siinde gereinigt sind durch das Bewufstsein des Ewigen
und durch die Schrift,
29. (9735.) denen wird die voile ewige Erlosung zuteil, so
lehrt uns die unvergangliche Schrift, ihnen, welche von
Begierde ftrislmdj freigeworden , reingewaschen und edlen
Wesens sind.
30. (9736.) Die vierte Pflicht, welche in den Upanishad's
gelehrt wird, ist gemeinschaftlich fiir alle, so bestatigt es
<die Tradition {sntritij; sie wird von den Vollendeten allezeit
464 ni. Mokshadharma.
vollbracht, von den Brahmanen, die sich selbst bezwungen
haben.
31. (9737.) Ihre Wurzel ist Zufriedenheit, ihr Wesen Ent-
sagung, das Wissen wird ihr Standort genannt, sie ist die
Erlosung verleihende Erkenntnis, die ewige, unvergangliche
Pflicht des Selbstbezwingenden.
32. (9738.) Mag sie [mit den iibrigen drei Agrama's] ver-
bunden oder fiir sich allein stehen, man iibt sie nach Kraften,
sie ist jedem zuganglich, der so oder so zum Frieden ge-
langt, und nur der Schwache erlahmt in ihr, (9739.) aber der
Reine, der nach der Statte des Brahman strebt, wird aus
dem Samsara erlost.
Syumaragmi sprach:
33. (9740.) Diejenigen, welche geniefsen, welche schenken,
welche opfern und welche studieren, und wiederum diejenigen,
welche infolge ihrer Erkenntnis der Sinnenwelt sich der Ent-
sagung weihen,
34. (9741.) welcher von diesen alien ist nach dem Tode
der am sichersten den Himmel Gewinnende? Das sage, o
Brahmane, mir, der ich dich mit Bestimmtheit befrage.
Kapila sprach:
35. (9742.) Alle jene schonen Lebenstatigkeiten tragen
zur Tugendhaftigkeit bei, erreichen aber nicht die Wonne der
Entsagung, das wirst auch du einsehen.
Syumaragmi sprach:
36. (9743.) Ihr beharrt bestandig in der Erkenntnis, und
der Hausvater verlafst sich auf die Werke, aber in bezug
auf das Endziel sind alle Lebensstadien einig, wie man weifs.
37. (9744.) Mogen sie als Einheit oder voneinander ge-
sondert betrachtet werden, in diesem Punkte sind sie nicht
voneinander verschieden. Wie das der Vernunft nach sich
verhalt, das sage mir, o Heiliger.
Kapila sprach:
38. (9745.) Die Werke sind Lauterung des Leibes, die Er-
kenntnis ist das hochste Ziel. Wenn die Siinde durch die
Adhyaya 271 (B. 270). 465
Werke abgeschmolzen ist und das Bewufstsein des Ge-
schmackes [an dem Hochsten] sich einstellt,
39. (9746.) dann folgen Wohlwollen, Geduld, Beruhigung,
Nicht-Schadigung, Wahrhaftigkeit , Geradheit, Redlichkeit,
Freiheit von Hochmut, Schamhaftigkeit , Ausdauer und Ge-
miitsruhe.
40. (9747.) Das sind die Pfade, welche zu Brahman fiihren,
durch sie erlangt man, was das Hochste ist; dieses wissend,
moge man im Geiste den bestimmten Wert der Werke ver-
stehen.
41. (9748.) Der Weg, welchen die in jeder Hinsicht be-
ruhigten, gelauterten, erkenntnisfesten Brahman en mit Freudig-
keit gehen, das ist der hochste Weg.
42. (9749.) Wer die Veden und das zu Wissende nach
seiner Bedeutung erkannt hat, wer so ist, der wird ein Veda-
kenner genannt, jeder andere ist nur ein Windmacher.
43. (9750.) Wer den Veda kennt, der kennt alles, im Veda
ist alles gegriindet, denn im Veda ist das Fundament fiir
alles zu finden, fiir das Seiende und fur das Nicht-Seiende.
44. (97B1.) Das ist das Fundament alliiberall dessen, was
ist und was nicht ist, fiir den, der das Ende und die Mitte,
das Seiende und das Nicht-Seiende versteht.
45. (9752.) Mit dem Worte Entsagung wird alles gesagt,
was im Veda aufgestellt ist; das Wort Befriedigung folgt
ihm nach, in der Erlosung wurzelnd.
46. (9753.) Recht, Wahrheit, Gewufstes, Wifsbares, All-
seele, Bewegliches und Unbewegliches, alle Freude, was
selig macht und mehr als das, das unoffenbare Brahman,
der Urgrund, das Unvergangliche,
47. (9754.) Energie, Geduld, Beruhigung, Gesundheit,
Schonheit und was dem gleich ist, der ewige feste
Himmel, durch alle diese wird es mit den Augen der Er-
kenntnis errungen, ihm sei Verehrung, dem Brahman
und dem Brahmantrager.
So lautet im Mokshadharma die Begebenheit zwischen Kapila und der Kuh
(yo-kapiliyamj.
Dettssbk, Mahftbh&ratam. 30
466 ni. Mokshadharma.
Adhyaya 373 (B. 371).
Vers 9755-9810 (B. 1-56).
Yudhishthira sprach:
1. (9755.) Die Veden, o Bharata, riihmen das Gute, das
Niitzliche und das Angenehme; welches von diesen dreien zu
eriangen ist am wiinschenswertesten ? Das sage mir, o Grofs-
vater.
Bhishma sprach:
2. (9756.) Dariiber will ich dir eine alte Geschichte er-
zahlen von dem, was einstmals Kundadhara aus Liebe einem
Verehrer zu Nutzen getan hat.
3. (9757.) Ein gewisser armer Brahmane betrieb das Gute
um des Angenehmen willen und iibte, nach dem Niitzlichen
trachtend, um des Opfers willen grausame Askese.
4. (9758.) Nachdem er sich darin befestigt hatte, verehrte
er die Gotter, aber trotz der Verehrung, die er den Gottern
zollte, gelangte er nicht zu Reichtum.
5. (9759.) Da kam er auf den Gedanken: Welche Gott-
heit, deren Ohr von Menschen noch nicht betaubt ist, mochte
mir sogleich gnadig sein?
6. (9760.) Da sah er einen Diener der Gotter, den Wolken-
genius Kundadhara mit freundlicher Gesinnung vor sich
stehen.
7. (9761.) Als er diesen Grolsarmigen erblickt hatte, fiililte
er Zuneigung zu ihm und dachte: Dieser wird mir Gliick
bringen, denn von solcher Art ist seine Gestalt;
8. (9762.) er steht sicher einer Gottheit nahe und wird
nicht von anderen Menschen umlagert; der wird mir Eeich-
tum verschaffen, machtig viel und in kurzer Zeit.
9. (9763.) Und der Brahmane begann ihn mit Raucher-
werk, Wohlgeriichen, bunten Kranzen und mancherlei Spenden
zu verehren.
10. (9764.) Da wurde der Wolkengenius in kurzer Zeit
freudig gestimmt und sprach zu ihm das folgende, zur Hilfe-
leistung verbindende Wort:
Adhyaya 272 (B. 271). 467
11. (9765.) „Fur einen Brahmanenmorder, einen Brannt-
weintrinker, einen Dieb, einen Geliibdebrecher ist von den
Guten eine Siihnung vorgeschrieben, — fiir einen Undankbaren
gihi es keine Siihnung.
12. (9766.) Des Wunsches Tochter ist die Ungerechtig-
keit, der Zorn ist der Sohn der Unzufriedenheit, die Hab-
sucht ist das Kind der Gemeinheit, der Undankbare ziichtet
keine Nachkommenschaft [die noch schlimmer ware]."
13. (9767.) Darauf begab es sich, dafs dieser Brahmane
"durch die Zauberkraft des Kundadhara, wahrend er auf einer
Streu von KuQagras schlief, alle Wesen schaute.
14. (9768.) Vermoge seiner Gemiitsruhe, Askese und From-
migkeit sah der von Gliicksgiitern. entblofste, herzensreine
Brahmane in der Nacht ein Traumgesicht.
15. (9769.) Er sah namhch vor sich stehen im Kreise der
Ootter den glanzreichen und edelgesinnten Manibhadra [einen
Bruder des Kubera, des Gottes des Reichtums], wie er seine
Verfiigungen traf, o Yudhishthira.
16. (9770.) Dabei verliehen die Gotter Konigreiche und
Schatze, wo sie durch gute Werke giinstig gestimmt worden
waren, und entzogen sie den Bosen.
17. (9771.) Und wahrend alle Yaksha's zusahen, neigte sich
<ier glanzreiche [WolkengeniusJ Kundadhara und warf sich
vor den Gottern nieder, o Stier der Bharata's.
18. (9772.) Aber der hochherzige Manibhadra, von den
<jrottern dazu aufgefordert (tu devavacandt, C), sprach sodann
2u ihm , der vor ihm auf dem Boden lag : o Kundadhara,
was ist dein Begehr?
Kundadhara sprach :
19. (9773.) Wenn die Gotter mir gnadig sein wollen, so
ist da ein mir treuergebener Brahaiane, fiir den erbitte
ich als Gnade, dafs etwas geschehe, was seinem Gliicke
aufhilft.
20. (9774.) Darauf sprach Manibhadra zu diesem glanz-
reichen Kundadhara, von den Gottern dazu aufgefordert,
wiederum folgendes Wort:
30*
468 HI. Mokshadharma.
Manibhadra sprach:
21. (9775.) Steh auf, steh aiif, Heil sei dir, dein Wunscli
sei gewahrt, sei gliicklich! Wenn jener Brahmane nach Reich-
turn begehrt, so mag ihm Reichtum gegeben warden.
22. (9776.) Soviel Reichtum jener Brahmane, dein Freund,.
begehren mag, soviel will ich ihm auf Befehl der Gotter an
unermefslichem Reichtum geben.
23. (9777.) Da bedachte Kundadhara das Schwankende
und Unsichere des Menschenwesens, und er richtete seine
Absicht fiir den Brahmanen auf Askese, o Yudhishthira.
Kundadhara sprach:
24. (9778.) Ich bitte nicht um Reichtum fiir meinen Brah-
manen, o Schatzespender, ich wiinsche, dafs meinem Ver-
ehrer eine andere Gnade verhehen werde.
25. (9779.) Nicht wiinsche ich fiir meinen Verehrer die
ganze mit Edelsteinen erfiillte Erde, nicht etwas Grofses,
keinen Haufen von Juwelen, sondern ich wiinsche, dafs er
ein rechtschaffener Mann werde.
26. (9780.) Moge sein Geist sich an Gerechtigkeit erfreuen>
moge er von Gerechtigkeit leben, Gerechtigkeit sei sein Hoch-
stes; das habe ich mir als Gnade fiir ihn ausgedacht.
Manibhadra sprach :
27. (9781.) Gerechtigkeit bringt jederzeit als Frucht Herr-
schaft und mancherlei Freuden, moge er diese Friichte ge-
niefsen frei von korperUchen Plagen.
Bhishma (der Erzahler) sprach:
28. (9782.) Darauf wiederholte der hochberiihmte Kunda-
dhara mehrfach seine Bitte um [Verleihung von] Gerechtig-
keit, und die Gotter waren erfreut dariiber.
Manibhadra sprach:
29. (9783.) Alle Gotter sind zufrieden mit dir und ebensa
mit jenem Zwiegeborenen, er soil gerechten Wesens werden
und auf Gerechtigkeit seinen Sinn richten.
30. (9784.) Da freute sich der "Wolkengenius, da er seinen
Adhyaya 272 (B. 271). 469
Zweck erreicht, o Yudhishthira, und die in seinem Herzen
gewiinschte und von anderen schwer zu gewinnende Gabe
€rlangt hatte.
31. (9785.) Da erblickte der Beste der Zwiegeborenen feine
Kleider, welche neben ihm ganz nahe ausgebreitet lagen, und
fand an ihnen kein Wohlgefallen.
Der Brahmane sprach :
32. (9786.) Der da oben beachtet meine frommen Werke
nicht, welcher andere Gott wird sich dann aus meinen
Leistungen etwas machen! Ich gehe in den Wald, es ist
l)esser, der Gerechtigkeit zu leben.
Bhishma (der Erzahler) sprach:
33. (9787.) Vermoge seiner Weltverdrossenheit und der
Gnade der Gotter ging der Beste der Zwiegeborenen darauf
in den Wald und iibte gewaltige Askese.
34. (9788.) Von dem, was die Gotter und die Gaste iibrig
liefsen, von Friichten und Wurzeln nahrte sich der Zwie-
geborene; da erstarkte sein Geist in der Gerechtigkeit,
o grofser Konig.
35. (9789.) Darauf verzichtete der Zwiegeborene auf alle
Friichte und Wurzeln und lebte nur noch von Blattern, dann
aber gab er auch die Blatter auf und nahrte sich nur noch
von Wasser.
36. (9790.) Weiterhin aber verbrachte er viele Jahre, in-
dem er nur von der Luft lebte, aber seine Lebenskraft liefs
nicht nach, es war wie ein W under.
37. (9791.) Ihm, der sein Vertrauen auf die Gerechtigkeit
setzte und in furchtbarer Askese lebte, wurde nach langer
Zeit ein gottlicher Blick zuteil,
38. (9792.) und es wurde ihm klar: Wenn ich jetzt je-
mandem, weil ich mit ihm zufrieden bin, [durch die Kraft
meiner Askese] Reichtum geben wollte, so wiirden meine
Worte nicht unerfiillt bleiben.
39. (9793.) Da nahm er mit heiterem Angesicht noch
starkere Askese in Angriff und tiberlegte als Vollendeter weiter,
was er wohl als Hochstes begehren mochte.
470 III. Mokshadharma.
40. (9794.) Wenn ich jetzt jemandem, well ich mit ihm
zufrieden bin, ein Konigreich geben wollte, so wiirde er als-
bald Konig sein und meine Worte wiirden nicht unerfiillt
bleiben.
41. (9795.) Da erschien ihm, o Bharata, leibhaftig Kunda-
dhara, kraft der Askese des Brahmanen und auch von Freund-
schaft zu ihm angetrieben.
42. (9796.) Als er diesen nun gegenwartig vor sich sah,
da zollte der Brahmane dem Kundadhara die gebiihrende Ver-
ehrung und stand von Erstaunen erfiillt, o Fiirst.
43. (9797.) Da sprach Kundadhara: Das hochste gottliche
Auge ist dir verhehen, so sieh dir einmal mit diesem Auge
den Weg der Konige und die Wehen an, o Brahmane.
44. (9798.) Da sah der Brahmane mit seinem gottlichen
Auge von feme, wie Tausende von Konigen in die Holle
gestiirzt waren.
Kundadhara sprach:
45. (9799.) Wenn du, der du mich mit Liebe verehrt
hast, einmal ins Ungliick geraten solltest, was konnte ich
dann etwa fiir dich tun, welche Gnade konnte ich dir er-
weisen ?
46. (9800.) Sieh noch einmal besser zu, wie es dem nach
Liisten begehrenden Menschen ergeht, denn vor alien ist
diesen Menschen die Pforte des Himmels verschlossen.
Bhishma (der Erzahler) sprach:
47. (9801.) Da sah er die Menschen stehen, wie sie sich
hingewendet batten zu Lust, Zorn, Begierde, Furcht, Rausch,
Schlaf, Mattigkeit und Schlaffheit.
Kun4adhara sprach :
48. (9802.) Durch diese Dinge sind die Himmelswelten
verschlossen. Die Gotter entsetzen sich vor dem Menschen-
wesen. Und diese Dinge sind es, welche nach dem Ausspruch
der Gotter allenthalben Hindernisse in den Weg legen.
49. (9803.) Nicht ohne Bewilligung der Gotter kann ein
Mensch zur Rechtschaffenheit gelangen, du aber als ein solcher
Adhyaya 272 (B. 271). 471
bist kraft deiner Askese im stande, Konigreiche und Reich-
tiimer zu verleihen.
Bhishma (der Erzahler) sprach:
50. (9804.) Da neigte sich der Brahmane mit dem Haupte
zu den Fiifsen des Wassertragers und sprach zu ihm, von
Gerechtigkeit erfiillt: Grofse Gnade ist mir zuteil geworden.
51. (9805.) Wenn ich aus Hang nach Lust und Begierde
vordem gegen dich murrte und deine Liebe zu mir verkannte,
so mogest du mir das verzeihen.
52. (9806.) Ich habe es dir verziehen, sprach Kundadhara
zu dem Besten der Zwiegeborenen, umschlang ihn mit seinen
Armen und verschwand.
53. (9807.) Sodann durchstreifte der Brahmane alle Welten,
nachdem er durch die Gnade des Kundadhara und durch
seine Askese die Vollendung erreicht hatte.
54. (9808.) Denn das FHegen durch die Luft und die Er-
fiillung aller Wiinsche [wird erreicht] durch die aus Gerech-
tigkeit und Hingebung fyogaj entspringende Kraft, sowie auch
ferner das hochste Ziel.
55. (9809.) Gotter, Brahmanen, Rechtschaffene , Halb-
gotter, Menschen und himmhsche Sanger, sie alle ehren in
dieser Welt die Gerechten, nicht die Reichen und nicht die
Begehrlichen.
56. (9810.) Die Gotter sind dir sehr gnadig, weil dein Sinn
sich an der Gerechtigkeit freut; im Reichtum (dhane mit C.)
hegt nur geringe Befriedigung, in der Gerechtigkeit aber das
hochste Gliick.
So lautet im Moksitadharma die Erzahlung von Kundadh&ra
(Kumfadhdra - updkhydnam),
Aclhyaya 373 (B. 373).
.^ Vers 9811-9830 (B. 1-20).
Yudhishthira sprach:
1. (9811.) Da so viele Opfer und Askesen unternommen
werden, um denselben Zweck [das Gliick] zu erlang^n, o Grofs-
vater, wie mufs ein Opfer eingerichtet sein, damit es dem
472 ni. Mokshadharma.
Zwecke der Gerechtigkeit und nicht dem Zwecke des Gliicks
diene ?
Bhishma sprach:
2. (9812.) Hieriiber will ich dir eine von Narada berichtete
alte Begebenheit erzahlen von einem, der von Ahrenlesen
lebte und dabei ein Brahmane war.
Narada sprach:
3. (9813.) In dem durch Gerechtigkeit hervorragenden vor-
trefflichen Reiche der Vidarbha's war ein gewisser Zwie-
geborener, ein weiser Mann, der von Ahrenlesen lebte und
sich einstmals anschickte, ein Opfer darzubringen.
4. (9814.) Seine Nahrung bestand aus Qyamakam, Surya-
parni, Suvarcala nebst anderen bitteren und wqdrigen Pflan-
zen, welche fur ihn yermoge seiner Askese schmackhaft waren,
5. (9815.) und da er im "Walde durch die Schonung aller
Wesen zur Lauterkeit gelangt war, so war auch sein nur aus
Wurzeln und Friichten bestehendes Opfer geeignet, den Himmel
zu erwerben, o Feindbedranger.
6. (9816.) Seine Gattin , die infolge ihres Geliibdes ab-
geraagerte und reine Pushkaradharini , war von ihm mit-
genommen worden und wurde als Opferer- Gattin von ihm,
dem Satya, verwendet;
7. (9817.) sie hatte sich aber seiner Lebensweise nur aus
Furcht vor seinem Fluche angeschlossen ; ihr aus abgefallenen
Pfauenfedern bestehendes Kleid war zierlich gebildet.
8. (9818.) Obgleich sie nicht dazu geneigt war, nahm sie
doch auf Befehl ihres als Hotar fungierenden Gatten am Opfer
teil. — Nun geschah es, dafs auf Befehl des Qukra ein frommer
Mann, namens Parnada,
9. (9819.) der in demselben Walde in der Nahe w^ohnte,
sich in eine den Wald bewohnende Gazelle verwandelte. Die
sprach zu Satya die Worte : Was du da tust, ist schlecht getan,
10. (9820.) wenn dein Opfer ohne die Spriiche und die
gehorigen Zutaten dargebracht wird. 0 Herr, fiige mich [als
Opfertier] bei deinem Opfer ein und gehe dann, frei von Vor-
wurf, zum Himmel empor.
Adhyaya 273 (B. 272). 473
11. (i)82i.) Welter erschien bei seinem Opfer in leibhafti-
ger Gestalt die Sonnengottin Savitri und redete ihm auch zu,
aber auf ihre Aufforderung erwiderte er: Ich mag die Mit-
bewohnerin dieses AValdes nicht toten.
12. (9822.) Auf diese Worte bin wandte sie sich um und
sprang ins Opferfeuer hinein, um die Unterwelt zu sehen, [in-
dem sie ausrief:] Wie kann dies beim Opfer als Ubeltat er-
scheinen !
13. (9823.) Da bat die Gazelle den Satya, der mit zu-
sammengelegten Handen dastand, abermals, aber Satya um-
armte sie und befahl ihr: Gehe von hinnen!
14. (9824.) Da ging die Gazelle acht Schritte weit weg
und kam wieder zuriick und sprach : Tote mich nur ohne Um-
stande, o Satya, getotet werde ich den Weg der Guten gehen.
15. (9825.) Sieh einmal mit dem Auge, welches ich dir
verleihe, diese himmlischen Apsaras (Gottermadchen) und die
glanzenden Palaste der hochsinnigen Gandharva's (der himm-
lischen Musiker).
16. (9826.) Nachdem er lange Zeit mit einem von Be-
gierde gefesselten Auge diesen Anblick genossen hatte, schaute
er auf die Gazelle und fing an die durch ihre Totung erlang-
bare Himmelswelt zu begehren.
17. (9827.) Da wurde die Gazelle, welche viele Jahre den
Wald bewohnt hatte, zu Dharma (dem Gott des Rechts) und
vollzog seine Rettung, [mit den Worten:] Nicht ist dies die
rechte Art des Opfers.
18. (9828.) Aber ihm, da er die Gazelle hatte toten wollen,
war infolgedessen seine grofse Askese verlorengegangen.
Somit ist die Totung nicht opfermafsig.
19. (9829.) Darauf lehrte ihn der heilige Dharma selbst die
rechte Art des Opfers, und durch erneute Askese gelangte er
auch zu vollstandiger Ubereinstimmung mit seiner Gattin.
20. (9830.) Schonung der Wesen begreift die ganze Pflicht
in sich, ihre Totung aber ist kein gutes Gesetz. Ich will dir
aber der Wahrheit gemafs sagen, was (yo, mit C.) die Pflicht
der Wahrheitredenden ist.
So lautet im Mokshadharma dio Verwerfung des [Ticr-]0pfcr8
Ojajna -nhicld)
474 111. Mokshadharma.
Adhyaya 274 (B. 273).
Vers 9831-9854 (B. 1-24).
Yudhishthira sprach:
1. (9831.) Wie wird man zu einem Bosewicht und wie er-
fiillt man die Pflicht ? Wie erreicht man die Weltverdrossen-
heit und wie gelangt man zur Erlosung?
Bhlshma sprach:
2. (9832.) Bekannt sind dir alle Pflichten, aber um der
Bestatigung willen fragst du, so vernimm denn die Erlosung
nebst der Weltverdrossenheit , das Bose und die Pflicht von
Grund aus.
3. (9833.) Dem Erkennen der fiinf Sinnesobjekte geht vor-
her der Wunsch, und wenn man eines derselben erlangt hat,
entstehen Liebe und Hafs, o Stier der Bharata.
4. (9834.) Dann ist man um dessentwillen bestrebt und
unternimmt ein grofses Werk und wiinscht die angenehmen
Gestalten oder Geriiche wiederholentKch zu geniefsen.
5. (9835.) Dann entspringt die leidenschaftKche Liebe und
der Hafs unmittelbar darauf, dann entspringt Habgier und
Verblendung unmittelbar darauf.
6. (9836.) Wer aber von Habgier und Verblendung be-
herrscht, von Liebe und Hafs erfiillt ist, dessen Sinn richtet
sich nicht auf die Pflicht, und nur aus Falschheit tut er die
Pflicht.
7. (9837.) Durch Falschheit iibt man die Pflicht, durch
Falschheit hat man Gefallen an einer Sache, so dafs' durch
Falschheit Reichtiimer erworben werden, o Liebling der Kuru's.
8. (9838.) Auf diese Weise ist er verstandig, auf diese
Weise wiinscht er Boses zu tun, wenn ihn auch Freunde und
Weise davor warnen, o Bharata.
9. (9839.) [Aus Falschheit] entgegnet er ihnen, was mit
dem Gesetz in Einklang und durch die heilige Vorschrift ge-
fordert ist; dreifach [in Gedanken, Worten und Werken]
wachst seine Ungerechtigkeit, aus Leidenschaft und Ver-
blendung entspringend :
Adhyaya 274 (B. 273). 475
10. (9840.) Er denkt, spricht und tut Boses, und indem er
auf dem Wege der Ungesetzlichkeit fortschreitet, erkennen
die guten Menschen seine Fehler.
11. (9841.) Die aber einen gleichen Charakter mit ihm
haJjen, unterhalten Freundschaft mit dem Ubeltater; er kommt
in diesem Leben nicht zum Gliicke, wieviel weniger im jen-
seitigen !
12. (9842.) So steht es mit dem Ubelgesinnten, hore jetzt
von mir iiber den Wohlgesinnten , und wie er, der rechten
Pflicht obliegend, zum rechten Ziele gelangt.
13. (9843.) Denn vermoge der rechten Pflicht geht er den
guten Weg, indem er mit Weisheit die genannten Fehler
voraussieht und meidet.
14. (9844.) Bewandert in dem, was zum Gliick und Un-
gliick fiihrt, pflegt er Umgang mit den Guten, und durch
seinen Verkehr mit den Guten und durch die Ubung wachst
er immer mehr.
15. (9845.) Sein Geist freut sich art der Pflicht und lebt
von der Pflicht, und nur auf solche Schatze, die mit Recht-
schaflenheit gewonnen werden, richtet er seinen Sinn.
IG. (9846.) Nur von solchem begiefst er die Wurzel, von
welchem er Tugenden [als Friichte] hofft; so wird er von
Pflichtbewufstsein durchdrungen und gewinnt sich einen edlen
Freund.
17. (9847.) Durch die Erlangung von Freunden und Giitern
ist er begliickt im Jenseits und schon hienieden. Uber Tone,
Gefiihle, Geschmacke, Gestalten und Geriiche, o Bharata,
18. (9848.) erlangt ein solcher Mensch die Herrschaft, das
ist die Frucht seiner Rechtschaffenheit ; aber obgleich er die
Frucht seiner Rechtschaffenheit erntet, freut er sich doch
nicht, o Yudhishthira.
19. (9849.) Unbefriedigt erfafst er mit dem Auge der Er-
kenntnis die Weltverdrossenheit. Und wenn das Auge der Er-
kenntnis keinen Gefallen mehr findet an Begierde, an Ge-
schmack und Geruch,
20. (9850.) und er auf Ton, Gefiihl und Gestalt nicht mehr
seinen Geist lenkt, dann kommt er los von der Begierde, aber
die Rechtschaffenheit lafst er nicht los.
-476 III. Mokshadharma.
21. (9851.) Er strebt voran, indem er auf die [rituelle]
Pflicht verzichtet, da er die Verganglichkeit der Welt erkannt
hat, nur nach Erlosung strebt er dann, gestiitzt auf ein Mittel,
<3as zum Zwecke fiihrt.
22. (9852.) Nach und nach ergreift er die Weltverdrossen-
heit und lafst das bose Werk fahren, dann wird er von Ge-
rechtigkeit erfiillt und erlangt die hochste Erlosung.
23. (9853.) Damit ist dir erklart worden, o Freund, wo-
nach du mich fragst, das Bose und das Gute, die Erlosung
^ind die Weltverdrossenheit, o Bharata.
24. (9854.) Darum bleibe dem Guten treu in jeder Lage,
o Yudhishthira ; die im Guten beharren, o Kuntisohn, er-
langen die ewige Vollendung.
So lautet im Mokshadbarma der Abschnitt von den vier Fragen
(catiilj -prdfnikaiii}.
Adhyaya 275 (B. 274).
Vers 9855-9S73 (B. 1-19).
Yudhishthira sprach :
1. (9855.) Die Erlosung ist von dir, o Grofsvater, erklart
^vorden auf Grund eines Mittels, das zum Zwecke fiihrt. Dieses
Mittel mochte ich in gehoriger Weise kennen lernen, o Bharata.
Bhishma sprach :
2. (9856.) Deiner wiirdig, o sehr Weiser, ist diese ver-
standige Einsicht, nach dem Mittel zu fragen, durch welches
■du bestandig dem vollen Sinn nachspiiren willst, o Untadliger.
3. (9857.) Das Bewufstsein, welches bei der Anfertigung
-eines Topfes besteht, ist nicht mehr dasselbe gegeniiber dem
fertigen Topfe ; so ist, wo es sich um die Mittel zur [hochsten]
Pflicht handelt, dasjenige nicht mehr Ursache, was es bei
■den anderen [niederen] Pflichten war. [Letztere beruhen auf
pravritti, Tatigkeit, erstere auf mvrifti, Abstehen vom Tun.]
4. (9858.) Der Weg nach dem ostlichen Ozean hin fiihrt
jiicht zu dem westlichen Ozean, ein eigentiimlicher ist der
Adhyaya 275 (B. 274). 477
Weg, der zur Erlosung fiihrt; vernimm ihn von mir mit Aus-
fiihrlichkeit.
5. (9859.) Durch Langmut soil man den Zorn iiberwinden,
die Begierde durch Fernhaltung der Wiinsche; durch Pflege
des Sattvam soil der Weise den Schlaf abtun.
6. (9860.) Durch Besonnenheit soil man die Furcht ver-
hiiten, durch fleifsige Betrachtung des Kshetrajna den Atem
[regeln]; Wunsch, Hafs und Liebe soil man durch Beharr-
lichkeit beseitigen.
7. (9861.) Unstetheit, Verblendung und Strudelhaftigkeit
soil der Wesenskundige durch Ubung, Schlaf und Phantasterei
durch Wissenseifer beseitigen.
8. (9862.) Anfalle und Krankheiten durch leichtverdau-
liche und mafsige Nahrung, Begierde und Verblendung durch
Zufriedenheit, die Sinnendinge durch Schauen der wahren
Realitat.
9. (9863.) Durch Mitleid soil er die Ungerechtigkeit be-
siegen, durch Riicksichtnahme die Gerechtigkeit [ersiegen],
durch Anspannung iiberwinde er die Hoffnung, die Geldgier
durch Befreiung vom Welthang,
10. (9864.) das Halten am Materiellen durch Bewufstsein
der Verganglichkeit, den Hunger als Weiser durch den Yoga,
durch Mitgefiihl den Eigendiinkel und den Durst ftrisJind)
durch Geniigsamkeit.
11. (9865.) Durch Friihaufstehen bekampfe er die Trag-
heit, den Zweifel durch Bestimmtheit, die Geschwatzigkeit
lege er ab durch Schweigen, die Furchtsamkeit durch Mut^
12. (9866.) Er zahme Reden und Gedanken durch die Buddhi,.
diese zahme er durch das Auge der Erkenntnis, die Erkennt-
nis durch Erweckung des Atman, den Atman durch den
Atman selbst.
13. (9867.) Dies alles soil der Beruhigte reinen Werkes
verstehen und die Hindernisse fdoshdii) des Yoga ausrotten,
deren die Weisen fiinf kennen.
14. (9868.) Lust, Zorn, Begierde, Furcht und Schlaf als
fiinftes hinter sich lassend, soil er schweigend mit Hilfe des
Yoga beharren [in dem Folgenden].
15. (9869.) Meditation, Studium und Spenden, Wahrhaftig-
478 III. Mokshadharma.
keit, Scham, Geradheit und Geduld, Lauterkeit, Keinheit in
der Ernahrung und Bezahmung der Sinne,
16. (9870.) durch diese wachst seine Kraft und schlagt
das Bose nieder, dann gehen seine Wiinsche in Erfiillung
und seine Erkenntnis schreitet fort.
17. (9871.) Der Siinde ledig und voll Energie, mafsig in
der Nahrung, seine Sinne bemeisternd, Herr iiber Lust und
Zorn, moge er der Statte des Brahman zustreben.
18. (9872.) Unbetortheit, Nicht-Anhanglichkeit, Freiheit von
Begierde und Zorn, Unverdrossenheit, Bescheidenheit, Uner-
schiitterlichkeit und Bestandigkeit,
19. (9873.) das ist der Weg, der zur Erlosung fiihrt, der
ruhige, fleckenlose, reine, so wird die Herrschaft iiber Rede,
Leib und Denken erlangt, frei von Begierde.
So lautet im Mokshadharma die Schilderung des Yogawandela
(i/offa - dcdra - anuvarnanam).
Adhyaya 276 (B. 375).
Vers 9874-9913 (B. 1-38).
Bhishma sprach:
1. (9874.) Dariiber erzahlt man sich folgende alte Ge-
schichte, namlich die Unterredung des Narada mit dem Asita
Devala.
2. (9875.) Den alten Devala, den Vorziiglichsten der Ver-
standigen an Verstand, wie er dasafs, befragte Narada nach
Ursprung und Vergang der Wesen.
Narada sprach :
3. (9876.) Woher, o Brahmane, ist diese ganze Welt des
Unbeweglichen und Beweglichen geschaffen worden, und zu
wem geht sie beim Untergange ein? Das mogest du, o Herr,
mir sagen.
Asita sprach:
4. (9877.) Woraus er, durch seine Natur veranlafst, im
Laufe der Zeit die Wesen schafft, das bezeichnen die iiber das
Adhyaya 276 (B. 275). 479
Gewordene Nachdenkenden als die fiinf grofsen Elemente
{mahdbhtitdnij.
5. (9878.) Aus diesen schafft er die Wesen im Laufe der
Zeit, angetrieben durch sicii selbst; wer etwas von ihnen
Verschiedenes [als Ursache] angibt, der gibt unzweifelhaft
etwas Falsches an.
6. (9879.) Wisse, o Narada, dafs diese fiinf ewigen, un-
wandelbaren, bestandigen Anhaufungen der grofsen Energie
nebst Kala (der Zeit) als sechstem urspriinglich sind,
7. (9880.) namlich das Wasser und der Ather fantariJcshawJ,
die Erde, der Wind und das Feuer; denn es gab nichts Hoheres
als diese Elemente, daran ist nicht zu zweifeln.
8. (9881.) Durch keinen Beweis, durch keine Argumenta-
tion kann jemand behaupten, dafs dem nicht so sei, das steht
fest, Du weifst, dafs diese [grofsen Elemente] sich ent-
wickelt haben [aus der Energie, tejas], deren Anhaufungen
alle sechs sind.
9. (9882.) Diese fiinf und die Zeit, sowie das Werden und
das Zunichtewerden noch besonders — das sind die acht
ewigen Elemente der Wesen, sind ihr Ursprung und ihr
Vergang.
10. (9883.) In diesen gelangen sie zum Zunichtewerden
und aus ihnen entspringen sie wieder, und ihnen entsprechend
wird ein Wesen beim Untergange in die Fiinfheit aufgelost.
11. (9884.) Sein Leib besteht aus Erde, das Gehor ist aus
Ather gebildet, aus der Sonne das Auge, der Odem aus dem
Winde, aus dem Wasser das Blut.
12. (9885.) Augen, Nase, Ohren, Haut und Zunge als
fiinftes sind die Sinnesorgane , die Erkenntnisorgane fiir die
Sinnendinge, wie die Weisen lehren.
13. (9886.) Das Sehen, Horen, Riechen, Fiihlen und
Schmecken erkenne aus der Angemessenheit als ihre Eigen-
schaften fyiina)^ fiinf in den fiinfen fiinffacher Art.
14. (9887.) Gestalt, Geruch, Geschmack, Beriihrung und
Ton wiederum sind die Eigenschaften von jenen [Elementen];
sie werden als fiinf in fiinffacher Weise mittels der fiinf
Sinne wahrgenommen.
15. (9888.) Aber Gestalt, Geruch, Geschmack, Beriihrung
480 III. Mokshadharma.
und Ton wiederum als die Eigenschaften jener [Elemente]
werden nicht von den Sinnen erkannt, sondern der Kshe-
trajfia (das Subjekt des Erkennens) ist es, welcher durch sie
erkennt.
16. (9889.) Das Cittam (hier: die Wahrnehmung ) steht
hoher als der Komplex der Sinnesorgane, hoher als dieses
steht das Manas, hoher als das Manas die Buddhi, hoher als
die Buddhi der Kshetrajna.
17. (9890.) Zuerst nimmt ein Mensch mittels der Sinne
die einzelnen Objekte wahr fcetayatej, sodann erwagt er mittels
des Manas und dann entscheidet er mittels der Buddhi,
(9891.) denn iiher die durch die Sinne wahrgenommenen Dinge
entscheidet der mit Buddhi Begabte.
18. Das Cittam, der Komplex der Sinnesorgane, das
Manas und die Buddhi als achte — (9892.) diese acht be-
zeichnen als die Erkenntnisorgane fjndna-indriydnij die, welche
iiber die innere Seele nachdenken.
19. Hande und Fiifse, Entleerungs- und Zeugungsorgan
und als fiinftes der Mund, (9893.) diese werden als Tatorgane
(harma-indriydnij aufgefiihrt, das merke.
20. Der Mund heifst Organ, weil er zum Keden und Essen
dient, (9894.) das Organ des Gehens sind die Fiifse, die Hande
dienen zum Vollbringen des Werkes.
21. Entleerungs- und Zeugungsorgan dienen der Ent-
leerung als Organe von gleicher Verrichtung, (9895.) zur Ent-
leerung der Faeces und zur geschlechtlichen Entleerung.
22. Als sechstes kommt dazu die Kraft {balamj; diese
sechs sind, wie es sich gehort, durch meine Rede [erklart
worden]; (9896.) die Eigenschaften aber der Erkenntnisorgane
und Tatorgane wurden von mir fiir samtliche namhaft gemacht.
23. Wenn wegen Ermiidung der Sinnesorgane ein Aus-
ruhen von ihrer Tiitigkeit eintritt, (9897.) dann fallt zufolge
des Versagens der Sinnesorgane der Mensch in Schlaf.
24. Wenn beim Ruhen der Sinnesorgane das Manas nicht
ruht, (9898.) sondern sich mit den Objekten beschaftigt, so
heifst das ein Traumgesicht.
25. Was nun die sattvahaften Zustande sowie die tamas-
artigen und rajas-artigen betrifft, (9899.) so lehren die Weisen>
Adhyaya 276 (B. 275). 481
dafs sie an Werke gebunden sind, die sattvahaften so gut
wie die andern.
26. Wonne, Gelingen der Werke, Erkenntnis und hoch-
ster Gang (9900.) sind Anzeichen des Sattvahaften. Die Er-
innerung [im Traume] stiitzt sich auf jene Zustande
27. in dem Mafse, wie bei jedem einzelnen Menschen die
Zustande sich in Handlungen umgesetzt haben. (9901.) Diese
beiden Zustande aber [Wachen und Traum] haben einen
wahrnehmbaren Zugang zu dem ewigen Ziele der Sehnsucht
[namhch im Tiefschlaf, Nil.].
28. Die Indriya's [fiinf Erkenntnisorgane nebst Manas,
fiinf Tatorgane nebst Balam (der Kraft), dazu Cittam und
Buddhi] und die Zustande [Sattvam, Rajas, Tamas] werden
als die siebzehn Eigenschaften betrachtet; (9902.) iiber ihnen
steht als achtzehnte die Seele, welche im Leibe wohnt, und
sie ist ewig.
29. Nun sind zwar alle diese Eigenschaften der Ver-
korperten mit dem Korper verbunden (9903.) und auf ihn sich
stutzend, aber bei der Trennung der Seele von ihm bleiben
auch sie nicht langer mit dem Korper verbunden.
30. Nun bildet dieses Gemisch den aus den ^ fiinf Ele-
menten bestehenden Leib: (9904.) der Eine [Kshetrajiia] und
die Achtzehn, namlich die [siebzehn] Eigenschaften nebst der
verkorperten Seele mitsamt der Korperwarme bilden das
zwanzigfache, fiinfelementhafte Aggregat.
31. (9905.) Diesen Korper halt zusammen der Mohan in
Gemeinschaft mit dem Winde, seine gewaltige Wirkung zeigt
sich bei der Trennung [der Seele] vom Korper.
32. (9906.) In dem Mafse, als irgendein [Geschopf] ent-
steht, geht es wieder in die fiinf Elemente zuriick, wenn das
Gute und Bose [der vorhergehenden Geburt] verbraucht ist.
Und abermals von guten und bosen Werken getrieben,
(9907.) geht sie [die Seele] mit der Zeit in einen durch ihre
Werke bedingten neuen Leib ein.
33. Immer wieder loslassend, geht aus einem Leibe in
den andern ein, auf ihre Werke gestiitzt (9908.) und von der
Zeit getrieben, die Seele wie aus einem verfallenen Hause in
ein neues.
Deussbn, Mah&bhftratam. 31
482 ni. Mokshadharma.
34. Hieriiber betriiben sich nicht die in der Gewifsheit
gefestigten Weisen, (9909.) es betriiben sich nur die bemit-
leidenswerten Menschen, welche sich an den Korper gebunden
wahnen.
35. Denn er [der Atman] ist in Wahrheit nicht ein ge-
wisser und einem gewissen gehorig, und ihm gehort keiner
(vgh Kath. Up. 2,18), (99io.) sondern er besteht ewig fiir sich
allein und schafft sich den Korper nebst Lust und Leid.
36. Nicht wird geboren ein Mensch und niemals geht
er zugrunde, (99ii.) sondern das Korperhafte verlassend, geht
er einstmals den hochsten Gang.
37. Den durch gute und bose Werke bedingten Leib
vernichtet er, indem er seine Werke vernichtet, (9912.) und
ist der Korper vernichtet, so kehrt der Verkorperte in die
Brahmanwesenheit zuriick.
38. Um die guten und bosen Werke zu vernichten, dazu
ist uns die Sankhya-Erkenntnis verhehen. (9913.) Sind sie ver-
nichtet, so erbhckt man fiir ihn das hochste Ziel in der
Brahmanwerdung.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Narada und Asita
(Ndrada - Asita - sainvdda).
Adhyaya 377 (B. 376).
Vers 9914-9927 (B. 1-14).
Yudhishthira spradi :
1. (9914.) Briider, Vater, Enkel, Verwandte, Freunde und
Sohne sind um des Gewinnes willen von uns grausamen
Missetatern erschlagen worden.
2. (9915.) Was dieser aus Gewinnsucht entspringende Durst
(trishndj ist. wie kann ich den, o Grofsvater, zur Ruhe bringen?
Denn durch den Durst getrieben haben wir Boses getan.
Bhishma sprach:
3. (9916.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namhch was von dem Konige der Videha's dem
Mandavya auf seine Frage vorgetragen wurde.
Adhyaya 277 (B. 276). 483
4. (9917.) Fiirwahr, ich lebe ganz gliicklich, well mir gar
nichts angehort; wenn ganz Mithila verbrennt, so verbrennt
nichts, was mein ware.
5. (9918.) Reichtum, auch wenn er sehr grofs ist, ist fiir-
wahr ein Ungluck fiir die Weisen, aber auch wenn er sehr
klein ist, vermag er doch jederzeit den Unweisen zu blenden.
6. (9919.) Die weltHche Freude an der Lust und die grofse
himmhsche Freude sind beide nicht den sechzehnten Teil von
dem wert, was die Freude an der Aufhebung des Durstes
wert ist.
7. (9920.) Wie das Horn einer Kuh wachst in dem Mafse,
wie sie wachst, so wachst der Durst in dem Mafse, wie der
Reichtum wachst.
8. (9921.) Wenn uns irgend etwas als Besitztum zu eigen
geworden ist, so wird es ebenso sehr zur Qual, wenn es
verloren gehen sollte.
9. (9922.) Man folge nicht der Lust, denn die Freude an
der Lust ist fiirwahr ein Leid, wer aber zu Reichtum gelangt
ist, stelle ihn in Dienst des Guten und lasse die Liiste fahren.
10. (9923.) Der Wissende moge alle Wesen behandeln wie
sich selbst; wer seinen Zweck erreicht hat und reinen Wesens
ist, der leistet Verzicht auf alJes.
n. (99-24.) Wenn er beidem entsagt, der Wahrheit und
Unwahrheit, dem Schmerz und der Lust, dem Lieben und Un-
heben, wenn er Furcht und Furchtlosigkeit hinter sich lafst,
dann lebt er in Gemiitsruhe und Gesundheit.
12. (9925.) Der von Ubelberatenen schwer aufzugeben ist,
der mit dem Alternden nicht altert, der eine Krankheit ist,
die erst mit dem Leben endigt, das ist der Durst, wohl dem,
der ihm entsagt.
13. (9926.) Darauf sehend, dafs sein Wandel rein wie der
Mond und ohne Anstofs sei, erntet der Pflichttreue Ehre, im
Jenseits und hienieden, soviel er wiinscht.
14. (9927.) Als der Brahmane dieses Wort des Konigs ver-
nommen hatte, wurde er von Freude erfilllt, und indem er dieses
Wort in Ehren hielt, gelangte er, Mandavya, zur Erlosung.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Janaka und M&ndayya
(Janaka - Mdndavya - samvdda).
31*
484 III. Mokshadharma.
Adhyaya 378 (B. 211).
Vers 9928-9966 (B. 1-39).
Dieser Abschnitt ist, abgesehen von einigen unerheblichen Auslas-
sungen, Umstellungen und Varianten identisch mit Adhyaya 175, obeu
S. 118—122.
Adhyaya 379 (B. 378).
Vers 9967-9981) (B. 1-22).
Yudhishtbira sprach:
1. (9967.) Durch welchen Charakter, welchen Wandel^
welche Wissenschaft, welches Streben erlangt man die Statte
des Brahman, die feste, iiber die Natur (Prakriti) erhabene?
Bhishma sprach:
2. (9968.) Wer seine Freude an den Kegeln fiir die Er-
losung fmokshadharmdhj hat, sich mafsig nahrt und seine
Sinne beherrscht, der erlangt die Statte des Brahman, die
feste, iiber die Natur erhabene.
3. (9969.) Aus seinem Hause ausziehend und gleichgiiltig
gegen Besitz und Nicht-Besitz, soil der Muni mit Verachtung
der auf ihn einstiirmenden Begierden umherpilgern.
4. (9970.) Nicht durch den Blick, nicht in Gedanken, nicht
durch die Rede soil man etwas mifsbilligen , nicht offen und
nicht im Geheimen soil er irgendwo seine Mifsbilligung zum
Ausdruck bringen.
5. (9971.) Kein Wesen soil er verletzen, den Pfad des Wohl-
wollens verfolgend hinwandeln, und da er einmal in dieses
Dasein geraten ist, soil er mit keinem in Feindschaft leben.
6. (9972.) Ubermiitige Reden ertrage er, gegen niemanden
hege er hose Absichten, wird er erziirnt, so rede er freund-
lich, schreit man ihn an, so entgegne er mit heilbringenden
Worten.
7. (9973.) Geht er mitten durch ein Dorf, so soil er nicht
nach rechts oder links abschweifen, er soil nicht [gewerbs-
Adhyaya 279 (B. 278). 485
mafsig] betteln und einer vorherigen Einladung nicht Folge
leisten.
8. (9974.) Wird er beworfen, so nehme er sich wohl in
acht und entgegne nichts Unfreundliches , er sei milde, er-
widere nichts Rohes, sei vertrauensvoll, aber nicht geschwatzig.
9. (9975.) Wo es nicht mehr raucht, wo der Stofser des
Morsers ruht, wo die Kohlen nicht mehr gliihen, wo die Leute
abgegessen haben und das Abtragen fsamcdraj der Gefafse
vorbei ist, da soil der Muni sein Almosen erbitten.
10. (9976.) Er sei nur bedacht, sein Leben zu unterhalten;
empfangt er nur karglich, so soil er sich nichts daraus
machen; empfangt er nichts, so soil er sich nicht verletzt
fiihlen, und wenn er etwas empfangt, so soil es ihn nicht
freudig stimmen.
11. (9977.) Was alle schatzen [Kranze, Sandelholz usw.
Nil.], soil er nicht begehren, er soil nicht essen, wo man ihm
Ehre erweist, denn ein Mann wie er mufs es verabscheuen,
unter Ehrenbezeugungen zu empfangen.
12. (9978.) Schlechte Speisen soil er nicht bemangeln, gute
nicht preisen ; Lager und Sitz in der Einsamkeit soil er stets
hochschatzen.
13. (9979.) Ein leeres Haus, eine Baumwurzel, die Wald-
cinsamkeit oder eine Hohle soil er als Aufenthalt wahlen;
unbekannte [von der Menge] gemiedene Wege gehend, soil
er [von ihr] geschieden wohnen.
14. (9980.) In Billigung und Mifsbilligung sei er unparteiisch,
unerschiitterlich und fest; er strebe nicht danach, durch
Werke Verdienst oder Schuld zu ernten.
15. (9981.) Er sei immer zufrieden und sehr frohhch, be-
ruhigten Angesichts und beruhigter Sinne, furchtlos, am
liebsten Gebete murmelnd, schweigsam und der Leidenschaft-
losigkeit ergeben.
16. (9982.) Wiederholentlich betrachte er die elementare
Welt und das Kommen und Gehen der Wesen; begierdelos
und gleichmiitig blickend, mag er Zubereitetes oder Rohes
zu sich nehmen, (9983.) er, der durch das Selbst beruhigten
Selbstes, in Nahrung mafsig und Herr iiber seine Sinne ist.
17. (9984.) Das Ungestiim der Rede, die Aufwallung
486 UI. Moksliadharma.
des Zornes im Herzen, den Anreiz zu schadigen und den
Drang des Hungers und der Liebe, den Ansturm von
dem allem halte der Asket aus, dann wird keine Selbst-
anklage sein Herz zu verletzen brauchen.
18. (9985.) Unparteiisch stehe er da, gleichmiitig bei Lob
und Tadel. Ja, das ist die hoehste Lauterung: ein Heimat-
loser in seinem Entsagungsstande.
19. (9986.) Hochherzig, allseitig bezahmt, allseitig ohne
Abhangigkeit, nicht zuriickkommend auf den friihern Wandel,
leutselig, heimatlos und andachtsvoll
20. (9987.) moge er mit den Waldeinsiedlern und Haus-
vatern niemals mehr in Gemeinschaft treten; nicht Vorher-
begehrtes soil er zu sich nehmen und keine Freude soil ihn
beschleichen.
21. (9988.) Fiir den Weisen ist dies die Erlosung, fiir den
Unweisen eitel Miihe; das ist der ganze Weg zur Erlosung
fiir die Wissenden, wie Harita ihn verkiindigt hat.
22. (9989.) Wer, alien Wesen ihren Frieden lassend, aus
der Heimstatte auswandert, dem werden glanz voile Welten
zuteil, der ist reif fiir die Ewigkeit.
So lautet im Mokehadhaxma der Gesang des H&rlta
(Hdrtta-gitd).
AdhyAya 380 (B. 279).
Vers 9990-10024 (B. 1-84).
Yudhishthira sprach :
1. (9990.) Gliicklich seid ihr, gliicklich! so sagen zu uns
alle Leute, und doch gibt es wahrlich keine ungliicklicheren
Menschen als wir sind.
2. (9991.) Das Ungliick, das uns getroffen hat, die wir
von den Leuten geehrt werden, o Bester der Kuru's, die wir
unter den Menschen unsere Geburt sogar den Gottern ver-
danken, o Grofsvater, —
3. (9992.) wann werden wir die Entsagung voUbringen,
welche als ein Ungliick gilt! — das wahre Ungliick be-
Adhyaya 280 (B. 279). 487
steht nur darin, dafs wir diesen Leib tragen, o Bester der
Kuru's.
4. (9993.) Erlost von den siebzehn [den fiinf Prana's,
Manas, Buddhi und den zehn Indriya's, Nil.] und den fiinf
Grundstoffen, sowie von den acht [namlich den fiinf] Sinnes-
objekten und [den drei] Guna's,
5. (9994.) gehen nicht in eine abermalige Geburt ein die
Muni's, die ihre Geliibde scharf beobachten; wann werden
denn auch wir, das Konigreich aufgebend, dazu kommen,,
o Bedranger der Feinde?
Bhishma sprach:
6. (9995.) Es gibt nichts Ewiges, o grofser Konig, die
Welt ist das Reich der Erscheinung, und auch die Wieder-
geburt ist eine bekannte Sache, es gibt hienieden nichts Un-
wandelbares,
7. (9996.) und auch du, o Konig, glaubst das nicht. Diese
Mangelhaftigkeit [der Welt] ist keine blofs zufallig anhaftende;
nur wenn ihr mit Anstrengung die Pflicht erkannt habt,
werdet ihr mit der Zeit dazu kommen [dies einzusehen].
8. (9997.) Diese verkorperte Seele ist niemals Herr (?go
mit C), o Konig, iiber Gutes und Boses, und aufserdem wird
sie noch durch das um sie aufsteigende Tamas gehemmt.
9. (9998.) Wie der mit Feuchtigkeit gesalbte Wind, wenn
er sich weiterhin mit dem Staube des Rauschrots erfiillt, mit
dessen Farbe alle Gegenden iiberzieht,
10. (9999.) so bewegt sich die von den Friichten ihrer
Werke gefarbte und mit Tamas umhiillte Seele, indem sie,
obgleich farblos [ihrem Wesen nach], deren Farbung an-
nimmt, in den Korpern.
11. (10000.) Wenn aber der Mensch die aus dem Nicht-
wissen entspringende Finsternis durch das Wissen verscheucht,
dann kommt [in ihm] das ewige Brahman zur Erscheinung.
12. (10 001.) Nicht durch Anstrengung ist es zu erringen,
wie die Weisen lehren und sie, welche erlost sind; sie
sind zu verehren von dir und der Welt und den Gottern,
von Ihm (dem Brahman) lassen nicht ab die Scharen der
grofsen Rishi's.
488 III. Mokshadharma.
13. (10002.) Vernimm andachtig, o Konig, was hieriiber
einstmals gesungen wurde, namlich wie sich der Damon
Vritra, als er um seine Herrschaft gekommen war, verhielt,
14. (10003.) als er besiegt und hilflos seines Reiches be-
raubt war, o Bharata, und doch, von Feinden umgeben, nicht
klagte, sondern zar reinen Erkenntnis seine Zuflucht nahm.
15. (10004.) Es geschah einmal, dafs zum Vritra, der von
seinem Throne gestiirzt worden war, Uganas das Wort sprach:
FiihJst du denn, nachdem du besiegt worden bist, dariiber
gar keinen Kummer, o Danava?
Vritra sprach:
16. (10005.) Nachdem ich durch Wahrhaftigkeit und Askese
liber das Kommen und Gehen der Wesen zur Erkenntnis
ohne Zweifel gelangt bin, trauere ich nicht mehr und freue
mich nicht mehr.
17. (10006.) Von Kala (der Zeit) fortgetrieben, stiirzen die
Lebenden in die Holle gegen ihren Wihen, aber alles Himm-
lische lebt in Vollbefriedigung, wie die Weisen lehren.
18. (10007.) Nachdem aber die Lebenden die ihnen zu-
gemessene Zeit dort verbracht haben, entstehen sie, von der
Zeit getrieben, in der folgenden Zeit immer wieder und wieder.
19. (10008.) Und nachdem sie in tausend tierische Ge-
burten oder auch in die Holle gelangt sind, kommen die
Lebenden wieder aus ihnen heraus ohne ihr Zutun, gebunden
durch die Stricke der Begierde.
20. (10 009.) Dafs die Lebewesen in dieser Weise um-
wandern miissen, hatte ich vordem nicht erkannt; aber die
Schrift lehrt : wie die Werke, so ist auch die Vergeltung.
21. (10010.) Sie gehen ein in ein Tier, in die Holle, in
ein menschliches oder gottliches Dasein, nachdem sie vorher
Lust und Leid, Liebes und Unliebes durchgekostet haben.
22. (10011.) An das Gesetz des Todes gebunden, geht alle
"Welt von hinnen und alle Wesen gehen immerfort den Weg,
den sie schon gegangen waren,
23. (10012.) der durch das Mafs der Zeit gemessen ist und
Schopfung und Bestand zum Ziele hat.
Adhyaya 280 (B. 279). 489
Zu ihm, der so redete, sprach der heilige Uganas:
(10013.) 0 Weiser, warum bringst du so schlechtes Gerede
vor, 0 Freund?
Vritra sprach:
24. (10014.) Dir sowie den anderen Weisen diirfte es be-
kannt sein, dafs ich vordem, nach Sieg begehrend, grolse
Askese iibte.
25. (10015.) Mancherlei Geriiohe und Geschmacke der [von
mir getoteten Nil.] Wesen mir aneignend, gedieh ich und
durchdrang alle drei Welten mit meiner Kraft.
26. (lOOiG.) Von einem Flammenkranz umgeben, durch-
wandelte ich den Luftraum und, unbesiegbar fiir alle Wesen,
war ich jederzeit frei von Furcht.
27. (10017.) Diese durch Askese erlangte Gottherrlichkeit
brach zusammen infolge meiner Werke, aber ich halte mich
tapfer und klage nicht, o Heiliger.
28. (10018.) Vordem habe ich neben dem kampflustigen
grofsen Indra, dem hochherzigen Helden, den heiligen Herrn
Hari Narayana geschaut,
29. (10019.) den Vaikuntha, den unendlichen Geist, den
glanzenden ewigen Vishnu, den schilfgrashaarigen , blond-
bartigen Urvater aller Wesen.
30. (10020.) Nun aber ist mir von aller meiner Askese
noch als Uberrest geblieben, dafs ich den Wunsch hege,
o Heiliger, dich nach der Frucht der Werke zu befragen.
31. (10021.) In welcher Kaste ruht die Gottherrlichkeit, das
grofse Brahman? Und wie geschieht es, dafs diese hochste
Gottherrlichkeit zunichte wird?
32. (10 022.) Wodurch haben die Wesen ihr Leben und
[tathd mit C] seine Betatigung? Welches ist die hochste
Frucht, durch deren Erlangung der Lebende ewig besteht?
33. (10023.) Und ferner, durch welches Werk oder durch
welches Wissen ist es moglich, diese Frucht zu erlangen?
Das, 0 Brahmane, mogest du mir erklaren.
34. (10024.) Als der Weise damals so angeredet wurde,
was er da antwortete, das, o Konigslowe, vernimm mit
490 in. Mokshadharma.
ungeteilter Aufmerksamkeit , wie ich es dir mitsamt
deinen Briidern berichte, o Stier unter den Mannern.
So lautet im Mokshadharma der Gesang vom Vritra
(Vritra-gttd).
Adhyaya 381 (B. 280).
Vers 10025-10097 (B. 1-70).
U^anas sprach :
1. (10025.) Verehrung sei jenem heiligen, iibermachtigen
Gotte, der den Erdboden, o Freund, und den Luftraum mit
seinen Armen umspannt,
2. (10026.) und dessen Haupt die ewige Statte ist, o Bester
der Danava's; dieses Gottes Vishnu hochste Majestat will
ich dir verkiindigen.
3. (10027.) Wahrend diese beiden in dieser Weise mitein-
ander redeten, kam dazu ein grofser Weiser, der pflicht-
getreue Sanatkumara, um ihre Zweifel zu losen.
4. (10028.) Nachdem er von dem Fiirsten der Damonen
und ebenso von dem weisen Uganas verehrt worden war, liefs
er, der Stier unter den Muni's, sich auf dem Ehrensitze nieder,
0 Konig.
5. (10029.) Als der Hochweise sich gesetzt hatte, sprach
Uganas zu ihm das Wort: Verkiindige diesem Fiirsten der
Danava's die hochste Majestat des Vishnu.
6. (10030.) Sanatkumara aber, als er dies vernommen,
sprach das treffliche Wort iiber die Majestat des Vishnu zu
dem weisen Fiirsten der Danava's.
7. (10031.) Vernimm, o Daitya, vollstandig die Majestat
des Vishnu. In Vishnu ruht diese ganze Welt, das wisse,
o Feindbedranger.
8. (10032.) Er ist es, o Grofsarmiger , der die Schar der
beweglichen und unbeweglichen Wesen schafft, der sie im
Laufe der Zeit wieder in sich hereinreifst und sie abermals
schafft.
9. (10033.) In ihm gelangen sie zur Vernichtung, und aus
Adhyaya 281 (B. 280). 491
ihm entstehen sie wieder; er kann nicht durch Erkenntnis,
nicht durch Askese, nicht durch Opfer (ioo34.) erlangt werden,
sondern nur durch Fesselung der Sinnesorgane.
10. Standhaft im Geiste bei dem aufsern und innern
Werke, (10035.) lautert man beide durch das Bewufstsein [keinen
Lohn zu begehren], dann erlangt man im Jenseits die Ewigkeit.
11. Wie ein Goldschmied das Silber im Feuer lautert,
(10036.) vielfaltig mit grofser, selbstauferlegter Uberanstrengung;
12. so wird die Seele hundert Geburten hindurch von
ihrem Werke gelautert, (10037.) aber bei grofser Anstrengung
kann sie audi in einer einzigen Geburt rein werden.
13. Wie man mit nur geringer Miihe einen kleinen Staub-
fleck von seinem Korper abwischt, (looss.) so soil man mit
grofser und vielfacher Anstrengung seine Fehler aus sich
ausrotten.
14. Wie Sesam oder Senf, nur von einem kleinen Blumen-
kranze durchduftet, (10039.) seinen natiirlichen Geruch noch
nicht verliert, ahnlich geht es auch zu, wo es sich um das
Schauen des Schwererkennbaren handelt.
15. Wenn aber eben jener [Sesam oder Senf] von
vielen Blumenkranzen wieder und wieder durchduftet wird,
(10040.) dann verliert er seinen natiirlichen Geruch und nimmt
auf die Dauer den Geruch des Krauzes an.
16. So wird bei solchen, die durch die Guna's an die
Welt gekniipft sind, erst durch hundert Geburten ein ihnen
anhaftender (ioo4i.) Fehler durch die Erkenntnis zunichte
mittels einer durch Ubung erworbenen Anstrengung.
17. Was nun die am Werke hangenden oder ihm ent-
sagenden [Geschopfe] betrifft, o Danava, (10042.) wie diese zu
einer verschiedenen Stellung den Werken gegeniiber ge-
langen, das vernimm.
18. Wie sie sich im Leben betatigen, und worin sie ihren
Halt linden, o Herr, das will ich dir eins nach dem andern
erklaren, (10043.) das mogest du mit ungeteilter Aufmerksam-
keit vernehmen.
19. Der anfanglose und endlose, gliickselige Hari Na-
rayana, der Herr, (10044.) schafft als Gott die Wesen, die un-
beweglichen und beweglichen.
492 III. Mokshadharma.
20. Er weilt in alien Wesen als ihr vergangliclier und
ihr unverganglicher Teil (ioo45.) und in Gestalt der elffachen
Umwandlung [zu Manas und Indriya's] trinkt er mit seinen
Strahlen [den Indriya's Nil.] die Welt.
21. Seine Flifse sind die Erde und sein Haupt ist der
Himmel, das wisse, (ioo46.) seine Arme sind die Himmels-
gegenden, o Daitya, sein Gehor ist der Ather.
22. Von ihm stammt die gluterfiillte Sonne, sein Manas
weilt im Monde, (ioo47.) seine Buddhi ist iiberall in der Er-
kenntnis zu finden, sein Geschmack weilt in den Wassern.
23. Zwischen seinen Brauen schweifen die Planeten, o
Bester der Danava's, (ioo48.) das Bad der Gestirne dreht sich
in seinen Augen, aus seinen Fiirsen ist die Erde geworden,
o Danava.
24. Wisse, dafs Rajas, Tamas und Sattvam ihrem Wesen
nach Narayana sind, (10049.) er ist die Frucht des Beharrens
in den Lebensstadien, bei ihm steht die Frucht des Werkes ;
25. aber auch fiir das Nicht-Werk ist er, der Unver-
gangliche, die hochste Frucht, (10050.) die heiligen Lieder sind
die Haare seines Leibes, der Laut Om ist seine gottliche Rede.
26. Viele Standorte hat er und viele Angesichter, Dharma
(die Gerechtigkeit) wohnt in seinem Herzen, (10051.) er ist das
Brahman, ist die hochste Gerechtigkeit, ist Askese, ist das
Seiende und Nicht-Seiende.
27. Auf ihn gerichtet ist der Schriftkanon und die Soma-
giisse, er befafst in sich die sechzehn Opferpriester und das
Opfer selbst, (10052.) er ist der Urvater, ist Vishnu, die Agvin's
und der Stadtezerstorer (Indra) sind seines Wesens.
28. Mitra, Varuna, Yama und der Schatzespender (Kubera)
(10053.) sind seine einzelnen Erscheinungsformen, sind sich der
Einheit in ihm bewufst, das ganze Weltall ist in dieses einen
Gottes Gewalt.
29. (10054.)' Er offenbart, 0 Fiirst der Daitya's, die Ein-
heit dieser mannigfachen Welt, und der Mensch durch Er-
kenntnis schaut sie, dadurch wird das Brahman offenbar.
30. (10055.) Durch zehntausend Millionen Weltvernich-
tungen und Neuschopfungen bestehen die einen Seelen,
wahrend andere abtreten. Der Umfang aber der Wesens-
Adhyaya 281 (B. 280). 493
schopfung ist [vergleichbar] dem vieler tausend Seen,
o Daitya.
31. (10056.) Diese Seen sind ein Yojanam [etwa eine
Meile] breit und an Tiefe gehen sie einen KroQa (eine
Rufweite) hinunter, an Lange aber erstreckt sich jeder
einzelne von ihnen fiinfhundert Yojana's weit.
32. (10057.) Nun wird aus den Teichen mit der Spitze
eines Haares einmal taglich, und nicht zweimal, Wasser
entnommen; wenn sie dadurch verbraucht sind, dann ist
eine Periode von der Neuschopfung bis zur Vernichtung
der Wesen verstrichen.
33. (10058.) Die sechs Farben der Seele dienen als ihr
hochster Wertmesser : Schwarz, Grau und Blau, letzteres
ist ihr mittelmafsiger Zustand, sodann Rot ist schon er-
traglicher, die gelbe Farbe ist Gliick, und grofses Gliick
ist Weifs.
34. (10059.) Das Hochste ist Weifs, als fleckenlos,
kummerlos, beschwerdelos wird es erreicht, o Fiirst der
Danava's, denn erst, nachdem sie tausendmal durch die
Entstehung aus einem Mutterschofse durchgegangen ist,
gelangt die Seele zur Vollkommenheit, o Daitya.
35. (10060.) Der Gang, welchen der Gott als Vorbild
aufgestellt hat, nachdem er selbst auch das gute Vor-
bild gegeben hatte [vg]. Chand. Up. 8,7-12; Nil. denkt
an Ait. Up. 1,3,13 fg.], dieser Gang ist fur die Geschopfe
bedingt durch ihrcs Farbe, die Farbe aber wiederum ist
bedin^t durch Kala (die Zeit, das Schicksal), o Fiirst
der Damonen.
36. (10061.) Hunderttausendmal vierzehn Stufen [ent-
sprechend den zehn Indriya's, Manas, Buddhi, Ahaiikara und
Cittam] hat der nach oben fiihrende Weg der seelischen
Tugend, o Daitya; dadurch wird das Emporsteigen der
Seel en bewirkt, sowie ihr Verharren und ihr Herabsteigen.
37. (10062.) Der Weg der schwarzen Farbe fiihrt ab-
warts; man klebt [an der Siinde Nil.] und brat in der
'Holle, und der Aufenthalt in ihr fiir die Bosen wird, wie
sie lehren, viele Schopfungsperioden durchdauern.
38. (10063.) Und nachdem er ihrer hunderttausend in
494 ' III. Mokshadharma.
diesem Zustande vollbracht hat, so erlangt er alsdann
• die fahle [harita-dhtimra Nil.] Farbe; in ihr weilt er
unfrei, wahrend das Weltalter ablauft, qualumhiillten
Geistes.
39. (10064.) Wenn er sodann, mit dem Guna des Satt-
vam verbunden, das Tamas abschiittelt und mit Hilfe
seiner Buddhi dem Besseren zustrebt, dann gelangt er
aus der blauen Farbe in die rote und ergeht sich in der
Menschenwelt.
40. (10065.) In diesem Zustande verweilt er eine Schop-
fungsperiode hindurch, indem er von den aus seiner
Naturbeschaffenheit entspringenden Fesseln gequalt wird;
dann gelangt er in die gelbe Farbe, wahrend hundert
Schopfungsperioden verstreichen.
41. (10066.) Hat er aber die gelbe Farbe erreicht, so
verharrt er in ihr, bis tausendmal die Wesenschopfung
vergangen ist, und verbraucht sodann, da er nocK nicht
«rlost ist, in der Holle, o Daitya, zehntausend weitere
42. (10067.) Perioden, dazu noch fiinf- und viertausend
[entsprechend der Zahl der neunzehn Organe Nil.] und
seine aufgehauften Werke; dann wisse ihn erlost aus der
Holle und in alien moglichen anderen Kreaturen weilend.
43. (10068.) So verweilt er wiederholentlich in der
Gotterwelt und nimmt, aus ihr herabgestiirzt, wieder
Menschengestalt an; achthundert Weltvernichtungen und
Neuschopfungen weilt er unter den Sterblichen und geht
[sodann] in die Unsterblichkeit ein,
44. (10069.) Und wieder stiirzt er aus ihr herab durch
Fiigung des Schicksals und weilt auf dem schwarzen
Grunde, dem alleruntersten. Wie aber weiter diese Welt
der Lebenden zur Vollendung gelangt, das will ich dir
erklaren, o Held der Asura's.
45. (10070.) Durch siebenhundert gottliche [sattvahal'te
Nil.] Umgestaltungen hindurch wird er rot, dann gelb
und endlich weifs; denn zu jener weifsen Statte gelangt
er erst, nachdem er die acht verehrungswiirdigsten Welten
niederer Ordnung bewohnt hat,
46. (10071.) die acht [Welten] der Glanzreichen und
. Adhyaya 281 (B. 280). 495
die [mit ilinen identischen] sechzig Hunderte [von psychi-
schen Zustanden, dreifsig fur das Wachen, dreifsig fiir
den Traum, von Nil. sehr willkiirlicli zusammengebracht]
sind auf das Manas beschrankt; was aber den hochsten
Gang der weifsen Farbe [den Turiya Nil.] betrifft, so
sind alle drei [Wachen, Traumschlaf, Tiefschlaf] bei
ihm ausgeschlossen, o Hochmachtiger.
47. (10072.) Der Noch-nicht-Freie aber bewohnt eine
unerwiinschte Weltperiode hindurch die vier anderen
Statten [Mahas, Janas, Tapas, Satyam, Nil.], welches
das hochst erreichbare Ziel in der sechsten Farbe fiir
den ist, welcher in der Vollkommenheit noch nicht voll-
kommen, wenn auch frei von Miihsal, ist.
48. (10073.) Daselbst wohnt er, mit den sieben [In-
driya's, Manas, Buddhi] belastet, als ein Unfreier noch
hundert Weltperioden hindurch, an seinen Werkrest ge-
bunden; wenn er von dort nochraals in die Menschen-
welt zuriickkehrt, so gelangt er als ein Grofser zum
menschlichen Dasein.
49. (10074.) Von diesem sich abkehrend, gesellt er sich
darauf, zunachst stufenweise emporsteigend , zu Scharen
[hoherer] Wesen und durchschreitet siebenmal die Welt-
raume, da seine Macht durch die [iiberstandenen] Welt-
vernichtungen und Neuschopfungen [nach Nil. durch
Yogaversenkung und Erwachen aus ihr] gewachsen ist.
50. (10075.) Und obgleich er alle sieben [Welten] be-
seitigt, indem er sie als Hemmnisse erkannt hat, beharrt
er doch noch in der Welt der Lebenden ; dann aber ge-
langt er zu der unverganglichen, unendlichen Statte des
Gottes Vishnu, des Brahman, (ioo76.) des ^esha (vgl.
unten Vers 12900), des Nara (des Purusha), des Gottes
Vishnu als des Allerhochsten.
51. Zur Zeit der Weltvernichtung gehen nach Ver-
brennung ihrer Leiber jedesmal die Geschopfe zum Gotte
Brahman ein (10077.) und auch alle lebenerfiillten [ceshtdt-
manah Nom.!) Gotterscharen , soweit sie unterhalb der
Brahmanwelt stehen.
52. In der Zeit, wo der Werkrest zur Geltung kommt.
496 ni. Mokshadharma.
stromen die Seelen nach den gebiihrenden Platzen zur
Neuschopfung der Wesen; (ioo78.) aber sofern kein Werk-
rest mehr vorhanden ist, gehen am Ende alle Gotter
und die Menschen, welche ihnen ahnlich sind, zu jener
[hochsten] Statte ein.
53. Aber diejenigen, welche aus der Welt der Voll-
endeten herabgestiirzt sind, gehen stufenweise ent-
sprechend [ihrem Verdienste] den Weg jener [der Men-
schen]; (10079.) aber im Gegensatze zu ihnen gehen hohere
Seelen und die mit ihnen gleiche Kraft besitzen, zu der
jedem einzelnen gebiihrenden Bestimmung ein.
54. Solange ein solcher noch an dem Reste seiner
Werke zu zehren hat, solange wohnen alle diese Krea-
turen und die beiden weifsen Gottinnen [die hohere und
niedere Wissenschaft Nil.] (looso.) in seinen Gliedern; er
ist reinen Herzens, da er dieses Fiinf-Sinne -Wesen iiber-
wunden hat.
55. Er geht jenen reinen, hochsten Gang, mit reinem
Geiste immerfort meditierend, (loosi.) dann gelangt er zu
der unverganglichen Statte, zu dem schwer erreichbaren
ewigen Brahman geht er ein.
56. Damit ist dir, o Mann von tadellosem Charakter,
diese Macht des Narayana hier verkiindet worden.
Vritra sprach :
57. (10082.) Wenn es so steht, brauche ich nicht zu
verzagen, und ich begreife deine Rede vollstandig, und
indem ich deine Rede angehort habe, du Unverdrossener,
fiihle ich mich nunmehr von Siinde gereinigt und frei
von Bosem.
58. (10083.) In Gang gebracht, o heiliger grofser Weiser,'
ist dieses unendlich kraftige Rad [des Samsara] des
glanzreichen Gottes, und dem ewigen Vishnu gehort
auch der ewige Ort, von welchem alle jene Schopfun-
gen ausgegangen sind; (ioo84.) er ist der Hochsinnige,
der hochste Purusha, in ihm ist diese ganze Welt ge-
griindet.
Adhyaya 281 (B. 280). 497
Bhishma sprach:
59. (10085.) Nachdem Vritra dies gesprochen hatte, o Sohn
der Kunti, hauchte er sein Leben aus und erlangte wohl-
bereiteten Geistes die hochste Statte.
Yudhishthira sprach :
60. (10086.) So ist es also jener heilige Gott und Heim-
sucher der Menschen, o Grofsvater, woriiber Sanatkumara da-
mals dem Vritra jenen Aufschlufs gab.
Bhishma sprach :
61. (10087.) In der Weltwurzel wohnt kraft seiner eigenen
Energie der heilige grofse Gott, und dort weilend, schafft der
Hochsinnige alle die mannigfachen Zustande der Welten.
62. (10088.) Aus der Halfte seines einen Viertels (vgl. Rig-
veda 10,90,3), wisse, besteht dieser unerschiitterliche Kegava
(Krishna), und aus der andern Halfte desselben Viertels bildet
der Erkenntnisreiche die drei Welten.
63. (10089.) Derjenige Teil [des Hochsten], welcher her-
warts stehend sich befindet, wandelt sich am Ende jedes
Weltalters, er aber, welcher der iiber alles machtige Herr
ist, der Heilige, ruht auf den Wassern, (ioo90.) und als gnadi-
ger Weltordner durchwaltet er die ewigen Welten.
64. (10 091.) Er, der Unendliche, erfiillt alles mit seinem
Wesen und durchwaltet als der Ewige die Welten, er,
der Hochsinnige, schafft ohne Hemmnis; in ihm ruht
diese ganze mannigfaltige Welt der Lebenden.
Yudhishthira sprach :
65. (10092.) Vom Vritra, o Kenner der hochsten Realitat,
wurde, so glaube ich, das schone, ihm bevorstehende Ziel er-
kannt, darum war er gliicklich und klagte nicht, o Grofs-
vater.
66. (10093.) Wer weifs ist und weifsen Ursprungs, kehrt
als ein Vollendeter nicht mehr zuriick, o Schuldloser, sondern
ist erlost von der Wanderung in die Tierwelt und von der
Holle, o Grofsvater.
67. (10094.) Wer aber sich in der gelben und roten Farbe
Deubbek, Mab&bh&Tatam. ,^9
498 ni. Mokshadharma.
befindet, o Fiirst, der moge auf die Tierwelt hinblicken, wenn
er sich von tamas-artigen Werken umgarnen lafst.
68. (10095.) Wir aber, die wir als Rote [den drei Guna's
entsprechend] Schmerz, Lust und Gleichgiiltiges erfahren
haben, welchen Weg werden wir gehen, den blauen oder den
niedrigsten schwarzen?
Bhishma sprach:
69. (10096.) Ihr Pandusohne, die ihr von reiner Abkunft
und gescharften Geliibdes seid, werdet, nachdem ihr euch
der Gotterwelten erfreut habt, wieder in das Menschentum
eingehen.
70. (10097.) Nachdem ihr, unter den Gottern Gliick ge-
nossen habend, seinerzeit mit Freude wieder zur Wesens-
schopfung zuriickgekommen sein werdet, werdet ihr mit
Freuden zu der Schar der Vollendeten eingehen. Fiirchtet
euch nicht, fleckenlos seid ihr alle.
So lautet im Mokshadharma der Gesang vom Vritra
(Vritra-gitd).
Adhyaya 383 (B. 381).
Vers 10098-10142 (B. 1-44).
Yudhislitliira sprach:
1. (10098.) 0 liber die grofse Gerechtigkeit des unermefs-
]ich kraftigen Vritra, dessen Erkenntnis unvergleichHch und
dessen Verehrung fiir Vishnu nicht weniger grofs war!
2. (10099.) Schwer zu erkennen, o Freund, ist die Statte
des unermefsHch kraftvollen Vishnu; wie hat er, o Tiger
unter den Konigen, diese Statte erkennen konnen?
3. (10100.) Du hast mir ja die Sache erzahlt, und ich
glaube daran unerschiitterlich ; aber mein Geist ist nur noch
mehr aufgeregt, weil ich dabei etwas Unerklarhches finde.
4. (10101.) Wie konnte dieser Vritra von Qakra (Indra)
niedergeschlagen werden, o Mannerstier, da er doch so fromm
und dem Vishnu ergeben war und im Zusammenhang der
Vedaworte die Wahrheit erkannt hatte!
Adhyaya 282 (B. 281). 499
5. (10102.) Diesen Zweifel lose mir, dem Fragenden, o
Bharatastier, wie es moglich war, o Tiger unter den Konigen,
dafs Vritra von (^akra besiegt wurde.
6. (10103.) Und wie der Kampf entbrannte, auch das er-
klare mir, o Grofsvater, in Ausfiihrlichkeit, denn meine Wifs-
begier ist aufs hochste gesteigert, o Grofsarmiger.
Bhishma sprach:
7. (10104.) Einstmals war Indra zu Wagen ausgefahren,
von den Gotterscharen begleitet. Da sah er vor sich den
Vritra stehen, einem Berge vergleichbar,
8. (10105.) fiinfhundert Meilen in die Hohe emporragend,
o Feindebez winger, und mehr als dreihundert betrug sein
Umfang.
- 9. (10106.) Als sie diese so gewaltige, auch von den drei
Welten schwer zu besiegende Gestalt sahen, da zitterten die
Gotter vor dem Vritra und fanden keine Kuhe.
10. (10107.) Und auch dem (^akra, o Konig, schlotterten
die Knie aus Furcht vor dem Vritra, als er so plotzlich diese
gewaltige Gestalt sah.
11. (10108.) Da erhob sich ein Larm und ein Geton von
Instrumenten , als dieser Kampf zwischen alien Gottern und
Damon en entbrannte.
12. (10109.) Aber den Vritra, o Kurusprofs, ergriff beim
Anblick des gegeniiberstehenden Qakra keine Verwirrung,
keine Furcht oder Besorgnis.
13. (10110.) Da entspann sich ein Kampf, der alle drei
Welten in Schrecken setzte, zwischen dem Gotterfiirsten (^akra
und dem hochsinnigen Vritra.
14. (10111.) Von Schwertern, Sensen, Speeren, Lanzen,
Wurfspief sen , Streithammern , von mancherlei Steinen und
lautschwirrenden Bogen,
15. (10112.) von allerlei himmlischen Waffen und Feuer-
branden sowie von gottlichen und damonischen Streitern
war alles erfiillt.
16. (1011.3.) Und mit dem Urvater an der Spitze kamen
alle Gotterscharen und die hochbegliickten Kishi's herbei, um
diesen Kampf anzusehen.
32*
500 ni. Mokshadharma.
17. (10114.) Und audi die Vollendeten auf herrlichen
Wagen, o Bharatastier, und die Gandharven hoch zu Wagen
mit den Apsaras eilten herbei.
18. (10115.) Da iiberschiittete Vritra, der Beste der Ge-
setzestrager, mit einem die Luft erfiillenden Hagel von Steinen
blitzesschnell den Fiirsten der Gotter.
19. (10116.) Darauf wurden die Gotterscharen zornig und
wehrten von alien Seiten her rait einem Regen von Pfeilen
den Steinhagel ab, der von Vritra im Kampfe iiber sie aus-
geschiittet worden war.
20. (10117.) Aber Vritra, o Kurutiger, mit grofser List und
grofser Kraft braohte von alien Seiten im Zauberkampfe Ver-
wirrung iiber den Gotter fiirsten.
21. (10118.) So iiberkam den von Vritra bedrangten Hun-
dertkraftigen Verwirrung. Aber da gab ihm Vasishtha mittels
eines Rathantaram die Besonnenheit wieder.
Vasishtha sprach:
22. (10119.) D\i bist der Beste unter den Gottern, o Gotter-
fiirst, o Zerschmetterer der Daitya's und Asura's; wie kommt
es, dafs dich, o Qakra, der du iiber die Macht der drei Welten
verfiigst, Verzagtheit anwandelt?
23. (10120.) Da stehen Brahman, Vishnu und Qiva, der
Herr der Welt, da stehen Soma, der heilige Gott und alle
die hochsten Weisen;
24. (10121.) verfalle nicht in Kleinmut, o Qakra, wie es
irgendein anderer tun wiirde, betatige deine edle Gesinnung
im Kampfe und schlage die Feinde, o Oberherr der Gotter.
25. (10122.) Hier dieser Lehrer der Welt, der von alien
Welten verehrte heilige Dreiaugige schaut auf dich hin; so
mache dich von der Verwirrung los, o Oberster der Gotter!
26. (10123.) Diese von Brihaspati angefiihrten Brahman-
weisen feiern dich durch himmlischen Lobgesang, o Qakra,
um dir den Sieg zuzuwenden.
Bhishma (der Erzahler) sprach:
27. (10124.) Als er von dem hochherzigen Vasishtha in
dieser Weise zur Besonnenheit zuriickgebracht war, da
Adhyaya 282 (B. 281). 501
wuchs die Kraft des allerglanzvollsten Vasava ins Un-
geheure.
28. (10125.) Da raubte der heilige Ziichtiger des Paka,
auf seine Einsicht sich stiitzend, mit grofser Yogakraft jene
Zauberkraft [des Vritra].
29. (10126.) Als nun der gliickselige Sprofs des Angiras
(Brihaspati) und alle die grofsen Kishi's das tapfere Los-
stiirraen des Vritra sahen, da gingen sie zu Mahegvara ((^iva)
30. (10127.) und sprachen mit ihm wegen der Vernichtung
des Vritra aus Wohlwollen fiir die Welten. Da geschah es,
dafs die Kraft des heiligen Herrn der Welt in Gestalt eines
Fiebers
31. (10128.) von furchtbarer Heftigkeit in den Vritra, den
Herrn der Daitya's [mit C], hineinfuhr. Vishnu aber, der
heilige, von alien Welten verehrte Gott,
32. (10129.) fuhr in den Donnerkeil des Indra der Be-
schiitzung der Welt zuliebe. Da traten an den Hundertkraf-
tigen (Indra) heran Brihaspati, der Weise, (ioi30.^ und der
kraftvolle Vasishtha und mit ihnen alle die hochsten Weisen
33. und bestiirmten den gabenspendenden , allverehrten
Vasava (Indra), (loisi.) indem sie ihn einmiitig baten, den
Vritra zu toten, o Herr.
Mahegvara (Vishnu) sprach:
34. (10132.) Dieser grofse und mit gewal tiger Kraft aus-
geriistete Vritra ist, o (^akra, als allbeseelend, allgegenwartig
und viele Zauberkiinste iibend bekannt,
35. (10133.) darum mufst du diesen besten, auch von der
Dreiwelt schwer zu iiberwindenden Asura mit Hilfe der Yoga-
kraft toten; unterschatze ihn nicht, o Herr der Gotter.
36. (10134.) Denn er hat, o Herr der Gotter, um seine
Kraft zu starken, Askese geiibt sechzigtausend Jahre hin-
durch, und Gott Brahman hat ihm dafiir als Gabe verliehen
37. (10135.) die Majestat der Yogin's und die grofse Zauber-
kunst und die grofse Kraft und die hochste Energie, o Herr
der Gotter.
38. (10136.) Darum ist meine Kraft in dich hineingefahren,
502 in. Mokshadharma.
o Vasava, und jetzt, da er in Bestiirzung ist, mogest du ihn,
den Danava, mit deinem Donnerkeil erschlagen.
^akra sprach:
39. (10137.) 0 Heiliger, durch deine Gnade will ich den
schwer angreifbaren Ditisohn vor deinen Augen, o Gotter-
stier, mit meinem Donnerkeile niederschmettern.
Bhishma sprach :
40. (10138.) Als aber der groi'se Damon, der Daitya, vom
Fieber befallen war, da entstand unter den Gottern und Rishi's
vor Freude ein grofser Larm.
41. (10139.) Da liefsen sie Pauken und helltonende Muscheln,
Trommeln und Tamburine tausendfach erschallen,
42. (10140.) Aber unter alien Asura's trat ein grofses
Schwinden des Gedachtnisses ein, und eine vollige Vernich-
tung ihrer Zauberkunst erfolgte augenblicklich.
4.S. (10141.) Als die Eishi's und Gotter jenen in dieser
Weise befallen sahen, da priesen sie Qakra, den Herrn, und
feuerten ihn an.
44. (10142.) Aber furchtbar war in diesem Kampfe das
Aussehen des von den Rishi's gepriesenen, hochherzigen
(^akra, wie er auf seinem Wagen stand.
So lautet im Mokshadharma die Totung des Vritra
( Vfitra - vadha).
Adhyaya 383 (B. *i82).
Vers 10143-10207 (B. l-fiS).
Bhishma sprach:
1. (10143.) Was bei dem vom Fieber durch und durch er-
griffenen Vritra fiir Anzeichen an seinem Korper hervortraten,
die vernimm von mir, o grofser Konig.
2. (10144.) Flammenden Mundes war der Furchtbare und
grofses Erbleichen iiberkam ihn, heftiges Gliederzittern und
starkes Rocheln stellte sich ein.
Adhyaya 283 (B. 282). 503
8. (10 uo.) schlimmes Haarstrauben und machtiges Stohnen,
o Fiirst. Und als unheilverkiindender, scheufslicher Schakal
fuhr aus seinem Munde
4. (10146.) heraus sein ungeheuerliches Gedachtnis, o Bha-
rata, wahrend flammende und gliihende Feuerbrande an seiner
Seite zum Vorschein kamen.
5. (10147.) Geier, Reiher und Kraniche stiefsen ein furcht-
bares Geschrei aus, und iiber seinem Haupte sich sammelnd,
umschwarmten sie ihn im Kreise.
6. (10148.) Da bestieg, von den Gottern im Kampfe unter-
stiitzt, seinen Wagen mit dem geziickten Donnerkeile in der
Hand Qakra und blickte auf den Daitya bin.
7. (10149.) Da liefs der grofse Damon ein unmenschliches
Geschrei horen und rifs den Rachen auf, o Fiirst der Konige,.
von dem heftigen Fieber geschiittelt.
8. (10150.) Und wie er den Rachen aufrifs, schleuderte
Qakra gegen ihn den Donnerkeil, und der furchtbar scharfe
Donnerkeil, dem Todesfeuer an Ahnlichkeit vergleichbar,
9. (10151.) schmetterte alsbald den machtigen Leib des
Daitya zu Boden. Da entstand abermals von alien Seiten
her ein Geschrei
10. (1015-2.) der Gotter, als sie den Vritra gestiirzt sahen,
o Bharatastier. Als aber der machtige, hochberiihmte Da-
mon enfeind den Vritra geschlagen hatte,
11. (10153.) fuhr er mit dem von Vishnu erfiillten Donner-
keil zum Himmel empor. Aber aus dem Leibe des Vritra,
0 Kurusprofs, fuhr heraus
12. (10154.) die Brahma vadhya (der Brahmanenmord), ent-
setzlich, furchterlich, die Welt erschreckend, mit klaffendem
Gebifs, schauerlich, mifsgestaltet, schwarz und gelb,
13. (10155.) mit flatternden Haaren, furchtbaren Augen,
o Bharata, mit einem Schadelkranz behangt, einer Zauberin
vergleichbar, o Bharatastier,
14. (10156.) bluttriefend , o Pflichtkundiger, mit Lumpen
und Baumbast bekleidet. In dieser fiirchterlichen Gestalt,
o Fiirst der Konige, fuhr sie aus ihm heraus
15. (10157.) und fing an den Donnerkeiltrager zu verfolgen.
504 ni. Mokshadharma.
o Bester der Bharata's. Eine Zeitlang gelang es dem Vritra-
toter, o Kurusprofs,
16. (10158.) dem Himmel zuzufliegen aus Wohlwollen fiir
die Welt. Aber jene, als sie den machtigen Indra ent-
schliipfen sah,
17. (10159.) die Brahmavadhya, packte den Gotterfiirsten
und klammerte sich an ihm fest. Er aber, von der durch
die Brahmavadhya gewirkten Furcht erfiillt,
18. (10160.) versteckte sich in der Knolle einer Lotos-
blume und verweilte in ihr viele Jahre lang. Aber von der
Brahmahatya mit Eifer verfolgt,
19. (10161.) wurde er endHch ergriffen, o Kurusprofs, und
seiner Energie beraub.t. Sie abzuschiitteln gab sich (^akra
die grofste Miihe,
20. (10162.) doch der Fiirst der Gotter vermochte nicht,
die Brahmavadhya von sich loszumachen. Aber der Gotter-
fiirst, von ihr festgehalten, o Bharatastier,
21. (10163.) wandte sich an den Urvater und verehrte ihn
durch Neigung des Hauptes. Als er bemerkte, dafs (^akra
von der Dvijapravaravadhya (dem Brahmanenmord) ergriffen
worden war,
22. (10164.) ging Gott Brahman mit sich zu Rate, o Bester
der Bharata's, und er, der Urvater, sprach, o Grofsarmiger,
zu der Brahmavadhya
23. (10165.) mit sanfter Stimme, um sie zu besanftigen,
o Bharata : Lasse den Herrn der dreifsig [Gotter] los, tue es
mir zuhebe, o Holde.
24. (10166.) Sage, was ich dir dafiir erweisen soil, und
welchen Wunsch du hegst.
Die Brahmavadhya, sprach:
25. (10167.) Wenn dem von den drei Welten verehrten
Gotte, dem Schopfer der drei Welten, damit ein Gefallen ge-
schieht, so sehe ich die Sache schon als getan an. Aber
weise mir eine andere Wohnung an.
26. (10168.) Von dir selbst ist diese Bestimmung [keinen
Brahmanen zu toten], getroften worden, um die Welt zu er-
Adhyaya 283 (B. 282). 505
halten, und diese grofse Anordnung ist von dir selbst, o Gott,
verlassen worden.
27. (10169.) Aber wenn dir ein Gefallen damit geschieht,
o Pflichtkundiger, o Herr der Welt, o Gebieter, so will ich von
(^akra ablassen, aber weise mir eine andere Wohnung an.
Bhishma (der Erzahler) sprach:
28. (10170.) Da sprach der Urvater zur Brahmavadhya :
„So sei es!" Durch dieses Mittel machte er die Brahma-
vadhya von Qakra los.
29. (10171.) Da wurde von dem hochherzigen, durch sich
selbst Seienden der Feuergott herbeigedacht, und dieser, vor
Gott Brahman tretend, sprach folgendes Wort:
30. (10172.) Ich bin, o heiliger Gott, vor dir erschienen,
o Untadliger; was ich zu tun habe, o Gott, das mogest du,
o Herr, mir sagen.
Gott Brahm^Q sprach:
31. (10173.) Ich gedenke hier diese Brahmavadhya in
mehrere Teile zu zerlegen, um den Qakra von seiner Siinde
zu befreien, so iibernimm du ein Viertel von ihr.
Agai (der Feuergott) sprach:
32. (10174.) Welches ist der Endpunkt, wo ich von ihr
werde befreit werden, o Brahman, dariiber denke nach, o
Herr, das wiinsche ich mit Bestimmtheit zu wissen, o du
von aller Welt Verehrter.
Gott Brahniau sprach:
33. (10175.) Wenn jemals irgendwo ein Mensch deinen
Flammen naht und, von Tamas umnebelt, es unterlassen wird,
dir mit Kornern, Pflanzen und Saften zu opfern,
34. (10176.) dann wird diese Brahmavadhya sofort in ihn
hineinfahren und Wohnung in ihm nehmen; lafs den Kummer
deiner Seele fahren, o Opferfahrer.
35. (10177.) Nach diesen Worten nahm der heilige Ge-
niefser des Gotter- und Manenopfers den Befehl des Urvaters
an, und es geschah so, o Herr.
506 III. Mokshadharma.
36. (10178.) Welter rief der Urvater Baume, Krauter und
Graser herbei und unternahm es, an sie dieselbe Zumutung
zu stellen, o Grofskonig.
37. (10179.) Als aber an die Baume, Krauter und Graser
ebendasselbe Wort erging, da waren sie ebenso aufgeregt
wie Agni, o Konig, und sprachen zu Gott Brahman:
38. (10180.) Welches wird fiir uns der Endpunkt des
Tragens der Brahmavadhya sein, o Urvater; uns, die wir
vom Schicksal schon genug geschlagen sind, solltest du nicht
noch mehr schlagen.
39. (10181.) Immerfort miissen wir Feuer und Kalte und
vom Winde gepeitschten Regen aushalten, o Gott, dazu noch
das Abhauen und Spalten.
40. (10182.) Wir wollen jetzt auf dein Geheifs diese Brahma-
vadhya hier iibernehmen, o Herr der drei Wei ten, aber denke
daran, wie wir wieder davon loskommen.
Gott Brahman sprach :
41. (10183.) Wenn ein Mensch zur festlichen Zeit des Mond-
wechsels aus Verblendung euch abhauen oder spalten wird^
so wird sie in ihn hineinfahren.
Bhishma (der Erzahler) sprach:
42. (10184.) Nachdem der Hochsinnige diese Worte zu den
Baumen, Pflanzen und Grasern gesprochen hatte, verehrten sie
den Gott Brahman und gingen schnell dahin, woher sie ge-
kommen waren.
43. (10185.) Weiter rief der Gott und Urvater der Wei ten
die Apsaras heran und sprach zu ihnen mit milder Stirame^
um sie freundlich zu stimmen, o Bharata:
44. (10186.) 0 ihr Schongliedrigen, diese Brahmavadhya
stammt von Indra her, so iibernehmt denn auf meinen
Wunsch ein Viertel von ihr.
Die Apsaras sprachen:
45. (10187.) Auf deinen Befehl, o Herr der Gotter, sind wir
geneigt, sie aufzunehmen, aber iiberlege, o Urvater, wie wir
der Vereinbarung gemafs von ihr loskommen werden.
Adhyaya 283 (B. 282). f,07
Gott Brahman sprach:
46. (10 188.) Wer wahrend der Kegel der Frauen mit ihnen
die Begattung vollzieht, in den wird sie alsbald eingehen;
lafst den Kuramer eurer Seele fahren.
Bhishma (der Erzahler) sprach:
47. (10189.) „So sei es!" sprachen mit frohlichem Geiste
die Scharen der Apsaras und kehrten an ihren Ort zuriick
zum lustigen Leben, o Bharatastier.
48. (10190.) Weiter dachte der Schopfer der drei Welten,
der askesereiche Gott, an die Wasser, und auf seine Medita-
tion bin kamen sie auch herbei.
49. (10191.) Als sie nun alle bei dem unermefslich kraf-
tigen Gott Brahman zusammengekommen waren, fielen sie
vor dem Urvater nieder und sprachen dieses Wort:
50. (10192.) Wir alle sind, o Gott, vor dich getreten, o
Feindebandiger, auf deinen Befehl, o Herr der Welt; tue uns
deinen Willen kund, o Herr.
Gott Brahman sprach:
51. (10193.) Diese furchtbare Brahmavadhya hat von Vritra
aus den Vielangerufenen (Indra) ergriffen, so iibernehmt
denn ihr ein Viertel von ihr.
Die Wasser sprachen:
52. (10194.) So moge es geschehen, o Herr der Welt, wie
du es uns befiehlst, o Gebieter, aber iiberlegen mogest du,
wie wir nach Vereinbarung wieder von ihr loskommen werden.
53. (10195.) Du bist ja, o Gotterherr, fiir die ganze Welt
die hochste Zuflucht; wen sonst konnten wir anflehen, dafs
er uns aus dem Elend errette (mit C).
Gott Brahman sprach:
54. (10196.) Wenn ein Mann, in seinem Geiste verblendet,
euch geringschatzen und Schleim, Urin oder Kot in euch ge-
langen lassen sollte,
55. (10197.) so wird diese hier alsbald in ihn fahren und
508 III- Mokshadharma.
in ihm Wohnung nehmen ; so werdet ihr von ihr frei werden,
das sage icli euch als die Wahrheit.
56. (10198.) Da liefs die Brahmavadhya von dem Gotter-
fiirsten ab, o Yudhishthira, und fuhr in die Behausung, wie
sie ihr durch den Befehl des Gottes angewiesen worden war.
57. (10199.) Das ist die Geschichte von der Behaftung des
(^akra mit der Brahmavadhya, o Volkerherr; er aber ver-
abschiedete sich von dem Urvater und brachte ein Rofs-
opfer dar.
58. (10 200.) Und so ist es uns iiberhefert, dafs Vasava
(Qakra) mit der Brahmavadhya behaftet gewesen ist, o grofser
Konig, und dafs er die Reinigung von ihr durch ein Rofs-
opfer erlangte.
59. (10 201.) Der Gott Vasava also, nachdem er seine
HerrHchkeit wiedererlangt und die Feinde tausendfach ge-
schlagen hatte, genofs unvergleichhches Gliick, o Herr der
Erde.
60. (10202.) Aus dem Blute des Vritra, o Prithasohn, ent-
standen die Qikhanda's*, von geweihten und askesereichen
Brahmanen diirfen sie nicht gegessen werden.
61. (10203.) Auch du mufst solchen Zwiegeborenen in
alien Lagen Liebe erweisen, denn sie werden als die Gotter
auf Erden gepriesen, o Kurusprofs.
62. (10204.) So wurde, o Kurusprofs, von dem unermefs-
lich kraftigen Qakra vermoge der Feinheit seines Geistes der
grofse Damon Vritra durch Anwendung der rechten Mittel
niedergeschlagen.
63. (1020.5.) Und so wirst auch du, o Sohn der Kunti, un-
besiegbar sein auf der Erde, wie der hundertkraftige, Feinde
totende Gott.
64. (10 206.) Wer aber diese gottliche Geschichte vom Qakra.
an jedem Mondfeste im Kreise von Brahmanen erzahlen wird,
der wird sich von Siinde freihalten.
* Nach P. W. „wohl eine bestiiumte Pflanze'''- ; Nilakantha, Qabdakal-
padruma imd Vacaspatyam gebeu keine Hilfe; „high-cnsted cocki'' P. C.
Ray; ,,Habne" Jacobi.
Adhyaya 283 (B. 282). 509
65. (10207.) So habe ich dir denn die grofse, iiberaus
wunderbare Tat, die (^akra am Vritra vollbrachte, erzahlt,
0 Freund; was wunschest du nun weiter zu horen?
So lautet im MokBhadharma die Verteilung der BTabmabaty&
(Brahmahatya - vibhdga).
Adhyaya 284 (B. 283).
Vers 10208-10271 (B. 1-63).
Yudhishthira sprach :
1. (10208.) 0 Grofsvater, Weiser, aller Lehrbiicher Kun-
diger ! Uber jene Totimg des Vritra, o Himmlisoher, wiinsche
ich etwas zu fragen.
2. (10209.) Du sagtest, o Fiirst der Volker, dafs Vritra
durch das Fieber in Verwirrung gesetzt war und darauf von
Vasava mit dem Donnerkeil getotet wurde, o Untadliger.
3. (10210.) Wie ist dieses Fieber entstanden und zum Vor-
schein gekommen, o Hochweiser? Die Entstehung dieses
Fiebers wiinsche ich von dir, o Herr, ausfiihrhch zu ver-
nehmen.
Bhishma sprach:
4. (10 211.) Vernimm den weltberiihmten Ursprung jenes
Fiebers, und auch seine Ausbreitung will ich dir erklaren,
wie sie geschehen ist, o Bharata.
5. (10212.) Es war einmal, o Grofskbnig, ein von alien
drei Welten verehrter Gipfel des Gotterberges Meru, mit
Namen Jyotishka (der Glanzende), dem Savitar heilig, mit
allerlei Edelsteinen geschmiickt,
6. (10213.) unermefslich grofs, in alien Welten nicht zu
iiberwinden, o Bharata. Dort befand sich der Gott [Qiva]
auf einem mit Gold und Edelmetallen geschmiickten Berg-
abhang,
7. (10214.) wie auf einem Ruhebette glanzvoll sitzend, und
die Tochter des Konigs der Berge [Uma, Tochter des Hima-
laya] strahlte allezeit an seiner Seite (10215.) und hochsinnige
Gotter, unermefslich kraftige Vasu's,
510 in. Mokshadharma.
8. ferner die hochherzigen beiden Agvin's, die Besten der
Arzte, (10216.) dazu der Konig Vaigravana (Kubera), von seinen
Gnomen umgeben,
9. der gliickliche Fiirst der Yaksha's, ihr auf dem Kai-
lasa wohnender Gebieter, — (10217.) sie alle verehrten den
Hochsinnigen ((^iva) und mit ihnen der grofse Weise Uganas.
10. Und auch die von Sanatkumara angefiihrten grofsen
Eishi's (10 218.) und, mit Angiras an der Spitze, andere Gotter-
Rishi's
11. und der Gandharva Vigvavasu, sowie Narada und
Parvata (10219.) und Schwarme aus der Schar der Apsaras
kamen in grofser Menge zusammen.
12. Ein lieblicher, heilbringender Wind wehte, mancherlei
Diifte mit sich bringend und rein, (10220.) und bliihende Baume,
von Blumen aller Jahreszeiten umgeben,
13. sowie Vidyadhara's und askesereiche Siddha's, —
(10221.) diese alle umgaben verehrend den Mahadeva, den
Herrn der Her den, o Bharata.
14. Und auch Geisterscharen von mannigfachen Gestalten,
o Grofskonig, (10222.) furchtbare Rakshasa's, gewalttatige
Pigaca's,
15. mancherlei Gestalten tragend, im Freudenrausch
allerlei Waffen schwingend, (10223.) standen daselbst als Ge-
folge des Gottes, dem Feuer vergleichbar.
16. Auch der heilige Nandin stand dort mit Erlaubnis
des Gottes (10224.) mit dem flammenden Speere in der Hand,
strahlend in eigenem Glanze.
17. Und Gaiiga, die Beste unter den Fliissen, die alien
heiligen Badeplatzen das Wasser spendet, (10 225.) verehrte in
leibhaftiger Gestalt den Gott, o Kurusprofs.
18. Der Heilige aber, in dieser Weise dort von Gotter-
weisen verehrt (10 226.) und von Gottern, stand da als Mahadeva
in grofser Majestat.
19. Einstmals nun geschah es, dafs ein Prajapati (Schopfer)
mit Namen Daksha (10227.) sich anschickte, in althergebrachter
Weise ein Opfer zu bringen.
20. Und es hatten sich wegen seines Opfers alle Gotter
Adhyaya 284 (B. 283). 511
mit Qakra an der Spitze (10228.) zusammengetan und die Ab-
sicht gefafst, dahin zu gehen.
21. Auf ihren Wagen, die wie Feuer und Sonnen glanzten,
kamen diese Hochsinnigen (10 229.) mit Erlaubnis des Gottes
(Daksha) nach Gangadvara, wie es heifst.
22. Als aber die Bergkonigstochter (Uma) sah, wie die
Gotter sich aufgemacht batten, (10230.) da sprach die Vortreflf-
liche zu ihrem Gatten, dem tierbehiitenden Gotte, dieses
Wort:
23. 0 HeiHger! wohin mogen wohl diese Gotter unter
^akra's Fiihrung gehen? (10231.) Das sage mir der Wahrheit
nach, o Wahrheitskenner, ich bin dariiber in grofsem Zweifel.
Mahe<;vara (Qiva) sprach:
24. (10232.) 0 Gliickliche! ein Oberherr der Geschopfe mit
Namen Daksha bringt ein Rofsopfer dar, dahin gehen die
Himmelsbewohner.
Uma sprach:
25. (10233.) Wie kommt es, dafs du, o Mahadeva, nicht
auch dieses Opferfest besuchst? Welches Hindernis besteht,
dafs du nicht dorthin gehst?
MaheQvara sprach :
26. (10234.) 0 Gliickliche! von den Gottern ist das von
jeher so gehalten worden, bei alien Opfern ist kein Anteil
fiir mich bestimmt.
27. (10 23,5.) Gemafs einem durch althergebrachtes Ver-
fahren iiberkommenen Brauche, 0 Schonfarbige, geben die
Gotter mir gewohnheitsmafsig keinen Anteil am Opfer.
Uma sprach:
28. (10236.) 0 Heiliger! du bist vermoge deiner Tugen-
den an Macht alien Wesen iiberlegen, bist unbesiegbar und
uniiberwindlich an Macht, Ruhm und Gliick.
29. (10237.) Durch diese Verweigerung deines An toils,
o Gliicklicher, bin ich von grofsem Schmerze und Zittern er-
griffen, o Untadliger.
512 HI. Mokshadharma.
Bhishma sprach :
30. (10238.) So sprach die Gottin zu ihrem Gemahl, dem
Herrn der Tiere, und schwieg, o Konig, gliihenden Zorn im
Herzen.
31. (10239.) Er aber durchschaute, was in ihrem Herzen
verging, und was sie getan zu sehen wiinschte, und erteilte
dem Nandin den Befehl: „Du wartest hier."
32. (10240.) Er aber wappnete sich mit Yogakraft, der
Meister aller Yogameister, und unternahm es, er, der Ge-
waltige, mit seinen furchtbaren Mannen das Opfer
33. (10241.) jahUngs zu storen, der Gottergott mit dem
Pinaka-Bogen. Einige erhoben ein Geheul, andere brachen
in Gelachter aus,
34. (10242.) einige besudelten sogar das Opferfeuer mit
Blut, andere rissen die Opferpfosten aus und schwarmten
umher, ihre Gesichter verzerrend,
35. (10 243.) andere schnappten mit ihren Maulern nach
den Opferdienern. So wurde dieses Opfer vollstandig ge-
stort, o Fiirst.
36. (10244.) Da nahm das Opfer die Gestalt einer Gazelle
an und fliichtete ins Weite, er aber haschte nach dem in
dieser Gestalt fliehenden Opfer,
37. (10245.) ergriff Bogen und Pfeil und jagte ihm nach,
der Herr. Aber durch den Zorn des unermefslich kraftigen
Gotterherrn
38. (10246.) rann von seiner Stirn ein furchtbarer Schweifs-
tropfen herab. Kaum aber war dieser Schweifstropfen auf
die Erde gefallen,
39. (10247.) so flammte aus ihm ein machtiges Feuer auf,
dem Weltuntergangsfeuer vergleichbar. Aus diesem ging
hervor ein Mann, o Stier der Manner,
40. (10248.) zwergartig klein, mit roten Augen und gelbem
Barte, furchtbar anzu sehen; seine Haare standen zu Berge,
sein Korper war ganz mit Federn bedeckt, wie bei Habichten
Oder Eulen,
41. (10 249.) seine Farbe ein grausiges Schwarz, sein Ge-
wand blutrot. Dieser gewaltige Unhold verbrannte das Opfer,
wie Feuer ein Gebiisch.
Adhyaya 284 (B. 283). 513
42. (10 250.) Dann stiirzte er sich iiberallhin auf die Gotter
und rannte gegen die Rishi's an, und alle Gotter stoben er-
schreckt nach den zehn Weltrichtungen auseinander.
43. (10251.) Und wie der Mann dort umherstiirmte, o
Volkerherr, bebte die Erde gewaltig, o Bharatastier.
44. (10252.) Als aber der Gebieter und Urvater die ganze
Welt in Wehgeschrei ausbrechen sah, da erschien er dem
Mahadeva und sprach zu ihm.
Gott Brahman sprach :
45. (10253.) 0 Herr, alle Gotter werden auch dir eirien
Anteil geben, nur nimm zuriick [was du getan hast], o
Allgott.
46. (10254.) Denn alle diese Gottheiten und Rishi's, o Feind-
bedranger, konnen vor deinem Zorne, o Mahadeva, keine
Ruhe finden.-
47. (10255.) Aber der Mann da, der aus deinem Schweifse
entstanden ist, o Bester der Gotter, mag unter dem Namen
Fieber in der Welt wiiten, o Pflichtkundiger.
48. (10256.) Aber wenn er Einer bleibt, o Herr der Kraft,
ist die ganze Erde nicht imstande, ihn zu ertragen, moge
er in viele zerlegt werden.
49. (10257.) Nachdem dem Gotte so von Brahman zu-
geredet und auch sein Opferanteil zugesichert worden war,
da sprach er zu dem heiligen, unermefslich kraftigen Gott
Brahman: „So sei es!"
50. (10258.) Mit grofser Freude wurde da der Pinaka-
bogentrager erfiillt, und schmunzelnd nahm er, der Ewige,
den von Gott Brahman ihm zugesprochenen Teil entgegen.
51. (10259.) Das Fieber zerlegte der aller Satzungen Kun-
dige in viele Teile, um alien Wesen die Ruhe wiederzugeben ;
auch das vernimm, mein Sohn.
52. (10260.) Die Kopfhitze der Elefanten, das Steinharz der
Berge, die Algen des Wassers, das soil man wissen, die
Hautung bei den Schlangen,
53. (10 201.) die Klauenseuche der Kiihe, der Salzboden auf
der Erde, die Sehstorung des Viehs, o Pflichtkundiger,
54. (10262.) die Rotzkranhkeit der Pferde, die Kammspaltung
Dbussen, Mah&bbd.ratam. 33
514 III. Mokshadharma.
der Pfauen und die Augenkrankheit des Kuckucks, auf diese
wurde durch des Hochsinnigen Wort das Fieber verteilt.
55. (10263.) Auch die Gallenverteilung , wo sie bei den
Schafen vorkommt, ist als solches iiberliefert ; ferner der
Schluchzer, wo er bei den Papageien vorkommt, wird als
Fieber bezeichnet.
56. (10264.) Auch die Mattigkeit bei den Tigern wird als
Fieber bezeichnet, o Pflichtkundiger, bei den Menschen end-
lich fiihrt es den Namen Fieber, o Bharata.
57. (10265.) Beim Sterben, bei der Geburt und zwischen
beiden kann es den Menschen beschleichen ; es ist die von
Mahegvara herriihrende Glut, welche als das furchtbare Fieber
bekannt ist.
58. (10 266.) Verehrung und Anbetung aller Lebenden ge-
biihrt dem tgvara, denn von ihm [in Gestalt des Fiebers]
wurde Vritra, der Beste der Gesetzestrager, befallen.
59. (10267.) Er rifs den Rachen auf, da schleuderte (^akra
den Donnerkeil gegen ihn, und der Donnerkeil drang in
Vritra ein und zerrifs ihn, o Bharata.
60. (10268.) Und von dem Donnerkeil zerrissen, ging der
grofse Zauberer, der grofse Damon hinauf zu der hochsten
Statte des unermefslich kraftigen Vishnu.
61. (10269.) Denn durch die Liebe zu Vishnu war ihm diese
ganze Welt zuteil geworden, und eben darum erlangte er
nach seiner Niederwerfung im Kampfe die Statte des Vishnu.
62. (10270.) Damit habe ich dir, von Vritra ausgehend, be-
richtet, wie sich das grofse Fieber verbreitete; was soil ich
dir, o Sohn, weiter sagen.
63. (10271.) Der Mann, welcher andachtig und unver-
drossenen Geistes diese Entstehung des Fiebers fort und
fort studiert, der wird, von Krankheit freibleibend, gliick-
lich und freudeerfiillt alle Wiinsche seines Herzens er-
langen. "
So lautet im Mokshadharma die Entstehung des Fiebers
(jvara-utpatti).
Adhyaya 285 (B. 284). 515
Adhyaya 285 (B. 284).
Vers 10272-10345 (B. 1-71).
Janamejaya sprach:
1. (10272.) Wie geschah es, o Brahmane, dafs in der Welt-
periode des [Manu] Vaivasvata das Rofsopfer des Schopfer-
herrn Daksha Pracetasa zerstort wurde?
2. (10273.) Und wie geschah es ferner, dafs der die Erregung
der Gottin (Uma) bemerkende und in Zorn geratende all-
beseelende Herr (Qiva), — dafs durch dessen Gnade vom
Daksha das Opfer wieder in Ordnung gebracht werden konnte ?
(10274.) Das wiinsche ich zu wissen, das erklare mir, wie es
sich begeben hat.
VaiQainpa,yana sprach:
3. (10275.) Einstmals also brachte Daksha ein Opfer dar
auf dem Riicken des Himalaya in Gangadvara, einer schonen,
von Weisen und Vollendeten bewohnten Gegend,
4. (10 276.) wo es von Gandharven und Apsarasen wimmelte,
und die mit mancherlei Baumen und Schlingpflanzen be-
wachsen war. Dem von Rishischaren umgebenen Daksha,
dem Besten der Gesetzestrager,
5. (10277.) nahten alle Bewohner der Erde, des Luftraums
und der Himmelswelt und huldigten mit zusammengelegten
Handen diesem Prajapati.
6. (10278.) Gotter, Danava's, Gandharva's, Pigaca's, Schlan-
gen, Rakshasa's, die beiden Gandharven Haha und Huhu,
sowie Tumburu und Narada,
7. (10279.) Vigvavasu, Vi<?vasena und andere Gandharven
mit Apsarasen; auch die Aditya's, Vasu's, Rudra's, Sadhya's
und die Scharen der Marut's,
8. (10280.) sie alle waren mit Indra herbeigekommen , um
teil am Opfer zu haben. Auch alle, welche die Hitze trinken,
den Soma trinken, den Dampf trinken, die Schmelzbutter
trinken,
9. (10281.) die Rishi's und die Manen kamen mit Gott
Brahman herbei. Denn diese und viele andere, auch die vier-
fachen Scharen der Wesen,
33*
516 m. Mokshadharma.
10. (10282.) lebendgeborene und eigeborene, schweifs-
geborene und sprofsgeborene in Eile, sie alle waren gerufen
und geladffli nebst alien Gottern mit ihren Frauen.
11. (10583.) Auf ihren Wagen stehend, glanzten sie wie
flammende Feuer. Sie erblickte von Zorn erfiillt Dadhici
und sprach das Wort:
12. (10 284.) Das ist kein Opfer, keine fromme Handlung,
bei der nicht auch dem Rudra (Qiva) geopfert wird; verfallen
sind sie dem Tode und der Gefangenschaft , ist wohl eine
Wendung ihres Schicksals moglich?
13. (10285.) Sehen sie denn in ihrer Verblendung nicht,
wie das Verderben sie umgarnt? Begreifen sie nicht das
Furchtbare, das ihnen bei ihrem grofsen Opferfeste droht?
14. (10286.) So sprach der grofse Yogin und blickte aus
mit dem Auge der Meditation ; da sah er den Mahadeva und
die schone, spendende Gottin (Uma)
15. (10 287.) und den hochherzigen Narada, wie er in der
Nahe dieser Gottin weilte. Als der Yogakenner sich dessen
vergewissert hatte, wurde er von grofser Befriedigung erfiillt.
16. (10288.) Einseitig ist das Gebet von ihnen alien, da
sie den Herrn (Qiva) nicht hinzugebeten haben, [sprach er];
damit verliefs Dadhici diesen Ort und sprach:
17. (10289.) Wer Nicht -Verehrungswiirdige verehrt und
Verehrungswiirdige nicht verehrt, der Mensch begeht allemal
eine Siinde, die dem Menschenmorde gleichkommt.
18. (10290.) Niemals noch habe ich die Unwahrheit ge-
sagt und werde sie auch niemals sagen, mag ich bei Gottern,
mag ich bei Weisen weilen, ich sage die Wahrheit.
19. (10291.) Ihr soUt sehen, der Herr der Tiere, der Schopfer
und Herr der Welt, der Gebieter aller Wesen als bester Ge-
niefsender kommt zu eurem Opfer.
Daksha sprach:
20. (10292.) Wir haben hier viele Rudra's mit dem Speer
in der Hand und der Haarlocke auf dem Haupte; sie haben
ihre elf Platze eingenommen, aber deinen Mahegvara kenne
ich nicht.
Adhy^ya 285 (B. 284). 517
Dadhici sprach:
21. (10293.) Dieses Gebet, welches ihr alle darbringen
wollt, wird — well ihr ihn nicht dazu gebeten habt, — so
gewifs wie ich keine hohere Gottheit als (^ankara (Qiva) an-
erkenne, (10294.) so gewifs wird dieses grofse Opfer des Daksha
nicht zustande kommen.
Daksha sprach:
22. (10295.) Dem Herrn des Opferfestes bringe ich diese
ganze, durch Brauche und Spriiche geheihgte Opferspeise
auf goldener Schiissel dar als gebiihrenden Anteil des
unvergleichlichen Vishnu, er ist der Herr, der Allbeherr-
scher, ihm ist das Opfer darzubringen.
Die Gottin (UmS,) sprach:
23. (10296.) Welches Geschenk, welche Selbstbezwin-
gung oder Askese konnte ich wohl leisten, damit mein
Gatte, der heilige, unausdenkbare , heute die Halfte des
Opfers oder doch ein Drittel als seinen Anteil erhalte.
24. (10297.) Seiner Gattin, welche in Aufregung so zu
ihm sprach, erwiderte mit heiterem Angesicht der Heilige :
Du kennst mich noch nicht, du Gottin, schlank an Leib
und Gliedern, und weifst nicht, wie es sich geziemt, zu
[mir], dem Herrn der Opferfeste, zu reden.
25. (10298.) Ich weifs es [wer ich bin], 0 Grofsaugige,
aber jene Nichtswiirdigen ermangeln der Meditation und
wissen es nicht; so wie du heute verwirrt erscheinst, so
gehen auch die Gotter, Indra voran, und die drei Welten
allesamt in der Irre.
26. (10 299.) Ich bin es, den [in Wahrheit] die An-
rufenden beim Opfer preisen, dem die Samansanger das
Rathantaram singen, ich bin es, dem die brahmankundi-
gen Brahmanen opfern, dem die Adhvaryu-Priester die
Opferspende zuteilen.
Die Gottin (Uma) sprach:
27. (10300.) Jeder Mann, auch ein ganz gewohnlicher, kann
in Gegenwart des Weibervolkes sich riihmen und wichtig
machen, das versteht sich.
518 in. Mokshadharma.
Der Heilige sprach:
28. (10301.) Nicht riihine ich mich selbst, o Gotterherrm ;
sieh mir einmal, o Schlanke, wen ich jetzt hervorbringen
werde, o Schongewachsene, um dies Opfer zu storen, o Schon-
farbige.
29. (10302.) So sprach der HeiHge zu seiner urns Leben
lieben Gattin und brachte aus seinem Munde hervor ein
Wesen, furchtbar, haarstraubend.
30. (10303.) Zu dem sprach MaheQvara: Beschimpfe das
Opfer des Daksha! Darauf wurde von diesem einzigartigen
Lowen, den er spielend
31. (10304.) geschaffen hatte, um den Groll der Gottin zu
begiitigen, das Opfer des Daksha zerstort. Aber die furcht-
bare, grofse Gottin Kali (Uma), aus Groll,
32. (10305.) den sie hegte, ging hinter ihm her, um Zeugin
des Vorgangs zu sein. Der Einwilligung des Gottes sicher
und sich vor ihm mit dem Haupte verneigend,
33. (10306.) stand er da, an Heldenmut dem Gotte ahnlich,
in kraftvoller Gestalt als sein heiliger, leibhaftig gewordener Zorn.
34. (10307.) Unermefslich an gewal tiger Heldenkraft, un-
ermefslich an gewaltiger Mannhaftigkeit, wurde er Virabhadra
(Mannhold) genannt, der Racher der grollenden Gottin.
35. (10308.) Da schuf er aus seinen Hautporen Scharen
von herrischen Wesen, genannt Raumya's (Haarentsprossene).
Diese dem Rudra ahnlichen, furchtbaren fraudraj, dem Rudra
an Tapferkeit gleichen Scharen
36. (10309.) stiirzten sich stiirmisch auf das Opfer des
Daksha, um es zu zerstoren, furchtbar an Aussehen, machtig
an Leib, zu Hunderten und Tausenden.
37. (10310.) Darauf erfiillten sie mit wildem Geheul gleich-
sam den Weltraum, und durch diesen grofsen Larm wurden
die Himmelsbewohner in Schrecken versetzt.
38. (10311.) Die Berge zerrissen und die Erde bebte, die
Winde . tobten und das Reich des Varuna (das Meer) kam in
Aufruhr.
39. (10312.) Die Feuer leuchteten nicht mehr, nicht strahlte
mehr die Sonne, Planeten, Fixsterne und Mond schienen
nicht mehr.
Adhyaya 285 (B. 284). 519
40. (10313.) Keine Rishi's kamen zum Vorschein, keine
Gotter und keine Menschen. Nachdem es so ganz dunkel
geworden war, fingen die beleidigten Unholde an zu sengen
und zu brennen.
41. (10314.) Die einen schlugen darauflos, die anderen rissen
die Opferpfosten aus, zerbrachen sie und traten auf ihnen
herum.
42. (10315.) Sie stiirmten heran, stiirmten von dannen
schnell wie der Wind, wie der Gedanke schnell, zermalmten
die Opferschalen und die himmlischen Schmuckgegenstande^
43. (10316.) zerstiickelt lagen diese da, den Sternen am
Himmel vergleichbar, himmlische, zum Genusse bestimmte
Speisen und Getranke waren in Haufen wie Berge aufgetiirmt.
44. (10317.) Milchstrome waren da zu sehen, in welchen
Schmelzbutter und Milchbrei mit Schmutz, saure Milch und
Rahm mit Wasser und himmlische Zuckerstiicke mit Sand
durcheinanderflossen,
45. (10318.) und welche alle sechs Geschmacke zugleich
an sich trugen. Verlockende Bache von Sirup, allerlei Fleisch
durcheinander, verschiedene andere Speisen,
46. (10319.) himmlisCTie Getranke und alles, was zu lecken
und zu schliirfen ist, wurde von ihnen mit mancherlei
Maulern genossen, zerbrochen und beschmutzt.
47. (10320.) Getrieben von Rudra's Zorn, mit machtigen
Leibern, an Aussehen dem Weltuntergangsfeuer vergleichbar,
brachten sie die Gotterheere, iiberall Furcht verbreitend, in
Verwirrung,
48. (10321.) trieben allerlei Kurzweil und zerrten die Gotter-
frauen herum. So wurde durch Rudra's Zorn das von den
Gottern sorgsam behiitete
49. (10322.) Opfer von dem Rudra's Work Ausfiihrenden
[Virabhadra] in kurzer Zeit vollstandig verbrannt. Er voll-
fiihrte einen fiirchterlichen Larm, der alien Wesen Angst
einflofste,
50. (10323.) und nachdem er das Opfer [gleichsam) ent-
hauptet hatte, briillte er und jubelte vor Freude. Die Gotter
aber, mit Gott Brahman an der Spitze, und der Schopferherr
Daksha
520 in. Mokshadharma.
51. (10324.) sprachen alle mit demiitig zusammengelegten
Handen zu ihm: Sage uns, o Herr, wer du bist.
Virabhadra sprach:
(10325.) Ich bin nicht Rudra oder die Gottin [Uma], bin
auch nicht hierhergekommen, um zu geniefsen.
52. Den erregten GroU der Gottin bemerkend, geriet der
allbeseelende Herr in Zorn. (i0326.) Nicht etwa um die Brah-
manenfiirsten zu sehen, noch auch aus Neugierde,
53. sondern um dein Opfer zu storen bin ich hierher-
gekommen [o Daksha], das merke dir. (10327.) Mein Name
ist Virabhadra, und aus dem Zorne Rudra's bin ich hervor-
gegangen.
54. Diese hier aber heifst Bhadrakali und ist aus dem
Zorne der Gottin hervorgegangen. (10328.) Von dem Gott der
Gotter sind wir beide zu deinem Opfer entsandt worden und
da sind wir.
55. Nimm, o Brahmanenfiirst , deine Zuflucht zu dem
Gott der Gotter, zum Gemahle der Uma; (10329.) auch der
Zorn dieses Gottes ist dir besser, als wenn du von einem
andern eine erwiinschte Gabe empfmgest.
56. Als Daksha, der Beste der Pflichttrager, das Wort
des Virabhadra vernommen hatte, (10330.) da warf er sich vor
dem Mahegvara (Civa) nieder und begiitigte ihn durch folgen-
den Lobgesang:
57. „Ich nehme meine Zuflucht zu dem Gotte, dem
ewigen, festen, unverganglichen Herrn, (10331.) zu dem hoch-
herzigen Mahadeva, dem Beherrscher aller, die da leben." —
*58. (Aus Veranlassung des Opfers des Schopferherrn
Daksha waren durch die wohlzubereiteten Opfergaben (10332.) alle
Gotter herbeigelockt worden, sowie die askesereichen Rishi's.
59. Aber der alles wirkende Gott MaheQvara war nicht
dazu geladen worden. (10333.) Da liefs die erzurnte Maha-
devi ihre Scharen gegen das Opfer los,
60. damals, als der Opferplatz in Flammen aufging, die
* Die eingeklammerten Worte, Vers 10331b — 10336, werden schon
in B. durch Klammern als eine Interpolation gekenuzeichnet.
Adhyaya 285 (B. 284). 521
Brahmanen auseinanderstoben (10334.) und das hochmachtige,
den Sternen an Glanz gleichkommende Geschopf des Rudra
(Virabhadra) in Wut entbrannt war
61. nebst seinen mit Spiefsen die Herzen durchbohrenden,
briillenden Dienern, (10335.) wahrend die Opferpfosten aus-
gegraben und umgerissen und nach alien Seiten fortgeschleu-
dert wurden,
62. wahrend nach Beute gierige Geier bin und her flogen
<10336.) und durch den Wind ihrer Fliigel das Geheul von
Hunderten von Schakalen ringsherum verweht wurde,
63. in Begleitung von Scharen von Yaksha's und Gan-
dharven, von Pi(?aca's, Schlangen und Rakshasa's) — (10337.) da
geschah es, dafs [(^iva], indem er Aushauch und Einhauch
unter Schliefsung des Mundes mit Anstrengung hemmte
64. und seine Blicke umherschweifen liefs, dafs er, der
weitblickende, feindiiberwindende (10 338.) Gottherr der Goiter
sich plotzlich von seinem Feuerbecken erhob,
65. er, der Trager der Glut von tausend Sonnen, der
dem Weltuntergangsfeuer Vergleichbare, (10339.) und lachelnd
das Wort sprach: Sage, was ich fiir dich tun soil.
66. Nachdem darauf die fur das Opferfest bestimmte
Lektion von dem Lehrer der Gotter (Brihaspati) rezitiert
worden war, (10 340.) sprach der Schopferherr Daksha mit zu-
sammengelegten Handen zu jenem Gotte ((^iva),
67. mit Furcht, Angst und Zittern, mit Tranen in Augen
und Angesicht : (10341.) Wenn du, o Heiliger, mir gnadig bist
und wenn ich dir lieb bin,
68. wenn ich deiner Gnade wiirdig bin, wenn du mir
anders einen Wunsch gewahren willst, (10342.) dann mogest
du alles das, was hier verbrannt, aufgezehrt, ausgetrunken,
verschlungen , zugrunde gerichtet,
69. zertreten und herumgeschleudert worden ist, diese
grofse Opferzuriistung, (10343.) die ich in langer Zeit und mit
grofser Miihe sorgsam zusammengebracht hatte, — moge das
alles fiir mich nicht vergeblich gewesen sein, das ist die
Gnade, die ich von dir erbitte.
70. (10344.) „Moge es denn also sein", sprach der heilige
522 III. Mokshadharma.
Hara, der Blender des Bhaga, der Hiiter des Rechts, der
seltsamaugige, dreiaugige, schopferische Gott.
71. (10345.) Da warf sich Daksha, nachdem ihm Bhava
(Qiva) seinen Wunsch gewahrt hatte, mit den Knien auf die
Erde nieder und pries den den Stier im Banner Tragenden
unter Anrufung seiner tausendundacht Namen.
So lautet im Mokfbadharma die Zerstorung des Opfers des Daksha
(Daksha - yajna - vindfa).
Adhyaya 286* (B. 384 Fortsetzung).
Vers 10346-10484 (B. 72-208).
Yudhishthira sprach:
72. (10346.) Die Namen, mit welchen der Schopferherr
Daksha den Gott gepriesen hat, die sollst du mir, o Freund,
mitteilen; ich habe glaubiges Verlangen, sie zu horen, o Un-
tadehger.
Bhishma sprach:
73. (10347.) Vernimm denn die Namen des wunderwirken-
den, geheimnisvollen Gottes der Gotter, die verborgenen wie
die offenbaren, o Bharata.
74. (10348.) Verehrung dir, o du Herr des Gottes der Gotter,
Toter des Gotterfeindes Bala, Stiitze der Kraft der Gotter-
fiirsten, von Gottern und Damonen Verehrter,
75. (10349.) Tausendaugiger, Seltsamaugiger, Dreiaugiger,
Freund des Fiirsten derYaksha's, iiberallhin Hande undFiifse,
iiberallhin Augen, Haupt und Mund Ausstreckender !
76. (10350.) Nach alien Seiten hin horend, die Welt um-
fassend stehst du da (vgl. Qvet. Up. 3,16), o Spitzohriger,
Grofsohriger, Topfohriger, Ozeanumfasser,
* Dieses fjivasahasranaman steht, ahnlich wie das Vishnusahasranaman
Mbh. XIII, Adhy. 149, in Indien im Geruche besonderer Heiligkeit und
wird von vielen als tagliches Gebet rezitiert. Die Bezeichnungen sind
stellenweise vollig sinnlos und wirken nur durch den Gleichklang, den wir
hin und wieder auf Kosten der Genauigkeit der tjbersetzung nachzubilden
versuchten.
Adhy^ya 286 (B. 284 Fortsetzung). 523
77. (10351.) Elefantenohriger, Ochsenohriger, Handohriger,
Verehrung sei dir! 0 du hundert Bauche, hundert Haar-
wirbel, hundert Zungen Habender, Verehrung sei dir!
78. (10352.) Dich besingen die Liedersanger, dir zollen
Preis die Lobsingenden, dich, den hundertkraftigen Gott Brah-
man, erachten sie hoch wie den Ather.
79. (10353.) In deiner Gestalt sind sie, o Grofsgestaltiger,
dem Ozean und Luftraum Ahnhcher, „alle jene Gotter sind
in ihm wie im Kuhstall die Kiihe sind" (Atharvaveda 11,8,32).
80. (10354.) Ich sehe in deinem Leibe Soma, Agni, Varuna,
Aditya, Vishnu und den Pries ter Brihaspati.
81. (10355.) Du, o Heihger, bist die Ursache und die Wir-
kung, die Tat und das Werkzeug, du bist Entstehung und
Vergang des Nichtseienden und des Seienden.
82. (10356.) Verehrung dir als Bhava, Qarva, Kudra, als
Gabengeber und Herrn der Tiere immerdar, Verehrung dem
Toter des Andhaka.
83. (10357.) Dir, dem Dreilockigen , Dreikopfigen , dem
Besten der Dreizackeschwingenden, Dreimutterhaften , Drei-
augigen, drei Burgen Zerstorenden sei Verehrung!
84. (10 358.) Verehrung dem Zornmiitigen, dem Befasser,
dem Weltei und Trager des Welteis, dem Richtenden, Un-
parteiischen. Stab und Tonsur des Asketen Tragenden sei
Verehrung !
85. (10 359.) Verehrung dem von Zahnen und Haaren Star-
renden, dem Fleckenlosen, Weitverbreiteten, dem Hochroten,
Rauchgrauen, Schwarzhalsigen Verehrung!
86. (10360.) Verehrung sei dem UnvergleichUchen, Seltsam-
gestalteten, Gliicksehgen, dem Sonnenhaften, Sonnumstrahl-
ten, die Sonne als Banner und Fahne Fiihrenden!
87. (10361.) Verehrung dem Koboldfiihrer , dem Stier-
nackigen, dem Bogen trager, dem Feindbezwinger, Racher,
als Asket in Blatter und Lumpen Gehiillten!
88. (10362.) Verehrung dem Goldkeim {hiranyagarhhaj , dem
Goldgepanzerten , Goldschopfigen , dem Herrn des Goldes sei
Verehrung !
89. (10363.) Verehrung dem Preislichen, Preiswerten, Ge-
priesenen, dem Allseienden, Allverschlingenden, Allbeseelenden!
524 III. Mokshadharma.
90. (10364.) Verehrung ihm, der Priester und Hymnus ist,
der ein weifses Banner als Fahne tragi, Verehrung dem Welt-
nabel, Weltnabelhaften , der die Hiille der Hiillen ist!
91. (10365.) Verehrung dem Schmalnasigen , Schmalghe-
drigen, Schmalen, dem Freudestarrenden , Freudestraubigen,
im Freudenrufe Aufjauchzenden !
92. (10 366.) Verehrung ihm, dem Liegenden, wenn er hegt
und wenn er aufsteht, dem Ruhenden und Rennenden, dem
Kahlkopfigen, Haarschopfigen !
93. (10367.) Verehrung dem Tanzkundigen, Tonekunst-
mundigen, die Flufsgabe [Lotosblume, Nil.] Liebenden, Ge-
sang und Saitenspiel Ubenden!
94. (10368.) Verehrung dem Edelsten, Besten, dem Stiirzer
des Bala, dem Zeitgebieter, dem Weltalter (kalpdya mit C),
V^eltvernichter, Weltaltervernichter !
95. (10369.) Dem furchtbar wie Trommeln Lachenden,
furchtbare Geltibde Haltenden, dem Schrecklichen sei furcht-
bare Verehrung, dem Zehnarmigen!
96. (10370.) Verehrung dem Schadeltragenden , Scheiter-
haufen und Asche Liebenden, dem Furchteinflofsenden, Fiirch-
terlichen, furchtbare Geliibde Haltenden!
97. (10371.) Verehrung ihm, mit dem seltsamen Munde,
mit der schwertgleichen Zunge und dem furchtbaren Gebifs,
ihm, der gierig ist nach gekochtem und rohem Fleische und
seine Freude hat am Lautenspiel !
98. (10 372.) Verehrung dem Stiere, dem Stierkraftigen,
dem Stier der Kiihe, dem Stiere, ihm, dem Umhiiller der
Hiillen, dem Racher, dem Reifmacher der Taten!
99. (10373.) Verehrung dem Trefflichsten von alien, dem
Trefflichen, Treffliches Schenkenden, treffliche Kranze, Diifte
und Gewander Tragenden, Treffliches, Uniibertreffliches
Schenkenden [varade = varaddya Nil.) !
100. (10374.) Verehrung dem Leidenschaftlichen, Leiden-
schaftslosen , dem Bildner, dem Rosenkranztrager, dem Kon-
zentrierten und Differenzierten , der Schatten und Glut zu-
gleich ist!
101. (10375.) Dem Nichtfurchtbaren und Furchtbaren, der
Adhy&ya 286 (B. 284 Fortsetzung). 525
furchtbarer als das Furchtbare ist, sei Verehrung ! Dem Giitigen^
Beruhigten, dem Allerberuhigtesten sei Verehrung!
102. (1037G.) Dir, dem Einfiifsigen und Vielaugigen, dem
Einkopfigen sei Verehrung, dem Rudra, der nach Kleinem
begehrt und gerechte Verteilung Hebt!
103. (10377.) Dem Paficala [nach Nil. dem Kunstfertigen]^
dem WeifsgHedrigen sei Verehrung, dem Allberuhigten, dem
heftig Tonenden, Tonreichen, tonlos Tonenden!
104. (10378.) Verehrung dem tausendglockig Tonenden, des
Glockenspiels Frohen, dem Odemsausenden, Duftberauschen-
den, Larmerbrausenden,
105. (10379.) dem dem lauten Summen Entriickten, durch
das laute Summen Begliickten! Verehrung, wo der ewig
Ruhige thront, ihm, der in des Berges Waldungen wohnt!
106. (10380.) Dem als Schakal nach Kernfleisch Gierenden,
als Retter Hiniiberfiihrenden sei Verehrung, ihm, der Opfer
und Opferer ist und Dargebrachtes zu jeder Frist!
107. (10381.) Dem Opferbringer und Selbstbezwinger, dem
Entflammten und dem Entflammer, dem Ufer und Uferfiihren-
den, Verehrung dem Uferregierenden !
108. (10382.) Verehrung dem Speiseschenker, Speiseherrn,
Speiseverzehrer, dem Tausendkopfigen , Tausendfiifsigen,
109. (10383.) mit tausend Dreizacken Schiitzenden, tausend
Augen Besitzenden ! Verehrung dem wie junge Sonnen Blitzen-
den, junge Gestalt Besitzenden,
110. (10 384.) die Jugendschar Besitzenden, im Jugendspiel
sich Erhitzenden! Verehrung dem Alten, Gierigen, Erschiit-
terten, Erschiitternden !
111. (10385.) Verehrung dem Wellennafshaarigen , Mufija-
grashaarigen, die sechs Werke Ubenden, die drei Werke
Liebenden,
112. (10386.) dem die Werke der Kasten und Lebensstadien
nach Vorschrift gesondert in Umschwung Erhaltenden ! Ver-
ehrung sei dem Sausenden, dem Sausen, dem Larmerbrau-
senden,
113. (10387.) dem Weifsgelbaugigen, Schwarzrotaugigen,
Rochelnden, Rachenden, Knackenden, Nackenden,
114. (10388.) ihm, der iiber Gutes, Lust, Nutzen und Er-
526 III. Mokshadharma.
losung darbietet aller Fragen Losung, dem Sankhyatreuen,
Sankhyamundigen, des Sankhya und Yoga Kundigen!
115. (10389.) Verehrung dem Fahrer, dem Nichtfahrer, dem
alle vier Wege Durchfahrer [Wasser, Feuer, Luft, Ather, nach
Nil.], von schwarzer Antilope Urahauteten, mit Schlangen-
Opferschnur Umkleideten !
116. (10390.) 0 Herr, o Diamantfester, Goldhaariger, Ver-
ehrung dir! Dreimutterhafter , Schiitzer der Mutterhaften,
Oifenbarer und Geheimer, Verehrung dir!
117. (10391.) 0 Lust, o Lustvermehrer, Lustzerstorer, Satter
und Nichtsatter, Streifender, o All, o Allvermehrer, AUzer-
storer, Dammerungsfreund , Verehrung dir!
118. (10392.) Als grofse Wolken dich Haufender, als grofses
Verhangnis Ergreifender, Verehrung dir! Stark und gehrech-
lich an Korper und Locke, in Baumbast gekleidet und Fell
vom Bocke!
119. (10393.) Mit sonnengleich , feuergleich flammender
Locke, im Kleid aus Baumbast, im Fell vom Bocke, tausend
Sonnen Vergleichbarer, an Askese Unerreichbarer, Verehrung
sei dir!
120. (10394.) Tollmachender , Hunderthaarwirbeliger , am
Haar von Gangawasser Benetzter, Mondlenker, Weltalter-
lenker, Wolkenlenker, Verehrung dir!
121. (10395.) Du hist Speise, Fresser und Geniefser, Speise-
verleiher, Speisegenielser, Speiseverbreiter und Speisebereiter,
Geniefser, Wind und Feuerglut!
122. (10396.) Du bist Lebendgeborenes , Eigeborenes,
Schweifsgeborenes , Sprofsgeborenes , du bist, o Herr des
Gottes der Gotter, die vier Wesensscharen allzumal!
123. (10397.) Du bist des Beweglichen und Unbeweglichen
Schaffer und "WegrafFer, dich preisen sie als Inbegriff der
Brahmanwissenden, als das Brahman, o Bester der Brahman-
wissenden !
124. (10 398.) Du bist die hochste Quelle des Geistes, bist
Ather, Wind und Schatzkammer der Gestirne, dich bezeichnen
die Brahmanlehrer als Ric, Saman und Om-Laut!
125. (10399.) Hdyihdyi huva hdyi hdvuhdyi, mit diesen
Adhyaya 286 (B. 284 Fortsetzung). 527
Lauten wiederholentlich besingen dich, o Bester der Gotter,
die brahmankundigen Samansanger!
126. (10400.) Als bestehend aus Opferspriichen , Versen,
und Opfergiissen wirst du gepriesen mit Lobliedern von den
Scharen der Upanishad's des Veda!
127. (10401.) Du bist Brahmanen, Kshatriya's, Vai^ya's,
Qudra's, sowie die untersten Kasten, bist Wolkenmassen,
Blitz und Donnerschall!
128. (10402.) Du bist Jahr und Jahreszeiten , Monate und
Halbmonate, Weltalter, Augenblicke und Minuten, bist Stern-
bilder, Planeten und Mondphasen!
129. (10403.) Du bist der Baume Wipfel und der Berge
Gipfel, der Tiger unter den Waldtieren, der Garuda unter
den Vogeln, Ananta unter den Schlangen!
130. (10404.) Du bist das Milchmeer unter den Ozeanen,
der Bogen unter den Werkzeugen, unter den Waffen der
Donnerkeil, unter den Geliibden die Wahrhaftigkeit !
131. (10405.) Du bist Hafs und Liebe, Leidenschaft, Ver-
blendung, Geduld und Ungeduld, Entscheidung , Festigkeit,
Begierde, Lust und Zorn, Sieg und Niederlage!
132. (10406.) Du fiihrst Keule, Pfeil, Streitkolben, Trom-
mel ; du giltst als Zerschneider, Zerspalter, Angreifer, Fiihrer,
Vorseher und Vater!
133. (10407.) Mit den zehn Kennzeichen begabt [den zehn
Yogasutra 2,30 und 32 aufgezahlten , Nil.] bist du, bist das
Gute , Niitzliche und • Angenehme ; du bist die Gaiiga , die
Meere und die Strome, die Siimpfe und Teiche!
134. (10408.) Du bist Schlingpflanzen und Ranken, Graser
und Krauter, Haustiere, Waldtiere und Vogel, du bist Sub-
stanz, Tatigkeit und Unternehmen , bist die Zeit, welche
Blumen und Friichte bringt!
135. (10 409.) Du bist Anfang und Ende der Gotter, die
Gayatri und der Om-Laut, bist griin, rot, blau, schwarz, pur-
purn und goldgelb, (io4io.) schwarzgelb, affenbraun, tauben-
grau und dunkelfarbig !
136. Du bist farblos und farbenschon, Farbenspender,
der Wolke gleich, (i04ii.) nach Gold benannt und Gold
liebend !
528 in. Mokshadharma.
137. Du bist Indra, Yama, Varuna, Kubera und Agni^
(10412.) du bist Sonnenfinsternis und Sonnenschein, bist Him-
melsglanz und Sonne!
138. Du bist Priesteramt, Priesterhandlung, Darbringung
und Herr, (I04i3.) du bist das Trisuparna-Gebet, bist unter den
Yajus die Qatarudriya-Spriiche!
139. Du bist die Siihne der Siihnen, der Gliickwunscli
der Gliickwiinsche, (I04i4.) bist bergschweifend, umherstrei-
fend und wurzelnder Baum, bist die Seele und auch der Leib !
140. Du bist der Lebensodem, bist Sattvam, Rajas und
Tamas, die Niichternheit, (i04i5.) bist Aushauch, Einhauch^
Allhauch, Aufhauch und Zwischenhauch !
141. Du bist Aufschlagen und Schliefsen der Augen, bist
Niesen und Gahnen, (10416.) bist das rote, nach innen gekehrte
Auge, mit grofsem Rachen und grofsem Bauche!
142. Nadelhaarig, blondbartig, haarstraubig und voll Be-
weglichkeit bist du, (I04i7.) des Gesangs und Saitenspiels
kundig, ein Freund des Gesange Vortragenden !
143. Du bist der Fisch, wie er im Wasser spielt und
im Netze zappelt, unteilig, spielweilig, streiteilig, (I04i8.) un-
zeitig, iiberzeitig, schlimmzeitig und zeitig!
144. Du bist der Tod, die Sense und der zu Mahende^
der Vernichter von Freund und Feind, (10419.) bist Weltunter-
gangswolkenzeit, mit grofsem Gebifs, die Umsturzwolke, die
Einhiillungswolke !
145. Du bist die Glocke, die Nicht-Glocke, der Kessel-
mann, der Glockenmann, der Topfumfangene, der Allbegangene,^
(10420.) die Priesterheiligkeit, der Feuer Leiblichkeit, der Racher,.
der Tonsurhafte, Dreistabhafte,
146. vierweltalterhaft, viervedahaft, der vier Priester Rege-
kraft, (10421.) der vier Lebensstadien Fiihrer, der vier Kasten
Regierer,
147. stets das Wiirfelspiel liebender Schelm, Scharen-
hiiter und Scharenherr, (10422.) ein rotbekranztes Kleid tragend^
berghaft, in Bergen sich behagend,
148. kunstfertig, der Kiinstler Bester, aller Kiinste Be-
forderer, (10423.) der grimmige Haken fiir Bhaga's Augen, der
Vernichter von Pushan's Zahnen!
Adhy&ya 286 (B. 284 Fortsetzung). 529
i49. Du bist die Opferrufe svdhd, svadhd, vashat, Be-
griifsungslaut, Verehrungslaut , (i04-24.) verhiillten Geliibdes,
geheimer Kasteiung, sternhaft, aus Sternen bestehend,
150. Schopfer, Ordner und Bildner der Welt, Bildner und
Trager, der sie erhalt, (10425.) Brahman, Askese, Wahrhaftig-
keit, Brahmanwandel und Redlichkeit,
151. der Wesen Selbst, der Wesenschaffer, selbstWesen,
des Gewesenen, Zukiinftigen und Seienden Quelle, (10 426.) Erde,
Luftraum und Himmel, und darum der feste, bezahmte,
grofse Herr,
152. Weihe vollbringend und nicht vollbringend, geduldig,
unbezwingbar, der Unbezahmten Bezwinger, (10427.) den Mond
walzend, Weltalter walzend, umwalzend und durcheinander-
walzend !
153. Du bist Begierde, ein kleiner Punkt und doch grofs,
Lotoskranze liebend, (10428.) lieblichen Mundes, schrecklichen
Mundes, schonen Mundes, hafslichen Mundes, entbehrend des
Mundes,
154. viermundig, vielmundig und im Gefechte feuermundig,
(10429.) der goldene Keim, der Sonnenvogel, Herr grofser
Schlangen und Virat,
155. des Frevlers Strafer, mit grofsen Flanken, der
Scharenherr, voll Zorngedanken , (10430.) Kuhbriiller, Kuhfurt,
mit besten Stieren Fahrender,
156. Beschiitzer der Dreiwelt, Kuhge winner, der Kiihe
Pfad und ohne Pfad, (10431.) der Beste, Feste, Baumstamm-
artige, unerschiitterlich und zugleioh Erschiitterung,
157. schwer hemmbar, schwer bezwingbar, schwer iiber-
windbar, schwer iibertretfbar, (10432.) schwer bestehbar, schwer
erschiitterlich , schwer bewaltigbar, schwer besiegbar, der
leibhaftige Sieg,
158. Hase, Hasen trager (Mond), Stillmacher, Bewirker
von Kalte, Hitze, Hunger, Alter und Not, (10433.) Sorgen-
inbegriff, Krankheitsinbegriff, Krankheitbrecher und Krank-
heit selbst!
159. Du bist der Jager meines als Wild fliehenden Opfers,
der Krankheiten Kommen und Gehen, (10434.) der Pfau mit
den Lotosaugen, in Lotoswaldern thronend,
DBtrssEN, Mah&bh&Tatam. 34
530 III. Mokshadharma.
160. Stabtragender, Dreimutterhafter, furchtbarer Strafer,
Welteivernichter, (10435.) Giftfeuerschliirfer, der Gotter Bester,
Somaschliirfer bist du, Windgotterherr,
161. Nektarschliirfer, der Welten Herr, o Gottergott, der
Scharenherr, (io436.) Giftfeuerschliirfer, Todschliirfer, Milch-
schliirfer, Somaschliirfer auch, der Gestiirzten Honig, Erst-
schliirfer, Anfangschliirfer der Gotter du!
162. (10437.) Gold ist dein Same, Weltgeist bist du,
der Mann, das Weib und auch was keins von beiden, bist
Kind und Jiingling und zahnloses Alter, bist Schlangen-
fiirst, Machthaber, Allgottschopfer,
163. (10438.) Allschopfer, der Allschopfer Bester, All-
trager, Allgestal tiger, Glanzreicher, Allwartsblickender,
Sonne und Mond sind deine Augen, dein Herz ist Vater
dieser Welt!
164. (10439.) Du grofses Meer, Saras vati, der Rede Kraft,
Feuer und Wind, du Tag und Nacht, Schliefser und Offner
der Augen!
165. (10440.) Nicht Gott Brahman, nicht der Kuhgewinner,
nicht die Weisen des Altertums vermogen deine Majestat zu
fassen, wie sie der Wahrheit nach besteht, o Qiva!
166. (10441.) Deine sehr feinen Formen zeigen sich meinem
Blicke nicht, errette mich, beschiitze stets mich wie der Vater
•den eigenen Sohn!
167. (10442.) Errette mich, rettungswert bin ich dir, Un-
tadliger, Verehrung dir! Du erbarmst dich derer, die dich
lieben, o Heiliger, und geliebt habe ich dich allezeit!
168. (10443.) Der vor viel tausend Menschen sich bergend,
schwer sichtbar, steht am Meeresrand, der sei mein Hiiter
immerdar !
169. (10444.) Den die schlummerlosen, atembezwingenden,
im Sattvam stehenden, die Sinne ziigelnden Yogin's als Licht
schauen, ihm als der Yogaseele sei Verehrung!
170. (10445.) Dem Schopftrager, stets Stabtrager, mit
Hangebauch Verkorperten, dem der Krug an der Seite hangt,
ihm als der Brahmanseele sei Verehrung!
171. (10446.) Der Wolken in den Haupthaaren, Strome in
Adhyaya 286 (B. 284 Fortsetzung). 531
den Gelenken tragi, in dessen Bauch die vier Meere, ihm als
der Wasserseele sei Verehrung!
172. (10447.) Der, wenn sich naht das Weltende, aller
Wesen Verschlinger ist, der dann ruht auf der Wasser Mitte,
den auf den Wassern rufe ich an!
173. (10448.) Der, in den Mund des Rahu eingehend, den
Soma in der Nachtzeit trinkt [d. h. den Mond verschlingt]
und die Sonne einschluckt als Svarblianu (Rahu), der moge
mich beschiitzen!
174. (10449.) Die als Leibesfrucht dir entsprungenen [Gotter],
welche ihren Anteil [am Opfer] geniefsen, Verehrung sei ihnen,
svadhd, svdhd, mogen sie erlangen, was sie freut!
175. (10 450.) Die, welche als Purusha's, zollhoch an Lange,
im Leibe aller Verkorperten weilen, die mogen mich allezeit
beschiitzen, allezeit mein Gedeihen fordern!
176. (10451.) Die, im Korper wohnend, nicht weinen, aber
die Verkorperten weinen machen, die sie froh machen, ohne
selbst froh zu sein, diesen [Rudra's] sei Verehrung immerdar!
177. (10452.) Sie, die in Fliissen und Meeren, in Bergen
und Hohlen, in Baumwurzeln, Kuhstallen, in der Wildnis und
in Dickichten,
178. (10453.) auf alien vier Wegen [oben, Vers 10389] als
ihren Strafsen, auf Platzen und an Abhangen, in den Stal-
lungen fiir Elefanten, Pferde und Wagen, in alien Garten
und Wohnungen,
179. (10454.) und was die fiinf Elemente sind, in den
Gegenden und Zwischengegenden weilen, welche mitten in
Mond und Sonne und ihren Strahlen zu finden sind,
180. (10455.) die sogar in die Unterwelt gedrungen und
ihm [dem Qiva, Nil.] zu Ehren zum Hochsten gelangt sind —
Verehrung ihnen, Verehrung ihnen, Verehrung ihnen immerdar!
181. (10456.) Sie, deren Zahl, Grofse und Gestalt nicht ge-
kannt wird, die unzahlige Geschicklichkeiten besitzenden
Rudra's, diesen sei Verehrung immerdar!
182. (10457.) Da du, Hara, ja der Schopfer aller Wesen,
der Herr aller Wesen, die Seele aller Wesen bist, darum
wurdest du nicht [noch besonders] geladen.
34*
532 ni. Mokshadharma.
183. (10458.) Weil du ja ohnehin durch alle Opfer mit
ihrem mannigfachen Opferlohn verehrt wirst, denn du bist
ja der Schopfer des Weltalls, darum wurdest du nicht [noch
besonders] geladen.
184. (10459.) Oder auch weil ich durch deine feine Zauber-
kraft, o Gott, verblendet war, aus diesem Grande vielleicht
wurdest du nicht [noch besonders] geladen.
185. (10460.) Nimm dich meiner gnadig an — Heil dir,
o Bhava! — der ich Gnade bei dir gefunden! Dir ist mein
Herz, o Gott, ergeben, dir mein Geist und dir mein Sinn !
186. (10461.) Nachdem der Schopferherr [Daksha] mit die-
sen Worten den Mahadeva gepriesen hatte, schwieg er ; aber
der Heilige, hocherfreut, sprach hingegen zu Daksha:
187. (10462.) Sehr erfreut bin ich, o Daksha, durch diesen
Lobgesang, o Geliibdetreuer ; wozu langes Reden, du sollst
in meiner Nahe bleiben.
188. (10463.) Durch meine Gnade, o Schopferherr, sollst
du der Frucht von tausend Rofsopfern und hundert Vajapeya-
Opfern teilhaftig werden.
189. (10464.) Und weiter sprach zu ihm Bhava, der Ober-
herr der Welt, das Wort, das beruhigende Wort, er, der
Wortkenner, das nach Worten wohlabgewogene :
190. (10465.) Daksha, lieber Daksha, sei nicht hose dar-
iiber, dafs ich dein Opfer storte, ich mufste dein Opfer weg-
reifsen, das war von altersher vorgesehen.
191. (10466.) Und noch ein weiteres Geschenk verleihe ich
dir, nimm es entgegen, o Geliibdetreuer, mit heiterem An-
gesichte, vernimm es hier mit ungeteilter Aufmerksamkeit.
192. (10467.) Was aus dem Veda und seinen sechs Anga's
geschopft und durch Griinde aus der Reflexion slehre (sdnkhyamj
und Verinnerlichungslehre (yoga) unterstiitzt als ein grofses,
schwer zu iibendes Tapas von Gottern und Damonen eifrig
betrieben worden ist,
193. (10468.) das noch nicht dagewesene, allbegliickende,
allwartshinblickende , unvergangliche, durch eine zehntagige
Zeremonie an Jahre gebundene, geheimnisvolle, von Toren
getadelte.
Adhyaya 286 (B. 284 Fortsetzung). 533
194. (10469.) mit den Pflichten der Kasten und Lebens-
stadien in Widerspruch stehende, teilweise auch iiberein-
stimmende, von Tiefdenkenden bestatigte, iiber die Lebens-
stadien erhabene Geliibde
195. (10470.) der Pagupata's, dieses vortreffliche ist von
mir vor Zeiten geschaffen worden, o Daksha. Durch die Be-
obachtung dieses Geliibdes entsteht daraus allseitige reiche
Frucht,
196. (10471.) und sie soil dir zuteil werden, o Hochbegliick-
ter, lafs den Kummer deines Herzens fahren ! So sprach Maha-
deva, und mit seiner Gattin und seinem Gefolge (10472.) ver-
schwand vor dem Daksha der unermefslich Machtige.
197. Wer nun diesen von Daksha gesprochenen Lob-
gesang rezitiert oder anhort, (10473.) der wird in kein Ungliick
geraten und ein hohes Alter erreichen.
198. So gewifs unter alien Gottern der heilige Qiva der
hochste ist, (10474.) so gewifs ist dieser dem Veda gleich-
kommende Lobgesang unter alien Lobgesangen der hochste.
199. Und alle, welche nach Ruhm, Herrschaft, Lust, Gott-
herrlichkeit , Angenehmem, Niitzlichem und Reichtum Ver-
langen tragen, (10475.) und auch die nach Wissenschaft Trach-
tenden sollen ihn mit frommem Sinne eifrig anhoren.
200. Aber der Kranke, Leidende, Gedriickte, Diebgepliin-
derte, Furchtgequalte, (10476.) Amtbelastete wird dadurch von
grofser Furcht befreit.
201. Und schon in diesem Leibe gelangt er zum gleichen
Range mit ^iva's Scharen, (10477.) und von Glanz und Ruhm
umgeben, lebt er in Reinheit.
202. Nicht Kobolde, nicht Unholde, nicht Geister noch
Gespenster (10 478.) konnen das Haus dessen in Not bringen,
bei dem dieser Lobgesang rezitiert wird.
203. Und wenn eine dem Gott ergebene, in Brahman
wandelnde Frau ihn anhort, (10479). die ist von seiten des
Vaters, von seiten der Mutter gottgleich zu ehren.
204. Und wer den ganzen Lobgesang anhort oder ihn
mit Hingebung hersagt, (i048o.) dessen samtliche Geschafte
gelingen vollkommen fort und fort.
205. Und was einer im Geiste denkt und was er mit der
534 in. Mokshadharma.
Kede ausspricht, (i048i.) das wird ihm alles zufallen fiir die
Rezitation dieses Lobgesanges.
206. Nachdem einer dem Gotte Guha (Skanda), der
Gottin (Uma) und dem Gebieter des Nandin (Qiva) (i0482.) die
wohlbereitete Spende dargebracht hat unter Bezahmung und
Selbstbezwingung,
207. moge er sodann mit Hingebung die Namen der Reihe
nach schnell hersagen ; (10483.) ein solcher Mensch erlangt die
von ihm erhofften Zwecke, Geniisse und Freuden.
208. Und ist er gestorben, so kommt er in den Himmel
und wird nicht als ein Tier wiedergeboren. (i0484.) So hat
es verkiindigt der heiHge Vyasa, des Paragara Sohn, der
Gewaltige.
So lautet im Moksbadbarma
der von Saksba rezitierte Lobgesang der tausend Namen des Qiva
(Daksha -prokta-(,'ie asahasrandrita • staea).
Adhyaya 287 (B. 285).
Vers 10485-10531 (B. 1-46).
Yudhishthira sprach:
1. (10485.) Was hienieden an dem Menschen das innere
Selbst {adhydtmamj genannt wird, was dieses innere Selbst
ist und woher es stammt, das sage mir, o Grofsvater.
Bhlshma sprach:
2. (10486.) Das hochste Allwissen der Buddhi, nach welchem
du mich befragst, das will ich dir, o Freund, erklaren, dessen
Erklarung vernimm wie folgt.
3. (10487.) Erde, Wind, Ather, Wasser und Feuer als
fiinftes, diese sind als die grofsen Elemente der Ursprung
und das Ende aller Wesen.
4. (10488.) Diese Aggregation ihrer Eigenschaften hier bildet
den Leib, o Stier der Bharata's, und diese Eigenschaften
schwinden fortwahrend und entstehen wieder neu.
5. (10489.) Die aus ihnen gebildeten Lebenselemente gehen
Adhyaya 287 (B. 285). 535
immer wieder und wieder aus den Wesen in jene grofsen
Elemente zuriick, wie die Wellen im Ozean.
6. (10490.) Wie eine Schildkrote ihre Glieder ausstreckt
und wieder einzieht, so sind die kleineren Wesen [Entfal-
tungen] der groberen Wesen [der grofsen Elemente] (vgL
Vers 8987, S. 386).
7. (10491.) Aus dem Ather stammt, was [in den Korpern]
an Ton vorhanden ist, ihre Kompaktheit ist eine von der
Erde stammende Eigenschaft, aus dem Winde stammt ihr
Odem, aus den Wassern ihr Geschmack, aus dem Feuer
(Licht) ihre Sichtbarkeit.
8. (10492.) So besteht aus jenem [Material] alles Unbeweg-
liche und Bewegliche, geht bei der Vernichtung in dasselbe
zuriick und wird aus ihm wiederum herausgesetzt.
9. (10493.) Diefiinf grofsen Elemente bestimmte der Wesens-
schopfer in alien Wesen zur Objektivation, je nachdem er fiir
das eine dieses, fiir das andere jenes ersah.
10. (10494.) Der Ton, das Gehor und die Hohlraume, diese
drei stammen aus dem Ather; Geschmack, Feuchtigkeit und
Zunge, diese gelten als die Eigenschaften des Wassers (vgl.
Vers 8982 fg.);
11. (10495). Sichtbarkeit, Auge und Verdauung, diese drei
gehoren zum Feuer; Geruch, Geruchssinn und Korperlichkeit
gelten als Eigenschaften der Erde.
12. (10496.) Odem, Gefiihl und Bewegung sind Eigen-
schaften, die aus dem Winde stammen; damit ist bewiesen,
o Konig, dafs alle Eigenschaften [der Wesen] von den fiinf
Elementen herriihren.
13. (10497.) Sattvam, Rajas und Tamas, die Zeit, das be-
wufste Tun, o Bharata, und das Manas als sechstes, diese
hat der Gott in jene [Wesen] gelegt.
14. (10498.) Was du oberhalb der Fufssohlen und unter-
halb des Scheitels siehst, in diesem Zwischenraume waltet
ungeteilt die Buddhi (vgl. Vers 8988).
15. (10499.) Fiinf Sinne gibt es im Menschen, als sechster
gilt das Manas, der siebente ist die Buddhi und der Kshe-
trajfia endHch ist der achte (vgl. Vers 899o).
536 in. Mokshadharma.
16. (10500.) Die Sinnesorgane und der Tater mussen im
einzelnen betrachtet werden, ferner sind da Tamas, Rajas
und Sattvam, sie sind Zust^nde, welche auf jenen, den Sinnen
und dem Tater, beruhen.
17. (10501.) Das Auge dient zum Sehen, das Manas er-
hebt den Zweifel, die Buddhi entscheidet ihn und der Kshe-
trajfia ist dabei Zuschauer {sdkshivj (= Vers 899i).
18. (10502.) Ferner sind da Tamas, Sattvam und Rajas
sowie die Zeit und der Tater; die Buddhi fiihrt die Eigen-
schaften [gundn mit Vers 8989 zu lesen] an, und sie fiihrt auch
die Sinnesorgane (10 503.) samtlich mit dem Manas als sechstem
an ; gabe es keine Buddhi , wie konnten die Eigenschaften
bestehen ?
19. Das, womit sie sieht, ist das Auge, horend wird sie
Gehor genannt, (io504.) riechend wird sie zum Geruche, die
Geschmacke schmeckend zum Geschmacksorgan,
20. die Gefiihle fiihlend [spargati, die Parallelstelle Vers 9002
hat sprigat/] wird sie zum Gefiihlssinn ; so wird die Buddhi
mannigfach umgewandelt; (io.o05.) wenn sie irgend etwas
wiinscht, dann wird sie zum Manas.
21. Standorte der Buddhi sind gesondert von fiinferlei
Art, (10506.) Sinnesorgane werden sie genannt, und wenn sie
leiden, so leidet die Buddhi mit ihnen.
22. Im Menschen weilt die Buddhi und bewegt sich in
drei Zustanden [entsprechend den drei Guna's], (10507.) manch-
mal empfmdet sie Freude, manchmal leidet sie Schmerz,
23. und manchmal fiihlt sie weder Lust noch Schmerz;
(10508.) ihrem Wesen nach aus den Zustanden bestehend, be-
wegt sie sich in diesen drei Zustanden.
24. So wie der wellenreiche Herr der Strome, der Ozean,
sein Ufer [hat], (10509.) so wird die in die Zustande einge-
gangene Buddhi in dem betreffenden Zustande, [z. B.] dem
Manas, befafst,
25. und wegen dieses Zustandes gibt sie auch dem etwa
aufkommenden Rajas (der Leidenschaft) nach. (10510.) Freude,
Zufriedenheit , Wonne, Behagen und Gemiitsruhe
26. treten gelegentlich im Menschen zutage als Eigen-
Adhyaya 287 (B. 285). 537
schaften des Sattvam. (losii.) Qual, Kummer, Schmerz, Un-
befriedigtheit und Ungeduld
27. zeigen sich als Symptome des Rajas mit oder ohne
Veranlassung. (10512.) Nichtwissen , Gleichgiiltigkeit fardgaj,
Verblendung, Unbesonnenheit , Starrheit, Scheu,
28. Unbeholfenheit, Verdrossenheit, Verworrenheit, Schlaf-
rigkeit und Tragheit (10 513.) treten als mancherlei Eigenschaf-
ten des Tamas gelegentlich zutage.
29. Wenn nun im Korper oder Geist etwas auftritt, was
mit Lust verbunden ist, (10 514.) so soil man denken, dafs darin
d.er sattvahafte Zustand sich regt, und dariiber weggehen.
30. Ist aber etwas mit Schmerz verbunden und erregt
das Unbehagen des Atman, (I05i5.) so soil man denken, dafs
das Rajas darin tatig ist, und sich nicht hinreifsen lassen.
31. Was aber im Korper oder Geist an Verblendungs-
artigera sich zeigt, (10516.) an Besinnungslosem, Erkenntnis-
losem, davon sei man sicher, dafs es Tamas ist.
32. In dieser Weise alle Wege der Buddhi, wie sie hier
ihrem ganzen Umfange nach erklart worden sind, (10517.) dies
alles verstanden habend, ist man ein Verstandiger ; welches
andere Kennzeichen des Verstandigen konnte es geben!
33. Und dieses sollst du begreifen als den Unterschied
zwischen Sattvam und Kshetrajna, den schwer unterscheid-
baren: (i05i8.) das eine schafft die Eigen schaften, der andere
schafft sie nicht.
34. Von Natur sind beide verschieden und doch jeder-
zeit verbunden, (io5i9.) ahnlich wie der Fisch vom Wasser
verschieden und doch an dasselbe gebunden ist.
35. Die Guna's kennen den Atman nicht, er aber kennt
die Guna's von aUen Seiten, (10520.) er ist aber nur ein Be-
schauer der Guna's, wahrend man ihn fur ihren Schopfer halt.
36. Das Sattvam [als Bestandteil der Prakriti] hat keinen
andern tragenden Grund, aber das Bewufstsein fcetand hier
= huddhij besteht nur durch eine Schopfung der Guna's;
(10521.) andere [die Guna's] sind es, welche ihm [dem Men-
schenj das Sattvam anerschaffen ; als die Guna's erkennt er
sie nur zuweilen.
538 in. Mokshadharma.
37. Denn das Sattvam zieht [auch wiederum] die Guna's
[Rajas und Tamas] herbei, der Kshetrajna aber ist blofser
Zuschauer. (1052-2.) Diese Verbindung beider, des Sattvam und
des Kshetrajna, ist eine dauernde.
38. Die im Innern weilende Buddhi aber wird erst zum
Leuchten gebracht durch die Sinnesorgane, (10523.) welche
selbst ohne Augen, ohne Erkenntnis sind; die Indriya's sind
wie eine [nicht sehende, aber das Sehen vermittelnde] Lampe.
39. Dieses so als die Naturbeschaffenheit erkennend,
moge der Mensch hinleben [viharet mit C), (10524.) ohne zu
klagen und ohne sich zu freuen, dann wird er frei von Selbst-
sucht sein.
40. Durch die Naturnotwendigkeit ist es bedingt, dafs
er [der Atman] diese Guna's aus sich entlafst, (10525.) wie die
Spinne ihren Faden; die Guna's sind als die Faden zu be-
trachten.
41. Sind die Guna's einmal abgeschiittelt, so kommen
sie nicht wieder zum Vorschein, sei es, dafs ihre Betatigung
nicht mehr wahrgenommen wird, (10526.) wie einige annehmen,
sei es, dafs sie zunichte werden, wie andere glauben.
42. In dieser Weise von dem allem als dem starken, aus
den Sorgen der Buddhi geschiirzten Herzensknoten (10527.) sich
freimachend, moge man zufrieden dasitzen ohne Kummer und
befreit vom Zweifel.
43. Aber die Menschen ermatten, indem sie zu Boden
stiirzen und in dem von Verblendung erfiillten Strom ver-
sinken (10528.) als solche, welche die aus Hingebung an die
Buddhi bestehende Furt nicht finden konnen.
44. Nicht aber ermatten solchermafsen die Wissenden,
sondern sie fahren zum andern Ufer des Stromes hiniiber
(10529.) als den innern Atman kennende Weise; Erkenntnis ist
das beste Schiff.
45. (10530.) Den Wissenden droht nicht die grofse
Furcht, die die Nicht -Wissenden befangt, keinen hohern
Weg gibt es fiir irgendwen als diesen, welcher ein fiir
• allemal die ewige Gleichheit enthalt.
46. (10 531.) Mag er nun viele Siinden begangen haben
Oder mag er aus dem Einen [der Erkenntnis, Nil.] her-
Adhyaya 287 (B. 285). 539
aus verwerfen, was er vordem getan hat, — beides nimmt
er sich nicht mehr zu Herzen, was er verwirft und was
er getan hat (vgl. Brih. Up. 4,4,22).
So lautet im Mokshadharma der Abschnitt von den fttnf Elementen
(pdncabhautikam).
Adhyaya 288 (B. 286).
Vers 10532-10552 (B. 1-21).
Yudhishthira sprach:
1. (10532.) Vor schhmmem Schmerz, vor schlimmem Tode
zittern die Menschen immerfort. Wie konnen wir den heiden
entgehen? Das sage mir, o Grofsvater.
Bhishma sprach:
2. (10 533.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namHch die Unterredung des Narada mit dem
Samaiiga, o Bharata.
Mrada sprach:
3. (10534.) Du mufst dich beugen, dafs deine Brust die
Erde beriihrt, und doch bist du wie einer, der mit der Kraft
seiner Arme durch den Strom schwimmt, und allezeit er-
scheinst du frohlichen Geistes, als kenntest du gar keinen
Kummer.
4. (10535.) Auch nicht die kleinste Aufregung bemerke
ich an dir; immer zufrieden und dir selbst genug, lebst du
hin wie ein Kind.
Samafiga sprach:
5. (10 536.) Vergangen, gegenwartig und zukiinftig ist alles,
was wir kennen, o Ehrerbietiger ; ich aber weifs, was es mit
dem allem auf sich hat, darum gerate ich nicht aus der Fassung.
6. (10537.) Ich kenne die Anfange und auch die daraus
hervorgehenden Friichte, weifs, dafs es allerlei Friichte in
dieser Welt gibt, darum gerate ich nicht aus der Fassung.
540 ni. Mokshadharma.
7. (10538.) Manche leben so dahin, ohne festen Boden,
ohne Fufs zu fassen, sich vom Strome treiben lassend, wie
Blinde und Stumpfsinnige, und, siehst du, so leben auch wir.
8. (10539.) Es leben von ihrem beschiedenen Teil, frei
von Krankheit, die Himmelsbewohner, es leben Starke und
Schwache, darum lafs auch uns gewahren.
9. (10 540.) Es leben solche, die Tausende besitzen, und
solche, die Hunderte besitzen, und wieder andere leben in
ihrem Kummer dahin, und, siehst du, so leben auch wir.
10. (10541.) Wenn wir nur keinen Kummer haben, was
brauchen wir uns dann weiter an Pflichten und an Werke
zu kehren, und da die Freuden der Verganglichkeit unter-
worfen sind, und da es ebenso mit den Leiden steht, so
konnen sie uns nichts anhaben.
11. (10542.) Diesem stimmen die weisen Menschen zu:
die Wurzel der Weisheit ist die Beruhigung der Sinne.
Nur die Sinnesorgane sind betort und bekiimmert, und
wer sich von ihnen betoren lafst, kann die Weisheit
nicht erlangen.
12. (10543.) Betort ist, wer hochmiitig ist, der Hoch-
mut eben ist die Betorung, der Betorte gewinnt nicht
diese und nicht jene Welt; die Leiden dauern ja auch
nicht ewig, und auch die Lust lafst sich nicht fiir immer
festhalten.
13. (10544.) Alles, was werdeartig ist, ist der Ver-
anderung unterworfen. Wer es macht wie ich, wird sich
niemals darum harmen, er wird sich nicht erwiinschten
Geniissen oder der Lust hingeben und wird sich auch
nichts daraus machen, wenn ein Leiden ihn trifft.
14. (10545.) In sich gesam melt, beneide er keinen andern
und juble nicht einem zukiinftigen Gewinne zu; auch
wenn ihm ein grofser Gewinn zuf allt, freue er sich nicht,
und wenn sein Besitz zerrinnt, verzage er nicht.
15. (10 546.) Nicht Verwandte, nicht Reichtum, nicht
hohe Geburt, nicht Schriftgelehrsamkeit, heilige Spriiche
und Heldenkraft, alle diese vermogen nicht vor Leid im
Jenseits zu bewahren, aber durch Charakterfestigkeit
kommt man zur Ruhe.
Adhyaya 288 (B. 286). 541
16. (10547.) Wer nicht Hingebung iibt, kommt nicht zur
Erkenntnis, wer nicht Hingebung iibt, kommt nicht zum
Gliick; Charakterfestigkeit und Erhabenheit iiber das Leid,
diese beiden fiihren zum Gliicke, o Fiirst.
17. (10548.) Denn das Angenehme erzeugt Freude, Freude
erzeugt Ubermut, Ubermut aber fiihrt zur Holle, darum halte
ich mich von dem allem fern.
18. (10 549.) Diese Kummer, Furcht und Ubermut nach
sich ziehenden Verblendungen der Lust und des Schmerzes
in der Welt betrachte ich wis ein Zuschauer, da es nur dieser
Korper ist, der sich in ihnen bewegt.
19. (10550.) Das Niitzhche und das Angenehme dahinten-
lassend, von Kummer und von Aufregung frei, Durst ftrishndj
und Verblendung iiber windend,wandle ich durch diese Welt hin.
20. (10551.) Nicht vor dem Tode, nicht vor der Ungerech-
tigkeit, nicht vor der Habgier, nicht vor sonst irgend etwas
fiirclitet sich jemals hier oder im Jenseits, wer das Amritam
[dieser Erkenntnis] getrunken hat.
21. (105B2.) Das ist es, was ich, o Brahmane, erkenne,
nachdem ich grolses, ewiges Tapas geiibt habe, und darum,
o Narada, kann der Schmerz, auch wenn er an mich heran-
tritt, mich nicht iiberwaltigen.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Samaiiga und N&rada
(Samanga - Ndrada - samvdda).
Adhyaya 289 (B. ^87).
Vers 10553-10611 (B. 1-59).
Yiidhishthira sprach:
1. (10553.) Wer die Wahrheit aus den Lehrbiichern nicht
erkennt, allezeit in Zweifel befangen bleibt und nicht zur
Entschiedenheit durchdringt, wie ist dem zu helfen ? Das sage,
o Grofsvater.
Bhishma sprach :
2. (10 554.) In der unablassigen Achtung vor dem Lehrer,
in der Verehrung der Alton und in dem Anhoren der Lehr-
biicher liegt das hochste HeO.
542 HI. Mokshadharma.
3. (10 555.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich die Unterredung des Galava mit dem
Gotterweisen Narada.
4. (10556.) Zu dem von Betorung und Schlaffheit freien
Brahmanen, dem erkenntnisgesattigten, sein Selbst bezahmen-
den Narada, sprach der seine Sinne beherrschende und nach
dem Heile trachtende Galava:
5. (10557.) Die Tugenden, durch welche ein Mensch in
der Welt geehrt dasteht, o Muni, alle einem solchen wesent-
lichen Tugenden lafs uns einmal feststellen.
6. (10558.) Du, der du ein solcher bist, sollst unsere
Zweifel losen, du, der Nicht-Betorte , uns, den lange in der
Betorung Befangenen und das Wesen der Welt nicht Er-
kennenden.
7. (10559.) Denn durch die Erkenntnis ist das Gelingen
aller Aufgaben ohne Unterschied bedingt, und diese Aufgabe,
die wir nicht zu losen vermogen, sollst du, o Herr, uns er-
klaren.
8. (10560.) 0 Heiliger, alle Lebensrichtungen fdgramaj
haben iiber den guten Wandel ihre besonderen Ansichten.
„Das ist das Kichtige!" „Das ist das Kichtige!" so werden
alle ihre Anhanger belehrt.
9. (10561.) Wenn wir nun, o Brahmane, sie sehen, wie sie
einander gegeniiberstehen mit ihren Lehrbiichern , auf ihre
Lehrbiicher pochend und an ihren Lehrbiichern ihr Geniige
findend [paritushtdns mit C], so wissen wir nicht, was das
Kichtige ist.
10. (10562.) Wenn es nur ein einziges Lehrbuch gabe, dann
ware das Kichtige klar, aber durch die vielen Lehrbiicher
wird das Kichtige nur noch mehr ins Dunkel geriickt.
11. (10563.) Aus diesem Grunde tritt mir eine Verwirrung
entgegen iiber das, was das Kechte ist. Das mogest du,
0 Heiliger, mir erklaren, als Schiiler komme ich, belehre mich.
Na,rada sprach:
12. (10564.) Es gibt, o Freund, vier Lebensrichtungen
[Materialismus , Buddhismus, brahmanischer Opferkultus und
Atmanlehre, nach Nil.], die ihre besonderen entsprechenden
Adhyaya 289 (B. 287). 543
Satzungen haben; die mufst du alle priifen, indem du auf
sie eingehst, o Galava.
13. (10565.) Bei alien diesen hier und dort verbreiteten
Lebensrichtungen mufst du, o Brahmane, ihre vielgestaltige
Tugendlehre, wie sie in jeder einzelnen aufgestellt wird, in
Erwagung ziehen.
14. (10566.) Es ist kein Zweifel, dafs einige die Absicht
nicht vollkommen erreichen, andere hingegen das hochste
Ziel der Lebensrichtungen erkannt haben.
15. (10567.) Freilich dasjenige, was in jedem Falle das
Beste ist, das ist keinem Zweifel unterworfen, namlich dafs
man seinen Freunden hilfreich beisteht und seine Feinde
niederhalt.
16. (10568.) Ferner erklaren die Weisen die Gewinnung
der Dreischar [des Angenehmen, Niitzlichen und Guten] fiir
das Beste, und audi Enthaltung von allem Bosen ist jeder-
zeit das Zeichen eines lauteren Charakters.
17. (10 569.) Unzweifelhaft recht ist auch Umgang mit
guten Menschen, Mitleid mit alien Wesen und Kechtschaffen-
heit in Handel und Wandel.
18. (10570.) Unzweifelhaft heilbringend ist auch milde Rede
und gerechte Zuteilung an Gotter und Manen, sowie auch
bei Gasten.
19. (10 571.) Unzweifelhaft gut ist es auch, seine Leute
nicht im Stiche zu lassen und die Wahrheit zu reden, schwer
aber ist es, die Wahrheit zu erkennen.
20. (10 572.) Fiir die Wahrheit aber erklare ich dasjenige,
was fiir die Wesen das schlechterdings Beste ist. Aufgebung
der Selbstsucht, Vermeidung der Unbesonnenheit,
21. (10 573.) Zufriedenheit und Zuriickgezogenheit gelten
fiir das Allerbeste. Vorschriftsmafsiges Studium des Veda
und der Vedantatexte
22. (10574.) und auf die Erkenntnis abzweckende Forschung
sind unzweifelhaft gut zu nennen. Tone, Gestalten, Ge-
schmacke, Gefiihle und Geriiche um ihrer selbst willen
23. (10 575.) soil man nicht allzusehr erstreben, wenn man
irgendwie nach dem Guten Verlangen tragt.
24. Nachts umherstreichen, bei Tage schlafen, Tragheit,
544 III. Mokshadharma.
Angeberei, Trunksucht, (i0576.) Ubertreiben und Unterlassen
des Yoga soil vermeiden, wer nach dem Guten strebt.
25. Man soil nicht suchen, sich dadurch zu heben, dafs
man andere herabsetzt, (10577.) sondern soil bestrebt sein, sich
durch eigene Vorziige vor dem gemeinen Manne auszuzeichnen.
26. Aber es kommt oft vor, dafs tugendlose, aber von
sich selbst eingenommene Menschen (10 578.) andern tugend-
haften ihre Fehler vorwerfen, weil ihnen selbst diese Tugen-
den fehlen.
27. Aber, indem sie Beifall fmden, glauben sie sich
[many ante mit C] einem grofsen Manne (10579.) iiberlegen,
von Selbstiiberhebung geblaht.
28. Wer aber keinen Tadel gegen jemand aufsert und
sich nicht darin gefallt, seine eigene Ehre ins Licht zu stellen^
(10580.) ein solcher Weiser, wenn er reich an Tugenden ist,
gelangt zu grofsem Ruhme.
29. Ohne von sich zu reden, streicht der reine Duft der
Blumen dahin, (io58i.) und ohne sich zu riihmen, glanzt die
wolkenlose Sonne am Himmel.
30. Diese und andere [Naturerscheinungen] , welche des
Bewufstseins ermangeln (10 582.) und nicht von sich reden
machen, erglanzen herrlich in der Welt.
31. Der Tor wird nicht darum schon in der Welt glanzen,
weil er sich selbst riihmt, (10 583.) aber der Weise glanzt her-
vor, auch wenn er in einer Hohle verborgen ist.
32. Auch der laut erschallende Ton fallt in das Nichts
zuriick, (10 584.) aber das gute Wort, auch wenn es leise ge-
sprochen wurde, leuchtet durch die Welt.
. 33. Das leere Geschwatz hochmiitiger Toren (10 585.) offen-
bart ihr inneres Wesen so deutlich, wie die Sonne ihre feurige
Gestalt.
34. Darum trachten die Menschen nach allerlei Wissen,
(10586.) denn Wissen zu erlangen scheint mir das Hochste zu
sein, was die Wesen erreichen konnen.
35. Ungefragt soil man niemandem antworten und auch
nicht, wenn man ungehorig gefragt wird; (10 .587.) der Weise
bleibt in einem solchen Falle, auch wenn er die Sache kennt,
ruhig sitzen, wie ein Dummer.
Adhyaya 289 (B. 287). 545
36. Darum soil man sich eine Wohnung ersehen unter
pflichttreuen, edlen, (10588.) freigebigen Menschen, die an ihrer
Pflicht ihr Geniige finden.
37. Aber wo eine Vermengung der Pflichten der vier
Kasten besteht, (lossg.) da soil einer unter keinen Umstanden
Wohnung nehmen, wenn er nach dem Heile strebt.
38. Ohne sich in Unternehmungen zu stiirzen, moge er
hienieden leben zufrieden mit dem, was ihm beschieden ist,
(10900.) Wer mit Reinen umgeht, wird ihrer fleckenlosen Rein-
heit, wer mit Bosen, ihres Bosen teilhaftig werden.
39. Wie man die Beriihrung durch einen Wassertropfen
oder einen Feuerfunken empfindet, (i0 59i.) so merken wir es,
wenn wir von beidem, dem Guten oder Bosen, beriihrt
werden.
40. Ohne darauf zu sehen, was sich als Nahrung ihm
darbietet, geniefst sie [der Weise] und begniigt sich auch
mit Uberbleibseln , (10592.) wer aber nur geniefst, was ihm
selbst genehm ist, der bleibt im Genusse [der Frucht] seiner
Werke befangen, das sollst du wissen.
41. Wo nur unter solchen, welche lernen mochten, aber
unehrerbietig fragen, (10593.) ein Brahmane das Gesetz lehren
konnte, da soil der Atmanhafte aus der Gegend entweichen.
42. Wo aber das Verhaltnis zwischen Schiiler und Lehrer
ein wohlgeordnetes ist, (10594.) ein geziemendes, dem Kanon
gemafses, wer mochte wohl gem einen solchen Ort ver-
lassen ?
43. Wo man mit Zuversicht gegen einen weisen Mann
aus der Luft gegriffene Beschuldigungen [mit C] erhebt,
(10595.) welcher Gelehrte, der auf die Ehre seines Selbstes halt,
mochte da wohnen bleiben!
44. Wo es Brauch ist, dafs die Damme der Pflicht von
Knechten der Lust durchbrochen werden, (10596.) wer mochte
einen solchen Ort nicht fliehen, wie ein Kleid, welches Feuer
gefangen hat!
45. Wo aber die Menschen, frei von Selbstsucht, ohne
Zaudern ihrer Pflicht nachleben, (10 597.) da mag man unter
Pflichteifrigen und Edlen weilen und wohnen.
Bbubbek, Mah&bhAratam. 35
546 in. Mokshadharma.
46. Wo aber die Menschen die Pflicht nur um ihres Vor-
teils willen betreiben, (i0 598.) bei solchen Bosewichtern soil
man nun und nimmer verweilen.
47. Wo lebenslustigeLeutebose Werke treiben, (10599.) da
soil man schleunigst davonlaufen, als wenn man sich vor
einer Schlange fliichtete.
48. Ein Werk, infolgedessen man auf dem Sterbelager
Eeue empfindet, (10600.) das soil man von vornherein nicht
unternehmen, wenn man sich selbst Gedeihen wiinscht.
49. Wo auch nur der Konig und die seinem Throne
nahestehenden Manner (10601.) eher speisen als ihre Ange-
horigen, ein solches Konigreich moge der Atmanhafte meiden.
50. Wo aber zuerst diejenigen gespeist werden, welche
schriftkundig, pflichttreu, bestandig sind (10602.) und sich mit
Opfern und Lehren befassen, ein solches Reich soil man be-
wohnen.
51. Wo die Opferrufe svdhd, svadhd, vashat richtig an-
gewendet werden (10603.) und unermiidlich im Schwange sind,
da soil man unbedenklich wohnen.
52. Wo man unlautere, durch Golderwerb sich erniedri-
gende Brahmanen sieht, (10604.) ein solches Reich soil man
meiden, wie einen nahen, vorgehaltenen Koder.
53. Aber wo liebe Menschen ungebeten das Notige dar-
reichen, (10605.) da mag man unentwegten Geistes wohnen,
wie ein Atmanhafter, der sein Ziel erreicht hat.
54. Wo es Strafe fiir die Ungehorsamen und Ehrung fiir
die in ihrem Geiste Bereiteten gibt, (106O6.) da mag man unter
Pflichteifrigen und Edlen wandeln und wohnen.
55. Wo solche, die den Bescheidenen liberwaltigen und
den Guten mifshandeln, (10607.) wo solche Ziigellose, Begehr-
liche von schwerer Strafe getroffen werden,
56. wo ein pflichttreuer Konig sein Reich durch Ge-
rechtigkeit beschiitzt, (106O8.) wo er die Liiste von sich ab-
weist und Herr seiner Begierden ist, da moge man unbedenk-
lich wohnen,
57. da, wo ihrem Charakter Ehre machende Konige alle
in ihrem Bezirk Wohnende (10 609.) schnell zur Wohlfahrt
fiihren und wo die Wohlfahrt ringsumher gedeiht.
Adhy^ya 289 (B. 287). 547
58. Damit habe ich dir, o, Freund, auf deine Frage das
was das Richtige ist, dargelegt, (loeio.) denn was zum Heil
der Seele dient, das lafst sich nicht so in summarischer
Weise darlegen.
59. Wer aber mit hingegebenem Geiste diese Lebens-
fiihrung sich zu eigen macht, (loeii.) dem wird durch ein
solches Tapas hienieden vielfaches Heil erscheinen und zu-
teil werden.
So lautet im Mokehadharma die Erkl&rung des Heils
(qreyo - vdcikam).
Adhyaya 390 (B. 388).
Vers 10612-10658 (B. 1-47).
Yudhishthira sprach:
1. (10612.) Wie mufs, wenn er recht leben will, ein Fiirst
wie ich auf Erden wandeln, und welches sind die Tugenden,
durch deren Besitz er erlost wird von den Fesseln der Welt-
anhanglichkeit ?
Bhishma sprach:
2. (10 613. J Dariiber will ich dir eine alte Erzahlung iiber-
liefern, namlich was von Arishtanemi dem ihn befragenden
Sagara geantwortet wurde.
Sagara sprach:
3. (10 614.) Welches hochste Gut, o Brahmane, mufs man
erwirken, um auf Erden das Gliick zu erlangen? Wie er-
reicht man es, dafs man nicht trauert und sich nicht auf-
regt? Dieses wiinsche ich zu wissen.
Bhishma sprach:
4. (1061B.) Nachdem Tarkshya (Arishtanemi), der Beste
aller Kenner der Lehrbiicher, so angeredet worden war, da
sprach er, der das hochste Gliick erforscht hatte, dieses heil-
same Wort:
35*
548 ni. Mokshadharma,
5. (10616.) Das Gliick in der Welt besteht nur in dem
Gliick der Erlosung, und der Tor kann nicht dazu gelangen,
solange er sein Herz an Kinder und Herden hangt und mit
Reichtum und Korn iiberhauft ist.
6. (10617.) Sein Geist hangt an der Welt, seine Seele ist
nicht heruhigt, und es ist nicht moglich, das zu heilen; ein
solcher, von den Stricken des Welthanges gebundener Tor
ist nicht reif fiir die Erlosung.
7. (10618.) Ich will dir die aus dem Welthang geflochtenen
Stricke erklaren, vernimm sie von mir; von dem Verstandi-
gen konnen sie vernommen werden mit lauschendem Geiste.
8. (10 619.) Nachdem du deine Sohne im Laufe der Zeit
herangehildet, in der Jugendhliite verheiratet hast und ihres
Fortkommens im Lehen sicher hist, lose dich von ihnen und
gehe, wohin es dir beliebt.
9. (10620.) Wenn du siehst, dafs die zartlich geliebte
Gattin, welche dir Sohne geboren hat und an ihnen hangt,
in die Jahre kommt, so verlasse sie zur rechten Zeit im Hin-
blick auf das hohere Ziel.
10. (10621.) Magst du Nachkommen haben oder keine,
mache dich los und gehe, wohin es dir gefallt, nachdem du
mit deinen Sinnen die Sinnendinge genossen hast, wie das
Gesetz es vorschreibt.
11. (10622.) Nachdem du dein Verlangen nach ihnen be-
friedigt hast, mache dich los und gehe, wohin es dir gefallt,
und nimm mit Gleichmut die Gaben [Idhheshu mit C.) hin,
wie sie der Zufall dir darbietet.
12. (10623.) Damit habe ich dir in summarischer Weise
das Ziel der Erlosung gezeigt, nunmehr will ich es dir aus-
fiihrlich auseinandersetzen, hore mich an.
13. (10624.) Die Menschen, welche sich losgelost haben,
wandeln frei von Furcht und gliicklich einher ; die aber, deren
Herz an der Welt hangt, gehen zugrunde, daran ist kein
Zweifel,
14. (10 625.) mogen sie auch noch so viel Nahrung auf-
haufen, wie es Wiirmer und Ameisen tun. Nur wer ohne
Anhanglichkeit an die Welt ist, lebt gliicklich, wer an ihr
hangt, geht ins Verderben.
AdhyHya 290 (B. 288). 549
15. (10626.) Wenn du auf die Eriosung deinen Geist richtest,
mufst du dir fte fiir tvaydj keine Sorgen um deine Ange-
horigen machen, indem du etwa denkst : Wie konnen sie aber
ohne raich fertig werden!
16. (10 627.) Von selbst entsteht der Mensch, von selbst
wachst er heran, von selbst gelangt er zu Lust und Leid und
schliefslich auch zum Tode.
17. (10628.) Nahrung und Kleidung und alles, was Vater
und Mutter fiir einen zusammengebracht haben, erlangt man
durch eigene Werke [in einer friihern Geburt] ; es gibt nichts
in der Welt, was nicht vordem verdient worden ware.
18. (10629.) Von dem Schopfer ist alien Wesen vorher-
bestimmt, was sie in der Welt genielsen sollen, und so durch-
wandern sie die Erde, geleitet von ihren eigenen [friiheren]
Werken.
19. (10630.) Wo man doch selbst nur ein Erdklofs und
jederzeit abhangig ist, was konnte einen dazu bestimmen, die
Angehorigen zu pflegen oder zu beschiitzen, wo man an sich
so ohnmachtig ist!
20. (10 631.) Wenn ja doch der" Tod deine Angehorigen
vor deinen Augen raubt trotz aller Anstrengung von deiner
Seite, so sollte dir das zur Lehre dienen.
21. (10 632.) Und dazu kommt iiberdies, dafs du einen
solchen [Angehorigen] bei seinen Lebzeiten, und ehe noch
seine Ernahrung und Beschiitzung sichergestellt ist, verlassen
und selbst sterben mufst.
22. (10 633.) Und wo du doch niemals wissen kannst, ob
dein Angehoriger nach seinem Tode einem gliicklichen oder
ungliicklichen Schicksal verfallt, sollte dir das nicht zur
Lehre dienen?
23. (10 634.) Und wo du doch weifst, dafs dein Angehori-
ger, magst du nun leben oder tot sein, die Frucht seiner
Werke [in einer friiheren Geburt] auszukosten haben wird,
wirst du nicht daraus dir eine Lehre ziehen und fiir dein
eigenes Heil Sorge tragen?
24. (10635.) Wenn du dieses weifst und dir dariiber klar
bist, dafs in dieser Welt keiner einem andern angehort, so
550 in. Mokshadharma.
richte deinen Geist auf die Loslosung! Und auch folgendes
lafs dir gesagt sein:
25. (10 636.) Nur der Mensch, welcher die Anwandlungen
von Hunger, Durst und dergleichen, sowie auch den Zorn, die
Habgier und die Verblendung iiberwunden hat, besitzt das
Sattvam und ist wahrhaft frei.
26. (10637.) Wer bei Spiel, Trunk, Weib und Jagd nicht
seine Besonnenheit verliert, der ist fiir immer wahrhaft frei.
27. (10638.) Tag fiir Tag und Nacht fiir Nacht mufs der
Mensch sich ernahren! Wer bei diesem Gedanken von Uber-
drufs ergriffen wird, der ist ein Kenner der menschhchen
Schwachen.
28. (10639.) Wer allezeit mit Fleifs bedenkt, dafs sein
Wesen immer wieder und wieder einem Weiberschofse ein-
verleibt wird, der ist wirklich und wahrhaft frei.
29. (10640.) Wer Entstehung, Vergang und Lebensfiihrung
der Wesen, wie sie in dieser Welt vor sich gehen, der Wahr-
heit gemafs erkennt, der ist wahrhaft frei.
30. (10641.) Wer unter tausend, unter Millionen Wagen-
ladungen nur auf den Scheffel sieht, der zu seinem Unterhalte
ausreicht, wer in einem Palaste nur auf eine Schlafstelle fiir
sich sieht, der ist ein freier Mann.
31. (10 642.) Wer einsieht, wie diese Welt vom Tode zer-
stort, von Krankheit bedrangt und von Nahrungssorgen ge-
qualt wird, der ist ein freier Mann.
32. (10 643.) Wer das einsieht, hat Frieden, wer es nicht
einsieht, mufs darunter leiden. Wer sich mit nur wenigem
in dieser Welt begniigt, der ist wahrhaft frei.
33. (10644.) Wer einsieht, dafs diese Welt nur aus Agni
und Soma [Verzehrern und fVerzehrten] besteht und sich
durch keine wunderbaren Verhaltnisse aufregen lafst [wer
das nil admirari des Horaz besitzt], der ist wahrhaft frei.
34. (10 645.) Wem ein Polster und die harte Erde, wem
kostlicher Reis und geringe Speise fiir gleich gel ten, der ist
wahrhaft frei.
35. (10646.) Wem feines Linnen und Binsengeflecht, wem
ein Kleid aus Seide oder Baumbast oder Schaffellen fiir gleich
gilt, der ist wahrhaft frei.
Adhy^iya 290 (B. 288). 551
36. (10647.) Wer die Welt betrachtet als ein blofses Pro-
dukt der fiinf Elemente und dieser Anschauung entsprechend
in dieser Welt lebt, der ist wahrhaft frei.
37. (10648.) Wem Lust und Leid, Gewinn und Verlust, Er-
folg und Mifserfolg, Liebe und Hafs, Furcht und [freudige]
Erregung fiir gleich gelten, der ist in jedem Sinne wahr-
haft frei.
38. (10649.) Wer den Korper als mit vielen Mangeln fdoshaj
behaftet, als eine Ansammlung von solchen Stoffen (dosha)
wie Blut, Urin und Kot ansieht, der ist ein freier Mann.
39. (10 650.) Wer bedenkt, dafs im Greisenalter Runzeln
und graue Haare, Eintrocknung, Blasse und gebiickter Gang
sich einstellen werden, der ist ein freier Mann.
40. (10651.) Wer bedenkt, dafs mit der Zeit Abnahme der
Zeugungskraft, Schwachung der Sehkraft, Schwerhorigkeit
und keuchender Atem sich einstellen werden, der ist ein
freier Mann.
41. (10 652.) Wer bedenkt, dafs Rishi's, Gotter und Da-
monen aus dieser Welt in die andere Welt wandern mufsten,
der ist ein freier Mann.
42. (10653.) Dafs auch hochste Fiirsten, welche mit
mancherlei Machtvollkommenheiten ausgestattet waren, zu
Tausenden die Erde verlassen und hiniibergehen mufsten,
wer das bedenkt, der ist ein freier Mann.
43. (10654.) Wer bedenkt, wie schwer Schatze zu er-
werben und wie leicht Leiden zu erlangen sind und was fiir
Kummer man mit seiner Familie haben kann, der ist ein
freier Mann.
44. (10655.) Wenn man bedenkt, dafs es in der Welt
meistenteils nur ungeratene Kinder und entartete Untergebene
gibt, wer mochte da nicht die Befreiung hochschatzen !
45. (10656.) Wer, durch Wissenschaft und Erfahrung be-
lehrt, alles menschliche Wesen als schal und nichtig erkennt,
der ist in jedem Sinne wahrhaft frei.
46. (10 657.) Nachdem du diese meine Rede angehort hast,
mogest du als ein Befreiter wandeln, sei es im Hausvater-
stande, sei es in Freiheit davon; untriigliche Erkenntnis ist
dir geworden.
552 in. Mokshadharma.
47. (10 658.) Nachdem der Erdeherr diese Belehrung von
ihm vollstandig empfangen und die aus der Befreiung ent-
springenden Tugenden eriangt hatte, regierte er dement-
sprechend seine Untertanen.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zyrischen Sagara und Arishtanemi
(Sagara - Arishtanemi - samvdda).
Adhyaya 391 (B. 289).
Vers 10659-10696 (B. 1-38).
Yudhishthira sprach :
1. (10659.) Schon von jeher wohnt in meinem Herzen das
Verlangen, etwas von dir zu horen, o Grofsvater der Kuru's,
naralich :
2. (10660.) Wie ist es gekommen, dafs der Gotterweise
Uganas, der hochsinnige Kavisprofs, der Freund der Damonen
und Widersacher der Gotter,
3. (10 661.) seine Kraft steigerte, und warum liegen unter
den unermefslich Kraftvollen die Damonen immerdar in Fehde
mit den hohen Gottern,
4. (10662.) und wie erreichte Uganas als ein unsterblich
Glanzender die Qukraschaft [(^ukra der Planet Venus und der
mannliche Same], und wie gelangte er zu gliicklichem Ge-
deihen? Das alles mogest du mir erklaren.
5. (10663.) Und wie kommt es, dafs dieser Glanzvolle [als
Planet Venus] nicht durch den mittleren Raum des Himmels
geht [d. h. nur als Abendstern und Morgenstern sichtbar ist] ?
Dies alles wiinsche ich vollstandig zu horen, o Grofsvater.
Bhishma sprach:
6. (10664.) Vernimm, o Konig, mit Aufmerksamkeit alles
dies, wie es sich verhalt, soweit ich es verstehe und soweit
es von mir ehemals vernommen worden ist, o Untadliger.
7. (10665.) Jener Nachkomme des Bhargava (Uganas), ein
ehrenfester und geliibdetreuer Weiser, verhielt sich feindselig
gegen die Gotter aus einem wohlberechtigten Grunde.
Adhyaya 291 (B. 289). 553
8. (10666.) Nun war da der Fiirst und Schatze spendende
Konig [Kubera], der bestandige Oberherr der Yaksha's und
Rakshas, der Gebieter der Schatze und Herr der Welt.
9. (10667.) In dessen Leib ging der in der Zauberkunst
des Yoga vollkommen bewanderte, grofse Weise [Uganas]
ein, zwang den gottlichen Schatzeherrn [nach seinem Willen]
und beraubte ihn durch Yogakunst seines Reichtums.
10. (10668.) Der Schatzeherr war, nachdem ihm seine Giiter
geraubt waren, hilflos ; von Zorn erfiillt und entriistet wandte
er sich an den Besten der Gotter
11. (10 669.) und machte ihm davon Mitteilung, dem un-
ermefslich kraftvollen (^iva, ihm, dem Hochsten unter den
HimmUschen, dem Rudra, dem gnadigen, vielgestaltigen :
12. (10670.) Von dem yogakundigen Uganas bin ich iiber-
waltigt und meiner Schatze beraubt worden, indem er, der
Askesereiche , durch Yogakunst in meinen Leib hineinfuhr
und ihn wieder verHefs.
13. (10671.) Als das der grofse Zauberherr Mahegvara ge-
hort hatte, geriet er in Zorn, griff mit blutunterlaufenen Augen
nach seinem Wurfspiefs und sprang auf.
14. (10672.) „Wo ist der Kerl?" rief er, indem er seine
vorziigHche Waffe fest fafste, Uganas aber glanzte in der
Feme, als er merkte, was jener vorhatte.
15. (10673.) Als der Machtige (Uganas) den Zorn des
zauberkraftigen Gewaltigen bemerkte, iiberlegte er, ob er
fliehen oder gegen ihn angehen oder stehenbleiben sollte.
16. (10 674.) Und nachdem er vermoge seiner gewaltigen
Askese auf den grofsmachtigen Mahegvara seine Aufmerk-
samkeit gerichtet hatte, sah man den Uganas kraft seiner
Yogazauberkunst plotzlich an der Spitze von (^^iva's Wurf-
spiefs hangen.
17. (10675.) Als der erkenntnisdurchdrungene , in Askese
voUendete Herr der Gotter dieses bemerkte, da bog er mit
seiner bogenbewehrten Hand seinen Wurfspiefs um fpdnind
andmayatj,
18. (10676.) und well er mit kraftvoUer Hand seinen Wurf-
spiefs rund gebogen hatte, gab der furchtbar bewehrte Herr
seinem Wurfspiefse den Namen: FmdJcam.
554 ni. Mokshadharma.
19. (10677.) Als der Gemahl der Uma den Bhargava in
seine Hande gelangt sah, da offnete er, der Gipfel der Gotter^
seinen Mund und schob ihn gemachlich mit der Hand hinein.
20. (10678.) Nachdem aber der machtige Uganas in die
Eingeweide des Mahegvara gelangt war, spazierte er, der
hochsinnige Bhrigusprofs, in ihnen umher.
Yudhishthira sprach:
21. (10679.) Warum spazierte denn der Uganas in dem
Bauche des weisen Gottergottes umher, o Konig, und was
tat der Glanzvolle dann weiter?
Bhishma sprach:
22. (10680.) Es geschah, weil ehedem der Geliibdetreue
[Qiva] Millionen und hundert Millionen von Jahren unbeweg-
lich wie ein Baumstamm im Wasser gesessen hatte
23. (10681.) und dann nach Beendigung dieser Askese aus
dem grofsen Gewasser herausstieg. Da kam der Obergott der
Gotter Brahman heran zu ihm
24. (10682.) und befragte ihn, der Ewige, nach dem Ge-
deihen der Askese und nach seinem Wohlbefinden. „Mit der
Askese geht es ganz gut", erwiderte ihm der mit dem . Stier
in der Fahne [Qiva]
25. (10683.) und merkte an sich, er, der Qankara [C'iva],
wie er durch das Betreiben der Askese zu lippiger Kraftfiille
gediehen war, er, der Hochweise, Unausdenkbare, allezeit an
Wahrheit und Gerechtigkeit seine Freude Habende.
.,T26. (10 684.) Ja, angeschwoUen durch Askese und Eeich-
tum, glanzte er, der heldenmiitige , grofse Yogin in alien
drei Welten, o Grorskonig.
27. (10G85.) Nun aber ging der yogabeflissene Pinaka-
trager dazu iiber, den Meditation syoga zu betreiben, und da-
durch geriet Uganas in Bestiirzung und duckte sich in dem
Bauche,
28. (10686.) und in dieser Lage pries, um ihn giinstig zu
stimmen, er, der grofse Zauberer, den Gott [(^iva] und wiinschte
zu entweichen, wurde aber daran von jenem gehindert.
29. (10687.) Endlich sprach der weise, im Bauche einge-
Adhyaya 291 (B. 289). 555
schlossene Uganas : „Erweise mir doch die Gnade", so sprach
er ein Mai urns andere Mai, o Feindbez winger.
30. (10688.) Da sprach Mahadeva zu ihm: „Fahre durch
den Penis hinaus", denn alle anderen Ausgange hatte der
Gotterstier verschlossen.
31. (10 689.) Diese Pforte konnte der von alien Seiten ein-
geschlossene Muni nicht finden, und, von der Glut der Askese
gepeinigt, fuhr er hier und dort umher.
32. (10690.) Endlich schliipfte er in Gestalt des Sperma
fgukramj durch den Penis hinaus. Und das ist der Grund,
warum er [als Qukra Planet Venus] niemals quer durch den
Himmel geht.
33. (10691.) Als Bhava (Qiva) ihn sah, wie er aus ihm
herausgefahren war und von Glanz strahlte, da geriet er in
Zorn, sprang auf und griff nach seinem Wurfspiefs.
34. (10692.) Aber die Gottin (Uma) hielt ihren zornigen
Gatten Pagupati zuriick, und zufolge dieser Besanftigung des
(^ankara erlangte er hei der Gottin das Sohnesrecht.
Die Gottiu sprach :
35. (10693.) Du darfst ihm nichts tun, denn er hat bei
mir Sohnesrecht erlangt, und einer, der aus dem Bauche
eines Gottes hervorging, darf doch nicht zu Schaden kommen.
36. (10694.) Da besanftigte sich Bhava und lachend sprach
er zu der Gottin : ,,Mag er gehen, wohin es ihm beliebt", so,
o Konig, sprach er zu wiederholten Malen.
37. (10695.) Da verneigte sich der weise Uganas, der
grofse Muni, vor dem gabenspendenden Gotte und der Gottin
Uma und eilte auf erwiinschtem Wege von dannen.
38. (10696.) Damit, o Freund, habe ich dir die Geschichte
von dem hochsinnigen Bhrigusprofs erzahlt, nach der du
mich fragtest, o Bester der Bharata's.
So lautet im Mokshadharma die Begegnung zwischcn Bhava und dem BhriguEprofs
(Bhava- Bhdrgava - sanidgama)
556 in. Mokshadharma.
Adhyaya 393 (B. 390).
Vers 10697-10722 (B. 1-26).
Yudhishthira sprach:
1. (10697.) Nun weiter, o Grof sarmiger , sage mir, was
das Beste ist, nicht satt werde ich, als ware es Amritam,
o Grofsvater, deines Wortes.
2. (10 698.) Welches ist das giite Werk, das ein Mensch
voUbringen mufs, o Bester der Menschen, um das hochste
Gut hienieden und im Jenseits zu erlangen? Das sage mir.
Bhishma sprach:
3. (10 699.) Dariiber will ich dir berichten, wie einstmals
der hochberiihmte Konig Janaka den hochsinnigen Paragara
befragte :
4. (10 700.) Was ist fiir alle Wesen das Beste in dieser
und in jener Welt, welches von ihnen ergriffen werden mufs?
Das mogest du, o Herr, mir sagen.
5. (10 701.) Da sprach der askesereiche, aller Gesetze und
Vorschriften kundige, freundlich gesinnte Muni zu dem Konige
das folgende Wort.
Para,Qara sprach:
6. (10 702.) Die Vollbringung der Pflicht ist das Beste fiir
diese Welt und fiir jene; denn hoher als sie gibt es nichts,
wie die Weisen erklaren.
7. (10703.) Der Mensch, welcher seine Pflicht getan hat,
wird herrlich geehrt in der Himmelswelt, und die Pflicht ist
beschlossen fiir die Menschen in der Vorschrift der Werke,
o Bester der Fiirsten.
8. (10 704.) In ihr beharren die, welche die Lebensstadien
durchmachen und die ihnen obliegenden Werke vollbringen.
9. Als vierfach wird in dieser Welt der Lebensunterhalt
vorgeschrieben , (i0 705.) um welchen die Menschen bemiiht
sind, und er entspringt aus dem Bediirfnis.
10. Nachdem sie das gute oder bose Werk auf mancherlei
Weise betrieben haben (10 706.) und in die fiinf Elemente zer-
fallen sind, gehen die Wesen auf verschiedenen Wegen hiniiber.
Adhyaya 292 (B. 290). 557
11. Wie man ein Gefafs mit Gold oder mit Silber iiber-
zieht, (10 707.) so wird der Mensch iiberzogen vermoge seiner
Abhangigkeit von seinen friiheren Werken.
12. Ohne Samen kann nichts wachsen, ohne Wirken er-
wachst kein Gliick, (10708.) nur durch gute Werke erlangt der
Mensch Gliick, nachdem sein Korper zunichte geworden ist.
13. Von einem Schicksale bemerke ich nichts, es gibt
kein Eingreifen des Schicksals, (10 709.) nur durch ihre eigene
Natur sind Gotter, Gandharven und Damonen zu dem ge-
worden, M^as sie sind.
14. Nach dem Tode erinnern sich die Menschen zwar
niemals des in der friihern Geburt begangenen [jdtikritam,
bei Nil.] Werkes, (io7io.) und wirklich [erinnern sie sich niclit],
wenn seine Frucht liber sie kommt, des vierfach begangenen
Werkes [Vers i07ii].
15. Dafs das Vedawort nur dazu da sei, um dem Ver-
bal ten in diesem Leben als Richtschnur zu dienen (i07ii.) und
um das Gemiit zu beruhigen, das, o Freund, ist gewifs nicht
die Meinung der Alten.
16. Nein, das vierfache Werk, wie es einer durch Augen,
Gedanken, Rede und Tat (10712.) begeht, wird dementsprechend
vergolten.
17. Das unvermittelt [als gut und bose, NU.] einander
gegeniiberstehende und das gemischte W^erk wird vergolten,
o Fiirst, (10 713.) mag es gut, mag es bose sein, eine Ver-
nichtung des Werkes gibt es nicht.
18. Mitunter iiberwiegt das gute Werk, o Freund, und
steht gleichsam obenan, (i0 7i4.) auch bei einem solchen, der
noch, bis zu seiner Erlosung vom Leiden, in dem Sansara
verstrickt bleibt.
19. Ist er aber des Leidens ledig geworden, so geniefst
er [auf dem Pitriyana zum Monde gelangend] sein gutes
Werk, (10 715.) und nachdem sein gutes Werk verbraucht ist,
biifst er das bose Werk [durch Riickkehr zum Erdenleben],
0 Oberherr der Menschen.
20. Bezahmung, Geduld, Festigkeit, Energie, Geniigsam-
keit, Aufrichtigkeit, (10716.) Schamhaftigkeit, Schonung, Leiden-
schaftslosigkeit und Ttichtigkeit bringen Gliick.
558 ni. Mokshadharma.
21. Der Mensch ist beim Vollbringen des guten und bosen
Werkes keinem Zwange unterworfen, (10 717.) darum soil der
Weise immerfort in seinem Geiste wachsam sein und sich
Miihe geben.
22. Es ist nicht zu befiirchten, dafs einer das gute oder
bose Werk eines andern zu biifsen hat; (10718.) welcher Art
das Werk ist, das man begeht, dementsprechend ergeht es
einem.
23. Der Mensch, welcher auf Lust und Leid [als Folgen
der Handlungen] merkt, wird den einen Weg [der Erkenntnis,
Nil.] gehen, (10 719.) auf dem andern gehen vermoge der Welt-
anhanglichkeit fsangatahj alle [iibrigen] Menschen auf Erden.
24. Was man an anderen tadelt, soil man nicht selbst
tun, (10 720.) denn wer tadelt, womit er selbst behaftet ist, der
Terfallt der Lacherlichkeit.
25. (10721.) Ein feiger Kshatriya, ein von allem essender
Brahmane, ein unstrebsamer VaiQya und ein fauler Kasten-
loser, ein charakterloser Gelehrter, ein Vornehmer ohne
Lebensart, ein von der Wahrheit abtriinniger Brahmane,
ein ausgelassenes Weib,
26. (10 722.) ein leidenschaftlicher Yogin, einer, der nur
fiir sich selbst kocht, ein Dummkopf, der Reden halt,
und ein Konigreich ohne Konig — diese alle, o Konig,
sind zu bedauern, und so auch ein Herrscher ohne Hin-
gebung und Liebe zu seinen Untertanen.
So lautet im Mokfihadharma der Gesang des Paragaia
(Pardi;ara-gttd).
Adhyaya 393 (B. 391).
Vers 10723-10746 (B. 1-23).
Para,Qara sprach :
1. (10723.) Wer als Wagen den Manas wagen, als Rosse
die Sinne und Sinnendinge erlangt hat und sie mit der Er-
kenntnis als Ziigel zu lenken weifs, der ist ein weiser Mann.
2. (10724.) Riihmlich ist die Verehrung mit hingegebenem
Oeiste eines Unbemittelten, o Zwiegeborener, welche ausgeht
Adhyaya 293 (B. 291). 559
von einem iiber die Spendehand Erhabenen [atihasta mit Nil.]
und nicht aus einem gegenseitigen Tauschverlialtnis.
3. (10725.) Wenn man ein schwer erlangbares [gliickliches]
Lebenslos erlangt hat, soil man es nicht [durch schlechte
Taten] entwiirdigen , o Volkerherr, sondern danach streben,
durch gute Werke noch hoher zu steigen [in der nachsten
Oeburt].
4. (10726.) Denn wer von seiner Kaste abfallt, verdient
keine Billigung, und sicherlich auch nicht der, welcher, in
eine gliickliche Lage gelangt, rajashaften Taten sich hingibt.
5. (10727.) Durch gute Werke erlangt der Mensch [nach
dem Tode] eine hohere Kaste; schwer ist sie zu erlangen,
und wenn man sie nicht erlangt hat, [so ist der Grund,
dafs] man durch schlechte Werke sich selbst zu Schaden
hringt.
6. (10728.) Begeht man unbewufst etwas Boses, so moge
man es durch Askese von sich abschiitteln, denn das Bose
bringt [bewufst oder unbewufst veriibt] seine Frucht; bose
ist es an sich [in beiden Fallen], (10729.) darum soil man sich
nicht mit Bosem befassen, da es [in jedem Falle] Leiden als
Frucht bringt.
7. Ein Werk, welches mit Bosem behaftet ist, auch
wenn es grofsen Erfolg verspricht, (10 730.) soil der Weise so
angstlich meiden wie der Reine einen Kugalin [nach Nil. eine
Art Candala].
8. [Fragt man aber :] Wo sehe ich denn eine iible Folge
meiner bosen Tat? — (10731.) Zunachst schon darin, dafs der
Seele, selbst wenn man Reue empfunden hat, nicht wohl da-
nach wird.
9. Wer aber ein solcher Tor ist, dafs ihm keine Reue
iiber seine Tat kommt, (10732.) den erwartet, wenn er davon
mufs, grofse Pein.
10. Ein ungefarbtes Kleid lafst sich von Schmutz reinigen,
nicht aber ein mit schwarzer Farbe ganz iiberzogenes, (10733.) so
steht es mit der Siinde, o Fiirst der Menschen, das sollst du
von mir mit Fleifs lernen.
11. Wenn einer auch aus freien Stiicken, nachdem er
das Bose getan hat, sich dem Guten zuwendet (10734.) und
560 HI. Mokshadharma.
Bufse tut, so trifft ihn doch [die Vergeltung fur] beides ge-
sondert.
12. Aber eine unbewufst begangene Schadigung wird
durch den Grundsatz der Nicht- Schadigung wieder wett-
gemacht, (10735.) so lehren, vom Gesetze belehrt, die brahman-
kundigen Brahmanen.
13. Hingegen eine absichtlich begangene [Schadigung]
wird nicht durch den Grundsatz der Nicht-Schadigung wieder
wettgemacht, (10 736.) so lehren, vom Gesetze belehrt, die brah-
mankundigen Brahmanen.
14. Ich aber sehe die Sache so an, dais das begangene
Werk nicht ohne Folgen bleibt, (10737.) mag es tugendhaft
Oder nur scheinbar mit Bosem nicht verkniipft sein.
15. Und wenn schon verborgene Werke die Frucht ihrer
Beschaffenheit gemafs bringen, (10738.) wieviel mehr solche,
welche aus Vorsatz und mit Bewufstsein begangen sind!
16. Nur geringe Folgen hat ein schweres, fort und fort
begangenes Werk, (10739.) ein mit Gewalttat ausgefuhrtes,
wenn es ohne Absicht geschah.
17. An [gewissen] Taten der Gotter und Muni's (10 740.) soil
sich der Kechtschaffene , wenn er von ihnen hort, kein Bei-
spiel nehmen, aber auch keinen Tadel iiben.
18. Wer nach reiflicher Uberlegung, o Konig, und im
Bewufstsein dessen, was er vermag, (10741.) ein edles Werk
voUbringt, der wird Herrliches schauen.
19. Wie Wasser, wenn es in ein noch ungebranntes
Gefafs gegossen wird, entweicht, (10742.) so bleibt es in einem
nicht mehr ungebrannten Gefafse erhalten und wohlgeborgen.
20. Nun wird dem das Wasser haltenden Gefafse anderes
Wasser zugegossen, (10743.) und so wie dieses Wasser in dem
beharrenden selbst sein Beharren findet,
21. so sind, wenn verstandige Werke geiibt worden sind,
o Fiirst, (10744.) neu hinzukommende ahnliche in hochstem
Grade vortrefflich.
22. (10745.) Dem Konige liegt es ob, Feinde und Em-
porer zu besiegen und die Beschiitzung seiner Unter-
tanen nach alien Seiten hin auszuiiben; um vieler Opfer
willen soil man [als Grihastha] das Feuer schichten, um
Adhy&ya 293 (B. 291). 561
im. letzten oder mittlern Lebensalter [als Vanaprastha]
in den Wald zu ziehen und dort zu wohnen.
23. (10746.) Herr seiner selbst, soil der Mensch, in
seiner Pflicht treu, alle Wesen seinem eigenen Selbste
gleich achten und seine Freude daran haben, o Manner-
fiirst, aus alien Kraften und in aufrich tiger Gesinnung
die Meister zu ehren.
So laatet im Mokshadbarma der Qesang des PaxAfara
(Fard<;ara-gUd).
Adhyaya 394 (B. 293).
Vers 10747-10769 (B. 1-23).
Para^ara sprach:
1. (10 747.) Wer hilft in dieser Welt dem andern? Wer hat
fur den andern etwas iibrig? Der Mensch, wie er ist, tut,
was er tut, durch sich selbst und fiir sich selbst.
2. (10 748.) Er ist imstande, einen, der nicht in Ansehen
steht, lieblos zu verlassen, selbst wenn es der eigene Bruder,
wieviel mehr, wenn es ein anderer ist!
3. (10749.) Zwischen zwei Menschen von Ansehen halten
sich Geben und Nehmen das Gleichgewicht, verdienstlicher
als beides ist es, wenn der Zwiegeborene die Gabe blofs
darreicht.
4. (10750.) Reichtum, welcher rechtmafsig erworben und
rechtmafsig vermehrt worden ist, darf mit allem Fleifse ge-
hiitet werden, wenn er zur Fflichterfiillung verwendet wird,
daran ist kein Zweifel.
5. (10 751.) Wer auf Gerechtigkeit halt, der soil nicht durch
menschenfeindhches Tun sich Reichtum erwerben. Nach
besten Kraften soil man alle Pflichten erfiillen ohne den Hinter-
gedanken an gedeihlichen Erfolg.
6. (10 752.) Wenn man mit frommem Sinne auch nur kaltes
Oder warmes Wasser, so gut man es vermag, dem Gaste
darreicht, so ist das ebenso verdienstlich , als wenn man
einen Hungrigen speiste.
I>BUB8sir, Mab&bh&ratam. 36
562 in. Mokshadharma.
7. (10 753.) Von dem hochherzigen [reichen und wohl-
tatigen] Rantideva wurde die von alien begehrte Vollendung
erreicht, und doch hatte er die Muni's nur mit Friichten,
Blattern und Wurzeln geehrt.
8. (10 754.) Und obgleich er nur mit solchen Friichten und
Blattern den von Mathara begleiteten [Sonnengott] erfreut
hatte, erlangte auch der Fiirst der Qibi's dafiir die hochste
Statte.
9. (10 755.) Der Mensch wird geboren, indem auf ihm eine
Schuld gegen Gotter, Gaste, Horige und Manen lastet, darum
mufs er diese Schuld abtragen
10. (10 756.) an die grofsen Rishi's durch Vedastudium, an
die Gotter durch Opferwerke, an die Manen, indem er ihnen
das Manenopfer spendet, an seine Leute, indem er sie in
Ehren halt.
11. (10757.) Durch [angemessene] Rede, durch Mitgeben
von seinem Uberflusse und durch Erhaltung seiner eigenen
Person soil man, wie sichs gehort, von Grund aus das Interesse
seiner Angehorigen fordern.
12. (10 758.) An Fleifs das Hochste erreichend, wenn auch
des Reichtums ermangelnd, sind die Muni's durch richtige
Darbringung der Opferspeise zur Vollendung emporgestiegen.
13. (10759.) Der Sohn des Ricika [Nil. liest des Ajigarta]
wurde zu einem Sohne des Vigvamitra, nachdem er, o Grofs-
armiger, die an seiner Opferung beteiligten Gotter mit Rigveda-
versen gepriesen hatte [vgl. Ait. Br. 7,13 fg., wo der Vater
Ajigarta und der Sohn Qunahgepa heifstj.
14. (10 760.) U<?anas wurde infolge der Gnadigstimmung
des Gottergottes [Qiva] zum (^ukra [dem Planeten Venus]
und glanzt herrlich am Himmel, well er die Gottin [Uma] ge-
priesen hatte [oben, S. 552 fg.].
15. (10761.) Asita Devala, Narada und Parvata, Kakshi-
vant, Rama, der Sohn des Jamadagni, und der atmanhafte
Tandya,
16. (10 762.) Vasishtha, Jamadagni, Vigvamitra und Atri,
Bharadvaja, Harigmagru, Kundadhara und Qrutagravas,
17. (10 763.) diese grofsen Rishi's empfmgen, weil sie mit
Hingebung den Vishnu durch Rigvedaverse gepriesen batten,
Adhy^ya 294 (B. 292). 583
durch die Gnade dieses weisen Gottes um ihrer Askese willen
die Vollendung.
18. (10 764.) Und auch Wiirdelose sind zur Wiirde gelangt,
weil sie denselben Gott mit rechtschaffenem Sinne gepriesen
hatten. Nicht aber soil man in dieser Welt durch etwas
emporzukommen suchen, dessen man sich zu schamen hat.
19. (10765.) Zwecke, die mit Rechtschaffenheit verfolgt
werden, sind gut, die aber mit Ungerechtigkeit verfolgt wer-
den, pfui iiber die! Die in der Welt ewig geltende Pflicht
soil man nicht aus Geldgier aus den Augen lassen.
20. (10 766.) Wer mit rechtschaffenem Sinne die Opferfeuer
anziindet, dessen religioses Verdienst steht am hochsten, denn
alle Veden, o Fiirst der Konige, fufsen auf den drei Opfer-
feuern, o Herr.
21. (10 767.) Aber nur ein solcher Brahmane ist ein wahrer
Opferfeuerz under, der die zugehorigen Zeremonien nicht ver-
nachlassigt, und ist es besser, gar keine Opferfeuer anzu-
ziinden, als ein Agnihotram ohne Zeremonien darzubringen.
22. (10 768.) Das Opferfeuer und der Atman, die Mutter,
der Vater als Erzeuger und der Lehrer, diese miissen ge-
biihrend verehrt werden, o Tiger unter den Mannern.
23. (10 769.) Wer frei von Hochmut die Alten ehrt,
verstandig, keusch und liebevoll dreinschaut, ohne Un-
ruhe, pflichttreu und nicht unbezahmten Sinnes ist, der
wird in dieser Welt als echter Arya von den Guten
geachtet.
So lautet iin Mokshadharma der Gesang des Far&Qara
(Pard<;ara-gltd).
Adhyaya 295 (B. 293).
Vers 10770-10790 (B. 1-21).
ParS,Qara sprach :
1. (10 770). Ein wohlanstandiges, von Liebe geleitetes Be-
tragen von seiten der drei Kasten gegeniiber dem Kasten-
losen [Qudra], wie es Vorschrift ist, zeichnet immerdar die
Gerechtesten aus.
36*
564 in. Mokshadharma.
2. (10771.) Wo aber keine vom Vater und Grofsvater iiber-
kommene gute Behandlung dem Qudra gegeniiber iiblich ist,
da soil dieser nicht nach guter Behandlung in Diensten eines
andern streben, sondern sich im Gehorsam iiben.
3. (10772.) Der Umgang mit Edlen, Pflichtkundigen ist
jederzeit in alien Lagen schon, nicht aber der mit Unedlen,
so meine ich.
4. (10 773.) Wie ein Korper auf dem Berge des Sonnen-
adfgangs durch seine Nahe [von der Sonne] erglanzt, so er-
glanzt der Kastenlose durch die Nahe der Edlen.
5. (10774.) Denn wie ein weifses Kleid durch irgendeine
Farbe gefarbt wird, so nimmt auch er [der Qudra] die Farbe
[der Umgebung] an, das kannst du mir glauben.
6. (10775.) Darum nimm von den Tugenden die Farbe an
und niemals von den Fehlern, denn das Leben der Sterb-
lichen ist verganglich und ungewifs.
7. (10776.) Der Weise, welcher im Gliick und Ungliick
das Gute herauszufinden weifs, der ist ein wahrer Kenner der
Lehrbiicher.
8. (10 777.) Eine Handlung, welche von der Pflicht abweicht,
auch wenn sie grofsen Nutzen bringt, soil von dem Weisen
nicht unternommen werden und ist nicht gutzuheifsen.
9. (10 778.) Ein Fiirst, der, die Beschiitzung seiner Unter-
tanen versaumend, tausend geraubte Kiihe [als Opferlohn]
spendet, der erwirbt sich nur dem Namen nach ein Verdienst
und ist in Wahrheit ein blofser Rauber.
10. (10779.) Der durch sich selbst Seiende schuf zu An-
fang den von aller Welt verehrten Schopfer, der Schopfer
schuf den einen Sohn [den Regengott Parjanya, Nil.], der an
der Erhaltung der Welt seine Freude hat.
11. (10780.) Ihn moge der Vaigya ehren und [als Acker-
bauer und Viehziichter] Gedeihen im Ubermafs haben; die
Kshatriya's soUen schiitzen, die Brahmanen sollen [den Gottern
das Opfer] genehm machen,
12. (10781.) indem sie es redlich ohne Falsch und ohne
Zorn den Gottern und Manen darbringen; den (^udra's end-
lich liegt das Geschaft des Kehrens ob, dann bleibt das Gesetz
wohlgewahrt.
Adhy&ya 295 (B. 293). 565
13. (10782.) Und wenn es wohlgewahrt bleibt, so leben
die Menschen gliicklich, und wenn sie gliicklich leben, o Fiirst
der Konige, so freuen sich die Gotter im Himmel.
14. (10783.) Darum wird ein Fiirst, welcher Schutz gewahrt,
mit Recht dafiir geehrt, und ebenso ein Brahmane, der den
Veda studiert, und ein Vaigya, der seine Freude am Er-
werb hat,
15. (10 784.) und auch ein Qudra, der mit bezahmten Sinnen
immer gehorsam ist; wer anders handelt, o Fiirst der Men-
schen, der versaumt seine Pflicht.
16. (10785.) Auch ein Scherflein, welches unter eigenen
Entbehrungen dargebracht wird, bringt grofsen Lohn, wenn
es nur ehrlich erworben ist, um wieviel mehr tausendfache
Gaben !
17. (10786.) Der Fiirst, welcher die Brahmanen bewirtet
und beschenkt, wird in dem Mafse, wie er es tut, entsprechen-
den Lohn in reicher Fiille ernten.
18. (10 787.) Eine Gabe, welche man aus freien Stiicken
mit Freudigkeit darreicht, ist wahrhaft lobenswiirdig ; was
man aber gibt, nachdem man sich darum hat bitten lassen,
hat nach Ansicht der Weisen nur mafsigen Wert.
19. (10 788.) Was aber mit Geringschatzung oder ohne
Glauben gespendet wird, das erklaren die wahrheitsprechenden
Muni's fiir eine Gabe untersten Grades.
20. (10 789.) Versunken [in das Meer des Sansara] soil
der Mensch immer suchen, auf alle Art herauszukommen,
und so moge er eifrig streben, aus der Verstrickung sich zu
befreien.
21. (10790.) Durch Bezahmung zeichnet sich der Brahmane
aus, durch Sieg der Krieger, durch Reichtum der VaiQya, der
(^udra aber durch bestandige Riihrigkeit.
So lautet im Mokshadharma der Oesang dea FaT&c^ara
(Pardqara - gitd).
566 in. Mokshadharma.
Adhyaya 296 (B. 394).
Vers 10791-10821 (B. 1-31).
Para^ara sprach :
1. (10791.) Zum Brahmanen als Gaben gelangend, vom
Kshatriya im Kampfe erobert, vom Vaicya ehrlich erworben,
vom Q'udra durch gehorsames Dienen erlangt,
2. (10792.) wird auch ein geringer Besitz gepriesen als
grofse Frucht bringend, wenn er im Dienste der Pflicht ver-
wendet wird. Der Qiidra gilt allgemein als der, welcher den
drei oberen Kasten Gehorsam schuldet.
3. (10 793.) Wenn ein Brahmane aus Nahrungssorgen die
Beschaftigung eines Kshatriya oder Vaigya betreibt, so fallt
er dadurch nicht; wenn er aber das Geschaft eines Qudra
betreibt, so fallt dadurch der Brahmane.
4. (10 794.) Handel, Viehzucht und Leben vom Handwork
werden auch einem Qudra zugestanden, wenn er nicht anders
seinen Lebensunterhalt erwerben kann.
5. (10 795.) Das Auftreten auf der Biihne, das Leben von
Schaustellungen [Marionetten usw.], vom Handel mit be-
rauschenden Getranken und Fleisch, mit Eisen und Leder
6. (10796.) soil man, wenn es nicht in der Familie erblich
war, nicht anfangen, da es in der Welt fiir ein bescholtenes
Gewerbe gilt. Wo es aber erblich war und aufgegeben wurde,
da liegt ein grofses religioses Verdienst vor, wie die Schrift
lehrt.
7. (10797.) Wenn ein Mann, der es in der Welt zu etwas
gebracht hat, etwas Schlechtes begangen hat, weil sein Geist
von Trunkenheit umnebelt war, so gilt das nicht fiir nach-
ahmenswert.
8. (10 798.) Denn in alten Geschichten (purdnaj wird be-
richtet, dafs die Menschen damals so bezahmt, pfliohteifrig
und an Sitte und Gesetz gewohnt waren, dafs die Verachtung
als Strafe geniigte, um sie im Zaume zu halten.
9. (10 799.) Denn von jeher wurde die Pflicht erf iillung an
den Menschen hienieden als des Lobes wiirdig erachtet, o Konig,
Adhyaya 296 (B. 294). 567
und da die Menschen in der Pflichterfiillung grofs ge word en
waren, so iibten sie auf Erden tugendhafte Handlungen.
10. (10800.) Diese Pflichttreue, o Freund, wurde von den
Damonen nicht geduldet, o Fiirst, und indem sie mehr und
mehr an Macht und Zahl zunahmen, fuhren sie in die Men-
schen hinein und machten sie besessen.
11. (10801.) Da entwickelte sich in den Menschen ein die
Pflicht vernichtender Hochmut, und als sie erst von Hoch-
mut erfiillt waren, erwuchs in ihnen der Zorn.
12. (10802.) Und indem der Zorn sie beherrschte, gingen
schamhaftes Benehmen und Scheu verloren, und Verblendung
trat an ihre S telle.
13. (10803.) Als sie aber mit Verblendung erfiillt waren,
sahen sie nicht mehr so klar wie vorher, sondern unter-
drlickten sich gegenseitig und iiberhoben sich nach Lust.
14. (10804.) Als sie aber erst soweit gekommen waren, ge-
niigte die Verachtung als Strafe nicht mehr ; sie gingen immer
weiter, indem sie sogar Gotter und Brahmanen verachteten.
15. (10805.) Zu dieser Zeit geschah es, dafs die Gotter
den obersten Gott, den weisen, vielgestaltigen , allervortreff-
lichsten Qiva, um Schutz baten.
16. (10806.) Da wurden von ihm jene himmelstiirmenden
[Damonen] mitsamt ihren Burgen auf die Erde herabgestiirzt,
zu dreien [als Hochmut, Zorn und Verblendung], durch einen
einzigen von Gotterkraft geschwellten Pfeil.
17. (10807.) Und auch er, der ihr Oberherr war, furcht-
bar, von furchtbarer Tapferkeit, und der die Gotter mit Furcht
erfiillt hatte, wurde von dem Wurfspiefsbewehrten [Qiva]
niedergeworfen.
18. (10808.) Nach dessen Niederwerfung kehrten die Men-
schen zu ihrer friihern Natur zuriick und wandten sich wieder
wie ehedem den Veden und den Gesetzbiichern zu.
19. (10809.) Da geschah es, dafs die sieben Rishi's den
Vasava (Indra) zum Konige iiber die Gotter im Himmel salbten
und ihn mit dem Richteramte iiber die Menschen betrauten.
20. (10810.) Auf die sieben Rishi's folgte sodann eiu Erde-
beherrscher mit Namen Viprithu und in den einzelnen Reiche n
Kshatriya's als Konige.
568 III. Mokshadharma.
21. (10811.) Aber da gab es alte und noch altere, aus
grofsen Familien geborene Herrscher, aus deren Herzen die
damonische Natur nicht gewichen war.
22. (10812.) Darum haben manche Fursten vermoge dieser
Natur und ihrer Folgen mit furchtbarer Tapferkeit damonische
Werke begangen.
23. (10813.) Auf diese griindeten sie sich und stelltenxSie
als Beispiel auf, und auch heute gibt es torichte Menschen,
welche an derartigen Werken ihre Freude haben.
24. (10814.) Darum sage ich zu dir, o Konig: Man soil
auf Grund der Lehrbiicher wohliiberlegend nach dem Voll-
kommenen trachten und schadliche Werke meiden.
25. (10815.) Ein weiser Mann soil nicht auf unlauterm
Wege Reichtum aufhaufen, indem er das auf Pflichterfullung
zielende Gesetz aufser Augen lafst, das ist nicht schon.
26. (10816.) Du aber, der du ein bezahmter und von
lieben Freunden umgebener Kshatriya hist, mogest Unter-
tanen, Diener und Kinder vermoge der dir obliegenden Fflicht
beschiitzen.
27. (10817.) In Verkniipfung von Angenehmem und Un-
angenehmem besteht Feindschaft und Freundschaft durch
viele tausend Geschlechter hindurch.
28. (10818.) Darum nimm von den Tugenden die Farbe an
und niemals von den Fehlern; hat doch schon der tugend-
lose Tor an sich selbst seine Freude [wieviel mehr der
Tugendhafte] !
29. (10819.) Unter den Menschen, o grofser Konig, nehmen
Gutes und Boses ihren Gang, aber so ist es nicht bei anderen
Geschopfen, welche gesondert leben.
30. (10820.) Ein pflichttreuer und weiser Mann, mag er
irgend etwas erstreben oder nicht, soil allezeit in der Welt
wandeln ohne Schadigung der Wesen, zu ihrem Selbste ge-t
w or den.
31. (10821.) Wenn eines solchen Mannes Geist frei wird
von alien Herzensskrupeln und aller Unlauterkeit, dann wird
ihm ein schones Los zuteil.
So lautet im Mokshadharma der Gesaug des Par^gara
(Pardfara • gttd).
Adhyaya 297 (B. 295). 569
Adhyaya 297 (B. 295).
Vers 10822-10860 (B. 1-39).
Para,Qara sprach :
1. (10 822.) Das wird als das Pflichtgesetz des Hausvaters
verkiindet, nun will ich dir das Gesetz der Askese vortragen ;
vernimm es, wie ich es dir darlege.
2. (10823.) Meistens entwickelt sich im Hausvater ein Egois-
mus, welcher auf dem Welthange vermoge der rajas-artigen
und tamas-artigen Zustande beruht.
3. (10824.) Griindet ein Mensch erst einen Hausstand, dann
gelangt er zu Herden, Feldern, Reichtiimern, Weibern, Kin-
dem und Dienern.
4. (10825.) Wenn er in diesen Dingen sich bewegt und
sie allezeit im Auge hat, dann erstarken in ihm, indem er
deren Verganglichkeit nicht bemerkt, die Liebe und der Hafs.
5. (10826.) Wird er aber von Liebe und Hal's geknechtet
und gerat er unter die Herrschaft des Materiellen, dann be-
schleicht den Menschen die aus Verblendung entspringende
Genufssucht, o Mannerfiirst.
6. (10827.) Sich am Ziel der Wiinsche und im Vollbesitze
des Gliickes wahnend, begreift ein jeder, fiir den der Genufs
das Hochste ist, nicht, dafs es noch etwas anderes, von der
Geschlechtsbefriedigung Verschiedenes zu erstreben gilt.
7. (10828.) Und mit einer von Begierde erfiillten Seele
fordert er aus Weltliebe auch seine Angehorigen, und um
ihr Gedeihen zu erhohen, ist er fiir seine Angehorigen bemiiht.
8. (10829.) Dann begeht der Mensch auch mit Bewufstsein
um des Gewinnes willen, was er nicht tun sollte, und um-
nebelt im Geiste durch die Liebe zu seinen Kindern, harmt
er sich, wenn sie ihm entrissen werden.
9. (10 830.) Und von Hochmut erfiillt und angstlich bedacht,
keinen Schaden zu erleiden, tut er alles in dem Gedanken:
„Glucklich will ich sein!" und daran geht er zugrunde,
10. (10831.) wahrend das wahre Gliick nur den Menschen
zuteil wird, welche, stets von Weisheit geleitet, das Brahman
verkiinden, nach edlen Werken streben und entsagen.
570 in. Mokshadharma.
11. (10832.) Geht verloren, worauf sich die Liebe richtete,
geht der Reichtum verloren, o Fiirst, wird man von Kummer
und Krankheit gequalt, dann kommt man zur Weltver-
drossenheit.
12. (10833.) Aus Weltverdrossenheit entspringt Selbst-
erkenntnis, aus ihr Beach tung der Lehrbiicher, und durch
Beachtung des Inhalts der Lehrbiicher, o Konig, wird man
auf die Askese hingeleitet.
13. (10834.) Schwer zu finden, o Fiirst der Menschen, ist
der tiefdenkende Mann, der, der Lust am Angenehmen miide,
sich zur Askese entschliefst.
14. (10835.) Die Askese ist universell und wird auch dem
Kastenlosen empfohlen; wenn er bezahmt und Herr seiner
Sinne ist, zeigt sie ihm den Weg zum Himmel.
15. (10836.) Durch die Askese schuf vordem Prajapati, der
Herr, die Geschopfe, indem er, das Brahman als Hochstes
haltend, bald dieses, bald jenes Geliibde libernahm, o Konig.
16. (10837.) Die Aditya's, Vasu's, Rudra's, Agni, die Agvin's
und die Maruta's, die Viqve Devah und die Sadhya's, die
Manen und die Scharen der Marut's,
17. (10838.) die Yaksha's, Rakshasa's und Gandharva's,
die Siddha's und anderen Himmelsbewohner sind, o Freund,
durch die Askese zur Vollendung gelangt, und so auch, die
noch sonst im Himmel weilen.
18. (10839.) Und auch die Brahmanen, welche am Anfang
von Gott Brahman geschaffen wurden, haben vordem durch
Askese die Erde geschmiickt und den Himmel bevolkert.
19. (10840.) Und auch die Konige in der Menschen welt
und solche Hausherren, die in edlen Familien glanzen — das
alles ist die Frucht ihrer Askese.
20. (10841.) Seidene Gewander und schone Geschmeide,
Wagen, Sessel und Trinkbecher — das alles ist die Frucht
der Askese.
21. (10842.) Herzerfreuende, schone Weiber zu Tausenden
und Weilen auf der Zinne des Palastes — das alles ist die
Frucht der Askese.
22. (10843.) Kostbare Betten und allerlei Leckerbissen und
Adhyaya 297 (B. 295). 571
alles, was das Herz begehrt, wird den Vollbringern edler
Werke zuteil.
23. (10844.) Es gibt nichts in alien drei Welten, o Feind-
bedranger, was nicht durch Askese erlangt werden konnte;
aber Verlust aller Freuden ist der Lohn derer, welche keine
Werke [der Askese] vollbringen.
24. (10845.) Mag der Mensch in Gliick oder in Ungliick
leben, er meide die Habgier, indem er das Gesetz mit Sinn
und Geist beachtet, o Bester der Fiirsten.
25. (10846.) Unzufriedenheit fiihrt zu Ungliick, Begierde
zu Verwirrung der Sinne, durch sie geht die Erkenntnis zu-
grunde, wie das Wissen, wenn es nicht geiibt wird.
26. (10847.) Geht aber erst die Erkenntnis verloren, dann
beachtet man das Gesetz nicht mehr, darum moge der Mensch,
wenn sein Gliick scheitert, sich strenger Askese zuwenden.
27. (10848.) Lust nennt man, was gewiinscht, Unlust, was
gescheut wird. Welches aber die Folgen sind, wenn man
Askese betreibt oder nicht betreibt, das sollst du sehen.
28. (10849.) Bestandig sehen Erfreuliches , geniefsen die
Sinnendinge und gelangen zur Beriihmtheit die, welche eine
lautere Askese betrieben haben.
29. (10850.) Unangenehmes, Geringschatzung und Leid von
mancherlei Art zieht sich der zu, welcher, nach Frucht be-
gehrend, die Frucht der Askese und ihrer Objekte beiseite setzt.
30. (10851.) Dann bemachtigt sich seiner die Willkiir in
betreff der Pflicht, der Askese, der Freigebigkeit, er lafst sich
dazu fortreifsen, Boses zu tun, und kommt in die Holle.
31. (10 852.) Wer aber, mag er in Gliick oder Ungliick
leben, o Bester der Manner, nicht vom guten Wandel ab-
weicht, der Mensch gebraucht das Gesetz als Auge.
32. (10853.) Nur momentan wie der Schufs eines Pfeiles
ist die Lust fiir das Gefiihl, und ebenso stehts beim Schmecken,
Sehen, Riechen und Horen, o Volkerherr,
33. (108B4.) und indem sie schwindet, stellt sich ein scharfer
Schmerz ein. Nein, es sind nur Toren, welche nicht die Er-
losung als das hochste Gliick preisen.
34. (10855.) Darum dienen, auch wenn der Nutzen in Frage
kommt, die Tugenden einem jeden zu seinem Besten, und
572 III. Mokshadharma.
dadurch, dafs er allezeit das Gute wahlt, geht er des An-
genehmen und Niitzlichen nicht verlustig.
35. (10856.) Auch ohne dafs er sich darum bemiiht, kommen
die Objekte des Genusses dem Grihastha entgegen, aber nur
mit Miihe kann er zur Erfiilluug der Pflicht gelangen, so ur-
teile ich.
36. (10857.) Mag es sich um Hochsinnige und Edelgeborene,
deren Auge stets der Inhalt des Gesetzes ist, handeln, oder
um solche, welche aus Unvermogen und Behinderung ihres
Geistes von der Pflicht der Opferwerke sich lossagen, —
37. (10858.) wenn ihre menschhchen Angelegenheiten Schiff-
hruch leiden, so bleibt ihnen kein anderer Ausweg in der
Welt als die Askese.
38. (10859.) Immerhin moge der Hausvater mit ganzer Seele
genaue Erfiillung seiner Werke anstreben, indem er wacker
in seiner Pflicht, den Gottern und Manen zu opfern, beharrt,
o Fiirst.
39. (10 860.) Denn wie alle Fliisse und Strome im Ozean
zu ihrer Heimstatt gelangen, so haben alle Lebensstadien im
Hausvaterstande ihre Heimstatte.
So lautet im MokBhadharma der Gesang des Par&Qara
(Pardfara-gttd).
Adhyaya 298 (B. 396).
Vers 10861-10H99 (B. 1-39).
Janaka sprach :
1. (10861.) Woher kommt es, o grofser Rishi, dafs die ver-
schiedenen Kasten (varnaj ihre [besondere] Farbe {varnaj
haben? Das wiinsche ich zu erfahren, das erklare mir,
o Bester der Redner.
2. (10862.) Was einem als Kind geboren wird, das ist
man selbst, wie die Schrift lehrt (Ait. Up. 2,1 fg., Sechzig
Upanishad's S. 14 und 19). Wie kommt es nun, dafs der
Mensch, da er doch vom Brahmanen abstammt, so verschie-
■dene Richtungen eingeschlagen hat?
Adhyftya 298 (B. 296). 573-
ParSiQara sprach:
3. (10863.) AUerdings ist es so, o Grofskonig, von wem
man geboren ist, der ist man; aber durch die Abnahme der
Askese hat der Mensch so verschiedene Richtungen einge-
schlagen.
4. (10864.) Wo das Ackerland und der Same, beide, gut
sind, mufs eine reine Nachkommenschaft entstehen, und nur
weil es an dem einen oder andern fehlt, kann eine geringere
geboren werden.
5. (10865.) Als Prajapati die Welten schuf, da sind die
Menschen aus seinem Munde, seinen Armen, Schenkeln und
Fiifsen entsprungen, so wissen es die Kenner des Gesetzes
(Rigveda 10,90,12).
6. (10866.) Aus seinem Munde gingen die Brahmanen her-
vor, o Freund, aus seinen Armen die Kshatriya's, aus seinen
Schenkeln die reichen [Vaigya's], o Konig, aus seinen Fiifsen
die dienenden [(^udra's].
7. (10867.) Das ist die Herkunft der vier Kasten, o Manner-
stier ; die iibrigen, die noch aufser ihnen vorhanden sind, sind
durch Mischung entstanden.
8. (10868.) Die Kshatriya's [hier Volksname], Atiratha's
(Wagenkampfer) , Ambashtha's [Sohn eines Brahmanen und
einer Vaigya], Ugra's [eines Kriegers und einer (^udra],
Vaidehaka's [eines ^udra's und einer Brahmanin], (^vapaka's
(Hundekocher), Pulkasa's [(^udravater und Kshatriyamutter],
Stena's (Diebe), Nishada's [Brahmanavater und (^udramutter],
Suta's [Stallmeister, Kshatriyavater und Brahmanenmutter],
Magadha's [Vaigyavater und Kshatriyamutter],
9. (10869.) Ayoga's [Qudravater und Vaigyamutter] , Kara-
na's [Vaigyavater und (^udramutter], Vratya's [(^udravater
und Kshatriyamutter] , Candala's [(^udravater und Brahmana-
mutter] , o Mannerfurst, diese sind aus den vier Kasten durch
Kreuzung entsprungen.
Janaka sprach :
10. (10870.) Wenn alle aus dem einen Brahman entsprungen
sind, wie erklart sich dann die Mannigfaltigkeit der Familien-
574 in. Mokshadharma.
geschlechter , denn es gibt ja hier in der Welt viel Ge-
schlechter, o Bester der Muni's?
11. (10871.) Wie kommt es, dafs Muni's von unbestimmter
Herkunft zu dem ihnen gemafsen Ursprung gelangt sind,
denn neben solchen, welche einem reinen Mutterschofse ent-
sprungen sind, gibt es ja auch andere, aus einem schlechten
Schofs hervorgegangene?
Paragara sprach:
12. (10872.) 0 Konig, das ist nicht aus ihrer niedrigen
Geburt zu begreifen, sondern das Emporkommen solcher Hoch-
sinnigen erklart sich daraus, dafs sie ihre Seele durch Askese
gelautert haben.
13. (10873.) Wenn die Muni's Sohne hier und da gezeugt
haben, so haben sie ihnen doch durch ihre Askese den Rang
der Rishi's wieder erworben.
14. (10 874.) Auch mein eigener Vorfahre und Rishyagringa,
der KaQyapasprofs, ferner Veda, Tandya, Kripa, Kakshivant,
Eamatha und andere,
15. (10875.) Yavakrita, o Piirst, und Drona, der Beste der
Redner, ferner Ayu, Matanga, Datta, Drumada und Matsya,
16. (10876.) diese, o Fiirst der Videha's, haben ihren Rang
auf Grund der Askese erlangt und stehen da als Vedakenner
vermoge ihrer Bezahmung und Askese.
17. (10877.) Vier Urgeschlechter sind entstanden, o Fiirst;
Angiras, Kagyapa, Vasishtha und Bhrigu [sind ihre Ahnherren].
18. (10878.) Andere Geschlechter sind auf Grund ihrer
Werke zu dem geworden, was sie sind, o Fiirst, und haben
ihren Namen auf Grund der Askese, das ist die Tradition
unter den Guten.
Janaka sprach:
19. (10879.) Erklare mir, o Herr, die besonderen Pflichten
jeder Kaste und sodann ihre gemeinsamen Pflichten, denn
du bist in dem allem bewandert.
Paragara sprach:
20. (10880.) Annehmen von Gaben, fiir andere opfern und
den Veda lehren, o Fiirst, das sind die besonderen Pflichten
der Brahmanen, die Beschiitzung ziert den Kshatriya.
Adhyaya 298 (B. 296). 575
21. (10881.) Ackerbau, Viehzucht und Handel liegen dem
Vaigya ob, die Zwiegeborenen zu bedienen ist die Pflicht des
(^udra, 0 Mannerfiirst.
22. (10882.) Die besonderen Pflichten der Kasten habe ich
dir genannt, o Fiirst, nun vernimm ihre gemeinsamen Pflichten
ausfiihrlich von mir, o Freund.
23. (10883.) Wohlwollen, Nicht-Schadigung, Besonnenheit,
Gerechtigkeit, Manenopfer, Gastfreundschaft, Wahrhaftigkeit,
Nicht-Ziirnen,
24. (10884.) sich mit seinen eigenen Frauen begniigen,
Reinheit, bestandige Unverdrossenheit, Selbsterkenntnis und
Geduld, das sind, o Fiirst, die gemeinsamen Pflichten.
25. (10 885.) Die Brahmanen, Kshatriya's und Vaigya's sind
die drei zwiegeborenen Kasten, und sie sind die zu den reli-
giosen Pflichten Berufenen, o Bester der Menschen.
26. (10886.) Wenn sie sich auf schlechte Werke einlassen,
sinken die drei Kasten ebenso herab, wie sie emporkommen,
wenn sie sich in ihren Werken einen Guten zum Vorbild
nehmen.
27. (10887.) Bin ^udra kann nicht tiefer fallen, das
steht fest, auch ist er hienieden nicht der Weihen wiirdig,
fallt auch nicht unter das vom Veda ausgehende Gesetz,
wahrend er von dem Gesetz [nach Nil.: dem dreizehn-
fachen, oben. Vers i0883fg.] nicht ausgeschlossen ist.
28. (10888.) 0 Konig der Videha's, fiir Ka [fiir eine
Inkarnation des Brahman] erklaren den (^iidra die mit
der Schrifterklarung sich befassenden Brahmanen; ich
aber sehe in ihm, o Fiirst der Manner, den Gott Vishnu,
das Oberhaupt der ganzen Welt.
29. (10889.) Die Kastenlosen, wenn sie in ihrem Streben
emporzukommen dem Beispiel der Guten nachleben und ge-
deihliche Werke vollbringen, nehmen keinen Schaden, wenn
sie sich nur der heiligen Spriiche enthalten.
30. (10890.) In dem Mafse, wie die andern Menschen sich
an das Vorbild der Guten halten, in diesem Mafse erlangt
einer Gliick und Freude nach dem Tode und schon hie-
nieden.
576 in. Mokshadharma.
Janaka sprach:
31. (10891.) "Was erniedrigt einen Menschen, sein Werk
Oder seine Kaste, o grofser Muni? Dariiber besteht mir ein
Zweifel, den mogest du mir aufklaren.
Paragara sprach:
32. (10892.) Freilich tragt beides, o Grofskonig, zur Er-
niedrigung bei, das Werk und die Kaste, den Unterschied
aber sollst du vernehmen.
33. (10893.) Der Mensch verdient weder um seiner Geburt
noch um seiner Werke willen Tadel, welcher, wenn auch.
durch seine Geburt befleckt, kein boses Werk tut.
34. (10894.) Aber einen durch seine Kaste hervorragenden
Mann, wenn er ein fluchwiirdiges Werk begeht, erniedrigt
dieses Werk; somit ist das Werk das Verwerfliche [und
nicht die Kaste].
Janaka sprach:
35. (10895.) Welche vom Gesetze gebotenen Werke, 0 Bester
der Zwiegeborenen, sind von der Art, dafs sie, in dieser Welt
hier allezeit geiibt, die Mitgeschopfe nicht schadigen?
Para,Qara sprach:
36. (10896.) Vernimm dariiber, wonach du mich fragst,
0 Grofskonig, welcher Art die Werke sind, die, ohne zu schadi-
gen, den Menschen allezeit retten.
37. (10897.) Nachdem sie stufenweise den Weg der Werke
durchmessen haben [als Hausvater], machen sie sich von den
Opferfeuern los und schauen, miifsig und frei von Leid, die
Seligkeit.
38. (10898.) Bescheiden, ziichtig, allezeit bezahmt und wohl-
gefestigt, gehen sie von alien Werken frei empor zu der alter-
losen Statte.
39. (10899.) Alle Kasten, o Konig, wofern sie die pflicht-
mafsigen Werke geiibt, wahrer Reden sich beflissen und
pflichtwidrige Harte gegen alles Lebende gemieden haben,
gehen in den Himmel ein, daran darf nicht gezweifelt werden.
So lautet im Mokshadharma der Oesang des Farft^ara
(Pard<fara-gUd).
Adhyaya 299 (B. 297). 577
Adhyaya 299 (B. 291),
Vers 10900-10941 (B. 1-41).
Par£lQara sprach:
1. (10 900.) Der Vater, die Freunde, die Lehrer und der
Lehrer Frauen bringen in der Welt den Untugendhaften
[von denen sie nicht geehrt werden] keinen Vorteil [keine
Gelegenheit, gute, im Jenseits fruchtbringende Werke zu
tun], wohl aber [haben diesen Vorteil] solche, welche
sie unentwegt verehren, freundlich zu ihnen reden und
ihnen wohlwollend und gehorsam sind, o Konig.
2. (10901.) Der Vater ist fiir den Menschen die hochste
Gottheit, hoher noch als die Mutter steht der Vater, wie
gelehrt wird, ftir das Hochste aber gilt es, Erkenntnis
zu gewinnen, und wer seine Sinne bezahmt, erlangt
dieses Hochste.
3. (10 902.) Wenn auf dem Schlachtfelde, wo die gliihen-
den Pfeile fliegen, der Sohn des Fiirsten fallt und ver-
brannt wird, dann steigt er empor zu Wei ten, die auch
fiir die Unsterblichen schwer zu erlangen sind, und ge-
niefst nach Lust den himmlischen Lohn.
4. (10 903.) Den Miiden, Furchtsamen, Waffenberaubten,
Weinenden, Abgewandten, Hilflosen, Darniederliegenden,
Kranken und Flehenden soil man nicht toten, o Konig,
und ebensowenig Kinder und Greise.
5. (10904.) Hingegen den mit Hilfsmitteln wohlausgeriiste-
ten, aufrechtstehenden , ebenbiirtigen Gegner aus Kshatriya-
stamra soil der Fiirst in der Schlacht niederkampfen.
6. (10905.) Von der Hand eines Ebenbiirtigen oder auch
Uberlegenen zu fallen ist riihmlich, daran ist kein Zweifel,
aber von einem Geringeren, Feigen, Jammerlichen getotet zu
werden ist schimpflich.
7. (10906.) Von einem Schlechten, schlecht sich Fiihren-
den, Geringeren getotet zu werden wird fiir schlecht erklart,
0 Konig, und fiihrt sicher zur Holle.
8. (10907.) Keiner kann einen retten, o Konig, der seinem
Deussen, Mah&bhftratam. 37
578 ni. Mokshadharma.
Schicksale verfallen ist, und keiner kann einen wegraffen,
dem noch langer zu leben bestimmt ist.
9. (10908.) Wenn die, welche uns teuer sind, irgendein
schadenbringendes Werk unternehmen, so soil man sie daran
hindern. Man soil sein Leben nicht auf Kosten eines fremden
Lebens zu erhalten suchen.
10. (10909.) Fiir alle Hausvater, welche ihrem Ende ent-
gegensehen, ist es riihmlich zu sterben, indem sie ihre Zere-
monien auf der Sandbank eines [heiligen] Flusses verrichten.
11. (10910.) Wenn das Leben zu Ende geht, lost man sich
in die funf Elemente auf, mag dies nun ohne besondere Ur-
sachen eintreten oder durch Ursachen bedingt sein.
12. (10911.) Und je nachdem es durch Ursachen bedingt
ist, geht man aus einem Leib in den andern iiber; ein Wan-
derer ist man auf dem Wege [der Erlosung] und kehrt dabei
von Haus zu Haus ein.
13. (10912.) Fiir diese Wanderung gibt es keine andere,
keine zweite Ursache [als diese, dafs] dieser mit der Seele
verbundene Leib fiir zur Erlosung bestimmte Wesen vor-
handen ist [den Zwecken der Erlosung dient, anders Nil.].
14. (10913.) Aus Adern, Sehnen und Knochen zusammen-
gestoppelt, mit Ekelhaftem und Unheiligem vollgepfropft, aus
Elementen, Sinnesorganen und Guna's zusammengeschiittet
15. (10 914.) und mit Haut umsponnen, — so charakteri-
sieren die dem hochsten Atman nachdenkenden Weisen diesen
Leib, der iiberdies noch infolge der [unbestandigen] Guna's
der Sterblichkeit verfallen ist.
16. (10915.) Von der Seele verlassen, ohne Bewegung und
Bewufstsein, versinkt er vermoge der in die Prakriti zuriick-
gehenden Elemente in der Erde.
17. (10916.) Und gestaltet entsprechend seinen Werken,
wu'd er hier und dort wiedergeboren, wo auch immer dieser Leib
gestorben sein mag, o Konig der Videha's, (10917.) und diese
Natur habend, ergibt sich die Betatigung in Werken als eine
niedrige.
18. Aber doch wird er, o Fiirst, eine gewisse Zeit lang
noch nicht wiedergeboren, (10918.) sondern sein Elementar-
Adhy^ya 299 (B. 297). 579
atman fhhidatmanj schweift umher wie eine grofse Wolke
am Himmel
19. und wird erst wiedergeboren, nachdem er hienieden
einen Stiitzpunkt gefunden hat, o Konig. — (i09i9.) Hoher
als das Manas steht der Atman, hoher als die Sinnesorgane
steht das Manas.
20. Aber unter all den vielen Wesen stehen am hochsten
die beweglichen, o Fiirst, (10920.) unter den beweglichen wieder
die Zweifiifsler, unter den Zweifufslern die Zwiegeborenen,
21. (10921.) unter den Zwiegeborenen wiederum die Er-
kenntnishabenden, unter den Erkennenden die des Atman
sich Bewufsten, unter denen seiner sich Bewufsten die von
Hochmut Freien.
22. (10922.) Jeden Menschen, der geboren ist, erreicht der
Tod, das ist gewifs, denn ein Ende habend sind die [das
Dasein bedingenden] Werke, welche die Menschen auf Grund
der Guna's vollbringen.
23. (10923.) Wer nun stirbt, wenn die Sonne sich zum
Nordgange gewendet hat, unter einem guten Stern und zur
giinstigen Stunde, o Konig, der war ein Vollbringer guter Werke
[vgl. das zu Bhagavadgita, VIII, 26, oben S. 69 Bemerkte],
24. (10924.) wenn er eines natiirlichen Ydtmakriteiia =
Mlajef)a, Nil.] Todes stirbt, nachdem er keinen Menschen ge-
plagt, sich vom Bosen losgesagt und aus alien Kraften sein
Werk betrieben hat.
25. (10925.) Hingegen Vergiftung, Erhangen, Verbrennen,
Ermordung durch Sklavenhand, durch reifsende Tiere oder
Vieh, das wird ein schmahlicher Tod genannt.
26. (10926.) Aber die Vollbringer guter Werke haben nichts
zu schaffen mit diesen selbstverhangten und vielen anderen
derartigen schmahlichen [Todesarten].
27. (10927.) Vielmehr verlassen die Lebensgeister der Guten
den Leib, indem sie nach oben durchbrechen, o Konig, wah-
rend die Mittelmafsigen aus dem mittlern Leibe und die
Bbsen nach unten zu entweichen (vgl. Chand. Up. 8,6,6 =
Kath. Up. 6,16).
28. (10928.) Einen Feind gibt es, o Konig, keinen
andern Feind gibt es, der fiir den Menschen so schlimm
37*
580 III. Mokshadharma.
ware wie das Nichtwissen , von welchem umnebelt und
angestiftet, er entsetzliche, grausame Werke begeht.
29. (10 929.) Bei wem behufs Uberwindung dieses Fein-
des unter Verehrung der Alten die Hingabe an Schrift-
wort und Gesetz Kraft gewinnt, kann er, so schwer auch
mit ihm fertig zu werden ist, durch den Pfeil der Er-
kenntnis aus der Fassung gebracht und in die Flucht
geschlagen werden.
30. (10930.) Nachdem einer als Brahmacarin das Veda-
studium mit Askese betrieben hat, soil er als pflichttreuer
Mann hienieden nach Kraften sich mit den fiinf [tag-
lichen] Opfern befassen, sein Geschleeht fortpflanzen
und sodann, auf sein Seelenheil bedacht, in den Wald
Ziehen.
31. (10931.) Nicht soil der Mensch, auch wenn er von
alien Geniissen entblofst ist, sich selbst umbringen; Mensch
zu sein, o Freund, und ware man ein Candala, ist immerhin
eine schone Sache.
32. (10932.) Denn dieses [das Menschsein], o Weltbeherr-
scher, ist die erste Geburt, in welcher der Atman durch edle
Werke Rettung linden kann.
33. (10933.) Und fragt man, was zu tun ist, um dieser
Geburt nicht wieder verlustig zu gehen, o Herr : Ihre Pfliclit
miissen die Menschen tun, indem sie auf die Schrift als
Richtschnur hinblicken.
34. (10934.) Wer aber, nachdem er eine [hohere] schwie-
riger zu erlangende Menschwerdung erreicht hat, gehassig,
die Pflicht verachtend und der Lust frohnend ist, dessen
Stellung freilich wird erschiittert.
35. (10935.) Wer aber mit einem an Liebe von friih an
gewohnten Auge die Menschen als Lampen [die durch sneha
01, Liebe gedeihen] ansieht und nicht, sofern sie ihm niitz-
lich sind,
36. (10936.) wer sie mit Giite, Nahrungsspende und freund-
licher Rede behandelt und in Leid und Lust gleichmiitig
bleibt, der wird im Jenseits erhoht werden.
37. (10937.) Freigebigkeit, Entsagung, freundliche Er-
scheinung, o Fiirst, ein unter Askese gelauterter Leib,
Adhy^ya 299 (B. 297). 581
in den Wassern der Sarasvati, im Nimishawalde und
in Pushkara und anderen heiligen Orten der Erde,
38. (10938.) wer [dies besitzt], wenn audi nur als
Hausvater sein Leben aushauchend, dem gebiihrt eine
riihmliche Bestattung, ein Hinausgefiihrtwerden auf
Wagen und Verbrennung auf der Leichenstatte nach
reiner Sitte.
39. (10939.) Darbringung, gedeihliche Brauche, Opfern
fiir sich und andere, Freigebigkeit, Vollbringung heiliger
Werke, nach Moglichkeit Manenverehrung und was sonst
noch riihrnlich ist, das alles vollbringt der Mensch zu
seinem eigenen Heile.
40. (10 940.) Die Gesetzbiicher, die Veden und die sechs
Vedaiiga's werden um seines Heiles willen den Menschen an-
befohlen, der in seinen Werken riihrig ist, o Fiirst.
Bhishma sprach;
41. (10941.) Alles dieses wurde von dem hochsinnigen Muni
vor Zeiten dem Konige der Videha's um seines Heiles willen
mitgeteilt, o Fiirst der Menschen.
So lautet im Mokshadharma der Gesang des Par^gara
(Pard<;ara-gitd).
Adhyaya 300 (B. 398).
Vers 10942-10991 (B. 1-47).
Bhlsbma sprach:
1. (10942.) Und abermals befragte Janaka, der Konig von
Mithila, den hochherzigen Paragara iiber die letzte Wahrheit
in betreff der Pflicht.
Janaka sprach :
2. (10943.) Was ist das Heil, welches ist der Weg zu ihm,
o Brahmane, welches Werk ist nicht verganglich, und wohin
fiihrt der Weg, auf dem man nicht zuriickkommt ? Das er-
klare mir, o Hochweiser.
582 III. Mokshadharma.
Paragara sprach:
3. (10944.) Nicht-Anhanglichkeit ist die Wurzel des Heils,
die Erkenntnis, der Erkenntnisweg ist der hochste, die Askese,
die betrieben wurde, ist nicht verganglich, was auf das Feld
gesat wurde [eine Wohltat, die einem Wiirdigen erwiesen
wurde], geht nicht verloren.
4. (10945.) Wenn einer die aus Ungerechtigkeit bestehende
Fessel zerbricht und an der Gerechtigkeit seine hochste Freude
hat, wenn er die in Furchtlosigkeit bestehende Gabe gibt,
dann erlangt er die Vollendung.
5. (10946.) Wer tausend Kiihe und hundert Rosse schenkt
und alien Wesen Furchtlosigkeit gewahrt, dem wird sie alle-
zeit auch wiederum zuteil.
6. (10 947.) Der Weise, auch wenn er mitten unter den
Sinnendingen wohnt, wohnt doch nicht unter ihnen, der Un-
weise aber wohnt unter ihnen, auch wenn sie gar nicht vor-
handen sind.
7. (10948.) Ungerechtigkeit klebt nicht an dem Weisen,
wie das Wasser nicht an dem Blatte der Lotosbliite; am Un-
weisen aber klebt das Bose im Ubermafs, wie Lack am Holze.
8. (10949.) Das Unrecht, welches aus einer Absicht hervor-
ging, lafst den Tater nicht los, sondern, wenn die Zeit ge-
kommen ist, verfallt ihm der Tater.
9. (10950.) Nicht aber werden zermalmt die, welche ihren
Atman bereitet haben und auf den Atman ihr Vertrauen
setzen. Wer jedoch, unachtsam auf seine Erkenntnisorgane
und Tatorgane, nicht zur Erkenntnis kommt, (10951.) sondern
sich an Gutes und Boses anklammert, der gerat in grofse
Gefahr.
10. Wer allezeit ganz frei von Leidenschaft und Herr
iiber seinen Zorn ist, (10952.) der wird, auch wenn er in der
Sinnenwelt weilt, doch nicht vom Bosen beriihrt.
11. An seinem Ufer durch die Damme der Gerechtig-
keit aufgestaut, sinkt er nicht, (10953.) sondern einem ge-
schwollenen Strome vergleichbar, stromt er ohne Aufenthalt
in Fiille dahin.
12. Wie ein klarer Kristall vom Sonnenlichte ganz sich
durchdringen lafst, (10954.) 0 Konigstiger, so [mittels Durch-
Adhy^ya 300 (B. 298). 583
dringung] durch die Meditation geht der Yoga vonstatten
(vgl. Yogasutra's 1,41).
13. (10955.) Wie die Gute der Sesamkorner durch Ver-
mischung mit edlen Stoffen mehr und mehr erfreulich
wird, so wird in Menschen von bereitetem Geiste, je
nachdem sie ihren Umgang wahlen, der Guna des Satt-
vam (Giite) sich entwickeln.
14. (10 956.) Wenn der Mensch seinen Sinn auf den
hoohsten Himmel richtet, dann lafst er die Frauen, lafst
die Gliicksgiiter, Stellung, Lustfahrten und Gelage da-
hinten und sein in den Sinnendingen befangenes Be-
wufstsein scheidet sich von ihnen.
15. (10957.) Wer aber mit seinem Bewufstsein in den
Sinnendingen befangen bleibt und nicht erkennt, was zu
seinem Heile dient, der wird vermoge seines alien Reizen
folgenden Geistes, o Fiirst, wie ein Fisch durch den
Koder angelockt.
16. (10 958.) Die Welt der Sterblichen, wie ein Aggregat
sich aneinander klammernd und kraftlos wie das Mark des
Bananenbaumes, geht unter wie ein Schiff im Wasser.
17. (10959.) Die Zeit, um Gutes zu tun, ist fiir den Menschen
nicht eingeschrankt, der Tod aber wartet nicht, bis der Mensch
bereit ist; zu jeder Zeit ist es schon, eine gute Tat zu tun,
und befande sich der Mensch auch schon im Rachen des
Todes.
18. (10960.) Wie der an sein Haus gebundene Blinde nur
mit Vorsicht in ihm umhergehen kann, so geht der Weise
mit gebundenem Manas [im Yoga] jenen hochsten Erkenntnis-
weg (Vers 10944).
19. (10961.) In der Geburt liegt schon der Tod voraus-
bestimmt, und der Tod wiederum ist die Voraussetzung einer
neuen Geburt; der die Erlosungslehre nicht Kennende bleibt
gebunden und rollt um wie ein Rad.
20. (10 962.) Wer auf dem Wege der Erkenntnis wandelt,
wird gliicklich hienieden und im Jenseits. Ausbreitung ist mit
Plage verbunden, Einschrankung macht gliicklich, (10 963.) alle
Ausbreitungen verfolgen [dem Atman] fremde Zwecke, in der
Entsagung liegt fiir den Atman das Heil.
584 III. Mokshadharma.
21. Wie der Schlamm die LotosknoUen, die er umgibt,
leicht loslafst, (10 964.) so wird der Atman hienieden von dem
[die Aufsendinge verfolgenden] Manas freigegeben.
22. Das Manas fiihrt den Atman zum Yoga hin, dadurch
schirrt der Mensch seinen Atman an, (io965.) und ist er an-
geschirrt zum Yoga, dann bekommt er jenen hochsten [Atman]
zu schauen.
23. Wer aber, [dem Atman] fremde Zwecke verfolgend,
sie fiir die eigenen Angelegenheiten halt, (10966.) der bleibt
in die Sinnendinge verstrickt und verfehlt seine wahre Aufgabe.
24. Nach unten und in Tierleiber fahrt — wahrend den
hochsten Gang zum Himmel (i0 967.) der Atman des Weisen
durch gute Werke geht — der Atman des andern.
25. Wie in einem Tongefafse, welches nicht gebrannt
ist fapakvej^ das Wasser sich verlauft, (10968.) so verliert sich
der Korper in die Sinnenwelt, wenn er nicht durch Askese
gebrannt ist.
26. Wer sich aber in die Sinnenwelt verliert, der wird
w^ahrlich nicht zum Genusse gelangen; (109139.) wer hingegen
den Geniissen entsagt, der hat die Gewifsheit, zum wahren
Genusse zu gelangen.
27. Jener aber, von Nebel umhiillt und der Geschlechts-
lust und Efslust frohnend, (10970.) kann mit seinem umdiister-
ten Geiste, einem Blindgeborenen gleich, den Weg nicht finden.
28. Wie ein Kaufmann aus der Meerfahrt seiner Miihe
entsprechend Reichtum gewinnt, (10971.) so ist auf dem Ozean
des Lebens die Tatigkeit des der Erkenntnis hingegebenen
Menschen fiir ihn der Weg [zum Heil].
29. In der in Tagen und Nachten abroUenden \\^elt be-
schleicht im Gewande des Greisenalters (10972.) der Tod die
Wesen und schluckt sie ein wie Schlangen die Luft. ,
30. Die von ihm selbst friiher begangenen Werke biifst
der Mensch, nachdem er geboren ist, (10973.) keiner erlangt
hier etwas, was er nicht verdient hatte, sei es Freude
oder Leid.
31. Mag er liegen, gehen, sitzen oder in Geschaften tatig
sein, (10974.) seine guten und bosen Werke wissen den Men-
schen allezeit zu fmden.
Adhyaya 300 (B. 298). 585
32. Wer aber das andere Ufer erreicht hat, den geliistet
es nicht noch einmal durchzuschwimmen, (10975.) denn es wird
ihm als ein schweres Verhangnis erscheinen, in den grofsen
Ozean zuriickzustiirzen.
33. Wie ein im tiefen Wasser durch seinen schlechten
Zustand gesunkenes Schiff mittels eines Strickes [heraus-
gezogen wird], (10 976.) so zieht man den Leib mittels des
Manas [beim Yoga, im Sinne von Vers 10964] aus seiner Ver-
sunkenheit heraus.
34. Wie in dem Ozean die anderen umgebenden Gewasser
ihren Sammelort finden, (10977.) so bildet immer die Urnatur
fddyd praJcritiJ auf Grund des Yoga den Zufluchtsort [fiir die
Organe].
35. Wenn durch vielfache Stricke der WeltHebe das
Manas gebunden ist, so werden die Menschen, (10978.) in der
Prakriti fufsend, in ihr versinken wie ein auf Sand gebautes
Haus im Wasser.
36. Der Verkorperte, der den Korper sein Haus nennt
und Reinheit seine Badestatte, (10979.) wird, wenn er auf dem
Wege der Erkenntnis wandelt, gliickHch hienieden und im
Jenseits.
37. Ausbreitung ist mit Plage verbunden, Einschrankung
macht gliicklich; (10 980.) alle Ausbreitungen verfolgen [dem
Atman] fremde Zwecke, in der Entsagung liegt fiir den Atman
das Heil (= Vers i0 962fg.).
38. Der Schwarm der Freunde wird durch seine Wiinsche
an uns gefesselt, und die Verwandten, durch besondere Beweg-
griinde, (i0 98i.) Gattin, Sohn und Dienerschaft verfolgen ihr
eigenes Interesse,
39. Nicht die Mutter, nicht der Vater kann fiir einen
irgend etwas [zu seinem Heile] erwirken; (10982.) die Gaben,
die der Mensch spendet, sind seine Reisekost, und so erlangt
er die Frucht seiner eigenen Werke.
40. Mutter, Sohn, Vater, Bruder, Gattin und der Freunde
Schar, (10 983.) das alles ist wie ein blofser Goldabdruck an
S telle wirklichen Goldes, o Vortrefflicher.
41. (10 984.) Alle friiher von der Person eines Menschen
begangenen Werke biiden sein Geloite; bedenkend die
586 in. Mokshadharma.
bevorstehende Vergeltung der Werke, treibt das innere
Selbst die Erkenntnis an.
42. (10985.) Wer, auf eigener Entschliefsung beharrend, mit
seinen Freunden umgeht, dem wird kein Unternehmen jemals
fehlschlagen.
43. (10986.) Einem in sich nicht zwiespaltigen , hinge-
gebenen, tapfern, charakterfesten Weisen bleibt das Gliick
treu wie der Sonne ihre Strahlen.
44. (10987.) Wer auf Grund von Glaubigkeit, von Ent-
schlossenheit, von geeigneten Mitteln und Nicht-Uberhebung
mit Verstand und tadellosem Charakter sein Werk betreibt,
dessen Absicht wird nicht fehlschlagen.
45.* (10988. 10989.) JedcF Mensch biifst an sich selbst
von Geburt an mit Notwendigkeit seine guten und bosen
Werke, beides, je nachdem er es vordem begangen hat.
Und der unvermeidliche Tod bringt ihn mittels der ein-
schneidenden Zeit an das Ende seiner Tatigkeit, wie der
Wind das von dem Eisen der Sage erzeugte Holzmehl
verweht.
46. (10990.) Seine Naturanlage und den von ihm selbst
geschaffenen Wirkungskreis, edle Abstammung und Fiille
von Reichtum und Gliick, das alles erlangt ein jeder
Mensch, je nachdem er es durch eigene gute und bose
Werke verdient hat.
Bhishma sprach:
47. (10991.) Nachdem Janaka, der Beste der Gesetzkundigen,
von dem Weisen diese wahrhaften Lehren vernommen hatte,
o Konig, fiihlte er sich erfiillt von hoher Freudigkeit.
So lautet im Mokshadharma der Schlu/s des Gesasges des PaT&cara
(Pard^ara-gttd samdptd).
* Metrum: Qardulaviknditam.
Adhyaya 301 (B. 299). 587
AcUiyaya 301 (B. 299).
Vers 10992-11036 (B. 1-46).
Yudhishthira sprach :
1. (10992.) Weise Manner preisen in dieser Welt die Wahr-
heit, Bezahmung, Geduld und Erkenntnis; wie denkst du dar-
iiber, o Grofsvater?
Bhlshma sprach :
2. (10993.) Dariiber werde ich dir eine alte Geschichte mit-
teilen, namlich die Unterredung, welche die Sadhya's (die
Anbetungswiirdigen) mit dem Schwan batten, o Yudhishtbira.
3. (10994.) Als ein schon befiederter Schwan durchstreift
alle drei Welten der unentsprossene, ewige Herr der Geschopfe,
und so kam er einst zu den Sadhya's.
Die Sadhya's sprachen:
4. (10995.) 0 Vogel, wir, die gottlichen Sadhya's, wollen
dich befragen und um Belehrung bitten iiber das Gesetz der
Erlosung fmohshadharmaj . denn du, o Herr, bist ja der Er-
losung kundig.
5. (10996.) Wir haben vernommen, dafs du gelehrt und
weisheitredend bist, Beifallsbezeugungen begleiten dich,
0 Vogel ; was haltst du fiir das Beste, o Zweimalgeborener
(Vogel), woran hat dein Herz seine Freude, o Hoch-
sinniger ?
6. (10997.) 0 Bester der Gefliigelten, lehre uns die Auf-
gabe kennen, welche du fiir die hochste aller Aufgaben
erachtest, und welche vollbringend der Mensch von alien
Fesseln erlost wird, diese, o Fiirst der Luftwandler, lehre
uns alsbald.
Der Schwan sprach:
7. (10 998.) Dieses ist die Aufgabe, wie ich vernommen,
o Geniefser des Amritam: Askese, Bezahmung, Wahr-
haftigkeit und Hiitung des eigenen Selbstes; alle Knoten
des Herzens losend (Kath. Up. 6,15; Sechzig Upanishad's,
588 III. Mokshadharma.
S. 287A. 1), moge der Mensch Liebes und Unliebes in
seine Gewalt bringen.
8. (10999.) Er moge kein Feindzermalmer, kein Men-
schenverwiinscher sein, nicht nehme er das Hochste [das
Brahman wissen] von einem Niedrigen an ; eine Rede, die
einen andern zittern macht, eine brennende, zu bosenWel-
ten fiihrende, soil er nicht reden.
9. (11000.) Die Pfeile der Rede werden aus dem Munde
geschossen, und wen sie treffen, der jammert Tag und
Nacht, sie verfehlen nicht die verwundbaren Stellen des
andern, der Weise soil sie nicht auf andere schleudern.
(Parallelstellen s. Indische Spriiche -, 6018.)
10. (11001.) Wenn ihn ein anderer rait iibermiitiger Rede
Pfeilen verletzt, so begegne er ihra mit Ruhe; wer, zum
Zorne gereizt, Freundliches erwidert, der iibertragt auf
I sich des andern gute Werke.
11. (11002.) Wer den aufbrausenden , durch Leiden-
schaftlichkeit zum Unrecht verleitenden , lodernden Zorn
niederhalt und, kiinftiger Vergeltung eingedenk, heiter
und frei von Unmut bleibt, der iibertragt auf sich des
andern gute Werke.
12. (11003.) Werde ich angeschrien, so erwidere ich
nichts, werde ich geschlagen, so bleibe ich stets geduldig,
denn das ist das Hochste, was die Edlen Geduld, Wahr-
haftigkeit, Rechtschaffenheit und Wohlwollen nennen.
13. (11004.) Des Veda verborgener Sinn fiipcmishadj ist
W'ahrhaftigkeit, der Wahrhaftigkeit verborgener Sinn ist Be-
zahmung, der Bezahmung verborgener Sinn Erlosung — da-
mit ist alles gesagt.
14. (11005.) Den Ansturm der Rede, den Zornesansturm
des Herzens, den Ansturm der Neuerungssucht, den An-
sturm von Efslust und Geschlechtslust, wer diesen An-
stijrmen, wenn sie sich erheben, standhalt, den halte ich
fiir einen Brahmanen, einen Muni.
15. (11006.) Wer nicht ziirnt, ist den Zornigen iiber-
legen, wer ausdauert, den Nicht- Ausdauernden, der Mensch
ist dem Unmenschen, der Weise dem Toren iiberlegen.
Adhyaya 301 (B. 299). 589
16. (11007.) Wird man geschmaht, so schmahe man nicht
wieder, sein Zorn verbrennt ihn, den Schmahenden, wenn
man dabei geduldig bleibt, und man gewinnt des andern
gute Werke.
17. (11008.) Wer, iiber Gebiihr getadelt oder gelobt,
nichts Rauhes und nichts Freundliches erwidert, wer, ge-
schlagen, an sich halt und nicht wiederschlagt und ihm,
der ihn schlug, nichts Boses wiinscht, den beneiden wahr-
lich auch die Gotter.
18. (11009.) Man ertrage die Schlechteren , man ertrage
auch die Besseren und die Gleichen; man ertrage es, wenn
man verachtet, geschlagen oder geschmaht wird. So wird
man zur Vollendung gelangen.
19. (11010.) Ich ehre allezeit die Edlen, auch wenn ich
sie nicht notig habe, Neuerungssucht und Zorn haben
keine Gewalt iiber mich, auch verlockt weiche ich nicht
vom Wege, und ich gehe niemand um eine Sache an.
20. (11011.) Wenn man mir flucht, so fluche ich nie-
mandem wieder, denn ich weifs, dafs die Bezahmung hie-
nieden die Pforte der.Unsterbhchkeit ist; ein geheimnis-
volles, heihges Wort fhrahmanj teile ich dir mit: Es
gibt nichts Hoheres als den Menschen.
21. (11012.) Von allem Ubel erlost, wie der [herbstliche]
Mond von den Wolken, leidenschaftlos seine Zeit abwartend,
gelangt der W^eise durch Weisheit zur Vollendung.
22. (11013.) Wer als ein sich selbst Beherrschender die
Verehrung von alien verdient, gleichsam geboren zu einer
stiitzenden [idsedhanah = uttamhhanakarah Nil.) Saule, zu
dem man nur freundliche Worte redet, der fiirwahr geht
zu den Gottern ein.
23. (11014.) Die Menschen, zum Tadel geneigt, sind weniger
bereit, schone Tugenden an jemandem anzuerkennen, als das
Schlechte an einem hervorzuheben.
24. (11015.) Wer Worte und Gedanken hiitet, allezeit fromm
ist, wer Veden, Askese und Entsagung besitzt, dem wird das
Weltall zum Lohne.
25. (11016.) Ein weiser Mann soil es vermeiden, ,die Un-
weisen mit rauhen und geringschatzenden Worten zu belehren,
590 in. Mokshadharma.
er soil daher nicht andere fordern und seiner eigenen Seele
schaden.
26. (11017.) Wie an Amritam soil sich der Weise letzen
an erlittener Verachtung, denn der Verachtete kann ruhig
schlafen, der Verachter geht ins Verderben.
27. (11018.) Wer im Zorne opfert, schenkt, Askese iibt
Oder spendet (vgl. Ev. Matth. 5,23), dem rafft der Todes-
gott all sein Verdienst hinweg, denn alle Bemiihung des
Ziirnenden ist eitel.
28. (11019.) Wer, o ihr Besten der Unsterblichen, alle vier
Pforten wohl hiitet, die Pforten der Geschlechtslust und Efs-
lust, der Hande und der Rede als vierte, er ist des Gesetzes
kundig.
29. (11020.) Wer Wahrhaftigkeit, Bezahmung, Recht-
schaffenheit, Wohlwollen, Festigkeit und Ausdauer iiber-
aus eifrig pflegt, wer beharrlich im Studium, neidlos
gegen andere und von unwandelbarer Charakterstarke
ist, der geht den Weg nach oben.
30. (11021.) Indem ich alien diesen Tugenden anhange,
wie ein Kalb den vier Zitzen der Kuh, babe ich doch in alien
Welten nichts Heiligeres gefunden als die Wahrheit.
31. (11022.) Unter Menschen und Gottern verkehrend, be-
haupte ich : die Wahrheit fiihrt als Leiter zum Himmel empor,
wie ein Schiff von einem Ufer zum andern.
32. (11023.) Wie die sind, unter denen man wohnt, wie
die sind, mit denen man umgeht, wie das ist, was man zu
werden wiinscht, so ist der Mensch.
33. (11024.) Mag man mit einem Guten oder Schlech-
ten, mit einem Asketen oder einem Diebe umgehen, man
wird von ihrem Einflusse gefarbt, wie das Kleid von
seiner Farbe.
34. (11025.) Die Gotter pflegen allezeit Umgang mit
den Guten, aber sie verlangen nicht danach, das mensch-
liche Treiben zu sehen. Wandelbar ist der Mond und
wandelbar der Wind; wer das wandelbare Treiben in
alien Hohen und Tiefen erkennt, der ist weise.
35. (11 026.) An dem im innern Herzen weilenden Purusha,
Adhyaya 301 (B. 299). 591
wenn er bei guten Menschen unverdorben ist und auf dem
rechten Wege wandelt, haben die Gotter ihre Freude.
36. (11027.) Wer aber immerfort an Geschlechtslust
und Efslust seine Freude hat, wer ein Dieb oder ein
Mensch von barter Rede ist, den halten die Gotter von
sich fern, auch wenn er seine Schuld gesiihnt hat.
37. (11028.) Uber einen Menschen von niedriger Ge-
sinnung, der ohne Wahl in seiner Nahrung und siind-
haft in seinem Handeln ist, freuen sich die Gotter nicht;
wer aber geliibdetreu und dankbar ist und an seiner
Pflicht Freude hat, dem reichen die Gotter ihre Gaben dar.
38. (11029.) Schweigen ist besser als Reden; die Wahr-
heit zu reden in dem, was man spricht, ist das zweite,
Gerechtes zu reden ist das dritte, Liebreiches zu reden
ist das vierte [Gebot].
Die Sadhya's sprachen:
39. (11030.) Wovon ist diese WeU umhiillt? Warum er-
glanzt der Mensch nicht? Warum lalst er seine Freunde im
Stich? Warum kommt er nicht in den Himmel?
Der Schwan sprach:
40. (11031.) Von Nichtwissen ist diese Welt umhiillt, wegen
der Selbstsucht erglanzt der Mensch nicht, aus Habgier lafst
er seine Freunde im Stich, aus Welthang kommt er nicht
in den Himmel.
Die Sadhya's sprachen:
41. (11032.) Wer allein freut sich im Kreise der Brah-
manen? Wer allein kann unter vielen friedlich sitzen?
Wer allein ist stark, auch wenn er schwach ist? Wer
allein lafst sich auf keinen Streit mit den Leuten ein?
Der Schwan sprach:
42. (11033.) Der Weise allein freut sich im Kreise der
Brahmanen, der Weise allein kann unter vielen friedlich
sitzen, der Weise allein ist stark, auch wenn er schwach
ist, der Weise allein lafst sich auf keinen Streit mit
den Leuten ein.
592 III. Mokshadharma.
Die Sadhya's sprachen:
43. (11034.) Worm liegt die Gottlichkeit der Brahmanen?
Worin liegt ihr Wert ? Worin ihr Unwert [asddliutvam mit C.) ?
Worin liegt ihre Menschlichkeit ?
Der Schwan sprach:
44. (11035.) Im Vedastudium liegt ihre Gottlichkeit, in
ihrem Geliibde liegt ihr Wert, in der iiblen Nachrede liegt
ihr Unwert, im Sterbenmiissen liegt ihre Menschlichkeit.
Bhishma sprach:
45. (11036.) Das ist die beriihmte, ausgezeichnete Unter-
redung mit den Sadhya's; ja gewifs! der Korper ist nur die
Quelle der Werke, das [ewige] Reale ist die Wahrheit.
So lautet im Mokshadharma der Gesang des Schwans
(hansa-gitd).
Adhyaya 303 (B. 300).
Vers 11037-11098 (B. 1-62).
Yudhishthira sprach:
1. (11037.) Jetzt sollst du mir, o Freund, den Unterschied
zwischen Sdnkhyam und Yoga erklaren, denn dir, o Kenner
der Satzungen, ist alles bekannt, o Bester der Kuru's.
Bhishma sprach:
2. (11038.) Die Sankhya's (Anhanger der reflektierenden
Methode) riihmen ihr Sankhyam, die Yoga's (Anhanger der
Methode der Verinnerlichung) ihren Yoga, beide erklaren ihr
Prinzip fiir das beste, um ihre Partei zur Geltung zu bringen.
3. (11039.) Wie kann einer ohne Gott /'^f i'artt/' erlost werden ?
Damit erharten, o Feindbez winger, die weisen Yoga's mit Recht
den Vorzug ihres Prinzips.
4. (11040.) Aber auch die dem Sankhyam anhangenden
Brahmanen erklaren mit Recht als Prinzip dieses, dafs der-
jenige, der alle Wege durchforscht hat und den Sinnendingen
nicht anhangt,
Adhyaya 302 (B. 300). 593
5. (11041.) nach Hinfall des Leibes offenbar und unfehlbar
die Erlosung erlangt, und so erklaren diese sehr Weisen das
Saiikhyam fiir die Lehre von der Erlosung.
6. (11042.) Den Standpunkt seiner Partei mufs man wahren,
aber in der Verstandigung [mit der Gegenpartei] liegt das
wahre Heil, und von unsereinem, der den Kundigen beipflichtet,
mufs ihre Lehre angenommen werden.
7. (11043.) Die Yoga's haben unmittelbar einleuchtende
Griinde und die Saiikhya's stiitzen sich auf eine sichere Tra-
dition; beide Lehrmeinungen halte ich fiir wahr, Freund
Yudhishthira.
8. (11044.) Fiir einen, der diese beiden von Kundigen an-
genommenen Lehren kennen gelernt hat und ihnen vorschrifts-
mafsig nachlebt, o Fiirst, konnen sie beide die Fiihrer zum
hochsten Ziele werden.
9. (11045.) Gemeinsam ist beiden Reinheit, verbunden mit
Askese und Mitleid mit den Wesen, o Untadhger, gemeinsam
auch das Halten der Geliibde, und nur die Theorie (darganamj
ist bei beiden verschieden.
Yudhishthira sprach:
10. (11046.) Wenn Geliibde, Reinheit, Mitleid und auch die
Frucht beiden gemeinsam sind, wie kommt es dann, dafs
nicht auch die Theorie die gleiche ist? Das sage mir, o Grofs-
vater.
Bhlshma sprach:
11. (11047.) Leidenschaft , Verblendung, Weltanhanglich-
keit, Lust und Zorn, wenn man nur diese fiinf Fehler durch
den Yoga ausrottet, dann erlangt man jene Frucht.
12. (11048.) Wie grofse wachsame [Fische] das Netz zer-
reifsen und wieder ins Wasser gelangen, so gelangen die
Yoga's, von Siinden gelautert, zu jener Statte.
13. (11049.) Und wie ebenso die starken Tiere des Waldes
das Fangnetz zerreifsen und, von alien Fesseln gelost, sich
freie Bahn schaffen,
14. (11050.) so zerreifsen, o Konig, die kraftgeriisteten
Yoga's die aus Begierde geflochtenen Stricke und gelangen
auf die hochste, fleckenlose, selige Bahn.
Beubbew, Mah&bhA.ratam. 38
594 in. Mokshadharma.
15. (11051.) Aber wie andere schwache Tiere des Waldes
in den Fangnetzen zugrunde gehen, so auch, o Konig, ohne
Zweifel diejenigen, welche der Yogakraft ermangeln.
16. (11052.) Und wie, o Kuntisohn, schwachliche Wasser-
tiere, wenn sie im Netze sich verfangen, ins Verderben ge-
raten, so, o Fiirst der Konige, auch die Yoga's, denen die
rechte Kraft fehlt.
17. (11053.) Und wie von den Vogeln, welche sich in ein
feingesponnenes Netz verstrickt haben, die in ihm hangen-
bleibenden verloren sind und die kraftigen sich befreien,
18. (11054.) so werden von den Yoga's, welche in die aus
Werken gesponnenen Netze verstrickt sind, die schwachen
zugrunde gehen, o Feindbedranger, und die kraftgeriisteten
sich freimachen.
19. (11055.) Und wie ein kleines, schwaches Feuer erstickt,
o Konig, wenn es mit schwerem Brennholze belastet wird,
so ist es auch mit dem Yoga, wenn er schwach ist, o Herr,
20. (11056.) Wenn aber ebendasselbe Feuer Kraft gewonnen
hat, o Konig, und mit hellen Flammen brennt, so konnte es
in kurzer Zeit sogar die ganze Erde verbrennen,
21. (11057.) Ebenso diirfte ein Yogin, wenn seine Kraft
gewachsen und seine Energie entflammt ist, imstande sein, wie
die Sonne beim Weltuntergang, die ganze Welt auszudorren.
22. (11058.) Wie, o Konig, ein schwacher Mann vom Strome
fortgerissen wird, so wird ein kraftloser Yoga widerstandslos
von den Sinnendingen fortgerissen,
23. (11059.) Wie aber ein Elefant sich jenem starken Strome
entgegenstemmt, so leistet der in der Yogakraft Erstarkte
dem vielfaltigen Andrang der Sinnendinge Widerstand.
24. (11060.) Und die, o Konig, welche im Yoga erstarkt
sind, gehen nach Belieben mittels des Yoga in die Schopfer-
herren, Rishi's, Gotter und grofsen Elemente ein.
25. (11061.) Nicht Yama, nicht der grimmige Wegraffer,
nicht der furchtbar schreitende Tod, sie alle haben keine
Gewalt, o Fiirst, iiber den unermefslich starken Yoga.
26. (11062.) Der Yoga, welcher zu Kraft gekommen ist,
kann sein Selbst tausendfaltig vervielfachen , o Bharatastier,
und in alien diesen Gestalten die Erde durchwandeln.
Adhyliya 302 (B. 300). 595
27. (11063.) Als der eine kann er die Sinnendinge geniefsen
und zugleich als ein anderer furchtbare Askese iiben, und
wiederum, o Freund, [alle seine Selbste] in eins zusammen-
fassen, wie die Sonne ihre Lichtfiille.
28. (11064.) Denn der in Vollkraft stehende Yoga ist Herr
iiber die Bindung und besitzt auch die Herrschaft iiber die
Erlosung, das ist gewifs, o Fiirst.
29. (11065.) Diese durch den Yoga erlangbaren Krafte habe
ich dir dargelegt, o Volkerherr, nun will ich dir die feinen
Krafte mitteilen, damit du ihre Merkmale kennst.
30. (11066.) Was, 0 Herr, bei der Versenkung des Selbstes
oder bei der Dharana (Fixierung des Manas) fiir feine Merk-
male bestehen, die vernimm von mir, o Bharatastier.
31. (11067.) Wie ein besonnener Bogenschiitze mit kon-
zentrierter Aufmerksamkeit das Ziel trifft, so erlangt der vollig
sich konzentrierende Yogin die Erlosung, das ist gewifs.
32. (11068.) Wie ein sorgsamer Mensch, der ein mit 01
gefiilltes Gefafs auf dem Kopfe tragt, seine ungeteilte Auf-
merksamkeit fmanasj darauf richtend, behutsamen Geistes eine
Treppe hinaufsteigt,
33. (11069.) so macht ein sorgsamer Yoga, o Fiirst, sein
Selbst unbeweglich, fleckenlos und von sonnenahnlichem Aus-
sehen.
34. (11070.) Wie, o Kuntisohn, ein sorgfal tiger Steuermann
das Schiff iiber den grofsen Ozean schnell zum Ziele fiihrt,
0 Bester der Fiirsten,
35. (11071.) so bringt der Weise im Yoga die Versenkung
seines Selbstes zuwege und gelangt zu der schwer erreich-
baren Statte, indem er seinen Leib dahinten lafst, o Fiirst.
36. (11072.) Und wie ein Wagenlenker, nachdem er tiichtige
Pferde mit Sorgfal t angeschirrt hat, den Bogenkampfer alsbald
nach dem gewiinschten Orte bringt, o Stier unter den Mannern,
37. (11073.) so erlangt, o Fiirst, der Yogin, wenn er mit
Sorgfalt auf die Dharana's bedacht ist, alsbald die hochste
Statte, wie ein abgeschossener Pfeil das Ziel.
38. (11074.) Der Yogin, welcher, unentwegt verharrend, das
Selbst in seinem Selbste schaut, der vernichtet die Siinde
und erlangt den alterlosen Ort der Gelauterten.
38*
596 III. Mokshadharma.
39. (11075.) Wer im Nabel, Halse und Kopfe, in Herz,
Brust und Seiten, im Sehen, Horen und Riechen, o unermefs-
lich Tapferer,
40. (11076.) wer an alien diesen Orten als sorgsamer, ge-
liibdetreuer Yogin sein feines Selbst durch sein Selbst in
richtiger Weise zum Yoga anschirrt, o Volkerherr,
41. (11077.) der wird alsbald seine guten und bosen Werke
verbrennen, den hochsten, als unerschiitterlich geriihmten Yoga
erreichen und, falls er es wiinscht, zur Erlosung eingehen.
Yudhishthira sprach:
42. (11078.) Welche Nahrung mufs man zu sich nehmen,
und was mufs man iiberwinden, o Bharata, um als Yogin die
Kraft zu erlangen? Das mogest du, o Herr, mir sagen.
Bhishma sprach :
43. (11079.) Wer sich des Essens von Kornern und 01-
kuchen befleifsigt, o Bharata, und sich des Genusses von
Fettartigem enthalt — ein solcher Yogin erlangt die Kraft.
44. (11080.) Wer mit reinem Selbste sich lange Zeit hin-
durch nur von grobgeschrotener Gerste nahrt, o Feind-
bezwinger, — ein solcher Yogin erlangt die Kraft.
45. (11081.) Wer Halbmonate, Monate, Jahreszeiten, Jahre
hindurch und nur wahrend des Tages Wasser mit Milch ge-
mischt trinkt, — ein solcher Yogin erlangt die Kraft.
46. (11082.) Wer mit reinem Selbste sich unverbriichlich
allezeit des Fleisches vollig enthalt, o Herr der Menschen, —
ein solcher Yogin erlangt die Kraft.
47. (11083.) Wer Lust und Zorn iiberwindet, Kalte, Hitze
und Regen nicht achtet, Furcht, Kummer, Seufzen und alle
menschlichen Angelegenheiten hinter sich lafst,
48. (11084.) wer, o Ftirst, den schwer zu besiegenden Ver-
drufs und die furchtbare Begierde ftrishnd)^ Lustgefiihle,
Schlaf und schwer zu bekampfende Schlaffheit, o Bester der
Konige, ablegt,
49. (11085.) ein solcher Hochsinniger erleuchtet sein feines
Selbst durch sein Selbst, frei von Leidenschaft, sehr weise
durch Meditation und Studium.
Adhyaya 302 (B. 300). 597
50. (11086.) Freilich ist dieser Weg der weisen Brahmanen
schwer zu gehen. Einer, der ihn mit ruhigem Gemiite geht,
0 Stier der Bharata's,
51. (11087.) der ist wie einer, der einen furchtbaren Wald,
voll Schlangen und Gewiirm, voll Gruben, ohne Wasser, voll
schwieriger Durchgange und Dornen,
52. (11088.) auf einem keine Nahrung bietenden, gestriipp-
reichen, zwischen verbrannten Baumen durchfiihrenden, von
Raubern umlagerten Wege als ein riistiger Mann mit ruhigem
Gemiit durcheilt.
53. (11089.) Wer aber als Zwiegeborener den Yogaweg
einschlagt und aus Gemachlichkeit vom Wege absteht, der
wird als grofser Sunder angesehen.
54. (11090.) Wohl lafst sicli stehen, o Erdeherr, auf eines
gewetzten Schermessers Schneide fdhdrdj, nicht aber lafst
sich stehen in den Dharana's des Yoga von solchen, deren
Geist nicht bereitet ist.
55. (11091.) Mifsgliickte Dharana's, o Freund, fiihren die
Menschen eine schlimme Strafse, wie Schiffe auf dem Meere,
die ohne Fiihrer sind, o Fiirst.
56. (11092.) Wer aber, o Kuntisohn, in den Dharana's fest-
steht, wie es die Vorschrift fordert, der lafst Tod und Ge-
burt, Leid und Lust hinter sich.
57. (11093.) Damit habe ich dir dargelegt, was in den auf
mancherlei Lehrbiichern beruhenden Yogalehren entwickelt
worden ist, und unter den Zwiegeborenen steht fest, worin
die hochste Aufgabe des Yoga besteht.
58. (11094.) 0 Hochsinniger ! Jenes Hochste, welches
aus Brahman besteht, sodann den Gott Brahman, den
gabenspendenden Vishnu, den Bhava (Qiwa), Dharma,
den Gott mit den sechs Gesichtern (Skanda) und was
die hochmachtigen Brahmansohne sind,
59. (11095.) ferner das arge Tamas, das gewaltige
Rajas, das reine Sattvam und die hochste Prakriti,
Varuna's Gemahlin, die Gottin Siddhi, ferner alle Energie
und grofse Standhaftigkeit,
60. (11096.) den fleckenlosen Herrn der Sterne im
Ather mit seinen Sternen, die ViQve Deva^, Schlangen
598 III. Mokshadharma.
und Manen, alle Felsen, die furchtbaren Ozeane, die Fliisse
alle und die traufelnden fsavanaj Wolken,
61. (11097.) Elefanten und Berge, die Yakshascharen,
die Himmelsgegenden , die Schwarme der Gandharven,
Manner und Weiber — in diese alle abwechselnd fahrt
hinein und wieder heraus der hohe, hochsinnige Yogin,
der Erlosung nahe.
62. (11098.) Diese schone Erzahlung, o Fiirst, ist ver-
wandt dem mit machtiger Weisheit ausgeriisteten Gotte,
der hochsinnige Yogin aber ist iiber alle Sterblichen er-
haben und schaift als Seele des Narayana.
So lautet im Mokshadharma die Lehre vom Yoga
(yoga-vicUii).
Adhyaya 303 (B. 301).
Vers 11099-11213 (B. 1-116).
Yudhishthira sprach:
1. (11099.) Vollstandig hast du, o Fiirst, nach der Kegel
den von den Kundigen angenommenen Yogaweg dargelegt
dem hienieden nach seinem Heile trachtenden Schiiler.
2. (ii099i)i8.) Nunmehr erklare mir, der ich frage, auch
die im Saiikhyam giiltige Satzung nach ihrem ganzen In-
begriff, denn alles, was an Wissen in den drei Wei ten vor-
handen ist, ist dir ja bekannt.
Bhishma sprach:
3. (11100.) Vernimm denn von mir jene feine Satzung der
atmankundigen Saiikhya's, wie sie von Kapila [Hiranyagarbha,
d. h. dem personlichen Brahman, unten Vers ii506j und den
anderen heiligen Gottherren offenbart worden ist,
4. (11 101.) die Satzung, in welcher keinerlei Irrtiimer vor-
kommen, o Mannerstier, und in welcher viele Trefflichkeiten
und eine vollstandige Freiheit an Fehlern vorliegt.
5. (11102.) Sie, welche mit Wissenschaft die mangelhaften
Reiche der Sinnenwelt durchforschen , o Fiirst, die schwer
Adhyaya 303 (B. 301). 599
zu iiberwindenden menschlichen insgesamt und die Reiche der
Pigaca's,
6. (11103.) welche die Reiche des Rajas und die der
Yaksha's, die Reiche der Schlangen und die der Gandharven
erkennen,
7. (11104.) die Reiche der Manen und der in Tierleibern
Verkorperten, die Reiche der Vogel und der Winde, o Fiirst,
8. (11105.) die Reiche der Konigsweisen und Brahman-
weisen, der Damonen und der Vigve Devah,
9. (11106.) der Gotterweisen und die Gottherren unter den
Yoga's, welche die Reiche der Schopferherren und des
Brahman,
10. (11107.) die voile Lange der Lebenszeit in der Welt
der Wahrheit gemafs erkennen und das wahre Wesen des
Gliicks, o Bester der Redner,
11. (11108.) und den Schmerz, der mit der Zeit stets die
nach den Reichen der Sinnenwelt Begehrenden triflFt, der die
einem tierischen Dasein oder der Holle Verfallenen peinigt,
12. (11109.) welche alle Vorziige und Mangel des Himmels,
0 Bharata, sowie die Mangel und Vorziige der Vedalehre
13. (11110.) und die Mangel und Vorziige der Yoga-Er-
kenntnis und die der Saiikhya-Erkenntnis, o Fiirst,
14. (11111.) welche das Sattvam als zehnfach, das Rajas
als neunfaeh, das Tamas als achtfach, die Buddhi als
siebenfach,
15. (11112.) das Manas als sechsfach, den Ather als fiinf-
fach und hinwiederum die Buddhi als vierfach, das Tamas
als dreifach,
16. (11113.) das Rajas als zweifach und das Sattvam als
einfach erkennen, welche wahrheitgemafs den Weg des Ver-
derbens und den Weg der Erkenntnis erkennen,
17. (11114.) diese mit Erkenntnis und Wissenschaft Aus-
geriisteten, mit den Prinzipien Vertrauten, Edlen, diese er-
langen die herrliche Erlosung, wie die zarten [Sonnenstrahlen
oder Winde, Nil.] den hochsten Ather.
18. (11115.) Dafs das Sehen mit der Gestalt verwandt ist,
der Geruchsinn mit dem Geruch, das Ohr mit dem Tone, die
Zunge mit dem Geschmack
600 III. Mokshadharma.
19. (11116.) und der Leib mit dem Tastsinn, dafs der
Wind auf dem Ather beruht, dafs die Verblendung dem Tamas
verwandt ist und die Begierde dem Reichtum,
20. (11117.) dafs Vishnu dem Schreiten, Qakra der Kraft,
der Feuergott dem Bauche einwohnt, dafs die Gottin [Erde,
Nil.] den Wassern, das Wasser dem Feuer,
21. (11118.) das Feuer dem Winde, der Wind dem Ather,
der Ather dem Mahat, das Mahat der Buddhi,
22. (11119.) die Buddhi dem Tamas, das Tamas dem Eajas,
das Rajas dem Sattvam, das Sattvam dem Atman,
23. (11120.) der Atman dem gottHchen Herrn Narayana
(Vishnu), der Gott dem Erlostsein, die Erlosung keinem
andern mehr verwandt ist,
24. (11121.) wer das erkennt und wer begreift, dafs der
Leib die Qualitat des Sattvam, umgeben von sechzehn anderen
Qualitaten [Nil. erinnert an Pra<?na Up. 6,3, vgl. dazu Sechzig
Upanishad's, S. 571], in sich birgt, dafs die eigene Natur
(svabhavaj und das Bewufstsein fcetandj in den Leib ein-
gegangen sind,
25. (11122.) dafs zwischen ihnen unparteiisch der eine
Atman steht, an dem nichts Boses haftet, und als zweites
das Werk, o Fiirst, fiir die, welche nach den Sinnendingen
trachten,
26. (11123.) dafs die Sinnesorgane und alle Sinnendinge
den Atman umlagern, wer begreift, dafs die Erlosung schwer
zu erlangen ist und den Veda zur Voraussetzung hat,
27. (11124.) wer Prana, Apana, Samana, Vyana und Udana
ihrem Wesen nach kennt, dazu den nach unten stromenden
und auch den emporfiihrenden Wind,
28. (11125.) diese sieben Winde und ihre siebenfache Ver-
teilung, wer die Schopferherren und Rishi's und ihre vielen
herrlichen Wege,
29. (11126.) die sieben Rishi's, die vielen Konigsweisen,
o Feindbedranger, die grofsen Gotterweisen und die anderen
wie Sonnen leuchtenden Brahmanweisen,
30. (11127.) wer auch die im Laufe der langen Zeit von
ihrer Gottherrlichkeit Herabgestiirzten, o Fiirst, und den Unter-
gang der grofsen Wesensscharen, o Erdeherr,
Adhyaya 303 (B. 301). 601
31. (11128.) und'auch den schlimmen Weg der Bosewichter,
0 Fiirst, und das Leid der in Yama's Eeich in den Hollen-
flufs Gestiirzten
32. (11129.) und den unerfreulichen Lauf durch mancherlei
Mutterschofse, das Wohnen in dem unerfreulichen Mutter-
schofse, diesem Gefafse voll Blut und Wasser,
33. (11130.) und sodann in der Schleim, Kot und Urin
enthaltenden , scharfen Geruch ausstromenden , aus Samen
und Blut zusammengeschweifsten, von Mark und Sehnen
durchflochtenen,
34. (11131.) von hundert Adern durchzogenen , unreinen
Stadt mit den neun Toren, und wer den heilbringenden Atman
erkennt und die mannigfaltigen Yoga-Ubungen
35. (11132.) und das tadelnswerte Wesen der tamashaften,
von Geniissen umnebelten Menschen und das der sattvahaften
Menschen, o Bharatastier,
36. (11133.) tadelnswert im Sinne ^er grofsen, atman-
kennenden Sankhyalehrer, und wer die schrecklichen Unfalle
des Mondes und der Sonne gesehen hat
37. (11134.) und das Herabfallen der Sterne und den Um-
lauf der Sternbilder, und wer die jammerliche Trennung Zu-
sammengehoriger erkennt, o Fiirst,
38. (11135.) und das scheufsliche gegenseitige Sichauf-
fressen der Wesen und die Torheit im Kindesalter und das
traurige Hinschwinden des Leibes
39. (11136.) und den gelegentlichen Einflufs des Sattvam
auf Leidenschaft und Verblendung, wer das alles als einer
unter Tausenden erkennt, indem er zum Verstandnis der Er-
losung gelangt,
40. (11137.) wer begreift, dafs die Erlosung schwer zu er-
langen ist und den Veda zur Voraussetzung hat, dafs man
hochschatzt, was man nicht hat, und gleichgiiltig wird gegen
das, was man hat,
41. (11138.) und die Schlechtigkeit der Sinnendinge, o
Fiirst, und die hafslichen Leiber der Verstorbenen, o Kuntisohn,
42. (11139.) das unselige Wohnen in Familien, o Bharata,
und die furchtbare Zukunft der Brahmanentoter und der ab-
gefallenen.
602 III. Mokshadharma.
43. (11140.) schlimmen, am Branntweintrinken hangenden
Brahmanen und den verhangnisvollen Weg der mit der
Lehrergattin Verkehrenden,
44. (11141.) und derer, die sich den Miittern gegeniiber
nicht gebiihrend betragen, o Yudhishthira, sowie gegeniiber
den gotterbevolkerten Welten,
45. (11142.) wer mit solchem Wissen ausgeriistet den Weg
der Ubeltater erkennt und die verschiedenen Wege fgataijah !J
der in Tierleiber Gefahrenen
46. (11143.) und die mancherlei Ausspriiche des Veda und
die Umlaufe der Jahreszeiten und das Schwinden der Jahre,
Monate,
47. (11144.) Halbmonate, Tage, das Abnehmen und Zu-
nehmen des Mondes vor unseren Augen
48. (11145.) und das Anschwellen und Zuriicktreten der
Ozeane und das Verlieren und Wiedergewinnen des Reichtums
49. (11146.) und die Losung der Verbindungen, den Ver-
gang ganzer Weltalter, den Einsturz der Berge, das Versiegen
der Strome,
50. (11147.) den Verfall der Kasten und die wiederholte
Beendigung dieses Verfalls, und wer Alter, Tod, Geburt und
Leiden bedenkt,
51. (11 148.) wer die Mangel des Leibes und das Leid, das
sie bringen, wie es in Wahrheit ist, den elenden Zustand des
Leibes richtig begreift,
52. (11149.) und alle die Mangel, die der Seele anhaften,
und die iiblen Diifte, die dem Korper entstromen,
Yudhishthira (ihn unterbrechenJ) sprach:
53. (11150.) Was sind das fiir Mangel, die nach deiner
Ansicht aus dem eigenen Leibe entspringen, o unermefslich
Tapferer? Diesen Zweifel mogest du mir vollstandig der
Wahrheit gemafs losen.
Bhishma sprach:
54. (11 151.) Fiinf Mangel, o Herr, schreiben dem Leibe zu
die weisen, wegkundigen, dem Kapila folgenden Sankhya-
lehrer. Vernimm sie, o Feindbezwinger.
Adhyaya 303 (B. 301). 603
55. (11152.) Sie sind Lust und Zorn, Furcht, Schlaf und
Keuchen als funftes.
56. Diese Mangel zeigen sich in den Leibern aller Ver-
korperten. (11153.) Man bekampft den Zorn durch Langmut,
die Lust durch Fernhaltung der Wiinsche,
57. den Schlaf durch Pflege des Sattvam, die Furcht
durch Besonnenheit (11 154.) und das Keuchen durch Mafsig-
keit in der Ernahrung, o Fiirst.
58. Sie, welche das Wesen der Tugend aus hundert Tugen-
den, das Wesen der Fehler aus hundert Fehlern (11155.) und
das Wesen der mannigfachen Ursachen aus hundert mannig-
fachen Ursachen erkennen,
59. sie, welche die Welt ansehen als dem Wasserschaume
vergleichbar , von hundert Zauberkiinsten fmciydj des Vishnu
umhiillt, (111B6.) einer gemalten Tapete ahnlich, als wertlos
wie das Innere eines Schilfrohrs,
60. als einer finstern Grube ahnelnd, den Blasen der
Regentropfen vergleichbar, (11157.) der Verganglichkeit ver-
fallen, von Gliick verlassen, in Vernichtung endigend, ohn-
machtig,
61. in Rajas und Tamas versunken, wie ein Elefant hilf-
los im Schlamme, (iii58.) und welche, o Konig, als hochweise
Sahkhya-Philosophen die Liebe zu ihren Kindern aufgeben
62. vermoge grofser, alldurchdringender, saiikhyamafsiger
Hingebung an die Erkenntnis, 0 Fiirst, (11159.) sie, welche die
unschonen Geriiche des Rajas und ebenso die des Tamas,
63. aber auch die reinen Geriiche des Sattvam, weil sie
aus Beriihrung entspringen und korperlich sind, (iiieo.) als-
bald durch das Schwert der Erkenntnis, durch den Stock
der Askese zerteilen, o Bharata,
64. sie werden dadurch instand gesetzt, das furchtbare
Gewasser der Leiden, den grofsen See von Sorgen und Kummer,
(11161.) in welchem Krankheit und Tod als grofse Krokodile,
die Furcht als grofse Schlange,
65. das Tamas als Schildkrote, das Rajas als Fische
wohnen, mittels der Erkenntnis zu durchschwimmen (11162.) und
diesen See, der die Liebe als Schlamm, das Alter als Klippen,
die Erkenntnis als Leuchtturm hat, o Feindbezwinger,
604 in. Mokshadharma.
66. die Werke als Untiefe, Wahrheit und Geliibdetreue
als Ufer, (iiics.) Grausamkeit als schnelle, machtige Stromung,
mancherlei Geschmacke als Inlialt,
67. mancherlei Freuden als Kleinodien, Schmerz und
Herzeleid als Stiirme, (iii64.) Kummer und Begierde als Strudel,
schwere Krankheit als nachstellende Elefanten,
68. Knochengerippe als Landungstreppen, schleimige Ab-
sonderung als Scliaum, o Feindbezwinger, (iii65.) Freigebig-
Iceit als Perlenlager hat, diesen furchtbaren See, dessen Meer-
korallen aus Blut bestehen,
69. der Lachen und Schreien als brausende Brandung
hat, der durch allerlei Wissenschaften schwer zu iiberschreiten
ist, (11166.) der die Flecken geweinter Tranen als Salzgehalt,
Verzicht auf die Weltanhanglichkeit als Endpunkt,
70. Kinder und Weiber als Blutegelschwarm , Freunde
und Verwandte als Uferstadte, (iiier.) Schonung und Wahr-
haftigkeit als Kiisten, Aushauchen des Lebens als Sturmwelle,
71. den Vedanta als Rettungsinsel , Mitleid mit alien
Wesen als Schwimmblase , (11168.) Erlosung als schwer er-
reichbares Endziel hat, diesen den HoUenrachen in sich
bergenden Ozean
72. iiberschreiten die vollendeten Asketen auf dem Schiffe
der Erkenntnis, o Bharata, (11 169.) und nachdem sie das schwer
iiberwindbare Geborenwerden abgelegt haben, gehen sie in
den fleckenlosen Ather ein.
73. Dann fiihrt diese rechtschaffenen Sahkhya's die Sonne
empor mit ihren Strahlen, (iii7o.) indem sie sie, wie die Lotos-
blume mit ihren Fasern [das Wasser], aus der Sinnenwelt
[mit ihren Strahlen] herauszieht, o Fiirst.
74. Daselbst nimmt sie der emporfiihrende Wind in
Empfang, (11171.) sie, die leidenschaftfreien, vollendeten, mann-
haften, askesereichen Selbstbez winger.
75. Er, der sanfte, kiihle, wohlriechende , lieblich zu
fiihlende (11172.) beste aller sieben Winde, 0 Bharata, der in
schone Welten hiniiberweht, er fiihrt sie, 0 Kuntisohn, zur
hochsten Bahn des Athers,
76. (11173.) der Ather fiihrt sie, 0 Herr der Welt, zur
Adhyaya 303 (B. 301). 605
hochsten Bahn des Rajas, das Rajas fiihrt sie, o Fiirst der
Konige, zur hochsten Bahn des Sattvam,
77. (J1174.) das Sattvam fiihrt sie, o du Reiner, zum
hochsten Herrn Narayana, und der Herr, reinen Selbstes,
fiihrt ihn durch sein Selbst zum hochsten Atman.
78. (11175.) Den hochsten Atman erreicht habend, zu ihm
geworden und in ihm sich griindend, fleckenlos werden sie
der Unsterbhchkeit teilhaft und kehren nicht mehr zuriick,
0 Herr.
79. (11176.) Das ist, o Prithasohn, der hochste Gang der
von den Gegensatzen Befreiten, Hochsinnigen, an Wahrheit
und Rechtschaffenheit sich Erfreuenden, mit Mitleid fiir alle
Wesen ErfiilUen.
Yudhishthira sprach :
80. (11177.) Wenn nun die Geliibdetreuen den Heiligen
als hochste Statte erreicht haben, haben sie dann Erinnerung
an das von der Geburt bis zum Tode Durchlebte oder nicht,
o Untadliger?
81. (11178.) Was dariiber die AVahrheit ist, das mogest
du mir sagen, wie es ist, denn einen andern aufser dir zu
fragen, gezi^mt mir nicht, o Kurusohn.
82. (11179.) Bei der Erlosung habe ich dieses grofse Be-
denken: Wenn nach dem Eingange zu den vollendeten Rishi's
die Selbstbezwinger droben im Besitze des hochsten Bewufst-
seins sind,
83. (11180.) dann halte ich die darauf hinstrebende Satzung
fiir die vorziighchste , sollte aber einer [in Bewufstlosigkeit]
versinken, was hilft ihm dann das hochste Wissen? Nichts
Elenderes konnte es geben!
Bhishma sprach :
84. (11 181.) Mit Recht, o Freund, hast du hier eine Frage
aufgeworfen, die sehr schwierig ist; auch die Weisen sind
bei dieser Frage in Verlegenheit, o Bharatastier.
85. (11 182.) Aber auch hieriiber sollst du die voile Wahr-
heit von mir horen und erfahren, worin fiir die hochsinnigen
Kapilajiinger das hochste Bewufstsein zu fmden ist.
606 III. Mokshadharma.
86. (11183.) Bei den Verkorperten sind es die Organe in
ihrem Korper, welche erkennen, o Furst, sie sind die Organe
des Atman, und er, der Unerkennbare, erkennt durch sie.
87. (11184.) Werden sie vom Atman verlassen, so sind sie
wie ein holzernes Brett und zergehen ohne Zweifel wie
Schaum auf dem Meere.
88. (11185.) Wenn der Verkorperte mitsamt seinen Sinnen
in Schlaf versunken ist, o Feindbedranger, dann schweift der
feine Atman allerwarts wie der Wind im Luftraum.
89. (11186.) Dann ist er regelrecht sehend oder fiihlend,
o Herr, und vollkommen erkennend wie vorher bier [im
Wachen], o Bharata.
90. (11187.) Alle Sinnesorgane, jedes auf seinem Gebiete,
werden machtlos und verlieren ihre Kraft, wie Schlangen,
die des Giftzahns beraubt sind,
91. (11188.) Dann schweift der Atman allenthalben auf
feinen Wegen durch die den einzelnen Sinnesorganen ent-
sprechenden Gebiete, daran ist kein Zweifek
92. (11189.) Und indem er alle Qualitaten des Sattvam,
Rajas und Tamas, der Buddhi, o Bharata,
93. (11190.) und des Manas, des Athers, Windes, o Pflicht-
treuer, des Sneha [bier angeblich Feuer, wohl tejo zu lesen],
94. (11 191.) des Wassers und der Erde, o Prithasohn, in-
dem er diese alle mitsamt ihren Qualitaten in den Kshetrajfia's
(hier: individuellen Seelen) durchdringt, o Yudhishthira,
95. (11 192.) durchdringt \yydti = vydpnoti, Nil.] der Atman
den Kshetrajna sowie auch die guten und bosen Werke, und
wie Schiller gegen einen hochsinnigen [Lehrer] sind die
Sinnesorgane ihm gegeniiber.
96. (11193.) Aber wenn er die Prakriti iiberschritten hat,
gelangt er zu dem unverganglichen Atman, dem hochsten
Atman des Narayana, dem gegensatzlosen, iiber die Prakriti
erhabenen.
97. (11194.) Und, erlost von Gutem und Bosem, zu ihm,
dem krankheitlosen , qualitatlosen , hochsten Atman einge-
gangen, kehrt er nicht mehr zuriick, o Bharata.
98. (11195.) Und wahrend er noch im Leben verharrt.
Adhy^ya 303 (B. 301). 607
nahen ihm fiir eine Zeitlang noch Manas und Indriya's als
dem Lehrer gehorsame [Schiiler].
99. (1119G.) Diese Ruhe kann in kurzer Zeit erlangen, wer
in der beschriebenen Weise nach Tugend strebt, die Er-
kpnntnis besitzt und der Erlosung sich zuwendet, o Kuntisohn.
100. (11197.) Durch diese Erkenntnis, o Konig, gehen die
hochweisen Sankhya's den hochsten Weg, eine Erkenntnis,
die dieser gleichkame, gibt es nicht, o Kuntisohn.
101. (11198.) Dariiber bleibe bei dir kein Zweifel, die
Saiikhya-Erkenntnis ist die hochste, sie ist jenes als unver-
ganglich und unwandelbar bezeichnete, das voile, ewige
Brahman,
102. (11199.) das ohne Anfang, Mitte und Ende seiende,
gegensatzfreie, schopferische , bestandige, allerhochste und
dauernde, von dem die Weisen [in den Upanishad's] reden,
103. (11200.) aus welchem alle Wandlungen von Schopfung
und Vergang hervorgehen, welches die heiligen Biicher preisen,
die hochsten Weisen kiinden,
104. (11201.) samt alien Brahmanen, Gottern und Kennern
der wahren Beruhigung als den brahmanenfreundlichen hochsten
Gott den unendlichen, hochsten, unerschiitterlichen.
105. (11202.) Ihn gehen an, ihn riihmen die tugendhaft
gesinnten Brahmanen und die dem Yoga voUig hingegebenen
Yoga's und die unermefslich einsichtigen Sankhya's.
106. (11203.) Dieses Gestaltlosen Gestaltung ist das Sah-
khyam, so lehrt die Schrift, o Kuntisohn, und die Saiikhya-
lehre ist der Beweis fiir ihn, o Bharatastier.
107. (11204.) Zwei Arten von Wesen gibt es auf der Erde,
o Erdeherr, sie heifsen Bewegliche und Unbewegliche ; das
Bewegliche aber steht hoher.
108. (11205.) Das grofse Wissen, namlich alles, was
in den grofsen Veden, bei den Sankhya's und im Yoga
vorhanden ist, o Konig, das mannigfache Wissen, welches
in der alten Uberlieferung fpurdnamj vorliegt, das alles,
o Fiirst der Manner, ist im Saiikhyam vereinigt.
109. (11206.) Und auch das, was in den grofsen epi-
schen Erzahlungen fitihdsaj vorliegt, und was in den
Biichern iiber Lebensklugheit f((rthagcUtramJ die Aner-
608 in. Mokshadharma.
kennung der Weisen findet, o Fiirst, und alle Wissen-
schaft, die im Yoga vorhanden ist, all dies Grofse, o Grofs-
gesinnter, ist im Saiikhyam vereinigt.
110. (11207.) "Was an Beruhigung sich zeigt und an
grofser Kraft, was an subtilem Wissen der Wahrheit
entsprechend vorhanden ist, und die feinen, begliickenden
Askesen, das alles ist der Wahrheit gemafs im Saiikhyam
niedergelegt, o Konig.
111. (11208.) Im ungiinstigern Falle gehen die Saiikhya's
zu den Gottern ein, zu ununterbrochenem Gliicke, o Pritha-
sohn, und nachdem sie durch Umgang mit ihnen ihren
Zweck erreicht haben, kommen sie wiederum als asketische
Brahmanen zur Verkorperung.
112. (11209.) Und wenn sie dann ihren Leib verlassen
haben, gehen die Saiikhya's zu dem Gotte ein, o Pritha-
sohn, wie die Gotter zum Himmel, nachdem sie nur noch
um soviel mehr als Brahmanen, o Erdeherr, sich erfreut
haben an der verehrungswiirdigen, die Weisen erquicken-
den Sankhyalehre.
113. (11210.) Jedenfalls gibt es fiir sie kein Eingehen
in die Tierwelt, keinen Niedergang, kein Wohnen in der
Behausung der Missetat, fiir diese Brahmanen, welche
einer solchen Wissenschaft anhangen, auch wenn sie
nicht gerade die ersten darin sind, o Fiirst.
114. (11211.) Die ungeheure, allerhochste , alte, von
Hochstrebenden geliebte Saiikhyalehre ist ein grofser Ozean
der Eeinheit, getragen aber wird die ganze unermefsliche
Sankhyalehre, o Fiirst, von dem hochsinnigen Narayana.
115. (11212.) Dieses verkiindige ich dir als die Wahr-
heit, 0 Mannerherr : dieses ganze von alters her bestehende
Weltall ist Narayana, er schafft zur Zeit der Schopfung
dieses Ganze, und zur Zeit des Weltuntergangs verschlingt
er es wieder.
116. (11213). Und wenn er das Ganze in seinen eigenen
Leib hineingerafft hat, ruht er auf den Wassern, er, die
innere Seele der Welt.
So lautet im Mokshadharma die Daistellung der S&5khyalehre
(sdnkhya - kathanam).
Adliyaya 304 (B. 302). 609
Atlliyaya 304 (B. 302).
Vers 11214-11262 (B. 1-49).
Yudhishtbira sprach:
1. (11214.) Was ist das, was das Unvergangliche genannt
wird, von dem man nicht wieder zuriickkehrt? Und was ist
das, was das Vergangliche genannt wird, von dem man wieder
zuriickkehrt ?
2. (11215.) Die Offenbarung des Unverganglichen und des
Verganglichen bitte ich, o Feindbedriinger, vernehmen zu
diirfen der Wahrheit gemafs, o grofsarmiger Kurusprofs.
3. (11216.) Denn du wirst anerkannt als ein Ozean des
Wissens von den mit dem Veda vollvertrauten Brahmanen,
von hochbegluckten Rishi's und von hochsinnigen Asketen.
4. (11217.) Nur wenig Tage bleiben dir noch zu leben iibrig,
solange die Sonne nach Siiden geht, und wenn der heilige
Sonnengott sich nordwarts wendet, wirst du ja den hochsten
Gang antreten.
5. (11218.) Wenn du aber zum Heile eingegangen bist, von
wem konnen wir uns dann belehren lassen? Du bist die
Leuchte des Kurustammes, du leuchtest durch die Fackel
deines Wissens.
6. (11219.) Darum wiinsche ich dies von dir zu horen,
o Kurusprofs, ich werde nicht satt, o Fiirst der Konige, solchen
UnsterbHchkeitstrank zu schliirfen.
Bhishma sprach :
7. (11220.) Dariiber will ich dir eine alte Geschichte be-
richten, namlich die Unterredung des Vasishtha mit Karala-
janaka.
8. (11221.) Den hohen Vasishtha, der, unter den Rishi's
sitzend, wie eine Sonne hervorglanzte, befragte der Konig
Janaka nach dem hochsten beseligenden Wissen.
9. (11222.) Ihn, den hochsten, des innern Selbstes kundigen,
das Ziel des innern Selbstes kennenden Sohn des Mtra-Varuna
(Rigveda 7,33,11), wie er dasafs, begriifste mit zusammen-
gelegten Handen
Deusben, AlabAbhilratam. 39
6 10 in. Mokshadharma.
10. (11223.) einstmals der Konig Karalajanaka und richtete
an ihn, den Besten der Eishi's, die wohlgesetzte, liebliche,
mafsvolle Frage:
11. (11224.) 0 Heiliger, ich wiinsche von dem hochsten,
ewigen Brahman zu horen, zu welchem gelangt die Weisen
keiner Wiederkehr mehr verfallen,
12. (11225.) ferner auch, was unter jenem Verganglichen
zu verstehen ist, durch welches diese Welt der Lebenden
vergeht, und was unter dem Unverganglichen , dem seligen,
friedvollen, krankheitlosen , zu verstehen ist.
Vasishtha sprach :
13. (11226.) Vernimm, o Erdeschiitzer, wie diese Welt der
Lebenden vergeht, vernimm auch das, was unverganglich ist
von jeher und solange die Zeit dauert.
14. (11227.) Bin Weltalter ,^1/M^amy' besteht aus zwolftausend
[Gotter-] Jahren und eine Weltperiode fJcalpaJ aus vier Welt-
altern, und der in tausend Weltperioden ablaufende Zeitraum
wird ein Tag des Brahman genannt.
15. (11228.) Ebensolang, o Konig, ist seine Nacht; geht
sie zu Ende, so erwacht er und schafft als Erstgeborenen
den MaJidn, den unendlich wirkenden (vgl. Manu 1,74),
16. (11229.) den gestalteten, er, der gestaltlose, den all-
befassenden, er, der durch sich selbst seiende Qambhu (Qiva),
der da ist Atomkleinheit, Leichtigkeit und Allberiihrung, ihn,
den Herrn, das ewige Licht.
17. (11230.) Nach allwarts ist es Hand, Fiifse, nach all-
warts Augen, Haupt und Mund, nach alien Seiten hin horend,
die Welt umfassend steht es da (= ^vet. Up. 3,16, vgl. oben,
S. 87).
18. (11231.) Dieser, der heilige Hiranyagarbha, wird auch
als die Buddhi bezeichnet, auch als der Mahan in den Yoga-
lehren und als der ewige Virinci.
19. (11232.) Und auch in der Saiikhyalehre wird er, der
Vielfaltige, gepriesen unter der Benennung als der Mannig-
fachgestaltete , Allbeseelende , in der einen Silbe fomj Be-
schlossene.
20. (11233.) Er, von dem das Mannigfaltige umhiillt wird,
Adhyaya 304 (B. 302). 61 1
aus dessen Selbst die Dreiwelt geschaffen ist, er wird auch
wegen seiner Vielgestaltigkeit als Vigvarupa (der Allgestal-
tige) bezeichnet.
21. (11234.) In die Umwandlung iibergehend, schafft er,
der Kraftvolle, sicli selbst durch sich selbst als den AhafiMra,
den ichbewufsten Scliopferherrn.
22. (11235.) Aus ilim, dem Unentfalteten, ist das Entfaltete
hervorgegangen ; als Quelle des Wissens bezeichnen sie ihn
und als den Mahan, als Quelle des Nichtwissens heifst er
Ahankara.
23. (11236.) Das Ungesetz und das Gesetz sind also aus
derselben Quelle entsprungen; als Nichtwissen und Wissen
werden sie bezeichnet von denen, welche dem Inhalt der
Schriftlehre nachsinnen.
24. (11 237.) Die Schopfung der Elemente fhhutaj aus dem
Ahankara wisse als die dritte, o Erdeherr, und als vierte
vvisse das, was, von alien Ahankara [-Produkten] stammend,
Umwandlung des schon Umgewandelten ist [namlich die
Vigesha's].
25. (11238.) Wind, Feuer, Ather, Wasser und Erde nebst
Ton, Beriihrung, Sichtbarkeit, Geschmack und Geruch [sind
Ahankara - Produkte],
26. (11239.) und in derselben Weise gleichzeitig entstanden
wisse die Schar der zehn [Indriya's], und endlich als fiinfte
Schopfung, 0 Fiirst der Konige, wisse die ganze Schopfung
der Wesen fhhautika) je nach ihren Zwecken.
27. (11240.) Ohr, Haut, Augen, Zunge und Geruchsorgan
zufiinft, Rede, Hande und Fiifse, Entleerungs- und Zeugungs-
organ,
28. (11241.) diese sind als die Erkenntnisorgane und die
Tatorgane gleichzeitig mit dem Manas entstanden, o Erdeherr.
29. (11242.) Diese vierundzwanzigfache Natur der Prinzipien
ist in alien Erscheinungen vorhanden, sie erkannt habend,
trauern nicht mehr die wahrheitschauenden Brahmanen.
30. (11243.) Dieses den Namen Leib Fiihrende [lies: deha-
sanidkhjdnam] kommt alien Verkorperten zu, das soil man
wissen, o Bester der Manner, in der Dreiwelt, welche befafst
Gotter, Menschen und Damonen,
39*
612 ni. Moksliadharma.
31. (11244.) Yaksha's, Gespenster, Gandharven, Kinnara's,
die grofsen Schlangen, himmlische Sanger, Pigaca's, Gotter-
weise, Nachtunholde,
32. (11245.) Stechfliegen, Wiirmer, Miicken, Mistkafer,
Mause, Hunde, Hundekocher, Antilopen, Candala's, Pulkasa's,
33. (11246.) Elefanten, Eosse, Esel, Tiger, Baume, Rind-
vieh, — kurz fiir alles, was irgendwo Gestalten tragt, ist dieses
die Erscheinungsform.
34. (11247.) Im Wasser, auf dem Lande und im Luftraum
hat es nie einen andern Standort fiir die Verkorperten ge-
geben, so haben wir es mit Gewifsheit iiberkommen.
35. (11248.) Wegen dieser seiner Beschaffenheit ist alles,
was den Namen des Entfalteten tragt, von einem Tage zum
andern hinfallig, daher wird der Elementatman (bhutdtmanj
als der Hinfallige bezeichnet.
36. (11249.) Darum heifst jenes [andere] das Unvergang-
liche, wahrend diese Welt verganglich ist; die Welt ist das
in Verblendung Befangene, welches, aus dem Unentfalteten
entspringend , das Entfaltete heifst.
37. (11250.) Darum ist schon der Mahan als Erstgeborener
ein bestandiges Beispiel der Verganglichkeit. Damit habe
ich dir, o Grofskonig, erklart, wonach du mich fragst.
38. (11251.) Der fiinfundzwanzigste ist Vishnu, unwesen-
haft, aber als Wesen fsattvamj bezeichnet; weil die Wesen
auf ihn sich griinden, nennen ihn die Weisen das Wesen.
39. (11252.) Was er als Sterbliches, Entfaltetes, diese und
jene Gestalt Annehmendes geschaffen hat, das beherrscht er
als der unentfaltete Vierundzwanzigste, als Gestaltloser ist er
der Fiinfundzwanzigste.
40. (11253.) Und ebendieser weilt im Herzen aller Gestalten,
ihr Selbst seiend, als absolut, geistig, ewig, alJgestaltig und
gestaltlos.
41. (11254.) Vereinigt mit ihr [der Prakriti], welche Schop-
fung und Vergang als Eigenschaft tragt, nimmt audi er die
Eigenschaft von Schopfung und Vergang an, und das Guna-
lose bewegt sich, gunahaft heifsend, immerfort in ihrem Be-
reiche.
42. (11255.) So geschieht es, dafs dieser der Schopfung
Adhyaya 304 (B. 302). 613
und des Verganges kundige Mdlian Atmd, sich umwandelnd
und prakritihaft werdend, unbewufst zweckmafsig wirkt (abhi-
manyati abuddhimdnj.
43. (11256.) Mit Tamas, Sattvam und Rajas behaftet, birgt
er sich hienieden bald in diesem, bald in jenem Mutterschofse,
und weil er nicht erweckt, in nichterweckte Geschopfe ein-
gegangen
44. (11257.) und durch das Wohnen in ihnen verganglich
ist, wahnt er, von ihnen nicht verschieden zu sein, spricht:
„ich bin, der ich bin" und gibt sich den Guna's hin.
45. (11258.) Vermoge des Tamas geht er in mannigfache
tamashafte Existenzen ein, vermoge des Rajas in rajashafte,
vermoge des Sattvam in sattvahafte.
46. (11259.) Das sind jene drei weifsen, roten und schwarzen
Gestalten [von denen Chand. Up. 6,4; Q\et Up. 4,5 die Rede
ist ; vgl. dazu Sechzig Upanishad's, S. 301 A. 1], das sind alle
jene Gestalten, welche hienieden aus der Prakriti entspringen.
47. (11260.) Die tamashaften [Existenzen] fahren zur Holle,
die rajashaften werden zu Menschen, die sattvahaften gehen
zur Gotterwelt und geniefsen Gliickseligkeit.
48. (11261.) Durch ausschliefsliche Schlechtigkeit verfallt
man einem tierischen Mutterschofse, durch Gutes und Schlech-
tes der Menschwerdung, durch Gutes allein geht man zu den
Gottern ein.
49. (11 262.) Auf diese Art erklaren die Weisen das Reich
des Unentfalteten fiir das Vergangliche, aber der, welcher
der Fiinfundzwanzigste ist, kommt zur Entwicklung durch
das Wissen.
So lautet im Mokshadharma
die Unterredung zwischen Vasishtha und Karalajanaka
( Vasinhtha - Kardlajanaka - savitdda).
614 ni. Mokshadharma.
Adhyaya 305 (B. 303).
Vers 11263-11316 (B. 1-54).
Vasishtha sprach:
1. (11263.) Weil er (der Purusha) in dieser Weise nicht
erweckt ist, gibt er sich dem Unerweckten hin und wandert
aus dem einen Leibe in tausend andere.
2. (11264.) In tausend Tierleiber gelangt er, dann wieder
zu Gottergeburten, vermoge seiner Verbindung mit den Guna's
und der Herrschaft der Guna's [iiber ihn].
3. (11265.) Aus dem Menschentum geht er zum Himmel,
aus dem Himmel zum Menschentum und aus dem Menschen-
tum zu dem Orte des Verderbens, fort und fort ohne Ende.
4. (11266.) Wie eine Kaupe ihr Gehause spinnt und sich
darin einschliefst, so spinnt er, der ewig Gunalose, sich durch
das Fadengespinst der Guna's in den Guna's ein.
5. (11267.) Er, der Gegensatzlose, geht in diesen und jenen
Mutterschofsen in die Gegensatze ein. Bei Kopfschmerz, Augen-
leiden, Zahnweh, Kehlkopfleiden,
6. (11268.) "Wassersucht, Durstkrankheit , Mandelentziin-
dung. Cholera, Aussatz, Brandwunden, Lepra und Epilepsie
7. (11269.) und was es sonst noch fiir mannigfache widrige
Zustande gibt, welche, aus der Prakriti entspringend, die Ver-
korperten befallen, — mit diesen wahnt auch er sich behaftet.
8. (11270.) In tausend Tierleiber gelangt er, dann wieder
zu Gottergeburten, und vermoge des Ichwahns halt er sie fur
sein eigen und ebenso die guten Werke.
9. (11271.) Mag er reine oder schmutzige Kleider tragen,
mag er immer auf dem Boden sitzen oder wie ein .Frosch
niederhocken oder den Yogasitz, der der heroische heifst,
einnehmen,
10. (11272.) er wird das Tragen von Lumpen, das Liegen
oder Stehen im Freien, auf einem Lager von Backsteinen,
Dornen
11. (11273.) oder Asche, auf dem Erdboden oder in einem
Bette, in der Yogastellung heroischer Art, im Wasser, im
Schlamme, auf Pritschen
Adhyaya 305 (B. 303). 615
12. (11274.) und allerlei Lagerstatten , er wird, von Gier
iiach Lohn befangen, die Umgiirtung mit Muiijagras und das
Nackendgehen, sowie das Tragen von Linnengewandern und
schwarzen Antilopenfellen,
13. (11275.) mag er in Hanf oder Schafwolle, in Tigerfelle,
Lowenfelle, Tuche,
14. (11276.) Bast, Stachelgeflecht, Seidengespinst, Lumpen
oder vieles andere sich kleiden, —
15. (11277.) er wird dies alles in seiner Unerwecktheit auf
sein Ich beziehen, wie auch die verschiedensten Geniisse und
allerlei Kostbarkeiten.
16. (11278.) Er ifst nur einen um den andern Tag, nur
einmal am Tage, nur zu jeder vierten, achten oder sechsten
Mahlzeit,
17. (11279.) er ifst nur einmal alle sechs, acht, sieben,
zehn oder zwolf Tage,
18. (11280.) fastet einen ganzen Monat, nahrt sich von
Wurzeln und Friichten, von Wind, Wasser, Olkuchen, saurer
Milch, Kuhdiinger,
19. (11281.) Kuhurin, Gemiise, Blumen, Moos, Spiilicht,
20. (11282.) welken Blattern oder Fallobst und iibt sich
in allerlei Qualereien aus Streben nach der Vollkommenheit.
21. (11283.) Auch nimmt er seine Zuflucht zur Mondlaufs-
bufse und nach Vorschrift zu manchen Aufserlichkeiten, oder
betritt den Pfad der vier Lebensstadien oder andere nicht
zum Ziele fuhrende Wege,
22. (11284.) oder auch er wird andere Abwege, mancherlei
Irrlehren, abgelegene Schattenplatze im Gebirge, Waldquellen,
23. (11285.) einsame Sandbanke, Walder, heilige Gotter-
tempel, Teiche,
24. (11286.) entlegene Berghohlen, die [an Behaglichkeit]
einem Hause nahekommen, oder besondere Murmelungen und
Geliibde,
25. (11287.) allerlei Observanzen, Askesen, Opfer und Zere-
monien
26. (11288.) oder das Leben als Kaufmann, Zwiegeborener,
Kshatriya, Vaigya, ^'udra und das Almosengeben an Bedriickte,
Blinde, Elende, —
616 III. Mokshadharma.
27. (11289.) dies alles wird er in seiner Unerwecktheit als
auf sein Ich beziiglich ansehen, ebenso die drei Guna's Satt-
vam, Rajas und Tamas, und nicht anders steht es mit dem
Guten, Niitzlichen und Angenehmen.
28. (11 290.) In dieser Weise zerlegt der Atman durcli den
Einflufs der Prakriti sein [einheitliches] Selbst in eine Viel-
heit [von Betatigungen] , und man spricht von Svadha-Ruf,
Vashat-Ruf, Svaha-Ruf und Verehrungen,
29. (11291.) von Opfern fiir andere, Lehrtatigkeit , Geben
und Nehmen, Opfern, Studieren und wer weifs von was
sonst noch,
30. (11292.) und mag es sich um Geburt oder Tod, um
Disputieren oder Dreinschlagen handeln, kurz alles, was zum
Guten oder Bosen ausschlagt, nennt man den Weg der [Ver-
geltung nach sich ziehenden] Werke.
31. (11293.) Aber nur die Gottin Prakriti ist es, welche
Entstehen und Vergang bewirkt, und am Ende der Tage zieht
Er alle ihre Guna's in sich herein [abhyetya = grasitvd, Nil.]
und besteht fort als der Eine.
32. (11294.) Wie die Sonne ihre Strahlen von Zeit zu Zeit
wieder einzieht, so macht auch er immer wieder das Vorher-
gewesene spieleshalber zunichte (ahhimanyate vgl aWiimansye
Brih. Up. 1,2,5),
33. (11295.) namlich die mannigfachen , ihre eigene Natur
habenden, seinem Herzen lieben Guna's. Und nachdem er
wiederum sie, welche Schopfung und Vergang als Wesen
besitzt, entfaltet hat,
34. (11296.) und ebenso die Tat, dem Weg der Tat an-
hangend, und die drei Guna's, er, der Herr der drei Guna's,
so wahnt er, da er den Pfad der Tat betreten hat, von der
Tat, sie sei ein Wirkliches.
35. (11 297.) Durch die Prakriti ist diese ganze Welt blind
gemacht, o Herr, und alles hienieden ist in mannigfacher
Weise von Rajas und Tamas durchtrankt.
36. (11298.) So geschieht es, dafs die Gegensatze des Erden-
lebens immer wiederkehren. „Als mir gehorig entstehen sie
und auf mich stiirmen sie ein,
37. (11299.) und ich mufs mich aus ihnen alien heraus-
Adhyaya 305 (B. 303). 617
arbeiten", so, o Mannerherr, denkt der Mensch wegen seiner
Unerwecktheit, „und ebenso mufs ich fiir meine guten Werke
38. (11300.) Vergeltung im Himmel geniefsen, und waiter
werde ich hienieden nochmals die guten und bosen Friichte
[meiner Werke] durchzukosten haben.
39. (11301.) Aber mein Gliick mufs ich betreiben, und habe
ich es einmal begriindet, so wird meine Gliicksehgkeit in
jeder neuen Geburt bis zu Ende durchhalten.
40. (11302.) Freilich wird mich fiir meine hier began genen
Werke auch endloses Ungliick treffen, denn es ist schon ein
grofses Ungliick, Mensch zu werden, und vollends ein solches
ist es, in die Holle zu fahren.
41. (11303.) Doch werde ich aus der Holle mit der Zeit
wieder zur Menschwerdung gelangen, aus dem Menschsein
zur Gottwerdung, aus dem Gottsein wieder zum menschlichen
Dasein
42. (11304.) und aus diesem wieder zur Holle, so gelangt
man abwechselnd vom einen zum andern." Wer immerfort
in diesem Bewufstsein lebt, vom Atman abgewandt, von den
Guna's des Atman umhiillt,
43. (11305.) der geht infolgedessen zum Menschsein, Gott-
sein und zur Holle ein, und vom Egoismus umnebelt, wandert
er fort und fort um
44. (11306.) in todverfallenen Gestalten tausend und aber-
tausend Schopfungsperioden hindurch. Wer in dieser Weise
das mit guten und bosen Friichten behaftete Werk betreibt,
45. (11307.) der erlangt die entsprechende Frucht durch
Verkorperungen in alien drei Wei ten. Aber nur die Prakriti
ist es, welche das gute und bose Friichte tragende Werk voll-
bringt, (ii308.) und so ist es auch die den Liisten nachgehende
Prakriti, welche die Frucht in alien drei Welten geniefst.
46. Mag einer in der Tierwelt, Menschenwelt oder Gotter-
welt weilen, (ii309.) alle diese drei Regionen gehoren der Pra-
kriti an, das soil man wissen.
47. Freilich ist die Prakriti unerkennbar, aber wir er-
schliefsen sie aus ihren Produkten, (ii3io.) und so glaubt man
in seinem Wahne (lies: ahhimdndd), dafs es auch fiir den
Purusha ein Merkmal gebe.
618 in. Mokshadharma.
48. Dieser aber eignet sich nur ein fremdes Merkmal an,
ein der Prakriti gehoriges, fiir siindlos gehaltenes, (iisii.) be-
tritt die Pforten der Siinde [die Sinnesorgane] und schreibt
sie infolge des Werkes sich selbst zu.
49. So geschieht es, dafs alle Erkenntnisorgane, Ohr usw.,
sowie auch die funf Tatorgane, (11312.) Rede usw., sich mit-
samt ihren Qualitaten in den Qualitaten [der Objekte] be-
tatigen.
50. „lch bin alles das, in mir sind diese Organe",
(11313.) so wahnt der Organlose, der Siindlose „ich bin siind-
haft".
51. Merkmallos wahnt er, Merkmale zu haben, zeitlos,
in der Zeit zu sein, (ii3i4.) sattvalos, sattvahaft zu sein, wesen-
los, wesenhaft zu sein,
52. unsterblich ist er und wahnt sich dem Tode verfallen,
unwandelbar der Wandelbarkeit, (11 sis.) korperlos der Korper-
lichkeit, unerschaffen der Erschaffenheit,
53. er, der Askeselose, wahnt sich askesehaft, der Un-
bewegte derBewegung teilhaftig, (11316.) der Werdelose werde-
haft, der Furchtlose der Furcht verfallen,
54. der Unvergangliche wahnt sich verganglich, solange
ihm die Erweckung fehlt.
So lautet irn Mokshadharma
die Unterredung zwischen Vasishtha und Karalajanaka
(Vaiis/itlia -Kardlajanal a - saiiivdda).
Adhyaya 306 (B. 304).
Vers 11317-11327 (B. 1-11).
Vasishtha sprach:
1. (11317.) Weil er somit, nicht erweckt, in nicht erweckte
Geschopfe eingegangen ist, mufs er tausend und abertausend
dem Vergang verfallene Weltschopfungen durchwandern.
2. (11318.) Einmal in die Behausung geraten, geht er in
tausend hinsterbende Behausungen ein als Tier, als Mensch
Oder als ein Gott im Himmel.
Adhyaya 306 (B. 304). 619
3. (11319.) Wie der Mond unter den Wesen schwindet er
tausendmal immer wieder und wieder wegen seiner Unerweckt-
heit, er, solange er ein Unerweckter ist.
4. (11320.) Der fiinfzehnte Teil ist der Ursprung [des
Mondes], er als seine Behausung ist erkennbar, aber als un-
verganglich mufst du dieses erkennen, den Soma (Mond,
Unsterblichkeitstrank), namlich seinen sechzehnten Teil.
5. (11321.) Wie er, wird auch der Unerweckte fort und
fort aus dem [fUnfzehnten] Telle neu geboren, ihn erklart
man fiir seine Heimstatte, aus der er immer wieder ge-
boren wird.
6. (11322.) Aber der sechzehnte Teil ist unerkennbar, er
ist als der [wahre] Soma 2u betrachten; dieser wird nicht
von den Gottern (den Sinnesorganen) dienstbar gemacht, son-
dern macht sie sich dienstbar.
7. (11323.) Ohne ihn je zu verlieren, wird der Mensch
immer wieder neu geboren, o bester Fiirst; jener hingegen
[der fiinfzehnte Teil] ist seine Prakriti, was iibrig bleibt,
wenn sie zuniclite wird, das heifst Erlosung.
8. (11324.) Wenn aber der Mensch den ganzen, aus den
sechzehn Teilen bestehenden Leib, der durch die Prakriti
sein Geprage erhalt, fiir sein wahres Ich halt, dann bleibt
er in der Wanderung befangen.
9. (11325.) Der fiinfundzwanzigste ist der Mahdn Atmd\
well er nicht erweckt ist, und weil er, der Fleckenlose, Reine,
sich mit Reinem und Unreinem befafst,
10. (11326.) wird er, der reine Atman, zu einem solchen,
zu einem unreinen, o Erdeherr, und weil er mit Unerweckten
sich befafst, geht er, der Wache, in die Unerwecktheit ein.
11. (11327.) In diesem Sinne, o Bester der Fiirsten, ist er
als ein Unerweckter zu betrachten, und weil er mit der drei-
gunahaften Prakriti Gemeinschaft macht, wird auch er drei-
gunahaft.
So lautet im Mokshadbarma
die Unterredung zwischen Vasishtha und Kar^lajanaka
(Vasishtha - Kardlajanaka - savivdda).
620 in. Mokshadharma.
Adhyaya 307 (B. 305).
Vers 11 328-11 3G7 (B. 1-39).
Janaka sprach:
1. (It 328.) Diese Verbindung der beiden, des Unvergang-
lichen und des Verganglichen, ist zu vergleichen, o Heiliger,
der Verbindung zwisclien Mann und Weib.
2. (11329.) Es kann aber ohne den Mann hienieden das
Weib keine Leibesfrucht empfangen, und ohne das Weib kann
der Mann seine Gestalt nicht wieder erneuern.
3. (11330.) Nur durch die Verbindung beider und durch
die Stiitzung auf die wechselseitigen Fahigkeiten kann der
Mann seine Gestalt wieder erneuern, und ebenso bei alien
folgenden Entstehungen.
4. (11331.) Weil sie um der Geschlechtslust willen sich
verbinden und sich dabei auf die wechselseitigen Fahigkeiten
stiitzen, wird in der Zeit der Empfangnis seine Gestalt neu
entwickelt; dieses als Beispiel will ich dir naher erklaren.
5. (11332.) Was nun die Eigenschaften des Vaters und die
der Mutter betrifft, so wissen wir, dafs Knochen, Sehnen und
Mark vom Vater,
6. (11333.) hingegen Haut, Fleisch und Blut von der
Mutter stammen; so wird dies, o Bester der Zwiegeborenen,
im Veda und im Lehrsystem erklart.
7. (11334.) Wenn aber einer einen Beweis in seinem Veda
findet und die Bestatigung desselben im Lehrsysteme, so ist
diese Ubereinstimmung von Veda und Lehrsystem ein fiir alle
Zeiten vollgiiltiger Beweis.
8. (11335.) Sofern auch sie nach ihren Fahigkeiten ent-
gegengesetzt und einander erganzend sind, so bleiben in der-
selben Weise fur alle Zeit mit einander verkniipft die Prakriti
und der Purusha.
9. (11336.) Und darum scheint mir, o Heiliger, dafs eine
Erlosung nicht moglich ist. Oder gibt es wohl noch irgend-
ein treffenderes Beispiel? (11337.) Dann telle es mir der Wahr-
heit gemafs mit, denn du bist dir iiber alles klar.
Adhyaya 307 (B. 305). 621
10. Denn audi wir sind erlosungsbediirftig und sehnen
uns nach dem Krankheitlosen, (ii338.) Korperlosen, Alterlosen,
Ewigen, Ubersinnlichen, Freien.
Vasishtha sprach:
11. (11339.) Was du als Beispiel aus dem Veda und dem
Lehrsysteme beigebracht hast, dementsprechend verhalt es
sich wirklich, und wie es ist, fassest du es richtig auf.
12. (11340.) Denn du besitzest die Lehre von beiden, vom
Veda und vom Lehrsystem, aber du verstehst nicht den Sinn
des Lehrbuches der Wahrheit gemafs, o Herr der Manner.
13. (11341.) Denn wem es beim Veda und beim Lehr-
system nur darum geht, den Wortlaut auswendig zu wissen,
ohne dafs er den Sinn der Worte kennt, fiir den hat auch
das Auswendigwissen keinen Wert.
14. (11342.) Der schleppt sich nur mit einer Last, wer
den Sinn des Buches nicht kennt. Wer aber den Sinn des
Lehrbuches kennt, fiir den ist die Lehre des Buches nicht
vergebens.
15. (11343.) Wenn jemand uns nach dem Sinne eines Lehr-
buches befragt, so mtissen wir ihn so darlegen konnen, dafs
der andere aus der Vernehmung des Inhaltes den Sinn
herausfindet.
16. (11344.) Wer so schwerfalhgen Geistes ist, dafs er den
Sinn einer Lehre nicht in Versammlungen darlegen kann, wie
kann ein so langsamer Geist iiberhaupt imstande sein, die
Lehre mit Klarheit auseinanderzusetzen?
17. (11345.) Ein so schwacher Geist wird auch zu einer
klaren Darlegung der Sache nicht imstande sein, weil er sich
zum Gegenstande des Gelachters macht, selbst wenn er des
Atman kundig ware.
18. (11346.) Darum vernimm, o Fiirst der Konige, wie
dieses der Wahrheit gemafs aufzufassen ist nach der An-
schauung der Sahkhya's und der hochsinnigen Yoga's.
19. (11347.) Dasselbe, was die Yoga's [intuitiv] schauen,
wird von den Saiikhya's [durch Reflexion] gewonnen. Das
Sahkhyam und der Yoga sind eines; weise ist, wer das
begreift.
622 ni. Mokshadharma.
20. (11348.) Haut, Fleisch, Blut, Fett, Galle, Mark und
Sehnen, sowie das System der Sinnesorgane, das hast du mir
gegeniiber als das Ich bezeichnet.
21. (11349.) Freilich, aus der Substanz entwickelt sich
Substanz, aus den Organen das Organ, aus dem Leibe der
Leib, aus dem Samen der Same;
22. (11350.) aber dem Organlosen, Samenlosen, Substanz-
losen und Korperlosen, wie konnen diesem grofsen Atman
Eigenschaften zugeschrieben werden, da er doch eigenschafts-
los ist!
23. (113.51.) Qualitaten entstehen immer nur in Qualitaten
und gehen wieder in sie zuriick ; in dieser Weise gehen alle
Qualitaten nur aus der Prakriti hervor und wieder in sie zuriick.
24. (11352.) Haut, Fleisch, Fett, Galle, Mark, Knochen und
Sehnen machen acht mit dem Samen und stammen alle aus
der Prakriti, das mufst du verstehen.
25. (11353.) Es gibt nur zweierlei: den Purusha und was
nicht Purusha ist. Alles, was aus den drei Merkmalen [Satt-
vam, Rajas, Tamas] besteht, wird als prakriti-artig bezeichnet.
Aber weder von dem Purusha noch von dem Nicht-Purusha
[der Prakriti] kann behauptet werden, dafs sie Merkmale
besafsen.
26. (11354.) Was nun die Prakriti betrifft, so wird sie,
well selbst merkmallos, erkannt aus den ihren Produlvten an-
haftenden Merkmalen, gerade so wie jederzeit aus den Blumen
und Friichten die selbst nicht sichtbaren Jahreszeiten.
27. (11355.) In derselben Weise wird das Merkmallose
durch Folgerung erkannt. Was hingegen den Fiinfundzwan-
zigsten betrifft, o Freund, der mit seinem Wesen in die Merk-
male verstrickt ist,
28. (11356.) so ist er in Wahrheit ohne Entstehung und
Vergang, unendlich, allschauend, frei von Leiden, und nur
infolge des Wahnes wird er fiir eine Qualitat wie andere
Qualitaten gehalten.
29. (11357.) Qualitaten kommen nur dem Qualitathaften
zu, wie soUte der Qualitatlose zu Qualitaten kommen ! Darum
sind davon [von der Qualitatlosigkeit des Purusha] iiberzeugt
die, welche das Wesen der Qualitaten verstehen.
Adhyaya 307 (B. 305). 623
30. (11358.) Wenn er [der Purusha] aber von diesen aus
der Prakriti stammenden Qualitaten sich loszulosen bemiiht,
dann wird er infolge der Befreiung von den Qualitaten jenen
Hochsten schauen,
31. (11359.) welcher das ist, was die Saiikhya's und Yoga's
allerorten fiir das iiber die Buddhi Erhabene erklaren, das
Hochweise, welches erkannt wird, wenn man das Unbewufste,
Nichterweckte von sich abtut.
32. (11360.) Als das Unerweckte erklaren sie die Prakriti,
als das Qualitatlose den Igvara, und diesen qualitatlosen
Igvara als den Ewigen und Obersten.
33. (11361.) Als den nach der Prakriti und ihren Quali-
taten Fiinfundzwanzigsten erkennen ihn die Weisen, des
Sahkhyam und Yoga Kundigen, nach dem Hochsten Strebenden.
34. (11362.) Wenn sie erweckt sind und, Lebenszustande
und Geburt scheuend, das Unentfaltete (die Prakriti) er-
kennen und durchschauen , dann weisen sie auf das Sich-
gleichbleibende [Brahman] hin.
35. (11363.) Diese Anschauung ist die richtige, unrichtig
und ein nicht passendes Gleichnis ist das deine, erstere ge-
hort den Erweckten, letzteres den Nichterweckten , beiden
voneinander gesondert, an, o Feindbezwinger.
36. (11364.) Meine Darlegung bezog sich auf das gegen-
seitige Verhaltnis zwischen Verganglichem und Unvergang-
lichem, die Einheit ist das Unvergangliche , die Vielheit das
Vergangliche.
37. (11365.) Wenn einer iiber die fiinfundzwanzig imKlaren
richtig denkend verfahrt, dann wird ihm die Einheit als rich-
tige Anschauung, die Vielheit als falsche Anschauung gelten.
38. (1136G.) Diese Anschauung unterscheidet zwischen dem
Realitathaften und dem Realitatlosen ; die ganze Schar der
Fiinfundzwanzig erklaren die Weisen fiir das Realitathafte ;
39. (113G7.) Die Anschauung des Realitatlosen erhebt sich
iiber alle fiinfundzwanzig, iiber die Schar der Geschopfe und
ihr Treiben, iiber das Realitathafte vom Realitathaften empor
zum Ewigen.
So lautet im Moksbadharma
die Unterredung zwischen Yasisbtha und Kar&lajanaka
(Vasishtha - Kardlajanaka - samvdda).
624 III. Mokshadharma.
Adhyaya 308 (B. 306).
Vers 113G8-11417 (B. 1-50).
Jauaka spracli:
1. (113G8.) Du hast, 0 Bester der Weisen, iiber die Viel-
heit und die Einheit gesprochen, aber ich sehe in dem Auf-
schlufs iiber diese beiden etwas, was mir zweifelhaft bleibt.
2. (11369.) Ferner auch verstehe ich — gewifs nur wegen
der Langsamkeit meines Geistes — nicht recht den "Wesens-
unterschied zwischen dem Nichterweckten , dem Erweckten
und dem Erwachenden.
3. (11370.) Was du sodann als den Grund fiir die Unver-
ganghchkeit und VergangHchkeit angefiihrt hast [namhch die
Einheit und Vielheit] , auch das ist mir wegen der Schwache
meiner Fassungskraft entfallen, o Untadliger.
4. (11371.) Das also mochte ich horen, die Darlegung der
Einheit und der Vielheit und den Wesensunterschied zwischen
dem Nichterweckten, dem Erweckten und dem Erwachenden,
5. (11372.) ferner den zwischen Wissen und Nichtwissen,
sowie zwischen dem Unverganglichen und Verganglichen,
0 Heiliger, endlich auch mochte ich in Vollstandigkeit von
dem Sahkhyam und dem Yoga erfahren, worin sie sich unter-
scheiden und worin nicht.
Vasishtha sprach:
6. (11373.) Wohlan, ich will dir erklaren, wonach du mich
fragst, aufserdem aber vernimm von mir die Praxis des Yoga,
o Grofskonig.
7. (11374.) Die hochste Kraft der Yoga's liegt in der zur
Yogapraxis gehorigen Meditation; diese Meditation erklaren
die Kenner der Wissenschaft fiir zweifach;
8. (11375.) sie besteht in der Konzentration des Manas
und in der Atemregulierung, letztere ist qualitathaft , erstere
qualitatlos [wohl nirgund zu lesen].
9. (11376.) Wahrend des Harnens und der Kotentleerung
und wahrend des Essens, o Mannerherr, in diesen drei Zeiten
Adhyaya 308 (B. 306), 625
soil man den Yoga unterlassen, in der iibrigen Zeit soil ihn
betreiben, wer ihn hochschatzt.
10. (11377.) Die Sinnesorgane mitsamt dem Manas von
den Sinnendingen abkehrend, soil der Reine den liber das
vierundzwanzigste Prinzip [die Prakriti] Erhabenen mit den
zehn oder zwolf
11. (11378.) Reizmitteln [sanicodand vgl. unten, Vers 11685),
soil er mit Besonnenheit seinen Atman antreiben, den feststelien-
den, alterlosen, wie dies von den Weisen vorgeschrieben wird.
12. (11379.) Denn flir sie ist der Atman allezeit erkenn-
bar, so ist es uns iiberliefert, denn das Yogagelubde ist nur
da fiir einen Menschen von ungeschwachtem Geiste, fiir keinen
andern, das steht fest.
13. (11380.) Von aller Weltanhanglichkeit losgelost, mafsig
in der Ernahrung und seine Sinne beherrschend, soil ein
solcher in der Zeit vor und nacli Mitternacht sein Manas in
sich selbst fesseln.
14. (11381.) Nachdem er die Schar der Sinnesorgane durch
das Manas und das Manas durch die Buddhi zum Stillstande
gebracht hat, 0 Fiirst von Mithila, soil er unbeweglich wie
ein Pels,
15. (11382.) unerschiitterlich wie ein Baumstamm, regungs-
los wie ein Berg verharren, dann nennen ihn die in ihrem
Geiste der Satzungsvorschrift Kundigen einen im Yoga Be-
griffenen.
16. (11383.) Dann hort er nicht, dann riecht er nicht, dann
schmeckt er nicht und sieht er nicht, dann fiihlt er keine
Beriihrung mehr und sein Manas stellt nicht mehr vor,
17. (11384.) dann begehrt er nicht nach irgend etwas und
denkt so wenig wie ein Stiick Holz, dann nennen ihn die
Weisen einen [mit seiner Korperlichkeit] in die Prakriti
Zuriickgekehrten, einen im Yoga Begriffenen.
18. (11385.) Wie eine an windstillem Orte brennende Lampe
leuchtet er dann ; frei von seinem Lingam [von Buddhi usw.]
und unbewegt strebt er nach oben und nicht nach der
Seite hin.
19. (11386.) Dann bekommt er den zu schauen, nach dessen
Anblick er als der im Herzen weilende, innere Atman be-
DEtJSSKN, Mahftbh&ratam. 40
626 in. Mokshadharma.
zeichnet wird; als Purusha ist er anzuerkennen, o Freund,
von denen, die wie ich denken.
20. (11387.) Wie ein rauchloses siebenflammiges Feuer,
wie die strahlenreiche Sonne, wie das Blitzfeuer im Luft-
raume, so wird ilim sein Atman in ihm selbst sichtbar.
21. (11388.) Hochsinnige, charaktervoUeWeisen, imSchofse
des Brahman ruhende Brahmanen schauen den Ursprung-
losen, Unsterblichen
22. (11389.) und bezeichnen ihn als feiner als das Feinste,
grofser als das Grofste; es ist jene unwandelbare , in alien
Wesen weilende, unsichtbare Wesenheit.
23. (11390.) Aus der Fiille der Buddhi mit der Fackel des
Manas wird er geschaut als der "Weltschopfer, wie er dasteht
jenseits der grofsen Finsternis, von Finsternis nicht um-
fangen.
24. (11391.) Er wird als der Finsternisverscheucher be-
zeichnet von den Allwissenden, die den Veda durchstudiert
haben, als der Fleckenlose, Finsternislose, Merkmallose , der
da der Merkmalfreie heifst.
25. (11392.) Das ist der Yoga der Yogabeflissenen, welch
anderes Merkzeichen des Yoga liefse sich geben! So ge-
schieht es, dafs sie den Schauenden schauen, den alterlosen,
hochsten Atman.
26. (11393.) Damit habe ich dir das Yogasystem der Wahr-
heit gemafs dargelegt, nun will ich dir das SaSikhyawissen
mitteilen, das System der vollstandigen Aufzahlungen.
27. (11394.) Als das Unentfaltete bezeichnen die oberste
Prakriti die, welche die Prakriti verstehen. Aus diesem ist
als zweites das grofse Prinzip (Mahat) hervorgegangen , o
Bester der Konige,
28. (11395.) aus dem grofsen Prinzip als drittes der Ahaii-
kara, wie wir aus der Schrift wissen, aus dem Ahankara die
fiinf Elemente, wie die des Sahkhyam kundigen Meister lehren.
29. (11396.) Dieses sind die acht schopferischen Prinzipien
(prakritayahj und zu ihnen kommen sechzehn, welche blofs
Umwandlungen sind, namlich die fiinf [aus den Elementen
stammenden] Vigcsha's fspezifische Qualitaten) sowie die fiinf
Sinne [nebst den fiinf Tatorganen und Manas].
Adhyaya 308 (B. 306). 627
30. (11397.) Soviele Prinzipien umfafst das Sankhyam, wie
die Weisen sagen, sie, welche der Satzung und Anordnung
im Sankhyam kundig sind und immerfort an dem Wege der
Sankhyalehre sich erfreuen.
31. (11393.) Woraus etwas entsteht, darin wird es auch
wieder zunichte; [die genannten Prinzipien] werden zunichte
[liyante mit C.) in umgekehrter Folge als die, in der sie
durcli den innern Atman geschaffen werden.
32. (113'j'j.) Fort und fort entstehen in der naturlichen
Folge und vergelien in der umgekehrten Folge die Guna's
[hier: Prinzipien] in den Guna's wie die Wellen des Ozeans.
33. (11400.) So ist es mit der Schopfung aus der Prakriti
und dem Vergang in sie bestellt, o Bester der Konige: zur
Einheit wird diese Welt beim Vergang, zur Vielheit, wenn
die Prakriti sie aus sich entlafst.
34. (11401.) So ist es zu erkennen, o Fiirst der Konige,
von den der Lehre Kundigen : [man mufs unterscheiden] den
Vorsteher und das Unentfaltete, dafiir liegt in dem Gesagten
der Beweis.
35. (11402.) Jener, der aller Zwecke kundig ist, [schafft]
die Einheit und die Vielheit der Prakriti, die Einheit, wenn
die Welt vergeht, die Vielheit, wenn er sie aus ihr entwickelt.
36. (11403.) Viele Male befruchtet der Atman die zum Ge-
baren bestimmte Prakriti, und ihr als dem Ackerfelde (lislic-
tramj steht der Mahan Atma als der fiinfundzwanzigste vor.
37. (11404.) Als Vorsteher, o Fiirst der Konige, wird er
bezeichnet von den Besten der Selbstbezwinger ; weil er
den Verkorperungen (kshetramj vorsteht, heifst er der Vor-
steher, so lehrt die Schrift.
38. (11405.) Als Kshetram (Ort) kennt er das Unentfaltete,
darum heifst er Kshetrajna (der Ortskenner) ; in das aus dem
Unentfalteten Stammende geht er ein und wird dann als
Purusha bezeichnet.
39. (11406.) Ein anderes ist das Kshetram, ein anderer der
Kshetrajna; als Kshetram bfezeichnen sie das Unentfaltete,
als den, der es erkennt, den Fiinfundzwanzigsten.
40. (11407.) Ein anderes ist das Objekt, ein anderes das
Subjekt der Erkenntnis; Erkenntnisobjekt fjndnam!) ist die
40*
628 in. Mokshadharma.
Prakriti, Erkenntnissubjekt fjneya!!J ist der Fiinfundzwan-
zigste.
41. (11403.) Als unentfaltet gilt das Kshetram, ebenso das
Sattvam, ebenso der Igvara; eine iQvaralose und wesenlose
Wesenheit ist jenes Fiinfundzwanzigste.
42. (11409.) Soweit erstreckt sich das Saiikhyawissen, das
System der vollstandigen Aufzahlungen, wie es die Sankhya's
aufstellen und dabei die Prakriti proklamieren.
43. (11410.) Und nachdem die Sankhya's die vierundzwanzig
Wesenheiten nach ihrem Wesen aufgezahlt haben, zu welchen
audi die Prakriti gehort, gilt ihnen als nicht wesenhaft der
Fiinfundzwanzigste.
44. (11411.) Der Fiinfundzwanzigste, prakritifreien Wesens,
ist derjenige, welcher erweckt wird, und wenn er sich selbst
erweckt, so wird er absolut und erlost.
45. (11412.) Damit habe ich dir die vollkommene Erkennt-
nis der Wahrheit gemafs dargelegt ; wer sie in dieser Weise
erkennt, der geht zur Gleichheit [mit dem Hochsten] ein.
46. (11413.) Damit liegt die vollkommene Darlegung vor
Augen in betreff der Prakriti, ihrer Guna's, Prinzipien usw.,
und zwar liegt dies alles so vor Augen fiir die, die von den
Guna's frei geworden sind.
47. (11414.) Wer ein solcher ist, fiir den gibt es keine
Wiederkehr mehr, fiir ihn, der unverganglich geworden ist,
gibt es nur noch das Uniiberbietbare, Hochste, Ewige.
48. (11415.) Die Anderen schauen mit einem auf die Viel-
heit gerichteten Geiste, bei ihnen ist die vollkommene Er-
kenntnis nicht zu fmden, sie verfallen immer wieder und
wieder dem Entfaltetwerden, o Feindbezwinger.
49. (11416.) Weil sie zwar alles dieses hier kennen, aber
nicht das All kennen, werden sie dem Entfaltetwerden anheim
fallen und in der Knechtschaft des Entfalteten verharren.
50. (11417.) Alles hier wird von der Prakriti befafst, alles
das nicht ist der Fiinfundzwanzigste; die, welclie ihn er-
kennen, haben keine Furcht mdhr.
So lautet ini Mokshatlharma
die TJnterredung zwiscben Vasisbtba und Kai'&lajanaka
( Vasishtha - Kardiajanaka - smnedda) ,
Adhyaya 309 (B. 307). 629
AdhjAya 309 (B. 307).
Vers 11418-11465 (B. 1-48).
Vasishtha spracli:
1. (11418.) Damit habe icli dir das Saiikhyasystem dar-
gelegt, o Bester der Fiirsten, nun lerne von mir das Wissen
und das Nichtwissen, eines nach dem andern, kennen.
2. (11419.) Nichtwissen nennen sie die alles Entstehen und
Vergehen umfassende Prakriti, das Wissen als von allem Ent-
stehen und Vergehen frei, — das ist der Fiinfundzwanzigste.
3. (11420.) Das Wissen in seiner Stufenfolge verniram in
richtiger Ordnung, wie es als die Einzeldarlegung der Saiikhya-
lehre von den Rishi's iiberkommen ist, o Freund.
4. (U421.) Auf alle Tatorgane sich beziehend ist das
Wissen von den Erkenntnisorganen, auf die Erkenntnisorgane
sich beziehend ist das Wissen von den Vigesha's (spezifischen
QuaHtaten),
5. (11422.) das auf diese Vigesha's sich beziehende Wissen
ist das Manas, wie die Weisen sagen, das Wissensgebiet des
Manas sind die fiinf Elemente.
6. (11423.) Das Wissen von den fiinf Elementen ist der
Ahaiikara, das steht fest. Das Wissen vom Ahaiikara ist die
Buddhi, o Mannerherr.
7. (11424.) Das Wissen von den Prinzipien ist die Ober-
herrin Prakriti als das Unentfaltete, das Wissen mufs man
erkennen, o Bester der Manner, und das ist das hochste Gebot.
8. (11425.) Als das Wissen von der Prakriti verkiinden
sie den Hochsten, den Fiinfundzwanzigsten , auf alles Wifs-
bare bezieht sich das Allwissen, o Fiirst.
9. (11426.) Erkenntnisobjekt fjndnam!) ist die Prakriti,
Erkenntnissubjekt (jneyallj ist der Fiinfundzwanzigste [vgl.
oben. Vers 11407], somit ist das Erkenntnisobjekt die Prakriti,
und der Erkenner fvijndtdj ist der Fiinfundzwanzigste.
10. (11427.) Damit habe ich dir im einzelnen das Wissen
nach seinem Sinn und Wesen mitgeteilt; lafs dich nunmehr
von mir belehren iiber das Unvergangliche und das Vergang-
liche, welche du erwahntest.
630 III. Mokshadharma.
11. (11428.) Beide werden als unverganglich bezeichnet,
und beide auch wiederum als nicht unverganglich; die Ur-
sache davon will ich dir der Wahrheit gemafs auf Grund der
Erkenntnis erklaren :
12. (11429.) Beide sind anzusehen als anfanglos und end-
los, beide als Igvara's (Gottherren) ; als Prinzipien werden
beide bezeichnet von denen, welche der Erkenntnis hin-
gegeben sind.
13. (11430.) Weil sie alles Entstehen und Vergehen in sich
befafst, heifst die Prakriti unverganglich; um die Evolutionen
fgunaj hervorzubringen , wandelt sie sich immer wieder
aufs neue.
14. (11431.) Die Evolutionen, der Mahan und die folgen-
den, entstehen die eine aus der andern; andererseits be-
zeichnet man auch jenes Fiinfundzwanzigste, sofern es [dem
Kshetram] vorsteht, gleichfalls als Kshetram [und mithin als
verganglich].
15. (11432.) Wenn namlich einer das Netz der Evolutionen
in dem unentfalteten Selbste (der Prakriti) zusammenfafst,
dann wird zugleich mit den Evolutionen auch der Fiinfund-
zwanzigste latent fpraliyatej.
16. (11433.) Die Evolutionen gehen in die Evolutionen
zuriick, und schliefslich bleibt die Prakriti als einziges, und
wenn dann auch der Kshetrajna, o Freund, in dem Kshetram
latent wird,
17. (11434.) dann gelangt die Prakriti zu ihrer Unver-
ganglichkeit, indem sie sich nicht mehr mit Evolutionen be-
fafst; zu ihrer Evolutionslosigkeit gelangt sie, o Fiirst der
Videha's, indem sie sich nicht mehr in Evolutionen ergeht.
18. (11435.) Ebenso steht es mit dem KshetrajBa (dem
Ortskenner), da ihm die Moglichkeit, einen Ort fJcshetramJ
zu erkennen, benommen ist. Aber von Natur ist er gunalos,
so haben wir es aus der Schrift gelernt.
19. (11436.) Und wenn er verganglich [d. h. individuell]
wird, dann vermag er die Prakriti als das allein Gunahafte
und sich selbst als gunalos zu erkennen.
20. (11437.) Dann wird er zu einem Reinen, weil er sich
von der Prakriti lossagt, wenn er als ein Erweckter zu dem
Adhyaya 309 (B. 307). 631
Bewufstsein gelangt: „ein anderer bin ich und eine andere
ist sie."
21. (11438.) Dann gelangt er zu seiner wahren Wesenheit
und geht keine Mischung mehr ein, denn im andern Falle
zeigt er sich als vermischt mit der Prakriti, o Fiirst der Konige.
22. (11439.) Wenn er aber das ganze aus der Prakriti
stammende Netz der Guna's verabscheut und den hochsten
Schauenden [den Atman] schaut, dann wird er nicht satt des
Schauens.
23. (11440.) Was habe ich bisher gemacht, [so denkt er]
der ich diese Zeit hindurch in einer Personhchkeit wie ein
Fisch im Netze aus Unwissenheit hienieden gefangen war.
24. (11441.) Aus Betorung nur habe ich mich aus einer
Personhchkeit in die andere verstrickt, wie ein Fisch, der
[das Netz] fiir freies Wasser halt.
25. (11442.) Wie ein Fisch aus Unwissenheit die Ver-
schiedenheit [des Netzes] vom Wasser nicht merkt, so er-
kannte ich aus Unwissenheit mich selbst nicht als ein Anders-
sein [als vom Korper verschieden].
26. (11443.) Wehe mir Unerwecktem, der ich mich aus
einer Personhchkeit in eine andere, wiederum [im Saiisara]
versunkene Personhchkeit gestiirzt habe.
27. (11444.) Dieser [Atman] hier ist mein wahrer Ver-
wandter, nur mit ihm zu sein ist mir moglich, zur Gleich-
heit und Einheit mit ihm gelangt, bin ich erst wirklich, der
ich bin.
28. (11445.) Ich sehe schon hienieden die Gleichheit, ich
bin seines Wesens, er ist fleckenlos, und es ist offenbar,
dafs ich eben ein solcher bin.
29. (11446.) Nur aus der Verblendung des Nichtwissens
habe ich mich in die unbewufste, anhangbehaftete [Prakriti]
verstrickt, aber nunmehr stehe ich da als ein Anhangloser.
30. (11447.) Durch sie wurde ich Unwissender jene Zeit
hindurch geknechtet, wie mag ich bei ihr, der Gebieterin
iiber Hohes, Mittleres und Niederes, weilen!
31. (11448.) Wie mag ich aus unerweckter Sinnesart mit
ihr, der Gemeinen, ein Zusammenleben hier pflegen! Jetzt
bin ich fest in dem, was ich bin.
632 HI. Mokshadharma.
32. (11449.) Ich will nicht mehr mit ihr zusammenwohnen,
wenn ich auch eine Zeitlang in dieser Weise als Tor mich
von ihr habe betoren lassen, ich, der Unwandelbare, von ihr,
der Wandelhaften.
33. (11450.) Und doch war es nicht ihre Schuld, auf meiner
Seite liegt die Schuld, der ich an ihr hing und unbedachter-
weise ihr nahte.
34. (11451.) Infolgedessen weilte ich, der Gestaltlose, in
vielen Gestalten und gestaltet habe ich, der Gestaltlose, mich
durch Egoismus blofsgestellt.
35. (11452.) Durch den aus der Prakriti stammenden Egois-
mus in diese und jene Mutterschofse eingehend, was hatte
ich, der Ichlose, mit der Ichheit in ihnen alien zu schaffen,
36. (11453.) dafs ich in diesen Mutterschofsen verlorenen
Bewufstseins weilte? Ich habe nichts mehr zu schaffen mit
ihr, die den Ahahkara (Egoismus) zu ihrem Wesen hat
37. (11454.) und die, sich selbst vervielheitlichend , auch
mich abermals zu unterjochen strebt; nunmehr bin ich er-
weckt, frei von Selbstsucht, frei von Ichbewufstsein.
38. (11455.) Das Ichbewufstsein, welches durch sie von
jeher mit dem Egoismus fahankdraj durchdrungen worden
ist, habe ich aufgegeben, habe sie hinter mir gelassen und
nehme meine Zuflucht zu dem Krankheitlosen.
39. (11456.) Zur Identitat mit ihm werde ich gelangen,
nicht mit ihr, der Geistlosen; friedliches Wohnen bei ihm
werde mir zuteil, nicht Vereinigung mit ihr.
40. (11457.) So geschieht es, dafs der Fiinfundzwanzigste,
durch Innewerdung des Hochsten zur Erweckung gelangt,
das Vergangliche aufgibt und sich des Unverganglichen,
Krankheitlosen bemachtigt.
41. (11458.) Wer erkennt, wie das Unentfaltete zum Ent-
falteten und das Gunalose zum Gunahaften wird, und wer
dabei das Gunalose als das Hohere erkennt, der wird zu ihm,
o Fiirst von Mithila.
42. (11459.) Damit habe ich dir die auf Wissen gegriindete
Darlegung des Unverganglichen und des Verganglichen ge-
geben auf Grund der im Veda iiberlieferten Darlegung.
43. (114G0.) Nunmehr will ich dir darlegen, wie es mit dem
Adhyaya 309 (B. 307). 633
Zweifelfreien , schwer Erkennbaren, Erwachten, Fleckenlosen
bewandt ist, vernimm auch dies dem Vedaworte gemafs.
44. (11461.) Ich habe dir vom Sankhyam und Yoga ge-
sprochen und sie als zwei verschiedene Lehren hingestellt,
aber was ich als Sankhyalehre mitteilte, ebendasselbe ist das
Yogasystem.
45. (11462.) Als die Erweckung vollbringend wurde die
Erkenntnis der Sankhya's, o Erdeherr, hier deutlich mitgeteilt
zum Besten der Lernenden.
46. (11463.) Und gewaltig ist diese Lehre, wie die Weisen
anerkennen; aber auch fiir dieses System der Yoga's sind
im Veda die Vorganger [Plural mit C] zu finden.
47. (11464.) Ja, keine hohere Wesenheit gibt es als den
Fiinfundzwanzigsten , o Mannerherr, und dieser wird als die
hochste Wesenheit der Wahrheit gemafs von den Saiikhya's
dargestellt,
48. (11465.) als der aus der Nichterwecktheit Erwachende
und in Wahrheit Erwachte; und ebendiesen Erwachenden
und Erweckten verkiinden sie als den Lehrinhalt des Yoga.
So lautet im Moksliadharma
die Unterredung zwischen Vasishtha und Karaiajanaka
C Vasishtha - Kardlajanaka - sainvdda).
Adhyaya 310 (B. 308).
Vers 11466-11517 (B. 1-51).
Vasishtha sprach :
1. (11466.) Vernimm nunmehr die Lehre von dem Erweck-
ten und dem Unerweckten, sowie die Lehre von den Guna's.
Indem Er sich selbst vielfach macht, bringt er alle diese
[Gestalten] zur Erscheinung,-
2. (11467.) und indem er sich in dieser Weise umwandelt,
ist der des Erwachens Fahige nicht wach; er tragt die Evo-
lutionen, schafft sie und zieht sie wieder ein.
3. (11468.) So wandelt er sich ohne Unterlafs spielens-
halber, o Mannerherr ; sofern er aber das Unentfaltete erkennt,
nennen sie ihn den Erkennenden (Erwachenden).
634 III. Mokshadharma.
4. (11469.) Nicht aber kann das Unentfaltete (die Prakriti)
das Gunahafte oder das Gunalose erkennen, darum nennt
man dieses Unentfaltete zuweilen auch mit Recht das Un-
erweckbare.
5. (11470.) Obgleich aber jenes fiinfundzwanzigste Prinzip
das Unentfaltete erkennt, so ist er, obgleich erkennend,
doch mit Weltanhanglichkeit behaftet, so lehrt die Schrift;
(11471.) durch ihn ist sie (die Prakriti, das Unentfaltete) noch
nicht [vollstandig] erkannt worden, so sagen sie im Hinblick
auf das Unentfaltete, Unerschiitterliche.
6. Weil er das Unentfaltete erkennt, nennt man ihn aller-
dings den Erkennenden, (11472.) ihn, den Fiinfundzwanzigsten,
den Mahan Atma, und doch ist er nicht wahrhaft erkennend
(erwacht).
7. Nur das Sechsundzwanzigste (vgl. Mandukya-
Karika 2,26; Sechzig Upanishad's, S. 586), das fleckenlose,
ervveckte, unermefsliche , ewige, (11473.) erkennt fiir und fiir
das fiinfundzwanzigste und das vierundzwanzigste Prinzip.
8. Dabei geschieht es, o Glanzreicher, dafs er das seiner
Natur nach im Sichtbaren und Unsichtbaren sich ergehende
(11474.) Unentfaltete erkennt, er, der das absolute Brahman
ist, 0 Freund.
9. Weder den Absoluten noch den Fiinfundzwanzigsten
schaut das Vierundzwanzigste. (11475.) Aber wenn er [der
Fiinfundzwanzigste], erwachend, von sich selbst weifs: „ich
bin ein anderer",
10. dann wird er von der Prakriti frei und durchschaut
das Unentfaltete. (11 476.) Und wenn er zu dieser hochsten,
fleckenlosen, reinen Erkenntnis erwacht ist,
11. dann gelangt er so, o Konigstiger, als Sechsund-
zwanzigster zur Erwecktheit. (11477.) Dann lafst er das Un-
entfaltete fahren, welches sich in Schopfung und Vergang
bewegt.
12. Als Gunaloser erkennt er die Prakriti als gunahaft
und ungeistig (11478.) und wird zum Absoluten, weil er das
Unentfaltete durchschaut hat.
13. Mit dem Absoluten eins geworden und erlost, gelangt
er zu seinem wahren Selbste. (11479.) Das ist die Wesenheit,
Adhyaya 310 (B. 308). 635
welche man als das Wesenlose, Alterlose, Unsterbliche be-
zeichnet.
14. Weil dieses zu seiner wahren Wesenheit gelangt ist,
heifst es wesenhaft und auch nicht wesenhaft, o Ehrenspender,
(11480.) denn der Wesenheiten zahlen die Weisen nur fiinf-
undzwanzig.
15. Er aber ist in Wahrheit nicht wesenhaft, sondern als
Erweckter ist er wesenlos; (ii48i.) als solcher streift er alsbald
die Wesenheit ab, das ist das Kennzeichen der Erwecktheit.
16. „Ich bin der Sechsundzwanzigste", durch diese Er-
kenntnis wird er, der Weise, Alterlose, Unsterbliche, ergriffen,
(11482.) und durch die blofse Kraft [dieser Erkenntnis] gelangt
er zur Identitat mit ihm, das ist gewifs.
17. Ist er aber durch den wachen Sechsundzwanzigsten
erweckt worden, so ist er weiter erkenntnislos, (11483.) denn
dieses [Gegeniiberstehen . von Subjekt und Objekt beim Er-
kennen] wird noch fiir eine Vielheit erklart nach Anschauung
der Sahkhya's und der Schrift.
18. Denn fiir den Fiinfundzwanzigsten, welcher mit dem
rein Geistigen zur Einheit zusammenfliefst , (ii484.) besteht
diese Einheit erst dann, wenn er nicht mehr durch die Buddhi
erkennt.
19. Und ist er erweckt worden (lies: hudhyamdnah), so
gelangt er zur Identitat mit jenem Wachen, o Fiirst von
Mithila; (ii485.) er, der mit Weltanhanglichkeit behaftet war,
wird zu einem von Weltanhanglichkeit Freien, o Mannerherr.
20. Und nachdem er den von Weltanhanglichkeit Freien
erlangt hat, den Sechsundzwanzigsten, Ewigen, Allgegen-
wartigen, (ii486.) lafst er, selbst allgegenwartig, die Prakriti
fahren, indem er erkennt, dafs all dieses
21. Vierundzwanzigfache wertlos ist, wenn man zum
Sechsundzwanzigsten erwacht ist. (ii487.) Damit ist dir, o Un-
tadliger, von mir der Unerweckte und der Erwachende
22. sowie auch der Erweckte der Wahrheit gemafs
und der Schriftanschauung entsprechend dargelegt worden ;
(11488.) soviel von der Vielheit und von der Einheit gemafs
der Anschauung des Lehrsystems.
23. Wie die der Fliege und des Feigenblattes, so ist die
636 in. Mokshadharma.
Verschiedenheit jener beiden; (ii489.) wie die des Fisches und
des Wassers, so ist ihre Verschiedenheit anzusehen.
24. In dieser Weise ist die Verschiedenheit und die Ein-
heit beider [des Purusha und der Prakriti] zu erkennen,
(11490.) und das heifst ihre Erlosung und wird bewirkt durch
das Erkanntwerden der Prakriti.
25. Unter dieser Schar der fiinfundzwanzig, welche in
den Korpern weilt, (ii49i.j ist er loszulosen aus dem Bereiche
der Prakriti, so wird es gelehrt.
26. Darin besteht seine Erlosung und in nichts anderm,
das ist gewifs, (11492.) verschieden ist er und von verschiedener
Beschaffenheit, obgleich er sich [mit der Prakriti] verbunden hat.
27. Rein wird er durch das Reine, erweckt durch das
Erweckte, (11493.) erlost durch das Erloste, mit. welchem er
eins wird, o Mannerstier.
28. Dann ist er befreit von dem trennenden Prinzip,
(11494.) und indem er eins wird mit dem erlosenden Prinzip,
kommt die Erlosung hienieden zustande.
29. Reines wirkend und rein wird er, unermefsliches
Licht ausstrahlend , (11495.) fleckenlos wird er, nachdem er
mit dem ewig Fleckenlosen eins geworden ist.
30. Mit dem Absoluten vereinigt, wird er selbst absolut;
(11496.) durch das Freie befreit, erlangt er die Freiheit.
31. (11497.) Soweit habe ich dir diese Wahrheit ent-
hiillt, o grofser Konig, nach Sinn und Wesen; wer die
Selbstlosigkeit als Ziel sich setzt, der wird zu dem ewigen,
reinen, uranfanglichen Brahman.
32. (11498.) 0 Konig, dieses Hochste darfst du nie-
mandem mitteilen, der nicht im Veda feststeht (lies:
fidvedamshthasya); diese erweckungwirkende , fiir den
Erkenntnisdurstigen und Geneigten bestimmte Lehre darf
einem Neuerungssiichtigen
33. (11499.) nicht mitgeteilt werden und ebensowenig
einem Unwahren, Falschen, Unmannlichen, Hinterlistigen
Oder einem, der mit seinem gelehrten Wissen andere
qualt. Wem es aber mitzuteilen ist, das vernimm:
34. (11500.) Wer reich an Glauben, reich an Tugend
ist, niemals seine Freude daran hat, andere zu tadeln,
Adhyaya 310 (B. 308). G37
wer reine Hingebung iibt, stets besonnen, tatig, geduldig
und wohlwollend ist,
35. (11501.) von edlem Charakter, das Gesetz liebend,
der Nachrede sich enthaltend, wohlbewandert in der
Schrift und der Erkenntnis zugetan, wer nichts Boses
sehen kann, sondern der Bezahmung und der Ruhe
machtig ist, dem darf es mitgeteilt werden.
36. (11502.) Wenn aber einer dieser Tugenden ganz
und gar ermangelt, so darf dieses hochste, reine Brah-
man ihm nicht mitgeteilt werden; nicht zum Heile wird
dem Pflichtlehrer gereichen, was er an einem solchen
tut, weil er es einem Unwiirdigen mitgeteilt hat.
37. (11503.) Einem solchen Geliibdelosen darf es nicht
mitgeteilt werden, und bote er auch dafiir diese Erde
mit alien ihren Schatzen, aber wenn einer bezahmte Sinne
hat, so darfst du ihm ohne Bedenken dieses Hochste mit-
teilen, o Mannerfiirst.
38. (11504.) 0 Karala, keine Furcht moge dich mehr
anwandeln, nachdem du heute dieses hochste Brahman
vernommen hast, welches, richtig mitgeteilt, die hochste
Lauterung bewirkt, als das Kummerlose, ohne Anfang,
Mitte und Ende Seiende,
39. (11505.) das seinem Ursprung nach Unerforschliche,
Unsterbliche , o Konig, das Krankheitlose , Furchtlose,
Selige. Durchschaue die Verblendung und gib nunmehr
alles (sarvam mit C.) auf, nachdem du dieses als Wesen
und Inhalt des Wissens erkannt hast.
40. (11506.) Diese ewige Lehre habe ich erhalten von
Hiranyagarbha [dem Tiapila rishi, Qvet. Up. 5,2; vgl.
Sechzig Upanishad's, S. 304], der sie mir verkiindigte,
o Fiirst, nachdem ich ihn, den gewaltig Geistigen, der
das ewige Brahman ist, mit Fleifs gnadig gestimmt hatte,
gerade so wie ich heute von dir [gnadig gestimmt wurde].
41. (11507.) Und so wie ich von dir befragt worden
bin, o Fiirst der Manner, und dir dieses heute mitgeteilt
habe, so habe ich von Gott Brahman [d. i. Hiranyagarbha]
das grofse Wissen erlangt, o Mannerfiirst, welches das
hochste Ziel der Erlosungskundigen bildet.
638 ni. Mokshadharma.
Bhishma spracli:
42. (11508.) Damit ist dir das hochste Brahman verkiindigt
worden, von welchem es keine Wiederkehr gibt, der Fiinf-
undzwanzigste, o grofser Konig, gemafs der Belehrung durch
den hochsten Weisen.
43. (11509.) Jedoch wieder zuriickkehren mufs einer aiicli
nach Erlangung der hochsten Erkenntnis, wenn er nicht als
ein Erweckter zum Alterlosen, Unsterblichen erwacht ist.
44. (11510.) Dieses Sehgkeit bewirkende, hochste Wissen
ist dir der Wahrheit gemafs von mir mitgeteilt worden,
o Freund, nachdem ich es von dem Gotterweisen iiberkommen
habe, o Fiirst.
45. (11511.) Von Hiranyagarbha empfing es der hochsinnige
Weise Vasishtha, und von Vasishtha, dem Tiger der Weisen,
hat es Narada erlangt.
46. (11512.) Von Narada habe ich dieses ewige Brahman
empfangen; trauere nicht mehr, o Fiirst der Kuru's, nachdem
du jene hochste Statte kennen gelernt hast.
47. (11513.) Wer das Verganghche und das Unvergang-
Hche gefunden hat, fiir den besteht keine Furcht mehr,
o Erdeherr, wohl aber besteht Furcht fiir den, der es nicht
kennt, o Fiirst.
48. (11514.) Durch Nichtwissen geistig umnachtet, ver-
strickt er sich immer wieder und wieder und gelangt auch
nach seinem Tode zu tausend Neugeburten, die einen Tod
zur Folge haben.
49. (11515.) Die Gotterwelt oder ein tierisches oder ein
menschhches Dasein erlangt er, bis dafs er im Laufe der
Zeiten sich von diesem Ozean des Nichtwissens rein macht.
50. (11516.) Denn ein furchtbarer, dunkler, unergriindhcher
Ozean des Nichtwissens ist es, in welchem Tag fiir Tag die
Wesen versinken, o Bharata.
51. (11517.) Du aber, weil du aus diesem unergriindlichen,
dunklen, ewigen Ozean herausgestiegen bist, darum bist du
befreit vom Rajas und auch vom Tamas frei, o Erdeherr.
So lautet im Mokshadharma
die Unterredung zwischen Vasishtha und Kar^lajanaka
(Vasishtha -Kardlajanaka - saiiivdda).
Adhyaya 311 (B. 309). 639
AdhyAya 311 (B. 309).
Vers 11518-11512 (B. 1-25).
Bbishma spracli:
1. (11518.) Ein Solm des Janaka ging in menschenleerer
Gegend auf die Jagd ; da sah er im Walde einen Brahmanen-
fiirsten, einen Weisen aus dem Geschlechte des Bhrigu.
2. (11519.) Dem dasitzenden Muni nahte er, verehrungs-
voll sein Haupt neigend, und nachdem er seine Einwilligung
eriangt hatte, befragte ihn der schatzereiche Fiirst folgender-
mafsen :
3. (11520.) 0 Heiliger, was ist wohl das Heilsamste nach
dem Tode oder schon hienieden fiir den Menschen, der in
dem unbestandigen Leibe der Herrschaft der Begierde unter-
worfen ist?
4. (11521.) Nachdem der Hochsinnige, Askesereiche so
unter Ehrenerweisungen befragt worden war, sprach er zu
ihm das folgende heilbringende Wort.
Der Rishi sprach:
5. (11522.) Du wiinschest zu wissen, was hier und im
Jenseits dem Geiste erfreulich ist, so lasse doch ab von dem,
was den Wesen unerfreulich ist, und bezahme deine Sinne.
6. (11523.) Das Gute ist das Heilsame fur edle Menschen,
das Gute ist der Hort der Edlen, aus dem Guten sind die
drei Welten mit Beweglichem und Unbeweglichem hervor-
gegangen.
7. (11524.) 0 du Genufssiichtiger ! warum strebst du nicht
danach, zur Begierdelosigkeit zu gelangen? Den Honig am
Abgrunde siehst du Tor, aber den Abgrund siehst du nicht.
8. (11525.) Wie das Wissen sammeln mufs, wer seine
Frucht begehrt, so mufs das Gute sammeln, wer seine Frucht
begehrt.
9. (11526.) Fiir einen Nichtguten ist, auch wenn er nach
dem Guten verlangt, ein reines Werk schwer zu vollbringen,
aber fiir einen Guten, wenn er nach dem Guten verlangt, ist
auch dieses Schwere leicht zu vollbringen.
640 in. Moksbadharma.
10. (11527.) Wer am Dorfleben seine Lust hat, der bleibt
ein Freund des Dorflebens, audi wenn er im Walde wohnt,
und wer am Waldleben seine Lust hat, der bleibt ein Freund
des Waldlebens, auch wenn er im Dorfe wohnt.
IL (11528.) An das Gute in Gedanken, Worten undWerken
fasse Glauben und gib dich ihm hin, indem du dir bei allem
Tun und Lassen die Tugend und die Untugend vor Augen
stellst.
12. (11529.) Allezeit soil man den Guten reichlich und ohne
Murren spenden, was sie erbitten, indem man nach Zeit und
Ort richtig verfahrt, treu seinem Geliibde und rein.
13. (11530.) Was man auf gerechte Weise erworben hat,
soil man dem Wiirdigen zukommen lassen, man soil es geben
ohne Zorn, Reue und Riihmen.
14. (11531.) Wohlwollend, lauter, bezahmt, Wahrheit redend,
in Rechtschaifenheit beharrend und durch Geburt und Werke
rein, als soldier ist der vedakundige Zwiegeborene ein
Wiirdiger.
15. (11532.) Eine in ritueller Weise geheiratete alleinige
Gattin wird fiir die Geburt als Ursprung hienieden verlangt;
wer als solcher Rig-, Yajur- und Samaveda studiert hat und
kundig die sechs Werke [Lernen und Lehren, Opfern fiir sich
und andere, Geben und Nehmen] betreibt, der ist ein W^iirdiger.
16. (11533.) Damit ist gesagt, was Pflicht und Nidit-Pflidit
jedem einzelnen gegeniiber ist hinsichtlich der Wiirdigkeit,
des Werkes, des Ortes und der Zeit.
17. (11534.) Wie man leicht wie im Spiel einen kleinen
Staubflecken von seinem Korper wegwischt, einen grofsen
aber nur mit Miihe, so ist es auch mit der Reinigung vom
Bosen.
18. (11535.) Wie erst nach innerer Reinigung die getrunkene
Schmelzbutter recht heilbringend ist, so bringt audi nur dem,
der sich vom Bosen gereinigt hat, die Pflichterfiillung nach
dem Tode Gliickseligkeit.
19. (11536.) Auf Gesinnung beruhend ist bei alien Wesen
das Gute wie das Bose, dem Bosen allezeit abgewandt, soil
man sich dem Guten zuwenden.
20. (11537.) Alles, iiberall und an jedem soil man ehren,
Adhyaya 311 (B. 309). C41
wenn es geschielit in Erfiillung der ihm zukommenden Pflicht,
und audi wo die Leidenschaft dich fortreifst, moge wider
Willen fakdmam) pflichtmafsig gehandelt werden.
21. (11538.) 0 Unbestiindiger, erhebe dich zur Bestandig-
keit; o Tor, lafs ab von deiner Torheit, du, der du friedlos
bist, gelange zum Frieden, der du unweise bist, handle als
Weiser !
22. (11539.) Das Mittel dazu lafst sich durch Energie als
Bundesgenossin erlangen ; das Heil hienieden und im Jenseits
hat als Wurzel die hochste Bestandigkeit.
23. (11540.) \yegen Unbestandigkeit [d. h. Mangel an Selbst-
beherrschung, vgl. Mahabh. I, Adhy. 96] ist der Konigsweise
Mahabhisha aus dem Himmel gestiirzt worden, wahrend Yayati,
obgleich seine guten Werke verbraucht waren, durch Be-
standigkeit den Himmel erlangte [vgl. Mahabh. V, Adhy. 122
(B. 123)].
24. (11B41.) Durch Umgang mit Asketen, Pflichttreuen und
Weisen wirst du grofse Einsicht erlangen und des Heiles
teilhaftig werden.
Bhishma sprach:
25. (11542.) Nachdem der von Natur gute Fiirst diese Rede
des Muni vernommen hatte, wandte er seinen Sinn von der
Begierde ab und richtete seinen Geist auf die Pflicht.
So lautet im Moksbadharina die Seleiirung des Janaka
(Janala- anu(;dsanam).
Adhyaya 313 (B. 310).
Vers 11543-11568 (B. 1-26).
Yudhishtliira sprach :
1. (11543.) Was jenseits von Gutem und Bosem, frei von
allem Zweifel, frei von Geburt und Tod, erhaben iiber Heiliges
und Schlechtes,
2. (11544.) selig, ewig und furchtlos, bestandig, unzerstor-
bar, unverganglich, rein, beharrlich und unermiidlich ist, das
mogest du, o Herr, mir sagen.
Deussen, Mah&bh&Tatam. 41
642 ni. Mokshadharma.
Bhishma sprach:
3. (11545.) Dariiber will icli dir eine alte Geschichte mit-
teilen, o Bharata, namlich die Unterredung des Yajnavalkya
mit dem Konig Janaka.
4. (11546.) Dem Yajnavalkya, dem Besten der Rishi's, dem
Frageloser, legte Konig Janaka, der hochberiihmte Nach-
komme des Devarata, eine Frage vor.
Janaka sprach:
5. (11547.) Wieviel Sinnesorgane gibt es, o Brahmanen-
rishi, und wieviel schaffende Potenzen, was ist das unentfaltete
hochste Brahman, und was ist das noch dariiber Erhabene?
6. (11548.) Auch den Ursprung und Vergang und die Be-
rechnung der Zeiten mogest du mir mitteilen, der ich es von
deiner Gnade erbitte, o Brahmanenfiirst.
7. (11549.) Aus Unwissenheit frage ich, du bist ja ein
Ozean von Wissen ; iiber alles dieses wiinsche ich eine zweifels-
freie Belehrung zu empfangen.
Yajnavalkya sprach:
8. (11550.) Vernimm, o Erdbeschiitzer, wonach du mich
befragst, die hochste Erkenntnis der Yoga's und derSankhya's
in ihrer Besonderheit.
9. (11551.) Zwar ist dir das alles schon bekannt, aber da
du mich danach fragst, so mufs ich auf deine Frage antworten,
das ist ewige Pflicht.
10. (11552.) Es gibt acht schaffende und sechzehn nur ge-
schaffene Potenzen; als die acht schopferischen bezeichnen
die Kenner des innern Selbstes:
11. (11553.) das Unentfaltete, den Mahan und den Ahankara,
dazu kommen Erde, Wind, Ather, Wasser und Feuer als
fiinftes.
12. (11554.) Das also sind die acht schaffenden Potenzen;
vernimm nun von mir die nur geschaffenen, es sind Ohr, Haut,
Auge, Zunge und Geruchsorgan als fiinftes,
13. (11555.) ferner Ton, Beriihrung, Sichtbarkeit, Geschmack
und Geruch, sowie Rede, Hande, FilTse, Entleerungs- und
Zeugungsorgan.
Adhyaya 312 (B. 310). 643
14. (11556.) Jene [Ton usw.] sind die spezifischen Quali-
taten fvigeshdhj in den fiinf grofsen Elementen fmahdhiddnij ,
und dann waren da jene Erkenntnisorgane [Ohr usw.] mit
ihren spezifischen Qualitaten [Ton usw.], o Fiirst von Mithila.
15. (11557.) Als sechzehnte [nur erschaffene Potenz] be-
zeichnen das Manas die, welche die Vorgange im innern
Selbste iiberlegen, du und andere Weise, welche der Er-
kenntnis der Prinzipien kundig sind.
16. (11558.) Aus dem Unentfalteten entsteht der Mahan
Atma, o Fiirst, ihn bezeichnen die Weisen als die erste aus
der Prakriti hervorgehende Emanation.
17. (11559.) Aus dem Mahan entspringt der Ahankara,
o Mannerherr, dieser heifst die zweite Emanation und wird
buddhi-artig [aus der Buddhi, dem Mahan entspringend]
genannt.
18. (115G0.) Aus dem Ahankara entspringt das den spezifi-
schen QuaUtaten \^gundh, hier = vigeshdh] der Elemente gegen-
iiberstehende Manas, dieses wird als die dritte, die aus dem
Ahankara stammende Emanation bezeichnet.
19. (11561.) Aus dem Manas entspringen die grofsen Ele-
mente {mahdbhiitdh masc. !), o Mannerherr, dieses erklare ich,
das sollst du wissen, fur die vierte, aus dem Manas stammende
Emanation [im Widerspruch mit Vers ii 557 , wo Manas unter
den sechzehn nur erschaffenen Potenzen erscheint].
20. (11562.) Ton, Beriihrung, Sichtbarkeit, Geschmack und
Geruch, diese [fiinf Vigesha's] bezeichnen die Kenner der
Elemente als die fiinfte, aus den [Maha-]Bhuta's stammende
Emanation.
21. (11563.) Ohr, Haut, Auge, Zunge, Geruchsorgan, diese
fiinf [Buddhindriya's] gelten als die sechste, das mannigfache
Nachdenken [der Buddhi] vermittelnde [somit anscheinend
aus ihr entspringende] Emanation.
22. (11564.) Die auf Ohr [usw.] folgende Schar der [Karma-]
Indriya's entspringt, o Mannerherr, als die siebente Emana-
tion und wird als aindriyaka [den Buddhindriya's sich an-
schliefsende] bezeichnet.
23. (11565.) Die Aufwartsstromung und die in die Quere
41*
644 ni. Mokshadharma.
entwickelt sich sodann, o Mannerherr, als eine aclite Ema-
nation; diese hat Beziehung auf den moralischen Wandel.
24. (11566.) Die Stromung in die Quere aber entwickelt
sich fort zu einer Abwartsstromung, o Mannerherr; diese
gleichfalls auf den moralischen Wandel beziigliche Emanation
crklaren die Weisen fiir die neunte. [Uber die drei Stro-
raungen vgl. unten Anugita, Adhy. 3G — 38; Nil. denkt viel-
raehr an die Prana's.]
25. (11567.) Das sind die neun Emanationen, o Mannerherr,
und die entsprechenden vierundzwanzig Prinzipien nach den
Anschauungen der Schrift.
26. (11568.) Weiterhin, o grofser Konig, vernimm von mir
die Z either echnung fiir diese Evolutionsreihe fgunaj der Wahr-
heit gemafs, wie sie von den hochsinnigen Weisen verkiindigt
worden ist.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung des Yajnavalkya mit Janaka
(YdjTiavalkxja -Janaka - sainvdda).
Adttyaya 313 (B. 311).
Vers 11569-11589 (B. 1-21).
Yajnavalkj-a sprach ;
1. (11569.) Vernimm denn, o Bester der Manner, die Zeit-
berechnung in betreff des Unentfalteten. Fiinftausend Welt-
perioden flcalpaj zweimal genommen machen seinen Tag aus,
2. (11570.) ebensolang ist seine Nacht. Ist er erwacht,
o Mannerherr, so schafft er zu Anfang die Pflanzen zum
Lebensunterhalte aller Verkorperten.
3. (11571.) Darauf schuf er den [personifizierten] Gott Brah-
man, der [als Hiranyagarbha] aus einem goldenen Ei ent-
sprang; dieses bildet den Korper fiir alle Wesen, so ist es
uns iiberliefert worden.
4. (11572.) Nachdem er ein Jahr lang in dem Ei geweilt
hatte, trat der grofse Weise aus ihm hervor und fiigte [die
Schalen als] die ganze Erde und den Himmel droben zu-
saramen, er, der Schopfer [vgl. Chand. Up. 3,19; Manu 1, 12.13J.
Adhy&ya 313 (B. 311). 645
5. (11573.) Als in Himmel und Erde [verkorpert] wird er
in den Wesen verkiindigt, und zwischen diesen beiden Schalen
bildete der Herr den Luftraum.
6. (11574.) Und was die Zeitrechnung betrifft, so werden
hierbei von den Kennern der Veden und Vedaiiga's zehn-
tausend Weltperioden , vermindert um ein Viertel, als sein
Tag bezeichnet.
7. (11575.) Und fiir ebensolang erklaren seine Nacht die
Kenner des innern Selbstes. Alsdann schafft er, der Weise,
den Ahaiikara als ein Geschopf von gottlicher Wesenheit,
8. (11576.) sowie vier weitere Sohne [nach Nil. Manas,
Buddhi, Ahaiikara, Cittam als vyasliti^ psychische Prinzipien] ;
aus seinem Leibe schuf sie vordem der grofse Weise; sie
werden als die Vater der Vater [der Mahabhiita's, nach Nil.]
von der Schrift bezeichnet, o Bester der Konige.
9. (11577.) Gotter aber sind auch die Sohne dieser Vater
[wohl die Vigesha's, nach Nil. die Indriya's], von Gottern
sind die Welten erfiillt mitsamt dem Beweglichen und Un-
beweglichen, o Bester der Manner, so ist es uns iiberliefert
worden.
10. (11578.) An ihrer Spitze aber steht der Ahankara,
welcher die Elemente als fiinf schafft, sie sind Erde, Wind,
Ather, Wasser und Feuer als fiinftes.
11. (11579.) Auch bei ihm, der die dritte Schopfung voU-
bringt, sprechen sie von einer Nacht; sie wahrt fiinftausend
Weltperioden und ebensolange sein Tag.
12. (11580.) Ton, Beriihrung, Gestalt, Geschmack und Ge-
ruch, diese sind in den fiinf grof sen Elementen ihre spezifischen
Qualitaten fvigeshaj,
13. (11581.) mit welchen die Elemente fort und fort erfiillt
sind, 0 Erdeherr. Diese wetteifern miteinander, freuen sich
iiber das gegenseitige Gedeihen
14. (11582.) und iiberbieten einander, indem sie sich den
Vorrang streitig machen, oder auch sich unterdriicken ver-
moge der unverganglichen, sie fortreifsenden Guna's,
15. (11583.) und so treiben sie ihr Wesen hienieden, in-
dem sie in niedrigen Mutterschofsen weilen. Ihr Tag wahrt
dreitausend Weltperioden,
646 III. Mokshadharma.
16. (11584.) und ebensolang ist ihre Nacht. Dies gilt auch
von dem Manas, o Mannerherr; das Manas schaltet, o Fiirst
der Konige , indem es ganz und gar hinter den Indriya's
versteckt bleibt.
17. (11585.) Und doch sind es nicht die Indriya's, welche
das Sehen vollbringen, sondern das Manas vollbringt das
Sehen. Das Auge sieht die Gestalten vermoge des Manas
und nicht vermoge des Auges.
18. (11586.) Wenn das Manas getriibt ist, so sieht das
Auge und sieht doch nicht, und ebenso steht es mit dem
Sehen aller Sinnesorgane, so lehren es die Weisen.
19. (11587.) Denn die Sinnesorgane sehen nicht, sondern das
Manas ist es, welches sieht, und wenn das Manas untatig ist,
o Konig, so tritt auch eine Untatigkeit der Sinnesorgane ein.
20. (11588.) Somit ist ein Versagen der Sinnesorgane in
Wahrheit ein Versagen des Manas, daher mufs man begreifen,
dafs das Wesentliche in den Sinnesorganen das Manas ist.
21. (11589.) Uber alien Sinnesorganen thront als Herr das
Manas, und in diesem laufen [mittelbar] auch alle Elemente
zusammen.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Janaka und Yijiiavalkya
(Janaka - YdjTiavalktja - savwdda).
Adhyaya 314 (B. 313).
Vers 11590-11606 (B. 1-17).
Yajnavalkj'a sprach:
1. (11590.) Die ganze Aufzahlung der Prinzipien sowie
die Berechnung der Zeiten ist von mir in richtiger Ordnung
mitgeteilt worden. Nun hore auch, was ich iiber die Welt-
vernichtung sagen werde,
2. (11591.) und wie er die Kreaturen, nachdem er sie ge-
schaffen hat, immer wieder und wieder schafft, er, der anfang-
lose und endlose, ewige und unvergangliche Gott Brahman.
3. (11592.) Wenn dieser merkt, dafs der Tag zu Ende
geht, wendet er seinen Geist dem nachtlichen Schlafe zu,
Adhyaya 314 (B. 312), 647
dann treibt der Heilige, Unentfaltete den sein Ich verkorpern-
den Helden an,
4. (11593.) und er, der hunderttausendstrahlige Aditya
(Sonne), von ihm, dem Unentfalteten , angetrieben, zerteilt
sein Wesen zwolffach, vergleichbar einem iiberallhin lodern-
den Feuer.
5. (11594.) Dann verbrennt er alsbald, o Erdbeschiitzer,
mit seiner Glut alle vier Wesensklassen, Lebendgeborene, Ei-
geborene, Schweifsgeborene und Sprofsgeborene, o Mannerherr.
6. (11595.) Dann wird in einem Augenblicke die Welt der
Pflanzen und der beweglichen Wesen zunichte, und die Erde
sieht allenthalben aus wie der Riicken einer Schildkrote.
7. (11596.) Nachdem der unermerslich Machtige die Lebe-
wesen verbrannt hat, erfiillt er sogleich die nackte Erde allent-
halben mit gewaltigen Wasserfluten.
8. (11597.) Wenn dann das Wasser auf das Weltunter-
gangsfeuer trifft, wird es zur Vernichtung gebracht, und nach-
dem das Wasser vernichtet ist, o Fiirst der Konige, lodert
das grofse Feuer machtig empor.
9. (11598.) Dann geschieht es, dafs dieser iibermachtige,
lodernde, glanzvolle Verbrenner aller Wesen mitsamt seinen
sieben Flammen in einem Nu von dem unermefslichen,
10. (11599.) heiligen, die acht Weltgegenden erfullenden,
gewaltigen Winde verschlungen wird, der mit mafslosem
Odem nach oben, unten und alien Seiten dahinbraust.
11. (11600.) Diesen Unwiderstehlichen, Furchtbaren schlingt
der Ather in sich hinein, und den larmreichen Ather ver-
schlingt wieder das obenanstehende Manas.
12. (11601.) Das Manas verschlingt er, der als Ahaiikara
das Selbst der Wesen und ihr Schopfer ist, den Ahaiikara
{ahahJidram mit C), der das Vergangene, Gegenwartige und
Zukiinftige kennende Mahan Atma.
13. (11602.) Dann geschieht es, dafs auch diesen unver-
gleichlichen, allerfiillenden Atman der Schopferherr ^ambhu,
welcher Atomkleinheit, Leichtigkeit, Allberiihrung, Gottherr,
Licht und unverganglich ist —
14. (11603.) nach allwarts ist er Hand, Fiifse, nach all-
648 ni. Mokshadharma.
warts Augen, Haupt und Mund, nach alien Seiten hin horend,
die Welt umfassend steht er da (= Qvet Up. 3,16), —
15. (11604.) welcher als Herz aller Wesen nur so grofs
wie das Glied eines Daumens ist, dafs dieser der unendliche
hochsinnige Gottherr den Allerfiillenden verschlingt.
16. (11605.) Dann ist das Wei tall wieder eingegangen in den
unzerstorbaren, unverganglichen , unverletzbaren , siindlosen
Schopfer des Vergangenen, Gegenwartigen und Zukiinftigen.
17. (11606.) Damit ist dir das Eingehen der Wahrheit ge-
mafs dargelegt, o rtirst der Konige; nun vernimm, was [im
Korper] sich auf das Selbst, auf die Wesen und auf die Gott-
heiten bezieht.
So lautet im Mokshadbarma die Unterredung zwischen Y&jnavalkya und Janaka
( Ydj/iavalki/a - Janaka - sainvdda).
Adhyaya 315 (B. 313).
Vers 11607-11634 (B. 1-28).
Yajnavalkya sprach:
1. (11607.) Die Fiifse sind auf das Selbst beziiglich, das
Gehen auf die Wesen, die Schutzgottheit ist Vishnu, wie die
wahrheitschauenden Brahmanen lehren.
2. (11608.) Das Entleerungsorgan ist auf das Selbst be-
ziiglich, die Entleerung auf die Wesen, die Schutzgottheit
ist Mitra, wie die Kenner der Wesenheit sagen.
3. (11609.) Das Zeugungsorgan ist auf das Selbst beziig-
lich, das Zeugen auf die Wesen, die Schutzgottheit ist Praja-
pati, wie Kenner des Nichtigen sagen.
4. (11610.) Die Hande sind auf das Selbst beziiglich, das
Handeln auf die Wesen, die Schutzgottheit ist Indra, wie die
Reflexionskundigen erklaren.
5. (11611.) Die Eede ist auf das Selbst beziiglich, das
Reden auf die Wesen, die Schutzgottheit ist Agni, wie die
Schriftkenner lehren.
6. (11612.) Das Auge ist auf das Selbst beziiglich, die
Sichtbarkeit auf die Wesen, die Schutzgottheit ist Surya (die
Sonne), wie die Schriftkenner lehren.
Adhyaya 315 (B. 313). 649
7. (11613.) Das Ohr ist auf das Selbst beziiglich, der Ton
auf die Wesen, die Schutzgottheiten sind die Himmelsgegen-
den, wie die Schriftkenner lehren.
8. (11614.) Die Zunge ist auf das Selbst beziiglich, der
Geschmack auf die Wesen, die Schutzgottheiten sind die
Wasser, wie die Schriftkenner lehren.
9. (11615.) Das Geruchsorgan ist auf das Selbst beziig-
lich, der Geruch auf die Wesen, die Schutzgottheit ist die
Erde, wie die Schriftkenner lehren.
10. (11616.) Die Haut ist auf das Selbst beziiglich, die Be-
riihrung auf die Wesen, die Schutzgottheit ist der Wind, wie
die Wesen skenner sagen.
11. (11617.) Das Manas ist auf das Selbst beziiglich, seine
Tatigkeit auf die Wesen, die Schutzgottheit ist der Mond,
wie die Kenner der Lehrbiicher sagen.
12. (11618.) Der AhaSikara ist auf das Selbst beziiglich,
das Ichbewufstsein auf die Wesen, die Schutzgottheit ist die
Buddhi, wie die Wesenskenner sagen.
13. (11619.) Die Buddhi ist auf das Selbst beziiglich, ihre
Tatigkeit auf die Wesen, die Schutzgottheit ist der Kshetrajfia,
wie die Wahrheitschauenden sagen.
14. (11 620.) Damit ist dir, o Konig, der Umfang ihrer Ent-
faltung dargelegt nach Anfang, Mitte und Ende der Wahr-
heit gemafs, o Wahrheitskenner.
15. (11621.) Die Prakriti ist es, welche nach Lust und Be-
lieben wie zum Spiele ihre Guna's hundertfach und .tausend-
fach entfaltet, o grofser Konig.
16. (11622.) Wie die Menschen wenige Lichter zu tausend
Lichtern vervielf altigen , so vervielfaltigt die Prakriti ihre
Guna's fiir den Purusha.
17. (11623.) Giite, Wonne, Uberflufs, Freude, Erhellung,
Lust, Reinheit, Gesundheit, Befriedigung, Glaubigkeit,
18. (11624.) Nicht- Jammern , Untatigkeit, Geduld, Festig-
keit, Nicht- Schadigung, Gleichmiitigkeit , Wahrhaftigkeit,
Schuldlosigkeit, Sanftmut, Schamhaftigkeit, Gesetztheit,
19. (11625.) Reinlichkeit, Gradheit, guter Wandel, Nicht-
Liisternheit, Herzensruhe, Nicht-Prahlen mit der vollbrachten
Lossagung von Erwiinschtem und Unerwiinschtem,
650 ni. Mokshadharma.
20. (11626.) Zugreifen, wenn es angeboten wird, Neidlosig-
keit, Interesse fur andere und Mitleid mit alien Wesen, das
sind die Qualitaten des Sattvam.
21. (11627.) Dies ist der Inbegriff der Qualitaten des JRajas:
Schongestalt, Herrschlust und Kriegslust, Nicht-Entsagung^
Mitleidlosigkeit, Hingebung an Lust und Schmerz,
22. (11628.) Freude an libler Nachrede und Zanksucht,
Selbstsucht, Ungastlichkeit, Sorge, Feindseligkeit,
23. (11629.) Qualerei, Rauberei, Schamlosigkeit, Mangel
an Rechtschaffenheit , Zwist, Rauheit, Begierde, Zorn, Un-
besonnenheit,
24. (11630.) Stolz, Hafs und Ubermut, das sind die Quali-
taten des Rajas. — Nun werde ich den Inbegriff der Quali-
taten des Tamas verkiindigen, merke auf.
25. (11631.) Verblendung, geistige Verdunkelung, Finster-
nis und blinde Finsternis, — blinde Finsternis ist Tod, Finster-
nis ist Zorn;
26. (11632.) weitere Merkmale des Tamas sind: Wohl-
behagen am Essen und dergleichen, Unersattlichkeit im Essen
und Trinken,
27. (11633.) Lust an Wohlgeriichen , Kleidern und Ver-
gniigungen, an Liegen und Sitzen, am Schlafen bei Tage,
an iibermiitiger Rede und unbesonnenen Streichen,
28. (11634.) an Tanz, Musik und Gesang, Glaubigkeit aus
Unwissenheit und Abneigung gegen mancherlei Pflichten, —
das sind die Qualitaten des Tamas. ■
So lautet im MokshadhaTina die Unterredung zwischen Yajfiavalkya und Janaka
( YdjTiavalkya - Janaka - samvdda).
Adhyaya 316 (B. 314).
Vers 11635-11654 (B. 1-18).
Yajnavalkya sprach:
1. (11635.) Das sind die drei Guna's der Prakriti, o Bester
der Manner, welche der ganzen Welt allezeit und unverlier-
bar anhaften.
Adhyliya 316 (B. 314). 651
2. (11 636.) Durch sie geschieht es, dafs der Heilige in der
Form des Unentfalteten hundertfach, tausendfach, hundert-
tausendfach,
3. (11637.) millionenfach sein inneres Selbst durch sich
selbst gestaltet. Das Sattvahafte nimmt die oberste Stelle
ein, das Rajas-artige die mittlere,
4. (11638.) das Tamas-artige die untere, so lehren es die
Kenner des innern Selbstes. Durch gute Werke allein er-
langt man den Weg nach oben,
5. (11639.) durch Gutes und Boses ein menschliches Da-
sein, durch Ungerechtigkeit den Weg nach unten. Die
Paarung dieser drei und das Zusammenwirken des Betreffenden,
6. (11640.) des Sattvam, Rajas und Tamas, vernimm von
mir. An dem Sattvam zeigt sich Rajas, am Rajas das Tamas,
7. (11641.) am Tamas das Sattvam und an dem Sattvam
das Unentfaltete. Der Unentfaltete [der Purusha, hier als
individueller] , nur noch mit dem Sattvam behaftet, erlangt
die Gotterwelt,
8. (11642.) mit Rajas und Sattvam behaftet, gelangt er
unter die Menschen, mit Rajas und Tamas behaftet, wird er
in tierischen Mutterschofsen geboren,
9. (11643.) mit Rajas-artigem, Tamas-artigem und Sattva-
haftem verbunden, erlangt er ein menschhches Dasein. Fiir
diejenigen aber, welche sich vom Guten und vom Bosen los-
gemacht haben, ist der Ort der Hochsinnigen bestimmt,
10. (11644.) jener ewige, unvergangHche, unzerstorbare,
unsterbHche, welcher der Aufenthalt der Wissenden ist, der
beste, unverletzhche , unerschiitterhche Ort, (ii645.) der iiber-
sinnhche, samenlose, von Geburt, Tod und Finsternis freie.
11. Jenes Hochste, in dem Unentfalteten Weilende, nach
welchem du mich gefragt hast, o Mannerherr, (ii646.) das ist
jener in der Prakriti Weilende, in ihr weilend wird er genannt.
12. Freilich gilt die Prakriti als ungeistig, o Herr,
(11647.) aber von Ihm regiert, schafft sie und rafft wieder in
sich hinein.
Janaka sprach:
13. (11648.) Anfanglos und endlos sind doch alle beide,
0 Hochsinniger, ungestaltet und unerschutterlich , [in ihren
652 in. Mokshadharma.
Erscheinungen] unwandelbar qualitathaft und [an sich] quali-
tatlos.
14. (11649.) Wie kommt es nun, o Manntiger, da beide
unerkennbar sind, dafs der eine von ihnen ungeistig und der
andere geistig ist, derjenige namlich, der da Kshetrajfia ge-
nannt wird?
15. (11650.) Denn du, o Brahmanenfiirst, liegst mit ganzem
Herzen der Lehre von der Erlosung ob, und ich mochte diese
Lehre von der Erlosung vollstandig und der Wahrheit ge-
mafs kennen lernen.
16. (11651.) So mogest du mir denn die Existenz, die Er-
losung von ihr und das Verharren ohne sie erklaren, so wie
auch die Gottheiten, welche [als Sinnesorgane] in dem Korper
Wohnung nehmen.
17. (11652.) Ferner auch die Statte des beim Sterben aus-
ziehenden Verkorperten , und auch die Statte, zu der er im
Laufe der Zeit gelangt, mogest du mir erklaren.
18. (11653.) Du mogest mir das Sankhyawissen , wie es
in Wahrheit ist, und gesondert davon den Yoga mitteilen,
und auch iiber unheilvolle Vorzeichen farishtdni) mogest du
mir sprechen, o Bester. (ii654.) Denn alles dieses besitzest
du so fest wie eine Myrobalanenfrucht in der Hand.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Yajnavalkya und Janaka
( Ydjuavalkija - Janaka - samedda).
Adhyaya 317 (B. 315).
Vers 11655-11674 (B. 1-20).
Yajnavalkya sprach:
1. (11 055.) 0 Freund, der Qualitatlose kann nicht qualitat-
haft gemacht werden, o Volkerherr, noch auch der Qualitat-
hafte qualitatlos; das lerne von mir der Wahrheit gemafs.
2. (11656.) Denn durch Qualitaten wird einer qualitathaft,
der Qualitatlose ist ohne Qualitaten, so baben es die hoch-
herzigen, wahrheitschauenden Muni's ausgesprochen.
3. (11657.) Der Unentfaltete [die Prakriti] hat die Guna's
als seine Natur und kann nie von den Guna's loskommen.
Adhyaya 317 (B. 315). 653
sondern bringt sie in Gang, und er ist von Natur nicht er-
kennend,
4. (11658.) aber wahrend dieser Unentfaltete nicht erkennt,
ist der Purusha von Natur erkennend (lies: jnah), denn er
ist sich von Ewigkeit her bewufst, dafs es nichts Hoheres
gibt als ihn.
5. (11659.) Aus diesem Grunde ist das Unentfaltete [die
Prakriti] ungeistig, und daran wird nichts geandert, mag
man sie als ewig und unverganglich oder [mit Riicksicht auf
ihre Entfaltungen] als verganglich ansehen.
6. (11660.) Solange nun [der Purusha] aus Mangel an
rechter Erkenntnis immer wieder und wieder die Schopfung
der Qualitaten veranlafst, solange er sich selbst nicht [als
verschieden] erkennt, solange wird er auch selbst nicht erlost.
7. (11661.) Weil er die Schopfungen veranlafst, wird auch
er angesehen als seinem Wesen nach schaffend, und weil er
auch den Yoga veranlafst, wird er gleichfalls angesehen als
seinem Wesen nach yogahaft.
8. (11662.) Weil er die schaffenden Prinzipien zur Tatig-
keit veranlafst, ist er den schaffenden Prinzipien verwandt.
9. Und weil er die Keime zur Entwicklung bringt, ist
er den Keimen verwandt. (ii663.) Aber wahrend die Quali-
taten erzeugt werden und wieder vergehen,
10. wird er, sofern er jene verachtet, mit sich identisch
ist und sich dessen bewufst wird, fiir absolut (ii664.) erklart
von den Selbstbezwingern, Vollendeten, das innere Selbst
Kennenden, Leidenschaftfreien. Jenes andere [die Prakriti]
ist verganglich und zugleich ewig, sofern es unentfaltet und
entfaltet ist, so haben wir's gelernt.
11. (1166.5.) Die Vielheit [der Entfaltungen] bezeichnen als
Einheit, sofern sie ein Unentfaltetes ist, diejenigen Menschen,
welche von Mitleid fiir alles Lebende erfiillt sind und das
absolute Wissen erlangt haben.
12. (11666.) Verschieden [von allem andern] ist der Purusha,
wahrend der Unentfaltete [die Prakriti] wandelbar ist und
doch auch unwandelbar heifst. Wie mit dem Schilfgras [als
Umschliefser] der Halme (vgl. Kath. Up. 6,17), so ist es auch
mit diesem beschaffen.
v654 ni. Mokshadharma.
13. (11667.) Ein anderes ist die Fliege und ein anderes
das Feigenblatt, auf dem sie sitzt, und die Fliege wird durch
die Verbindung mit dem Feigenblatte nicht befleckt [ihrem
Wesen nach nicht verandert].
14. (11668.) Ein anderes ist der Fisch und ein anderes ist
das Wasser, und der Fisch wird durch die Beriihrung mit
dem Wasser nicht irgendwie befleckt.
15. (11669.) Ein anderes ist das Feuer und ein anderes
das Kohlenbecken , das mogest du, bitte, immer bedenken,
und das Feuer wird nicht durch die Beriihrung mit dem
Kohlenbecken befleckt.
16. (11670.) Ein anderes ist das Lotosblatt und ein anderes
das "Wasser [auf dem es schwimmt], und auch hier wird das
Lotosblatt durch die Beriihrung mit dem Wasser nicht be-
fleckt [vgl. Chand. Up. 4,14,3; Maitr. Up. 3,2].
17. (11671.) Bei alien diesen vermogen die Zusammen-
wohnung und Einwohnung, wie sie der Wahrheit nach ist,
gemeine Menschen niemals zu begreifen.
18. (11672.) Sie, welche dies anders ansehen, als es ist, er-
mangeln der richtigen Erkenntnis und werden sicherlich
immer wieder und wieder der furchtbaren Holle anheim-
f alien.
19. (11673.) In dieser Sahkhyalehre liegt das hochste Nach-
denken beschlossen, und die ihr in dieser Weise nachdenken,
die Sahkhya's, gehen zur Absolutheit ein.
20. (11674.) Die anderen aber, welche der Wahrheit kundig
sind, haben die folgende Anschauung, die ich dir als die An-
schauung der Yoga's nunmehr mitteilen will.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Y&juavalkya und Janaka
(Ydjnavalki/a - Janaka - sanwdda).
Adhyaya 318 (B. 316). 655
Adhyaya 318 (B. 316).
Vers 11675-11702 (B. 1-27).
Yajnavalkya sprach:
1. (U675.) Die Sankhyalehre habe ich dir mitgeteilt, die
Yogalehre vernimm von mir der Wahrheit gemafs, wie sie
auf Schriftiiberlieferung und unmittelbarer Anschauung be-
ruht, o Bester der Fiirsten.
2. (1167G.) Kein Wissen kommt dem Sarikhyam gleich,
keine Kraft kommt dem Yoga gleich; beide verfolgen das-
selbe Ziel, beide fiihren iiber die Verganglichkeit hinaus.
3. (11677.) Fiir verschieden halten beide nur Menschen,
die am Unverstand sich freuen, wir aber, o Konig, erkennen
sie unzweifelhaft als Einheit.
4. (11678.) Denn was die Yoga's schauen, das wird auch
von den Sankhya's erkannt; wer Saiikhyam und Yoga als
Einheit erkennt, der weifs die Wahrheit.
5. (11679.) Wisse, o Feindbezwinger, als Yoga- [Mittel] die
den Rudra als Obersten habenden anderen [Lebensorgane,
prdndh^ Brih. Up. 3,9,4] ; dann schweifen sie mit diesem Korper
nach den zehn Himmelsrichtungen hinaus.
6. (11680.) Wahrend [der grobe Leib] dahinfallt, o Freund,
wird unter Abstreifung desselben der Yogin zu einem, der
vermoge des achtfache Vollkommenheit [Atomkleinheit, Leich-
tigkeit, Grofse, Allberiihrung, Wunschverwirklichung, All-
beherrschung, Schopferkraft, Alldurchdringung] verleihenden
Yoga die Welten mit Lust durchschweift, o Untadliger.
7. (11681.) Denn im Veda erklaren die Weisen, dafs der
Yoga die acht Vollkommenheiten gewahrt, aber nur dem feinen
Leibe sprechen sie diese acht Vollkommenheiten zu, nicht
dem groben, o Bester der Manner.
8. (11682.) Als zweifach aber bezeichnen sie die hochste
Yogaleistung der Yoga's, namlich der Anschauung des Systems
entsprechend als qualitathaft fsaguna = sahija = samprajndtaj
und qualitatlos (nirguna = nirhija = asamprajndtaj.
9. (11683.) Der qualitathafte Yoga besteht in der Fesselung
656 in. Mokshadharma.
des Manas nebst Atemregulierung, o Erdeherr, sodann in dcr
Konzentration des Manas gleichfalls mit Atemregulierung.
10. (11G84.) Denn die Atemregulierung ist immerhin quali-
tathaft. Man mufs aber in qualitatloser Weise das Manas
fesseln, indem man die ganze sichtbare Welt und auch die
Lebenshauche hinter sich lafst, o Bester der Mithilaherrscher,
(11685.) dann entsteht Erhabenheit iiber den Wind. Darum
soli man sich mit ihm [und mit der Atemregulierung] niclit
mehr befassen.
11. Fiir den ersten Teil der Nacht sind zwolf Antriebe
[der Atemregulierung, codandh] vorgeschrieben ; (ugbg.) fiir
den mittleren schlaflosen Teil der Nacht gibt es zwolf weitere
Antriebe.
12. In dieser Weise ist von dem beruhigten, bezahmten,
nur auf das Eine gerichteten, (ii687.) in dem Atman seine Ruhe
findenden Wachenden der Atman im Yoga anzuspannen.
13. Indem er fiinffach die Versiindigungen der fiinf
Sinnesorgane beseitigt, (iig88.) den Ton, die Gestalt, die Be-
riihrung, den Geschmack und den Geruch,
14. indem er das Aufleuchten und das Erloschen gleich-
mafsig vermeidet, o Herr von Mithila, (11689.) indem er die
ganze Schar der Sinnesorgane im Manas einschliefst,
15. das Manas im Ahaiikara zum Stillstand bringt,
o Mannerherr, (ii690.) den Ahaiikara in der Buddhi, die Buddhi
in der Prakriti, —
16. nachdem er sie in dieser Weise abgefertigt hat,
meditiert er den absoluten, (ii69i.) staublosen, fleckenlosen
(lies: amalam), ewigen, unendlichen, reinen, unverwundbaren,
17. feststehenden ftasthusliam !J Purusha, den ewig un-
teilbaren, nicht alternden, unsterblichen, (iiC92.) den immer-
wahrenden, unzerstorbaren Gott, das unvergangliche Brahman.
18. Vernimm nun die Merkmale des dem Yoga Hin-
gegebenen, o grofser Konig; (ii693.) das Merkmal seiner Be-
ruhigung ist, wie wenn einer friedlich und sanft schlummert,
19. wie wenn eine mit 01 gefiillte Lampe an windstillem
Orte brennt (ii694.) mit unentwegt nach oben strebender
Flamme, — so schildern die Weisen den im Yoga Begriffenen.
20. Wie ein Stein, wenn er von den aus der Wolke
Adhy^ya 318 (B. 316). 657
spriihenden Tropfen getroffen wird, (ii695.) nicht im mindesten
durch sie zum Wanken gebracht werden kann, so ist das
Merkmal des im Yoga Begriffenen.
21. Durch den Schall von Muscheln und Trommeln,
durch allerlei Gesang und Musik, (U696.) wenn sie ertonen,
bleibt er unerschiittert, das ist der Anbhck, den der Erloste
gewahrt.
22. Wie ein Mann mit einem olgefiillten Gefafse in den
Handen (11697.) eine Treppe hehutsam hinaufsteigt, wahrend er
von Schwertbewajffneten bedroht wird,
23. aber festen Geistes vergiefst er nicht einen Tropfen
aus dem Gefafse aus Furcht vor ihnen, (ii698.) und so steigt
er hinauf, wahrend sein Sinn nur auf das Eine gerichtet ist,
24. weil seine Sinne fest und unerschiitterHch bleiben, —
(11699.) so hat man die Merkmale eines dem Yoga hingegebenen
Muni anzusehen.
25. Wer sich ihm hingibt, schaut das Brahman, jenes
hochste, unvergangHche, (U700.) welches dasteht wie ein Licht
inmitten der grofsen Finsternis.
26. Dadurch gelangt er zum Absoluten nach Verlassen
des unbeseelten Korpers (iiioi.) und nach langer Zeit, o Konig,
so lehrt es die ewige Schrift.
27. Dieses [wisse als] den Yoga der Yogin's, das ist das
wahre Merkmal des Yoga (ii 702.) als solches wissen es, die es
erfahren haben, die zum Endziele gelangten Weisen.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Y&jnavalkya und Janaka
(Ydjnavalkya - Janaka - samvdda).
Adhy^ya 319 (B. 317).
Vers 11703-11723 (B. 1-21).
Yajiiavalkya sprach:
1. (11703.) Vernimm nun auch mit Aufmerksamkeit, o Fiirst,
was iiber die aus dem Leibe ausziehende Seele zu sagen
ist: Durch die Fiifse ausziehend, gelangt einer zur Statte des
Vishnu,
Deussen, Mah&bb&raiam. 42
G58 HI. Mokshadharma.
2. (11704.) durch die Unterschenkel zu den gottliclien
Vasu's, wie die Schrift lehrt, durch die Kniee zu den gliick-
seligen, gottlichen Sadhya's,
3. (11705.) durch das Entleerungsorgan zur Statte des
Mitra, durch den Schofs zur Erde, durch die Schenkel zu
Prajapati,
4. (11706.) durch die Seiten zu den gotthchen Marut's,
durch den Nahel zur Indraschaft, durch die Arme zu Indra,
durch die Brust zu Rudra,
5. (11707.) durch den Hals zu dem besten Muni, dem
hochsten Nara (Narayana), durch den Mund zu den Vigve
Devah, durch das Ohr zu den Himmelsgegenden,
6. (11708.) durch die Nase zu dem Trager der Geriiche
(dem Winde), durch die Augen zu Agni, durch die Augen-
brauen zu den gotthchen Agvin's, durch die Stirn zu den
Manen,
7. (11709.) durch die Schadeldecke zu dem allgegenwartigen
Gotte Brahman, dem Erstgeborenen der Gotter; damit habe
ich dir, o Herr von Mithila, die Statten fiir das Herausfahren
mitgeteilt (vgl. oben Vers 10927).
8. (11710.) Nun will ich dir die von den Weisen fest-
gestellten unheilvollen Vorzeichen farishtdnij erldaren, wie
sie fiir den Verkorperten , der innerhalb eines Jahres hin-
scheiden wird, in Geltung sind.
9. (11711.) Wer die Arundhati [den Stern Alkor im grofsen
Baren] , die er sonst sehen konnte, einmal nicht sehen kann,
oder ebenso den Polarstern, oder wer den Vollmond nur als
Flamme
10. (11712.) und teilweise von rechts her scheinen sieht,
der hat nur noch ein Jahr zu leben. Wer sich nicht sieht
im fremden Auge, 0 Erdeherr,
11. (11713.) wer in ihm nicht mehr das eine Figur bildende
Abbild seiner Selbst bemerkt, auch der hat nur noch ein Jahr
zu leben. Wenn iibermafsiger Glanz und iibermafsiges Wissen
sich in Unglanz und Unwissen wandelt,
12. (11714.) wenn eine Umkehr der Naturbeschaffenheit
eintritt, so ist dies ein Vorzeichen des Todes binnen sechs
AdhyHya 319 (B. 317). 659
Monaten. Wer die Gotter mifsachtet oder sich gegen Brah-
manen widerspenstig zeigt,
13. (11715.) bei wem die dunkle Gesichtsfarbe einen fahlen
Schein annimmt, fiir den ist dies ein Vorzeichen binnen sechs
Monaten. Wer den Mond rissig sieht wie ein Spinnennetz
14. (11 716.) oder ebenso die Sonne, der stirbt binnen sieben
Nachten. Wenn ein Mensch einen Leichengeruch wahrnimmt
anstatt der Wohlgeriiche,
15. (11717.) wahrend er in einem Gottertempel weilt, so
stirbt er binnen sieben Nachten. Schlaffes Herabhangen von
Ohr und Nase, Entfarben von Zahn[fleisch] und Augen,
16. (11718.) Schwund des Bewufstseins und Verlust der
Warme sind Anzeichen des Todes am selben Tage. "Wenn
einem das linke Auge ohne Ursache trant, o Mannerherr,
17. (11719.) und wenn Dampf von seinem Kopfe aufsteigt,
so ist das ein Anzeichen des Todes am selben Tage. Diese
Vorzeichen sich gegenwartig haltend, moge der atmanhafte
Mensch
18. (11720.) Tag und Nacht sich mit dem hochsten Atman
eins wissen, indem er die Zeit abwartet, zu welcher hinzu-
scheiden ihm bestimmt ist.
19. (11721.) Ist ihm aber das Sterben nicht willkommen,
so mag er wiinschen, noch zu leben, moge aber die irdische
Tatigkeit nebst alien Geriichen und Geschmacken nieder-
halten, o Mannerherr.
20. (11722.) Mit Sankhyalehre und Yogafesselung sich
seines Atman bewufst bleibend, o Mannerstier, wird er dann
den Tod iiberwinden durch den Yoga, ihm ganz hingegeben
mit innerer Seele.
21. (11723.) Dann geht er hin und erlangt die unvergang-
liche, vollkommene, geburtlose, selige, unverlierbare, ewige,
unerschiitterliche Statte, welche unerreichbar ist fur solche,
die unbereiteten Geistes sind.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Y&jnavalkya und Janaka
(Ydjnavalkya - Janaka - samvdda).
42*
660 HI. Mokshadharma.
Adhyaya 320 (B. 318).
Vers 11724-11836 (B. 1-112).
Yajnavalkya sprach:
1. (11724.) Ich bin von dir, o Fiirst der Manner, gefragt
worden nach jenem Hochsten, welches im Verborgenen weilt;
vernimm, o Fiirst, mit Aufmerksamkeit, was iiber diese hochst
geheimnisvolle Frage zu sagen ist.
2. (11725.) Indem ich demutvoll nach vedischem Gesetze
wandelte, sind mir, o Fiirst von Mithila, von Aditya (dem
Sonnengott) die Opferspriiche [des weisen Yajurveda, Brih.
Up. 6,5,3] veriiehen worden.
3. (11726.) Durch die grofse Glut meines Tapas wurde der
glutfrohe Gott verehrt, und so kam es, dafs der allbeherr-
schende Sonnengott zu mir, o Untadliger, erfreut dieses
Wort sprach:
4. (11727.) Wahle, o Brahmanenweiser, ein Geschenk, wie
du es wiinschest, so schwer erlangbar es auch sein mag, ich
werde es dir mit freudigem Herzen geben, obgleich raeine
Gnade schwer erlangbar ist.
5. (11728.) Da neigte ich mein Haupt und sprach zu dem
Obersten der Gliihenden: Opferspriiche, wie sie noch nicht
in Gebrauch gewesen sind, wiinsche ich augenblicklich zu
erlernen.
6. (11729.) Da sprach der Heilige zu mir: Ich werde sie
dir verleihen, die Sarasvati hier wird als Eede in deinen
Leib eingehen.
7. (11730.) Und weiter sprach der Heilige zu mir: Offne
deinen Mund, und alsbald offnete ich meinen Mund und Saras-
vati ging in ihn ein.
8. (11731.) Da geriet ich in Gluthitze und sprang ins
Wasser, o Untadliger, aus Unkenntnis und Unwillen gegen
den hochherzigen Lichtspender.
9. (11 732.) Da sprach zu mir, der ich in Gluthitze geraten
war, der heilige Sonnengott: Ertrage den Brand eine Weile,
dann wird er sich abkiihlen.
Adhyaya 320 (B. 318). 661
10. (11733.) Als der heilige Lichtspender mich abgekiihlt
sah, sprach er zu mir: Der Veda soil dir zuteil werden mit
alien Erganzungen und Anhangen, o Zwiegeborener,
11. (11734.) und das ganze (^atapatham sollst du, o Stier
der Brahmanen, der Welt kund machen, und ist das ge-
schehen, so wird dein Geist dazu gelangen, nicht mehr wieder-
geboren zu werden,
12. (11735.) und du wirst zu der erwunschten, von Sankhya
und Yoga erstrebten Statte eingehen. So sprach der heilige
Sonnengott und ging zur Riiste.
13. (11736.) Nachdem ich das Gesprochene vernommen
hatte und der glanzreiche Gott entschwunden war, ging ich
voU Freude nach Hause und gedachte dabei der Sarasvati.
14. (11737.) Da geschah es, dafs die wunderschone, mit
Vokalen und Konsonanten geschmiickte und den Omlaut an
der Stirn tragende Gottin Sarasvati vor mir erschien.
15. (11738.) Nun rezitierte ich vorschriftsmafsig vor der
Sarasvati das Gebiihrende und ebenso vor dem Besten der
Gliihenden, indem ich voll Andacht dasafs.
16. (11739.) Und da geschah es, dafs ich das ganze (^ata-
patham nebst der Upanishad frahasyamj , den Ausziigen und
Nachtragen zu meiner hochsten Freude aufsagen konnte.
17. (11740.) Auch betrieb ich das Studium derselben mit
hundert vorziiglichen Schiilern zum Verdrusse meines hoch-
sinnigen Oheims [Vaigampayana] und seiner Schiiler.
18. (11741.) Darauf wurde von mir und meinen Schiilern,
wie von der mit Strahlen umgebenen Sonne, das Opfer deines
hochsinnigen Vaters, o grofser Konig, ausgebreitet.
19. (11742.) Nun beanspruchte ich vor den Augen des
Devala von dem uns fiir die Vedarezitation zukommenden
Opferlohne die Halfte, woriiber mein Oheim mit mir in Streit
geriet,
20. (11743.) aber von Sumantu, Paila, Jaimini, deinem
Vater und den iibrigen Weisen wurde mir Recht gegeben.
21. (11744.) Fiinfzehn Opferspriiche waren es [namlich ge-
wesen], o Untadliger, welche ich von dem Sonnengotte er-
halten hatte; dazu wurde mir ferner von Romaharsha das
Puranam mitgeteilt.
662 ' III. Mokshadharma.
22. (11745.) Indem ich. dieses alles als ersten Keim [meinem
Werke] zugrunde legte und die Gottin Sarasvati zu Hilfe
nahm, gelang es mir, durch die Macht des Sonnengottes,
o Mannerfiirst,
23. (11746.) das (^atapatham zu verfassen. So wurde dieses
nie vorher Dagewesene von mir gemacht und, wie es von
mir gewiinscht worden war, als der rechte Weg (mar gam '.)
dargelegt,
24. (11747.) und auch meinen Schiilern das vollstandige
Ganze mitsamt den Ausziigen gewahrt. Und alle Schiiler
gingen gelautert und hocherfreut von dannen.
25. (11748.) Jene fiinfzehn Ursprossen aber sind als die
Wissenschaft vom lichtbringenden Gotte offenbart worden,
man moge sie zugrunde legen und folgendes nach Lust als
Gegenstand des Wissens iiberdenken [anucintayet mit C):
26. (11749.) Was ist hierin die heilige Wahrheit, was der
hochste Gegenstand des Wissens? In Gedanken hieriiber
kam einst ein Gandharva zu mir und befragte mich.
27. (11750.) Es war namlich Vigvavasu, o Konig, der des
Vedantawissens Kundige, welcher mir vierundzwanzig auf den
Veda beziigliche Fragen vorlegte, o Erdeherr,
28. (11751.) und eine fiinfundzwanzigste Frage nach der
Anvikshiki (der argumentierenden Wissenschaft). Was ist das
All? das Nichtall? die Stute? der Hengst? Mitra? Varuna?
29. (11752.) das Wissen? das Zuwissende? der Nicht-
erkenner? der Erkenner? der Ka? der Leidende? der Nicht-
leidende? der Sonnenfresser ? die Sonne? die Wissenschaft?
die Nichtwissenschaft?
30. (11753.) das Wifsbare? das Nichtwifsbare ? das Un-
bewegliche? das Bewegliche? das Urspriingliche ? das Un-
vergangliche ? das Vergangliche ? — das war die letzte Frage.
31. (11754.) Da sprach ich, o grofser Konig, zu dem konig-
lichen, vortreff lichsten , zielbewufsten Gandharven, der diese
Reihe der hochsten Fragen an mich gerichtet hatte:
32. (11755.) Warte eine kleine Weile, wahrend ich mir
die Sache iiberlege. — So sei es, erwiderte der Gandharva
und verharrte in Schweigen.
33. (11756.) Nun gedachte ich nochmals der Gottin Saras-
Adhyaya 320 (B. 318). 663
vati, da wurde mittels meines Verstandes die Beantwortung
jener Fragen aus mir herausgequirlt, wie Butter aus der Milch.
34. (11757.) Und auch die Upanishad und den Nachtrag,
o Herr, quirlte ich mittels meines Verstandes aus mir heraus,
indem ich zugleich die Anvikshiki (die argumentierende
Wissenschaft) im Auge behielt.
35. (11758.) Was aber jene vierte auf den Zustand nach
dem Tode beziigliche Wissenschaft betrifft, welch e noch iiber
die fiinfundzwanzig Fragen hinausgeht, so wurde diese, o grofser
Konig, dir schon von mir [in Adhyaya 319, oben S. 657 fg.]
mitgeteilt.
36. (11759.) Damals also, o grofser Konig, gab ich dem
ViQvavasu zur Antwort: Hore die Antwort auf die Fragen,
welche du, o Herr, an mich gerichtet hast.
37. (11760.) Wenn du, o Fiirst der Gandharven, nach dem
All und Nichtall fragtest, so soil man wissen, dafs das All
das hochste Unentfaltete ist, welches [als allverschlingend]
Vergangenes und Zukiinftiges in Furcht halt,
38. (11761.) und welches dreigunahaft ist, sofern es die
Guna's aus sich gebiert. Das Gegenstiick des All ferner
ist der Unteilbare. Unter dem Hengst und der Stute ist
ebendasselbe Paar zu verstehen.
39. (11762.) Das Unentfaltete wird auch Prakriti genannt,
und unter dem Gunalosen ist der Furusha zu verstehen. In
derselben Weise ist unter Mitra der Purusha, unter Varuna
die Prakriti zu verstehen.
40. (11763.) Das Wissen [sofern es durch Buddhi, Manas,
Indriya's bedingt ist] heifst Prakriti, das Zuwissende ist
der Unteilbare ; Nichterkenner und Erkenner ist der Pu-
rusha [als gebundener und erloster], darum wird er [als Sub-
jekt des Erkennens] der Unteilbare genannt.
41. (11764.) Ferner wurden der Ka, der Leidende und der
Nichtleidende genannt; der Ka ist wieder jener Purusha, der
Leidende ist die Prakriti, der Nichtleidende ist der Un-
teilbare.
42. (11765.) Das Nichtwifsbare ist die Prakriti, das
Wifsbare der Purusha. Und wenn du mich weiter nach dem
Beweglichen und Unbeweglichen fragtest, so vernimm von mir,
664 ' in. Mokshadharma.
43. (1176G.) dafs unter dem Beweglichen die Prakriti
zu verstehen ist als die [materiellej Ursache des Vergehens
und Entstehens; der Unbewegliche ist der Purusha als
der Veranlasser von Wegraffung und Neuschopfung.
44. (11767.) [Andererseits] ist das Wif share das Unent-
faltete und der Nichtwifsbare der Purusha, heide sind un-
hewufst, hestandig und unvergangHch.
45. (11768.) Beide werden als ungehoren und ewig he-
zeichnet auf Grund der Gewifsheit der Erkenntnis des inneren
Selhstes.
46. Weil sie hei ihrem Erzeugen unverganglich hleiht,
hezeichnet man sie [die Prakriti] als das Ungehorene und
Unerreichhare. (ii769.) Unter dem Unverganglichen ist
auch der Purusha zu verstehen, denn fiir ihn gibt es keinen
Vergang.
47. Sofern ihre Guna's vergehen, ist die Prakriti [das
Vergangliche]; sofern es der Veranlasser ist, [bezeichnen]
die Weisen [den Purusha] als den Unverganglichen. (ii770.) Da-
mit hast du die argumentierende Wissenschaft, die vierte ist
die auf den Zustand nach dem Tode bezugliche.
48. Fiir einen, dem es nur darauf ankommt, in bestan-
digem Werkdienste durch sein Werk einen von Wissenschaft
begleiteten Reichtum zu erlangen, (ii77i.) fiir den, o ViQva-
vasu, haben samtliche Veden nur diesen einen Zweck.
49. Wer aber nicht dasjenige, worin alle Wesen geboren
werden und sterben, und woraus sie hervorgegangen sind,
(11 772.) als den eigentlichen Zweck des Veda und als das Zu-
wissende begreift, o Bester der Gandharven,
50. der, und hatte er auch die Veden mitsamt Vedanga's
und Upahga's (Gesch. d. Philos. I, 1, S. 45) durchstudiert,
(11773.) versteht nichts von dem wahren Sinn des Veda und
ist nur ein Lasttrager des Veda.
51. Wer, um Butter zu gewinnen, Eselsmilch quirlt,
o Bester der Gandharven, (11774.) der wird statt Rahm und
Butter nur Mist zu sehen bekommen.
52. Ebenso wird der, welcher als Vedakenner das Wissens-
werte [den Purusha] und das Nichtwissenswerte [die Prakriti]
Adhyaya 320 (B. 318). 665
nicht herauszufinden weifs, (11775.) als ein blofser Tor nur ein
Lasttrager der Wissenschaft sein.
53. Diese beiden mufs man allezeit im Auge behalten
mit ungeteilt hingegebenem Geiste, (11 776.) wenn einem Geburt
und Tod nicht immer wieder und wieder zuteil werden sollen.
54. Wer das ohne Unterlafs erfolgende Geborenwerden
und Sterben iiberdenkt, der wird diese dreifache Wissenschaft
[den Werkteil der drei Veden] (11777.) als das VergangUche
dahinten lassen und in der unverganghchen Satzung "Wurzel
fassen.
55. Wenn er diese fort und fort Tag fiir Tag im Auge
behalt, o Kagyapa, (11 778.) dann wird er zur Absolutheit ge-
langen und den Sechsundzwanzigsten schauen.
56. Ein anderer ist der Ewige, Unentfaltete, und ein
anderer der Fiinfundzwanzigste, (11 779.) von jenem lehren die
Guten, dafs beide [Purusha's] ihn als den einzigen anschauen
sollen.
57. Darum geben sie sich nicht zufrieden mit jenem
Fiinfundzwanzigsten, Unerschiitterlichen, (ii780.) weil siefiirch-
ten, dadurch der Geburt und dem Tode zu verfallen, sie, die
nach dem Hochsten strebenden Anhanger des Yoga und
Saiikhyam.
ViQvavasu sprach:
58. (11781.) Was du, o bester Brahmane, als jenes Fiinf-
undzwanzigste [den Jiva, die individuelle Seele] bezeichnetest,
existiert das in Wahrheit oder existiert es nicht? Das mogest
du, o Herr, mir erklaren.
59. (11782.) Wohl habe ich vernommen [von den Unter-
redungenj des Jaigishavya und Asita Devala (oben, S. 327 fg.),
des Priesterweisen Paragara und des verstandigen Varsha-
ganya,
' 60. (11783.) des Bhrigu (S. 144 fg.), PaficaQikha (S. 270 fg.),
Kapila (S. 449 fg.) und Quka (S. 333 fg.), des Gautama,
Arshtishena und des hochsinnigen Garga,
61. (11784.) des Narada (S. 405 fg.), Asuri, des verstan-
digen Pulastya, des Sanatkumara (oben, S. 1 fg.) und des
hochsinnigen Qukra
62. (11785.) und meines Vaters Ka<?yapa (vgl. oben,
666 ni. Mokshadharma.
Vers 11 777), das alles habe ich vordem vernommen und weiter
noch [die Reden] des Rudra und des weisen Vigvarupa.
63. (11786.) Von Gottern, Vatern und Daiteya's hinter-
einander habe ich alles dieses iiberkommen, und sie erklarten
es fiir den ewigen Gegenstand des Wissens.
64. (11787.) Darum mochte ich dieses durch deine Weis-
heit auseinandergesetzt wissen, o Brahmane, denn du bist
der oberste, bist der selbstvertrauende Kenner der Lehrbiicher,
der sehr Weise.
65. (11788.) Es gibt nichts, was dir unbekannt ware, du,
o Herr, bist ein Ozean des heiligen Wissens, das erzahlt
man sich in der Gotterwelt und in der Vaterwelt, o Brahmane,
66. (11789.) und auch die zur Brahmanwelt eingegangenen
grofsen Weisen preisen dich, und Aditya, der Herr der
Gliihenden, ist bestandig der Verkiinder deines Ruhmes.
67. (11790.) Das ganze Sankhyawissen ist von dir erlangt
worden, o Brahmane, und namentlich auch, 0 Yajnavalkya,
die Lehre des Yoga.
68. (11791.) Du bist ohne Zweifel ein Erweckter und kennst
das Bewegliche und Unbewegliche, ich wiinsche das Wissen
zu vernehmen, welches aus dir quillt wie die Butter aus
dem Rahm.
Yajnavalkya sprach:
69. (11792.) 0 Bester der Gandharven, ich erachte dich
zwar fiir einen, der schon das Ganze besitzt, aber da du
mich befragst, o Konig, so vernimm es, wie es in der Schrift
gelehrt wird.
70. (11793.) Die nicht erkennende Prakriti erkennt der
Fiinfundzwanzigste , nicht aber erkennt, o Gandharva, die
Prakriti den Fiinfundzwanzigsten.
71. (11794.) Vermoge dieses ihres Erkanntwerdens wird
die Prakriti das Pradhanam (die Grundwesenheit) genannt
von den Saiikhya's und Yoga's, welche die in der Schrift
dargelegte Wahrheit erkennen.
72. (11795.) Schauend und auch wieder nicht schauend,
schaut allezeit der andere [der Fiinfundzwanzigste], 0 Un-
tadliger, er schaut den Sechsundzwanzigsten, den Fiinfund-
zwanzigsten und den Vierundzwanzigsten [die Prakriti].
Adhyaya 320 (B. 318). 667
73. (11796.) Aber obgleich er schaut, schaut er doch nicht
ihn, der auf ihn herabschaut, sondern er, der Fiinfund-
zwanzigste, wahnt, dafs kein anderer iiber ihm stehe.
74. (11797.) Nicht aber sollen sich mit dem Vierund-
zwanzigsten befassen die Menschen, welche die Wahrheit
schauen. Der Fisch durchstreift das Wasser und bewegt
sich durch eigene Bewegungskraft.
75. (11798.) Was von dem Fische gilt, das gilt auch von
jenem [Fiinfundzwanzigsten] : Wegen des Anhaftens und Zu-
sammenwohnens und wegen des bestandigen Wahnes
76. (11799.) sinkt er unter wahrend der Zeit, wann er die
Einheit nicht schaut, und er taucht empor zu der Zeit, wann
er von der Identitat durchdrungen ist.
77. (11800.) Wenn der Zwiegeborene erst zu derErkennt-
nis gelangt ist: ein anderer bin ich und ein anderer ist er
[der Vierundzwanzigste], dann gelangt er zur Absolutheit und
schaut den Sechsundzwanzigsten.
78. (11801.) Ein anderer, o Fiirst, ist der Hochste und ein
anderer der Fiinfundzwanzigste ; weil letzterer nur der Stand-
ort von jenem ist, erkennen die Guten beide nur als einen.
79. (11802.) Darum geben sie sich nicht zufrieden mit
jenem Fiinfundzwanzigsten, Unerschiitterlichen, weil sie fiircli-
ten, dadurch der Geburt und dem Tode zu verfallen, sie, die
Anhanger des Yoga und Sankhyam, o Kapyapa, (ii803.) welche
auf den Sechsundzwanzigsten hinblicken in Reinheit und
volliger Hingebung [vgl. Vers ii779fg.].
80. Wenn er, zur Absolutheit gelangend, den Sechsund-
zwanzigsten schaut, (11804.) dann wird der Weise allwissend
und verfallt nicht abermaligem Geborenwerden.
81. Damit ist dir, o Untadliger, von mir der Nichterweckte,
der Erwachende (11805.) und der Erweckte der Wahrheit ge-
mafs und nach Anschauung der Schrift dargelegt worden,
82. [der Erweckte], welcher nicht mehr unterscheidet
zwischen Schauendem und Geschautem, zwischen dem Miifsigen
und dem Objekte, o Kagyapa, (118O6.) dem Absoluten und Nicht-
absoluten, dem Fiinfundzwanzigsten als Weltanfang und dem,
was das Hochste ist.
668 III. Mokshadharma.
Vi^vavasu sprach:
83. (11807.) Da hast du, o Herr, die schone Wahrheit aus-
gesprochen, die voile, beseligende, die der Ursprung der Gotter
ist; unvergangliches Heil werde dir allezeit zuteil, moge dein
Oeist fiir und fiir durch Einsicht in der Einsicht wurzeln!
Yajiiavalkya sprach :
84. (11808.) So sprach der Hochsinnige und stieg zum
Himmel empor, glanzend in Schonheit, nachdem er mit
grofster Befriedigung mich gegriifst und nach rechts hin
umwandelt hatte.
85. (11809.) Dort lehrte er die empfangene Einsicht
den Himmelsbewohnern mit Brahman an der Spitze und
denen auf der Erde und den in der Tiefe Weilenden,
o Mannerfiirst, welche alle in rechter Weise den Heils-
weg heschritten.
86. (11810.) Alle Saiikhya's, die sich der Sahkhya-
satzung erfreuen, und die Yoga's, die sich der Yoga-
satzung erfreuen, und alle anderen Menschen, die nach
Erlosung trachten, diesen alien ist diese durch Erkenntnis
geschaute Wahrheit zuteil geworden.
87. (11811.) Aus der Erkenntnis entspringt die
Erlosung, o Konigslowe, nicht aus der Nichterkenntnis,
so lehren sie, o Fiirst der Manner, darum soil man nach
der wahren Erkenntnis trachten , dann wird man seinen
Atman von Geburt und Tod befreien.
88. (11812.) Mag man diese Erkenntnis von einem Brah-
manen empfangen oder von einem Kshatriya oder Vaigya
oder selbst von einem gemeinen (^udra, sofort soil man
sie jederzeit mit Glaubigkeit annehmen, dem Glaubigen
konnen Geburt und Tod nichts mehr anhaben.
89. (11813.) Alle Kasten, die Brahmanen und die von
ihnen Abstammenden, alle bekennen jederzeit das Brah-
man; als die Wahrheit verkiindige ich durch Brahman-
einsicht die Lehre: dieses ganze Weltall ist insgesamt
Brahman.
90. (11814.) Aus Brahman's Mund sind die Brahmanen
entsprungen, aus seinen Armen die Kshatriya's, aus seinem
Adhyaya 320 (B. 318). 669
Nabel die Vaigya's, aus seinen Fiifsen die (^udra's, alle
Kasten sind so und nicht anders anzusehen.
91. (11815.) Wegen ihres Nichtwissens wird ihnen bald
diese, bald jene Geburt fiirihre Werke zuteil, o Konig,
und wieder gehen alle Kasten ebenso in das Nichtsein
iiber, wie sie, der Erkenntnis ermangelnd, in das gemeine
Netz der Geburt durch ihr furchtbares Nichtwissen ge-
stiirzt worden waren.
92. (11816.) Darum mufs man das Wissen von iiberall-
her erfragen, und dafs es bei alien [Kasten] zu finden
ist, babe ich dir bereits gesagt. Der Brahmane, welcher
es besitzt, und jeder andere, der darin gegriindet ist,
dem wird die ewige Erlosung verheifsen, o Fiirst der
Manner.
93. (11817.) Wonach du micli gefragt hast, das babe
ich dir der Wahrheit gemafs erklart, darum magst du
frei von Kummer leben; verfolge, o Konig, diese An-
gelegenheit bis zu ihrem andern Ufer, damit ist alles
gesagt; moge dir ewiges Heil zuteil werden!
' Bhishma sprach:
94. (11818.) Als der Konig in dieser Art von dem weisen
Yajnavalkya belehrt worden war, da wurde er, der Herr von
Mithila, von Freude erfullt.
95. (11819.) Nachdem der trefflichste Muni die Umkreisung
nach rechts hin entgegengenommen hatte und geschieden
war, blieb der mannerbeherrschende Sprofs des Devarata
sitzen als ein der Erlosung Kundiger.
96. (11820.) Zehn Millionen Kiihe und Gold verteilte er an
die Brahmanen und gab ihnen dazu soviel Edelsteine, wie
beide Hande fassen konnten.
97. (11821.) Die Herrschaft iiber die Videha's aber iiber-
gab er seinem Sohne, und er, der Fiirst von Mithila, betrieb
fortan die Pflichten eines Asketen.
98. (11822.) Und indem er das Saiikhyawissen und die
gesamte Yogadisziplin studierte, verschmahte er die gemeine
Beschaftigung, iiber Recht und Unrecht zu richten.
99. (11823.) Ewig bin ich, so dachte er, und ergab sich
-670 III. Mokshadharma.
fur immer dem Absoluten, aber Recht und Unrecht, Gutes
und Boses, Wahrheit und Unwahrheit,
100. (11824.) Geburt und Tod, das alles erachtete er fiir
gemein, o Fiirst der Konige. Denn dafs das alles nur das
Unentfaltete und seine Evolutionen angehe, o Mannerfiirst,
101. (11825.) das sehen die Saiikhya's und die Yoga's ein
und schopfen die Beweise dafiir aus ihren Lehrbiichern. Denn
das Brahman, welches hoher als das Hochste ist, beharrt in
Freiheit von Erwiinschtem und Unerwiinschtem.
102. (11826.) Es ist das, welches die Weisen das Ewige,
-das Reine nennen, darum werde auch du rein. Was gegeben
wird, was man nimmt, was man als Gabe sich gefallen lafst,
103. (11827.) was man schenkt, o Fiirst, und empfangt,
-das alles schenkt und empfangt man im Bereiche des Un-
entfalteten [der PrakritiJ.
104. (11828.) Aber der Atman gehort nur dem Atman an,
welches andere gabe es, das hoher als er ware! So sollst
du allezeit denken und dich um nichts anderes kiimmern.
105. (11829.) Nur fiir denjenigen, welcher das Unentfaltete
nicht kennt, nicht das Gunahafte, nicht das Gunalose, der
mag immerhin in seiner Weisheit Badeplatze besuchen und
Opfer darbringen.
106. (11830.) Aber durch kein Vedastudium, keine Askese
oder Opfer, o Kurusprofs, kann man die Statte des Unentfal-
teten [hier = Purusha] erreichen ; nur wer ihn erkennt, gelangt
zur Herrlichkeit.
107. (11831.) In derselben Weise wird einer [je nach dem
Grade seiner Erkenntnis] die Statte des Mahan oder die des
Ahankara oder andere Statten jenseits des Ahaiikara erlangen.
108. (11832.) Aber nur die, welche das iiber das Unentfaltete
[die Prakriti] erhabene Ewige auf Grund der Lehre erkennen,
erlangen das von Geburt und Tod Freie, jenes Freie, welches
weder seiend noch nichtseiend ist.
109. (11833.) Diese Erkenntnis habe ich vordem von
Janaka erhalten, dieser aber erhielt sie, o Konig, von
Yajfiavalkya ; die Erkenntnis ist erhaben iiber den Opfer-
kultus, durch die Erkenntnis und nicht durch Opfer iiber-
windet man alle Schwierigkeiten.
Adhy&ya 320 (B. 318). 67 1
110. (11834.) Die Schwierigkeiten liegen in Geburt und
Tod, sie sind nicht blofs stpff licher Art, wie die Wissenden
lehren, darum kann man durch Opfer, Askese, Selbst-
bezwingung und Geliibde nur einen solchen Himmel er-
langen, von dem man wieder herabsinkt.
111. (11835.) Somit mogest du nur das Hochste, Grofse,
Reine verehren, die selige Befreiung, die fleckenlose Lau-
terung; diese Statte erkennend, o Fiirst, und das Opfer
des Wissens als die Wahrheit hochhaltend, wirst du ein
Rishi werden.
112. (11836.) Weil jener Yajnavalkya vordem dem
Fiirsten Janaka die Upanishad iibermittelte und das in
ihr behandelte Ewige, Unvergangliche, darum gelangte er
zu der herrlichen , leidlosen Unsterblichkeit.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwiacben Yajnavalkya und Janaka
(Ydjfiaealkya -Janaka - samudda).
Adhyaya 331 (B. 319).
Vers 1 1 837-1 1 851 (B. 1-15).
Yudhishthira spracli:
1. (11837.) Wie kann einer, der sich im Besitze grofser
iibernatiirlicher Krafte oder reicher Giiter oder langer Lebens-
dauer befindet, dem Tode entgehen,
2. (11838.) sei es durch grofse Askese oder Werke oder
Schriftgelehrsamkeit ? Oder durch welche Lebensehxiere kapn
man Alter und Tod vermeiden?
Bhishma sprach:
3. (11839.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich des bettelnd umherpilgernden Pancagikha
Unterredung mit dem Konige Janaka.
4. (11840.) Janaka, der Konig von Videha, befragte den
iiberaus vedakundigen grofsen Weisen PaiicaQikha, der alle
Zweifel iiber den Sinn des Gesetzes gelost hatte:
5. (11841.) Durch welches Verbal ten, o Heiliger, kann man
672 in. Mokshadhama. ,
Alter und Tod vermeiden, sei es durch Askese oder durch
Einsicht oder durch Werke oder durch Schriftgelehrsamkeit ?
6. (11842.) Auf diese Frage erwiderte dem Videhakonige
er, dessen Wissen bis ins Verhorgene drang: Zu vermeiden
sind die beiden nicht, und doch ist es nicht unmoghch, sie
zu vermeiden.
7. (11843.) Nicht kommen die Tage wieder, nicht die Mo-
nate und nicht die Nachte, und der Mensch, ungewifs wie
er ist, geht endhch den gewissen Weg.
8. (11844.) AUe Wesen fallen der Vernichtung anhein;;
wie durch einen Strom wird man immer weiter fortgerissen,
und dem, der fortgerissen wird und untersinkt auf dem schiff-
losen Ozean der Zeit,
9. (11845.) in dem Alter und Tod als grofse Krokodile
hausen, kommt niemand zu Hilfe, keiner steht ihm zur Seite,
und er steht keinem zur Seite
10. (11846.) Nur ein Sichtreffen auf dem Wege ist die
Verbindung mit Gattinnen und Verwandten, und noch nie ist
einer gewesen, der mit ihnen ewig zusammengewohnt hatte.
11. (11847.) Durch den Zeitgott werden sie wieder und
wieder bald mit diesem, bald mit jenem zusammengeweht
unter Donnern wie kommende und gehende Wolkenmassen
durch den Wind.
12. (11848.) Alter und Tod verschlingen wie Wolfe die Wesen,
die starken und die schwachen, die kleinen und die grofsen.
13. (11849.) Aber von ewiger Beschaffenheit ist der in diesen
verganglichen Wesen in die Erscheinung tretende fhhidaj
Atman. Wie sollte der Freude an dem Entstehen oder Kummer
iiber das Vergehen empfmden!
14. (11850.) Woher bin ich gekommen? wer bin ich? wo-
hin werde ich gehen? wem gehore ich an? worin bin ich
gegriindet? [Da alle diese Fragen den Atman nicht betreffen,]
wie solltest du irgend jemandem nachtrauern?
15. (11851.) Wer anders als du geht dem Himmel, wer
anders der Holle entgegen ! Darum iibertrete nicht das heilige
Gesetz, sondern sei fleifsig im Spenden und Opfern.
So lautet im MokshadhaTma die Unterredung zwischen Panca^ikha und Janaka
(Panca^ik/ia-Janaka - sauicdda).
Adhyaya 322 (B. 320). C73
Aclhyaya 322 (B. 320).
Vers 11852-12043 (B. 1-190).
Yudhishthira sprach:
1. (11852.) Wer vermag, auch ohne den Hausvaterstand
aufzugeben, die Befreiung von der Buddhi [und den iibrigen
Evolutionen der Prakriti] als das Wesen der Erlosung zu
erlangen? Das sage mir, o Bester der Konigsweisen unter
den Kuru's.
2. (11853.) Wie dieser [individuelle] Atman abgeschiittelt
wird, und wie das, was der Atman des Entfalteten [der Korper]
heifst, und was das hochste Ziel der Erlosung ist, das sage
mir, 0 Grofsvater.
Bhishma sprach :
3. (11854.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, o Bharata, namlich die Unterredung des Janaka
mit der Sulabha.
4. (11855.) Es war einmal ein Konig, der die Frucht der
Entsagung genofs, zu Mithila mit Namen Janaka Dharma-
dhvaja, so ist es iiberliefert.
5. (11856.) Er, der sich mit dem Veda, mit dem Erlosmigs-
gesetz und mit seinem eigenen [Konigs-] Gesetz viele Miihe
gegeben hatte, regierte sein Land, indem er seine Sinne in
Zucht hielt.
6. (11857.) Von seinem guten Wandel horten andere veda-
kundige, weise Manner in der Welt und eiferten ihm nach,
o Herr der Manner.
7. (11858.) Nun geschah es, dafs in diesem gerechten Zeit-
alter eine der Yogasatzung beflissene Bettelnonne mit Namen
Sulabha allein die Welt durchpilgerte.
8. (11859.) Indem sie in dieser Weise die ganzeWelt durch-
streifte, horte sie hier und da, wie der Konig von Mithila
von Dreistabtragern (Asketen) in betreff der Erlosung ge-
riihmt wurde.
9. (11860.) Als sie diese schwer glaubliche Kunde vernahm,
zweifelte sie an ihrer Wahrheit, und es stieg in ihr der Wunsch
auf, den Janaka kennen zu lernen.
Deussen, Mah4bh&ratam. 43
674 in. Mokshadharma.
10. (11861.) Da streifte sie durch Yogazauberkunst ihre
friihere Gestalt ab und nahm eine andere Gestalt von un-
vergleichlicher Korperschonheit an.
11. (11862.) Und in einem Augenblick flog leicht wie ein Pfeil
die Schonbrauige, Lotosaugige auf die Stadt der Videha's zu.
12. (11863.) Angelangt in dem lieblichen, von vielen Men-
schen erfiillten Mithila, nahte sie sich unter dem Vorwande
zu betteln dem Fiirsten der Stadt.
13. (11864.) Als der Konig ihre iiberaus jugendliche und
schone Gestalt sah, geriet er in Erstaunen und fragte: Wer
ist diese, zu wem gehort sie und wo kommt sie her?
14. (11865.) Nachdem er sie willkommen geheifsen hatte,
hot er ihr einen vorziiglichen Sitz an, ehrte sie durch Fufs-
waschung und erquickte sie durch vortreffliche Speise.
15. (11866.) Als die Bettelnonne mit Vergniigen gegessen
hatte, unternahm sie es, den von seinen Raten umgebenen
Konig inmitten der aller Auslegungen kundigen Gelehrten
anzustacheln,
16. (11867.) und zweifelnd, ob er in seiner Pflichterfiillung
der Erlosung teilhaftig geworden war oder nicht, drang die
Sulabha vermoge ihrer Yogakunst mit ihrer Wesenheit in
die Wesenheit des Konigs ein.
17. (11868.) Mit den Strahlen ihrer Augen fesselte sie seine
Augenstrahlen und, um ihn anzustacheln, band sie ihn durch
die Bande des Yoga.
18. (11869.) Aber der Konig Janaka lachelte, und um ihre
Macht zu iiberwinden, suchte er durch seine Macht die ihre
zu fesseln, o Bester der Konige.
19. (11870.) Vernimm nun, welche Unterredung sie, an
demselben Orte zusammengekommen , miteinander pflogen,
wahrend er den Sonnenschirm und die iibrigen Zeichen der
Konigswurde und sie den Dreistab abgelegt hatte.
Janaka sprach:
20. (11871.) Zu welchem Zwecke hast du, o Heilige, diese
Pilgerschaft unternommen, wohin willst du gehen, zu wem
gehorst du und woher kommst du? So befragte sie der Herr
des Landes.
Adbyaya 322 (B. 320). 675
21. (11872.) Wie es mit deiner Schriftkunde, deinem Lebens-
alter und deiner Geburtsstellung in Wahrheit steht, ist mir
nicht bewufst, darum mogest du iiber diese Dinge bei der
Zusammenkunft mit mir Aufschlufs geben.
22. (11873.) Wisse, dafs ich den Sonnenschirm und die
iibrigen Abzeichen nicht blofs zum Scheine abgelegt habe;
ich wiinsche dich dadurch zu ehren, denn du verdienst es
und wirst von mir geehrt.
23. (11874.) Vernimm, von wem ich dieses hervorragende
Wissen als einzigem Lehrer desselben ehemals empfangen
habe, vernimm von mir auch diese Erlosungslehre.
24. (11875.) Als hochgeschatzter Schiller des aus der Fa-
milie des Paragara stammenden alten hochsinnigen Bettel-
pilgers Pancagikha
25. (11876.) habe ich in dem Sankhyawissen und im Yoga,
sowie auch in der Lebensregel der Konige, in dieser drei-
fachen Erlosungslehre meinen Weg gefunden und alle Zweifel
gelost.
26. (11877.) Wahrend dieser, umherpilgernd nach der Vor-
schrift seines Gesetzes, die vier Regenmonate hindurch ehe-
dem bei mir gern verweilte,
27. (11878.) bin ich von ihm, dem obersten Meister der
Saiikhyalehre, der ihren Sinn vollkommen und der Wahrheit
gemafs erkannt hatte , in jener dreifachen Erlosungslehre
unterrichtet und doch nicht zum Aufgeben meiner Konigs-
wiirde veranlafst worden.
28. (11879.) Und diesen ganzen dreifachen, zur Erlosung
fiihrenden Lebenswandel halte ich frei von Leidenschaft ein
als einziger, der auf einer so hohen Stelle steht.
29. (11880.) Aber die hochste Vorschrift dieser Erlosungs-
lehre liegt in der Entsagung, und die Entsagung, durch die
man erlost wird, entspringt aus der Erkenntnis.
30. (11881.) Vermoge der Erkenntnis legt man sich An-
strengung auf, durch die Anstrengung wird Grofses erreicht,
und dieses Grofse fiihrt zur Erhabenheit iiber die Gegensatze
des Lebens, das ist die Vollendung, die iiber das Leben
hinausreicht.
31. (11882.) Diese hochste Erhabenheit iiber die Gegen-
43*
676 ni. Mokshadharma.
satze ist mir aus der Erkenntnis zuteil geworden, indem ich
frei von Verblendung und ohne Weltanhanglichkeit hienieden
wandle.
32. (11883.) Wie ein durchpfliigtes und wohlbewassertes
Feld die Frucht aufspriefsen lafst, so erzeugt das Werk der
Menschen ihre abermalige Geburt.
33. (11884.) Und wie der in irgendeiner Schale gerostete
Same, auch wenn ihm die Gelegenheit zu spriefsen geboten
wird, nicht mehr keimt, weil ihm die Samenkraft fehlt,
34. (11885.) so ist von jenem heiligen, nach der Flamme
fgikhdj sich nennenden Bettelpilger die Erkenntnis mir mit-
geteilt worden, infolge deren mein der Keimkraft beraubtes
Wesen nicht mehr in der Sinnenwelt spriefst.
35. (11886.) Es fiihlt keine Leidenschaft bei irgend etwas,
nicht bei Feindlichem, nicht bei Angehorigem, es fiihlt keine
Leidenschaft bei all dergleichen wegen der Zwecklosigkeit
der Liebe wie des Zornes.
36. (11887.) Mag einer meinen rechten Arm mit Sandel-
holzsalbe bestreichen oder mag einer meinen linken Arm ab-
hauen, — mir gelten beide gleich.
37. (11888.) Ich bin gliicklich, denn ich habe das Ziel er-
reicht; mit Gleichmut blicke ich auf Erdklumpen, Steine und
Gold; frei von Weltanhanglichkeit, verharre ich in meiner
Konigsherrschaft , erhaben iiber die anderen, auch wenn sie
als Asketen den Dreistab tragen.
38. (11889.) Der Erlosung gegeniiber wird von verschie-
denen Erlosungskundigsten ein dreifacher Standpunkt ein-
genommen. Sofern das Wissen iiber die Welt erhebt und
auf alle Werke verzichtet,
39. (11890.) preisen die einen Erlosungskundigen den Stand-
punkt des Wissens; andere das Geheime schauende Weise
riihmen den Standpunkt der Werke;
40. (11891.) aber auf beides vollig zu verzichten, auf die
Erkenntnis und auf die Werke, dieser dritte Standpunkt wurde
von jenem Hochsinnigen vertreten.
41. (11892.) In ihrem Verbal ten zu Zucht, Selbstzucht, Liebe,
Hafs, Umgebung, Hochmut, Trug und Welthang stehen jene
da [die Asketen] mit den Familienvatern auf einer Linie.
Adhy^ya 322 (B. 320). 677
42. (11893.) Wenn durch die Erkenntnis irgendeiner der
dreistabtragenden oder sonstigen Asketen die Eriosung er-
langt, warum soil sie nicht auch den Inhabern von Sonnen-
schirmen und anderen koniglichen Abzeichen erreichbar sein,
wofern beide auf dem gleichen Grunde stehen!
43. (11894.) Aus welchem Grunde auch immer einer bei
einem Werke hienieden einen Zweck verfolgen mag, immer
befafst er sich mit diesem Werke so, dafs er in jeder Hin-
sicht seinen Zweck im Auge hat.
44. (11895.) Wer aber den Hausvaterstand fiir siindhaft
halt und darum zu einem andern Lebensstadium iibergeht,
der beweist durch sein Loslassen des einen und Ergreifen
des andern, dafs er noch nicht frei von Welthang ist.
45. (11896.) Da ferner der Konig und der Bettelpilger in
gleicher Weise Herrschaft im Bestrafen und Belohnen aus-
iiben [der eine bei seinen Untertanen, der andere bei seinen
Schiilern], warum sollen denn die mit den Konigen auf einer
Linie stehenden Bettler den Vorzug der Eriosung haben?
46. (11897.) Obgleich also bei beiden eine Herrscherstellung
vorliegt, werden sie durch die Erkenntnis allein von allem
Ubel erlost, sofern sie in der hochsten Persbnlichkeit [des
Purusha] feststehen.
47. (11898.) Das braune Bettlergewand, die Kahlkopfigkeit,
der Dreistab und der Wasserkrug sind nur nebensachliche
Abzeichen und helfen nichts zur Eriosung, das ist meine
Meinung.
48. (11899.) Wenn nun auch da, wo diese Abzeichen vor-
handen sind, nur die Erkenntnis die Eriosung bewirkt, so
folgt daraus, dafs fiir die Eriosung vom Leiden diese Ab-
zeichen allein ohne Bedeutung sind.
49. (11900.) Wenn man hingegen hinsichtlich der Befreiung
vom Leiden auf aufsere Abzeichen iiberhaupt einen Wert legt,
warum sollen bei der Gleichheit des Zweckes nicht auch die
Konigsabzeichen als Mittel anerkannt werden?
50. (11901.) In der Besitzlosigkeit liegt noch nicht die Er-
iosung, in dem Besitze noch nicht die Bindung, beim Besitz
wie beim Gegenteil wird der Mensch nur durch die Er--
kenntnis erlost.
678 HI. Moksliadharma.
51. (11902.) Darum wisse, dafs trotz des Guten, Angenehmen
und Niitzlichen, trotz des Konigtums und allem Zubehor, trotz
dieser Anlasse zur Bindung einer auf dem von der Bindung
erlosten Standpunkt stehen kann.
52. (11903.) DieStricke,welclie ausKonigtum und Herrscher-
macht geflochten sind, welche an den Boden des Welthanges
uns binden, sind von mir durch das am Stein der Erlosung
gewetzte Messer der Entsagung durchschnitten worden.
53. (11904.) Auf diesem Wege bin ich zur Erlosung gelangt.
Ich nehme Interesse an dir, o Bettelnonne, und darum mochte
ich dir sagen, dafs dein Aufseres nicht mit deinem Zwecke
in Einklang steht; bore, warum.
54. (11905.) Zartheit, Schonheit, herrliche Gestalt und
Jugend, das alles ist dir eigen; ob aber auch Selbst-
bezwingung, das ist die Frage.
55. (11906.) Dafs jedenfalls dein Betragen nicht zu diesem
deinem Aufzuge stimmt, [ergibt sich daraus, dafs] du, um
zu ermitteln, ob ich erlost sei oder nicht, in meinen Wesens-
bereich eingedrungen bist.
56. (11907.) Einem Yogin, der noch mit Begierde behaftet
ist, ist auch der Dreistab [tridandakam mit C.) nichts nutze.
Diese Kegel wird von dir nicht beobachtet, wer aber wirk-
lich erlost ist [vimuktasya mit C), der pflegt auf seiner Hut
zu sein.
57. (11908.) Da du dich an mich herangedrangt hast, so
hore, welcher Ubertretung ich dir schuld gebe, die du eigen-
machtig in meinen bisherigen Wesensbereich eingedrungen bist.
58. (11909.) Mit welchem Rechte bist du in mein Reich, in
meine Stadt gekommen? auf wessen Veranlassung bist du in
mein Herz eingedrungen?
59. (11910.) Du als Brahmanin bist die trefflichste Ver-
treterin der obersten Kaste, ich aber bin ein Kshatriya, eine
Verbindung zwischen uns beiden ist nicht statthaft, strebe
nicht nach Kastenvermischung.
60. (11911.) Du befolgst die Satzung der Erlosung und ich
gehore dem Lebensstadium des Hausvaters an, und auch zum
zweiten wiirde eine Vermischung dieser Lebensstadien fiir dich
sehr iibel sein.
Adhyaya 322 (B. 320). 679
61. (11912.) Ob du zu meinem Familienkreis gehorst oder
nicht, das weifs ich nicht von dir und du weifst es nicht von
mir; durch dein Eingehen in einen, der demselben Familien-
kreise angeliort, wiirde von dir als drittes das Vergehen der
Vermischung innerhalb des Familienkreises begangen werden.
62. (11913.) Aber vielleicht lebt dein Gatte und weilt nur
irgendwo in der Feme, dann wiirde nach der Vorschrift, dafs
man der Gattin eines andern nicht nahen darf, noch als viertes
Vergehen eine Verwirrung des Gesetzes eintreten.
63. (11914.) Zu diesen Vergehen hast du dich um eines
bestimmten Zweckes willen fortreifsen lassen, sei es aus Un-
kenntnis, sei es aus Irrtum.
64. (11915.) Oder hast du dich etwa durch eigene Schuld
[von dem Gesetze, welches fordert, dafs ein Weib stets ab-
hangig bleibe] emanzipiert, nun, dann ist all dein Vedastudium,
soviel du davon haben magst, vergebens gewesen.
65. (11916.) Und dies ist ein neuer, dritter Vorwurf gegen
dich, dafs du mein Wesen antastest und dadurch storst; und
das ist das Kennzeichen eines schlechten Weibes, welches
durch dein unverhiilltes Benehmen an den Tag gekommen ist.
66. (11917.) Und du, indem du zu triumphieren wiinschest,
richtest bei deinem Triumphe deine Absicht nicht auf mich
allein, sondern du strebst danach, auch iiber diese meine
ganze Umgebung zu triumphieren.
67. (11918.) Und in dieser Weise richtest du weiter dein
Augenmerk auf diese wiirdigen Manner, um meine Partei
niederzuwerfen und deine Partei zu heben.
68. (11919.) Du aber, verblendet durch die aus Ubelwollen
gegen mich entsprungene Machtverblendung, schiittest noch
immer weiter deine Yogakiinste aus, als Gift und Amritam
zugleich.
69. (11 920.) Wenn Mann und Weib, die einander begehren,
das Ziel erreichen, so ist das dem Amritam vergleichbar ; wenn
aber ein Verliebter das Ziel seiner Wiinsche nicht erlangen
kann, so ist das ein Ungliick, welches dem Gifte gleichkommt.
70. (11921.) Weiche nicht ab vom geraden Wege, sei weise
und befolge deine Lebensregel, denn deine Neugierde daruber,
ob ich erlost bin oder nicht, ist ja befriedigt worden.
680 III. Mokshadharma.
71. (11922.) Nun darfst du aber auch alle deine Geheim-
nisse nicht vor mir verbergen {guhitum mit C). Magst du
auf eigene Veranlassung oder auf die eines andern Fiirsten
hier sein, (11023.) du darfst vor mir nicht die Wahrheit ver-
bergen, indem du dich mit falschem Schein umhiillst.
72. Einem Konige darf man nie mit Falschheit begegnen,
noch auch einem Brahmanen, (11924.) noch einer mit weib-
lichen Tugenden gezierten Frau, denn wer si eh mit einem
falschen Schein umgibt, der schadigt.
73. Die Kraft des Konigs besteht in der Herrschaft, die
des Brahmankenners im Brahman, (11925.) die grofste Kraft
der Frauen besteht in ihrem Begliicktsein mit Schonheit und
Jugend.
74. Darum mufs, wer seinen Zweck erreichen will, die
durch solche Krafte Machtigen (11926.) mit Geradheit angehen,
denn der ungerade Weg fiihrt zum Verderben.
75. Darum mufst du deine Geburt, Schriftgelehrsamkeit,
Lebensregel, Macht, Natur (11 927.) und den Zweck deines Her-
kommens der Wahrheit gemafs mitteilen.
Bhishma sprach:
76. (11928.) Obgleich mit diesen unfreundlichen, unpassen-
den, uniiberlegten Worten vom Konige abgewiesen, liefs sich
die Sulabha doch nicht einschiichtern.
77. (11929.) Nachdem aber der Konig seine Rede geendet
hatte, begann die lieblich aussehende Sulabha eine noch
lieblichere Rede zu halten.
Sulabha sprach:
78. (11930.) Eine von den achtzehn. Rede und Gedanken
verderbenden Fehlern freie, inhaltreiche , mit den achtzehn
Vorziigen geschmtickte
79. (11931.) Subtilitat, ferner Uberlegtheit und Ord-
nung, sowie Klarlieit des Resultates und Motiv, diese
fiinf, durch den Zweck bedingten Erfordernisse, o Fiirst,
machen eine Rede aus.
80. (11 932.) Von diesen Erfordernissen, der Subtihtat usw.,
welche in Begriff, Wort und Satz zum Ausdruck kommen,
vernimm im einzelnen die Definition.
Adhy^ya 322 (B. 320). 681
81. (ii9.:i3.) Wenn die Erkenntnis je nach den verschie-
denen Erkenntnisobjekten sich verschieden gestaltet und der
Verstand iiberall dabei tatig ist, so macht das die Subtilitat
der Eede aus.
82. (11934.) Wenn man im Hinblick auf einen bestimmten
Zweck die Tragweite der Fehler und Vorziige beim Reden sich im
einzelnen klar macht, so ist dies als Uberlegtheit anzusehen.
83. (11935.) Von dem, was man sagen will, mufs dies vor-
her und jenes nachher gesagt werden ; das nennen die Kenner
der Beredsamkeit eine in Ordnung verlaufende Rede.
84. (11936.) Wenn man im einzelnen iiber Gutes, An-
genehmes, Niitzliches oder iiber die Erlosung sich verbreitet
hat und am Schlusse der Rede sagen kann: „so ist es", so
wird das die Klarheit des Resultates genannt.
85. (11937.) Wenn infolge der aus Wunscli und Hafs ent-
springenden Affekte eine iiberwiegende Neigung sich einstellt
und diese sich im Handeln betatigt, o Fiirst, so wird dieses
das Motiv genannt.
86. (11938.) Diese genannten fiinf Erfordernisse, Subtili-
tat usw., zu einem Zwecke vereinigt, sollst du als meine
Eede, o Fiirst, vernehmen.
87. (11939.) Ich will dir eine sinnreiche, unzweideutige,
regelrechte, nicht weitschweifige, milde, zweifelsfreie, vorziig-
liche Rede halten,
88. (11940.) eine nicht schwerfallige, nicht der Heiterkeit
abgeneigte, wahre, nicht dem Guten, Angenehmen und Niitz-
lichen zuwiderlaufende, nicht des Schmuckes entbehrende,
89. (11941.) eine nicht unvollstandige, nicht hafsliche Worte
enthaltende, nicht hochfahrende, nicht wegen bildlicher Aus-
drucksweise erklarungsbediirftige, nicht der Begriindung ent-
behrende, nicht unmotivierte.
90. (11942.) Hingegen werde ich nie in meiner Rede mich
von Begierde, Zorn, Furcht, Habsucht und unedlem Klein-
mute, noch auch von Schiichternheit , Mitleid und Hochmut
beherrschen lassen.
91. (11943.) Wenn Redner, Horer und die vollstandige Rede
harmonisch beim Reden zusammenstimmt, o Fiirst, dann tritt
der beabsichtigte Sinn zutage.
682 m. Mokshadharma.
92. (11944.) Wenn hingegen der Redner in der Rede Ver-
achtung des Horenden bekundet, indem er nur sein Interesse
vertritt und dieses fiir das Interesse des andern ausgibt, dann
kann die Rede nicht wirken.
93. (11945.) Wenn er aber sein eigenes Interesse ganz ver-
leugnet und nur das Interesse des andern vertritt, dann fafst man
Mifstrauen gegen ihn, und auch eine solche Rede ist verfehlt.
94. (11946.) Wenn dagegen der Redner das beiderseitige
Interesse, das des Horenden und sein eigenes, als in Ein-
klang stehend nachweist, ein solcher und kein anderer ist
der wahre Redner, o Konig.
95. (11947.) So hore denn, o Konig, diese sachgemafse
Auseinandersetzung. Wie Leim und Holz, wie Staub und
Wassertropfen
96. (11948.) miteinander verbunden sind, so ist es auch,
o Konig, mit der Zusammensetzung der lebenden Wesen in
dieser Welt. Ton, Gefiihl, Geschmack, Gesicht und Geruch
sind die fiinf Sinne;
97. (11949.) ihre besonderen Wesenheiten sind zu einer
Wesenheit verbunden wie Leim und Holz. Aber sie haben
durchaus keinen Einflufs aufeinander, das ist klar.
98. (11950.) Jedes einzelne von ihnen hat kein Bewufstsein,
weder von sich selbst, noch von dem andern : das Auge weifs
nicht, dafs es Auge ist, das Ohr hat keine Kunde von sich selbst.
99. (11951.) Dennoch iiberschreiten sie bei ihrem Wirken
nicht ihre Grenzen, obgleich sie kein Bewufstsein davon
haben, miteinander verbunden zu sein wie Wasser und Staub.
100. (11952.) Hingegen stehen sie in Beziehung zu anderen
Dingen aufser ihnen, namlich zu den Qualitaten; vernimm
auch diese von mir. Die Gestalt, das Auge und das Licht
wirken als drei Ursachen beim Sehen zusammen.
101. (11953.) Wie in diesem Falle, so wirken auch bei
den anderen Erkenntnisobjekten die entsprechenden Ursachen
zusammen, und bei diesem Gegensatze zwischen Erkenntnis
und Erkenntnisobjekt tritt eine hohere Qualitat in Kraft,
welche das Manas heifst.
102. (11954.) Indem sie iiberlegt bei dem Entscheiden iiber
Gutes und Boses, tritt hierbei eine zwolfte Qualitat in Kraft,
Adhyaya 322 (B. 320). 683
welche Buddhi heifst (11955.) und nach vorhergegangenem
Zweifel liber die Erkenntnisobjekte die Entscheidung trifft.
103. ijber diese zwolfte Qualitat erhebt sich eine andere,
welche Sattvam genannt wird (ii956.) und nach welcher der
Mensch beurteilt wird als reich an Sattvam oder arm an
Sattvam.
104. Ich bin der Tater faham JcartdJ, so spricht eine
weitere, vierzehnte Qualitat, [sie heifst Ahaiikara] (11957.) weil
sie sagt, dieser Mensch gehort mir und jener gehort mir nicht.
105. Dann folgt, o Konig, eine funfzehnte hohere Quali-
tat, (11958.) welche bezeichnet wird als der Inbegriff der
Summe der verschiedenen Telle.
106. Dann folgt als sechzehnte eine weitere Qualitat,
welche gleichsam ein Aggregat ist [nach Nil. die Avidya],
(11959.) auf welche zwei weitere Qualitaten, namlich Prakriti
und Vyakti (Entfaltung) sich stiitzen.
107. Lust und Unlust, Alter und Tod, Gewinn und Ver-
lust, Liebes und Unliebes, (ii960.) in diesen besteht die neun-
zehnte Qualitat, welche diePaarungderGegensatze heifst.
108. Hoher als die neunzehn steht eine weitere Qualitat,
welche Kala (die Zeit) genannt wird, (ii96i.) durch sie als
die zwanzigste sind Entstehen und Vergang der Wesen bedingt.
109. Dieser zwanzigfache Komplex, dazu die fiinf grofsen
Elemente (ii96'2.) und zwei andere zum Vorschein kommende
Qualitaten, welche mit dem Charakter des Seienden und
Nichtseienden behaftet sind,
110. dieser zwanzigfache Komplex und dazu die sieben
erwahnten Qualitaten, (11 963.) ferner Vidhi (moralischer Exi-
stenzgrund), Qukram (Eintritt ins Dasein durch Zeugung)
und Balam (Betatigung im Dasein) als drei weitere Guna's, —
111. das sind alles in allem zusammengezahlt dreifsig
Qualitaten; (11 964.) dasjenige, worin diese samtlich sich zu-
sammengefunden haben, wird Leib genannt.
112. Manche nehmen an, dafs der Urgrund fprakritij
dieser [dreifsig] Bestandteile ein Unoffenbares [avyaktam meta-
physisch Reales] ist, (11 965.) andere hingegen von plumperm
Verstande sehen den Urgrund derselben in einem Offenbaren
[empirisch Realem].
684 in. Mokshadharma.
113. Mag man nun aber ein Unoffenbares oder Offen-
bares oder alle beide oder eine Vierheit von Urgriinden an-
setzen, (11966.) unter alien Umstanden nehmen die Kenner des
innern Selbstes einen Urgrund aller Wesen an.
114. Und dieser unoffenbare Urgrund kommt durch die
[dreifsig] Bestandteile zur Offenbarung (ii967.) als ich und du,
o Fiirst der Konige, und als alle anderen Verkorperten.
115. Es sind die in der Injektion des Tropfens usw. be-
^tehenden, an das Vorhandensein von Same und Blut ge-
kniipften Bedingungen, (ii968.) durch deren Eintreten das
entsteht, was man den Keim fkalalamj nennt.
116. Aus dem Keim entsteht die Keimblase fbudbudamj,
aus dieser der Fotus fpegij, (ii969.) aus dem Fotus entwickeln
sich nach und nach die Glieder, und aus den Gliedern Nagel
und Haare.
117. Nach Ablauf des neunten Monats erfolgt fiir das
entstandene Wesen, o Fiirst von Mithila, (11970.) die Geburt
in der Welt der Namen und Gestalten, je nach dem Ge-
schlechtszeichen als Weib oder Mann.
118. Wahrend man die eben geborene Gestalt als kupfer-
farbig an Nageln und Fingern wahrnimmt, (11971.) so ist dies
an der aus dieser Gestalt sich fortentwickelten Kindgestalt
nicht weiter zu bemerken.
119. Aus der Kindheit geht die Jugend, aus der Jugend
das Alter hervor, (11972.) und bei dieser stufenweisen Entwick-
lung wird das jedesmal Friihere nicht mehr wahrgenommen.
120. An den fiir ihre besonderen Zwecke bestimmten
[dreifsig] Bestandteilen fmden von Augenblick zu Augenblick
Veranderungen (11 973.) bei alien Wesen statt, welche jedoch
wegen ihrer Kleinheit nicht wahrgenommen werden.
121. Weder ihr Vergehen, noch ihre Neubildung ist,
o Konig, (11974.) in den verschiedenen Zustanden bemerkbar,
so wenig wie die Veranderung der Flamme in einer brennenden
Lampe.
122. Da nun diese ganze Welt in einem solchen Pro-
zesse begriffen ist, unaufhorlich wie ein tiichtiges Rofs dahin-
zustiirmen, (11975.) wer sollte da irgendwoher stammen oder
nicht stammen?
Adhyaya 322 (B. 320). 685
123. wem sollte da irgend etwas angehoren oder nicht
angehoren? woher sollte irgend etwas kommen oder nicht
kommen? (ii976.) welcher Zusammenhang sollte da zwischen
den Wesen, ja audi nur zwischen den Gliedern des eigenen
Leibes bestehen?
124. Wie das Feuer aus Sonne, Edelstein oder Holz [die
von ihm ganz verschieden sind] entspringt, (11977.) so ent-
springen die Wesen aus dem Zusammentreffen der [von ihnen
ganz verschiedenen dreifsig] Bestandteile.
125. So gut wie du in deinem Selbste durch dein Selbst
dein Selbst siehst, (11978.) und wie du hierbei durch dein
Selbst das [allgemeine] Selbst siehst, warum solltest du nicht
ebenso in einem andern durch dein Selbst das [allgemeine]
Selbst sehen!
126. (11979.) Und wenn du in einem fremden Selbste die
Identitat [mit dem allgemeinen Selbste] feststellst, warum
fragst du mich dann, wer ich sei und wem ich angehore?
127. (11980.) Fur einen, der sich von solchen Gegensatzen,
wie: „dies ist mein", „dies ist nicht mein", losgelost hat,
o Herr von Mithila, welchen Zweck haben fiir einen solchen die
Fragen : Wer bist du, wem gehorst du an, woher kommst du ?
128. (11981.) Wer als Konig im Sieg, Frieden und Krieg
mit Feinden, Freunden und Neutralen zu tun hat, welches
Merkmal des Erlosten ware wohl bei dem zu finden!
129. (11982.) Wer nicht imstande ist, in den Werken die
Dreischar [des Guten, Angenehmen und Niitzlichen] in ihrer
siebenfachen Kombination [einzeln, paarweise und zu dreien]
zu durchschauen , sondern noch an dieser Dreischar hangt,
welches Merkmal des Erlosten ware wohl bei dem zu finden !
130. (fehit In c.) Wer auf Liebes und Unliebes, auf Starkes
und Schwaches nicht mit gleichem Blicke sieht, welches Merk-
mal des Erlosten ware wohl bei dem zu finden!
131. (11983.) Darum bist du nicht geeignet fiir die Er-
losung, — der W^ahn, sie zu besitzen, o Fiirst, mufs von
deinen Freunden unterdriickt werden — nicht geeignet, wie
einer, der keine Diat halt, fiir die Arznei.
132. (11984.) Nur der, o Feindbez winger, welcher alle mog-
lichen Anlasse zum Welthange samt und senders schon in
686 ni. Mokshadharma.
sich selbst durch sich selbst befriedigt findet [vgl. Chand. Up.
8,3,2], nur der besitzt das Merkmal des Erlosten.
133. (11985.) Diese Anlasse zum Welthange und manche
andere schwer bemerkbare, die sich in vier Arten sondern
[Schlaf, Sinnengenufs, Nahrung, Kleidung], will ich dir vom
Standpunkte der Eriosung aus erklaren.
134. (11986.) Auch wenn einer diese ganze Erde als Allein-
herrscher regierte, so miirste ein solcher Konig doch als ein
einzelner Mensch in einer bestimmten Stadt Wohnung nehmen.
135. (11987.) Und in dieser Stadt ist es doch nur ein Haus,
welches er bewohnen kann, und in dem Hause ist es nur ein
Bett, in dem er nachts ruhen kann.
136. (11988.) Und die Halfte dieses Bettes hat schon vor-
her die Frau in Besitz genommen. Darum wird er nur unter
diesen Einschrankungen des Genusses seiner Macht teilhaftig.
137. (11989.) Ebenso steht es fiir ihn in Sinnengenufs,
Nahrung und Kleidung und in den beschrankten Machtmitteln,
zu strafen und zu lohnen.
138. (11990.) Immer ist der Konig abhangig, schon in
kleinen Sachen ist er nicht frei, und wenn es sich erst um
Krieg und Frieden handelt, wie konnte er da unabhangig sein?
139. (11991.) Bei Weibern, Spiel und Erholung zeigt sich
iiberall die Abhangigkeit des Konigs, und vollends bei der
Beratung im Ministerrat, wo bleibt da seine Unabhangigkeit ?
140. (11992.) Man behauptet wohl, der Konig sei frei, wenn
er anderen Befehle gibt, aber er wird gezwungen, gegen seinen
Willen zu handeln, indem er dem jedesmaligen Augenblicke
gehorcht.
141. (11993.) Er mochte schlafen und kann keinen Schlaf
finden wegen der Menschen, die seiner Befehle barren, und hat
er sich losgemacht und ist auf seinem Lager entschlummert,
so wird er gegen seinen Willen wieder aufgeweckt.
142. (11994.) Bade dich, opfere, trinke, ifs, giefse den Opfer-
trank aus, verehre die heiligen Feuer, rede, hore, durch diese
Worte wird er wider Willen von anderen zum Handeln ge-
bracht.
143. (11995.) In dieser Weise iiberlaufen ihn immerfort
die Leute und bedrangen ihn mit Bitten, aber als Hiiter des
Adhyaya 322 (B. 320). 687
Staatsschatzes kann er nicht einmal hochverdiente Manner
befriedigen.
144. (11996.) Wenn er schenkt, leert sich seine Schatz-
kammer, und sogar Feindschaft zieht er sich durch seine
Gaben zu, dann iiberkommen ihn alsbald Verstimmungen, die
ihn seiner Herrschaft uberdriissig machen.
145. (11997.) Gegen Weise, Helden und Reiehe, auch wenn
sie allein stehen, hegt er Argwohn; und ist er vor diesen
sicher, mufs er sich sogar vor denen fiirchten, die ihn be-
standig verehren.
146. (11998.) So kann es geschehen, o Konig, dafs die
Erwahnten ihm abtriinnig werden, und du kannst dir denken,
wie sehr er dann Grund hat, sich vor ihnen zu fiirchten.
147. (11999.) Jeder ist in seinem Hause Konig, denn jeder
Hausvater, wenn er in seinem Hause straft oder lohnt, ist,
o Janaka, dem Konige vergleichbar.
148. (12000.) Auch der Konig hat Sohne, Gattinnen und
die eigene Person, Schatze, Freunde und Vorrate, das alles
hat er ebenso wie die anderen, sci es aus diesem oder jenem
Grunde.
149. (12001.) Wenn sein Land verwiistet, seine Stadt ab-
gebrannt, sein bester Elefant gestorben ist, so wird er bei
diesen allgemein menschhchen Ungliicksfallen infolge der irr-
tuniHchen Erkenntnis gequalt.
150. (12 002.) Nicht befreit von geistigen Leiden, wie sie
aus Liebe, Hafs und Furcht entspringen, von Kopfschmerzen
und anderen Krankheiten, die ihn so gut wie andere befallen,
151. (12003.) von diesen und jenen Gegensatzen bedrangt
und immerfort in Furcht, hangt er doch an seiner viel an-
gefeindeten Herrschaft, die Nachte zahlend (durchwachend).
152. (12004.) Die iiberaus wenig Freude bietende, viel
Leiden auferlegende, wertlose, einem Strohfeuer vergleichbare,
einer Schaumblase ahnliche
153. (12005.) Konigswurde, — wer mochte die annehmen,
und wer, der sie erlangt hat, konnte Befriedigung empfinden !
Und wenn du wahnst, dein seien diese Stadt und dieses Reich,
154. (12006.) das Heer, der Schatz und die Minister, ge-
horen sie nicht alien, gehoren sie nicht keinem an, o Fiirst?
688 in. Mokshadharma.
Die Bundesgenossen, die Minister, die Stadt, das Reich, das
Riciiteramt, die Schatzkammer und der Landesherr,
155. (12007.) welches dieser Gheder verdiente vor den
anderen einen Vorzug bei einer Herrschaft, welche wie drei
sich gegenseitig stiitzende Stabe durch alle sieben GJieder
ihren Bestand hat und auf die Tatigkeit des einen wie des
andern angewiesen ist!
156. (12008.) Zu einer Zeit tritt dieses, zur andern jenes
GHed hervor, und dasjenige, durch welches jedesmal ein be-
stimmter Zweck erreicht wird, wird zur Hauptsache.
157. (12 009.) Dieses aus sieben Gliedern bestehende Aggre-
gat und die drei noch hinzukommenden [Zunehmen, Bestehen,
Abnehmen nach Nil.], o bester Fiirst, bilden zusammen eine
Schar von Zehnen, welche alle ebensogut wie der Konig die
Herrschaft geniefsen. (12010.) Und wenn ein Konig sich sehr
viel Miihe gibt und Freude an seiner Regierungspflicht hat,
158. so geniefst er doch nur einen Teil unter den Zehnen,
im andern Falle noch weniger als ein Zehntel. (12011.) Es
gibt keinen Konig, der nicht seinen Besitz mit jenen zehn
anderen gemeinsam hatte, wie es ja auch kein Reich gibt,
das nicht einen Konig hatte.
159. Ohne das Reich kann die Pflicht nicht bestehen,
ohne die Pflicht nicht das Streben nach dem Hochsten.
(12012.) Und was fiir den Konig die hochste Pflichtleistung,
was fiir Konig und Reich das Lauterungsmittel ist,
160. das wird zustande gebracht durch das Rofsopfer
[agvamedhena mit C), bei dem die ganze Erde als Opferlohn
weggegeben wird. (12013.) Wie ich hier bin, konnte ich die
Geschafte, unter denen ein Konig zu leiden hat, 0 Mithilafiirst,
161. hundertfaltig und tausendfaltig auseinandersetzen.
(12014.) Sogar an meinem eigenen Leibe liegt mir nichts, wie
kame ich dazu, auch noch in den Wesensbereich eines andern
eindringen zu wollen!
162. Mir, die ich in dieser Weise dem Yoga ergeben bin,
solltest du einen solchen Vorwurf nicht machen. (12015.) Frei-
lich hast du von Paficagikha die ganze Erlosungslehre gehort
163. samt den Mitteln und den Upanishad's, samt den
Zutaten und der Vergewisserung. (12016.) Wenn du wirklich
Adhyaya 322 (B. 320). G89
dastehst als einer, der den Welthang abgetan hat und iiber
seine Fesseln hinausgelangt ist,
164. wie kommt es dann, dafs du wieder in den Hang
zu dem Sonnenschirm und den librigen Abzeichen der Konigs-
wiirde verfallen bist? (12017.) Ich glaube, du hast gar nicht
gehort, was du gehort hast, oder du hast es falsch gehort,
165. oder du hast nur eine Scheinbelehrung empfangen,
(12 018.) jedenfalls zeigst du dich in diesen weltlichen Vor-
stellungen befangen
166. und bist durch Hang und Hemmungen gebunden
wie ein gewohnHcher Mensch. (12019.) Wenn ich mit meiner
Wesenheit in dich eingedrungen bin,
167. was kann dir das schaden, wenn du im vollen Sinne
ein Erloster bist? (12020.) Unter alien Menschenklassen gilt
dem Asketen als Kegel, in der Abgeschiedenheit zu wohnen ;
168. wenn ich in dein Wesen, von dem du abgeschieden
bist, eindrange, wem wiirde ich damit etwas zuleide tun?
(12021.) Ubrigens, 0 Untadliger, habe ich dich weder mit
Handen noch mit Armen, weder mit Fiifsen noch mit
Beinen
169. oder mit anderen Gliedern beriihrt, o Mannerherr.
(12022.) Du, der du aus einer grofsen Familie stammst, scham-
haft und weitblickend bist, hattest von deinem Throne aus
nicht von einer Vereinigung [unserer Leiber] reden sollen,
mochte sie nun stattgefunden haben oder nicht.
170. (12023.) Und wo hier diese ehrwiirdigen Brahmanen
und andere der hochsten Ehre Wiirdige zugegen sind und,
da du auch ihnen ehrwiirdig bist, eine gegenseitige Hoch-
achtung sich gebiihrte,
171. (12024.) hattest du dies bedenken und erwagen sollen,
was zu sagen ziemlich oder nicht ziemlich ist, und hattest
von einer solchen Vereinigung einer Frau mit einem Manne
nicht offentlich reden diirfen.
.172. (12025.) Wie der Wassertropfen auf einem Lotosblatte
weilt, ohne es zu beriihren, so werde ich auch in dir wohnen,
ohne dich zu beriihren, o Mithilafiirst.
173. (12026.) Und wenn ich dich wirklich beruhre und du
diese Beriihrung spiirst, wie kann dir dann von jenem Bettel-
Deussen, Mab^bh^Tatam. 44
690 III. Mokshadharma.
monche ein die Keimkraft deines Wesens vernichtendes Wissen
zuteil geworden sein? [vgl. Vers ii885.]
174. (12 027.) Den Hausvaterstand hast du verloren und
die schwer erreichbare Erlosung hast du doch nicht erlangt,
sondern du stehst in der Mitte zwischen beiden wie einer,
der aus der Erlosung ein Gewerbe macht.
175. (12028.) Auoh kann, da doch nur eine Verbindung
zwischen Sein [Purusha] und Nichtsein [Prakriti] moglich
ist, ein Erloster wegen der Einheit und Isohertheit des Purusha
mit einem andern Erlosten nicht in Kastenvermischung ver-
fallen [vgl. Vers ii9io].
176. (12 029.) Kasten und Lebensstadien entbehren der
Isoliertheit, da nur der Wahrheitschauende die Isoliertheit
besitzt; das andere ist [in Wahrheit] kein anderes [denn alle
Purusha's sind identisch] , mithin kann auch das andere nicht
in dem andern wohnen.
177. (12030.) In der Hand ist der Topf, im Topf die Milch,
in der Milch die Fliege; nur weil sie voneinander verschieden
sind, konnen sich diese als Enthaltendes und Enthaltenes mit-
einander verbinden.
178. (12 031.) Aber die Milch ist nicht der Topf und die
Fliege ist nicht die Milch, diese Dinge sind immer nur sie
selbst, nicht das andere, in dem sie enthalten sind.
179. (12 032.) Da die Lebensstadien und Kasten [vom
Purusha] verschieden und iiberdies noch untereinander ver-
schieden sind, wie kannst du [beim Purusha] von einer Kasten-
vermischung reden?
180. (12033.) Ubrigens bin ich gar nicht aus der hochsten
Kaste, bin auch keine Vaigya oder eine, die noch tiefer stiinde,
sondern ich bin aus derselben Kaste wie du, o Konig, reinen
Ursprungs und unbescholtenen Wandels.
181. (12 034.) Es gab einen Konigsweisen mit Namen Pra-
dhana, von dem du sicher schon gehort hast; wisse, dafs ich
in dessen Familie geboren bin und Sulabha heifse.
182. (12035.) Drona, Qatagringa, Cakradvara und Parvata
liefsen sich mitsamt dem machtigen Indra bei den grofsen
Somafeiern meiner Vorfahren sehen.
183. (12036.) In dieser Familie bin ich geboren, und da
Adhyaya 322 (B. 320). 691
sicli kein ebenbiirtiger Gatte fiir mich fand, wurde ich in den
Eriosungslehren ausgebildet und betreibe nun alleinstehend
•das Einsiedlergeliibde.
184. (12037.) Ich habe mich nicht mit falschem Schein
umgeben [vgl. Vers 119-23], bin keine Rauberin fremden
Outes und veranlasse keine Verwirrung des Gesetzes [vgl.
Vers 11913], sondern halte treu an dem Gesetze, welches mein
Geliibde ist.
185. (12038.) Ich halte fest an meinem Gelobnisse, rede
nicht ohne Uberlegung und bin auch nicht ohne Absicht
hierher in deine Nahe gekommen, o Mannerherr.
186. (12039.) Da ich vernommen hatte, dafs dein Geist
der Erlosung hingegeben ist, so bin ich, nach dem Heil ver-
langend, hierher gekommen, um auch deine Erlosung kennen
zu lernen.
187. (12 040.) Ich sage dieses nicht als eine, die zu einer
Partei gehort, sei es der eigenen, sei es der eines andern
[oder um zu ermitteln], wer erlost, wer noch im Ringen um
die Ruhe und wer ohne Ruhe ist.
188. (12041.) Wie nach altem Brauche der Bettelpilger nur
■eine Nacht in einem leeren Hause zu weilen pflegt, so werde
ich in deinem Leibe nur die nachste Nacht zubringen.
189. (12 042.) Nachdem ich durch Ehrenerweisung sowie
durch Reden und Bewirtung wohlaufgenommen worden bin,
werde ich in guter Hut schlafen und morgen befriedigt von
dannen ziehen, o Mithilafiirst.
Bhishma sprach:
190. (12043.) Nachdem der Konig diese wohlbegriindeten
und inhaltreichen Worte angehort hatte, fand er nichts weiter
mehr, was er hatte erwidern konnen.
So lautet im Moksbadharma die Unterredung zwischen der SulabhA und Janaka
(Sulabhd - Janaka - samrdda).
44*
692 in. Mokshadharma.
i Adhyaya 323 (B. 321).
Vers 12044-12137 (B. 1-94).
Yudhishthira sprach:
1. (12044.) Wie geschah es vordem, dafs der Quka, der
Vyasasohn, zur Weltverdrossenheit gelangte? Das wiinsche
ich zu vernehmen, grofse Wifsbegier erfiillt mich.
2. (12045.) Du mogest mir Klarheit iiber das Unentfaltete,
das Entfaltete und die Wesenheit [das Brahman, Nil.], Klar-
heit der Erkenntnis verschaffen, o Kurusprofs, sowie iiber die
Schopfertatigkeit des ungeborenen Gottes.
Blushma sprach:
3. (12046.) Dem den gewbhnlichen guten Wandel beobach-
tenden, vor niemand sich fiirchtenden Sohne erteilte der
Vater, nachdem er das ganze Vedastudium mit ihm durch-
gemacht hatte, folgende Belehrungen.
Vyasa sprach:
4. (12047.) Wandle, o Sohn, in der Pflicht und tiberwinde
mit bezahmten Sinnen allezeit die strengste Kalte und Hitze,
Hunger und Durst und Wind.
5. (12 048.) Wahrhaftigkeit, Geradheit, Zornlosigkeit, Un-
verdrossenheit, Bezahmung, Askese, Schonung und Menschen-
freundlichkeit beobachte, wie sie das Gesetz vorschreibt.
6. (12049.) Beharre in der Wahrheit, liebe die Gerechtig-
keit und enthalte dich aller Unredlichkeit, und friste dein
Leben nur mit dem, was Gotter und Gaste iibriggelassen haben.
7. (12 050.) Wo dein Leib [verganglich] wie eine Schaum-
blase ist, deine Seele [nur voriibergehend] wie ein Vogel in
ihm weilt und das Zusammensein mit denen, die man liebt,
so kurze Zeit wahrt, wie magst du da der Ruhe pflegen,
0 Sohn?
8. (12051.) Wo unermiidliche, wachsame Feinde [die Be-
gierden. Nil.] stets auf der Lauer liegen, um eine Blofse zu
erspahen, bist du ein solcher Tor, dafs du nicht Wache haltst?
Adhyaya 323 (B. 321). 698
9. (12052.) Wo die Tage sich zahlen lassen, die Lebens-
kraft schwindet und das Leben zernagt wird, wirst du da
nicht aufspringen und Rettung suchen?
10. (12053.) Nach dem Diesseitigen streben sie, nach Ge-
deihen von Fleisch und Blut, und wo es sich um jenseitige
Interessen handelt, schlafen sie, diese rohen Materialisten
{ndstikdhj !
11. (12054.) Von geistiger Verblendung umnachtet, murren
die Menschen iiber ihre Pflicht ; sie gelien auf Abwegen, und
auch wer ihnen folgt, mufs Pein leiden.
12. (12 055.) Hingegen die Zufriedenen, an der Schrift sich
Freuenden, Hochherzigen, Gewaltigen, welche auf dem Wege
der Pflicht wandeln, die sollen von dir verehrt und befragt
werden.
13. (12 056.) Die Meinung dieser Erweckten, Pflichtkundi-
gen schatze hoch und halte mit hochster Einsicht dein Manas
(cittamj im Zaume, wenn es krumme Wege gehen will.
14. (12057.) Mit einem nur auf den heutigen Tag gerichte-
ten Verstande wahnen die Toren furchtlos, das Morgen sei
noch fern, geniefsen alles ohne Wahl und sehen nicht, dafs
es fiir die Werke dieser Welt eine Vergeltung gibt.
15. (12058.) Besteige die Leiter der Pflicht und erklimme
sie Sprosse fiir Sprosse! Merkst du nicht, dafs du dich hier
wie eine Seidenraupe eingesponnen hast?
16. (12059.) Den Nihilisten, der den Weg verloren hat und
dem Absturz vom Ufer nahe ist, lasse ohne Bedenken links
liegen wie ein ausgerissenes Bambusrohr.
17. (12060.) Begierde, Zorn und Tod, den Strom, dessen
Wasser die fiinf Sinne sind, und die Strudel der Existenz
iiberschreite mit dem Schiff'e der Bestandigkeit.
18. (12061.) Da die Welt vom Tode heimgesucht und vom
Alter bedrangt wird, und da die Nicht -Vergeblichen [die
Nachte, vgl. Vers G528, oben S. 119] dahinfliehen, so fahre hin-
iiber auf der Fahre der Pflicht.
19. (12062.) Da der Tod einen jeden erreicht, mag er
stehen oder liegen, wo fande einer Veranlassung zur Heiter-
keit, da der Tod ihn ohne Veranlassung vernichtet!
694 III. Mokshadharma.
20. (12 003.) Wahrend einer noch Schatze hauft, wahrend
er noch ungesattigt an Liisten ist, packt ihn der Tod und
schleppt ihn weg, wie die Wolfin das Lamm.
21. (12064.) Die grofse, mit Pflicht und Erkenntnis ge-
nahrte Fackel, deren Flamme du nach und nach gesteigert
hast, diese Fackel — der Weg geht ins Finstere! — sollst
du mit Fleifs hochhalten.
22. (12 065.) Herabstiirzend in die Korpernetze wieder und
wieder in der Menschenwelt, erringt der Mensch endlich die
Brahmanenwiirde, bewahre sie dir, mein Sohn!
23. (120G6.) Dieser Leib gehort einem Brahmanen an und
ist nicht geboren zur Lust, sondern zu Plage und Kasteiung
hienieden, aber nach dem Tode erwartet ihn unvergleichliche
Seligkeit.
24. (12067.) Die Brahmanenwiirde wird erlangt durch
viele Askesen, hat man sie erlangt, so soil man sie auch
nicht um der hochsten Liiste willen aufs Spiel setzen;
allezeit dem Vedastudium, der Askese und der Bezahmung
hingegeben, mogest du, nach Frieden verlangend und das
Heil vor allem erstrebend, fort und fort an dir arbeiten.
25. (12068.) Aus Verborgenem entspringend, die Minuten
als Leib habend, unsichtbaren Wesens, mit den aus
Sekunden und Terzen bestehenden Augenblicken als
Haaren, die Dammerungszeiten als Schultern [sandhydhsah
nach einer Lesart bei Nil.) , die helle und dunkle Monats-
halfte als gleichkraftige Augen und die Monate als Glieder
habend, stiirmt dahin das Lebensrofs der Menschen.
26. (12 069.) Wenn du dieses siehst, wie es unaufhor-
lich rennt und furchtbar schnell lauft, und wenn dein
allezeit hienieden um sich schauendes Auge nicht [so
blind ist, dafs es] eines fremden Fiihrers bedarf, dann
moge dein Geist sich in die Tugend hiillen und des
Hochsten inne werden.
27. (12070.) Diejenigen hingegen, welche hienieden, in
der Pflichterfiillung wankend , ihren Liisten leben , die
werden, unablassig jammernd und an Widerwartiges ge-
kettet, zu ihrer Qual [in der Holle] ihren Leib in Schmerz
Adhyaya 323 (B. 321). 695
versenkt fiihlen wegen der zahlreichen Falle, in denen
sie ihre Pflicht groblich verletzt haben.
28. (12 071.) Der Konig, welcher allezeit als Wachter
iiber Gutes und Boses wohliiberlegend die Gerechtigkeit
liber alles schatzt, erwirbt die Welten der Frommen,
durchstreift manche Gefilde und geht endlich zu unfafs-
barer, unaussprechlicher Seligkeit ein.
29. (12072.) Hunde mit furchtbaren Leibern, Vogel mit
eisernen Schnabeln und Scharen von gewaltig beschwing-
ten Geiern, welche die Menschen zertleischen und ihr
Blut trinken, diese Ungetiime fallen nach dem Tode iiber
den her, der das Wort des Lehrers von sich stofst.
30. (12073.) Zehnfach sind von dem Schopfer die
Schranken gezogen; wer diese durchbricht und seinen
Liisten nachhiingt, der Bosewicht gerat in schweres Un-
heil und verliert sich in dem Waldesdickicht des Toten-
reiches.
31. (12074.) Ein Mensch, welcher, von heftiger Begierde
getrieben, unredlich gegen seine Freunde ist, immerfort
an niedertrachtigen Reden sein Gefallen findet und mit
anvertrautem Gute Unheil stiftet, ein solcher Bosewicht
fahrt in die tiefste Holle und mufs schweres Leid erdulden.
32. (12075.) Hineinstiirzend in den heifsen, grofsen
Hollenflufs Vaitarani, den Korper zerfleischt in dem
Walde, dessen Blatter Schwerter sind, hingestreckt auf
ein Lager von Beilen, schmachtet er unter schweren Leiden
in der grofsen Holle.
33. (12076.) Du briistest dich mit grofsen Worten, aber
das Hochste erkennst du nicht und achtest nicht auf das
von weither den Tod vorbereitende [Alter], solange es nicht
da ist.
34. (12077.) Schreite voran, sitze nicht miifsig, eine grofse
Gefahr ist im Anzuge, welche dein Gliick furchtbar storen
wird, nimm dich zusammen!
35. (12078.) Ist einer erst gestorben, so wird er durch den
koniglichen Befehl des Yama fortgefiihrt, im Hinblick auf den
Tod gib dir Miihe, die Rechtschaffenheit unter furchtbaren
Entsagungen zu iiben.
696 in. Mokshadharma.
36. (12 079.) Bald wird der Herrscher Yama, unbekiimmert
um eure Schmerzen, dein Leben nebst Eltern und Verwandten
fortraffen, und keiner kann es ihm wehren.
37. (12080.) Bald wird dich der Hauch anwehen, der dem
Todesgotte vorangeht, bald wirst du allein fortgefiihrt, be-
denke, was zu deinem Ende frommt!
38. (12081.) Wo ist der Todeswind, der dich bald an-
wehen wird! Bald werden die Weitgegenden sich um dich
drehen, wenn dich die grofse Furcht iiberkommt.
39. (12 082.) Bald, o Sohn, wird deine Vedakenntnis ver-
sagen, wenn du in Bestiirzung dahineilst; darum versenke
dich in die hochste Meditation.
40. (12 083.) Wenn du dein vordem begangenes Gutes und
Boses, als unbesonnenem Tun entflossen, beizeiten iiberdenkst,
so brauchst du es nicht zu bereuen, hiite den einzigen Schatz !
41. (12 084.) Bald wird das Alter deinen Leib morsch
machen und Kraft und Schonheit der Glieder dir rauben, hiite
den einzigen Schatz!
42. (12 085.) Bald fahrt mit der Krankheit als Wagenlenker
der Tod herbei und durchbohrt deinen Leib; mit Ernst, da
das Leben schwindet, betreibe die grofse Askese!
43. (12086.) Bald werden furchtbare Wolfe, deinen Menschen-
leib umheulend, von alien Seiten herbeistiirzen, iibe dich in
heiligen Werken!
44. (12087.) Bald wirst du dich einsam von Finsternis um-
geben sehen, beeile dich ! Bald wirst du die goldenen Baume
auf dem Berggipfel schauen [als Vorzeichen des Todes].
45. (12088.) Bald kann es geschehen, dafs schlechter Um-
gang, dafs Feinde unter dem Deckmantel der Freundschaft
dich an der rechten Erkenntnis irre machen; bemiihe dich,
o Sohn, um das, was das Hochste ist.
46. (12089.) Den Schatz, von dem du nicht zu fiirchten
brauchst, dafs dir ein Konig oder Dieb ihn raubt, und der
dich nicht beim Tod verlafst, diesen Schatz mogest du dir
erwerben [vgl. Ev. Matth. 6,20].
47. (12 090.) Dort wird einer nicht von seinen Werken ge-
trennt, nicht werden diese gegenseitig verwechselt; was jedem
eigen angehort, das wird dort driiben an ihm vergolten.
Adhyaya 323 (B. 321). 697
48. (12091.) Wovon man driiben leben will, das mufs,
o Sohn, hier weggegeben werden. Den Schatz, der unver-
ganglich, unverlierbar ist, den mufst du selber dir erwerben.
49. (12092.) Noch ehe du als reicher Mann dein Gersten-
gericht gekocht hast, noch ehe dein Gerstengericht gar ist,
wirst du eiligst von dannen miissen.
50. (12093.) Nicht Mutter, Sohne und Verwandte, nicht
der vertraute liebe Freund wandeln einem nach, wenn man
einsam auf dem engen Wege dahinwandelt.
51. (12094.) Nur das vormals begangene gute und bose
Werk, nur dieses allein ist von Bedeutung, o Sohn, fiir den
ins Jenseits Hiniibergehenden.
52. (12095.) Ganze Haufen von Gold und Edelsteinen,
mogen sie auf redlichem oder unredlichem Wege erworben
sein, konnen beim Dahinfall des Leibes fiir den Menschen
nicht irgend etwas ausrichten. -
53. (12096.) Wenn du ins Jenseits hiniibergehst, so wisse,
dafs es fiir dein begangenes und nicht begangenes Werk in
der Welt keinen Zeugen [sdJcslii = sdJcshi, Nil. erinnert an
Panini 6,1,127] gibt, der deinem eigenen Selbste gleichkame.
54. (12 097.) Wer ins Jenseits hiniibergeht, mufs seinen
Leib wie ein Kleid ablegen und dann ist seine Seele fiir das
durchdringende Auge der Erkenntnis von iiberallher sicht-
bar [vgl. Platon, Gorgias p. 523 E.].
55. (12 098.) Die drei G(3tter des Feuers, der Sonne und
des Windes wohnen im irdischen Leibe, und sie sind Zeugen
in ihm, welche seine Gerechtigkeit priifen.
56. (12 099.) In den Tagen, in den Nach ten, den allbe-
riihrenden, allgegenwartigen , mogen sie enthiillen oder ver-
hiillen, beobachte unentwegt deine Pflicht.
57. (12100.) Auf deinem Wege [auf Erden, nicht, wie Nil.
will, ins Jenseits], der durch manche Wegelagerer gefahrdet
und durch hafsliche, widerwartige Insekten bedroht wird, be-
halte dein Werk fest im Auge; dein Werk ist es, welches
dich ins Jenseits geleitet.
58. (12101.) Dort werden die Werke nicht miteinander ver-
tauscht, daher wird das Vollbrachte als die Frucht, welche
aus dem eigenen Werke entspringt, vergolten.
698 III. Mokshadharma.
59. (12102.) Ebenso wie die Scharen der Apsaras im Ver-
ein mit den grofsen Weisen als Frucht die Seligkeit ge-
niefsen, ebenso eriangen andere das Verdienst ihrer Werke
und fahren auf Gotterwagen nach Belieben einher.
60. (12103.) Je nachdem hienieden das Gate vollbracht
wurde von arglosen, edelgeborenen, wohlbereiteten Menschen,
dementsprechend wird es alsdann an ihnen vergolten.
61. (12104.) Zur Weltgemeinschaft mit Prajapati, Brihas-
pati und Indra geht man iiber die Brlicke des Hausvater-
gesefzes den hochsten Weg.
62. (12105.) Ich mochte dir viele tausend Male einscharfen:
Wer seinen Geist nicht hat verblenden lassen, den leitet dafiir
der Gott des Feuers empor.
63. (12106.) Vierundzwanzig Jahre sind verstrichen, du
stehst schon da als Fiinfundzwanzigjahriger, sammle dir einen
Schatz von Gerechtigkeit, denn deine Jugend flieht!
64. (12107.) Bald taumelt der Tod heran und bereitet eine
unerwiinschte {asukhdm mit C.) Somapressung, als ware schon
Hand an dich gelegt, springe auf und beeile dich, deine Pflicht
zu erfiillen.
65. (12108.) Als letzter und zugleich als erster [d. h. ganz
allein] wirst du gehen; da du so deinen Weg gehen mufst,
so frage dich, was du an dir und was du an einem andern
haben wirst.
66. (12109.) Was von jedem der Guten, die hiniiber mufsten,
bei dieser Gefahr als Vorbereitung auf den Hingang gait, —
hiite den einzigen Schatz!
67. (12110.) Mit Erdreich, Wurzeln und Nachbarstammen
rafft der Machtige weg ohne Wahl, und niemand ist, der
ihm wehren konnte, sammle dir einen Schatz von Pflicht-
erfiillung !
68. (12111.) Diese Belehrung, o Sohn, habe ich dir jetzt
hier erteilt, aus eigener Anschauung und Folgerung suche
sie dir zu erlautern.
69. (12112.) Wer sich durch sein Werk giitlich tut oder
um irgendeines Zweckes willen freigebig ist, der ver-
anlafst durch die aus der Verblendung seines Geistes ent-
Adhy&ya 323 (B. 321). 699-
springenden Qualitaten seine Bindung, die er ganz allein
verschuldet.*
70. (12113.) Das Schriftstudium erreicht alles, wenn man
zugleich gute Werke vollbringt; das ist das Schauen de&
wahren Zweckes, eine dankbare Aufgabe, vom Zweck gekront.
71. (12114.) Eine bindende Fessel ist die Liebesfreude des
Dorf bewohners , Edelgesinnte durchschneiden sie und ziehen
davon, Ubelgesinnte durchschneiden sie nicht [= Vers i2 458]^
72. (12115.) Wozu hilft dir Reichtum, wozu Verwandte,
wozu Sohne, o Sohn, da du doch sterben mufst; er-
forsche den Atman, der in die Hohle des Herzens ein-
gegangen ist, und bedenke, wohin alle deine Vorfahren
gegangen sind!
73. (12116.) Was du fiir morgen vor hast, tue heber heute,
was fiir den Nachmittag, lieber am Vormittag, denn der Tod
wartet nicht darauf, ob du dein Geschaft besorgt hast
Oder nicht.
74. (12117.) Das Geleite geben dir nach deiner Auflosung
deine Angehorigen und kehren zuriick, nachdem sie den Leih
dem Feuer iibergeben haben, die Bekannten und die Freunde.
75. (12118.) Die Unglaubigen, Unbarmherzigen, ArgHstigen
iasse getrost Hnks Hegen und strebe unermiidHch nach dem
Hochsten.
76. (12119.) Da die Menschenwelt so sehr heimgesucht
und iiberdies von der Zeit bedrangt wird, stiitze dich auf
grofse Charakterstarke und betreibe mit ganzem Herzen
deine Pflicht.
77. (12120.) Der Mensch, welcher dieses Mittel der Er-
kenntnis voUstandig begreift und voUstandig seine Pflicht er-
fiillt, wird im Jenseits der Sehgkeit teilhaftig.
78. (12121.) Die Trennung vom Leibe gilt den Wissen-
den nicht als Tod, auf dem wohleingehaltenen Wege
gibt es kein Verderben; nur wer seiner Pflicht lebt, ist
ein Weiser, wer von der Pflicht abweicht, ist ein Tor.
* Oder: Wer durch sein Tun sich einen Schatz sammelt oder irgend
jemandem sich freigebig erweist, der allein wird durch seine von geistiger
Verblendung freien Tugenden mit dem Hochsten verbunden.
700 HI. Mokshadharma.
79. (12122.) Von den beiden auf dem Wege der Werke
eingeschlagenen Richtungen erlangt der, welcher sie ein-
schlagt, die Frucht je nach seinem Tun: wer schlechte
Werke iibt, geht ins Verderben, wer die Pflicht be-
obachtet, steigt zur Himmelswelt empor.
80. (12 123.) Hat man als die zum Himmel fiihrende Leiter
das schwer zu erlangende Dasein als Mensch erreicht, so soil
man sich wohl in acht nelimen, dafs man nicht wieder
herabfalle .
81. (12124.) Wer mit seinen Gedanken den Himmelsweg
verfolgt und nicht von ihm abweicht, dem, als Vollbringer
heiliger Werke, braucht nicht von Sohnen und Verwandten
nachgetrauert zu werden.
82. (12125.) Wessen Einsicht nicht verblendet ist, sondern
sich auf die Gewifsheit stiitzt, der sichert sich einen Platz
im Himmel, fiir den besteht nicht die grofse Furcht.
83. (12126.) Wer schon geboren wurde in einem Biifser-
hain und in ihm starb, dessen Pflichterfiillung ist minder wert,
weil er Lust und Genufs nicht kennen gelernt hat.
84. (12127.) Wer aber die Geniisse kennt und auf sie ver-
zichtet, um mit seinem Leibe Askese zu iiben, fiir den ist
nichts unerreichbar, und einen solchen Erfolg schatze ich hoch.
85. (12128.) Tausende von Miittern und Vatern, Hunderte
von Sohnen und Weibern werden uns noch angehoren und
haben uns schon angehort; wem konnten sie, wem konnten
wir in Wahrheit angehoren!
86. (12129.) Ich bin allein, keiner gehort mir und keinem
andern gehore ich an ; ich sehe ihn nicht, dem ich angehoren
konnte, ich sehe ihn nicht, der mir angehoren konnte.
87. (12130.) Du hast nichts mit ihnen, sie haben nichts
mit dir zu tun; diese Wesen entstehen durch ihre eigenen
Werke, und auch du wirst den Weg deiner Werke gehen.
88. (12131.) In dieser Welt gehoren nur dem Reichen seine
Angehorigen wirklich an, die Angehorigen des Armen sind
es schon bei seinen Lebzeiten nicht mehr.
89. (12132.) Der Mensch hauft um des Weibes willen hose
Werke auf, dafiir mufs er Fein erdulden im Jenseits und
schon hienieden.
Adhyaya 323 (B. 321). 701
90. (12133.) Man sieht die Welt der Lebenden dem Ruin
verfallen durch ihre eigenen Taten, darum, o Sohn, befolge
alles, was dir anbefohlen wurde.
91. (12134.) Wer diese Anschauung sich aneignet und auf
diese Welt der Werke hinblickt {prapagyatd mit C), der
wird sich guter Werke befleifsigen, wofern er nach jener Welt
begehrt.
92. (12135.) Durch das in Monaten und Jahreszeiten
umlaufende, Nacht und Tag als Brennholz habende, als
Zeuge der auf den eigenen Werken beruhenden Frucht
gegenwartige Sonnenfeuer macht die Zeit mit Gewalt die
Wesen miirbe.
93. (12136.) Wozu niitzt ein Reichtum, wenn man ihn
nicht gibt und nimmt, wozu ein Heer, wenn es den Feind
nicht besiegt, wozu ein Vedastudium, wenn es nicht zur
Pflichterfiillung anleitet, wozu der Atman, wenn er nicht
die Sinne ziigelt und beherrscht!
Bhishma sprach:
94. (12137.) Nachdem er dieses heilsame, von Dvaipayana
gesprochene Wort gehort hatte, nahm Quka Abschied von
seinem Vater, der ihm den Weg zur Erlosung gewiesen hatte.
So laiitet im Mokshadharma die lauternde Belehrung
(pdvaka - adhijaijanarii).
Adhyaya 324 (B. 323).
Vers 12138-12157 (B. 1-20).
Dieser Abschnitt ist, von einigen wenig erheblichen Varianten ab-
gesehen, identisch mit Adhyaya 181, oben S. 142—144.
702 III. Mokshadharma.
Adhyaya 335 (B. 333).
Vers 12158-12186 (B. 1-29).
Yudhishthira sprach:
1. (12158.) Wie wurde dem Vyasa der pflichttreue, askese-
machtige ^uka geboren und wie erlangte er die hochste
Vollendung? Das erzahle mir, o Grofsvater.
2. (12159.) Und wer war jene, in welcher der askesereiche
Vyasa den (^uka zeugte? Denn wir kennen seine Mutter nicht
und nicht die urspriingliche Geburt des Hochsinnigen.
3. (12160.) Und wie richtete sich, obgleich er noch ein
Knabe war, sein Geist auf das verborgene Wissen, wie solches
keinem andern, keinem zweiten hier in dieser Welt je zuteil
geworden ist?
4. (12161.) Dieses wunsche ich ausfiihrlich zu vernehmen,
€ Hochsinniger, denn wenn ich dir zuhore, ist das herrhchste
Amritam kein Genufs mehr fiir mich.
5. (12162.) Darum mogest du die Hochsinnigkeit, Hin-
gebung an den Atman und Erkenntnis des Quka der Reihe
nach darlegen, o Grofsvater, der Wahrheit gemafs.
Bhishma sprach:
6. (12163.) Nicht durch langes Leben, nicht durch graue
Haare, durch Reichtum oder Verwandte sind die Rishi's zur
Pflichterfiillung gelangt, sondern wer des Veda kundig ist,
der gilt fiir grofs unter uns.
7. (12164.) Alles, wonach du mich fragst, o Pandusohn,
wurzelt in der Askese, und diese Askese wird gewirkt durch
Ziigelung der Sinne und nicht anders.
8. (12 165.) Durch Anhanglichkeit an die Sinne verf allt der
Mensch in Siinde, durch Ziigelung der Sinne erlangt er die
Vollendung.
9. (12166.) Mit tausend Agvamedha - Opfern und hundert
Vajapeyafeiern wird nicht soviel erreicht wie durch den
kleinsten Teil des Yoga.
10. (12167.) Nun will ich dir die Geburt des (^uka mit-
teilen, die Frucht seines Yoga und seinen hochsten Werde-
Adhyaya 325 (B. 323). 703
gang, der schwer zu verstehen ist fiir die, welche unbereiteten
Geistes sind.
11. (12168.) Es geschah einstmals, dafsaufdem mit einem
Walde von Karnikarablumen bestandenen Gipfel des Berges
Meru Mahadeva (Qiva), von seinen furchtbaren Geisterscharen
umgeben, lustwandelte.
12. (12169.) Und auch die Tochter des Konigs der Berge
[des Himalaya], die Gottin [Uma] war dort zugegen. Dort
aber iibte damals Krishna Dvaipayana seine gottliche Askese.
13. (12170.) Durch den Toga in sich selbst versunken und
der Yogapflicht einzig hingegeben, fesselte er [sein Manas]
und iibte Askese, um einen Sohn zu erlangen, o Bester
der Kuru's.
14. (12171.) Und er sprach: Moge mir ein Sohn zuteil
werden, o Herr, welcher mit der Starke von Feuer, Erde,
Wasser, Wind und Ather begabt ist.
15. (12172.) Und der hochsten Askese ergeben, umwarb
er den fiir Unbereitete unnahbaren Gott durch den Yoga
mit seiner Bitte.
16. (12173.) VomWindelebend, stand der Gewaltigehundert
Jahre lang da, um Mahadeva, den vielgestaltigen Gatten der
Uma, gnadig zu stimmen.
17. (12174.) Auch nahten dem Herrn der Welt mit ihm
Brahman weise und allerlei Konigsweise, die Welthiiter und
Sadhya's nebst den Vasu's,
18. (12175.) die Aditya's und Rudra's, Sonne und Mond,
die Vasu's und Marut's, die Meere und die Fliisse,
19. (12176.) die AQvin's, die gottlichen Gandharven, sowie
Narada und Parvata, der Gandharva Vigvavasu, die Siddha's
und die Apsaras.
20. (12177.) Unter ihnen erglanzte der grofse Gott Rudra
(Qiva), indem er einen schonen, aus Karnikarablumen ge-
flochtenen Kranz trug wie der Mond seinen Lichtglanz.
21. (12178.) In diesem himmlischen, lieblichen, von Gottern
und Gotterweisen wimmelnden Walde gab sich der Rishi
unentwegt dem hochsten Yoga hin, um einen Sohn zu er-
langen.
704 in. Mokshadharma.
22. (12179.) Aber seine Lebenskraft nahm nicht ab und
Mattigkeit iiberkam ihn nicht; es war wie ein Wunder fiir
alle drei Welten.
23. (12180.) Die Haarflechten erschienen an ihm, dem mit
unermefslicher Kraft dem Yoga Hingegebenen, leuchtend an
Glanz gleich Feuerflammen.
24. (12181.) Das hat mir der heilige Markandeya bezeugt,
als er mir hier immerfort Gottergeschichten erzahlte.
25. (12182.) Damals also erglanzten die durch jene Askese
entflammten Haarflechten des hochsinnigen Krishna (Dvai-
payana) in der Farbe des Feuers, o Freund.
26. (12183.) Infolge dieser grofsen Askese und Frommig-
keit, 0 Bharata, wurde Mahegvara gnadig gestimmt und fafste
in seinem Geiste einen Entschlufs,
27. (12184.) und lachelnd sprach der heilige, dreimutter-
hafte Gott zu ihm: 0 Dvaipayana, ein Sohn, wie du ihn dir
wiinschest, soil dir geschenkt werden.
28. (12185.) So rein wie Feuer, Wind, Erde, Wasser und
Ather soil dein grofser Sohn sein.
29. (12 186.) Und mit solchem Charakter, Verstande, Selbste
und innerem Halte ausgestattet, wird dein Sohn mit seiner
Kraft die drei Welten erfiillen und Ruhm in ihnen erlangen.
So lautet im Mokshadbarma die Entstehung des Quka
((,'uka-utpatti).
Adhyaya 326 (B. 324).
Vers 12187-12214 (B. 1-27).
Bhishma sprach:
1. (12187.) Nachdem der Sohn der Satyavati (Vyasa) von
dem Gotte diese herrliche Gewahrung seines Wunsches er-
halten hatte, ergriff er, um Feuer zu machen, die beiden Reib-
holzer faranij und rieb sie aneinander.
2. (12188.) Hierbei erblickte der heilige Rishi eine Apsaras
mit Namen Ghritaci, welche vermoge des ihr eigenen Glanzes
eine herrliche Gestalt zur Schau trug, o Konig.
Adhyaya 326 (B. 324). 705
3. (12189.) Als der heilige Vyasa in jenem Haine diese
Apsaras sah, o Yudhishthira , da wurde der Weise plotzlich
von Begierde verwirrt.
4. (12190.) Als die Ghritaci sah, wie Vyasa in seinem
Geiste von Begierde erschiittert war, verwandelte sie sich in
ein Papageienweibchen (qhMJ und naherte sich ihm.
5. (12191.) Als er nun sah, dafs die Apsaras sich in eine
fremde Gestalt gehiillt hatte, wurde er iibermannt von Liebes-
brunst, die seinen ganzen Leib durchzog.
6. (12192.) Mit grofser Festigkeit suchte Vyasa den Liebes-
drang zu bekampfen, aber der Muni war nicht imstande, sein
stiirmisches Verlangen zu bemeistern.
7. (12193.) Indem das Unvermeidliche geschah, wurde er
von der Schonheit der Ghritaci fortgerissen. V^ahrend nun
der Muni sich mit aller Macht durch Feuerreiben im Zaume
zu halten suchte,
8. (12194.) geschah es, dafs sein Sperma plotzlich auf das
Reibholz fiel. Aber mit unentwegtem Geiste fuhr trotzdem
der Beste der Zwiegeborenen,
9. (12195.) der Brahmanenweise fort, das Holz zu reiben, —
da wurde ihm daraus der Quka (der Papagei) geboren, o Konig,
aus dem zerriebenen Sperma (QukramJ wurde ihm Quka ge-
boren, der askesereiche,
10. (12196.) der grofse Rishi, der machtige Yogin, ent-
sprungen aus dem Reibholze als Mutterschofs. Wie das bei
der Opferhandlung entflammte Feuer erglanzt und den Opfer-
trank emportragt,
11. (12197.) so wurde, ihm an Gestalt gleich, von Glanz
flammend, ^uka geboren, indem er, o Kurusprofs, die un-
vergleichliche Gestalt und Farbe (Kaste) seines Vaters an
sich trug.
12. (12198.) Und bereiteten Selbstes erglanzte er wie eine
rauchlose Flamme. Aber die Gahga, die Beste der Strome,
auf den Gipfel des Meru, o Mannerherr,
13. (12199.) in leibhaftiger Gestalt sich begebend, labte
ihn durch ihr Wasser. Und vom Himmel herunter, o Kuru-
sprofs, kam der Stab und das schwarze Antilopenfell [wie
sie der Brahmanenschiiler tragt]
Detjssen, Mab&bh&rataiQ. 45
706 HI. Mokshadharma.
14. (12 200.) auf die Erde geflogen, o Fiirst der Konige,
zum Besten des hochsinnigen Quka. Gandharven stimmten
ihren Gesang an, Apsarasen tanzten
15. (12 201.) und weitschallende gottliche Trommeln warden
geriihrt, und der Gandharve Vigvavasu nebst Tumburu und
Narada
16. (12202.) sowie die Gandharven Haha und Huhu jubelten
iiber die Geburt des Quka. Dorthin kamen auch die Welt-
hiiter mit Qakra (Indra) an der Spitze,
17. (12203.) die Gotter und Gotterweisen und ebenso die
Brahmanenweisen. Der Wind liefs himmlische Blumen von
mancherlei Art herabregnen
18. (12204.) und die ganze Welt des Beweglichen und Un-
beweglichen war voll Freude. Sodann geschah es, dafs der
hochsinnige Glanzreiche (^iva) selbst, von seiner gottlichen
Gattin begleitet, voll Freude ihn,
19. (12205.) den kaum geborenen Sohn des Muni, nach
der Vorschrift bei einem Lehrer einfuhrte, und dafs Qakra, der
Herr der Gotter, ihm einen himmlischen, wunderbar gestalteten
20. (12 206.) Wasserkrug [wie ihn die Asketen tragen] und
himmlische Kleider aus Liebe spendete, o Herr. Aber Schwane
und Pfauen und Wasservogel zu Tausenden
21. (12 207.) nebst Papageien und Hahern umkreisten ihn
von rechts her, o Bharata. Nachdem der Glanzvolle, Reib-
holzentsprossene fdraneyaj diese gottliche Geburt erlangt hatte,
22. (12208.) blieb er dort wohnen, weise, seinem Geliibde
treu und gesammelten Geistes. Kaum dafs er geboren war,
nahmen auch schon die Veden nebst den Upanishad's fraha-
syamj und den Ausziigen
23. (12 209.) ebenso wie in seinem Vater auch in ihm
Wohnung. Den Brihaspati aber wahlte er, der der Veden,
Vedanga's und Kommentare Kundige,
24. (12210.) zu seinem Lehrer, o grofser Konig, indem er
seiner Pflicht eingedenk war. Nachdem er mit ihm die
samtlichen Veden nebst Upanishad's und Ausziigen durch-
gegangen hatte,
25. (12 211.) sowie vollstandig die Itihasa's (epischen Ge-
dichte) und die Lehrbiicher fiir Konige, o Herr, und nachdem
Adhyaya 326 (B. 324). 707
er ihm, als seinem Lehrer, die Dakshina (das Honorar) ent-
richtet hatte, kehrte der grofse Muni zuriick
26. (12 212.) und unternahm als Brahmacarin mit Hin-
gebung gewaltige Askese. Obgleich noch ein Knabe, wurde
der Askesereiche doch von Gottern und Rishi's
27. (12 213.) um seines Wissens und seiner Askese willen
aufgesucht und geehrt. Aber sein Geist, o Mannerherr, be-
gniigte sich nicht mit den drei Lebensstadien, (12214.) wie sie
im Hausvaterstande wurzeln, sondern strebte auf die Erlosungs-
lehre bin.
So lautet im Moksbadharma die Entstehung des Quka
(Quka - utpatti) .
Adhyaya 327 (B. 335).
Vers 12215-12259 (B. 1-44).
Bhishma sprach:
1. (12215.) Nachdem er die Erlosung iiberdacht hatte, be-
gab sich Quka zu seinem Vater, und nachdem er ihn als
seinen Meister begriifst hatte, sprach er, nach Heil verlangend,
mit Bescheidenheit :
2. (12216.) Du, o Heiliger, bist der Erlosungslehre kundig,
so sage mir, wie meinem Geiste die hochste Beruhigung zu-
teil werden kann, 0 Herr.
3. (12 217.) Als der hochste Weise das Wort des Sohnes
vernommen hatte, sprach er zu ihm: Studiere die Erlosung
und ihre mannigfachen Satzungen.
4. (12218.) Auf die Empfehlung des Vaters bin bemachtigte
sich Quka, der Beste der Gesetzestrager, des ganzen Yoga-
kanons und der Kapilalehre, o Bharata.
5. (12 219.) Als nun Vyasa sah, dafs sein Sohn mit brah-
mischer Herrlichkeit geschmiickt, dem Brahman an Kraft
gleich und der Erlosungslehre kundig war,
6. (12220.) da sprach er zu ihm: Gehe hin zu Janaka,
dem Konige von Mithila; er, der Herr von Mithila, wird dir
den ganzen Sinn der Erlosung eroffnen.
45*
708 III. Mokshadharma.
7. (12 221.) Aufdie Empfehlung des Vaters hin entschlofs er
sich, nach Mithila zu gehen, o Fiirst, um nach der Grundlage
des Gesetzes und dem hochsten Wege der Erlosung zu fragen.
8. (12 222.) Und weiter sprach zu ihm der menschenfreund-
liche [Vater]: Gehe deinen Weg in Demut, wende nicht deine
Yogamacht an, um durch die Luft zu fliegen.
9. (12 223.) Gehe in Schlichtheit und trachte nicht nach
Genlissen, gehe nicht den vielerlei Dingen nach, denn sie
fesseln dich an das Leben.
10. (12 224.) Eigenmachtig mufst du nicht handeln, wenn
du hei jenem Opferherrn und Konige hist, sondern im Ge-
horsam gegen ihn verharren, dann wird er deine Zweifel losen.
11. (12 225.) Dieser in der Pflicht bewanderte und der
Erlosungslehre kundige Konig ist mein Opferherr, und was
er dir sagt, das kannst du ohne Bedenken tun.
12. (12226.) Nach diesen Worten wanderte der pflichttreue
Muni nach Mithila. Er ging zu Fufs, obgleich er durch die
Luft iiber Land und Meer hatte fliegen konnen.
13. (12227.) Er mufste iiber Berge steigen, Flufsfurten und
Teiche durchwaten und durch Walder und Dickichte dringen,
wo es von wilden Tieren wimmelte.
14. (12 228.) Die Gebiete der beiden Berge Meru und Hari
sowie ferner das Gebiet des Himalaya durchmafs er nach-
einander und gelangte so in das Gebiet der Bharata's {hhdra-
tam varsham, d. i. Indien).
15. (12 229.) Nachdem er viele von Chinesen (CinaJ und
Hunnen fHtmaJ bewohnte Lander gesehen hatte, kam der
grofse Muni in unser Land Arydvarta (Hindostan).
16. (12 230.) Die Worte seines Vaters befolgend und ihren
Sinn iiberdenkend, nahm er seinen Weg [in gerader Linie],
wie der Vogel in der Luft fliegt.
17. (12 231.) Liebliche Ortschaften und iippige Stadte mit
mancherlei Kostbarkeiten sah er und sah sie doch nicht.
18. (12232.) Auch reizende Garten und Gottertempel mit
geweihten Schatzen liefs er auf seinem Wege hinter sich.
19. (12233.) So gelangte er in kurzer Zeit ins Land der
Videha's, welche von einem gerechten Konige, dem hoch-
sinnigen Janaka, beherrscht wurden.
Adhyaya 327 (B. 325). 709
20. (12 234.) Da sah er viele in Essen und Trinken schwel-
gende Dorfer, bliihende Ortschaften und Weideplatze, die von
vielen Rinderherden belebt waren.
21. (12 235.) Da war an Reis und Gerste Uberflufs, da
tummelten sich Ganse und Wasservogel, da prangten hundert-
fach Lotosteiche in ihrer Schonheit.
22. (12 236.) Er durchschritt das Land der Videha's mit
seinen reichen Bewohnern und kam zu dem lieblichen, bluhen-
den Parke von Mithila.
23. (12 237.) Da wimmelte es von Elefanten, Rossen und
Wagen, von Mannern und Frauen; er sah sie und sah sie
doch nicht, sondern ging unentwegt fiirbafs.
24. (12 238.) Seine Last im Geiste tragend und an seine
Aufgabe denkend, betrat er, in sich selbst ruhend und heitern
Geistes, die Stadt Mithila.
25. (12239.) Am Burgtor angekommen, wollte er ohne Be-
denken eintreten, aber die Torhiiter wiesen ihn mit rauhen
Worten zuriick.
26. (12 240.) Quka jedoch bheb, ohne in Zorn zu geraten,
stehen, und obgleich er diirch die Hitze und die Wanderung
ermiidet und von Hunger und Durst gequalt war,
27. (12241.) so zeigte er doch keine Mattigkeit oder Schlaff-
heit und ging auch nicht aus der gliihenden Sonne. Aber
einer der Torhiiter empfand Reue,
28. (12 242.) und indem er den (^uka dastehen sah, herrHch
wie die Sonne im Zenith, ehrte er ihn, wie es sich gebiihrt,
begriifste ihn mit zusammengelegten Handen
29. (12243.) und liefs ihn in die zweite Umzaunung des
Konigspalastes ein. Dort setzte sich ^uka nieder, o Freund,
und meditierte iiber die Erlosung,
30. (12 244.) gleichgiiltig gegen Schatten und Sonnenglut
und immer gleich an Glanz. Da trat nach einer Weile ein
Minister des Konigs mit zusammengelegten Handen ihm ent-
gegen
31. (12 245.) und geleitete ihn in die dritte Umzaunung des
Konigspalastes. Darauf lud der Minister den ^uka ein, in
den an das Frauengemach anstofsenden, dem Lustwalde des
Kubera vergleichbaren.
710 in. Mokshadharma.
32. (12 246.) Spielplatze mit schon verteilten Wasserlaufen
enthaltenden, lieblichen, mit bliihenden Baumen geschmiick-
ten, unvergleichlichen Frauenlusthain einzutreten.
33. (12 247.) Dort bot er ihm einen Sitz an und entfernte
sich. Da geschah es, dafs schonbekleidete , schonhiiftige,
zarte , freundlichblickende,
34. (12 248.) durchsichtige rote Gewander tragende, von
Goldschmuck funkelnde, des Plauderns und Kosens kundige,
in Tanz und Gesang geiibte,
35. (12 249.) unter Lacheln schmeichelnde , an Schonheit
den Apsaras vergleichbare , in Liebeskiinsten erfahrene, in
alien Herzensangelegenheiten bewanderte,
36. (12 250.) herrliche Haremsmadchen, fiinfzig an der Zahl,
auf ihn zueilten. Sie brachten Fufswasser und alles weitere
herbei, iiberhauften ihn mit den hochsten Ehrenbezeigungen
37. (12 251.) und labten ihn mit kostlichen, der Jahreszeit
entsprechenden Speisen. Nachdem er gespeist hatte, o Freund,
fiihrten sie ihn in dem zum Frauengemach gehorigen Hain
herum
38. (12 252.) und zeigten ihm alle seine lieblichen Einzel-
heiten, o Bharata, indem sie dabei reizend spielten, lachten
und sangen.
39. (12253.) So umschwarmten sein hohes Wesen die wesens-
kundigen Madchen, aber der Reingesinnte, Reibholzentsprossene
hielt unbeirrt an seiner Aufgabe fest,
40. (12 254.) und als Herr seiner Sinne und Meister iiber
den Zorn regte er sich nicht auf und ziirnte audi nicht.
Nun wurde ihm ein himmlisches, gotterwiirdiges, mit Juwelen
geschmiicktes Ruhebett,
41. (12 255.) das mit kostbaren Teppichen belegt war, von
jenen herrlichen Madchen dargeboten. Aber Quka, nachdem
er sich nur die FilTse gewaschen und das Dammerungsgebet
verrichtet hatte,
42. (12 256.) liefs sich auf einem reinen Sitze nieder und
iiberdachte seine Aufgabe. Den ersten Teil der Nacht ver-
brachte er in hingegebener Meditation,
43. (12257.) und um Mitternacht gab der Herrhche sich
dem Schlafe hin, wie es Vorschrift ist. Nach einiger Zeit
Adhyaya 327 (B. 325). 711
stand er dann auf, vollzog sofort seine Waschungen (12258.) und
gab sich dann, von den Madchen umringt, mit Bedacht der
Meditation bin.
44. Auf diese Weise wurde von dem Krisbnasobne un-
entwegt der ganze Tag (12259.) und die folgende Nacbt am
Hofe des Konigs zugebracbt, o Bbarata.
So lautet im Mokshadharma die Entstehung des Quka
(Quka-utpatti).
Adhyaya 338 (B. 326).
Vers 12260-12311 (B. 1-51).
Bhishma sprach:
1. (12 260.) Da gescbab es, dafs der Konig Janaka, von
seinen Ministern umgeben, o Bbarata, unter Vortritt des Haus-
priesters und des ganzen Harems,
2. (12 261.) einen Sessel und mancberlei Kostbarkeiten vor-
ausschickend und auf seinem Haupte die Gastspende tragend,
dem Sobne seines Lebrers sich nabte.
3. (12 262.) Darauf wurde der mit vielen Juwelen ge-
scbmiickte, mit kostbaren Teppichen iiberdeckte, hocbst er-
freuHcbe und pracbtige Sitz
4. (12 263.) aus den Handen des Hauspriesters von dem
Fiirsten entgegengenommen und dem ^uka, dem Sobne seines
Lebrers, als bochste Ebrenbezeigung dargeboten.
5. (12 264.) Nacbdem der Krisbnasobn sicb auf demselben
niedergelassen batte, ehrte der Konig ibn nach der Gesetzes-
vorscbrift, bot ibm zunacbst das Fufswasser dar und iibergab
ibm die Gastspende und eine Kub.
6. (12265.) Er aber nabm diese von Spriicben begleitete
Ebrenbezeigung in vorscbriftsmafsiger Weise entgegen, und
nacbdem der Beste der Brabmanen diese Ebrenbezeigung von
Janaka entgegengenommen
7. (12 26G.) und die Scbenkung der Kub genebmigt batte,
fragte der gewaltige (^uka, um den Konig zu ebren, ibn nach
seinem bestandigen Wohlergehen
712 III. Mokshadharma.
8. (12 267.) und nach dem Befinden seines Gefolges, o Fiirst
der Konige. Auf seine Aufforderung nahm der Konig mit
seiner Begleitung Platz.
9. (12 268.) Aber der Konig, edel an Gesinnung wie an
Abstammung, legte, auf der Erde sitzend, die Hande zu-
sammen, erkundigte sich bei dem Vyasasohn nach seinem
bestandigen Wohlergehen, (12 269.) und sodann befragte ihn
der Erdeherr nach dem Zwecke seines Kommens.
^uka sprach:
10. (12 270.) Mein Vater sprach zu mir: Heil sei dir! Als
der Erlosung, des Guten und des Niitzhchen kundig, ist der
Konig der Videha's, Janaka, beriihmt, und er ist mein Opferherr.
11. (12271.) Zu ihm begib dich eiligst, wenn du in deinem
Herzen einen Zweifel dariiber hegst, was zu tun und zu lassen
ist, er wird dir den Zweifel losen.
12. (12 272.) So bin ich denn auf den Befehl meines Vaters
hierhergekommen , um dich zu befragen; darum mogest du,
o Bester der Gesetzestrager , mir dementsprechend folgendes
beantworten :
13. (12 273.) Was hat ein Brahmane hienieden zu tun, von
welcher Art ist das Wesen der Erlosung und wie kann die
Erlosung erlangt werden, durch Wissen oder durch Askese?
Janaka sprach:
14. (12 274.) Was ein Brahmane hienieden von der Geburt
an zu tun hat, das vernimm. Nachdem er bei einem Lehrer
eingefiihrt worden ist, soil er vor allem den Veda studieren.
15. (12 275.) In Askese, gutem Betragen gegen den Lehrer
und Keuschheit beharrend, o Herr, soil er ohne Murren seine
Schuld an die Gotter und Vater abtragen.
16. (12276.) Hat er aber den Veda mit Fleifs studiert, das
Honorar entrichtet und die Entlassung vom Lehrer erhalten,
dann soil der Zwiegeborene heimkehren.
17. (12277.) Nachdem er heimgekehrt ist, soil er im Haus-
vaterstande, sich mit der eigenen Gattin begniigend, leben
und der Vorschrift gemafs die Opferfeuer ohne Murren
pflegen.
Adhyaya 328 (B. 326). 713
18. (12 278.) Nachdem er sodann Sohne und Enkel erlangt
hat, soil er in das Lebensstadium des Waldeinsiedlers iiber-
gelien, ebenjene Feuer nach der Vorschrift ehren und Gast-
freundschaft iiben.
19. (12 279.) Nachdem er pflichtgetreu im Walde der Vor-
schrift gemafs die Feuer in seinen Leib aufgenommen hat,
soil er, erhaben iiber die Gegensatze und frei von Leiden-
schaft, im Brahmanlebensstadium verweilen.
^uka sprach:
20. (12 280.) Wenn nun Erkenntnis und Wissenschaft er-
worben und im Herzen fiir immer die Freiheit von den Gegen-
satzen des Lebens erreicht worden ist, ist es dann noch
notwendig, in den drei Lebensstadien zu verharren?
21. (12 281.) Danach frage ich dich, das mogest du, o Herr,
mir sagen, dem wahren Sinne des Veda gemafs erklare es
mir, 0 Mannerherr.
Janaka sprach:
22. (12282.) Die Eriosung kann nicht ohne Erkenntnis und
Wissenschaft erlangt werden, die Wissenschaft aber ist, wie
die Schrift lehrt, nur zu erlangen durch Verbindung mit
einem Lehrer.
23. (12 283.) Der Lehrer ist der Fahrmann, und das Wissen
ist das Schiff, beides kann nur der, welcher die Erkenntnis
erlangt, seinen Zweck erreicht hat und hiniibergefahren ist,
hinter sich lassen.
24. (12 284.) Damit die Welten nicht verfallen, damit die
Werke nicht verfallen, ist die in den vier Lebensstadien ein-
geschniirte Pflicht von den Alton geiibt worden.
25. (12 285.) Durch diese Hingabe an die Stufenreihe der
Werke durch viele Geburten hindurch gelangt man dazu,
das gute und das bose Werk von sich zu tun und das hie-
nieden zu ergreifen, was die Eriosung heifst.
26. (12 286.) Wenn aber durch viele Geburten im Sansara
die Organe zubereitet worden sind, kann einer, der reinen
Geistes ist, die Eriosung schon im ersten Lebensstadium er-
langen.
714 in. Mokshadharma.
27. (12287.) Hat aber einer diese erreicht, so fragt sich,
welchen Zweck die drei iibrigen Lebensstadien noch haben
konnen fiir einen, der eriost, wahrheitschauend, weise und
nach dem Hochsten strebend ist.
28. (12 288.) Man mufs allezeit die aus Rajas und Tamas
entspringenden Fehler vermeiden und auf dem Wege des Satt-
vam durch seinen Atman zum Schauen des Atman gelangen.
29. (12 289.) Wenn einer sich selbst in alien Wesen und
alle Wesen in sich selbst sieht, so wird er so wenig in der
Welt befleckt wie ein Wasservogel im Wasser.
30. (12290.) Wie ein Vogel aus der Niederung emporfliegt
und die Unendlichkeit droben erreicht, so gelangt, verzichtend
und vom Korper befreit, der iiber die Gegensatze Erhabene
zum Frieden.
31. (12 291.) Dariiber vernimm die Gesange, welche ehe-
mals vom Konige Yayati gesungen wurden und welche von
Zwiegeborenen , die der Erlosungslehre kundig sind, im Ge-
dachtnisse aufbewahrt werden.
32. (12 292.) „In dem Atman und sonst nirgendwo wohnt
das Licht ; als gemeinsam alien Geschopfen kann es unmittelbar
geschaut werden von einem, dessen Geist sich darein vertieft.
33. (12 293.J Vor wem sich kein anderer fiirchtet und wer
sich vor keinem andern fiirchtet, wer nicht liebt und nicht
hafst, der geht in das Brahman ein.
34. (12294.) Wenn einer* kein hoses Wesen gegen irgend
jemand zeigt in Werken, Gedanken oder Worten, der geht
in das Brahman ein.
35. (12 295.) Wer seinen Atman im Geiste wohlriistet und
den blindmachenden Neid fahren lafst, wer Begierde und Ver-
blendung fahren lafst, der erlangt die Brahmanschaft.
36. (12 296.) Wer beim Horen und Sehen alien Wesen
gegeniiber seinen Gleichmut bewahrt und iiber die Gegen-
satze erhaben ist, der geht in das Brahman ein.
37. (12 297.) Wer auf Lob und Tadel mit Gleichmut blickt,
auf Gold und Eisen, Lust und Leid,
38. (12 298.) Kalte und Warme, Nutzen und Schaden, Liebes
und Unliebes, Leben und Sterben, — der geht in das Brah-
man ein.
Adhyaya 328 (B. 326). 715
39. (12 299.) Wie die Schildkrote die Glieder, welche sie
ausgestreckt hatte, wieder in sich hereinzieht, so soil der
Bhikshu die Sinnesorgane durch sein Manas in sich herein-
ziehen.
40. (12300.) Wie ein von Dunkel umhiilltes Kleid mit Hilfe
einer Lampe gesehen wird, so kann man mit der Lampe der
Buddhi den Atman schauen." —
41. (12301.) Alles dieses sehe ich in dir verwirklicht,
0 Bester der Verstandigen , und was sonst noch zu wissen
iibrig ist, das weifst du, o Herr, der Wahrheit gemals.
42. (12 302.) Ich weifs von dir, o Brahman weiser, dafs du
iiber die Sinnendinge hinausgelangt bist dank der Gnade
deines Lehrers und deiner eigenen Lernbegierde.
43. (12303.) Und durch desselben Lehrers Gnade ist auch
mir ein gottliches Wissen mitgeteilt worden, darum weifs ich
das liber dich, o grofser Muni.
44. (12 304.) Uniibertrefflich ist dein Wissen und uniiber-
trefflich dein Wandel; uniibertrefflich ist auch deine Gott-
herrlichkeit, du aber bist dir dessen nicht bewufst.
45. (12305.) Wegen deiner Jugend oder deines Zweifels
oder deiner Furcht, die Erlosung nicht zu erlangen, bist du,
obgleich dir die Wissenschaft zuteil geworden ist, dir nicht
bewufst, das Ziel erreicht zu haben.
46. (12 306.) Wem von einem wie mir mit reiner Entschlossen-
heit seine Zweifel gehoben worden sind, der spaltet die Knoten
seines Herzens und erreicht das Ziel.
47. (12307.) Du bist des Wissens teilhaftig, festen Geistes
und frei von Begierde; ohne eine solche Bemiihung, o Brah-
mane, kann keiner jenes Hochste erreichen.
48. (12308.) Du machst keinen Unterschied zwischen Lust
und Schmerz, bist ohne Begehrlichkeit, tragst kein Verlangen
nach Tanz und Gesang, und keine Leidenschaft steigt in
dir auf.
49. (12309). Du hangst nicht mehr an Verwandten, du
fiirchtest dich nicht mehr vor Gefahren, und ich sehe, o du
Gliicklicher , dafs dir Erdklumpen, Steine und Gold gleich-
viel gelten.
50. (12 310.) Ich sehe es und alle anderen Einsichtigen
716 in. Mokshadharma.
sehen es, dafs du den hochsten, unverganglichen , leidlosen
Weg betreten hast.
51. (12311.) Die Frucht, welche einem Brahmanen hienieden
zuteil wird, und von welcher Art die Erlosung ist, dariiber
bist du unterrichtet, o Brahmane. Was hast du weiter noch
zu fragen?
So lautet im Mokshadharma die Entstehung dee (^uka
(Quka-utpatti).
Adhyaya 329 (B. 327).
Vers 12312-12364 (B. 1-53).
Bhishma sprach:
1. (12312.) Nachdem Quka diese Rede vernommen hatte,
ging er bereiteten Geistes, voll Zuversicht, sein Selbst durch
sein Selbst befestigend und sein Selbst durch sein Selbst
schauend,
2. (12313.) nach Erfiillung seiner Aufgabe, heiter, beruhigt,
schweigend und mit gehobenem Haupte hinauf zu dem Schnee-
gebirge, dem Sturm wind vergleichbar.
3. (12314.) Zur selben Zeit begab es sich, dafs auch der
Gotterweise Narada hinaufsteigen wollte, um den von seligen
Scharen und himmlischen Sangern bewohnten Himalaya zu
besuchen,
4. (12315.) den Himalaya, welcher belebt ist von lieblich
singenden Apsarasscharen, von Kinnara's zu Tausenden und
Bhringaraja's,
5. (12316.) von Tauchervogeln , Bachstelzen und bunt-
farbigen Hiihnerarten,
6. von buntschillernden, durch hundertfache Kekarufe auf-
fallenden Pfauen, (i23i7.) von Flamingoscharen und schwarzen
Kuckucken ;
7. dort thront allezeit der Konig der Vogel, Garutmant
(Garuda), (12318.) dorthin kommen die vier weltbehiitenden
Gotter und die Scharen der Rishi's
8. immerfort zusammen, um das Beste der Welt zu be-
raten, (12319.) wo auch von dem hochsinnigen Vishnu zur
Erlangung eines Sohnes Askese geiibt wurde.
Adhy^ya 329 (B. 327). 717
9. Dort war es auch, wo von Kumara (Skanda) einst in
seiner Kindheit die Himmelsbewohner verhohnt worden waren.
(12320.) Skanda hatte namlich seinen Speer in die Erde ge-
stofsen und mit Verachtung aller drei Welten
10. daselbst hohnend dieses Wort den Wesen zugerufen :
(12 321.) Wenn irgendeiner lebt, der mir iiberlegen ist oder die
Brahmanen mehr liebt als ich,
11. wenn in den drei Welten ein zweiter sich findet,
der an Heiligkeit und Tapferkeit mir gleichkommt, (12322.) so
moge er versuchen, diesen Speer herauszuziehen oder auch
nur zu erschiittern.
12. Als sie dies horten, gerieten die Welten in Aufregung
und fragten sich : Wer wird den Speer herausziehen ? (12323.) Als
aber der heilige Vishnu die ganze Schar der Gotter mitsamt
den Damonen und Kobolden
13. bestiirzt an Sinnen und Geist infolge der Verhohnung
erblickte, (12324.) da fragte er sich, was wohl hier Gutes ge-
wirkt werden konne.
14. Und indem er die Verhohnung nicht ertrug, blickte
er auf den Feuersohn (Skanda) hin, (12325.) packte mit reiner
Seele den flammenden Speer,
15. und es gelang ihm, dem hochsten Purusha, mit der
linken Hand den Speer ins Wanken zu bringen. (12 326.) Als
aber der Speer von dem gewaltigen Vishnu erschiittert wor-
den war,
16. da bebte die ganze Erde mit ihren Gebirgen und
Waldungen. (12327.) Wohl hatte er den Speer herausreifsen
konnen, aber er bewegte ihn nur,
17. denn der Ubermachtige achtete die Verwegenheit des
Konigs Skanda. (12328.) Nachdem der HeiHge den Speer be-
wegt hatte, sprach er zu Prahrada dieses Wort:
18. Sieh da die Heldenkraft des Kumara, kein anderer
wird so etwas fertig bringen. (12329.) Der aber ertrug diese
Rede nicht, und iiberzeugt, den Speer herausziehen zu konnen,
19. packte er ihn, vermochte aber nicht, ihn zu bewegen.
(12330.) Einen machtigen Schrei ausstofsend, brach er ohn-
machtig auf dem Gipfel des Berges zusammen
718 ni. Mokshadharma.
20. und zitternd stiirzte er, der Sohn des HiranyakaQipu,
zu Boden. — (12331.) Ebendort war es auch gewesen, wo, nach
der nordlichen Himmelsgegend gelangend, an einem Abhange
des Konigs der Berge
21. der den Stier im Banner Fiihrende (Qiva) bestandig
eine schwer zu iiberwaltigende Askese iibte, o Freund,
(12 332.) er, in dessen von flammendem Feuer umgebene Ein-
siedelei
22. mit Namen Sonnenberg schwer einzudringen ist von
solchen, welche unbereiteten Geistes sind. (12333.) Dorthin
zu gehen ist nicht moglich fiir Halbgotter, Kobolde und
Damonen,
23. zu der zehn Meilen weit sich erstreckenden, von
Feuerlohe umgebenen Einsiedelei. (12334.) Der heilige Feuer-
gott selbst flammte dort in seiner Starke,
24. um alle Hindernisse fernzuhalten von dem weisen
Mahadeva, (12335.) welcher tausend Gotterjahre hindurch auf
einem Fufse stand,
25. von dem geliibdemachtigen Mahadeva, welcher die
Gotter in seiner Askese beunruhigte. — (12336.) Anderseits
pflegte in der ostlichen Gegend des weisen Konigs der Berge
26. an einem abgesonderten Abhange der askesereiche
Paragarasohn (12337.) Vyasa seinen Schiilern den Veda zu
lehren,
27. dem hochbegliickten Sumantu, dem Vaigampayana,
(12 338.) dem hochweisen Jaimini und dem askesereichen Paila.
28. Dort also, wo, von diesen Schiilern umgeben, der
askesereiche Vyasa sals, (12339.) erblickte den lieblichen, vor-
ziiglichen Ort der Einsiedelei seines Vaters
29. der reingesinnte Reibholzentsprossene, wie die Sonne
am Himmel erglanzend. (12340.) Aber auch Vyasa erblickte
den wie lohendes Feuer umstrahlten,
30. der Sonne an Glanz gleichen Sohn, wie er heran-
kam, (12 341.) ohne sich um die Baume, Felsen und Sinnen-
dinge zu kiimmern, in den Yoga vertieft, hochsinnig, einem
von der Sehne abgeschossenen Pfeile vergleichbar.
31. (12 342.) Der Sohn naherte sich und erfafste die Fiifse
Adhyaya 329 (B. 327). 719
des Vaters, er, der grofse Muni, wahrend er die anderen
nach Belieben begriifste.
32. (12343.) Darauf erzahlte ^uka mit freudigem Herzen
seinem Vater alles bis ins kleinste, wie er sich mit dem
Konige Janaka unterredet hatte.
33. (12344.) "Wie er zu tun pflegte, unterwies der gewaltige
Vyasa seine Schiiler und seinen Sohn und lebte auf dem
Riicken des Himalaya, der hochweise Sohn des Paragara.
34. (12 345.) Nun begab es sich einstmals, dafs ihn seine
Schiiler umstanden, mit dem Vedastudium ausgeriistet, be-
ruhigten Geistes, mit bezahmten Sinnen,
35. (12346.) fest in den Veden und Vedaiiga's gewurzelt
und askesereich. Da sprachen die Schiiler mit zusammen-
gelegten Handen zu Vyasa, ihrem Lehrer.
Die Schiiler sprachen:
36. (12 347.) Mit grofser Kraft ausgestattet und herrlich
emporgediehen, bitten wir nunmehr dich, unsern Lehrer, uns
eine Gnade zu erweisen.
37. (12 348.) Diese ihre Rede vernommen habend, sprach
zu ilmen der Brahmanweise : Sprecht es aus, ihr Kalblein,
welche Liebe ich euch erweisen soil.
38. (12 349.) Dieses Wort des Lehrers horten die Schiiler
mit frohem Herzen, und abermals, die Hande zusammen-
legend und mit dem Haupte vor dem Lehrer sich ver-
neigend,
39. (12 350.) sprachen sie, o Konig, alle im Verein dieses
gewaltige Wort: Wenn der Lehrer mit uns zufrieden ist, so
sind wir begliickt, o bester Muni.
40. (12 351.) Aber wir alle bitten, dafs uns von dem grofsen
Rishi eine Gunst gewahrt werde: Mochte durch dich aufser
uns kein sechster Schiiler zum Ruhm gelangen, dies erweise
uns als Gnade.
4L (12 352.) Wir Schiiler sind unserer schon vier und der
Sohn des Lehrers ist der fiinfte. Mochten die Veden in unserm
Kreise verbleiben, das ist der Wunsch, um dessen Erfiillung
wir bitten.
720 III. Mokshadharma.
42. (12333.) Als Vyasa, der des Veda nach Inhalt und Be-
deutung kundige und iiber das Wesen des Jenseits medi-
tierende, weise Sohn des Para^ara, die Rede seiner Schiiler
vernommen hatte,
43. (12354.) sprach der Pflichtkundige zu seinen Schiilern
das pflichtgetreue, beseligende Wort : Das heilige Wort mufs
allezeit einem Brahmanen, wenn er es zu horen begehrt, mit-
geteilt werden,
44. (12355.) sofern er nach der bestandigen Wohnung in
der Brahmanwelt Verlangen tragt ; ihr sollt zu vielen werden,
dieser Veda soil sich verbreiten.
45. (12 356.) Aber keinem diirft ihr ihn mitteilen, der nicht
ein Schiiler, der nicht geliibdetreu, der nicht bereiteten Geistes
ist; dieses alles miifst ihr als die Bedingungen der Schiiler-
schaft der Wahrheit gemafs erkennen;
46. (12357.) nun und nimmer darf die Wissenschaft einem
solchen mitgeteilt werden, der unbedachten Wandels ist. Denn
wie man das Gold auf seine Reinheit hin durch Erhitzung,
Schneiden und Reiben am Probierstein
47. (12358.) priift, so mufs man die Schiiler auf ihre Ab-
kunft, Fahigkeit und was sonst dazu gehort priifen. Nie
diirft ihr die Schiiler zu einer unwiirdigen oder gefahrlichen
Arbeit verwenden.
48. (12359.) Je nach dem Verstandnisse , je nach dem
Studium wird die Wissenschaft fruchtbar sein; jeder mufs
die Schwierigkeiten iiberwinden, und jeder soil auch seine
Freude daran haben.
49. (12360.) Allen vier Kasten soil man den Veda mitteilen,
in erster Linie aber den Brahmanen. So steht es mit dem
Studium des Veda, als grofse Aufgabe haben wir es iiberkommen.
50. (12361.) Die Veden sind von dem durch sich selbst
Seienden geschaffen worden, damit man die Gotter mit ihnen
preise. Wer aber in seiner Verblendung einen Brahmanen
schmaht, der den Veda durchstudiert hat,
51. (12362.) der geht unzweifelhaft ins Verderben, weil er
es auf einen Brahmanen abgesehen hat. Wer unbefugter-
weise den Veda erklart und wer unbefugterweise iiber ihn
Fragen stellt,
Adhy&ya 329 (B. 327). 721
52. (i23Ga.) von denen geht ersterer ins Verderben und
letzterer macht sich verhafst. Alles dies sei euch anbefohlen
als Vorschrift, wie der Veda zu lehren ist;
53. (12 364.) seid hilfreich euren Schiilern, das haltet fest
in eurem Herzen.
So lautet im MokshadbaTraa das Treiben des Quka
((^ula - kritijain).
Adhyaya 330 (B. 328).
Vers 12365-12421 (B. 1-57).
Bhishma sprach:
1. (12365.) Nachdem die herrlichen Schiiler des Vyasa
dieses Wort des Lehrers gehort batten, umarmten sie ein-
ander freudigen Herzens:
2. (12 366.) „Was der Heilige zu uns gesprochen hat, das
ist als verbindlich fiir Gegenwart und Zukunft in unserm
Geiste festgewurzelt, und danach werden wir handeln."
3. (12 367.) Nachdem sie sich wiederholt freudigen Geistes
in dieser Weise raiteinander besprochen batten, redeten die
Redekundigen abermals ihren Lehrer an:
4. (12 368.) Es ist uns erwiinscht, o grofser Muni, aus
diesem Gebirge in die Welt herabzusteigen und fiir die Ver-
breitung der Veden zu wirken, wenn es dir, o Herr, gefallt.
5. (12369.) Nachdem der Paragarasohn die Rede seiner
Schiiler angehort hatte, sprach er darauf das heilsame, zum
Guten und Niitzlichen mahnende Wort:
6. (12370.) Ihr mogt euch zur Erde oder zur Gotterwelt hin-
wenden, wenn es euch gefallt, jedenfalls miifst ihr behutsam
wandeln, denn das heilige Vedawort ist leicht zu entstellen.
7. (12371.) Von dem wahrheitliebenden Lehrer verabschiedet,
umkreisten sie den Vyasa nach rechts, griifsten ihn durch
Neigung des Hauptes und machten sich auf den Weg.
8. (12 372.) In die Ebene hinabgestiegen , richteten sie so-
dann das Vierpriesteropfer ein und waren fiir Brahmanen,
Rajanya's und Vaigya's als Opferpriester tatig.
Deusskn, Mah&bbilTatain. 46
722 III. Mokshadharma.
9. (12 373.) Allezeit von den Zwiegeborenen geehrt, lebten
sie frohlich als Hausvater und batten ihre Freude am Opfern
fur andere und am Lehren des Veda, gliicklich und in der
Welt beriihmt.
10. (12374.) Nachdem die Schiiler hinabgestiegen waren,
blieb Vyasa mit seinem Sohne schweigend, meditierend und
gedankenreich. an einsamer Statte sitzen.
11. (12375.) Da besuchte ihn in seiner Einsiedelei der
askesereiche Narada und sprach zu passender Zeit mit lieb-
lich tonender Stimme:
12. (12376.) Ei, ei, du Brahmanenweiser aus Vasishtha's
Stamm! man hort hier gar nicht mehr das heilige Wort er-
tonen; warum sitzest du allein meditierend und schweigsam
da wie einer, der in Gedanken versunken ist?
13. (12377.) Dieser Berg hat jetzt, wo er nicht mehr von
heiHger Rede widerhallt, seine Schonheit eingebiifst wie der
Mond, wenn er durch Staub und Finsternis verdunkelt wird.
14. (12 378.) Nicht glanzt er mehr wie vordem, und er, der
doch von Gottem und Rishi's besucht wird, gleicht einer Be-
hausung wilder Barbaren, seitdem das Vedawort nicht mehr
auf ihm erschallt.
15. (12 379.) Rishi's, Gotter und machtige Gandharven, des
Vedaklanges entbehrend, glanzen nicht mehr wie vordem.
16. (12 380.) Das Wort des Narada vernommen habend,
erwiderte Krishna Dvaipayana: 0 grofser Rishi, was du mir
gesagt hast, du, der Vedareden Kundiger,
17. (12381.) das entspricht meinem Wunsche, und du hast
ganz recht, es mir zu sagen. Allweise, allschauend und
iiberall umherspiirend,
18. (12 382.) hast du in deinem Geiste alles gegenwartig,
was in den drei Welten vor sich geht. Darum sprich dich
aus, 0 Brahmanenweiser, und sage, was ich dir zuliebe
tun soil.
19. (12383.) Lafs horen, o Brahmanenweiser, was ich unter-
nehmen soil; seitdem ich meiner Schiller beraubt bin, werde
ich meiner nicht mehr recht froh.
Adhyaya 330 (B. 328). 723
NS.rada spracb:
20. (12384.) Das Nichtstudiertwerden ist eine Schmach fiir
den Veda, keine Geliibde zu haben eine Schmach fiir den
Brahmanen; Auslander sind die Schmach des Landes, Neu-
gierde ist die Schmach der Weiber.
21. (12 385.) 0 Herr, studiere zusammen mit deinem ver-
standigen Sohne die Veden, dann wirst du durch den Schall
der heiligen Rede den Triibsinn abschiitteln , der dich aus
Furcht vor den Kobolden befangt.
Bhishma spracli:
22. (12 386.) Nachdem der iiberaus pflichtkundige Vyasa
das Wort des Narada gehort hatte, sprach er freudig: So sei
es! und gelobte sich fest, die Veden eifrig zu treiben.
23. (12 387.) Darauf gab er sich mit seinem Sohne (^uka
dem Studium des Veda hin und erfiillte mit seinem lauten,
kunstgerechten Vortrage gleichsam die Welt.
24. (12 388.) Einstmals, als die beiden gerade studierten
und mancherlei Satzungen vortrugen, wehte ein sehr starker
Wind, der von einem Seesturme herriihrte.
25. (12 389.) Dabei kann nicht studiert werden, sprach
Vyasa und hemmte den Eifer seines Sohnes ; Quka horte auf,
und von Wifsbegierde erfiillt,
26. (12 390.) fragte er seinen Vater: 0 Brahmane, woher
ist dieser Wind entstanden? Du mogest mir, o Herr, das
ganze Wesen des Windes erklaren.
27. (12391.) Nachdem er dieses Wort des (^uka vernommen
hatte, sprach der gleichfalls liber diese Veranlassung der
Studienunterbrechung hochst erstaunte Vyasa folgendermafsen :
28. (12392.) Ein himmHsches Auge ist dir geworden, und
dein Geist ist aus sich selbst fleckenlos, von Tamas und
Rajas bist du frei und stehst fest im Sattvam.
29. (12393.) Wie einer sein Bild im Spiegel, so siehst du
dein Selbst durch dein Selbst; erwage in deinem Selbste die
Veden und iiberdenke sie mit deinem Geiste.
30. (12 394.) Wer auf dem Gotterwege geht, gelangt zu
Vishnu, der Vaterweg aber ist tamas-artig ; diese beiden Wege
46*
724 in. Mokshadharma.
bestehen nach dem Tode fiir den, der zum Himmel, und fiir
den, der niederwarts geht.
31. (12395.) Auf der Erde und im Luftraume, wo immer
die Winde umherstreichen mogen, da gibt es folgende sieben
Windpfade, diese vernimm der Reihe nach.* —
32. (12 396.) Da oben wohnen die machtigen, gewaltigen,
gottlichen Scharen der Sadhya's, diese batten einen schwer
iiberwindlichen Sohn, der hiefs Sanidna (der Allhauch).
33. (12397.) Sein Sohn ist der Uddna (Aufhauch), dessen
Sohn der Vydna (Zwischenhauch) ; von ihm stammt der Ajidna
(Einhauch), und von diesem weiter der Prdna (Aushauch).
34. (12 398.) Der schwer zu bewaltigende, feindbedrangende
Prana aber hatte keine Nachkommen. Nun will ich dir die
besonderen Verrichtungen dieser Winde der Wahrheit gemafs
erklaren.
35. (12 399.) Der Wind ist es, welcher die Tatigkeit der
lebenden Wesen alliiberall und bei jedem in Gang bringt, und
weil alle Wesen aushauchen, darum wird er Prana (der Aus-
hauch) genannt
36. (12400.) Die aus Dunst und Hitze geborenen Wolken-
massen treibt derjenige Wind an, welcher der erste auf dem
ersten Pfade ist und welcher den Namen FravaJta (der An-
treiber) fiihrt.
37. (12401.) Im Luftraume Feuchtigkeit aufnehmend und
durch die Blitze sehr glanzend geworden, weht sausend und
brausend der zweite Wind, welcher Avaha (der Hertreiber)
heifst.
38. (12402.) Derjenige Wind, welcher fort und fort den
Aufgang des Mondes und der Sterne bewirkt, und den, sofern
er innerhalb des Korpers auftritt, die Weisen den Udana (Auf-
hauch) nennen [mit C],
39. (12403.) der Wind, welcher aus den vier Ozeanen das
Wasser entnimmt, es emporfiihrt und es fiir die Wolken im
Luftraume mit sich forttragt, dieser Wind,
* Vers 36 schliefst sich unmittelbar au Vers 31. Vers 32—35 unter-
brechen den Zusammenhang und scheinen ein eingeschobenes Fragment
einer von den fiiuf Prana's handelndeu Stelle zu sein.
Adhyaya 303 (B. 328). 725
40. (12 404.) welcher die Wolken mit Wasser versorgt und
sie dem Regengotte iiberliefert, dieser iiberaus starke ist der
dritte Wind und heifst Udvaha (Emportreiber).
41. (12405.) Derjenige Wind, durch welchen die einzelnen
Wolken vielfach zusammengetrieben , fortgefiihrt und, wenn
sie anfangen den Regen zu entlassen, zu dichten Regen-
wolken werden,
42. (12406.) durch den sie aneinander geschlagen und zer-
brochen werden, so dafs die Tone der donnernden entstehen,
durch den die zum Heil entstandenen Wolken zu Regen-
wolken werden,
43. (12407.) der auch die Gotterwagen hoherer Wesen im
Luftraume fortfiihrt, dieser Berge zerreifsende Wind ist der
vierte und heifst Samvaha (Zusammentreiber).
44. (12408.) Der stiirmische, rauhe, durch die Berge briillende
Wind, durch welchen die zerrissenen und wieder vereinigten
Wolken zu Gewitter wolken werden,
45. (12409.) der vom Himmel her donnernd furchtbar sich
erhebt und dahinfahrt, dieser sehr stiirmische Wind ist der
fiinfte und wird Vivaha (Zertreiber) genannt.
46. (12410.) Der Wind, in welchem die freischwebenden
himmlischen Gewasser im Luftraume dahinziehen, auf welchen
sich stiitzend, das reine Wasser der Himmelsgaiiga sich halt,
47. (12411.) und in welchem, von fernher gehemmt, als ein-
strahlig die Sonne erscheint, sie, welche doch der Mutter-
schofs von tausend Strahlen ist und die Erde mit Licht erfiillt,
48. (12412.) der Wind, durch den der Mond wachst und
nach seinem Schwinden die Scheibe wieder fiillt, dieser sieg-
reichste ist der sechste und heifst Parivaha (Umtreiber).
49. (12413.) Der Wind, welcher die Lebensgeister aller
Lebenden zu ihrer Zeit austreibt, auf dessen Pfade beide sich
bewegen, der Todesgott und des Vivasvant Sohn (Yama),
50. (12 414.) der den mit ruhigem Geiste richtig Forschen-
den, — 0 ihr Kenner der innern Seele! — den an Meditation
und Studium sich Erfreuenden zur Unsterblichkeit verhilft,
51. (12 415.) von welchem getragen die zehntausend Sohne
des Schopferherrn Daksha im Sturme an das Ende der Welt
gelangt sind,
726 ni. Mokshadharma.
52. (12416.) von welchem der Erschaffene weggerafft dahin-
geht und nicht wiederkommt, dieser hochste, schwer zu iiber-
windende Wind heifst Pardvaha (Wegtreiber).
53. (12 417.) So steht es mit diesen hochst wunderbaren
"Winden, den Sohnen der Aditi ; unermiidlich wehen sie, alles
durchziehend, alles tragend.
54. (12418.) Aber das ist ein grofses Wunder, dafs dieser
trefflichste der Berge durch jenen iiber die Mafsen wehenden
Wind mit Gewalt erschiittert wurde.
55. (12419.) Dieser Wind ist der Odem des Vishnu; wenn
dieser, stiirmisch erregt, sich gewaltsam erhebt, o Freund,
dann erzittert die ganze Welt.
56. (12420.) Darum studieren die Brahman wisser den Veda
nicht bei starkem Winde, denn in Windfurcht vor dem Winde
rezitiert, fiihlt sich das heilige Wort gequalt.
57. (12421.) Nachdem der machtige Sohn des Paraqara
dies Wort gesprochen hatte, rief er seinem Sohne zu: „Stu-
diere!" und stieg zur Himmelsgaiiga hinauf.
So lautet im Mokshadharma die Entstehung des Qxika,
((j'uka-iitpatH),
Adhyaya 331 (B. 339).
Vers 12422-12481 (B. 1-59).
Bhishma sprach:
1. (12422.) In dieser Zeit des Alleinseins kam Narada herbei,
um dem mit dem Studium des Veda beschaftigten (^uka liber
den Inhalt des Veda Fragen vorzulegen.
2. (12423.) Als aber (^uka den Gotterweisen Narada heran-
kommen sah, verehrte er ihn zunachst durch die Gastspende
auf die im Veda vorgeschriebene Weise.
3. (12424.) Da sprach Narada freudig und liebevoll: Sage
mir, o Bester der Gesetzestrager, mit welcher Heilsgabe ich
dich begliicken kann, mein Lieber.
4. (12 425.) Als (,'uka das Wort des Narada vernommen,
o Bharata, sprach er zu ihm : Was in dieser Welt zum Heile
dient, damit mogest du mich beschenken.
Adhyaya 331 (B. 329). 727
Narada sprach:
5. (12426.) Zu den nach der Wahrheit forschenden und
in ihrem Geiste bereiteten alien Weisen hat der heilige Sanat-
kumara das folgende Wort gesprochen:
6. (12427.) Kein Auge koramt der Wissenschaft gleich,
keine Askese der Wahrheit, kein Ungluck kommt der Leiden-
schaft, kein Gltick der Entsagung gleich (= Vers 6557).
7. (12428.) Abwendung von bosem Tun, bestandige Kein-
heit des Charakters, edles Betragen und geziemendes Be-
tragen, darin liegt das hochste Heil.
8. (12429.) Wer das Ungluck hat, Mensch geworden zu
sein und daran hangt, der ist ein Tor; nicht vermag er sich
vom Leid zu befreien, Kleben an der Welt heifst Leiden.
9. (12430.) Die Erkenntnis des Weltanhanglichen geht irre
und befestigt ihn in dem Netze der Verblendung; wer aber
vom Netze der Verblendung umstrickt ist, der gerat in Leiden
hienieden und im Jenseits.
10. (12431.) Mit alien Mitteln soil man die Niederhaltung
der Begierde und des Zornes erstreben, wenn man nach dem
Heil trachtet, denn diese beiden stehen auf der Lauer, um
das Heil zu morden.
11. (12 432.) Allezeit soil man seine Askese vor Zorn be-
hiiten und sein Gliick vor Ubermut, seine Wissenschaft soil
man vor Hochmut und Geringschatzung bewahren und sich
selbst vor Unbesonnenheit.
12. (12433.) Wohlwollen ist die hochste Pflicht, Geduld
ist die hochste Starke, das Atmanwissen ist das hochste
Wissen, aber nichts Hoheres gibt es als die Wahrheit.
13. (12434.) Das Beste ist, immer die Wahrheit zu sagen,
wer die Wahrheit sagt, der redet zum Guten; das absolut
Gute fiir die Wesen ist nach meiner Meinung die Wahrheit.
14. (12435.) Wer auf alle Unternehmungen verzichtet, ohne
Wiinsche und ohne Anhang lebt, wer verzichtet auf dies
alles, der ist weise, der ist gelehrt.
15. (12436.) Wer durch die Sinnendinge wandelt mit
Sinnen, die dem Atman gehorsam sind, ohne Anhanglichkeit,
beruhigten Geistes, unentwegt und gesammelt.
728 III. Mokshadharma.
16. (12437.) wer bei allem, was sein Selbst umgibt, mag
es ihm angehoren oder nicht, sich bewufst bleibt, dafs er
das nicht ist, der ist erlost und erlangt in kurzer Zeit das
hochste Heil.
17. (12 438.) Wer im Verkehr mit den Wesen nicht sieht,
nicht fiihlt, nicht redet, der, o Muni, erlangt das hochste Heil.
18. (12439.) Man schadige kein Wesen und beharre auf
dem Wege der Freundlichkeit ; nachdem man einmal in dieses
Dasein geraten ist, lebe man in Feindschaft mit niemandem.
19. (12410.) Besitzlosigkeit, Zufriedenheit , Wunschlosig-
keit, Unwankelmiitigkeit, das erklart man fiir das hochste
Gliick dessen, der sein Selbst erkennt, sein Selbst beherrscht.
20. (12441.) Gib auf, was dir angehort, und beharre,
o Freund, in Bezahmung der Sinne, gewinne den Standpunkt
der Freiheit von Kummer und Furcht hier und im Jenseits.
21. (12442.) Wer frei von Lockungen ist, hat keinen
Kummer, man meide, was die Seele verlockt; wenn du den
Lockungen widerstehst, o Teurer, wirst du von Leid und
Qual erlost werden.
22. (12443.) Von dem askesetreuen, bezahmten, sich selbst
im Zaume haltenden Muni, der das noch Uniiberwundene zu
iiberwinden strebt, mufs in der Sinnenwelt ohne Sinnenlust
beharrt werden.
23. (12 444.) Der Brahmane, welcher nicht mehr in die
Fesseln der Guna's verstrickt ist, sondern an dem einsamen
Wandel allezeit sein Geniige hat, der wird in kurzer Zeit zu
uniiberbietbarer Seligkeit gelangen.
24. (12445.) Wer unter den an den Gegensatzen sich freuen-
den Wesen als Muni seine Freude an der Einsamkeit hat,
den wisse als einen Erkenntnisgesattigten , und wer an Er-
kenntnis gesattigt ist, der leidet nicht mehr.
25. (12446.) Durch gute Werke erlangt man das Gott-
sein, durch gemischte eine Geburt als Mensch, durch bose
Werke verfallt man einer Geburt als Tier, man mag wollen
oder nicht.
26. (12 447.) Dabei wird das Geschopf fort und fort von
Tod, Alter und Schmerz bestiirmt und im Sansara miirbe ge-
macht; siehst du das nicht ein?
Adhy^ya 331 (B. 329). 729
27. (12 44S.) Du, der du das Nichtgute fiir gut haltst, das
Vergangliche fiir bestandig, das Wertlose fiir wertvoll, warum
siehst du das nicht ein?
28. (12 449.) Dafs du von vielen von dir selbst gesponnenen
Stricken der Verblendung umgarnt bist, wie eine Seiden-
raupe, die sich selbst einspinnt, siehst du das nicht ein?
29. (12450.) Lafs das Angehorige fahren; in Schuld ver-
wickelt, was angehort; wird ja doch auch die Seidenraupe
gebunden durch das, was ihr angehort.
30. (12451.) An Kindern, Weibern und FamiHe hangend,
ermatten die Menschen, wie alte Waldelefanten, wenn sie in
ein Meer von Schlamm geraten sind.
31. (12 452.) Wie Fische in einem grofsen Netze gefangen
und aufs Trockene gezogen werden, so lassen sich die Men-
schen in dem Netze der WeltHebe fangen und geraten da-
durch in grofses Leid.
32. (12453.) Famihe, Kinder, Weiber, Leib und Vermbgen
wisse alles als dir fremd und unbestandig. Was ist dein?
Das gute und bose Werk!
33. (124,54.) Da du alles dahinten lassen und fortziehen
mufst, du magst wollen oder nicht, warum klammerst du dich
an Wertloses an und suchst nicht das, was wertvoll ist?
34. (12455.) Den Weg ohne Ende, ohne Kuheplatze und
ohne Wegekost, den richtungslosen, durch Dunkel und Dickicht
fiihrenden, wirst du den allein gehen?
35. (12456.) Kein Mensch wird dir folgen, wenn du ihn
angetreten hast, nur das gute und bose Werk wird dich auf
deinem Wege geleiten.
3G. (12 457.) Wissenschaft , Werke, Reinheit und viel-
umfassende Erkenntnis, dem mufst du um des Zweckes willen
nachtrachten ; wer den Zweck erreicht hat, wird erlost.
37. (12458.) Eine bindende Fessel ist die Liebesfreude des
Dorfbewohners, Edelgesinnte durchschneiden sie und ziehen
davon, Ubelgesinnte durchschneiden sie nicht [= Vers 12114].
38. (12459.) [Es gibt einen Flufs:] Gestalt ist sein Ufer,
Manas seine Stromung, der Tastsinn seine Insel, der Ge-
schmack sein Gefalle, der Geruch sein Schlamm, das Gehor sein
Wasser, der Weg zum Himmel ist schwer auf ihm zu finden,
730 ni. Mokshadharma.
39. (12460.) aber mit der Geduld als Ruder, der Wahrheit
als Ballast, Festigkeit in der Pflicht als Zugseil, mit der Frei-
gebigkeit als schnellem Segelwinde mufs man zu Schiffe
diesen Flufs liberschreiten.
40. (12 461.) Wirf ab Gutes und Boses, Wahrheit und Un-
wahrheit, und wenn du beides, Wahrheit und Unwahrheit,
abgeworfen hast, wirf auch den ab, durch den du sie ab-
geworfen hast.
41. (12462.) Wirf ab das Gute, weil du wunschlos, das
Bose, weil du begierdelos geworden bist, die Wahrheit und
Unwahrheit, weil dir die Erkenntnis zuteil wurde, die Er-
kenntnis, weil du des Hochsten gewifs bist.
42. (12463.) Das Haus, dessen Saulen die Knochen, dessen
Bander die Sehnen, dessen Mortel Fleisch und Blut sind, das
hautiiberzogene, iibelriechende, von Kot und Urin erfiillte,
43. (12464.) in welchem Alter und Kummer hausen und
qualvolle Krankheiten sich tummeln, das unreine, vergang-
liche, das dir zur Wohnung geworden ist, verlasse.
44. (1246.5.) Dieses Wei tall, alles Lebende und was an
Nichtlebendem vorhanden ist, auch alles, was aus den grofsen
Elementen besteht, ferner das Grofse [der Mahan], welches
sich auf das Hochste stiitzt,
45. (12466.) dazu die fiinf Elemente nebst Tamas, Sattvam
und Rajas, das ist der siebzehnfache Haufen, welcher Avyaktam
(Prakriti) heifst.
46. (12 467.) Fiigt man hierzu noch alle [fiinf] Sinnes-
objekte nebst den entfalteten und unentfalteten Wesenheiten,
so kommt [noch willktirlicher ist die Verteilung bei Nil] die
aus allem Entfalteten und Unentfalteten sich zusammensetzende
vierundzwanzigfache Schar heraus.
47. (12468.) Mit allem diesem ist er verbunden, der da der
Purusha genannt wird, auch ist da noch die Dreischar [des
Guten, Niitzlichen, Angenehmen] nebst Lust und Leid, Leben
und Tod, —
48. (12469.) wer das alles der Wahrheit nach kennt, der
kennt das Entstehen und Vergehen, man mufs es in seiner
Abfolge begreifen, und was sonst noch an Wifsbarem vor-
handen ist.
Adhyaya 331 (B. 329). 731
49. (12470.) Alles, was durch die Sinnesorgane aufgefafst
wird, heifst das Entfaltete, soviel ist klar; unter dem Un-
entfalteten ist das iiber die Sinne Hinausliegende , nur aus
Merkmalen flingaj Erschliefsbare zu verstehen.
50. (12471.) An der Bezahmung der Sinne erquickt sich
der Mensch wie an Wasserquellen, indem er den Atman in
der Welt und die Welt in dem Atman schaut.
51. (12472.) Die Kraft dessen, welcher auf Grund der Er-
kenntnis das Hochste und Tiefste durchdringt, ist unver-
ganglich, indem er allezeit alle Wesen in alien ihren Zu-
standen durchschaut.
52. (12473.) Die Verbindung mit allem Seienden ist nicht
auf unlauterem Wege zu erlangen, sondern nur von dem,
welcher durch die Erkenntnis sich iiber die mannigfachen,
aus Verblendung entspringenden Anfechtungen erhebt.
53. (12474.) Wenn das Licht der Erkenntnis in der Welt
leuchtet, so wird dadurch der Gang der Welt nicht gestort.
Von dem anfang- und endlosen, im Atman weilenden, unver-
ganglichen Wesen
54. (12 475.) lehrt der erhabene Pfadfinder, dafs es taten-
los und gestaltlos ist. Aber ein Mensch, welcher bald durch
diese, bald durch jene selbstbegangenen Werke in bestandi-
ges Leid verstrickt wird,
55. (12476.) der wird, um dem Leid zu wehren, vielfach
seine Mitmenschen schadigen. Dann greift er immerfort nach
vielen neuen Tatigkeiten
56. (12477.) und wird von ihnen wieder aufs neue gequalt,
dem Kranken gleich, der eine unwirksame Arznei einnimmt.
Von Betorung verblendet und unaufhorlich in Schmerzen,
wird er durch nur vermeintliche Liiste [lies: sainjnitaih]
57. (12478.) geschlagen und von seinen eigenen Werken
wie von einem Quirlstabe gequirlt. Dann bleibt er hienieden
gebunden [und erlangt] vermoge des Aufspriefsens seiner
Werke den ihm zukommenden Mutterschofs ;
58. (12 479.) so durchlauft er wie ein Rad den Sansara
unter vielen Schmerzen. Du aber, befreit von den Fesseln
und abgewendet vom Werke,
732 HI. Mokshadharma.
59. (12480.) werde ein Allwisser, Allsieger in der Voll-
endung, vom Dasein gelost. Indem sie eine neue Bindung
fernhielten durch Yogazucht und durch die Kraft der Askese,
(12 481.) haben viele die Vollendung erlangt, die unstorbare,
welche der Aufgang des Gliickes ist.
So lautet im Mokshadharma die Unterredung zwischen Quka und Narada
(Quka - Ndrada - samvdda).
Adhyaya 333 (B. 330).
Vers 12482-12511 (B. 1-30).
Narada sprach:
1. (12 482.) Wer zur Abwehr des Leidens die leidfreie, be-
ruhigende, beseligende Lehre anhort, der erlangt die Erkennt-
nis, und hat er diese erlangt, so gedeiht sein Gliick.
2. (12 483.) Tausend Anlasse zum Leid und hundert An-
lasse zur Furcht liberfallen Tag fiir Tag den Toren, aber
nicht den Weisen.
3. (12484.) Darum sollst du, um die Vernichtung des
Leidens zu fordern, auf meine Erzahlung achten. Wenn die
Buddhi im Gehorsam verharrt, dann erlangt man die Ver-
nichtung des Leides.
4. (12 485.) Durch Verbindung mit Unliebem und Getrennt-
sein von Liebem [vgl. die erste der vier heiligen Wahrheiten
des Buddhismus] verbinden sich die kurzsichtigen Menschen
mit geistigen Leiden.
5. (12486.) Ist man iiber die Substanzen hinausgelangt, so
soil man sich auch um ihre Qualitaten nicht mehr kiimmern,
denn solange man diesen noch Beachtung schenkt, wird das
Band des Welthanges nicht gelost.
6. (12487.) Man erkenne die Mangel des Gegenstandes,
auf den sich die Begierde richtet, man iiberzeuge sich, dafs
er voir von Unerwunschtem ist, und die Leiden schaft wird
sich schnell abkiihlen.
7. (12 488.) Kein Nutzen, kein Gutes und kein Ruhm [kommt
dabei heraus] , wenn man Vergangenem nachtrauert ; ebenso-
Adhy&ya 332 (B. 330). 733
gut mag man an Nichtvorhandenes sich hangen, denn auch
das kommt einem nicht wieder.
8. (12489.) Mit den Eigenschaften der Dinge treten die
Wesen in Verbindung und trennen sich wieder von ihnen,
alle wie sie da sind; nicht fiir einen allein besteht dieser
Anlafs zum Kummer.
9. (12 490.) Wer einem Vergangenen, mag es gestorben
oder verloren sein, nachtrauert, der hauft Schmerz auf Schmerz
und verdoppelt nur sein Ungemach,
10. (12491.) Keine Trane wird vergiefsen, wer mit Erkennt-
nis [begabt ist], wenn er den Lauf der Welt betrachtet. Wer
alles richtig ansieht, fiir den ist kein Anlafs, Tranen zu ver-
giefsen.
11. (12 492.) Wenn ein Schmerz, ein korperlicher oder
geistiger, auf einen Menschen eindringt, so soil er das, was
er durch Bemiihungen nicht andern kann, auch nicht weiter
bedenken.
12. (12493.) Das rechte Heilmittel des Schmerzes besteht
darin, nicht an ihn zu denken; denn griibelt man ihm nach,
so schwindet er nicht, sondern wachst nur noch mehr an.
13. (12494.) Geistigen Schmerz heilt man durch die Er-
kenntnis, wie korperlichen durch Arznei, soviel vermag die
Erkenntnis; man sei nicht den Toren gleich.
14. (12 495.) Verganglich ist Jugend, Schonheit, Leben,
Vermogen, Gesundheit und Freundesumgang ; der Weise moge
nicht danach gierig sein.
15. (12496.) Nicht das ganze Land, sondern nur der ein-
zelne vermag Schmerz zu empfinden; sieht man daher einen
Ausweg, so soil man nicht klagen, sondern handeln.
16. (12497.) Der Schmerz iiberwiegt im Leben die Lust,
daran ist kein Zweifel, denn das Hangen an den Sinnen-
dingen beruht auf Tauschung, und das Sterben ist un-
erwiinscht.
17. (12498.) Der Mensch, welcher beides, Leid und Lust,
hinter sich lafst, der geht zu dem unendlichen Brahman ein,
den betrauern weise Menschen nicht.
18. (12 499.) Reichtum geht verloren unter Schmerzen,
und ihn zu behiiten ist auch keine Lust, erworben aber
734 ni. Mokshadharma.
wird er mit Miihe, darum trauere man nicht um seinen
Verlust.
19. (12 500.) Die Menschen kommen abwechselnd bald in
diese, bald in jene Vermogenslage, und ungesattigt gehen sie
zugrunde, nur der Weise gelangt zur Befriedigung.
20. (12501.) Auf Reichtum folgt allezeit Verlust, auf Er-
hohungen Erniedrigung, auf Verbindungen Trennung, auf das
Leben der Tod.
21. (12502.) Der Durst nach Besitz hat kein Ende, Zu-
friedenheit ist das grofste Gliick, darum sehen die Weisen
die Zufriedenheit als ihren Reichtum an.
22. (12503.) In einem Augenblicke schwindet die Lebens-
kraft hin und hat keinen Bestand; unsere Leiber sind ver-
ganglich, was ist da Unvergangliches zu finden!
23. (12 504.) Wer in den Wesen die Realitat iiberdenkt
und das iiber den Verstand Erhabene in ihnen erkennt, der
trauert nicht, wenn er dahingehen mufs, weil er das hochste
Ziel im Auge hat.
24. (12 505.) Noch ist er dabei, zu sammeln, noch sind seine
Begierden nicht gesattigt, da, wie der Tiger ein Stiick Vieh
raubt, holt ihn der Tod (= Vers 654i, vgl. Vers 9945b).
25. (12506.) Darum sehe man sich um nach einem Mittel,
welches vom Leiden Erlosung bringt, ergreife es, ohne zu
klagen, und erlbst, verharre man frei von Leidenschaft.
26. (12507.) Bei Tonen, Gefiihlen, Gestalten, Geriichen und
Geschmacken gibt es fiir Reich und Arm nichts iiber den
augenblicklichen Genufs hinaus.
27. (12 508.) Ehe die Wesen zusammengebracht werden,
stehen sie nicht unter der Herrschaft des Schmerzes ; miissen
sie sich wieder trennen, so soil man nicht trauern, der Natur-
ordnung sich fiigend.
28. (12509.) Durch Festigkeit soil man Geschlechtslust
und Efslust ziigeln, Hande und Fiifse durch das Auge, Auge
und Ohr durch das Manas, Manas und Rede durch die
Wissenschaft.
29. (12 510.) Seine Teilnahme beim Lobe wie beim Gegen-
teil soil man zuriickhalten und ohne Hoffart dahinwandeln,
dann ist man gliicklich, ist man ein Weiser.
Adhyaya 332 (B. 330). 735
30. (12 511.) Am innern Atman sich freuend, ruhig da-
sitzend, ohne Anteilnahme, ohne Versuchung, wer so dahin-
lebt mit seinem Atman als einzigem Gefahrten, der ist wahr-
haft gliicklich.
So lautet im Mokshadharma der Flug des fjuka
((^iika - abhipatanam).
Adhyaya 333 (B. 331).
Vers 12512-12576 (B. 1-65).
N&rada sprach :
1. (12 512.) Wenn ein Umschwung vom Gliick zum Un-
gliick eintritt, so hilft dagegen keine Kenntnis, kein richtiges
Verbal ten und keine Tapferkeit.
2. (12 513.) Aus sich selbst heraus soil man sich an-
strengen, wer sich anstrengt, verzagt nicht; aus Alter, Tod
und Krankheit rette man seinen Atman als seinen Freund.
3. (12 514.) Krankheiten, geistige und korperliche, brechen
den Leib, wie scharfgespitzte Pfeile, abgeschossen von sicher
zielenden Bogenschiitzen.
4. (12 515.) Wer von Leiden schaf ten geschiittelt und er-
mattet nicht aufhort, das Leben zu begehren, dessen Leib
wird auch gegen seinen Willen zur Vernichtung hinweg-
gerafft.
5. (12516.) Es fliefsen dahin und kommen nimmer wieder,
den Stromen der Fliisse vergleichbar, das Leben der Men-
schen fortreifsend, die Tage und Nachte.
6. (12 517.) Dieser Wechsel der hellen und der dunklen
Monatshalften macht unaufhorlich die' Menschen, nachdem
sie geboren sind, altern und halt keinen Augenblick inne.
7. (12 518.) Lust und Leid der Menschen macht altern
jener nicht alternde Sonnengott, welcher untergeht und immer
wieder aufgeht.
8. (12519.) Wegraffend die immer neuen,unvorhergesehenen,
freudvoUen und leidvollen Zustande der Menschen, rollen die
Nachte dahin.
736 in. Mokshadharma.
9. (12 520.) Was einer inimer an Wiinschen begehren mag,
das wiirde er erlangen, stande es nicht in einer hohern Hand,
die Frucht seiner Werke iiber den Menschen zu verhansen.
10. (12521.) Aber selbstbezahmte , wackere, verstandige
Menschen bleiben frei von dieser Frucht, weil sie auf alle
Werke verzichtet haben.
11. (12 522.) Andere torichte, kraftlose, gemeine Menschen
sind, auch wenn sie keine Wiinsche aufsern, doch von alien
Begierden erfullt.
12. (12523.) Mancherauch, der immer bereit war, die Wesen
zu schadigen und alle Welt zu betriigen, wird alt in seinen
Liisten.
13. (12 524.) Manchem, der trage dasitzt, naht das Gliick;
ein anderer befleifsigt sich der Werke und erlangt doch
nicht, was ihm nicht beschieden war.
14. (12 525.) Du mufst begreifen, dafs die Siinde dem
Menschen von seiner Entstehung an einwohnt; es kann ge-
schehen, dafs der von der einen aufgeregte Same in eine
andere gelangt.
15. (12526.) 1st er in den Mutterschofs gelangt, so kann
ein Embryo entstehen oder auch nicht, indem seine Entwick-
lung der einer Mangobliite gleicht [welche bald fruchtbringend
ist, bald nicht].
16. (12 527.) Einige verlangen nach einem Sohne, indem
sie ihr Geschlecht fortzupflanzen wiinschen, aber obgleich sie
sich zum Gelingen alle Miihe geben, entsteht doch kein
Embryo.
17. (12 528.) Solchen hingegen, welche vor einem Embryo
zuriickschrecken wie vor einer erziirnten Giftschlange , wird
ein langlebender Sohn geboren. Wie war es moglich, dafs
er entstand, [unerwartet] als ware ein Toter wiedergekommen?
18. (12529.) Und wiederanderenBemitleidenswerten, welche,
nach einem Sohne verlangend, den Gottern opfern und Askese
iiben, werden nach zehnmonatlichem Weilen im Mutterleibe
Sohne geboren, welche ein Schandfleck ihrer Familie sind.
19. (12 530.) Andere werden in Reichtum an Geld und
Korn, in grofse, von den Vatern aufgespeicherte Fiille hinein-
Adhy^ya 333 (B. 331). 737
geboren, nachdem sie schon unter diesen giinstigen Vor-
bedingungen empfangen worden waren.
20. (12531.) Wenn sie in geschlechtlicher Verbindung sich
vereinigt haben, so entsteht ein Embryo im Mutterleibe, un-
erwartet wie ein Unfall.
21. (12 532.) Siehst du, wie bei Hemmung des Lebens als-
bald in andere Leiber [hineinf ahrt] , der von seinem bisherigen
Sitze fbijam) losgerissene, verkorperte, lebende, Fleisch und
Schleim Durchwaltende,
22. (12 533.) wie dieser, wenn er in dem einen Leibe ver-
brannt wird, wieder in einen andern Leib hineinf ahrt, wie
er, wenn der Leib zugrunde geht, mit zugrunde geht, einem
Schiffe gleieh, das an ein anderes gebunden ist,
23. (12534.) und begreifst du, durch welche Bemiihungen
er endlich, durch die Begattung als ungeistiger Samentropfen
in den Mutterleib hineingelegt, als Embryo wieder zu neuem
Leben erwacht?
24. (12535.) Wo doch Speise und Trank, wo doch die ge-
nossene Nahrung verdaut wird, wie kommt es, dafs in eben-
demselben Leibe der Embryo nicht ebensogut wie die Nahrung
verdaut wird?
25. (12536.) Fiir Kot und Harn wird der Weg im Leibe
durch die eigene Natur geregelt; ob man sie behalt oder
entleert, dazu wird keiner gezwungen.
26. (12 537.) Hingegen von den Embryos entgleiten die
einen dem Mutterleibe und werden geboren, wahrend bei an-
deren, wenn die Zeit der Geburt herannaht, Vernichtung eintritt.
27. (12538.) Vermoge dieser Verbindung mit einem Mutter-
schofse wird derjenige, welcher den Samen in ihn einlafst
fparimucyatej und irgendeine Nachkommenschaft erzielt, aufs
neue an die Gegensatze des Lebens gekettet.
28. (12 539.) Nur die fiinf Elemente sind es, welche in dem
erzeugten (lies: sutasya) und angeborenen [Korper] bis zum
siebenten oder gar neunten Lebensstadium durchhalten, dann
aber beim Ende des Lebens nicht mehr verharren.
29. (12 540.) Es gibt keine Mittel, die Menschen aufrecht
zu erhalten, daran ist kein Zweifel; von Krankheiten werden
sie getroffen, wie das Kleinwild vom Jager.
Deussen, Mahftbhiratam. 47
738 ni. Mokshadharma.
30. (12 541.) Und werden sie von Krankheiten getroffen, so
mogen sie noch soviel Geld ausgeben, die Arzte, so sehr sie
sich anstrengen, sind nicht imstande, ihr Leiden zu beseitigen.
31. (12 542.) Und auch sie selbst, die iiberklugen, geschick-
ten Arzte mit den Arzneien, die sie zusammenbringen, werden
von Krankheiten heimgesucht, wie das Wild vom Jager.
32. (12 543.) Und obgleich sie Elixiere und allerlei Butter-
tranke schlilrfen, werden sie doch vom Greisenalter gebrochen,
wie Baume von gewaltigen Elefanten.
33. (12 544.) Wer behandelt arztlich auf dieser Welt das
Wild und die Vogel, die Raubtiere und die armen Land-
streicher? Da heifst es gewohnlich, sie sind nicht krank.
34. (12 545.) Werden doch sogar furchtbare, uniiberwind-
liche, gewaltige Konige von Krankheiten beschlichen und
fortgerafft, wie ein Stiick Vieh von einer Raubtierherde.
35. (12 546.) So geschieht es, dafs die Menschen, ohne
Bundesgenossen und von Torheit und Leiden liberflutet, fort-
gerissen werden wie von einem iibermachtigen Strome, in
den sie jahlings gestiirzt wurden.
36. (12547.) Nicht durch Reichtum, nicht durch Herrschaft,
nicht durch furchtbare Askese konnen die Menschen ihrer
Natur entfliehen, an die sie gebunden sind.
37. (12548.) Sie wurden nicht sterben noch altern, sie
wurden alle nach allem begehren, wurden nichts Unerwiinsch-
tes erleben, wenn ihre Anstrengungen erfolgreich waren.
38. (12549.) Ein jeder ist bestrebt, hoher und hoher iiber
seine Mitmenschen zu steigen, und gibt sich dazu alle Miihe,
aber es gelingt ihm nicht.
39. (12 550.) Menschen, welche von Herrschaftsdiinkel be-
rauscht, ja welche von Rauschtranken trunken sind, werden
von besonnenen, treuherzigen [agatJidh mit C), tapferen und
wackeren Leuten verehrt.
40. (12 551.) Bei einigen wendet sich ihre Notlage, ehe sie
von ihnen recht erkannt wurde, bei anderen hingegen ist
nichts zu finden, was ihnen eigen ware.
41. (12 552.) Eine grofse Verschiedenheit der Frucht zeigt
sich infolge ihrer Abhangigkeit von friiheren Werken: die
einen tragen die Sanfte und die anderen sitzen darin.
Adhyaya 333 (B. 331). 739
42. (12 55a.) Alle streben nach Wohlstand, aber nur wenige
bringen es zu Wagen und Dienerschaft ; manche Menschen
entbehren des Weibes, wo doch alle moglichen Weiber hundert-
fach vorhanden sind.
43. (12 554.) Unter den Wesen, die sich in den Gegen-
satzen des Lebens ergehen, miissen die Menschen dahin-
scheiden, jeder einzelne fur sich; siehe diese Welt als die
Fremde an, dann wirst du nicht der Verblendung hienieden
verfallen.
44. (12555.) Wirf ab Gutes und Boses, beides, Wahrheit
und Un wahrheit, und wenn du beides, Wahrheit und Un-
wahrheit, abgeworfen hast, wirf auch den ab, durch den du
sie abgeworfen hast (= Vers i246i).
45. (12 556.) Damit habe ich dir, o Bester der Rishi's, das
hochste Geheimnis mitgeteilt, durch welches die Gotter sich
liber die Menschenwelt erhoben haben und zum Himmel ein-
gegangen sind.
46. (12557.) Nachdem der hochst verstandige Quka diese
Rede des Narada vernommen hatte, iiberdachte sie der Weise
in seinem Geiste und gelangte doch noch nicht zur Gewifsheit.
47. (12558.) Mit Kindern und Weibern hat man grofse
Plage und beim Studium der Wissenschaft grofse Miihe;
welches ist die ewige Statte, wo wenig Plage und grofses
Gliick zu finden ist?
48. (12 559.) Nachdem er sodann eine Weile iiber das ge-
wisse Ziel des Atman nachgedacht und als Kenner des Hochsten
und Tiefsten den hochsten Heilsweg der Pflicht erwogen hatte,
49. (12 560.) [fragte er sich:] Wie kann ich ohne Zusammen-
hang mit dem Irdischen den hochsten Weg wandeln, von
welchem ich nicht wieder zuriickzukehren brauche in den
Ozean der mannigfachen Geburten?
50. (12 561.) Ich sehne mich nach der hochsten Realitat,
nach dem Ziele, von welchem man nicht wieder zuriickkehrt,
nachdem ich alien Welthang aufgegeben und im Geiste Ge-
wifsheit erlangt habe.
51. (12562.) Ich will dorthin gehen, wo meine Seele die
Ruhe findet, dorthin, wo ich unzerstorbar, unverganglich,
ewig sein werde.
47*
740 HI. Mokshadliarma.
52. (12 563.) Aber nicht ohne vollige Hingebung ist es mog-
lich, jenes hochste Ziel zu erreichen, denn es geht nicht an,
dafs der Erweckte noch an Werke gebunden bleibe.
53. (12564.) Darum will ich, der Hingebung mich zu-
wendend, diesen mir als Haus dienenden Korper verlassen
und, zum Winde geworden, eingehen in die Glanzfiille der
Sonne.
54. (12 565.) Denn sie kommt nicht zum Vergehen , wie es
dem Soma [Trank, auch Mond; vgl. System des Vedanta,
S. 393 A.] durch die Gotterscharen geschieht; erschiittert stiirzt
er [der Mond, ahnlich den auf ihm weilenden Seelen] zur
Erde herab und steigt wiederum empor.
55. (12 566.) Denn immerfort schwindet der Soma (Mond)
und wird wiederum gefiillt; da ich dieses weifs, so verlange
ich nicht nach diesem immer wiederholten Schwinden und
Schwellen.
56. (12567.) Aber die Sonne erwarmt mit ihren gewaltigen
Strahlen die Welten, dabei zieht sie von alien Seiten Kraft
in sich hinein und beharrt immerwahrend in voller Scheibe.
57. (12568.) Darum ziehe ich es vor, zu der glutentflammten
Sonne zu gehen, in ihr werde ich als ein schwer Bezwing-
barer mit zweifelsfreier innerer Seele wohnen.
58. (12569.) Und in der Sonnenstatte werde ich nach Ab-
werfung dieses Leibes mit Rishi's im Verein die schwer zu
ertragende Sonnenglut durchwandeln.
59. (12 570.) Ich nehme jetzt Abschied von Baumen und
Elefanten, von dem weiten Gebirge, den Weltgegenden und
dem Himmelszelt, von Gottern, Damonen und Gandharven,
von Pi(?aca's, Schlangen und Kobolden.
60. (12571.) Denn jetzt werde ich sicherlich eingehen in
alle Wesen der Welt, und alio Gotter mitsamt den grofsen
Rishi's sollen die Kraft meines Yoga schauen.
61. (12 572.) Darauf verabschiedete er sich von dem welt-
beriihmten Weisen Narada, und von ihm entlassen, ging er
zu seinem Vater.
62. (12573.) Da begriifste Quka den hochsinnigen Muni
Krishna Dvaipayana, umwandelte ihn nach rechts hin und
nahm von dem weisen Krishna Abschied.
Adhy£iya 333 (B. 331). 741
63. (12,'>74.) Nachdem der Eishi das Wort des (^'uka
vernommen hatte, erwiderte ihm voll Freude der hoch-
sinnige Vater: Ach, du mein Sohn, bleibe noch eine
Weile, dafs ich mein Auge an dir weiden kann.
64. (12575.) ^uka aber, frei von Riicksichtnahme, Anhang-
lichkeit und Zweifel, dachte nur an die Erlosung und richtete
seine Absicht darauf, zu gehen.
65. (12 576.) Und so verliefs der Beste der Muni's seinen
Vater und begab sich auf den machtigen, von seligen Scharen
bewohnten Bergriicken des Kailasa.
So lautet im Mokshadharma der Aufstieg des Quka
((^uka - abhigamanarn ).
Aclhyaya 334 (B. 332).
Vers 12577-12607 (B. 1-31).
Bliislima sprach:
1. (12 577.) Nachdem der Sohn des Vyasa den Berggipfel
erstiegen hatte, o Bharata, setzte er sich an einem ebenen,
abgesonderten , von Graswuchs freien Orte nieder.
2. (12 578.) Darauf brachte er sich in die richtige Stellung,
wie Lehrbuch und Gesetz sie vorschreibt, alle GHeder von
den Fiifsen an der Reihe nach, er, der der rechten Reihen-
folge Kundige.
3. (12579.) Darauf setzte sich der Weise, nachdem die
Sonne schon vor einiger Zeit aufgegangen war, mit dem Ge-
sichte nach Osten nieder, indem er Fiifse und Hande an sich
zog, wie einer, der sich in der Zucht halt.
4. (12580.) Da gab es keine Vogelschwarme, kein Gerausch
und keine Fernsicht, wo der weise Sohn des Vyasa sich zum
Yoga anschickte.
5. (12 581.) Nun sah er sich selbst von alien Verbindungen
gelost, und es lachte ein Lachen darauf Quka, indem er sich
jenem Hochsten zuwendete.
6. (12582.) Und indem er wiederum dem Yoga sich hin-
gab, um den Weg der Erlosung zu finden, erhob er sich als
grofser Yogameister iiber den Luftraum hinaus.
742 ni. Mokshadharma.
7. (12 583.) Darauf umkreiste er nach rechts hin den Gotter-
weisen Narada und machte dem hochsten Eishi seine Yoga-
kraft kund.
Quka sprach:
8. (12 584.) Ich habe den Weg gefunden, ich habe ihn be-
treten! Heil sei dir, o Askesereicher ! Durch deine Gnade,
o Glanzvoller, werde ich den ersehnten Gang gehen.
9. (12 585.) Nachdem Quka, der Sohn des Dvaipayana, so-
dann von Narada entlassen worden war, griifste er ihn,
wandte sich wieder dem Yoga zu und erhob sich in den Ather,
10. (12 586.) und emporgeflogen vom Gipfel des Kailasa,
strebte er weiter zum Himmel hinauf, die Luft durch wandelnd,
herrhch, als Wind, mit grofser Sicherheit.
11. (12587.) Als der Beste der Zwiegeborenen emporstieg,
dem Vogel Garuda an Glanz vergleichbar, da sahen ihn alle
Wesen dahinfahren, geschwind wie der Gedanke oder der Wind.
12. (12 588.) Mit Klarheit alle drei Welten durchdenkend,
trat er die weite Reise an, dem Feuer und der Sonne an
Glanz vergleichbar.
13. (12 589.) Wie er dahinzog, einheitlichen Sinnes, ge-
sammelt und ohne Furcht, schauten ihn alle Wesen, die be-
weglichen und die unbeweglichen.
14. (12590.) Nach Vermogen und Branch verehrten sie ihn,
wahrend die Himmelsbewohner ihn mit himmlischem Blumen-
regen iiberschiitteten.
15. (12 591.) Ihn sehend waren in Verwunderung alle Scharen
der Gandharven und Apsaras, und die zur Vollendung ein-
gegangenen Rishi's gerieten in hochstes Erstaunen:
16. (12 592.) Wer ist der durch die Luft Fliegende, so hiefs
es, der durch Askese die Vollendung erreicht hat? Sein
Korper ist nach unten, sein Angesicht nach oben gerichtet,
und seine Augen funkeln.
17. (12593.) Da blickte der hochst Pflichttreue, in den drei
Welten Beriihmte zur Sonne empor und zog dahin, nach
Osten gewandt und schweigend.
18. (12594.) Den ganzen Himmelsraum aber erfullten iiberall
mit Jubelgeschrei die Scharen der Apsaras, als sie ihn plotz-
lich heranfliegen sahen.
Adhyaya 334 (B. 332). 743
19. (12 595.) Erschiitterten Geistes und auf das hochste er-
staunt, o Konig, waren sie alle von Pancacuda (der Fiinf-
zopfigen) an, die Augen weit aufreifsend.
20. (12 596.) Was ist das fiir ein gottliches Wesen, das
den hochsten Weg eingeschlagen hat, riefen sie, es wan-
delt hin mit grofser Sicherheit und ohne Begierde, als ware
es erlost.
21. (12 597.) Darauf gelangte er zu dem Berge, der da
heifst Malaya, der von Urvagi und Purvacitti immer be-
sucht wird.
22. (12 598.) Die gerieten iiber diesen Sohn des Brahmanen-
weisen in grofstes Erstaunen und sprachen : Welch eine Kon-
zentration des Geistes bei diesem am Vedastudium sich er-
freuenden Zwiegeborenen !
23. (12 599.) Wie der Mond steigt er in kurzer Zeit am
Himmel empor, und diese unvergleichliche Weisheit hat er
durch Gehorsam gegen seinen Vater erlangt.
24. (12 600.) Wie ist es moglich, dafs dieser dem Vater
ergebene, askesefeste, vom Vater innig geliebte Sohn von
seinem Vater, der nichts anderes kannte als ihn, entlassen
wurde !
25. (12 601.) Als der hochst pflichtkundige (^uka dieses
Wort der Urva<ji vernommen hatte, blickte er nach alien
Seiten hin, aufser sich geraten iiber dieses Wort.
26. (12 602.) Er liefs seinen Blick durch den Luftraum und
iiber die Erde mit ihren Gebirgen, Waldern und Dickichten
schweifen, iiber Seen und Fliisse.
27. (12 603.) Da blickten alle Gottheiten zu dem Sohne des
Dvaipayana empor, indem sie von iiberallher aus hochster
Verehrung die hohlen Hande zusammenlegten.
28. (12 604.) Und der hochst pflichtkundige Quka sprach zu
ihnen das Wort: „Sollte mein Vater mir nachkommen und
rufen: (^uka, wo bist du!
29. (12605.) dann sollt ihr alle miteinander ihm Ant-
wort geben, diese Bitte sollt ihr mir alle aus Liebe zu mir
erfiillen."
30. (12606.) Als sie das Wort des Quka vernommen batten,
744 III. Mokshadharma.
da geschah es, dafs alle Himmelsgegenden nebst Wal-
dern, Ozeanen, Fliissen und Bergen von alien Seiten ihm er-
widerten :
31. (12 607.) Wie du befiehlst, o Brahmane, wohlan, so soil
es sein; wenn der Kislii ruft, werden wir ihm antworten.
So lautct im Mokshadharma der Flug des Quka
(Quka - aO/iipatanam).
Adhyaya 335 (B. 333).
Vers 12608-12649 (B. 1-42).
Bhishma sprach:
1. (12 608.) Nachdem Quka, der askesereiche, grofse Weise,
dieses Wort gesprochen hatte, ging er in die Vollendung ein,
indem er die vierfachen Fehler hinter sich liefs [nach Nil. die
Saiikhyakarika 23.44^-45 erwahnten: Nicht-Pflichterfiillung,
Nichtwissen, Nichtentsagung und Nicht-Gottherrlichkeit].
2. (12 609.) Und nachdem er auch das achtfache Tamas
[Saiikhyakarika 48] und das [entsprechend den fiinf Elementen,
Nil.] fiinffache Rajas aufgegeben hatte, gab der Weise auch
das Sattvam auf; es war wie ein Wunder.
3. (12 610.) Darauf fafste er an jener ewigen, gunalosen,
merkmalfreien Statte in dem Brahman festen Fufs, lodernd
wie eine rauchlose Flamme.
4. (12 611.) Feuerregen, Brennen der Himmelsgegenden und
Erdbeben zeigten sich in diesem Augenblick; es war wie ein
Wunder.
5. (12 612.) Die Baume liefsen ihre Zweige, die Berge ihre
Gipfel fallen, und durch das Rasen der Windsbraut wurde
das Himalayagebirge gleichsam zerrissen.
6. (12 613.) Nicht leuchtete die Sonne, nicht flammte das
Feuer, es wogten Teiche, Fliisse und Meere.
7. (12 614.) Indra liefs wohlschmeckendes, wohlriechendes
Wasser herabregnen, und. es wehte ein himmlische Diifte
fuhrender, reiner Wind.
8. (12 615.) Die beiden mit Hornern geschmiickten , hoch-
sten, himmlischen Bildungen des Himalaya und des Meru,
Adhyaya 335 (B. 333). 745
die ineinander iibergehenden, weifsen und gelben, von Silber
und Gold glanzenden, schonen,
9. (12 616.) welche sich hundert Meilen in der Breite und
Hohe ausdehnen, o Bharata, wurden in ihrem Glanze von ihm
geschaut, als er der nordlichen Gegend zueilte.
10. (12 617.) Ohne Bedenken flog (^uka gegen sie an, worauf
die beiden Berggipfel plotzlich als gespalten
11. (12618.) sich zeigten, o grofser Konig ; es war wie ein
Wunder. Alsbald flog er zwischen den beiden Berggipfeln
hindurch,
12. (12 619.) und der hochste Berg hemmte ihn nicht in
seinem Fluge. Da erhob sich im Himmel ein grofser Larm
unter alien Himmelsbewohnern
13. (12 620.) und unter Gandharven und Rishi's und alien,
die auf dem Berge wohnen, als sie sahen, wie der Berg sich
spaltete und Quka hindurchflog.
14. (12621.) Bravo, bravo! erschoU es da von alien Seiten,
o Bharata, und er wurde verehrt von den Gottern, Gandharven
und Rishi's,
15. (12 622.) von den Scharen der Yaksha's, Rakshasa's
und Vidyadhara's und von iiberallher wurde der Luftraum
mit himmlischen Blumen erfiillt,
16. (12623.) o grofser Konig, wahrend Quka ihn durchflog.
Dann zog er hoch dahin iiber der Mandakini, dem lieblichen
Himmelsstrome,
17. (12 624.) und der Pflichttreue blickte auf sie herab mit
ihren bliihenden Baumen und Waldern. In ihr platscherten
lustige Scharen von Apsaras,
18. (12 625.) welche nackend und unkorperlich auf den
korperlosen Quka hinblickten. Aber auch der Vater, den
Sohn fortziehen sehend, hatte, von Sehnsucht erfiillt,
19. (12626.) den nordlichen Weg eingeschlagen und war
dem Sohne von hinten gefolgt. Aber ^uka hatte den ober-
halb des Windes durch den Atlier fiihrenden Weg einge-
schlagen,
20. (12627.) und seine Hoheit zeigend, war er zu Brahman
geworden. Aber der askesemachtige Vyasa hatte sich er-
hoben und einen andern grofsen Yogaweg eingeschlagen,
746 III. Mokshadharma.
21. (12 628.) war in einem Augenblicke zu der Abfliege-
stelle des Quka gelangt und hatte gesehen, wie ^uka den
Berggipfel spaltete und hindurchflog.
22. (12G29.) Und noch priesen die Eishi's jene Grofstat
des Sohnes, da wurde ihm mit langgezogenem Tone: Quka,
wo bist du! nachgerufen
23. (12 630.) vom Vater selbst, der mit dem lauten Rufe
die drei Welten widerhallen machte. Aber Quka, allgegen-
wartig geworden, allbeseelend, allblickend,
24. (12 631.) antwortete, indem er, der Pflichttreue, weithin
den Ruf hhoh [hier, o Herr] erschallen liefs. Als er nun so
den einsilbigen Laut hlioh ausstiefs,
25. (12 632.) liefs die ganze Welt des Unbeweglichen und
Beweglichen ihn laut widerhallen. Von da an bis auf den
heutigen Tag pflegt es zu geschehen, dafs auf Worte, wenn
sie einzeln ausgerufen werden
26. (12 633.) vor Berghohlen oder Bergflachen, diese ant-
worten wie damals (^uka. Nachdem in dieser Weise Quka
damals, [in alien Wesen] verborgen, seine Macht gezeigt hatte,
27. (12634.) liefs er die Tone und die iibrigen Qualitaten
fahren und ging ein zu der hochsten Statte. Als Vyasa
die Herrlichkeit seines unermefslich kraftigen Sohnes ge-
sehen hatte,
28. (12635.) setzte er sich auf einem Bergvorsprung nieder
und gedachte seines Sohnes. Als aber die am Gestade der
Mandakini spielenden Scharen der Apsaras
29. (12 636.) dieses Weisen ansichtig wurden, gerieten sie
alle in sinnlose Bestiirzung. Einige duckten sich im Wasser,
andere fliichteten hinter die Biische,
30. (12 637.) noch andere griffon zu ihren Kleidern beim
Anblicke jenes trefflichsten Muni's. Als der Muni hieran
erkannte, dafs sein Sohn erlost sei,
31. (12 638.) er selbst aber noch gebunden, da war er er-
freut und zugleich beschamt.
32. Da trat zu ihm der von Gottern und Gandharven
umgebene, von Scharen grofser Rishi's verehrte, (12 639.) den
Pinaka in der Hand tragende heilige (^^ahkara (^iva),
Adhyaya 335 (B. 333). 747
33. und Mahadeva sprach in besanftigendem Tone dieses
Wort zu dem (12 64o.) durch Kummer iiber den Sohn gequalten
Krishna Dvaipayana:
34. Ein dem Feuer, der Erde, dem Wasser, Wind und
Ather (i2 64i.) an Kraft ahnlicher Sohn ist durch dich einet-
mals [oben, Vers 12171] von mir erbeten worden.
35. Ein Sohn von dieser Beschaffenheit ist dir geboren
worden; er ist durch deine Askese (12642.) und durch meine
Gnade gemacht worden zu einem Reinen, aus Brahmankraft
Bestehenden.
36. Dieser ist den hochsten Weg gegangen, der fiir Un-
bezahmte schwer zu betreten ist (12643.) und sogar fiir Gotter;
o Brahmanenweiser, wie kommst du dazu, den zu beklagen?
37. Solange die Berge stehen, solange die Meere brausen,
(12 644.) solange wird dein Ruhm und der deines Sohnes un-
vergangUch sein.
38. Auch sollst du ein deinem Sohne ahnhches, nie von
dir weichendes Abbild (12 645.) in dieser Welt durch meine
Gnade immerfort schauen, o grofser Muni.
39. Da kehrte, von dem heiligen Rudra (Qiva) selbst
beschwichtigt, o Bharata, (12 646.) der Muni nach Hause zu-
riick, indem er mit grofster Freude das Abbild schaute.
40. Damit habe ich dir, o Bharatastier, die Geburt und
den Lebensgang des Quka, (12 647.) nach welchem du mich
gefragt hattest, ausfiihrlich berichtet.
41. Das alles hat mir, o Konig, vordem der Gotterweise
Narada (12 648.) und der grofse Yogin Vyasa in Gesprachen
nach und nach mitgeteilt.
42. Wer diese heilige, mit den Erlosungslehren zusammen-
hangende Erzahlung (12649.) behalt und dabei immer nach Be-
ruhigung strebt, der wird den hochsten Gang gehen.
So lautet im Mokshadharma der Schlufs des ^'ukafluges
({'uka • utpatana - samdpti).
748 III- Mokshadharma.
Adliyaya 336 (B. 334).
Vers 12650-12695 (B. 1-45).
Yudhishthira sprach:
1. (12 650.) Wer als Hausvater oder Brahmanschiiler, als
Waldeinsiedler oder Bettelpilger die Vollendung zu erreichen
wunscht, welche Gottheit mufs der verehren?
2. (12 651.) Wodurch sichert er sich den Himmel? Wo-
durch die hochste Seligkeit? Nach welcher Vorschrift soil
er das den Gottern und Vatern gebiihrende Opfer darbringen?
3. (12 652.) Welchen Weg geht der Erloste und worin be-
steht die Erlosung? Und was kann einer, der zum Himmel
gelangt ist, dazu tun, dafs er nicht wieder herabfallt?
4. (12 653.) Wer ist der Gott der Gotter und wer der Vater
der Vater? Und was noch hoher als dieser ist, das sage mir,
o Grofsvater.
Bhishma sprach :
5. (12 654.) Nach einer verborgenen Sache fragst du, o du
Fragekundiger, Untadliger, und durch bloises Nachdenken, und
wahrete es hundert Jahre, kann man diese Frage nicht losen,
6. (12655.) wenn nicht der Gott Gnade verleiht, o Konig;
oder auch durch die heilige Uberlieferung der Wissenschaft
kann diese geheimnisvolle Lehre dir dargelegt werden, o
Feindetoter.
7. (12 656.) Nun erzahlt man sich auch hieriiber folgende
alte Geschichte, namlich die Unterredung des Weisen Narada
mit dem Gotte Narayana.
8. (12 657.) Denn der allbeseelende, ewige Narayana wurde
geboren als Sohn des Dharma viergestaltig — so hat es mir
mein Vater berichtet —
9. (12 658.) ehedem im Weltalter Kritam wahrend einer
Weltperiode des [Manu] Svayambhuva als Nara, Narayana,
Hari und Krishna Svayambhuva.
10. (12 659.) Von diesen iibten die beiden unsterblichen
Narayana und Nara Askese, nachdem sie auf einem goldenen
Wagen sich zu der Einsiedelei Badari begeben hatten,
Adhyftya 336 (B. 334). 749
11. (12 6G0.) einem achtradrigen, mit Geistern bespannten,
herzerfreuenden. Dort weilten die beiden uranfanglichen
Herren der Welt, abgemagert und zu einem Adernetze zu-
sammengeschrumpft,
12. (12 6G1.) vermoge ihrer gliihenden Askese selbst von
den Gottern schwer anzuschauen, und nur der durfte die
beiden Gotter anblicken, dem sie diese Gnade erwiesen.
13. (12662.) Nun geschah es, dafs mit ihrer Erlaubnis, im
Herzen von Liebe getrieben, von dem Gipfel des grofsen
Merugebirges herabsteigend in die Gegend Gandhamadana
(die Duftberauschende},
14. (12 663.) die sehr weit ausgedehnte, Narada alle Welten
durchstreifte und in schnellem Gange in diese Gegend zur
Einsiedelei Badari gelangte, o Konig,
15. (12 664.) wahrend jene beiden ihre taglichen Ubungen
abhielten. Da regte sich in ihm die Neugierde: „Das ist
also die ganze Statte, auf der die Welten gegriindet sind,
16. (12665.) mit alien Gottern, Damonen und Gandharven,
mit Kinnara's und den grofsen Schlangen. Was urspriing-
lich eine Gestalt war, die ist zu vieren geworden,
17. (12 666.) indem sich die Familie des Dharma ausbreitete.
Wegen seiner Gerechtigkeit fdharmdtj durch diese begliickt,
o wie ist er doch gesegnet, dieser Dharma durch diese
Gotter hier,
18. (12 667.) durch Nara und Narayana nebst Krishna und
Hari! Was nun Krishna und Hari betrifft, so sind sie wohl
gerade mit einer andern Sache beschaftigt.
19. (12668.) Aber die beiden anderen Dharmasprofslinge
(oder : Pflichtstarken) sind hicr in der Askese begriffen ; sind
sie doch beide die hochste Statte, wie konnen sie da mit
taglichen Ubungen sich befassen?
20. (12 669.) Sie, die herrlichen Vater aller Wesen und die
Gottheit selbst, welche Gottheit mogen sie verehren oder
welche Vater, die Hochsinnigen?"
21. (12 670.) So iiberlegte er in seinem Geiste, und von
Liebe zu Narayana getrieben, liefs er sich plotzlich vor den
beiden Gottern sehen.
750 III. Mokshadharma.
22. (12 671.) Nachdem die beiden der Pflicht gegen Gotter
und Manen geniigt hatten, blickten sie zu ihm auf und zollten
ihm die Verehrung, wie sie der Kanon als Sitte vorschreibt.
23. (12 672.) Als er diesen der Vorschrift gemafs sich ent-
faltenden, noch nicht dagewesenen, hochst wunderbaren Vor-
gang sah, nahm der heilige Weise Narada hocherfreut neben
ihnen Platz.
24. (12 673.) Und zu Narayana mit beruhigtem Gemiite auf-
blickend, bezeigte er dem grofsen Gott seine Verehrung und
sprach zu ihm das folgende Wort.
Narada sprach:
25. (12 674.) In den Veden und Purana's mit ihren An-
hangen und Nebenanhangen wirst du besungen als der un-
geborene, ewige Schopfer, als Weltmutter, als das hochste
Unsterbliche.
26. (12 675.) In dir ist die ganze Welt der Lebenden mit
Vergangenem und Zukiinftigem gegriindet, und alle vier
Lebensstadien , o Gott, wie sie im Hausvaterstande wurzeln,
27. (1267G.) verehren dich Tag fiir Tag in deinen mannig-
fachen Gestalten. Du bist Vater und Mutter des Alls, bist
der ewige Lehrer der Welt; (12 677.) wer kann denn der Gott
Oder Ahne sein, den du hier verehrst? Das verstehe ich nicht.
Der Heilige sprach :
28. (12 678.) Das, was ich dir sagen soil, ist nicht erlaubt
zu sagen, ist das ewige Geheimnis des Atman, aber dir,
o Brahmane, um der Liebe willen, die du fiir mich hegst,
will ich es der Wahrheit gemafs verkiindigen,
29. (12 679.) jenes Verborgene, Unerkennbare, Unoffenbare,
Unwandelbare, Ewige, welches fiber Sinne und Sinnendinge
und alle Wesen erhaben ist.
30. (12680.) Denn dieses ist es, welches die innere Seele
(antardtmanj der Wesen und der Kshdrajna genannt wird;
als erhaben iiber die drei Guna's und als Furnsha wird es
bezeichnet.
31. (12 681.) Aus diesem, o Bester der Zwiegeborenen , ist
das Unentfaltete, Dreigunahafte entsprungen, welches als jene
Adhyaya 336 (B. 334). 751
unvergangliche, unentfaltete Frakriii in die Zustande des
Entfalteten eingegangen ist.
32.(12 682.) Sie wisse als unsern Mutterschofs. Aberjener,
welcher als seinem Wesen nach seiend und nicht seiend von
uns verehrt wird, der ist es, welchem unser Gotter- und
Manendienst gilt.
33. (12 683.) Es gibt ja keinen andern Gott oder Ahnen,
der grofser ware als er, denn er ist unser Atman, das soil
man wissen, darum verehren wir ihn.
34. (12 684.) Von ihm, o Brahmane, ist jene Ordnung zum
Heile der Welt verkiindigt worden, und sein Befehl fordert,
dafs den Gottern und Manen gedient werde.
35. (12685.) Brahman, Sthanu, Manu, Daksha, Bhrigu,
Dharma und Yama, Marici, Angiras und Atri, Pulastya, Pu-
laha, Kratu,
36. (12 686.) Vasishtha und Parameshthin , Vivasvant und
Soma, der Kardama Genannte, sowie Krodha, Arvak und Krita*,
37. (12 687.) diese einundzwanzig sind zu Schopferherren
geworden, indem sie die ewige Weltordnung dieses Gottes
ehrten.
38. (12 688.) Und weil sie bestandig die von ihm verordnete
Pflicht gegen Gotter und Manen der Wahrheit gemaXs er-
kannten, erlangten die Besten der Zwiegeborenen alles, was
durch den Atman erlangt werden kann.
39. (12 689.) Auch alle im Himmel wohnenden Seelen ver-
ehren ebendiese [Gotter und Manen] und gehen durch seine
Gnade den Weg, der zu der von ihm verheifsenen Frucht fiihrt.
40. (12 690.) Diejenigen, welche von den siebzehn Quali-
taten [der elf Indriya's und fiinf Prana's nebst Manas und
Buddhi, Nil.] und ihren Werken befreit sind [und von denen]
die fiinfzehn Teile [Brih. Up. 1,5,14—15] verlassen wurden, die
sind erlost, das ist gewifs.
41. (12691.) Aber als das Ziel der Erlosten wird der Kshe-
trajna bezeichnet, denn er ist allgunahaft und zugleich guna-
los, so wird's gelehrt.
* Die beiden letzten Naraen nach der Lesart im Vacaspatyam uud
Qabdakalpadruma s. v. prajapati.
752 in. Mokshadharma.
42. (12692.) Geschaut wird er durch Hingebung an die
Erkenntnis, und auch wir beide sind aus ihm hervorgegarigen ;
jenen Atman haben wir als solchen erkannt und verehren
ihn, den Ewigen.
43. (12 693.) Er wird von den Veden und von den ver-
schiedene Satzungen befolgenden Lebensstadien geliebt und
verehrt, und alsbald verleiht er ihnen dafiir die Erreichung
des Zieles.
44. (12 694.) Die aber, welche von ihm in der Welt be-
gnadet wurden und zur volligen Hingebung an ihn gelangt
sind, erlangen als iibermafsigen Lohn dieses, dafs sie in
ihn eingehen.
45. (12 695.) Damit ist die geheimnisvolle Unterweisung
dir, 0 Narada, aus Liebe und Verehrung fiir dich, o Brah-
manenweiser, mitgeteilt und von dir mit Liebe entgegen-
genommen worden.
So lautet im Moksbadharma die Geschichte vom X^r&yana
(Ndrdyaniyam) .
AdhyAya 337 (B. 335).
Vers 12696-12751 (B. 1-55).
Bhishma sprach:
1. (12 696.) Nachdem der Beste der Zweifiifsler diese
Rede Narayana's, des hochsten Purusha, vernommen hatte,
sprach er zu dem Besten der Zweifiifsler, Narayana,
dem Horte des Heiles der Welt.
Narada sprach:
2. (12 697.) Der Zweck, um dessentwillen du, der du
aus dem Atman hervorgegangen hist, deine Geburt im
Hause des Dharma als eine vierfache gewirkt hast, dieser
Zweck moge zum Besten der Welt verwirklicht werden.
Noch heute gehe ich hin, um deinen ersten Ursprung
zu schauen.
3. (12698.) Ich beweise allezeit den Lehrern meine Ehr-
furcht, ich habe noch nie das Geheimnis eines andern
Adhyaya 337 (B. 335). 753
verraten, icli habe die Veden studiert, o unbefleckter
Weltenherr, Askese geiibt und niemals die Unwahrheit
gesprochen.
4. (12 699.) Ich habe, wie es die heilige Uberlieferung
vorschreibt, die vier [Tore des Leibes, oben, S. 455fg.]
bewacht, ich bin allezeit gleichmafsig in meinem Ver-
halten gegen Feind und Freund und ich war allezeit
jenem Urgotte ergeben und habe mit ausschliefslicher
Liebe das Unversiegbare erwahlt.
5. (12 700.) Und da durch diese Vorziige mein Charakter
gelautert ist, warum sollte es mir nicht beschieden sein,
den unendlichen Gottherrn zu schauen ! Nachdem Na-
rayana, der ewige Hiiter der Gerechtigkeit, dieses Wort
des von Parameshthin (Brahman) Entsprossenen ver-
nommen hatte,
6. (12 701.) sprach er zu Narada, nachdem er ihn mit
den von ihm selbst vorgeschriebenen Brauchen geehrt
hatte: „So gehe!" Und der Sohn des Parameshthin, von
ihm entlassen, zoUte dem uranfanglichen Weisen seine
Verehrung,
7. (12 702.) erhob sich vermoge seiner hochsten Yoga-
kraft in die Liifte und liefs sich nieder in einem Nu auf
dem Gipfel des Meru. Dort verweilte der Muni eine
Weile, auf einem Vorsprung des Berggipfels Platz nehmend.
8. (12 703.) Indem er nun seine Blicke nach Nordwesten
richtete, genofs er eine wunderbare Aussicht von be-
riihmter Schonheit ; namlich im Norden des Milchmeeres
liegt eine grofse Insel, welche unter dem Namen Qveta-
dvipa (die weifse Insel) beriihmt ist.
9. (12 704.) Diese Insel liegt nach Beschreibung der
Weisen zweiunddreilsigtausend Meilen jenseits des Meru.
Da leben, frei von Sinnesorganen , ohne Nahrung, ohne
Augenblinzeln, lieblichen Wohlgeruch ausstromend,
10. (12 705.) weifse Manner, von alien Siinden fern,
bosen Menschen [durch ihren Anblick] das Augenlicht
raubend, diamanthart an Knochen und Korper, gleich-
gultig gegen Ehrung und Verachtung, von himmlischer
Gestaltung und glanzend in kerniger Kraft.
Deusben, Maha,bh4ratam. ^g
754 ni. Mokshadharma.
11. (12 706.) Ihre Haupter sind wie Sonnenschirme ge-
bildet, ihre Rede gleicht dem rauschenden Regenstrome,
alls sind sie mit vier Hoden ausgestattet und mit Fiifsen
wie Lotosblatter, mit sechzig weifsen Zahnen und acht
Eckzahnen, mit ihren Zungen den Sonnenstrahlen gleich
nach alien Seiten ziingelnd,
12. (12 707.) mit Liebe den Gott verehrend, dessen
Schopfung das All ist, aus welchem alle Welten ent-
sprungen sind, dessen Ausbreitungen die Veden und ihre
Gesetze, alle beruhigten Weisen und Gotter sind.
Yudhishthira sprach :
13. (12 708.) Wie sind diese Manner, frei von Sinnesorganen,
ohne Nahrung, ohne Augenblinzeln und von lieblichem Wohl-
geruch, entstanden, und welches ist ihr letztes Ziel?
14. (12 709.) Und ist es so, dafs diejenigen Menschen,
0 Bester der Bharata's, welche hienieden erlost werden, wohl
ebenjene Merkmale an sich tragen werden wie die Bewohner
von Qvetadvipa?
15. (12 710.) Urn dieser Ungewifsheit willen lose mir den
Zweifel, denn ich verlange sehr danach; du bist ja eine
Schatzkammer aller Erzahlungen, und zu dir nehmen wir
unsere Zuflucht.
Bhishma sprach:
16. (12 711.) Sehr lang, o Konig, ist diese Geschichte, wie
ich si,e von meinem Vater vernommen babe und dir jetzt
wiedererzahlen soil; wahrlich, es ist die wertvollste aller Er-
zahlungen !
17. (12 712.) Es war einmal ein Konig mit Namen Upari-
cara, ein Beherrscher der Erde, der beriihmt war als Freund
des Akhandala (Indra) und Verehrer des Hari Narayana,
18. (12 713.) pflichtkundig stets seinem Vater ergeben und
stets unveranderlich. Dieser hatte vordem als eine Gnaden-
gabe des Narayana die Weltherrschaft erlangt.
19. (12 714.) Als Anhanger der vor Zeiten aus dem Munde
des Sonnengottes ausgegangenen Satvatalehre verehrte er den
Herrn der Gotter (Narayana), mit dem Reste seines Opfers
die Manen,
Adhyaya 337 (B. 335). 755
20. (12 715.) mit dem Reste des Manenopfers die Brah-
manen, indem er auch seinen Leuten davon mitteilte. Rest-
speise essend, die Wahrheit hochhaltend und alle Wesen
schonend,
21. (12 716.) verehrte er mit ganzem Herzen den Gottergott
Janardana (Vishnu), den ewigen Weltschopfer, der ohne An-
fang, Mitte und Ende ist.
22. (12 717.) Ihn, der Verehrung gegen Narayana iibte, den
Bezwinger der Feinde, hatte der Gotterkonig (Indra) selbst
zum Genossen seines Sitzes und Lagers erwahlt.
23. (12 718.) Mein Reich und mein Vermogen, mein Weib
und mein Elefant, alles das, so sprach er, ist dem Bhagavan
(dem heih'gen Narayana) geweiht.
24. (12 719.) Mochte es sich um Wunschopfer oder Gelegen-
heitsopfer handeln, o Konig, alle die hohen Opferwerke voll-
brachte er mit Hingebung, indem er die Satvatalehre befolgte.
25. (12 720.) In dem Hause dieses hochsinnigen Konigs ge-
nossen die vornehmsten Kenner der Paficaratralehre die Ehre,
von dem, was dem Bhagavan dargebraclit wurde, als erste
zu kosten.
26. (12 721.) Bei diesem feindbezwingenden und das Reich
mit Gerechtigkeit regierenden Konig gab es keine unwahre
Rede und keinen bosen Gedanken,
27. (12 722.) und auch in Werken vollbrachte er nicht das
mindeste Bose (paramdnu mit C). Vordem namlich hatten
die sieben Weisen gelebt, welche Citragikhandin's (Bunt-
schbpfe) heifsen.
28. (12 723.) Von diesen wurde mit einmiitigem Sinne ein
vorziigliches Gesetzbuch verkiindigt, welches, auf dem grofsen
Berge Meru entstanden und an die vier Veden sich an-
schliefsend,
29. (12 724.) als uniibertrefflich und fiir die Welt das Ge-
setz gebend, aus ihren sieben Miindern ausgestromt war.
Marici, Atri und Aiigiras, Pulastya, Pulaha, Kratu (12725.) und
der kraftvolle Vasishtha, das sind die Citragikhandin's.
30. Dieses sind die sieben weltschaffenden Wesen und
[Manu] Svayambhuva ist der achte; (12726.) von ihnen wird die
Welt getragen, aus ihnen ist der Gesetzeskanon ausgestromt.
48*
756 in. Mokshadharma.
31. Diese Weisen, konzentrierten Geistes, bezahmt, der
Selbstbeherrschung sich erfreuend, (12727.) des Vergangenen,
Gegenwartigen und Zukunftigen kundig und die wahrhafte
Satzung als das Hochste schatzend,
32. haben, im Geiste erwagend : dies ist das Beste, dies
ist das Brahman, dies ist das hochste Heil, (12 728.) die Welten
und sodann das Gesetz geschaffen.
33. In diesem wurde das Gute, Niitzhche und Angenehme
und sodann die Erlosung besprochen, (12729.) sowie auch die
mannigfachen Bestimmungen, die im Himmel und auf Erden
gelten.
34. Damit waren sie alle in Gemeinschaft mit den Rishi's
tausend gottliche Jahre durch beschaftigt, (12730.) wahrend sie
durch Askese den Gott Hari, den machtigen Narayana, ver-
ehrten.
35. Da geschah es, dafs auf Befehl des Narayana die
Gottin [der Eede] Sarasvati (12731.) in alle diese Rishi's der
Welt zum Heile hineinfuhr.
36. Darauf wurde sie, die in der ersten Schopfung ge-
borene, von den askesekundigen Rishi's (12732.) in Wort, In-
halt und Begriindung richtig zur Anwendung gebracht.
37. Zuerst wurde sodann das mit dem Omlaut geschmiickte
fertige Werk (12733.) von den Rishi's dort vorgetragen, wo
jener mitleidreiche Gott ihnen zuhorte.
38. Da wurde der heilige, nicht in einem bestimmten
Korper erscheinende (12 734.) hochste Purusha gnadig gestimmt
und sprach unsichtbar zu alien diesen Rishi's:
39. Vollendet ist dieses hochste, aus hunderttausend
Qloka's bestehende Werk, (12 735.) welches fiir das Gesetz des
ganzen Weltlaufs die Quelle ist,
40. und aus welchem fiir Tun und Lassen nur solches
sich ergeben wird, was vom (12736.) Yajur-, Rig- und Sama-
veda sowie von den Liedern des Atharvan und Angiras gut-
geheifsen wird.
41. Nach der Richtschnur des Veda ist ja von mir durch
meine Gnade Gott Brahman, (12737.) aus meinem Zorne Rudra
geschaffen worden, ferner ihr Brahmanen als weltschaffende
Wesen,
Adhyaya 337 (B. 335). 757
42. sowie auch Sonne und Mond, Wind, Erde, Wasser
und Feuer, (12 738.) dazu alle Scharen der Gestirne und was
sonst noch Wesen heifst.
43. So wie alle Brahmanlehrer je nach ihrer Eigentiim-
lichkeit ihres Amtes walten (12739.) und alle ein Vorbild sind,
soil auch dieses liochste Lehrbuch
44. eine Richtschnur sein, das ist mein Wille. (12740.) Aus
ihm wird seine Gesetze Manu Svayambhuva selbst verkiindigen,
45. und auch Uganas und Brihaspati, wenn sie erst ge-
boren sein werden, (12741.) sollen das aus eurem Geiste ent-
sprungene Gesetzbuch verkiindigen.
46. Nachdem die Gesetzvorschriften des Svayambhuva
(Manu) und das Lehrbuch des Uganas verfafst sein werden
(12 742.) und auch die Lehre des Brihaspati in Umlauf gesetzt
sein wird,
47. soil dieses von eucli verfafste Lehrbuch ein Konig
namens Vasu [d. i. Uparicara, oben. Vers 12712] (12743.) von
Brihaspati erhalten, 0 ihr besten Zwiegeborenen.
48. Denn dieser Konig wird von den Guten geehrt und
mir treu ergeben sein, (12 744.) und er wird nach diesem Lehr-
buche alle Opferwerke in der Welt vollziehen.
49. Denn dieses euer Gesetzbuch wird unter alien Ge-
setzbiichern das hochste heifsen, (12745.) es wird dem Niitz-
lichen und dem Guten dienen und wird auch die hochste
Geheimlehre enthalten.
50. Durch seine Verbreitung werdet ihr zu Wissenden
werden, (12746.) und jener grofse Konig Vasu wird mit Gliick
begnadet sein.
51. Wird aber die Zeit dieses Konigs um sein, dann
wird dieses ewige Gesetzbuch (12 747.) verschwinden. Das alles
habe ich euch voraus gesagt.
52. Nachdem der unsichtbare, hochste Purusha diese
Rede gehalten hatte, (12 748.) nahm er Abschied von alien
diesen Rishi's und ging in eine andere Gegend.
53. Darauf wurde von diesen W^eltvatern, indem sie den
Nutzen der ganzen Welt bedachten, (12 749.) dieses Gesetzbuch
als eine ewige Quelle der Pflicht verbreitet.
54. Als nun im ersten Weltalter (Kritam) aus dem Stamme
758 ni. Mokshadharma.
des Aiigiras Brihaspati geboren war, (12750.) da verpflanzten
sie das Lehrbuch nebst Anhang und Upanishad in ihn
55. und gingen, um Askese zu iiben, in eine ihnen er-
wiinschte Gegend voll Zuversicht, (12751.) die Trager aller
Welten, die Verkiindiger aller Gesetze.
So lautet im Mokshadharma die Geschichte vom N^rayana
(Ndrdyaniyani).
Adhyaya 338 (B. 336).
Vers 12752-12817 (B. 1-65).
Bhishma sprach :
1. (12 752.) Als nun nach Ablauf einer grofsen Zeitperiode
der Sohn des Aiigiras (Brihaspati) geboren wurde, da waren
die Gotter voll Freude dariiber, dafs ihnen ein gottlicher
Purohita (Hauspriester) geboren war.
2. (12 753.) Brihat, Brahma, Mahat (das Starke, das Brah-
man, das Grofse), diese Worte bedeuten das namliche, und
mit den durch sie bezeichneten Eigenschaften, o Konig, war
Brihaspati ausgeriistet.
3. (12 754.) Sein erster Schiller wurde der Konig Vasu
Uparicara, und nachdem dieser das von den Citragikhandin's
[oben, Vers 12 725] stammende Gesetzbuch gehorig studiert hatte,
4. (12 755.) wurde dieser Konig Vasu damals wie ein Gott
geehrt und beherrschte die Erde, wie Akhandala (Indra) den
Himmel.
5. (12 756.) Dieser hochherzige Konig veranstaltete ein
grofses Rofsopfer, bei welchem sein Lehrer Brihaspati als
Hotarpriester waltete.
6. (12 757.) Drei Sohne des Prajapati, die grofsen Rishi's
Ekata, Dvita und Trita, waren Beisitzer des Opfers,
7. (12 7B8.) dazu Dhanusha, Raibhya, Arvavasu, Paravasu,
der Rishi Medhatithi und der grofse Rishi Tandya,
8. (12 759.) der hochbegliickte Rishi (^anti und jener, der
Vedagiras heifst, und der beste der Rishi's, Kapila, der als
Vater des Qalihotra gilt,
Adhyaya 338 (B. 336). 759
9. (12 760.) der erste Katha und Taittiri, der altere Bruder
des Vaigampayana , Kanva und Devahotra, das waren die
sechzehn Opferpriester.
10. (12 761.) Alles Zubehor zu diesem grofsen Opfer war
zusammengebracht worden, o Konig, aber kein Tier wurde
geschlachtet, darauf hatte der Konig bestanden,
11. (12 762.) er, welcher dem Schadigen abgeneigt, rein,
von Gemeinheit fern, wunschlos und um seiner Werke willen
preiswiirdig war. Nur an waldigen Orten gewachsen war,
was dabei als Opferanteil verwendet wurde.
12. (12 763.) Darura hatte an ihm seine Freude der heilige,
uranfangliche Gottergott und liefs sich leibhaftig vor ihm
sehen, er, der von keinem andern gesehen werden konnte.
13. (12 764.) Er roch den Duft seines Anteils und ergriff
selbst den Opferkuchen; so wurde von dem Gotte Hari-
medhas (Narayana) sein Opferanteil unsichtbar entgegen-
genommen.
14. (12 765.) Dariiber geriet Brihaspati in Zorn, erhob in
seiner Erregung den Opferloffel, und indem er ihn in der
Luft hin und her schwang, brach er vor Wut in Tranen aus.
15. (12766.) Und er sprach zu Uparicara: Von mir ist
dieser Opferanteil dargeboten worden, und er war von dem
Gotte selbst vor meinen Augen entgegenzunehmen, daran
ist doch kein Zweifel.
Yudhishthira sprach:
16. (12 767.) Die dargebotenen Opferan telle pflegen doch
von den Gottern sichtbar entgegengenommen zu werden,
warum nahm denn nicht auch der machtige Hari sichtbare
Gestalt an?
Bhishma sprach:
17. (12 768.) Da suchte der grofse Konig Vasu den aufser
sich geratenen Muni zu besanftigen, und alle Beisitzer be-
miihten sich mit ihm.
18. (12 769.) Und sie sprachen ruhig zu ihm: Du solltest
nicht in Zorn geraten, es ist im Kritazeitalter nicht Sitte,
dafs [man sich wie] du vom Zorne hinreifsen lafst faci-
Jcrithas !J.
760 III. Mokshadharma.
19. (12 770.) Nicht angebracht ist der Zorn bei jenem
Gotte, dem du seinen Opferanteil dargeboten hast, es ist
nicht moghch, dafs er von dir oder von uns gesehen werde,
o Brihaspati.
20. (12 771.) Nur der kann ihn sehen, dem er es als Gnade
verleiht. — Und weiter sprachen Ekata, Dvita und Trita [die
Anhanger der] Citragikhandin's :
21. (12 772.) Wir hier, die wir uns riihmen, geistige Sohne
des Gottes Brahman zu sein,' sind einstmals um unseres
Seelenheiles willen nach der nordlichen Gegend gewandert.
22. (12 773.) Nachdem wir tausend Jahre uns kasteit hatten
und zur hochsten Askese fortgeschritten waren, beharrlich auf
einem Fufse stehend, Holzstammen gleich, in Meditation
versunken
23. (12 774.) auf der nordlichen Seite des Mem am Gestade
des Milchmeeres, — das war namlich die Gegend, wo wir
unsere furchtbare Askese iibten, —
24. (12 775.) da fragten wir uns, wie wir wohl den Gott
(Vishnu) in seiner Wesensform als Narayana zu sehen be-
kommen konnten, den liebenswerten, gabenspendenden, diesen
ewigen Gott der Gotter,
25. (12 776.) mit einem Worte, wie wir den Narayana sehen
konnten. Da, als wir das Schlufsbad unseres Geliibdes
nahmen, sprach zu uns eine korperlose Stimme
26. (12 777.) in lieblichem, tiefem Tone zu unserm Ent^
ziicken, o Herr : 0 Brahmanen, ihr habt cure Askese mit be-
ruhigter Seele gut geiibt,
27. (12 778.) und jetzt forscht ihr mit frommem Sinne da-
nach, wie ihr den Herrn zu sehen bekommen konnt. In der
nordlichen Gegend des Milchmeeres liegt die herrliche Insel
(^vetadvipa,
28. (12 779.) dort leben Manner, glanzvoU wie der Mond,
welche nichts Hoheres kennen als Narayana; ihm, dem
hochsten Purusha, sind diese frommen Manner mit alleiniger
Liebe ergeben.
29. (12 780.) Ihm, dem tausendstrahligen , ewigen Gotte,
nahen sie frei von Sinnesorganen, ohne Nahrung, ohne Augen-
blinzeln und von lieblichem Wohlgeruch;
Adhyaya 338 (B. 336). 761
30. (12 781.) ihm allein ergeben sind diese Bewohner von
Qvetadvipa. Dorthin wendet euch, ihr Muni's, dort wird meine
Wesenheit offenbart.
31. (12 782.) Nachdem wir alle diese korperlose Stimme
vernommen hatten, sind sie (wir) auf dem beschriebenen
Wege in jene Gegend gegangen.
32. (12 783.) Als wir aber nach der giofsen weifsen Insel
gelangt waren, ihn in Gedanken tragend, ihn zu sehen ver-
langend, da war der Ausblick uns verschlossen,
33. (12 784.) und wir konnten den Purusha nicht schauen,
denn unsere Augen waren durch seinen Glanz geblendet. Da
wurde es uns durch die Hingebung an den Gott klar,
34. (12 785.) dafs man nicht so ohne weiteres und ohne
vorher hinreichend Askese geiibt zu haben, den Gott schauen
kann. Nachdem wir darauf nochmals ungesaumt hundert
Jahre lang grofse Askese unternommen hatten,
35. (12 786.) sahen wir am Schlusse unseres Geliibdes
schone weifse Manner, wie der Mond glanzend, mit alien Vor-
ziigen ausgestattet,
36. (12 787.) welche, o Brahmane, immerfort mit zusammen-
gelegten Handen, nach Norden und Osten schauend, mur-
melten. Diese Murmelung aber wurde nur als eine geistige
von diesen Hochsinnigen vollzogen,
37. (12 788.) denn an einer solchen geistigen Konzentration
hat Hari seine Freude. Der Glanz, wie er der Sonne eigen
ist, o Tiger unter den Muni's, wenn ein Weltalter zu Ende geht,
38. (12 789.) ein soldier Glanz umstrahlte jeden einzelnen
von diesen Mannern. Da erkannten wir, dafs diese Insel eine
Wohnstatte des Glanzes ist;
39. (12 790.) keiner iiberbot dort den andern, alle waren
von gleichem Glanze. Da wurde der gleichzeitig von tausend
Sonnen ausstrahlende Glanz
40. (12 791.) wiederum plotzhch von uns gesehen, o Brihas-
pati, und jene Manner liefen allesamt eilends auf ihn zu
41. (12 792.) und riefen mit zusammengelegten Handen
freudig aus: „Dir sei Verehrung!" Sodann horten wir ein
grofses Getone ihres Redens.
42. (12 793.) Denn das ist die Spende, welche von diesen
762 III. Mokshadharma.
Mannern dem Gotte dargebracht wird. Wir aber, durch seinen
Glanz plotzlich der Sinne beraubt,
43. (12 794.) sahen gar nichts, geschlagen an Augen, Kraft
und Sinn. Da verbreitete sich ein Ton und wurde deutlich
von uns vernommen:
44. (12 795.) „Du bist Sieger, o Lotosaugiger, Verehrung
sei dir, o Allbildner, Verehrung sei dir, o Struppiger, o erst-
geborener, grofser Purusha!"
45. (12 796.) Dieser Ton wurde, richtig nach Aussprache
und Betonung, von uns vernommen, wahrend in dieser Zeit
ein reiner, mit Wohlgeriichen erfiillter Wind
46. (12 797.) himmlische Blumen und opferwiirdige Krauter
herbeifiihrte. Von diesen, die Zeiten der fiinf [taglichen Opfer,
pancalidla; nach einer Fufsnote in B. : das Paiicaratram] kennen-
den, ihm einzig ergebenen Mannern wurde Hari verehrt
47. (12 798.) in Gedanken, Worten und Werken, die in
hochster Liebe gegen ihn wurzelten. Ohne Zweifel war der
Gott dorthin gekommen, als von ihnen diese Gebete er-
schollen,
48. (12 799.) wir aber, durch seine Zauberkunst fmdydj ver-
blendet, waren nicht imstande, ihn zu sehen. Als endHch
der Wind sich legte und die Darbringung vollendet war,
49. (12800.) wurde unser Geist, o Bester der Aiigiras, von
Sorge erfiillt. Denn unter diesen tausend edelgeborenen
Mannern
50. (12801.) wiirdigte uns keiner eines Gedankens oder
auch nur eines Bhckes, sondern jene Munischaren hielten
sich fiir sich, nur einer Liebe sich hingebend,
51. (12 802.) und bewiesen uns keine Liebe, nur von der
Liebe zu Brahman beseelt. Da geschah es, dafs uns, die wir
sehr ermiidet und durch die Askese abgemagert waren,
52. (12803.) ein in sich ruhendes korperloses Wesen an-
redete.
Der Gott sprach:
(12804.) „Die von alien Sinnesorganen freien weifsen Manner
sind von euch gesehen worden,
53. und von diesen besten Zwiegeborenen , die ihr ge-
schaut habt, ist der Gott geschaut worden. (12805) Nun ent-
Adhy^ya 338 (B. 336). 763
fernt euch von hier alle, ihr Muni's, wie ihr gekommen seid,
ungesaumt,
54. der Gott kann unter keinen Umstanden von einem ge-
schaut werden, der ihm nicht in Liebe ergeben ist, (128O6.) und
nur solche, welche nach langer Zeit zu seiner Alleinverehrung
gelangt sind,
55. konnen den Heiligen, in seinem Strahlenkranze schwer
zu Erkennenden schauen. (12807.) Aber doch wartet euer eine
grofse Aufgabe, ihr Besten der Brahmanen:
56. Wenn kiinftighin das Kritaweltalter vorbei und in
ein anderes iibergegangen sein wird, (128O8.) wenn in der
gegenwartigen Manuperiode das Tretazeitalter eingetreten sein
wird, o Brahmanen,
57. dann sollt ihr zur Vollbringung der Aufgabe der
Gotter Mithelfer sein." (12809.) Nachdem wir diese wunder-
bare, amritagleiche Rede gehort batten,
58. gelangten wir alsbald durch seine Gnade in das ge-
wiinschte Land. (12810.) So konnte denn trotz grofser Askese,
trotz Gotter- und Manenopfer
59. der Gott von uns nicht geschaut werden, — wie
kannst du ihn da sehen wollen [o Brihaspati] ? (12811.) Er ist
Narayana, das grofse Wesen, der Allschopfer, der Geniefser
des Gotter- und Manenopfers,
60. ohne Anfang und Ende, unoffenbar, verehrt von
Gottern und Damonen. — (12812.) So wurde durch die Er-
zahlung des Ekata und die Beistimmung des Dvita und Trita
61. sowie durch die iibrigen Opfergenossen der hoch-
sinnige Brihaspati begiitigt, (12 sis.) vollendete das Opfer und
verehrte die Gottheit.
62. Aber der Konig Vasu, obgleich er dieses Opfer dar-
gebracht hatte und seinen Untertanen Schutz verhehen hatte,
(12814.) wurde spater aus dem Himmel [in den er gelangt
war] durch einen Fluch der Brahmanen herabgestiirzt und
fuhr in die Erde hinein.
63. Aber dieser Konig, 0 Konigstiger, hielt nichtsdesto-
weniger fest an Wahrheit und Gerechtigkeit, (12815.) und ob-
gleich er im Tnnern der Erde hauste, war und blieb er ein
treuer Anhanger des Gesetzes.
764 III. Mokshadharma.
64. Und well er den Narayana aufs hochste ehrte und die
Narayanamurmelung murmelte, (128I6.) wurde er durch dessen
Gnade wieder emporgehoben
65. und stieg vom Erdboden flugs hinauf zu der Statte
des Brahman, (12 sir.) indem er alsbald das hochste, ewige
Ziel erreichte.
So lautet im Mokshadharma die Geechichte vom Narayana
(Ndrdyaniyain).
Adhyaya 339 (B. 337).
Vers 12818-12860 (B. 1-41).
Yudhishthira sprach:
1. (12818.) Da doch der grofse Konig Vasu dem Heihgen
[Narayana] so iiberaus ergeben war, wie kam es da, dafs er
herabstiirzte und in eine unterirdische Hohle geriet?
Bhishma sprach:
2. (12 819.) Auch dariiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich den Wortwechsel zwischen den Kishi's
und den dreifsig Gottern.
3. (12 820.) Die Gotter sprachen zu den Besten der Zwie-
geborenen: Geopfert werden mufs ein Bock, und unter dem
Bock ist ein Ziegenbock und kein anderes Tier zu verstehen,
das steht fest. Die Eishi's sprachen:
4. (12 821.) Korner miissen beim Opfer dargebracht werden,
das ist die vedische Vorschrift. Korner sind zu verstehen,
wenn von einem Bock [aja^ konnte auch „unaufgekeimt"
heifsen] dort die Rede ist. Einen Bock darf man unter keinen
Umstanden toten.
5. (12822.) Das ist kein Brauch guter Menschen, o Gotter,
dafs ein Tier geschlachtet wird; wir leben in dem besten,
im Kritazeitalter, wie diirfte da ein Tier geschlachtet werden !
Bhishma sprach:
6. (12823.) Wahrend sich in dieser Weise die Rishi's mit
den weisen Gottern stritten, kam des Weges daher Vasu,
der Beste der Konige, der in diese Gegend gelangt war,
Adhyaya 339 (B. 337). 765
7. (12824.) der gliickliche, indem er durch die Luft flog
mit seinem ganzen Heere und seinen Wagen. Als die Rishi's
den Vasu sahen, wie er plotzlich durch die Luft daher-
gefahren kam,
8. (12825.) da sprachen die Zwiegeborenen zu den Gottern:
Dieser soil den Streit entscheiden. Er ist opfereifrig und ein frei-
gebiger Herr, edel und am Wohle aller Wesen sich freuend.
9. (12826.) Wie konnte er, der grofse Vasu, etwas Falsches
sagen? Nachdem die Rishi's und Goiter darin iiberein-
gekommen waren,
10. (12827.) traten sie alle an den Vasu heran und frag-
ten ihn: 0 Konig, was soil man opfern, einen Bock oder
Pflanzenstoffe ?
11. (12828.) Diese Streitfrage lose uns, du, o Herr, sollst
unser Schiedsrichter sein. Da legte Vasu seine hohlen Hande
zusammen und fragte :
12. (12829.) Wer von euch hegt welchen Wunsch? Sagt
mir die Wahrheit, ihr Besten der Zwiegeborenen!
Die Rishi's sprachen:
(12830.) Unsere Partei behauptet, dafs man nur Korner
opfern darf, o Konig,
13. die Gotter aber nehmen Partei fiir das Tieropfer;
du, 0 Konig, sollst zwischen uns entscheiden.
Bhishma sprach:
(12831.) Als aber Vasu die Meinung der Gotter vernahm,
schlug er sich auf ihre Seite
14. und sein Schiedsspruch lautete: „Ein Ziegenbock
mufs geopfert werden." (12832.) Da gerieten alle die sonne-
glanzenden Rishi's in Zorn
15. und sprachen zu dem auf seinem Wagen stehenden
Vasu, der den Schiedsspruch parteiisch fiir die Gotter gefallt
hatte: (12833.) Weil du die Partei der Gotter ergriffen hast,
darum sollst du vom Himmel herunterstiirzen.
16. Von jetzt an, o Konig, wird dir der Weg durch die
Liifte benommen sein; (12834.) von unserm Fluche getroffen,
wirst du die Erde spalten und in sie hineinfahren.
766 in. Mokshadharma.
17. Da geschah es in demselben Augenblicke, dafs der
Konig Uparicara (12835.) alsbald herabstiirzte und in eine Hohle
unter der Erde geriet, o Konig.
18. Aber auf Befehl des Narayana blieb die Erinnerung
an ihn soweit lebendig, (12836.) dafs alle Gotter insgesamt auf
die Befreiung des Vasu von seinem Fluche
19. mit Sorgfalt bedacht waren, um dem Konige eine
Wohltat zu erweisen; (12837.) denn dieser hochsinnige Konig,
sprachen sie, hat um unsertwillen den Fluch auf sich geladen ;
20. darum, ihr Himmelsbewohner, miissen wir alle ihm
einen Gegendienst erweisen. (12838.) So im Geiste sich ent-
scheidend, waren die Gotter schnell entschlossen
21. und sprachen freudigen Geistes zu dem Konige Upari-
cara: (12 839.) Dem brahmanhaften Gotte bist du ergeben, und
er, Hari, der Meister der Gotter und Damonen,
22. wird gewifs, weil er an dir seine Freude hat, die Losung
des Fluches bewirken; (i2840.) anderseits mufs freilich auch
die Achtung vor den hochsinnigen Rishi's gewahrt werden,
23. und es ist nicht moglich, dafs ihre Askese unfrucht-
bar bleibe, (i2 84i.) kraft deren du so plotzlich aus dem Luft-
raum in die Erde hinabgestiirzt bist.
24. Immerhin konnen wir dir folgende Milderung ge-
wahren, o Bester der Konige: (12842.) Wahrend du vermoge
des Fluches deine Zeit absitzen wirst, o Untadliger,
25. in deiner Hohle unter der Erde, diese ganze Zeit sollst
du (12843.) die von achtsamen Brahmanen beim Opfer rich tig
dargebrachte Spende, welche vasor dhdrd (Gabenstrom, Vasu-
spende) heifst, erhalten.
26. Das sollst du durch unsere Fiirsorge erlangen, damit
dich kein Hinwelken iiberkomme. (12844.) Denn du wirst in
deinem Erdloche weder Hunger noch Durst leiden,
27. wenn du die vasor dhdrd trinkst und dich durch
ihre Kraft starkst. (1284,').) Dann wird jener Gott [Narayana],
durch unsere Gabe an dich erfreut, dich in die Brahman-
welt emporgeleiten.
28. Nachdem alle die Himmelsbewohner dem Konige
dieses Geschenk verliehen hatten, (12846.) gingen die Gotter
nach Hause und ebenso die askesereichen Rishi's.
Adhyaya 339 (B. 337). 767
29. Darauf zollte Vasu dem Vishvaksena (dem allumschiitz-
ten Narayana) seine Verehrung, o Bharata, (12847.) indem er
unaufhorlich die aus dem Munde des Narayana hervor-
gegangene Murmelung betete.
30. Auch wurden, o Feindbezwinger, die fiinf taglichen
Opfer zu ihren fiinf Zeiten (12 848.) dem Gotterherrn Hari von
Vasu, wahrend er in der Erdholile weilto, dargebracht.
31. Da freute sich Hari Narayana dariiber, dafs er so
fromm war (12849.) und dafs er keinen andern Gott verehrte,
sondern mit bezahmtem Selbste ihm allein ergeben war.
32. Und er, der gabenspendende, heilige Vishnu, sprach
zu dem ihn begleitenden trefflichsten Vogel, (12 850.) dem
iiberaus schnellen Garuda, was er vollbracht zu sehen
wiinschte:
33. 0 du machtiger Bester der Vogel, achte auf mein
Wort. (12 851.) Ein allbeherrschender Konig mit Namen Vasu,
pflichttreu und von scharfem Geliibde,
34. ist durch den Zorn der Brahmanen in die Erde ge-
bannt worden. (12852.) Den Bralimanenfiirsten ist jetzt die
geniigende Achtung erwiesen worden. Nunmehr gehe du,
o Bester der Vogel,
35. auf meinen Befehl, 0 Garuda, zu dem in der Erd-
hohle Verborgenen (12853.) und mache sofort den unter der Erde
wandelnden besten Fiirsten wieder zu einem Luft wanderer!
36. Da entfaltete der windschnelle Garuda seine Fliigel
(12 854.) und gelangte in die Hohle unter der Erde, wo der
Konig safs.
37. Den rifs der Vinatasohn jahlings in die Hohe, (12855.)
flog mit ihm im Nu zum Ather empor und liefs ihn da los.
38. In diesem Augenblicke wurde der Konig wieder zu
einem Uparicara (in der" Hohe Wandelnden), (1285G.) und mit
seinem Leibe ging er, der Beste der Fiirsten, in die Brahman-
welt ein.
39. So mufste, o Kuntisohn, von diesem Konige, weil
er sich auf Geheifs der Gotter im Reden versiindigt hatte,
(12 857.) trotz seines hohen Sinnes vermoge des Fluches der
Brahmanen der Weg unter die Erde gegangen werden.
768 III. Mokshadharma.
40. Weil er aber allein den Gottherrn Hari, den Purusha,
verehrte, (12 858.) ist er alsbald von seinem Fluche befreit
worden und hat die Brahmanwelt erlangt.
Bhishma spracli [weiter]:
41. (12859.) Damit habe ich dir alles erzahlt, wie jene
Menschen beschaffen waren und wie der Weise Narada [zu
ihnen] nach Qvetadvipa gelangt war. (12860.) Das will ich
dir alles [noch genauer] mitteilen; vernimm es mit ungeteil-
ter Aufmerksamkeit, o Konig.
So lautet im Mokshadharma die Geschichte vom Nftrayana
(Sdrdyaniyam).
Adhyaya 340 (B. 338).
Vers 12861-12864 (B. 1-3).
Bhishma sprach:
1. (12861.) Als der heilige Weise Narada die grofse weifse
Insel ((^vetadvipa) erreicht hatte, sah er jene weifsen, wie
der Mond glanzenden Manner.
2. (12862.) Er verehrte sie durch Verneigung und wurde
von ihnen geistig verehrt; nach dem Schauen begehrend,
der Murmelung ergeben, durch alle harten Ubungen hin-
durchgegangen und beharrlich,
3. (12863.) unternahm es der Brahmane konzentrierten
Geistes, mit emporgestreckten Armen und voll Sammlung,
dem Allumfassenden, Gunalosen und zugleich Gunahaften ein
Loblied zu singen.
Narada sprach :
(12864. Prosa.) Verohrung sei dir, o Gottherr der Gotter,
Werkloser, Gunaloser, Weltauge, Kshetrajna, hochster Pu-
rusha, Unendlicher, Purusha, grofser Purusha, hochster
Purusha, Dreigunahafter, Urstoff, Unsterblicher, Unsterblich-
heif sender, Unendlichheif sender, Himmelsraum, Ewiger, der
du Seiendes und Nichtseiendes, Entfaltetes und Unentfaltetes
bist, Wahrheitsstatte, Urgott, Gabenspender, Schopfer, guter
Adhy^ya 310 (B. 338). 769
Schopfer, Waldesherr, grofser Schopfer, Nahrungsherr, Rede-
herr, Weltherr, Geistesherr, Himmelsherr, Windesherr, Wasser-
herr, Erdeherr, Weltgegendenherr, Urwohnstatt, Verborgener,
Brahmanpriester, Brahmanverkorperter, Grofsfiirstlicher, Vier-
grofsfiirst, Glanzender, Hellglanzender, Siebenopferteilegeniefser,
Yamaliebender , Yamasehrliebender , Yamamuttergenannter,
Tushitagottheit, Grofstushitagottheit, Vex-nichter, Erschaffener,
Unerschaffener , Willkiirlicher , Untadliger, Unermefslicher,
Willkiirlicher , Unwillkiirlicher , Opfer, Grofsopfer, Opfer-
ursprung, Opferwiege, Opfersprofs, Opferherz, Opfergeprie-
sener, Opferteilgenierser, Fiinfopferhafter, Fiinfzeiteinteilungs-
schaffer, Paficaratrahafter, Vaikuntha, Unbesiegbarer, Geistiger,
Namengenannter, Hochstherr, Wohlgebadeter, Schwan, hoch-
ster Schwan, grofser Schwan, Hochheiliger, Sankhya-Yoga,
Sankhyagestal tiger, im Amritam Weilender, Goldweilender,
Gottweilender, Kugagrasweilender, Brahmanweilender, Lotos-
weilender, Allherr, Allumschiitzter , du bist Weltzusammen-
hang, Weltnatur, dein Mund ist Feuer, du bist das Vadava-
rachenfeuer, bist Opfergufs, Wagenlenker, bist der Vashatruf,
der Omlaut, die Askese, das Manas, der Mond, das durch
AnbHck geweihte Opferschmalz , die Sonne, der Weltelefant,
o Glanz der Pole, Glanz der Zwischenpole, Rofshaupt (vgl.
unten, Vers 12923), du bist Erstgeniefser des Trisuparnagebets,
Kastenerhalter, o Fiinffeuerhafter, Dreinaciketahafter, Behalter
der sechs Vedanga's, Morgenhchthed-, Bestliedsanger, Sang-
geliibdehalter, du bist die Atharvagirasupanishad, o du der
fiinf grofsen Lehrbiicher Inbegriff, Lehrer der Wasserschaum-
trinker, Valakhilya, Vaikhanasa, Yogabestandiger, Reflexions-
bestandiger, der Weltalter Anfang, Mitte und Ende, Akhandala,
Pracinagarbha , Kaugika, Vielgepriesener , Vielangerufener,
AUschopfer, Allgestal tiger, Unendlichstrebender, UnendHch-
geniefsender , UnendHcher, ohne Anfang, ohne Mitte, ver-
borgener Mitte, verborgenen Endes, Geliibdestatte, Ozean-
bewohnender, Glanzstatte, Askesestatte , Bezahmungsstatte,
Schonheitsstatte, Ruhmstatte, Gliicksstatte, Allstatte, o Vasu-
deva, AUgewinner, Falbrossiger, Falbrofsopferer, Grofsopfer-
anteilrauber , Gabenspender, Lustspender, Reichtumspender,
Falbrofsopferer, Zwang, Selbstzwang, Grofszwang, Geplagter,
Beussek, Mah&bb&.ratani. 49
770 in. Mokshadharma.
Zerplagter, Sehrgeplagter , Allgeplagter , Selbstzwangtrager,
Fehltrittfreier, Lernfleif siger , Prignileibentsprungener , Veda-
werkeifriger, Ungeborener , Allziel, Allschauer, Unfafsbarer,
Unerschiitterlicher, Grof sentfalteter, Grofsheitverkorperter, Lau-
terung, Grofslauterung, Goldener, Grorser, Vermutbarer, Un-
erkennbarer, Brahmanenerster, Wesensschopfer, Wesenver-
nichter, Grofsblendwerktrager, Citragikhandin, Gabenspender,
Gpferkuchenanteilnehmer, Festlichgefeierter, Durstfreier, Zwei-
felfreier, Allwartsgewandter, Ungestalteter, Brahmanengestal-
teter, Brahmanenfreund, Allgestaltiger, Grofsgestaltiger, Ver-
wandter, Verehrerfreund , o heiliger Gott, dich verehre ich,
dich begehre ich zu schauen, dem einzigen Anblick Ver-
ehrung, Verehrung!
So lautet im Mokshadharma der Preis des grofsen Purusha
(Mahdpurusha - stava).
Adhyaya 341 (B. 339).
Vers 12865-13006 (B. 1-141).
Bhlshma sprach:
1. (12865.) Als der heilige Gott auf diese Weise mit seinen
geheimnisvoUen und wahrhaften Namen gepriesen worden war,
liefs der AUgestaltige sich vor dem weisen Narada sehen.
2. (12866.) Einerseits war der Herr reiner als der Mond
an Glanz, anderseits war er mit dem Monde gar nicht zu
vergleichen, teils glich er dem Feuer an Aussehen, teils dem
Feueraltar an Gestalt,
3. (12867.) teils dem Gefieder des Papageien, teils einem
Bergkristall , hier wie schwarze Augensalbe, dort wie Gold
glanzend,
4 (12868.) stellenweise glich er einem Korallenzweige, und
wiederum erschien er weifsfarbig, hier glanzte er wie Gold-
farbe, dort ahnelte er dem Beryllstein,
5. (12869.) dann wieder schillerte er wie schwarzer Beryll
und stellenweise wie ein Smaragd, teils war sein Aussehen
dem Hals des Pfauen, teils einer Perlenschnur gleich.
Adhyaya 341 (B. 339). 771
6. (12870.) Diese mannigfachen Farben trug an seinem
Aufsern der Ewige ; tausendaugig war der Selige, mit hundert
Hauptern, tausend Fiifsen,
7. (12 871.) tausend Bauchen und Armen und stellenweise
wieder unsichtbar. Aus seinem Munde strorate der Omlaut,
und ihm folgte die Savitri;
8. (12872.) aus seinen iibrigen Miindern liefs er die vier
Veden in ihrer Fiille ausgehen und sang, der Gott, das
Aranyakam, er, der gewaltige Hari Narayana.
9. (12873.) Ein Opferbett, ein Wasserkrug und weifse Edel-
steine, ein Schuhepaar und Kugagras, Antilopenfell und hol-
zerner Stab und dazu loderndes Feuer,
10. (12874.) das alles wurde von dem Gottherrn als Herrn
des Opfers in seinen Handen getragen. Da begann Narada,
der Beste der Zwiegeborenen, mit ruhigem Geiste den Heitern
11. (12875.) zu verehren, den hochsten Gott, schweigend
und vor ihm geneigt. Zu ihm, der sein Haupt neigte, sprach
der ewige Urvater der Gotter.
Der Heilige sprach:
12. (12 876.) Ekata, Dvita und Trita, die drei grofsen
Wesen, kamen einst in dieses Land mit dem Verlangen, mich
zu schauen.
13. (12877.) Aber sie bekamen mich nicht zu sehen, und
keiner wird mich zu sehen bekommen aufser dem, weloher
mir vor alien anderen Verehrern ergeben ist, du aber bist
mir mehr zugetan [uttamah mit C.) als alle anderen.
14. (12878.) Jene meine hochsten [vier] Erscheinungs-
formen wurden in dem Hause des Dharma geboren [oben,
Vers 12 657 fg.], die mogest du immerfort verehren; ziehe hin,
wie du gekommen bist.
15. (12 879.) Aber, o Brahmane, wahle noch eine Gabe, die
du von mir zu erlangen wiinschest, ich, der Allgestaltige,
Ewige, wie ich heute hier vor dir stehe, bin dir gnadig gesinnt.
Narada sprach :
16. (12880.) Heute habe ich die Frucht meiner Askese,
meiner Bezwingung und Selbstbezwingung erlangt, da du,
o Heiliger, dich von mir hast sehen lassen.
49*
772 III. Mokshadharma.
17. (12881.) All mein Leben ist es nur mein Wunsch ge-
wesen, dich, den Ewigen, zu schauen, o Heiliger, den All-
schauenden, den Lowen, den allgestaltigen grofsen Gebieter.
Bhishma sprach:
18. (12882.) Nachdem er sich in dieser Weise vor dem
Narada Parameshthin gezeigt hatte, sprach er weiter das Wort :
Mache dich auf, Narada, und zogere nicht.
19. (12883.) Denn diese meine wie der Mond glanzenden
Verehrer hier, welche ohne Sinnesorgane und ohne Nahrung
leben, konnten voll einziger Hingebung ihre Gedanken auf
mich richten, und ich mochte nicht, dafs sie dabei auf ein
Hindernis stiefsen.
20. (12 884.) Von jeher waren sie vollendet, gliickselig und
mir einzig ergeben, und frei von Tamas und Rajas, werden
sie gewifslich zu mir eingehen.
21. (12 885.) Er, der nicht zu sehen ist mit dem Auge,
nicht zu betasten durch Beriihrung, nicht zu riechen durch
den Geruch und auch dem Geschmack unerreichbar,
22. (12886.) dem die Guna's, Sattvam, Rajas und Tamas
nicht anhaften, der da als allgegenwartiger Zuschauer und
Weltatman gepriesen wird,
23. (12 887.) der nicht vergeht, wenn die Korper der Wesens-
scharen vergehen, der Ungeborene, Ewige, Unvergangliche,
Gunalose, Unteilbare,
24. (12888.) welcher iiber die zweimal zwolf Prinzipien
hinaus als der Fiinfundzwanzigste geriihmt wird als taten-
loser, nur durch die Erkenntnis zu schauender Purusha,
25. (12889.) in welchen eingehend die Besten der Zwie-
geborenen hienieden zur Erlosung gelangen, — der bin ich,
als Vasudeva zu erkennen, als der ewige, hochste Atman.
26. (12890.) Schaue, o Narada, die Grofse und Majestat
dieses Gottes, der niemals durch gute oder bose Werke be-
fleckt wird.
27. (12 891.) Sattvam, Rajas und Tamas nennt man Guna's
(Faktoren, Konstituenten), weil sie in alien Korpern vorhanden
sind und sich betatigen.
Adhyaya 341 (B. 339). 773
28. (12892.) Diese Guna's geniefst der Kshetrajfia, wird.
aber nicht von ihnen genossen, der Gunalose, Gunageniefsende,
Gunaschopfer, Gunabeherrscher.
29. (12893.) Die Erde, dieser Standort der Lebewelt, o
Gotter-Rishi, zergeht im Wasser, das Wasser im Feuer, das
Feuer im Winde,
30. (12894.) der Wind zergeht im Ather, der Ather im
Manas, das Manas als hochstes Element zergeht im Un-
entfalteten,
31. (12895.) das Unentfaltete, o Brahmane, zergeht im tat-
losen Purusha, iiber ihm gibt es keinen Hohern, iiber dem
ewigen Purusha.
32. (12 896.) Denn kein Wesen in der Welt, sei es beweg-
lich oder unbeweglich, gibt es, welches ewig ware, aufser
jenem einen Purusha, dem ewigen Vasudeva.
33. (12897.) Denn der hochgewaltige Vasudeva ist die Seele
aller Wesen. Erde, Wind, Ather, Wasser und Feuer als
fiinftes,
34. (12898.) diese hohen Wesenheiten bilden in ihrer Ver-
einigung das, was man den Leib nennt. Sodann geht in
diesen ein, o Brahmane, leichten Schrittes der Unsichtbare,
35. (12899.) und nachdem er geboren, ist er es, der den
Leib bewegt. Freilich kann es keinen Leib geben ohne das
Aggregat der Elemente,
36. (12900.) aber ohne den Jiva (die individuelle Seele),
o Brahmane, konnten die Winde [die fiinf Prana's] den Leib
nicht bewegen. Dieser Jiva wird [nach Krishna's alterm
Bruder Balarama] Qesha oder Sankarshana genannt.
37. (12901.) Von ihm stammt er, welcher durch seine Werke
es erlangte, eine Inkarnation von Sanatkumara zu sein (vgl.
Mhbh. I, 67,52 = I, 2786), und dieser, in welchem alle Ele-
mente zergehen und zunichte werden (oben. Vers 12894),
38. (12902.) der wird als das Manas in alien Wesen [nach
Krishna's Sohn] Pradyumna genannt. Aus ihm ist der ent-
sprungen, welcher Tater, Ursache und Wirkung ist;
39. (12 903.) dieser, aus welchem die ganze Welt des Be-
weglichen und Unbeweglichen hervorgeht, wird [nach Krishna's
Enkel] Aniruddha, der in alien Werken entfaltete Gott, genannt.
774 HI. Mokshadharma.
40. (12 904.) Also der heilige Vasudeva, der seinem Wesen
nach gunalose Kshetrajna, der, o Fiirst der Konige, ist zu
wissen als der Jiva, als der machtige Saiikarshana.
41. (12 905.) Von Saiikarshana stammt der Pradyumna Ge-
nannte, welcher das Manas ist, und von Pradyumna stammt
Aniruddha, und dieser Gott ist der Ahaiikara.
42. (12 906.) Aus mir, o Narada, entspringt die ganze Welt,
das Unbewegliche und Bewegliche, das Unvergangliche und
Vergangliche, das Seiende und Nichtseiende.
43. (12 907.) Zu mir eingehend, werden hienieden erlost die,
welctie mir ergeben sind, denn ich bin zu wissen als der
Purusha, der Tatenlose, der Fiinfundzwanzigste,
44. (12 908.) der von Guna's und Teilen Freie, iiber Gegen-
satze und Anhangendes Erhabene. Aber das bleibt fiir dich
unerkennbar und wird nur als Erscheinung gesehen.
45. (12909.) Wenn ich wollte, so konnte ich augenblick-
lich verschwinden, denn ich bin Herr und Meister der Welt;
nur als ein Scheinbild fmdydj habe ich geschaffen, was du
von mir siehst, o Narada.
46. (12 910.) Sofern ich die Eigenschaften aller Wesen an
mir trage, kannst du mich nicht erkennen, aber die Vierheit
meiner Erscheinungen habe ich deutlich erklart.
47. (12911.) Ich bin es, der der Jiva heifst, in mir ist der
Jiva beschlossen, aber dein Verstandnis reichte nicht aus,
um sagen zu konnen: Ich habe den Jiva gesehen.
48. (12912.) Ich bin allgegenwartig, o Brahmane, bin in
der Schar der Wesen die innere Seele, ich vergehe nicht,
wenn die Korper der Wesensscharen vergehen.
49. (12913.) Jene gliickseligen, vollendeten Manner freilich
waren mir einzig ergeben, und sie, o Muni, werden, frei von
Tamas und Rajas, zu mir eingehen.
50. (12 914.) Hiranyagarbha, der Weltanfang, der mit seinen
vier Angesichtern in dem Unaussprechlichen \anirukta, vgl.
Taitt. Up. 2,4 Anfang] weilende Gott Brahman, dieser ewige Gott
iiberdenkt [als mein Intellekt] meine mannigfachen Zwecke;
51. (12915.) aus meiner Stirn, aus meinem Zorne ist Gott
Rudra hervorgegangen ; siehe, wie die elf Rudra's in meiner
rechten Seite
Adhyaya 341 (B. 339). 775
52. (12 916.) und die zwolf Aditya's in meiner linken Seite
wohnen, siehe, wie ich vorn an mir trage die acht Vasu's,
die Hochsten der Gotter,
53. (12917.) wie Nasatya und Dasra, die Gotterarzte, meinen
Riicken bilden, siehe in mir alle Schopferherren und alle
Eishi's,
54. (12 918.) die Veden und die Opfer Iiundertfach nebst dem
Amritatranke und den Krautern, siehe in mir die Askesen,
Selbstbezahmungen und die einzelnen Zuchtiibungen,
55. (12 919.) die achtfache Gottherrlichkeit [der acht Siddhi's]
gestalthaft in mir, dem Einen, weilen, ferner Gliick, Schon-
heit und Ruhm und die Erde mit ihren Berggipfeln,
56. (12920.) siehe in mir wohnen Sarasvati, die Mutter der
Veden, und den im Ather weilenden Polarstern, den Besten
der Sterne,
57. (12 921.) die wasserreichen Ozeane, Seen und Fliisse
und die vier Klassen von Manen (vgl. oben, Vers 965o) ver-
korpert [murtimantah als Ace!) in mir
58. (12922.) und jene drei gestaltlosen Guna's, wie sie in
mir wohnen. Wenn auch von dem Opfer an die Gotter das
Opfer an die Manen verschieden ist, o Muni,
59. (12923.) so bin ich doch von Uranfang her der einzige
Vater der Gotter wie der Manen. Ich, zu dem Rofshaupte
geworden in dem nordwesthchen Ozean,
60. (12 924.) trinke das wohldargebrachte Gotteropfer und
das mit Glauben gespendete Manenopfer. Von mir ist vor-
dem Gott Brahman geschaffen worden, und mir zu Ehren hat
er selbst ein Opfer geopfert.
61. (12925.) Und iiber dasselbe erfreut, verheh ich ihm
herrhche Gaben, namHch dafs er am Anfang der Weltperiode
mein Sohn und der Aufseher der Welt,
62. (12 926.) sowie auch zum Ahahkara [dem Prinzip der
Individuation] wurde, so dafs dieses Wort synonym mit
Brahman ist, und ich sprach zu ihm: „Die von dir gesetzten
[individuellen] Schranken soil niemand je iiber schreiten,
63. (12927.) und du, o Brahman, sollst der Gabenspender
aller um Gaben Flehenden sein. Von Gottern, Damonen und
Eishi's, 0 Askesereicher,
776 III. Mokshadharma.
64. (12 928.) sowie von den Vatern, o Machtiger, allezeit
Geliibdefester , und von den mannigfaltigen Wesen sollst du
Verehrung geniefsen."
65. (12 929.) „Und ich [so erwiderte er mir] will allezeit
beim Opfer an die Gotter ein offener Bekenner des Bhagavan
sein; dir, o Heiliger, will ich gehorsam sein und von dir
mich lenken lassen wie ein Sohn."
66. (12 930.) Diese und andere glanzende Gaben verlieh ich
dem unermefslich kraftvollen Gott Brahman und zog mich
freudig in die Passivitat fnivrittij zuriick.
67. (12 931.) Denn als Ausloschung fnirvdnamj aller Pflich-
ten ist die Passivitat das Hochste, daher, wer sich der Pas-
sivitat ergibt, als ein durch und durch Beseligter fnirvrita)
dahinwandelt.
68. (12 932.) Als den mit dem Wissen erfiillten, in der
Sonne weilenden, gesammelten Kapila bezeichnen ihn die in
der Sahkhyalehre festen Meister,
69. (12 933.) als der heilige Hiranyagarbha wird er im Veda
gepriesen (vgl. (^vet. Up. 5,2). Ich bin es, der am Yoga sich
freut, 0 Brahmane, und der in den Yogalehrbiichern [als
Igvara] gefeiert wird.
70. (12934.) Ich bin es, der zur Entfaltung gelangt und
doch ewig im Himmel beharrt, der am Ende von tausend
Weltaltern die Welt wiederum in sich hereinraffen wird.
71. (12 935.) Und nachdem ich alle Wesen, die beweglichen
und unbeweglichen , in mein Selbst zuriickgenommen habe,
werde ich als der allein mit meinem Wissen Fortbestehende
die Welt wiederum ausbreiten.
72. (12 936.) Alsdann werde ich die ganze Welt wiederum
durch mein Wissen erschaffen. Was aber in mir die vierte
Gestalt [Vasudeva] ist, die schuf den unverganglichen ^esha,
73. (12 937.) denn er ist es, welcher Sahkarshana genannt
wird, und dieser erzeugte den Pradyumna, und aus Pradyumna
ging ich hervor als Aniruddha, immer wieder und wieder als
meine Schopfung.
74. (12 938.) Aus Aniruddha entspringt weiter Gott Brahman,
indem er aus dem in dessen Nabel wurzelnden Lotos hervor-
Adhy^ya 341 (B. 339). 777
tritt, aus Gott Brahman endlich entstehen alle Wesen, die
beweglichen und die unbeweglichen.
75. (12939.) Das, wisse, ist die Schopfung, welche immer
wieder und wieder zu Anfang eines Kalpa erfolgt, wie Auf-
gang und Untergang der Sonne im Himmelsraume.
76. (12 940.) Denn wenn die Zeit um ist, dann wird er,
der unermefslich Glanzende, durch seine Kraft, — dann werde
ich durch meine Kraft zum Heile aller Wesen die Erde,
77. (12 941.) die in alien ihren Teilen von Wesen erfiillte, die
ozeanumgiirtete, nachdem sie versunken war, wieder zu ihrer
Stelle emporwiihlen, indem ich die Gestalt des Ebers annehme.
78. (12 942.) Weiter werde ich den auf seine Kraft stolzen
Daityafiirsten Hiranyaksha toten, und wiederum werde ich,
die Gestalt eines Mannlowen annehmend, den Hiranyaka<?ipu,
79. (12 943.) den opferstorenden Ditisprofs, den Gottern
zuliehe zerreifsen. Ferner wird als Sohn des Virocana ein
grofser Damon, der gewaltige Bali,
80. (12944.) uniiberwindlich fiir alle Wei ten, Gotter, Da-
monen und Kobolde, gehoren werden, und dieser wird den
Qakra (Indra) vom Throne stiirzen.
81. (12 945.) Dann wird der Gatte der Qaci dariiber nieder-
geschlagen sein, dafs ihm die Dreiwelt von jenem geraubt
wurde; ich aber werde von Kagyapa in der Gottin Aditi als
zwolfter Aditya (Aditisohn) erzeugt werden.
82. (12 946.) Dann werde ich dem unermefslichen (^akra
sein Reich wiedergeben und auch die Gotter in ihre Stellungen
wieder einsetzen, o Narada;
83. (12 947.) den Bali aber werde ich zu einem Bewohner
der Unterwelt machen, ihn, den vorziiglichen Bali, den von
alien Gottern unbesiegbaren Danava.
84. (12 948.) Weiter werde ich im Tretazeitalter als ein
Sprofs der Familie des Bhrigu geboren werden als Rama
[Paragurama, Sohn des Jamadagni] und die Kshatriya's mit
ihren machtigen Heeren und Wagen ausrotten.
85. (12 949.) Sodann aber werde ich, wenn die Dammerungs-
zeit zwischen den Zeitaltern Treta und Dvapara eingetreten
sein wird, als der Weltherr Rama, der Sohn der Dagaratha,
geboren werden.
778 ni. Mokshadharma.
86. (12 950.) Dann werden Ekata und Dvita wegen derMifs-
handlung des Trita in einer Mifsgestalt als Affen wiedergeboren
worden sein, sie, die beiden Kishi's und Sohne des Prajapati,
87. (12 951.) und die von ihnen geborenen Nachkommen
werden als machtige, mannhafte, dem Qakra an Tapferkeit
gleiche Affen leben.
88. (12 952.) Diese werden in meinem Kampfe fiir die Gotter
meine Gehilfen sein, o Zwiegeborener ; dann werde ich den
furchtbaren Oberherrn der Kobolde, den Schandfleck der Fa-
milie des Pulastya,
89. (12 953.) den scheufslichen Ravana, diesen Dorn der
Welt, mit seiner ganzen Bande ausreifsen. Wenn dann weiter
die Dammerung zwischen dem Zeitalter Dvapara und Kali
zu Ende geht,
90. (12 954.) wird zur Vernichtung des Kansa meine Ge-
burt in Mathura stattfmden. Dort werde ich viele Danava's,
die ein Dorn fiir die Gotter waren, toten.
91. (12 955.) Dann werde ich KuQasthali als die Stadt
Dvaraka zu meinem Wohnsitze machen, und in dieser Stadt
wohnend, werde ich den Beleidiger der Aditi,
92. (12 956.) den erdgeborenen Naraka sowie auch Muru
und den Damonen Pitha toten, und ihre mit vielen Kostbar-
keiten angefiillte herrliche Stadt Pragjyotisham
93. (12 957.) nach Kugasthali verpflanzen, nachdem ich den
obersten Damon niedergeschlagen habe. Weiter werde ich
MaheQvara (C'iva) und Mahasena (Skanda), welche aus Wohl-
wollen fiir den Bana
94. (12 958.) sich gegen mich erhoben hatten, diese beiden
von aller Welt verehrten Gottheiten besiegen und dann den
tausendarmigen Bana, den Sohn des Bali, iiberwinden.
95. (12 959.) Darauf werde ich alle Bewohner von Saubha
[der Luftstadt] vernichten. Was ferner den beriihmten, mit
der Kraft des Garga [seines Vaters] ausgeriisteten Kalaya-
vana betrifft,
96. (12 960.) so wird auch dessen Vernichtung auf meine
Veranlassung erfolgen, o Bester der Zwiegeborenen. Ferner
wird da der machtige, viele Konige in Gefangenschaft haltende
Jarasandha,
Adhyaya 341 (B. 339). 779
97. (12961.) der Damon, als iibermiitiger Erdbeherrscher
in Girivraja wohnen, und durch den Anschlag meines Geistes
wird seine Totung [durch Bhima] erfolgen.
98. (12 9G2.) Auch werde ich den (^iqupala toten beim
Opfer des Dharmasohnes (Yudhishthira), bei dem alle mach-
tigen Konige der Erde versammelt sein werden.
99. (12 963.) Nur [Arjuna], der Sohn des Vasava (Indra),
allein wird mein trefflicher Heifer dabei sein, den Yudhishthira
aber mitsamt seinen Briidern werde ich in seiner Herrschaft
befestigen,
100. (12 964.) Dann werden die Leute sagen: die Helden
Nara und Narayana, die Gottherren, haben sich erhoben und
verderben die Kshatriya's zum Besten der "Welt!
101. (12 965.) Nachdem ich die Erde in erwiinschter Weise
von dieser Last befreit haben werde, werde ich iiber alle Vor-
nehmsten der Satvata's [der Leute des Krishna] und auch
iiber die Stadt Dvaraka, o Bester,
102. (12 966.) eine furchtbare Vernichtung hereinbrechen
lassen, indem ich mich in die Erkenntnis des Atman ver-
senke. So werde ich, nachdem ich als Trager der vier Ge-
stalten unermefsliche Taten
103. (12967.) vollbracht haben werde, in meine eigenen,
von Brahman bereiteten Welten eingehen, — Hansa [Schwan,
hier wohl Brahman als Erstgeborener der Schopfung, vgl.
oben, Adhy. 301, S. 587 fg.], o Bester der Zwiegeborenen,
Schildkrote, Fisch,
104. (12968.) Eber, Mannlowe, Zwerg und [Paragu-] Rama,
Rama, Sohn des Dagaratha, Satvatafiirst (Krishna) und Kalki
[sind meine Verkorperungen] —
105. (12 969.) eingehen, wenn die Vedaiiberlieferung ver-
loren und von mir wieder in mich zuriickgenommen sein
wird, wenn meine mitsamt den Veden und alien heiligen
Schriften vormals im Kritazeitalter erfolgten Verkorperungen
106. (12 970.) verschwunden sein und nur noch hier und
da in alten Erzahlungen erwahnt werden mogen, wenn jene
meine zahlreichen hochsten Verkorperungen verschwunden
107. (12971.) und, nachdem sie ihre Aufgabe in der Welt
erfiillt haben, wieder zu ihrem Ursprung zuriickgekehrt sein
780 ni. Mokshadharma.
werden. — Wahrlich, ein solches Schauen meiner Wesenfieit
ist nie einem Brahmanen zuteil geworden,
108. (12 972.) wie es dir heute gewahrt wurde, weil dein
Oeist nur auf mich allein gerichtet war. Dies ist dir alles
von mir erzahlt worden, o Brahmane, um deiner Liebe willen
zu mir,
109. (12973.) das Vergangene und Zukiinftige mit seinen
Geheimnissen, o Bester.
Bhishma sprach:
(12 974.) Nachdem der heilige, allgestaltige, ewige Gott in
dieser Weise
110. diese ganze Kede gesprochen hatte, verschwand er
ebendaselbst. (12975.) Der glanzvolle Narada aber, nach Er-
langung der ersehnten Gnade
111. eilte zur Einsiedelei Badari (oben, Vers 12659), um
den Nara und Narayana zu besuchen. (12 976.) Und diese
hochst geheimnisvolle, mit den vierVeden inEinklang stehende,
112. mittels Saiikhya-Yoga gemachte, von ihm Pan-
caratram benannte (12977.) und aus dem Munde des Narayana
ausgestromte Lehre verkiindigte Narada weiter
113. in der Wohnung des Gottes Brahman, o Freund,
entsprechend dem, was er geschaut und vernommen hatte.
Yudhishthira sprach:
(12978.) Diese wunderbare Herrlichkeit jenes Weisen [des
Gottes Narayana],
114. war diese dem Gotte Brahman unbekannt, so dafs
er sie erst von Narada horen mufste? (12979.) Der heihge Ur-
vater ist doch von jenem Gotte gar nicht verschieden,
115. wie soUte er da die Herrlichkeit des unermefsHch
Kraftigen nicht kennen?
Bhishma sprach:
(12 980.) Hunderte und Tausende von Weltperioden
116. sind schon verstrichen, o Fiirst der Konige, mit
ihren Schopfungen und Vernichtungen. (i2 98i.) Gott Brahman
ist es, welcher am Anfang der Schopfung die Erschaffung der
Geschopfe bewirkt.
Adhyaya 341 (B. 339). 781
117. Gewifs kennt er den Vorziiglichsten der Gotter,
o Konig, der, noch weit iiber ihn selbst erhaben, (12982.) der
hochste Atman, Gottherr und sein eigener Urheber ist.
118. Aber den anderen in der Brahmanwohnung ver-
sammelten Scharen der VoUendeten, (12983.) denen verkiindigte
Narada dieses mit dem Veda iibereinstimmende Puranam.
119. Von diesen im Geiste Bereiteten hat es Surya (der
Sonnengott) vernommen, (12934.) und dieser, o Konig, hat es
sodann seinen Anhangern mitgeteilt.
120. Denn den sechsundsechzigtausend im Geiste be-
reiteten Rishi's, (12 985.) welche als Begleiter des welterleuch-
tenden Surya erschaffen worden waren,
121. alien diesen Bereiteten hat es der Sonnengott mit-
geteilt. (12 986.) Und von diesen hochsinnigen, das Gefolge des
Surya bildenden Rishi's, o Freund,
122. wurde dieses AUerhochste den auf dem Meru ver-
sammelten Gottern vorgetragen. (12987.) Von den Gottern hat
es der Brahmane Asita vernommen,
123. und dieser beste Muni hat es unseren Vorfahren mit-
geteilt, (12988.) mir hat es mein Vater (^antanu mitgeteilt,
124. und ich, der ich es von ihm vernommen, habe es
dir erzahlt, 0 Bharata. (12989.) Alle Gotter aber oder Muni's,
welche dieses Paranam gehort haben,
125. alle diese verehren den hochsten Atman allerwarts.
(12 990.) Diese dem Veda gleichkommende Erzahlung, wie wir
sie, 0 Fiirst, durch Uberlieferung iiberkommen haben,
126. darfst du unter keinen Umstanden einem mitteilen,
der nicht dem Vasudeva ergeben ist. (12991.) Aus alien den
Hunderten von anderen Geschichten,
127. welche du von mir gehort hast, ist diese Geschichte
als Quintessenz herausgezogen worden. (12992.) Und wie von
Gottern und Damonen einstens das Amritam durch Quirlung
herausgeholt wurde,
128. so wurde das Amritam dieser Erzahlung einstmals
von Brahmanen herausgeholt. (12993.) Wer aber immerfort
diese Geschichte rezitiert oder anhort,
129. mit einziger Liebe [dem Narayana] ergeben, ge-
sammelt und in Gemeinschaft mit solchen, die ihm ergeben
782 ni. Mokshadharma.
sind, (12994.). der wird zu der grorsen weifsen Insel gelangen,
zu einem jener mondglanzenden Manner werden
130. und zu dem tausendstrahligen Gott eingehen, daran
ist kein Zweifel. (12995.) Der Leidende wird von seiner Krank-
heit befreit, wenn er diese Geschichte von Anfang an gehort hat,
131. der Wifsbegierige erlangt, was er wiinscht, und der
Fromme geht den Weg der Frommen. (12996.) Und auch du,
o Konig, mogest immer fort und fort den hochsten Purusha
preisen,
132. denn er ist Vater, Mutter und Lehrer der ganzen
Welt, (12 997.) ihm hange in Liebe an, dem brahmanhaften,
heiligen, ewigen Gotte,
133. dem hochweisen Heimsucher der Menschen, 0
Yudhishthira , du mit den grofsen Armen!
VaiQamp^yana sprach:
(12 998.) Nachdem der gerechte Fiirst (Yudhishthira), o Ja-
namejaya, diese vorziigliche Erzahlung gehort hatte,
134. da wurden er und seine Briider alle treue Anhanger
des Narayana (12999.) und sprachen, 0 Bharata: „Dieser heilige
Purusha hat den Sieg davongetragen ! "
135. Er aber, welcher, allezeit dem Murmeln ergeben
und die heilige Rede iibend, (isooo.) unser bester Lehrer ist,
der Weise Krishna Dvaipayana,
136. liefs die hochste Murmelung ertonen zum Lobe des
Narayana, (13001.) stieg ungesaumt aus dem Ather zu dem
Milchmeere, dem Behalter des Amritam, herab,
137. zollte dem Gottherrn seine Verehrung und begab
sich wieder zu seiner Einsiedelei.
Bhishma sprach:
(13002.) Alles dieses ist dir mitgeteilt worden, das von
Narada Ausgesprochene und von mir Wieder erzahlte,
138. wie es von Geschlecht zu Geschlecht iiberliefert und
von meinem Vater erzahlt worden ist.
Sauti sprach:
(13003.) Das alles habe ich euch erzahlt, wie es von Vai-
^ampayana vorgetragen wurde.
Adhyaya 341 (B. 339). 783
139. Janamejaya aber, als er es von ihm gehort hatte,
verfuhr ganz dieser Vorschrift gemafs. (13004.) Ihr aber alle,
ihr Askesereichen, Geliibdetreuen,
140. die ihr alle als vorziigliche Vedakenner den Nai-
mishawald bewohnt (i3005.) und als vorziigliche Brahmanen zu
dem grofsen Opferfeste -des Qaunaka euch versammelt habt,
141. ihr sollt mit euren wohlausgefiihrten Opfern den
ewigen, hochsten Herrn verehren. (i3 006.) Dies von Geschlecht
zu Geschlecht Uberlieferte ist mir von dem Vater [Vai<?am-
payana] vordem erzahlt worden.
So lautet im Mokshadbarma die G-eschichte vom Nar^yana
(Ndrdyaniyam).
Adhyaya 343 (B. 340).
Vers 13007-13128 (B. 1-119).
^aunaka sprach:
1. (13007.) Wie kommt es, dafs jener heilige Gott [Na-
rayana], der doch bei den Opfern als Herr den ersten Anteil
nimmt, der bestandig das Opfer aufrecht halt und Veda's
nebst Vedanga's kennt,
2. (13008.) dafs dieser Herr der Bhagavata's zugleich voll
Geduld der Satzung der Passivitat (nivrittij huldigte und
selbst die Satzungen der Passivitat vorgeschrieben hat, er,
der heilige Herr?
3. (13009.) Und wie konnte er die Gotter darin bestarken,
als des Opferanteils wiirdige bei den Satzungen der Aktivitat
fpravrittij zu verharren, wahrend er andere veranlafst, mit
weltabgekehrtem Sinne der Passivitat zu huldigen?
4. (13 010.) Diesen tiefgreifenden bestandigen Z weifel mogest
du uns, o Sauti, losen, denn von dir sind ja die auf die
Satzungen bezuglichen Narayana - Geschichten vernommen
worden.
Sauti sprach:
5. (13011.) Ich will dir, o Bester der (^aunaka's, erzahlen,
woriiber ehedem [Vaigampayana] der Schiller des weisen
Vyasa vom Konige Janamejaya befragt wurde.
784 in. Mokshadharma.
6. (13012.) Nachdem er von der Herrlichkeit des in den
Verkorperten weilenden hochsten Atman vernommen hatte,
sprach der sehr verstandige Janamejaya zu Vaigampayana.
Janamejaya sprach :
7. (13013.) Alle Wei ten mit Gott Brahman, Gottern, Da-
monen und Menschen hangen offenbar allenthalben an den
Opferwerken, well sie Gliick versprechen.
8. (13014.) 0 Brahmane, du hast erklart, dafs die Eriosung
als ein Erioschen (nirvdnam) die hochste Sehgkeit sei, und
wir haben gehort, dafs diejenigen, welche hienieden erlost
und von Gutem und Bosem frei geworden sind,
9. (13015.) zu dem tausendstrahhgen Gotte schon hienieden
eingehen werden. Das ist die ewige, schwer zu befolgende
Erlosungssatzung,
10. (13 016.) und diese ist von den Gottern verlassen worden,
um Gotter- und Manenopfer zu geniefsen. Wie ist es aber
moghch, dafs Brahman, Rudra und der balatotende, mach-
tige Qakra,
11. (13017.) dafs der Sonnengott, der Sternenherr, Vayu,
Agni und Varuna, der Ather und die beiden Welten und alle
iibrigen Himmelsbewohner
12. (13018.) nicht die ihnen bevorstehende Vernichtung
voraussehen und daher nicht den festen, unverganglichen,
ewigen Weg [der Eriosung] betreten,
13. (13 019.) sondern innerhalb der durch das Gesetz eng
gezogenen Zeitschranken der Aktivitat frohnen? Grofs ist in
der Tat bei der Beschranktheit der Zeit der Irrtum derer,
welche den Werken huldigen.
14. (13020.) Diesen Zweifel, o Brahmane, der mir wie
ein Stachel im Herzen sitzt, lose mir durch Mitteilung der
Erzahlungen dariiber, denn ich trage danach grofses Ver-
langen.
15. (13021.) Wie konnen, o Zwiegeborener, die Gotter bei
den Opfern als Nehmer eines Anteils gel ten, und welchen
Zweck hat es, dafs die Bewohner der drei Himmel, o Brah-
mane, bei der heiligen Feier verehrt werden?
Adhy^ya 342 (B. 340). 785
16. (13022.) Und sie [die Goiter], die bei den Opfern ihren
Anteil dahinnehmen, o Bester der Zwiegeborenen, wenn diese
grofse Opfer darbringen, wem geben denn sie einen Anteil
daran ?
Vaigarapayana sprach :
17. (13023.) Ei! das ist eine geheimnisvolle Sache, nach
der du mich fragst, o Mannerfiirst , und keinem, der nicht
Askese geiibt, den Veda studiert hat
18. (13024.) und mit den Purana's bekannt ist, kann sie
ohne weiteres mitgeteilt werden. Wohlan denn, ich will dir
erzahlen, welche Frage ich einst meinem Lehrer vorlegte,
19. (13 025.) dem grofsen Weisen Krishna Dvaipayana, dem
Vyasa, der auch Vedavyasa (Vedaordner) genannt wird. Da
waren namlich Sumantu, Jaimini, der geliibdefeste Paila,
20. (13026.) dazu ich als vierter Schuler und zu fiinft
Quka (oben. Vers 12337 fg.). Allen diesen um ihn gescharten
fiinf Schiilern, die bezahmt,
21. (13027.) von reinem Wandel, des Zornes und der Sinne
Meister waren, lehrte er die [vier] Veden und das Mahabha-
ratam als fiinften [vgl. Chand. Up. 7,1,4].
22. (13 028.) Als diese auf dem lieblichen, von Vollendeten
und himmlischen Sangern bewohnten vortrefflichen Berg Meru
den Veda trieben, entstand bei ihnen einstmals ein Zweifel.
23. (13029.) Es war derselbe, wegen dessen du fragst, der
von Vyasa mit seinen Schiilern besprochen wurde; auch ich
horte ihn das dariiber sagen, was ich dir heute mitteilen
werde, 0 Bharata.
24. (13030.) Damals an twortete auf die Rede seiner Schuler
der alle Verdunkelung des Wissens verscheuchende Sohn des
Paragara, der gliickselige Vyasa, folgendermafsen :
25. (13031.) Grofse, furchtbare Askese ist von mir geiibt
worden, um das Vergangene, Gegenwartige und Zukiinftige
zu erkennen, o ihr Besten.
26. (13032.) Als ich diese Askese geiibt und meine Sinne
iiberwunden hatte, wurde mir durch die Gnade des Narayana
am Gestade des Milchmeeres
27. (13033.) dieses die drei Zeiten umfassende Wissen
offenbart, nach dem ich Verlangen getragen hatte. Das hort
Deubsek, Mahd,bh^Tatani. 50
786 in. Mokshadharma.
von mir, ich will euren grofsen Zweifel aufklaren, wie es
sich geziemt.
28. (13034.) Denn mit dem Auge der Erkenntnis habe ich
es geschaut, wie es sich am Anfange der gegenwartigen
Weltperiode begeben hat. Er, den die Kenner des Sankhyam
und Yoga als den hochsten Atman bezeichnen,
29. (13035.) der legt sich auf Grund seiner Taten den
Namen des hochsten Purusha bei. Von ihm wurde das Un-
entfaltete erzeugt, welches die Weisen als das Pradhanam
(die Prakriti) kennen,
30. (13036.) Aus dem Unentfalteten ist auf Veranlassung
des t(?vara zum Zwecke der Weltschopfung das Entfaltete
hervorgegangen, namlich Aniruddha, welcher in der Welt be-
kannt ist als der Mahan Atma (das grofse Selbst).
31. (13037.) Dieser, indem er, in eine [weitere] Entfaltung
eingehend, den Urvater schuf, wird [als solcher] der Ahan-
kara genannt, denn dieser ist mit alien Kraften ausgestattet.
32. (13038.) Aus dem Ahaiikara sind fiinffach die grofsen
Elemente, Erde, Wind, Ather, Wasser und Feuer als fiinftes
hervorgegangen.
33. (13039.) Und nachdem er die grofsen Elemente hervor-
gebracht hatte, schuf er weiter die entsprechenden Guna's
[die Vigesha's, ihre spezifischen Qualitaten]; zugleich aber
gingen aus den Elementen hervor gestalthafte Wesenheiten,
hore, welche es sind:
34. (13040.) Marici, Angiras, Atri, Pulastya, Pulaha, Kratu,
der hochsinnige Vasishtha und Manu Svayambhuva.
35. (13041.) Diese sind zu wissen als acht schopferische
Wesenheiten, in welchen die Welten begriindet sind. Als
mit Veda und Vedahga ausgeriistet, als mit Opfer und Opfer-
zubehor versehen,
36. (13042.) hat sie zum Heile der Welt der Urvater der
Welt, Brahman, erschaffen. Aus diesen acht schopferischen
Wesenheiten ist die ganze Welt des Lebenden hier ent-
standen.
37. (13043.) Der aus Zorn geborene Rudra schuf zehn
weitere aus sich selbst; diese elf Rudra's gelten als erschaffene
Geister fpurushdhj.
Adhy^ya 342 (B. 340). 787
38. (13044.) Diese Rudra's sowie die Prakriti [die acht
schopferischen Wesenheiten] und alle Gotterweisen, nachdem
sie entstanden waren, wandten sich um des Heiles der Welt
willen an Gott Brahman [mit den Worten] :
39. (13045.) 0 Heiliger, erschaffen sind wir, und zwar von
dir, dem Ubermachtigen, aber mit welchem Amte hat sich
jeder von uns zu befassen, o Urvater?
40. (13046.) Wie ist das Amt, welches von dir als be-
stimmten Zwecken dienendes anvertraut worden ist, von dem
Betreffenden als einem mit Personlichkeit fahanMraJ ausge-
statteten Tater zu verwalten?
41. (13047.) Bezeichne die Funktionen desjenigen, der den
Zweck des Amtes zu versorgen hat. — Auf diese Worte der
Gotter erwiderte ihnen folgendes der grofse Gott.
Gott Brahman sprach:
42. (13048.) Mit Recht, ihr Gotter, bin ich von euch er-
innert worden, Heil sei euch ! Auch mich hat schon die Sorge
beschaftigt, welche euch bewegt.
43. (13049.) Wie lafst sich die Versorgung der ganzenDrei-
welt bewerkstelligen ? Wie machen wirs, dafs keine Er-
schopfung der Kraft auf eurer oder meiner Seite eintritt?
44. (13050.) Darum wollen wir alle unsere Zuflucht nehmen
zu dem grofsen Purusha, dem Unentfalteten, dem Weltauge ;
der wird uns sagen, was das Rechte ist.
45. (13051.) Darauf gingen die weisen Rishi's zusammen
mit dem Gotte Brahman zu dem nordlichen Ufer des Milch-
meeres in Sorge um das Heil der Welt.
46. (13052.) Dort betrieben sie die von Gott Brahman
empfohlene und im Veda angeordnete Askese, es war jene
furchtbarste der Selbstpeinigungen, welche Mahaniyama (die
grofse Selbstzucht) heifst.
47. (13 053.) Emporgerichtet waren Blick und Arme, auf
einen Punkt des Manas konzentriert, auf einem Fufse standen
alle, unbeweglich wie Holzstiicke, in Meditation versunken.
48. (13054.) Nachdem sie so ein Tausend gottlicher Jahre
furchtbare Askese geiibt hatten, da vernahmen sie eine lieb-
liche, mit Worten des Veda und Vedanga gezierte Stimme.
50*
788 in. Mokshadharma.
Der Heilige sprach :
49. (13055.) "Wohlan denn, Brahman und ihr anderen Gotter
und ihr askesereichen Rishi's, euch alien entbiete ich meinen
Willkommensgrufs und kiinde euch das hochste Wort.
50. (13 056.) Bekannt ist euch mein Zweck, er ist das
grofse Heil der Welt, durch die Aktivitat [des Opferns] mufs
die Starkung eurer Lebenskrafte gewirkt werden.
51. (13057.) Ihr habt, o Gotter, um mich giinstig zu stimmen,
grofse Askese geiibt, und ihr sollt die hochste Frucht dieser
Askese geniefsen, o ihr Hochwiirdigen.
52. (13 058.) Hier der Gott Brahman, der Lehrer der Welt,
der grofse Urvater der Welten, und ihr, o ihr hochsten Weisen,
sollt mich mit Opfern in Hingebung verehren.
53. (13059.) Und bei diesen Opfern sollt ihr allezeit An-
teile fiir mich bereitstellen, dann werde ich euch Gelingen
verleihen in euren Am tern, o ihr Gottherren.
Vaigampayana sprach:
54. (13060.) Als sie dieses Wort des Gottes der Gotter ver-
nommen batten, da straubten sich ihre Haare vor Freude,
und alle die weisen Gotter nebst Gott Brahman und den
grofsen Rishi's
55. (13061.) veranstalteten auf die im Veda gebotene Weise
dem Vishnu ein Opfer. Bei diesem Opferfeste war Gott Brah-
man selbst bestandig damit beschaftigt, ihm einen Opferanteil
darzubieten,
56. (13062.) und alle Gotter und Gotter -Rishi's boten ein
jeder seinen Anteil dar, und entsprechend den Gesetzen des
Kritazeitalters waren diese Anteile von hochster Vortreff-
lichkeit.
57. (13063.) Und sie verehrten den sonnenfarbigen, finsternis-
jenseitigen Purusha als den grofsen, allgegenwartigen Gott,
den machtigen, gabenspendenden Herrn.
58. (13064.) Da sprach der gabenspendende Gott, der in
sich selbst ruhende Mahegvara, zu alien diesen vor ihm stehen-
den Unsterblichen mit korperloser Stimme folgendes Wort:
59. (13065.) Der Anteil, wie ihn jeder von euch darbrachte.
Adhy&ya 342 (B. 340). 789
ist zu mir gelangt, ich bin zufrieden und verleihe euch hier-
mit als Frucht, dafs es an euch vergolten werde.
60. (13066.) Und dieses ist die Vergeltung, die euch durch
meine Gnade zuteil werden soil: nicht nur ihr selbst sollt
durch Opfer, die von vollkommenen, vortrefflichen Dakshina's
begleitet sind, als Veranstalter von Opfern
61. (13 067.) von Wei taker zu Weltalter die Frucht eurer
Aktivitat genielsen, sondern die, welche in alien Welten Opfer
darbringen werden, ihr Gotter,
62. (13068.) alle diese Menschen werden euch die im Veda
angeordneten Opferanteile darbringen. Jeder, der mir bei die-
sem grofsen Opferfeste einen Anteil irgendwie dargebracht hat,
63. (13069.) der soil dementsprechend in dem Opferleitfaden
des Veda fvcdasidrej als eines Opferanteils wiirdig von mir
erklart werden. Ihr sollt die Welten gedeihen machen, indem
ihr euren Opferanteil als Frucht wohlgefallig entgegennehmt
64. (13,070.) und dafiir alle diejenigen Zwecke in der Welt
besorgt, zu denen ihr geschaffen und berufen seid. Alle unter-
nommenen Werke aber, welche eine Frucht der Aktivitat im
Gefolge haben,
65. (13071.) die sollen cure Kraft starken, damit ihr im-
stande seid, die Welten zu erhalten. Denn ihr sollt durch die
Opfer der Menschen bei alien Darbringungen geehrt werden
66. (13072.) und dafiir wiederum mich ehren, das ist die
Ehrung, die mir von euch gebiihrt. Zu diesem Zwecke sind
die Veden geschaffen worden und die Opfer mitsamt den
Opferkrautern ;
67. (13073.) durch diese, wenn sie richtig angewendet
werden, werden die Gotter auf Erden erfreut. Diese eure
Erschaffung ist als eine mit der Eigenschaft der Aktivitat
ausgestattete
68. (13074.) von mir bewerkstelligt worden, o beste Gotter,
und soil bis zum Ende der Weltperiode Bestand haben. Darum,
ihr Gottherren, besorgt euren Aufgaben entsprechend das Heil
der Welt.
69. (13075.) Marici, Angiras, Atri, Pulastya, Pulaha, Kratu
und Vasishtha, diese sieben sind als geistige [Sohne von Gott
Brahman, oben Vers 13042] erschaffen worden.
790 in. Mokshadharma.
70. (13 076.) Diese als beste Vedakenner und Vedalehrer
Geschaffenen sind zu Schopferherren eingesetzt worden um
der Satzung der Aktivitat willen;
71. (13077.) sie ist als der ewige Weg fiir die Werkfrommen
ojffenbart worden. Der Herr, welcher die Welt geschaffen
hat, heifst Aniruddha.
72. (13 078.) Hingegen Sana, Sanatsujata, Sanaka, Sanan-
dana, Sanatkumara, Kapila und Sanatana als siebenter,
73. (13079.) welche geistige Sohne des Gottes Brahman
heifsen, haben kraft des von ihnen selbst errungenen "Wissens
die Satzung der Passivitat sich zu eigen gemacht.
74. (13080.) Diese vorziiglichenYogakenner und der Saiikhya-
wissenschaft Kundige haben als Lehrer in den Gesetzbiichern
die Satzung der Erlosung verbreitet.
75. (13 081.) Derjenige, aus welchem, als dem Unentfalteten,
ich als der dreigunahafte Mahan vormals hervorgegangen bin,
der hat noch einen Hohern iiber sich, der mit dem Namen
Kshetrajna bezeichnet wird (vgl. oben. Vers i3035fg.).
76. (13082.) Ich aber bin der Weg der Werkfrommen,
welcher die Wiederkehr [zum Erdendasein] als schlimme Folge
nach sich zieht fpunardvritti-durlahliahj , denn jeder Mensch,
welcher sich je nach seiner Naturbeschaffenheit diesem oder
jenem hingibt,
77. (13083.) sei es der Aktivitat oder der Passivitat, er-
langt die entsprechende grofse Frucht. Der Gott Brahman
hier, der Lehrer der Welt und machtige Urheber alles
Lebenden,
78. (13084.) er, der euch Vater, Mutter und Grofsvater ist,
wird von mir belehrt werden, er, der Gabenspender aller
Wesen.
79. (13 085.) Und sein leiblicher Sohn Rudra, der aus seiner
Stirn entsprungen ist, wird wieder von Gott Brahman belehrt
werden, er, der machtige Trager aller Wesen.
80. (13086.) Und nun geht an eure Geschafte und besorgt
sie, wie es sich gehort; mogen alsbald die Werke in alien
Wei ten gedeihen.
81. (13087.) Mogen von euch die Werke und die Wege
Adhyaya 342 (B. 340). 791
der Lebenden vorgezeichnet werden, sowie ihre der Zeit nach
bestimmten Lebenslangen hienieden, o ihr besten Gotter!
82. (13088.) Das gegenwartige , Kritam genannte Zeitalter
ist als die beste Zeit angebrochen; in diesem Zeitalter diirfen
beim Opfer keine Tiere getotet werden, nicht ist es anders.
83. (13089.) In ihm wird die Gerechtigkeit vierfiifsig sein,
o ihr Gotter [vgl. oben, S. 334 fg.]. Dann folgt das Zeit-
alter Treta, in welchem die dreifache Wissenschaft (der drei
Veden) gelten wird.
84. (13090.) In diesem Zeitalter werden die Tiere beim
Opfer geweiht und getotet werden, und der vierte Fufs der
Gerechtigkeit wird nicht mehr vorhanden sein.
85. (13091.) Dann wird ein gemischtes Zeitalter mit Namen
Dvapara folgen, in welchem der Gerechtigkeit zwei Fiifse
entzogen sein werden.
86. (13092.) Wenn dann weiter das Zeitalter Tishya unter
dem Vortritte des Kali gekommen sein wird, dann wird die
Gerechtigkeit, auf einem Fufse stehend, nur hier und dort
noch zu fmden sein. —
87. (13093.) Da sprachen zu dem so redenden Meister die
Gotter und Gotterweisen : Wenn die Gerechtigkeit, auf einem
Fufse stehend, nur hier und dort noch zu finden sein wird,
88. (13094.) wie soUen wir uns dann verhalten? 0 Heiliger,
das sage uns.
Der Heilige sprach:
(13095.) Wo die Veden, Opfer, Askese, Wahrheit, Be-
zahmung
89. und Nicht-Totung mitsamt der Gerechtigkeit in Ehren
stehen werden, o ihr besten Gotter, (i3096.) das ist das Land,
in dem ihr weilen sollt, dann wird euch die Ungerechtigkeit
auch nicht im geringsten beriihren.
Vy§isa sprach:
90. (13097.) Als die Gotter und die Scharen der Weisen
in dieser Art von dem Heiligen belehrt worden waren, zollten
sie dem Heiligen ihre Verehrung und gingen, wohin es
ihnen gefiel.
91. (13 098.) Nachdem die Bewohner der drei Himmel ge-
792 III. Moksbadharma.
gangen waren, verweilte Gott Brahman allein noch, um den
Heiligen zu schauen, welcher in der Erscheinungsform des
Aniruddha dastand.
92. (13099.) Da liefs sich der Gott vor ihm sehen, indem
er als das grofse Rofshaupt erschien, Veda und Vedanga's
rezitierend, den Wasserkrug und Dreistab [des Asketen]
tragend.
93. (13100.) Nachdem dem Gotte Brahman, dem machtigen
Schopfer der Welt, der unermefshche, gewaltige Gott in Ge-
stalt des Kofshauptes zum Heile der Welt erschienen war,
94. (13101.) verneigte sich Brahman vor dem Gabenspender
mit dem Haupte und blieb vor ihm mit zusammengelegten
Handen stehen, und nachdem er den Heiligen umarmt hatte,
vernahm er von ihm das folgende Wort.
Der Heilige sprach:
95. (13102.) Uberdenke nach der Vorschrift den ganzen
Gang der Weltaufgaben, du bist ja der Schopfer aller Wesen,
der Herr und Lehrer der Welt.
96. (13103.) Nachdem ich die Last der Welt auf dich ge-
legt habe, werde ich ihres Bestehens ohne Schwierigkeit sicher
sein. Und sollte, o Gott, die Aufgabe dir einmal zu schwer
werden,
97. (13104.) dann werde ich erscheinen und die Erkenntnis
des Atman lehren. — So sprach der Rofshaupttragende und
verschwand.
98. (13105.) Und auch Gott Brahman, von ihm belehrt,
kehrte alsbald in seine Welt zurtick. Daher kommt es, o Hoch-
begliickter, dafs der Ewige, Lotosnablige (Vishnu)
99. (13106.) als Erstgeniefser bei den Opfern und als Trager
der Opfer fiir alle Zukunft gilt. Obgleich er der Satzung
der Passivitat als dem Wege der das unvergangliche Gesetz
Befolgenden zugetan ist, (i3i07.) hat er doch die Satzungen der
Aktivitat verordnet, als er die Mannigfaltigkeit der Dinge schuf.
100.* (13108.) Er ist Anfang, Mitte und Ende der Wesen,
er ist Schopfer und Schopfung, ist Wirker und Wirkung;
* Metrum: Bhujangaprayatam.
Adhyaya 342 (B. 340). 793
am Ende der Weltalter schlaft er ein und vernichtet die
Welten, am Anfang der Weltalter erwacht er und schafft
die Welten wieder.
101. (13109.) Ihm zollt Verehrung, dem Gotte, dem guna-
losen, hochsinnigen, ungeborenen, allgestaltigen, der aller
Himmlischen Wohnstatt ist,
102. (13110.) dem Oberherrn der grofsen Elemente, dem
Herrn der Rudra's, Aditya's, Vasu's,
103. (13111.) Agvins, Marut's, dem Oberherrn der Veden
und Opfer und Herrn der Vedaiiga's,
104. (13112.) dem allezeit Ozeanbewohnenden, dem Hari,
dem Munjagrashaarigen, dem Beruhigten, dem die Erlosungs-
satzungen fiir alle Wesen Verkiindenden,
105. (13113.) dem Herrn der Askesen, Krafte und Herr-
lichkeiten, dem ewigen Herrn der Reden und der Fliisse,
106. (13114.) dem Muschelhaarigen, dem Eber, dem Ein-
horn, dem Einsichtsvollen, dem Leuchtenden, dem Rofshaupte,
dem Viergestaltigen immerdar,
107. (13115.) dem Verborgenen, durch Erkenntnis zu Schauen-
den, dem Unverganglichen und Verganglichen. Er, der Gott,
waltet allgegenwartig, ewig,
108. (13 iiG.) er ist jenes hochste Brahman, durch der Er-
kenntnis Auge anzuschauen, und so habe ich es einstens mit
dem Auge der Erkenntnis geschaut
109. (13117.) und euch auf eure Frage der Wahrheit ge-
mafs alles berichtet. 0 ihr Schiiler, handelt nach meinen
Worten, verehrt Hari, den Herrn, (i3ii8.) besingt ihn in Veda-
tonen und huldigt ihm, wie sich's gebiihrt.
VaiQampayana sprach:
110. (13119.) So sprach der weise Vedavyasa zu uns,
seinen Schiilern alien, und zu seinem der hochsten Pflichten
kundigen Sohne Quka.
111. (13120.) Und er, unser Lehrer, im Vereine mit uns,
o Volkerherr, pries Ihn mit Versen, die aus alien vier Veden
geschopft waren.
112. (13121.) Damit habe ich dir alles erklart, woriiber
du mich befragt hast und wie es mir, o Konig fJaname-
794 in. Mokshadharma.
jaya], vordem mein Lehrer Dvaipayana (Vyasa) mitge-
teilt hat.
113. (13122.) Wer nun diese Rede immerfort anhort und
wer sie weiterverkiindigt, dem Heiligen Verehrung zollt und
gesammelten Geistes ist,
114. (13123.) der wirdgesund, verstandig, stark und schon;
ist er leidend, so wird er von seiner Krankheit befreit, ist
er gebunden, von seinen Banden.
115. (13124.) Wer Wiinsche hegt, wird sie erlangen und
ein hohes Alter erreichen; als Brahmane wird er ein Kenner
aller Veden, als Kshatriya siegreich sein,
116. (13125.) als Vaigya zu grofsem Reichtum gelangen,
als Qudra wird er gliicklich leben; der Sohnlose wird einen
Sohn, die Jungfrau den gewiinschten Gatten erhalten.
117. (13126.) Die Kreifsende wird befreit werden, die
Schwangere einen Sohn gebaren, die Unfruchtbare wird Nach-
kommenschaft haben, gedeihlich in Kindern und Enkeln.
118. (13127.) In Frieden wird seine Strafse ziehen, wer
dieses hier unterwegs hersagt, und jeder Wunsch, den er
hegen mag, der wird sich sicherlich erfiillen.
119. (13128.) Wer diese klare, dem grofsen Rishi von
dem hochsinnigen, hochsten Purusha offenbarte Rede und
jene Zusammenkunft der Rishi' s und Himmelsbewohner
mit frommem Sinne vernimmt, der wird zu grofsem
Gliicke gelangen.
So lautet im Mokshadharma die Geschichte vom N4r^yana
(Ndrdyaniyam).
Adhyaya 343 (B. 341).
Vers 13129-13187 (B. 1-59).
Janamejaya sprach :
1. (13129.) Die Bedeutung der verschiedenen Namen, mit
welchen Vyasa und seine Schiller jenen Madhutoter gepriesen
haben, die mogest du mir, o Heiliger,
2. (13130.) dem Horbegierigen erklaren, die Namen des
Adhyaya 343 (B. 341). 795
Schopferherrn Hari, welche gehort habend ich rein von
Flecken sein werde wie der Mond im Herbste.
Vai^ampayana sprach :
3. (13131.) Vernimm, o Konig, wie Hari, der Herr, mit
gnadigem Geiste dem Phalguna (Arjuna) die auf seinen Eigen-
schaften und Taten beruhende Bedeutung seiner Namen
erklarte.
4. (13132.) Uber die beriihmten Namen des hochsinnigen
Kegava (Krishna) befragte, o Konig, den Kegava der feind-
liche Helden totende Phalguna.
Arjuna sprach:
5. (13133.) 0 Heihger, Herr des Vergangenen und Kiinf-
tigen, ewiger Schopfer aller Wesen, Heimstatt der Welt und
Herr der Lebenden, der du alien Wesen Frieden schenkst,
6. (13134.) jene deine Namen, welche erwahnt werden
von grofsen Weisen in den Veden und Parana's, und die
wegen deiner Werke dir beigelegten Geheimnamen,
7. (13135.) deren Bedeutung mochte ich von dir, o Kegava,
vernehmen, denn kein anderer als du, o Herr, diirfte imstande
sein, die Bedeutung dieser Namen darzulegen.
Der Heilige sprach:
8. (13136.) Im Rigveda und Yajurveda, in den Atharva-
hymnen und Samanliedern, in dem Puranam [= Brahmanam]
nebst angehangter Upanishad und im Jyotisham (Vedakalender),
o Arjuna,
9. (13137.) im Sahkhyam und im Yogakanon, sowie im
Ayurveda (der vedischen Heilkunde) werden von den grofsen
Rishi's viele meiner Namen erwahnt.
10. (13 138.) Einige dieser Namen beziehen sich auf meine
Eigenschaften , andere auf meine Taten; die Erklarung der
auf meine Taten beziiglichen vernimm mit Aufmerksamkeit,
o Untadliger,
11. (13139.) wie ich sie dir mitteilen werde, o Freund, denn
von jeher giltst du als mein zweites Ich. Verehrung sei jenem
Uberherrlichen, dem hochsten Selbste aller Verkorperten,
796 HI. Mokshadharma.
12. (13140.) dem Narayana, dem Allseienden, dem Guna-
losen und Gunahaften, aus dessen Gnade Gott Brahman, aus
dessen Zorn Rudra entsprossen ist,
13. (13141.) Er, der der Mutterschofs alles Seienden, des
Unbeweglichen und Beweglichen ist, jenes mit achtzehn Vor-
ziigen Ausgestattete, — das ist das Sattvam [die wahre
Realitat], o Bester der Sattvahaften.
14. (13142.) Er ist meine hochste Urnatur, welche durch
den Yoga beide Wei ten tragt, die gerechte, wahre, unsterb-
liche, uniiberwindhche, welche der Atman der Welten heifst.
15. (13143.) Aus ihm gehen alle Umwandlungen der
Schopfung und des Verganges hervor, aus ihm Askese, Opfer,
Opferer, der alte Purusha und die Viraj,
16. (13144.) er heifst Aniruddha, ist Ursprung und Ver-
gang der Welt. Als die Nacht des Brahman zu Ende ging,
da ist durch dieses unermefslich Kraftvollen
17. (13145.) Gnade hervorgegangen , o Lotosaugiger, eine
Lotosblume, und aus dieser, durch seine Gnade geboren, ent-
stand jener Gott Brahman.
18. (13146.) Und ebenso ist, als der Tag [des Brahman]
sich zum Ende neigte, aus der Stirn jenes in Zorn geratenen
Gottes ein Sohn hervorgegangen, Rudra, der Zerstorer
der Welt.
19. (13147.) Diese beiden besten Gotter, wie sie aus der
Gnade und dem Zorn entstanden sind, bewirken auf dem von
ihm [Aniruddha] gewiesenen Wege die Schopfung und Ver-
nichtung der Welt,
20. (13148.) aber dabei sind sie, welche alien Lebenden
ihre Gaben verleihen, ein blofses Werkzeug [des Aniruddha].
Muschelhaarig, flechtentragend, kahlkopfig, auf Leichenstatten
hausend
21. (13149.) und scharfe Geliibde befolgend, ist Rudra, ein
Yogin von furchtbarer Strenge, der Zerstorer von Daksha's
Opfer, der Blender von Bhaga's Augen,
22. (13150.) als identisch mit dem Narayana zu wissen,
von Weltalter zu Weltalter, o Pandusprofs, und wenn er, der
Gottergott Mahegvara, verehrt wird,
23. (13151.) so wird damit, o Prithasohn, zugleich der
Adhj-aya 343 (B. 341). 797
machtige Gott Narayana verehrt. Denn ich bin das Selbst
aller Welten, o Pandusprofs,
24. (13152.) darum verehre ich als erster den Rudra als
mein eigenes Selbst. Denn wiirde ich nicht den Herrn, den
gabenspendenden Qiva ehren,
25. (13153.) so wiirde keiner mein Selbst ehren, das ist
meine Meinung, der ich geehrten Selbstes bin. Nach dem
von mir aufgestellten Vorbilde richtet sich die Welt;
26. (13154.) die Vorbilder sind ja in Ehren zu halten.
Darum verehre ich ihn; wer ihn erkennt, der erkennt mich,
wer ihm nachfolgt, folgt mir nach.
27. (13155.) Rudra und Narayana als ein Wesen in zwei
Formen wandeln, o Kuntisohn, in der Welt, indem sie in
alien Werken zur Offenbarung kommen.
28. (13156.) Keiner kann mir etwas schenken, o Liebling
der Pandava's; obgleich ich so in meinem Geiste denke, habe
ich doch den Rudra, den Herrn, den alten,
29. (13157.) als Sohn mir gefallen lassen, weil ich damit
nur mein Selbst durch mein Selbst entgegennahm. Vishnu
beugt sich vor keinem Wesen, auch vor keinem Gotte,
30. (13158.) aufser vor sich selbst, darum kann ich vor
dem Rudra mich beugen. Alle Gotter, auch Brahman, Rudra
und Indra, alle Rishi's
31. (13159.) verehren den Besten der Gotter, den Gott Hari
Narayana. Als alles Zukiinftigen, Gegenwartigen und Ver-
gangenen
32. (13160.) hochster Lenker, o Bharata, ist Vishnu immer-
dar zu preisen und zu verehren. Verehre den Vishnu, der
die Opfergabe verleiht, der Schutz verleiht; Verehrung ihm!
33. (13161.) Verehre, o Kuntisohn, den Gabenspender, den
Geniefser des Gotter- und Manenopfers, Verehrung ihm ! Vier
Arten meiner Verehrer gibt es, das ist mir bekannt.
34. (13162.) Die Besten unter ihnen sind die, welche mir
allein und keinem andern Gotte dienen; fiir diese, welche die
Opferwerke ohne Wiinsche vollbringen, bin ich die Zuflucht.
35. (13163.) Aber die iibrigen drei Arten meiner Ver-
ehrer sind nach Lohn begehrend; diese alle verfehlen das
Rechte, und nur der Erweckte hat das beste Teil erwahlt
798 in. Mokshadharma.
36. (13164.) Aber auch diejenigen, welche dem Gott Brah-
man, dem Qitikantha (Blauhals, Qiva) und den iibrigen Gottern
in einem solchen erweckten Wandel anhangen, werden zu
mir eingehen, der ich das Hochste bin.
37. (13165.) Damit, o Prithasohn, habe ich dir den Unter-
schied in der Art meiner Verehrung dargelegt. — Du und
ich, o Kuntisohn, wir sind als Nara und Narayana bekannt,
38. (13166.) und wir haben nur menschhche Gestalt an-
genommen, um die Welt zu entlasten. Ich kenne die Ver-
tiefung in das eigene Selbst, ich weifs, wer ich bin und
warum ich so heifse, o Bharata.
39. (13167.) Als die Satzung der Passivitat und als die
[entgegengesetzte] zum Gliick fiihrende heifse ich [Ndt'dyana]
der Menschen Weg fnardndm ayanamj.
40. (13168.) Die Wasser werden genannt ndrdh, denn die
Wasser sind Kinder des Nara ; weil sie einst mein Aufenthalt
waren, darum heifse ich Narayana (vgl. Manu I, 10).
41. (13169.) Nachdem ich entstanden bin, iiberdecke ich
die ganze Welt wie die Sonne mit ihren Strahlen und werde
darum als die Wohnstatte (adhivdsaj aller Wesen Vdsudeva
genannt.
42. (13170.) Als das Endziel aller Wesen und ihr Ursprung,
o Bharata, und weil mein iiberragender Glanz sich ausbreitet
iiber Himmel und Erde, o Prithasohn,
43. (13171.) und iiber die Wesen auch zu ihrer Endzeit,
heifse ich, dies wiinschend fish-J, o Bharata, sowie auch
wegen des Ausschreitens , o Prithasohn, Vishnu.
44. (13172.) Weil die Menschen, nach Vollendung durch
Bezahmung {damaj trachtend, nach mir Verlangen tragen,
der ich Himmel, Erde und Luftraum bin, darum heifse ich
Bdmodara*
45. (13173.) Prigni (buntscheckig) heifst die Nahrung, der
Veda, das Wasser und das Amritam; alle diese sind mein
Erzeugnis fgarhhaj, darum heifse ich Prignigarhha [eigent-
lich: der von Prigni (hier = Devaki) Erzeugte].
* Eigentlich „der Leibumstrickte", Beiname Krishna's, von einem
Erlebnis in seiner Kindheit herriihrend.
Adhyaya 343 (B. 341). 799
46. (13174.) Einst riefen dieWeisen mich an und sprachen:
Den Trita, der in den Brunnen gestiirzt worden ist, o Prigni-
garbha, den Trita, der von Ekata und Dvita hinabgestiirzt
wurde, errette du.
47. (13175.) So gelang es dem Trita, dem uralten Sohne
des Brahman und besten Weisen, aus dem Brunnen zu ent-
kommen, weil Prignigarbha herbeigerufen worden war.
48. (13176.) Die Strahlen, welche an der die Welt er-
leuchtenden Sonne, am Feuer oder auch am Monde er-
glanzen, die werden meine Haare (hegaj genannt;
49. (13177.) darum haben allweise, beste Brahmanen mich
Kegava (den VoUhaarigen) genannt. — Einstmals war von
dem hochsinnigen Utathya in seiner Gattin ein Embryo er-
zeugt worden.
50. (13178.) Wahrend nun Utathya vermoge eines gott-
lichen Zaubers verschwunden war, besuchte Brihaspati [sein
jiingerer Bruder, Mahabh. I, 4i8o] die Gattin dieses Hoch-
sinnigen.
51. (13179.) Da geschah es, o Kuntisohn, dafs zu diesem
besten Rishi, welcher zur Begattung geschritten war, der
schon aus den fiinf Elementen gebildete Embryo sprach:
52. (13180.) „Ich bin zuerst gekommen, o Gabenspender,
und du darfst der Mutter nicht zusetzen." Als dies Brihaspati
horte, wurde er zornig und sprach einen Fluch aus:
53. (13181.) „Weil ich, zur Begattung hergekommen, von
dir gehindert wurde, darum wirst du kraft meines Fluches
blind geboren werden, das ist gewifs."
54. (13182.) Und weil er durch den Fluch des hochsten
Rishi lange Finsternis fdirgham tamasj zu leiden hatte, darum
wurde dieser Rishi vordem DirgJiatamas benannt.
55. (13183.) Aber da er die ewigen Veden mit Vedaiiga's
und Upaiiga's innehatte, wendete er jenen meinen geheimnis-
vollen Namen an
56. (13184.) und rief nach der Vorschrift hintereinander
wieder und wieder: „ Kegava!''^ Da wurde er sehend und
hiefs fortan Gotama.
57. (13185.) So heilbringend ist mein Name Kegava fiir
alle Gotter und fiir die hochsinnigen Rishi's. —
800 III. Mokshadharma.
58. (13186.) Indem das Feuer sich mit dem Soma verbindet,
gelangt es mit ihm zur Wesenseinheit, darum heifst es von
der ganzen Welt des Beweglichen und Unbeweglichen , dafs
sie aus Feuer und Soma [Verzehrer und Verzehrtem] bestehe
(vgl. Brih. Up. 1,4,6).
59. (13187. Prosa.) Auch im Puranam steht ja schon, Agni
und Soma seien eines Wesens, und die Gotter hatten Agni
als Mund; auch heifst es, dafs sie wegen ihrer Wesensein-
heit, einander erganzend, die Welten tragen.
So lautet im Mokshadharma die Geschichte vom Narilyana
(Ndrdyaiityam).
Adhyaya 344 (B. 343).
Vers 13188-13303 (B. 1-141).*
Arjuna sprach:
1. (13188.) Wie ist es moglich, dafs Agni und Soma sich
vordem zur Wesenseinheit entwickelt haben? Dariiber habe
ich Zweifel, den lose, o Madhutoter.
Der Heilige sprach:
2. (13189.) Wohlan, o Pandusohn, ich will dir dariiber
eine alte Begebenheit erzahlen, welche durch meine eigene
Energie veranlafst wurde; vernimm sie, o Prithasohn, mit
ungeteiltem Geiste.
3. (13190.) Zur Zeit der grofsen Weltflut, als eintausend
Perioden von vier Weltaltern verstrichen waren, alles Seiende
latent geworden war und die Vernichtung alles Bewegliche
und Unbewegliche ergriffen hatte, (I3i9i.) als blinde Finsternis
ohne Licht, Boden und Wind, als die Welt in Gestalt eines
einzigen Wassermeeres,
4. als das zweitlose Brahmanwesen nur unter dem Namen
der [Ur-]Wasser bestand,
5. (13192.) als es nicht Tag noch Nacht, nicht Seiendes
noch Nichtseiendes, nicht Entfaltetes noch Unentfaltetes gab,
* Vers 3-15 und 20-65 Prosa.
Adhyaya SU (B. 3^2). 801
6. als die Welt in diesem Zustande war, da ist aus der
auf.Naray ana's Qualitaten sich stUtzenden, nicht alternden,
unsterblichen, nicht wahrnehmenden und nicht wahrgenom-
menen, unentstandenen, nicht schadigenden , der Zierde der
mannigfachen Entwicklungen entbehrenden, nicht feindhchen,
unverganghchen , unsterbhchen, alterlosen, gestaltlosen , all-
gegenwiirtigen , allschaffenden Finsternis der ewige, unver-
ganghche Purusha als Hari in die Erscheinung getreten.
7. (13193.) Dariiber ist audi folgendes Zeugnis:
8. „Nicht Tag war, nicht Nacht war, nicht Seiendes noch
Nichtseiendes war, nur Finsternis war einstmals die allgestal-
tige Welt." — Namlich es war die Nacht der allgestaltigen
Welt, so ist der Sinn des Wortes [Finsternis] zu fassen.
9. (13194.) Als nun der aus dieser Finsternis stammende
Purusha, der aus Brahman geborene, aus dem Brahman in
die Erscheinung trat, da schuf dieser Purusha, um die Ge-
schopfe zu schaffen, aus seinen beiden Augen Agni und Soma.
Als darauf die Wesensscharen geschaffen wurden, erschien
der Rangordnung der Geschopfe gemafs das Brahman und
das Kshatram. Der Soma ist das Brahman und das Brah-
man sind die Brahmanen, der Agni ist das Kshatram (die
Kshatriyakaste), das Brahman aber ist starker als das Ksha-
tram. Fragt ihr, warum? Diese Uberlegenheit ist ein Vorzug,
der aller Welt klar vor Augen liegt. Namlich so: (is 195.) Es
ist vordem kein hoheres Wesen entstanden als die Brahmanen.
In einem flammenden Feuer opfert, wer in dem Munde eines
Brahmanen opfert; da dem so ist, sage ich: die Wesen-
schopfung ist durch das Brahman (die Brahmanen) gemacht
worden, und indem dieses die Wesen stiitzt, wird die Drei-
welt in ihrem Bestande erhalten. Und dariiber gibt es auch
den Ausspruch eines Hymnus:
10. „Bei alien Opferungen bist als Priester Agni du be-
stimmt fiir Gottfer, Menschen und die Welt" [frei nach Rig-
veda 6,16,1].
11. Und dieses Zeugnis besagt: Du Agni bist bei alien
Opferungen der Priester und als solcher bist du von Gottern
und Menschen fiir die Welt bestimmt worden.
12. (13196.) Denn Agni ist bei den Opferungen der Priester,
Deussen, MahAbh&ratam. 51
802 III. Mokshadharma.
der Vollbringer, und dieser Agni ist das Brahman [die Brah-
manen, oben freilich hiefs es, sie seien der Soma].
13. Denn ohne Mantra's ist keine Darbringung moglich,
so wie ohne einen Menschen kein Tapas moghch ist. Die
Opfergabe ist bei Gottern, Menschen und Rishi's nur eine
den Mantra (Hymnus) begleitende Verehrung; darum wird
der Hymnus : „[Bei alien Opferungen] bist als Priester [Agni]
du [bestimmt]" verwendet. (13197.) Und was alle mensch-
lichen Opferamter betrifft, so bleibt das Opfern dem Brah-
manen vorbehalten und geziemt nicht den Kshatriya's und
Vaigya's, obgleich auch sie Zwiegeborene sind. Darum fiihren
die Brahmanen als Agni die Opfer zu den Gottern empor.
(13 198.) Diese Opfer sattigen die Gotter, und die Gotter bringen
dafilr die Erde zum Gedeihen, denn so steht es auch in dem
^atapatham, dem vorziiglichsten Brahmanam;
14. (13199.) wenn das Feuer entflammt ist, dann opfert
nur der, welcher als ein Wissender durch Vermittlung eines
Brahmanen die Opfergabe darbringt.
15. So steht es denn fest, dafs die wissenden Brahmanen,
zu Agni geworden, den Agni gedeihen machen, (13200.) und
indem sie als x\gni, als Vishnu alle Wesen durchdringen,
halten sie alles Leben aufrecht.
16. Hieriiber gibt es auch die von Sanatkumara ge-
sungenen Verse : (13201.) Gott Brahman, der Anfanglose, schuf
vordem das All, ohne es von sich zu sondern fniravaskritamj ;
aus Brahman entsprungen, eilen die Unsterblichen mit Brah-
manjubel zum Himmel empor.
17. (13 202.) Der Brahmanen Gedanken, Worte, "Werke,
Glaube und Askese tragen die Erde und den Himmel, und
das Amritam ihrer Rede ist das Tragband fgaihyaj.
18. (13203.) Keine Gerechtigkeit geht liber die Wahrheit,
kein Lehrer iiber die Mutter, nichts geht iiber die Brahmanen,
wo es sich um unser zeitliches oder ewiges Wohl handelt.
19. (13204.) Bei denen ziehen nicht Ochsen und nicht
Pferde, quirlt nicht das Butterfafs, wenn man es fiillte,
die miissen sttirzen und zu Raubern werden, in deren
Reich Brahmanen Hunger leiden.
Adhyaya 344 (B. 342). 803
20. (13 205.) und die Brahmanen sind nach dem Zeugnisse
der Veden, Purana's und Itihasa's aus dem Munde des Na-
rayana geschaffen, sind allbeseelend, allwirkend und allseiend.
21. Denn die Brahmanen sind zur Zeit, als jener gaben-
spendende Gottergott [als Schopfer das asketische] Schweigen
iibte, zuerst entstanden, und aus den Brahmanen erst die
iibrigen Kasten.
22. Und so sind die Brahmanen ausgezeichnet vor
alien Gottern und Damonen, welche von mir als Brah-
man vordem aus mir selbst als Gotter, Damonen und grofse
Rishi's geschaffen, als besondere Wesenklassen eingesetzt und
in Zucht gehalten wurden.
23. So wurde Indra aus Anlafs der Verge waltigung der
Ahalya von [ihrem Gatten] Gautama blondbartig gemacht,
und auf Veranlassung des Kaugika wurde Indra seiner Hoden
beraubt und mit Widderhoden verselien. —
24. (13 206.) Und als der Stadtezerstorer Indra seinen
Donnerkeil geziickt hatte, um die Agvin's vom Somatranke
abzuhalten, wurden seine Arme von Cyavana gelahmt (vgl.
Mahabh. Ill, Adhy. 124). —
25. Von Daksha, welcher iiber die Storung seines Opfers
in Zorn geraten war, wurde, nachdem er sich noch weiter
durch Askese gekraftigt hatte, die Stirn Rudra's durch ein
drittes Auge verunstaltet. [Anders verlauft die Geschichte
oben, S. 521 fg.] —
26. Als Rudra eine Weihe angetreten hatte, raufte sich
UQanas, um damit den Dreiburgzerstorer (Rudra) zu ver-
letzen, seine Haarflechten aus dem Kopfe aus und schleuderte
sie gegen ihn; aus ihnen kamen Schlangen hervor, und von
diesen Schlangen gepeinigt, erlangte er seine Blauhalsigkeit,
und auch schon in einem friihern Weltalter des Manu Svayam-
bhuva hatte er auch die Blauhalsigkeit erlangt, weil Narayana
ihn mit den Handen gewiirgt hatte (vgl. unten, Vers I3 273fg.). —
27. Als einst Brihaspati, der Aiigirassprofs, dazu schritt,
das Amritam zu bereiten, und Wasser schopfen wollte, da
geschah es, dafs die Wasser sich ihm ungnadig erwiesen.
Da ziirnte Brihaspati den Wassern: „Weil ihr, da ich euch
schopfen wollte, euch unrein zeigtet und euch mir ungnadig
51*
804 III. Mokshadharma.
erwieset, darum soil er [der Ozean] von heute an durch
grofse Fische, Delphine, Schildkroten und [allerlei] Tiere
unrein sein." (is 207.) Und von Stund an wimmelten die Wasser
des Meeres von Seeungeheuern. —
28. Vigvarupa, der Sohn des Tvashtar, war der Haus-
priester der Gotter. (13208.) Als Schwestersohn der Asura's
aber gab er den Gottern vor alien Augen einen Opferanteil
und den Asura's nur heimlich.
29. Da baten die Asura's mit Hiranyakagipu an der Spitze
ihre Schwester, die Mutter des Vigvarupa, um eine Gunst:
(13 209.) „Du, Schwester! dein Sohn da vom Tvashtar, der
dreikopfige Vigvarupa, hat als Hauspriester der Gotter den
Gottern ihren Opferanteil vor aller Augen gegeben, uns aber
nur heimlich, und nun gedeihen die Gotter, und wir nehmen
ab; darum sollst du ihn dazu anhalten, dafs er auch uns
zufriedenstellt."
30. Da sprach zu ViQvarupa, der sich in den Nandana-
wald begeben hatte, seine Mutter : „Mein Sohn, warum fdrderst
du die Partei der Gegner und schadigst die Partei deiner
Oheime? Das mufst du nicht tun!" Da iiberlegte Vigvarupa,
dafs er dem Befehl seiner Mutter nicht ungehorsam sein diirfe,
verneigte sich vor dem [anwesenden] Hiranyakagipu und ging
von dannen.
31. Darum wurde Hiranyakagipu von Vasishtha, dem
Sohne des Hiranyagarbha , verflucht: (13210.) Weil du [an
meiner Statt] einen andern Priester [den Vigvarupa] erwahlt
hast, darum soil dein Opfer nicht gelingen, und du sollst
von einer ndch nicht dagewesenen Art von Wesen [dem
Mannlowen] getotet werden." Und infolge dieses Fluches ist
HiranyakaQipu getotet worden.
32. (13211.) Nun ergab sich Vigvarupa, um die Partei seiner
Mutter zu starken, iibermafsiger Askese. Da beauftragte Indra
viele schone Apsarasen, ihn in seinem Geliibde zu storen. Als
ViQvarupa diese sah, wurde sein Geist verwirrt, und es dauerte
nicht lange, da hing er sein Herz an jene Apsarasen. Als
die Apsarasen sahen, dafs er sein Herz an sie gehangt hatte,
sprachen sie: „Jetzt konnen wir hingehen, woher wir ge-
kommen sind."
Adhyaya 344 (B. 342). 805
33. Zu ihnen sprach der Sohn des Tvashtar: „Wohin
wollt ihr gehen? Bleibt doch! bei mir sollt ihr's gut haben."
Sie aber entgegneten ihm : „Wir Apsarasen sind Gotterweiber
und Ziehen es von jeher vor, bei dem machtigen Indra, dem
gabenspendenden Gotte, zu weilen."
34. Da sprach Vigvarupa zu ihnen : „Von heute ab sollen
Indra und alle Gotter nicht mehr sein!" Da murmelte er
Mantra's, durch diese Mantra's erstarkte der Dreikopfige,
und mit dem einen Munde trank er den in alien Welten von
den werkfrommen Zwiegeborenen bei den Opfern gebiihrend
dargebrachten Soma aus, mit dem andern afs er alle Opfer-
speise, und mit dem dritten woUte er die Gotter nebst Indra
verschlingen. Als aber Indra sah, wie Vigvarupa an alien
Gliedern durch das Somatrinken erstarkt war, da geriet er
mit alien Gottern in Sorge,
35. und die Gotter mit Indra an der Spitze gingen zu
Gott Brahman (13212.) und sprachen: „Von Vigvarupa wird
der bei alien Opfern wohldargebrachte Soma getrunken, und
wir gehen leer aus, die Partei der Asura's gedeiht, und wir
nehmen ab, darum mogest du ungesaumt anordnen, was zu
unserm Heile dient."
36. Zu ihnen sprach Gott Brahman : „Ein Kishi aus dem
Stamme des Bhrigu mit Namen Dadhica iibt Askese, den
bittet um eine Gunst und richtet es so ein, dafs er euch als
Gunst gewahrt, euch seinen Leib zu iiberlassen; aus seinen
Knochen verfertigt den Donnerkeil."
37. Da gingen die Gotter dorthin, wo der heilige Kishi
Dadhica seine Askese iibte. Dort angekommen, sprachen die
Gotter mit Indra an der Spitze zu ihm: „0 Heiliger, moge
deine Askese gliicklich und ungestort sein!"
38. (13 213.) Ihnen erwiderte Dadhica: „Seid willkommen!
sagt, was ihr begehrt! was ihr auch sagen mogt, ich werde
es tun."
39. Sie sprachen zu ihm: „Du mogest, o Heiliger, zum
Heile der Welt deinen Leib aufgeben."
40. Da geschah es, dafs Dadhica ihrem Wunsche gemafs,
ohne aus der Fassung zu geraten und als grofser Yogin Lust
806 III. Mokshadharma.
und Schmerz fiir gleich achtend, sich konzentrierte und seinen
Leib aufgab.
41. Nach dessen Eingang zum hochsten Atman sammelte
der Schopfer seine Gebeine und machte daraus den Donner-
keil. Mit diesem unzerbrechlichen , unwiderstehlichen, von
Brahman aus Gebeinen gebildeten, von Vishnu beseeUen
Donnerkeil totete Indra den Vigvarupa, schlug ihm seine
Kopfe ab, und gleich darauf wurde auch der bei der Zer-
malmung der Knochen des Vigvarupa aus diesem Tvashtar-
sohn entstandene feindhche Vritra von Indra erschlagen.
42. Angesichts dieses zweifachen Brahmanenmordes Hefs
Indra aus Furcht seine Gotterherrschaft im Stiche und fliich-
tete zu einer wassergeborenen , kiihlenden, im See Manasa
wachsenden Lotosblume, machte sich kraft seines gottherr-
hchen Yoga atomklein und verkroch sich in das Knollen-
gewebe der Lotosblume.
43. (13 214.) Als nun der Herr der Dreiwelt und Gatte der
Qaci aus Furcht vor den Folgen des Brahmanenmordes ver-
schwunden war, war die Welt ohne Herrscher; Rajas und
Tamas iiberfielen die Gotter, die Hymnen der grofsen Rishi's
waren nicht mehr in TJbung, die Kobolde zeigten sich offent-
lich, der Veda geriet in Verfall und die ohne Indra kraft-
losen Wei ten waren leicht zu iiberwinden.
44. Da salbten die Gotter und Rishi's einen Sohn des
Ayus mit Namen Nahusha zum Gotterkonig, und Nahusha,
geschmiickt mit fiinfhundert seine Stirn umfunkelnden Lich-
tern, welche jeden andern Glanz verdunkelten, iibernahm die
Regierung des Dreihimmels.
45. Da kamen die Wei ten wieder in ihre natiirliche Ver-
fassung, waren wohlgefestigt und gediehen.
46. Da sprach Nahusha: „Alles, was ehedem (Jakra ge-
nofs, ist mir zugefallen, nur nicht die Qaci." So sagte er,
begab sich zur (^aci und sprach zu ihr: „0 Holde! Icli bin
jetzt Indra, der Fiirst der Gotter, liebe mich !" Ihm erwiderte
die Qaci: „Du, von Natur ein Freund der Gesetzlichkeit und
aus dem Mondgeschlechte entsprungen, solltest nicht nach
der Gattin eines andern trachten."
Adhyaya 344 (B. 342). 807
47. Nahusha versetzte: „Ich habe die Stellung des India
in Besitz genommen, und ich habe Anspruch auf alle Kleinodien
im Reiche des Indra, dabei ist kein Unrecht, und auch du
hast dem Indra angehort." Sie erwiderte: „rch habe ein Ge-
liibde auf mich genommen, welches noch nicht vollendet ist;
nach dessen Schlufsbad werde ich zu dir kommen, also in
einigen Tagen." So von der Qslci beschieden, ging er von
dannen.
48. Da wandte sich Qaci, von Schmerz und Kummer
gequalt, nach dem Gatten sich sehnend und von Furcht vor
dem Nahusha ergriffen, an den Brihaspati, und dieser, als er
sie so aufgeregt sah, verfiel in Nachdenken, und erkennend,
dafs sie die Sache ihres Gatten iiber alles hochhielt, sprach
er zu ihr: (13215.) „Da du deinem Geliibde und deiner Askese
so treu bist, so magst du die gabenspendende Gottin Upa-
gruti [Erhorung, vgl. die Parallele Mahabh. V, Vers 426] an-
rufen, die wird dir den Indra zeigen." Da rief sie, in grofser
Selbstbezahmung beharrend, mit Mantra's die gabenspendende
Gottin UpaQiuti an. Da erschien der Qaci die Upagruti und
sprach zu ihr : „Hier bin ich, auf deinen Ruf herbeigekommen,
welchen Wunsch soil ich dir erfiillen?" Qaci neigte ihr
Haupt und sprach: „0 Heilige, du bist wahr und gerecht,
lafs mich meinen Gatten sehen!" Da fiihrte die Upa(?ruti
sie zum See Manasa (13216.) und liefs sie dort den Indra sehen,
wie er in dem Knollengewebe einer Lotosblume versteckt war.
49. Als Indra seine Gattin abgemagert und welk vor sich
sah, dachte er voll Kummer: „Ach, welch ein Leid ist iiber
mich gekommen, da meine Gattin, von Schmerz gequalt, bis
hierher gekommen ist, um mich, den Verlorenen, zu suchen."
Und Indra sprach zu ihr: „Wie geht es dir?" Sie antwortete:
„Nahusha fordert mich auf, seine Gattin zu werden, und ich
habe ihm eine Frist gesetzt." Indra entgegnete: „Gehe und
sprich zu Nahusha: In einer noch nicht dagewesenen Weise
soUst du mich heimfiihren, auf einem Wagen sitzend, der
von Rishi's gezogen wird. Indra hatte grofse, herzerfreuende
Wagen, auf denen ich gefahren bin, du mufst auf einem neuen
zu mir kommen." Nach diesen Worten ging sie freudig von
dannen, und Indra kroch wieder in seinen LotosknoUen hinein.
■
808 III. Mokshadharma.
50. Als Nahusha die Indragattin herbeikommen sah,
sprach er zu ihr: „Die gesetzte Frist ist um." Qaci ant-
wortete ihm, wie Qakra (Indra) ihr geraten hatte. Da bestieg
Nahusha einen mit grofsen Rishi's bespannten Wagen und
fuhr zur Qaci.
51. Da sah der Sohn des Mitra-Varuna, der topfgeborene,
grofse Rishi Agastya, wie diese grofsen Rishi's von Nahusha
entwiirdigt wurden, und er trat ihn [Nahusha den Agastya,
vgl. Mahabh. Ill, 12525. XIII, 4794] mit den Fiifsen. Da sprach
er zu Nahusha : „Du, der du dich zu dieser Untat hast verleiten
lassen, sollst in die Erde fahren und als Schlange leben, solange
Erde und Berge stehen." Kaum hatte der grofse Rishi dieses
Wort gesprochen, da stiirzte jener vom Wagen herab.
52. Und abermals war die Dreiwelt ohne Beherrscher.
(13217.) Da gingen die Gotter und Rishi's den heihgen Vishnu
wegen des Indra um Hilfe an und sprachen zu ihm : „0 Hei-
liger, den Indra, auf dem der Fluch der Brahmanentotung
lastet, mogest du retten." Da sprach der Gabenspender zu
ihnen: „Der (^akra mufs ein [mir] dem Vishnu geweihtes
Rofsopfer darbringen, dann wird er seine Stellung wieder-
erlangen." Als darauf die Gotter und Rishi's den Indra nicht
fmden konnten, sprachen sie zur Qaci: „Gehe, o Holde, und
bringe den Indra her!" Da begab sie sich wiederum zu
jenem See, und Indra stieg aus dem See heraus und ging
zu Brihaspati. Da brachte Brihaspati ein grofses Rofsopfer
im Namen des Qakra dar, und indem er ein scheckiges,
opferwiirdiges Rofs frei weiden liefs und es dann zum Siihne-
mittel machte, setzte Brihaspati den Indra, den Herrn der
Marut's, wieder in seine Stelle ein.
53. So wurde der von Gottern und Rishi's gepriesene,
den Dreihimmel bewohnende Gotterkonig von seiner Schuld
befreit, die Brahmavadhya aber (die Siinde des Brahmanen-
mordes) verteilte er auf vier Sitze, auf die Weiber, das Feuer,
die Baume und die Kiihe. (13218.) So geschah es, dafs Indra,
gestarkt durch Brahmankraft und -macht, die Feinde nieder-
schlug und seine Stellung behauptete, —
54. Als einst der grofse Rishi Bharadvaja zur Himmels-
ganga gegangen war, um Wasser zu schopfen, kam ihm der
Adhy^ya SU (B. 342). 809
seine drei Schritte machende Vishnu zu nahe und wurde von
Bharadvaja mit der nassen Faust auf die Brust geschlagen,
so dafs er ein Mai auf der Brust davontrug. —
55. Von dem grofsen Rishi Bhrigu wurde Agni durch
einen Fluch dazu verurteilt, alles zu verzehren. —
56. Aditi hatte einstmals fiir die Gotter eine Speise ge-
kocht, (13 219.) indem sie dachte: diese Speise genossen habend,
werden sie die Damonen iiberwinden. Nun kam Budha nach
Beendigung seines Fastengeliibdes hinzu und sprach zur Aditi :
„Gib mir zu essen!" Aditi aber sagte sich, dafs die Gotter
zuerst davon essen miifsten und kein anderer, und gab ihm
nichts. Wegen dieser Verweigerung der Bettelspeise ziirnte
Budha, der ein Brahmane war, und sprach iiber die Aditi
den Fluch aus, dafs in ihrem Leibe eine Zerbrechung des
den Namen Ei fiihrenden Vivasvant behufs seiner zweiten
Geburt [die ihm als Vogel zukam] stattfmden werde. Infolge-
dessen wurde das Ei fandaj in der Mutter Aditi zerstort
fmdritaj ^ und Vivasvant, als Mdrtanda (Sonnenvogel) ge-
boren, wurde ein Gott der Totenspende. —
57. Daksha hatte sechzig Tochter, von den en gab er
dreizehn dem Kagyapa zur Ehe, zehn dem Dharma, zehn dem
Manu und siebenundzwanzig dem Monde. Unter diesen sieben-
undzwanzig, welche gleichberechtigt waren und nach den
Nakshatra's [Mondhausern, vgl. Sechzig Upanishad's, S. 340 A.]
benannt waren, war Soma (der Mond) besonders verliebt in
die Rohini. Dariiber waren die iibrigen Gattinnen eifersiichtig,
gingen zu ihrem Vater und brachten die Sache zur Anzeige :
„0 Heiliger, wir sind doch alle gleich an Wiirde, aber Soma
liebt die Rohini mehr als uns." Er sprach: „Dafur soil ihn
die Auszehrung befallen." Infolge dieses Fluches des Daksha
befiel den Konig Soma die Auszehrung. Von der Auszehrung
befallen, ging er zu Daksha; der sprach zu ihm: „Du bist
nicht gerecht fsamo/'' — daher haben ihn die Rishi' s Soma
genannt — (13220.) „darum schwindest du durch Auszehrung
hin. Im westlichen Ozean ist der heilige Badeplatz Hiranya-
saras (Goldsee). Dorthin gehe und bade dich." Damit ging
Soma, begab sich zu dem heiligen Badeplatz Hiranyasaras
und vollzog Waschungen. (13 221.) Indem er badete, befreite
810 HI. Mokshadharma.
er sich von seinem Ubel. Und weil Soma an diesem heiligen
Badeplatze seinen Glanz wieder erhalten hatte, wurde seit
jener Zeit dieser heilige Badeplatz Prabhasam (Glanz) genannt.
58. Aber infolge des Finches nimmt auch heute noch
der Mond ab bis zur Neumondsnacht, und auch wenn er zur
Vollmondsnacht gelangt ist, zeigt er seine Gestalt als iiber-
deckt mit einem Wolkenstreifen , nimmt ein wolkenahnliches
Aussehen an und seine Fleckenlosigkeit wird durch das
Hasenzeichen [unsern Mann im Monde] getriibt. —
59. Sthulagiras, der grofse Rishi, betrieb in der nord-
ostlichen Gegend des Meru seine Askese. Da kam ein alle
Diifte mit sich fiihrender reiner Wind und beriihrte mit seinem
Wehen den Korper des von Askese Erhitzten, so dafs er, der
durch die Askese gequalt und abgemagert war, durch die
Fachelung des Windes in seinem Herzen sehr erquickt wurde.
(13222.) Als nun die Baume sahen, wie er durch die Fache-
lung des Windes erfreut war, da entfalteten auch sie vor ihm
alsbald die Schonheit ihrer Bliiten. Darum verfluchte er sie
und sprach : „Von nun an sollt ihr nicht zu jeder Zeit Bliiten
tragen." —
60. Narayana war einst um des Heiles der Welt willen
zu einem grofsen Rishi mit Namen Vadavamukha (Stuten-
mund) geworden. Als dieser auf dem Meru Askese iibte, rief
er den Ozean an [ihn zu kiihlen], dieser aber wollte nicht
kommen. Da wurden von dem Ungehaltenen, von Korper-
hitze Gequalten die Wasser des Ozeans schwerfliissig gemacht,
indem auch der Ozean in einen der Schweifsabsonderung [des
Rishi] ahnlichen Zustand der Salzigkeit versetzt wurde.
61. Und der Rishi sprach zu ihm: „Untrinkbar sollst du
sein, und nur dann, wenn ich als Vadavamukha [ein mythi-
sches Feuer auf dem Meeresgrunde] dein Wasser trinken
will, soil es siifs schmecken. Darum trinkt auch heute noch
der [von Narayana] abhangige Vadavamukha das Wasser aus
dem Ozean. —
62. Rudra liebte ein Madchen, die Uma, Tochter des
Gebirges Himalaya. (13223.) Da kam der grofse Rishi Bhrigu
zum Himalaya und sprach: „Gib mir das Madchen zur Frau."
Himalaya sprach : „Rudra ist fiir sie zum Gemahl ausersehen."
Adhyaya 344 (B. 342). 811
Da sprach Bhrigu : ,,\Veil ich von dir, nachdem ich meine Nei-
gung auf die Wahl des Madchens gerichtet hatte, verschmaht
worden bin, darum sollst du keine Perlen in dir enthalten."
63. Und bis auf den heutigen Tag ist das Wort des
Rishi in Giiltigkeit geblieben. — So grofs ist die Macht
der Brahmanen!
64. Und der Kshatriya hat nur durch die Gnade der
Brahmanen die ewige, unvergangHche Erde als Gattin er-
langt und genossen.
65. Was aber die Agni und Soma seiende Brahmanen-
kaste betrifft, so wird durch sie die ganze Welt der Leben-
den getragen.
66. (13 224.) Es heifst ja: Sonne und Mond sind seine
Augen, die Sonnenstrahlen seine Haare ("kegdhj, die Welt er-
weckend und erwarmend, steht er von ihr gesondert da.
67. (13225.) Weil durch dieses Erwecken und Erwarmen der
Welt vermittelst dieser von Agni und Soma gewirkten Werke
Freude fJiarshanamJ entsteht, o Pandusprofs, (13226.) werde
ich HrisMJcega genannt, ich, der Herr, der Gabenspender, der
Forderer der Welt.
68. Weil ich aus Anlafs des zur Labung Dargebrachten
bei den Opfern meinen Anteil nehme fJiareJ, (13 227.) und weil
meine Farbe ein herrliches Gelbgriin (harij ist, darum werde
ich Hari genannt.
69. Als die beste Zuflucht fdhdmanj der Wesen und als
das wohldurchdachte Recht fritamj (13228.) werde ich von den
Priestern Tag fiir Tag als Ritadhdman gefeiert.
70. Weil ich einstens die versunkene und verborgene
Erde [auch go^ die Kuh, genannt] wiedergewann (avindamj^
(13 229.) darum werde ich von Gottern mit Hymnen als Govinda
gepriesen.
71. Weil einer, der seine Haare verliert, Qipivishta heifst,
(13 230.) und weil alles Vorhandene von ihm [dem Vishnu mit
seinen Haaren, d. h. Strahlen] durchdrungen (dvishtamj ist,
darum heifst er Qipivislita.
72. Der Rishi Yaska hat mich mit Hingebung bei vielen
Opfern besungen (i323i.) als (^ipivishta, darum trage ich diesen
geheimnisvollen Namen.
812 III. Mokshadharma.
73. Und weil der hochsinnige Rishi Yaska mich als
^ipivishta gepriesen hat, (13232.) hat er durch meine Gnade
das in der Tiefe versunkene Niruktam erhalten,
74. Weil ich nie geboren wurde oder geboren werde, oder
je werde geboren werden, (13233.) da ich der Kshetrajfia aller
Wesen bin, darum werde ich Aja (der Ungeborene) genannt.
75. Niemals ist von mir etwas Gemeines oder Unreines
ausgesprochen worden, (13234.) die rechtschaffene Tochter Brah-
man's, die wahrhafte fsatyaj Gottin Sarasvati, weilt in mir;
76. auch ist, o Kuntisohn, das Seiende fsatj und das
Nichtseiende fasatj von mir in meinem Selbste geborgen,
(13 235.) in der Lotosblume als dem Sitze fsadanamj des Gottes
Brahman, darum kennen mich die Rishi's als Satya (den
Wahrhaftigen).
77. Von der Wahrheit fsattvamj bin ich von jeher nicht
abgewichen, die Wahrheit, wisse, ist von mir geschaffen;
(13 236.) werde ich hienieden geboren, so ist die uranfangliche
Wahrheit in mir gegenwartig, 0 Gutgewinner.
78. Wunschlosen Werken hingegeben und nicht befleckt
an meiner Wahrheit, (13237.) so werde ich durch das Satvata-
wissen erkannt von den Satvant's, darum heifse ich Sdtvata.
79. Weil ich, o Prithasohn, die Erde pfliige (krisJidmiJ
als der grofse Eiserne fhdrshndyasaj, (13 238.) und weil ich an
Farbe schwarz fkrishnaj bin, darum heifse ich "Krishna^ o
Arjuna.
80. Weil durch mich die Erde mit dem Wasser, der
Luftraum mit dem Winde (13239.) und der Wind mit dem
Feuer gemischt wird [im Pancikaranam], darum heifse ich
Vaikuntha. [Mit vi, Vogel, soil auf Wind, Feuer, Wasser an-
gespielt, mit ku die Erde, mit tha der Ather bezeichnet
sein, Nil.].
81. Das Nirvanam ist das hochste Brahman und wird
als die hochste Satzung bezeichnet; (13240.) weil ich an ihm
von jeher unerschiitterlich facyutaj festgehalten habe, heifse
ich wegen dieses Tuns Acyuta.
82. Beide, die Erde und der Luftraum, erstrecken sich
nach allerwarts; (13241.) weil ich beide trage, werde ich mit
Fug als AdhoksJiaja (unter der Weltachse geboren)
Adhyaya 341 (B. 342). 813
83. erklart; die Vedawissenden [vidushah Nom. !) und den
Sinn der Vedaworte Uberdenkenden, (13 242.) sie besingen mich
an der Opferstatte als Adhohshaja.
84. Dieses wird von den hochsten Eishi's einstimmig aus-
gesprochen, (13243.) dafs es keinen andern Adhokshaja in der
Welt gibt, als den heiligen Herrn Narayana.
85. Weil die Schmelzbutter fgJiritamJ meines Glanzes
(arcisj das Leben der Geschopfe erhalt, (13244.) darum werde
ich von tiefsinnigen Vedakennern Ghritdrcis genannt.
86. Drei (trij Grundstoffe (dhdtuj gibt es [im Menschen],
welche auf seinen [vormaligen] Werken beruhen : (13245.) Galle,
Schleim und Wind; das wird das Aggregat genannt.
87. Durch diese wird der Mensch erhalten, und wenn
diese vergehen, vergeht er. (13 246.) Darum nennen mich die
Kenner der vedischen Heilkunde Tridhdtu.
88. Als mannhaft (vrishaj wird das heilige Recht in der
Welt bezeichnet, o Bharata, (13247.) darum, das sollst du
wissen, heilse ich in der Wortsammlung Naighantukam, der
hochste Vrislia.
89. Auch der Affe (hapij, der Eber, der Beste und das
Recht werden mannhaft fvrisJiaJ genannt, (13248.) darum hat
der Schopferherr Kagyapa mich VrishdJcapi (den Mannaffen)
genannt.
90. * (13 249.) Keinen Anfang, keine Mitte und kein Ende
kennen an mir jemals weder Gotter noch Damonen;
denn als der Anfanglose, Mittelose, Endlose, werde ich
besungen als der machtige Herr und das Auge der Welt.
91. (13250.) Weil ich nur reine fgucij Worte hienieden ver-
nehme ("grty, 0 Gutgewinner, und keine schlechten annehme^
darum heifse ich Qucigravas.
92. (13251.) Weil ich als der heilbringende Eber mit dem
einen Hauzahn {ehagringaj ehedem diese Erde aufgewiihlt habe,
darum heifse ich Ehagringa.
93. (13 252.) Auch war ich damals in der Gestalt des Ebers
mit drei Hockern versehen ftrikaliudaj, daher wurde ich wegen
dieser Gestaltung meines Korpers TriTiokud genannt.
* Metrum: Bhujangaprayatam.
814 III. Mokshadharma.
94. (13 253.) Was von den die Kapilalehre mit Verstandnis
durchdenkenden Virnica genannt wird, dieser Weltschbpfer
bin ich, weil ich durch meine Gedanken die ganze Welt her-
vorgebracht habe.
95. (13 254.) Als den ewigen, in der Sonne weilenden
Wissenschaftstrager [den Hiranyagarbha] nennen mich die
zur Gewifsheit durchgedrungenen Saiikhyalehrer Kapila.
96. (13 255.) Als der, welcher als der glanzvolle Hiranya-
garbha im Veda gepriesen und allezeit von den Yoga's ver-
ehrt wird, als dieser werde ich in der Welt gefeiert.
97. (13 256.) Mich bezeichnen Vedakenner als den einund-
zwanzigtausend [Verse] umfassenden Rigveda, mich als den
in tausend Qakha's (Vedaschulen) verbreiteten Samaveda.
98. (13 257.) Mich auch besingen'jene mir ergebenen seltenen
Brahmanen in ihrem Aranyakam. Als die sechsundfiinfzig
und acht und siebenunddreifsig
99. (13258.) Qakha's in dem dem Adhvaryu angehorenden
Yajurveda werde ich gefeiert. Als den fiinf Kalpa's um-
fassenden und durch Zauberkiinste verstarkten Atharvaveda
100. (13 259.) verwenden mich auch die der Atharvalieder
kundigen Priester. Alle die verschiedenen Qakha's und alle
in den Qakha's gebrauchlichen Lieder
101. (13 260.) nach Akzenten und Aussprache der Laute,
diese alle wisse als von mir geschaffen. Und jenes gaben-
verleihende Rofshaupt, o Prithasohn, welches aufsteigt [aus
dem Milchmeere]
102. (13 261.) in der nordhchen Gegend, das bin ich, der
Kenner der Einteilung [der vedischen Hymnen] nach Wort-
reihen {kramaj und Silben. Auf dem von Varna [nach Nil.
Vamadeva, wohl == Qiva] gewiesenen Wege wurde durch
meine Gnade von dem hochsinnigen
103. (13 262.) Pancala der Kramapatha empfangen als Ge-
schenk jenes ewigen Wesens [des Rofshauptes] ; er, der in
dem Geschlecht der Babhravya's glanzte, hat zuerst den
Kramapatha durchgefiihrt,
104. (13263.) nachdem er ihn von Narayana erhalten hatte
nach Erlangung des hochsten Yoga, so dafs er den Kramapatha
verbreitete und auch die ^iksha verbreiten liefs, er, der Galava.
Adhyaya 344 (B. 342). 815
105. (13264.) Ferner auch der glorreiche Konig Brahma-
datta Kandarika [nach Nil. ; Harivanga 1256 fg. sind es zwei
Personen], nachdem er das Leiden durch Geburt und Tod
immer wieder und wieder iiberdacht hatte,
106. (13 265.) sieben Geburten hindurch, gelangte wegen
seiner Vorziiglichkeit zu der Gliickseligkeit der Yoga's. Einst-
mals wurde ich auf einen besondern Anlafs bin beriihmt,
o Prithasprofs, als der Sohn
107. (13 266.) des Dharma, deshalb heifse ich, o Kurutiger,
Dharmaja. — Nara und Narayana [in denen beiden ich ver-
korpert war] iibten vordem unverganghche Askese,
108. (13 267.) indem sie den Weg der Pflicht einhielten
auf dem Berge Gandhamadana (duftberauschend). Um diese
Zeit fand auch das Opfer des Daksha statt (oben, S. 511 fg.).
109. (13268.) Dabei hatte Daksha dem Rudra keinen An-
teil bestimmt, o Bharata, weshalb dieser auf Anstiften des
Dadhici das Opfer des Daksha storte,
110. (13 269.) indem er im Zorn wiederholt seinen gliihen-
den Wurfspiefs schleuderte, welcher das Opfer des Daksha
mit allem Zubehor in Asche verwandelte.
111. (13 270.) Nun kam der Wurfspiefs plotzlich auf uns
zu in die Badari-Einsiedelei geflogen und traf mit machtigem
Anprall die Brust des Narayana, o Prithasohn.
112. (13271.) Darauf nahmen die Haupthaare fhe^aj des
Narayana infolge der Glut des Wurfspiefses die Farbe des
Munjagrases an; darum heifse ich MtmjaJccga (muiijagras-
haarig).
113. (13 272.) Dieser mit machtigem Sausen geschleuderte
Wurfspiefs kehrte, von Narayana zuriickgeschnellt, in die
Hand des Qahkara (Qiva) zuriick.
114. (13 273.) Da rannte Rudra gegen jene beiden in Askese
begriffenen Rishi's an, aber ihn, wie er heranstiirmte, packte
am Halse mit der Hand
115. (13274.) Narayana, der allbeseelende, darum fiihrt (^^iva
den Namen Qitikantha (Blauhals, vgl. oben. Vers 13206). Nun
raufte Nara, um den Rudra niederzuschlagen, einen Halm aus
116. (13275.) und besprach ihn alsbald mit Mantra's, da
ward er zu einer grofsen Axt fparaguj. Diese schleuderte er
816 III. Moksliadharma.
mit solcher Gewalt gegen den Rudra, dafs sie in Stucke
(IdiandamJ brach,
117. (13 276.) darum heifse ich Khandaparagu, weil die
Axt in Stiicke gebrochen war.
Arjuna sprach:
(13277.) 0 Varshneya, wer hat bei diesem Kampfe, welcher
die Dreiwelt hatte vernichten konnen,
118. den Sieg davongetragen ? Das berichte mir, o Heim-
sucher der Menschen.
Der Heilige sprach:
(13 278.) Als diese beiden, Rudra und Narayana, im Kampfe
handgemein geworden waren,
119. da gerieten jahlings alle Welten insgesamt in Ver-
wirrung: (13 279.) das Feuer wollte bei den Opferfesten die
wohldargebrachte Opferspeise nicht verzehren,
120. die im Geiste bereiteten Rishi's konnten sich nicht
auf die Veden besinnen, (13280.) Rajas und Tamas drangen in
die Gotter ein,
121. die Erde erbebte, der Himmel zerbarst, (13281.) die
Sterne verloren ihren Glanz, Gott Brahman geriet auf seinem
Sitze ins Schwanken,
122. der Ozean vertrocknete und der Himalaya zerrifs.
(13282.) Auf diese Anzeichen bin, o Pandusprofs,
123. begab sich Gott Brahman, von den Gotterscharen
und den hochsinnigen Rishi's umgeben, (13 283.) alsbald in jene
Gegend, wo der Kampf tobte.
124. Und mit ausgestreckten hohlen Handen sprach der
Vierangesichtige, im Unaussprechlichen Weilende (13284.) zu
Rudra das Wort: Heil moge den Welten widerfahren!
125. Strecke die Waffen, o Allherr, aus Liebe fiir das
Wohl der Welt. (13 285.) Denn was jenes Unvergangliche, Un-
offenbare, Gottherrliche, Weltbildende,
126. Allerhochste, Wirkende, Gegensatzfreie ist, was sie
auch als den Nichtwirkenden bezeichnen, (13286.) das erscheint,
zur Entfaltung gelangt, als diese eine schone Gestalt.
127. Als Nara und Narayana, welche im Hause des
Adhyaya 3-44 (B. 342). 817
Dharma geboren wurden (13 287.) als grofser Askese teilhaftige,
Starke Geliibde befolgende, beste Gotter, entfaltet es sich.
128. Ich bin aus ihrer Gnade geboren bei einem be-
stimmten Anlafs, (13 288.) und du, o Freund, bist aus ihrem
Zorne entstanden in einer friihern Schopfungsperiode zu
ewiger Dauer.
129. Mit mir im Verein, o Gabenspender, mit den Gottern
und den grofsen Rishi's (13289.) sohne dich alsbald mit jenem
aus, und Friede moge sogleich den Welten werden.
130. Nach diesen Worten des Gottes Brahman liefs Rudra
ab von dem Feuer seines Zornes, (13290.) sohnte sich mit dem
machtigen Gotte Narayana aus und begab sich in den Schutz
des uranf anglichen, liebenswerten, gabenspendenden Gottherrn.
131. (13291.) Da wurde der gabenspendende, iiber den Zorn
erhabene, seine Sinne beherrschende Gott von Freude erfiillt,
als er mit dem Rudra wieder einig geworden war,
132. (13292.) und von den Rishi's, von Gott Brahman und
von den Gottern hochgeehrt, sprach zu dem gottlichen Herr-
scher (Rudra) der Herrscher der Welt, Hari :
13P*^ (13 293.) Wer dich kennt, der kennt mich, wer dir
anhangt, der hangt mir an. Kein Unterschied ist zwischen
uns beiden, mogest du nie anders denken.
133. (13 294.) Von nun an soil das Abzeichen (Jrivatsa als
Mai deines Speeres an mir zu sehen sein, und du sollst, von
meiner Hand gezeichnet, den Namen Crikantha (Schonhals)
tragen.
Der Heilige [Krishna als der Erzahler] sprach:
134. (13 295.) Nachdem sie in dieser Weise sich gegen-
seitig gezeichnet batten und nachdem die beiden Rishi's (Nara
und Narayana) mit Rudra einen unvergleichlichen Freund-
schaftsbund geschlossen batten,
135. (13296.) entliefsen sie die Himmelsbewohner und gaben
sich wieder mit ungeteiltem Geiste der Askese bin. — Damit
babe ich dir, o Prithasohn, den Sieg des Narayana im Kampfe
erzahlt,
136. (13297.) und auch die geheimnisvollen , unsagbaren
Namen, o Bharata, welche ihm von den Rishi's beigelegt
worden sind, habe ich dir mitgeteilt.
Detjsseh, Mahabh&ratam. 52
818 ni. Mokshadharma.
137. (13298.) So durchwandle ich in mancherlei Gestalten
die Erde hier sowie die Brahmanwelt , o Kuntisohn, und die
Goloha (Welt der Kiihe, Krishna's Himmel) genannte ewige
Statte.
138. (13 299.) Von mir bist du [o Arjuna] im Kampfe be-
schiitzt worden und hast den grofsen Sieg errungen. Aber
jener, der *dir voranzog, als der Kampf entbrannt war,
139. (13300.) das ist Rudra, der muschelhaarige Gottergott,
das sollst du wissen, o Kuntisohn; er wird auch Kala (die
vernichtende Zeit) genannt und ist aus meinem Zorn ent-
sprungen, wie ich dir erzahlt habe.
140. (13 301.) Von ihm sind die Feinde getotet worden, welche
du vordem erschlagen hast ; ihn, den unermefslich machtigen
Gottergott, den Gemahl der Uma, (13302.) verehre als Gott
mit Hingebung, den Herrn des Alls, den unverganghchen Hara.
141. Und ihm, von dem ich dir wiederholt erklart habe,
dafs er aus meinem Zorn entsprungen ist, (13303.) gehort die
Macht an, nach dem, was du vorher gehort hast, o Gutgewinner.
So lautet im Mokshadharma die Geachichte vom Narayana
(Ndrdyaniyam).
Adhyaya 345 (B. 343).
Vers 13304-13370 (B. l-dT).
Qaunaka sprach ;
1. (13 304.) 0 Sauti, da hast du eine grofse Geschichte er-
zahlt, bei deren Anhoren alle die Muni's in die hochste Ver-
wunderung versetzt worden sind.
2. (13 305.) Das Durchmachen aller Lebensstadien, das
Baden in alien heiligen Badeplatzen ist nicht so frucht-
bringend, o Sauti, wie die Erzahlung vom Narayana.
3. (13306.) Wir sind gelautert worden an alien Gliedern,
nachdem wir von Anfang an diese auf Narayana beziigliche
heilige, von allem Bosen befreiende Erzahlung angehort haben.
4. (13307.) Schwer zu schauen ist der heilige, von aller
Welt verehrte Gott von alien Gottern nebst Gott Brahman
und von den grofsen Rishi's.
Adhy&ya 345 (B. 343). 819
5. (13308.) Und dafs Narada den Gott Hari Narayana ge-
schaut hat, wahrlich, das ist eine besondere Gnadenbezeigung
jenes Gottes, o Sohn des Suta.
6. (13309.) Dafs aber Narada, nachdem er den Herrn der
Welt in Gestalt des Aniruddha gesehen hatte, wieder zuriick-
geeilt ist, um die beiden trefflichen Gotter
7. (13310.) Nara und Narayana zu schauen, davon teile
mir die Ursache mit.
Sauti sprach:
(13311.) Als jenes Opfer des Konigs [Janamejaya] , des
Sohnes des Parikshit, stattfand,
8. und wahrend die iibrigen Zeremonien vorschrifts-
mafsig vonstatten gingen, o (^aunaka, (13312.) geschah es, dafs
den machtigen Vyasa, den vedafesten Weisen Krishna Dvai-
payana,
9. der Fiirst der Konige [Janamejaya] befragte, ihn, den
Urgrofsvater seines Grofsvaters.
Janamejaya sprach :
(13313.) Als der Gotterweise Narada aus (^vetadvipa zu-
riickkehrte
10. und das Wort des heiligen Gottes iiberdachte, was
hat er da weiter unternommen? (13314.) Als er in die Ein-
siedelei Badari zuriickgekehrt war und dort die beiden Rishi's
[Nara und Narayana] angetroffen hatte,
11. wie lange Zeit blieb er da bei ihnen, und wonach
hat er sie noch gefragt? (13315.) Denn aus der ausfiihrlichen,
hunderttausend Verse umfassenden Erzahlung von den Bha-
rata's (aus dem Mahabharatam)
12. hat man durch Quirlung dieses unvergleichlichen
Ozeans des Wissens mit dem Quirlstabe des Geistes —
(13316.) wie Butter aus der Milch, wie Sandelholz aus dem
Malayagebirge,
13. wie das Aranyakam [mit seiner Upanishad] aus den
Veden, wie das Amritam der Arzneien aus den Krautern, —
(13317.) das Amritam dieser Erzahlung herausgequirlt, 0 Brah-
mane,
14. namlich die Erzahlung vom Narayana, welche du,
52*
820 in. Mokshadharma.
o Hort der Askese, mitgeteilt hast. (13318.) Er, der heilige
Gott, ist der Herr, ist der Bildner des Selbstes aller Wesen.
15. 0 wie grofs ist die Kraft des Narayana, die schwer
zu schauende, 0 Bester der Zwiegeborenen, (13319.) in welche
am Ende des Kalpa eingehen alle Gotter mit Brahman an
der Spitze,
16. die Rishi's und Gandharven mit allem Beweglichen
und UnbewegHchen. (13320.) Kein hoheres Lauterungsmittel
als ihn gibt es im Himmel und hienieden, so glaube ich.
17. Ja, wahriich, das Durchmachen aller Lebensstadien,
das Baden in alien heiligen Badeplatzen (13321.) ist nicht so
fruchtbringend wie die Erzahlung vom Narayana.
18. In jeder Weise sind wir gelautert worden, die wir
diese Erzahlung von Anfang an angehort haben, (13322.) die
Erzahlung von Hari, dem Herrn des Alls, welche alle
Siinde tilgt.
19. Nichts Wunderbares ist es, was mein Vorfahr, der
Gutgewinner Arjuna, damals ausrichtete, (13 323.) da er den
Vasudeva als Gefahrten hatte, als er den hochsten Sieg
errang.
20. Und nichts in alien drei Welten war unerreichbar
fur ihn, so glaube ich, (13324.) weil Vishnu, der Herr der drei
Welten, ihm Beistand leistete.
21. Und alle meine Vorfahren waren gliicklich, o Brah-
mane, (13325.) welchen der Heimsucher der Menschen (Vishnu)
zum Wohl und Heil verholfen hat.
22. Der von der Welt verehrte heilige Gott kann durch
Askese wohl geschaut werden, (13326.) er, den sie vor Augen
geschaut haben, das Mai Qrivatsa als Zierde tragend.
23. Aber gliicklicher als diese alle ist Narada, der Sohn
des Parameshthin, (13327.) und ich weifs, dafs dieser Narada,
der unvergangliche Weise, eine nicht geringe Macht besitzt,
24. von welchem, als er nach Qvetadvipa gekommen war,
Hari selbst sich schauen liefs; (13328.) nur auf der Gnade des
Gottes beruht ein solches leibhaftiges Schauen desselben.
25. Dafs Narada aber, nachdem er damals den Gott in
der Erscheinungsform des Aniruddha gesehen hatte, (13329.)
wieder zu der Einsiedelei Badari zuriickeilte,
Adhyaya 345 (B. 343). 821
26. um den Nara und Narayana zu sehen, welcher Grund
hat ihn dazu veranlafst, o Muni? (13330.) Und als nun Narada,
der Sohn des Parameshthin , von (^vetadvipa zuriickgekehrt
27. und zur Einsiedelei Badari gelangt, mit jenen beiden
Rishi's zusammengetroffen war, (13331.) wie lange Zeit weilte
er damals dort, und welche Fragen stellte er?
28. Und als jener Hochsinnige von ^vetadvipa zuriick-
gekehrt war, (13332.) was sprachen da zu ihm die hochsinnigen
Rishi's Nara und Narayana?
29. Das alles mogest du mir der Wahrheit gemafs er-
zahlen.
Vai5amp&,yana spracli:
(13333.) Verehrung sei jenem heiligen, unermefslich starken
Vyasa,
30. durch dessen Gnade ich instand gesetzt worden bin,
diese Erzahlung von Narayana mitzuteilen. (13334.) Nachdem
er also zu der grofsen weifsen Insel gekommen war und dort
den ewigen Hari geschaut hatte,
31. kehrte Narada zuriick, o Konig, und gelangte schnell
zum Meru. (13335.) Wahrend er in seinem Herzen die Last
dessen bewegte, was ihm der hochste Atman gesagt hatte,
32. bemachtigte sich alsbald seines Geistes eine grofse
Erregung, o Konig. (13 336.) Als er von der langen Reise wohl-
behalten zuriickgelangt war,
33. begab er sich von dem Meru weiter zu dem Berge
Gandhamadana (13337.) und stieg eilend aus der Luft herab
zu der geraumigen Einsiedelei Badari.
34. Dort erblickte er die beiden alten G otter, die besten
Rishi's, (13 338.) wie sie machtige Askese iibten, im Atman fest
und grofsen Geliibdes,
35. an Glanz der die ganze Welt bestrahlenden Sonne
iiberlegen, (13339.) mit dem Male Qrivatsa geziert, verehrungs-
wiirdig, Haarflechtenkranze tragend.
36. Ihre Fiifse und Hande waren mit Schwimmhauten
versehen [als Abzeichen ihrer Gottlichkeit], ihre Sohlen trugen
das Zeichen des Diskus, (13340.) durch breite Brust, lange
Arme und vier Hoden zeichneten sie sich aus,
37. durch sechzig Zahne und acht Eckzahne, ihre Stimme
822 III. Mokshadharma.
glich dem Regengeprassel ; (i334i.) schonmundig, breitgestirnt,
schonbrauig, schon an Kinnbacken und Nase waren sie;
38. Sonnenschirmen ahnlich waren die Haupter der beiden
Gotter; (is 342.) so war das Aussehen der beiden, welche den
Namen der grofsen Purusha's fiihren.
39. Bei ihrem Anblicke freute sich Narada, und von ihnen
mit Ehrerbietung empfangen, (13343.) willkommen geheifsen
und nach seinem Befmden befragt,
40. wurde er nachdenklich , als er die beiden hochsten
Purusha's betrachtete. (13344.) Jenen versammelten, von alien
"Wesen verehrten Mannern,
41. die ich in Qvetadvipa gesehen habe, gleichen an Aus-
sehen diese beiden besten Rishi's; (13345.) so dachte er bei
sich, umkreiste sie von rechts her
42. und setzte sich auf einem schonen Sitze aus KuQa-
gras nieder. (13346.) Nachdem die beiden als Gefafse der
Askese, des Ruhmes und der Kraft erscheinenden
43. Rishi's, von Ruhe und Bezahmung erfiillt, ihre Morgen-
andacht beendet hatten, (13 347.) ehrten sie gesammelten Geistes
den Narada mit Fufswasser und Gastspende,
44. erfiillten die taglichen Pflichten gegen den Gast und
liefsen sich auf ihren Sitzen nieder. (13348.) Und wie sie so
dasafsen, strahlte die ganze Gegend
45. wie die Opferstatte von den Opferfeuern, wenn sie
durch einen Buttergufs hoch emporflammen. (13349.) Da rich-
tete Narayana die Rede an Narada,
46. welcher, ermiidet und durch die Gastspende gelabt,
sich behaglich niedergelassen hatte.
Nara und Narayana sprachen:
(13 350.) Weilt auch jetzt noch der heilige, ewige, hochste
Atman,
47. der Urquell unser beider, in Qvetadvipa, und hast
du ihn dort gesehen?
Narada sprach:
(13351.) Wohl habe ich ihn gesehen, den seligen, all-
gestaltigen, ewigen Purusha,
Adhyaya 345 (B. 343). 823
48. in welchem alle Welten ruhen mitsamt den Gottern
und den Rishi's, (13352.) und auch heute sehe ich ihn, indem
ich euch, ihr Ewigen, betrachte.
49. Denn die Merkmale, mit welchen der verborgen-
gestaltige Hari geziert war, (13353.) dieselben Merkmale tragt
auch ihr beiden in sichtbarer Gestalt an euch.
50. Schon dort sah ich euch neben jenem Gotte stehen,
(13354.) und bin nun hierhergekommen, nachdem mich jener
hochste Atman entlassen hat.
51. Wer konnte aber auch an Kraft, Ruhm und Schon-
heit (13 355.) in den drei Welten jenem vergleichbar sein aufser
euch beiden Sohnen des Dharma!
52. Er hat mir die vollstandige Satzung mitgeteilt, welche
den Namen des Kshetrajna an sich tragt, (13356.) und auch
seine Verkorperungen hat er mir aufgezahlt, in denen er
kiinftig in der Welt erscheinen wird.
53. Jene weifsen, ohne die fiinf Sinnesorgane lebenden
Manner, (13357.) welche alle erweckt und dem hochsten Purusha
ergeben sind,
54. diese preisen allezeit den Gott, und er hat seine
Freude in Gemeinschaft mit ihnen. (13 358.) Denn der von
seinen Freunden verehrte und den Zwiegeborenen holde, hei-
lige (hhagavdnj ^ hochste Atman
55. freut sich, wenn er gepriesen wird, und ist stets ein
Freund der ihm ergebenen Bhagavata's. (13359.) Der all-
geniefsende, allgegenwartige Gott Madhava, der Liebling
seiner Verehrer,
56. dieser an Kraft und Glanz Ubermachtige ist Tater
und Ursache und Wirkung zugleich. (133G0.) Er, der Hoch-
beriihmte, ist der Grund und das Gesetz und das Wesen.
57. Wenn er sich zur Askese anschickt, dann strahlt
noch heller als Qvetadvipa (1336I.) sein Glanz, der durch
eigenes Licht leuchtet, wie es heifst (Brih. Up. 4,3,6).
58. Das ist der Friede, welcher von ihm bereiteten Geistes
den drei Welten verliehen wurde; (13 362.) mit dieser schonen
Erkenntnis hat er sein beharrendes Gelubde angetreten.
59. Nicht scheint dann die Sonne, nicht strahlt dann
824 in. Mokshadharma.
der Mond, (13 363.) nicht weht der Wind, wenn der Gotterherr
seine schwere Askese iibt.
60. Auf einem Altar, acht Spannen hoch, erhebt sich
iiber die Erde der Allschopfer, (13364.) er, der Gott, auf einem
Fufse stehend, mit emporgereckten Armen, mit emporgericli-
tetem Angesicht,
61. die Veden nebst Vedanga's durchgehend, so iibt er
seine schwer zu vollbringende Askese. (13 365.) Was Gott
Brahman und die Rishi's sind und was der Herr der Herden
(^iva) selbst ist,
62. und die iibrigen besten Gotter, die Daitya's, Danava's
und Rakshasa's, (13 366.) die Schlangen, Vogel und Gandharven,
die Vollendeten und die Konigsweisen,
63. diese alle bringen das vorschriftsmafsig gespendete
Gotter- und Manenopfer dar, und (13367.) das alles [naht] den
Fiifsen des Gottes, wenn er [Askese iibend] dasteht.
64. Und alle Opfergaben, welche von allein ihm Ergebenen
dargebracht werden, (13 368.) die alle nimmt der Gott selbst
durch Neigen des Hauptes in Empfang.
65. Und kein anderer wird als ihm lieber von Erweck-
ten, Hochsinnigen (13369.) gewufst in den drei Wei ten [als der
ihm allein Hingegebene] ; darum bin ich zu dieser alleinigen
Hingebung an ihn gelangt
66. und bin, von dem Hochsinnigen entlassen, hierher
zuriickgekehrt. (13 370.) In dieser Weise hat der heilige Gott
Hari selbst zu mir geredet,
67. und ihm allein ergeben, will ich immerdar in eurer
Nahe verbleiben.
So lautet im Mokshadharma die Geschichte vom Nar^yana
(Ndrdyaniyam).
Adhyaya 346 (B. 344).
Vers 13371-13398 (B. 1-27).
Nara und Narayana sprachen:
1. (13371.) Gluckhch bist du, begnadet bist du, dafs du den
Herrn selbst geschaut hast, denn ihn hat noch keiner ge-
sehen, nicht einmal der Lotosgeborene (Gott Brahman) selber.
Adhyaya 346 (B. 344). 825
2. (13 372.) Verborgenen Ursprungs und schwer zu schauen
ist der heilige, hochste Purusha, o Narada, dieses unser Wort
spricht die Wahrheit.
3. (13 373.) Keiner ist ihm lieber in der Welt als wer ihm
ergeben ist, darum hat er dir sich selbst gezeigt, o Bester
der Zwiegeborenen.
4. (13 374.) Denn der Ort, an welchem von dem hochsten
Atman Askese geiibt wird, kann sonst von niemandem be-
treten werden aufser uns beiden, o Bester der Zwiegeborenen.
5. (13375.) Denn so grofs der Glanz von tausend vereinigten
Sonnen ist, so grofs ist der Glanz jener Statte, die er selbst
bestrahlt.
6. (13 376.) Aus diesem Gotte, o Brahmane, als Herrn der
Welt stammt das Weltall, stammt die Geduld der Geduldigen,
o Bester, mit welcher die Erde ausgestattet ist.
7. (13 377.) Aus diesem, das Wohl aller Wesen wollenden
Gotte stammt der Geschmack, mit ihm wurden die Wasser
verbunden und erlangten zugleich die Fliissigkeit.
8. (13378.) Aus ihm ist ferner entstanden das Element,
welches die Glut und das Licht als Eigenschaften an sich
tragt, mit diesem wird die Sonne ausgestattet, darum strahlt
sie im Weltraume.
9. (13 379.) Aus diesem Gotte, dem hochsten Purusha,
stammt die Eigenschaft der Beriihrung, mit welcher der Wind
ausgestattet wurde, darum durchbraust er die Welt.
10. (13380.) Aus ihm, dem Herrn und Meister aller Wei ten,
stammt auch der Ton, mit welchem der Ather ausgestattet
wurde, darum hat er keine Schranken.
11. (13381.) Aus diesem Gotte stammt das alle Wesen
durchdringende Manas, mit ihm ist der Mond verbunden,
der daher die Fahigkeit der Aufhellung besitzt.
12. (13 382.) Hervorbringerin alles Seienden wird jene Statte
im Veda genannt, in welcher, von der Wissenschaft begleitet,
der heilige Geniefser des Gotter- und Manenopfers weilt.
13. (13 383.) Die nun, welche in dieser Welt fleckenlos,
frei von Gutem und Bosem leben, fiir diese den Weg des
Friedens Gehenden, o Bester der Zwiegeborenen,
826 HI, Mokshadharma.
14. (13 384.) ist der die Finsternis in aller Welt ver-
scheuchende Sonnengott die Eingangspforte. Nachdem dort
ihr ganzer Korper von der Sonne verzehrt ist, gehen sie un-
sichtbar fur jeden iiberall
15. (13385.) und atomklein geworden zu jenem Gotte ein.
Und auch von ihm entlassen, nachdem sie in ihm, dem Ani-
ruddha, geweilt hatten,
16. (13386.) gehen sie, zum Manas geworden, in Pradyumna
ein; und auch von Pradyumna freigelassen, gehen sie sodann
in den Jiva, d. i. Sankarshana, ein,
17. (13 387.) sie, die vorziigHchsten Brahman en, die Sah-
khya's mitsamt den Bhagavata's. Und sodann gehen sie,
von dem Dreigunawerk befreit, unmittelbar in den hochsten
Atman ein,
18. (13388.) die Besten der Zwiegeborenen zu dem guna-
losen Kshetrajfia. Dieser Kshetrajna ist in Wahrheit Vasu-
deva, der Befasser (dvdsaj des Weltalls.
19. (13389.) Und zu diesem Vasudeva gehen ein die, welche
gesammelten Geistes, bezahmt, ihre Sinne beherrschend und
zur alleinigen Hingebung an ihn gelangt sind.
20. (13 390.) Auch wir beiden, die wir, o Bester der Zwie-
geborenen, in dem Hause des Dharma geboren sind, haben
uns in diese hebliche, geraumige Einsiedelei zuriickgezogen
und furchtbare Askese geiibt.
21. (13391.) Was aber die kiinftigen, von den Gottern ge-
Hebten Verkorperungen dieses Gottes in den drei Welten
betrifft, so geschieht es um ihres Besten willen [dafs wir
diese Askese iiben], o Zwiegeborener.
22. (13 392.) Aber auch von uns beiden, die wir nach wie
vor an unsere eigene Satzung gebunden sind, o Bester der
Zwiegeborenen, und ein in jedem Sinne beschwerhches , un-
vergleichhches Geliibde ununterbrochen betreiben,
23. (13 393.) auch von uns hist du in (^vetadvipa gesehen
worden, o Askesereicher, wie du dem HeiHgen nahtest und
ihm deinen Wunsch vortrugst.
24. (13 394.) Denn alles ist uns bewufst in dieser Dreiwelt
des Beweghchen und Unbeweghchen , das Zuklinftige, Ver-
gangene und Gegenwartige, das Gute wie das Bose, (13395.) [und
Adhyaya 346 (B. 344). 827
SO wissen wir auch, dafs] jener Gottergott dir alles mitgeteilt
hat, o grofser Muni.
Vai^ampayana sprach:
25. (13 396.) Nachdem Narada dieses Wort der beiden in
furchtbarer Askese Begriffenen gehort hatte, fing er an, mit
zusammengelegten Handen und dem Narayana einzig ergeben,
26. (13397.) der Vorschrift gemafs viele auf den Narayana
beziigliche Mantra's zu murmeln, und so verblieb er tausend
Gotterjahre in der Einsiedelei des Nara und Narayana,
27. (13398.) er, der hochmachtige, heilige Weise Narada,
indem er jenen Gott verehrte wie auch beide, den Nara und
Narayana.
So lautet im Mokshadharma die Geschichte vom N&r&yana
(Ndrdyaniyam).
Adhyaya 347 (B. 345).
Vers 13399-13426 (B. 1-28).
Vaigampayana sprach:
1. (13 399.) Nun geschah es einstmals wahrend dieser Zeit,
dafs Narada, der Sohn des Parameshthin , nachdem er das
Gotteropfer regelrecht dargebracht hatte, sodann das Opfer
an die Vater vornahm.
2. (13400.) Da sprach zu ihm der alteste Sohn des Dharma,
der Herr, das "Wort: Wer ist es, dem du, o Bester der Zwie-
geborenen, opferst, wenn du ein Opfer fiir die Gotter oder
Vater darbringst?
3. (13401.) Das sage mir, o Bester der Verstandigen, ent-
sprechend der heihgen Uberheferung [die du dabei befolgst].
Welches ist das Werk, das du betreibst, und welche Frucht
erstrebst du dabei?
Narada sprach:
4. (13402.) Schon ehedem hast du mir gesagt, dafs man
den Gottern opfern miisse; das Opfer an die Gotter ist das
hochste, ist der ewige, hochste Atman selbst.
828 HI. Mokshadharma.
5. (13403.) Darum, in dieser Weise belehrt, verehre ich.
durch mein Opfer den unverganglichen Vaikuntha. Aus ihm
ist vordem entsprossen Gott Brahman, der Urvater der Welt.
6. (13404.) Diesen erzeugte erfreut der Allerhochste als
meinen Vater, und ich bin der aus seinem Wunsche geborene
Sohn, der Erstgewiinschte.
7. (13405.) Den Vatern aber opfere ich, o Outer, auf den
Befehl des Narayana, so sehr ist dieser HeiHge fiir mich
Vater, Mutter und Grofsvater,
8. (13 406.) und bei den Opfern an die Vater wird daher
allezeit der Herr der Welt verehrt. Audi besagt eine andere
gottliche Schriftiiberlieferung, dafs die Vater ihren Sohnen
geopfert hatten;
9. (13 407.) namlich als die Vedaiiberlieferung vergessen
worden war, wurde sie ihnen von den Sohnen wieder gelehrt,
und so stiegen die mantraspendenden Sohne zum Range der
Vater auf.
10. (13408.) Gewifs habt ihr beiden, deren Geist bereitet
ist, von den Gottern die Geschichte vernommen, wie die Sohne
und die Vater sich abwechselnd gegenseitig verehrt haben,
11. (13409.) indem sie auf die vorher mit Kugagras be-
streute Erde drei Pinda's (Klofse) legten. Aber wie kommt es
wohl, dafs die Vater auch den Namen Pinda erhalten haben?
Nara und Narayana sprachen:
12. (13410.) Einstmals war diese ozeanumgiirtete Erde ver-
sunken, da hat sie Govinda, indem er die Gestalt eines Ebers
annahm, alsbald wieder heraufgeholt.
13. (13411.) Nachdem aber der hochste Purusha die Erde
wdeder an ihrem Orte befestigt hatte, wollte er, der sich bei
der Anstrengung um des Heiles der Welt willen mit Wasser-
schlamm beschmutzt hatte,
14. (13412.) da die Sonne im Verlaufe des Tages gerade
ihren [heifsesten] Stand zur Mittagszeit erreicht hatte, drei
an seinen Hauern hangengebliebene Klofse fpindaj mit Gewalt
abschiitteln.
15. (13 413.) Er schleuderte sie auf die Erde, die er vorher
mit Kugagras bestreut hatte, o Narada, und in ihrer Form
Adhyaya 347 (B. 345). 829
brachte er, auf sich selbst Bezug nehmend, das Vateropfer
dar, wie es die Vorschrift erheischt.
16. (13414.) Und nachdem der Herr die drei Klofse nach
seinem eigenen Brauche zubereitet hatte mit 01 enthaltenden
Sesamkornern, die aus der Erhitzung seines eigenen Leibes
entsprungen waren,
17. (13415.) weihte der Gottherr sie als Darbringung und
vollbrachte es selbst, mit dem Angesicht nach Osten gewandt.
Und um eine Satzung aufzurichten , sprach er sodann das
folgende Wort.
Vrishakapi (oben, Vers 13247 fg.) sprach:
18. (13416.) Als ich als Weltschopfer mich selbst dazu
anschickte, die Vater (pitarah als Ace.) zu schaffen, da warden
von mir alsbald, wahrend ich (tasya mit C.) iiber die hochsten
Satzungen der den Vatern darzubringenden Opfer nachdachte,
19. (13417.) diese Klofse von meinen Hauern nach Siiden
hin abgeschiittelt, und indem sie zur Erde fielen, entstanden
dadurch die Viiter.
20. (13418.) Ohne feste Formen sind die drei Klofse; und
so sollen auch die ewigen, von mir geschaffenen Vater (Manen)
diesen Klofsen an Gestalt gleich sein.
21. (13419.) Und als der [abgeschiedene] Vater, Grofsvater
und Urgrofsvater bin ich zu verstehen, der ich in den drei
Klofsen weile.
22. (13420.) Keinen Hohern gibt es als mich, welcher andere
konnte also von mir verehrt werden oder mein Vater in der
Welt sein! Ich bin ja der Grofsvater
23. (13421.) und der Vater des Grofsvaters, bin der letzte
Urgrund. Nachdem der Gottergott als Vrishakapi dieses Wort
gesprochen hatte,
24. (13422.) legte er die Klofse mit Zubehor auf dem Eber-
berge nieder, o Brahmane, zollte sich selbst [als in den Klofsen
befindlich] Verehrung und verschwand.
25. (13423.) Das ist also seine Einsetzung, o Brahmane,
dafs die Vater unter dem Namen der Klofse immerdar Ver-
ehrung empfangen, dem Worte des Vrishakapi entsprechend.
26. (13424.) Wer nun den Vatern, Gottern, Lehrern,
830 ni. Mokshadharma.
Gasten, Kiihen, Brahmanenobersten und der Mutter Erde Ver-
ehrung zollt
27. (13425.) in Werken, Gedanken oder Worten, der ver-
ehrt damit den Vishnu selbst. Er, der Heilige, ist in allem
Seienden verkorpert,
28. (13426.) ein und derselbe in alien Wesen, er, der iiber
Lust und Leid erhabene, grofse, grofswesenhafte , allwesen-
hafte Narayana, so lehrt die Schrift.
So lautet im Mokshadharma die Geschichte vom Narayana
(Ndrdyantyam) .
Adhyaya 348 (B. 346).
Vers 13427-13448 (B. 1-22).
Vaigampaj'ana sprach :
1. (13427.) Als Narada diese von Nara und Narayana aus-
gehende Rede vernommen hatte, da kam er, voll Liebe er-
fiillt, zur absoluten Alleinverehrung dieses Gottes.
2. (13428.) Nachdem er somit tausend Jahre in der Einsiedelei
des Nara und Narayana geweilt, die Erzahlung von dem Heiligen
gehort und den unverganglichen Hari selbst geschaut hatte,
3. (13429.) kehrte er alsbald zum Himalaya zuriick, wo
seine eigene Einsiedelei stand. Und sie, die beriihmten Asketen
und Weisen Nara und Narayana,
4. (13430.) fuhren fort, in ihrer lieblichen Einsiedelei die
hochste Askese zu iiben. Aber auch du [o Janamejaya], un-
ermefslich tapferer Nachkomme der Pandava's,
5. (13431.) bist nunmehr in deinem Geiste gelautert worden,
weil du diese Erzahlung von Anfang an vernommen hast. Eiir
den gibt es nicht jene Welt und nicht diese, o bester Fiirst,
6. (13432.) welcher in Werken, Gedanken oder Worten dem
ewigen Vishnu feind ist. Dessen Vater versinken in die Holle
fiir ewige Zeiten,
7. (13433.) welcher den Besten der Gotter, den Gott Hari
Narayana hafst. Wie konnte aber irgend jemandem der
Atman (das Selbst) der Welt hassenswert erscheinen!
Adhyaya 348 (B. 346). 831
8. (13434). Als dieser Atman aber, o Manntiger, ist Vishnu
anzuerkennen , das steht fest. — Jener Weise [Vyasa], der
Sohn der Gandhavati, der uiiser Lehrer ist,
9. (13435.) von dem ist jene hochste, ewige Majestat [des
Vishnu] verkiindet worden, von ihm habe ich sie vernommen
und dir, o Untadhger, mitgeteilt.
10. (13436.) Narada aber ist es, welcher diese Lehre mit
ihren Mysterien und sonstigem Zubehor .unmittelbar von dem
Herrn der Welt Narayana erlangt hat, o Fiirst.
11. (13437.) Das ist die grofse Lehre, und sie, mit kurzen
Vorschriften versehen, ist dir schon vordem, o Bester der
Fiirsten, mitgeteilt worden in der Harigita (wohl = Bhaga-
vadgita).
12. (13438.) Aber den Vyasa, den Krishna Dvaipayana sollst
du wissen als den auf Erden wandelnden Narayana, denn wer
anders als dieser, o Manntiger, konnte der Verfasser des
Mahdbhdratam sein,
13. (13439.) und wer anders aufser ihm, dem Herrn, konnte
die mannigfachen Satzungen verkiindigt haben!
14. Nun mag das grofse Opfer vor sich gehen, wie es
von dir vorbereitet worden ist, (13440.) denn du hast ja das
Rofsopfer vorbereitet und das Gesetz nach seiner Wahrheit
kennen gelernt.
Sauti sprach:
15. (13 441.) Nachdem der beste Fiirst [Janamejaya] diese
Erzahlung angehort hatte, voilzog er alle zur Vollbringung
des Opfers erforderlichen Brauche.
16. (13 442.) Dir aber, o Qaunaka, ist diese Geschichte vom
Narayana heute hier auf deine Frage von mir im Kreise der
Bewohner des Naimishawaldes erzahlt worden,
17. (13443.) wie sie einst Narada dem Lehrer der Rishi's
und Panda va's [wohl Vyasa, nach Nil. Brihaspati] mitgeteilt
hat, wahrend Krishna und Bhishma zuhorten.
18.* (13 444.) Er [Narayana] ist ja der hochste Weise,
Herr der Menschen und der Welt, Trager selbst der
breiten Erde und der Schrift und Zucht Behalter, Hort
* Tiber die Metra von 18-22 vgl. Hopkins, The Great Epic, p. 353.
832 in. Mokshadharma.
des Friedens und des Zwanges, hoch die Zucht und
Selbstzucht schatzend, Zwiegeborene folgen ihm, und
auch dir als Zuflucht diene Hari, der unsterblich Gute.
19. (13445.) Er, der Toter der Damonen, der Behalter
der Askesen, derBefasser grofsen Ruhmes, Kaitabha's und
Madhu's Toter, Pflichtgetreuen Weg und Zuflucht, er, der
Opferanteilnehmer , moge dir auch Schutz verleihen.
20. (13 446.) Dreigunahaft, dreigunalos, vier der Gestalten
zeigend, teilnehmend an der Frucht bei Werk und Opfer, er
moge unbesiegt und unerschiittert verleihen allezeit den
rechten Gang, der bin zum Atman, fiihrt die frommen Rishi's.
21. (13447.) Vor ihm, dem Zuschauer der Welt, dem
ewigen Purusha, dem alten, dem sonnenfarbenen Herrn
und Heifer, verneigt euch vielfach mit vereintem Geiste,
vor ihm, dem Rishi, dem sogar sich neigte vordem der
Erstgeborene der Wasser.
22. (13448.) Er ist die Wiege ja der Welt, die Statte der
Unsterblichkeit , verborgene Zuflucht, unerschiitterlicher
Ort, von Sahkhya's und von Yogin's hochgehalten (dhritam
mit C.) und von im Geist Bezahmten wird dies Ewige.
So lautet im Mokshadharma die Geschichte vom NarAyana
(Ndrdijaniyam).
Adhyaya 349 (B. 347).
Vers 13449-13546 (B. 1-96).
^aunaka sprach:
1. (13449.) Vernommen haben wir nunmehr die Majestat
jenes heiligen, hochsten Atman und die Geburt des Nara
und Narayana in dem Hause des Dharma
2. (13450.) und die von dem grofsen Eber vordem ver-
anlafste Entstehung der Pinda's ; ferner auch, wer in irgend-
einer Weise fiir die Aktivitat oder Passivitat bestimmt ist.
3. (13451.) Und ebenso haben wir von dir, o untadHger
Brahmane, vernommen die Erzahlung von dem im grofsen
nordostlichen Ozean weilenden Vishnu, dem Geniefser des
Gotter- und Manenopfers.
Adhyaya 349 (B. 347). 833
4. (13452.) Aber jenes grofse Rofshaupt, von dem du vor-
her erzahltest, ist ja auch von dem heiligen Gott Brahman
Parameshthin gesehen worden.
5. (13453.) Was hat nun, als er diese vom welttragenden
Hari vordem geschaffene Gestalt und Gewalt erblickte, wie
sie unter den grofsen Dingen noch nicht dagewesen war,
o Bester der Weisen,
6. (13454.) als er jenen besten Gott, den wunderbaren,
unermefslich kraftigen, heihgen Rofshaupttrager erbhckte,
was hat da Gott Brahman getan, o Muni?
7. (13455.) Uber diesen Gegenstand unseres Zweifels sprich
uns, o Brahmane, iiber jene aus Erkenntnis entsprungene
Schopfung des grofsen Purusha, o du Hochweiser.
8. (13456.) Wir fiihlen uns gelautert durch dich, o Brah-
mane, wenn du uns eine heihge Geschichte vortragst.
Sauti sprach :
(13457.) Ich will dir die ganze alte, mit dem Veda im
Einklang stehende Geschichte erzahlen,
9. wie sie der heilige Vyasa [schiiler] vor dem Konig
[Janamejaya] , dem Sohne des Parikshit , vorgetragen hat.
(13458.) Nachdem namlich der Konig von dem Gotte Hari-
medhas in der Gestalt des Rofshauptes hatte erzahlen horen,
10. da stieg ihm ein Zweifel auf, und er brachte
folgende Frage vor.
Janamejaya sprach:
(13459.) Da Gott Brahman den Gott rait dem Rofshaupte
gesehen hat,
11. so mogest du mir, o Bester, erklaren, zu welchem
Zwecke jenes [Rofshaupt] entstanden ist.
VaiQampa.yana sprach:
(13460.) 0 Fiirst, alles was hier auf der Welt an Korper-
lichem vorhanden ist,
12. das alles ist von den fiinf Elementen gebildet, wie
sie der Herr ausgesonnen hat. (i346i.) Denn der Herr ist es,
der die Welt schuf, der machtige Narayana als Viraj,
Deussen, Mahabharatam. 53
834 in. Mokshadharma.
13. er, das innere Selbst der Wesen, der Gabenspender,
der Gunahafte und Gunalose. (13462.) Vernimm aber jetzt,
o Bester der Fiirsten, wie die Wesen samt und senders zu-
grunde gehen.
14. Als sich die Erde vordem in Wasser und in dem
einen Ozean aufloste, (13463.) als dann das Wasser zu Feuer
und das Feuer zu Wind wurde,
15. der Wind im Ather sich aufloste und der Ather im
Manas, (13464.) als das Manas in das Entfaltete einging und
das Entfaltete in das Unentfaltete
16. und das Unentfaltete in den Purusha und nur der
Purusha iiberall vorhanden war, (13465.) da war alles eine
Finsternis und nichts war zu erkennen.
17. Den aus der Finsternis als das Brahman Entstandenen,
in der Finsternis Wurzelnden, Unsterblichen, (13466.) ihn, der
die Gestalt als Purusha annahm, welohe von ihm den Namen
Allmacht tragt, —
18. Aniruddha wird er genannt — ihn nennt man auch
das Pradhanam. (13467.) Dieses, soil man wissen, ist das Drei-
gunahafte, Unentfaltete, o Bester der Manner.
19. Die Wissenschaft als Gefahrtin habend, hatte der
allumschiitzte, machtige Gott Hari (13 468.) sich auf den Wassern
gelagert, dem Yogaschlummer hingegeben,
20. indem er die mannigfache, aus vielen Kraften ent-
springende Schopfung der Welt iiberdachte. (13469.) Indem
er die Schopfung iiberdachte, erinnerte er sich an seine grofse
Selbstkraft ;
21. dadurch entstand der Ahankara (das Ichbewufstsein),
und dieser ist Gott Brahman mit vier Angesichtern, (13 470.) der
heilige Hiranyagarbha, der Urvater aller Welten.
22. Da geschah es, dafs der aus Aniruddha Entsprungene,
Lotosaugige, (i3 47i.) Glanzreiche, Ewige, in der tausendblatt-
rigen Lotosblume sitzend,
23. der Herr, einem Wunder vergleichbar, die aus Wasser
bestehenden Welten schaute (13472.) und sich anschickte, die
Scharen der Wesen zu schaffen, er, der im Sattvam stehende
Parameshthin.
24. Vorher aber schon hatten sich auf dem sonnengleich
Adhyaya 349 (B. 347). 835
strahlenden Blatte der Lotosblume (13473.) zwei von Narayana
geschaffene, kraftiiberlegene Wassertropfen angesetzt.
25. Diese beiden erblickte der anfang- und endlose, un-
wandelbare Heilige. (13474.) Der eine Tropfen war an leuch-
tendem Glanze dem Honig fmadhuj vergleichbar ;
26. dieser wurde aus dem Tamas geboren als [der Da-
mon] Madhu auf Befehl des Narayana. (13475.) Der andere
Tropfen, zahe fTcathinaJ und aus dem Rajas geboren, wurde
zum Damon Kaitabha.
27. Diese beiden stiirmten heran, iiberlegen, mit den
Guna's des Tamas und Rajas erfiillt, (13 476.) gewalttatig,
keulenschwingend, und klommen an dem Lotosstengel empor.
28. Da sahen sie, wie im Kelche der Lotosblume der
unermefslich glanzende Gott Brahman safs (13477.) und als
erstes die vier Veden in schoner Leibhaftigkeit schuf.
29. Als die beiden leibhaftigen , hochsten Damonen die
Veden sahen, (13478,) bemachtigten sie sich alsbald der Veden
vor den Augen des Gottes Brahman.
30. Und die beiden trefflichsten Damonen packten die
ewigen Veden (13479.) und tauchten mit ihnen schleunigst in
dem nordostlichen Ozean zur Unterwelt nieder.
31. Als ihm so die Veden entrissen waren, geriet Gott
Brahman in Verzweiflung (13480.) und sprach, der Veden be-
raubt, zu dem Herrn das Wort.
Gott Brahman sprach :
32. (13481.) Die Veden sind mein hochstes Auge, die Veden
meine hochste Kraft, die Veden sind meine hochste Statte,
die Veden mein hochstes Heiligtum.
33. (13482.) Alle meine Veden sind mir hier von zwei
Damonen mit Gewalt weggenommen worden; nun sind die
Wei ten fiir mich verfinstert, da sie der Veden beraubt sind.
34. (13483.) Wie kann ich ohne die Veden die treffliche
Weltschopfung vollbringen! 0 welch ein grofses Leid hat
mich durch den Verlust der Veden getroffen
35. (13484.) und brennt mit Heftigkeit mein kummervolles
Herz! Wer wird mich jetzt aus dem Ozean des Leides heraus-
ziehen, in den ich versunken bin,
53*
836 III. Mokshadharma.
36. (13485.) und die verlorenen Veden wiederbringen ! Wer
hat mich lieb genug dazu? — Indem Gott Brahman so
jammerte, o Bester der Fiirsten,
37. (13486.) kam ihm der Gedanke, o Bester der Denker,
dem Hari ein Loblied zu singen, und mit zusammengelegten,
vorgestreckten Handen trug der Herr die hochste Murme-
lung vor.
Gott Brahman sprach:
38. (13487.) Om! Verehrung dir, o Brahmanherz , Ver-
ehrung dir, der du vor mir geboren bist, Weltenerster, Bester
der Wesen, machtiger Behalter des Sahkhyam und Yoga,
39. (13488.) Schopfer des Entfalteten und Unentfalteten,
Unausdenkbarer , der du den Weg des Friedens wandelst,
Allgeniefser , inneres Selbst aller Wesen, Nichtmutterschofs-
entsprungener ! (13489.) Ich bin durch deine Gnade geboren
als Statte und Schopfer der Welt.
40. Meine erste Geburt aus dir, welche die Zwiegeborenen
preisen, war aus deinem Geiste; (13490.) meine zweite uranfang-
Hche Geburt geschah aus deinen Augen.
41. Durch deine Gnade erfolgte meine dritte grofse Ge-
burt aus deiner Rede, (13491.) und aus deinen Ohren war meine
vierte Geburt, o Machtiger.
42. Zu den Agvin's [Ndsatya als Schutzgottern des Ge-
ruchs, Nil.J in Beziehung stehend ist meine folgende Geburt
aus dir. (13492.) Aus dem [Welt-] Ei ist meine sechste Geburt
von dir erschaffen worden.
43. Und diese meine Geburt aus dem Lotos ist die
siebente, 0 Herr. (13493.) In jeder einzelnen Schopfung bin
ich dein Sohn, o du Dreigunaloser,
44. dein erstgeborener, lotosaugig, aus dem obersten Guna,
dem Sattvam, gebildet. (13494.) Du freilich bist der Herr, die
Urnatur, die Werkfessel, der durch sich selbst Seiende,
45. ich aber bin von dir geschaffen worden, nicht alternd,
den Veda als Auge habend, (13495.) und nun ist mir mein
Auge, der Veda, geraubt worden und ich bin blind ! Erwache
46. und gib mir meine Augen wieder, lieb bin ich dir,
lieb bist du mir. — (13496.) Als der heilige, allwarts blickende
Purusha in dieser Weise gepriesen wurde,
Adhyaya 349 (B. 347). 837
47. da gab er den Yogaschlummer auf und richtete seine
Aufmerksamkeit auf die Angelegenheit des Veda; (13497.) und
durch Anwendung seiner Herrschermacht nahm er eine neue
Erscheinungsform an,
48. und indem er in einem Korper mit schonen Niistern
wie der Mond erglanzte, (13498.) verwandelte sich der Herr in
ein schones Rofshaupt zur Bergung der Veden.
49. Sein Haupt war der Himmel mit Mondhausern und
Sternen, (13499.) seine Haare waren lang und kamen an Glanz
den Sonnenstrahlen gleich.
50. Seine Ohren waren Luftraum und Unterwelt, seine
Stirn war die Wesen erhaltende Erde, (i3 5oo.) Gaiiga und
Sarasvati waren seine Hiiften, die beiden Ozeane seine Brauen,
51. Sonne und Mond seine Augen, die Dammerung seine
Nase, (13501.) der Omlaut war sein gestaltendes Prinzip
{sanslidraj^ der Blitz seine Zunge,
52. seine Zahne waren die als Somatrinker bekannten
Vater, (13502.) die Kuhwelt und die Brahmanwelt waren die
Lippen des hochsinnigen Rofshauptes,
53. sein Hals war die gunalosende Zeitnacht [nach dem
Weltuntergang]. (13503.) Nachdem Narayana sich zu diesem
mannigfache Gestalten zeigenden Rofshaupte gemacht hatte,
54. verschwand der machtige Allherr und ging in die
Unterwelt ein. (13504.) In die Unterwelt gelangt, gab er sich
dem hochsten Yoga hin,
55. und indem er die in der Qiksha gelehrte Aussprache
benutzte, liefs er den Udgitha ertonen. (13505.) Dieser Ton mit
seinem Nachhall, nach alien Seiten liebhch sich verbreitend,
56. durchdrang das Innere der Erde, mit den Reizen aller
Wesen ausgestattet und schon. (13506.) Darauf nahmen die
beiden Damonen den Veden das Versprechen ab [ihnen ge-
horsam zu sein],
57. brachten sie in der Unterwelt in Gewahrsam und
rannten dahin, woher der Ton kam. (13507.) Wahrend dieser
Zeit, o Konig, bemachtigte sich der rofshauptgestaltete Gott
58. Hari der samtlichen in die Unterwelt verschleppten
Veden (13508.) und gab sie dem Gott Brahman zuriick. Darauf
begab er sich wieder in seine alte Lage,
838 III. Mokshadharma.
59. nachdem er das Rofshaupt in den nordostlichen
Ozean versetzt hatte. (13509.) So vollbrachte der Rofshaupt-
gestaltete die Bergung der Veden.
60. Aber die beiden Damonen Madhu und Kaitabha,
nachdem sie dort nichts gesehen batten, (issio.) stiirmten in
Eile zuriick und sahen,
61. dafs die Stelle, wo sie die Veden verwahrt batten,
leer war. (I3 5ii.) Da gerieten die gewaltig Starken in die
grofste Wut
62. und fuhren schleunigst aus der Rasa (Unterwelt) ge-
nannten Behausung heraus; (13512.) da saben sie den Purusha,
den macbtigen Anfangsscbopfer,
63. weifs, von reinem Ausseben wie der Mond, in der
Erscheinungsform des Aniruddba, (13513.) unermefsHcb tapfer,
wie er sicb dem Yogascblummer iiberlassen hatte
64. auf dem seiner Grofse entsprechenden, auf dem
Wasser schwimmenden , (13514.) aus den Windungen seiner
Schlange gebildeten Lager, welches von einem Kranze lodern-
der Flammen umgeben war.
65. Als sie ihn nun in fleckenlosem Sattvam und leuch-
tendem Glanze (13515.) daliegen saben, da bracben die beiden
Damonenfiirsten in ein grofses Gelachter aus
66. und sprachen, von Rajas und Tamas besessen:
(13 516.) Da liegt ja der weifse Purusha und bat sich dem
Schlafe iiberlassen!
67. Der ist es also gewesen, der uns die Veden aus der
Unterwelt gestohlen hat! (13517.) Von wem stammt er und
wer ist er eigeiitlich? Und was hat er auf den Schlangen-
windungen zu schlafen?
68. Durch solche Ausrufe weckten sie den Hari auf.
(13518.) Als der weise, hochste Purusha sie voll Kampflust sab,
69. da mafs er die beiden Damonenfiirsten mit den
Blicken und entscblofs sicb zu kampfen. (13519.) Nun ent-
brannte ein Kampf zwischen den beiden und dem Narayana,
70. und die beiden Rajas und Tamas im Leibe haben-
den Madhu und Kaitabha (13B20.) wurden, um die dem Gotte
Brahman angetane Schmach zu rachen, von Madbusudana
(dem Madhutoter) erschlagen.
Adhyaya 349 (B. 347). 839
71. Dadurch aber, dafs er sie totete und ihnen den Veda
wieder entrissen hatte, (13521.) still te der hochste Purusha
alsbald das Leid des Gottes Brahman.
72. Darauf schuf unter Hari's Beistand und mit Hilfe
der Veden Gott Brahman (13522.) die gesamten Welten mit
allem Unbeweglichen und Beweglichen.
73. Gott Hari aber, nachdem er dem Urvater die hochste,
weltschaffende Einsicht eingeflofst hatte, (13523.) verschwand
und zog sich wieder dorthin zuriick, woher er gekommen war.
74. Nach der Totung der beiden Danava's und der Her-
vorbringung des Rofshauptes (13 524.) nahm Hari nochmals
dessen Gestalt an, um die Satzung der Aktivitat zu befdrdern.
75. So hatte also der hochbegliickte Hari die Gestalt
als Rofshaupt angenommen, (13525.) welche an ihm als eine
uralte, gabenspendende, gottliche gepriesen wird.
76. Wenn nun ein Brahmane diese Erzahlung bestandig
anhort und behalt, (13526.) so wird sein Vedastudium niemals
in Verfall geraten.
77. Diesen rofshaupttragenden Gott hatte durch furcht-
bare Askese fiir sich gewonnen (13527.) Pancala, da empfing
er auf dem von dem Gott gewiesenen Wege den Kramapatha.
78. So war es mit dem Rofshaupte, o Konig, und damit
habe ich dir (13528.) seine alte, mit dem Veda in Einklang
stehende Geschichte erzahlt, nach der du mich gefragt hast.
79. Welcher Art auch immer die Erscheinungsform sein
mag, die der Gott, indem er sich irgendwo eine Aufgabe setzt,
anzunehmen wiinscht, (13529.) die nimmt er an, indem er sich
selbst durch sich selbst umwandelt.
80. Er ist das herrliche Gefafs des Veda, er ist der Askese
Gefafs, (13530.) er ist Yoga und Sankhyam, das uranfangliche
Brahman, der machtige Hari (mit C),
81. Narayana ist das Endziel des Veda, Narayana das
Wesen des Opfers, (13531.) Narayana ist das Endziel der Askese
und das Endziel des Weges.
82. Narayana ist das Endziel der Wahrheit, Narayana
das Endziel des Rechts, (13.532.) Narayana ist das Endziel der
Pflicht, welche eine Wiederkehr ausschliefst [punaravritti-
durlahhah, anders oben, Vers 13082).
840 III. Mokshadharma.
83. Aber auch die Pflicht, welche Aktivitat fordert, ist
ihrem Wesen nach Narayana. (13533.) Dem Narayana gehort
in der Erde der beste Geruch an;
84 der Geschmack als Qualitat des Wassers, o Konig,
ist seinem Wesen nach Narayana; (13534.) und auch die herr-
Hche Sichtbarkeit des Feuers ist Narayana ihrem Wesen nach;
85. auch die Beriihrung als Quahtat des Windes ist ihrem
Wesen nach Narayana; (13535.) und auch der aus dem Ather
entspringende Ton gehort dem Narayana an.
86. Und auch das die Quahtat des Unentfalteten tragende
Manas entspringt aus ihm; (13536.) Narayana ist der Gebieter
der Zeit, und der Gang der Gestirne ist er.
87. Narayana ist Herr des Ruhmes, ist Herr der Gottinnen
des Gliickes und der Schonheit; (is 537.) Narayana ist das
hochste Ziel des Sankhyam und das Wesen des Yoga.
88. Er, der Purusha, ist die wahre Ursache fiir alles,
was als Ursache sowohl die Prakriti (13538.) als auch die eigene
Natur, die Werke und das Schicksal hat.
89. Er ist Standort, Tater und auch das Werkzeug,
(13539.) sowie die mannigfache Betatigung und das Schicksal
als fiinftes.
90. Und so ist Hari die Summe der fiinf Ursachen und
ihr tragender Grund allerwarts. (13540.) Wer mit iiberallhin
dringenden Mitteln die Wahrheit zu erkennen sucht,
91. fur den ist die Wahrheit er allein, der grofse Yogin,
Hari Narayana, der Herr. (13541.) Was Brahman und die
Welten, was die hochsinnigen Rishi's,
92. die Saiikhya's, Yogin's, Selbstbezahmer und Selbst-
erkenner (13542.) ausdenken mogen, das durchschaut Kegava,
aber sie durchschauen nicht, was er denkt.
93. Fiir alle, welche in alien Welten den Gottern und
Manen Opfer bringen, (13543.) Gaben spenden und grofse
Askese iiben,
94. fiir diese alle ist Vishnu in seiner Majestat der
tragende Grund. (13544.) Weil er die Heimstatt fdvdsaj aller
Wesen ist, wird er Vasudeva genannt.
95. (13545.) Er ist der ewige, hochste, grofse Weise,
ist Machtentfaltung , ist der Gunafreie, der doch mit
Adhyaya 349 (B. 347). 841
Guna's sich alsbald verbindet, wie jenachdem die Zeit
mit Jahreszeiten.
96. (13546.) Von ihm, dem Hochgesinnten, findet nie-
raand, wohin er geht, woher er ist gekommen ; die grofsen
Weisen, die das Wissen pflegen, schauen ihn als ewigen
Geist, als Gunalosen.
So lautet im Mokshadharma die Geschichte vom Narayana
(Ndrdyaniyam).
Adhyaya 350 (B. 348).
Vers 13547-13636 (B. 1-88).
Janamejaya sprach:
1. (13 547.) 0 wie sehr liebt doch der heilige Hari alle
Ekantin's (ihm allein Ergebenen)! Wie nimmt doch der
Heihge die von ihnen vorschriftsmafsig dargebrachte Ver-
ehrung gern entgegen!
2. (13 548.) Sie, welche in der Welt frei von Gutem und
Bosem sind, wie eine Flamme, deren Brennholz verbrannt ist
[frei von Ranch] , gehen ihren Weg, wie du ihn mir als iiber-
lieferten mitgeteilt hast.
3. (13 549.) Erst bei dem vierten Gange gelangen [durch
Aniruddha, Pradyumna und Sahkarshana hindurchj jene
[anderen Menschen] zum hochsten Purusha, aber die ihm
einzig ergebenen Menschen fekdntinah) gelangen [sogleich]
zur hochsten Statte.
4. (13 550.) Gewifs ist dieser Weg der Ekantin's der beste,
und Narayana liebt es, wenn einer, ohne die drei vorherigen
Wege zu gehen, zu ihm , dem unverganglichen Hari gelangt.
5. (13551.) Von dem Wege der Brahmanen, welche mit ge-
biihrendem Eifer die Veden nebst Upanishad's vorschrifts-
mafsig rezitieren, und auch von dem Weg derer, welche sich
die Askese zur Pflicht machen,
6. (13 562.) verschieden ist der Weg der Manner, welche
ihm einzig ergeben sind, das weifs ich; aber von welchem
Gotte Oder Rishi ist diese Lehre mitgeteilt worden?
842 HI. Mokshadharma.
7. (13 553.) Welches ist der Wandel der einzig ihm Er-
gebenen, und wann ist er gelehrt worden, o Machtiger? Diesen
Zweifel lose mir, denn hochste Wifsbegierde erfullt mich.
Vaiganipayana sprach:
8. (13 554.) Als die Heere der Kuru's und Pandava's in
Schlachtordnung aufgestellt waren, und als Arjuna von Ver-
zagtheit befallen wurde (oben, S. 35 fg.), da wurde von dem
Heiligen selbst besungen
9. (13 555.) der Abweg und der Weg, wie ich dir schon
friiher erzahlte. GeheimnisvoU ist ja diese Lehre und schwer
erkennbar fiir solche, welche unbereiteten Geistes sind.
10. (13556.) In Einklang mit dem Samaveda wurde vor-
dem im Zeitalter Kritam diese Lehre geschaffen und wird
noch aufrecht erhalten von ihm selbst, o Konig, von dem
Gotte Narayana.
11. (13 557.) Nach dieser Sache, o grofser Konig, wurde
von dem Prithasohne (?) der hochbegliickte Narada im Kreise
der Rishi's befragt, wahrend Krishna und Bhishma zuhorten
[vgl. Vers 13443, anders unten. Vers iseiij,
12. (13558.) und mir (mama mit C.) wurde sie von meinem
Lehrer mitgeteilt, o Bester der Fiirsten ; vernimm sie so, wie
sie damals von Narada erzahlt wurde.
13. (13 559.) Als, o Erdeherr, die Geburt des Gottes Brah-
man aus dem Manas des Narayana, aus dessen Munde er-
folgte, damals hat Narayana selbst
14. (13560.) nach dieser Satzung das Gotter- und Manen-
opfer geschaffen, und diese Satzung erlernten von ihm die
schaumernahrten Eishi's.
15. (13 561.) Von diesen schaumtrinkenden Rishi's haben
die Vaikhanasa's diese Satzung iiberkommen, und von den
Vaikhanasa's empfing sie Soma. Dann ist sie wieder ver-
schwunden.
16. (13562.) Als sodann die zweite Geburt des Gottes Brah-
man aus den Augen [Narayana's] erfolgte, da [tadd mit C.)
lernte der Urvater (Gott Brahman) die Satzung von Soma.
17. (13 563.) Der Narayanahafte gab sie weiter dem Rudra,
Adhy^ya 350 (B. 348). 843
o Konig; der im Yoga beharrliche Rudra hat dann vordem
im Weltalter Kritam, o Furst,
18. (13564.) diese Satzung alien Valakhilya-Rishi's iiber-
mittelt; und abermals verschwand sie durch die Zauberkraft
jenes Gottes.
19. (13565.) Als sodann die dritte grofse Geburt des Gottes
Brahman aus der Rede [Narayana's] erfolgte, ist dieSe Satzung
aus Narayana selbst entstanden, o Fiirst.
20. (13566.) Sie erlangte ein Rishi mit Namen Suparna
von dem hochsten Purusha vermoge seiner Askese, Bezah-
mung und Selbstbezwingung.
21. (13567.) Weil Suparna diese hochste Satzung dreimal
[taglich] durchging, darum wird dieses Geliibde der Trisu-
parna-Ritus genannt,
22. (13568.) und dieses im Rigveda [10,114, 3-5J vor-
kommende Geliibde ist schwer zu vollbringen. Von Suparna
wurde diese ewige Satzung iibernommen
23. (13569.) durch den das Leben der Welt tragenden Wind-
gott, dem er es mitteilte, o Bester der Zweifiifsler. Vom
Windgotte erlangten sie die von Uberbleibseln lebenden
Rishi's,
24. (13 570.) und von ihnen erlangte der grofse Ozean diese
hochste Satzung. Darauf verschwand abermals die von Na-
rayana eingesetzte Satzung.
25. (13571.) Als wiederum die Schopfung des hochsinnigen
Gottes Brahman aus dem Ohre [Narayana's] stattfand, o Mann-
tiger, was da geschah, das vernimm von mir.
26. (13572.) Als Hari Narayana selbst seinen Geist darauf
richtete, die Welt zu schaffen, da erdachte er einen mach-
tigen Purusha, der die Weltschopfung vollbringen sollte.
27. (13573.) Da ging, indem er daran dachte, aus seinen
Ohren ein Purusha hervor, namlich der die Schopfung der
Wesen vollbringende Gott Brahman. Zu diesem sprach der
Herr der Welt:
28. (13 574.) 0 Sohn, schaffe alle Geschopfe aus deinem
Munde wie aus deinen Fiifsen, ich werde dir dazu Gliick,
Kraft und Energie verleihen, o Geliibdetreuer;
29. (13 575.) auch nimm von mir eine Satzung entgegen.
844 ni. Mokshadharma.
welche den Namen Sdtvata fiihrt; mit dieser erschaffe und
stiitze das Kritaweltalter nach der Vorschrift.
30. (13 576.) Da zollte Gott Brahman dem Gotte Hari-
medhas seine Verehrung und nahm von ihm die vorziigliche
Satzung nebst zugehoriger Geheimlehre und Ausziigen in
Empfang.
31. (i'3 577.) Und nachdem Narayana dem unermefslich
kraftigen Gotte Brahman die von einem Aranyakam begleitete,
seinem Munde entstromende Lehre mitgeteilt hatte,
32. (13578.) ging er mit den Worten: „Du sollst der
Schopfer der Satzungen fiir die Weltalter sein" zu der jen-
seits der Finsternis gelegenen Statte, in welcher das Unent-
faltete ruht und die den Namen „Werk ohne Wiinsche" tragt.
33. (13579.) Darauf schufder gabenverleihende Gott Brah-
man, der Urvater der Welt, die samtlichen Welten mit allem
UnbewegHchen und BewegHchen.
34. (13580.) Zunachst nun entstand das Weltalter Kritam
als ein glxickliches, denn in ihm bestand die Satvatasatzung,
sich durch alle Welten verbreitend.
35. (13581.) Mit dieser uranfanglichen Satzung verehrte
Gott Brahman, der Weltschopfer, den Gotterherrn Hari, den
machtigen Narayana.
36. (13582.) Und um die Satzung zu festigen, lehrte er sie
dem Manu Svarocisha aus Wohlwollen fiir die Welten.
37. (13 583.) Svarocisha aber, der machtigeHerr der ganzen
Welt, belehrte vor Zeiten mit gesammeltem Geiste seinen
■eigenen Sohn (^ankhapada, o Fiirst.
38. (13584.) Qankhapada belehrte weiter seinen leiblichen
Sohn, den Hitter der Weltgegenden Suvarnabha, (13 585.) Und
wiederum verschwand die Satzung, als das Zeitalter Treta
anbrach.
39. Und als weiterhin die Geburt des Gottes Brahman
unter Beistand der AQvin's [als Schutzgotter der Nase] statt-
fand, o bester Fiirst, (13 586.) hat der machtige Gott Hari Na-
rayana selbst diese Satzung
40. verkiindigt, er, der lotosaugige Gott. Von Gott
Brahman, vor dessen Augen dies geschah, (13 587.) hat sie weiter
•erlernt der heilige Sanatkumara.
Adhyaya 350 (B. 348). 845
41. Von Sanatkumara aber hat der Schopferherr Virana
(13 588.) am Anfang eines [abermaligen] Zeitalters diese Satzung
gelernt, o Kurutiger.
42. Virana aber, nachdem er sie erlernt hatte, iiberlieferte
sie dem Weisen Raibhya, (13 589.) und Raibhya hat sie seinem
reinen, geliibdetreuen, frommen Sohne
43. mit Namen Kukshi iibergeben, dem pflichtkundigen
Hiiter der Weltgegenden. (i3 590.) Dann aber verschwand aber-
mals die aus dem Munde des Narayana hervorgegangene
Satzung.
44. Weiter wurde bei seiner Geburt aus dem Ei dem
aus Hari entsprossenen Gott Brahman (13591.) wiederum diese
Satzung aus dem Munde des Narayana mitgeteilt.
45. Gott Brahman nahm die Satzung entgegen, o Konig,
verwendete sie nach der Vorschrift (13592.) und lehrte sie den
Muni's, o Fiirst, die da Barhishadah heifsen.
46. Von den Barhishadah gelangte die Satzung zu einem
des Samaveda kundigen Brahmanen, (13593.) dem beriihmten
Jyeshtha, denn dem Hari gehort das Jyeshthasaman - Ge-
liibde an.
47. Von Jyeshtha gelangte die Satzung zum Konige Avi-
karapana, (13594.) dann aber verschwand sie wieder, o mach-
tiger Konig, diese Satzung des Hari.
48. Als aber die siebente Geburt des Gottes Brahman
aus der Lotosblume stattfand, o Konig, (13 595.) da lehrte Na-
rayana selbst diese Satzung
49. dem reinen, Welten tragenden Urvater zu Anfang des
[folgenden] Zeitalters. (13596.) Der Urvater iiberlieferte weiter
diese Satzung vor Zeiten dem Daksha.
50. Weiter iibergab sie Daksha seinem altesten Tochter-
sohn, o bester Fiirst, (13597.) namlich dem Aditya, dem altesten
Bruder des Savitar, und von diesem empfing sie Vivasvant.
51. Vivasvant iiberlieferte sie zu Anfang des Weltalters
Treta dem Manu, (13593.) und Manu gab sie zum Gedeihen
der Welt weiter an seinen Sohn Ikshvaku.
52. Von Ikshvaku wurde sie iiber die ganze Welt ver-
breitet und besteht in ihr, (13599.) aber am Weltende wird
sie wieder zu Narayana zuriickkehren , o Fiirst.
846 ni. Mokshadharma.
53. Und auch dir, o Bester der Fiirsten, ist diese Satzung
der Selbstbezahmer vordem (iseoo.) mitgeteilt worden in der
Harigita (vgl. oben, Vers 13437 und i3554fg.), zusammengefafst
in kurzer Vorschrift.
54. Narada aber empfing aufs beste mitsamt Geheim-
lehren und Ausziigen (iseoi.) diese Satzung unmittelbar von
Narayana, dem Herrn der Welt, o Fiirst.
55. So steht es, o Konig, mit dieser grofsen, uranfang-
lichen, ewigen Satzung, (1:3 602.) und sie, schwer erkennbar
und schwer befolgbar wie sie ist, wird allezeit von den
Satvata's beobachtet.
56. Durch die Erkenntnis dieser Satzung, wenn sie richtig
durch die Tat verwirklicht wird (13603.) und von dem Gesetze
der Nicht-Totung begleitet ist, wird Hari, der Herr, erfreut,
57. mag er in einer Erscheinungsform oder auch in zweien
<13604.) oder in dreien oder in alien vieren [als Aniruddha,
Pradyumna, Sankarshana und Vasudeva] angeschaut werden.
58. Hari ist als Kshetrajna, selbstlos, ohne Teile, (13 605.) als
Jiva in alien Wesen, erhaben liber die fiinf Elemente und die
Guna's,
59. und auch als das die fiinf Sinne bewegende Manas
wird er gefeiert, o Konig. (13 6O6.) Er, der Weise, ist die Welt-
ordnung und der Schopfer der Welt,
60. Nicht-Tater und zugleich Tater, die Wirkung und
auch -die Ursache (13 607.) nach seinem Belieben spielend,
o Konig, als der ewige Purusha.
61. Diese Satzung der alleinigen Hingebung an ihn ist
dir, o bester Konig, mitgeteilt worden (13 608.) von mir dank
der Gnade meines Lehrers, schwer erkennbar wie sie ist fiir
solche, welche unbereiteten Geistes sind.
62. Manner, die ihm allein ergeben sind feMntinJ, sind
nicht leicht in grofserer Zahl zu finden, o Fiirst. (13609.) Ja,
ware die Welt voll von solchen ihm allein Ergebenen, o Kuru-
sprofs,
63. von solchen Nicht-Schadigenden, Atmankundigen, am
Wohle aller Wesen sich Erfreuenden, (iseio.) dann ware das
Zeitalter Kritam wieder da mit seinen ohne Wunsch nach
Lohn geiibten Werken.
Adhyaya 350 (B. 348). 847
64. Das ist es, o Volkerherr, was mein Lehrer, der heilige
Vyasa, (I3 6ii.) der pflichtkundige Beste der Brahmanen, dem
gerechten Konige (Yudhishthira) erzahlt hat
65. im Kreise der Kishi's, o Konig, wahrend Krishna
und Bhishma zuhorten [anders oben, Vers 13557] ; (i3 6i2.) diesem
namUch hatte vordem der grofse Asket Narada Belehrung
erteilt
66. iiber den allerhochsten Gott, das Brahman, den weifsen,
mondglanzenden, unerschiitterhchen , (13 613.) zu welchem die-
jenigen eingehen, die ihn allein verehren, die dem Narayana
ganz ergeben sind.
Janamejaya spracli:
67. (13 614.) Wie kommt es, dafs diese vielverzweigte, von
den Erweckten gepflegte Satzung von anderen, mancherlei
Geliibde befolgenden Brahmanen nicht angenommen wird?
Vai^amp^yana sprach:
68. (13 615.) 0 Konig, drei Naturen bestehen bei denen,
welche an die LeibHchkeit gefesselt sind, die sattvahafte,
rajashafte und tamashafte, o Bharata.
69. (13616.) Unter alien, die an den Korper gefesselt sind,
o Kurusprof sling, ist der beste Mensch der sattvahafte, 0 Mann-
tiger, und ihm ist die Erlosung gewifs.
70. (13 617.) Schon hienieden erkennt er den brahman-
weisesten Purusha; die Erlosung hat Narayana als Gipfel,
darum heifst sie sattvahaft.
71. (13 618.) Den hochsten Purusha iiberdenkend, erlangt
das Ersehnte der, welcher mit alleiniger Liebe immerdar dem
Narayana als Hochstem anhangt.
72. (13 619.) Nach ihm sehnen sich alle nach Erlosung
trachtenden Selbstbezwinger, und ihnen verleiht Stillung des
Durstes (trishndj und Frieden der Gott Hari.
73. (13 620.) Denn der Mensch, welchen bei seiner Geburt
Madhusudana anblickt, der ist ein Sattvahafter und ihm ist
die Erlosung gewifs.
74. (13 621.) Seine Satzung, mit alleiniger Hingebung be-
folgt, ist gleichwertig mit Saiikhyam und Yoga; in der den
848 ni. Mokshadharma.
Narayana als Wesen habenden Erlosung eriangen sie das
hochste Ziel.
75. (13 622.) Nur der Mensch kann ein Erweckter werden,
welchen Narayana gnadig anblickt, aber durch eigenen
Wunsch, o Konig, kann keiner ein Erweckter werden.
76. (13 623.) Wo hingegen die rajashafte und tamashafte
Natur [dem Sattvam] beigemischt fvydmigra) ist, ein en solchen
Menschen, wenn er geboren wird, o Volkerherr,
77. (13624.) als ein mit den Merkmalen der Aktivitat Be-
hafteter, blickt Gott Hari nicht selbst an, sondern Gott Brah-
man, der Urvater der Welten, blickt ihn an bei seiner Geburt,
78. (13 625.) weil er von Eajas und Tamas in seinem Geiste
iiberschwemmt ist. Gotter und Rishi's freilich wurzeln im
Sattvam, o bester Fiirst,
79. (13 626.) diejenigen aber, welche dieses feinen Sattvam
ganz entbehren, werden Anhanger des Verganglichen (vaiJid-
riJcaJ genannt.
Janamejaya sprach:
(13 627.) Wie ist es aber moglich, dafs ein solcher An-
hanger des Verganglichen zu dem hochsten Purusha gelangt ?
80. Erklare mir alles, wie du es geschaut hast, und auch
was sich daraus ergibt, der Reihe nach.
Vaigampayana sprach:
(13 628.) Zu dem iiberaus feinen, der Wesenheit teilhaften,
der drei Laute fa -]- u -{- m =^ omj teilhaften
81. Purusha geht ein der Purusha, wenn er als Fiinf-
undzwanzigster rein von Werken ist. (13 629.) In dieser Er-
kenntnis stimmen das Sahkhya-Yogasystem und das [die
Upanishad einschliefsende] Aranyakam des Veda
82. sowie die Pancaratralehre zusammen als gegenseitig
sich erganzende Teile. (i3 63o.) Das ist die Satzung der Ekan-
tin's, die in Narayana das Hochste sehen.
83. (13 631.) Wie Wasserfluten aus dem Ozean hervor-
brechen, o Konig, und wieder in ihn zuriickstromen, so
gehen die grofsen Wasserfluten der Erkenntnis wieder
in Narayana [als ihren Ursprung] zuriick (vgl. Chand.
Up. 6,10,1)!
Adhyltya 350 (B. 348). 849
84. (13 632.) Damit habe ich dir, o Kurusprofs, die Satvata-
satzung erklart, befolge sie nach der Vorschrift, soweit du
kannst, o Bharata.
85. (13(;33.) Denn in dieser Weise hat der hochbegliickte
Narada meinem Lehrer den unverganglichen , ihm allein
huldigenden Wandel der weisen Selbstbezwinger verkiindigt.
86. (13 634.) Vyasa aber hat diese Satzung aus Liebe dem
weisen Sohne des Dharma (Yudhishthira) iibediefert, und
ebendiese habe ich dir mitgeteilt, wie ich sie von meinem
Lehrer iiberkommen habe.
87. (13635.) So steht es mit dieser Satzung, o bester Fiirst,
welche schwer zu befolgen ist; denn wie du so leben auch
die anderen hienieden in Verblendung.
88. (13 636.) Denn Krishna ist es, der diese Wei ten bildete
und in Verblendung stiirzte, der sie wieder in sich zuriick-
rafft und die Ursache ihrer Neuentstehung ist, o Volkerherr.
So lautet im Mokshadbaima
in der Geschichte vom Nar&yana das 'Weseii der ihm alleiii Ergebenen
(Ndrdyantye ekdntikabhdva).
Adhyaya 351 (B. 349).
Vers 13637-13712 (B. 1-74).
Janamejaya sprach:
1. (13637.) Das Sankhyam, der Yoga, das Pancaratram
und das Aranyakam des Veda, diese Wissenschaften, o Brah-
manweiser, sind in der Welt im Umlaufe.
2. (13 638.) Haben diese nun eine gemeinsame Grundlage
oder besondere Grundlagen, o Muni? Uber diese Frage be-
lehre mich und iiber das, was sich daraus ergibt, der Reihe nach.
Vai^ampayana sprach :
3. (13 639.) Ihm, dem vielerfahrenen , hochsten, nach
dem Hochsten strebenden, grofsen Rishi, den durch Hin-
gebung ihrer selbst mitten auf der Insel die Satyavati
als Sohn dem Paragara gebar, ihm, der die Finsternis
des Nichtwissens verscheucht, sei Verehrung!
Deubsen, Mah&bbftTatam. 54
850 III. Mokshadharma.
4. (13 640.) Ihn, den grofsen Rishi, riihmen sie als
Ursprung des Urvaters, als sechste Verkorperung des
Narayana, mit heiliger Machtfiille ausgeriistet, aus einem
Telle des Narayana entsprungen, als einzigen Sohn auf
der Insel geboren und als grofsen Behalter des Veda.
5. (13 641.) Ihn, den hochsinnigen Vyasa, hat am An-
fang der Zeiten der grofsmachtige, hochstrebende Nara-
yana als seinen Sohn hervorgebracht, als den ewigen,
alien, grofsen Behalter des heiligen Vedawortes.
Janamejaya sprach:
6. (13 642.) Vordem wurde in betreff seines Ursprungs von
dir, o Bester der Zwiegeborenen, erzahlt, dafs Vasishtha als
Sohn den Qakti hatte und dafs Paragara der Sohn des
Qakti war,
7. (13 643.) und dafs der Weise Krishna Dvaipayana der
Sohn des Paragara sei; und jetzt behauptest du, er sei ein
Sohn des Narayana.
8. (13644.) Handelt es sich dabei um eine vormalige Ge-
burt des unermefslich kraftigen Vyasa? Dann erzahle mir,
o du Hochweiser, von jener seiner Geburt aus dem Narayana.
Vaigampayana sprach:
9. (13 645.) Als den Inhalt des Veda zu erkennen ver-
langend, in Heiligkeit und Askese, mein Lehrer, in der Er-
kenntnis beharrend, am Fufse des Himalaya safs
10. (13 646.) und, von Askese miide, rait Weisheit die
Erzahlung von den Bharata's verfafste, da waren wir, ihn aufs
hochste schatzend und ihm Gehorsam leistend, seine Schiller,
11. (13 647.) namlich Sumantu, Jaimini, der geliibdetreue
Paila und ich als vierter, sowie auch (^uka, der eigene Sohn
des Vyasa.
12. (13648.) Von diesen fiinf vortreflPIichen Schiilern um-
geben, erglanzte am Fufse des Himalaya, wie der von seinen
Geisterscharen umgebene Herr der Geister ((^iva), der hei-
lige Vyasa,
13. (13 649.) indem er den Veda samt Vedanga's und den
Inhalt der Bharata-Erzahlungen allseitig in seinem Geiste be-
Adhyaya 351 (B. 349). 851
wegte. Wir aber ehrten mit Hingebung seine geistige Kon-
zentration und Bezahmung.
14. (13 650.) Wahrend einer Pause in den Unterredungen
mit ihm befragten wir den Besten der Zwiegeborenen nach
dem Sinne des Veda, dem Sinne der Bharata-Erzahlungen und
so auch nach seiner Geburt aus Narayana.
15. (13 651.) Und nachdem der Wesenskundige uns iiber
den Sinn des Veda und der Bharata-Erzahlungen belehrt hatte,
fing er folgendermafsen an von seiner Geburt aus Narayana
zu reden.
16. (13 652.) Vernehmt, ihr Brahmanen, die folgende, hochst
vortreff liche , heilige Geschichte, welche sich zur Urzeit be-
geben hat und durch Askese von mir in Erfahrung gebracht
wurde.
17. (13 653.) Als die siebente, mit dem Lotos anhebende
Wesensschopfung herannahte, da liefs Narayana, der iiber
Gutes und Boses erhabene grofse Yogin,
18. (13 654.) der unermefsHch glanzende, zuerst aus seinem
Nabel den Gott Brahman hervorgehen. Als dieser in die
Erscheinung getreten war, sprach zu ihm Narayana das Wort :
19. (13655.) Aus meinem Nabel bist du geboren als der
machtige Wesenschopfer ; so schaffe denn, o Brahman, die
mannigfachen Wesen, die ungeistigen wie die geistigen.
20. (13 656.) Auf diese Worte senkte Gott Brahman mit
sorgeerfulltem Geiste sein Antlitz, verneigte sich vor dem
gabenspendenden Gotte, dem machtigen Hari, und sprach:
21. (13657.) Welche Kraft hatte ich, die Geschopfe zu
schaffen, o Gottherr, — Verehrung sei dir! — mir fehlt die
notige Einsicht, o Gott, bestimme, was geschehen soil.
22. (13658.) Nach diesen Worten zog sich der Heilige in
die Verborgenheit zuriick und erdachte die Buddhi (die Weis-
heit), er, der Beste aller Buddhibegabten.
23. (13659.) In leibhaftiger Gestalt stellte sich darauf die
Buddhi dem machtigen Hari vor, und er, der iiber Aufgaben
Erhabene, gab ihr eine Aufgabe auf,
24. (13660.) indem der unvergangliche , machtige Gott zu
der im Yoga der Gottherrlichkeit stehenden, zielbewufsten,
vortreff lichen Buddhi also sprach:
54*
852 ni. Mokshadharma.
25. (13 661.) „Gehe ein in den Gott Brahman, damit der
Zweck der Weltschopfung erreicht werde." Und auf Befehl
des Herrn ging die Buddhi alsbald in jenen ein.
26. (13662.) Als Hari ihn mit der Buddhi ausgestattet sah,
sprach er abermals zu ihm das Wort: „Schaffe die mannig-
fachen Geschopfe!"
27. (13 663.) „So sei es!" sprach jener und verneigte sich
dem Befehl des Hari entsprechend mit dem Haupte, worauf
der HeiHge in die Verborgenheit zuriickging,
28. (13 664.) alsbald jenen dem Gotte zukommenden Zu-
stand annahm und, zu seiner Natur zuriickkehrend, zur Ein-
heitlichkeit gelangte.
29. (13 665.) Da aber kam ihm wieder ein anderer Gedanke :
„Geschaffen sind von dem hochsten Gotte Brahman diese
mannigfachen Wesen,
30. (13 666.) aber von den Scharen der Daitya's, Danava's,
Gandharva's und Kakshasa's erfullt, ist die Erde da zu einer
iiberladenen und gequalten geworden.
31. (13 667.) Auch werden die Daitya's, Danava's und
Kakshasa's auf der Erde zahlreich und stark werden und
durch Askese ihre hochsten Wiinsche verwirklichen.
32. (13668.) Dann aber werden sicherlich durch sie alle,
wenn sie durch Erreichung ihrer Wiinsche stolz geworden
sind, die Gotterscharen und die askesereichen Eishi's be-
drangt werden.
33. (13669.) Daher ist es erforderlich, dafs ich eine Ent-
lastung bewirke, indem ich auf der Erde in verschiedenen
Formen der Reihe nach erscheine,
34. (13 670.) um die Bosen niederzuhalten und die Guten
zu fordern. Dann wird diese gequalte, wackere Erde im-
stande sein, sich zu halten.
35. (13 671.) Denn von mir als einer in der Unterwelt
hausenden Schlange wird sie getragen werden und von'^mir
gestiitzt wird sie imstande sein, die ganze Welt der Lebenden,
Bewegliches und Unbewegliches , zu tragen.
36. (13 672.) Somit will ich die Rettung der Erde voll-
bringen, indem ich in die Existenz eingehe." Nachdem der
Adhyaya 351 (B. 349). 853
heilige Madhusudana in dieser Weise mit sich selbst zu Rate
gegangen war,
37. (13673.) schuf er zum Zwecke seines Entstehens in
einer Verkorperung mancherlei Gestalten: den Eber, den
Mannlowen, den Zwerg und einen Menschen,
38. (13 674.) in der Absicht, durch diese die bosen Feinde
der Gotter zu toten. Nachdem er die Welt geschaffen hatte,
liefs er, indem er sie von dem Laute hhoh widerhallen machte,
39. (13 675.) die Rede fsarasvatij aus seinem Munde aus-
gehen; daraus entstand Sarasvata, der aus seiner Rede ge-
borene, gewaltige Sohn, der auch Apantaratamas heifst,
40. (13676.) des Vergangenen, Gegenwartigen und Zukiinf-
tigen kundig, Wahres redend und seine Geliibde haltend.
Zu diesem, der sich mit dem Haupte verneigte, sprach der
ewige Ursprung der Gotter:
41. (13677.) 0 Bester der Verstandigen, der Mitteilung des
Veda [durch mich] sollst du dein Ohr leihen! Befolge also
mein Wort dem Befehle gemafs, o Muni.
42. (13 678.) Darauf wurden von diesem Rishi die Veden
in ihre Teile zerlegt in der Weltperiode des Manu Svayam-
bhuva. Da freute sich der heilige Hari iiber das von jenem
verrichtete Werk,
43. (13 679.) iiber seine wohlgeiibte Askese, Bezahmung
und Selbstbezahmung. „Auch in kiinftigen Manuperioden,
o Sohn, sollst du in derselben Weise verfahren,
44. (13 680.) dann wirst du unerschiitterlich und immerdar
uniiberwindlich sein, o Brahmane. Weiter aber, wenn das
Zeitalter Tishya (Kali) herangekommen sein wird, dann werden
Nachkommen des Bharata, welche Kuru's heifsen,
45. (13681.) als hochsinnige Konige in der Welt beriihmt
leben. Bei diesen von dir Erzeugten wird ein Familienzwist
ausbrechen,
46. (13 682.) welcher zur gegenseitigen Ausrottung fiihren
wird, dich ausgenommen, o Bester der Zwiegeborenen. Auch
in diesem Zeitalter wirst du, durch Askese gefordert, die
verschiedenen Veden in ihre Teile zerlegen.
47. (13 683.) Da das angebrochene Zeitalter ein dunkles
sein wird, so wirst auch du als dunkelfarbig geboren werden.
854 III. Mokshadharma.
Als Vollbringer vieler Pflichten und Hervorbringer der Wissen-
schaft
48. (13 684.) wirst du zwar an Askese reich, aber doch
nicht frei von Leidenschaft sein; hingegen soil dein Sohn
frei von Leidenschaft sein und zum hochsten Atman werden
(13685.) durch die Gnade Mahegvara's; dies Wort wird nicht
unerfullt bleiben.
49. (13 686.) Er, den die Brahmanen als einen geistigen
Sohn des Urvaters , als mit hochster Weisheit begabt
preisen, Vasishtha, dieses hochste Gefafs der Askese,
dessen Glanz den der Sonne iiberstrahlt,
50. (13687.) wird als Nachkommen einen grofsen Weisen,
den hochmachtigen Paragara, haben, und dieser treff-
lichste Behalter des Veda, diese gewaltige Wohnstatte
der Askese wird dein Vater sein.
51. (13688.) Als Jungfernsohn wirst du von diesem Rishi
von einem deinem Vater sich hingebenden Madchen ge-
boren werden.
52. (13 689.) Alle Zweifel in betreif vergangener, gegen-
wartiger oder kiinftiger Dinge werden sich dir losen. Denn
alle vordem gewesenen Wechselfalle der Tausende von Welt-
perioden
53. (13 690.) wirst du, von mir belehrt, um deiner Askese
willen schauen. Und ebenso wirst du die Wechselfalle vieler
Tausend [kiinftiger] Weltalter schauen,
54. (13691.) und auch mich, den anfanglos und endlos in
der Welt waltenden Diskusbewehrten , soUst du durch das
Denken an mich schauen, o Muni. Dies Wort wird nicht
unerfiillt bleiben.
55. (13 692.) Dein Ruhm aber, o du Sattvareicher, wird un-
vergleichlich sein. Weiterhin wird (^anaigcara (Saturn), der
Sohn der Sonne, als ein grofser Manu geboren werden,
56. (13693.) und auch in der Periode dieses Manu sollst
du als Oberster der Scharen dieses Manu geboren werden,
0 Teurer, durch meine Gnade, so ist es beschlossen.
57. (13 694.) Alles, was in der Welt geschieht, erfolgt auf
meine Veranlassung ; mag einer diesen oder jenen Wunsch
hegen, ich bifi es, der ihm seinen Willen verleiht."
Adhyaya 351 (B. 349). 855
58. (13 695.) Nachdem der Herr diese Worte zu dem Eishi
Sarasvata Apantaratama (sic!) gesprochen hatte, sagte er:
Du kannst nun gehen! (13 696.) So bin denn ich [Vyasa] durch
die Gnade dieses Gottes Harimedhas
59. zunachst als Apantaratamas auf Befehl des Hari ins
Leben getreten (13 697.) und wiederum bin ich geboren worden
als der beriihmte Nachkomme des Vasishtha.
60. Damit babe ich euch meine friihere Geburt erklart,
(13698.) wie sie durch die Gnade des Narayana und als ein
Teil des Narayana selbst stattgefunden hat.
61. Denn von mir ist sehr grofse, hochst furchtbare
Askese vordem geiibt worden (13 699.) unter tiefster Versenkung,
o ihr Besten der Verstandigen.
62. Damit babe ich euch, meine lieben Sohne, alles er-
klart, wonach ihr mich gefragt habt, (13700.) meine vergangene
und meine kiinftige Geburt, aus Liebe zu euch, die ihr an
mir hangt.
Vaiijampayana sprach :
63. (13 701.) Damit, o Konig, babe ich dir die friiheren
Geburten unseres Lehrers, des makellosen Vyasa, nach denen
du mich fragtest, erzahlt. Hore nun weiter.
64. (13 702.) Das Sankhyam, der Yoga, das Pancaratram,
die Veden und das Pa^upatam, diese Wissenschaften, o Konigs-
weiser, behandeln mancherlei Gegenstande.
65. (13 703.) Als Urheber des Sankhyam gilt der hochste
Rishi Kapila, als Einfiibrer des Yoga Hiranyagarbha und
kein anderer Weiser der Vorzeit.
66. (13 704.) Apantaratamas hingegen wird als der Lehrer
der Veden bezeichnet ; diesen Weisen nennen einige Pracina-
garbha.
67. (13 705.) Der Gatte der Urha bin wiederum, der Herr
der Geister, ^rikantha, der Sohn Brahman's, Qiva war es,
welcber gesammelten Geistes das PaQupatam offenbarte.
68. (13 706.) Der Einfiibrer des gesamten Pancaratram ist
der Heilige selbst, und iiberhaupt ist fiir alle diese Wissen-
schaften, o bester Fiirst,
69. (13 707.) wie auch ihre Uberlieferung und Lehre sein
856 ni. Mokshadharma.
mag, der herrliche Narayana die Grundlage. Die in der
Finsternis Befangenen freilich kennen ihn nicht, o Volkerherr,
70. (13 708.) aber alle die einsichtigen Urheber der Lehr-
biicher preisen ihn, den weisen Narayana, als die Grundlage
und keinen andern, so sage ich.
71. (13709.) Bei alien, die frei von Zweifel sind, wohnt
immerdar Hari, aber bei den zweifelbehafteten Disputierern
wohnt Madhava nicht.
72. (13 710.) Was aber die Kenner des Paficaratram , die
Hochsten in dieser Rangordnung, betrifft, welche mit alleiniger
Liebe ihm nahen, die gehen sicherlich zu Hari ein.
73. (13 711.) Das Sankhyam und der Yoga sind beide
• ewig und ebenso alle Veden samt und sonders, o Konig ;
von alien ihren Rishi's aber wird bekannt, dafs Narayana
dieses alte Ganze ist.
74. (13 712.) Und alles, was an guten und bosen Werken
hervortritt und in alien Welten sich entwickelt, das stammt
von diesem Rishi her, mag es im Himmel, im Luftraum,
auf der Erde oder in den Wassern vor sich gehen, so
soil man wissen.
So lautet im Moksbadbarma die Entstebungsgeschicbte des Dvaipftyana
(Doaipdyana - utpatti) .
Adhyaya 353 (B. 350).
Vers 13713-13739 (B. 1-27).
Janamejaya sprach:
1. (13 713.) 0 Brahmane, gibt es viele Purusha's oder nur
einen? Und welcher unter alien ist der beste Purusha, welcher
ist als ihr Ursprung zu betrachten?
VaiQampayana sprach:
2. (13 714.) In der Welt gibt es viele Purusha's nach der
Betrachtungsweise des Sankhyam und Yoga, und das heifsen
sie nicht gut, o Kurusprofs, dafs es nur einen Purusha gabe.
Adhy&ya 352 (B. 350). 857
3. (13 715.) Da [in Wahrheit aber] die vielen Purusha's nur
einen Ursprung haben, so will ich dir diesen allbefassenden,
kraftiiberlegenen Purusha erklaren,
4. (13 716.) nachdem ich meine Verehrung meinem Lehrer
Vyasa bezeigt habe, dem Atmankenner, dem askesereichen,
bezahmten, zu verehrenden hochsten Rishi.
5. (13 717.) Denn diese Verherrlichung des Purusha, welche
in alien Veden, o Fiirst, als das Rechte und Wahre verkiindigt
wird, ist von jenem Rishilowen durchdacht word en.
6. (13 718.) In Darlegung und Bestreitung sind von Rishi' s
wie Kapila und anderen, indem sie die innere Seele iiber-
dachten, die Lehrsatze aufgestellt worden, o Bharata.
7. (13 719.) In Kiirze aber will ich dir das, was Vyasa iiber
die Einheit des Purusha gelehrt hat, mitteilen dank der Gnade
des unermefslich Kraftvollen.
8. (13 720.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich die Unterredung des Tryambaka (C'iva)
mit Gott Brahman , o Volkerherr.
9. (13 721.) In der Mitte des Milchmeeres erhebt sich wie
Gold glanzend der herrliche Berg Vaijayanta, o Fiirst.
10. (13 722.) Diesen Berg Vaijayanta besucht bestandig
von seinem Strahlensitze aus der Gott [Brahman], um in
der Einsamkeit das Wesen des innern Selbstes zu iiber-
denken.
11. (13 723.) Als einstmals der weise Gott mit den vier An-
gesichtern dort safs, kam zufallig Qiva herbei, der aus seiner
Stirn entsprungene Sohn.
12. (13 724.) Als grofser Yogin durch die Luft fahrend, liefs
sich damals der dreiaugige Herr alsbald aus dem Luftraume
herab auf den Gipfel des Berges.
13. (13 725.) Erfreut trat er vor jenen und verehrte ihn zu
seinen Fiifsen. Als Brahman ihn zu seinen Fiifsen sah, rich-
tete er ihn mit der linken Hand auf,
14. (13 726.) und er, der einige, machtige Prajapati, der
heilige, sprach zu seinem ihn nach langer Zeit wieder be-
suchenden Sohne.
858 III. Mokshadharma.
Der Urvater sprach:
15. (13 727.) Willkommen, o Grofsarmiger ! Zur guten Stunde
bist du mir genaht! Steht es immer noch gut bei dir, o Sohn,
um Studium und Askese?
16. (13 728.) Du bist ja allezeit ein gewaltiger Asket, darum
stelle ich dir immer diese Frage.
Rudra sprach:
17. (13 729.) Durch deine Gnade, o Heiliger, steht es gut
bei mir mit Studium und Askese und ebenso um das be-
standige Wohlergehen der ganzen Welt.
18. (13 730.) Schon lange habe ich dich auf deinem Strahlen-
sitze beobachtet und bin nun zu diesem Berge gekommen,
der von deinen Fufsen betreten wird.
19. (13 731.) Dein Wandel in der Einsamkeit hat meine
Neugierde erregt, es mufs keine geringe Ursache sein, die
dich dazu veranlafst, o Urvater.
20. (13 732.) Wie kommt es, dafs du deinen herrHchen Sitz,
auf dem es nicht Hunger noch Durst gibt, der von Gottern
und Damonen bewohnt, von unermefslich glanzenden Eishi's,
21. (13733.) von Gandharven und Apsaras immerfort be-
sucht wird, dafs du diesen herrlichen Berg verlassen hast,
um dich hier in die Einsamkeit zuriickzuziehen ?
Gott Brahman sprach:
22. (13 734.) Der vortreffhche Berg Vaijayanta wird immer
wieder von mir aufgesucht, weil ich hier mit ungeteiltem Geiste
nachdenken kann iiber den allerwarts strahlenden fviratj
Purusha.
Rudra sprach:
23. (13 735.) Viele Purusha's sind von dir, dem Durchsich-
selbstseienden , geschaffen worden, o Brahman, und neue
werden immer noch geschaffen, und dabei soil es nur einen
allwarts strahlenden Purusha geben!
24. (13 736.) Wer ist denn dieser eine hochste Purusha,
0 Brahman, iiber den du nachdenkst? Lose mir diesen Zweifel,
danach trage ich grofses Verlangen.
Adhyaya 352 (B. 350). 859
Gott Brahman sprach:
25. (13737.) 0 Sohn, allerdings gibt es die vielen Purusha's,
welche von dir erwahnt wurden; in diesem Sinne ist jene
Einheit als aufgehoben anzusehen und auch wiederum als
nicht aufgehoben.
26. (13 738.) Ich will dir aber den Bereich jenes einen
Purusha erklaren, inwiefern er als der einzige Ursprung der
vielen Purusha's zu bezeichnen ist.
27. (13 739.) Denn darauf beruht es, dafs in jenen hochsten,
allergrofsten , ewigen, allbefassenden , gunalosen Purusha die
gunalos gewordenen (Purusha's) eingehen.
So lautet im Moksbadbarma
in der Gescbicbto vom Narftyana die Unterredung zwiscben Gott Brabm^n nnd Budra
(Ndrdyantye Brahma- Rudra- samvdda).
Adhyaya 353 (B. 351).
Vers 13740-13763 (B. 1—23).
Gott Brahman sprach:
1. (13 740.) Vernimm, o Sohn, inwiefern jener eine Purusha
als der ewige, unvergangliche , unzerstorbare , unermefsliche,
allgegenwartige bezeichnet wird.
2. (13 741.) Dieser Purusha kann nicht von dir geschaut
werden, o Bester, noch auch von mir oder von anderen, so-
fern sie gunahaft sind. Nur von Gunafreien kann der AU-
befassende mit dem Auge der Erkenntnis geschaut werden.
3. (13 742.) Korperlos wohnt Er in alien Korpern, und ob-
gleich er in den Korpern wohnt, wird er doch nicht durch
die Werke befleckt.
4. (13 743.) Er ist meine innere Seele und die deine und
aller, die das Merkmal der Korperlichkeit an sich tragen, er
ist der Zuschauer (sakshinj in alien und kann daher von
keinem irgendwo geschaut werden.
5. (13 744.) Alliiberall ist sein Haupt, alliiberall seine Arme
und Fiifse, Augen und Nase, als einziger weilt er in den Fel-
dern fJcshetraJ, nach freiem Willen waltend, wie es ihm beliebt.
860 ni. Mokshadharma.
6. (13 74B.) Die Felder (hsJietraJ sind die Leiber, und der
Same in ihnen ist das Gute und Bose, diese Felder erkennt
jener yogabeflissene Atman, darum wird er der Kshetrajfia
genannt.
7. (13 746.) Sein Kommen und Gehen in den Wesen ist fiir
keinen erkennbar. Durch Sankhyamethode und stufenweise
gesteigerten Yoga
8. (13 747.) iiberdenke ich seinen Gang, aber sein hochstes
Ziel kenne ich nicht. Aber soweit meine Erkenntnis reicht,
will ich dir den ewigen Purusha erklaren.
9. (13 748.) Er hat Einheit und hat Grofse, er heifst der
eine Purusha, er, der Eine und Ewige, wird der grofse Purusha
genannt.
10. (13 749.) Er, der Eine, wird als das opferverzehrende
Feuer an vielen Orten entziindet, er, der Eine, ist als
Sonne die einzige Quelle der Glut, er, der Eine, weht
als der Wind vielfach in der Welt, er, der Eine, ist als
der grofse Ozean die Wiege der Gewasser; (13750.) er ist
der eine, allgestaltige , gunalose Purusha, zu ihm, dem
Gunalosen, gehen die Erlosten ein.
11. (13 751.) Aufgebend alles Gunahafte, aufgebend das gute
und bose Werk, beide hinter sich lassend, die Wahrheit
und die Unwahrheit, so wird der Mensch von den Guna's
befreit.
12. (13 752.) Wer ihn erkennt als unausdenkbar, geheimen
Wesens, in seiner Vierfaltigkeit [als Aniruddha, Pradyumna,
Sankarshana, Vasudeva], und wer in Demut wandelt, der ge-
langt zu dem lichten Purusha.
13. (13 753.) In dieser Weise lehren manche Gelehrten von
diesem Atman, dafs er der hochste Atman sei, und andere
Forscher erklaren ihn fiir den einzigen Atman.
14. (13 754.) Sofern er der hochste Atman ist, wird er als
der ewig Gunafreie geschildert, und er ist Narayana, das soil
man wissen, denn dieser ist der allbeseelende Purusha.
15. (13 755.) Er wird nicht von den Werkfriichten befleckt,
wie das Lotosblatt nicht von dem Wasser, aber als Werk-
behafteter ist er ein anderer, der Erlosung und Bindung
unterworfen.
Adhyaya 353 (B. 351). 861
16. (13 756.) Als solcher ist er mit dem siebzehnfachen
Aggregate behaftet, und insofern ist dir der Purusha als in
sich vielf altig nach seinen einzelnen Teilen geschildert worden.
17. (13 757.) Er ist das, was man als die ganze hochste
Befassung des Weltgewebes erkennen, mufs, er ist der
Erkennbare und der Erkenner, der Denker und das Denk-
bare, der Verzehrer und das Verzenrbare, Riecher und
Riechbares, Fiihler und Fiihlbares,
18. (13 758.) Seher und Sichtbares, Horer und Horbares,
Erkenner und Erkennbares, das Gunahafte und das Guna-
lose; er ist auch das, was als das allbefassende Pradha-
nam (die Prakriti), das bestandige, ewige, unvergang-
liche, bezeichnet wird.
19. (13759.) Sofern er die erste Schopfung des Schopfers
erzeugt, insofern nennen ihn die Brahmanen Aniruddha;
und auch was in der Welt das lobliche vedische, mit
Wiinschen behaftete Werk ist, (i3 760.) auch das mufs ihm
zu Ehren dargebracht werden.
20. Alle Gotter und wohlberuhigten Muni's spenden
ihm vor dem Altare den Opferanteil. (i3 76i,) Ich, der
Gott Brahman, der erste Herr der Geschopfe, bin von
ihm geboren, und du bist wiederum von mir erzeugt
worden;
21. von mir auch stammt die Welt des Beweglichen
und Unbeweglichen , o Sohn, mitsamt den Veden und
den Upanishad's frahasyamj.
22. (13 762.) In seinen vier Erscheinungsformen treibt der
Purusha sein Spiel, wie er will. Und ebenso wird der Heilige
durch sein eigenes Erkennen zu einem Erweckten.
23. (13 763.) Damit habe ich dir, o Sohn, erklart, wonach
du fragtest, wie es in der Sankhyalehre und im Yoga aus-
gefiihrt worden ist.
So lautet im MokshadhaTma der Schlufs der Geschichte vom N&r&yana
(Ndrdyantyam samdptam).
862 III. Mokshadharma.
Adhyaya 354 (B. 353).
Vers 13764-11774 (B. 1-11).
Yudhishthira sprach :
1. (13 764.) Die schonen Pflichten, welche sich auf die Er-
losungslehre beziehen, sind von dir, o Grofsvater, dargelegt
worden. Nun sollst du mir, o Herr, die hochste Pflicht der
die Lebensstadien Befolgenden nennen.
Bhishma sprach:
2. (13765.) Allbefassend ist die Pflicht. Der Himmel ist
der grofse Lohn fiir die Wahrheit. Viele Eingangspforten
hat die Pflicht, keine Bemiihung um sie ist ohne Frucht,
3. (13 766.) und wenn einer sich fiir einen Zweig derselben
entschieden hat, so pflegt er nur diesen und keinen andern
zu schatzen, o Bester der Bharata's.
4. (13 767.) So vernimm denn, o Manntiger, von mir folgende
Geschichte, welche vormals von dem grofsen Weisen Narada
dem Qakra (Indra) erzahlt wurde.
5. (13 768.) Der grofse Kishi, der vollendete, von den drei
Welten geehrte Narada, durchwandert nacheinander die Welten
ungehemmt wie der Wind, o Konig.
6. (13 769.) Einstmals, o grofser Bogenschiitze, gelangte er
zu der Wohnung des Gotterkonigs, und von dem grofsen
Indra gasthch aufgenommen, blieb er in seiner Nahe.
7. (13 770.) Indem er nun behaglich dasafs, fragte ihn der
Gatte der Qaci : 0 grofser Rishi, ist dir irgend etwas Wunder-
bares begegnet, o Untadhger,
8. (13 771.) dieweil du doch, o Brahmanenpriester, die drei
Welten mit allem Beweglichen und Unbeweglichen immer-
fort als ein Vollendeter, teilnehmend gleichwie ein Zuschauer,
durchstreifst ?
9. (13 772.) Es gibt ja nichts in der Welt, was dir, o Gotter-
weiser, unbekannt ware. Wenn du etwas gehort, erlebt oder
gesehen hast, so erzahle es mir.
10. (13 773.) Da, o Konig, erzahlte Narada, der Beste der
Adhyaya 354 (B. 352). 863
Redner, dem dasitzenden Gotterfiirsten auf sein Ansuchen
eine grofse Geschichte.
11. (13 774.) Wie und auf welche Weise der Beste der
Zwiegeborenen jenem auf seine Frage die Geschichte erzahlt
hat, so sollst auch du sie von mir zu horen bekomnien.
So lautet im Mokahadharma die Erzablung vom Ahrenleser
(unchavritti - updkhydnam).
Adhyaya 355 (B. 353).
Vers 13775-13783 (B. 1-9).
Bhishma spracli:
1. (13 775.) Es lebte einmal, o Bester der Manner, in der
treffhchen Stadt Mahapadmam, am rechten Ufer der Ganga,
gesammelten Geistes,
2. (13 776.) leutselig, aus der Famihe des Soma, im Veda
beschlagen, von Zweifeln frei, in der Pflicht beharrend, ohne
Zorn, allezeit zufrieden, mit bezahraten Sinnen,
3. (13 777.) an Askese und Studium seine Freude habend,
wahrhaft, von den Guten geehrt, mit rechtlich selbsterworbenem
Reichtum und gutem Charakter ausgestattet,
4. (13 778.) in einer an Verwandten und Bekannten reichen,
einer Vereinigung von Tugenden vergleichbaren grofsen und
beriihmten Famihe, einer ausgezeichneten Lebensfiihrung sich
befleifsigend [ein Brahmane].
5. (13 779.) Er hatte viele Sohne, betrieb grofse Opfer-
werke, indem er die Famihenpflicht treu erfiillte, o Konig,
und beharrhch war in pflichtmafsigem Wandel.
6. (13 780.) Die vom Veda vorgeschriebene Pflicht, sowie
die von den Lehrbiichern geforderte und auch die von den
Weisen geiibte, diese dreifache Pflicht iiberdachte er in seinem
Geiste.
7. (13 781.) Was erwachst mir daraus, dafs ich das Gute
iibe, was habe ich damit erreicht und was ist mein hochstes
Ziel? Mit solchen Fragen qualt er sich immerfort und kommt
dariiber nicht ins Klare.
864 III. Moksliadharma.
8. (13 782.) Indem er sich so abqualte und sich der hochsten
Pflichterfiillung beflifs, kam einstmals ein Gast zu ihm, ein
wohlgesammelter Brahmane.
9. (13 783.) Den nahm er gastlich auf in zeremonieller
Weise, und als dieser, ermiidet, behaglich dasafs, sprach er
zu ihm folgendermafsen.
So lautet im Hoksfaadharma die Erzahlung vom Ahrenlesex
(unchaeritti - updkhydnani).
Adhyaya 356 (B. 354).
Vers 13784-13799 (B. 1-16).
Der Brahmane sprach:
1. (13 784.) Ich fiihle mich zu dir hingezogen durch die
Lieblichkeit deiner Rede, o Untadliger; du bist mir ein Freund
geworden. Ich mufs dir etwas sagen; hore mich an.
2. (13 785.) Nachdem ich, o Brahmane, die Pflicht des Haus-
vaters, welche Nachkommenschaft fordert, erfiillt habe, mochte
ich gern die hochste Pflicht vollbringen. Welcher Weg fiihrt
dazu, o Zwiegeborener ?
3. (13 786.) Dem Atman zugewendet, sehne ich mich danach,
in dem Atman allein festgewurzelt zu sein, und wiinsche es
doch wieder nicht, weil ich in den allgemein menschlichen
Fesseln fgunaj gebunden bin.
4. (13 787.) Ehe noch dieses auf die Erzielung von Nach-
kommenschaft gerichtete Lebensalter verstrichen ist, mochte
ich mich mit Wegekost fiir die Reise in die andere Welt
versehen.
5. (13 788.) In dieser Weltflut befangen, trachte ich nach
dem jenseitigen Ufer, und die Sorge beschaftigt mich, woher
ich das aus Pflichterfiillung bestehende Schifi" erlangen kann.
6. (13 789.) Wenn ich wahrnehme, wie in der Welt auch
sattvahafte (gute) Wesen, nachdem sie sich zusammen-
gefunden haben, auseinandergesprengt werden, wenn ich
sehe, wie iiber den allwarts verbreiteten Menschen ein
heuchlerischer Heiligenschein schwebt,
Adhyaya 356 (B. 354). 865
7. (13790.) und wenn ich sogar sehen mufs, wie die
Selbstbezwinger an fremden Tiiren betteln gehen, dann
gerat mein Geist nicht mehr in Erregung bei einer
Gelegenheit zum Genusse; darum mogest du, o Gast-
freund, vermoge deiner auf die Kraft der Erkenntnis
sich stutzenden Pflicht auch mich zur Pflichterfullung
anleiten.
8. (13 791.) Als der Gast diese Worte des die Pflicht zur
Sprache bringenden Brahmanen horte, da sprach der Ver-
standige mit sanfter Stimme das milde Wort.
Der Gast sprach:
9. (13 792.) Audi ich bin hieriiber nicht im klaren, auch
mich erfiillt dasselbe Verlangen wie dich, und doch kann ich
nicht zur Gewifsheit gelangen fiber die vielen Wege, die zum
Himmel fiihren sollen.
10. (13 793.) Einige riihmen die Erlosungslehre, andere
Brahmanen den Lohn der Opferwerke, einige fufsen darauf,
dafs sie Waldeinsiedler, andere, dafs sie Hausvater sind,
11. (13 794.) manche stiitzen sich auf die Konigspflicht,
manche hoffen auf die Frucht des Atmanwissens , andere
empfehlen den Gehorsam gegen die Lehrer, und wieder andere
das Geliibde des Schweigens,
12. (13 795.) manche sind fiir ihren Gehorsam gegen Vater
und Mutter zum Himmel gelangt, andere durch Schonung der
Wesen, und wieder andere durch Aufrichtigkeit,
13. (13 796.) viele boten im Kampfe dem Feinde die Brust
und gelangten erschlagen zum Himmel, andere suchten die
Vollendung durch das Geliibde des Ahrenlesens und schlugen
diesen Weg zum Himmel ein,
14. (13 797.) manche Edlen ergaben sich dem Studium, das
Vedageliibde befolgend, und sind als Weise, Zufriedene, Be-
zahmte zum Himmel gelangt,
15. (13 798.) wieder andere hielten fest an der Rechtschaffen-
heit, liefsen sich von den Ungerechten unterdriicken und
stiegen als Gerechte mit reiner Seele zum Riicken des Him-
mels empor.
Deussen, Mah&bh^ratam. 55
866 in. Mokshadharma.
16. (13 799.) Da so mannigfache Himmelswelten durch
die Pforten der Pflicht offenstehen, so wird auch mein
Oeist hin und her getrieben, wie ein Wolkenstreifen durch
den Wind.
So lautet im Mokshadharma die Erzahlung vom Ahrenleser
(uiichavritti - updkhydnani).
Adhyaya 357 (B. 355).
Vers 13800-13810 (B. 1-11).
Der Gast sprach [weiter]:
1. (13 800.) 0 Brahmane, ich will dir die Unterweisung in
folgerechter Weise iibermitteln, wie sie mein Lehrer mir mit-
geteilt hat; verniram von mir den wahren Sachverhalt.
2. (13801.) Wo einstmals in einer friihern Weltperiode
das Rad der Pflicht ins Rollen gebracht wurde, da liegt im
Naimishawalde am Ufer der Gomati eine nach den Naga's
(Schlangen) benannte Stadt.
3. (13 802.) Dort war von den vereinigten dreifsig [Gottern]
geopfert worden, o Stier der Zwiegeborenen, und dort war
auch dem besten Konige Mandhatar die Uberwindung des
Indra gelungen.
4. (13803.) Dort hat ein pflichtkundiger, grofser Schlangen-
genius seinen Wohnsitz aufgeschlagen, ein grofser Naga,
welcher Padmanabha oder auch Padma genannt wird.
5. (13804.) In Worten, Werken und Gedanken, o Stier der
Zwiegeborenen, auf dem dreifachen Pfade [des Opfers, der
Erkenntnis und der Verehrung, Nil.] beharrend, macht er
sich die Wesen holdgesinnt.
6. (13805.) Mit Begiitigung, Erregung von Zwietracht [unter
den Feinden], Schenken und Strafen, mit diesen vier Mitteln
regiert er, beobachtend und erwagend, die Ungerechten und
die Gerechten,
7. (13806.) Ihn besuche fatikramyaj und befrage ihn in
vorschriftsmafsiger Weise nach dem, was du wissen willst.
Adhyaya 357 (B. 355). 867
Er wird dir aufrichtig die Belehrung iiber die hochste Pflicht
geben.
8. (13807.) Denn dieser Naga ist alien Gasten freundlich
gesinnt, mit Weisheit und Gelehrsamkeit begabt und mit
alien wiinschenswerten, unvergleichlichen Tugenden ge-
schmiickt.
9. (13808.) Er ist von Natur immer zu Waschungen ge-
neigt, immer am Studium sich erfreuend, in Askese und Be-
zahmung geiibt und von edlem Lebenswandel,
10. (13809.) opferfreudig , freigebig, nachsichtig, von vor-
trefflichem Benehmen, wahrheitliebend , nicht mifsgiinstig,
charaktervoll, Herr seiner Sinne,
11. (13810.) Restspeise essend, leutselig im Reden,
wohlgesinnt, rechtschaffen, vornehm, des Geleisteten und
Nichtgeleisteten eingedenk, keine Feindschaft hegend,
auf das Wohl der Wesen bedacht, von einer Familie so
rein wie die Wasserfluten der Gaiiga.
So lautet im Mokehadbarma die Erz^hlung vom Ahrenleser
(uiichavritti - updkhydnam).
Adhyaya 358 (B. 356).
Vers 13811-13821 (B. 1-11).
Der Brahmane sprach:
1. (13811.) Eine schwere Last lag auf mir, und ich fiihle
mich jetzt bedeutend erleichtert, nachdem ich diese hochstes
Vertrauen einflofsenden Worte von dir vernommen habe.
2. (13812.) Wie fiir den vom Wandem Ermatteten das
Lager, wie fiir den vom Stehen Ermiideten der Sitz, wie fiir
den Durstigen der Trank, fiir den Hungrigen die Nahrung,
3. (13813.) fiir einen Gast die rechtzeitige Erlangung der
von ihm erbetenen Speise, wie fiir einen alten Mann ein
eigener Sohn, nach dem die Sehnsucht in ihm lange be-
standen hat,
55*
868 in. Mokshadharma.
4. (13814.) wie das Wiedersehen mit einem lieben Freunde,
den man im Geiste herbeigewiinscht hat, so erfrischend ist
fiir mich das von dir gesprochene Wort.
5. (13815.) Wie einer, der den Blick nach oben richtet,
schaue ich und iiberlege ich, denn von einer verstandigen
Kede ausgehend ist die Unterweisung, die du mir ge-
geben hast.
6. (13 816.) Gewifs werde ich nach dem handeln, was
du, 0 Herr, mir anratst. Diese Nacht, o Guter, verweile
bei mir,
7. (13817.) erst morgen friih magst du erquickt nach be-
haglichem Verweilen weiterziehen , denn schon hat jener
heilige Sonnengott mit matteren Strahlen sein Haupt gesenkt.
Bhlshma sprach:
8. (13818.) Nachdem der Gast von jenem gastfreundhch
aufgenommen war, o Feindetoter, verbrachte er die folgende
Nacht bei dem Zwiegeborenen.
9. (13819.) Wahrend die beiden sich iiber das vierte Lebens-
stadium und was damit zusammenhangt unterhielten , ver-
strich die ganze Nacht, als ware sie ein Tag, in angenehmer
Weise.
10. (13820.) Als der Tag anbrach, wurde der Gast von
dem Brahmanen, der danach verlangte, seine Absicht aus-
zufiihren, nach besten Kraften geehrt.
11. (13 821.) Darauf begab sich der rechtschaffene Brah-
mane, nachdem er alle seine Geschafte richtig besorgt
und von seinen Leuten Abschied genommen hatte, als-
bald mit wohlgefestigter Absicht zu der ihm bezeichneten
Behausung des Schlangenfursten.
So lautet im Mokshadharma die Erzahlung vom Ahrenleeer
(uiicliacritti - updkhydnam).
Adhyaya 359 (B. 357). 869
Adhyaya 359 (B. 357).
Vers 13822-13834 (B. 1-13).
Bhlsbma sprach:
1. (13822.) Nachdem er der Reihe nach an mancherlei
Waldern, Furten und Gewassern voriibergekommen war, be-
gegnete er einem Muni.
2. (13823.) Den befragte der Brahmane in hoflicher Weise
nach dem von jenem Weisen ihm beschriebenen Naga, und
nachdem er Antwort bekommen hatte, ging er hin.
3. (13824.) Als der Verstandige der Unterweisung gemafs
zu der Behausung des Naga gelangt war, sagte er mit an-
mutiger Wortwendung: Hier bin ich, o Herr!
4. (13 825.) Da hefs sich auf dieses Wort die anmutige,
pflichtergebene, ihrem Gatten getreue Gattin des Naga vor
dem Brahmanen sehen.
5. (13826.) Diese, ihre Pflicht hochhaltend, erwies ihm die
gebiihrende Ehrung, hiefs ihn willkommen und sprach: „Was
soil ich tun?"
Der Brahmane sprach :
6. (13827.) Als milder Wanderer bin ich durch das freund-
liche Wort der Herrin geehrt worden ;• ich wiinsche den gott-
lichen, trefflichsten Naga zu sehen, o Herrin.
7. (13828.) Das ist mein eigentlicher Zweck, das ist mein
hochster Wunsch, in dieser Angelegenheit bin ich heute zu
der Schlangenwohnung gekommen.
Die Gattin des N^ga sprach:
8. (13829.) Mein Gatte ist fiir einen Monat abwesend, um
den Wagen des Sonnengottes zu ziehen, mufs aber in sieben
bis acht Tagen sicher wieder hier erscheinen.
9. (13830.) Damit moge dir der Anlafs fur die Abwesen-
heit meines Gatten bekannt sein; sage mir, was ich sonst
noch fiir dich tun kann.
870 in. Mokshadharma.
Der Brahmane sprach:
10. (13831.) Nur aus jener Absicht bin ich hierherge-
kommen, o gute Frau, und will nun in dem grofsen Walde
dort verweilen und seine Ankunft erwarten, o Herrin.
11. (13832.) Sobald er zuriickgekehrt sein wird, moge ihm
unfehlbar meine Ankunft hier gemeldet werden, und der gliick-
lich Zuriickgekehrte moge mein Wort durch dich iibermittelt
erhalten.
12. (13833.) Inzwischen werde ich dort auf jener schonen
Sandbank der Gomati wohnen, indem ich fiir die von dir ge-
nannte Zeit meine Nahrung einschranke.
13. (13834.) Nachdem der Weise der Schlangenfrau diese
Weisung zu wiederholten Malen erteilt hatte, begab sich der
Brahmanenstier auf jene Sandbank des Flusses.
So lautet im Mokghadharma die Erzahlung vom Ahrenleser
(unchavritti - updkhydnam).
Adhyaya 360 (B. 358).
Vers 13835-13847 (B. 1-13).
Bhishma sprach:
1. (13 835.) Als nun aber jener asketische, vortreffliche
Brahmane dort verweilte, ohne Nahrung zu sich zu nehmen,
da wurden die Schlangenleute besorgt.
2. (13836.) Alle Angehorigen des Naga, seine Briider,
Kinder und Gattin taten sich zusammen und begaben sich zu
dem Brahmanen.
3. (13 837.) Da sahen sie den Zwiegeborenen auf der ab-
geschiedenen Sandbank seinem Geliibde treu dasitzen, ohne
Nahrung und mit Murmelung beschaftigt.
4. (13 838.) Alle Angehorigen des gastlichen [Naga] be-
gaben sich zu ihm hiniiber, verehrten den Brahmanen zu
wiederholten Malen und sprachen zu ihm das offene Wort:
5. (13 839.) Nun sind es schon sechs Tage, o Askesereicher,
AdhySiya 360 (B. 358). 871
dafs du hier angekommen bist, und du redest nicht im min-
desten davon, zu essen, o Freund der Pflicht.
6. (13 840.) Du bist zu uns gekommen, darum suchen wir
dich hier auf ; wir mussen fiir ihn die Pflicht der Gastfreund-
schaft iiben, denn wir gehoren alle zu seiner Famihe.
7. (13841.) Fine Wurzel oder eine Frucht, ein Blatt oder
etwas Milch, o Bester der Zwiegeborencxi, oder etwas Speise
solltest du um der Ernahrung willen geniefsen, o Brahmane.
8. (13842.) Dadurch, dafs du, in diesem Walde wohnend,
die Nahrung verweigerst, fiihlt sich diese ganze Gesellschaft,
jung und alt, beschwert von dem Bewufstsein, ihre Pflicht
zu vernachlassigen.
9. (13 843.) Unter uns gibt es keinen Embryototer, keinen,
der bei einem eingetretenen Unfalle nicht das Rechte tate,
keinen in der ganzen Familie, der essen mochte, ehe Gotter,
Gaste und Angehorige gespeist haben.
Der Brahmane sprach :
10. (13844.) Infolge cures Anerbietens nehme ich die Speise
als genossen an fiir die Zeit von zehn weniger zwei Nachteh
bis zur Riickkunft des Naga.
11. (13 845.) Sollte aber nach Verlauf von acht Nachten
der Schlangenherr nicht zuriick sein, so werde ich Nahrung
zu mir nehmen, denn auf ihn zielt mein Geliibde hin.
12. (13 846.) Ihr braucht euch nicht zu beunruhigen, geht
nur wie ihr gekommen seid, auf ihn zielt alles, was ich tue,
und darin diirft ihr mich nicht storen.
13. (13847.) So wurden die Schlangenleute von dem Brah-
manen verabschiedet und gingen unverrichteter Sache wieder
nach Hause, o Mannerstier.
So lautet im Mokshadharma die Erzahlung voin AhrenleBcr
(uTtchavfitti - updkliydnarii ) .
872 in. Mokshadharma.
Adhyaya 361 (B. 359).
Vers 13848-13863 (B. 1-16).
Bhishma sprach:
1. (13848.) Als nun lange Zeit verstrichen war, kam der
Schlangenherr nach Hause zuriick, nachdem er seine Auf-
gabe erfiillt hatte und vom Sonnengotte entlassen worden war.
2. (13 849.) Ihm kam die Gattin mit der Fufswaschung und
anderen Leistungen entgegen, und als die Gute zu ihm heran-
trat, da fragte sie der Schlangenherr:
3. (13850.) Bist du auch, o Schone, fleifsig gewesen in
Ehrung der Gotter und Gaste in der Weise, wie ich sie dir
vordem empfahl, und wie sie gleichfalls durch den Brauch
vorgeschrieben ist?
4. (13851.) Du bist doch nicht, wahrend ich die Geschafte
des Gottes besorgte, nach Weiberart lassig geworden und
hast dich wahrend der Trennung von mir iiber die Schranken
der Pflicht hinweggesetzt, o Schonhiiftige ?
Die Gattin des Naga sprach :
5. (13852.) Sache der Schiiler ist Gehorsam gegen den
Lehrer, der Brahmanen Auswendigwissen des Veda, des
Dieners der Befehl des Herrn, des Konigs die Regierung
der Leute.
6. (13853.) Die Pflicht des Kshatriya ist es, alle Wesen zu
schiitzen, des VaiQya, zum Opfer mitzuwirken und Gastfreund-
schaft zu iiben.
7. (13 854.) Die Aufgabe des (^udra ist es, den Brahmanen,
Kshatriya's und VaiQya's zu gehorchen, die des Hausvaters,
o Schlangenfiirst, fiir das Wohl aller Wesen zu sorgen.
8. (13 855.) Bestandige Beschrankung der Ernahrung und
jenachdem Beobachtung eines Geliibdes [wie Keuschheit,
Schweigen usw.] ist die Pflicht der Sinnesorgane im einzelnen,
weil auch sie der Pflicht unterworfen sind.
9. (13856.) Wem gehore ich an? woher stamme ich? wer
bin ich, und wer gehort mir an ? In diesem Bewufstsein soil,
wer auf die rechten Mittel halt, im Erlosungsstadium leben.
Adhyaya 361 (B. 359). 873
10. (13857.) Treue gegen den Gatten ist die hochste Pflicht
der Gattin, das weifs ich durch deine Unterweisung und auch
schon durch die Sache selbst.
11. (13858.) Da ich somit meine Pflicht kenne und du als
ein in der Pflicht Beharrhcher mir zur Seite stehst, wie konnte
ich da vom rechten Wege abweichen und auf einen Ahweg
mich veriieren!
12. (13859.) Die Beobachtung der Pflicht gegen die Gotter,
o Hochbegliickter, wird von mir nicht versaumt, und mit der
guten Aufnahme der Gaste bin ich unermiidlich beschaftigt.
13. (13860.) Es sind heute sieben oder acht Tage, dafs ein
Brahmane hierhergekommen ist, aber was er will, sagt er
mir nicht, sondern wiinscht dich selbst zu sprechen.
14. (13 861.) Inzwischen sitzt er, nach deinem Anblick ver-
langend, auf einer Sandbank der Gomati und beschaftigt sich
mit Beten als Brahmane mit scharfem Geliibde.
15. (13862.) Ich bin aber von ihm, o Schlangenfiirst , an-
gewiesen worden und mufste es ihm versprechen, dich, den
Besten der Schlangenherren, nach deiner Ankunft zu ihm zu
bringen.
16. (13863.) Nachdem du dies von mir gehort hast, o sehr
Weiser, mufst du dich zu ihm begeben und ihm deinen An-
blick gewahren, o Schlangenherr.
So lautet im Mokshadharma die Erziihlung vom Ahrenleser
(unchavfitti - npdkhydnam) .
Adhyaya 362 (B. 360).
Vers 13864-13883 (B. 1-20).
Der Kaga sprach:
1. (13864.) Wer ist es, den du da fur einen Brahmanen
angesehen hast? Ist es blofs ein der Brahmanenkaste an-
gehoriger Mensch oder vielleicht ein Gott, o heiter Lachelnde ?
2. (13 865.) Welcher Mensch, o Herrliche, kann danach
verlangen oder ist imstande, mich zu sehen? Wer kann
874 III. Mokshadharma.
hoffen, mich zu sehen, und dies in Form eines Befehls aus-
sprechen ?
3. (13 866.) Sind nicht, o Liebliche, unter den Scharen der
Gotter und Damonen und unter den Gotter-Eishi's die Schlangen
als Nachkommen der Surasa (lies: sauraseyds) von grofser
Kraft und Schnelligkeit ?
4. (13 867.) Wir Schleichenden miissen verehrt werden als
Gabenspender, und siiid besonders fiir die Menschen nicht
zu sehen, so denke ich.
Die Gattin des Naga sprach:
5. (13 868.) An seiner Schlichtheit sehe ich, dafs er kein
Gott ist, o Windesser; sonst sehe ich nur das Eine an ihm,
namlich dafs er vol! Ehrerbietung ist, o du Zorniger.
6. (13869.) Er begehrt nach irgendeiner Sache, und wie
der wasserdurstige , regenfrohe Catakavogel nach Regen, so
verlangt er nach deinem Anblick.
7. (13870.) Moge er doch nicht dadurch, dafs er deines
Anblicks verlustig geht, auf ein Hindernis treffen; keiner,
der gleich dir in einer edlen Familie geboren ist, kann bei
einem solchen Anlasse ruhig zusehen.
8. (13871.) Darum mufst du den dir angeborenen Zorn
beiseite lassen und den Mann aufsuchen; wenn du heute
seine Hoffnung nicht tauschest, so brauchst du dir hinterher
keine Gewissensbisse zu machen.
9. (13 872.) Wer es -versaumt, einem Hoffenden seine Tranen
zu trocknen, der, und ware er ein Konig oder ein Konigs-
sohn, macht sich einer Embryototung schuldig.
10. (13873.) Dem Schweigen wird die Erkenntnis zum
Lohne, durch Freigebigkeit erlangt man grofsen Euhm, die
Beredsamkeit, wenn einer die Wahrheit redet, wird sogar im
Jenseits geehrt.
11. (13874.) Wer Land verschenkt, erlangt ein Ziel, das
dem Durchmachen der Lebensstadien gleichkommt ; wer zur
Erlangung eines geziemenden Zweckes Hilfe leistet, erlangt
dafiir auch dessen Frucht.
12. (13875.) Wer mit Bewufstsein eine nicht mit Welthang
Adhyaya 362 (B. 360). 875
verflochtene Handlung zum Heile seiner Seele vollbringt, der
fahrt nicht zur Holle, das weifs jeder Pflichtkundige.
Der N&,ga sprach :
13. (13876.) Mein Stolz beruht nicht auf Diinkelhaftigkeit,
sondern meine edle Abstammung ist daran schuld, dafs er
so grofs ist. Aber jetzt ist der aus meinem Willen ent-
sprungene Zorn, o Gute, durch das Feuer deiner Rede ver-
brannt worden.
14. (13877.) Auch ich, o Gute, sehe keine schlimmere Ver-
blendung als den Zorn, durch sein Ubermafs kommen [ydnti
mit C.) wir Schlangenherren ins Gerede der Leute.
15. (13878.) Weil er sich vom Zorne hinreifsen liefs, wurde
der Zehnkopfige (Ravana), der Widersacher des Gottes Qakra,
von Rama im Kampfe getotet.
16. (13879.) Fiir den Raub des in der innern Wohnung
befindlichen Kalbes [der Opferkuh] wurden von Rama, als er
davon horte, die in Gewalttatigkeit und Zorn entbrannten
Sohne des Kartavirya erschlagen,
17. (13880.) Und von demselben Rama, dem Sohne des
Jamadagni, wurde der dem Tausendaugigen (Indra) vergleich-
bare, gewaltige Kartavirya um seines Zornes willen im Kampfe
erschlagen (vgl. Mahabh. Ill, Adhy. 116 fg.; XII, Adhy. 49).
18. (13881.) Darum habe ich jenen Feind der Askese, jenen
Zerstorer des Heils, meinen Zorn, niedergekampft, nachdem
ich deine Rede vernommen habe.
19. (13882.) Und ich preise mich besonders gliicklich, o du
Getreue, dafs eine so tugendhafte Gattin wie du, o Grofs-
augige, mir angehort.
20. (13883.) Ich gehe jetzt dorthin, wo jener Zwiegeborene
weilt, er wird mir sein Anliegen vollstandig vortragen und
nach Erreichung seines Zweckes von dannen ziehen.
So lautet im Mokshadharma die ETziihlang yom Ahrenleaer
(uTichavritti - updkhydnam).
876 ni- Mokshadharma.
Adhyaya 363 (B. 361).
Vers 13884-13899 (B. 1-16).
Bhishma sprach:
1. (13 884.) Darauf begab sich der Schlangenherr zu dem
Brahmanen, indem er auf ihn seine Gedanken richtete und
iiberlegte, welchen Zweck er wohl haben mochte.
2. (13885.) Nachdem der verstandige Schlangenfiirst ihn
erreicht hatte fatiJcramyaJ, o Mannerherr, sprach er, der von
Natur Pflichthebende , das freundhche Wort:
3. (13886.) 0 Freund, sei ruhig, ich will zu dir reden, zurne
nicht ; um welcher Sache willen bist du hierhergekommen und
was ist dein Begehr?
4. (13887.) Indem ich vor dich trete, frage ich aus Liebe
zu dir, 0 Zwiegeborener, wer ist es, den du an dem abge-
schiedenen Ufer der Gomati verehrst?
Der Brahmane sprach :
5. (13 888.) Wisse, dafs ich Dharmaranya heifse und hier-
hergekommen bin, um den Naga Padmanabha zu sehen,
o Bester der Zwiegeborenen, darin liegt mein Zweck.
6. (13889.) Als ich ihn nicht antraf, habe ich von seinen
Leuten gehort, dafs er fortgegangen sei, und ich harre auf
ihn wie der Pfliiger auf den Regen,
7. (13 890.) Inzwischen beschaftige ich mich, dem Yoga
hingegeben und ohne Ungemach, mit einer Gebetsiibung, die
von ihm Beschwerden fernhalten und sein Heil befdrdern soil.
Der Kaga sprach :
8. (13891.) 0, da hast du eine edle Beschaftigung , gut
bist du und ein Freund der Guten, du bist untadlig, o Gliick-
licher, weil du mit Liebe an deinen Nachsten denkst.
9. (13892.) Ich, wie du mich hier siehst, bin jener Naga,
o Brahmanenweiser, sage mir nach deinem Belieben, was ich
dir Angenehmes erweisen soil.
10. (13893.) Von mein en Leuten habe ich gehort, dafs du
angekommen bist, darum bin ich selbst gekommen, um dich
zu sehen, o Brahmane.
Adhyftya 363 (B. 361). 877
11. (13894.) Da du hierhergekommen bist, soUst du nicht
fortgehen, ohne deinen Zweck erreicht zu haben ; mache mich,
o Bester der Brahmanen, vertrauensvoll mit deiner Sache
bekannt.
12. (13895.) Wir alle sind durch deine Tugend ganz und
gar gewonnen worden, well du, dein eigenes Wohlsein bei-
seite lassend, zu meinen Gunsten dich bemiihst.
Der Brahmane sprach :
13. (13896.) 0 Hochbegliickter, ich bin hierhergekommen
voll Sehnsucht dich zu sehen, ich mochte dich befragen iiber
eine Sache, in der ich mir nicht zu helfen weifs, o Schlangenherr.
14. (13897.) Obgleich ich, im Atman stehend, nach dem
Ziele des Atman forsche, verehre ich doch nur den hoch-
weisen Atman, sofern er, des festen Standortes ermangelnd,
noch mit dem wankelmiitigen Cittam (Manas) behaftet ist.
15. (13898.) Du, der du mir erschienen bist mit den
tugendhaften , ruhmgeborenen Strahlen, welche, den Be-
riihrungen der Mondstrahlen gleich, herzerfreuhch dein Wesen
offenbaren,
16. (13899.) du, o Windesser, mogest mir eine Frage, die
in mir aufgetaucht ist, losen! Sodann will ich dir meine
Sache mitteilen, und du sollst sie horen.
So lautet im Mokshadharma die Erzahlung vom Abrenleser
(uTichanritti - updkhydnam).
Adhyaya 364 (B. 362).
Vers 13900-13917 (B. 1-18).
Der Brahmane sprach:
1. (13900.) Du, o Herr, pflegst ja, wenn die Reihe an dich
kommt, zu gehen, um den einradrigen Wagen des Sonnen-
gottes zu Ziehen; wenn du dort irgend etwas Wunderbares
zu sehen bekommen hast, so mogest du mir da von Kunde
geben.
878 III. Mokshadharma.
Der Naga sprach :
2. (13901.) Der Schauplatz mannigfacher Wunder ist der
heilige Sonnengott, aus welchem alle die Entstandenen her-
vorgehen, die in den drei Welten geehrt werden,
3. (13902.) in dessen tausend Strahlen, wie die Vogel in
den Zweigen, die vollendeten Muni's samt den Gottern Zu-
jflucht und Wohnung finden,
4. (13 903.) aus welchem ausgehend, auf die Sonnenstrahlen
sich stiitzend, der grofse Windgott dort im Luftraume her-
vorbricht, — welch grofseres Wunder konnte es geben als das !
5. (13 904.) Diesen [Windgott] zerteilend aus Wohlwollen
fiir die Geschopfe, o Brahmanenrishi, lafst er in der Regen-
zeit das Wasser stromen; welch grofseres Wunder konnte
es geben als das!
6. (13 905.) Mitten in dessen Scheibe stehend, entflammt
sich der grofse Atman mit hochstem Glanze und iiberschaut
die Welten; welch grofseres Wunder konnte es geben als das!
7. (13 906.) Er heifst der Glanzende, und doch tragt er in
Gestalt eines dunklen Strahles das Wasser im Luftraume
und ergiefst es zur Regenzeit; welch grofseres Wunder konnte
es geben als das!
8. (13907.) Und wiederum halt er acht Monate hindurch
das ausgegossene W^asser mit reinem Strahle in sich zuriick
zu seiner Zeit; welch grofseres Wunder konnte es geben
als das!
9. (13 908.) In dessen unvergleichlichem Glanze der Atman
selbst weilt, durch den der Same und diese Erde mit Beweg-
lichem und Unbeweglichem erhalten wird,
10. (13909.) in dem der grofsarmige, gottliche, ewige,
hochste Purusha ohne Anfang und Ende weilt ; welch grofseres
Wunder konnte es geben als das!
11. (13910.) Aber als Wunder aller Wunder vernimm dies
eine von mir, was ich vom Standort der Sonne aus in dem
reinen Ather geschaut habe.
12. (13 911.) Einstmals zur Mittagszeit, wahrend die Sonne
die Welten bestrahlte, wurde von iiberallher ein der Sonne
gleichkommender Schein gesehen,
13. (13912.) welcher, alle Welten mit seinem selbstleuch-
AdhySiya 364 (B. 362). 879
tenden Glanz durchglanzend , den Himmelsraum gleichsam
spaltete und auf die Sonne zueilte.
14. (13913.) Wie ein aufflammender Opfergufs verbreitete
er Licht mit seinen Strahlen, unbeschreiblich an Schonheit,
einer zweiten Sonne vergleichbar.
15. (13 914.) Als er herangekommen war, reichte ihm der
Sonnengott die Hande, und er, dem diese Ehre gebiihrte,
reichte dem Sonnengotte die rechte Hand.
16. (13 915.) Sodann zerteilte er den Himmelsraum, ging
in die Sonnenscheibe ein und an Glanz mit ihr eins geworden,
ward er augenblicklich zur Sonne.
17. (13 916.) Da entstand, als der Lichtglanz der beiden
sich vereinigt hatte, in uns ein Zweifel dariiber, wer von
beiden eigentlich der Sonnengott sei, der auf dem Wagen
Fahrende oder der zu ihm Herbeigekommene,
18. (13 917.) und, in diesem Zweifel befangen, fragten wir
den Sonnengott, wer der sei, welcher wie eine zweite Sonne
zum Himmel aufgestiegen war.
So lautet im Mokshadharma die Erzahlung vom Ahxenleser
(uTichacritti - updkhydnant).
Adliyaya 365 (B. 363).
Vers 13918-13924 (B. 1-6).
Der Sonnengott sprach:
1. (13 918.) Es ist nicht der dem Winde befreundete Gott
(des Feuers), auch kein Damon oder ein Schlangenfurst, es
ist ein Muni, welcher zum Himmel emporgestiegen ist, weil
er durch das Geliibde des Ahrenlesens die Vollendung er-
reicht hat.
2. (13919.) Von Wurzeln und Friichten lebend, von ab-
gefallenen Blattern sich nahrend, Wasser trinkend und Wind
trinkend war dieser gesammelte Brahmane.
3. (13920.) Von diesem wurde Bhava ((^iva) durch Samhita-
verse gepriesen ; durch diese auf die Himmelspforte gerichtete
Bemiihung ist er zum Dreihimmel emporgestiegen.
4. (13921.) Ohne Umgang und ohne V^iinsche, allezeit vom
880 HI. Mokshadharma.
Ahrenlesen lebend, war dieser Brahmane stets um das Wohl
aller Wesen bemiiht, o ihr Schlangenherren.
5. (13922.) Nicht Gotter, nicht Gandharven, nicht Damonen
Oder Schlangen stehen hoher als die Wesen, die dieses hochste
Ziel erreicht haben.
[Der Naga sprach:]
6. (13 923.) Dieses und von dieser Art ist das Wunder,
welches ich da droben gesehen habe, namlich der vollendete
Mensch, welcher, nachdem er zur Vollendung gelangt ist,
(13 924.) mit der Sonne vereint, die Erde umkreist, o Brahmane.
So lautet im MokRhadharma die Erzahlung vom Ahrenleser
(unchavritti - updkhydnaiit).
Adhyaya 366 (B. 364).
Vers 13925-13934 (B. 1-10).
Der Brahmane sprach :
1. (13925.) Ein Wunder ist es, daran ist kein Zweifel!
0 Schlangenherr, ich bin hocherfreut, und durch dein
treffendes, mir gespendetes Wort ist mir der Weg gewiesen
worden.
2. (13 926.) Heil sei dir! Ich will jetzt gehen, o du Guter,
Bester der Schlangenherren, gedenke meiner, indem du zu
mir schickst und meine Dienste in Anspruch nimmst.
Der Naga sprach:
3. (13 927.) Wohin willst du denn schon gehen, o Herr,
ehe du noch iiber die Angelegenheit, die dir am Herzen liegt,
gesprochen hast? Sprich doch, o Zwiegeborener, iiber die
Angelegenheit, um derentwillen du hierhergekommen hist.
4. (13 928.) Ist aber, ausgesprochen oder nicht, deine An-
gelegenheit erledigt, so magst du dich von mir verabschieden,
o Brahmanenstier, und von mir entlassen von dannen gehen,
o Geliibdetreuer.
Adhy&ya 3G6 (B. 364). 881
5. (13 929.) Denn als mein Freund darfst du nicht, kaum
dafs du mich gesehen hast, mich wieder verlassen und fort-
gehen, o Brahmanenweiser, wie einer, der blofs bis zur Wurzel
des Baumes gelangt ist [und nicht zu seinen Friichten].
6. (13930.) [Als Freund] lebe ich in dir, o Bester der Bruh-
manen, und du in mir, alle meine Leute gehoren dir an, welches
Bedenken besteht bei dir gegen mich, o Untadliger?
Der Brahmane sprach :
7. (13 931.) Es ist, wie du sagst, o hochweiser, atman-
kundiger Schlangenherr, die Gotter selbst sind dir nicht
iiberlegen in jedem Sinne wie es auch sei.
8. (13932.) Du bist es und ich bin es, und was ich bin,
bist auch du, in ihm, der mich und dich und die Wesen,
uns alle immerdar umfafst.
9. (13 933.) Es bestand bei mir ein Zweifel, o Schlangen-
herr, in betreff der Ansammlung eines Schatzes guter Werke,
jetzt aber bin ich entschlossen , o Guter, das Geliibde des
Ahrenlesens auf mich zu nehmen als das, was zum Ziele fiihrt.
10. (13934.) Diese Gewifsheit ist mir geworden, o Guter, ich
habe den hochsten Antrieb mir zu eigen gemacht. Ich griifse
dich, Heil sei dir ! Mein Zweck ist erreicht, o Schlangenherr.
So lautet im Mokehadharma die Erzahlung vom Ahrenleser
(unchavritti - updkhydnani).
Adhyaya 367 (B. 365).
Vers 13935-13943 (B. 1-9).
Bhishma sprach:
1. (13935.) Nachdem dem Brahmanen die Gewifsheit ge-
worden war, nahm er Abschied von dem Besten der Schlangen-
herren und begab sich, um die Weihe zu erlangen, zu Cya-
vana, dem Bhrigusprofs,
2. (13 936.) Nachdem er von ihm die Weihe erhalten hatte,
widmete er sich der Pflicht und erzahlte ihm seine Geschichte,
o Konig.
Betjbsen, Mahftbh&ratam. 5o
882 in. Mokshadharma.
3. (13 937.) Von dem Bhrigusohne wurde dann weiter in
dem Hause des Janaka diese heilige Geschichte dem hoch-
sinnigen Narada mitgeteilt, o Fiirst der Konige.
4. (13 938.) Von dem nicht an Werken hangenden Narada
wurde sie, als man ihn darum fragte, in dem Hause des Gotter-
fiirsten (Indra) weitererzahit, o Bester der Bharata's.
5. (13939.) Aber von dem Gotterfiirsien wurde einstmals
diese schone Geschichte weiter in einer Versammlung alien
preiswerten Brahmanen mitgeteilt, o Erdeherr.
6. (13 940.) Und als jener furchtbare Kampf zwischen mir
und Rama stattgefunden hatte (Mahabh. V, Adhy. 179 fg.),
wurde diese Erzahlung mir von den Vasu's berichtet, o Konig.
7. (13 941.) Auf deine Frage habe ich dir der Wahrheit
gemafs diese reine, heilige Geschichte iibermittelt , o Bester
der Gesetzestrager,
8. (13942.) und erklart, worin jene hochste Satzung be-
steht, nach der du mich fragtest, o Bharata. Jener Brah-
mane war weise und in der Erfiillung seiner Pflicht frei von
Wiinschen.
9. (13 943. Metrum: Aparavaktram.) Nachdem er VOn dem
Schlangenherrn in dem, was er zu tun hatte, unterwiesen
worden war, zog er nach erlangter Gewifsheit, stark in
Zucht und Selbstzucht, in den Wald, indem er sich nur
von dem nahrte, was das Geliibde des Ahrenlesens ge-
stattet.
So lautet im Mokshadharma die Erzahlung vom Ahrenleser
(u n chavfitti -updkhydn anij .
IV.
ANUGlTA.
Mahabharatam Buch XIV, Adhyaya 16—51, Vers 407—1477, C.
(=Biich XIV, Adhyaya 16-51, B.).
56^
Adhyaya 16 (B. 16).
Vers 407-453 (B. 1-46).
Janamejaya sprach:
1. (407.) Als der Vollhaarige (Krishna) und Arjuna, die
Hochherzigen, nach Besiegung der Feinde dort in dem Palaste
weilten, welches war die Unterredung, o Brahmane, die sich
zwischen beiden entspann?
Vaigampayana sprach:
2. (408.) Nachdem der Sohn der Pritha die vollstandige
Herrschaft erlangt hatte, lebte er in Gemeinschaft mit Krishna
in jenem himmlischen Palaste von Freude erfiillt.
3. (409.) Daselbst begab es sich einmal, o Fiirst, dafs die
beiden, von ihren Leuten gefolgt, zufallig in ein Gemach des
Palastes gelangten, welches einem Gemach des Himmels glich.
4. (410.) Da nun betrachtete der von Krishna begleitete
Sohn des Pandu, Arjuna, voll Freude den herrlichen Palast
und sprach dieses Wort:
5. (411.) 0 Grofsarmiger , als damals der Kampf begann,
da lernte ich deine Herrlichkeit kennen, o Sohn der Devaki,
und jene deine gottliche Gestalt [oben, S. 77 fg.].
. 6. (412.) Was du, o Ileiliger, damals zu mir aus Freund-
schaft gesprochen, o Vollhaariger, das alles, o Manntiger, ist
mir vermoge der Hinfalligkeit meines Geistes verloren ge-
gangen.
7. (413.) Aber ich empfinde immer wieder und wieder ein
Verlangen nach jenen Dingen, und es wird nun nicht mehr
lange dauern, bis du nach Dvaraka aufbrechen wirst, o Ma-
dhava.
886 IV. Anugita.
Vai^ampayaua sprach :
8. (414.) Als der herrliche Krishna also von dem unter
dem Gestirn Phalguni Geborenen (Arjuna) angeredet wurde,
da umarmte er ihn und erwiderte, er, der Beste der Kedner,
dieses Wort:
Vasudeva (Krishna) sprach:
9. (415.) Ich habe dir das Geheimnis verkiindet, ich habe
dich belehrt iiber die immerwahrende, aus deiner Natur [als
Kshatriya] entspringende Pflicht und iiber die ewigen Welten.
10. (416.) Dafs du aus Unverstand das nicht begriffen hast,
das ist mir im hochsten Grade unerwiinscht, denn nicht noch
einmal wieder wird mir heute die Riickerinnerung daran mog-
lich sein. «
11. (417.) Sicherlich, es fehlt dir an Glauben, denn du
bist torichten Sinnes, o Pandusohn, und es ist mir nicht
moglich, dir alles noch einmal zu wiederholen, o Gutgewinner.
12. (418.1 Jene Lehre war vollstandig hinreichend, um die
Statte des Brahman zu erlangen; es ist mir nicht moglich,
dir noch einmal das alles in derselben Weise zu wiederholen.
13. (419.) Jenes hochste Brahman hatte ich dir verkiindigt,
weil ich im Yoga versenkt war. Aber es gibt eine alte Er-
zahlung iiber diesen Gegenstand, die will ich dir mitteilen,
14. (420.) so dafs du, zu dieser Erkenntnis gelangend, den
hochsten Weg gehen kannst. Vernimm also von mir, o Bester
der Gesetzestrager, alles, was ich dir sagen werde.
15. (421.) Ein gewisser Brahmane, o Feindiiberwinder, kam
herab aus der Himmelswelt und der Brahmanwelt, und dieser
gewaltige Mann wurde von uns mit Verehrung empfangen.
16. (422.) Und als er von uns befragt wurde, was er da
antwortete, o Stier der Bharata's, nach himmlischer Satzung,
o Prithasohn, das vernimm, ohne dagegen Bedenken zu hegen.
Der Brahmane sprach:
17. (423.) Das, warum du mich befragst, in betreff der
Lehre von der Erlosung fmokshadharmaj, o Krishna, und was
imstande ist, die Verblendung zu heben, das, o Herr, will
ich aus Mitleid mit den Wesen
Adhyiya 16 (B. 16). 887
18. (424.) dir verkiindigen der Wahrheit gemafs, o Madhu-
sudana, vernimm es mit Aufmerksamkeit, o Madhava, wie
ich es dir sage.
19. (425.) Ein gewisser an Askese reicher Brahmane namens
Kagyapa, der Pflichten sehr kundig, besuchte einen gewissen
Zwiegeborenen, welcher die heilige Uberlieferung der Satzungen
kannte
20. (426.) und liber das Gehen und Kommen [der Wesen]
vielfaches Erkennen und Wissen bis auf den Grund erfafst
hatte, welcher iiber Wesen und Zweck der Welt unterrichtet
war und die Bedeutung von Lust und Schmerz erkannt hatte,
21. (42.7.) welcher das Wesen von Geburt und Tod kannte,
das Bose und das Gute zu unterscheiden wufste und die Wan-
derung der infolge ihrer Werke zu einer hohen oder niedrigen
Stelle gelangenden Seelen durchschaute,
22. (428.) welcher dahinwandelte wie ein Erloster, voll-
endet, beruhigt, mit bezahmten Sinnen, und von brahniischer
kSchonheit strahlte, wohin er auch immer sich begeben mochte.
23. (429.) Da nun Kagyapa der Wahrheit gemafs iiber
diesen erfahren hatte, dafs er es vermochte, unsichtbar zu
wandeln und demgemafs mit unsichtbaren Wesen, mit Voll-
endeten und Cakradhara's [vielleicht: himmlischen Musikern]
Verkehr zu pflegen,
24. (430.) mit ihnen sich insgeheim zu unterreden und
zusammenzusitzen, sowie auch nach Belieben und ungehemmt
wie der Wind umherzuschweifen,
25. (431.) so nahte sich ihm der Weise, Beste der Brah-
manen, und nach der Lehre begehrend, warf sich der an
Askese und Meditation Reiche zu seinen Fiifsen nieder, (432.) wie
es sich geziemt, indem er die grofse Wunderkraft des Mannes
erkannte.
26. (433.) Und mit Erstaunen die Wunderkraft erkannt
habend, erfreute Kagyapa jenen hochsten Brahmanen als
seinen Lehrer mit grofser Huldigung.
27. Auch war dieses alles angemessen und in Uberein-
stimmung mit der Schriftlehre und dem guten Lebenswandel,
(434.) denn er erfreute ihn durch seine Liebe, wie es einem
Lehrer gegeniiber Branch ist, o Feindbezwinger.
IV. Aiiugita.
28. Jener aber, erfreut und giinstig gestimmt, redete zu
ihm, der von seinem Schiiler begleitet war, die Rede, (435.) welche
du, 0 Janardana (Krishna), in betreff der hochsten Vollendung
von mir vernehmen mogest.
Der Vollendete sprach :
29. (436.) Durch mannigfache Werke, o Freund, sowie
durch blofse reine Hingebungen erlangen die Sterblichen so-
wohl den Weg zu dieser Welt als auch ein Verweilen in der
Gotterwelt.
30. (437.) Aber nirgendwo wird ihnen ewiges Gliick zu-
teil und nirgendwo eine bleibende Statte; immer wieder und
wieder erfolgt ein Herabfallen aus der grofsen, schwer er-
rungenen Stellung.
31. (438.) Unschone und fiir mich schlimme Wege wurden,
weil ich Ubles tat, erlangt von mir, da ich von Lust und
Zorn iiberwaltigt und von Durst ftrishnaj verblendet war.
32. (439.) Immer aufs neue wiederholt sich das Sterben
und immer wieder aufs neue das Geborenwerden; mancherlei
Speisen habe ich schon genossen, mancherlei Mutterbriiste
schon getrunken.
33. (440.) Mannigfache Mutter habe ich schon gehabt und
vielerlei Vater ; die verschiedensten Freuden und Leiden habe
ich erfahren, o Untadliger.
34. (441.) Vielfach schon ist mir widerfahren, von Lieben
getrennt zu werden und mit Unlieben vereinigt zu sein [vgl.
die erste heilige Wahrheit des Buddhismus], vielfach schon
Verlust des Vermogens, nachdem ich es mit Miihe erworben
hatte,
35. (442.) sowie auch sehr peinliche Demiitigungen von
seiten des Konigs und seiner Leute, und iiberaus herbe
Schmerzen an Leib und Geist.
36. (443.) Erlitten habe ich furchtbare Erniedrigungen,
Ermordungen und herbe Fesselungen, sowie auch Herab-
stiirzung in die Holle und Ziichtigungen in der Behausung
des Yama.
37. (444.) Auch habe ich fort und fort Alter und Krank-
heit und vielfaches Mifsgeschick in dieser Welt heftig erleiden
Adhy&ya 16 (B. 16). 889
miissen, welches aus den Gegensatzen [Kalte und Warme usw,]
entsprang.
38. (445.) Darum habe ich endlich aus Uberdrufs und in-
dem ich meine Zuflucht zu dem Gestaltlosen nahm, dem Welt-
getriebe entsagt, nachdem ich schwer von Leiden gequalt
worden war.
39. (446.) Und so habe ich nach dem, was ich in dieser
Welt auskostete, diesen Weg hier eingeschlagen ; darauf
wurde mir durch die Gnade des Atman die gegenwartige
Vollkommenheit zuteil.
40. (447.) Ich werde nicht wieder hierher zuriickkehren,
ich betrachte die Wei ten und die gliicklichen Wege meiner
selbst, die ich bis zur Vollkommenheit von der Schopfung
der Kreaturen an durchwandert habe.
41. (448.) Auf diese Weise habe ich, o Bester der Zwie-
geborenen, die hochste Vollendung erreicht; hinfort werde
ich wieder zu dem gehen, was hoher als diese Welt ist,
42. (449.) zu der verborgenen Statte des Brahman, daran
mogest du nicht zweifeln; ich werde nicht wieder, o Bedranger
der Feinde, hierher in die Welt der Sterblichen zuriickkehren.
43. (4.')0.) Ich bin zufrieden mit dir, o grofser Weiser,
sage, was ich dir tun soil; was du begehrtest, da du zu mir
kamst, dafiir ist jetzt die Zeit gekommen,
44. (Ji>i.) und ich billige das, um dessentwillen du zu mir
gekommen bist; aber bald werde ich hiniibergehen ; darum
habe ich dir diese Anregung gegeben.
45. (452.) Ich bin sehr erfreut iiber dein Verhalten, o du
Verstandiger. Frage nur, was zu deinem Besten dient, ich
will dir sagen, was du zu wissen wiinschest.
46. (453.) Ich schatze deine Einsicht hoch und erkenne
sie sehr an, weil ich von dir entdeckt worden bin, denn du
bist weise, o Kagyapa.
So lautet in der Anugtt& der erste Adhy&ya.
890 IV. Anugita.
Adhyaya 17 (B. 17).
Vers 454-496 (B. 1-42).
Vasudeva (Krishna) sprach :
1. (454.) Da umschlang er (Kagyapa) seine [des Voll-
endeten] Fiifse und legte ihm schwer zu losende Fragen vor,
und er, der Beste der Lehrmeister, verkiindigte ihm diese
Lehren,
Ka^yapa sprach :
2. (455.) Wie fallt der Korper dahin, und wie ersteht er
wieder, und wie wird man, umwandernd, aus dem schlimmen
Wanderungsumlaufe eriost ?
3. (456.) Und wie geschieht es, dafs der Atman die Natur
(Prakriti) loslafst und diesen Leib aufgibt? Und wie vermag
er, nachdem er von seinem Leibe befreit ist, in einen andern
einzugehen ?
4. (457.) Und wie konnen an einem Menschen die guten
und bosen Werke, welche er begangen hat, vergolten werden,
und wo befindet sich sein Werk, nachdem er korperlos ge-
geworden ist?
Der Brahmane sprach [zu Krishna]:
5. (458.) Nachdem der Vollendete in dieser Weise auf-
gefordert worden war, beantwortete er diese Fragen der Reihe
nach, o Varshneya; das vernimm, wie ich es dir erzahle.
Der Vollendete sprach [zu Kagyapa] :
6. (459.) Wenn die Werke, die ein Mensch als Leben und
Ruhm fordernde wahrend der Innehabung eines bestimmten
Korpers betrieben hat, wenn diese vollstandig abgetan sind,
7. (460.) dann legt er sich, da nun sein Selbst von der
Vernichtung des Lebens iiberwaltigt wird, auf entgegengesetzte
[dem Leben schadhche] Handlungen, und auch sein Verstand
lafst ihn im Stich, wenn der Untergang bevorsteht.
8. (461.) Und wahrend er [ehedem] in dieser Weise seine
Natur und seine Kraft und die rechte Zeit wohl verstanden
hatte, so gestattet er sich jetzt, wo er nicht mehr Herr seiner
selbst ist, Dinge, die ihm [seinem Wohlsein] zuwider sind.
Adhy^ya 17 (B. 17). 891
9. (462.) Wenn er sich dann alles mogliche erlaubt, was
ihm sehr schadlich ist, wenn er [zum Beispiel] iibermafsig
ifst Oder aber ganz und gar nichts ifst,
10. (463.) wenn er Speisen, Fleisch und Getranke geniefst,
die verdorben sind oder sich nicht miteinander vertragen,
Oder wenn er Schwerverdauliches allzu reichlich geniefst, oder
ehe er noch vollstandig verdaut hat,
11. (464.) oder wenn er in Korperanstrengungen oder im
[geschlechtHchen] Drauflosgehen nicht Mafs halt, oder ge-
wohnheitsmafsig im Eifer der Arbeit den natiirlichen Drang
zuriickhalt,
12. (465.) oder wenn er einFreund scharfgewurzter Speisen
und des Schlafens am Tage ist und dadurch, ehe noch seine
Zeit reif und gekommen ist, selbsttatig die Korpersafte
(doshaj in Storung versetzt,
13. (466.) dann zieht er sich durch die Storung seiner
Korpersafte eine Krankheit zu, die zum Tode fiihrt, oder
auch er entschliefst sich zu widerwartigen Handlungen, z. B.
indem er sich aufhangt.
14. (467.) Durch diese Ursachen verfallt bei einem leben-
den Wesen der Korper und sodann auch das Leben; dies
lasse dir erklaren und behalte es, wie es sich geziemt.
15. (468.) Wenn in dem Korper die Warme gestort wird,
indem sie aufgeregt wird durch scharfe Windstromungen, so
durchzieht sie den Leib und behindert alle [fiinf] Lebenshauche.
16. (469.) Wenn nun die Warme in dem Korper aufgeregt
und iibermafsig stark wird, so dringt sie ein in die der Seele
als Sitz dienenden letalen Partien fmarmanj, das wisse der
Wahrheit gemafs.
17. (470.) Alsdann macht sich die schmerzempfindende
Seele alsbald von dem hinfalligen [Korper] los, und das Lebe-
wesen verlafst seinen Korper, nachdem die letalen Partien
verletzt worden sind,
18. (471.) und die Seele wird von den Schmerzen iiber-
waltigt, das wisse, o Bester der Brahmanen; und so leben
alle Kreaturen fortwahrend in der Angst vor dem Geboren-
werden und Sterben.
19. (472.) Man sieht sie, wie sie ihre Leiber verlassen,
892 IV. Anugita.
o Stier unter den Zwiegeborenen, und wie sie beim Eingang
in einen Mutterschofs aufs neue in die Glieder hineinkriechen.
20. (473.) Einen derartigen Schmerz empfmdet der Mensch
auch wiederum, wenn er sich die Glieder bricht, oder auch
er erfahrt ihn als Nafswerden durch das Wasser.
21. (474.) Und so wie der Lebenshauch das Entstandensein
in den fiinf Elementen unterstiitzt, so geschieht es auch, dafs
er im Korper von der Kalte aufgeregt und durch einen scharfen
Luftzug in Wallung gebracht,
22. (475.) dafs er, der in den fiinf Elementen sein Be-
stehen in Aushauch und Einhauch hatte, nunmehr nach oben
hin steigt und aus den ungliicklichen Geschopfen entweicht;
23. (476.) und so verlafst er den Korper, und der Mensch
wird gesehen, wie er ohne Odem ist; und wenn er in dieser
Weise ohne Warme, ohne Odem, ohne Schonheit, seines Be-
wufstseins beraubt,
24. (477.) von dem Brahman [der Seele] verlassen, da-
liegt, so wird der Mensch ein Leichnam genannt. Und durch
die Stromungen [die Sinnesorgane, ^vet. Up. 1,5], durch
welche der Leibestrager die Sinnendinge erkennt,
25. (478.) durch diese erkennt er nicht mehr die aus der
Ernahrung entsprungenen Lebensorgane [er erkennt seinen
Leib nicht mehr]; denn derjenige, der dabei im Leibe sich
betatigt, ist nur der ewige Jiva (die individuelle Seele).
26. (479.) Ferner: alles, was irgendwo im Leibe von der
Art ist, dafs es fiir die Zusammensetzung des Korpers wesent-
lich ist, das, wisse, ist eine letale Stelle fmarmanj; denn dies
ist zu ersehen aus dem Schriftkanon.
27. (480.) Wenn nun diese letalen Stellen verletzt werden,
so bedrangt von ihnen aus jener [der Lebenshauch] das Herz,
dringt in dasselbe ein und verschliefst alsbald das Sattvam
[die geistige Kraft, das Manas] des betreffenden Wesens;
(481.) dann geschieht es, dafs dieses Wesen, obgleich mit Be-
wufstsein begabt, doch nichts mehr erkennt.
28. Dann wird sein Bewufstsein vom Tamas umhiillt,
nachdem schon die letalen Telle davon umhiillt worden waren,
(482.) und die individuelle Seele ist ohne festen Stand und
wird vom Winde hin und her bewegt.
Adhy&ya 17 (B. 17). 893
29. Dann stofst die Seele heftig jenes furchtbare Rocheln
aus, (483.) und indem sie auszieht, macht sie alsbald den be-
wufstlosen Korper erzittern.
30. Dann geschieht es, dafs die Seele aus ihrem Kor-
per herausgetrieben und von ihren Werken umhiillt wird,
(484.) beiderseits, sowohl von den guten und heiligen, als auch
von den bosen.
31. Brahmanen, welche mil Erkenntnis begabt sind und,
wie es sich gehort, Gewifsheit aus der Schrift geschopft
haben, (485.) erkennen an bestimmten Zeichen den, welcher
Gutes getan hat, und den andern.
32. Wie einen im Dunkel hier oder da verschwindenden
Leuchtkafer (486.) diejenigen, welche gute Augen haben, noch
erkennen, so ist es auch mit denen, welche das Auge des
Geistes besitzen.
33. Die Vollendeten schauen mit gottlichem Auge die
Seele in dieser Lage, (487.) sowohl wenn sie aus dem Korper
fallt, als auch wenn sie, um geboren zu werden, in einen
Mutterschofs eingeht.
34. Eine dreifache Statte der Seele gibt es, wie schon
hienieden aus der Schrift zu ersehen ist. (488.) Diese Erde,
auf der Kreaturen wohnen, ist das Land der Werke.
35. Und sodann, je nachdem sie Gutes oder Boses ge-
tan haben, empfangen die Verkorperten [den LohnJ dafiir;
(489.) schon hienieden empfangen sie hohe und niedrige Ver-
geltung fiir ihre eigenen Werke.
36. Diejenigen, welche hier bose Werke tun, gelangen
fiir ihre Werke in die Holle; (490.) dies ist der schlimme Weg
nach unten, auf dem die Menschen gepeinigt [wortlich: ge-
braten] werden; aus ihr [der Holle] ist es sehr schwer los-
zukommen, und man mufs seine Seele sorgfaltig vor ihr
behiiten.
37. (491.) Hingegen die Statten, an welchen die Seelen
weilen, die nach oben gegangen sind, diese, wie sie schon
hienieden uns verkiindigt werden, vernimm von mir der Wahr-
heit gemafs.
38. (492.) So mogest du, nachdem du die zuverlassige Er-
kenntnis vernommen hast, die Gewifsheit in betreff der Werke
894 IV. Anugita.
erfahren. Alle die Gestalten der Gestirne und jene Mond-
scheibe dort,
39. (493.) wie auch die Welt, in welcher mit eigenem
Olanze die Sonnenscheibe strahlt, diese alle wisse als die
Statten der Menschen, welche heilige "Werke geiibt liaben.
40. (494.) Aber nachdem ihre Werke verbraucht sind,
miissen sie alle immer wieder aufs neue herabsinken ; auch
ist dort oben im Himmel eine Unterscheidung zwischen
Niedrigem, Hohem und Mittlerem;
41. (495.) und auch darum ist dort keine voile Befriedi-
gung, weil man ein glanzenderes Gliick vor Augen sieht.
Damit habe ich dir alle jene Wege im einzelnen erklart.
42. (496.) Nunmehr aber will ich dir das Eingehen in einen
Mutterleib erklaren; und auch dies vernimm von mir, wie
ich es dir darlege, mit Aufmerksamkeit, o Brahmane.
So lautet in der AnugltS, der zweite Adhyaya.
Adhyaya 18 (B. 18).
Vers 497-531 (B. 1-35).
Der [vollendete] Brahmane sprach:
1. (497.) Fiir gute und hose Werke gibt es keinen Ver-
gang; sie kommen zur Reife, indem man in den ihnen jedes-
mal entsprechenden Korper eingeht.
2. (498.) Wie ein Fruchtbaum, der zeugungskraftig ist,
viele Friichte hervorbringt, so wird von einem reinen Gemiite
(manasj eine grofse Menge verdienstlicher Werke hervor-
gebracht.
3. (499.) In derselben Weise wird das Bose durch ein
boses Gemiit bewirkt, denn die Seele verfahrt in der Weise,
dafs sie das Gemiit [wie ein Filrst seinen Purohita] beauf-
tragt fpurodhdyqj , das Werk zu tun.
4. (500.) Wie nun ein Mensch, mit seinem Werke beladen
und in Lust und Zorn gehiillt, in einen Mutterschofs eingeht,
auch dies vernimm, wie ich es dir beantworte.
5. (501.) Der [mannliche] Same, mit dem [weiblichen]
Blute vermischt, gelangt in den Uterus des Weibes und
Adhy&ya 18 (B. 18). 895
erhalt dort einen aus seinen Werken entstehenden Leib, sei
es einen schonen oder niehtschonen.
6. (502.) Und wegen seiner Subtilitat und seines unoff'en-
baren Wesens hangt er [der Purusha, die Seele] nirgendwo
[an den Korperelementen] fest [vgl. asango hy ayam purushah,
Brih. Up. 4,3,15] ; darum wird er, wenn er als Brahmane sein
Verlangen erreicht hat, zu jenem ewigen Brahman.
7. (503.) Dieses [Brahman] ist der Same aller Wesen,
durch dieses leben alle Kreaturen; dieses, als individuelle
Seele alle Glieder des Embryo Stiick fiir Stiick erfiillt habend,
8. (504.) erhalt sie aufrecht vermittelst des Bewufstseins,
sofort seinen Standort in den Lebensorganen nehmend; als-
dann versetzt der mit dem Geistigen ausgestattete Embryo
die Glieder in Zuckungen.
9. (505.) Wie der sich ergiefsende Flufs des [geschmolzenen]
Eisens die bestimmte Form der Statue ausfiillt, so, wisse, ist
das Eingehen der Seele in den Embryo.
10. (506.) Wie die Feuersglut, in einen Eisenklumpen ein-
gehend, ihn durch und durch erhitzt, so ist, das sollst du
wissen, das Eindringen der Seele in den Embryo.
11. (507.) Und wie die Lampe leuchtet, welche in einem
Zimmer brennt, in eben dieser Weise erleuchtet das Bewufst-
sein die Leiber.
12. (508.) Alle Werke, die einer vollbringt, seien sie gut
oder hose, alles, was in einer friihern Verkorperung begangen
wurde, das wird unfehlbar abgebiifst.
13. (509.) Damit wird es abgetragen, aber zugleich sammelt
sich wiederum anderes Werk an, bis dafs einer zur Erkennt-
nis derjenigen Pflicht kommt, welche in der Hingebung an
die Erlosung besteht.
14. (510.) Nun will ich dir das Werk verkiinden, durch
welches einer selig wird, und wie er es wird, wahrend er in
abwechselnden Geburten immer wiederkehrt, o Bester.
15. (511.) Freigebigkeit, Geliibde, vorschriftsmafsiges Leben
als Brahmanschiiler, Behalten des heiligen Wortes, Bezah-
mung, Beruhigtsein und Mitleid mit den Wesen,
16. (512.) Selbstbeherrschung, Freiheit von Ubelwollen,
Vermeidung des Sichvergreifens an fremdem Gute, Nicht-
896 IV. Anugita.
begehen von Ubeltaten auch nur in Gedanken gegen irgend
welche Wesen auf der Welt,
17. (513.) Gehorsam gegen Mutter und Vater, Ehren-
erweisung gegen Gotter und Gaste, Ehrung des Lehrers, Mit-
leid, Reinheit, bestandige Beherrschung der Sinne
18. (514.) und Beforderung edier Handlungen — dies wird
der Lebenswandel der Guten genannt; aus ihm entspringt
die Gerechtigkeit, welche die Wesen in alle Ewigkeit beschiitzt.
19. (B15.) Daher wird man sie immer bei den Guten sehen,
bei ihnen hat sie ihren bestandigen Standort, ihr Wandel
zeigt an, was Gerechtigkeit ist, in welcher sie ruhig und fest
beharren.
20. (516.) Ihnen ist dieses Werk anvertraut, namlich diese
ewige Gerechtigkeit; wer ihr sich zuwendet, der wird sich
nicht auf einen Abweg verlieren.
21. (517.) Hierdurch wird die Welt aufrecht erhalten, wenn
sie von den Wegen der Pflicht abirrt; aber ein dem Yoga
Ergebener, ein Erloster zeichnet sich auch noch vor jenen aus.
22. (518.) Wenn aber einer der Pflicht gemafs einen guten
Wandel iibt, wo und wie es immer sein mag, ein solcher
wird erst nach langer Zeit iiber den Safisara hinausgefiihrt.
23. (519.) In dieser Weise gelangt ein Mensch allemal zu
dem friiher begangenen Werke, und dieses ist die ganze
Ursache, um derentwillen einer in verwandelter Gestalt hier-
her zuriickkehrt.
24. (520.) Aber durch wen ist es zu Anfang angeordnet
worden, dafs einer [als Siihne fiir friihere Werke] einen
Korper annehmen mufs? — Dariiber besteht in der Welt
Zweifel; das will ich dir nunmehr erklaren.
25. (521.) Als der Urvater aller Welt sich selbst einen
Leib geschaffen hatte, da liefs er, der Gott Brahman, die drei
Welten aus sich hervorgehen, alles Unbewegliche und Be-
wegliche.
26. (522.) Darauf entliefs er aus sich das Pradhanam [die
Urnatur, d. h. doch wohl seinen eigenen Leib] als die Prakriti
[die Urmaterie] der zu verkorpernden Seelen, von welcher
diese ganze Welt erfiillt ist, und die man gemeiniglich fiir
das Hochste ansieht.
Adhy&ya 18 (B. 18). 897
27. (523.) Diese wird bezeichnet als das Veranderliche
("ksharamj, das andere aber ist das Unsterbliche, Unverander-
liche. Als eine Verbindung von den dreien [d. h. von den
drei Guna's, aus denen die Prakriti besteht, vgl. auch mithuna,
Sankhya-Karika 12], fiir jedes Einzelwesen in besonderer
Weise, hat er alles,
28. (524.) hat er alle Wesen gescliaifen, nachdem er als
Schopfer (Prajapati) vorher zum Vorschein gekommen war
[vgl. Manu 1,6—7 prddur dsit, udbabhau], sowie audi die
Pflanzen; so lehrt es die althergebrachte Sehrift.
29. (.525.) Aber fiir jenes [Annehmen eines Korpers] ver-
ordnete der Weltvater eine Zeitgrenze und ebenso die Um-
wanderung unter den Wesen und die immer neue Wiederkehr.
30. (526.) Was ich dir als ein weiser Mann, der den Atman
in einer friihern Geburt erkannt hat, sagen werde, das ist
alles der Wahrheit gemafs.
31. (527.) Wer erkennt, wie Lust und Schmerz ganz und
gar verganglich sind, und dafs der Korper eine unreine An-
sammlung, und dafs sein Untergang durch die Werke be-
dingt ist,
32. (528.) und wer bedenkt, dafs alle Lust im Grunde doch
Leid ist, der wird den furchtbaren Ozean des Sansara iiber-
schreiten, so schwer das ist.
33. (529.) Er, der mit Geburt, Tod und Krankheit behaftet
ist, aber die [Illusion der] Materie durchschaut, er erkennt
in alien geistigen Wesen ein und dasselbe Geistige.
34. (530.) Dann wird er der ganzen Welt uberdriissig und
erforscht die hbchste Statte. Hieriiber will ich dir, o Bester,
der Wahrheit gemafs Belehrung geben.
35. (531.) Und was die hochste Erkenntnis von jenem
Ewigen, Unverganglichen ist, das, o Brahmane, sollst du, wie
ich es dir sagen werde, vollstandig vernehmen.
So lautet in der Anugita dor dritte Adhy&ya.
Dbussen, Mah&bhAratam. t 57
898 IV. Anugita.
Adhyaya 19 (B. 19).
Vers 532-598 (B. 1-66).
Der [voUeadete] Brahmane sprach :
1. (532.) Wer beharrt, in das einzige Ziel vertieft, schwei-
gend, nicht denkend woran es audi immer sei, und alles
Friihere hinter sich lassend, der ist iiber die Bindung hinaus-
geschritten.
2. (533.) Wer alien Freund ist, alles duldend, der Ruhe
ergeben, die Sinne besiegt habend, frei von Furcht und Zorn
und Herr seiner selbst, der Mann wird erlost.
3. (534.) Wer alle Wesen wie sich selbst behandelt, be-
zahmt, rein, ohne Stolz und Hinterlist ist, der ist von allem
erlost.
4. (535.) Wer bei beidem, Leben und Tod, bei Freude und
Schmerz, bei Gewinn und Verlust, bei Liebem und Unliebern
gleichmiitig bleibt, auch der wird erlost.
5. (536.) Nicht begehrt er nach irgend etwas, nicht ver-
achtet er irgendwas, er ist frei von den Gegensatzen [z. B.
Liebe und Hafs] und in seiner Seele ohne Leidenschaft; ein
solcher ist in jedem Sinne erlost.
6. (537.) Wer ohne Freunde, ohne Verwandte, ohne Nach-
kommenschaft ist, wo es auch immer sein mag, wer das Gute,
Niitzliche und Angenehme hat fahren lassen und frei von Be-
gierde ist, wird erlost.
7. (538.) Wer nicht mehr am Guten, nicht mehr am Bosen
hangt, von dem friiher Aufgehauften [Verdienste der guten
Werke] sich frei macht, durch Aufreibung der Stoffe seines
Korpers seine Seele beruhigt hat und von den Gegensatzen
sich losgesagt hat, der wird erlost.
8. (539.) Wer ohne Werke, ohne Begierde hinblickt auf
die vergangliche W^elt, wie sie, dem Feigenbaum [d. h. der
Vielheit seiner Zweige, Kath. Up. 6,1] vergleichbar, immerfort
an Geburt, Tod und Alter gebunden ist,
9. (540.) wer mit dem Bewufstsein der Leidenschaftslosig-
keit immerfort auf seine Fehler achtet, der vollbringt die
Adhy&ya 19 (B. 19). 899
Befreiung seiner Seele von der Bindung, man kann wohl
sagen, in kurzer Zeit.
10. (541.) Wer den unriechbaren, unschmeckbaren, unfiihl-
baren, unhorbaren, unfafsbaren, unsichtbaren, unerkennbaren
Atman schaut, der wird erlosi.
11. (542.) Wer den von den Qualitaten der fiinf Elemente
freien, gestaltlos-ursachlosen, gunalosen Geniefser der Guna's
schaut, der wird erlost.
12. (543.) Durch die Erkenntnis alle Wiinsche, die korper-
lichen wie die geistigen, aufgebend, erlangt er nach und nach
das Nirvanam (das Erloschen) wie das Feuer, dessen Brenp-
holz verbrannt ist.
13. (544.) Wer frei von alien Nachwirkungen [der friihern
Geburt], frei von den Gegensatzen, frei von allem Anhang
[Familie usw.] ist und durch die Schar der Sinne mittels
Askese hindurchgeht, der ist erlost.
14. (545.) Wenn er von alien Nachwirkungen befreit ist,
alsdann erlangt er das ewige, hochste, ruhige, unbewegliche,
bestandige, unvergangliche Brahman.
15. (546.) Weiterhin nun will ich dir die uniibertreffliche
Wissenschaft des Yoga mitteilen und wie, dieser sich hin-
gebend, die Yogin's den vollkommenen Atman schauen.
16. (547.) Uber diesen will ich dir die Unterweisung mit-
teilen, wie es sich gehort; dies vernimm von mir, durch
welche Pforten, sich selbst in sich selbst eindringen lassend,
man das Ewige erschaut.
17. (548.) Die Sinnesorgane in sich hineinziehend , soil
man das Manas in sich selbst feststellen, und nachdem man
vorher scharfe Askese geiibt hat, den zur Erlosung fiihren-
den Yoga betreiben.
18. (549.) Dann moge der Asket in dauernder Hingebung
die Yogawissenschaft betreiben, indem er als Weiser an
Verstand, als Brahmane das [hochste] Selbst in seinem
Selbste schaut.
19. (550.) Wenn er dann als ein solcher Tiichtiger es
vermag, sich selbst in sich selbst zu vertiefen, dann wird
er, einzig dessen beflissen, das [hochste] Selbst in seinem
Selbste schauen.
57*
900 IV. Anugita.
20. (551.) Bezahmt, immerfort hingegeben, Herr seiner
selbst und die Sinne im Zaume haltend, so wird er, welcher
sich vollig hingegeben hat, durch sein Selbst das Selbst
schauen.
21. (552.) Denn so wie ein Mann im Traume, wenn er
einen [im Wachen] gesehen hat, hinschaut und sagt: „Er
ist es", ebenso sieht der in rechter Weise Hingegebene den
Atman, als ware er eine korperliche Gestalt.
22. (553.) Und wie einer den Halm aus dem Schilf heraus-
zieht und vorzeigt, so zieht auch der Yogin aus seinem Leibe
den Atman heraus und schaut ihn an (Kath. Up. 6,17).
23. (554.) Das Schilf, so erklart man dies, ist der Leib,
der Halm trifft zu auf den Atman; dieses uniibertreffliche
Gleichnis ist von Yogakennern verkiindigt worden.
24. (B55.) Denn wenn der Verkorperte vollstandig sein im
Yoga begriffenes Selbst schaut, dann gibt es fiir ihn hienieden
keinen Herrn mehr, und ware er der Gebieter aller drei Welten.
25. (556.) Andere und wieder andere Gestalten, in die geht
er ein nach Wunsch, und ob er schon wiederkehrt zu Alter und
Tod, so harmt er sich doch nicht und freut sich auch nicht.
26. (557.) Auch das Gottsein der Gotter weifs der dem
Yoga Hingegebene, Machtige sich zu verschaffen; und das
unvergangliche Brahman erlangt er, nachdem er den nicht-
bestandigen Leib verlassen hat.
27. (558.) Und wenn auch die Wesen zugrunde gehen, so
ergreift ihn doch keine Furcht, und wenn die Wesen gequalt
werden, so erleidet er doch keine Qual von irgend jemandem.
28. (559.) Durch fiirchterliche Schmerzen, Leiden und Be-
angstigungen, wie sie aus dem Hangen und Kleben [am Da-
sein] hervorgehen, bleibt der dem Yoga Hingegebene uner-
schiittert, ohne Begierde und ruhigen Herzens.
29. (560.) Ihn durchbohren keine Geschosse, fur ihn gibt
es keinen Tod ; es gibt nichts irgend auf der Welt, was gliick-
licher ware als er.
30. (561.) Sein Selbst vollig dahingegeben habend, steht
er fest gewurzelt in dem [hochsten] Selbste; Alter und
Schmerz haben sich von ihm abgewandt, und so kann er
ruhig schlafen.
Adhy&ya 19 (B. 19). 901
31. (562.) Nach seinem Belieben fahrt er ein in die Korper,
indem er seinen menschlichen Leib verlafst, aber Uberdrufs
wird ihn in keiner Weise iiberkommen, indem er [das Da-
sein in fremden Leibern] geniefst.
32. (563.) Wenn er in volliger Hingebung sein Selbst nur
in dem [hochsten] Selbste sieht, dann empfindet er keinen
Neid, auch nicht einmal dem Gott Indra gegeniiber.
33. (564.) Wie aber einer, der sich dessen einzig be-
fleifsigt, den Yoga erlangt, das vernimm. Uberdacht habend
die friiher gesehene Gegend [die Aufsenwelt], nimmt er seinen
Wohnsitz in einer Stadt [dem eigenen Innern],
34. (565.) und im Innern dieser Stadt mufs man das Manas
feststellen, nicht aufserhalb derselben. Und wenn er, im Innern
der Stadt verbleibend, in einer ihrer Wohnungen weilt, (566.) so
soil man in dieser Wohnung das Manas mitsamt alien aufseren
und inneren [Organen, lies: ahhyantaram] einschliefsen.
35. Und wahrend der Zeit, in welcher er, das All iiber-
denkend, in dieser Wohnung weilt, (567.) wahrend dieser Zeit
ist sein Manas in keiner Weise von aufsen her [beeinflufst ;
tasmin mit B., sonst nach C.].
36. Und indem man die Schar der Sinnesorgane bandigt,
so dafs sie lautlos in dem menschenleeren Walde verharrt,
(568.) soil man den ganzen innern Korper unabgelenkt iiber-
denken,
37. die Zahne, den Gaumen, die Zunge, die Kehle mit-
samt dem Halse, (569.) und auch das Herz soil man iiber-
denken und ebenso die Adernverbindung des Herzens.
38. So wurde von mir zu jenem verstandigen Schiiler
gesprochen, o Madhusudana, (570.) da fragte er mich wiederum
nach jener schwer zu erklarenden Erlosungslehre.
39. Wie wird die immer wieder und wieder genossene
Nahrung in den Eingeweiden verdaut, (571.) wie geht sie in
den Zustand des Saftes, und wie weiter in den Zustand des
Blutes iiber?
40. Ferner, wie kommt es, dafs Fleisch, Fett, Sehnen
und Knochen in dem Weibe wachsen, (572.) und wie, dafs
alle diese Korper der Verkorperten
41. wachsen, wenn man wachst, und wie wachst zugleich
902 IV. Anugita.
jemandes Kraft, (573.) und wie vollzieht sich der Abgang hin-
dernder Stoffe und der Ausscheidungen je nach ihrer Art?
42. Oder wie kommt es, dafs einer einatmet und wieder
ausatmet, (574.) und welchen Ort des Korpers einnehmend weilt
der Atman in unserem Selbst?
43. Und wie kann die individuelle Seele, indem sie sich
bewegt, den Leib in Bewegung setzen, (575.) und in einen
[Korper] von welcher Farbe (Kaste) bettet sie abermals einen
wie beschaffenen ein?
44. Das mogest du mir der Wahrheit gemafs erklaren,
0 Heiliger, Siindloser. (576.) Mit diesen Worten wurde ich
von jenem Brahmanen befragt, o Madhava,
45. und ich antwortete ihm, o Grofsarmiger, der Schrift-
offenbarung gemafs, o Feindbezwinger. (577.) Wie einer, der
einen Schatz in seiner Schatzkammer niedergelegt hat, auf
den Schatz aufmerksam bleiben mufs,
46. so soil man das Manas in dem Korper einschliefsen,
sich der Ausgangspforten wohl versichern (578.) und in sich
den Atman aufsuchen, indem man die Lassigkeit meidet.
47. Wenn man sich in dieser Weise immerfort in Be-
reitschaft halt, so wird man mit freudigem Geiste in kurzer
Zeit vielleicht schon (579.) in Besitz jenes Brahman gelangen,
welches geschaut habend man auch des Pradhanam (der
Prakriti) kundig wird.
48. Nicht mit dem Auge ist Er zu erfassen und nicht
mit alien Sinnesorganen, (58o.) sondern mit dem Manas als
Leuchte wird der grofse Atman fmahdn dtmdj geschaut.
49. Nach allwarts ist er umgeben von Handen und Fiifsen,
nach allwarts ist er Augen, Haupt und Mund, (ssi.) nach alien
Seiten hin horend, die Welt umfassend steht er da (Qvet.
Up. 3,16, frei).
50. Die (individuelle) Seele schaut sich selbst, wie sie
aus dem Korper herausgetreten ist. (582.) Und indem sie
diesen ihren eigenen [Atman] in dem Korper loslost und zur
Tragerin des absoluten Brahman wird,
51. schaut sie sich selbst an im Geiste gleichsam lachelnd.
(583.) Und indem sie in dieser Weise jenes Brahman zu ihrem
Adhy&ya 19 (B. 19). 903
Stutzpunkt gemacht hat, gelangt sie darauf zur Erlosung in
mir [sofern ich der hochste Atman bin].
52. Dieses ganze Geheimnis habe ich dir mitgeteilt,
o Bester der Zwiegeborenen. (584.) Ich sage dir Lebewohl,
ich mufs aufbrechen, ziehe hin, o Brahmane, wie es dir
gefallt.
53. Nachdem in dieser Weise, o Krishna, jener askese-
reiche Schiller damals von mir belehrt worden war, (.585.) ging
er, wohin es ihm gefiel, der Brahmane mit scharfem GelUbde.
Vasudeva (Krishna) sprach:
54. (586.) Nachdem in dieser Weise damals, o Sohn der
Pritha, jener Beste der Zwiegeborenen die Rede gesprochen
hatte, gab er sich vollig der Erlosungslehre hin und ver-
schwand daselbst vor meinen Augen.
55. (587.) Hast du wohl jetzt, o Sohn der Pritha, dieses
mit ungeteilter Aufmerksamkeit angehort? Denn auch da-
mals schon, als du dich auf deinem Streitwagen befandest,
hast du ja das alles gehort.
56. (588.) Denn freihch ist dies nicht leicht zu fassen,
o Sohn der Pritha, wie ich denke, von einem zerstreuten
Manne, der noch nicht sein Bewufstsein bereitet hat durch
ein gelautertes Innere.
57. (.589.) Jetzt ist dies ausgesprochen worden, o Stier der
Bharata's, was auch fiir die Gotter ein grofses Geheimnis ist;
und dieses ist doch gewifs noch niemals, o Sohn der Pritha,
von einem Menschen vernommen worden.
58. (590.) Denn kein anderer Mensch aufser dir, o Un-
tadliger, ist wiirdig, dieses zu horen, und auch jetzt ist es
nicht wohl zu fassen von einem ungesammelten Gemiite.
59. (591.) Denn die Gotterwelt, o Sohn der Kunti, wird
von den Opferbringern in ihrem Bestande geschiitzt, und es
ist den Gottern nicht erwiinscht, dafs das Menschengeschlecht
[durch Eingang in die Erlosung] schwinde.*
60. (592.) Denn das, o Prithasohn, ist der hochste Gang,
* Qankara zu Brih. Up. 1,4,10 p. 234,0 liest: martyair upari-vartanam,
mit anderer Wendung des Gedankeus.
904 IV. Anugita.
was jenes ewige Brahman ist, in welchem man nach Ver-
lassen des Korpers ewig selig die Unsterblichkeit erlangt.
61. (593.) Die, welche dieser Lehre sich zuwenden, auch
wenn sie einem schlechten Mutterschofse entsprossen, auch
wenn sie Weiber, Vaigya's oder Qudra's sind, auch diese
gehen den h(3chsten Weg.
62. (594.) Um wieviel mehr die Brahmanen, o Sohn der
Pritha, und Kshatriya's, wenn sie eifrig die Schrift studieren,
an ihrer Pflicht Freude haben und allezeit die Brahmanwelt
fiir das Hochste halten!
63. (595) Und dieses ist mit Griinden bewiesen worden;
auch gibt es Mittel, um es zu vollbringen; die Frucht aber
des Vollbringens (hes: siddhiphalam) ist die Erlosung und
die vollige Beseitigung des Leidens.
64. (596.) Uber dieses hinaus gibt es kein Gliick, von
welcher Art es auch sein moge, o Stier der Bharata's. Wer
verstandig ist und glaubig und tapfer, o Pandusohn,
65. (597.) welcher Mensch durch diese Mittel zum Ver-
zichten auf die wertlosen Werte der Welt veranlafst wird,
der findet alsbald den hochsten Weg.
66. (598.) Soviel ist dariiber zu sagen ; es gibt nichts, was
dariiber hinaus noch als Ziel gelten konnte; wenn einer sich
sechs Monate lang immerfort des Yoga beflissen hat, so wird
bei ihm der Yoga gedeihlich fortschreiten.
So lautet in der Anugita der vierto Adhy^ya.
Adhyaya 30 (B. 20).
Vers 599-627 (B. 1-28).
Vasudeva sprach:
1. (599.) Auch hieriiber erzahlt man sich diese alte Ge-
schichte, o Sohn der Pritha, von der Unterredung, welche
zwischen zwei Ehegatten gepflogen worden war, o Stier der
Bharata's.
2. (600.) Als einen gewissen Brahmanen, der an das End-
ziel der Erkenntnis und Wissenschaft gelangt war, die Brah-
Adhyftya 20 (B. 20). 905
manenfrau in der Einsamkeit sitzen sah, da sprach sie, die
Gattin, zu ihrem Gatten:
3. (601.) In welche Welt werde ich gelangen, die ich zu
dir, meinem Gatten, meine Zuflucht genommen habe, der du
das Opferwerk aufgegeben hast und nun dasitzest wie ein
Tolpel und unansehnlich ?
4. (602.) Die Frauen erlangen die von ihren Gatten er-
rungenen Wei ten, wie die Schrift uns sagt. Ich habe dich
als Gatten erlangt; welchen Weg werde ich wohl gehen?
5. (603.) Nachdem er so angeredet war, sprach er mit
ruhigem Geiste und gleichsam lachelnd : 0 Holde, nicht bin
ich ungehalten iiber diese deine Rede, o Untadlige.
6. (604.) Greifbar und sichtbar oder real ist das, was
fiir ein Werk gehalten wird; bei diesem als ihrem Werke
bleiben die Werkvollbringer stehen und nennen es Werk.
7. (605.) Nur in der Verblendung befestigen sie sich durch
ihr Werk, sie, die der Erkenntnis entbehren, und das Unter-
lassen von Werken wird in dieser Welt auch nicht eine
Stunde lang festgehalten.
8. (606.) In Taten, Gedanken und Worten bleibt das Werk,
sei es ein gutes, sei es ein boses, von der Geburt an bis zur
Trennung von dem Leibe hin unter den Wesen in tlbung.
9. (607.) Aber wahrend die Wege, auf denen sichtbare
Stoffe geopfert werden, von den Damonen Angriffe erfahren,
so habe ich fiir sie [die Wesen] durch meinen Atraan einen
im Atman beruhenden festen Stiitzpunkt ersehen.
10. (608.) Wo jenes von den Gegensatzen freie Brahman,
wo der [wahre] Soma und das Opferfeuer ist, dort verkehrt
der Weise bestandig, indem er [sich als Brahman wissend]
die Wesen tragt,
11. (609.) dort, wo die Brahmanen und die iibrigen in
Hingebung jenes Unvergangliche verehren, dort, wo die
Wissenden, ihrem Geliibde Treuen mit beruhigtem Selbste
und bezahmten Sinnen weilen.
12. (610.) Nicht' ist es durch den Geruchsinn zu riechen,
nicht ist es durch die Zunge zu schmecken, noch auch durch
den Tastsinn zu betasten, aber mit dem Manas wird es erkannt.
13. (611.) Nicht konnen sich die Augen seiner bemachtigen,
906 IV. Anugita.
und es ist erhaben iiber alles, was man irgend horen mag,
ist ohne Geruch, ohne Geschmack und Fiihlbarkeit, die Un-
sichtbarkeit und Unhorbarkeit hat es als Merkmal.
14. (612.) Es ist dasjenige, von welchem das Gewebe der
Schopfung ausgeht und in welchem es gegriindet ist; der
Aushauch, der Einhauch, der Allhauch, der Zwischenhauch
und der Aufhauch,
15. (613.) sie alle gehen von ihm aus und in dasselbe ein,
in ihm bewegen sich zwischen Allhauch und Zwischenhauch
der Aushauch und der Einhauch.
16. (614.) Wenn dieses sich verbirgt, so verbergen sich
auch der Allhauch und der Zwischenhauch, und zwischen
Einhauch und Aushauch nimmt der Aufhauch, sie durch-
dringend, seine Stelle; (6i5.) daher kommt es, dafs der Aus-
hauch und Einhauch den Menschen, auch wahrend er schlaft,
nicht verlafst.
17. Weil die [iibrigen] Lebenshauche durch ihn regiert
werden, darum heifst er der Aufhauch; (6i6.) durch diesen
[als den beherrschenden Lebenshauch] geschieht es, dafs die
Brahmanlehrer sich der auf das Ich hinzielenden Askese zu-
wenden,
18. Unter diesen [Lebenshauchen], welche wechselseitig
voneinander zehren und alle den Kbrper durchstreichen,
(617.) strahlt in ihrer Mitte von innen her das Feuer VaiQva-
nara [das Verdauungsfeuer als Lebensprinzip und Symbol des
Atman, Brih. Up. 5,9] in sieben Richtungen:
19. Geruch und Geschmack, Auge, Tastsinn und Ohr
als fiinftes, (6i8.) ferner Manas und Buddhi, das sind die sieben
Zungen des Vaigvanarafeuers.
20. Das Riechbare und das Sichtbare, das Trinkbare,
Fiihlbare und Horbare, (6i9.) ferner das Verstehbare und Er-
kennbare, das sind die sieben Brennholzer fiir mein Ich.
21. Der Riechende, der Schmeckende, der Sehende, der
Fiihlende und der Horende als fiinfter, (620.) ferner der Ver-
stehende und der Erkennende, das sind die sieben obersten
Opferpriester.
22. Was ferner die Objekte des Riechens, Schmeckens,
Sehens , Fiihlens und Horens (62i.) sowie des Verstehens und
Adhyfty^ 20 (B. 20). 907
Erkennens betrifft, so wisse, o Holde, dafs sie allemal da-
durch zustande kommen, dafs
23. die sieben Opferpriester, die die Opfergaben [die Data
der Perzeption] siebenfach in die sieben Feuer [die sieben
vom Atman auslaufenden Organe der Perzeption], (622.) wie
es sich geziemt, werfen und dadurch als Weise [Priester] die
genannten Objekte an der ilmen zukommenden Statte [der
Aufsenwelt] erzeugen.
24. Die Erde, die Luft, der Ather, das Wasser und das
Feuer zu fiinft (623.) sowie Manas und Buddhi, diese sieben
werden dabei als die Statten bezeichnet.
25. Namlich die zur Opfergabe gewordenen Qualitaten
der Dinge gehen dabei alle ein in die aus dem [Atman-]
Feuer entspringende Qualitat [der Aperzeption], (624.) und
nachdem sie dort innerlich gewohnt haben, werden sie an
den ihnen zukommenden Statten [der Aufsenwelt] geboren.
26. Dort, in dem Erzeuger der Elemente [d. h. in dem
Atmanfeuer], werden sie beim Untergange eingeschlossen,
(625.) und aus diesem wiederum entsteht der Geruch, entsteht
der Geschmack,
27. aus diesem entsteht auch die Gestalt und das Tast-
bare, (626.) aus diesem auch der Ton, die tJberlegung [als
Objekt des Manas] und die Uberzeugung [als Objekt der
Buddhi], so ist diese ihre Geburt siebenfach.
28. (627.) In dieser Weise ist es von den Altvordern be-
griffen worden (Kaush. Up. 3). Durch drei vollstandige Opfer-
giisse werden die ganz vollstandigen [drei Welten] durch
das Feuer [des Atman] eingefiillt.
So lautet in der Anugitft der fUnfte Adhyftya.
Adhyaya 31 (B. 31).
Vers 628-G.54 (B. 1-26).
Der Brahmane sprach :
1. (628.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte. Vernimm nunmehr, o Liebliche, welches die
Einsetzung der zehn Opferpriester ist.
S08 IV. Ansgita.
2. (629.) Das Ohr, die Haut, die Augen, die Zunge und
die Nase, die Fiifse, die Hande, das Zeugungsorgan , das
Entleerungsorgan und die Rede (lies: pdyur vdg iti), dies
sind, o Schone, die zehn Opferpriesterheiten.
3. (630.) Der Ton und das Gefiihl, das Gesicht und der
Geschmack, der Geruch, die Rede, das Greifen, das Gehen
und die Entleerung des Samens sowie die von Harn und Kot,
das sind die zehn Opfergaben.
4. (631.) Die Gottheiten der Himmelsgegenden, des Windes,
der Sonne, des Mondes, der Erde und des Feuers nebst Vishnu,
Indra, Prajapati und Mitra, das sind, o Schone, die zehn
Opferfeuer.
5. (632.) Zehn Sinne sind als Opferpriesterheiten und
zehn [Stoffe der Wahrnehmung als] Opfergaben, o Holde;
Sinnesobjekte aber heifsen die Brennholzer, welche in den
zehn Opferfeuern [in den genannten Naturgbttern] geopfert
werden.
6. (633.) Das Denken ist der Opferloffel und der [beim
Opfer gespendete] Reichtum; die Erkenntnis ist die beste
Opferseihe. Diese ganze Welt war [zum Zweck dieses Opfers]
richtig eingeteilt, wie die Schrift lehrt (Rigveda 10,90,6).
7. (634.) Dabei bezieht sich Denken und Erkennen auf
alles Erkennbare; in dem Korper aber, welcher der Trager
des feinen Leibes fretahgariram = suJcshmagariramJ ist, ist der
Erkenner der Trager dieses Leibes.
8. (635.) Dieser Trager des Leibes [der Erkenner] ist das
Garhapatyafeuer, aus ihm wird das andere Feuer abge-
leitet; das Manas hingegen ist das Ahavaniyafeuer, in dieses
wird die Opfergabe [der Stoff der Sinneswahrnehmung] ge-
worfen.
9. (636.) Aus jenem [dem Erkenner, d. h. dem Atman] ist
hervorgegangen der Herr der Rede [das ewige, weltschaffende
Vedawort] ; auf ihn [auf das Vedawort] blickt das Manas [der
weltschaffende Wille] hin , und die Gestalt [der Aufsendinge]
entsteht; das Manas lauft hinter dem Buchstaben [des Veda]
her [d. h. die Dinge werden im Hinblick auf das ewige Veda-
wort geschaffen].
Adhy^a ^1 (B. 21). 909
Die Brahmauin sprach:
10. (637.) Wie kommt es, dafs die Rede zuerst und das
Manas hinterdrein entstanden ist, da doch die Rede das iiber-
nimmt, was vom Manas vorher gedacht worden ist?
11. (638.) Ferner: durch welche Tatigkeit des Erkennens
erlangt die Mati (das Manas) den Gedanken und erlangt ihn
doch nicht in dem erhohten Zustande [des Tiefschlafes und
des Yoga], wer hinder! alsdann das Manas?
Der Brahmane sprach:
12. (639.) Der Apana hindert es, indem er es iibermeistert ;
dadurch versenkt er das Manas in das Apanasein ; dies wird
als der Weg gelehrt, welchen das Manas [im Tiefschlafe und
Yoga] geht; darum bhckt das Manas [auf das Vedawort]
hin. [Das Manas funktioniert intermittierend , wahrend das
Vedawort ewig ist.]
13. (640.) Was aber deine [erste] Frage betrifft, in der
du mich nach dem Verbal tnis zwischen Rede und Manas be-
fragtest, so will ich dir die Geschichte von dem Rangstreite
dieser beiden erzahlen (lies: vartayisliyami).
14. (641.) Beide, die Rede und das Manas, gingen zum
Bhutatman (zur individuellen Seele) und befragten ihn : Sage,
wer von uns beiden der Beste ist, lose uns diesen Zweifel,
o Herr.
15. (642.) Das Manas, so antwortete der Erhabene. Da
sprach Sarasvati (die Rede) : Aber ich bin doch fiir dich die
Wunschkuh; so sprach die Rede zu ihm.
Der Brahmane sprach [als Vertreter des Manas]:
16. (643.) Das Unbewegliche und das Bewegliche, diese
beiden wisse als zwei mir eigene Arten des Manas; das Un-
bewegliche ist mir [als dem Manas] beigeordnet, das Beweg-
liche gehort in deinen Bereich [du, die Rede, bist das Manas
in Bewegung].
17. (644.) Alles, was in diesen Bereich gehort, sei es ein
Vedaspruch, sei es ein Laut oder ein Akzent, das ist das
Manas als Bewegliches, darum bist du, o Rede, die Geehrtere ;
18. (645.) sowie auch darum, weil dir die Meditation zu-
910 IV. Anugita.
kommt; darum komrae ich aus freien Stiicken zu dir, du
Holde, und indem ich mich dem Aushauche anschliefse, werde
ich [mit deiner Hilfe], o Saras vati, aussprechen [was ich als
Manas denke].
19. (646.) [Hier scheint der Brahmanengatte wieder das
Wort zu nehmen.] Ehemals hatte die Gottin Rede ihren be-
standigen Standort zwischen Prana [hier Einhauch] und Apana
[hier Aushauch], und wenn sie sich aufserte, so geschah es,
o gliickliche Gattin, indem sie ohne den Einhauch [also nur
sehr schwach] aushauchte. (647.) Da lief sie [hilfesuchend]
zu Prajapati und sprach: Sei mir gnadig, o du Erhahene!
20. Da trat der Prana in die Erscheinung, welcher die
Rede [wenn sie erschopft war] wiederum kraftigte ; (648.) daher
kommt es, dafs die Rede niemals spricht, wenn sie sich an
den Aushauch anschliefst.
21. Sie aufsert sich allezeit, sei es in lauter, sei es in
lautloser Weise, (649.) und auch von diesen beiden steht die
lautlose Rede hoher als die laute.
22. Wie eine Milchkuh lafst sie die Dinge und ihren
Wohlgeschmack ausstromen, die iiberaus reiche; (650.) denn
immerfort stromt sie, das Brahman verkiindigend, fiir und fiir.
23. Die Gottin der Rede ist wegen ihrer himmlischen
Macht eine himmlische Milchkuh, o du Frau mit dem heitern
Lacheln. (65i.) Siehe da den Unterschied der beiden Subtilen
[Rede und Manas] in ihrem Dahinstromen.
Die Brahmanin sprach:
24. (6.52.) Damals, als noch keine Worte entstanden waren
und sie [die vorweltliche Vedarede] sich getrieben fiihlte von
dem Verlangen zu reden, was hat wohl damals die Gottin
Rede zuerst gesprochen?
Der Brahmane sprach:
25. (653.) „Sie, welche durch den Prana (Einhauch).
in dem Korper geboren wird und vom Prana in den Apana
(Aushauch) eingeht, wenn diese, zum Udana (Aufhauch)
geworden, den Korper verlassen hat, so erfiillt sie durch
den Vyana (Zwischenhauch) den ganzen Himmel,
Adhy^ya 21 (B. 21). 911
26. (654.) und alsdann hat sie ihren Standort in dieser
Welt [nicht mehr in einem individuellen Leibe, sondern
in kosmischem Sinne] im Samana (Allhauch)." Das sind
die Worte, welche die Gottin der Rede [ihr kosmisches
Wesen offenbarend] vordem gesproehen hat. — Somit
hat das Manas die Unbeweglichkeit als Merkmal und die
Gottin Rede die Beweghchkeit.
So lautet in der AnugltA der sechste Adhy&ya.
Adhyaya 33 (B. 23).
Vers 655-683 (B. 1-29).
Der Brahmane sprach:
1. (655.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, o Schone, von der Art, wie die Einsetzung der
sieben Opferpriester war.
2. (656.) Die Nase, das Auge, die Zunge, die Haut und
das Ohr als fiinftes, das Manas und die Buddhi, das sind
die sieben Opferpriester, welche ihren besondern Sitz haben.
3. (657.) Da sie an schwer wahrnehmbarer Statte weilen,
so konnen sie sich gegenseitig nicht sehen; diese sieben
Opferpriester sollst du, o Schone, nach ihrer eigentiimlichen
Natur kennen lernen.
Die Brahmanin sprach:
4. (658.) Wie kommt es, dafs sie, an schwer wahrnehm-
barer Statte befindlich, sich gegenseitig nicht sehen? Und
wie ist ihre eigentiimliche Natur, o Erhabener? Das sage
mir, o Herr.
Der Brahmane sprach :
5. (659.) Wer ihre Qualitat nicht kennt, der kennt sie
auch selbst nicht, und wer ihre Qualitat kennt, dem sind
auch sie bekannt; sie selbst aber kennen gegenseitig ihre
Qualitaten in keiner Weise.
6. (660.) Zunge, Auge, Ohr, Haut (lies: tvan), Manas und
Buddhi erkennen nicht die Geriiche, sondern die Nase er-
kennt sie.
912 IV. Anugita.
7. (661.) Nase, Auge, Ohr, Haut, Manas und Buddhi er-
kennen nicht die Geschmacke, sondern die Zunge erkennt sie.
8. (662.) Nase, Zunge, Ohr, Haut, Manas und Buddhi er-
kennen nicht die Gestalten, sondern das Auge erkennt sie.
9. (663.) Nase, Zunge, Auge, Ohr, Manas und Buddhi er-
kennen nicht die Gefiihle, sondern die Haut erkennt sie.
10. (664.) Nase, Zunge, Auge, Haut, Manas und Buddhi
erkennen nicht die Tone, sondern das Ohr erkennt sie.
11. (665.) Nase, Zunge, Auge, Haut, Ohr und Buddhi er-
kennen nicht die Uberlegung, sondern das Manas erkennt sie.
12. (666.) Nase, Zunge, Auge, Haut, Ohr und Manas er-
kennen nicht die Entscheidung, sondern die Buddhi erkennt sie.
13. (667.) Auch hieriiher erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namHch den Rangstreit der Sinnesorgane mit dem
Manas, o Holde.
Das Manas sprach:
14. (668.) Ohne mich kann die Nase den Geruch nicht
riechen, die Zunge den Geschmack nicht empfmden, das Auge
die Gestalt nicht erfassen, die Haut das Gefiihl nicht wahr-
nehmen,
15. (669.) und auch das Ohr vernimmt in keiner Weise
den Ton, wenn es von mir verlassen ist; ich bin das vor-
ziighchste unter alien Wesen fur und fiir.
16. (670.) Wie verodete Behausungen, wie Feuer, deren
Glut erloschen ist, so erglanzen die Sinnesorgane nimmer-
mehr, wenn sie von mir verlassen sind.
17. (671.) Wie trocknes Holz, das noch feucht ist [nicht
die Flamme annimmt], so konnen auch mit angestrengten
Sinnesorganen alle Geschopfe ohne mich die Objekte der
Qualitaten nicht ergreifen.
Die Sinnesorgane sprachen:
18. (672.) Das ware richtig, so wie du es meinst, wenn
du ohne uns die Geniisse, welche unsere Objekte sind, ge-
nielsen konntest.
19. (673.) Wenn es ein Genufs ist, noch weiter zu leben,
wenn wir erloschen sind, dann wollen wir einraumen, dafs
Adhyaya 22 (B. 22). 913
du wirklich die Geniisse [ohne uns] zu geniefsen vermagst,
so wie du es meinst.
20. (674.) Oder auch [wir wollen es einraumen], wenn bei
unserm Erioschen unter Fortbestehen der Sinnesobjekte du
durch dein blofses Vorstellen die Geniisse je nach den Ob-
jekten geniefsen konntest.
21. (675.) Oder glaubst du vielleicht, dafs du in jedem
Falle deinen Zweck in bezug auf unsere Gegenstande erreichen
kannst, so versuche es doch und ergreife die Gestalt mit der
Nase, ergreife den Geschmack mit dem Auge,
22. (676.) ergreife mit dem Ohr die Geriiche, ergreife die
Gefuhle mit der Zunge, ergreife mit der Haut den Ton oder
mit der Buddhi das Gefiihl.
23. (677.) Wer stark ist, der unterliegt ja keinem Zwang;
gezwungen zu werden ist das Los der Schwacheren ; versuche
doch die Geniisse zu ergreifen, ohne uns den Vortritt zu lassen,
und du hast nicht notig (lies: arhasi), nur zu geniefsen, was
wir dir iibriglassen.
24. (678.) Ja, wie ein Schiller zum Lehrer gehen mufs,
um den Veda zu lernen, und erst nachdem er ihn erlernt
hat, seine Vorschriften befolgen kann,
25. (679.) so kannst auch du die Sinnesobjekte erst er-
kennen, nachdem wir sie dir gezeigt haben, die kiinftigen so
gut wie die vergangenen, die im Traume so gut wie im
Wachen.
26. (680.) Und auch bei Geschopfen, welche ihren Verstand
fmanasj verloren haben oder nur geringe Einsicht besitzen,
bleibt doch das Leben erhalten, indem das dazu Notige ge-
tan wird als unsere Angelegenheit [ohne dich].
27. (681.) Und wenn einer auch viele Vorstellungen [des
Manas] besafse und sich in Traumen [durch das Manas]
wiegte, so miifste er doch schliefslich, vom Hunger gequalt,
zu den [von uns verschafften] Sinnendingen seine Zuflucht
nehmen.
28. (682.) Wer sich einschliefsen wollte wie in ein tiir-
loses [also schutzloses] Haus in die [blofs ideellen] Ge-
niisse des Vorstellens, ohne dafs sie mit den Sinnen-
dingen verkniipft waren (lies: amhaddhdn), der wiirde
Deitsbek, Mah&bhAxatam. 58
914 IV. Anugita.
schliefslich damit zur Ruhe kommen, dafs sein Leben
erloschte, wie ein brennendes Feuer, dessen Brennholz
verbraucht ist.
29. (683.) Zugegeben, dafs jeder von uns nur auf seine
eigene Qualitat beschrankt ist, zugegeben auch, dafs wir
unsere gegenseitigen Qualitaten nicht wahrnehmen , so
steht doch fest, dafs du ohne uns nicht wahrnehmen
kannst und dafs, ohne dafs du soweit uns zur Hilfe
nimmst, ein Genufs dir nicht zuteil werden kann.
So lantet in der Anugita der siebente Adhyiiya.
Adhyaya 33 (B. 23).
Vers 684-710 (B. 1-24).
Der Brahmane sprach:
1. (684.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte. Vernimm nunmehr, o Liebhche, welches die Ein-
setzung der fiinf Opferpriester ist.
2. (685.) Der Prana und der Apana, der Udana, der Sa-
mana und der Vyana, von diesen wissen die Weisen, dafs
sie fiinf Opferpriester und zugleich die hochste Macht sind.
Die Brahraanin sprach:
3. (086.) Von Natur aus gibt es sieben Opferpriester, dies
war bisher meine Meinung; inwiefern hingegen fiinf Opfer-
priester das hochste Dasein ausmachen sollen, das erklare mir.
Der Brahmane sprach:
4. (687.) Der durch den Prana zusammengebrachte Wind
wird weiterhin zum Apana; der im Apana zusammengebrachte
Wind wird weiterhin zum Vyana.
5. (688.) Der durch den Vyana zusammengebrachte Wind
wird weiterhin zum Udana; der im Udana zusammengebrachte
Wind wird sonach zum Samana.
6. (689.) Diese Prana's befragten in der Vorzeit den vor
ihnen entstandenen Urvater (den Gott Brahman) : Wer unter
Adhyaya 23 (B. 23). 915
uns der Beste ist, das sage uns an; der [welchen du dafiir
erklarst] soil unter uns der Beste sein.
Der Gott Brahman sprach:
7. (690.) Derjenige, bei dessen Untergang alle Prana's
in dem Leibe der lebenden Wesen untergehen und bei
dessen Hervortreten sie wieder hervortreten , der ist der
Beste. Nun geht, wohin es euch beliebt.
Der Prana sprach:
8. (691.) Ich bin es, bei dessen Untergang alle Prana's
in dem Leibe der lebenden Wesen untergehen, und bei
meinem Hervortreten treten sie wieder hervor; ich bin
also der Beste; seht nur einmal, wie ich untergehe.
Der Brahmaue sprach :
9. (692.) Da ging der Prana unter und trat darauf wieder
hervor. Da sprachen der Samana und der Udana zu ihm,
o Schone, das folgende Wort:
10. (693.) Du weilst doch nicht in diesem Leibe, so dafs
du ihn ganz durchdringst, wie wir es tun ; du bist also nicht
der Beste von uns, o Prana, denn nur der Apana ist dir
untertan. (694.) Nachdem der Prana wieder hervorgetreten
war, sprach zu ihm der Apana.
Der Ap&,na sprach:
11. (695.) Ich bin es, bei dessen Untergang alle Prana's
in dem Leibe der lebenden Wesen untergehen, und bei
meinem Hervortreten treten sie wieder hervor; ich bin
also der Beste; seht nur einmal, wie ich untergehe.
Der Brahmane sprach :
12. (696.) Als er so sprach, da sagten zu ihm der Vyana
und der Udana: 0 Apana, du bist nicht der Beste, sondern
nur der Prana ist dir untertan.
13. (697.) Nachdem der Apana wieder hervorgetreten war,
sprach zu ihm der Vyana : Ich bin der Beste von alien, ver-
nehmt aus welchem Grunde.
58*
916 IV. Anugita.
14. (698.) Ich bin es, bei dessen Untergang alle Prana's
in dem Leibe der lebenden Wesen untergehen, und bei
meinem Hervortreten treten sie wieder hervor; ich bin
also der Beste; seht nur einmal, wie ich untergehe.
Der Brahmane sprach :
15. (699.) Da ging der Vyana unter und trat darauf wieder
hervor. Da sprachen zu ihm der Prana, der Apana, der Udana
und der Samana:
16. (700.) Du bist nicht der Beste von uns, o Vyana, son-
dern nur der Samana ist dir untertan. Nachdem der Vyana
wieder hervorgetreten war, sprach der Samana: (70i.) Ich bin
der Beste von alien, vernehmt aus welchem Grunde.
17. (702.) Ich bin es, bei dessen Untergang alle Prana's
in dem Leibe der lebenden Wesen untergehen, und bei
meinem Hervortreten treten sie wieder hervor; ich bin
also der Beste; seht nur einmal, wie ich untergehe.
18. (703.) Nachdem der Samana wieder hervorgetreten war,
sprach zu ihm der Udana: Ich bin der Beste von alien, ver-
nehmt aus welchem Grunde.
19. (704.) Ich bin es, bei dessen Untergang alle Prana's
in dem Leibe der lebenden Wesen untergehen, und bei
meinem Hervortreten treten sie wieder hervor; ich bin
also der Beste; seht nur einmal, wie ich untergehe.
20. (705.) Da ging der Udana unter und trat darauf wieder
hervor. Da sprachen zu ihm der Prana, der Apana, der Sa-
mana und der Vyana : (706.) 0 Udana, du bist nicht der Beste,
sondern nur der Vyana ist dir untertan.
Der Brahmane sprach:
21. (707.) Da sprach zu ihnen der Gott Brahman, zu alien
zusammen, der Prajapati : Ihr seid alle die Besten oder auch
nicht die Besten, denn ihr seid alle voneinander abhangig.
22. (708.) Ihr seid alle die Besten, ein jeder in seinem
Bereich, aber ihr seid auch alle voneinander abhangig. Also
sprach zu ihnen alien zusammen der Prajapati.
23. (709.) Jeder einzelne von euch, o ihr fiinf Winde, in
seiner Besonderheit ist selbstandig und auch nicht selbstandig
Adhyaya 23 (B. 23). 917
denn es ist nur mein eigenes und einziges Selbst, welches
auch in eurer Vielheit wahrgenommen wird.
24. (710.) Als Freunde voneinander und euch gegenseitig
fdrdernd, sollt ihr euch gegenseitig unterstiitzen. Lebt wohl,
geht hin, Heil moge euch zuteil werden!
So lautet in der Anugit& der achte Adhy&ya.
Adhyaya 34 (B. 34).
Vers 711-727 (B. 1-17).
Der Brahmane sprach:
1. (711.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namhch die Unterredung zwischen den Weisen
Narada und Devamata.
Devamata sprach:
2. (712.) Wenn ein Geschopf entsteht, was entwickelt sich
dann zuerst in ihm, der Prana, der Apana, der Samana, der
Vyana oder der Udana?
Narada sprach :
3. (713.) Zu demjenigen [Prana], durch den das Geschopf
entsteht, gesellt sich ein von ihm verschiedener als erster
[vor den iibrigen] hinzu, denn man mufs wissen, dafs es eine
Zweiheit von Prana's ist, welche in die Quere, nach oben
und nach unten wirkt.
Devamata sprach:
4. (714.) Welches ist der Prana, durch den das Geschopf
entsteht, und welches ist der von ihm verschiedene, der sich
zuerst zu ihm gesellt? Und sage mir, welches die Zweiheit
von Prana's ist, die in die Quere, und diejenige, welche nach
oben und nach unten wirkt.
NS.rada sprach:
5. (715.) Durch die Vorstellung wird die Geschlechtslust
rege, sie wird auch rege durch den Ton, auch wird sie rege
918 IV. Anugita.
durch den Geschmack, und sie wird auch rege durch die
Gestalt.
6. (716.) Aus dem [mannlichen] Samen, wenn er sich mit
dem [weiblichen] Blute vermischt, entwickelt sich zuerst der
Prana, und nachdem der Samen durch den Prana umgewan-
delt ist, entwickelt sich aus ihm der Apana.
7. (717.) Er entsteht auch aus dem Samen und entsteht
auch aus der Fliissigkeit [des Blutes]. Dieses ist die Form
des Udana, namhch die Geschlechtslust bei der Begattung.
8. (718.) Aus der Lust geht hervor der Same, aus der
Lust (lies: Jcdmdt) geht auch hervor das Blut, Same aber
und Blut waren gleicherweise hervorgebracht worden durch
den Samana [der die Nahrung verdaut] und den Vyana [der
den Nahrungssaft assimiliert].
9. (719.) Der Prana und der Apana, das ist die Zweiheit,
welche nach oben und nach unten geht, der Vyana und der
Samana, diese beiden heifsen die in die Quere gehende Ver-
zweiheitlichung.
10. (720.) „Agni fiirwahr ist alle Gottheiten", das ist (Ait.
Br. 1,1) die Lehre des Veda (lies: vedasya), aus welchem das
Wissen des Brahmanen entspringt, das von Verstandnis be-
gleitet ist.
11. (721.) Von diesem sehr glanzenden [Agni, Feuer] ist
der Ranch das Tamas, und seine Asche ist das Rajas; aus
ihm entspringt alles, wenn die Opfergabe hineingeworfen wird.
12. (722.) Aus dem Sattvam [der Flamme dieses Feuers]
entspringen Samana und Vyana; so wissen es die, welche
das Opfer verstehen ; der Prana und der Apana sind die beiden
Buttergiisse, zwischen ihnen flammt das Feuer.
13. (723.) Dieses ist die Form des Udana, in welcher die
Brahmanen das Hochste erkennen; warum diese [im Gegen-
satze zu den gepaarten Prana' s] zweiheitlos ist, das vernimm
von mir, der ich es dir verkiinden will,
14. (724.) Tag und Nacht bilden die Zweiheit, in deren
Mitte [bei Tagesanbruch] das Opferfeuer flammt; dieses ist
die Form des Udana, in welcher die Brahmanen das Hochste
erkennen.
15. (725.) Das Seiende und das Nichtseiende bilden die
Adhyaya 24 (B. 24). 919
«
Zweiheit, in deren Mitte das [als Brahman iiber beide er-
habene] Opferfeuer flammt; dieses ist die Form des Udana,
in welcher die Brahmanen das Hochste erkennen.
16. (726.) Nach oben flammen der Samana und der Vyana;
durch letztern wird das Opferwerk [wie das Verdauungswerk
im Korper] ausgebreitet [vyasyate als Erklarung von vydna\;
zum dritten aber [nachdem es emporgefiihrt und ausgebreitet
wurde] wird es von dem Samana wiederum zum Stillstande
gebracht.
17. (727.) Dem Zwecke der Ruhe dient die Meditation
[dhydnam statt des unverstandlichen vydnam], und die Ruhe
ist das Eine, das ewige Brahman; dieses ist die Form des
Udana, in welcher die Brahmanen das Hochste erkennen.
So lautet in der AnugitS, der neunte Adhyaya.
Adhyaya 25 (B. 25).
Vers 728-745 (B. 1-17).
Der Brahmane sprach:
1. (728.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich wie in dieser Welt die Einrichtung der
vier Opferpriester eingerichtet wurde.
2. (729.) Von diesen allem wird die Einrichtung, wie sie
vorschriftsmafsig geschah, iiberliefert ; hore von mir, o Holde,
wie ich dir dieses wunderbare Geheimnis mitteile.
3. (730.) Das Organ, die Tat, der Tater und die Br-
io sung, das sind, o du Liebliche, die vier Opferpriester,
von denen diese Welt erfiillt ist.
4. (731.) Auch das, was sie als Verursacher tiusrichten,
vernimm alles vollstandig. Die Nase, die Zunge, das Auge,
die Haut und das Ohr als fiinftes, (732.) das Manas und die
Buddhi, diese sieben soil man wissen als die Ursachen [der
Erkenntnis] der Qualitaten [das Organ als Ursache].
5. Der Geruch, der Geschmack, die Gestalt, der Ton
und die Beruhrung als fiinftes, (733.) ferner das zu Erkennende
und das zu Verstehende, diese sieben sind die Tat als
Ursache.
920 IV. Anugita.
6. Der Riechende, der Schmeckende, der Sehende, der
Redende [vaJdd, besser: sprashtd^ der BeriihrendeJ und der
Horende als fiinfter, (734) der Erkennende und der Verstehende,
diese sieben sind der Tater als Ursache, das soil man
wissen,
7. sowie auch, dafs diese sieben, an den Qualitaten haf-
tend, die ihnen entsprechende gute oder bose Qualitat ge-
niefsen, (735.) dafs ich selbst aber qualitatlos und unendlich
bin. Diese sieben [in dieser Weise als Nicht-Ich erkannt]
sind die Erlosung als Ursache.
8. Fiir diejenigen, welche wissen und die Stellung jedes
einzelnen, wie es sich gehort, begreifen, (736.) werden jene
Qualitaten zu Gottern, welche fort und fort die Opfergabe
geniefsen. [Wie beim Pranagnihotram das Essen, so werden
hier auch das Sehen, Horen usw, als ein den Gottern der
Sinnesorgane dargebrachtes Opfer aufgefafst.]
9. Hingegen der Nichtwissende, wenn er die Speise ge-
niefst, hat es durch Egoismus verrichtet, (737.) und indem
er nur um seiner selbst willen die Speise bereiten lafst,
wird er durch Egoismus vernichtet.
10. Ihn vernichtet das Essen des Verbotenen und das
Trinken des Berauschenden ; (738.) er vernichtet die Speise,
und die Speise ihn ; vernichtend wird er wiederum vernichtet.
11. Aber der dieses Wissende, wenn er die Nahrung ver-
nichtet, erschafft sie als Gottschopfer wieder, (739.) und durch
die Ernahrung wird bei ihm auch nicht die kleinste Uber-
tretung begangen.
12. Alles, was durch das Manas erkannt, durch die Rede
gesprochen, (740.) durch das Ohr gehort, durch das Auge
gesehen,
13. durch den Tastsinn gefiihlt und durch die Nase ge-
rochen wird, (741.) alle diese mit Einrechnung des Manas sechs
Opfergaben von alien Seiten her in sich aufnehmend,
14. strahlt das alle Qualitaten tragende und in meinen
Leib eingegangene Feuer [der Atman]. (742.) Das Yogaopfer
ist bei mir im Gauge, welches durch sein Entstehen das Feuer
der Erkenntnis verleiht, dieses Feuer, welches den Prana als
Adhyftya 25 (B. 25). 921
Lobgesang, den Apana als Rezitation und den Verzicht auf
alles als schonen Opferlohn hat.
15. (743.) Der Tater [der Ahankara] und der Einwilliger
[das Manas] sind der Priester Brahman, der Atman [nach
dem Kommentar die Buddhi] ist Hotar, Adhvaryu und Udga-
tar; die Wahrheit ist der Pragastar, das Tad [das Brahman]
ist das Qastram und die Erlosung ist der Opferlohn bei
diesem Opfer.
16. (744.) Auch Verse rezitieren bei diesem Opfer die deij
Narayana Kennenden zu Ehren des Gottes Narayana, darum
dafs sie vordem die Opfertiere [angeblich die Sinnesorgane]
gefunden [als von Atman verschieden erkannt] haben.
17. (745.) Auch Samanlieder singen sie dabei und erzahlen
eine Geschichte zur Erlauterung. Diesen Gott Narayana, o du
Schiichterne, erkenne als die Seele der ganzen Welt.
So lautet in der Anugita der zehnte AdhyAya.
Adhyaya 36 (B. 36).
Vers 746 -763 (B. 1-18).
Der Brahmane sprach:
1. (746.) Ein Gebieter ist, es gibt keinen andern Ge-
bieter; ihn, der im Herzen wohnt, rufe ich an; von ihm
getrieben, wie das Wasser von einem Abhange, so wie
ich angetrieben bin, fahre ich hin.
2. (747.) Ein Lehrer ist, es gibt keinen andern aufser
ihm; ihn, der im Herzen wohnt, rufe ich an; von ihm
als Lehrer unterwiesen wurden immerdar in der Welt
sogar alle die verhafsten Schlangen.
3. (748.) Ein Freund ist, es gibt keinen andern aufser
ihm; ihn, der im Herzen wohnt, rufe ich an; von ihm
unterwiesen, sind befreundet die Verwandten, erglanzen
am Himmel, o Sohn der Pritha, die sieben Rishi's [das
Siebengestirn des Grofsen Baren].
4. (749.) Ein Lernender ist, es gibt keinen andern aufser
ihm; ihn, der im Herzen wohnt, rufe ich an; bei ihm als
922 IV. Anugita.
Lehrer hat die Lehrerschule durchgemacht der Gott Indra
(Chand. Up. 8,7—12} und ist dadurch zur Unsterblichkeit
in alien Welten gelangt (Chand. Up. 8,12,6),
5. (750.) Ein Hassender ist, es gibt keinen andern aufser
ihm ; ihn, der im Herzen wohnt, rufe ich an ; von ihm als
Lehrer unterwiesen wurden immerdar in der Welt sogar
alle die verhafsten Schlangen.
6. (751.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich das Zusammenkommen der Schlangen
und der Gotter-Eishi's bei Prajapati.
7. (752.) Die Gotter-Kishi's, die Schlangen und die Da-
monen befragten den Prajapati, indem sie, ihn verehrend,
sich nahten: Sage, was fur uns das Beste ist.
8. (753.) Zu ihnen, da sie ihn gemeinsam befragten nach
dem, was fiir sie das Beste sei, sprach der Heilige: Om, diese
eine Silbe ist das Brahman! Nachdem sie das gehort, liefen
sie nach alien Richtungen auseinander.
9. (754.) Unter ihnen, die herbeigelaufen waren, um sich
zu belehren, hatte sich bei den Schlangen aber die Neigung
zu beifsen schon vorher entwickelt,
10. (755.) wahrend hingegen bei den Damonen sich die
ihnen angeborene Neigung zum Truge entwickelt hatte, und
hinwiederum die Gotter sich fiir das Geben und Nehmen,
die grofsen Eishi's aber fiir die Selbstbezahmung entschie-
den hatten.
11. (756.) Zu einem und demselben Lehrer hatten sie sich
begeben, und durch eines und dasselbe Wort waren sie ge-
heiligt worden, und doch entschieden sie sich alle fiir etwas
Verschiedenes, die Schlangen, die Gotter-Eishi's und die
Damonen.
12. (757.) Es hort einer, was ihm gesagt wurde, und fafst
es auf, je nachdem es ist [es ihm zusagt], und auch wenn er
dann noch weiter fragen wollte, einen andern Lehrer [als ihn
selbst, je nachdem er das Gesagte aufnimmt] gibt es nicht,
13. (758.) und nach dessen [also seiner eigenen] Zustim-
mung richtet sich dann weiterhin das Tun; man hat den
Lehrer und den Lernenden und Horenden, ja auch den Feind
im eigenen Herzen und aus diesem kommend.
Adhyaya 26 (B. 26). 923
14. (759.) [Nicht die Belehrung ist das Entscheidende,
sondern :] Wenn man mit einem schlechten Menschen im
Leben verkehrt, so wird man einen schlechten Wandel fiihren,
und wenn man mit einem guten Menschen verkehrt, so wird
man einen guten Wandel fiihren.
15. (760.) Aber nach Willkiir lebend seiner Lust gemafs
ist der, welcher dem Sinnengenusse huldigt; und ein heiliges
Leben fiihrt (ein Brahmacarin ist) der immerdar, welcher an
der Uberwindung seiner Sinne seine Freude hat.
16. (761.) Wer aber alle Geliibde und Werke von sich
tut, nur in Brahman steht und, zu Brahman geworden, in der
Welt dahinwandelt, der fiihrt ein wahrhaft heiliges Leben
(ist ein wahrer Brahmacarin).
17. (762.) Fiir ihn ist Brahman das Brennholz, Brahman
das Feuer, Brahman das Zusammenleben [mit den anderen
Schiilern], Brahman das Wasser und Brahman der Lehrer,
er ist in Brahman aufgehend.
18. (763.) Das ist es, was die Weisen als den verborgenen
heiligen Wandel (das verborgene Brahmacaryam) erkannten
und erkannt habend befolgten, von ihrer eigenen Seele fkshe-
trajnaj unterwiesen.
So lautet in der Anag!t& der elfte Adhy&ya.
Adhyaya 37 (B. 21),
Vers 764-787 (B. 1-24).
Der Brahmane sprach :
1. (764.) Wiinsche sind seine stechenden Miicken, Leid
und Lust sind seine Kalte und Glut, die Nacht der Verblen-
dung ist seine Dunkelheit, Begierde und Krankheit sind sein
schleichendes Gewiirm,
2. (765.) die Sinnendinge sind der einzige gefahrliche Pfad,
der hindurchfiihrt , Begierde und Zorn sind sein hemmendes
Gestriipp, — das' ist das grofse Dickicht, durch welches ich
durchgedrungen und in diesen grofsen Wald gelangt bin.
924 IV. Anugita.
Die Brahmanin sprach: ,
3. (766.) Wo ist dieser Wald, o grofser Weiser, welches
sind seine Baume und seine Gewasser, seine Berge und Hiigel,
und auf welchem Wege erreichbar ist dieser Wald?
Der Brahmane sprach:
4. (767.) Dieses eine [das Wohnen in dem Walde] ist keine
Vereinsamung , und kein anderes Gliick kommt ihm gleich;
jenes andere [das Wohnen in der Welt] ist keine Nicht-
vereinsamung, und es gibt kein grofseres Leid als dieses.
5. (768.) Dieser Wald ist von allem das Kleinste und von
allem das Grofste, er ist von allem das Feinste, und kein
anderes Gliick kommt ihm gleich.
6. (769.) Die Zwiegeborenen , die in diesen Wald einge-
gangen sind, fiihlen keinen Kummer mehr und keine Freude
mehr, sie furchten sich vor niemandem, und niemand fiirchtet
sich vor ihnen mehr.
7. (770.) In diesem Walde gibt es sieben grofse Baume,
sieben Friichte und sieben Gaste, sieben Einsiedeleien,
sieben Meditationen und sieben Weihen; so ist dieser
Wald beschaffen.
8. (771.) Es sind himmlische Bliiten und Friichte von
fiinferlei Farbe, welche von den Baumen hervorgebracht
werden, die diesen Wald erfiillen.
9. (772.) Von schoner Farbe, von zweifacher Farbe sind die
Bliiten und Friichte, welche von den Baumen hervorgebracht
werden, die diesen Wald erfiillen.
10. (773.) Von schonem Geruch, von zweifacher Farbe sind
die Bliiten und Friichte, welche von den Baumen hervor-
gebracht werden, die diesen Wald erfiillen.
11. (774.) Von schonem Geruch und einfacher Farbe sind
die Bliiten und Friichte, welche von den Baumen hervor-
gebracht werden, die diesen Wald erfiillen.
12. (775.) Zahlreich und von unbestimmter Farbe sind die
Bliiten und Friichte, welche von zwei grofsen Baumen her-
vorgebracht werden, die diesen Wald erfiillen.
13. (776.) Das eine Feuer, welches in diesem Walde
brennt, ist der wohlgesinnte Brahmane, und seine fiinf
Adhyftya 27 (B. 27). 925
Sinne sind das Brennholz; als Befreiungen von ihnen er-
weisen sich fruchtbar die sieben Weihen. Die Guna's
sind die Friichte, und die Gaste sind die, welche die
Friichte essen.
14. (777.) Die Gastfreundschaft nehmen entgegen hier und
da in dem Walde grofse Weisen; nachdem sie geehrt worden
und verschwunden sind, erglanzt ihnen oin anderer Wald,
15. (778.) dessen Baume Weisheit, dessen Frucht die Er-
losung, und der mit Gemiitsruhe als Schatten ausgestattet
ist; seine Einsiedelei [lies: dgrama] ist die Erkenntnis, sein
Gewasser ist die Zufriedenheit und seine Sonne ist die
innere Seele.
16. (779.) Fiir die Guten, welche diesen Wald erlangen,
gibt es weiter keine Furcht mehr. Nach oben, nach unten
und in die Quere ist das Ende dieses Waldes nicht zu er-
reichen.
17. (780.) Sieben Frauen hingegen wohnen Tag fiir
Tag dort [in dem erstgenannten Walde], nach unten
blickend, glanzvoll, zeugungskraftig ; sie [die fiinf Sinne,
Manas und Buddhi] benehmen den Geschopfen alien Ge-
schmack fiir das Hohere sowie die Realitat und die Ver-
ganglichkeit [die ihre Objekte sind, den Geschmack fiir
das Hohere benehmen].
18. (781.) Dort hinwiederum [in dem himmlischen Walde]
haben ihre Stelle und dort ziehen herauf die vollendeten
sieben Sieben -Rishi's [das Siebengestirn ] mitsamt denen,
welche von Vasishtha [dem Stern ^ im Grofsen Baren] an-
gefiihrt werden.
19. (782.) Ihm, dessen Kraft vollkommen ist, gehort Ruhm,
Glanz, Gliick und Sieg, ihm folgen die librigen sieben Sterne
als ihrer Sonne.
20. (783.) Auch Berge sind daselbst mit Hiigeln im Verein
sowie Strome und Fliisse, welche das Wasser fiihren, das
aus Brahman quillt.
21. (784.) Die Vereinigung aber dieser Strome findet statt
an dem geheimen Orte der drei Opferfeuer; von diesem aus
gehen die, welche sich an ihrem Atman ersattigt haben, ge-
raden Weges zum Urvater hin.
926 IV. Anugita.
22. (785.) Wenig sich nahrend, nach ihrem guten Geliibde
sich nahrend und ihre Siinde durch Askese verbrennend, so
gehen sie in ihrem Atman in den Atman ein und verehren
zugleich [exoterisch] den Gott Brahman.
23. (786.) Und auch die Geistesruhe preisen an diesem
Wissenswalde, die ihn kennen, und indem sie auf diesen Wald
[Hes: aranyam] zustreben, wird er ihnen zuteil je nach ihrer
Einsicht.
24. (787.) Von dieser Art ist dieser heilige Wald, den die
Brahmanen kennen, und wenn sie ihn kennen, so streben sie
ihm zu, indem ihre eigene Seele ihnen den Weg zeigt.
So lautet in der Anugita der zwoHte Adhyiiya.
Adhyaya 38 (B. 2S).
Vers 788-816 (B. 1-28).
Der Brahmane sprach:
1. (788.) Ich bin es nicht, der die Geriiche riecht, die
Geschmacke empfindet, die Gestalt sieht und beriihrt,
auch bin ich es nicht, der die mannigfachen Tone hort
oder irgendeine Vorstellung fafst.
2. (789.) Es ist die Natur fsvabhava = prakritij, welche
nach den erwiinschten Dingen trachtet, und es ist die
Natur, welche alles Hassenswerte hafst; und auch das-
jenige, wodurch Prana und Apana entstehen und Liebe
und Hafs in die Leiber der Geschopfe pflanzen, das ist
die Natur.
3. (790.) Auch noch andere Eigenschaften als diese,
welche jenen Geschopfen bestandig anhaften, werden
[von den Yogin's] erkannt als der im Korper weilende
natiirliche Atman fbhiitdtmanj ; in ihm habe ich meinen
Sitz und bin doch in keiner Weise. mit Lust und Zorn,
mit Alter und Tod behaftet.
4. (791.) Ich aber begehre nicht mehr nach irgend-
einer Lust und verabscheue nicht mehr irgendein Ubel,
und durch die Naturbeschaffenheiten werde ich so wenig
befleckt, wie der Wassertropfen durch die Lotosblume.
Adhy&ya 28 (B. 28). 927
5. (792.) Und diesem Ewigen, welches in mir bemerkt
wird, haften viele ewige Naturbeschaffenheiten [lies:
svahhdvdh] an, aber das Netz der Geniisse klebt nicht
an meinen Werken, wie das Strahlennetz der Sonne nicht
am Himmel.
6. (793.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte
Geschichte, namlich die Unterredung zwischen einem Adhvaryu
(Priester des Yajurveda) und einem Yati (Asketen) ; das ver-
nimm, o du Riihmliche.
7. (794.) Ein Asket, der dabeisafs und zusah, wie bei
einem Opfer das Opfertier geweiht wurde, sprach zu dem
Adhvaryu in tadelnder Weise : Dieses ist eine hinsd [Schadi-
gung eines lebenden Wesens].
8. (795.) Zu ihm sprach der Adhvaryu: Dieser Bock geht
nicht zugrunde, vielmehr wird dieses Geschopf der Seligkeit
teilhaftig, wenn anders die betreffende Schriftstelle dieses
verheifst.
9. (796.) Der Teil von ihm, welcher erdartig ist, geht
wieder zur Erde, und alles, was an ihm aus Wasser geworden
ist, das geht in das Wasser ein.
10. (797.) Sein Auge geht zur Sonne, sein Ohr zu den
Himmelsgegenden und sein Lebenshauch zum Himmel. Da
ich dabei nach der heiligen Vorschrift verfahre, so trifft mich
kein Vorwurf irgendwelcher Art.
Der Yati sprach:
11. (798.) Wenn du glaubst, dafs diesem Bocke die Tren-
nung vom Leben zur Seligkeit gereicht, so geschieht also das
Opfer dem Bocke zuliebe; was fiir einen Zweck kannst denn
du fiir dich dabei verfolgen?
12. (799.) Ist dem aber so, dann diirfte dir auch der Bruder
des Bockes zustimmen sowie sein Vater, seine Mutter und
sein Freund; besprich dich mit ihnen, indem du diesen Bock
zu ihnen bringst, besonders da er noch von anderen ab-
hangig ist.
13. (800.) Darum miissen sie ihre Zustimmung geben, du
mufst sie deshalb aufsuchen; hast du dich erst ihrer Ein-
willigung versichert, so lafst sich die Sache weiter iiberlegen.
928 IV. Anugita.
14. (801.) Ubrigens werden ja die Lebensorgane dieses
Bockes an die ihnen zukommende Statte befordert, und nur
der Korper bleibt ohne Bewegung zuriick, so denke ich.
15. (802.) Der Korper aber ohne Bewufstsein ist doch nur
dem Brennholze vergleichbar, und die, welche aus der Totung
einen Vorteil ziehen wollen, haben das mit dem Namen Opfer-
tier bezeichnete Brennholz [ohne das dazu erforderliche Feuer].
16. (803.) Nichtschadigung ist [die oberste] aller Pflichten,
so lautet das Gebot der Altvordern; nur dasjenige Werk darf
vollbracht werden, welches ohne Schadigung geschehen kann,
das wissen wir,
17. (804.) Man darf nicht schadigen, das ist meine Be-
hauptung, und wenn ich [um sie zu erweisen] noch weiter
reden soil, so konnte ich das Werk, welches von dir aus-
gefiihrt werden soil, in vielen Beziehungen tadeln.
18. (805.) Kein Wesen zu schadigen, das ist der Grund-
satz, der uns unter alien Umstanden einleuchtet; wir handeln
aber nach dem, was uns vor Augen liegt, und was dariiber
hinaus liegt, achten wir nicht.
Der Adhvaryu sprach:
19. (806.) Du geniefsest von der Erde die Qualitaten der
Geriiche, du trinkst die aus dem Wasser stammenden Ge-
schmacke, du siehst die den Lichtern angehorige Gestalt, du
fiihlst die vom Winde kommenden Qualitaten,
20. (807.) du horst die aus dem Ather geborenen Tone,
und du bildest die Vorstellung mit Hilfe des Manas; alle
diese Wesen sind belebt, wie du weifst,
21. (808.) und du horst gar nicht auf [lies: anivritto], von
ihrem Leben zu nehmen, du lebst fort und fort in Hinsa
(Schadigung lebender Wesen}. Es gibt gar kein Existieren
ohne Hinsa, oder wie denkst du dariiber, o Zwiegeborener?
Der Yati sprach :
22. (809.) Das Unvergangliche und das Vergangliche
machen die zwiefache Existenz des Atman aus. Das Unver-
gangliche ist seine wahre Wesenheit, das Vergangliche wird
seine Natur fsvahhdva = prakritij genannt.
Adby&ya 28 (B. 28). 929
23. (810.) Lebenshauch, Zunge, Manas, Sattvam nebst
Rajas bilden die Natur [lies : svabhdvo] ; wer von alien diesen
Wesenheiten erlost, frei von den Gegensatzen des Lebens
[Lust und Leid, Hitze und Kalte usw.] und frei von Wiin-
schen ist,
24. (811.) wer alle Wesen fiir gleich achtet, ohne Ichheit
ist und sein Selbst iiberwunden hat, d'^r ist vollstandig er-
lost, und keine Furcht wandelt ihn an, wo es auch sei.
Der Adhvaryu sprach :
25. (812.) Nur mit dem [empirisch] Eealen haben wir auf
dieser Welt zusammen zu leben, o Bester der Weisen; gerade
dadurch, dafs ich deine Meinung gehort habe, leuchtet meine
Meinung mir als die richtige ein.
26. (813.) Ich bin, o Heiliger, mit deiner Denkungsart ein-
verstanden, und trotzdem sage ich : (8i4.) Mich, indem ich die
vom Veda vorgeschriebene Satzung ausfiihre, trifft keine
Schuld, o Zwiegehorener.
Der Brahmane sprach :
27. (815.) Inlblge dieser Argumentation verhielt sich der
Yati von da an schweigend, und der Adhvaryu schritt un-
beirrt in der grofsen Opferhandlung weiter.
28. (816.) So haben die Brahmanen in dieser Frage eine
solche gar feine Freisprechung von Schuld erkannt, und
nachdem sie dieselbe erkannt durch ihren die Wahrheit er-
kennenden Geist fKshetrajnaJ, verfahren sie dementsprechend.
So lautet in der Anugita der dreizehnto AdhyAya.
Adhyaya 39 (B. 39).
Vers 817-838 (B. 1-22).
Der Brahmane sprach:
1. (817.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte Ge-
schichte, namlich die Unterredung zwischen Kartavirya und
Samudra (dem Ozean), o Holde.
Deubbkn, Mab&bh&ratam. 59
930 IV. Anugita;
2. (818.) Arjuna Kartavirya war ein Konig mit tausend
Armen, von welchem die meerumgiirtete Erde mit seinem
Bogen erobert worden war.
3. (819.) Einstmals, als er, stolz auf seine Kraft, am Ufer
des Ozeans wandelte, iiberschiittete er mit Hunderten von
Pfeilen den Ozean, wie wir vernommen haben.
4. (820.) Ihn verehrte der Ozean mit gefalteten Handen
und sprach : Schiefse deine Pfeile nicht ab, o Held, sage was
ich dir tun soil.
5. (821.) Die Geschopfe, deren Zuflucht ich bin, werden
durch die von dir abgeschossenen grofsen Pfeile getotet,
o Tiger unter den Fiirsten ; lasse sie in Frieden, o Machtiger.
Arjuna sprach:
6. (822.) Wenn es irgendwo einen mir im Kampfe eben-
biirtigen Bogentrager gibt, den sage mir an, damit er es mit
mir im Kampfe aufnehme.
Der Ozean sprach:
7. (823.) Wenn du, o Konig, von dem grofsen Rishi Ja-
madagni gehort hast, so wisse, dafs er einen Sohn hat, der
wiirdig ist, mit dir einen Waffengang in gehoriger Weise zu
machen.
8. (824.) Da ging der Konig fort, von grofsem Grimm er-
fiillt, gelangte zu der bezeichneten Einsiedelei und wandte
sich an Rama,
9. (825.) Da beging er Feindseligkeiten gegen Rama und
seine Leute und erregte dadurch den Verdrufs des hoch-
herzigen Rama.
10. (826.) Da entflammte die Kraft des unermefslich kraf-
tigen Rama, und er, o Lotosaugige, der die Heere der Feinde
verbrannte,
11. (827.) Rama, erfafste darauf die Axt und fallte mit
Macht jenen Tausendarmigen wie einen Baum mit vielen
Zweigen.
12. (828.) Als sie ihn erschlagen und niedergestiirzt sahen,
scharten sich alle seine Leute zusammen, ergriffen Schwerter
und Speere und umstiirmten den Bhrigusprofs.
Adhyaya 29 (B. 29). 931
13. (829.) Da ergriff Rama seinen Bogen, sprang eilig auf
seinen Streitwagen und, indem er das Heer des Fiirsten mit
einem Regen von Pfeilen iiberschiittete, blies er es aus-
einander.
14. (830.) Da geschah es, dafs eine Anzahl Kshatriya's,
von Furcht vor dera Jamadagnisohne gequalt, in die Berg-
schluchten fliichteten wie Antilopen, die der Lowe verfolgt.
15. (831.) Weil diese aus Furcht vor ihm die ihnen ob-
liegende Pflicht nicht erfiillten, sanken ihre Nachkommen in-
folge ihres Getrenntlebens von den Brahmanen zum Stande
der Elenden (Vrishala's = Qiidra's) herab.
16. (832.) So geschah es, dafs diese als Dravida's, Abhira's,
Pundra's und ^'abara's in den Stand der Elenden ((^udra's)
gerieten wegen der Unterlassung der Pflicht, die sie als Ksha-
triya's hatten.
17. (833.) Weiterhin wurden die mit den Kshatriyafrauen
nach Totung ihrer Manner von den Brahmanen fdvijaj er-
zeugten Kshatriya's immer wieder und wieder vom Jama-
dagnisohne ausgerottet.
18. (834.) Am Ende von einundzwanzig dieser Menschen-
opferungen geschah es, dafs eine korperlose, himmlische,
milde, in der ganzen Welt vernehmbare Stimme zu Rama
sprach :
19. (835.) Rama! Rama! lasse ab! Welches Verdienst
siehst du darin, o Freund, diese Kshatriyaburschen immer
wieder und wieder ums Leben zu bringen?
20. (836.) Und ebenso sprachen sodann zu dem Hoch-
herzigen seine Vorvater mit Ricika [dem Grofsvater des Rama]
an der Spitze und sagten: Lasse ab, du Vortrefflicher !
21. (837.) Aber Rama, der die Ermordung seines Vaters
[durch die Sohne des Kartavirya] nicht vergessen konnte,
sprach zu diesen Rishi's: Euer Gnaden diirfen mich hieran
nicht hindern.
Die Ahnen sprachen:
22. (838.) Du darfst, o Bester der Sieger, nicht diese Ksha-
triyaburschen toten, denn es geziemt sich nicht, dafs du, der
du ein Brahmane bist, die Fiirsten totest.
So lautet in der Anugttft der vierzehnte Adhy&ya.
.59*
932 IV. Anugita.
Aclhyaya 30 (B. 30).
Vers 839-872 (B. 1-33).
Die Ahnen sprachen:
1. (839.) Auch hieriiber erzahit man sich folgende alte Ge-
schichte, und wenn du dies gehort haben wirst, so mufst du
danach handeln, o Bester der Brahmanen.
2. (840.) Es war einmal ein Konigs-Rishi mit Namen Alarka,
von grofser Askese, pflichtkundig, die Wahrheit redend, hoch-
•herzig und sehr fasten Geliibdes.
3. (841.) Der hatte mit seinem Bogen diese meerumgiirtete
Erde erobert, und nachdem er dieses schwere "Werk voll-
bracht hatte, richtete er seinen Geist auf eine feine Sache.
4. (842.) Wahrend er an den Wurzeln eines Baumes ver-
weilte, richtete sich sein Gedanke, indem er sein grofses Werk
aufgab, auf eine feine Sache, o du Hochsinniger.
Alarka sprach :
5. (843.) Ein Heer hat sich gegen mich erhoben aus meinem
Manas ; besiege ich das Manas, so ist mein Sieg vollkommen ;
auf andere Gegner [als die bisherigen] will ich meine Pfeile
richten, denn ich bin von Feinden rings umgeben.
6. (844.) Gegen dieses Ding, welches durch seine Flatter-
haftigkeit alle Menschen zu zerstreuen strebt, gegen mein
Manas will ich die Pfeile mit scharfer Spitze losschiefsen.
Das Manas sprach:
7. (845.) 0 Alarka, diese Pfeile werden mich keineswegs
durchbohren, sondern nur deine Gelenke zertrennen, und wenn
sie zertrennt sind, so mufst du sterben,
8. (846.) Ersinne andere Pfeile, durch die du mir den
Garaus machen kannst. Als er dies vernommen hatte, sprach
er mit Bedacht das folgende Wort.
Alarka sprach:
9. (847.) Wenn der Geruchsinn manche Geriiche riecht,
so wird man von Begierde nach ihnen ergriffen; darum will
ich die scharfen Pfeile gegen den Geruchsinn losschiefsen.
Adhyaya 30 (B. 30). 933
Der Geruchsinn spracli :
10. (848.) 0 Alarka, diese Pfeile werden raich keineswegs
durchbohren, sondern nur deine Gelenke zertrennen, und wenn
sie zertrennt sind, so mufst du sterben.
11. (849.) Ersinne andere Pfeile, durch die du mir den
Garaus machen kannst. Als er dies vernommen hatte, spracli
er mit Bedacht das folgende Wort.
Alarka spracb:
12. (850.) Wenn diese Zunge die siifsen Geschmacke
schmeckt, so wird man von Begierde nach ihnen ergriffen;
darum will ich die scharfen Pfeile gegen die Zunge losschiefsen.
Die Zunge sprach:
13. (851.) 0 Alarka, diese Pfeile werden mich keineswegs
durchbohren, sondern nur deine Gelenke zertrennen, und wenn
sie zertrennt sind, so mufst du sterben.
14. (852.) Ersinne andere Pfeile, durch die du mir den
Garaus machen kannst. Als er dies vernommen hatte, sprach
er mit Bedacht das folgende Wort.
Alarka sprach:
15. (853.) Wenn die Haut manche Gefiihle fiihlt, so wird
man von Begierde nach ihnen ergriffen; darum will ich die
Haut mit manchen befiederten Pfeilen durchlochern.
Die Haut sprach:
16. (854.) 0 Alarka, diese Pfeile werden mich keineswegs
durchbohren, sondern nur deine Gelenke zertrennen, und wenn
sie zertrennt sind, so mufst du sterben.
17. (855.) Ersinne andere Pfeile, durch die du mir den
Garaus machen kannst. Als er dies vernommen hatte, sprach
er mit Bedacht das folgende Wort.
Alarka sprach:
18. (856.) Wenn das Ohr manche Tone hort, so wird man
von Begierde nach ihnen ergriffen ; darum will ich die scharfen
Pfeile gegen das Ohr losschiefsen.
934 IV. Anugit^.
Das Ohr sprach:
19. (857.) 0 Alarka, diese Pfeile werden mich keineswegs
durchbohren, sondern nur deine Gelenke zertrennen, und in-
folge davon mufst du dein Leben lassen.
20. (858.) Ersinne andere Pfeile, durch die du mir den
Garaus machen kannst. Als er dies vernommen hatte, sprach
er mit Bedacht das folgende Wort.
Alarka sprach:
21. (859.) Wenn das Auge manche Gestalten sieht, so wird
man von Begierde nach ihnen ergriffen; darum will ich das
Auge mit den scharfen Pfeilen toten.
Das Auge sprach:
22. (860.) 0 Alarka, diese Pfeile werden mich keineswegs
durchbohren, sondern nur deine Gelenke zertrennen, und wenn
sie zertrennt sind, so mufst du sterben.
23. (861.) Ersinne andere Pfeile, durch die du mir den
Garaus machen kannst. Als er dies vernommen hatte, sprach
er mit Bedacht das folgende Wort.
Alarka sprach:
24. (862.) Diese Buddhi trifft durch ihre Erkenntnis Ent-
scheidungen in vielfacher Weise; darum will ich die scharfen
Pfeile gegen die Buddhi losschiefsen.
Die Buddhi sprach:
25. (863.) 0 Alarka, diese Pfeile werden mich keineswegs
durchbohren, sondern nur deine Gelenke zertrennen, und wenn
sie zertrennt sind, so mufst du sterben. (864.) Ersinne andere
Pfeile, durch die du mir den Garaus machen kannst.
Der Brahmane sprach [richtiger: die Ahnen sprachen]:
26. (865.) Darauf gab sich Alarka ebendort einer furcht-
baren, schwer zu vollbringenden Askese hin, aber auch so er-
langte er nicht den Pfeil, der durch seine Kraft jenen sieben
[Sinnesorganen] iiberlegen war.
27. (866.) Dann aber sammelte der Gewaltige vollstandig
Adhy&ya 30 (B. 30). 935
seinen Geist und dachte nach, und nachdem er, Alarka, lange
Zeit nachgedacht hatte, o Bester der Brahmanen,
28. (867.) so fand er, der Vorziiglichste der Verstandigen,
kein hoheres Gut als den Yoga, und indem er seinen Sinn
einzig darauf richtete und unentwegt dem Yoga nachhing,
29. (868.) schlug der Held alsbald mit diesem einzigen
Pfeile die Sinnesorgane nieder, und mittels des Yoga in den
Atman eindringend, gelangte er zur hochsten Vollendung.
30. (869.) Und mit Stolz sprach er, der Konigs-Rishi, den
Iblgenden Spruch: 0 welches Elend, dafs wir alien diesen
Aufsendingen nachstrebten,
31. (870.) dafs wir vordem, von Durst nach Geniissen er-
fiillt, unsere Konigswiirde hoch schatzten! Erst spater habe
ich begriffen, dafs es kein hoheres Gliick als den Yoga gibt.
32. (871.) Darum, o Rama, gewahre auch du Verzeihung
und tote die Kshatriya's nicht; wende dich vielraehr gewalti-
ger Askese zu; dann wirst du erlangen, was das Beste ist.
33. (872.) Als die Grofsvater also zu dem Sohne des Ja-
madagni gesprochen hatten, da wandte er sich der gewalti-
gen Askese zu, und durch sie ging der iiberaus Gliickliche
in die schwer zu erreichende Vollendung ein.
So lautet in der AnugitA der fi'mfzehnte Adhyaya
Adhy^ya 31 (B. 31).
Vers 873-886 (B. 1-13).
Der Brahniane sprach :
1. (873.) Fiirwahr, es gibt drei Feinde auf der Welt, welche,
den drei Guna's entsprechend, als neunfach aufgezahlt werden.
Freude, Liebe und Wonne, das sind die drei Qualitaten des
Sattvam.
2. (874.) Durst, Zorn und Ungestvim, diese gelten als die
Qualitaten des Rajas, Ermiidung, Tragheit und Vollendung,
das sind die drei Qualitaten des Tamas.
3. (875.) Indem der Charakterfeste diese mit Scharen von
Pfeilen unermiidlich niederkampft, ist er imstande, sie als
936 IV. Anugita.
Feinde zu iiberwinden, mit beruhigtem Selbste und mit be-
zahmten Sinnen.
4. (876.) In bezug hierauf riihmen Kenner der Vorzeit die
Verse, welche einstmals von dem Konige Ambarisha, als er
zur Ruhe gelangt war, gesungen wurden.
5. (877.) Als namlich seine Fehler sich machtig erhoben
und seine guten Eigenschaften zuriickgedrangt wurden, da
ergriff der hochberiihmte Ambarisha die Herrschaft mit Un-
gestiim.
6. (878.) Nachdem er aber dann seiner Fehler Herr ge-
worden war und seine guten Eigenschaften zu Ehren gebracht
hatte, da gelangte er zu grofser VoUendung und rezitierte
folgende Verse:
7. (879.) Zum grofsten Teile sind meine Fehler besiegt und
alle meine Feinde niedergekampf't worden; nur ein Fehler,
der grofste von alien, bleibt noch zu bekampfen und ist noch
nicht von mir iiberwunden worden;
8. (880.) so lange meine Person mit diesem behaftet bleibt,
kann sie nicht zur Begierdelosigkeit fvaitrishnyamj gelangen ;
so lange der Mensch mit Durst ftrishndj behaftet ist, lauft
er Gemeinem nach und ist nicht weise.
9. (881.) Sie, mit welcher behaftet hieiiieden der Mensch
treibt, was er nicht sollte, die Begierde flohhaj^ mlifst ihr mit
scharfen Schwertern ausrotten [lies: niJcp'ntata] und immer
wieder ausrotten.
10. (882.) Denn aus der Begierde entspringt der Durst,
und aus ihm entwickelt sich die Sorge; die Begierde will er-
langen, und was sie erlangt, das sind zumeist die Qualitaten
des Rajas; (883.) hat man aber erst diese angenommen, so
erlangt man meistenteils auch die Qualitaten des Tamas.
11. (884.) Und durch diese Qualitaten kniipft sich neu
des Korpers Bindung; immer wieder und wieder wird er
geboren und strebt nach Werken. Geht der Lebenslauf
zu Ende, wird sein Leib von ihm getrennt und zerstreut,
so mufs er wieder durch neuen Lebenslauf zu neuem
Tode eilen.
12. (885.) Darum soil man die Begierde ganz durch-
schauen und, mit J'estigkeit sie ziigelnd, sich ein Reich
Adhy&ya 31 (B. 31). 937
im Atman griinden; dieses ist das wahre Reich, kein
anderes gibt es hienieden, und der Atman ist der Konig,
wenn er nach Gebiihr erkannt ist.
13. (886.) So wurde von dem Konig Ambarisha, dem ruhm-
begabten, dieser Spruch gesprochen; die Oberherrschaft hat
er sich errungen, indem er die Begierde ausgerottet.
So lautet iu der Anugtta der secbzebnte Adhydya.
Adhyaya 32 (B. 32).
Vers 887-912 (B. 1-26).
Der Brahmane sprach :
1. (887.) Auch hieriiber erzahlt man sich folgende alte Ge-
schichte, namlich die Unterredung eines Brahmanen mit dem
Konige Janaka, o du Holde.
2. (888.) Zu einem Brahmanen, der in irgend eine
Verschuldung geraten war, sprach der Konig Janaka, um
ihn zu strafen: Du darfst nicht mehr in meinem Reiche
wohnen.
3. (889.) So angeredet, sprach der Brahmane zu dem Besten
der Konige: Zeige mir, o Konig, dein Reich an, und wie weit
es sich in deiner Gewalt befmdet.
4. (890.) Ich, der ich hier stehe, will, o Herr, in dem
Reiche eines andern Konigs wohnen, ich will nach deinem
Worte tun, dem Gesetze gemafs, o Landesherr.
5. (891.) Als nun aber der Konig so von dem herrlichen
Brahmanen angeredet wurde, da stiefs er plotzlich einen
heifsen Seufzer aus und erwiderte nicht s.
6. (892.) Als nun der unermefslich machtige Konig in Ge-
danken versunken dasafs, da iiberfiel ihn eine Bestiirzung,
dem Damon Rahu vergleichbar, der die glanzende Sonne
iiberfallt.
7. (893.) Als sodann der Konig wieder aufatmete [lies:
samdgvasya] und seine Bestiirzung gewichen war, sprach er
alsbald zu dem Brahmanen das Wort.
938 IV. Anugita.
Janaka sprach:
8. (894.) In der von meinem Vater und Grofsvater iiber-
kommenen Herrschaft, in dem meinem Willen unterworfenen
Lands kann ich kein Reich erblicken, wenn ich an die [ganze]
Erde denke.
9. (895.) Und als ich, in der ganzen Erde nicht mein Reich
sehend, meine Aufmerksamkeit auf Mithila richtete, und auch
in dieser Stadt es nicht erbhckte, richtete ich meine Auf-
merksamkeit auf meine FamiHe.
10. (896.) Und als ich auch in ihr nicht ein [mir volhg
angehoriges] Reich erbUcken konnte, da iiberkam mich Be-
stiirzung. Als aber dann die Bestiirzung wich, kehrte mir
das klare Bewufstsein zuriick.
11. (897.) Nunmehr glaube ich, dafs ich iiberhaupt kein
Reich habe, oder dafs mein Reich allumfassend ist: auch
mein eigener Leib ist nicht mein, oder auch die ganze Erde
ist mein,
12. (898.) und wie sie mir gehort, so auch den anderen,
so denke ich, o Bester der Brahmanen (vgl. Mahabh. XII, 750
und 6470 S. 112); bewohne sie, soweit du vermagst, und ge-
niefse sie, soweit du sie bewohnst.
Der Brahmane sprach:
13. (899.) In der von deinem Vater und Grofsvater iiber-
kommenen Herrschaft, in dem deinem Willen unterworfenen
Lande, sage, was hast du im Sinn, wenn du dein Eigentums-
recht ablehnst,
14. (900.) und was meinst du damit, dafs dein Reich all-
umfassend ist, so dafs du gar kein Reich als dir gehorend an-
erkennst, und doch behauptest, dafs dein Reich allumfassend sei.
Janaka sprach :
15. (901.) Als verganglich sind die Zustande aller Dinge
in dieser Welt bekannt, und darum habe ich nichts gefunden,
was so ware, dafs ich sagen konnte: Es ist mein.
16. (902.) Und auch der Veda sagt [wo? wiifsten wir
ebensowenig zu sagen wie Nilakantha, der auf Iqa-Up. 1 ver-
weifst]: „Wem gehort dieses?" und „W^em ist etwas eigen?"
Adhyaya 32 (B. 32). 939
Indem ich nachdachte, habe ich iiichts gefunden, was so ware,
dafs icli sagen konnte: Es ist mein.
17. (903.) Das hatte ich im Sinn, wenn ich mein Eigen-
tumsrecht auf irgend etwas ahlehnte ; hore nun auch, wie ich
es meine, dafs mein Reich iiberall sei.
18. (904.) Fur mich verlange ich nicht nach den Geriichen,
auch wenn sie in meine Nase steigen; dadurch hahe ich die
Erde [das Element des Geruches] besiegt; sie befindet sich
fiir immer in meiner Gewalt.
19. (905.) Fiir mich verlange ich nicht nach den Ge-
schmacken, auch wenn sie in meinem Munde sind; dadurch
habe ich das Wasser [das Element des Geschmackes] be-
siegt; es befindet sich fiir immer in meiner Gewalt.
20. (906.) Fiir mich verlange ich nichf nach der Gestalt
und dem Lichte des Auges ; dadurch habe ich das Licht be-
siegt; es befindet sich fiir immer in meiner Gewalt.
21. (907.) Fiir mich verlange ich auch nicht nach den
Gefiihlen, welche meine Haut beriihren ; dadurch habe ich den
Wind besiegt; er befindet sich fiir immer in meiner Gewalt.
22. (908.) Fiir mich verlange ich nicht nach den Tonen,
auch wenn sie in mein Ohr dringen; dadurch habe ich die
Tone besiegt; sie befinden sich fiir immer in meiner Gewalt.
23. (909.) Fiir mich verlange ich fiir immer nicht nach
dem Manas in meinem eigenen Manas [als dem Organ des
Verlangens]; dadurch habe ich das Manas besiegt; es be-
findet sich in meiner Gewalt.
24. (910.) Fiir die Gotter, die Vater, die Wesen und die
Gaste, fur diese dienen alle die erwahnten Anstrengungen
[meiner Sinnesorgane].
25. (911.) Da sprach der Brahmane zu Janaka mit Lacheln :
Wisse, dafs ich heute hierhergekommen bin als der Gott
Dharma, um dich auf die Probe zu stellen.
26. (912.) Du bist fiir dieses zu Brahman fuhrende, un-
widerstehliche, unriicklaufige, mit Sattvam als Radkranz um-
gebene Rad der einzige Beweger.
So lautet in der Anugit4 der siebzehnte Adhyilya.
940 IV. Anugita.
Aclhyaya 33 (B. 33).
Vers 913-921 (B. 1-8).
Der Brahmane sprach :
1. (913.) Nicht so ist mein Wandel in der Welt, dafs
du mich, o Schlichterne, durch dein verstandiges Fragen
in Angst versetzen konntest; ich bin ein Brahmane, ich bin
erlost, bin ein Waldeinsiedler, und ebensosehr bin ich einer,
der die Hausvaterpflicht erfiillt hat, seinem Geliibde treu.
2. (914.) Und ich bin nicht so, wie du mich siehst, be-
haftet mit Gutem und Bosem ; von mir ist diese ganze Welt
durchdrungen und alles, was auf Erden lebt.
3. (915.) Fiir alle Geschopfe in dieser Welt, bewegliche
und unbewegliche, bin ich der Vernichter, wie das Feuer der
des Holzes.
4. (916.) Mein Reich erstreckt sich iiber die ganze Erde,
ja iiber den dreifachen Himmel; dieses weifs mein Bewufst-
sein, und mein Bewufstsein ist mein Reichtum.
5. (917.) Es gibt nur einen Weg der Brahmanen, auf
welchem gehen, die solches wissen, sei es im Hausvaterstand,
im Einsiedlerstand, in der Schiilerschaft bei einem Lehrer
oder als Bettler (d. h. Sannyasin).
6. (918.) In mannigfaltigen , auf dasselbe Ziel gerichteten
Erscheinungsformen wird die eine Erkenntnis verehrt von
solchen, welche, in Lebensstadien von verschiedenen Er-
scheinungsformen weilend, die Erkenntnis besitzen, welche
Beruhigung gibt.
7. (919.) Sie alle streben dem einen Zustande zu, wie die
Fliisse dem Ozean; durch Erkenntnis wird dieser Weg be-
treten, nicht wird er betreten durch den Korper. (920.) Anfang
und Ende habend sind die Werke, die Korperlichkeit aber ist
durch die Werke bedingt.
8. Darum, o du Gliickliche, brauchst du keine Befiirch-
tung in betreff der andern Welt zu hegen; (921.) da du an der
Liebe zu jenem Zustande deine Freude hast, so wirst du in
meinen Atman eingehen.
So lautet iu der Anugita der achtzehnte Adhyaya.
Adhyaya 34 (B. 34). 941
Adhyaya 34 (B. 34).
Vers 922-933 (B. 1-12).
Die Brahmanin sprach:
1. (922.) Das ist nicht zu begreifen, solange man kleinen
Geistes, unbereiteten Geistes ist; und mein Denken ist viel-
faltig und klein, ist eng und zerfahren.
2. (923.) Darum sage mir das Mittel, durch welches diese
Einsicht erreicht wird; die Ursache mochte ich von dir er-
fahren, aus welcher diese Erkenntnis hervorgeht.
Der Brahmane sprach :
3. (924.) Die Brahmanin wisse als das Reibholz, ihr Lehrer
ist das obere Reibholz; Askese und Vedastudium versetzen
es in Drehung, und das Feuer der Erkenntnis geht daraus
hervor.
Die Brahmanin sprach :
4. (925.) Wenn es ein Kennzeichen des Brahman gibt,
welches Kshetrajna (das Subjekt des Erkennens) heifst, wo
finde ich dieses Kennzeichen des Brahman, durch welches es
ergriffen werden kann?
Der Brahmane sprach :
5. (926.) Er [der KshetrajBa, das Subjekt des Erkennens,
das Brahman] ist ohne Kennzeichen, ohne Qualitaten, und
keine Ursache desselben ist zu ersehen; aber ich will dir
ein Mittel angeben, durch welches er erkannt oder auch
nicht erkannt werden kann.
6. (927.) Ein vollstandiges Mittel ist gefunden worden,
durch welches er gesehen wird wie von Bienen [welche emsig
nach dem Honig suchen] ; dies Mittel ist die Erkenntnis durch
gute Werke [sie lantern und erhellen den Geist]; zwar ist
es [das Brahman] kein Gegenstand der Erkenntnis, aber doch
kommt man ihm nahe durch die [ihm beigelegten] intellek-
tuellen Merkmale,
7. (928.) Allerdings sind die Vorschriften, dies zu tun und
jenes zu lassen, nicht anwendbar, wo es sich um Erliisungs-
942 IV. Anugita.
fragen handelt, bei denen vielmehr eine Erkenntnis des sehen-
den und horenden Atman [des Subjekts des Erkennens] ent-
stehen mufs;
8. (929.) aber doch tut man wohl, soviel Erkenntniselemente
wie moglich zu sammeln, undeutliche und deutliche, hundert-
fach und tausendfach,
9. (930.) welche sich samtlich auf vielerlei Objekte be-
ziehen, samtlich auf die Wahrnehmung sich griinden; denn
auch bei fleifsiger Betreibung desjenigen, aus welchem das
Hochste nicht erkannt wird, kann es einem zuteil werden.
Der Heilige (Krishna) sprach:
10. (931.) Darauf geschah es, dafs in dieser Brahmanen-
frau unter Vernichtung des Kshetrajna durch die Tatigkeit
des Kshetrajna selbst die iiber die Kshetrajna's hinausfiihrende
Erkenntnis sich entwickelte.
Arjuna sprach:
11. (932.) Wo ist wohl jene Brahmanin, o Krishna, und
wo ist jener gewaltige Brahmane, durch welche diese Voll-
endung erreicht wurde? Diese bei den zeige mir an, o Un-
erschiitterlicher.
Der Heilige sprach:
12. (933.) So wisse denn, dafs jener Brahmane mein eigenes
Manas und jene Brahmanin meine eigene Buddhi ist, der Kshe-
trajfia aber, von dem die Kede war, der bin ich selbst, o Ge-
winner der Giiter.
So lautet in der Anugita der neunzehnte Adhy4ya.
Adhyaya 35 (B. 35).
Vers 934-986 (B. 1-50).
Arjuna sprach:
1. (934.) Das Brahman, welches das hochste Objekt der
Erkenntnis ist, das wolle mir erklaren; denn durch deine
Gnade erfreut sich mein Geist an dem Geheimnisvollen.
Adhyaya 35 (B. 35). 943
VS,sudeva (Krishuaj sprach:
2. (935.) Auch hieriiber erzahit man sich folgende alte
Geschichte, namlich die Unterredung eines Schiilers mit
seinem Lehrer in betreff der Erlosung.
3. (936.) Einen Brahmanen, welcher dasafs als Lehrer mit
gescharftem Geliibde, befragte, o Feindbedranger, ein gewisser
verstandiger Schiiler nach dem, was wohl das hochste Gut sei.
4. (937.) Ich bin dir genaht, o Heiliger, einzig beflissen,
das hochste Gut zu erreichen; mit geneigtem Haupte bitte
ich dich, o Brahmane, mir zu sagen, was ich als solches er-
klaren kann.
5. (938.) Zu diesem Schiiler, als er also sagte, o Sohn
der Pritha, sprach der Lehrer : Ich will dir alles verkiindigen,
woriiber du zweifeln magst, o Zwiegeborener.
6. (939.) Von seinem Lehrer so angeredet, o Bester der
Kuru's, hore, o Hochverstandiger, das, was [lies: yat tat\
er, der Liebling des Lehrers, mit zusammengelegten Handen
fragte.
Der Schiiler sprach :
7. (940.) Woher bin ich und woher du? Erklare mir diese
Realitat, welche die hochste ist; woraus sind sie entstanden,
die unbeweglichen und die beweglichen Wesen?
8. (941.) Wodurch leben die Wesen, und welches ist ihr
hochstes Lebensalter? Was ist die Realitat, o Brahmane,
und was ist Askese? Und welches sind die Guna's, welche
von tiichtigen Mannern verkiindigt worden sind?
9. (942.) Welches diirften die gliicklichen Wege sein, was
ist Lust und was ist Ubeltat? Diese Fragen, o Heiliger,
mogest du mir der Wahrheit gemafs, o du Pflichttreuer,
10. (943.) erklaren, o Brahmanenweiser, wie es sich hier-
bei verhalt der Wahrheit nach. Denn kein anderer aufser
dir vermag diese Fragen zu beantworten.
n. (944.) Sprich, o Bester der Pflichtkundigen ! Ich
empfinde die grofste Wifsbegierde ; denn du wirst in aller
Welt gefeiert als erfahren in der Erlosung, dem Guten und
dem Niitzlichen.
944 • IV. Aiiugita,
12. (945.) Keinen gibt es aufser dir, der alle diese Zweifel
losen konnte; wir aber fiirchten uns vor dem Sansara und
verlangen nach der Erlosung.
Vasudeva (Krishna) sprach:
13. (946.) Diesem ihn angehenden und geziemend be-
fragenden Schiiler, dem tugendhaften , beruhigten, liebge-
wordenen,
14. (947.) wie ein Schatten anhanglichen, bezahmten, streb-
samen, in Brahmanwandel beharrenden, beantwortete diese
Fragen, o Prithasohn, der weise, in seinem Geliibde feste
(948.) Lehrer, o Bester aus dem Kurustamme, samt und sen-
ders, o Feindbezwinger.
Der Lehrer sprach :
15. (949.) Diese ganze vom Brahman offenbarte, von vor-
ziiglichen Weisen gepflegte, auf die Vedalehre sich stiitzende,
die Wahrheit iiber die Realitat enthiillende,
16. (950.) hochste Erkenntnis ist uns bewufst als Entsagung
und aufserste Askese; wer aber die un widerlegliche , durch
diese Erkenntnis erlangte Realitat mit Gewifsheit erkennt,
(951.) namlich den in alien Wesen weilenden Atman, von dem
gilt, dafs er allgegenwartig ist.
17. Wer, dieses wissend, den Einheitsstand und den
Einzelstand [der Wesen] sohaut (952.) sowie ihre Einheit und
Mannigfaltigkeit, der wird von Leiden frei.
18. Wer nicht das Geringste mehr begehrt, nicht das
Geringste mehr beabsichtigt, (953.) der ist, schon wahrend er
in dieser Welt weilt, zur Brahmanwerdung geeignet.
19. Wer das Wesen der Prakriti fpradhdnamj und ihrer
Guna's begreift, wer ihre Verteilung in alien Wesen kennt,
(954.) der wird als ein von Selbstsucht und vom Ahaiikara
Freier erlost; daran ist nicht zu zweifeln.
20. Ein grofser [Baum] ist: er erwachst aus dem Un-
offenbaren (avyaktam =^ prakritij als Samen; die Buddhi ist
sein Stamm, (955.) der grofse Ahaiikara ist sein Astwerk, die
Indriya's sind seine Zweige und Hohlungen,
Adhyaya 35 (B. 35). , 945
21. seine Zerteilungen {vigeshaj sind die grofsen Elemente
(mahdhhiHa, Ather, Wind, Feuer, Wasser, Erde), seine Ver-
zweigungen sind ihre besonderen Eigenschaften (vigesha^ Ton,
Gefiihl, Farbe, Geschmack, Geruch), (95g.) immer treibt er
Blatter, immer Bliiten, immer bringt er schone Friichte hervor;
22. er ist der aus Brahman als Samen erwachsene, ewige
Beleber aller Wesen. (957.) Wer dieses weifs und die genann-
ten Prinzipien ftattvaj mit der Erkenntnis als vorziiglichem
Schwerte abhaut, der erlangt Unsterblichkeit und wird frei
von Tod und Geburt.
23. (958.) Den alles Vergangene, Gegenwartige und Zu-
kiinftige befassenden, die Gewifsheit des Guten, Angenehmen
und Niitzlichen gewahrenden, den Scharen der Seligen be-
kannten, vorweltlichen , ewigen,
24. (959.) hochsten Ort will ich dir jetzt verkiindigen, du
sehr Verstandiger , welchen erkannt habend hienieden die
Weisen schon bier zur Vollendung gelangen.
25. (960.) Einstmals kamen, nach Erkenntnis verlangend,
zueinander die Weisen Prajapati und Bharadvaja, Gautama
und Bhargava,
26. (961.) Vasishtha, Kagyapa, Vigvamitra und Atri, Da
Sie alle Wege durchlaufen batten und ihrer Werke miide waren,
27. (962.) stellten diese Zwiegeborenen den alten Weisen
Aiigirasa an ihre Spitze und kamen, um in dem Hause des
Brahman den siindlosen Gott Brahman zu besuchen.
28. (963.) Vor ihm, dem Hochherzigen, welcher zufrieden
dasafs, verneigten sich die grofsen Weisen und befragten ihn
in gehorsamer Weise nach jener hochsten Gliickseligkeit.
29. (964.) Wie wird durch Betreiben der Werke Gutes
erlangt, wie wird man erlost von der Siinde, welche Wege
fiihren uns zum Heile, was ist die Wahrheit und was die
bose Tat?
30. (965.) Und welches sind die beiden Wege, die man
durch Werke erlangt, und wie erlangen die Wesen Vergang
und Erlosung, Entstehen und Untergang?
31. (966.) Als er so von den Besten der Muni's angeredet
wurde, was da der Urvater antwortete, das will ich dir ver-
kiinden ; vernimm es, o S chiller, wie es iiberliefert worden ist.
Dbubsbn, Mah&bh&ratam. 60
946 IV. Aimgita.
Der Gott Brahmau sprach:
32. (967.) Aus dem Satyam (der Eealitiit, der Wahrheit)
sind die Wesen entstanden, die unbeweglichen und die be-
weglichen, und durch das Tapas [des Schopfers] leben sie,
das wisset, o ihr Geliibdetreuen.
33. (968.) Uber diesen ihren Ursprung hinausschreitend,
leben sie jetzt auf Grund ihres eigenen Werkes [in einer
friihern Geburt]; das Satyam aber, mit Qualitaten verbunden,
bestimmt sich zu dem fiinf Merkmale Habenden [zu den Ele-
menten].
34. (969.) Das Satyam ist Brahman, das Satyam ist Tapas,
das Satyam ist auch Prajapati; aus Satyam sind die Wesen
entstanden, Satyam ist die aus den Wesen bestehende Welt
der Lebenden.
35. (970.) Darum halten die aus Satyam bestehenden Brah-
manen den Yoga immer als das Hochste, iiberwindend Zorn
und Leiden, sich selbst bezwingend und die Pflicht iibend.
36. (971.) Sie, welche sich gegenseitig in Zucht halten, die
Vedakundigen, welche die Briicke der Gerechtigkeit spannen,
diese will ich euch verkiindigen, die ewigen Erhalter der Welt.
37. (972.) Ferner die vierfache Wissenschaft [vom Guten,
Niitzlichen, Angenehmen und von der Erlosung], sowie die
Kasten und die in den vier Lebensstadien Weilenden ins-
besondere. Das eine Gesetz mit seinen vier Fiifsen (vgl. oben,
S. 334) erklaren die Weisen fiir ewig.
38. (973.) Den Weg will ich euch verkiinden, o Zwie-
geborene, den seligen, zur Ruhe flihrenden, den zur Brahman-
werdung vorgeschriebenen , von den Weisen der Vorzeit be-
tretenen.
39. (974.) Ihr, die ihr hier zu mir redet, sollt jetzt von
mir diesen schwer zu findenden, hochsten Weg erfahren,
0 ihr Gliicklichen, und vollstandig den hochsten Ort.
40. (975.) Das Lebensstadium des Brahmacarin gilt als der
erste Schritt, das des Hausvaters ist der zweite, das des W^ald-
einsiedlers folgt zunachst; (976.) was darauf folgt und dieinnere
Seele betrifft, das soil man wissen als den hochsten Schritt.
41. Das Licht, der Ather, die Sonne, der Wind, Indra
Adhyaya 35 (B. 35). 947
und Prajapati, — (977.) solange einer die innere Seele nicht
versteht, solange kennt er auch diese nicht.
42. Das Mittel, sie zu verstehen, will ich euch verkiindigen;
vernehmt es von vorn an. (978.) Die von den an Friichten,
Wurzein und Wind sich nahrenden und im Walde wohnenden
Muni's geiibte
43. Waldeinsiedlerschaft wird fiir die drei zwiegeborenen
Kasten vorgeschrieben. (979.) Hingegen wird fiir alle [vier]
Kasten die Hausvaterschaft verordnet.
44. Die Pflicht hat als Merkmal den „Glauben", so ver-
kiinden die Weisen [Chand. Up. 5,10,1; Brih. Up. 6,2,15],
(980.) mit diesem Worte werden euch die Wege des Devayana
gepriesen, welche von Guten und Weisen betreten werden
und durch die Werke als Briicke zur Pflicht iiberleiten.
45. (981.) Wer aber, verschieden von diesen, mit scharfem
Geliibde der Pflicht [des Opferns] obliegt, der bekommt [auf
dem Pitriyana] nach langer Zeit immer wieder Entstehung
und Vergang der Wesen zu schauen.
46. (982.) Weiter nun will ich dir mit einer der W^ahr-
heit entsprechenden Begriindung die Prinzipien nennen, ent-
sprechend ihrer Einteilung, wie sie alle miteinander, in den
Objekten verkorpert, sich vorfinden.
47. (983.) Der Mahan Atma, sowie das Avyaktam und der
Ahankara, die elf Indriya's und die fiinf Mahabhuta's,
48. (984.) sowie die Vigesha's (spezifischen Qualitaten) der
fiinf Elemente, das ist die ewige Emanation; als vierund-
zwanzig und eins, als soviel wird die Zahl der Prinzipien
gelehrt.
49. (98.5.) Wer nun Entstehen und Vergehen aller dieser
Prinzipien versteht, der allein unter alien Wesen ist weise
und gerat nicht in Betorung.
50. (986.) Wer nach der Wahrheit alle die Prinzipien,
alle die Eigenschaften und alle Gotter kennt, der schiittelt
die Siinde ab und lost die Bindung, der geht ein in alle
reinen Welten.
So lautet in der Anugltft der zwauzigste Adhy&ya.
60^
948 IV. Anugita.
Adhyaya 36 (B. 36).
Vers 987-1022 (B. 1-36).
Der Gott Brahman sprach:
1. (987.) Jenes Unoffenbare, Unerschopf liche , Alldurch-
dringende, Teste, Bestandige soil man wissen als die Stadt
mit neun Toren, als aus den drei Guna's und den fiinf Ele-
menten bestehend,
2. (988.) als von den elf [Sinnesorganen] umgeben, als
das Manas zum Unterscheider, die Buddhi zur Beherrscherin
habend; somit ist jenes Hochste elffach [aus drei Guna's, fiinf
Elementen, Sinnesorganen, Manas und Buddhi bestehend].
3. (989.) In ihm befinden sich drei Stromungen, welche
immer wieder und wieder anschwellen; diese drei Flufsarme
treten in Wirksamkeit , ihrem Wesen nach aus den Guna's
bestehend.
4. (990.) Tamas, Rajas und Sattvam, das ist, was man
die Guna's nennt; sie paaren sich alle miteinander und sie
leben alle voneinander [vgl. Sahkhya-Karika 12],
5. (991.) sie unterstiitzen sich gegenseitig, richten sich
nacheinander und sind miteinander verflochten; das sind die
aus den fiinf Elementen bestehenden drei Guna's.
6. (992.) Das Tamas paart sich mit dem Sattvam, das
Sattvam mit dem Rajas, das Rajas mit dem Sattvam und
das Sattvam mit dem Tamas.
7. (993.) Wo das Tamas unterdriickt wird, da entwickelt
sich das Rajas ; wo das Rajas unterdriickt wird, da entwickelt
sich das Sattvam.
8. (994.) Nachtartig nach seinem Wesen ist das Tamas;
es hat drei Eigenschaften und wird Verblendung genannt,
auch hat es die Ungerechtigkeit als Merkmal und ist auf
bose Handlungen beschrankt. [Der folgende Halbvers nur
in B.] Diese tamas -artige Natur aber erstreckt sich auch
[in die anderen hinein].
9. (995.) Das Rajas ist seinem Wesen nach Wirkung und
Umwandlungen veranlassend, in alien Wesen sich entwickelnd,
sichtbar werdend und Entstehung als Merkmal habend.
Adhyaya 36 (B. 36). 949
10. (996.) Helligkeit in alien Wesen, Leichtigkeit und
Glaubigkeit, das ist hingegen die Natur des Sattvam; die
Leichtigkeit ist mit dem Guten verwandt.
11. (997.) Das Wesen dieser Guna's wird erklart werden
nebst den Griinden fiir dieses Wesen sowohl im allgemeinen
als auch im besondern; vernehmt es der Wahrheit gemafs.
12. (998.) Verblendung, Nichtwissen, Geiz, Unentschieden-
heit im Handeln, Schlaf, Steifheit, Feigheit, Habsucht, aus
freien Stiicken Bemangelung der Wohltaten,
13. (999.) Vergefslichkeit, Unreife, Nihilismus, Vielgeschaf-
tigkeit, Urteilslosigkeit und Blindheit, das ist das Verhalten,
welches aus dem letzten Guna entspringt.
14. (1000.) Einbildung, dafs man etwas tut, wo man nichts
tut, dafs man etwas wisse, wo man nichts weifs, Unfreund-
lichkeit. Mangel an Beweglichkeit , Unglaube, verwirrte Ge-
miitsverfassung,
15. (1001.) Mangel an Geradheit, Unbesonnenheit, boses
Tun, Gedankenlosigkeit , Schwerf alligkeit , Mattherzigkeit,
Mangel an Selbstbeherrschung, Niedertrachtigkeit,
16. (1002.) alle diese werden als Eigenschaften genannt,
welche aus dem Tamas entspringen, und was man sonst noch
an Naturbeschaffenheiten aufzahlen mag, welche in dieser
Welt [schonenderweise] als Naturell bezeichnet werden.
17. (1003.) Alle diese Eigenschaften des Tamas finden sich
hier und dort als eingewurzelt vor. Das bestandige Fiihren
von iibler Nachrede gegen Gotter, Brahmanen und Veden,
18. (1004.) der Geiz, der Hochmut, die Verblendung, der
Zorn, die Unduldsamkeit und die Selbstsucht, diese, wo sie
bei den Wesen vorkommen, sind anzusehen als die Wirkung
des Tamas.
19. (1005.) Alle ungeregelten Unternehmungen , alles un-
geregelte Geben und ungeregelte Essen, das alles gilt als
Wirkung des Tamas.
20. (1006.) Mafsloses Reden, Mangel an Ausdauer, Egois-
mus, Hochmut und Unglaube sind anzusehen als Wirkung
des Tamas.
21. (1007.) Alle, welche auf der Welt von dieser Art sind,
950 IV. Aimgita.
alle Ubeltater und schrankendurchbrechende Menschen, diese
alle werden als tamas-artig betrachtet.
22. (1008.) Ihre [kiinftigen] Geburten will ich dir ver-
kiindigen, wie sie fiir die Ubeltater bestimmt sind, welche
ein Dasein niedriger Art oder in der Holle erleiden und in
Tiere oder in die Holle fahren werden.
23. (1009.) Unbewegliche Wesen (Pflanzen), Vieh und Zug-
tiere, fleischfressende Tiere und alles, was da beifst und kriecht
und fliegt und tlattert,
24. (1010.) die Arten der Eigeborenen und alle Vierfiifsler,
die Verriickten, Tauben, Stummen und an schlimmen Krank-
heiten Leidenden,
25. (1011.) diese Unglucklichen sind versenkt in das Ta-
mas und haben den Charakter, der durch ihre Werke ver-
dient wurde; Abwartsstromende kbnnen sie heifsen, in
Tamas versenkt und von Tamasart.
26. (1012.) Nun will ich dir weiter erklaren, wie diese- [in
Tamas Versunkenen] sich emporarbeiten und hoher steigen
konnen, und wie sie durch heihge Werke gliickselige Welten
erlangen mogen.
27. (1013.) Wenn sie eine andere Richtung einschlagen,
so konnen sie hinauswachsen iiber das Werk und, von Brah-
manen, die auf ihre Werke verzichtet haben und nach dem
Schonen trachten,
28. (1014.) gelautert, emporsteigen und, nach Weltgemein-
schaft mit ihnen strebend, in den Himinel der Gotter eingehen,
wie es die Offenbarung des Veda lehrt.
29. (1015.) Und wiederum, wenn sie eine andere Richtung
einschlagen und in der Vollbringung ihrer Werke sich klug
erweisen, dann fallen sie unter das Gesetz der Wiederkunft
und werden wieder auf der Erde zu Menschen.
30. (1016.) Dann konnen sie in einen schlechten Mutter-
schofs geraten als Candala's, Stumme und Stammelnde und
nach und nach immer hohere Kasten erlangen.
31. (1017.) Aber audi wenn sie die Geburt als C'udra's
und sonstige [Folgen von] tamas- artigen Qualitaten iiber-
schritten haben und in die mittlere Stromung gelangt sind,
befinden sie sich immer noch in der Qualitat des Tamas.
Adhyaya 36 (B. 36). 951
32. (1018.) Denn alles Hangen an Liisten ist grofse Ver-
blendung fmahdmohaj^ so wird es gelehrt, und auch die Rishi's,
Muni's und Gotter unterliegen dieser Verblendung, solange
sie noch nach Lust begehren.
33. (1019.) Finsternis ftamasj, Verblendung fmohaj, grofse
Verblendung fmahdmohaj und Verfmsterung (tamisra), die da
Zorn heifst, — denn blinde Verfinsterung (andhatamisraj ist
der Tod — Verfmsterung wird der Zorn genannt [vgl. Sankhya-
Karika 48],
34. (1020.) nach Farbe, Qualitat, Ursprung und Wesen ist
das alles als Tamas euch erklart worden nach der Vorschrift,
o Brahmanen.
35. (1021.) Wer ist es nun, der dies richtig versteht, wer
ist, der es richtig sieht? Das ist das wahre Merkmal des
Tamas, dafs einer in dem Nichtrealen das Reale sieht.
36. (1022.) Damit sind die mannigfachen Qualitaten
des Tamas aufgezahlt und das nach oben und nach
unten sich erstreckende Tamas gebiihrend besprochen
worden; der Mann, welcher alle diese Qualitaten immer-
fort erkennt, der wird von alien Qualitaten des Tamas
erlost.
So lautct in der AmigltS, der einundzwanzigste Adhyiya.
Aclhyaya 37 (B. 37).
Vers 1023-1041 (B. 1-18).
Der Gott Brahman sprach:
1. (1023.) Nun will ich euch das Rajas der Wahrheit ge-
mafs erklaren, o ihr Besten; vernehmt es, o ihr Gliicklichen,
sowie die aus dem Rajas sich entwickelnden Eigenschaften.
2. (1024.) Qual, Schongestalt, Anstrengung, Lust und
Schmerz, Kalte und Hitze, Herrschaft, Krieg und Frieden,
Rasonieren, Lnzufriedenheit und Ausdauer,
3. (1025.) Gewalt, Heroismus, Verwegenheit, Zorn, Streit
und Zank, Neid, Begehrlichkeit, Klatschsucht, Kampf, Egois-
mus, Beschiitzung,
952 IV. Anugita.
4. (1026.) Mord, Gefangenschaft und Not, Kauf und Ver-
kauf, von den Rufen: „Schneide, brich, spalte!" begleitetes
Abschneiden der Feindesriistung,
5. (1027.) Gewalttat, Grausamkeit , Beschimpfung , Hin-
weisung auf die Schwachen anderer, Weltsinn und Sorge,
Selbstsucht , Beschiitzung,
6. (1028.) falsche Rede, falsches Spenden, Zweifel, Schmah-
sucht, Tadeln, Loben und Preisen, Ubermacht und Ver-
gewaltigung,
7. (1029.) Pflege, Gehorsam, Bedienung, Durst, Unter-
stiitzung, Strategik und Politik, Unbesonnenheit, Tadelsucht
und Begiinstigung,
8. (1030.) ferner alle Vorkehrungen , welche in der Welt
im einzelnen getroffen werden in bezug auf Manner, Weiber,
Wesen, Sachen und Wohnungen,
9. (1031.) Qual und Mifstrauen, Geliibde und Verpflichtungen
sowie alle auf einem Wunsche beruhenden und seine Erfullung
nach sich ziehenden Werke von mannigfacher Art,
10. (1032.) die Ausrufe svahd ! (Heil), namas ! (Verehrung),
svadhd! (Labung), vashat! (Spende), beides, Opfernlassen und
Lehren, sowie Opfern und Lernen,
11. (1033.) Schenken und Annehmen, Siihnung, gliickliche
Vorzeichen und die aus diesem Guna entspringende Neigung,
sich dieses oder jenes zuzueignen,
12. (1034.) Nachstellung, Tauschung, Herabsetzung und
Ehrenerweisung, Diebstahl, Schadigung, Ekel, Reue, Wach-
samkeit,
13. (1035.) Trug, Stolz und Leidenschaft, Verehrung, Liebe
und Freude, Spiel, Gerede der Leute und Liaisons mit Weibern,
14. (1036.) Gelegenheiten zum Tanzen, Musizieren und
Singen, wo sie immer vorkommen — alle diese Beschaffen-
heiten, o ihr Brahmanen, werden erwahnt als aus dem Rajas
entspringend.
15. (1037.) Die Menschen, welche auf der Welt an die
vergangenen, gegenwartigen und kiinftigen Moglichkeiten
denken, welche immerfort an der Dreischar des Guten, Niitz-
lichen und Angenehmen sich freuen,
16. (1038.) in Liisten sich bewegen und an der Erfiillung
Adhy£lya 37 (B. 37). 953
aller Liiste ihr Gefallen fmden, Herwartsstromende konnen
sie heifsen, die Menschen, welche vom Rajas umhiillt sind.
17. (1039.) Sie freuen sich, immer wieder und wieder in
dieser Welt geboren zu werden ; darum streben sie nach dem
Dasein nach dem Tode und zugleich nach einem Wieder-
kommen in diese Welt ; (1040.) darum schenken sie und nehmen
Geschenke und opfern den Manen und Gottern.
18. (1041.) Damit sind die mannigfachen Qualitaten des
Rajas aufgezahlt und das sich aus ihnen Entwickelnde
gebiihrend besprochen worden; der Mann, welcher alle
diese Qualitaten immerfort erkennt, der wird von alien
Qualitaten des Rajas erlost.
So lautet in der Anugita der zweiundzwanzigste Adhy^ya.
Adhyaya 38 (B. 38).
Vers 1042-1057 (B. 1-15).
Der Gott Brahmaa sprach:
1. (1042.) Weiterhin will ich den dritten Guna, den hochsten,
erklaren, der zum Heile aller Wesen in der Welt dient und
das untadlige Gesetz der Guten bildet.
2. (1043.) Wonne, Freude, Uberflufs, Helligkeit und Lust,
Fassung, Haltung, Zufriedenheit, Glaube,
3. (1044.) Geduld, Festigkeit, Schonung, Gleichmiitigkeit,
Wahrhaftigkeit, Geradheit, Nichtziirnen, Nichtmurren, Rein-
heit, Tiichtigkeit, Tapferkeit,
4. (1045.) zweckloses Erkennen, zweckloses Handeln, zweck-
loser Kultus, zweckloses Bemiihen — wer so sich seiner Pflicht
hingibt, der erlangt im Jenseits die Unendlichkeit.
5. (1046.) Selbstlos, ichbewufstseinslos, hoffnungslos, gleich-
miitig in alien Dingen, frei von Begierde, so ist beschaffen
die ewige Satzung der Guten.
6. (1047.) Vertrauen, Schamhaftigkeit, Ausdauer, Freigebig-
keit, Reinheit, Unermiidhchkeit , Nichtubelwollen , Nichtver-
blendung, Mitleid mit den Wesen, Nichtangeberei,
954 IV. Aiiugita.
7. (1048.) Freudigkeit, Zufriedenheit, Stolz, Ziicht, gutes
Betragen, Reinheit im Erstreben der Ruhe, lichtvolle Ein-
sicht , Versohnlichkeit,
8. (1049.) Gleichgiiltigkeit, Keuschheit, Verzichten auf
alles, Selbstlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, unverkiirzte Pflicht-
erfiillung,
9. (1050.) umsonst geben, umsonst opfern, umsonst stu-
dieren, umsonst Geliibde erfiillen, umsonst annehmen, umsonst
die Pflicht erfiillen, umsonst Askese iiben —
10. (1051.) alle, welche so beschaffen sind in dieser Welt
und sich auf das Sattvam stiitzen als Brahmanen und in
Brahman's Schofs Sitzende, die sind weise und von richtiger
Einsicht.
11. (10B2.) Schon als Menschen alles Bose hinter sich
lassend und von Kummer befreit, erlangen diese Weisen den
Himmel und schaffen sich dort Verkorperungen [nach Be-
lieben].
12. (1053.) Schopferkraft, Beherrschung der Wesen, Leich-
tigkeit [und die iibrigen Siddhi's] verschaff'en sich auf ihren
Wunsch diese Hochherzigen, gleichwie Gotter alle drei Himmel
durchziehend ;
13. (1054.) Aufwartsstrbmende konnen sie heifsen, und
Gotter, die ihre Gestalt wandeln, werden sie genannt, da sie
sich vermoge ihrer Natur verwandeln konnen, nachdem sie
zum Himmel gelangt sind, in dieses und jenes.
14. (1055.) Was sie immer wiinschen mogen, das alles
verschaffen sie sich bald so, bald so. Damit habe ich euch,
o Brahmanenstiere, mitgeteilt, was sich aus dem Sattvam
entwickelt. (i056.) Wer dies verstanden hat, der empfangt
von Rechts wegen alles, was er wiinschen mag.
15. (1057.) Damit sind die Qualitaten des Sattvam im
einzelnen aufgezahlt und das sich aus ihnen Entwickelnde
gebiihrend besprochen worden; der Mann, der alle diese
Qualitaten immerfort erkennt, der geniefst die Qualitaten
und ist doch nicht an die Qualitaten gebunden.
So lautet in der Anugita der dreiundzwanzigste Adhyaya.
Adhy&ya 39 (B. 39). 955
Aclhyaya 39 (B. 39).
Vers 1058-1083 (B. 1-25).
Der Gott Brahman sprach:
1. (1058.) Es ist nicht moglich, die Guna's, einen jeden
in seiner Besonderheit , zu erklaren, denn ungetrennt treten
auf das Rajas, Sattvam und Tamas.
2. (1059.) Denn sie farben aneinander ab, und sie leben
fiir die gegenseitigen Zwecke, stiitzen sich alle gegenseitig
und richten sich nacheinander,
3. (1060.) Soweit das Sattvam sich erstreckt, reicht auch
das Rajas, daran ist kein Zweifel; soweit das Tamas und
das Sattvam sich erstrecken, soweit wird auch das Rajas
anerkannt.
4. (1061.) Miteinander verbunden gehen sie ihren Weg;
als Gefahrten in Gesellschaft wandelnd und in Gemeinschaft
ihre Punktionen iibend, wirken sie als Ursachen und nicht
als Ursachen.
5. (1062.) Von ihnen, welche zusammenwirken, indem sie
iibereinander hinausreichen und sich iibertreffen, soil erklart
werden, inwiefern sie iiberall einander unterlegen und iiber-
legen sind.
6. (10C3.) Wo das Tamas iiberwiegt, da findet ein Ein-
gehen in tierische Existenzen statt; in ihnen ist das Rajas
nur in geringem Mafse vorhanden und in noch geringerm
das Sattvam.
7. (1004.) Wo das Rajas iiberwiegt, da findet ein Eingehen
in die mittlere Stromung statt; in ihr ist das Tamas nur in
geringem Mafse vorhanden und in noch geringerm das Sattvam.
8. (1065.) Wo das Sattvam iiberwiegt, da findet ein Ein-
gehen in die Aufwartsstromung statt; in ihr ist das Tamas
nur in geringem Mafse vorhanden und in noch geringerm
das Rajas.
9. (1066.) Das Sattvam ist fiir die Sinnesorgane die in
sie sich umwandelnde und ihnen das Licht spendende Quelle,
denn es gibt keine andere Eigenschaft, welche hoher ware
als das Sattvam.
956 IV. Anugita.
10. (1067.) Nach aufwarts gehen die im Sattvam Stehenden,
in der Mitte befinden sich die Rajashaften, und ab warts gehen
die mit dem untersten Guna behafteten, tamashaften Menschen.
11. (1068.) Das Tamas ist dem Qudra, das Rajas dem Ksha-
triya eigen, das Sattvam als Hochstes dem Brahmanen; so
treten in den drei Kasten die drei Guna's auseinander.
12. (1069.) Schon von weitem zeigt sich, dafs Tamas, Satt-
vam und Rajas, obgleich sie in Verbindung miteinander zu-
sammengehen, doch in ihrer Verschiedenheit bestehen, wie
sie uns iiberhefert worden ist.
13. (1070.) Aber auch durch die Sonne, wenn sie sie auf-
gehen sehen, werden die Ubeltater in Furcht versetzt, und
die Wanderer werden von ihrer Hitze gequalt und empfinden
Schmerz.
14. (1071.) Zwar ist die Sonne iiberwiegend Sattvam, aber
die [von ihr in Schrecken versetzten] Ubeltater sind Tamas,
und die [gleichfalls von der Sonne herriihrende] Hitze und
Qual der Wanderer ist als eine Eigenschaft des Rajas zu be-
trachten.
15. (1072.) Als Erhellung ist die Sonne Sattvam, ihr Er-
hitzen ist eine Eigenschaft des Rajas und ihre Verfinsterung
beim Durchgang durch die Knoten ist als Tamas anzusehen.
16. (1073.) In dieser Weise kehren bei alien Himmels-
lichtern alle drei Guna's wieder und treten abwechselnd auf
bald hier, bald dort, bald so, bald so.
17. (1074.) Bei pflanzlichen Wesen herrscht das auch in das
tierische Dasein hiniiberreichende Tamas ; vermoge des Rajas
aber wandeln sich diese Wesen um [zu hoheren Formen],
und die in ihnen enthaltenen ohgen [sich anschmiegenden]
Bestandteile stammen aus dem Sattvam.
18. (1075.) Dreifach [aus Sattvam, Rajas, Tamas bestehend]
ist der Tag, das soil man wissen, und dreifach ist die Nacht,
sind die Monate, Halbmonate, Jahre, Jahreszeiten und Dam-
merungen.
19. (1076.) Dreifach werden "die Gaben gegeben, dreifach
geht das Opfer vonstatten, dreifach sind die Wei ten, dreifach
die Gotter, dreifach ist die Wissenschaft und dreifach der
Weg [ins Jenseits].
Adhy&ya 39 (B. 39). 957
20. (1077.) Das Vergangene, Gegenwartige und Zukiinftige,
das Gute, Niitzliche und Angenehme, der Prana, Apana und
Udana, alles dies ist aus den drei Guna's bestehend.
21. (1078.) Abwechselnd treten sie hervor, bald hier, bald
dort, bald so, bald so; alles was auf dieser Welt ist, alles
das sind die drei Guna's.
22. (1079.) Die drei Guna's iiben ihre Funktionen, sie
selbst aber bleiben ewig unoffenbar, das Sattvam, Rajas und
Tamas, das ist die ewige Gunaschopfung.
23. (1080.) Das Tamas, das Unentfaltete, die selige Wohn-
statte [des Sattvam], das Rajas, die ewige Wiege, Entstehen,
Sichwandeln und Vergehen, das Pradhanam (die Urnatur),
Ursprung und Vergang,
24. (1081.) das Unvermehrbare und Unverminderbare, Un-
erschiitterliche, Unbewegliche, Seiende und Nichtseiende, dieses
alles ist das aus den drei Guna's bestehende Unentfaltete;
(1082.) seine Namen miissen gekannt werden von Mannern, die
liber das innere Selbst nachdenken.
25. (1083.) Wer alle Namen und Eigenschaften des Un-
entfalteten und die zur Absolutheit fuhrenden Wege kennt,
der wird, wenn er des Leibes ledig ist und das Wesen
der Einteilungen des Unentfalteten versteht, von alien
Guna's erlost und frei von Leiden.
So lautet in der Anuglta der viernndzwanzigste Adhy4ya.
Adhyaya 40 (B. 40).
Vers 1084-1096 (B. 1-13).
Der Gott Brahman sprach:
1. (1084.) Aus dem Unentfalteten favyaklamj ist zuerst
hervorgegangen der Mahan Atma (die grofse Seele, die Welt-
seele), der grofse Weisheit Besitzende; er wird als der An-
fang aller Bestimmungen (gunaj und als die erste Emanation
bezeichnet.
2. (108B.) Der Mahan Atma ist Weisheit, ist Vishnu, der
Siegreiche, und (^ambhu (Qiva), der Gewaltige; er ist Buddhi
958 IV. Anugita.
(Bewufstsein) , Erkenntnis und Wahrnehmung, er ist auch
Ruhm, Starke und Erinnerung.
3. (1086.) Mit diesen synonym gebrauchten Worten wird
der Mahan Atma aufgezeigt; der weise Brahmane, welcher ihn
erkennt, gerat nicht in Verblendung.
4. (1087.) Nach allwarts ist er Hand, Fiifse, nach allwarts
Augen, Haupt und Mund, nach alien Seiten hin horend, die
Welt durchdringend steht er da (Qvet. Up. 3,16).
5. (1088.) Als Purusha von grofser Macht zeigt er sich
klar in eines jeden Herzen, als Atomfeinheit , Leichtigkeit,
Allberiihrung, als Gottherr, Licht, als Ewiger.
6: (1089.) Durch ihn sind mit Bewufstsein fbuddhi) begabt
die Welten und alle, die an wahrem Sein sich freuen, die
Meditierenden, immer des Yoga Beflissenen, dem Versprechen
Treuen, die Sinne Bandigenden,
7. (1090.) und alle, welche reich an Erkenntnis, ohne Be-
gierde und frei von Zorn, beruhigten Herzens, standhaft,
selbstlos und ohne Ichbewufstsein sind.
8. (1091.) Alle diese, nachdem sie erlost sind, gehen in
seine Grofsheit ein, und auch der, welcher den heiligen,
hochsten Weg des Mahan Atma kennt,
9. (1092.) namlich, dafs aus dem Ahaiikara die fiinf grofsen
Elemente hervorgehen, Erde, Wind, Ather, Wasser und Licht
als fiinftes,
10. (1093.) und dafs die Wesen in diese fiinf grofsen Ele-
mente verstrickt sind. Diese [die Wissenden], obgleich sich
befassend mit Tonen, Gefuhlen, Gestalten, Geschmacken und
Geriichen,
11. (1094.) sind beim Untergang der grofsen Elemente,
und wenn die Vernichtung bevorsteht, unter alien Lebenden
die Weisen, [wahrend fiir die iibrigen] eine grofse Frucht
entsteht.
12. (1095.) Aber er, der Weise, verfallt in alien Welten
[die er bewohnt] nicht in Verblendung, sondern er wird zu
Vishnu, wird zu dem iiber die Urschopfung herrschenden
Svayambhu.
13. (1096.) Wer in dieser Weise den in der Hohle des
Herzens wohnenden Herrn kennt, den hochsten, alten.
Adhyaya 40 (B. 40). 959
allgestaltigen Purusha, den Goldfarbigen, der die hochste
Zuflucht der Weisen ist, der besteht als Weiser, als iiber
alle Weisheit Erhabener.
So lautet in der Anugiti dor fUnfundzwanzigste Adhyiya.
Adhyaya 41 (B. 41).
Vers 1097-1101 (B. 1-5).
Der Gott Brahman sprach :
1. (1097.) Jener zuerst entstandene Mahan wird weiterhin,
wenn er sich zu dem Bewufstsein, ein Ich zu sein, fort-
entwickelt, Ahankara genannt und heifst die zweite Emanation.
2. (1098.) Der Ahankara ist [einerseits] der Ursprung der
Eiemente und ist schon Produkt eines Produkts [namlich des
Mahan] ; vermoge des [in ihm enthaltenen] Tejas (= Kajas)
und sofern er die Geistigkeit [des Purusha] in sich befafst,
wird er zur Schopfung der Geschopfe, d. h. zu Prajapati.
3. (1099.) Er ist als Ursprung der Gotter ein Gott und als
Ursprung des Manas der Schopfer der drei Welten; er fiihrt
seinen Namen davon, dafs er in dem Bewufstsein des Ich auf
das ganze Weltall seine Absicht richtet.
4. (1100.) Diese ewige Welt aber wird denen zuteil, welche
als Muni's sich an der Erkenntnis der innern Seele sattigen,
ihr Selbst zubereiten und in Vedastudium und Opfer zur Voll-
kommenheit gelangt sind.
5. (1101.) Dem vermittelst des Ahankara jene Guna's
an sich Raffenden [Purusha] schafft er [der Ahankara]
als Ursprung der Eiemente [die Welten], und als Schopfer
der Wesen bringt er, das Produkt-Produkt, diese ganze
Welt in Bewegung und belebt sie vermoge des ihm inne-
wohnenden Tejas (Rajas).
So lautet in der Aniigita der sechsundzwanzigstc Adhy&ya.
960. IV. Anugita.
Adhyaya 43 (B. 43).
Vers 1102-1169 (B. 1-67).
Uer Gott Brahmau sprach :
1. (1102.) Aus dem Ahankara sind erzeugt worden die
fiinf grofsen Elemente, die Erde, der Wind, der Ather, die
Wasser und das Licht als fiinftes.
2. (1103.) In diese fiinf grofsen Elemente sind die Wesen
verstrickt, namlich in Tone, Gefiihle, Gestalten und in die Ver-
richtungen des Schmeckens und Fiihlens (vgl. oben, Vers 1093).
3. (1104.) Beim Untergang der grofsen Elemente, und wenn
die Vernichtung bevorsteht, [sind nicht verstrickt] unter
alien Lebenden die Weisen, [wahrend fiir die iibrigen] eine
grofse Furcht verkiindigt wird.
4. (1105.) Dann lost sich jedes Element in dasjenige Ele-
ment auf, woraus es entstanden ist [Erde in Wasser, Wasser
in Feuer, Feuer in Wind, Wind in Ather], sie losen sich auf
in der umgekehrten Ordnung, als wie sie auseinander ent-
standen sind.
5. (1106.) Wenn dann jedes unbewegliche und bewegliche
Wesen sich auflost, dann sind es die Weisen, Gedenkenden,
welche sich nimmermehr auflosen.
6. (1107.) Aber Ton, Gefiihl, Gestalt, Geschmack und Ge-
ruch als fiinfter, diese Tatigkeiten, welche immer blofse Organe
sind, sind verganglich und werden Verblendung genannt.
7. (1108.) Durch Begierde und Zeugung entstanden, ohne
Unterschied [aus den fiinf Elementen bestehend], ohne Reali tat,
als Aggregate von Fleisch und Blut voneinander zehrend,
8. (1109.) werden sie aufserliche Selbste genannt und sind
elend und erbarmlich lebend. — Ferner der Prana und Apana,
der Udana, Samana und Vyana,
9. (1110.) diese bestimmten fiinf Winde gehoren schon dem
innern Selbst an; zusammen mit Rede, Manas und Buddhi
bilden sie die achtwesenhafte Welt.
10. (1111.) Haut, Geruch, Gehor, Gesicht, Geschmack und
Rede, wer diese im Zaume halt und sein Manas rein und seine
Buddhi|nicht abirrend hat.
Adhy&ya 42 (B. 42). 961
11. (1112.) bei wem diese acht Feuer nicht fort und fort
den Geist verbrennen, der geht ein zu jenem lautern Brah-
man; iiber den hinaus gibt es nichts Hoheres.
12. (1113.) Nun will ich die elfe, welche man die Sinnes-
organe nennt und welche aus dem Ahankara erzeugt sind,
euch, o Brahmanen, im einzelnen erklaren.
13. (1114.) Das Ohr, die Haut, die Augen, die Zunge und
die Nase als fiinftes, die Fiifse, das Entleerungs- und
Zeugungsorgan, die Hande und die Rede als zehntes,
14. (1115.) das ist die Schar der Sinnesorgane , und das
Manas ist das elfte; diese Schar mufs man zuerst iiberwinden,
dann. kommt das Brahman zur Erscheinung.
15. (1116.) IJnter ihnen zahlt man fiinf Erkenntnisorgane
und fiinf Tatorgane; namlich fiinf, das Ohr usw. , gibt es,
welche ihrem Wesen nach mit Erkenntnis verbunden sind,
16. (1117.) hingegen sind da die anderen, welche kein
Unterscheidungsvermogen besitzen, aber mit einer Tatigkeit
verbunden sind ; zu beiden Arten gehort das Manas ; aber die
Buddhi ist die zwolfte.
17. (1118.) Damit sind diese elf Sinnesorgane der Reihe
nach aufgezahlt; die Weisen halten ihre Aufgabe fiir voll-
endet, wenn sie diese kennen.
18. (1119.) Weiterhin will ich jedes Organ nach seinen
verschiedenen Beziehungen erklaren. Zuerst entstanden ist
der Ather; in bezug auf das Selbst heifst er das Ohr,
19. (1120.) in bezug auf die Dinge der Ton, in bezug auf
die Gottheit die [Gottheiten der] Himmelsgegenden. Das
zweite Element ist der Wind ; in bezug auf das Selbst heifst
er die Haut,
20. (1121.) in bezug auf die Dinge das Gefiihlte, in bezug
auf die Gottheit der Blitz. Das dritte Element heifst das
Licht; in bezug auf das Selbst heifst es Auge,
21. (1122.) in bezug auf die Dinge die Gestalt, in bezug
auf die Gottheit die Sonne. Das vierte Element ist das
Wasser; in bezug auf das Selbst heifst es Zunge,
22. (1123.) in bezug auf die Dinge der Geschmack, in bezug
auf die Gottheit der Soma (Mond). Die Erde ist das fiinfte
Element; in bezug auf das Selbst heifst sie die Nase,
I)£T7gEEir, MahAbh&ratam. Q^
962 IV. Amigita.
23. (1124.) in bezug auf die Dinge der Geruch, in bezug
auf die Gottheit der Vayu (Wind). Damit ist von den fiinf
Elementen ihre Beziehung zu den dreien erkl^rt.
24. (1125.) Weiterhin will ich jedes [Tat-] Organ nach
seinen verschiedenen Beziehungen erklaren. In bezug auf das
Selbst wird das erste von den Brahmanen, welche die Wahr-
heit schauen, die Fiifse genannt;
25. (1126.) in bezug auf die Dinge heifst es das zu Be-
tretende, in bezug auf die Gottheit der Vishnu. Das Ent-
leerungsorgan heifst in bezug auf das Selbst der nach unten
gehende Apana,
26. (1127.) in bezug auf die Dinge die Entleerung, in bezug
auf die Gottheit der Mitra. Das Zeugungsorgan heifst in
bezug auf das Selbst der Erzeuger aller Wesen,
27. (1128.) in bezug auf die Dinge der Same, in bezug
auf die Gottheit der Prajapati. Die Hande werden so ge-
nannt in bezug auf das Selbst von Menschen, welche wissen,
was sich auf das Selbst bezieht,
28. (1129.) in bezug auf die Dinge heifsen sie Handlungen,
in bezug auf die Gottheit der Qsikra. (Indra). Die von hier
zunachst folgende ist in bezug auf das Selbst die alle Gotter
preisende Rede,
29. (1130.) in bezug auf die Dinge das Gesprochene, in
bezug auf die Gottheit der Vahni (das Feuer). Das Manas,
welches das Wesen der fiinf Elemente auskundschaftet, heifst
so in bezug auf das Selbst,
30. (1131.) in bezug auf die Dinge heifst es Saiikalpa (Vor-
stellung, Wille), in bezug auf die Gottheit heifst es der Can-
dramas (Mond). Der Ahahkara, der den ganzen Sansara be-
wirkt, heifst so in bezug auf das Selbst,
31. (1132.) in bezug auf die Dinge heifst er die Ichbeziehung
fabhimdnaj, in bezug auf die Gottheit der Rudra, Die Buddhi,
welche die sechs Sinnesorgane [Manas und Erkenntnissinne]
durchwaltet, heifst so in bezug auf das Selbst,
32. (1133.) in bezug auf die Dinge das Erkennbare, in
bezug auf die Gottheit der Gott Brahman. — Drei Orte gibt
es fiir die Wesen, ein vierter ist nicht vorhanden:
33. (1134.) das feste Land, das Wasser und der Ather.
Adhy^ya 42 (B. 42). 963
Vierfach ist die Entstehung der Wesen, als Eigeborene, Sprofs-
geborene, Schweifsgeborene fsamsvedajaj und Eihautgeborene.
34. (1135.) In dieser Weise wird als vierfach die Geburt der
Wesenschar erkannt. Noch andere Wesen nebst den Vogeln
35. (1136.) soil man als Eigeborene wissen, sowie auch
alle kriechenden Tiere. Schweifsgeborene heifsen die Wiirmer
und andere Geschopfe nach ihrer Ordnung;
36. (1137.) dieses wird die zweite Geburt und auch die
geringere genannt. Diejenigen Wesen aber, welche geboren
werden, indem sie im Verlaufe der Zeit die Erde durchbrechen,
37. (1138.) werden Sprofsgeborene genannt von den besten
Br^hmanen. Die Zweifiifsler und die Vielfiifsler, welche wage-
rechten Gang haben,
38. (1139.) heifsen Eihautgeborene und sind auch von
mancherlei Art, o ihr Besten. — Zweifach ist aber weiter die
ewige Zugangspforte zu Brahman,
39. (1140.) namlich Askese und heiliges Werk; so lehren
es die Wissenden. Mannigfach ist das Werk ; Opferwerk und
Geschenke bei seiner Feier,
40. (1141.) sowie auch heilige Belehrung der Jugend ; das
ist das Gebot der Alton. Wer dieses nach der Vorschrift
weifs und ihm ergeben ist, der ist, o Brahmanenstiere,
41. (1142.) erlost von allem Bosen; darum sollt ihr es
wohl merken. Der Ather ist als erster entstanden; in bezug
auf das Selbst heifst er das Ohr,
42. (1143 = 1120.) in bezug auf die Dinge der Ton, in bezug
auf die Gottheit die [Gottheiten der] Himmelsgegenden. Das
zweite Element ist der Wind ; in bezug auf das Selbst heifst
er die Haut,
43. (1144 = 1121.) in bezug auf die Dinge das Gefiihlte, in
bezug auf die Gottheit der Blitz. Das dritte Element heifst
das Licht; in bezug auf das Selbst gilt es als das Auge,
44. (1145 = 1122.) in bezug auf die Dinge als die Gestalt,
in bezug auf die Gottheit als die Sonne. Das vierte Element
ist das Wasser; in bezug auf das Selbst gilt es als die Zunge,
45. (1146 vgi. 1123.) in bezug auf die Dinge als der Mond,
in bezug auf die Gottheit als das Wasser. Entsprechend ist
die Lehre in bezug auf das Selbst [sowie auf die Dinge und
61*
964 IV. Anuglta.
die Gottheit bei den iibrigen]; sie ist euch schon von mir
mitgeteilt worden [oben, Vers 1123—1133].
46. (1147.) Denn die Erkenntnis davon habt ihr, o Pflicht-
kundige, hier vernommen von denen, welche Kenntnis haben
von den Sinnesorganen , den Sinnesobjekten und den funf
grofsen Elementen. (ii48.) Dieses alles nehme man in sich
auf und iiberlege es in seinem Geist.
47. Wenn der Geist voUstandig erlischt, so ist kein an-
genehmes Dasein moglich, (1149.) ein solches kommt nur den
mit Erkenntnis begabten Wesen zu, wie die Weisen lehren
48. Nun aber will ich euch verkiindigen jene ein ver-
borgenes Dasein bewirkende, selige (ii5o.) Einkehr, welche in
der Mitte aller Wesen erfolgt durch milde oder rauhe Mittel.
49. Das Verhalten, welchem Tugend nicht mehr fiir
Tugend gilt, welches ohne Anhanglichkeit , einsam und frei
von den Unterschieden ist, (ii5i.) dieses ganz in Brahman auf-
gehende Verhalten nennt man das auf die einzige Statte ge-
richtete Gliick.
50. Der als Weiser die Begierden von iiberallher in sich
zuriickzieht wie die Schildkrote ihre Glieder, (1152.) ein solcher
leidenschaftsloser und nach alien Seiten freier Mann ist
immerfort gliicklich;
51. die Begierden in sein Inneres zuriickdrangend , den
Durst (trishndj vernichtend, absorbiert (1153.) und gegen alle
Wesen wohlwollend und freundlich, wird er tauglich zum
Brahmansein.
52. Durch Niederhaltung aller nach den Dingen trachten-
den Sinnesorgane (1154.) wird in dem Muni, indem er die
Wohnstatten der Menschen meidet, das Feuer des eigenen
Selbstes entziindet.
53. So wie das durch Brennholz entflammte Feuer mit
grofsem Scheine aufleuchtet, (1155.) so wird durch Nieder-
haltung der Sinnesorgane der grofse Atman (mahdn dtmdj
aufleuchten.
54. Wenn einer alle Wesen mit ruhigem Selbste in seinem
eigenen Herzen schaut, (1156.) dann „dient er sich selbst als
Licht" (Brih. Up. 4,3,6) und gelangt aus dem Verborgenen
zu dem allerhochsten Verborgenen.
Adhy^ya 42 (B. 42). 965
55. Seine Sichtbarkeit ist Feuer, sein Fliefsendes ist
Wasser, seine Fiihlbarkeit ist Wind, (ii57.) sein scheufsliches
Schmutztragendes ist Erde und sein Horbares ist Ather;
56. von Krankheit und Leid ist er erfiillt, von den fiinf
Strompforten [den fiinf Sinnen] umgeben, (ii58.) aus den fiinf
Elementen zusammengeflochten , mit neun Toren, von zwei
Gottern [der hochsten und der individuellen Seele] bewohnt,
57. unsauber, unansehnlich, dreigunahaft, dreigrundstoff-
haft [Schleim, Galle, Wind], (ii59.) beriihrungssiichtig und vol!
Torheit, — das ist der Leib, das ist gewifs.
58. Uberall in dieser Welt schwer zu behandeln und die
Intelligenz fsattvam) als Stiitze habend, (iieo.) rollt der Leib
in dieser Welt auf dem Wagen der Zeit dahin.
59. Diesen furchtbaren, unergriindlichen, grofsen Ozean,
der da heifst Verblendung, (iiei.) soil man abtun, soil man
vernichten und die unsterbliche Welt in sich zum Erwachen
bringen (vgl. unten. Vers 1243).
60. Begierde, Zorn, Furcht, Habsucht, Tticke und Un-
wahrheit, (1162.) diese alle wirft er durch Unterwerfung der
Sinnesorgane ab, obgleich sie schwer abzuwerfen sind.
61. Wer diese, die Dreigunahaften, Fiinfelementhaften in
der Welt iiberwunden hat, (lies.) dessen Statte ist im Himmel,
dem wird Unendlichkeit zuteil.
62. Ihn, der die fiinf Sinne als grofse Ufer, der den
Drang des Manas als machtige Stromung hat, (ii64.) den Flufs,
der sich zum See der Verblendung ausbreitet, soil man
durchschwimmen und beides iiberwinden, die Begierde und
den Zorn.
63. Dann schaut man, befreit von alien Gebrechen, jenes
Hochste, (1165.) sein Manas in seinem Manas einschliefsend
und das Selbst in seinem Selbste schauend.
64. In alien Wesen allwissend, findet er in seinem Selbste
das Selbst, (1166.) indem er sich in eines oder in viele wandelt,
bald hier, bald dort.
65. Dann durchschaut er vollig die (jrestalten, so wie
man mit einer Fackel hundert Fackeln entziindet, (ii67.) dann
ist er Vishnu und Mitra, Varuna, Agni und Prajapati;
66. dann ist er Schopfer und Ordner, der Herr, der All-
966 IV. Anugita.
gegenwartige , (lies.) dann wird er als das Herz aller Krea-
turen, als der grofse Atman erstrahlen;
67. (1169.) dann werden ihm Brahmanenscharen, Gotter,
Damonen, Halbgotter, Unholde, Manen und Vogel, Ko-
boldscharen, Gespensterscharen und alle grofsen Weisen
fur und fur lobsingen.
So lautet in der Anugita der siebenundzwanzigste Adhy^ya.
AdhyAya 43 (B. 43).
Vers 1170-1211 (B. 1-42).
Der Gott Brahman sprach:
1. (1170.) Der mittlere Guna [Rajas] ist vertreten unter
den Menschen als der Rajanya, der Kshatriya, unter den Zug-
tieren als der Elefant, unter den Waldbewohnern als der Lowe,
2. (1171.) unter alien Haustieren als das Schaf, unter den
Hohlenbewohnern als die Schlange, unter den Kiihen als der
Stier, unter den Weibern als der Mann.
3. (1172.) Der Nyagrodhabaum, der Jambubaum, der Pip-
pala, der Qalmali, der Qingapabaum und der Mesha<?rmga,
sowie die Rohre und Schilfe,
4. (1173.) diese sind die Konige unter den Baumen, daran
ist kein Zweifel. Der Himalaya, der Pariyatra, der Sahya,
der Vindhya und der Trikiitavan,
5. (1174.) der Qveta, der Nila, der Bhasa und der Berg
Koshthavan, der Guruskandha, der Mahendra und der Berg
Malyavan,
6. (1175.) diese sind die Konige unter den Bergen; ebenso
sind es die Maruts unter den Gotterscharen , die Sonne ist
der Fiirst unter den Planeten, der Mond unter den Sternen;
7. (1176.) Yama ist der Fiirst unter den Abgeschiedenen,
der Ozean unter den Fliissen; Varuna gilt als Konig der
Wasser, Indra als Konig der Winde.
8. (1177.) Die Sonne ist der Fiirst unter den Glutkorpern,
der Mond unter den Ilimmelslichtern, das Feuer ist fiir immer
der Herr der Elemente, Brihaspati der Brahmanen,
Adhyaya 43 (B. 43). 967
9. (1178.) Soma ist der Herr der Pflanzen, Vishnu der
Oberste unter den Starken, Tvashtar (der Bildner) ist der
Oberherr der Gestalten, der Beherrscher der Tiere ist Qiva;
10. (1179.) holier als die Weihen steht das Opfer, hoher
als die Gotter Maghavan (Indra) ; an der Spitze der Himmels-
gegenden steht die nordhche, an der der Brahmanen der
machtige Konig Soma.
11. (1180.) Kubera ist der Herr aller Schatze, Purandara
(Indra) aller Gottheiten; diese Schopfung ist der Oberherr
iiber die Elemente und Prajapati iiber die Geschopfe.
12. (1181.) Aber der Oberherr aller Wesen bin ich, der
aus Brahman bestehende Grofse, und es gibt kein hoheres
Wesen als mich oder auch als Vishnu [der mit mir identisch ist].
13. (1182.) Der Oberkonig aller Konige ist Vishnu, der
aus Brahman bestehende Grofse; erkennet seine Gottherrlich-
keit, erkennet ihn als den Schopfer, den Unerschaffenen,
als Hari.
14. (1183.) Uber Menschen, Kinnara's, Yaksha's, Gan-
dharva's, Schlangen, Rakshas, Gotter, Danava's, Naga's, iiber
diese alle ist er der Herr.
15. (1184.) Aber liber alle, denen die Verehrer der Ge-
schlechtslust nachstellen, ist Herrin die schonaugige Mahe-
Qvari, Mahadevi, denn sie ist es,. welche Parvati genannt wird.
16. (1185.) Sie, die Gottin Uma, die Schone, ist die hochste
unter den Frauen, das sollt ihr wissen, aber unter den [iibri-
gen] Weibern sind es die an Schatzen der Liebesfreuden
reichen Apsaras.
17. (1186.) Konige sind Freunde des Rechts, aber die
Briicke des Rechts sind die [den Veda lehrenden Brahmanen] ;
darum soil der Konig bemiiht sein, die Brahmanen zu be-
schiitzen.
18. (1187.) Denn Konige, in deren Reich die Guten Not
leiden, gehen aller ihrer Vorziige verlustig und geraten nach
dem Tode auf Abwege.
19. (1188.) Aber Konige, in deren Reich die Guten Schutz
finden, haben Freude in dieser Welt und geniefsen nach dem
Tode Gluckseligkeit.
20. (1189.) Das ist es, was die Hochherzigen erlangen,
968 IV. Anugita.
das sollt ihr wissen, o Beste der Brahmanen. Weiter will
ich verkiindigen, welches das bestimmte Merkmal der Ge-
rechtigkeit ist.
21. (1190.) Nichtschadigung ist die hochste Gerechtigkeit;
Schadigung ist das Merkmal der Ungerechtigkeit. Das Merk-
mal der Gotter ist das Licht, das Merkmal der Menschen
das Werk.
22. (1191.) Der Ather hat als Merkmal den Ton, der Wind
als Merkmal das Gefiihl; das Merkmal der Lichtelemente ist
die Sichtbarkeit ; das Wasser hat als Merkmal den Geschmack.
23. (1192.) Die Tragerin aller Wesen, die Erde, hat als
Merkmal den Geruch; die aus Vokalen und Konsonanten sich
gestaltende Bharati (Rede) hat als Merkmal den Schall.
24. (1193.) Das Merkmal des Manas ist die Wahrnehmung,
die Wahrnehmung hat die Erkenntnis als Merkmal ; und die
durch das Manas wahrgenommenen Objekte werden determi-
niert durch die Buddhi;
25. (1194.) denn fiir die Buddhi ist charakteristisch das
Determinieren, so dafs kein Zweifel mehr bleibt. Meditieren
ist ein Merkmal des Manas, Im iibrigen ist es das Merkmal
eines guten Menschen, im Verborgenen zu leben.
26. (1195.) Das Merkmal des Yoga ist Tatigkeit [Prana-
yama usw.] ; die Erkenntnis ist das Merkmal der Entsagung ;
darum soil der Weise die Erkenntnis ins Auge fassen und
sodann entsagen.
27. (1196.) Der mit Erkenntnis ausgeriistete Entsagende
erlangt das hochste Ziel; die Gegensatze iiberschreitend, er-
langt er es, indem er Finsternis, Tod und Alter hinter sich lafst,
28. (1197.) Was mit der Charakteristik der Gerechtigkeit
zusammenhangt, habe ich euch nach der Vorschrift mitgeteilt.
Weiterhin werde ich vollstandig darlegen, wie die Eigen-
schaften [der Elemente] perzipiert werden.
29. (1198.) Was zunachst den der Erde angehorigen Ge-
ruch betrifft, so wird er perzipiert durch die Nase, und der
in der Nase wohnende Windgott wird zur Erkenntnis des
Geruches verwendet.
30. (1199.) Die Essenz des Wassers ist immer der Ge-
schmack, er wird perzipiert durch die Zunge, und der in der
Adhyaya 43 (B. 43). 969
Zunge wohnende Soma (Mondgott) wird zur Erkenntnis des
Geschmackes verwendet.
31. (1200.) Die Qualitat des Lichtes ist die Sichtbarkeit;
sie wird perzipiert durch das Auge, und der allezeit im Auge
wohnende Sonnengott wird zur Erkenntnis der Sichtbarkeit
verwendet.
32. (1201.) Dem Winde ist allezeit angehorig das Gefiihl,
und es wird perzipiert durch die Haut, und der allezeit in
der Haut wohnende Windgott wird beim Fiihlen verwendet.
33. (1202.) Die Qualitat des Athers ist jene bekannte und
wird perzipiert durch das Ohr, und die Gottheiten der Himmels-
gegenden, welche samtlich im Ohre wohnen, werden genannt
als helfend bei der Erkenntnis des Tones.
34. (1203.) Die Qualitat des Manas ist die Wahrnehmung,
und sie wird perzipiert durch das Bewufstsein, und die im
Herzen wohnende geistige Essenz wird verwendet bei der Er-
kenntnis des Manas.
35. (1204.) Die Buddhi wird an dem Determinieren [er-
kannt] und der Mahan am Erkennen ; durch ihr determinieren-
des Perzipieren wird das Undeutliche zum Deutlichen, so dafs
kein Zweifel bleibt.
36. (1205.) Ohne Merkmal wird perzipiert der bestandige,
seiner Natur nach gunalose Kshetrajna (das Subjekt des Er-
kennens); darum ist der Kshetrajna ohne Merkmal und hat
als Kennzeichen nur das Bewufstsein.
37. (1206.) Das Avyaktam (die Prakriti) wird als Kshetram
[Wohnsitz des Kshetrajfia] bezeichnet und als das, aus wel-
chem die Guna's hervortreten und worein sie wieder zuriick-
gehen; wenn ich mich in dasselbe aufgelost haben werde,
dann werde ich es bestandig sehen, horen und erkennen.
38. (1207.) Dieses [Kshetram] erkennt der Purusha, darum
wird er Kshetrajfia genannt; und auch die Entwicklung der
Guna's, wie sie vor sich geht, schaut der Kshetrajfia voll-
standig.
39. (1208.) Anfang, Mitte', Niedergang und Ende erfahrt
das Ungeistige, indem es geschaffen wird ; die Guna's konnen
den Atman nicht erkennen, obgleich sie immer wieder und
wieder geschaffen werden.
970 IV. Aimgita.
40. (1209.) Keiner findet die Wahrheit, sondern der Kshe-
trajfia ist es, der sie findet, sie, die Grofse, Allerhochste,
welche iiber Guna's und Gunaprodukte erhaben ist.
41. (1210.) Darum soil der des Rechten Kundige die Guna's
und sogar das Sattvam hinter sich lassen und frei von Siinde
und iiber die Guna's erhaben in den Kshetrajfia eingehen.
42. (1211.) Frei von den Gegensatzen, vom Verehren und
vom Svaha-rufen, wird er zum unerschiitterlichen , heimat-
losen Kshetrajfia, welcher der hochste Herr ist.
So lautet in der Auugita der aohtundzwanzigste Adhy&ya.
Adhyaya 44 (B. 44).
Vers 1212-1233 (B. 1-22).
Der Gott Brahman sprach:
1. (1212.) Was Anfang, Mitte und Ende hat und ein Mittel
besitzt, durch das es perzipiert wird, und was auch mit dem
Merkmal eines Namens verbunden ist, das alles will ich der
Wahrheit gemafs erklaren.
2. (1213.) Der Tag ist der Anfang, und ihm folgt die
Nacht. Die Monate haben die helle Monatshalfte als Anfang.
Die Sternbilder beginnen mit dem Sternbilde Qravana (Aquila),
die Jahreszeiten mit dem QiQira [der kalten Jahreszeit, Mitte
Januar bis Mitte Marz].
3. (1214.) Die Erde ist der Ursprung (Anfang) der Ge-
riiche, das Wasser der Geschmacke, das Licht, die Sonne,
der Gestalten, der Wind der Gefiihle,
4. (1215.) und der Ather ist der Ursprung des Tones. Das
ist die Qualitat, wie sie von jedem Element hervorgebracht
wird. — Weiter will ich den letzten Ursprung der Wesen
erklaren.
5. (1216.) Die Sonne ist der Ursprung der Lichter, das
Feuer (die Warme) der Ursprung der Wesen, die Savitri [die
Sonnenstrophe, Rigveda 3,62,10] aller Wissenschaften, Praja-
pati aller Gotter.
6. (1217.) Der heilige Laut Om ist der Ursprung aller
Adhyaya 44 (B. 44). 971
Veden, der Aushauch aller Worte; alles was in dieser Welt
vedisches Gebot ist, wird unter dem Worte Savitri befafst.
7. (1218.) Die Gayatri ist der Anfang der Versmafse, die
Schopfung der Anfang der Geschopfe ; die Kiihe sind der An-
fang der Vierfiifsler, die Brahmanen der Menschen.
8. (1219.) Der Adler ist der erste unter den Vogeln, das
Opfer die hochste unter den Verehrungen, das edelste unter
alien kriechenden Tieren ist die Schlange, o Beste der
Brahmanen.
9. (1220.) Das erste aller Weltalter ist ohne Zweifel das
Kritam, unter alien Kleinodien steht das Gold, unter alien
Pflanzen die Gerste am hochsten.
10. (1221.) Unter allem Efsbaren und Geniefsbaren gilt als
Hochstes die [Reis-] Speise , und unter allem Fliissigen und
Trinkbaren das Beste ist das Wasser.
11. (1222.) Aber unter alien pflanzlichen Wesen ohne Aus-
nahme steht obenan der Plaksha (Feigenbaum) als ewig ge-
heiligter Wohnsitz des Brahman.
12. (1223.) Ich iiberrage alle Prajapati's (Schopfer) ohne
Zweifel, mich aber Vishnu; als der Unausdenkbare, Durch-
sichselbstseiende wird er gefeiert.
13. (1224.) Von alien Bergen gilt der grofse Meru als Erst-
geborener, iiber Himmelsgegenden und Zwischengegenden er-
haben steht als erste die ostliche Himmelsgegend da.
14. (1225.) Ebenso gilt die auf drei Wegen [Himmel, Erde
und Unterwelt] fliefsende Gaiiga als die Erstgeborene unter
den Fliissen, aber unter alien Gewassern und Wasserbehaltern
als Erstgeborener gilt der Ozean.
15. (1226.) Unter Gottern, Damonen, Geistern, Kobolden,
Schlangen, Unholden, Menschen, Halbmenschen und Halb-
gottern ist tgvara (Qiva) der Hochste.
16. (1227.) Aber der Ursprung der ganzen Welt ist Vishnu,
der aus Brahman bestehende Grofse; hoher als er ist kein
Wesen in dieser ganzen dreifachen Welt.
17. (1228.) Unter alien Lebensstadien steht ohne Zweifel
der Stand des Hausvaters obenan; der Ursprung der Welten
und ebenso das Ende von allem ist das Avyaktam (Prakriti).
18. (i'J29.) Das Ende der Tage ist der Sonnenuntergang, das
972 IV. Anugita.
Ende der Nacht der Sonnenaufgang; das Ende derLust ist immer
Leid, das Ende des Leides ist immer Lust (vgl. oben, S. 113).
19. (1230.) Alle Anhaufungen endigen mit Vernichtung,
alle Erhebungen mit Herabstiirzen ; Verbindung endet mit
Trennung, das Leben mit dem Tode.
20. (1231.) Alles Entstandene endet mit Vergang, allem
Geborenen ist der Tod gewifs; nicht dauernd ist in dieser
Welt stets das Unbewegliche und das Bewegliche.
21. (1232.) Opfer, Schenken, Askese, Vedastudium, Ge-
liibde und Observanzen, alles dieses geht zu Ende, aber ein
Ende der Erkenntnis gibt es nicht.
22. (1233.) Darum soil man durch reines Erkennen sein
Selbst beruhigen, seine Sinne bezahmen; dann wird man ohne
Selbstsucht, ohne Ichbewufstsein und erlost von allem Ubel
werden.
So lautet in der Anugita der neunundzwanzigste Adhyaya.
Adhyaya 45 (B. 45).
Vers 1234-1258 (B. 1-25).
Der Gott Brahmau sprach:
1. (1234.) Die Buddhi ist sein Kernstiick, das Manas ist
sein Speichenwerk, die Schar der Sinnesorgane ist sein Rad-
kranz, die grofsen Elemente sind seine Felgen [die Schulter-
stiicke des Radkranzes], die Griindung des Haushaltes ist
sein Reifen;
2. (1235.) mit Alter und Kummer ist es behaftet, in Krank-
heit und Leidenschaft sein Dasein fristend, in Raum und Zeit
hinrollend, von Ermiidung und Anstrengung knarrend;
3. (1236.) Tag und Nacht umstauben es, Kalte und Hitze
umkreisen es, die Zustande von Lust und Leid umschlingen
es, Hunger und Durst umnageln es;
4. (1237.) durch Schatten und Glut zerkratzt, im Schliefsen
und Offnen der Augen erzitternd, von dem furchtbaren Wasser
der Verblendung bespritzt, rollt es dahin ohne Bewufstsein.
5. (1238.) Monate und Halbmonate zahlen seine Um-
drehungen, so rollt es holpernd durch die Welt, aufgehalten
Adhy^ya 45 (B. 45). 973
durch den Schlamm des Tamas, fortgetrieben durch den
Drang des Rajas;
6. (1239.) vom grofsen Ahankara in Glut versetzt, von den
Guna's in Drehung erhalten, erleidet es den Widerstand
hemmender Unlust und roUt hin in krampfendem Schmerze;
7. (1240.) an Tatigkeit und Ursache gekettet, von Leiden-
schaften aufgehalten, lang hinrollend, von Begierde und Hab-
sucht geschlittelt, in mannigfachem Nichtwissen sein Dasein
fristend,
8. (1241.) von Furcht und Verblendung umhiillt, bewirkt
es Verwirrung der Wesen, bewegt sich durch Liiste und
Freuden, verstrickt sich in Begierde und Zorn;
9. (1242.) das ist das vom Mahan bis zu den Vigesha's
(spezifische Quahtaten) sich erstreckende , unaufhaltsame,
ewig neu entstehende, wie die Wiinsche schnell und von den
Wiinschen gehatschelt dahinrollende Rad der Zeit.
10. (1243.) Dieses an die Gegensatze gebundene und des
Geistigen ermangelnde Rad der Zeit soil man abtun, soil
man vernichten und die unsterbliche Welt in sich zum Er-
wachen bringen (vgl. oben, Vers iiei).
11. (1244.) Wer sich die Bewegung und den Stillstand
des Rades der Zeit der Wahrheit gemafs immerfort zum Be-
wufstsein bringt, der Mann bleibt unter den Wesen ohne
Verblendung.
12. (1245.) Befreit von alien Einpragungen fsamsMraJ, er-
lost von alien Gegensatzen, befreit von alien Ubeln, erlangt
er das hochste Ziel.
13. (1246.) Der Hausvater, der Brahmanschiiler, der Wald-
einsiedler und der Bettler [d. h. der Sannyasin], das sind die
vier Lebensstadien ; sie alle haben ihre Wurzel im Stadium
des Hausvaters.
14. (1247.) Alle heiligen Lehren, welche in dieser Welt
anbefohlen werden, diese zu Ende durchzufiihren ist das Beste,
ihre Anbefehlung ist eine ewige.
15. (1248.) Durch Weihen zuerst zubereitet und das Ge-
Itibde gehorig befolgend, moge der Wahrheitswisser in einem
durch Tugend ausgezeichneten Lebenslaufe verharren.
974 IV. Anugita.
16. (1249.) Mit der eigenen Gattin sich immer begniigend,
den Wandel der Guten fuhrend und seine Sinne bezahmend,
soil er hienieden die fiinf grofsen Opfer [fiir die Gotter, Eishi's,
Manen, Menschen und Tiere] im Glauben darbringen,
17. (1250.) essend, was Gotter und Gaste iibriglassen, an
den Vedawerken sich erfreuend und Opfer und Spenden iibend
nach Kraft und mit Lust.
18. (1251.) Nicht hastig mit Handen und Fiifsen, nicht
hastig mit den Augen ist der Muni, noch auch hastig mit
Rede und Gliedern, so ist der Kreis, in dem sich der Gute
bewegt.
19. (1252.) Immer trage er die heilige Opferschnur und
ein weifses Kleid mit reinem Geliibde, bestandig in Bezahmung
und Geben, weile er immer in Gesellschaft der Guten.
20. (1253.) Geschlechtsglied und Bauch im Zaume haltend,
freundlich und den Wandel der Guten befolgend, trage er
den Bambusstab und den Wasserkrug.
21. (1254.) Studieren und Lehren betreibe er, sowie das
Opfern fiir sich und andere, das Geben und das Nehmen,
diese sechsfache Tatigkeit soil er iiben.
22. (1255.) Drei Tatigkeiten, das soil man wissen, dienen
zu der Brahmanen Lebensunterhalt : das Opfern fur andere
und das Lehren, diese beiden und das Annehmen der Gaben
von einem, der rein ist.
23. (1256.) Ferner was die iibrigen drei Werke betrifft,
namlich Geben, Studieren und Opfern, so liegen ihm diese
als Pflicht ob.
24. (1257.) In diesen drei Werken soil der Pflichtkundige
behutsam sich iiben; bezahmt, freundlich, geduldig und bei
alien Wesen gleichmiitig soil der Muni sein.
25. (1258.) Wenn der Brahmane alles dieses nach Kraften
und in reiner Absicht ausiibt, dann wird er als ein diesem
hingegebener und sein Geliibde scharf ausiibender Hausvater
den Himmel erwerben.
So lautet in der Anngitd. der dxeifsigste Adby&ya.
Adhyaya 46 (B. 46). 975
Adhytiya 46 (B. 46).
Vers 1259-1316 (B. 1-58).
Der Gott Brahman sprach:
1. (1259.) Wenn er so auf dem vorher beschriebenen Wege
der Vorschrift gemafs nach Kraften studiert und ebenso die
Keuschheit beobachtet hat,
2. (1260.) an seiner Pflicht sich erfreuend, weise, alle Sinne
bezahmend, schweigsam, hingegeben dem, was dem Lehrer
lieb und niitzlich ist, Wahrlieit und Recht als das Hochste
schatzend und rein,
3. (12G1.) moge er mit Erlaubnis des Lehrers die Nahrung
zu sich nehmen, ohne sie zu tadeln, von Opfergaben und Er-
betteltem sich nahrend, stehend, sitzend und wandelnd [wie
es der Lehrer befiehlt],
4. (1262.) zweimal am Tage im Feuer opfernd, sich rein
haltend und gesammelt. Er moge allezeit den Stab aus Bilva-
holz oder Palagaholz tragen.
5. (1263.) Aus Leinwand, Baumwolle oder aus einem Anti-
lopenfelle gefertigt, ganz gelbhch oder rot oder wie es sonst
der Zwiegeborene tragt, sei das Gewand.
6. (1264.) Sein Giirtel sei aus Munjagras, er trage die
Haarflechte und habe immer Wasser zur Hand ; mit der Opfer-
schnur sei er umgiirtet, dem Studium ergeben, nicht begehr-
hch, treu in seinem Geliibde.
7. (1265.) Allezeit mit reinem Wasser Erfreuung der Gott-
heiten bewirkend und in seinem Charakter bestandig, so ist
der Brahmacarin des Lobes wiirdig.
8. (1266.) In derselben Weise hingegeben, erobert die
Himmelswelten der seine Sinne iiberwunden habende Wald-
einsiedler (vdnaprasthaj \ er wandert nicht mehr um in Wieder-
geburten, nachdem er die hochste Statte errungen hat.
9. (1267.) Geheiligt durch alle Sakramente und ebenso [wie
der Brahman schiiler] Keuschheit beobachtend, moge er das
Dorf verlassen und im Walde als Einsiedler heimatlos wohnen.
10. (1268.) Sich kleidend in Tierfelle oder Gewander aus
Baumbast, moge er abends und morgens die Waschungen
976 IV. Anugita.
vollziehen, fiir immer im Walde seinen Aufenthalt nehmen
und das Dorf nicht mehr betreten.
11. (1269.) Die Gaste zur Essenszeit ehrend, gewahre er
ihnen auch Unterkunft, wahrend er selbst sich mit Friichten,
abgefallenen Blattern, Wurzeln und Hirse behilft.
12. (1270.) Er halte sich an das vorhandene Wasser, den
Wind und alias, was im Walde vorkommt, und geniefse es
eins nach dem andern, seiner Weihe entsprechend und ohne
es miide zu werden.
13. (1271.) Mit Wurzeln, Friichten und Erbetteltem moge
er den Gast ehren, der ihn besucht; was er zu essen hat,
das Erbettelte, davon gebe er mit, allezeit unermiidlich.
14. (1272.) Er esse allezeit erst nach den Gottern und den
Gasten, indem er das Keden unterdriickt, wenig essend, doch
ohne darein seinen Ehrgeiz zu setzen, auf die Gotter ver-
trauend.
15. (1273.) Bezahmt, wohlwollend, geduldig, Haare und
Bart wachsen lassend, opfernd und fleifsig im Studieren,
Wahrheit und Gerechtigkeit vor allem schatzend,
16. (1274.) rein am Leibe und allezeit wacker, bestandig
im Walde lebend, gesammelten Geistes, — diesem sich hin-
gebend, wird der Waldeinsiedler seine Sinne ilberwinden und
den Himmel erwerben.
17. (1275.) Als Hausvater und als Brahmanschiiler oder
auch als Waldeinsiedler moge, wer die Erlosung zu erlangen
wiinscht, der vollkommensten Lebensweise sich befleifsigen.
18. (1276.) Allen Wesen Furchtlosigkeit gewahrend, moge
er in Untatigkeit verharren, an alien Wesen sich freuend,
wohlwollend, alle Sinne bezahmend und schweigsam.
19. (1277.) Unerbetenes , Unbereitetes , wie es sich gerade
trifft, erlangt er, Almosen sammelnd, indem er dies des Vor-
mittags tut, bei Leuten, wo es nicht mehr raucht und die
schon gegessen haben.
20. (1278.) Erst nachdem die Teller aufgeraumt sind, soil
der Erlosungskundige um Almosen bitten; er soil sich nicht
freuen, wenn er es erhalt, und nicht ungehalten sein, wenn
er nichts erhalt. [Der folgende Halbvers nur in B.] Er soil
Adhyaya 46 (B. 4B). 977
nicht im Ubermafs Almosen fordern, da er imr sein Leben
erhalten will.
21. (1279.) Um sein Leben zu erhalten, soil er mit ruhigem
Gemiite betteln, indem er die Zeit abwartet. Er soil nicht
mit anderen zusammen betteln und er soil nicht essen unter
Ehrenbezeigungen.
22. (1280.) Denn als Bettler soil er es vermeiden, Ehren-
bezeigungen zu empfangen. Wenn die genossenen Speisen
bitter oder herb oder scharf schmecken,
23. (1281.) so soli er den Geschraack nicht beachten, wenn
er ifst, und ebensowenig den siifsen Geschmack. Nur soviel,
um zu leben, soil er essen, nicht mehr als hinreicht, das
Leben zu unterhalten.
24. (1282.) Ohne andere Wesen zu beeintrachtigen , soil
der Erlosungskundige nach seinem Lebensunterhalt streben.
Auch soil er, wenn er bettelt, niemals andere [lies: ant/ad]
Speise fordern [als die, welche man ihm gibt].
25. (1283.) Er soil sich nicht mit seiner Frommigkeit
briisten, sondern ohne Leidenschaft in der Einsamkeit wan-
dern; eine leere Behausung, einen Wald, die Wurzel eines
Baumes oder einen Flufs
26. (1284.) soil er als Obdach aufsuchen oder auch eine
Berghohle. Im Sommer soil er nur eine Nacht durch Be-
sucher eines Dorfes sein, aber wahrend der Regenzeit mag
er an demselben Orte verbleiben.
27. (1285.) Sein Weg wird ihm durch die Sonne gezeigt.
Die Erde soil er durchschweifen wie ein Insekt. Zur Schonung
der Wesen soil er, auf die Erde blickend, wandern.
28. (1286.) Er soil keine Vorrate ansammeln und keine
Lieblingsorte haben ; sondern mit reinem Wasser soil er, der
Erlosungskundige, allezeit die Pflicht ausiiben.
29. (1287.) Waschen soil sich der Mensch stets mit frisch-
geschopftem Wasser; Nichtschadigung, Keuschheit, Wahr-
haftigkeit, Geradheit,
30. (1288.) Zornfreiheit , Nichtmurren, Bezahmung allezeit
und Nichthinterbringen, diesen acht Geliibden soil er immer
treu bleiben, seine Sinne bezahmend.
31. (1289.) Immer soil er ein nicht boshaftes, nicht tiickisches,
Deubsbn, Mahd,bhfl,ratam. 62
978 IV. Amigita.
nicht krumme Wege gehendes Betragen einhalten; als Nah-
rung soil er sich den dargebotenen Imbifs schmecken lassen
ohne Neid.
32. (1290.) Nur um sich zu erhalten, soil er essen, und
nur soviel, wie zu seinem Lebensunterhalte dient; so moge
er sich nahren von dem rechtmafsig Empfangenen und nicht
seinen Llisten nachhangen.
33. (1291.) Was iiber Ernahrung und Bedeckung hinaus-
reicht, das soil er unter keinen Umstanden annehmen; soviel,
als er zur Nahrung bedarf, mag er annehmen, und nicht mehr.
34. (1292.) Fiir andere soil er nichts annehmen, noch auch
ihnen etwas mitgeben, nur dafs er als verstandiger Mann
immer abgibt, wo er ein Wesen im Elend sieht.
35. (1293.) Er soil nicht nehmen, was anderen gehort, noch
auch zugreifen, ohne aufgefordert zu sein; in keinem Falle
darf er, wenn er etwas genossen hat, wiederum danach Ver-
langen tragen.
36. (1294.) Erde und Wasser (dpas als Ace), Nahrungs-
mittel, Blatter, Blumen und Friichte mag er nehmen, soweit
sie nicht eingezaunt sind und frei wachsen, wenn er sie
braucht.
37. (1295.) Er soil nicht von einem Kunstgewerbe leben,
noch auch nach Gold trachten; er soil nicht hassen und seine
Belehrung nicht aufdrangen, sondern ohne Zuriistung leben.
38. (1296.) Er soil essen, was kraft seines Glaubens ge-
reinigt ist, soil Zeichendeutungen meiden, wohlgemut leben,
ohne an etwas zu hangen und ohne sich bemerkbar zu machen,
bei wem es auch sei.
39. (1297.) Alles, was mit Wiinschen verbunden ist, und
alles, was mit Schadigungen verbunden ist, sowie alle Ver-
anstaltuhgen , die Menschen zu regieren, soil er nicht be-
treiben, noch auch betreiben lassen.
40. (1298.) Sich alien Verbal tnissen enthebend, soil er
leichtgeschiirzt umherschweifen, gleichmiitig gegeniiber alien
Wesen, den unbeweglichen wie den beweglichen.
41. (1299.) Er soil keinen andern erzittern machen und
auch vor keinem erzittern, alien Wesen Vertrauen einflofsend,
dann wird er ein hochster Kenner der Erlosung genannt.
Adhy^ya -tO (B. 46). 979
42. (1300.) Fiir die Zukunft soil er nicht sorgen, iiber das
Vergangene nicht griibeln und das Gegenwartige nicht achten,
unbekiimmert um die Zeit und ruhigen Gemiits.
43. (1301.) Nicht mit Blicken, nicht mit Gedanken, nicht
mit Worten soil er irgendwo verletzen, nicht offen und nicht
heimlich soil er irgend etwas tun, was verletzen konnte.
44. (1302.) Die Sinnesorgane von iibexallher in sich herein-
ziehend, wie die Schildkrote ihre Glieder, die Sinne, das Manas
und die Buddhi vernichtet habend, verharrt ohne Streben der
aller Wesenheit Kundige.
45. (i3o;5.) Frei von Gegensatzen, von Verehrungefi und
von Heilsrufen, selbstlos, ohne Ichbewufstsein , ohne Erwerb
und Besitz, des Atman teilhaft,
46. (1304.) ohne Wiinsche, ohne Qualitaten, beruhigt, ohne
Anhiinglichkeit und ohne Abhangigkeit, an den Atman sich
haltend und die Wesenheit erkennend, wird er erlost, daran
ist kein Zweifel.
47. (1305.) Jenes, welches ohne Fiifse, Hande und Riicken,
ohne Kopf und ohne Bauch ist, Ihn, der frei von Qualitaten
und Werken, absolut, fleckenlos und bestandig ist,
48. (1306.) jenes, welches ohne Geruch, Geschmack und
Geflihl, ohne Gestalt und Ton ist, jenes Nachfolge Verdienende,
Nichtanhangende und Fleischlose,
49. (1307.) das Sorgenfreie, Unvergangliche, Himmlische,
iiberall Heimische, den in alien Wesen wohnenden Atman, —
wer diesen sieht, der ist unsterblich.
50. (1308.) Zu ihm dringen nicht die Buddhi, nicht die
Sinne, nicht die Gottheiten, nicht Veden, Opfer und Welten,
nicht Askese, noch auch Geliibde,
51. (1309.) zu ihm, dessen nicht durch Merkmale ergreif-
bare Erlangung den Wissenden vorbehalten blieb ; darum wird
nur der, welcher seine merkmallose Beschaffenheit kennt, das
Wesen seiner Beschaffenheit erreichen.
52. (1310.) Hingegeben der hauslichen Pflicht, soil der
Weise einen Wandel des Wissens beobachten; nicht toricht
wandle er dahin, als ware er toricht, doch ohne seiner Pflicht
Unehre zu machen.
53. (1311.) Selbst auf die Gefahr hin, dafs die anderen
62*
980 IV. Anugita.
ihn bestandig verachten, wandle er in dieser Weise ruhig
dahin, doch ohne die Satzung der Guten zu tadeln.
54. (1312.) Wer diesen Wandel sich angeeignet hat, der
wird ein vollkommener Muni genannt, wenn er dabei Sinne
und Sinnendinge sowie die fiinf grolsen Elemente
55. (1313.) nebst Manas, Buddhi [lies : buddhim], Ahankara,
Avyaktam und Purusha, dieses alles, wie es sich gehort, durch-
zahlt, weil ihm die Prinzipien zur Gewifsheit geworden sind.
56. (1314.) Alsdann erlangt er den Himrnel, erlost von alien
Banden. Indem er, der Prinzipienkundige , dieselben in dem
genannten Umfange durchzahlt, moge er sie, wenn das
Ende naht,
57. (1315.) meditieren, feststehend in dem einen Ziele;
dann wird er erlost, keiner Stiitzen mehr bediirftig, frei von
allem, was ihm anhing, wie der Wind in dem Weltraume,
58. (1316.) und frei von Hiillen {koga, cf. Taitt. Up. 2) und
ohne Bedrangnis, erlangt er sodann jenes Hochste.
So lautet in der Anugita der einunddreirsigste Adhyaya.
Adhyaya 47 (B. 47).
Vers 1317-1333 (B. 1-17).
Der Gott Brahman sprach:
1. (1317.) Als Askese haben bezeichnet die Entsagung die
Alten, deren Aussagen Gewifsheit sind; und die Brahmanen,
die im Schofse des Brahman weilen, wissen, dafs die Er-
kenntnis als hochstes Ziel das Brahman hat.
2. (1318.) Uberaus entfernt nach seinem Wesen ist das
Brahman ; es beruht auf dem "Wissen des Veda ; ohne Gegen-
satze ist es und ohne Eigenschaften, ewig, von unausdenk-
barer Natur und das Allerhochste.
3. (1319.) Durch die Erkenntnis und durch die Askese
schauen die Weisen jenes Hochste, sie, welche gereinigten
Geistes und gelautert, frei von Leidenschaften und flecken-
los sind.
4. (1320.) Durch die Askese gehen den ruhigen Weg zum
Adhyaya 47 (B. 47). 981
hochsten Herrn die Menschen, welche allezeit sich an der
Entsagung freuen, und die, welche des Brahman kundig sind.
5. (1321.) Die Askese ist eine Leuchte, so sagt man, ist
der rechte Wandel, der die Pflicht erfiillt, aber die Erkenntnis
fiirwahr ist die hochste Entsagung und der Gipfel der Askese,
das soil man wissen.
6. (1322.) Wer aber die keiner Stiitze bediirfende Erkenntnis
vermoge der Gewifsheit iiber die Prinzipien besitzt, wer den
in alien Wesen weilenden Atman kennt, der gilt fiir allgegen-
wartig.
7. (1323.) Wer als ein Wissender das Einwohnen in den
Wesen und das Getrenntwohnen [des Brahman] von ihnen
sieht, und ebenso seine Einheit und seine Vielf altigkeit , der
wird von Leiden erlost.
8. (1324.) Wer nichts mehr begehrt und nichts mehr ver-
achtet, der ist schon wahrend er in dieser Welt weilt zur
Brahmanwerdung tauglich.
9. (1325.) Wer die Prakriti, die Guna's und die Prinzipien
kennt, wer die Prakriti in alien Wesen weifs, der ist selbst-
los, ohne Ichbewufstsein und wird erlost, daran ist kein Zweifel.
10. (1326.) Ohne Gegensatze, ohne Verehrung und ohne
Svadharuf geht er ruhevoll zu dem Gunalosen, Ewigen, Gegen-
satzlosen ein.
11. (1327.) Aufgebend alles, was aus den Guna's besteht,
und das gute wie das bose Werk aufgebend, beides, das
Wahre und das Unwahre, wird der Mensch erlost, daran ist
kein Zweifel.
12. (1328.) Entspringend aus der Prakriti als Wurzel, die
Buddhi als Stamm habend, grofs, den grofsen Ahaiikara als
Ast habend, die Sinnesorgane als Zweige und Hohlungen
habend,
13. (1329.) iibertrifft er, durch die grofsen Elemente machtig
entfaltet, alle Baume, stets voll Blatter, stets voll Bliiten, gute
und schlechte Friichte hervorbringend
14. (1330.) und alien Wesen den Lebensunterhalt gewah-
rend, — das ist der ewige Brahmanbaum. Der Weise haut
diesen Baum ab und spaltet ihn mit der Erkenntnis der Prin-
zipien als Axt;
982 IV. Aimgita.
15. (1331.) er lost sich von den Stricken der Weltanhang-
lichkeit, welche aus Geburt, Tod und Alter stammen, und
selbstlos und ohne Ichbewufstsein wird er erlost, daran ist
kein Zweifel.
16. (1332.) Jene beiden ewigen Vogel [vielleicht Buddhi
und Ahankara] sind alle beide miteinander ungeistig; aber
der andere, welcher hoher als diese beiden ist, der wird ge-
nannt der Geistige.
17. (1333.) Der [wegen seiner Behaftung mit den Guna's]
ungeistige innere Atman [of. Mai tr. Up. 3,2; Sechzig Upa-
nishad's, S. 323], nachdem er von der ganzen Anzahl
der Wesenheiten befreit ist, wird das iiber die Wesen-
heiten Erhabene inne. Er, der als Ortskenner jene ganze
Anzahl erkannte, iiberschreitet dann die Guna's und wird
von allem Ubel erlost.
So lautet in der Anugitii der zweiunddrcifsigete Adhyaya.
Adhyaya 48 (B. 48).
Vers 1334-1347 (B. 1-13).
Der Gott Brahman sprach:
1. (1334.) Einige glauben, dafs der aus Brahman bestehende
Baum, einige, dafs der grofse Brahman wald, einige, dafs das
Brahman und das Unentfaltete, einige, dafs das hochste Leid-
lose, (1335.) dafs alles dies aus dem Unentfalteten entstehe und
wieder vergehe.
2. Derjenige, welcher, und ware es auch nur beim letzten
Aushauche, zur Zeit des Endes gleichmiitig auf alles blickt
(1336.) und sich auf den Atman zuriickzieht , der ist reif fiir
die Unsterblichkeit.
3. Wenn er, und ware es nur fur einen Augenblick, seinen
Atman in dem Atman befafst, (1337.) so geht er durch die Gnade
des Atman zu dem ewigen Endziele der Wissenden ein;
4. indem er dabei durch die Kegelungen des Atmens die
Lebenshauche wieder und wieder bandigt, (1.338.) sei es durch
zehn Oder zwolf solcher Regelungen, — geht er ein in das,
was hoher als das Vierundzwanzigste ist.
Adhy£lya 48 (B. 48). 983
5. Wer auf diese Weise vorher seinen Atman zur Ruhe
gebracht hat, der erreicht alles, was er wiinscht; (1339.) sein
Sattvam, das [iibrige] Unentfaltete uberragend, ist geeignet,
ihm die Unsterblichkeit zu schaffen.
6. Es gibt nichts anderes, was hoher ware als das Satt-
vam, als solches riihmen es hienieden die, welche es kennen ;
(1340.) durch Folgerung erkennen wir den Purusha, der sich
auf das Sattvam stiitzt.
7. Nicht kann man auf andere Weise zum Purusha ge-
langen, o ihr Besten der Zwiegeborenen. (1341.) Geduld, Festig-
keit und Nichtschadigung , Gleichmiitigkeit , Wahrhaftigkeit,
Geradheit, Erkenntnis, Freigebigkeit und Entsagung, diese
geUen als die Funktionen des Sattvam.
8. (1342.) Durch eben jene Folgerung erkennen die Weisen,
dafs es ein Sattvam und einen Purusha [als verschieden]
gibt, daran ist kein Zweifel.
9. (1343.) Einige Gelehrte, die in der Erkenntnis wohl-
bewandert sind, behaupten die Einheit des Kshetrajna [Purusha]
und des Sattvam; aber das geht nicht an;
10. (1344.) denn das Sattvam ist von jenem verschieden,
daran ist nicht zu zweifeln, und man mufs ihre gesonderte
Existenz anerkennen, sowie auch, dafs dieselbe in Wahrheit
durch Verwandtschaft verbunden ist.
11. (1345.) In dieser Weise ist ihre Einheit und Verschieden-
heit nach der Lehrmeinung der Kenner anzunehmen, wie man
ja auch zwischen der Fliege und dem Blatte des Feigenbaumes
eine Einheit und zugleich eine Verschiedenheit wahrnimmt.
12. (1346.) Es ist, wie der Fisch von dem Wasser ver-
schieden ist und doch eine Verbindung zwischen beiden be-
steht, oder wie die Verbindung der Wassertropfen auf dem
Blatte der Lotosblume mit diesem.
Der Lelirer sprach :
13. (1347.) Nachdem jene Brahmanen sich in dieser Weise
mit dem Urvater der Welt besprochen batten, gerieten die
Besten der Muni's abermals in einen Zweifel und fragten
wie folgt.
So lautet in der Anugita der dreiunddreifsigste Adhyftya.
984 IV. Anugita.
Aclhyaya 49 (B. 49).
Vers 1348-1365 (B. 1-17).
Die Rishi's sprachen:
1. (1348.) Welche von den Pflichten gilt hier wohl fiir
die am meisten zu befolgende? Im Widerspruch gleichsam
sehen wir den mannigfachen Weg der Pflicht.
2. (1349.) Einige behaupten, sie bestehe liber den Leib
hinaus, andere sagen, dafs dem nicht so sei; einige halten
die ganze Pflicht fiir zweifelhaft, andere fiir unzweifelhaft.
3. (1350.) Sie sei unverganglich oder sie sei verganglich,
behaupten manche, sie sei nicht real oder sie sei real, meinen
wieder andere. Sie sei einfach oder sie sei zweifach, be-
haupten manche, und wieder einige, sie sei beides zugleich.
4. (1351.) Und auch von Brahmanen, welche das Brahman
kennen und die Wahrheit schauen, meinen einige, sie sei ein-
fach, andere, sie sei mehrfach, und wieder andere behaupten
ihre Vielfachheit.
5. (1352.) Einige behaupten, dafs beide, Raum und Zeit,
real sind, andere leugnen es; einige tragen Haarflechten und
Ziegenfelle, andere gehen kahlkopfig und unbekleidet.
6. (1353.) Man brauche sich nicht zu baden, lehren die
einen, man miisse sich baden, die anderen, und so behaupten
auch Brahmanen (lies: eva), welche das Brahman kennen
und die Wahrheit schauen.
7. (1354.) Einige sind der Meinung, man miisse essen,
andere freuen sich am Fasten; einige empfehlen die Werke,
andere die Untatigkeit.
8. (1355.) [Einige behaupten, dafs beide, Raum und Zeit,
real sind, andere leugnen es ; — diese Wiederholung aus Vers 5
nur in C] Einige riihmen die Erlosung, andere die Geniisse
von mancherlei Art; (1356.) einige trachten nach Reichtum,
andere nach Besitzlosigkeit ; einige sind fiir die Befassung
mit Objekten der Verehrung fiipdsyasddhanamj , andere ver-
werfen dieses.
9. (1357.) Einige halten fest an der Nichtschadigung, andere
legen den grofsten Wert auf die Totung [von Tieren beim
Adhyiya 49 (B. 49). 985
Opfern] ; einige halten auf religioses Verdienst oder auf Ehre,
andere behaupten, dafs es nichts damit sei.
10. (1358.) Einige haben ihre Freude an der [metaphysi-
schen] Realitat, andere bleiben beim Bezweifeln derselben
stehen; wieder andere lassen, die einen aus dem Leiden, die
anderen aus der Lust, die Meditation entspringen.
IL (1359.) Einige Brahmanen empfehlen das Opfern, andere
das Almosengeben, wieder andere die Askese und noch andere
das Studium.
12. (1360.) Einige behaupten, dafs die wahre Wissenschaft
in der Entsagung bestehe, andere finden sie in der Natur
und griibeln nach liber die Elemente; einige loben alles und
andere nicht alles.
13. (1361.) Da in dieser Weise die Pflicht verschieden auf-
gestellt und vielfach in abweichender Weise gelehrt wird,
so kommen wir zu keiner Gewifsheit und sind verwirrt,
0 Bester der Gotter.
14. (1362.) „Dies ist das Beste!" „Nein, dies ist das Beste!"
mit solchen Behauptungen stehen sich die Leute gegeniiber,
und jeder schatzt jedesmal dasjenige als Pflicht, woran er
gerade sein Gefallen findet.
15. (1363.) Darum ist unsere Erkenntnis unsicher und
unser Denken nach vielen Richtungen getrieben, und wir
wiinschen dies erklart zu haben, was das Beste ist, o du Guter.
16. (1364.) Aber auch das Geheimnis, was noch dariiber
hinaus besteht, sollst du, o Herr, uns erklaren, namlich durch
welche Ursache die Verbindung des Sattvam mit dem Kshe-
trajna (der Seele) bedingt ist.
17. (1365.) Nachdem der Weltenschopfer in dieser Weise
von jenen Brahmanen angeredet worden war, teilte es ihnen
der Pflichtbeseelte, Weise der Wahrheit gemafs mit.
So lautct in der Anugitik dor vicrunddreifsigste Adhyftya.
986 IV. Anugita.
Adhyaya 50 (B. 50).
Vers 1366-1423 (B. 1-56).
Der Gott Brahmau sprach :
1. (1366.) Wohlan, ich will euch verkiindigen, o ihrBesten,
wonach ihr mich fragt. Vernehmt denn, was von einem
Lehrer zu seinem Schiiler, der ihm genaht war, einstmals
gesagt wurde.
2. (1367.) Vernehmt es hier vollstandig und haltet durch-
aus daran fest. Nichtschadigung aller Wesen, das ist das
grofse, das hochste Gebot.
3. (1368.) Und dieses ist das unerschiitterliche Ziel, das
Hochste, was als Pflicht bezeichnet wird: die Erkenntnis ist
das hochstfe Gut; so sagten die Alten, welche die Wahrheit
schauten.
4. (1369.) Darum wird man durch reine Erkenntnis von
alien Siinden erlost. Aber alle, welche die Totung [beim
Opfer] hochschatzen und welche das Leben eines Nihilisten
fiihren, (1370.) behaftet mit Begierde und Verblendung, die
fahren zur Holle.
5. Die aber, welche unermiidlich die mit Wiinschen ver-
bundenen Opferwerke vollbringen, (i37i.) die freuen sich in
dieser Welt, in der sie immer wieder geboren werden.
6. Die aber, welche glaubig und weise die Werke so
vollbringen, (1372.) dafs sie dabei eine wiinschelose Hingebung
iiben, die sind verstandig und sehen das Richtige.
7. Weiter nun will ich euch verkiindigen, wie zwischen
dem Sattvam und dem Kshetrajfia (1373.) die Verbindung und
die Trennung erfolgt, das vernehmt, o ihr Besten.
8. Das Objekt- und das Subjektsein, das wird die Ver-
bindung genannt; (1374.) das Subjekt ist immer nur der Purusha,
und das Sattvam wird das Objekt genannt.
9. So, wie es in der obigen Weise (Vers 1345 fg.) an der
Miicke und dem Feigenblatte erlautert wurde, U375.) hat das
Sattvam als Objekt des Genusses keine Erkenntnis und ist
allezeit ohne Bewufstsein; wer aber so [mit Bewufstsein be-
gabt] ist, der erkennt sowohl den, welcher geniefst, als auch
den, welcher genossen wird.
Adhyaya 50 (B. 50). 987
10. (1376.) Das Sattvam ist alJezeit mit den Gegensatzen
behaftet, so sagen die Weisen ; ohne Gegensatze, ohne Telle,
ewig und seinem Wesen nach frei von Guna's ist der Kshe-
trajfia.
11. (1377.) Dieser weilt iiberall in gleicher Weise, dem
Erkennen nachgehend, und geniefst allezeit das Sattvam, wie
ein Lotosblatt das Wasser.
12. (1378.) Obgleich er, der Weise, mit alien Guna's ver-
flochten ist, wird er doch von ihnen niclit befleckt, wie der
bewegliche Wassertropfen , der auf einem Lotosblatte sich
befindet.
13. (1379.) So ist auch der Purusha nicht gebunden, daran
ist kein Zweifel, und das Sattvam dient nur als substantielles
Objekt fiir den Purusha, das ist gewifs.
14. (1380.) Wie zwischen einem materiellen Objekte und
dem, der es bearbeitet, so ist die Verbindung zwischen jenen
beiden. Wie man eine Lampe nimmt und mit ihr im Dunkeln
geht, (1381.) so gehen die, welche nach dem Hochsten trach-
ten, mit dem Sattvam als Lampe.
15. Solange das 01 fdravyamj und der Docht fgunaj be-
stehen, solange leuchtet die Lampe; (1382.) vergehen aber 01
und Docht, so geht auch das Licht verloren.
16. In ahnlicher Weise ist der Guna Sattvam offenbar,
und der Purusha ist nicht oifenbar ; (i383.) das, o Brahmanen,
sollt ihr wissen; wohlan, ich will euch noch mehr sagen.
17. Auch durch tausend [Belehrungen] gelangt der Tor
nicht zur Einsicht; (1384.) auch durch den vierten Teil [einer
Belehrung] gelangt der Verstandige zu gliicklichem Gedeihen.
18. So mul's auch die Vollbringung der Pflicht durch
das rechte Mittel erkannt werden, (i385.) und der Weise, welcher
dieses Mittel kennt, erlangt unendliches Gliick.
19. Wie etwa ein Mann, der eine Reise unternimmt ohne
Wegzehrung, (1386.) nur mit grofser Beschwerde vorwarts-
kommt, ja w^ohl gar unterwegs zugrunde geht,
20. so mufs man bei den Handlungen iiberlegen, ob sie
fruchtbringend sind oder nicht; (1387.) fiir einen Menschen
aber ist die Einsicht in Gutes und Boses fiir seine Seele das
allerheilsamste.
988 IV. Anugita.
21. Und wie einer einen weiten Weg, den er nicht vor-
her kannte, (1388.) unbedachterweise zu Fufs unternimmt, so
ist der, welcher der Einsicht in das wahre Wesen entbehrt.
22. Aber wie einer, der ebendenselben Weg mit einem
schnell dahinrollenden Wagen, (i389.) der von Pferden gezogen
wird, durchlauft, so ist die Fahrt der Verstandigen.
23. Er will einen hohen Berg besteigen und beachtet
nicht die Beschaffenheit des Bodens; (i39o.) siehe, wie er, auf
seinem Wagen hinauffahrend, sich abqualt, der Unverstandige;
24. aber jener andere fahrt auf dem Wagen nur soweit
der Fahrweg reicht, (I39i.) und wo die Wagenspuren auf-
horen, da verlafst er, der Weise, den Wagen und geht zu Fufs.
25. Und so wird der Weise, der die Ordnung der Prin-
zipien und des Yoga kennt, (1392.) der sie vollig durchschaut
und die Guna's versteht, von dem Hohen zu Hoherm und
immer Hoherm sich aufscliwingen.
26. So wie einer sich in den furchtbaren Ozean stiirzt,
ohne Schiff (1393.) und nur mit Hilfe seiner Arme, und in
seiner Verblendung unzweifelhaft dem Untergange zustrebt,
27. und wie hingegen der Weise, der den Unterschied
begreift, ein Schiff mit guten Rudern benutzt, (1394.) ohne Er-
miidung auf dem Wasser hinfahrt und schnell das Meer
durchschifft,
28. aber nach seiner Durchschiffung zum jenseitigen Ufer
gelangt und dort das Schiff [seine empirische Daseinsform]
frei von Ichheit aufgibt, (1395.) das ist in der vorher be-
sprochenen Weise zu erklaren wie bei dem Wagen und dem
Fufsganger.
29. Wer aber aus Haftung [an dem Irdischen], etwa wie
der Fischer an seinem Boote, in Verblendung gerat, (i396.) der
wird vom Egoismus iiberwaltigt und bleibt in ihm befangen.
30. Es ist ja nicht moglich, ein Schiff zu besteigen und
mit ihm auf dem festen Lande zu fahren, (1397.) und ebenso-
wenig kann man einen Wagen besteigen und mit ihm auf
dem Wasser vorwartskommen.
31. Ebenso werden mannigfache Werke vollbracht, welche
sich bald auf diesen, bald auf jenen Gegenstand beziehen,
Adhyaya 50 (B. 50). 989
(1398.) imd wie das Werk in der Welt vollbracht worden ist,
so kommt es ihnen [den Tatern] heim.
32. Das, was als geruchlos, geschmacklos , gestaltlos,
unfiihlbar und unhorbar (1399.) die Weisen durch ihre Einsicht
erkennen, das nennen sie Substanz [Pradhanam = Prakritij.
33. Hierbei ist das Unentfaltete [die Prakriti] die Sub-
stanz, und cine Modifikation fgunaj des Unentfalteten ist der
Mahan. (i4oo.) Ferner von dem Mahan als Substanz ist eine
Modifikation der Ahankara.
34. Aus dem Ahankara aber entspringt eine Modifikation,
welche zu den grofsen Elementen wird; (I40i.) namlich als
Modifikationen der einzelnen Elemente gelten dann weiter die
Sinnendinge.
35. Hierbei dient das Unentfaltete als Same und ist seiner
Natur nach erzeugend. (1402.) Weiter dient der Mahan Atma
als Same und ist auch erzeugt; so ist es uns iiberliefert.
36. Und wiederum dient der Ahankara als Same und
auch er ist erzeugt. (i403.) Aber auch die fiinf grofsen Ele-
mente dienen als Same und sind auch erzeugt.
37. Als Same dienend sind sie [alle die vorgenannten :
Prakriti, Mahan, Ahankara, Mahabhutani] und sind zugleich
erzeugt. (1404.) Die Unterschiede fvigeshdhj der grofsen Ele-
mente werden an ihnen als unterscheidende Merkmale fvigesha-
namj wahrgenommen. [Namlich:]
38. Hierbei hat der Ather eine Qualitat fgunaj, der Wind
zwei Qualitaten, (1405.) das Feuer drei Qualitaten, das Wasser
vier Qualitaten.
39. Fiinf Qualitaten hat die Erde, welche von dem Be-
weglichen und Unbeweglichen erfiillt ist, (1406.) die Gottin,
welche alle Wesen schafft und [in ihren Lebenslaufen] die
guten und bosen Werke zur Offenbarung bringt.
40. Ton, Gefiihl, Sichtbarkeit, Geschmack und Geruch
als fiinfter, (1407.) diese soil man wissen als die fiinf Quali-
taten der Erde, o ihr Besten der Zwiegeborenen.
41. Der Geruch gehort immer nur der Erde an; er ist
aber von vielerlei Art; (i408.) ich will euch ausfiihrlich die
vielen Qualitaten dieses Geruches mitteilen.
42. Angenehmer und unangenehmer Geruch, siifser, saurer
990 IV. Anugita.
und stechender, (1409.) durchdringender , stickiger, milder,
scharfer und reiner,
.43. als soldier ist zehnfach anzunehmen der Geruch,
welcher der Erde angehort. (uio.) Ton, Gefiihl, Sichtbarkeit
und Geschmack (lies : 7'asa) sind die Qualitaten des Wassers ;
44. die Wissenschaft vom Geschmack aber will ich mit-
teilen; der Geschmack aber ist von vielerlei Art, (uii.) als
siifser, saurer, stechender, bitterer, herber und salziger;
45. in dieser Weise ist der dem Wasser angehorige Ge-
schmack von sechsfacher Verbreitung. (1412.) Ton, Gefiihl
und Sichtbarkeit, diese drei Qualitaten hat das Feuer.
46. Die Eigenschaft des Feuers ist die Sichtbarkeit, die
Sichtbarkeit aber ist von vielerlei Art, (i4i3.) als weifs, schwarz,
rot, blau, gelb und rotlichgelb,
47. als kurz, lang, diinn, dick, viereckig und rund.
(1414.) In dieser Weise ist die dem Feuer angehorige Sicht-
barkeit von zwolffacher Verbreitung.
48. Dies soil man erkennen, wie es von den alten, pflicht-
kundigen, wahrheitredenden Brahmanen gelehrt worden ist.
(1415.) Ton und Gefiihl, durch diese beiden wird der Wind als
zwei Qualitaten habend gelehrt.
49. Die Eigenschaft des Windes ist das Gefiihl, das Ge-
fiihl aber ist von vielerlei Art, (1416.) als rau, kalt und warm,
zart und geschmeidig,
50. als steif, schliipfrig, glatt, schleimig, hart und weich.
(1417.) In dieser Weise ist die dem Winde angehorige Qualitat
von zwolffacher Verbreitung [nur elf waren genannt] gelehrt
worden
51. der Kegel gemafs von vollkommenen, pflichtkundigen,
wahrheitschauenden Brahmanen.
52. (1418.) Der Ather hat nur eine Qualitat, und als diese
gilt die des Tones; die vielen Qualitaten des Tones will ich
ausfiihrlich mitteilen.
53. (1419.) Sie sind Tonika, Sekunde, Terz, Quart, Quinte,
ferner Sexte und Septime, (1420.) angenehmer Ton und un-
angenehmer und ein solcher, der aus Teilen zusammengesetzt
ist [ein Akkord].
54. In dieser Weise ist der aus dem Ather entspringende
Adhyaya 50 (B. 50). 991
Ton als zehnfach zu verstehen. (1421.) Der Ather ist das oberste
Element, iiber ihm steht der Ahankara,
55. iiber dem Ahankara die Buddhi, iiber der Buddhi
der Atman, (1422.) iiber diesem das Unentfaltete, iiber dem
Unentfalteten der Purusha.
56. Wer diese Bangs tufe der Wesen kennt und zugleich
die Reihenfolge aller ihrer Funktionen, (1423.) der wird zum
Selbste aller gewordenen Selbste und geht ein zu dem un-
verganglichen Selbste.
So lautet in der Anugtt^ der fUnfunddreifsigsto Adhyiya.
Arthyaya 51 (B. 51).
Vers 1424-1477 (B. 1-52).
Der Gott Brahman sprach:
1. (1424.) So wie das Manas der Beherrscher jener liinf
Elemente ist und wie beim Vergehen und Entstehen das
Manas der Element -Atman ist,
2. (1425.) so ist das Manas auch allezeit der Lenker der
grofsen Elemente ; die Buddhi proklamiert die Herrschaft, und
der, der sie iibt, wird der Kshetrajna genannt.
3. (1426.) Das Manas schirrt die Sinnesorgane an, wie
gute Pferde der Wagenlenker; die Sinnesorgane, das Manas
und auch die Buddhi werden allezeit vereinigt unter der Herr-
schaft des Kshetrajfia.
4. (1427.) Auf diesen von grofsen Pferden gezogenen und
von der Buddhi gelenkten Wagen steigt jener Element-Atman
und fahrt nach iiberall bin.
5. (1428.) Durch die Schar der Sinnesorgane gezogen, das
Manas als Wagenlenker und die Buddhi als Ziigel habend,
so besteht immerdar der grofse, brahmanartige Wagen.
6. (1429.) Wer in dieser Weise als Wissender allezeit den
brahmanartigen Wagen kennt, der unter alien Wesen ist
weise und verfallt nicht in Verblendung.
7. (1430.) Vom Unentfalteten an bis zu den Vigesha's sich
erstreckend, alles Unbewegliche und Bewegliche befassend,
992 IV. Auugita.
einen Anblick gewahrend gleich dem Glanze der Sonne und
des Mondes, mit Planeten und Sternbildern geziert,
8. (1431.) iiberall mit Flufsnetzen und Bergketten ausge-
schmiickt und allerwarts durch mancherlei Gewasser ver-
schonert,
9. (1432.) alle Wesen ernahrend und alles, was Odem hat,
erhaltend, — so ist der ewige Brahmanwald und in ihm wandelt
der Kshetrajna.
10. (1433.) Alle Wesen, wie sie in dieser Welt sind, be-
wegliche und unbewegliche, diese sind es, welche zuerst zu-
grunde gelien, und nach ihnen die aus den Elementen stam-
menden Eigenschaften, (1434.) und nach den Eigenschaften die
fiinf Elemente, so ist die Stufenfolge der Wesen.
11. Gotter, Menschen, Gandharva's, Piqaca's, Damonen
und Rakshasa's, (1435.) sie alle sind durch ihre eigene Natur
geschaffen, nicht durch Tatigkeiten oder die Verursachung
[eines Schopfers].
12. Auch jene weisen Weltschopfer werden hienieden
immer wieder und wieder geboren, (1436.) und die, welche von
ihnen in jenen fiinf grofsen Elementen erzeugt werden, die
gehen mit der Zeit wieder zugrunde, wie die Wellen in
dem Ozean.
13. (1437.) Aber von den selbst auch entstandenen Welt-
schopfern stammen die grofsen Geschopfe allenthalben. Aber
nur wer von alien fiinf Elementen sich befreit hat, geht den
hochsten Gang.
14. (1438.) Der Herr, der Schopfer, hat diese ganze Welt
durch sein Manas erschaffen; aber auch durch das Tapas
sind die Weisen zu den Gottern hinaufgelangt.
15. (1439.) Und durch die Stufenfolge des Tapas werden
die, welche nur Friichte und Wurzeln essen, nachdem sie
durch ihr Tapas zur Vollkommenheit gelangt sind, schon
hienieden die Dreiwelt im Zustande der Meditation schauen.
16. (1440.) Auch Heilkrauter, Arzneien und mancherlei
Wissenschaften allerwarts werden durch das Tapas zustande
gebracht, denn ein solches Mittel hat als Wurzel das Tapas.
17. (1441.) Alles, was schwer zu erlangen, schwer zu lehren,
schwer zu bezwingen, schwer zurechtzubringen ist, das alles
Adhy&ya 51 (B. 51). 993
ist durch Tapas vollbringbar, denn das Tapas ist schwer zu
iiberbieten.
18. (1442.) Der Branntweintrinker, der Brahmanenmorder,
der Dieb, der Toter der Leibesfrucht, der Beflecker des Bettes
des Lehrers, sie alle werden durch wohlentziindetes Tapas
von ihrer Siiiide erlost.
19. (1443.) Menschen, Vater, Gotter, Haustiere, Waldfiere
und Vogel und was sonst noch an Wesen, beweglichen und
unbeweglichen , vorhanden ist,
20. (1444.) sie alle schatzen Tapas als Hochstes, sie alle
erlangen durch Tapas stets die Vollendung, und auch die
mit grofsen Wunderkraften ausgeriisteten Gotter sind nur
durch das Tapas zum Himmel gelangt.
21. (1445.) Diejenigen, welche unermiidlich von Wiinschen
begleitete Opferwerke vollbringen und mit Ichbewufstsein be-
haftet sind, gelangen nur bis zu Prajapati.
22. (1446.) Die aber, welche durch eine reine Hingebung
an die Meditation selbstlos und ohne Ichbewufstsein sind,
diese Hochsinnigen erlangen die grofse, die hochste Welt.
23. (1447.) Hingebung an die Meditation iibend und alle-
zeit beruhigten Geistes, gehen in das Unentfaltete mit seiner
Fiille von Freuden die vollkommenen Atmankenner ein.
24. (1448.) Und von der Hingebung an die Meditation aus-
gehend, gelangen sie, frei von Selbstsucht und Ichbewufst-
sein, schon hienieden zu dem Unentfalteten , der hochsten
Welt der Grofsen.
25. (1449.) Und aus dem Unentfalteten wiederum geboren
und zum Bewufstsein der Gleichheit [mit alien Wesen] ge-
langend, wird Er, von Tamas und Rajas befreit und nur dem
reinen Sattvam hingegeben,
26. (1450.) erlost von allem Bosen, die Welt samt und
senders abstreifend, — und das ist der Kshetrajna, das soil
man wissen; wer diesen weifs, der ist vedafest.
27. (1451.) Von einer Erkenntnis zur andern vordringend,
moge der Weise dasitzen voll Selbstbeherrschung, dann wird
er sicherlich zu dem, was er erkennt, zu jenem geheimnis-
vollen Ewigen.
Deussen, Mab&bbdratam. G3
994 IV. Anugita.
28. (1452.) Alles, von dem Unentfalteten an bis herab zu
den Vigesha's, hat als Merkmal das Nichtwissen, als solches
sollt ihr diese Welt wissen, und dafs ihr Charakter durch
die Guna's bedingt ist.
29. (1453.) Zwei Silben bedeuten den Tod, drei Silben
das ewige Brahman, mama (mein) bedeutet den Tod, na mama
(nicht mein) das Ewige.
30. (1454.) Manche Menschen, die sich eines tragen Denkens
erfreuen, preisen das Werk ; aber die hochherzigen Alten preisen
das Werk nicht.
31. (1455.) Durch das Werk entsteht der Mensch mit seinem
Korper, mit seinen sechzehn Teilen [cf. Chand. Up. 6,7,1 ; (^vet.
Up. 5,14; Mund. Up. 3,2,7; Pragna Up. 6 und unsere einleiten-
den Bemerkungen dazu Sechzig Upanishad's, S. 571] ; aber
das Wissen schliirft den Purusha, das ist der Trank derer,
welche Amritam geniefsen.
32. (1456.) Darum kleben nicht mehr an den Werken alle
die, welche das jenseitige Ufer schauen ; aus Wissen bestehend
ist jener Purusha, nicht aber aus Werken bestehend.
33. (1457.) Wer dieses weifs, wer den unsterblichen, ewigen,
unfafsbaren, immerwahrenden, unverganglichen, freien, unver-
flochtenen Atman kennt, der ist nicht mehr sterblich.
34. (1458.) Wer den uranf anglichen, unerschaffenen, ewigen,
unzweifelnden Atman erlangt, den unangreif baren , Amritam
essenden, (1459.) der wird unangreif bar und unsterblich und
steht aus diesen Griinden fest.
35. Alle Lebenseindriicke iiberwaltigend und sich selbst
in sich selbst ergreifend, (1460.) erkennt er jenes schone Brah-
man, iiber welches hinaus nichts mehr zu wissen bleibt.
36. Und wenn sein Sattvam erst zur Ruhe kommt, er-
langt auch er die voile Ruhe; (I46i.) das Kennzeichen der Ruhe
aber ist, dafs er [das Dasein] wie einen Traum betrachtet.
37. Dieses ist der Weg der Erlosten, die festgewurzelt
im Wissen sind, (1462.) und alle Begebenheiten , wie sie da
sind, sie sehen sie an als dem Veranderlichen angehorig.
38. Dieses ist der Weg der Leidenschaftslosen , dieses
ist die ewige Satzung, (1463.) dies ist, was die Erkennenden
erlangen, dies ist das untadlige Verhalten.
Adhyaya 51 (B. 51). 995
39. Wer gleichmiitig gegen alle Wesen, wer ohne Be-
gierde und ohne Wunsch ist, (1464.) wer uberall ein und das-
selbe sieht, der kann diesen Weg gehen.
40. Dies alles ist euch von mir erklart worden, o ihr
Besten der Brahmanenweisen, (i465.) und dementsprechend un-
gesaumt richtet euren Wandel ein, dann werdet ihr die VoU-
kommenheit erlangen.
Der Guru sprach:
41. (1466.) Nachdem jene Muni's in dieser Weise von Gott
Brahman als Lehrer belehrt worden waren, handelten die
Hochherzigen demgemafs und erlangten infolgedessen die
Himmelswelt.
42. (1467.) Und auch du, o Gliicklicher, mogest dich nach
dieser von mir mitgeteilten Rede des Gottes Brahman voll-
standig richten, o du Geistigreiner , dann wirst du die Voll-
endung erlangen.
Vasudeva (Krishna) sprach:
43. (1468.) Das ist die Eede, durch welche damals jener
Schiller von seinem Lehrer belehrt wurde; er erfiillte voll-
standig die hochste Pflicht, o Sohn der Kunti, und erlangte
darauf die Eriosung.
44. (1469.) Und nachdem sodann der Schiiler das Ziel er-
reicht hatte, so gelangte er, o Sprofs der Kurufamilie, zu
jener Statte, wo man kein Leid mehr empfindet.
Arjuna sprach:
45. (1470.) Wer war denn jener Brahmane, o Krishna,
und wer war jener Schiller von ihm, o Menschenbedranger ?
Wenn es mir geziemt, dieses zu horen, so sage es mir an,
o Herr.
V&sudeva sprach:
46. (1471.) Ich selbst [d. h. der Atman] war der Lehrer,
o Grofsarmiger , und das Manas sollst du als jenen meinen
Schiiler wissen. Und aus Liebe zu dir habe ich dir jenes
Geheimnis mitgeteilt, o Gutgewinner.
63*
996 IV. Anugita.
47. (1472.) "Wenn deine Liebe allezeit mir zugewandt ist,
o Sprofs der Kurufamilie, dann mogest du, nachdem du in
betreff des Atman dieses vernommen hast, vollig danach leben,
0 Geliibdetreuer.
48. (1473.) Dann wirst du, o Feindbedranger, nachdem du
diesem Gesetze geraafs vollstandig gelebt hast, von allem
Bosen befreit, die absolute Erlosung erlangen.
49. (1474.) Schon vormals habe ich dir dieses mitgeteilt,
als die Zeit des Kampfes bevorstand, darum, o Grorsarmiger,
nimm es dir zu Herzen.
50. (1475.) Aber es ist schon lange her, o Bester der
Bharata's, dafs ich meinen Herrn Vater gesehen habe; ihn
mochte ich mit deiner Erlaubnis besuchen, o du unter dem
Phalgunigestirn Geborener.
Vai^ampayana sprach :
51. (1476.) Zu Krishna, als er dieses Wort gesprochen
hatte, versetzte er, der Gutgewinner: Noch heute, o Krishna,
gehen wir zusammen zu der nach den Elefanten benannten
Stadt [Hastinapuram].
52. (1477.) Dort wirst du mit dem gesetzestreuen Konige
Yudhishthira zusammenkommen , und nachdem du dich von
dem Konige verabschiedet hast, magst du nach deiner Vater-
stadt wandern.
So lautet in der Anugit^ der sechsunddreifsigste Adhyaya.
INDEX
BEMERKENSWERTER NAMEN UND BEGRIFFE.
(Die Zahlen verweisen auf die Seiten des Werkes.)
A.
Abhauen von Baumen bei Mondwech-
sel verboten 506.
Abschreckungstheorie 447 fg.
Abwartsstromende (avdksrotas) durch
Tamas 950.
Abzeichen wertlos 677.
dcdra 177 fg.
dgrama's (Lebensstadien), vier 170 fg.
173 fg. 343. 463 fg. 712 fg. 946;
Lebensrichtungen 542 fg.
A^vattha 92 fg.
Agvatthaman, Sohn Drona's 33.
Adern 259.
adhydtman (das innere Selbst) 180 fg.
Agastya, der Rishi, von Nahusha ge-
tretea 808.
Agni, Feuer, Gott des Feuers.
Ahalya von Indra vergewaltigt 803.
ahankdra (der Ichmacher), Ichbewufst-
sein, Egoismus, psychisch und kos-
misch 48. 145 fg. 611. 774. 775;
= Brahman 834; = Prajapati 959.
ahihsd (Nichtschadigung) 927 fg. 986;
vgl. Opfer.
Airdvana (Airdvata), Elefant Indra's
^ 291. 307.
Ajagara, unterredet sich mit Prahr&,da
132 fg.
Akkumulationstheorie 337. 989; vgl.
Mischungstheorie.
Aktivitat und Passivitat (pravritti und
nivritti) 776. 783 fg. 788 'fg. 790.
792. 839. 840. 848. 984. 994.
Alarka als Bekampfer des innern
Feindes 932 fg.
Allegorien 347 fg. 350 fg. 393. 400 fg.
538. 597. 603 fg. 694. 729 fg. 730.
923 fg. 944 fg. 965. 972 fg. 981.
992.
AUgegenwart durcb Atmanerkenntnis
944. 981.
Almosen 9 fg. usw.
Alte Jungfern 691.
dmdgaya 156.
Amritam, Unsterblichkeitstrank (vgl.
Ambrosia und Nektar der Griechen)
74 usw. usw.
Angehorigkeit 548.
Auhanglichkeit an die Welt (saflga)
44. 46. 47. 48. 52. 56 usw.
Aniruddha (Sohn Pradyumna's, Enkel
Krishna's), vierter Vyftha (s. d.) des
Vishnu, dem Ahankara entsprechend
773. 786; Vater des Gottes Brah-
man 776.
dnvikshiki 662. 663.
Apdna (nach unten gehend) 962 ; vgl.
Prana's.
Aranyaka% Anhange der Brahmana's
des Veda, in der Kegel die Upani-
shad's einschliefsend 771.
998
Index bemerkenswerter Namen und Begriffe.
Arjuna,dritterSohndesPan(}u, Stamm-
vater des Abhimanyu, Parikshit,
Janamejaya 33 fg. usw. ; Arjuna und
Krishna identifiziert mit Nara und
NS,rayana 798.
Arjuna Kartavirya 929 fg.
Arundhati (Stern) 658.
Arzte, Polemik gegen sie 738.
dsanam 59.
Asita Devala 74 (das Komma ist zu
tilgen) 327 fg. 478 fg.
Askese (tapas) 12 fg. 98. 267. 284 fg.
^ 570. 992 fg.
Asuri (Lehrer des Panca^ikha) 271.
Atemhemmung (prdndydma) 53.
AtharvaQiras-Upanishad 769.
Atharvan 16.
Atman (das Selbst, die Seele) 43. 48.
979. 994 usw. ; sieben Atman's 337.
Aiigenbrauenpunkt 57. 67. 212.
Auslander, als Schmach des Landes
723.
Avatdra'^ (die Verkorperungen des
Vishnu, ihre Zahl schwankt) 779.
853. "
Avyaktam (das Unentfaltete, Unoffen-
bare) = Prakriti (s. d.) 65. 730. 957.
969 usw.
Ayurveda (vedische Heilkunde) 795.
B.
Badari (Einsiedelei des Nara und
Narayana) 748. 749. 780. 819. 821.
balam (Kraft) als sechstes Tatorgan
480.
Bali (Damon) 137. 290 fg. 307 fg. 777.
Bana, Sohn des Bali 778.
Begattung, wahrend der Periode ver-
boten 507.
Beispielsammlungen aus der Ge-
schichte 344 fg. usw.
Bergnamen 966.
Bescholtene Gewerbe 566.
Besitzlosigkeit geriihmt 123 fg. usw.
Bestattung, ruhmliche 581.
Bhagavata's 783. 823. 826; vgl. Ekan-
tin's, Pancaratra's und S&tvata's.
Bhagavadgita 842; vgl. Harigita.
Bharadvaja 144 fg. 809.
Bharata, Staramvater der Kuru's;
Bharata's, die Nachkommen des B. ;
Bharata, ein Nachkomme des B.
Bhdratam varsham (Land der Bhara-
ta's, Indien) 708.
bhdvdh (Zustande) 64. 73.
bhikshu 379 fg.
Bhima (zweiter Sohn des Pan4*i) 33 fg.
Bhishma (Sohn des Qantanu von der
GaiSga) 33 fg. usw.; sein Sterben
beim Nordgang der Sonne 609.
Bhrigu 144 fg.
bhuta's, s. Elemente.
Bhutdtman {Eleraent-Atmani) 181. 214.
222. 224. 360. 361. 399. 579. 612.
909. 926. 991.
Bodhya 130 fg.
Boses, sein Ursprung 49.
Brahmacdrin 19 fg. 370 fg. 975.
brahmacaryam (Brahmanwandel) 19.
258. 921.
Brahman neutr. (das weltschopferische
Prinzip) = Prakriti 89; brahman
und kshatram 801 fg. ; vgl. Wort-
brahman.
Brahman masc. (das personifizierte
brahman, im Mahabh. Sohn des
Vishnu) 775. 776 ; seine sieben Ge-
burten 836. 842 fg.
Brahmanen, ihre Macht 803 fg.; der
wahre Brahmane 9.
Brahmanenmord , s. Brahmavadhyd.
Brahman's Tag und Nacht 68.
brahmasutra 86.
Brahmavadhyd (Brahmahatyd) 503 fg.
505 fg. 806. 808.
Brihaspati 521 ; sein Gesetzbuch 757.
Buddhi (Erkenntnis) im System =
Mahdn, Mahdn Atmd (selten Ma-
hat sc. tattvam) 103. 386 fg. 388 fg. ;
kosmisch und psychisch 182 fg. ;
unterschieden vom Mahan 969 ; im
Korper allgegenwartig 535 ; als Weis-
heit des Narayana, weltschaifendes
Prinzip 851.
Index bemerkenswerter Namen imd Begriffe.
999
Buddhismus, heilige Wahrheiten 888;
Buddhisten 273 fg.
C.
^aci (Gemahlin des Indra) 806 fg.
gaivya 33.
g&kha's (Vedaschulen) 814.
Qakra, Beiname Indra's.
Cakradhara's 887.
Qambhu (Qiva) als Weltschopfer 610 ;
= Atman 647.
Qampaka 122.
Candala's (Unterart der Qftdra's) 140.
gariram 337 ; vgl. Leib.
Qatapatha-Brdhmanam 661. 662. 802.
^aunaka, sein Opfer 783.
Cekitana 33.
cetand (Bewufstsein) 277. 537.
Chinesen (cma) 708.
^i^upala 779.
Qikhanda's 508 Anm.
Qikhandin 34.
Qikshd (Phonetik) 814. 837.
Cirak^riu (der langsam Handelnde)
437 fg.
CitraQikhandin's, aufgezahlt 755.
Cittam (Manas) 279. 342. 383. 693.
876; vom Manas unterschieden 480.
Qiva (vgl. Eudra und Qambhu)^ Ge-
mahl der Umd (Pdrvati), neben
Vishnu und Brahman die dritte
oberste Gottheit 553 fg. 703 fg. ; mit
Vishnu identisch 817 ; =Kala818;
seine Blauhalsigkeit 803. 815.
qraddhd 434 fg.
gravanaphalam 106 usw.
gri (Glucksgottin) 298 fg. 318 fg.
grivatsa 809. 817.
gruti, die heilige Uberlieferung des
Veda, in Anpassung an okziden-
tale Anschauungen durch „Schrift"
iibersetzt.
gudra 3. 575 usw.; milde zu behan-
deln 563 fg.; als Lehrer 668; Er-
losung auch fiir ihn 904.
guka (SohnVyasa's) 126. 333 fg. 692 fg.
702 fg.
gukra (Planet Venus, Same) 555. 562.
gunahgepa 562.
Qvetadvipa 735 fg. 760 fg. 768 fg. 782.
817. 820 fg.
D.
Dadhica, seine Knochen 805.
Dadhici 516 fg. 815.
Daksha (ein Praj&pati) 234. 510 fg.
515 fg. 803. 809 fg. 815. 845 ; = Ka
238.
Damonische Menschen 95 fg.
D&nava's 241 usw.
Devaydna (Gotterweg) 121. 947 ; mifs-
verstanden 68 fg. 579. 609.
dhdrdna's (Fesselungen des Manas
im Yoga) 351. 595. 597.
Dharma, in Gestalt der Gazelle 473.
Dhrishtadyumna 34.
Dhrishtaketu 33.
Dhritarashtra (Sohn des Vicitravirya
und des Vy^sa von der Ambika,
blinder Konig der Kuru's) 3 fg.
33 fg.
Dialektik, getadelt 141. 384. 856.
Dirghatamas, seine Geschichte 799.
Diti, Tochter Daksha's 234. 242.
Draupadi (Gattin der fiinf Pandava's);
ihre Sohne 33 fg.
Drona 35.
Drupada (Vater der Draupadi) 33 fg.;
sein Sohn (Dhrishtadyumna) 33.
Duryodhana (Sohn des Dhritarashtra)
33. 35.
Dyumatsena 445 fg.
Dva,para, s. Yugam.
Dvaraka (Stadt des Krishna) 778.
779. 885.
E.
Echo, seine Entstehung 746.
Egoismus des Hausvaters 569.
Ekdntin's (die dem Vishnu allein Er-
gebenen) 841 ; selten zu finden 846;
Verschwinden uud Wiederaufkom-
men ihrer Lehre 842 fg. ; vgl. Bh&ga-
vata's.
1000
Index bemerkenswerter Namen und Besrriffe.
Ekata, Dvita, Trita 758 fg. 771. 778.
799.
Eleinente (bhiitdni, mahdbhutdni) 145.
149. 150. 181. 385 fg. 960; als Wel-
tenstofF 478 fg. ; iin Leibe 479 ; ihre
Qualitaten 181. 402; Elemente, Or-
gane, Objekte und Schutzgottheiten
961 fg. 963. 968 fg.
Embryologie 684 fg. 736 fg. 895. 918.
Entsagung 14. 85. 100 fg. usw. ; E. und
Erkenntnis 968. 980 fg.
Erfordernisse der Rede, fiinf 680 fg.
Erkenntnistheoretisches 480 ; vier Pra-
mana's 194.
Erlosung 898 fg. 981 ; als Befreiuug
des Purusha von der Prakriti 631 fg. ;
audi fiir den ^udra 904.
Eschatologisches 209. 826. 893 fg. 993;
Gang zur Sonne nach dem Tode 740;
den Organen entsprechende Statten
nach dem Tode 658.
Etymologien der Namen Vishnu's
798 fg. 811 fg.; von Vasudeva 840.
Evolutiqnsstufen 246 fg. 611. 626 fg.
642. 990 fg. ; vgl. Prinzipien.
Extreme, geriihmt 114.
F.
Farben der Zustaade der Seele 493 fg.
497 fg.
Fastenbufse (kricchra) 258.
Fehler 95.
Fieber 502 fg. 513 fg.
Fleischesseu 134. 140. 178. 323.
Fliege und Feigenblatt, Fisch und
Wasser (Purusha und Prakriti)
635 fg. 983 u. 6.
Freigebigkeit, empfohlen 561 fg.
Freiheit, die wahre 550.
Freundschaft 24.
G.
GS,lava 542 fg.
Gandiva (Bogeu des Arjuna) 36.
Gaiiga 318 u. 6.
Gafigadvara 511. 515.
Geben 98 fg.
Gebetsmurmeln 189 fg. 192. 193 fg.
195 fg. 210 fg.
Geburtsstunde, Stern dabei 141.
Gegensatze der Lehrmeinungen 984 fg.
Gerechtigkeit, vierfiifsig 334. 791. 946.
Geruch usw., eingeteilt 990.
Geschlechtslust 120. 322.
Gesellschaft, schlechte und gute 545 fg.
Gesetz als Erfindung der Schwacheu
414.
Gewissen 559.
Ghritaci (Apsaras) 704 fg.
Glaube 65. 97 u. 6.
Gleichmiitigkeit 59. 91 fg. usw.
Gluck 10.
Gnade 265.
Gotteraufzahluug 238 fg.
Gottheiten als Opferfeuer 908.
Gotterweg, s. Devayana.
Grihastha (vgl. dgrama's) 372 fg. 453 fg.
guda (Verdauungskaual) 155.
Guha (= Skanda, Kriegsgott) 584.
Guna (Faktor, Qualitiit). — Die drei
Gwwrt's (Sattvam, Rajas, Tamas),
aus denen die Prakriti besteht, sind
die Faktoren, deren Produkte alle
Evolutionen der Prakriti sind; oft
abgeblafst „Qualitaten" 42. 46. 48.
51. 64. 87. 88. 90 fg. 182 fg. 253.
278 fg. 387. 536 fg. ; aus dem Atman
stammend 538; als weifs, rot,
schwarz 613. 645. 649 fg. ; als Feinde
zu iiberwinden 935 fg. ; sich paarend
948. 955 ; ihr Wirken an der Sonne
erlautert 956; als Prinzipien 627.
630. 644; = Vi^esha's 643. 786;
Fesseln 864; vgl. Erlosung.
H.
Haha und Huhu (Gandharven) 515.
706.
Hara = ^iva.
Hari = Vishnu.
Hari (Bergname) 708.
Harigita (vgl. Bhagavadgita) 831. 846.
Harita 486.
Index bemerkenswerter Namen uad Begriffe.
1001
Hausvaterstaud s. Grihastha.
Hemmuisse des Yoga, funf 363. 477.
Herz 388.
Herzensknoten 587.
Himalaya 174. 222.
Himmel 8; keine Befriedigung ge-
wahrend 894.
Hiranyagarbha ( Erstgeborener der
Schopfung, Urquell der Weisheit;
= Brahman) 644; = Buddhi, Mah&n,
Virinci 610; Urheber des Saiikliyam
637; Urheber des Yoga 855.
HiranyakaQipu (ein Damon) 804.
Holien, symbolisch 194. 210.
Hunnen [huna) 708.
I.
Identitat der Wesen 56 fg.
Igvara (der „Herr", der personliche
Gott) 50; auf Egoismus beruheud
253. 383. 630.
Ikshvaku (Stammvater der Sonuen-
dj'nastie, Sohn des Manu Vaivas-
vata) 50.
Indra (Konig der Gotter) 137 fg. ; seine
Flucht und Riickkehr 806 fg.
indriya's (die fiinf Sinnesorgane und
funf Tatorgaue) 278. 961; zu be-
siegen 940; als Lampe 538; kenuen
sich gegenseitig nicht 912; als zehn
Opferpriester 908; als sieben Opfer-
priester 911. 914.
J.
Jaigishavya 327 fg.
Jajali 418 fg.
Jamadagni 930 fg.
Jauaka (Konig von Mithila) 47. 130.
270 fg. 937; legt wegen Erkenntnis
seine Herrschaft nieder 669; J.
Dharmadhvaja 673 fg. ; vgl. Karala-
janaka.
Janamejaya, Konig, Nachkomme des
Arjuna, dem Vaigampayaua beim
grofsen Schlangenopfer das Maha-
bharatam erzahlt.
Janardaua (.Meuschenqualer, Beiuame
Vishnu-Krishna's) 36 fg.
Jarasandha 778.
Jiva (individuelle Seele; ihr entspricht
Sankarshana, s. d.) 156 fg. 158 fg.
368. 773. 892.
jndna-dtman (Erkenntnis - Selbst) =
Purusha 248.
Jyeshthasdman-Geliihde 845.
Jyotisham (Vedakalender) 795.
K.
Ka (Beiname Prajapati's) 662. 663.
Ka(;i (Benares) 33 fg.
Ka^yapa (Kagyapa) 137 fg. 234 fg. 238.
Kala (die Zeit als zerstorende Gott-
heit) 293 fg. 309 fg. ; Rad der Zeit
973; vgl. Zeitalter, Zeit.
Kalayavana 778.
Kali, s. Yugam.
Kalpa (Weltperiode von einer Welt-
schopfung bis zur entsprechenden
Weltvernichtung reichend) 70 u. 6.
493; vgl. Weltschopfung , Weltver-
nichtung, Yugam.
Kama (Begierde) 127 fg.
Kaiisa (Konig von Mathura, von
Krishna erschlagen) 778.
Kapila, nrspr. = Hiranyagarbha, dem
personlichen Brahman 598. 776.
814 (von Hiranyagarbha unter-
schieden 855); als Urquell der
Weisheit mythischer Urheber des
Sankhyasystems 75. 270. 271. 449.
857; seine Lehre 707; K. usw. als
geistige Sohne Brahman's 790.
Karalajanaka 609.
Karna (Heerfiihrer) 33.
Kasten fvarnfl , jafij 162 fg. 164 fg.;
ihre Pflichten 104. 563 fg. 566 fg.
575; ihre Schopfung 235; ihre Ver-
mengang 37; Mischkasten 573; auf-
gehoben 72; vgl. Brahmanen, Ksha-
triya, Vai(;ya, ^ddra.
Kau^ika 803.
A7efa's 114.
Konigtum, seine Schattenseiten 686 fg.
1002
Index bemerkenswerter Namen und Begriffe.
Kosmographisches 146 fg.
Korperteile voa Vater und Mutter
620; vgl. Leib.
Korperfeuer 161.
Kramapatha (eine besondere Methode,
den Veda zu rezitieren) 814.
Krahe und Palmfrucht 126.
Kripa 33.
Krishna (Vasudeva), Sohn des Vasu-
deva und der Devaki, Bruder des
Balarama, schon im Mahabharatam
eine Inkarnation Vishnu's 33. 35 fg.
233. 243. 245. 885 fg. usw.; seine
Geburt in Mathura 778; ihm feind-
liche Stamme 236.
Krishna Dvaip&yana, s. Vya,sa.
Kritam, s. Yugam.
Kshatriya (Kriegerkaste = kshatram,
Eajanya) 9 usw.; Pflichten 41. 577;
von Rama ausgerottet 931.
Kshetrajna („Ortskenner", Subjekt
des Erkennens, das hochste Prinzip
= Purusha) 86 fg. 161. 181 fg. 250.
267. 271. 280. 350. 353. 368. 383.
387. 389. 390. 477. 480. 535. 536.
537. 538. 627. 630. 652. 773. 774.
790. 812. 941. 942. 969 fg. 982.
993; individuell gefafst 606; =
antardtman 750. 751; mit Vasu-
deva identifiziert 826. 846. 860.
923, 929; Kshetrajna und Sattvam
(vgl. Purusha und Prakriti) 983.
986 fg. ; Gleichnisse daruber 987 fg. ;
Kshetrajna, Buddhi, Manas, Siune
991; vgl. sdkshin.
Kshetram („Ort", der Leib) 86 fg. u. o.
Ku^alin 559.
Kii(;asthali (Stadt) 778.
Kuhgewinner {govinda = Krishna)
36. 39 u. 0.
Kun4adhara 466 fg.
Kuntibhoja 33.
Kuru, Stamm vater der Kuru's und
Pandava's.
Kuruiand 33.
Kunti = Pritha, Mutter des Yudhish-
thira, Bhima und Arjuna 84 fg. u. o.
L.
Laster 13 fg. 23. 24 usw.
Lebensstadien, s. dgrama's.
Lehrbiicher 542.
Leib 578; geschildert 601; pessi-
mistisch 730. 965; als Aggregat der
Elemente 360. 534 fg. ; Pforten, vier
590; seine dreifsig Qualitaten 683
der feine Leib (vgl. Lingam) 655.
908; vgl. Korperteile, Korperfeuer.
letale Stellen (marman) 891 fg.
Lingam (der feine Leib, s. d.) 27.
297. 625; = Korper 220. 223.
Literaturkreis 215; vgl. Aranyakam,
Brahmasutra's, Qatapatbabrahma-
nam, Puranam, Vedasutram, Wissen-
schaften, Yajnavalkya.
Lockiger {guddkega = Arjuna) 35.
39 usw.
Lust und Schmerz 113 u. o.
M.
Madhava (Krishna) 34. 36 u. o.
Madhu (Damon) 234; und Kaitabha
835 fg.
MadhusGdana (Madhutoter = Krishna)
36. 38 usw.
Mahabharatam, als fiinfter Veda 785;
von Vyasa verfafst 831 ; besteht aus
hunderttausend Versen 819.
mahdbhutdni, s. Elemente.
Mahdn, Mahdn Atmd (in der Begel
= Buddhi, s. d.) 145. 390. 481.
610. (verganglich 612.) 790. 902.
957 fg. 964. 966. 988; hoher als
jndnam und buddhi 225-, = Purusha
248 ; als fiinfundzwanzigstes Prinzip
(s. d.) 619. 627. 634.
Mahdniyama (eine Askese) 787.
Manas als Regierer der Erkenntnis-
organe dem Verstand, als Lenker
der Tatorgane dem (bewufsten)
Willen entsprechend 60 fg. 773;
beim Yoga 188. 212; weltschaffend
249; als Zustand der Buddhi 536;
als Organ des Sehens usw. 646;
als Zentralorgan 682; mit den In-
Index bemerkenswerter Namen und Begriffe.
1003
driya's sich gegenseitig bedingend
912 fg.; mit Buddhi 968; mit Ahan-
kara und Buddhi 968.
Mdnasa 145 fg. 148. 161.
Manenklassen 454. 775.
Manibhadra 467 fg.
MaBki 125 fg. 137.
Manovaha, eine Ader 259 fg.
Manu 50. 73; sein Gesetzbuch 757;
M. Svarocisha 844.
Mannlowe 804; vgl. Vishnu.
Martanda, Geburt aus der Aditi 809.
Materialismus 272 fg.
Maya 10. 50. 64. 106. 140. 774; von
Vishnu ausgehend 255.
Meditation 6 u. o.
Menschsein, erfreulich 580; ein Un-
gluck 617. 727.
Mem 148. 509.
Mischkasten, s. Kasten.
Mischungstheorie 397; vgl. Akkumu-
lationstheorie.
Mithim (vgl. Janaka) 130. 483.
Mitleid 261. 308. 316.
Moralisches 640 fg. 872 fg. 974; vgl.
Sitten, Stromungen, Tugenden.
Muni (Schweiger, Einsiedler) 18. 43.
58 usw.
Mutter, gepriesen 440.
Nahrung und Schlaf 59 fg.
Nahusha (alter Konig, Sohn des Ayus,
Vater des Yay&ti, Stammvater der
Kuru's und Yadu's, zu denen Krishna
gehort) 130. 427. 449. 806 fg.
Naighantukam 813.
nakshatra''s (Sternbilder, Mondhauser)
809.
Nakula (vierter Sohn des Pandu) 34.
Namensammlungen 311. 376 fg.
Namuci 137. 303 fg.
Nandin (Diener Q'iva's) 510. 512. 534.
Narada (mythischer Weiser) 74. 177.
330 fg. 405 fg. 516. 748 fg. 831.
Nar^yana (Name Vishnu's, besonders
im monotheistischen Sinne) 266.
270. 748 fg. 781. 919.
Nastika (Nihilist) 273 u. o.
Niruktam 812.
Nirvdnam (Erloschen, Seligkeit) 45.
57. 59. 166. 174. 187. 189. 776.
784. 812. 899.
O.
Objekte als Opfergaben 908.
Om-Laut 64. 67 u. o.
0/M, Tat, Sat 99.
Opfer, umgedeutet 52 fg.; Polemik
dagegen 429 fg.; ohne Wiinsche
darzubringen 797; ohne Tiertotung
auszufuhren 436 fg. 451 fg. 473.
759. 764. 791; Opfertier zum Him-
mel eingehend 927; vgl. AhinsS,.
Organe, s. Indriya's.
P.
PaQupata's (Anhanger ^iva's) 533. 855.
Paderastie 324.
Vsikvkq&ya. 156.
Panca^ikha (alter Sankhyalehrer,
Schiller des Asuri) 270 fg. 671 fg.
675. 688.
Pancala (Verfasser des Kramapatha,
s. d.) 839.
Pa,ncaratralehre (PancarJitralehre) 755.
762. 780. 848. 855 fg.; vgl. BhSiga-
vata's.
pancikaranam 812; vgl. Mischungs-
theorie.
P&ndava's (Sohne des Pindu: Yu-
(ihishthira, Bhlma, Arjuna, Nakula
und Sahadeva) 33. 34 usw.
Par&?ara (Vater des Vyisa) 556 fg.
Passivitat, s. Aktivitat.
Perzeption als Opfer 906 fg.
Pflanzen beseelt 151.
Pflicht 413 fg. 416 fg. ; gegeu die Eltern
438 fg.
Pinaka, Etymologie 553.
Pinda's, ihr Ursprung 828 fg.
Pifigaia, (Iletare) 117.
Pitriy&,na (Vaterweg) 947; mifsver-
standen 68 fg.; vgl. Devay&na.
1004
Index bemerkcDswerter Namen und Begriffe.
Pradyumna (dritter Vyuha, s. d.); vgl.
Aniruddha.
Pradestinatioa 896 fg.
Pradhdnam, s. Prakriti.
Prahrada 132 fg. 137." 286 fg. 717.
Prajapati (Personifikation des schopfe-
rischen Prinzips) 46; einundzwaa-
zig 751.
Prakriti { = Pradhdnam =Avyaktam,
s. d.), die erkenntnislose Urnatur
aus den drei Guna's besteheud 46.
48. 50. 86 fg. ,246 usw.; achtfach
63; P. und Purusha 88. 651 u. 6.;
aus Brahman entsprungeu 896; aus
dem Purusha 78G.
Pram&na's, s. Erkenntnistheoretisches.
Prana's (die fiinf Lebenshauche, die
OrganederNutrition) : Prana, Apana,
Vyana, Udana, Samana 152. 155.
256. 724. 906. 917. 960; P. und
Ap&na (s. d.) 910; ihr Rangstreit
915 fg.; als Opferpriester 914.
Pranagnihotram 53.
Pritha, s. Kunti.
Prinzipien (der Sankhyalehre) , fiinf-
undzwanzig 49 fg. 947; vierund-
zwanzig 611; elf 398; das vierund-
zwanzigste Prinzip 666 fg. ; der
Funfundzwanzigste 612. 622. 623.
628. 629. 630. 633. 634 fg. 638.
665. 666 fg. 772. 774. 848. 982;
der Sechsundzwanzigste 634 fg. 665.
666 fg.; vgl. Evolutionsstufen.
Psychischer Organismus 86.
Pulkasa's 140.
Pupillenbild 658.
Puranam 238; vedisches 661; = Bra,h-
manam 795.
Purujit 33.
Purusha (= Kshetrajna, das reine
Subjekt des Erkennens) 56. 66 fg.
86 fg. 94. 209; seine Vielheit und
Einheit 856 fg. 859 fg. ; Identitat
aller Purusha's 690; P. und Prakriti
(vgl. Kshetrajiia und Sattvam) als
Mann und Weib 620; widerlegt
623; beide voUig verschieden 636.
654; beide = Vishnu 834. 861; als
iQvara 623; vgl. sdkshin.
R.
Rajas (Leidenschaft, was Unlust be-
reitet, s. Guna) 49. 61; arvdksrotas
951 fg.
Rama (Sohn des Jamadagni) 875.
930 fg.
Rangstreit zwischen Manas und Rede
909 fg.
Rantideva 562.
Rasa (Unterwelt) 838.
Eathantaram 500. 517.
Ratselfragen 591 fg.
Raum und Zeit nicht real 984.
Raumya's (Damonen) 518.
Raupe ihr Gehause spinneud 614.
Ravana und die Affen 778.
Reizmittel beim Yoga, sarncodand
625; codand 656.
rhetorische Regeln 681 fg.
Rishi's, sieben 234. 237.
Rofshaupt 769. 775. 792. 814. 833.
837 fg.
Rudra (alterer Name fiir ^iva, s. d.),
sein Ursprung 774. 790. 796; mit
Isarayana identisch 797.
S.
Sadhya's („die zu Verehrenden", eine
Gotterklasse) 587 fg.
Sahadeva, funfter Sohn des Pandu 34.
sdkshin (Zuschauer, Subjekt des Er-
kennens) 387. 536; vgl. Kshetrajna,
Purusha.
Samaiiga 539 fg.
Same 259 fg.
samkalpa (Funktion des Manas) 342.
samskdra (Einpragungen von einer
friihern Geburt her haftender Ein-
drucke) 973.
Sanatkumara 490 fg. 510. 727. 844.
Sanatsujata 3 fg.
Sanjaya 33 fg.
Sankarshana (Bruder Krishna's), zwei-
ter Vyuha (s. d.) Vishnu's, dem
Index bemerkenswerter Nameu und Begrifife.
1005
Jiva eutsprechend (vgl. Pradyumna,
Aniruddha) 234 u. 6.
Sankhyam (von saiikhyd, Reflexion),
die an die Atmaulehre der Upani-
shad's sich anschliefsende Re-
flexionsphilosophie (im Gegen-
satze zum Yoga, der reflexionslosen
Vertiefung in das Selbst, den
Atman), spater Name eines philo-
sophischen Systems 41. 46. 55. 88.
101; Sankhyam und Yoga 190. 593.
633. 655; Sankhyatraditiou 637 fg. ;
Saiikhya-Auhauger nach dem Tode
604 fg.
Sanuyasin (vierter dgrama) 58. 376.
377 fg. u. 6.
Sarasvata Apantaratamas als friibere
Existenzform des Vyasa 835. 855.
Sarasvati (Gottiu der Rede) 149. 756.
Sattvam (erster der drei Guna's, was
Lust erregt) 683; (urdhvasrotas)
953 fg. 983; = Manas 892; im
Gegensatze zu den Guna's 360;
ahulich wie Lingam 399; als Ver-
treter der Prakriti 537. 983. 986 fg.
sdttviJca, vydmiqra, vaikdrika 847 fg.
Satvata's (eigentlich das Volk des
Krishna, dann Name einer mouo-
tbeistisch-vishnuitischeu Sekte; vgl.
Bhagavata's) 779. 812. 844. 846.
849; ihre Lehre 754. 755.
Satyakasprofs (Yuyudhana) 34.
Satyam (Wahrheit, Kealitat) 166. 946.
Satyavant 445 fg.
Saubha (die Luftstadt) 778.
Sauti erzahlt dem ^'aunaka das von
Vai^ampayana (s. d.) ihm tiber-
lieferte Mahabharatani.
S&,vitri (die Sonnengottiu) 473.
Schildkrote und Glieder 44. 116. 964.
Schicksal 114. 143; Tat, Natur, Schick-
sal 338. 357.
Schlaf 606.
Schmerz 257.
Schopfung 7.
schopferische Wesenheiten, acht, Ma-
rici usw. 786.
Schrift, 8. (I'ruti,
Schutzgottheiten der Organe 648 fg.
Schwan {hahsa = Brahman) 587 fg.
Schweigen 11.
Seeleuwanderung 614. 638. 888.
950 u. o.; vgl. Vergeltung, Wieder-
geburt,
Selbstmord 891.
Selbstzucht 282 usw.
Senajit 112 fg.
Siddhi's (die durch den Yoga erlang-
baren acht iibernatttrlichen Krafte)
954.
Sinnesorgane, s. Indriya's.
Sitten , gute und schlechte 322 fg. ^
vgl. Moralisches.
Smriti (die Tradition im Gegensatz
zu ^ruti, s. d.) 244 u. 6.
Soma (Opfertrank, Mond) 809 fg. ;
s. Teil.
Somadattasohn (Bhurigravas) 34.
Sterbestunde 66 fg. 982; vgl. Tod.
Sterne als abgeschiedene Seelen 463.
Strafen, Abmessung derselben 446 fg.;
nach dem Tode 695.
Stromungen, drei moralische 643 fg.
948 fg.
Struppiger {hrisMkeqa = Krishna)
34. 35. 39 usw.
Subhadrasohn (Abhimanyu) 33 fg.
Subjektivitat der Auffassung des Lehr-
stoffs 922.
Sulabha 673 fg.
Surasa 873.
Surya, Sonne, Sonnengott.
svabhdva (die eigene Natur) 221. 386.
390; = Prakriti 56. 287 fg. 926.
928. 944; vgl'. Schicksal.
Syftmaragmi 449 fg.
T.
Tag und Nacht des Brahman 644;
des Brahman 645; des Ahankara
645; der Elemente, Vigesha's und
des Manas 645 fg.
Tamas (Finsternis) dritter der drei
Guna's, alles befassend, was weder
1006
Index bemerkenswerter Namen und Begriffe.
Lust Doch Unlust bereitet, gleich-
gultig lafst 90 fg.; (avdksrotas)
949 fg. usw. ; vgl. Guna's.
Tapas, s. Askese.
Teil der Mondscheibe, sechzehnter,
unverganglich 619.
Tieropfer, s. Opfer.
Tishya = Kali 263 fg. 853.
Traum 263 fg. 399. 480. 994.
trishnd (Durst, Begierde) 14. 90. 113.
' 116. 117. 126. 130. 139. 269. 274.
288. 463. 477. 482. 541. 596. 847.
888. 936. 964.
Trisuparna-Ritus 843.
Tugenden, aufgezahlt 10. 13. 15. 23.
86 fg. 94 fg. 129. 895 fg. ; vgl.
Moralisches.
Tuladhara 418 fg.
Tochter 374.
Tod, ist nicht 3 fg. 5. 119 fg. 404 fg.
577 fg.; auf dem Schlachtfelde 577;
Vorzeichen desTodes 696; schmah-
licher 579; erst nach Abbiifsung
der Werke 890 fg.; Todesstrafe
mifsbilligt 445 fg.; Todeswind 696;
vgl. Sterbestunde.
Tone der Tonleiter 154.
U.
IjQanas 488 fg. 552 fg. 803; sein Ge-
setzbuch 757.
Uma (Gemahlin giva's) 511 fg. 517 fg.
810 fg.; ihre Beinamen 967.
Umgang, sein Einflufs 590.
Uuentfaltet : Tcshetram, sattvam, tgvara
628.
Unsterblichkeit 39 fg. u. o. ; Unsterb-
lichkeitstrank, s. Amritam.
Uparicara (Vasu) 754 fg. 758 fg.
764 fg.
Upa^ruti (Gottiu der Erhorung)
807.
Urelemente, acht 479.
Urgesclilechter, vier 574.
Urmaterie, Urnatur, s. Prakriti.
Uttamaujas 33.
Vadavamukha (Narayana) 810.
Vaigampayana (Schiiler des Vyasa)
erzahlt dem Janamejaya beim*
grofsen Schlangenopfer das MahS,-
bharatam 4 fg. u. 6.
VaiQvanarafeuer 906.
Vaigya, die dritte Kaste, s. d.
Vaikhanasa 376.
Vaitarani (Hollenflufs) 695.
Vajapeya-Opfer 532.
Vanaprastha, Waldeinsiedler^ dritter
A^rama (s. d.) 375 fg. u. 6.
Vasishtha 500.
asor dhara 766.
Vasudeva 64 u. o. ; s. Krishna, Vyuha's.
Vayu als Psychopompos 412.
Veda, von den Damoneu geraubt 835;
Veda und Lehrsystem 620; Veda-
polemik 230 fg. 254. 394. 430.
449 fg. 670; s. Q'ruti.
Vedanga's (Hilfsschriften des Veda,
vgl. Qiksha, Jyotisham, Niruktam)
195 u. 0.
Vedanta (= Upanishad, spater Name
eines Systems) 94 u. o.
Vedasutram 789.
Vergeltung 557.
Verwandtenheirat getadelt 679.
ViQesha'& (Unterschiede, im Mahabh.
die spezifischen Qualitaten der Ele-
mente) 611. 626. 629. 643. 645.
945. 973. 989. 991. 994; vishmja =
vigesha 247.
Vigvarupa als Gotterfeind 804 fg.
Vigvavasu (ein Gandharva) 662.
Vidarbha's (Volksname) 472.
Vidura 3 fg.
Vikarna 34.
Virabhadra 518.
Viraj 796.
Virata 33 fg.
Vishnu (urspriinglich der „wirkende"
Sonnengott), im Mahabh. meist
die oberste Gottheit, identifiziert
mit Narayana, Krishna (Vasudeva),
Index bemerkenswerter Namen und Begriffe.
1007
Kshetrajna und gelegentlich mit
^iva 817; mit ihm kampfend 816.
269. 490 fg.; als Zwerg 235; als
Eber 242; alsEber, Mannlowe (804),
Aditya, Para^u-Rama, Rama 777;
als Vrishakapi 813. 829; = Jiva
846; = Purusha und Prakriti 834.
861; vgl. Vyuha's.
Vivasvant 50.
Vorzeichen , unheilvolle 658 fg. ; vgl.
Tod.
Vollhaariger {kegava — Krishna) 36.
43. 45 usw.
Vrishakapi, 8. Vishnu.
Vrishni 37.
Vi-itra 488 fg. 498 fg. 806.
Vyasa (Krishna Dvaipa,yana) , Sobn
des Paragara von der Satyavati
(Gandhavati), Vater des (^uka, Ver-
fasser des Mahabharatam (s. d.) 74.
333 fg. 703 fg. ; seine menschliche
Genealogie 850; seine fruhere
Existenzform s. Sarasvata Apantara-
tamas ; seine Schuler (VaiQamp^yana,
Jaimini, Paila, Sumantu und Quka)
718. 785. 850.
Vyuha\, die vier Entfaltungen des
Vishnu als Vasudeva (kshetrajna),
Sank'arshana (jiva) , Pradyumna
(manas), Aniruddha (ahankdra)
826. 846. 860.
W.
Wahrnehmung 273.
Wahrheit 202 fg.
Waldeinsiedler, s. Vanaprastha.
Wallfahrten, uberflussig 433.
Wasser, seine Verunreinigung ver-
boten 507.
Weiber, verachtet 255 fg. 380. 700.
905; zum Yoga berufen 366. 894;
zum Studium zugelassen 533.
weifse Manner (Bewohner von Qveta-
dvipa) 823.
Weltschopfung 145 fg.; Weltvernich-
tung646fg. 773. 834.960; vgl. i/ugraw.
Werke 215 fg. 557.
Wiedergeburt 91 fg.; vgl. Seelen-
wanderung.
Winde,sieben 600. 724 fg.; dersiebente
604.
Wissenschaften 246.
Wortbrahman 62. 339. 350. 356. 365.
Wunder, bei Quka's Flug 744 fg.
Y.
Yajnavalkya belehrt den Janaka
642 fg. ; empfangt von der Sonne
den weifsen Yajurveda 660.
Yama (Hollenfurst) 5. 409.
Yaska (Verfasser desNiruktam) 811 fg.
Yayati 714.
Yoga (Anspannung) , 1. die Methode,
durch Verinnerlichung (Vertiefung
in das eigene Selbst) mit dem Atman
(Brahman) eins zu werden; 2. die
Yogapraxis, spater Name eines philo-
sophischen Systems ; 3. Yoga = Yogin
(Anhanger des Yoga) 41. 43. 55.
58 fg. 187 fg. 212. 242. 899. 935
qualitathaft und qualitatlos 655 fg.
Yogakraft 593 fg.; Yogamacht 708
Yogapraxis 67. 624 fg. 655. 741
Yogaverzuckung 625 ; Yogavoll-
kommenheiten, acht 655; Yoga-
zauberkunst 674; Theismus des Y.
592 ; Yoga bezw. Yogin 46. 52. 57.
58. 59 fg. ; wo er hineinfahren kann
597; seine Nahrung und Kleidung
596. 615.
Yudh§,manyu 33.
Yudhishthira (altester Sohn desPandu)
34 u. 0.
yugam 236. 448; und kalpa 610.
Z.
Zeit, ihr Rad 973; ihre Einteilung
333 fg. ; vgl. Kala.
Zeugung 894 fg.
Zorn 116.
Zweckloses Tun das hochste 953.
ZITATEN-INDEX.
Bigveda :
1,154,5
3,62,10
6,16,1
7,33,11
10,90,3
10,90,6
10,90,12
10,90,15
10,114,3-5
10,190
27
970
801
609
497
908
573
451
843
258
Aitareya - Brahmanam :
1,1 918
7,13 374
7,13 fg. 562
Aitareya-Upanisliad :
1,3,13 fg. 493
2,1 fg. 439. 572
Eaushitaki-Upanishad :
3 907
PancavinQa-
Brahmanam :
16.3.3 ' 450
Chandogya-Upanishad :
3,11,1 302
3.11.4 384
3,14,1 400
3,19 644
4,14,3 654
5,3-10 69
5,10,1
5,19 fg.
6,1,3
6,3,2
6,4
6,4,1
6,7,1
6,10,1
7,1,4
7,8,1
7,25,2
8,1,1
8,3,2
8,6,6
8,7 fg.
8,12,6
8,13
8,15
43
947
53. 430
22. 25
381
613
352
994
848
785
342
.47.185.396
30
304. 686
579
4. 493. 922
922
6
370
Kena-Upanishad :
29 268
Taittirij a-Upanishad :
2 297. 382. 980
2,4 774
2,8 27
Eatbaka-Upanishad :
2.6 5
2.7 41
2,15 67
2.18 40. 482
2.19 40. 294
3,10 49. 388
3,10 fg. 225. 383
3,12 161
4,14-15 29
5,15 93
6,1. 26. 92. 898
6.7 49
6,9 26. 28
6.15 587
6.16 579
6.17 19. 37. 354.
653. 900.
('vetaqvatara-
Upanishad :
1,5 271. 892
2.8 350
3.16 87. 362. 522.
610. 648. 902.
958.
3.17 87
4,5 613
5,2 75. 637. 776
5,14 994
Maitrajanija-
Upanishad :
1,4 134
3.2 654. 982
3.3 220
6,22 62. 339
Vajasaneyi-Saiuhita :
31,18 21. 22. 87
32,2 268
Zitaten- Index.
1009
Brihadaranyaka-
Upauishad :
1,2,5
616
1,3,7
281
1,4,6
800
1,4,10
903 A.
1,5,14
368
1,5,14-15
751
2,4,12
276
3,5
21
369
3,7
29
3,9,4
655
4,3,6
823
964
4,3,13
224
4,3,15
895
4,4,7
393
4,4,16
87
4,4,22
122
539
4,4,23
348
5,1
27
5,9
906
6,1,14
451
6,2
69
6,2,15
947
6,4,4-5
258
6,5,3
660
tQa-Upanishad
:
1
938
4
297
Atharvaveda:
11,4,21
27
11,8,32
523
Mundaka-Upanishad :
1,1,5 195
2,2,8 54. 305. 391
3,1,4 47
3.2.7 994
3.2.8 280
PraQua-Upanishad :
6 994
6,3 600
Man^ukya-Karika :
Yog-a-Sutrani:
1,41 588
2,3 114
2,30.32 627
2,26
634
Brabuia-Sutrani :
1,2,32
57
Brahmabindn-
gankarazu3,2,10
131
Upanishad :
12
219
Yedantasara :
§ 99 Bohtl.
156
Manu:
§124 „
397
1,6,7
897
1,10
1,12.13
798
644
Bbagavata-Puranam ;
1,29
337
11,9,2
131
1,65 fg.
334 fg.
1,74
610
Panini :
2,87
358
6,1,127
697
4,7-9.55
372
374
4,179-185
6,2
375
Platon :
6,18.22-23
376
Gorgiasp.523E.
697
11,213
258
Phaedonp.eOB.
113
Harivan^a :
506 fg.
334 fg.
Ev. Mattbaei:
Sankhya-Earika :
5,23
590
12
897. 948
5,29
115
23. 44-45.48
744
6,20
696
48
951
10,14
172
Sankbya-Sutrani :
Ev. Jobannis :
4,5
131
4,14
430
4,9
132
8,57-58
50
7
4,11
131
14,20
72
4,12
131
4,13
131
Galaterbrief:
4,14
131
3,28
72
Dbussen, Mah&bh&Tatam.
64
1010
Stammtafel.
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+--1
Von demselben Verfasser sind erschienen:
Commentatio de Platonis Sophfstae compositione
ac doctrina. Bonn, Marcus, 18^9, 1 M. 20 Pf.
Das System des Ved^nta nach den Brahma- Sutra's des
Badarayana und dem Kommentare des Qaiikara iiber
dieselben als ein Kompendium der Dogmatik des Brah-
manismus vom Standpunkte des (^'ankara aus. Leipzig,
F.A.Brockhaus, 1883. Zweite Auflage 1906. 8. Geh. 12M.
Geb. 14 M.
Die Sutra's des Vedanta oder die ^ariraka-Mimansa des
Badarayana nebst dem vollstandigen Commentare des (^aii-
kara. Aus dem Sanskrit iibersetzt. Leipzig, F. A. Brock-
haus, 1887. 18 M.
On the philosophy of the Vedanta in its relations
to Occidental Metaphysics, an address delivered before
the Bombay Branch of the Royal Asiatic Society, the
25*»» February 1893. Bombay 1893. One Ana. Leipzig,
F. A. Brockhaus. 10 Pf.
Zur Erinnerung an Gustav Glogau. Gedachtnisrede,
gehalten an der Christian - Albrechts - Universitat am
11. Mai 1895. Kiel, Lipsius & Tischer, 1895. 50 Pf.
tJber die Notwendigkeit , beim mathematisch-natur-
wissenschaftlichen Doktorexamen die obligatorische Prii-
fung in der Philosophic beizubehalten. Kiel, Lipsius
& Tischer, 1897. 50 Pf.
Jacob Bohme. Uber sein Leben und seine Philosophic.
Rede, gehalten (in kiirzerer Fassung) zu Kiel am 8. Mai
1897. Kiel, Lipsius & Tischer, 1897. 50 Pf.
Sechzig Upanishad's des Veda, aus dem Sanskrit iiber-
setzt und mit Einleitungen und Anmerkungen versehen.
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1897. Zweite Auflage 1905.
Geh. 20 M. Geb. 22 M.
AUgemeine Geschiclite der Philosophie mit beson-
derer Beriicksichtigung der Religionen (2 Bande in 6 Ab-
teilungen).
Erster Band, erste Abteilung: AUgemeine Einleitung und
Philosophie des Veda bis auf die Upanishad's. Leipzig,
F. A. Brockhaus, 1894. Zweite Auflage 1906. Geh. 7 M.
Erster Band, zweite Abteilung: Die Philosophie der Upa-
nishad's. Leipzig, F. A. Brockhaus , 1899. Geh. 9 M.
Erinnerungen an Friedrich. Nietzsche. Mit einem
Portrat und drei Brief en in Faksimile. Leipzig, F. A. Brock-
haus, 1901. Geh. 2 M. 50 Pf. Geb. 3 M. 50 Pf.
Die Elemente der Metaphysik. Als Leitfaden zum
Gebrauche bei Vorlesungen sowie zum Selbststudium zu-
sammengestellt. Dritte, durch eine Vorbetrachtung Uber
das Wesen des Ideal ismus vermehrte Auflage.
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1902. Geh. 5 M. Geb. 6 M.
(Englisch, London, Macmillan & Co., 1894. Fran-
zosisch, Paris, Perrin et Cie., 1899.)
Outlines of Indian Philosophy. Bombay 1902. (Indian
Antiquary.)
Discours de la Methode pour bien etudier I'histoire
de la philosophie et chercher la verite dans
les syst^mes. Paris, Armand Collin, 1902.
Der kategorische Imperativ. Rede. Zweite Auflage.
Kiel , Lipsius & Tischer, 1903. 50 Pf.
Erinnerungen an Indien. Mit einer Karte und sechzehn
Abbildungen. Kiel u. Leipzig, Lipsius & Tischer, 1904.
Geh. 5 M. Geb. 6 M.
K^
PK
3635
1906
cop. 2
Mahabhars ta . German
Vier phiiosophische Texte
des Mahabharatam
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY