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Vierteljahrsschrift
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MÜSIKWISSEI^SCHAFT.
Uerausgegeben von
Friedrich Chrysander, Philipp Spitta
Guido Adler.
Neunter Jahrgang.
Preii 12 Mark.
Leipzig
i Diuek und Veik^ voa Bieitkopf und übttel
I 189a.
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AUe Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.
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Hans Leo Hausier unter dem Einflufs
der italiänischen Madrigalisten.
Von
Rudolf Schwartz.
Die Musik des Mittelalters hat bei den Nordländern einen an-
deren Entwicklungsgang durchgemacht, als bei den Italiänem. Wäh-
rend dort der ganze Zug der Entwicklung auf die Yielstimmigkeit
ging, waltet hier ein monodisches Prinzip vor, der einstimmige Gesang
in Verbindung mit der Laute. Dem durchaus auf das Persönliche ge-
richteten Charakter des Italiäners entsprach eben die Monodie, als Aus-
druck der Empfindungen des Einzelnen vielmehr als die Polyphonie,
bei der die Empfindung des Einzelnen unter dem Banne der Allgemein-
heit stand und in dem Ensemble der übrigen Stimmen auf oder
unterging. Nun wurde zwar durch die Berührung mit den Nord-
ländern auch die italiänische Musik mehrstimmig, aber der Charakter
dieser Mehrstimmigkeit wurde durch die Monodie bestimmt.
Polyphon im Sinne der Nordländer ist die weltliche Musik der
Italiäner überhaupt niemals geworden, denn der Grundpfeiler der
Polyphonie, der Tenor als Cantus firmus, war bereits zertrümmert,
als die Italiäner mit ihren ersten mehrstimmigen Versuchen ans Licht
traten. Was war aber die Melodie in der Oberstimme anderes, als
die aus dem polyphonen Strome gerettete Monodie? Nur ihr Klang-
körper hatte eine Änderung erfahren. War früher die Laute das
begleitende Instrument der Solostimme, so wurden es jetzt menschliche
Stimmen, welche die Melodie harmonisch stützten. Die Mehrstimmig-
keit war das AccidentieUe, die Hauptsache blieb die einfache Melodie.
Ein gewisses Widerstreben gegen die Polyphonie haben die Ita-
liäner denn auch nicht verläugnen können. Bezeichnend genug ist
es jedenfalls, daß sie noch in den ersten Anfangen des koutrapunk-
tischen Studiums begriffen, die Instrumentalmusik nicht aus den
1893. 1
• •'• ritudolf 8chwartz.
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Au^en .verlb^eii;. "Nicht einmal der Reiz der Neuheit konnte sie
verlpcke^, die polyphone Kunst ausschließlich zu üben. Bereits
,l'5t).7*. gab' Petrucci eine gedruckte Lautentabulatur heraus ^ in der
stell ' Frottolen für die Laute gesetzt finden. Fast als ein Durch*
brechen des poljrphonen Stiles muß es aber bezeichnet werden,
wenn 1536 Adrian Willaert Madrigale von Verdelot für eine Solo-
stimme mit Lautenbegleitung arrangirt.
Ja selbst in der Blüthezeit der mehrstimmigen italiänischen
Vokalmusik lebte der von der Laute begleitete Gesang ruhig fort.
Die Bibliote ca palatina in Modena besitzt (n. 8 classe speciale) einen
Codex, von der Hand des florentinischen Meisters Cosimo Bottegari
in den Jahren 1572 — 1602 geschrieben, der hundert Kompositionen
für eine oder mehrere Singstimmen mit Begleitung der Laute enthält. ^
Es kamen aber auch noch andere Gründe hinzu, welche der
Ausbreitung der Polyphonie nicht günstig waren. Die polyphone
Vokalmusik gehörte ihrer Entwicklung nach überwiegend der Kirche
an. Nun war aber zu der Zeit, als die Nordländer ihre Kunst nach
dem Süden brachten, nirgends der Sinn verweltlichter, als gerade in
Italien, obwohl es der Sitz des Oberhauptes der Kirche war. Mit
kirchlichen Dingen fand man sich nur äußerlich ab. Das Interesse
der gebildeten Stände drehte sich um das Studium der alten Meister-
werke, »die dazu dienen sollten, die Nationalpoesie auf der Höhe
der Schönheit und des Ideals zu erhalten.« Für die Musik lag da*
her auch kein besonderer Grund vor, sich in den Dienst der Kirche
zu stellen, sie fand an der nationalen Lyrik eine überreichliche und
erwünschtere Nahrung. Hier galt es nicht von der Kirche fertig
gemachte Stimmungen, an denen das Herz doch keinen Aütheil nahm,
sondern subjektives Empfinden, das eigenste Naturell, musikalisch
darzustellen — magis corde quam organo lautete die Devise eines
italiänischen Druckerzeichens.
In diesem Betonen des Persönlichen besteht ein wesentlicher
Unterschied zwischen der italiänischen und deutschen weltlichen
Musik des sechszehnten Jahrhunderts. Der zweite liegt auf for-
maler Seite. Die Italiäner hatten sich gleich bei ihren ersten poly-
phonen Gesängen, den Frottolen, dadurch eine musikalische Form
geschaffen, daß sie die poetische Struktur des Gedichtes auf
* Poesie musicali dei secoli XIV, XV e XVI. Tratte da vari codici per
eura d% Antonio CappeUi. Bologna 1S68, pag. 17 und 18. Der Codex enthält nach
der Angabe Cappelli's Stacke von folgenden Autoren: Bottegari Cosimo. Caccini
Giulio, detto Komano. Conversi Oirolamo. Dentioi Fabrizio. Ferretti Giovanni.
Lasso Orlando. Medici Isabella (sorella del Granduca di Toscana). Nola (da)
Gio. Bomenico. Palestrina Giannetto. Rore Cipriano. Strigio Alessandro. Trom-
bonoino Ippolito. Vinci Pietro. Wert Jaches.
Hans Leo Häßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten.
die Musik übertrugen. Aus den einzelnen Versen bildeten sie ganz
kurze musikalische Perioden, die neben einander angereiht wurden
und sich nicht, wie in der deutschen Liedkomposition, in einander
verschlangen. Dadurch bekam das Gedicht eine seinem strophischen
Bau genau entsprechende musikalische Form. Wie die poetische,
so bestand auch die musikalische Frottole aus drei Theilen, von
denen der dritte den ersten wiederholte. Bei der musikalischen
Gestaltung wurde die Dreitheiligkeit der Form dadurch noch be-
sonders hervorgehoben, daß der erste Satz gewöhnlich repetirt, und
der letzte Satz mit einer Coda versehen wurde, so dafi der Anfang
und Schluß der Komposition zu dem kürzeren mittleren Theile auch
schon äußerlich einen Gegensatz bildete.
Das Madrigal, eine Frucht der fortgeschrittenen Kunstentwick-
lung, verwischte im Allgemeinen die scharfen Umrisse der Frottolen-
form wieder. Das Prinzip derselben, die Dreitheiligkeit, wird aber
auch hier zuweilen beibehalten.
Regel ist es, daß die Schlußverse des Gedichtes wiederholt wer-
ben. Diese Wiederholung stimmt entweder mit dem ersten Male
genau überein, oder sie hebt einen neuen musikalischen Gedanken
an. Für die erste Art diene folgendes Madrigal von Ciprian de Köre
als Beispiel:
Aficor che col partire,
Jo mi senta morire
Partir da voi vorrei ogni momeniOj
Toni el piacer chüo sento
Della vita che acquisto nel ritomo.
Et cosi mille e mille volle il giorno
Partir da voi vorrei,
Tanto son dolci li ritorni miei.
Der in Frage kommende Schluß der Komposition zeigt folgende
musikalische Gestalt:
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p
£t CO - si mill'^e mil-le volle ü gior no,mil-re mil-le voUe il
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Par ' tir da voi vor - rc - t,
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Rudolf Schwartz.
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t
gli ri - <or.
nt.
Für die zweite Art diene nachfolgendes Palestrina'sche Madrigal.
Hb. n, Nr. 16:
Amor, quando fiorui
Mia spene e^l guiderdon d^ogni mia fede^
Tolta nie quella ond! attendea mercede.
Aki dispietata morte! ahi crudel vita!
Uuna friä posto in doglia,
E mie speranze acerbamente ä spente:
Zf' cUtra mi tiene^qua giü contra mia voglia,
E lei che se rie gita
Seguir non posso, cKella nol consente
Ma pur ogtd. or presente
Nel mezzo del mio cor madonna siede,
E quäl e la mia vita ella sei vede.
Der Schlußvers ist folgendermaßen komponirt:
h -<■ f r r r|J7r; j J , r"7lr-^r nr7~n
e quäl e la mia vi - - ta el-la sei ve -de e qital e la mia
j^^ r r r-f-fr-^iJ- ^-JvJ Jiin^
-«-
t
t
^-,
vita el-la sei ve-de^ ella sei ve - - - de, el-la sei ve - de.
Bei den Wiederholungen der Schlußverse pflegen Andrea Gabrieli
und zuweilen auch Orazio Vecchi eine Vertauschung derjenigen Stimmen
Yorzunehmen, die unter gleichen Claves singen.
Aus diesem allen geht hervor, daß die italiäiuschen Madrigalisten
dem Schlüsse ihrer Kompositionen eine besondere Bedeutung bei-
legten« Da sie nun aber auch den Anfang ihrer Stücke durch öftere
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten.
Textwiederholungen weiter ausspannen, so treten Anfang und SchluB
in einen gewissen Gegensatz zu dem übrigen Theile der Komposition,
und das ganze Stück erhält dadurch eine dreitheilige Form. Dieses
Verfahren hat namentlich Andrea Gabrieli gern beobachtet, z. B. in
Nr. 8 des zweiten Buches der sechsstimmigen Madrigale, Venedig
MDLXXXVI.
Die Dreitheiligkeit der Madrigalform ist im Prinzip dieselbe,
wie die der Frottolen, denn die Wiederholung der Anfangs verse fand
auch dort statt, und der breit angelegte Schluß entspricht dem
Frottolenschlusse mit der Coda.
; Auf demselben Gegensatz des Anfangs - und Schluß theils zu der
Mitte der Komposition beruht die Dreitheiligkeit der Kanzonetten
Orazio Vecchi's (Nürnberg MDC), von denen ich Nr. 16 hier hersetze:
3=
i
IrrrT
■^^^
^^
i
^
X
is=?i:
t=t
r
Chi^ari lu-cen-ti rat che dentroalco-re, Po-nesti un taV ar-do-re,
-Ä-
^
t:
*
E
t
rtr-fir i r i " g^
■^a— ^
5=t:
Che mi sface in ufi tempo e tie - ne in vi - ta,
I. IL
Co - me
^m
-iz.
(las- 8o) da voi fa - ro par-ti - ta. — ta.
Neben dieser Kanzonettenform A :i|: B C:'{: kommt auch noch die
folgende: A : : B :|l: vor (cf. Vecchi Nr. XVIII, Giov. GastoldiNr. 19).
Die Balletti Giovanni Gastoldi*s (Venedig 1600, siebente Auflage)
haben dieselben Formen wie die Kanzonetten, also a :I|: b c : : oder
a :il: b :|;: die zweitheiligen Sätze sind hier jedoch vorherrschend.
Die übrigen Formen, welche die italiänische Musik im sechszehnten
Jahrhundert ausgebildet hatte, lasse ich hier bei Seite, da sie für
die nachfolgende Abhandlung nicht von Belang sind.
Im Vergleich zu dem ausgeprägten Formenwesen der italiänischen
Musik kann man in der deutschen Liedkomposition bis zum Auf-
treten Haßler's von eigentlichen musikalischen Formen nicht wohl
reden. Hier herrschte das Prinzip, das Stimmgewebe möglichst wenig
zu zerreifien, und wenn auch im Allgemeinen das Gesetz von der
Repetition der beiden Stollen und dem Gegensatz des Abgesanges
hierzu beobachtet wurde, wodurch eine gewisse Zweitheiligkeit der
5 Rudolf SehwartE ,
Form entstand, so scheute man doch selbst hier vor einer wirklichen
Trennung der beiden Theile zurück und suchte die Verbindung der-
selben auf irgend eine Weise aufrecht zu erhalten.
Ganz anders die Italiäner. Ihre Gesänge haben nicht eine ohne
Unterbrechung fortlaufende Melodie, sie bestehen vielmehr aus ein-
zelnen Theilen, musikalischen Perioden, die deutlich von einander
abgesondert sind. Im Gegensatz zu der deutschen Liedkomposition
herrscht also hier nicht eine Verbindung, sondern eine Trennung der
einzelnen musikalischen Gedanken.
Zwei wesentliche Unterschiede existiren demnach zwischen der
deutschen und italiänischen Musik des sechszehnten Jahrhunderts:
der eine betrifft die technische, der andere die formale Seite der
Komposition.
DfL nun aber die Haßler'schen Kompositionen diese beiden Unter-
schiede vermissen lassen, und sowohl in der Technik des Satzes, als
auch in der Form ganz in dem Stile der Italiäner sind, so muß man
eine italiänische BeeinfluBung seines Stiles annehmen. Daß eine
solche aber wirklich vorhanden ist, werde ich durch eine Vergleichung
seiner Kompositionen mit den italiänischen Madrigalen nachzuweisen
suchen.
I.
Das italiänische Madrigal wurzelt in der Frottole, ein Sachver-
hältniß, das ich in meiner Abhandlung «die Frottole im fünfzehnten
Jahrhundert« (Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft, 18S6, IV) nach-
gewiesen habe. Ebenso wie die Frottolisten schlössen sich auch die
Madrigalisten eng an den Bau des Gedichtes an. Da aber die poetische
Struktur in beiden Dichtungsarten eine andere war, so mußte sich
auch die musikalische Form derselben verschieden gestalten.
Die Frottole bestand aus drei Theilen, die sich so gliedern, daß
der Anfangssatz zum Schluß wiederholt wird. Aus den einzelnen
Verszeilen des Gedichtes bildeten die Frottolisten 3- und 6- oder 4-
und 8-taktige Perioden, derartig, daß das Versende sich jedesmal mit
einer musikalischen Kadenz aller Stimmen deckte. Nur an den Schluß-
vers schloß sich gewöhnlich eine längere oder kürzere Coda an, je
nachdem man ihn ganz, oder nur einzelne Worte desselben wieder-
holte.
Diese knappe Form, die schon stark an den allerge wohnlichsten
Schematismus streifte, konnte wohl für die dilettantischen, ersten mehr-
stimmigen Versuche der Frottolisten genügen, für die kunstvollen
Hans Leo' Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten.
Gebilde aber der Madrigalisten mußte sie nicht bloß als eiae lästige
Fessely sondern geradezu als ein Hemmniß des polyphonen Stiles er-
scheinen. Da aber die Kunst in ihrer weiteren Entwicklung in der
Hauptsache einen polyphonen Charakter annahm, so mußte sie diesen
Formenzwang, der überdies in der homophonen Schreibweise der Frot-
tolen seinen Grund hatte, um so drückender empfinden. Die Madri-
galisten ließen zwar auch, wie ihre Vorgänger, da einen musikalischen
Abschnitt eintreten, wo ein Vers zu Ende war, überließen aber die
Anzahl der kadenzbildenden Stimmen sowohl, als auch namentlich
die Größe der musikalischen Perioden für die einzelnen Verse des
Gedichtes ganz dem eigenen Ermessen des Komponisten. Nun war
der beengende Formenzwang durchbrochen, jetzt konnte die Phantasie
des schaffenden Künstlers frei schalten und walten. Aber die spätere
Kunst riß nicht bloß die alten Gebäude ein, sie baute auch neue
auf. Dadurch nämlich, daß die Madrigalisten bald den ganzen Stimme
komplex, bald nur einzelne wenige Stimmen sich an der Kadenz be-
theiligen ließen, gewannen sie gewisse musikalische Kontraste, durch
welche sie nicht nur die einzelnen Verse des Gedichtes deutlich von
einander abheben, sondern auch wichtigere besonders hervorheben
konnten.
Die bedeutenderen Momente der Dichtung wurden durch den
ganzen Stimmkomplex, die weniger bedeutenden durch die geringere
Anzahl von Stimmen auch musikalisch als solche gekennzeichnet.
Denselben Gründen entsprang auch der zweite Kontrast, die Gegen-
überstellung der homophonen und polyphonen Schreibart, musikalische
Ausdrucksmittel, die natürlich bei der homophonen Setzweise der
Frottolen unmögUch waren.
Bahnbrechend für eine neue Kunstrichtung, im Verhältniß zu
den Nordländern, waren aber die Frottolisten dadurch geworden, daß
sie die Melodie dem Tenor abnahmen und in den Sopran legten.
Die Madrigalisten billigten dieses Sichlossagen von dem alten Tenor,
und räumten auch ihrerseits dem Sopran die herrschende Stellung
ein, indem sie die richtige Erkenntniß ihrer Vorgänger theilten,
daß die oberste Stimme der geeignetste Platz für die Melodie wäre.
Daß das Madrigal eine andere Form annahm, als die Frottole,
lag wesentlich in der Verschiedenheit des strophischen Baues der
beiden Dichtungsarten. Da die poetische Struktur des Madrigals
jene Dreitheiligkeit der Frottolen nicht aufwies, so lag auch für die
musikalische Komposition kein Grund vor, eine von dem Gedichte
abweichende Form auszubilden.
Ganz vergessen war übrigens die Frottole auch im späteren Ver-
lauf des sechszehnten Jahrhunderts noch nicht. In den dreistimmigen
g Rudolf Schwarte,
Madrigalen des Costanzo Festa fVenedig bei Antonio Gardano, 1543J
finden sich einige, die genau dem Bau der Frottolen entsprechen.
Ein Madrigal daselbst:
O Dio che la brunetta mia che Te difora
ne vol iomar anchora, O Dio che fdaccora
che meco non dimora almerl una sol hora,
O Dio che la brunetta mia che Te difora,
stimmt genau Note für Note mit der Frottole des Micha, im ersten
Buche, fol. 38 der Petruccischen Sammlung überein , nur daß die
vierstimmige Frottole hier durch Weglassen des Altes als ein drei-
stimmiges Madrigal erscheint. Von Festa kann die Komposition nicht
sein, da sich Micha als Dichterkomponist in d^m Petruccidruck aus-
drücklich bezeichnet. Eine bekannte Thatsache ist es aber, daß die
Meister nicht immer die Herausgabe ihrer Werke selbst überwachten,
und so wird durch ein Versehen des Druckers, diese jedenfalls beliebt
gewesene Frottole in die Sammlung Festa'scher Madrigale hinein-
gekommen sein. Einer ähnlichen Beliebtheit muß sich auch die Frot-
tole d/w te Domine speraviv von Josquin Dascanio (Petrucci, Frottole
lib. I fol. 50) erfreut haben. Wir begegnen derselben wieder in dem
Codex F. X. 22, 23, 24, aus dem Jahre 1535, den die Baseler Uni-
versitätsbibliothek besitzt. Am Ende der gedruckten Lieder hat ein
Liebhaber noch eine Reihe von Gesängen handschriftlich aufgezeichnet,
unter denen sich auch das Josquin'sche Stück befindet. Allerdings sind
hier nur Sopran und Baß erhalten, die aber genau mit der älteren
Vorlage übereinstimmen. Der Name des Autors findet sich hier
nicht, vielleicht weil er zu bekannt, oder schon der Vergessenheit
anheimgefallen war.
Von den vierstimmigen Madrigalen Palestrina's ist Nr. IS des
zweiten Buches der Form nach eine Frottole.
Der Text lautet:
1. La cruda mia nemica
Del mio dolor $i pasce e si nutrica:
Per che talor si pia,
La veggio al mio languire,
5. Che parmi udirla dire:
Spera cKin hreve ßnirä il tormento.
E poscia in un mxnnefito,
Veggendo mi contentOj
Mi si mostra s\ ria,
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. <)
10. CKancide il fior de la speranza mia;
Ond e forza, cKio dica:
La cntda mia nemica
Del mio dolor si pasce e si nutrica.
Die Komposition hat folgende Fonn:
Vers l und 2 bilden einen deutlichen musikalischen Abschnitt, der
am Schlüsse des Madrigals, mit einer längeren Coda
versehen, noch einmal auftritt.
Yers 3 ist ein anfangs homophon gearbeiteter Satz, der sich
nachher freier gestaltet. Interessant ist hier, so wie
auch an mehreren anderen Stellen der Komposition,
das Korrespondiren der beiden äußeren Stimmen, in-
dem der Baß die vorgeschlagene Sopranmelodie in
der tieferen Oktave, oder wie im Vers 10, der Sopran
die vorgeschlagene Baßmelodie in der höheren Oktave
wiederbringt, während eine der beiden Stimmen pausirt
oder durch Melismen fortgesponnen wird.
Vers 4 wird vom Alt und Baß zweistimmig gesungen.
Vers 5 ist dreistimmig ohne Baß gesetzt.
Vers 6 betont absichtlich seine Zweistimmigkeit, um zu dem
folgenden
Vers 7 auf dem sich der ganze Stimmkomplex (nota contra
notam) vereinigt, einen recht deutlichen Kontrast zu
bilden.
Vers S wiederholt die eben gesungene Melodie zweimal und
zwar das erste Mal im Sopran unter Begleitung des
Altes und Teueres, das zweite Mal im Basse (in der
tieferen Oktave), während Sopran und Alt dazu sei*
feggiren.
Vers 9 ist ein freierer vierstimmiger Satz.
Vers 10 wird von den beiden unteren Stimmen begonnen, zu
denen sich die oberen nach einander gesellen. Der
Baß hört aber beim Einsetzen des Sopranes auf, nach-
dem er diesem die Melodie vorgeschlagen hat, die der
Sopran nun in der höheren Oktave genau wiederholt«
Vers 11 ist eine homophon gesetzte vierstimmige Periode, an
die sich der Anfangssatz der Komposition mit einer
Coda anreiht.
Aus der musikalischen Form dieses Madrigales erhellt die
Richtigkeit des vorhin aufgestellten Satzes, daß sich auch die
Madrigalisten eng an den Bau des Gedichtes anlehnten. Die
10
Rudolf Schwarte,
poetisclie Struktur der Frottole hätte also sehr wohl auch dem spä-
teren Madrigal zur Grundlage dienen können, die musikalische dagegen
mußte mit dem Fortschreiten der Kunstentwicklung zusammenbrechen.
Das rein Musikalische der Frottolen dagegen erwies sich in manchen
Beziehungen als lebensfähig und der weiteren Ausbildung fähig.
Die Frottolisten liebten es, den Text mit der Musik in die mög-
lichste Übereinstimmung zu bringen, d. h. sie bestrebten sich den
Text da, wo sich die Gelegenheit bot, auch musikalisch zu veran-
schaulichen. Sicherlich beabsichtigt ist es z. B., wenn ein Komponist
das Dcorrere dietro al vento« im neunten Buche Folio 45 durch fol-
gende Tonreihe musikalisch illustrirt,
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r^Tr^
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^
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r t r '^-^
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3
3Z
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oder wenn Bartolomeo Tromboncino in demselben Buche fol. 13 den
festen Entschluß [eines Liebhabers, seiner Angebeteten zu folgen,
durch fünfmalige Wiederholung desselben Melodietones g ausdrückt^.
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X
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o - sti ' na- to vo se - gm
Derselben Vorliebe für die Textmalerei, die manchmal, nach
unseren heutigen Begriffen wenigstens, in reine Spielerei ausartet,
begegnen wir auch in der späteren Madrigalkomposition wieder.
Sicherlich ist folgende Komposition der Worte nbrevi i diletU son^
lunghi gli affanmik aus Nr. 13 des dritten Buches der Madrigale yon
Palestrina, nicht viel mehr als eine Spielerei:
hrt'Vi % dt'Ut'ti 9on, lun - ghi giiaf - fan - - -
m.
^ Gans analog komponirt Luca Marenzio in seinen Madiigali spirituali pag. 9
einen ähnlichen Gedanken f olgendennaßen :
i f' f i' rfr m
io non mu-to pen^siei"
Hans Leo Haßler unter dem Einfloß der italiänisohen Madn>aliBten. | j
Die Absicht des Komponisten ist einleuchtend. Man merkt deutlich,
wie Palestlina duich denText selber zu dieser Kompositionsweise gebracht
ist, daB er nämlich den Gegensatz der beiden Epitheta brevi und lunghi
durch die Augmentation der I^otenwerthe auch musikalisch als einen
solchen kennzeichnen wollte. Daß dies Verfahren ein rein äußerliches
ist, liegt auf der Hand, ebenso wenn Luca Marenzio in seinen Madrigali
spirituali das Wort oscuro immer durch Schwärzung der betreffendenNoten
wiedergiebt ; oder wenn der Principe di Yenosa, im ersten Buch seiner
funfstimmigen Madrigale pag. 7, die Stelle /ra due mi tieni jedes-
mal nur von zwei Stimmen singen läßt, während die anderen pausiren.
Andrea Gabrieli , der denselben Text im zweiten Buch seiner sechs-
stimmigen Madrigale pag. 3 komponirt hat, läßt sich zwar auch an
dieser Stelle von dem Sinne des Textes beeinflussen, indem auch er
eine gewisse Zweistimmigkeit anstrebt, aber er entledigt sich seiner
Aufgabe geschickter, künstlerischer.
Die Zweistimmigkeit bei dem Worte due^ haben die italiänischen
Tonsetzer gern angewendet, weil sich ihnen hier eine willkommene
Gelegenheit bot, textliche Beziehungen durch rein musikalische Mittel
auszudrücken, ein Verfahren, das in ihrem kompositorischen Prinzip
begründet war, eine möglichst innige Verschmelzung der Poesie mit
der Musik anzustreben. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet,
erscheint manches Sonderbare in der Komposition weniger auffallend,
ja selbst die Spielerei mit den Silben des Hexachordes wird dadurch
i)egTeiflicher, denn die größeste Übereinstimmung des Textes mit
der Musik bestand doch schließlich darin, daß man Textworte un-
mittelbar durch gleichlautende Noten übersetzte. Die Anfänge jener
Wortmalerei lagen in der Frottole: das Madrigal behielt dieses Aus-
drucksmittel als eines ihrer vornehmsten bei. Konnte ich a. O. von
den Dichtungen der Frottolen sagen, daß sie der WiederhaU der
Empfindungen der ganzen Nation waren, und daß einzelne Rede-
wendungen schon so sehr als Gemeingut galten, daß Niemand Be-
denken trug, dieselben für sich da in Anspruch zu nehmen, wo sie
ihm am Platze zu sein schienen, so gilt dies nicht weniger von ein-
zelnen musikalischen Wendungen des späteren Madrigals.
Hierhin gehören folgende melismatische Figuren, welche sich in
den Madrigalen der verschiedensten Meister unzählig oft wiederfinden,
1 Auch bei dem Worte solo habe ich eine ähnliche Wortmalerei verschiedent-
lich gefunden. Die Stimmen sind hier so geführt , daß schließlich eine Stimme
allein auf dem Worte sol abschließt.
12
Rudolf SchwartB,
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ferner folgende Wendungen, die bei den Kadenzbildungen in allen
Stimmen angewendet sind;
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hierhin gehören ferner die Läufe bei den Worten vento, pioggia,
dardo, saetta^ strahl ßamma, foco und mo, die trotz der Verschieden-
heit ihrer Autoren eine große Ähnlichkeit unter einander aufweisen,
femer die musikalisch-bildliche Darstellung einiger Worte wie z. B.
der Oktavensprung bei dem Zusammentreffen der Begriffe cielo e terra,
oder die Trennung der Wörter respiro und sospiro durch eine Pause
hinter der Vorsilbe, u. s. w.
1 Ob und in wie weit hier Beeinfiußungen durch die Gorgia vorliegen (cf.
Chrysander's Aufsatz in der VierteljahrBschrift 1891], will ich hier nicht entscheiden»
Auffallend bleibt, daß die Kolorirung gerade so häufig in den Kadenzen auftritt,
und das waren ja die Stellen »die den S&nger ganz besonders einluden, Fiorituren
und Fassagen anzubringen a. Daß die Gorgia Anfang des 17. Jahrhunderts sich
allgemein verbreitet hatte, beweist die Mitsica ßguralis von Daniel Friderici (Ro-
stock 1619), in der er ausführliche Regeln über die Ausschmückung der Stimmen
giebt Dort heißt es: »Im Basi sollen keine Coloraturen mehr gemacht werden |
dann die so vom Componiaien gesetzet sein | sonsten wird das fundament des Ge-
sanges zerrißen | und bleiben die andern Stimmen Bodenloß | und wird nichts
den nur eine verdrißliche dissonanz gehöret«. Dagegen gestattet Friderici die
Gorgia bei den andern Stimmen; diese sollen »also coloriren, daß sie nicht vitia
musicalia einführen | solches können sie merklich vorhüten | wan sie in dem Ckme
auffhören | darinne sie anfange.
Exemplum:
Recht ist's
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Aus diesem also |
oder so zu singen.
Unrecht aber ist's
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Hans Leo Haßlex unter dem Einfluß der itali&nischen Madrigalisten. \ 3
Es liegt nicht in meiner Absicht, noch näher auf diese Einzel-
heiten einzugehen; einer eigenthümlichen Schreibweise jedoch, die
sich durch die ganze italiänische Madrigallitteratur hindurchzieht
und die ich eine motivisch-thematische nennen will, muß ich noch
Erwähnung thun. Ihr Keim liegt übrigens wiederum in den Frot-
tolen. Das Charakteristische dieser motivischen Schreibweise besteht
in der Wiederholung einer Tonreihe auf einer höheren oder tieferen
Tonstufe; die Gründe für die Ausbildung dieser Setzart sind wiederum
in dem Bestreben der italiänischen Tonsetzer zu suchen, für den
poetischen einen möglichst adaequaten musikalischen Ausdruck zu
schaffen. Dadurch nämlich, daß ein musikalischer Gedanke auf einer
höheren Tonstufe wiederholt wird, gewinnt er einen leidenschaft-
licheren Charakter und kann deshalb zum Ausdruck eines gesteigerten
Gefühles in der Dichtung dienen, während umgekehrt die Versetzung
einer Tonreihe auf eine tiefere Stufe ein Nachlassen des Gefühles
ausdrückt und sich deshalb zu beruhigteren, leidenschaftsloseren
Stimmungen im Gedichte eignet.
Auch werden die Motive verkehrt, vergrößert und verkleinert.
Es bleiben noch einige technische Eigenthümlichkeiten der Setz-
weise zu besprechen übrig. Bei der Kadenzbildung der italiänischen
Meister finden wir den Quartsext- und Septimenakkord mit seinen
ümkehrungen deutlich ausgebildet.
S(^ar den verminderten Septimenakkord habe ich gefunden:
Marenzio, Madrigal Nr. 2, lib. I.
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Eine weitere Eigenthümlichkeit der Kadenzbildung besteht in
der Beweglichkeit der einzelnen Stimmen.
An die Kadenzbildung der Frottolen erinnert der Oktavensprung
von der Quinte der Tonart in die Oktave der Quinte.
14
Rudolf Sehwarti;,
Wenn auch der Oktavensprung nicht im Basae, sondern regel-
mäßig in einer anderen Stimme auftritt, so scheint mir bei dieser
Schreibweise doch ein Einfluß der Frottolen vorzuliegen, da auch die
Frottolisten den Sprung zuweilen von einer mittleren Stimme ausführen
ließen.
Oktaven- und Quintenparallelen in unserem Sinne sind in den
Madrigalen nicht gerade selten; nach damaligen Anschauungen aber
waren diese Fortschreitungen nicht unter allen Umständen verboten.
Gafurius z. B. gestattete dieselben ausdrücklich, wenn zwischen den
beiden Konsonanzen die Pause einer Semibrevis stand; die Frotto-
listen änderten diese Regel dahin ab, daß sie statt der Pause der
Semibrevis die der Minima annahmen, wie das folgende Beispiel zeigte
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Nahe lag es, an Stelle dieser Pause, die ja doch schließlich nur
für das Auge bestimmt war, eine Verlängerung der ersten Note um
den Werth der Pause eintreten zu lassen, d. h. die erste Note ein-
fach zu punktiren und die Regel so zu fassen : Quinten- und Oktaven-
parallelen sind erlaubt, wenn die erste Note der beiden Konsonanzen
einen Punkt hat. In dieser Fassung nahmen die besten Madrigal-
komponisten die Regel an.
Stellen, wie die folgende, entsprachen also durchaus den Be-
dingungen des reinen Satzes.
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(L. MarenziO; I. Buch der Madrigale, pag. I.)
Derartige Parallelen finden sich selbst da, wo die Stimmen nicht
stufenweise fortschreiten :
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Marenzio.
A. Gahrieli.
* cf. S. 464 meiner Abhandlung »Die Frottole im 15. Jahrhundert«.
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der itali&nischen Madrigalisten. \ 5
Duldete man nun einmal Parallelen, bei denen die sweite Kon-
sonanz sozusagen vorbehalten wurde, d. h. nachschlug, so konnte man
auch das umgekehrte Verhältniß, die Vorwegnähme der zweiten
Konsonanz, sehr wohl gestatten.
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Marenzio,
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II.
Die Grundlage aller polyphonen Gesangsmusik der Nordländer
ist im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert der Tenor. Er ist
der Träger der Melodie. Die übrigen Stimmen stehen zu ihm in
einem abhängigen Verhältnisse, da sie ihre Melodien entweder durch
Imitation aus dem Tenor gewinnen, oder nur Umbildungen dieses
unter Berücksichtigung seiner charakteristischen Melodieschritte sind,
oder endlich ihm nur als begleitendes Beiwerk dienen. Mit dem
Erscheinen Hans Leo Haßler's tritt ein Wendepunkt in der welt-
lichen Musik der Nordländer ein. Der Tenor als Cantus firmus ver-
schwindet aus der Komposition und giebt seine herrschende Stellung
an den Sopran ab, der nun der Träger der Melodie wird. Eine so
Tollständige Umgestaltung einer Kunstrichtung, noch dazu wenn sie
auf Jahrhunderte langer Tradition beruht, tritt aber gewöhnlich nicht
mit einem Male und ganz plötzlich auf, sondern es pflegen derselben
eine Keihe gewisser Momente voraufzugehen, in der die Umgestaltung
selbst nur als ein Schluß- nicht aber als ein vollständig neues Glied
erscheint. Zum richtigen Verständnis der Stellung Haßler's zu den
deutschen Tonsetzern wird es daher nöthig sein, einen kurzen
Überblick über die weltliche Liedkomposition der Deutschen im
1 In Betreff der Quintenparallelen, welche sich in den Villanellen alla Napo-
litana vorfinden, verweise ich auf meine Abhandlung in der Vierteljahrsschrift 11,
8.462, habe aber noch hinsuzufügen, daß auch in den dreistimmigen lustiniane
von Orazio Yecchi solche Qu intenf ortschrei tungen an der Tagesordnung sind;
Stellen, wie die folgende, sind durchaus nicht selten:
Iß Rudolf Schwarte,
sechszehnten Jahrhundert zu gehen, um einerseits diejenigen Momente
hervorzuheben, Vielehe Abweichungen von dem alten Prinzip ent-
halten, andrerseits aber die Vereinigung dieser in den Haßler'schen
Kompositionen nachzuweisen.
Ludwig Senfi, der eigentliche Liederkomponist des sechszehnten
Jahrhunderts, steht mit seiner weltlichen Musik ganz auf dem Boden
der alten Kunstrichtung. Seine Melodien erklingen demgemäß im
Tenor. Der musikalische Satz verräth überall die Hand des Meisters,
der über alle kontrapunktische Künste frei schalten und walten kann ;
aber das Anziehende seiner Lieder besteht gerade darin, daß er den
Kontrapunkt nur als Mittel benutzt, um die Stimmung des Gedichtes
ganz zu erschöpfen. Er sucht seine Musik in XJbereinstimmung mit
den durch den Text gegebenen Affekten zu bringen. Dies gelingt
ihm überall meisterhaft; seine Kompositionen sind in des Wortes
eclelster Bedeutung Stimmungsbilder, die bald hell, bald dunkel ab-
getönt sind, je nachdem sie Freude oder Leid ausdrücken sollen.
Seine Weisen sind von einer Zartheit und Innigkeit, wie sie nur ein
deutsches Gemüth erfinden konnte.
Von einer Form seiner Kompositionen kann man nur insofern
reden, als Senfi meist die beiden ersten Stollen des Gedichtes wieder-
holt und zuweilen den Abgesang durch einen Wechsel des Rhythmus
besonders hervorhebt ; im Übrigen vermeidet er es, das Satzgefüge durch
Generalpausen oder durch Kadenzen aller Stimmen zu zerreißen, ob-
wohl auch solche Fälle vorkommen. Gewöhnlich setzt der neue Ge-
danke da ein, wo eine oder mehrere Stimmen abschließen, oder er
reiht sich unmittelbar an die etwaige allgemeine Kadenz an, damit die
Fühlung mit dem Ganzen wenigstens in einer Stimme gewahrt wird.
Li einigen Gesängen weicht Senfi indessen auffallend von
diesem Prinzipe ab. Hier werden die einzelnen Verse des Ge-
dichtes in ganz knappe musikalische Perioden gekleidet, die Vers-
enden durch allgemeine SchluBkadenzen bezeichnet; der Kontrapunkt
ist, im Gegensatz zu der sonst durchaus kunstvollen Behandlung, der
denkbar einfachste — nota contra notam, so daß die Setzweise dieser
Gesänge homophon zu nennen ist.
Dem Inhalte nach betrachtet, sind die fraglichen Gedichte Gassen-
hauer, von nichtssagender Bedeutung, ohne jeden poetischen Werth ;
vielleicht wollte Senfi ihre Minderwerthigkeit durch diese ganz ein-
fache Setzweise auch schon äußerlich kennzeichnen — oder es liegt
hier bereits italiänischer Einfiuß vor, eine Annahme, in der ich noch
durch folgende Stelle aus einem solchen Stücke bestärkt werde.
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der itali&nischen Madrigalisten. \ 'J
Der Text (Nr. L der Ott'schen Sammlung) lautet:
Hans Beutler, der wollt reiten aus:
da kam des Scherers. Michel
geschlichen in sein Haus.
Der Anfang des zweiten Verses ist folgendermaßen komponirt:
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Dieses Korrespondiren der Stimmen bei den Worten »da kam«
ist eine specifisch italiänische Eigenthümlichkeit der Setzweise und
findet sich in den Madrigalen der verschiedensten Meister. Einige
Beispiele mögen hier folgen:
A. Gabrieh, lib. IX, Madrig. pag. 7.
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Hans Leo Haßler unter dem Einiuß der italiSniscben Madrigalisten. \ 9
Deutlichere Spuren des italiänischen Einäußes zeigen sich da-
gegen in den deutschen Liedern des Orlandus Lassus (Nürnberg 1588)
Zwar bekennt sich der Meister noch äußerlich als einen Vertreter
und- Anhänger der nordischen Schule, indem er seine Melodien in den
Tenor legt. Aber dieser ist bei ihm bereits ein anderer geworden.
Die vielen Textwiederholungen, die sich Lassus innerhalb dieser Stimme
(und zwar fast immer in einer vom ersten Male verschiedenen Kom-
position) gestattet, ferner der Umstand, daß sich der Tenor oft gar nicht
an dem Gesänge einzelner Verse betheiligt, lassen diesen nicht mehr als
die feste Grundlage der ganzen Komposition erscheinen und beweisen,
daß Lassus nicht immer unbedingt die Alleinherrschaft dieser einen
Stimme anerkannte ; verwendete er ja doch selbst in seinen kirchlichen
Gesängen öfter frei erfundene Melodien als Cantus firmus statt des sonst
gebräuchlichen gregorianischen Gesanges. Der Meister betrachtete
eben die weltliche und kirchliche Musik als zwei gleiche, neben-
einanderstehende Mächte. Seine kirchlichen Kompositionen sind darum
zwar nicht ausgesprochen weltlich, sondern nur weniger specifisch-
kirchlich; er stellt sich nur insofern außerhalb der Kirche, als sein
eigenes Empfinden auch hier maßgebend für ihn sein soll, nicht die
von der Kirche fertig gebrachte allgemeine Stimmung. Trug er also
hier kein Bedenken, die Unbequemlichkeiten, die ihm die alte Schreib-
weise auferlegte, einfach dadurch zu beseitigen, daß er sich einen
eigenen Tenor schuf, um wie viel leichter mußte es ihm bei seinen
weltlichen Gesängen fallen, den Zwang der einen Stimme abzu-
schütteln, wo ihm der Text oftmals von selbst Gelegenheit bot, seine
Bestrebungen nach subjektivem Ausdruck, Tonbildlichkeit und charak-
teristischer Schreibweise zu bethätigen. Diese Gelegenheit, musikalisch
zu schildern, Jiat er denn auch gründlich ausgenützt.
Selbst an dramatischen Zügen fehlt es nicht. In Nr. 36 der
erwähnten Sammlung charakterisirt Lassus durch drei Theile hin-
durch jede im Gedicht auftretende Person durch eine besondere Ton-
reihe, die immer da wiederkehrt, wo die betreffende Person gesprochen
hat. Die Anfänge des Leitmotivs könnte man hierin erblicken. Es
handelt sich in dem Gedichte um die Auseinandersetzungen zwischen
»der alten Schwiger«, »der schnür« und dem »son«. Das Motiv der
ersteren ist bei den Worten »sprach die alte Schwiger« stets folgendes:
Die Tonhöhe wechselt und richtet sich nach dem Gang der üb-
rigen Stimmen. Die )> schnür« schließt ihre Beden stets mit fol-
gendem Motive ab:
20 Rudolf Schvartc,
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sprach die schnür hin ^ wie - der
Die Meinungsverschiedenheiten der Beiden sind durch die .ent-
gegengesetzten Tonfolgen der beiden Motive vortrefflich charakterisirt.
Einen Anflug von Komik hat es endlich, wenn der »son« dasselbe
Motiv wie die )» schnür v hat; vielleicht wollte Lassus durch die Über-
einstimmung der Motive das solidarische Auftreten der beiden Ehe-
leute gegen die Schwiegermutter musikalisch illustriren.
Je nachdem es die Komposition erheischt, sind die genannten
Motive auch rhythmisch verändert.
In seinem Bestreben nach Tonbildlichkeit verfallt Lassus zu-
weilen in dieselben Äußerlichkeiten, wie wir sie vorhin bei den Ita-
liänem kennen gelernt haben. Die Beweggründe z. B., weshalb Lassus
in Nr. 20 seiner deutschen Lieder die Worte: »drey vöglein wol-
gestalt« ferner nes sind drey Frewlein fein« und sogar »das dritt das
hat kein Namen c dreistimmig setzt, oder die Worte »das ein das
Annelein« von dem Sopran allein singen läßt, sind ebenso rein äußer-
licher Natur, wie die des Fürsten von Venosa, der in einem Madri-
gale die Stelle »fra due mi tienic zweistimmig komponirt; sie beruhen
doch wohl nur auf den zufällig im Texte enthaltenen Zahlenbegriffeii
drei und zwei.
Erstreckte sich der italiänische Einfluß, den ich in der deutscheu
Liedkomposition nachgewiesen habe, bis jetzt nur auf nebensächliche
und äußerliche Dinge, so hat derselbe in den neuen geistlichen und
weltlichen teutschen Liedein, die Leonhard Lechner 1589 in Nürn-
berg erscheinen ließ, bereits derartig an Bedeutung gewonnen, daß
er eine fundamentale Umgestaltung der bisherigen Setzweise bewirkte.
In diesen Gesängen ist der Tenor nicht mehr die alleinherrschende
Stimme, aus der die übrigen ihr Tonmaterial entnehmen; diese sind
vielmehr so selbständig geführt, daß von einem abhängigen Verhält-
nisse dieser von jenem nicht mehr die Rede ist. Und wenn Lechner
in Nr. III derselben Sammlung dieses frühere Yerhältniß der Stimmen
zum Tenor dahin abändert, daß er den Cantus firmus in den Baß
legt, wodurch dem Tenor sogar eine untergeordnete Rolle in der
Komposition zufällt, so beweist er mit diesem Verfahren, daß er zum
Mindesten anders über die Stellung des Tenors zu den übrigen
Stimmen dachte, als die früheren deutschen Tonsetzer.
Regnart und Demantius thaten noch einen weiteren Schritt. Sie
verwerfen den Tenor überhaupt und fangen an, ihren Gesängen be-
stimmtere Formen zu geben. Nunmehr ist also die deutsche Kunst
in einpm Stadium der Entwicklung, bei dem sich die früheren Gegen-
Hans Leo Haßler unter dem Einfloß der itali&nischen Madrigalisten. 2 1
satEe, welche zwischen der deutschen und italiänischen Setzweise bis
dahin bestaitden hatten, nicht mehr schroff gegenüberstehen, sondern
schon einander zustreben. Daß Hans Leo Häßler es war, der diese
Gregensätze völlig zu Gunsten der italiänischen Setzweise schwinden
lieB, wird jetzt zu zeigen sein.
Die scharf ausgeprägten Formen seiner Kompositionen fallen
zunächst in die Augen und zeigen schon äuBerlich die italiänische
Beeinflussung seines Stils.
Einige Formanalysen aus dem ersten deutschen Liedwerke Haßler's
i^Neue Teutsche gesang nach art der welschen Madrigalien und Can-
zonetten«, Augsburg 1596, will ich hier folgen lassen.
Der Text von Nr. 13 lautet:
Hertzlieb zu dir allein
steht tag und nacht mein sinn
dein rodes mündelein
nimbt miir als trauren hin
Dir hab ich mich ergeben
dein aigen will ich sein
mit dir in freudt zu leben
biß an das Ende mein.
Das Stück ist fünfstimmig, durchweg im einfachsten Kontrapunkt
nota contra notam gesetzt. Es besteht aus zehn durch Generalpausen
von einander getrennten Perioden. Davon kommen zwei auf die
beiden Stollen, die übrigen auf den Abgesang. Dieser ist folgender-
maßen musikalisch gestaltet:
Die Verse 5 und 6 bilden die dritte , die Verse 7 und 8 die
vierte Periode, hieran schließt sich eine Wiederholung der Worte
«biß an das Ende mein« mit der vorigen Melodie, die hier um eine
Quarte tiefer erscheint (Periode V). Dann folgen in neuer Komposition
(Periode VI) die beiden Schlußzeüen, endlich wird der ganze Abgesang
wiederholt.
Das Stück hat also die Form der Kanzonetten:
A. B. B.
Das Neue und Charakteristische an diesem Stücke besteht in den
homophonen, knappen, scharf hervortretenden, musikalischen Perioden.
Bei der Verwendung des homophonen Satzes war eine Trennung
der einzelnen Perioden nicht anders als durch Generalpausen mög-
lich. Aus einer Theilung aber des Stimmkomplexes in einen höheren
und tieferen Chor ergaben sich für die Periodisining neue Wege.
Musterbeispiele lieferten die Madrigale in Hülle und Fülle. Von dieser
Art der Stimmgruppirung hat Haßler vorzugsweise in seinen neuen
22 Radolf Schwartig
Teutschen Gesängen Gebrauch gemacht. Diesen Kontrast der ver-
schiedenen Chöre zeigt z. B. Ni. 18 unserei Sammmlung.
Der Text lautet:
• Mit dantzen jubilieren und mit springen
will ich mein zeit hinbringen
und meim Bulen zu lob ein liedlein singen
dann sie erfreid mein hertz vor allen Dingen.
Aus der ersten Zeile bildet Häßler drei Perioden:
I. 2 Soprane und Alt
II. 2 Tenöre und Baß. (Die zweite Periode ist die
Wiederholung der eisten in der tieferen Oktave.)
in. 2 Soprane, Alt und Tenor I.
Unmittelbar an die dritte Periode schließt sich der ganze Stimm-
komplex mit dem zweiten Verse an. Dann folgt ein allgemeines
Wiederholungszeichen.
Der dritte Vers vertheilt sich auf einen oberen (2 Soprane, Alt,
Tenor I) und einen unteren Chor (Alt, 2 Tenöre und Baß).
Den vierten Vers heben die Stimmen, welche unter gleichen
Claves singen (die beiden Soprane ^ und die beiden Tenöre im
Altschlüssel), zuerst an, die vier unteren Stimmen wiederholen ihn,
dann bringt ihn der ganze Stimmkomplex.
Die drei Perioden des vierten Verses setzen sich also aus folgen-
den Stimmgruppen zusammen:
I. 2 Soprane — 2 Tenöre,
II. Alt, 2 Tenöre und Baß,
in. vollstimmiger Chor (6 stimmig).
Dann folgt die Wiederholung der beiden Schlußverse, wobei die-
jenigen Stimmen, welche in gleichen Schlüsseln komponirt sind, ver-
tauscht werden.
Das Stück hat demnach folgende Form:
A : II : B I B'
(B' bedeutet die Wiederholung des Theiles B in der Vertauschung der
unter gleichen Schlüsseln singenden Stimmen. Dieses Sachverhältniß
werde ich von jetzt an, der Kürze wegen, immer durch einen Strich
rechts oben hinter dem Buchstaben bezeichnen.)
Die eben analysirte Form wurde, wie ich in der Einleitung sagte»
auch zur Madrigalkomposition benutzt. Daß aber Häßler bei der
Formenbildung seines Stückes wirklich nach italiänischem Muster
arbeitete, wird sich aus einer Vergleichung mit dem Madrigal Nr. Ill
(lib. II) von Andrea Gabrieli ergeben. Der Text lautet :
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 23
Came voi tu clCio viva
Se m'uccidi
JE come voi cKio mora
Se mi dar vita ancora.
Tra due mi tiene
Onde tra morte e vita
Vivendo nioro
E non viveruPho vita.
Der erste größere Abschnitt der Komposition umfaßt die Verse
1 — 4 und besteht aus sechs Perioden. Zwei davon kommen auf den
ersten, eine auf den zweiten, je eine auf den dritten und vierten
Yers. Diese beiden letzten Perioden werden in etwas veränderter
Gestalt (Periode V und VI) wiederholt — A.
Der zweite Abschnitt umfaßt die Verse 5 — 8 und besteht eben-
falls aus sechs Perioden. Davon erhalten: Vers 5 zwei, Vers 6 eine,
Vers 7 zwei, (hier ist die zweite Periode die genaue Wiederholung
der ersten] Vers 8 eine Periode B.
Dann folgt die Wiederholung des Theiles B als B'.
Eine Dreitheiligkeit der Form, welche auf dem Gegensatz des
Anfangs- und Schlußsatzes zu der Mitte der Komposition beruht —
ein Formprinzip, das wir von den Madrigalen und Kanzonetten her
kennen — hat Nr. I der Haßler' sehen Gesänge.
Der Text lautet:
Nun fanget an ein guts Liedlein zu singen
last Instrument und Lauten auch erklingen
lieblich zu musiciren
will sich jetzund gebüren.
Drumb schlagt und singt
daß es erklingt
helfft unser Fest auch zieren.
Der Anfang des Stückes zeigt folgende musikalische Gliederung :
Der erste Vers (a) ist dreistimmig, der zweite (b) vierstimmig; bei
der ersten Wiederholung erscheint die Melodie von a in der tieferen
Quarte, die von b in etwas geänderter Gestalt wieder.
Daim folgt die Repetition des Ganzen. Von diesem breit an-
gelegten Anfangssatze heben sich die beiden folgenden Verse durch
ihre Themata und durch ihre ganz knappe musikalische Fassimg
deutlich, ab.
Der Schluß aber nimmt durch die Wiederholung seiner Perioden
wiederum breitere Dimensionen an. Aus den vorhandenen Gegen-
sätzen e^ebt sich die Dreitheiligkeit des Stückes von selbst:
A:': B C:|l:
24
Budolf Schwarts,
Mit einer merkwürdigen musikalischen Form haben wir es in
Nr. 16 derselben Sammlung zu thun.
Der Text lautet:
Ich scheyd von dir mit leyde
verlaß dich mein treus Hertze
das bringt mir grossen schmertze.
Ach weh vor leyd ich stirbe
Kans dan nit anders sein
was sol ich than.
O wie ein schweres leyden
noch muß es sein gescheyden
vor angst ich gar verdirbe
Ach weh ich scheid und stirbe.
In dem ersten Stollen des Gedichtes werden folgende Motive
verarbeitet : ^
Thema a)
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Ich scheyd von dir mit ley - de
Gegenthema a}
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ich scheyd Ton dir mit ley - de
Beim Beginn des zweiten Stollen tritt das Gegenthema^ in seinem
«weiten Theile rhythmisch verkürzt, in dieser Gestalt auf:
Gegenthema b)
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1S3L
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3
ach weh vor leyd ich stir - he
Da also der zweite Stollen in der Hauptsache nur eine Wieder-
holung des ersten ist, so kann man die beiden Stollen zusammen als
einen Theil A auffassen.
Die Verse 7 — 9 schlagen ein ganz neues Thema an und bilden
hierdurch einen Gegensatz zu dem ersten Theil. Das alte deutsche
Formprinzip, die Kepetition der beiden Stollen, denen der Abgesang
gegenübersteht, blickt also hier deutlich durch. Da nun aber der
zehnte Vers zweimal das Hauptmotiv als b und dann als a in der
ursprünglichen Form mit einer Coda wiederbringt, so erhält das
^ cf. S. 5$ dieses Aufsatzes.
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänisehen Madrigalisten. 25
Stück durch die Wiederaufnahme des Anfangsgedankens am Schlüsse
in der Form eine gewisse Aehnlichkeit mit der Frottole : A. B. A,
Daß aber diese Form hier entstand, lag lediglich an der Beschaffen-
heit des Gedichtes selber, dessen letiter Vers inhaltlich nur eine
Wiederaufiiahme des Anfiangsverses der beiden Stollen war, ein Ver-
hältniB, das nun auch auf die musikalische Form des Stückes über-
tragen wurde. Vergleiche hierzu das auf Seite 8 erwähnte Palestrina-
sehe Madrigal, dessen Frottolenform ebenfalls durch den strophischen
Bau des Gedichtes bestimmt wurde.
Was die Giuppirung und Kontrastirung der einzelnen musika-
lischen Perioden in dieser Sammlung anbetrifft, so herrscht hier mehr
das Prinzip des Nebeneinander als des Ineinander, d. h. die Perioden
sind meistens so scharf von einander abgegrenzt, daß man die ein-
zelnen aus dem Satzgefüge herausschneiden könnte. Ja es hat fast
den Anschein, als suche Haßler etwas darin, in diesen Punkten die
Italiäner noch zu übertrumpfen. Ein Periodenbau z. B. wie der
folgende (Nr. 15) dürfte nicht so leicht bei den italiänischen Madri-
galisten zu finden sein, während eine derartige Peiiodisirung in
unserer Sammlung nicht gerade zu den Seltenheiten gehört.
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^mn-r
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1^
Ach Schatz ich thu dirklagen
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5e
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acis
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^g
t^
(wie oben)
den großen schmertse
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Da aber Haßler mit der Herausgabe seines Werkes zugleich den
Zweck im Auge hatte, die deutschen Tonsetzer zu veranlassen, ihre
Kunst im 8inne der Italiäner weiterzubilden, oder, wie er iu der
Vorrede sagt, »andern bessern Komponisten dardurch ursach zu geben |
hernach zu folgen ' damit also die löbliche Kunst auch besser und
mehro in Teutscher sprach in gebrauch käme«, so nimmt das Werk
einen didaktischen Charakter an, und von diesem Gesichtspunkte aus
betrachtet erscheinen die stilistischen Uebertreibungen Haßler's in
einem ganz anderen Lichte. Die Gruppirung und Kontrastirung der
einzelnen musikalischen Perioden waren specifisch-italiänische Eigen-
thümlichkeiten des Satzes, etwas ganz Neues in der deutschen
Liedkomposition und schließlich ein Hauptunterschied zwischen den
Musiken der Nord- und Südländer; wollte also Haßler, wie der Titel
des Werkes es besagte »nach art der welschen Madrigalien und Can-
zonetteuff komponiren, wollte er den deutschen Tonsetzern zeigen,
worin das Wesen der italiänischen Kunst bestünde, so mußte er diese
Hauptfaktoren der italiänischen Setzweise besonders hervortreten
lassen und in seinen musikalischen Gebilden gerade hier die grellsten
Lichter aufsetzen. Daß sich aber der Meister selbst sehr wohl be-
wußt war, in diesen Punkten manchmal ein Zuviel gethan zu haben,
geht daraus hervor, daß er in seinem zweiten deutschen Liedwerke
»Lustgarten Neuer Teutscher Gesang | Balletti | Galliarden und In-
tradena^ das er wenige Jahre später herausgab, von diesem hyper-
italiänischen Standpunkte zurückgekommen ist, ohne daß darum sein
Stil etwa weniger italiänisch wäre. £r sprach eben nicht mehr zu
einem lernenden Publikum, dem er die Grundzüge der italiänischen
Musik handgreiflich klar zu machen hatte, er war mit seinen Re-
Haos Leo Haßler unter d^m Einfluß der italiän Ischen Madrigalisten. 27
formen durchgedrungen und hatte nunmehr freien Raum zu eigenem
künstlerischem Schaffen.
Der Lustgarten enthält folgende neue musikalische Formen:
Balletti , Galliarden (die Instrumentalsätze übergehe ich] , den Nach-
tanz (proportio), der einigen Liedern angehängt ist, der in der ersten
Liedsammlung Haßler's fehlt.
Die Balletti unseres Meisters zeigen eine überraschende Aehnlich-
keit mit den in der Einleitung erwähnten Ballettkompositionen Gio.
Gastoldi's, und zwar nicht bloß in der Form a:;': b:||: oder : ':a b :{{:c,
sondern auch in der Technik des Satzes. Man vergleiche:
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I. Oastoldi, Balletti Nr. 5.
n. Haßler, Lustgarten Nr. XXIII.
III. Gastoldi, Balletti Nr. 2.
IV. Haßler, Lustgarten Nr. XXI.
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Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madriioilisten. 29
Bei der groBen Verbreitung der Gastoldi'schen Balletti ä cinque
voci — vor mir liegt die siebente Auflage einer Sammlung derselben
aus dem Jahre 1600 — läßt sich eine direkte Bekanntschaft Haßler's
mit diesen Stücken «ehr wohl annehmen, da die geradezu frappirende
Ähnlichkeit der beiden Setzweisen unmöglich eine rein zufallige sein
kann.
Die Gagliarden Haßler's haben die Form a:i: b c:||:
Eine Eigen thümlichkeit des Satzes, die sie mit Nr. 14 der Gastol-
di'schen Stücke theilen, besteht darin, daß die Melodietöne (nicht
der Kontrapunkt) der beiden letzten Takte des Theiles (a) am Schlüsse
der ganzen Komposition wiederholt werden.
Die italiänischenKanzonetten(1589) und Madrigale (1596) Haßlers
sind mit Hervorkehrung der Eigenthümlichkeiten der italiänischen
Setzweise ganz in dem Stile der italiänischen Madrigalisten gehalten.
Nachdem ich den italiänischen Einfluß auf die formale Seite der
Hafiler'schen Kunst nachgewiesen habe, werde ich jetzt dasselbe in
Bezug auf die Kompositionsweise des Meisters thun, indem ich durch
eineVergleichung diejenigen Punkte feststelle, welche an dem Haßler-
sehen Stile auf italiänischen Einfluß zurückzufuhren sind.
Italiänische Eigenthümlichkeiteft seines Satzes sind folgende:
a) Der Vorschlag des Basses vor dem Eintritt des
ganzen Stimmkomplexes.
L. Marenzio.
Palestrina.
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Haßler, Lustgarten.
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b) Die echoartige Wiederholung einer Melodie in den
beiden Oberstimmen, wenn dieselben unter gleichen
Schlüsseln singen:
A. Gabrieli, 2. Buch der Madrigale, Nr. 2.
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Hans Leo HaBler unter dem EinfluB der italiänischen Madrig&listen. 3 J
Haßler, Neue Teutsche gesang Nr. 20.
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Rudolf Schwarte,
Haßler, Lustgarten Nr. 32; cf. auch Neue Teutsche gesang Nr. 22.
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Vorziigsweise ist eine derartige Behandlung dei Stimmen in den
doppelchöiigen Stücken der Italiäner und HaBler's im Gebrauch, ja
es ist hier sogar der zweite Choi oftmals weiter nichts als das genaue
Echo des ersten. Aber auch sonst findet sich das Echo häufig und
zwar namentlich am Schlüsse der Komposition^ wo es dann als eine
Wiederholung der Schlußphrase erscheint; s. Haßler, Kanzonette Nr. 14.
da voi fa ' rd par-ti-ta, da voi fa- rb par
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Diese Schreibweise ging dann später auch in die Klaviermusik
über, wie Franz Beier in seiner Abhandlung über Johann Jacob
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänisohen Madrigalisten. 33
Froberger [Waldersee's Sammlung musik. Vorträge) pag. 29 nach-
weist. Er irrt aber mit Burney, wenn er pag. 30 fortfahrt: i> Dieses
jEcto* stammt ebenso wie die Vortragszeichen descrescendOy decrescendo
ptaTio und forte y welche nach Burney zum ersten Mal in Madrigalen
Yon Mazzocchi (1638) zur Anwendung kommen, aus der ersten Hälfte
des 17. Jahrhunderts und wurde schnell ein beliebtes und vielge-
brauchtes Mittel zur Belebung des Vortrags.«
1564 kommt das Echo am Schlüsse der Komposition schon bei
Ciprian de Rore vor (Madrig. lib. I pag. 7,.
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1586 ahmt Palestrina im dritten Buche seiner Madrigale (Nr. 7)
das Echo in folgender Weise wirklich nach:
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1596 komponirt Haßler ein ganzes Stück, eine Risonanza dEcho^
4uTchgängig in dieser echoartigen Weise. Ich gebe einige Takte aus
demselben:
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34
Rudolf Schwarte,
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Zeit.
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Das Echo in der Vokalmusik stammt also aus einer viel früherea
c) Die motivisch-thematische Schreibweise, cf. pag. 13«
1. die Steigerung des Gefühles:
Haßler, Kanzonette Nr. 3.
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Neue Teutsche gesang Nr. 17.
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Ach nie-mand ster - ben kan, ach nie-mand ster - ben kan
2. das Nachlassen des Gefühles:
Kanzonette Nr. 18.
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Lustgarten Nr. 17.
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helff uns beid | zu-samm mit freud | fa la la la la la.
Die Steigerung des Gefühlsausdruckes wird auch so erreicht^
daB eine andere (höhere] Stimme das angeschlagene Motiv fortsetzt:
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigaliaten. 35
Gabrieli.
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36
Rudolf Schwarte,
Bei dem Ausdruck des nachgelassenen Gefühles tritt der um-
gekehrte Fall ein.
In der motivischen Bearbeitung seiner musikalischen Gedanken
leistet Haßler manchmal geradezu Unglaubliches. Man sehe z. B.
Nr. 31 in seinem »Lustgartens. Hier werden die Motive förmlich zu
Tode gehetzt. Ich gebe als Beispiel den Schluß der Komposition
(Theil B) in den beiden Oberstimmen. Der Alt schlägt das Thema vor :
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Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 37
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Zum Überfluß wird nun noch einmal der ganze Theil B als B'
wiederholt. Aus dieser übertriebenen Anwendung der motivischen
Schreibweise entstehen öfter störende Längen in den Haßler'schen
Kompositionen, welche den Gesammteindruck des ganzen Stückes
stark beeinträchtigen, cf. S. 50.
Die Motive bestehen auch zuweilen nur aus einigen wenigen
Noten:
Haßler, Madrigal 7. Neue Teutsche gesang Xr. 1.
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Marenzio, M adrig, spir. pag. 13.
Haßler, Madrig. Nr. VI.
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Das eben erwähnte Porta'sche Motiv (vergleiche auch L. Marenzio.
Madrig. lib. I. pag. 11.) führt Haßler am Schlüsse des Tanzliedes
Nr. 16 [Lustgarten) mit dem Texte fa la la etc. wie folgt durch:
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Man darf den musikalischen Werth dieser sequenzartigen Fort-
spinnung der Motive nicht nach heutigen Begriffen veranschlagen,
man darf dabei vor allen Dingen nicht vergessen , daß in diesen
Sequenzen der Keim der späteren thematischen Arbeit lag. Diese
motivischen Gebilde waren Schößlinge, deren Wurzeln im in|;iersten
Wesen der Musik selbst lagen, Produkte einer urwüchsigen aber
38
Rndolf Sehwartz,
zügellosen Bewegung, ins Kraut geschossene Pflanzen, die nui kunst-
mäßigerer Pflege bedurften, um für eine spätere Zeit edle Früchte
zu tragen. Natürlich mußte dieses üppig wuchernde Leben auf der
anderen Seite Tod erzeugen. Eine in Bezug auf die Halbtöne streng
durchgeführte Imitation der Motive mußte zu Verhältnissen führen,
die nicht mehr im Einklang mit den bis dahin giltigen Kunstgesetzen
standen. Es hieß den alten Kirchentonarten die Freundschaft kün-
digen, wenn man ein Thema, das mit g-fis-g begann, mit d-cis-d
beantwortete. Die Sequenzenbildung wies also von selbst auf die
Modulation hin , und daß es gerade die Quinte war , nach der man
zunächst modulirte, beweist, daß man schon damals ein richtiges, wenn
auch noch dunkles Gefühl für die Zusammengehörigkeit oder Ver-
wandtschaft der Tonarten hatte. Modulationen machte man nicht
bloß durch Transpositionen der Motive, sondern auch dadurch, daB
man bei Wiederholungen innerhalb des eigentlichen Grundmotivs
gewisse Veränderungen schon im Hinblick auf den modulatorischen
Zweck vornahm, in dem man leitereigene Töne der fremden Tonart
an passender Stelle einführte.
GabrielL
CXf~J J I - < ^^-^ J J ■
Der ganze Zug der Zeit drängte zum harmonischen Prinzip, und
sicherlich haben die Sequenzen das Ihrige dazu beigetragen. Ein in
Sequenzen fortschreitender Baß mußte z. B. eine Reihe von Akkorden
nach sich ziehen, die nicht mehr das Resultat einer selbständigen
Stimmführung waren; den Harmonien war durch die Baßführung ein
ganz bestimmter Weg vorgeschrieben; der Komponist dachte also
nicht mehr melodisch, sondern akkordlich. Sogar in der Themen-
bildung selber machte sich das harmonische Element deutlich be-
merkbar. Es entstanden neben den melodischen auch ausgeprägt
harmonische Motive.
GabrieU.
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Marenzio.
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Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 39
Palestrina.
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Haßler.
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Haßler.
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Die Motive erfahren des Öfteren rhythmische Veränderungen und
werden häufig auch augmentirt und iu der Yerkehrung gebracht.
d) das Korrespondiren der Stimmen.
Ich versage es mir, hierzu Beispiele zu bringen, begnüge mich
vielmehr, auf S. 17 zurückzuweisen. Haßler's Madrigale und Kanzo-
netten sowohl als Neue Teutsche gesang liefern die Beweise, daß er
sich diese Kompositionsmanier der Italiäner angeeignet hatte.
e) die Kadenzbildung:
1. Der Septimen- und Quartsextakkoid.
Haßler, Madrigal XVI.
Kanzonette Nr. IV*
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Rudolf Schwarti.
Die NonenbehandluQg im letzten Beispiele ist für die Anwendung
dieses Intervalles lehrreich. Die Regeln, welche neuere Theoretiker
über den Gebrauch der None im sechszehnten Jahrhundert aufgestellt
haben, sind für die weltlichen Kompositionen dieser Zeit nicht er-
schöpfend. Man thut am besten, hier nicht von einer »Begleitungi
dieses Intetvalles zu sprechen, sondern die Nonen aU Vorhalts-
haimonien im modernen Sinne aufzufassen. Diese Vorhalte sind
entweder einfacher Art z. B.
also 9 — 8, oder sie treten zugleich
mit dem Vorhalte eines anderen Intervalles auf. Im obigen Beispiel
haben wir die Verbindungen von , „ und „.
Die erste Art von doppeltem Vorhalte findet sich häufig in den
Paleetrioa'schen Madrigalen, z. B.:
inl. Buch der
Madrigale Nr. 11.)
die zweite Art habe ich bei Luca Marenzio gefunden.
Die umgekehrte None, von der Bellermann sagt, 'daß sie in
jeder regelrechten mehrstimmigen Musik verboten sei« (Kontrapunkt
II. Aufl. S. 197), hat Palestrina in Nr. 23 ultima parte] des ersten
Buches seiner Madrigale:
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 4 ]
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2. Der Quintsextakkord vor dem Dominantenakkoid.
Frottolist Jo. Scrivano. Marenzio, Madrigal pag. 4.
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Rudolf Schwartjs,
N. T. ges. Nr. 13.
N. T. ges. Nr. U.
In den Kadenzen der Gagliarden ist dieser Akkord fast immer
zu finden.
Gastoldi, Balletti Nr. 14.
Lustgarten Nr. XX.
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Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 43
Lustgarten Nr. XV.
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3. Zum Abschluß kürzerer Perioden war bei den Madrigalisten
und bei Haßler folgende Kadenzformel im. Gebrauch:
Palestrina.
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4. Harmonisches Interesse wegen der darin vorkommenden über-
mäßigen Sexte bietet folgende Kadenz Haßler^s (Madrigal Nr. IV):
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Nach Analogie dieser Stelle könnte man also in manchen Ka-
denzen die Accidentalen setzen, wo sie die Herausgeber älterer Ton-
werke bis jetzt Terschmäht haben, z. B.:
44
Rudolf SchwartEi
Palestrina [I. Buch d. Madrigale Nr. 13).
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folgender Stelle: Palestrina I. B. d. M. Nr. 6.
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5. Das Figurenwerk in den Kadenzen.
Lustgarten Nr. XXXVI. Madrigal Nr. IV.
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Hans Leo HaBler unter dem Einfluß der italiäniscben Madrigalisten. 45
Lustgarten Nr. IV.
N. T. gesang Nr. 7.
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6. Die Oktavensprünge in den Kadenzen.
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Madrigal XXIX. Madrigal Kr. V.
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f) In dem Bestreben, schildernde Züge des Textes in
gleichem Sinne für die musikalische Komposition zu ver-
werthen, zeigt sich Haßler als ein echter Italiäner. Seine Ton-
reihen bei den Wörtern saetta^ pioggia, dardo, rio, scherzar^ßammeg-
giar u. a. sehen den italiäniscben zum Verwechseln ähnlich. Nun
können aber die Tonreihen zweier verschiedener Komponisten ähnlich
igein, ohne daß man berechtigt wäre, aus dieser Ähnlichkeit irgend
welchen Schluß für die Komponisten zu ziehen; die Übereinstimmungen
46 Rudolf SehwarU,
könnten zufällige sein. Wenn wir aber bei den verschiedensten
Komponisten unter denselben Voraussetzungen stets ähnliche Ton-
reihen wiederkehren sehen, so verliert eine solche Ähnlichkeit den
Beigeschmack des rein Zufälligen und erklärt sich in diesem Falle
aus einem gemeinsamen Prinzipe der Setzweise.
Prinzipiell aber verwendeten die Italiäner bei den vorhin ge-
nannten und ähnlichen Wörtern charakteristisches Figuren- und Lauf-
werk. Da nun HaBler zu gleichem Zwecke dieselben Mittel benutzt,
so ist damit die italiänische Beeinflussung seines Stiles erwiesen, ich
leite dieselbe aber doch nicht allein aus der bloßen Ähnlichkeit der
hier in Frage kommenden Tonreihen ab — bei dem immerhin noch
beschränkten Tonmaterial waren namentlich bei Läufen Übereinstim-
mungen nicht wohl zu vermeiden — , als viel mehr daraus, daB
Haßler das italiänische Prinzip auch für seine eigenen musikalischen
Schilderungen annahm. Ich hielt diese vorangehenden Bemerkungen
für angebracht, weil sich hier die Gelegenheit von selbst bot, die
Gesichtspunkte anzugeben, welche für mich bei der Abfassung
dieser Arbeit maßgebend waren.
Ebenfalls auf italiänische Anschauung zurückzuführen sind die-
jenigen Stellen, an denen HaBler seine Texte sozusagen wörtlich
komponirt: z. B. mi fa durch einen Halbtonschritt, solo soletto durch
eine einzelne Stimme. Wenn er femer die Worte »ich kann nicht«
durch eine Pause trennt, um die Ermattung und Erschöpfung Jemandes
auszudrücken, so ist das schließlich auch nichts anderes, als wenn
Palestrina, der Principe von Venosa, Vecchi in einzelnen Fällen bei
den Wörtern respiro und sospiro das Athmen und Seufzen durch
eine Trennung der Vorsilben faktisch geschehen lassen. Je mehr es
aber gelingt nachzuweisen, daß auch die Detailarbeit Haßler's unter
dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten steht, um so klarer ist
die italiänische Beeinflussung seines Stiles überhaupt erwiesen. Hier-
bei ist nun eine interessante Stellungnahme Haßler's gegen die da-
mals um sich greifende chromatische Schreibweise zu beobachten.
In seinen weltlichen Kompositionen veischmäht nämlich der deutsche
Meister das Fortschreiten der Stimmen in chromatischen Halbton-
stufen, ein Mittel, dessen sich die Italiäner gern zur Steigerung des
Affektes bedienten*. Was ihm durch das Verzichtleisten auf dieses
musikalische Ausdrucksmittel verloren ging, ersetzte er durch charak-
teristische Akkordkomplikationen und Alteration der Intervalle. Man
1 Ich entsinne mich nur einer Stelle, wo Haßler diesen chromatischen Halb-
tonschnitt Cg — gis) in einer Mittelstimme anwendet.
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der itaUänischen Madrigalisten. 47
siebt daraus, daß Haßler trotz aller fremden Beeinflussungen doch
seine Individualität zu wahren wußte . Der ruhiger veranlagte Deutsche
äußerte eben seine Gefühle musikalisch in anderer Weise, als der
leidenschaftlichere Italiäner. Und wenn Haßler in einer Motette
chromatische Schärfungen jeder Art in der ausgiebigsten Weise ge-
braucht, so spricht dieser vereinzelte Fall meiner Meinung nach dafür,
daß der deutsche Meister zwar alle Eigenthümlichkeiten der italiäni-
sehen Setzweise kannte, in der Verwendung aber derselben nicht
kritiklos verfuhr. Außerdem handelt es sich in dieser fraglichen
Motette (Sacri concentus Nr. 20) hauptsächlich um die sogenannte
chromatische Quarte, welche gewissermaßen zu einem musikalischen
Begriff geworden war^; eine Inkonsequenz ist es daher noch lange
nicht, daß Haßler mit diesem Begriff gelegentlich auch einmal ope-
rirte. Ich halte es fiir eine äußerst glückliche Idee, wenn unser
Meister die Angstrufe eines geängsteten und zerschlagenen Herzens
durch chtomatisch aufsteigende und die Bitte um Erlösung durch
chromatisch abwärts steigende Gänge wiedergiebt. Durch diese
Tonreihen werden die angstvoll zum Himmel emporgestreckten
Hände und das allmähliche zur -Erde -Sinken des Betenden gleich-
sam plastisch zur Anschauung gebracht.
Ganz deutlich aber tritt die beabsichtigte Plastik und Figür-
lichkeit der Tonreihen in dem Liede Nr. XXXVIII des » Lustgarten c
zu Tage. Der Text handelt von dem »singen d' Maidlein in jrem
Rayen«. In sehr charakteristischer Weise drücken die geschwungenen
1 Auch die chromatische Terz verwendeten die italiänischen Madrigalisten su
Themenbildungen :
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(s. Ciprian, I. Buch der Madrig. , Gio. Gabrieli 1 597 , vergL Vierteljahrsschrift VII, S. 156) .
Die Accidentalen betreffend bemerke ich, daß das 7 voraufgehende Kreuze wider-
ruft; nur das B-rotundum wird häufig (nicht consequent) durch unser modernes
Auflösungszeichen S{ (b-quadratum) aufgehoben. Derselbe Drucker Valentin Schönig
gebraucht (1601) unser Auflösungszeichen noch an dieser Stelle (Nr. 20 Sacrorum
C&neeniuum von Gumpelzhaimer, Tenor):
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In dem ersten Bande der Sacrae nielodiae von Melchior Franck (ebenfalls 1601) setzt
derselbe Drucker als Auflösungszeichen beinahe regelmäßig wieder die liegenden
Kreuze X. Die ersterwähnte Form des Auflösungszeichens (in Vokalkompositionen
wenigstens] habe ich bis zum Jahre 1601 nur in den Drucken von Schönig gefunden.
48
Rudolf Schwarte,
liinien der Tonreihen die Tanzbewegung aus, so daß man die tan-
zenden Paare gewissermaßen an sich vorüberschweben sieht:
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Mit ziemlicher Gewißheit darf man annehmen, daß Haßler bei
der Komposition dieser Stelle an ein Vecchi'sches Stück dachte, in
welchem die Tanzbewegung in ganz ähnlicher Weise folgendermaßen
musikalisch geschildert wird:
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Aus dieser Analogie ergiebt sich, daß Haßler den Grundsatz der
italiänischen Setzweise billigte, wonach die Musik den Text möglichst
getreu wiedergeben sollte, und er spricht diesen Gedanken auch
selbst in folgendem Gedichte aus:
ijWer singt der sing | das es wol kling — und thu die stimm recht
führen
Schrey nit zu sehr | thu sich vil mehr | fein lieblich moderiren |
Auff daß gar frey — die Melodey | zum Text mög concordieren.a
g) Außer der chromatischen Quarte bauten die Italiäner ihre
Themen noch auf zwei anderen Quartengattungen auf, die
ich zum Unterschied von einander als Dur- und Moll-
quarten bezeichnen will.
Die erstere ist nach Analogie der ionischen Quartengattung
(c d e f) folgendermaßen gebildet:
e fis gis a, a h eis d, d e fis g;
die zweite ist eine Transposition der dorischen Quarte (defg) und er-
scheint in dieser Gestalt:
e fis g a, h eis d e.
Die Hervorkehrung der großen Terz gerade in denjenigen Ton-
arten, wo die kleine Terz geboten war — die Themen kommen auch
mit ausgelassener zweiter Stufe vor (Palestrina: e gis a h, Gabrieli:
a eis d) — bedeutet einen offenbaren Bruch mit den bisherigen Tra-
ditionen und weist deutlich auf unser modernes Dur hin. Im letzteu
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 4^
Viertel des Cinquecento ist also bereits der Gregensatz von Dur und
Moll in unserem Sinne ausgebildet.
Eine weitere Umgestaltung des bisherigen Tonsystems ist die
starke Betonung des aufwärtsgehenden Leitetones und zwar wieder
bei denjenigen Tonarten, die des Subsemitoniums ermangelten.
Marenzio und Gabrieli beantworteten beide dieses Thema
g fis g a
genau real mit d eis d e.
Es finden sieh sogar häufig Themen , die mit dem aufwärts-
gehenden Leiteton anfangen. Hatte man aber einmal das Subsemi-
tonium eingeführt, so mußte die Annahme desselben eine Rückwirkung
auf die akkordlichen Verhältnisse der Tonleiter ausüben ; es entstanden
dadurch ganz von selbst die Akkorde a c fis, e g eis, h d gis, die
ich wegen der beiden vorhandenen Leitetöne — Leitetonakkorde
nennen möchtet Ich fasse dieselben als Bruchstücke einer vierstim-
migen Harmonie auf; sie vertreten überall Septimenakkorde und
verlangen wie diese eine Auflösung. Diese geschieht denn auch in
der bekannten Weise, daß die beiden Leitetöne auf- resp. abwärts
gehen, die Terz hat, wie bei dem Septimenakkorde die Septime, ent-
schieden das Bestreben zu fallen^.
Daß die Einführung des Subsemitoniums für die Bildung und
Entstehung des Dominantseptimenakkordes von wesentlicher Bedeu-
tung war, brauche ich wohl kaum hinzuzufügen ; man vergleiche die
gegebenen Beispiele.
Alle diese neuen Theorien nahm Haßler in vollstem Umfange
an. Mehr noch als die Italiäner begünstigte er die Leitetonakkorde.
In dem Madrigal Nr. XXVI kommen zwei derartige Akkorde hinter-
einander vor, er benutzt dieselben gern zu modulatorischen Zwecken.
Für die thematische Verarbeitung der Dur- und Mollquarten
führe ich zwei Stellen aus dem Haßler'schen Madrigal Nr. XVI an,
bei denen der beabsichtigte Gegensatz von Dur und Moll besonders
scharf uns entgegentritt.
* Auch die Akkorde ces-a und g-b^e (als Leitetonakkorde von if respektive
J*) kommen bei den besten itali&nischen Meistern und audi b^i Haßler h&ufig vor.
Alle diese Akkorde erscheinen auch mit Vorhalten bei der Terz oder bei der Sexte,
oder mit beiden Vorhalten zugleich.
3 Bei eventuellen Verdopplungen der Terz mußte natürlich die eine derselben
dteigen, um die Oktavenparallelen zu vermeiden; ähnliches gilt auch bei etwaigen
Verdopplungen der anderen Intervalle.
1893. 4
50
Rudolf Sehwarts,
1.
e fis gis a a f
Care la - gri-me u. s. w.
2 e fis g^ a h c h
O pur crescete tanto
DaB bei dieser Themenbildung Haßler's, so weit es sich um die
Quarten handelte ^ Übereinstimmungen mit den auf gleiche Weise
gebildeten italiänischen Themen nothwendiger Weise stattfinden
mußten, lag in dem verwendeten Tonmaterial selber begründet.
h) In Bezug auf Quinten- und Oktavenparallelen gelten
bei Häßler die italiänischen Regeln:
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i) Die Stimmvertauschung; welche wir von den Italiänern
her kennen, und die auch Haßler bei den unter gleichen Schlüsseln
singenden Stimmen vornimmt, sei hier des Zusammenhangs wegen
noch einmal erwähnt. Der Grund, weswegen Haßler von dieser
Stimmvertauschung in der ausgiebigsten Weise Gebrauch macht,
läßt sich einigermaßen mit Sicherheit errathen. Es bot ihm diese
Setzweise Gelegenheit, die musikalischen Formen seiner Stücke zu
erweitem und auszubauen ; er konnte Wiederholungen ganzer Perioden
und ganzer Theile vornehmen, ohne daß die Sänger ermüdet wurden '^^^
denn sie wiederholten ja in der That nicht eben Gesungenes, sondern
die vorangegangene Melodie der, mit demselben Schlüssel notirten,
anderen Stimme. Da Haßler femer diese Stimmvertauschung konse-
quenter als die übrigen Madrigalisten, fast ausschließlich zur Er-
weiterung und Ausdehnung des Anfangs- und Schlußsatzes seiner
Kompositionen verwendet, so tritt er damit noch entschiedener als
die Italiäner für die Dreitheiligkeit der musikalischen Formen ein.
k) Das Prinzip, den Schluß der Ko[mposition möglichst
interessant zu gestalten, lassen auch die Haßler'schen Stücke
deutlich erkennen. Die Rythmusverschiebungen, die Augmentationen
der Notenwerthe bei Wiederholungen der letzten Tonreihe, die Orgel-
punkte auf der Quinte unmittelbar vor dem Schlußakkorde, sind
Eigenthümlichkeiten der italiänischen Setzweise, deren Nachahmung
1 An dieser Stelle ist das Kreus nicht etwa aus Versehen fortgeblieben —
gii könnte hier gar nicht stehen.
' Nicht so der Hörer.
Hans Leo Haßler unter dem Einflufi der italiänisclien Madrigalisten. 5I
aber in diesem Falle auf einem Einverständniß Haßler's mit einem
italianischen Kunstprinzipe beruht. Die eben erwähnten Orgelpunkte
sind natürlich nicht mit modernen Verhältnissen zu vergleichen, sie
sind ganz harmloser Art und bedeuten eigentlich nur ein Sichsammeln
oder Verharren der Stimmen auf der Dominante.
Eine merkwürdige Häufung solcher Orgelpunkte findet sich am
Schlüsse des neunten Madrigales von Haßler.
Dieses Thema
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ruht anfangs auf einem langausgedehnten d und schließt mixolydisch
ab, setzt in etwas veränderter und verkürzter Form von Neuem auf
einem liegenbleibenden c ein, erscheint dann noch einmal genau
imitirt (in der höheren Sekunde; auf einem Orgelpunkte der Quinte
um endlich in A abzuschließen. Ich möchte beinahe glauben, daß
hier wirkliche Einflüsse der Orgelmusik vorliegen.
Konnte ich von der Musik Haßler^s sagen, daß sie trotz aller
italianischen Beeinflussung doch den Stempel der eigensten In-
dividualität ihres Schöpfers trug, so gilt dieses nur zum kleinsten
Theile von den Dichtungen Haßler's. Diese sind ganz dem Boden
italiänischer Denk- und Empfindungsweise erwachsen und lassen auch
in der Sprache die Spuren italiänischer Terminologie deutlich er-
kennen. Sie machen mehr den Eindruck bloßer Uebersetzungen, als
den selbständiger Originalgebilde. Bei einigen derselben kann ich
die betreffende Vorlage nachweisen.
Eine wörtliche Uebersetzung eines Guarini'schen Madrigales ist
Nr. 17 der Teutschen Gesänge Haßler's.
Guarini. Haßler.
Lasso, percht mi fuggi Falsch Lieb warumb mich fliehest |
S^hai de la morie mia ianio desto? gfelt dir dann sowoihl mein Sterben und
Tu se* pur ü cor mio; sohmertze {
Credi tu per fuggire bist du doch je mein hertze |
Crudel, farmi morire? meinst durch dein fliehen eben
Ah, non si pub morir senza dolore, falsch lieb mir nemens lehen.
£ doler non si pub cht non ha core. Ach nimand sterben kan der nit leid
schmertze
Und kein schmertz leyden kan wer hat
kein hertze.
Die Uebersetzung behält sogar das Metrum und die Beim-
anordnung des Originales bei. Ebenfalls nach italianischen Texten
gedichtet sind die Nummern 7 und 8 derselben Haßler'schen Sammlung.
4*
52 Rudolf Schwarte,
Propo8ta. Nr. 7 (fehlt).
Ardo si, tnä nan famo Ich brinn und bin entiUndt gen dir
Perßda e dispietata doch nicht aus lieb magst glauben mir
Indegnamente amata weyl du bist aller falschheit vol
Da 81 leal amante nicht werth daß ich dich Heben soll |
Ne ptü sixrä che del mio^ amor ti vante] dein falsch bös ungetreves hertz
Ch'ho gia tanato il core, hat mir verjagt all liebesscherts
E a^ardo ardo dt sdegno e non d'amore. Brinn drumb nicht mehr aus lieb gen dir
sondern aus zoren für und für.
Risposta. Nr. 8. Antwort.
Ardi e gela ä tua voglia Brinn und zürne nur jmmerfort
Perjido et impttdico mich hon betrogen dein falsche wort
Hör amante kor nemico, als du begerst mein treves hertz
Che <r ineonstante ingegno und tribst doch nur auß mir dein schertz
Poco Tamor tstimo e men lo sdegno achst du dann nichts mein lieb und gunst
Van fia lo sdegno del tuo cor insano. acht ich vil minder dein zorebrunst
drum brinn und zürne so lang du wilt
denn mir eins wie das andre gilt.
Diese beiden italiänischen Madrigale müssen damals sehr beliebt
gewesen sein. Ich kenne sie in der Komposition von C. Porta (1586),
O. Vecchi (1594) und Antonio il Verso 1601 (nur die Proposta). Auch
Häßler muß an ihnen Gefallen gefunden haben, da er außer der
Uebersetzung auch noch die italiänischen Worte selber komponirte.
(Madrigale III, IV). Bei Nr. 12 der Teutschen Gesänge
»(Dein Äuglein klar leuchten wie d' Sonn gar eben)
wer dich anschavet und thut dir's hertz nit geben I
der ist nit gescheid oder hat gar kein leben.«
is'jhwebten Haßler offenbar folgende italiänische Verse vor:
Chi mira gV occhi tuoi.
Et non sospira poi
Credo che non sia vipo,
ö dt giudicio privo,
Sie bilden den Text zu einer Kanzonette, die jedenfalls damals
viel gesungen sein muß. Am Ende eines Stückes von O. Vecchi
heißt es nämlich: Deh tutti uniti insieme^ Cantiam quakhe ballat* o
Canzonetta, worauf der obige Text angestimmt wird.*^ Auch Haßler
kannte dieses Liedchen; in etwas veränderter Form hatte er es bereits
{vor) 1589 komponirt (Kanzonette XVI;.
^ Variante: duoL
'^ Die Sitte , solche Favoritlieder als Refrain zu benutzen , stammte von den
l*'rottolisten her (cf. Vierteljahrsschrift II, S. 434, 435], interessant ist es, daß die
spätere Zeit sogar auch die stereotypen Formeln beibehielt, mit denen diese Liedohen
eingeleitet wurden. Dieses ganze Verfahren ging dann noch später in die Oper über.
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 53
Chi gtocchi vostri mira
Madonna e nott tospira
Q ch'ei dt vita i fore
overamente non cognosce Amore.
Die Abweichungen erklären sich vielleicht daraus, daß Haßler
nicht das Original bei der Hand hatte und nur den Sinn des Ge-
dichtes frei nach dem Gedächtniß komponirte — ein Verfahren, das
mit der Textbehandlung Mendelssohn's einige Aehnlichkeit haben
würde — vielleicht haben wir es mit einer d eigenen a Dichtung
Häßler 's zu thun, bei der er sich dann ebenso stark an die Vorlage
angelehnt hätte, wie bei vielen seiner deutschen Gedichte. Ich will
bei diesem Gegenstande noch einen Augenblick verweilen. Als Pen-
dant zu den eben erwähnten Texten diene folgender Anfang eines
Sonettes von Angelo di Costanzo ;1507 — 1591).
•
Chi vede gli occhi vostri^ e di vaghezza
Non resta vinto al primo inconiro, e priro
Deir almoj pub hen dir che non i vivo,
Ne sa che cosa sia grazia e bellezza.
Um diese merkwürdige Uebereinstimmung der Gedanken zu
charakterisiren, möchte ich hier an einen Satz erinnern, den ich a. O.
bei der Besprechung der Frottolepoesien aufstellte (Vierteljahrs-
schrift n, S. 445}. Dort hieß es: »daß bei der Massenproduktion
hier und da mehrere Gedichte auf einen und denselben Gedanken
hinauslaufen, darf nicht Wunder nehmen, sondern spricht einfach fdr
die Popularität der Frottolen. Sie waren der Wiederhall der Em-
pfindungen der ganzen Nation, und einzelne Redewendungen galten
schon so sehr als Gemeingut, daß Niemand Bedenken trug, dieselben
da für sich in Anspruch zu nehmen, wo sie ihm am Platze zu sein
schienen.« Statt Frottolen setze man überall Madrigale und Kan-
zonetten, und der Satz hat auch dann namentlich in Bezug auf die
letzteren in vollstem Maße seine Bichtigkeit. Auch der Satz »Ge-
dichte, wie die Frottolen es waren, konnte wohl jeder gebildete Laie
anfertigen«, paßt auf einen großen Theil der späteren Madrigale, fast
auf alle Kanzonetten. Warum sollte sich also Haßler nicht auch ein-
mal in italiänischen Versen versucht haben? Folgendes Gedicht
sieht beinahe darnach aus:
Es scheint mir wenigstens im Prinzip genau dasselbe zu sein, wenn ein FrottoUst
am Ende eines Stückes irgend eins solcher Favoritlieder singen läßt, als wenn
Euridice, in dem Orfeo des L. Rossi (1645J, bevor sie zum Hochxeitszug aufbricht
ex abrupto die schöne Kanzone »W fulgom anstimmt (vergl. Kretzschmar's Aufsatz in
der Vierteljahrsschrift VIII, S. 23). Für die Entwicklung des Couplets dürfte dem-
nach diese Art des Kefrains der Frottolen von Bedeutung gewesen sein.
g4 Rudolf Schwarte,
Musiea e lo mio eore
JE gioir mi fa setnpre a tutte Thore^
Lodarla pur vorreu
Mä son hasse le rime ai desier miei
Deh non sdegnate cKio
Appoggia ä voi mia Musa il canto mio
Che se fia grato eonC aUefuT e spero
Consacrerö a suoi merti ogni pensiero.
Wäre es noch möglich nachzuweisen, daß Haßler die von ihm
komponirte Kanzonette Nr. 1 auch selbst gedichtet hätte, so würde
damit zugleich der Beweis geliefert sein, daß er auch der Verfasser
des achtunddreißigsten Liedes in seinem «Lustgartena gewesen ist.
Man vergleiche selber:
Hidon dt maggio i praii e t vaghi colli Im külen Mayen | thun sich all ding er-
I fior le rose i gigli in un viaggio freuen
Cantan le Ninfe ogrC hör Die Blümlein auff dem Feld sich auch
hen venga maggio vemeuen {
etc. Und singen d' Mäidlein in jrem Räihen
TVillkommen Mayen
etc.
Vorbilder für die italiänischen Worte gab es in Hülle und
Fülle, z. B. :
Hör che le piaggie ridon cCogrL intomo
JE spuntan fuor viole e gigli e rose etc,
oder
Hör cK el garrir de gP Augelletti s'ode
Et che vestono i prati^
Novi ßoretti e grati etc,
oder folgender Saltarello
Gioite tutti in suoni e^n eanti e'n halli
Poi che La vaga Primavera e giunta,
E ßoriscon le valli,
E fuor la rosa spunta,
Scherzan gl Amori
E van spargendo ßori etc.
Auch Petrarca lieferte zu eventuellen Nachdichtungen reichlichen
StoflF.«
Selbst wenn ich nun auf die eben ausgesprochene Vermuthung
gar kein Gewicht lege, so darf ich doch zum Mindesten soviel sagen,
daß der Dichter des »Lustgartens« in diesem Falle auch nach einem
1 Daß. Haßler die Poesien Petrarca's kannte, darf man wohl voraussetzen;
er komponirte übrigens zwei vollständige Sonette dieses Dichters — lieti ßori e
felici und real natura, angelico inteüetto. (Nr. I und II resp. Nr. XXVI der Haßler-
sehen Madrigale.)
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiftnisehen Madrigalisten. 55
italiänischen Muster gearbeitet hat. Da aber das Lied Nr. VI des
i>Lustgartens« die genaue Uebersetzung einer italiänischen Kan-
zonette ist,
n cor che mi rubasti Mein Hertz daß mir hast gstohlen
Homai vorebbe, . Wolt widerumben
Si glie fiincrebbe, Gantz geren kommen
Tomar nel primo loco In seinen ersten stände |
CK ei non pb piü soffrir Vardente foco Es kan nicht länger leiden Liebesbanden
Mandolo un poco. Oib's doch von banden.
und auch hier in der Uebersetzung das Metrum des Originals genau
beibehalten ist, so darf ich weiter sagen, daß der Dichter des »Lust-
gartens« das Prinzip des Dichters der neuen Teutschen Gesänge theilte.
Da aber ferner die Sprache in den beiden Werken die gröBeste
Aehnlichkeit hat, so darf ich wohl behaupten, daß beide Werke eine
und dieselbe Person zum Dichter haben, daß also Haßler auch die
Texte seines »Lustgartens« selbst verfertigt hat.
Ungleich besser sind Haßler diejenigen Gedichte gelungen, bei
denen er, unabhängig von den Italiänern, sich als Deutscher gab.
Da er hier nicht an ein bestimmtes Metrum gebunden war, in das
sich die Gedanken oftmals nur mit Gewalt hineinzwängen ließen,
so erscheint auch die Sprache weniger gedrechselt, leichter und
flüssiger. Diese Gedichte halten anderen zei^enössischen gegenüber
sehr wohl Stich und heimeln durch einen gewissen innigen Hauch,
der sie durchweht, außerordentlich an. Sie stehen allerdings stark
unter dem Einflüsse Valentin Haußmann's, an dessen Neue teutsche
weltliche Lieder (1592) sie sich zuweilen wörtlich anlehnen.
Schließlich habe ich noch einiger Melodien Erwähnung zu thun,
die sich als Entlehnungen Haßler's herausgestellt haben. Seine Kan-
zonette Nr. IX, welche mit den Worten Jo sonferito beginnt, stimmt
in mehreren Themen genau mit dem ebenso anfangenden Madrigal
Palestrina's überein. Haberl giebt im 28. Bande der Gesammtausgabe
der Werke Palestrina's für dieses Madrigal folgende Quellen an:
Libro HL delle muse ä 5 voc. Venetia, 1561 pag. 9. Gianetto da
Palestrina. Prima Stella de' Madrigali ä 5 v. Venetia 1570 pag. 9.
Zanetto da Palestina. Gemma musicalis. Libro I, Noribergae 1588
Nr. 47, Gioanetto da Palestrina. — Das betrefiende Madrigal ist also
sehr beliebt gewesen. Da es 1588 in Nürnberg, also ein Jahr vor
den Haßler'schen Kanzonetten erschien, so ist die Bekanntschaft
Haßler's mit diesem Madrigal wahrscheinlich.
56
Rudolf Sohwart«.
Die HaBler'sche Kanzonette kann man als eine Risposta auf das
Palestrina'sche Madrigal ansehen. Bei diesen Parodien wurden zu^
weilen die Tonreihen des Originales, welches von der Risposta parodirt
wurde, bei Textanklängen benutzt, z. B.:
(O. VecchiJ [Proposta]. Kisposta.
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Rag-gi dov^ el mio ma - le
In dieser Weise verfährt Haßler; er nimmt die Palestrina'schen
Melodien auf, wo in beiden Gedichten textliche Ubereinstimmungeii
vorkommen.
Palestrma.
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Haßler.
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Falestrina.
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22:
e queUa chi mi die -de
Haßler.
2S
?E3r_^
1=1
-g-TPf-
P=t
c^e sol m^abbia a sanar chi niha fe- ri-to
Bei dieser letzten Melodie Haßler's muß man den Schlußvers
seiner Kanzonette in Betracht ziehen; dieser lautet:
Pai che non voi pigliar che m'ha ferita,
Nr. XXVIII der Haßler sehen Madrigale ist eine Paraphrase
einer Kanzone von Cosimo Bottegari , welche der schon erwähnte
Antonio Cappelli in seinen Poesie musicali mittheilt. Zum Glück hat
er auch die Musik in einer Beilage zu dem Werkchen mit ver-
öffentlicht. Die Kanzone ist dort für eine Singstimme mit Begleitung
der Laute komponirt. Die Melodie ist folgende:
(wohl j. J^)
-:t=4
1
r;^ g Ä>-
"JSL
-JSSl
t
— Ä»-
t=*
Mi par - to ähi sor - te ri - a, el cor vi la9 - seio
Hans Leo Haßler unter dem Einflaß der itali&nischen Modrigalisten. 57
elafflitt al - ma mi - a. Ne mor - rb ne mor - ro no ch^Amoi' no7i vuo - h
m
^(g— (g-
\ H
:p
:?sr.
[no cKAmor-non vuo- le] Ad -dt- o, Ad • di - o, Addio
dol - eis - 81'
^
:^-
X
t
I
-^-
i
tno ben mi - o
dol - eis - 81 - mo ben mi -
Taktlich ist die Melodie etwas korrumpirt, auch glaube ich;
daß an der mit -f- bezeichneten Stelle g statt f stehen muß; man
vergleiche das zweite dolcissimo und Haßler's Melodie zu denselben
Worten.
Aus dieser Kanzone hat Haßler ein breit angelegtes, schönes^
sechsstimmiges Tonstück gemacht. Die einzelnen Themen stimmen
mit dem Original Note für Note überein, werden aber mehrfach
wiederholt. In die Melodie theilen sich die beiden Oberstimmen in
der Weise, daß entweder die eine Stimme die Melodie anfängt und
die andere sie fortsetzt,
el cor vi lascio e raff
litfj al - 7na mi.
a.
oder auch in der Weise, daß beide Oberstimmen die betreffende
Oiiginalmelodie nach einander wiederholen, wobei die bekannte Ver-
tauschung der Stimmen vorgenommen wird.
m
3z:
t
-^ — Ä-
i
3:
t
^
-ö»-
ahi 8or - ie ri - a [ahi sor - te ri - d]
Zu diesem folgenden Thema
58
Rudolf Schwartz,
f-^l^ r r f r
— ^ I ^
</o/ - eis ' ai ' mo mio he - we
benutzt Haßler ein Gegenthema, das er ebenfalls entlehnt hat.
^ _ — g — ^
^^
:t
T
^
Do^ - et« - si - mo 6en mi - o
Ich habe dies letztere bei Andrea Gabriel! gefunden : Madrigal VII
libro II. (Neudruck 1586.)
Beide Themen hat Haßler noch einmal in ganz ähnlicher Weise
kontrapunktisch bearbeitet: Neue Teutsche Gesänge Nr. 16, vergl.
S. 24 dieses Aufsatzes.
Das Gegenthema allein benutzt er zu dem Aufangsworte seiner
achtstimmigen Motette Venite exultemtcs Domino. (Sacrae symphoniae
Nr. LXVII von Caspar Häßler 1601 herausgegeben.)
9-
fJ^
±
m
v=t
-ß «-
X
-9
ve ' nt - - te
Er beantwortet es in motu contrario folgendermaßen:
m
-^-
9^^—^
-^-
-a^
ve - wt
te
Wie Seiffert (Vierteljahrsschrift VII. S. 161) mittheilt, verarbeitete
H. Praetorius dasselbe Thema zu dem Worte gaudete seiner sechsstim-
migen Motette : Gaudete omnes et laetamini; eben daher erfahren wir, daß
auch Sweelingk auf dieses Thema eine Fantasie in dorisch-transponirter
Tonart setzte. Daß aber die aufS. 162 angeführten Themen mit dem
vorliegenden in Verbindung stehen sollen, bezweifle ich ; femer werden
die Ausfuhrungen Seiffert's auf S. 197 — 199 durch meine Angaben
etwas modificirt.
In rhythmischer Beziehung hat das folgende Haßler'sche Thema
mit dem Anfang eines von Vecchi- komponirten Madrigales die
gröBeste Ähnlichkeit:
Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiäniaehen Madrigalisten. 59
Ob es sich hier um eine wirkliche Entlehnung Haßler 's handelt,
will ich nicht entscheiden. Mehrere Gründe sprechen allerdings
dafür. Erstens legt Haßler seinem Thema die verschiedonsten Texte
unter, was er bei den von Gabrieli und Bottegari entlehnten Themen
ebenfalls that. Zweitens fällt der Umstand auf, daß das betreflfende
Thema bei einer sonst größeren Stimmenzahl immer nur dreistimmig
anfangs auftritt, so daß es den Anschein gewinnt, als habe Haßler
mit dieser Stimmgruppirung irgend eine Absicht verfolgt, als habe
er auf diese Weise sein Thema besonders hervorheben und auszeichnen
wollen. Solche Auszeichnungen nahm Haßler nun in der That bei
zwei nachgewiesen entlehnten Themen vor. In seiner Kanzonette
»•Tb son ferito d^Amore^ läßt er die von Palestrina herrührende voll-
standige Anfangsmelodie von einer einzelnen Stimme vortragen, eine
Setzweise, die er sonst nicht in den Kanzonetten anwendet, der wir
aber in Nr. 16 der Haßler'schen Teutschen Gesänge wiederbegegnen,
wobei es sich wieder um ein endehntes Thema handelt. Haßler war
ako ehrlich genug, nicht von ihm herrührende Melodien durch eine
besondere Art der Einführung und Behandlung zu kennzeichnen.
Drittens spricht die Thatsache, daß Haßler in Nr. 19 der Teutschen
Gesänge seinem Thema einen Text unterlegt, der sich als eine
wörtliche Übersetzung des Anfanges des von Vecchi komponirten
Madrigales herausstellt, auch dafür, daß Haßler sich an das Vecchi-
sehe Original angelehnt haben dürfte.
Vecchi.
OUene Canz<metC al mto Signore
JS'l cor mto gli pcrgeUf
Haßler.
Fahr hin guts liedelein zum Bulen meine
und bring jr mein treu6 hertze.
Endlich erscheint auch bei Vecchi das Thema anfangs drei-
stimmig, und es haben sogar die kontrapunktischen Bearbeitungen
der beiden Themen unter einander eine auffallende Ähnlichkeit.
Nun müssen die Vecchi'schen Madrigale seiner Zeit sich allgemeiner
Beliebtheit erfreut haben, denn die Gerlach'sche Druckerei zu Nürn-
berg hielt es 1594 für lohnend, dieselben in der Art einer Gesammt-
ansgabe neu zu veröffentlichen. Auf dem Titel heißt es: piü d diver st
Madriffali d Canzonette ä 5. 6. 7. 8. 9 8f 10 voci, per avanti separa-
tamente iti in luce^ et ora insieme raccolti.^ Die Bekanntschaft Haßler's
> 1601 erschienen auch die vierstimmigen Kanzonetten Vecchi's in Nürnberg
bei Paul Kaufimann (87 Nummern).
ßO Budolf Schwarte,
mit diesen Madrigalen dürfen wir daher, wohl Toranssetzen« Wahr-
scheinlich schrieb er die darin vorkommende Melodie »ffitene Can-
zonetf al mio Signorn nach der Erinnerung nieder, wobei ihm sein
Gedächtniß etwas versagte.
Ob mit den angeführten Beispielen die Liste der Entlehnungen
Ilaßler's geschlossen ist, vermag ich im Augenblicke nicht zu sagen.
Indessen dürfte die definitive Entscheidung dieser Frage kaum noch
wesentlich Neues zu Tage fordern, sie Würde höchstens das schon
gewonnene Urtheil noch mehr bekräftigen, daß Haßler die italiänische
Madrigallitteratur von Grund aus kannte, und daß er in seiner Kunst-
übung vollständig zum Italiäner geworden war, in seiner Kunst-
gesinnung dagegen sein Deutschthum wahrte.
Wie nun die Wahrung der Persönlichkeit die Eigenart, so läßt
die Gestaltung des Stoffes den Geschmack und die Leistungsfähigkeit
eines Künstlers erkennen. Echtheit der Empfindungen, gepaart mit
Anmuth und Würde, Einfachheit und Natürlichkeit auf der einen
Seite, gewissenhafte, gründliche Arbeit, liebevolles Sichversenken in
den Gegenstand der Darstellung auf der anderen Seite zeichnen die
Haßler'schen Werke vortheilhaft aus und bezeugen überall das Fein-
gefühl und das gediegene Können ihres Schöpfers.
Auch die Formen, in die Haßler seine Gedanken ausströmen
ließ, hat er von den Italiänern entnommen, der Geist jedoch, mit
dem er sie erfüllte, entstammte deutschem Denken und Fühlen. So
ist z. B. der Form nach das berühmte Lied DMein gmüth ist mir ver-
wirret a eine italiänische Kanzonette (a:||:, b, c:|{:); man braucht aber
nur einen Blick auf die italiänischen Kunsterzeugnisse dieser Art zu
thun, um sich sofort von der Grundverschiedenheit des darin ge-
äußerten Gefühlsausdruckes zu überzeugen. Es soll hiermit nicht
der Anschein erweckt werden, als stünden Haßler s weltliche Kompo-
sitionen etwa bedeutend über den italiänischen; ich verhehle es mir
keinen Augenblick, daß Haßler nicht den unerschöpflichen Melodien-
reichthum eines Luca Marenzio besaß. Aber dennoch kann sich
keiner der mir bekannten italiänischen Madrigalisten, was Linig- und
Sinnigkeit anbelangt, mit Haßler messen.
Luca Marenzio^s Musik ist im edelsten Sinne des Wortes eine
vornehme Salonmusik, HaßWs weltliche Tonschöpfungen sind für
das Haus bestimmt. Bei diesen hat man sofort das Gefühl des Da-
heim- und Vertrautseins, bei jener ist man anfangs ein Fremdling
in der Gesellschaft, in der man sich, wenn man bekannt geworden
ist, allerdings auch recht wohl fühlen wird.
Hat man Marenzio den süßesten Schwan genannt, so möchte ich
Haßler s Art zu singen mit den Worten Goethe's charakterisiren
Hans Leo Haßler unter dem £influß der itali&nischen Madrigalisten. ß \
Ich singe wie der Vogel singt,
der in den Zweigen wohnet.
Wenn nun auch der Gesang des Schwanes den aller anderen
Vögel überträfe, warum sollte man sich nicht an dem Gesang der
Lerche erfreuen dürfen? Jedenfalls besitzen wir Deutschen in Haßler
einen Liederkomponisten, den wir mit Stolz den unsern nennen
mÜBsen. Hoffen wir, daB sich die Idee der Gesammtausgabe seiner
Werke recht bald verwirklichen möge, damit mir wieder in den Be-
sitz eines Eigenthumes gelangen, das wir lange entbehren mußten.
Und wie sich an diesen Denkmälern deutscher Tonkunst die Wellen
fast dreier Jahrhunderte kraftlos gebrochen haben, so werden auch
sjMltere Zeiten kommen und gehen, ohne an ihnen die Spuren einer
Verwitterung zu hinterlassen. Unsterblich in seinen Werken wird
der Name ihres Schöpfers fortleben.
Die Mnsik am Hofe Christian's IV. von Dänemark.
Nach Angul Hammerich
von
Catharinus Elling.
Ein kürzlich erschienenes Werk des dänischen Musikkritikers
und -Historikers Angul Hammerich') wirft neues Licht auf die
Musikzustände während der glänzenden Begierung Christian's IV. und
da es auch über die Beziehungen Dänemarks zu den damals tonan-
gebenden musikalischen Ländern und über die Stellung des da-
maligen größten deutschen Komponisten am dänischen Hofe . neue
Aufschlüsse bringt, darf es ein allgemeineres Interesse beanspruchen.
Wir geben daher einen Auszug aus demselben, mit welchem wir uns
im wesentlichen dem Gange anschließen, welchen der Verfasser in
seiner Darstellung genommen hat.
Er charakterisirt gleich anfangs die betreffende Periode mit fol-
genden Worten: »In der dänischen Musikgeschichte — soweit sie
bisher gekannt — nimmt das Zeitalter Christian's IV. einen eigen-
thümlichen, zugleich vorgeschobenen und isohrten Platz ein. Die
Pflege der Tonkunst nahm in dieser Periode einen ganz merkwür-
digen Aufschwung, so bedeutend, daß man sagen darf, der Hof des
Königs von Dänemark stand in dieser Beziehung in der ersten Reihe
der Entwickelung, wäre jedenfalls unter den ersten zu nennen. In
jenen Zeiten war Dänemark den Pflegern der Tonkunst ein bekanntes
imd gastfreies Asyl und übte auf die musikalischen Berühmtheiten
der damaligen Zeit eine wirksame Anziehungskraft, ja es schien so-
gar, als ob unter der kunstmilden Regierung Christian's FV. eine
nationale Schule von Musikern heranwachsen sollte. Doch — alles
dies verschwand so ziemlich mit Christian IV. selbst. Was er an&og,
1 Musiken ved Christian den Fjerdes Hof. Et Bidrag til dansk Musikhistorie
af Angul Hammerich. Kjebenhavn. Forlagt af Wilhelm Hansen. 1892.
Hammerioli-Elling, die Musik am Hofe Christian's IV. Yon Dänemark. ()3
hat keiner Ton seinen Nachfolgern fortgesetzt und namentlich von
einer nationalen Entwickelung kann in den folgenden Jahrhunderten
nicht die Rede sein, nicht ehe wir zu unserer eigenen Zeit gelangen.
Das Zeitalter Christian's lY. ist in unserer Musikgeschichte wie eine
lächelnde Oase inmitten einer großen und ziemlich unfruchtbaren
Öde.«
Die Nachrichten über die früheren Musikzustände am dänischen
Hofe fiind sehr spärlich. Erst in dem Jahre 1519 ist die Existenz
einer Kantorei historisch sicher, vielleicht hat sie dem für die Kirchen-
mufflk sehr interessirten Christian IL ihre Entstehung zu danken.
Es wurde lateinisch gesungen, was auch späterhin, trotz der Refor-
mation, noch lange Zeit das Gewöhnliche blieb ; doch hört man schon
1529 von dänischem Kirchengesange.
Die Musik war in dieser ersten Zeit beinahe ausschliefilich vokal
und stand in Folge der historischen Entwickelung unter nieder-
landischem Einflüsse. Es zeigt sich aber, daß das instrumentale
Element auch hier sich nach und nach geltend gemacht hat, und
so finden wir denn, daß die Kapelle beim Tode Friedrich^s 11. neben
den Sängern auch ihre Instrumentisten hatte.
Die Kantorei, deren vornehmste Au%abe die Mitwirkung beim
Gottesdienste in der Schloßkirche war, in dessen Liturgie die vokale
mehrstimmige Figuralmusik nach altem Style noch vollständig die
Oberhand hatte, war ein in Bezug auf Anzahl und Tüchtigkeit wohl
ausgerüstetes Sängercorps. Es zählte damals 23 Mann, nämlich je 4
für den Alt (von Falsettisten gesungen) , Tenor und Baß nebst 8
Kapellknaben, dazu einen Kapellmeister, femer den Lehrmeister der
Sängerknaben und noch eine Person, Hans Massak aus Hessen, der
auf den Sängerlisten aufgeführt wird, aber wahrscheinlich Instru-
mentist-Lehrling gewesen ist. Dagegen zählte das Instrumentisten-
corps nur 9 Mann. Zu erwähnen ist auch das 15 Mann starke Trom-
petercorps. Zu Zeiten bildeten die Trompeter ein nicht unwesent-
liches Glied des gesammten Musiketats des Königs , wie sie sich ja
in nicht geringem Maße an den größeren Musikaufiührungen be-
theiligten. Sonst fungirten sie als Herolde und Couriere, begleiteten
den König auf seinen Reisen und thaten Kriegsdienst. Da Christian lY.
beim Tode seines Vaters noch unmündig war, wurden die Geschäfte
bis zu seiner Thronbesteigung von einer Vormundregierung geleitet.
Diese verhielt sich dem Bestände dieses vererbten Kgl. Musiketats
g^enüber ziemlich konservativ, doch mit Tendenz zum Sparen. Zwar
wurde die Kantorei in ihrer alten Stärke erhalten und auch das
Troinpetercorps hat nicht viel eingebüßt^ aber die Zahl der Instru-
mentisten, die doch früher nicht eben sehr groß war, wurde noch
ß4 Hammerich-Elling,
mehr eingeschränkt, bildeten sie doch eine Art Luxus im Musik*
verbrauche der damaligen Zeit.
Um auch die Gehaltsfirage zu berühren, so war es in der Be*
Ziehung recht kärglich bestellt. Jeder Sänger hatte nur 58 Thaler
jährlich; man kann daher nicht anders denken, als daß die Stellung
nur eine Nebenbeschäftigung gewesen sei. Für die Trompeter waren
die Löhnungen etwas höher, nämlich für die unberittenen 93, für
die berittenen 150 Thaler jährlich. Aber während die Löhnungen
sowohl für die Sänger wie für die Instrumentisten eine stetige Ten-
denz zum Steigen haben, blieben sie für die Trompeter so ziemlich
die gleichen. Vom Jahre 1600 ab werden sie zwar auf 109, respective
184 Thaler erhöht, aber höher hinaus kommen die Trompeter während
der ganzen Zeit Christian' s IV. nicht.
Anders verhält es sich mit den Instrumentisten. Sie w^aren vond
Anfang an die am besten besoldeten und haben um die Zeit des
Thronwechsels 135 Thaler jährlich nebst einer Hofkleidung. Dieser
Betrag wurde zwar von der Yormundregierung auf 100 Thaler ver-
mindert; das dauerte aber nicht sehr lange. Die Verhältnisse in
Kopenhagen könnten am ehesten mit denen einer anderen Stadt, die
auf diesem Gebiete der dänischen Hauptstadt in Entwickelung nahe
stand und unter Friedrich IL den dänischen Hof mit Spielleuten
versehen hatte, nämlich Lübeck, verglichen werden. Um diese Zeit
(c. 1595) bestand das Lübeck'sche »Rathinstrumentistenacorps aus
9 Mann, 4 mit dem großen Spiel (Posaunen und Zinken), 2 Laute-
nisten, 1 Geiger, 1 Pfeifer und einem Trommler. Sie hatten eine noch
niedrigere Löhnung, hatten aber daneben reichliche Sporteleinkommen
als Stadtmusikanten, was es bei den dänischen Instrumentisten
nicht gab.
Die drei Corps bildeten jedes für sich ein Ganzes, jedes mit
seiner Aufgabe: die Sänger wesentlich in der Kirche, die Instrumen-
tisten bei der Tafel und festlichen Gelegenheiten, die Trompeter ein
bischen überall.
Die Kirchenmusik des 16. Jahrhunderts wurde von den Nieder*
ländem und den Italienern beherrscht, und so finden wir denn auch
am dänischen Hofe die gewöhnlichen großen Namen, Orlando Lasso,
G. Gabrieli, Palestrina nebst vielen anderen, Luca Marenzio, Orazio
Vecchi u. s. w. In der Kirche wurde, neben der Messe, besonders
die Motette gepflegt; außer der Kirche, bei der Tafel und sonstigen
Gelegenheiten, war es das Madrigal, das die Gemüther bezauberte.
Die Instrumentisten wurden um diese Zeit hauptsächlich zur Ver>
Stärkung der Singstimmen benutzt ; nur seltener trifft man reine In-
strumentalstücke, die dann gewöhnlich aus Tanzmelodien: Galliarden,
Die Musik am Hofe ChTistian^s IV. von Dänemark. g5
Paduaneiij Branslen u. dergl. bestehen und im ganzen Style einem
Madrigale fiir Singstimmen ähnlich sehen. Von der Anwendung des
Trompetercorps ist oben die Rede gewesen. Vereint, als ein Ge-
sammtcorps, traten sie seltener, und wohl niir in dem Falle auf,
wenn irgend eine große Festlichkeit, ein Fürstenbesuch, eine Hoch*
zeit und dergl., eine ungewöhnliche Glanz- und Pradhtentfaltung er-
heischte. Es wird sich im folgenden zeigen, daß die Grenzlinien
innerhalb des Wirkungskreises eines jeden Corps sich im Laufe der
Zeit nicht wenig verschieben. Die Regierungsperiode Christian's IV.
fällt eben in eine, für die Entwickelung der Musik wichtige Über-
gangszeit. Der Schwerpunkt verschob sich mehr und mehr vom
Sängercorps nach dem Instrumentistencorps, während das Sängercorps
allmählich, doch erst in den späteren Jahren, mit der Tendenz, vom
Chorgesang zum Sologesang überzugehen, seine ursprüngliche Physio-
gnomie verlor.
Wie oben erwähnt, bietet die Zeit der Vormundregierung auf
dem Gebiete der Musik nichts bemerkenswerthes. Die Hauptbe-
gebenheit war die Anstellung eines neuen Kapellmeisters (1590) an-
statt des 1587 verstorbenen Bonaventura Borchgrevinck. Es
war dies Gregor Trehou, wahrscheinlich ein Niederländer, und
seiner Zeit ein angesehener Komponist, übrigens unbekannt. Sein
Gehalt belief sich auf 416 Thaler nebst zwei Hofkleidungen im Jahr;
er hatte ferner 32 Thaler monatlich für den Unterhalt von 8 Sänger-
knaben, deren musikalische Ausbildung er zu übernehmen hatte,
wahrend für deren anderweitige Bildung ein besonderer Schulmeister,
der Paedagogus puerorum, der meistens selbst Sänger war, zu sorgen
hatte. Dem Gregor Trehou wird die Einfährung des Heptachord-
systems in Dänemark zugeschrieben, wodurch das Hexachordsystem
dem jetzt gebräuchlichen Oktavsystem weichen mußte.
Hatte die Vormundregierung bisher gespart, so wurde bei den
Krönungsfestlichkeiten alle Sparsamkeit mit einem Schlage über Bord
geworfen. Wo es galt mit einer Pracht aufzutreten, die den vielen
fremden Gesandtschaften imponiren und ein Ausdruck der politischen
Machtstellung Dänemarks sein konnte, war die Hülfe der Musik un-
erläßlich. Schon aus diesem Grunde war es natürlich, daß der
Musiketat stark erweitert wurde. Aber in dem Umfange und in der
Weise, wie dies geschah, können wir deutlich spüren, daß diese An-
gelegenheit dem Herzen des jungen Königs theuer war.
Wir haben oben gesehen, daß das Instrumentistencorps bisher
recht schwach besetzt -war. Man darf es wohl daher als ein Resultat
des Musikinteresses des Prinzen betrachten, wenn schon vor der
1893. 5
ßg Hammerieh-Elling,
Krönung 6 neue Instrumentisten angestellt wurden. Sie waren, dem
Namen nach, sämmtlich Fremde, Deutsche, Polen und Engländer.
In dieser Weise war die Zahl der Instrumentisten gegen die Krönungs-
zeit auf 15 fest angestellte Leute gewachsen. Das Sängercorps, das
schon im voraus vollbesetzt war, wurde nicht erweitert, wogegen die
Trompeter, die ja von besonderer Bedeutung für die vielen Einzüge
und Aufzüge werden mußten, bedeutend vermehrt wurden, theils
durch feste Anstellung — die Zahl wächst auf 16 — theils wurden
sie in großen Mengen eigens für die Feierlichkeit ei^agirt, und zwar
aus Deutschland. Außer 12 Pfeifern und Trommlern, kamen von
Trompetern in allem 17 Mann, darunter 10 aus Dresden, von Am-
brosius Günther gefährt, andere aus Torgau und Cobui^. Der Auf-
enthalt dauerte nur drei Monate, Juni bis September, und kostete
722 Thaler. Das ganze Corps wurde außerdem zu den Festlichkeiten
beritten gemacht.
Bei diesen Erweiterungen hatte der Musiketat eine für die Ver-
hältnisse der Zeit sehr starke Besetzung erreicht, 15 Instrumentisten,
23 Sänger und 33 Trompeter, in allem 7 t Mann. Aber hierzu kamen
noch die fremden »Musikanten ir und Trompeter, die die eingeladenen
fürstlichen Herrschaften und fremden Gesandtschaften mit sich führten,
wenigstens 17 »Musikanten« und 31 Trompeter. Mit den Leuten des
Königs macht das eine gesammte Stärke von 64 Trompetern und 55
Instrumentisten und Sängern, zusammen 119 Mann. Aber nicht
genug mit dieser großen Stärke an und für sich, sollten sie auch
mit äußerem Pomp, mit strahlenden Instrumenten und prachtvollen
Kleidungen auftreten. Die Blasinstrumente, nicht wie gewöhnlich
aus Messing, sondern aus purem Silber zu machen gehörte zu den
Verschwendungen, die zu der Prachtlust dieser Renaissancezeit paßten.
So wurde der Instrumentist Kortenberg nach Nürnberg geschickt,
um 4 Posaunen aus Silber zu einem Preise von 530 Thalem einzu-
kaufen. Erwähnt werden auch zwei Kesselpauken aus Silber und
9 Trompeten aus lauter Silber, an den Enden vergoldet und mit
schönen Seidenbändern behängt, worauf das Wappen ihrer Kgl.
Majestät.
Für diese vielen Musiktreibenden war sowohl während der Ein-
züge der Fremden, während der Krönungsfeierlichkeit, wie endlich
während der gesammten abschließenden Festlichkeiten, Inventionen,
Mummenschanzen, Ringelrennen u. s. w. vollauf zu thun; ein buntes
Bild von Lebenslust und lärmender Freude, so recht ein Festspiel
im Geiste der Renaissance, entfaltete sich hier.
Der Krönungszug zu der Frauen- Kirche wurde von einem Pauken-
schläger und neun Trompetern eröffnet, alle mit Silberinstrumenten
Die Musik am Hofe Christian's IV. von Dänemark. ß'J
und in gelbe Atlasjacken, rothe Sammethosen, schwarze Kappen und
Sammethüte gekleidet. Später kamen noch ein Paukenschläger und
15 Trompeter, den hohen Reichsräthen, die die Reichskleinodien trugen,
und dem König, der von den königlichen und fürstlichen Herrschaften
begleitet wurde, vorausreitend. Während der sehr umständlichen
Krönungsceremonie trat die Kantorei sowohl mit gewöhnlichem
Psalmengesang wie auch mit kunstvollem Figuralgesang auf. Zu
Anfang wurde die Hymne »Veni Sancte Spiritusn gesungen, danach
kamen, als Einleitung zu dem eigentlichen Krönun^akte, die ersten
zwei Abschnitte der Messe, hernach, während der Überreichung der
verschiedenen Reichskleinodien, drei Motetten. Während der Glück*
wünschung wurde auf der Orgel gespielt und ein nTe deumn gesungen
und zum Schluß ein dänischer Psalm » Gtcd give vor Kotming og al
Ovrighed Fredn (Gott gebe unserm König und aller Obrigkeit Frieden).
Die groBe Ehrenpforte, die der Krönungszug auf dem Rückwege
passirte, war in zwei Etagen theils von Paukern und Trompetern,
theils von den Instrumentisten und Sängern des Königs eingenommen.
Als der König durch die Pforte ritt, wurde er von einem Engel, der
mittelst eines sinnreichen Mechanismus über ihn herabsank, gekrönt,
während die Pauken geschlagen, die Trompeten stark geblasen wurden,
»und Musikanten singen und Instrumentisten spielen«.
Von den übrigen Festlichkeiten wollen wir, des musikalischen
Interesses wegen, der Aufzüge und Inventionen, die mit dem Ringel-
rennen verknüpft waren und zwei Tage dauerten, erwähnen. Mit
derselben kindlichen Freude, mit welcher die Südländer ihren Karneval
feiern, gingen alle diese Fürsten, Prinzen, Herzöge undEdelleute in
dem Maskeradenspiel auf. Die Fiktion war, daß der Papst Ser-
gius VT. zur Feierlichkeit eingeladen hätte, und die Musikanten des
Königs traten daher im ersten Aufzuge als Mönche und Eremiten
auf. Dann kamen die magdeburgischen Trompeter^ und Musikanten
nach türkischer Mode, in blau und weiß gekleidet, die branden-
burgischen in gelb und weiß, die holsteinischen als 4 polnische Spiel-
leute in blauen Röcken und mit kleinen rothen Hüten; sie spielten
auf großen polnischen Sackpfeifen, aus einem ganzen Bocksfell ver-
fertigt, und auf einer kleinen Trommel. Femer drei Instrumentisten
mit Harfe, Laute und Fiedel in der österreichischen Kleidertracht,
lange schwarze Röcke mit gelben Schnüren. Den nächsten Tag
traten auf vier Sängerknaben als Amorinen mit lieblichem Gesang,
in weißen, seidenen Kleidern; im folgenden Aufzuge, Fortuna's
Wagen, waren sechs Instrumentisten, im selben Kleide der Unschuld,
^ Die Stadt hatte sich vertreten lassen.
5*
gg Hammerich-Elling,
stufenweise auf drei Grasbänken mit Posaunen und Zinken aus purem
Silber aufgestellt. In den späteren Aufzügen finden wir Instrumen-
tisten in Engelgestalt mit vergoldeten Flügeln, in heidnischer Kleidung
als Trabanten der Frau Venus, als Choristen herrlich auf Laute, Harfe
und Geige spielend, als Wilde auf kleinen Pferden in Hirschgestalt
reitend, als Meermann und Meerweib: »der Mann eine kleine Trom-
mel schlagend und auf einer Flöte pfeifend, während das Meerweib
eine Laute schlug« u. s. w.
Man sieht, daß die verschiedeneu Gruppen immer für sich auf-
treten, in Abtheilungen von 3 — 6 Mann, einmal die Bläser für sich,
Posaunen und Zinken, ein andermal die Saiteninstrumente, Laute,
Harfe und Geige: von einem Orchester im modernen Sinne war ja
damals noch nicht die Rede.
Wir haben uns so lange bei diesen Feierlichkeiten au^ehalten^
um zu zeigen, daß auch im hohen Norden der Geist der Kenaissance
sich geltend machte, und zwar in den prachtvollsten, überschwäng-
lichsten Formen.
Wie schon erwähnt, darf man die reiche Musikentfaltung zur
Zeit Christian's TV. wohl wesentlich dem König selbst zuschreiben,
und in seiner auch sonst so reichbegabten Natur ist dies sein stets
und unter allen Umständen reges und thätiges Musikinteresse einer
der schönsten Züge. Eine musikalische Natur von Geburt, hat er
seine Anlagen durch technische Übung und Beschäftigung mit der
Tonkunst weiter entwickelt. Schon aus seiner Kindheit haben wir
davon Proben. In seinem Schreibbuche finden wir noch 3 Reihen
Uebungen im Notenlesen mit den damals üblichen Solmisationssilben
ut, re, mi, fa, sol, la^ die er täglich zu repetiren hatte, und daß er
eifrig darin gewesen, geht aus einem Aufsatze in seinem lateinischen
Aufgabebuche hervor, worin er in komischem Knabenernste und
Knabenlatein seinem Mitlehrling, Sohn des Niels Friis zu Hesselager,
vorhält, daß er die musikalischen Uebungen nicht fleißig genug be*
treibe: »Mihi videtur^ mi Frisi, qttando exercemus nos in Mtmca, tum
canis non tarn diliffenter, ut te deceret, hoc non placet mihi, nam
semper putavi, te esse diligentem puerum profecto, si posthac perce-
pero tuam negligentiam ^ persuades tibi certo, accusaho te coram ma-
gistron. Wer dieser Lehrer in Musik gewesen, wissen wir nicht;
möglich ist es, daß der Lehrer des Prinzen, Hans Mikkelsen, auch
dieses Fach übernommen habe. Aus seinen jungen Tagen haben
wir noch eine Nachricht über ihn, die von einem deutschen fahrenden
Studenten herrührt, der ihn im Jahre 1590 in Ringsted traf. Der
13jährige König ließ sich bei der Tafel mit Trompeten und Musik
Die Musik am Hofe Christian's IV. von Dänemark. gQ
aufwarten und freute sich darüber »so daß er lustig wurde «. Daß
Christian IV. sich persönlich an der Ausführung von Musik betheiligt
hat, dafür haben wir das Zeugniß eines Zeitgenossen, wie auch daß
er in eigener Person die, welche sich zu Dienst in seiner Kapelle
einstellten, examinirte.
Ganz amüsant ist es nun zu sehen, wie der Geist der Sparsam-
keit, welcher in Bezug auf die Kapelle in den Tagen der Vormund-
regierung herrschte, mehr und mehr weichen muß. Man hätte glauben
sollen, daß, nach dem großen Aufwände bei Gelegenheit der Krönungs-
feierlichkeiten, eine Reaktion eintreten würde. Es wurden wohl auch
einige Einschränkungen vorgenommen, am fühlbarsten durch den
Abgang der fünf letzthin angenommenen Instrumentistep. Aber
andererseits behielten sowohl das Trompeter- wie das Sängercorps
ihre alte Stärke; das erste wurde sogar erweitert — es zählte jetzt
nicht weniger als 3 Pauker — und es dauerte auch nicht lange, bis
das Instrumentistencorps wieder erweitert wurde, ja es wurde sogar
besonders begünstigt. Hat der junge König aus ökonomischen Gründen
oder aus Rücksicht auf das damals Gebräuchliche es gleich für gut
befanden, die Segel zu reffen, so hat seine musikalische Natur doch
bald die Oberhand bekommen, und die Sparsamkeitsrücksichten sind
in den Hintergrund getreten. Dazu kamen noch neue äußere Ver-
anlassungen, seine Hochzeit im Dezember 1597, und die bald danach
stattfindende Krönung der Königin. Das erste günstige Zeichen
waren einige Löhnungserhöhungen. So wurden unter den zwölf
Hauptsängern sechs ausgewählt, die eine Art Elitecorps bilden sollten.
Sie hatten täglichen Dienst und sollten immer dem König folgen.
Jeder von ihnen bekam 100 (früher 58 Thlr.) jährlich. Besonders
bevorzugt wurde der junge Instrumentist Melchior Borchgrevinck,*
der jetzt nicht weniger als 196 Thlr. bekam, d. i. mehr als die übrigen
Instrumentisten, ja sogar mehr als der Hoforganist Andr. Thide, ein
Beweis, daß der junge Mann, der später eine wichtige Rolle spielen
sollte, sich schon jetzt des Königs besonderer Gunst freuen konnte.
Femer wurde die Kapelle mit neuen Instrumenten versehen. Ent-
weder können deren früher nicht viele gewesen sein, oder das Be-
dürfriiß nach guten Instrumenten hat sich stark geltend gemacht,
denn in den Jahren um die Krönung herum ist die Bewegung auf
diesem Felde ganz auffällig. Es war damals eine umständliche Sache,
dergleichen Waaren habhaft zu werden. Eigene Instrumentenmacher
hatte Dänemark nicht — sie erschienen, wie wir sehen werden, erst
später — ; die Instrumente mußten daher vom Auslande geholt
werden, und das bedeutet bei den damaligen primitiven Handels-
1 Wahrscheinlich ein Sohn des früheren Kapellmeisters.
7 Hammerich-Elling ,
Verhältnissen, daß der König expreß einen Mann ausschicken mußte,
um sie zu kaufen. Wir wissen schon, daß Joh. Kortenberg im
Jahre 1596 nach Nürnberg geschickt wurde, um vier Posaunen zu
kaufen. Im selben Jahre wurde auch Melchior Borchgrevinck nach
Danzig, in der Zeit eine in musikalischen Angelegenheiten gesuchte
Stadt, geschickt, theils um eine neue Symphonie (Klavier) und andere
ungenannte Instrumente zu kaufen, theils um drei Sängerknaben zur
Kantorei anzuwerben. Im folgenden Jahre wurde er nach England
geschickt, wieder um verschiedene Instrumente einzukaufen. Noch
einige Jahre später (1601) zog ein anderer kgl. Instrumentist, der
Lautenist John Dowland, nach England, um Instrumente im Be-
laufe von 300 Thlr. zu erstehen. Christian lY. hatte aber jetzt als
Musiklieohaber einen so guten Namen, daß seine Leute nicht mehr
in der Welt herumzuziehen brauchten, um Instrumente habhaft zu
werden, sondern man kam zu ihm. Einer der sächsischen Trompeter,
die zur Krönung engagirt wurden, kam im folgenden Jahre wieder,
und hat dem König 24 Messingtrompeten für 168 Thlr. verkauft.
Es dauert nicht lange, so ist wieder ein Instrumentist aus Thom,
ein Johannes Amen, da mit einer Sammlung Instrumente, wovon
für 100 Thlr. angeschafft wurde; außerdem bekam er 40 Thlr. als Be-
lohnung für andere, die er dem König geschenkt hatte. Dies war
so ziemlich der letzte direkte Import. Interessant ist es immerhin,
daß der Bedarf groß genug war, eine inländische Industrie, die
(schon 1599) vom Instrumentisten Adam Pickerow gegründet wurde,
hervorzurufen; doch hiervon später.
In der Kapelle selbst zeigt sich eine bedeutende Entwickelung.
Nach etlichen Jahren ist der Musiketat schon bemerkenswerth. Außer
dem allgemeinen Interesse für Musik hat der junge König augen-
scheinlich mit den großen, berühmten Kapellen des Auslandes, mit
denjenigen in London, Warschau, München wetteifern wollen. Und
es gelang ihm wirklich in dem ersten glücklichen Drittel seiner
Regierung, dies Ziel zu erreichen. Auf ihrem Höhepunkt war seine
Kapelle eine der zahlreichsten und bestversorgten Europas.
Er lenkte zuerst seine Aufmerksamkeit auf das Instrumentisten-
corps. Es war dies das am schwächsten besetzte, aber gleichzeitig
der Repräsentant einer modernen Strömung in der Musik. War die
Domaine des Sängercorps zunächst die Kirche, so hatten die In-
strumentisten für ihren Theil die Tafel und den Rittersaal.
Bei der Erweiterung dieses Corps war der König ausschließlich
auf das Ausland verwiesen. Die Wiege der Musik hatte weit vom
Norden gestanden^ aber auch in den meisten anderen Ländern waren
die eigentlichen Kunstmusiker alle Fremde. Gewisse Länder hatten
Die Musik am Hofe Christian's IV. von D&nemark. 71
ja hier eine Art Monopol; 80 kamen die Sänger gewöhnlich aus der
Heimath der Kontrapunktik, den Niederlanden, die Instrumentisten
von der Geburtsstätte der neuen Kunst, Italien und theilweise aus
Deutschland. Während der ganzen Regierungszeit Christian's lY.
sieht man daher eine fortwährende Einwanderung von fremden
Musikern, zuerst namentlich Instrumentisten, später, als der Solo-
gesang sich zu zeigen anfing, auch Sängern. Besonders in den
ersten Jahren machte sich die Einwanderung stark geltend ; nachher
wurde sie etwas gehemmt, theils durch die anbrechende inländische
Produktion von Musikern, theils durch die stets zunehmende Ebbe
in der Staatskasse. Erwähnen müssen wir auch, daß Polen, dessen
Kapelle damals zu den renommirtesten gehörte, wie auch einige
Städte in den Ostseeländern, namentlich Danzig und Thom, ein nicht
unbedeutendes Musikkontingent stellten. ^ Durch seine Verwandtschaft
mit dem englischen, braunschweigischen und kursächsischen Hofe
hatte der König auch Gelegenheit, seinen Musikerbestand zu erneuern.
Die Kapellen aller dieser Höfe waren rühmlichst bekannt, und wir
treffen denn auch nach und nach nicht wenige Musiker aus London,
Wolfenbüttel und Dresden am dänischen Hofe.
Von den ausländischen Berühmtheiten ist unter den in der ersten
Zeit angestellten der Komponist und Lautenist John Dowland
hervorzuheben. Er war nicht nur ein begabter Künstler, sondern,
was damals auf diesem Gebiete seltner, auch ein kenntnißreicher
und gebildeter Mann. Dowland war Baccalaureus Musicae an der
Universität zu Oxford und hat den gelehrten Musiktheoretiker
Omitoparchos übersetzt. Als Musiker konnte er sich der ungetheilten
Bewunderung seiner Zeitgenossen freuen, besonders als bezaubernder
Lautenist, ja er ist sogar in einem Sonette, das man, und nach
Grove gewiß mit Recht, dem Shakespeare zuschreibt, verherrlicht
worden:
»7/ music and sweet poetry agree
As they mtist needs, the sister and the hrother,
Then must the love be great ^twixt thee and me
Because thou lovest the one^ a7id J the othei\
1 Der Verkehr zwischen Kopenhagen und diesen Ostseestädten war in musi-
kalischen Angelegenheiten um diese Zeit so lebhaft, daß der auch als Komponist
bekannte braunschweigische, später brandenburgische Kapellmeister Nicolaus Zan-
gius in einem Schreiben, dat. von Danzig 2./8. 1599, sich dem dänischen König
einfach als Impresario zum Herbeischaffen guter Instrumental- und Vokalmusiker
darbot. Da wir in der folgenden Zeit häufig Leute aus dieser Qegend in däni-
schem Dienste antreffen, ist es möglich, daß Zangius bei den Engagements Vermittler
gewesen.
72 Haxnmerich-Elling,
Dowland to thee is dear, whose heavenly toticli
üpon the lute doth ravish human sense;
Spenser to me, i/ohose deep conceit is such
As passing all coficeit, needs no defencein.
Auch als Komponist war er populär; seine Songs or Ayres er-
lebten mehrere Auflagen . und durch seinen Sinn für melodischen
Ausdruck und Feinheit wurde er in der englischen Gesangs-Litteratur
bahnbrechend. Am dänischen Hofe wurde Dowland im Jahre 1598
als Instrumentist angestellt mit 500 Thlr. jährlich, einem bis dahin
unerhörten Gehalt, welcher dem der hohen Staatsbeamten gleichkam.
Dazu kamen noch besondere Gnadenbezeugungen, so im Jahre 1600
als Extrageschenk die nette Summe von 600 Thlr. Er blieb acht
Jahre in Dänemark; in diese Jahre fallen seine zweite Sammlung
von fi Songs or Ayres for the Lute^ und seine »Lachrgmae or
seaven Teares y figured in seaven passionate Pavansu^ fünf-
stimmig für Laute und Streicher. Das Yerhältniß aber, das sich
anfangs zu aller Betheiligten Zufriedenheit gestaltet hatte, wurde
durch seine Unzuverlässigkeit nach und nach lockerer, und trotzdem
man ihm wiederholen tlich pekuniär auf die Beine half, nützte alles
nichts, und er mußte im Jahre 1606 entlassen werden. Von seinem
späteren Schicksal wissen wir nur, daß er im Jahre 1626 in eng-
lischem Dienste gestorben.
Auch in den Veränderungen innerhalb der Sängerschaar spürt
man die neue Zeit. Sie wurde sowohl nach Quantität wie besonders
auch nach Qualität verbessert und entwickelte sich um diese Zeit
von der überlieferten Bescheidenheit zu größeren, der Zeit mehr ent-
sprechenden Formen, was man vielleicht theilweise dem neuen Musik-
style, der Monodie mit ihren höheren Ansprüchen an die vokale
Fertigkeit und den Vortrag jedes einzelnen Sängers zuschreiben darf.
Um tüchtige Leute zu bekommen mußte man, wie bei den In-
strumentisten , so auch hier seine Zuflucht zum Auslande nehmen.
Es wurden Sendboten theils nach den Niederlanden, theils nach Prag
geschickt. Von den neuangestellten wollen wir des Altisten Nicolaus
Gistou (Giustow) erwähnen, der auch einzelne kleinere Kompo-
sitionen, sowohl vokale (in Borehgrevinck's Madrigal -Sammlung
Giardtno novo) wie auch instrumentale (in Füllsach und Hildebrand's
Sammlung von Galliarden und Paduanen, Hamburg 1607 — 9)
hinterlassen hat. Er wurde mit einem Gehalte von 144 Thlr. an-
gestellt, also auf einer Stufe mit den Instrumentisten. Von den
übrigen sechs neuen Leuten, deren Gage sich sogar auf 200 Thlr.
belief — ein ganz netter Sprung von den früheren 58 — nennen
Die Musik am Hofe Ghristiaii's IV. Ton Dänemark. 73
wir hier nur Johannes Tollius (Tholius), als Komponist von
Kirchenmusik und Madrigalen, in Heidelberg und Venedig erschienen,
bekannt; er wurde auch mit 300 Thlr. bezahlt. Das allgemeine Ni-
veau der Sängerschaft hat sich ohne Zweifel bedeutend gehoben; es
ist mehr europäisch geworden.
Nach allen Richtungen war die Kapelle Christian's IV. in den
ersten Jahren nach der filrönung in stetiger Entwickelung gewesen.
Ein neuer Wille, jung und kräftig, mit ausgeprägtem Interesse für
die Tonkunst, hatte die Führung übernommen. Aber wie die Ver-
hältnisse lagen, war der König bisher, um sich mit den nöthigen und
begehrenswerthen Musikelementen zu versehen, vom Auslande ab-
hängig gewesen. Es blieb aber nicht dabei. Sollte die Tonkunst
nicht fortwährend eine fremde Kulturpflanze bleiben, sollte sie in
der heimischen Erde Wurzel schlagen, so mußte für eine Akkli-
matisirung gesorgt werden. Es war eine große Aufgabe, dies damals
ins Werk zu setzen. Daher spricht nichts so sehr für Christian's IV.
Liebe zur Musik und Sinn für ihre Bedeutung, als daß er auch diese
Seite der Sache anfasste. Und er hat es erlebt, die Früchte seiner
Arbeit zu sehen.
Erstens wurden Lehrlinge bei den hervorragenden Kapellisten
fest angestellt. Es ist oben von den acht Sängerknaben die Rede
gewesen, die, neben ihrem Dienste als Diskantisten, in den musi-
kalischen Disciplinen vom Kapellmeister unterrichtet und, wenn sie
Anlagen zeigten, später als Instrumentisten oder Sänger benutzt
wurden. Femer wurden Lehrlinge bei den Instrumentisten selbst
angebracht. Sie wurden in )» allerhand musikalischen Instrumenten (r
unterrichtet; es wurde nämlich damals ebensoviel Gewicht auf die
Quantität wie auf die Qualität der instrumentalen Technik gelegt;
es galt, etwas auf verschiedenen Instrumenten zu können. Auch die
Trompeter hatten ihre Lehrlinge.
Aber noch wichtiger war es, daß junge Talente mit dem Auslande
Bekanntschaft machten. Denn, wie man sich auch bestrebt hatte, die
Verhältnisse zu bessern, so genügten sie doch noch nicht den Forder-
ungen, die man an eine höhere Ausbildung stellen mußte. Ebenso
wie die jungen Edelleute nach fremden Ländern, die Studenten nach
Rostock und anderen deutsch enUniversitäten, nach Paris, Montpellier und
Padua zogen, war es auch nothwendig, daß die Musiker nach dem
Auslande geschickt wurden, wenn des Königs Absicht, Tonkünstler
von dänischer Nationalität zu bilden, verwirklicht werden sollte. Er
zauderte auch nicht und als kundiger Mann wählte er eben den Ort,
wo die Entwickelung am besten vor sich gehen konnte. Und das
74 Hammenoh-Elling,
war Venedig. Die glänzende Handelsstadt hatte die Erbschaft der
Niederlande angetreten und den Weltruf als die vornehmste Stätte
für Musikpflege erworben. Mehr als irgend eine andere Stadt zog
sie daher die jungen Musiktalente an sich. Vor allen waren es die
zwei Gabrieli, besonders Giovanni Gabrieli, der um diese Zeit
in seiner vollen Manneskraft stand, ein von Allen bewunderter Meister
und Lehrer. Zu ihm strömten die Scholaren aus der ganzen Welt,
und es war auch zu ihm, daß Christian IV. 4iiejenigen seiner jungen
Leute schickte, welche er für entwickelungsfahig hielt. Die erste
Abtheilung bestand aus zwei Sängern, dem Organisten Melchior
Borchgrevinck sammt dessen zwei Lehrlingen, Hans Nielsen
und Mogens Pedersön, also in allem 5. Sie reisten im Früh-
jahr 1599 und kehrten zurück nach Verlauf eines Jahres. Man spürt
den Nimbus, mit dem die Reise sie umgeben hat, in der steigenden
Löhnung, die, was Borchgrevinck betritt, sogar auf 320 Thlr. erhöht
wurde. Der Versuch hatte wahrscheinlich gute Resultate gebracht,
denn er wurde in der ersten glücklichen Periode der Regierung
Christian's IV. öfters wiederholt. Italien und Giov. Gabrieli waren
stets das Ziel. Und der Aufenthalt hat sich auch meistens auf einen
längeren Zeitraum erstreckt, ja wir sehen sogar, daß der Instrumentist
und Komponist Mogens Pedersön, als er das zweite Mal mit einem
besonderen Empfehlungsschreiben an Gabrieli ausgeschickt wurde,
über vier Jahre in Venedig verweilte.
Gabrieli starb 1613 und hiermit wie mit dem ein paar Jahre
vorher ausgebrochenen Kalmarkriege hörten diese Ausbildungsreisen
nach Venedig auf. Doch nur vorläufig. Denn so lebendig war immer
die Erinnerung an die venetianische Musik, daß noch im Jahre 1619
zwei Musiker vom Hofe Christian's IV. nach Venedig zogen; es war
aber auch das letzte Mal.
Auch anderwärts wurden Lehrmeister gesucht. An dem durch Freund-
schaft und Verwandtschaft verbundenen braunschweig-lüneburgischen
Hofe war damals ein hervorragender Lautenist, Namens Gregorius
Howett. Zu ihm wurde im Oktober 1606 der obengenannte Hans
Nielsen geschickt, um sich dort zu vervollkommnen. Femer war
es England, wo unter Elisabeth die nationale Musik ihre üppigsten
Blüthen entfaltete , besonders hatte das Madrigal in Komponisten wie
William Bird, John Bull, Thomas Morley u. s. w. eifrige
und hervorragende Pfleger gefunden. Wahrscheinlich war es in
Rücksicht auf diese bedeutende Kunstentwickelung Englands, wenn
im Jahre 1611 vier dänische Musiker, worunter Mogens Pedersön,
an den Hof Jacob's I. geschickt wurden. Der Aufenthalt dauerte
drei Jahre.
Die Musik am Hofe Christian's IV. von Dänemark. 75
Selbst auf das Trompetercoips erstreckte sich des Königs Für-
sorge. 1604 wurde ein Lehrling an den Hof des Kurfürsten von
Sachsen zur weiteren Ausbildung geschickt.
Wir haben oben gesehen, wie sehr der König sich bestrebte,
ausländische Berühmtheiten an seine Kapelle zu knüpfen. So wurden
im Jahre 1607 wieder zwei Größen angestellt, nämlich Jacobus
Merlis als »Fiolistacr und Yincentius Bartholutzius als Orga-
nist mit den unerhört hohen Gehältern von 600 und 1000 Thalern.
Von diesen hatte Bartholutzius, der früher am Hofe König Sigismund^s
war, sowohl als Organist wie besonders als Komponist einen ange-
sehenen Namen. Er starb aber schon 1608.
In diese Zeit fällt eine Sammlung fünfstimmiger Madrigale in
zweiBänden, von Melchior Borchgrevinck herausgegeben (160 5 —
1606). Der Titel des ersten Theiles lautet: Giardino novo bellissimo
di variißori mvsicali scieltissimi. II Primo libro de Madrigali A Cinque
Voci, Der zweite Theil erschien 1606 und noch im selben Jahre
eine zweite Auflage des ersten Theils^ Sie bringen zusammen 52
Madrigale, die meisten von italienischen Komponisten. Sammlungen
dieser Art waren damals Mode. Die genannte enthält hauptsächlich
Werke venetianischer Kunst und darf wohl als die Frucht des Auf-
enthaltes Borchgrevinck's in Venedig betrachtet werden. Die vor-
zugsweise vertretenen Komponisten sind Monteverdi mit 6 und
Leone Leoni mit 8 Madrigalen; daneben mehrere jetzt ziemlich
vergessene Namen und schließlich sind drei dänische Hofmusiker
vertreten, nämlich Borchgrevinck und Nicolo Gistou mit je
zwei Madrigalen sammt Hans Nielsen (Giovanni Fonteio) mit einem.
Von diesen letzten, die ja von besonderem Interesse wären, hat man
leider nur das eine nAmate mi ben mto« von Borchgrevinck voll-
ständig, eine nicht eben bedeutende Komposition-. Aus seiner
Vorliebe für Monteverdi, von dem er sogar das seiner Zeit so ange-
fochtene Madrigal » Cruda Amarillidi in die Sammlung aui^enommen
hat, darf man wohl schließen, daß er zu den Reformfreunden ge-
hört habe.
Erwähnen müssen wir auch eine andere Sammlung, die zwar in
Hamburg erschien, aber durch die vielen Beiträge dänischer Hof-
musiker von einem gewissen Jnteresse ist. Es ist dies: nAusz-
erlesener Paduanen vnd Galliarden . . , zu fünff Stimmen auff aller-
ley Instrumenten vnd in Sonderheit auff Fioleti zu gebrauchen^i u. s. w.
1 S. Emil Vogel, Bibliothek der gedruckten inreltlichen Vokabnusik Italiens
aus den Jahren 1500—1700. Berlin, Haack, 1892, Bd. ü, S. 493 ff.
2 Im dänischen Original als Notenbeilage I in Partitur mitgetheilt.
76 Hammerieh-Ellinfr,
von Zacharias Füllsach und Christian Hildebrand (Hamburg, zwei
Theile 1607 und 1609). Von den 84 Tanzmelodien sind nicht weniger
als 34 von dänischen Kapellmitgliedern. Dieser Umstand dürfte ein
Zeugniß sein, daß ihr Ruf nicht gering war und sich über die Landes-
grenze hinaus erstreckte.
In Folge des Kalmarkrieges (1611 — 13) büßt die Kapelle recht
viel von ihrer Stärke ein. Die Sänger werden auf 12, die Instru-
mentisten auf 9 reducirt; ja es vergeht noch ein Jahr nach dem
ja sonst glücklichen Kriege, bevor ein Aufgang zu verzeichnen ist.
Aber dann kommt auch der Umschlag mit einem Male, und die
Kapelle tritt in eine Blüthezeit hinein, die gegen das Jahr 1618 die
volle Entfaltung bringt.
Erstens treten die Kapellmitglieder, die sich in England auf-
gehalten hatten, 1614 wieder ein. Ferner werden im selben Jahre
mehrere neue Instrumentisten angestellt, und es sind wieder wie
früher Polen und Frydtzenn (Preußen, also wohl die Städte Danzig
und Thom), die das Kontingent stellen. Das Instrumentistencorps
ist durch diesen Zuwachs von 9 auf 20 Mitglieder gestiegen. Aber
damit nicht genug. In den nächstfolgenden Jahren 1615 — 18 werden
fortwährend neue Spieler angestellt, so daß das Corps im Jahre 1618
mit den drei Lehrknaben nicht weniger als 30 Mann zählt. Von
besonderem Interesse ist es, unter den letztangestellten auch den
Komponisten geistlicher Lieder Johann Schop, den Sänger der
Melodien »Werde munter, mein Gemüthea, »Ermuntre dich, mein
schwacher Geista u. a. zu finden. Er war mehr als drei Jahre in
dänischem Dienste fl./ll. 1615 — 17./3. 1619), wohl auch hier, wie
früher in Wolfenbüttel, als Violinist. Von seiner Wirksamkeit ver-
lautet übrigens nichts.
Daß dies glückliche Jahre gewesen, zeigt sich auch in dem
wachsenden Interesse für die Sängerkapelle. Der Kapellmeisterposten,
der seit Trehous' Abgang 1611 vakant gewesen, wurde 1618 mit dem
öfters erwähnten Melchior Borchgrevinck besetzt; ebenfalls wurde
ein Vicekapellmeisterposten eingerichtet, auf den Mogens Pedersön
befordert wurde. Und in der Zeit vom Februar bis zum April 1618
wurden nicht weniger als 10 neue Sänger angestellt, zwar lauter
einheimische, die aber brauchbar gewesen sein müssen, denn die
meisten verblieben in der Kantorei. Mit diesem Zuwachse und den
6 Diskantisten war die Kantorei im Mai 1618 auf 31 Sänger ge-
stiegen. Dazu kam das Trompetercorps, 16 Mann, und 30 Instrumen-
tisten, in allem 77 Mann. Für das Jahr 1618 — 19 betragen die
Ausgaben für den Musiketat 10197 Thaler.
Die Musik am Hofe Christian's IV. von Dänemark. 77
Christian IV. konnte auf seine Kapelle stolz sein. Sie war eine
der größten und bestausgerüsteten der damaligen Zeit; sie konnte
mit den berühmtesten wetteifern, ja überflügelte die meisten, und
wurde in Größe nur von einigen wenigen , wie z. B. der Münchener
Kapelle (92 Mitglieder) übertroffen. Christian lY. verstand es auch,
diesen stattlichen Musikapparat zur Geltung zu bringen, und bei den
vielen in diesen Jahren am dänischen Hofe stattgehabten Feierlich-
keiten sehen wir die Kapelle eine thätige und glänzende ßolle spielen.
Daß auch sonst ein rühriges musikalisches Leben geherrscht hat,
dafür zeugt, daß in diesen Jahren nicht weniger als drei größere
Musikwerke ans Licht kamen. Das erste ist eine Sammlung drei-
stimmiger kleiner Madrigale, von dem Sänger Hans Brachrogge
komponirt und 1619 erschienen ^ Sie enthält 21 Stücke (wovon
jedoch zwei aus Mogens Pedersön's Feder herrühren), und zeichnet
sich, wenn nicht gerade durch Kunst, so doch durch eine gewisse
Frische aus ; unter den Madrigalen heben sich die von Mogens Pedersöu
durch ihre interessantere Behandlung günstig hervor^.
Von bedeutenderem Interesse ist ein zweites Werk, nämlich das
von Mogens Pedersön herausgegebene is>Pratum spirittcale d. i.
Messen, Psalmen und Motetten wie sie in Dänemark und Norwegen
gebräuchlich ff, Kopenhagen 1620. Es enthält in meist fünfstimmiger
Bearbeitung 28 der damals gebräuchlichsten Psalmen, dazu drei »Kyrie«,
zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten zu singen, femer Respon-
sorien, auf dänisch und auf lateinisch — wie oben berührt, hatte
die Liturgie noch theilweise einen katholischen Charakter, besonders
an den Festtagen — endlich ein Bruchstück einer lateinischen Messe
und drei Motetten mit lateinischem Texte. Es ist also ein recht
umfassendes Werk und nach der mitgetheilten Probe (eine Motette
über den 67. Psalm nDetis mtsereatur nostri^^) zu schließen, war
Mogens Pedersön ein mit der kontrapunktischen Technik wohlver-
trauter Komponist. In seiner Bearbeitung der Kirchenmelodien scheint
er von Johannes Eccard beeinflußt zu sein.
Obwohl in etwas femer Verbindung mit dem vorliegenden Gegen-
stand müssen wir doch einer Sammlung, die auch in diese Jahre
fallt und so zu sagen eine volksthümliche Ergänzung zum Pratum
spirituale bildet, Erwähnung thun: König Davids Psalter, ge-
sangsweise ausgesetzt und von Anders Arrebo herausgegeben,
» S. Emil Vogel, a. a. O. Bd. I, S. 116.
' Das 16. Stück: AngioUUa che sola ist im dänischen Original als Noten-
beilage n mitgetheilt.
^ Notenbeilage III des dänischen Originals.
78 Hammerich-EUing,
Kopenhagen 1633. Sie enthält etwas über hundert ältere Psalmen-
melodien; überall ist die strenge Diatonik der Kirchentonarten ohne
Zugeständnisse an die moderne Chromatik konsequent durchgeführt.
Seit dem Anfang des Jahrhunderts haben wir also drei größere
und kleinere Werke auf dem Gebiete der eigentlichen Kunstmusik,
nämlich das früher erwähnte Sammelwerk von Borchgrevinck und
die zwei obengenannten Werke von Brachrogge und Mogens Peder-
sön, als von danischen Musikern herausgegeben und theilweise kom-
ponirt und in Dänemark erschienen aufzeigen können. Im Yei^leich
zu der übrigen litterarischen Magerkeit der Zeit ist diese musikalische
Produktion ein recht bemerkenswerther Zug.
Im Jahre 1618 hatte die Kapelle ihren Höhepunkt erreicht. Im
folgenden Jahre litt sie zwar argen Schaden durch die Pest, die da-
mals in Kopenhagen wüthete und nicht weniger als 1 8 Mitglieder hin-
wegraffte. Sie wurden aber bald ersetzt und es vergehen noch mehrere
Jahre, bevor ein wirklicher Niedergang zu spüren ist. Es ist eigentlich
erst nach der unglücklichen Theilnahme am dreißigjährigen Kriege,
daß der Zustand als ein wesentlich anderer hervortritt. In den
Übergangsjahren sind es die Trompeter und Sänger, die unter der
Ungunst der Zeiten zu leiden haben, während die Instrumentisten
ihre günstige Position bewahren. Durch mehrere Jahre sind die
Ausgaben für diesen Etat ebenso groß, wie für die zwei anderen zu-
sammen. Doch wurden bei den neuen Anstellungen die Gehälter
etwas knapper zugemessen ; man merkt auch hier, daß eine gewisse
Nüchternheit eingetreten. Der König läßt sich aber noch* immer die
durch zufälligen Abgang im Laufe der Jahre nöthige Vervollständi-
gung seines Instrumentistencorps angelegen sein. Den neuen An-
stellungen nach, ist es besonders die Verbindung mit England, die
aufrecht gehalten wird. Die meisten neu geworbenen Spieler sind
Engländer, von welchen aber nur zwei uns interessiren, nämlich
William Brade, seiner Zeit ein beliebter Tanzkomponist, der in
Hamburg und Frankfurt a. d. Oder mehrere Sammlungen Instrumental-
stücke, aus Paduanen, Galliarden und Couranten bestehend, heraus-
gegeben hat, und Thomas Simpson, der in Frankfurt eine Samm-
lung »Neue Pavanen, Galliarden etc.« und in Hamburg ein »Tafel-
Consort allerhand lustiger Lieder« verlegt hat.
Die Kantorei, die auch sonst recht große Verluste zu verzeichnen
hatte — im Jahre 1622 wurden auf einmal 7 Mann entlassen —
wurde durch den Abgang Mogens Pedersön's geschwächt. Er
verschied in jungem Alter im Januar 1623. Mit ihm sinkt eine
der Hauptgestalten der Kapelle dahin; nicht nur repräsentirt er in
Die Musik am Hofe Christian'g IV. von D&nemark. 79
diesem inteniationalen Bienenkorb das dänische Element, die aufdäm-
mernde einheimische Tonkunst, sondern er scheint auch seinen Platz
in einer Weise ausgefüllt zu haben, die des Königs schon frühzeitige^
Interesse für ihn gerechtfertigt zeigt. Sein Nachfolger war der früher
erwähnte Hans Nielsen, also wieder ein Däne und wieder ein In-
strumentist, was für deren überlegene Stellung gegenüber den Sängern
zeugt.
Ein nicht unwichtiges Konto in den Rechenschafts -Berichten
dieser ersten und glücklichen Hälfte der Regierung Christian's IV.
betrifft die Orgeln; es werden häufig verschiedene Summen, größere
und kleinere, theils zum Bau neuer Werke, theils zu Reparaturen
ausgezahlt. Unter den Orgelbauern trefien wir zwei rühmlichst be-
kannte Namen. Es sind dies Nicolai Maas aus Stralsund und
Esaias Compenius aus Hraunschweig, der berühmteste Oi^el-
bauer der damaligen Zeit. Der erste, ein in seinem Fache tüch-
tiger Meister, von Michael Prätorius mit besonderer Achtung ge-
nannt, war von 1601 bis zu seinem Tode 1615 festangestellter
Orgelbauer beim König. Als solcher hat er sich namentlich durch
den Bau der großen Orgel in der Fredriksborger Schloßkirche be-
kannt gemacht. Auch die sogenannte Silberorgel, eine der Sehens-
würdigkeiten der Fredriksborger Schloßkirche, hat er gebaut.
Die Fredriksborger Schloßkirche besitzt noch eine dritte Oi^el,
wohl die merkwürdigste von allen mit Rücksicht auf die ganz be-
sonders vorzügliche Beschaffenheit der Arbeit und die reiche, künst-
lerische Einfassung. Wegen ihrer hervorragenden Eigenschaften ist
sie mehrmals besprochen worden, ja noch in einer längeren Abhand-
lung in Le monde musical (1891) wird sie ein Kleinod, eines der
reichsten und charakteristischesten Monumente des Orgelbaues vom
Anfang des siebzehnten Jahrhunderts genannt. Nach Michael Prätorius,
der sie eines der vornehmen Orgelwerke in Deutschland nennt, ist sie
von Esaias Compenius 1612 »zu Hessen ufim Schlosse« gebaut, sie kam
aber schon c. 1617 nach Dänemark; nach einem Rechenschaftsberichte
zu schließen hat Compenius persönlich die Aufstellung überwacht.
Nach dem Tode des Nicolai Maas war ein Mann Namens Johan
Lo rentz lange Zeit hindurch der Orgelbauer Christian^s IV. und hat
als solcher mehrere große Werke gebaut.
Wir haben oben erwähnt, daß die unglückliche Theilnahme
Christian^s IV. am dreißigjährigen Kriege, wie für das ganze Land,
so auch für den Musiketat ein Wendepunkt wurde. Von jetzt an
geht es im Großen und Ganzen bergab; ab und zu, wie namentlich
gO Hammerieh-EUing,
während der Festlichkeiten bei Gelegenheit der Hochzeit des Kron-
prinzen Christian, flackert es wohl wieder auf, aber das rege Leben
^der ersten Zeit findet man nicht mehr. Merkwürdig genug sind es
die Trompeter, die zuerst herhalten müssen; sie werden schon An-
fang 1625, also zu Anfang des Krieges, auf 10 Mann vermindert;
diese werden aber alle beritten gemacht. Die zwei übrigen Corps
werden im selben Jahre zwar auch etwas vermindert, halten sich aber
doch während der ersten Kriegsjahre in einer Stärke von 15 Instru-
mentisten und 17 Sängern, die Diskantisten mitgerechnet Ja der
König sieht sich sogen im Stande, im Sommer 1626^ zwei neue Leute
anzustellen, beide mit einem Gehalt von 300 Thalern, nämlich den
Bassisten Eitel Friedrich Loringhoff und den Organisten Mel-
chior Schild. In diesem letzteren hatte Christian lY. wieder einen
berühmten Musiker an seinen Hof geknüpft. Schüler des bekannten
niederländischen Orgelmeisters Sweelinck war er selbst ein großer
Orgelvirtuos und daneben ein talentvoller Komponist, der bei den
Zeitgenossen in großem Rufe stand. Da er aber zu seinen Lebzeiten
nichts herausgeben wollte, ist es nur einem glücklichen Zufall zu
verdanken, daß man wenigstens etwas von seinen Kompositionen
kennen gelernt hat. Es sind dies zwei Orgelstücke ^ die in einem
Exemplar von Gabriel Voigtländer's Oden und Liedern in deutscher
Tabulatur niedergeschrieben sind und sich auf der Kgl. dänischen
Bibliothek befinden. Sie enthalten 1. eine Melodie »Gleich wie daß
feuwr« mit zwei Variationen und 2. eine Padttana Lagrimay ein im
Tanzrhythmus der Paduane gehaltenes Stück, eben£aills mit Varia-
tionen.^
Neben seiner Stellung als Organist war er auch Lehrer der
königlichen Kinder d. h. der Kinder Kristine Munk's, mit welcher
der König zur linken Hand verheirathet war. Sein Aufenthalt in
Dänemark dauerte aber nicht lange; theils waren die Verhältnisse
nicht günstig, theils waren mehrere der Kinder Kristine Munk's um
diese Zeit nach auswärts geschickt. Er wurde schon im Mai 1629
und zwar mit den besten Zeugnissen entlassen, wandte sich nach
Hannover und starb hier 1667 als ein nach den damaligen Verhält-
nissen ungewöhnlich wohlhabender Mann.^
Der Krieg ging einstweilen seinen unglücklichen Gang, was
für die Kapelle nicht ohne die traurigsten Folgen blieb. Im
1 S. Monatshefte far Musikgesch. 1888, S. 27 ff. und 35 ff., wo sie von Frl.
H. Fanum in modemer Notation mitgetheilt sind.
2 S. die Untersuchungen Max Seiffert's in dieser Zeitschrift, Jahrg. 1891, S.
220 ff. Seine Entstehungsurkunde hat folgenden TV ortlaut: »Wir Christian etc.
yrkunden hirmit, Demnach der Ersame, vnser lieber getrewer Melchior Schild, vns
Die Musik am Hofe Christian 's IV. Ton Dänemark. §|
Jahre 1 627 yerliert sie ein Drittel ihrer Stärke^ darunter einige der Spitzen
wie z. B. den Kapellmeister Melchior Borchgrevinck , der sich aber
mit seinem Kanonikat in Boskilde trösten konnte ^ und den Bassisten
Loringhoff. Ja, im Jahre 1629, zu gleicher Zeit mit dem Friedens-
schlüsse, zählt die Kapelle ein Minimum von 7 Instrumentisten und
4 Sängern außer den Diskantisten.
Der Krieg hatte die Finanzen des Königs erschöpft, und es ver-
gehen ein paar Jahre, bevor ein Aui^ang zu spüren ist. So hat man
denn erst 1631 neue Anstellungen zu verzeichnen. Es sind in allem
8 Mann, darunter jedoch der 1627 verabschiedete Melchior Borch-
grevinck. Die Löhnungen sind aber recht klein, und von )}Spitzen((
ist keine Rede; es sind lauter einheimische Leute mit der gewöhn-
lichsten Ausbildung. Aber hiermit war die fortschreitende Bewegung
nicht abgeschlossen. Im Gegentheil, dies war nur der Anfang, und
wie groß des Königs Neigung zur Musik gewesen, zeigt sich deutlich
darin, daß er, sobald die Wunden nach dem Kriege einigermaßen
geheilt und die Finanzen wieder in Ordnung sind, gleich an eine
Verbesserung der Musikverhältnisse denkt. Wie so oft früher, mußte
er auch diesmal seine Zuflucht zum Auslande nehmen. Ein Werber
wird nach Preußen und Polen geschickt, und die Folge davon ist,
daß in den ersten Monaten des Jahres 1633 nicht weniger als 9 Mann,
nämlich 4 Sänger und 5 Instrumentisten angestellt werden. Unter
diesen letzten müssen wir den Organisten Michael Cracowit, der
zugleich Lehrer für die königlichen Kinder wurde, hervorheben.
Bevor wir aber die letzte gute Periode der Kapelle, die jetzt
heranrückt, berühren, haben wir den Verlust eines Mannes, der
mehr als irgend ein anderer als Repräsentant der im Vorhergehenden
geschilderten Zeit dasteht, des Kapellmeisters Melchior Borchgrevinck
für Organisten Tnterthänigst gedienet, vnd seiner angelegenheit nach fernere beför-
derung zu erhalten, vns ymb gnädigste erlassung vnd ein gezeugnus seines wohl-
▼erhaltenes gehorsamst angelanget, welches wir ihm gnädigst wol gönnen vnd nicht
verweigern mögen, daß gedachter Melchior Schild die Zeit seiner bei vns geführten
bedienung sich fleißig, aufwärtig, vnd also betragen, vnd in allen verhalten hat,
wie einem redlichen vnd qualificirten diener vnd Organisten eignet vnd gebühret,
vnd seiner vns geleistete pflichte erfordert haben, daß wir deßhalb auch mit ihm
in gnaden wol sein friedlich gewesen. Gelanget demnach in Crafl't dieses an alle
vnd iede, so er damit belangen wird, nach Standesgebühr, freundlich günstig vnd
gnedigst, sie wollen nicht allein diesem vnserm gezeugnus wol getrawen, besondem
auch Ihn Melchior Schilden, vmb obgedachtes wolverhalt^ns willen, zu allen gnaden,
Churfürstl. beförderung vnd freundschafft sich, zum besten recommendirt vnd anbe-
fohlen sein laßen. Vrkundlich etc.«
1 Es war nicht selten, daß die Sänger bei ihrem Abgang Ffarrstellen bekamen,
wie es auch vorkam, daß sie neben ihrem Dienst in der Kapelle eine Küsterstelle
innehatten, die dann nöthigenfalls von einem Substitut bedient wurde.
1893.
g2 Hammerich-Elling,
zu verzeichnen. Er hatte der Kapelle von der allerersten Zeit treulich
gedient, erst als Diskantist , später als Instrumentist. Wir haben
gesehen, wie seine Stellung schon früh eine hervorragende wurde
und daß er im Jahre 1618 die nach Trehou ledige Kapellmeister-
stelle bekam', womit der König für seine Person ein Kanonikat in
ßoskilde verband. Durch seine Tüchtigkeit, seine kompositorische
Wirksamkeit wie durch seine kräftige Persönlichkeit hatte er eine
bedeutende und angesehene Stellung erworben; mit ihm schwindet
eine der Hauptgestalten der Kapelle.
Wir nähern uns jetzt der Begebenheit, wo der Hof in all seinem
Glänze strahlen sollte, der Hochzeit Kronprinz Christian's mit der
sächsischen Prinzessin Magdalena Sibylla, Tochter des Kurfürsten
Johann Georg I. Es galt bei dieser Gelegenheit, den fremden Ge-
sandtschaften gegenüber zugleich Dänemarks Stellung als Großmacht
im Norden zu behaupten. Und wahrhaftig, der Luxus, der bei dieser
Gelegenheit entfaltet wurde, ist selbst in dieser Renaissancezeit
einzig. Die Hochzeit dauerte 14 Tage (vom 5. bis zum 18. Oktober
1634) und kostete dem Lande die damals ganz unsinnige Summe von
2 Millionen Reichsthaler. ^
Wir haben oben gesehen wie die Kapelle, wohl theilweise mit
Aussicht auf diese Begebenheit, wieder erweitert worden. Die Be-
wegung setzte sich fort und so bestand die Kapelle um diese Zeit
(1634) aus 57 Mann, nämlich 17 Listrumentisten , 18 Sängern (die
6 Kapellknaben mitgerechnet) und 22 Trompetern. Hierzu kommen
noch mehrere nicht festangestellte Leute, die zu der Festlichkeit
herangezogen wurden; in den Berichten wird auch »der sächsischen
Bergmusik« Erwähnung gethan, einer Schaar musicirender Bergleute,
die wahrscheinlich der Prinzessin nach Dänemark gefolgt waren.
Mit dieser Verstärkung zählte die Kapelle während der Festlichkeiten
50 Musikanten, 24 Trompeter — sie bliesen auf Silberinstrumenten
— und 2 Paukisten, in allem 76 Mann.
Was aber der Begebenheit in musikalischer Beziehung erst ihren
rechten Glanz verleihen sollte, war, daß man für die Kapellmeister-
stelle keinen geringeren als Heinrich Schütz gewonnen hatte.
Die Stellung als Kapellmeister am kursächsischen Hofe war ihm, wie
wir wissen, nach und nach recht lästig geworden, und die Kri^s-
unruhen verschlimmerten den Zustand mehr und mehr. Die Initiative
zu Schützen's Übersiedelung nach Dänemark scheint vom Kronprinz
Christian ausgegangen zu sein. Dieser, ein großer Musikliebhaber,
hatte auf seinen wiederholten Besuchen in Dresden Schütz und dessen
1 Ein »Rigsdaler« (Keichsthaler) war um Vß größer als ein »Daler courant«,
der dem deutschen Thaler entspricht.
Die Mudk am Hofe Christian's IV. von Dänemark. g3
Fähigkeiten kennen gelernt, und der Wunsch ist dann in ihm ent-
standen, zu den bevorstehenden Festlichkeiten sich mit diesem be-
deutenden Künstler schmücken zu können. Aber erst nach langen
Verhandlungen kam der Plan zur Ausführung. Aus einem Briefe
dat. von Hamburg 15. Februar 1633 vom sächsischen Abgesandten
in Hamburg, Fr. Leb zeiter, geht hervor, daß der Kronprinz sich
an diesen gewendet hatte, um durch dessen Vermittlung mit Heinrich
Schütz Verhandlungen einzuleiten. Lebzelter hat sich dann in Be-
^vegung gesetzt und kann dem Prinzen die erfreuliche Mittheilung
machen, daß Schütz willig sei und vielleicht schon zu Ostern kommen
werde. Er schickt zugleich den Brief, den er von Schütz wegen
dieses Engagements empfangen habe. Dieser Brief, der durch treu-
herzige Form und bescheidenen Ton für Schütz so charakteristisch
ist^ lautet folgendermaßen :
»DEm Edlen Vesten Vndt Wohlfurnemen herrn Friederich Lep-
zeltem, Churfl. Durchl. Wohl verordneten geheimbden Cammerdienern.
Meinem Insonders grosg. herrn Vndt hochwerthen Vertrawten Freunde
zu eignen banden. Hamburgk.
MEine iederzeit bereitwilligste dienste, nebenst Wünschung Eines
glückseeligen freudenreichen Newen Jahrs, sambt aller Wolfarth
leibes Vndt der Seelen hinwiederumb zuvorn.
Edler Ehren Vester Insonders grosg. herr Vndt Vertrawter
werther freundt. Sein schreiben de dato friedrichsburgk den 8.|18.
Januarii, Ist mir gleich heut dato wol worden welches zu beandt-
worten Ich nicht Vnterlassen sollen Vndt wollen, Vndt berichte
denselben hirmit freundlichen, das im betracht (Itziges meiner Pro-
fession wiedrigen Zustandes alhir) Ich numehr in die 3 Virtel Jahr
lang fast, darmit ümbgangen binn Vndt bey Meinem gnedigsten h.
.mich Vntterthenigst bemühet habe das etwa auf 1 Jahr lang ich
abermals gnedigste dimission erlangen, Vndt in Niedersachsen (Welche
orter ich niemals gesehen) oder wo es mir gefallen würde, mich auf-
halten möchte. Wie guete Wort ich auch Versuchet, habe ich solches
doch bishero nicht erlangen mögen. Wann aber der continuirende
harte zustandt bey Uns (welcher dem h. nicht Vnwissent ist, Vndt
die Fortstellung des schweren Kriegswesens hinfem noch so balde
nicht mindern möchte) bey gefaster resolution zu verbleiben, mich
stark antreibet, ja nothdränget, als binn ich allerdings resolvirt ge-
wesen, ehe des herrn jüngstes schreiben mir auch zu banden kom-
men Ist, noch ferner, zu behaubtung dieser meiner intention, an
Vnsern gnedigst. Churf. V. herrn mit gebürenden Vnterthenigsten
discretion zu setzen.
Das nun dieses mein fürhaben (des h. angenemen zuschreiben
6*
g4 Hammerich-Elling,
nach) so eine {urneme in der Weldt noch aufgehende Sonne mit
gnedigen äugen, so halt Vndt gleichsamb in der blüthe, anbüken
thut; halte ich für ein gut Omen in meinem proposito, Ynd für
Gottes sonderliche Schickung. Bleibe auch meinestheils, ausserhalb
Gottes gewalt, dahero so Viel desto mehr in meinem fiirhaben be-
stendig, Es weis aber der h. gar wol wie gar schwerlichen der Vrlaub
bey Vnsern Gnedigsten h. zu erlangen stehet, Vndt muss ich freylich
gemachsamb gehen das Vnsern Gnedigsten herrn Ich nicht offen-
diren, auch andere ümb diesen hoff nun etliche Jahr sonder rühm
Verdienste gratia, wie auch meinen rückstehenden Rest ich nicht in
gefahr setzen noch Verschertzen möge. Wan Ihre hochfiirstl. Durchl.
es belieben wolte, mit wenigen Inschrifften hirumb Vnsern gnedigsten
Churf. Vndt h. zu ersuchen, das Seine Churf. Durchl. immittelst
(Weil bey itzigigen Zustande ich wol abkommen könte) mir Ein
JahrderoselbenVntterthenigst aufzuwarten, gnedigst Vergönnen weiten,
were meines erachts die beste beforderung dieses werks, Im fall auch
Ihre hochft. Durchl. disfals bedenken trügen, könten Sie etwa durch
den herrn dem h. Ober Cemmerir solche Expedition mündlichen mit
gueter discretion zu Vorrichten, erzuchen lassen, Vndt wenn ich den-
selben auf meiner seite hatte hoffette ich die sache disto ehe durch-
zubringen, Ich habe auch ohne dessen in willen ehistes tages dem-
selben in meinem namen derohalben zuzusprechen, Ich zweiffeie aber
fast daran das von mir er sich wirdt behandeln Vndt zum Vntter-
händler gebrauchen lassen, Vndt lasset doch der meiste theil deren-
jenigen so teglich ümb Vnsern Gnedigst h. seindt, sich lieber
gebrauchen, Ihre Churf. Durchl. bey gueten muht zu erhalten, als
Sachen so deroselben Verdrieslich (Worunter Ich halte das Urlaub
bitten auch mit begriffen sey) furzutragen. Mache mir aber keinen
Zweiffei wann höchstgemelte hoffl. Durchl. wolerwehnten h. Ober
Cämmerir hirumb in gnaden ersuchen liessen. Er, als auf einem
gueten fundament, desto williger hinan gehen Vnd die sache ob
golt wol, erhalten würde. Welches alles dem h. zu bereiffen, Vndt
femer bey hochf. Durchl. Ehistes zu vermittlen, ich hirmit anheimb
geben, Insonderheit aber zum allerfleissigsten bitten thue, der h. data
occasione bey höchstmehrgedachter f. Durchl. , mich Vntterthenigst
Recommendiren , Vndt meine Vntterthenigste begierde deroselben
aufzuwarten mit gebürender revenz berichten wolle, Ihrer hochf.
Durchl. besondere Inclination auch liebe zu der Profession der
Music, habe in dero anwesen alhier bey anstellung meiner damals
in Warheit schlechten Music Ich genugsamb selbst Verspüret, habe
auch ohne des herren bericht dessen gewisse nachrichtung. Meine
qualiteten seindt geringe, kann mich auch nichts rühmen als nur
desen, das Vntter den fürnembsten Musicis iu Europa ich gewesen,
Die Musik am Hofe Christian 's IV. yon Dänemark. g5
Vndt nur einen schatten Ihrer Kunst erlanget habe. Jedoch wolte
Ich hoffen, mit der hülffe Gottes, Ihrer hochfl. Durchl. (wo ferne
anders deroselben meine arbeit gefallen würde] derogestalt bedienet
zu sein, das mit zimlicher anzahl gueter Stück oder Composition«
nicht alleine meiner inuention als der schlechtesten, sondern auch
der allerfürnembsten Componisten in Europa, welche ich nicht sonder
grosser müh beyhanden bracht, dero Music oder Capell Versehen,
auch in gueter ordinantzVerhoffentlich ins Werk gerichtet werden solte.
Der h. wolle auch, wann es einsten die gelegenheit gibet, Ihre
hochfl. Durchl. , Vntterthenigst per discursum nicht ohnberichtet
lassen, was massen auf meiner jüngsten in Italien gethanen reise,
Ich mich noch auf eine absonderliche art der Composition begeben
hatte, nemblich wie eine Comedi Von allerhandt stimmen in reden-
den stylo, übersetzet Vndt auf den schawplatz gebracht Vndt singende
agiret werden könne, Welche dinge meines wissens (auf solche art
wie ich meine) in teutschland noch gantz ohnbekandt, Bishero auch,
wegen des schweren Zustandes bey uns, weder practiciret, noch be-
fördert werden, Vndt weil ich darfür halte, das es schade sey, das
solche recht Majestätische Vndt fürstliche inuentionen (worunter zwar
meine Music nicht zurechnen sein würde, Vndt sonsten wegen mehere
dazu gehörigen Sachen also Von mir intitoliret werden) ersitzen
bleiben, Von andern Vndt besseren ingenüs nicht auch gesehen Vndt
practiciret werden soll, So würde ich, so dann zu meiner ankunfft
nicht Vntterlassen, Ihre hochf. Durchl. derogleichen Vntter fus zu
geben, zu begebenden Vndt Vorstehenden Solenniteten, nach dero-
selben gnedigst beliebung sich damit bedienen zu lassen. Bleibet
schlieslichen darbey das Vmb fortstellung dieses meines propositi
ich ehistes tages mich bemühe, wo ferne Ihre Churfl. Durchl. Ich
zu gueter Stunde antreffe, bekomme ich wol für mich etwa gnedigsten
Urlaub, weil in der warheit ich doch anitzo weniger als nichts alhier
nütze binn, Vndt nun (?) zurüke komme. Kan auf allen Fall der
h. obiger schreiben eines auswirken geschieht mir zu sonderbarer
beförderung, Weil Ich auch etwas Von schlachfassen Vndt kästlein
albereit auf den Weg fertig habe. So gelanget an den h. mein bitt
er mir ohnbeschwerd an die handt geben wolle, wie ich solche mit
einem passzettel hinab bringen möchte, alhir gross gesperr zu machen
taug nicht, oder ob ich etwa solche dem h. (als ob Sie höchst Vndt
oft^edachte printzl. Durchl. zustendig weren) nacher hamburg zu
verdingen solle, binn des h. Rahts Vndt meinung ich auch gewertig,
Vndt bleibe dem h. für seine zu mir tragende guete affection. hin-
gegen zu aufrechten Diensten Vndt freundtschafib nach allen Vermögen ,
hinwiederumb verbunden. Göttliche protection Vns allerseits ganz trew-
lichst empfelende. Signatum Dresden den 6.|16. Februari A« d. 1633.
g5 Hammerich-Elling,
Meines grosg. h. allezeit
dienstwilligster trewer freien dt
Henrich Schütz. Mp.
Die Zeitungen, Vndt heutige alhier in Dresden fiirgegangene
Decollattion des haubtmans Voppelii erfehret der h. von andern. «
Auf der Bückseite des Briefes steht — wahrscheinlich vom
Sekretair Lebzelter's geschrieben — ))1633, 6. February ausDreßden.
14 dito in Hamburg. Heinrich Schüz.«
Der Prinz lieB es auch seinerseits nicht an Eifer fehlen. Schon
den 1 . März schickte er von Hadersleben aus Schütz einen Paß und
zugleich, nach dessen Wunsch, einen Brief an den Kurfürsten und
noch einen an die Kurfürstin wittwe , um deren einflußreiche Ver-
mittelung gebeten wird. In dem Schreiben an den Kurfürsten heißt
es u. a. , daß sowohl der Prinz wie sein Kgl. Vater den Schütz als
meinen sonderbahren excellirenden und ieziger Zeit fast seines gleichen
nicht' habenden Musicum« ansehe, und man bittet, daß der Kurfürst
seinem Kapellmeister Urlaub »zum längst ein iahr« gewähren wolle,
da dieser in den jetzigen Kriegszeiten muthmaßlich nicht von großem
Nutzen sein könne.
So glatt ging es doch nicht. Ein Vierteljahr später, im Juli 1633.
findet der Prinz sich veranlaßt, direkt an Schütz zu schreiben, mit
dem Ersuchen, sich so bald wie möglich auf den Weg zu machen.
Dies half. Aus einem neuen Briefe von Lebzelter (Hamburg im
November) ersehen wir, daß Schütz sich sclion ein paar Monate (also
vom September an] dort aufgehalten und nur auf des Prinzen An-
kunft in Haderslevhus gewartet habe, um sich zu ihm zu begeben,
was jetzt geschieht. Schütz ist also um diese Zeit durch Holstein
und Schleswig hinaufgereist und hat dann, dem Anschein nach,
14 Tage auf Haderslevhus gerastet, um erst den 6. Dezember die
Reise nach Kopenhagen fortzusetzen.
Gleich nach seiner Ankunft dort wurde Schütz zum Kapellmeister
ernannt mit einem jährlichen Gehalte von 800 Reichsthaler vom
10. Dezember an zu rechnen. Daß er mit Sehnsucht erwartet worden,
geht theils aus dem Umfange seiner Thätigkeit hervor — er war
nicht nur Leiter der Kapelle im Allgemeinen, sondern auch eine Art
Theaterdirektor — theils aus dem lebhaften Briefwechsel, den der
König, damals auf Skanderborg residirend, seinetwegen mit den Hof-
beamten in Kopenhagen unterhält. Es wird ihm eine Wohnung in
der Stadt angewiesen; die Proben werden in der Schloßkapelle und
in dem Saale neben dem Gemache des Königs gehalten. Man kann
anfangs gleichsam eine Opposition gegen den neuen Führer spüren;
Die Musik am Hofe ChriBtian's IV. von Dänemark, 37
denn der König sieht sich veranlaßt zu beordern, daß die Kapell-
mil^lieder, die nicht gehorchen »und sichl widerwillig anstellen«, ihres
Gehalts verlustig gehen sollen.
Wegen der neuen Dinge, die in Scene gesetzt werden sollten,
einer Art Opem-Baüett und einem Paar Schauspiele mit Musik, galt
es einen kundigen Mann an der Spitze zu haben. Und ein solcher
war Heinrich Schütz, was er auch selbst in seinem früher citirten
Briefe an Lebzelter andeutet. Er hatte in Wirklichkeit nicht blos
im Allgemeinen Kenntniß von der neuen Art Komödie, die »singend
agiretc wurde, sondern er hatte zugleich bei seinen wiederholten
Studienaufenthalten in Italien, wo eben damals die Oper aufgekommen
war, persönliche Fertigkeiten in diesem neuen Style erworben, ja
er hatte einige Jahre vorher (1627) selbst eine deutsche Oper »Daphnea
komponirt.
Von der Musik, die bei den Festlichkeiten aufgeführt wurde, und
von welcher man mit Sicherheit annehmen darf, daß sie theilweise
von Schütz herrührt, ist uns leider nichts hinterlassen; sie ist bei
der großen Feuersbrunst in Kopenhagen (1794) mit zu Grunde ge-
gangen. Die Quellen, die die Festlichkeiten im Allgemeinen be-
handlen, enthalten aber doch so viel über die Musik, daß man sich
von deren Art und Charakter einen ziemlich deutlichen Begriff
machen kann. Das größte musikalische Interesse knüpft sich an die
Theaterbelustigungen, namentlich an das aufgeführte Ballett, wahr-
scheinlich das erste in der Reihe in Dänemark. So wie das Ballett
sich entwickelt hatte, war es ein Gemisch von vielen verschiedenen
Dingen geworden, keineswegs nur Tanz oder mimische Kunst allein,
sondern ebensoviel eine Art Singspiel mit Recitativen, kleinen Arien,
Duetten und Chören, ein »Opern -Ballett«, wie es ganz richtig ge-
nannt worden. Auch das hier aufgeführte Ballett, das der Tanz-«
meister von Kükelsom verfaßt, während Schütz allem Anscheine
nach die Musik dazu komponirt hat, war ein solches Gemisch von
pantomimischer Aktion, choreographischer Kunst und eingeschobenen
musikalischen Episoden für Solo oder Chor. Der Text war in mytho-
logischer Einkleidung eine Anspielung auf den König als den glück-
lichen Herrscher und auf die Vermählung des Kronprinzen »Neptuni
Sohno mit der Göttin der Weisheit, Pallas. Die Musik zerf&llt in
einen Prolog: eine vom ganzen Chor abgesungene und wahrschein-
lich in Madrigalform gehaltene Einladung an die Götter, sich an dem
Tanz zu betheiligen, und drei Intermezzi. Das erste derselben ist
ein Lied mit Frohlockung, vom Chor gesungen, das zweite ein langer
Solosatz, vermuthlich in dem halbrecitirenden, a monodischen« Style
der Zeit mit reichlicher Anwendung von Koloratur und mit einem
gg Hammerich-Elling,
allgemeinen Freudenchor abschließend, das dritte wieder ein »Sonett«
für Chor. Daneben giebt's im zweiten Bilde ein »sorgenvolles Klage-
lied«, in welchem Orpheus seine verlorene Eurydice besingt und im
vierten einen Sologesang, in welchem Apollo die Götter zu der bevor-
stehenden Vermählung einladet. Die Musik müssen wir uns also
von dreifacher Art denken, die Tanzmusik als instrumental, die Chöre
in Madrigalform und endlich die drei großen Soli in dem neuen
recitati vischen Opernstyle.
Außer diesem Ballett gab man zwei Schauspiele mit Musik und
Tanz, die von Johannes Lauremberg, damals Professor in Sorö,
verfaßt sind und wieder in allegorisch-mythologischem Gewände die
Vermählung feiern. Vom Komponisten schweigen die Berichte ; daß
aber auch in diesem Falle Schütz der Komponist gewesen, darf als
festgestellt betrachtet werden.
Wie schon oben berührt, hält mit diesen Werken der neue Styl,
der Stile recitativo seinen Einzug in Dänemark. Er stützte sich, wie
bekannt, vorzugsweise auf den Sologesang, der durch den Generalbaß
und andere Instrumente begleitet wurde, unter welchen die Violinen,
im Gegensatz zur früheren Bevorzugung der Blasinstrumente, bald
die Oberhand gewinnen. Es ist dies der neue Styl, den Schütz ia
seinen Konzertkompositionen fast ausschließlich anwendet, und dieser
Styl konnte hier, wo es galt für die Scene zu schreiben, und wo
er so recht als der Styl par excelience sanktionirt geworden, um so
besser zur Anwendung kommen. Auch in anderer Beziehung merkt
man die neue Zeit. So war der Chor und die Instrumentisten) hinter
der Scene angebracht, und, wie bei den ersten Opern in Florenz, für
die Zuschauer unsichtbar.
Beide Stücke werden mit einer Ouvertüre in Form eines kürzeren
Chores (wohl in Madrigalform) eingeleitet, welche sich dann in einem
besonderen Prolog mit Solo und Chor fortsetzt; für beide gilt es, daß
jeder Akt in der Regel mit t) Chorus« und »der vollen Musik« also
mit Chor und Instrumenten schließt. Daneben hat jeder Akt ein
Solo oder, noch häufiger, Solo in Verbindung mit Ensemble und
Chor. Von diesen wie von jenen müssen wir besonders einige her-
vorheben. In dem einen Stücke tritt im 2. Akte ein Solist auf,
sowohl vokal wie instrumental. Es ist Cupido, der ApoUo's Geige
habhaft geworden und jetzt nicht umhin kann zu versuchen, «ob
Cupido das Saitenspiel Apollo' s nicht besser brauchen könne als
Apollo Cupido's Waffen«. Er spielt dann auf der Geige eine Sin-
fonie und singt nachher, in nicht weniger als 13 Strophen, ein Lied
zu seinem eignen Ruhm; darauf folgt eine kurze Hymne für Chor.
Im dritten Akte bildet das Finale, ein ganzes Konzertstück mit Soli^
Die Musik am Hofe Christian's IV. yon Dänemark. g9
Chören und Ensemblestücken, den Höhepunkt. Drei Amorinen singen
zur Verherrlichung« des schönen Volkes der Frauen.« Aber gleich
kommen Satyrn hinzu und fangen ihrerseits ein Spottlied an. Nach
einigen gesprochenen Repliken wird das Stück weitergeführt in
Form eines Wechselgesanges in verschiedener Verwendung, bald
Terzett, bald Solo, bald Duett und zum Schluß triumphirender
Freudenchor, als die grimmen Satyrn in die Flucht geschlagen wer-
den. Im vierten Akte findet sich eine Art »Tanzlied« für die Heldin,
eine Hymne an die Sonne und das Leben mit wechselndem und
freierem Rhythmus, worauf die Prinzessin »zu dem Ton ihrer eigenen
süBen Stimme und dem Echo von Wald und Thal« einen lieblichen
Tanz mit ihren Zofen aufführt.
In dem andern Stücke heben sich einige Ensembles tücke hervor.
Zuerst ein Jägerlied zu einem frischen Texte von Martin Opitz. Es
ist zu einem größeren kombinirten Konzertstücke ausgearbeitet: erst
ein kleiner Chor von Hirten, von den Hörnern der Jäger unter-
brochen, dann ein Duett und zwei Soli von Jägern, endlich ein all-
gemeiner Chor von Hirten und Jägern, die das freie Leben in Feld
und Wald preisen. Ein zweites Ensemble enthält an wechselnden
Formen theils Solo, theils Chor, theils Duett oder Terzett für Frauen-
stimmen und schließlich einen Chor. Außerdem findet sich in dem
Stücke noch ein von zwei Geigen begleitetes Frauensolo mit Alle-
gorie zum Preise des Brautpaares und ein Schifferlied, von dem
Führer der Argonauten gesungen.
Wir finden also im ganzen lebhaft wechselnde Aufgaben für
musikalische Behandlung, Soli in Liedform, Recitationen in dem
neuen Opernstyle und Soli mit obligaten Instrumenten, verschiedene
Fnsemblestücke mit wechselnden Duetten, Terzetten, Soli und Chören
und endlich die Einleitungs- und Schlußchöre. Man sieht aber auch
gleich, daß die Musik eher konzerthaft als dramatisch zu nennen
wäre. Sie tritt nur rein dekorativ auf und ist ohne organischen
Zusammenhang mit dem Inhalte der »Handlung«.
Wir können nicht umhin, des interessanten Berichtes zu er-
wähnen, den der französische Gesandtschaftssekretär Charles Ogier,
ein Mi^lied der Gesandtschaft, diejden französischen König bei den
Hochzeitsfeierlichkeiten vertrat, in seinem Tagebuche gegeben hat.^
Aus mehreren Stellen geht hervor, wie die Mußik nicht nur am
Hofe, sondern auch sonst im Leben eine ansehnliche Rolle gespielt
habe. Gleich als er ans Land steigt, spricht er mit Anerkennung
vom Knaben chor in der deutschen Kirche in Helsingör. Später,
^ Her danicum, Paris, 1656.
90 Hammerioh-Elling.
als er nach Kopenhagen kommt, verweilt er bei der Musik in der
Schloßkirche, die er gut nennt, und die, nach seinem Berichte zu
schließen, nicht nur aus Chorgesang mit Orgel, sondern zugleich
aus einer Art Orchester mit Blasinstrumenten und wohl auch Saiten-
instrumenten bestanden habe.^ Ein andermal, als er die Schloß-
kirche während eines Gottesdienstes besucht, erzählt er, wie vor der
Predigt ein lateinischer Lobgesang mit Orgel und anderen Instru-
menten und nachher eine deutsche Antiphonie al^esungen wurden.
Auch von dem Orgelspiel in ein paar dänischen Kirchen ist er sehr
angethan.
Ein hübscher, von ihm erwähnter Zug bringt in direkte Berüh-
rung mit des Königs musikalischem Naturell und seiner auch auf
diesem Gebiete eigenthümlichen Erfindsamkeit. Bei der of&siellea
Audienz der Gesandtschaft auf Rosenborg sei die Gesandtschaft in
einen mit Malereien geschmückten, viereckigen Saal hineingeführt
worden, unter welchen der König seine Musiker aufzustellen pflegte.
Plötzlich wurde die Gesandtschaft mit einer unsichtbaren Musik von
Instrumenten und Sängern überrascht. »Der Laut kam zu uns durch
verschiedene Schalllöcher und tönte bald nah, bald fern«. Als später
die Ambassade unter dem Thorweg in die Wagen stieg, ließ diese
»unterirdische und unsichtbare Musik« sich wieder hören. Aus der
Weise, wie Ogier die kleine Episode erzählt, kann man merken, daß
sie den Zuhörern ein wirkliches Vergnügen bereitet hat.
Man könnte glauben, daß nach den besonderen Anstrengungen
bei Gelegenheit der Hochzeit der Rückschlag sich eingestellt hätte,
um so mehr als die Finanzen in einer miserablen Verfassung waren.
Diese Vermuthung hält aber, was die Kapelle betrifft, nicht Stich,
und es ist kein geringes Zeugniß für des Königs Liebe zur Musik,
daß er, trotzdem die Ausgaben für die Kapelle recht bemerkbar sein
mußten, sich zu weitgehenden Einschränkungen doch nicht bequemen
konnte. Erst der unglückliche (zweite) Krieg mit Schweden und
die Nachwehen davon zwingen ihn endlich dazu in seinen aller-
letzten Jahren.
Auf einen Mann mußte doch der König verzichten, auf den
Führer selbst, Heinrich Schütz. Die ursprüngliche Voraussetzung
war ja aber auch gewesen, daß die Anstellung nur auf ein Jahr
gelten, sollte. Wann er abgegangen ist, wird nicht bestimmt ange-
geben; es muß aber im Mai 1635 geschehen sein; den 10. Mai wird
1 Iter dan. pag. 46: »Satts, meo quidem judtcioy bona musxca cum organo, Jh
stulis et aliis instrumentis.
Die Musik am Hofe Ohristian's IV. von Dänemark. 9 1
nämlich sein monatlicher Sold zum letzten Male ausgezahlt. Einige
Tage yorhei hatte er als Zeichen besonderer königlicher Gewogen-
heit ein Geschenk, bestehend aus einer Goldkette mit einem Konterfei
(des Königs ?) im Werthe von 100 Rthlr. sammt 200 Rthlr. in barem
Geld, bekommen. Der Paß, von Prinz Christian ausgefertigt, ist
datirt yon Nykjabing (dem damaligen Aufenthaltsorte des Prinzen)
den 25. Mai 1635. Gleichzeitig mit dem Passe hat der Prinz an die
Kurfurstinwittwe und an den Kurfürsten zwei Schreiben ausgefertigt,
worin er seinen Dank fiir die Überlassung des Kapellmeisters aus-
spricht; der Kurfürst, heißt es u. a., möge dem Kapellmeister seine
lange Abwesenheit nicht übel nehmen, »sondern viellmehr wegen seiner
dissorts höchstrühmlichen geleisteten fleisigen Dienste Ihme unsert-
halb mit allen gnaden zugethan verbleiben«.
Der Paß gilt für Dresden »und von dar wieder hier in diese
Reiche«, woraus hervorgeht, daß schon damals von Heinrich Schütz's
Rückkehr nach Dänemark die Rede gewesen ist. Daß er sich in
Wirklichkeit bald von Sachsen, das damals von den Schweden ver-
heert wurde, hinweg gesehnt und mit Sehnsucht an das fette Däne-
mark zurückgedacht hat, zeigt ein Schreiben Prinz Christian's an
Chr. Rantzau datirt von NykJ0bing 25./9. 1635. Wir erfahren hieraus,
daß Schütz von neuem seine Dienste angeboten habe, also nur nach
einem Vierteljahre. Dieser Wunsch wurde aber erst im Jahre 1637
erfüllt. Nach Prof. Spitta ^ » kann diese zweite Reise nach Kopen-
hagen nicht vor dem Frühjahre 1637 vor sich gegangen sein, da
Schütz erst unter dem 1. Februar nachsucht, ihn wieder dorthin zu
entlassen Der Aufenthalt in Dänemark scheint dieses Mal
nur ein Jahr gedauert zu haben, weil, wie der »Lebenslauf« glaub-
würdig berichtet, Schütz im Jahre 1638 einer Einladung an den
herzoglichen Hof zu Wolfenbüttel gefolgt ist, und wir ihn um Pfingsten
1639 in Dresden finden.« Der dänische Verfasser, der von dieser
Reise nichts sicheres zu berichten weiß , und die zweite Reise nach
Kopenhagen erst im Jahre 1642 vor sich gehen läßt, bemerkt jedoch,
daß sich unter den Briefen Prinz Christian's vom Jahre 1639 ein
neuer Paß für Schütz findet; er bemerkt aber zugleich, daß der Paß
weder datirt noch mit Jahreszahl versehen ist, und daß die Briefe
des Prinzen oft unordentlich und ohne chronologische Reihenfolge
liegen; man dürfte daher aus diesem Passe auf einen vermuthlichen
Aufenthalt Schützen's in Dänemark im genannten Jahre nicht schließen.
Hoffentlich wird die Forschung diese Unklarheiten noch aufhellen.
^ Allgem. Deutsche Biographie, Art. Heinrich Schatz.
92 Hammerieh'Elling,
Schützen's dritter Besuch in Dänemark fallt mit den letzten
glücklichen Jahren der Kapelle zusammen. Diese hatte sich nach
den Hochzeitsfestlichkeiten trotz der schlechten Finanzen nur wenig
verändert; ja man spürt eher eine Tendenz zu Erweiterung, in Be-
zug auf Quantität wie auf Qualität. Es werden viele »feine« Künstler
angestellt, heinahe sämmtlich Ausländer; die Ansprüche sind ge-
stiegen ; aber die Ausgaben auch. Es sind offenbar die verschiedenen
Hochzeitsfestlichkeiten , die um diese Zeit am Hofe stattfinden , be-
sonders die große Doppelhochzeit im November 1642, als der König
seine Zwillings-Töchter an Hannibal Sehested und Ebbe Ulfeldt ver-
heirathete, denen die Kapelle die Wahrung ihrer günstigen Stellung
zu verdanken hat. Fortwährend werden neue Instrumente angekauft,
und auch für die Vermehrung seiner musikalischen Bibliothek zeigt
sich der König eifrig bemüht. In Verbindung mit der Hochzeit der
Prinzessin Leonora mit Corfitz Ulfeldt im Jahre 1636 werden Novi-
täten von Leoni, Giacobbi, Gagliano u. a. angeschafft, worunter
mehrere Konzerte, damals das aÜermodernste , Bravournummem für
Sologesang mit Instrumentalbegleitung. Solche Bestellungen wieder-
holen sich mehrmals in den folgenden Jahren und legen für das
musikalische Leben am Hofe ein gutes Zeugniß ab.
In diesen Jahren wurde, wie oben berührt, eine ganz beträcht-
liche Anzahl neuer Musiker angestellt, ja in dem Jahre 1641 nicht
weniger als 7 Mann, wovon 6 Instrumentisten. Aber auch von
Sängern, die sich in dem neuen Kunstgesange auszeichneten, wurden
mehrere angenommen, und sie ließen sich gut bezahlen (400 Rthlr.).
Die Anzahl der Kapellknaben stieg auf 8.
Die Kapelle war also gut ausgerüstet, als Schütz seinen dritten
Besuch in Dänemark abstattete. £r wurde den 3. Mai 1642 als
oberster Kapellmeister mit dem früheren Gehalte von 800 Rthlr. an-
gestellt. Soweit man sehen kann , dauerte sein Aufenthalt diesmal
genau zwei Jahre; sein Gehalt wird ihm unterm 30. April 1644 zum
letzten Mal ausgezahlt. Von seiner eigentlichen Wirksamkeit als
Leiter der Kapelle in diesen Jahren schweigen die Quellen; nach
dem vortrefflichen Stande der Kapelle aber muß man mit ihr etwas
haben leisten können. Daß er bei der Doppelhochzeit 1642 die
Musik geleitet, wissen wir, das ist aber auch alles.
Es kamen indessen schlimme Zeiten. Der unglückliche Krieg
mit Schweden brach aus (1643), und der König hatte an anderes
zu denken, als eine kostspielige Kapelle zu halten. Schütz mußte
fort und ist im Frühjahr 1644 abgereist. Wo er sich in der Zwischen-
zeit bis zum Mai 1645, da man ihn wieder in Dresden findet, auf-
gehalten hat, ist nicht klar.
Die Musik am Hofe Ohristian's IV. von Dänemark. 93
Seine Dankbarkeit gegen den dänischen Hof hat er durch die
Widmung zweier seiner Werke , nämlich des zweiten Theils der
»Kleinen geistlichen Concerte« (1639] und ebenfalls des zweiten Theils
der Symphoniae sacrae (1647) gezeigt. Das erste ist dem Herzog
Friedrich gewidmet, jüngerem Bruder des Kronprinzen, welcher, als
dieser schon 1647 kinderlos starb, nach Christian' s lY. Tode als
Friedrich HI. den Königsthron bestieg ; auch zu Friedrich war Schütz
schon bei seinem ersten Besuche in Kopenhagen in freundschaft-
lichen Beziehungen gekommen. Das zweite Werk hat er bei seinem
Abschiede im Jahre 1644 dem Kronprinzen Christian als Manuskript
überreicht; es wurde aber erst 1647 gedruckt. Daß dieses letzte
Werk in Dänemark entstanden ist, läßt sich mit Sicheiheit annehmen.
Gleich im Anfange des Krieges fand eine allgemeine Reduktion
der Kapelle statt. Sämmtliche Kapellknaben wurden entlassen, außer-
dem mehrere der hervorragenden Instrumentisten, einige Sänger und
endlich der Führer selbst. Die Kapelle war auf ein Minimum von
8 Instrumentisten und 7 Sängern gesunken. Die zurückgebliebenen
waren aber lauter gute, theilweise hoch besoldete Kräfte; ein neues
Zeugniß des Musikinteresses des Königs und wie ungern er sich,
selbst unter schwierigen Verhältnissen, auf ein Kompromiß mit seinen
künstlerischen Forderungen einließ.
Nach dem Kriege, der das Land öde gelegt und die Finanzen
zerrüttet hatte, hebt sich die Kapelle nicht mehr. Es werden zwar
einige neue Musiker angestellt, ja im Jahre 1647 wird sogar der
nach Schützen's Abgang ledige Kapellmeisterposten mit dem tüchtigen
Altisten Agostino Fontana besetzt; aber es hat alles keine rechte
Art. Bald nachher, den 28. Febr. 1648, erfolgt des Königs Tod.
Ein kleiner Rest der Kapelle rettete sich in diejenige Friedrich's III.
hinüber; für die übrigen wurde auf verschiedene Weise gesorgt.
Der Leser wird den Eindruck empfangen haben, daß die Musik
dem König nicht nur ein Mittel war, Glanz über seinen Hof und
seine Feste auszubreiten, sondern daß sie ihm wirklich eine Herzens-
sache, ein inneres Bedürfniß war. Es ist ein recht bezeichnender
Zug, wenn von ihm, der sonst den Freuden des Bacchus in guter
Gesellschaft gern huldigte, berichtet werden kann, er habe auf der
Tour nach dem Nordkap, während sein Gefolge sich mit Karten
belustigte, es vorgezogen, die Zeit i»mit Musica« in seinem »Caper-
nauma auf dem Schiffe zu vertreiben. Und doch hat er schwerlich
damals seine eigentliche Kapelle mit sich gehabt. Ebenfalls kam
es nicht selten vor, daß die Kapelle ihm auf seinen häufigen Reisen
94 Hammerich-Elling,
im Reich herum folgte. Sein eigenhändiger Schreibkalender bezeugt
ebenfalls, in welchem Grade der König mit Musik lebte. Immerfort
giebt er kleine Beträge zur Belohnung, zur Hülfe, zur Aufmunterung
u. dergl. an verschiedene Musiker, an Organisten, die ihm vorge-
spielt haben, zu Keiseunterstützungen , zu Pathengeschenken (am
häufigsten den Trompetern und Sängern), zu persönlichem Einkauf
von Streichinstrumenten und Saiten u. s. w. Es ist deutlich genug,
daß Musik zum täglichen Brode des Königs gehörte. Mattheson er-
zählt auch in seiner »Ehrenpforte«, daß jedesmal, wenn der König
auf seinen Touren in Holstein in die Nähe von Hamburg kam, der
berühmte hamburgische Organist Jacob Prätorius und der Instru-
mentist Johann Schop zu ihm herauskommen mußten. Er wollte sie
gern mit nach Kopenhagen haben, heißt es, sie wollten aber nicht.
Daß dies, was Job. Schop betrifft, nicht korrekt ist, wissen wir schon.
In dieser Verbindung müssen wir auch einer kleinen Anekdote
gedenken. Der schwedische Gesandte am dänischen Hofe Baron
Job. Skytte ließ einmal dem König gegenüber das Wort fallen:
den könnte man nicht lieben, der Musik nicht gern hätte. Bei Gott,
es ist wahr, antwortete der König, daher lasse ich auch täglich meine
Kinder »m mtisicOy tarn instrumentali quam vocaliv unterrichten.
Schon früh muß Christian lY. in der Musikwelt einen bekannten
Namen gehabt haben ; das sieht man aus den zahlreichen Dedikationen,
womit er schon als ganz junger Mann beehrt worden, theilweise von
namhaften Komponisten, wie OrazioVecchi, der ihm Le Veglie di
Siefiaa (Venetia, 1604) und Mich. Prätorius, der ihm vier Theile
der Musae Sioniae (1605 — 07) zuschrieb: die zwei früher erwühnten
Madrigalsammlungen von Borchgrevinck und Brachrogge sind eben-
falls dem König gewidmet.
Die Musik spielte damals als Erziehungsmittel eine nicht kleine
Rolle, und so sehen wir denn auch, daß der Musikunterricht am
Hofe mit wirklichem Ernst und Interesse getrieben wurde. Alle
Kinder des Königs, die eigentlichen Prinzen sowohl wie die Kinder
aus den vielen späteren Verbindungen, wurden in Musik unterrichtet,
häufig auf mehreren Instrumenten. Besonders lernten sie alle Klavier
(Clavichord) spielen. Daneben haben die Prinzen und die jüngeren
Söhne auch Geige, Viola da braccio, Viola da gamba gelernt; außer-
dem unzweifelhaft mehrere andere Instrumente. In ihrer Selbst-
biographie erzählt Leonora Christina, daß sie als Neuvermählte sich
die Zeit u. a. mit Spielen sur la viole de gambe^ sur la flute, mr la
guitarre vertrieben habe; daß sie auch Klavier gelernt, haben wir
oben gesehen. Von den Lehrern kennen wir schon Melchior Schild ;
Die Musik am Hofe Christian's IV. von Dänemark. Q5
auch Mogens Pedersön, der einige Zeit der Lehrer des Prinzen
Christian war und ihm sein Pratutn spirituale gewidmet hat, müssen
wir nennen. Des Königs Fürsorge erstreckte sich aber auch weiter.
Nach dem ältesten Plane für die Akademie in Sorö sollten sogar drei
Musiklehrer: »ein guter Simphonischläger (Klavierspieler), ein Laute-
nist und ein Yiolist da gamba« angestellt werden.
Um ein einigermaßen vollständiges Bild der Musikzustände wäh-
rend der Regierung Christians IV. zu geben, können wir nicht um-
hin, noch einige Momente, die bisher nicht zur Sprache gekommen
sind, zu herühren. So hat diese Periode auch auf dem Gebiete der
Musiklitteratur Werke von Interesse aufzuweisen. Wir nennen zuerst
ein größeres, musiktheoretisches Werk, nämlich das 9 Heptachardum
IJanicum seu Nova Sohisatio etc.« von Hans Mikkelsen Ravn
oder wie er sich auf lateinisch nennt Johannes Michaelii Cor-
▼inus verfaßt und in Kopenhagen 1646 erschienen. Nach einer
historischen Einleitung, wo er, wie es die Zeit forderte, mit Anno
Mundi /, mit Adam und Eva anfängt, und dann besonders bei der
Stellung und Entwickelung der Musik in Dänemark verweilt, folgt
der eigentliche Inhalt des Buches, eine Darstellung der Musiktheorie
von den ersten Elementen bis zu Kanon und Fuge. Er zeigt sich
hierin als ein Fortschrittsmann, was schon in dem Titel des Buches
Heptachordum seu Nova Sohisatio — statt des üblichen Solmisatio —
einen Ausdruck gefunden. Das Werk lehnt sich , wie es ja auch
nicht anders zu erwarten stand, an fremde Muster wie Prätorius,
Zarlino; er hat es aber verstanden, den Stoff so durchzudenken und
zu bearbeiten y daß es trotzdem den Eindruck einer Originalarbeit
macht. In einer folgenden Abhandlung, Logistica Harmonica hat
er eine gelehrte Entwickelung der für die Bestimmung der Töne
geltenden mathematischen Berechnungen gegeben. Das ganze Werk
ist ein beredtes Zeugniß für das in der Zeit liegende Bedürfhiß nach
musikalisch- wissenschaftlicheu Kenntnissen und bildet das litterarische
Monument der üppig blühenden, aber schnell wieder hingewelkten
ersten dänischen Musikschule.
In der historischen Einleitung nennt Corvinus u. A. zwei Männer,
die sich durch ihre theoretischen Forschungen ausgezeichnet haben
und denen Corvinus, nach seinem eigenen Geständnisse, sehr viel
zu verdanken habe. Der eine ist der Rektor des Gymnasiums in
Kopenhagen und als solcher zugleich Lektor dei Musik an der Uni-
versität Johannes Kraft, früher deutscher Pfarrer, der andere ist
Johannes Stephanus d. A., Professor der Logik, später Vorstand
der Akademie in Sorö. Sie haben beide musiktheoretische Schriften
9 g Hammerich-EUing,
hinteilassen und zeigen sich als eifrige Pfleger der Tonkunst. Jo-
hannes Meursius d. Ä., den Christian IV. nach Sorö als Historio-
graphen berief, hatte schon als Professor in Leyden die griechischen
Musikschriftsteller Aiistoxenos, Nikomachos und Alypios herausgegeben.
Sein Sohn, Johannes Meursius d. J., in Sorö geboren, hat ein
Werk über die antike Flöte : Collectanea de Tibiis Veterum geschrieben. *
Von Interesse ist auch eine kleine, auf derkgl. dänischen Bibliothek
befindliche Handschrift, ein Geschenk des bekannten sorauischen
Professors Jobs. Lauremberg an den Historiographen Johannes
Stephanus d. J., den Herausgeber Saxos. Sie enthält eine Art
Erklärung der neugriechischen Kirchenmusik mit ihren seltsamen
orientalischen Notenzeichen, dazu theils Chorlieder, theils Orgelmusik
von verschiedenen in der griechisch-orthodoxen Kirche bekannten
Komponisten, Panarete, Maistore, Kukuzele, Contopetria, Crite, Korone,
Lampadius und Klada. Es ist ganz wunderlich zu sehen, daß das
Musikinteresse sich auch auf derlei Materien erstreckt hat, die ja erst
in unseren Tagen zu näherer Behandlung aufgenommen worden sind.
Auch andere Gelehrte dieser Zeit, wie die Bischöfe Hans Povelsön
Kesen d. Ä., Jesper Brochmann, Jens Jersin sind bemerkens-
werth durch ihre mehr als gewöhnliche musikalische Einsicht Es
war eben das Zeitalter der Polyhistorie, wie die Musik ja auch so-
wohl in der gelehrten Schule wie an der Universität ihre Vertreter
hatte.
Es wurde schon erwähnt, daß der große Bedarf von Instrumenten
in dieser Periode eine einheimische Industrie hervorgerufen hat. Der
erste und zugleich bedeutendste Instrumentenmacher war der Instru-
mentist AdamPickerow; er scheint ein tüchtiger Meister gewesen
zu sein und wurde vom König fleißig benutzt, doch hat er wahr-
scheinlich nur Saiteninstrumente verfertigt. Aber auch Klaviere
(Symphonien, Clavichorde, Virginale u. s. w.) und Positive wurden
producirt. Dagegen scheinen die Blasinstrumente immer importirte
Waare gewesen zu sein.
Wir können diese Schilderung nicht abschließen, ohne eines
Ablegers der kgl. Kapelle, nämlich der Kapelle Prinz Christian's
Erwähnung zu thun.
Prinz Christian scheint das Musikinteresse seines Vaters geerbt
zu haben; wir haben seinen Namen schon angetroffen und gesehen.
* S. Thesauri Granoviam Antiquit. Graec.
Die Musik am Hofe Christian's IV. von D&nemark. 97
wie es besonders auf seine Anregung geschah, daß Schütz an den
dänischen Hof gezogen wurde.
Schon als junger Mann liebte der Prinz, sich mit Musikern zu
umgeben. Der Violinist Jac. Faucart wird 1626, als der Prinz 23 Jahr
alt war, als der »Violist des Prinzen« bezeichnet. Aber auch andere
hat er in seinem Dienste gehabt, wie er sich zugleich die Unter-
stützung junger Talente angelegen sein ließ; wir nennen hier nur
den jungen Violinisten Alexander Leverentz, den er nach Berlin
schickte, um ihn dort weiter studiren zu lassen ; Leverentz trat später
in die kgl. Kapelle ein.
Nach der Hochzeit (1634) schaffte er sich eine ordentliche Kapelle
an, die an seinem Hofe auf Nykjöbing Schloß aufwartete. Über das
Personal u. s. w. hat man aber leider nur zerstreute Nachrichten;
es ist daher schwer, die Entwickelung der Kapelle in den dreizehn
Jahren (1634 — 47), in welchem dieser Hof existirte, zu verfolgen.
Der Musiketat des Prinzen war recht klein und bestand in allem
nur aus 6 Trompetern und 6 Instrumentisten, die theilweise zugleich
Sängerdienste verrichteten. Von den sechs « Musikanten c waren drei,
nämlich Philipp Stolle, Friedrich Werner und der Organist
Matthias Weckmann von der kurprinzlichen Kapelle in Dresden.
Sie sind wahrscheinlich 1634 angestellt worden und verblieben in der
Kapelle bis 1647. Von den dreien ist uns besonders Weckmann
interessant. Er ist wahrscheinlich von Schütz, bei dem er in Lehre
war, dem Prinzen empfohlen worden. Man sieht aus einer Korre-
spondenz des Prinzen Christian mit dem Kurprinzen von Sachsen,
der seine drei Leute 1646 zurückgefordert hatte, daß der Prinz sie
nur ungern vermissen wollte. Müßten sie fort, dann würde, heißt
es: i» unsere Music gantz darnieder liegen und wir also der daraus
habenden sonderbahren und fast einigen ergötzlichkeit ohnig gemacht
werdena. Es half aber nichts. Er mußte sie loslassen, und im April
1647 wurden ihnen Pässe nach Dresden ausgestellt. Wie bekannt,
wurde Weckmann später ein berühmter Orgelspieler aus der Schule
Jakob Prätorius\
Unter den Trompetern finden wir auch eine namhafte Persönlich-
keit, nämlich den als Liederdichter bekannten Gabriel Voigtländer.
Voigtländer, früher Rathstrompeter in Lübeck, kam in den Dienst
Prinz Christian's im Jahre 1639. Er hat seine »Allerhand Oden und
Lieder«, Sohra (Sorö) 1642 dem Prinzen gewidmet. Unter den Papieren
dieses letzten findet sich auch eine Geldbewilligung zur Herausgabe
dieser Sammlung, wie es scheint 100 Rthlr. Doch war es nicht die
Absicht, daß sie veröffentlicht werden sollte, »sondern wir sie allein
für uns, und wem wir sie gönnen wollen behalten«.
1893. 7
9g Hammericb-EUing, Die Musik am Hofe Christian's IV. von Dftnemark.
Es ist schon erwähnt worden, daß der Prinz auf die Ausbildung
tüchtiger Lehrlinge bedacht war. Der Kuriosität wegen sei hier das
Regulativ mitgetheilt, das er für einen dieser Lehrlinge ausstellte.
Der Hoforganist Weckmann, heißt es, soll jeden Morgen, Freitag
und Sonntag ausgenommen, von 9 — 10 mit ihm und den anderen
Musikanten üben. Er muß darauf achten, daß der Junge sich in
den Manieren, die er gelernt, übe und nicht anderswo singe. Zur
Bewahrung seiner Stimme soll er täglich extra etwas Kandiszucker
haben und abends und morgens nach der Mahlzeit ein Glas Rhein-
wein , das er gleich leeren soll. Man müsse auch ferner Acht geben,
daß er sich vor übertriebenem Trinken, vor Nüssen und anderen der
Stimme schädlichen Speisen gänzlich hüte.
Nach dem Tode des Prinzen 1647 wurden die meisten der Trom-
peter und zwei Instrumentisten in der kgl. Kapelle angestellt.
Gertrud Elisabeth Schmeling und ihre Beziehungen
zu Bud. Erich Easpe und Carl Matthaei.
Ein Beitrag zur Lebensgeschichte der Künstlerin in den
Jahren 1766—1774.
Von
Carl Scheren
O. yon Biesemann gebührt das Verdienst, m eine Selbstbic^aphie
der Sängerin Gertrud Elisabeth Mara« bei Nachsuchungen im Archiv
des Beval'sehen Rathes aufgefunden und zuerst durch Druck in
der 1» Allgemeinen Musikalischen Zeitung« ^ weiteren Kreisen zugäng-
lich gemacht zu haben. Die Ver&sserin hatte nach ihrer eigenen
Yorbemerktmg sich hauptsächlich zur Abfassung dieser Lebensskizze,
die die Jahre 1749 — 1793 umfaßt, entschlossen, um falschen Nach-
richten über ihr Künstlerleben, besonders auch irrigen und ^»schlechten«
Ansichten über die Persönlichkeit ihres Mannes entgegenzutreten.
Die Biographie wird somit zum Theil wenigstens zu einer Apologie,
deren GenuB leider stellenweis durch die darin stark herrortretende
»Künstlerkrankheit der Selbstvergötterung« beeinträchtigt wird. Die
Mara zählte, als sie ihre Denkwürdigkeiten niederschrieb, bereits
über 70 Jahre; aus dem Gedächtniß,^nicht etwa nach Tagebüchern
zeichnet sie ihre Mittheilungen auf. Kein Wunder, daß einzelne
Abschnitte ihrer ruhmreichen Lebensbahn, vielleicht, weil sie der
Schreiberin weniger wichtig erschienen, vielleicht auch, weil sie in
der Erinnerung verblaßt waren, nur flüchtig berührt oder kurz be-
dacht sind. 9 Was mir aber unendlich Leid thutt, so lautet das Selbst-
bekenntniß der Vorrede, »ist, daß ich den Fehler habe, keine Nah-
men behalten zu können, dieses macht, daß ich viele talentvolle
1 8. Allgemeine Musikalische Zeitung . . . Herausgegeben von Friedrich
Chryaander. Jahrg. X [1875} Nr. 32—40.
\QQ Carl Scherer,
und achtungswerthe Personen nicht nennen kann, ohnerachtet ich
mich ihrer Person sehr gut erinnere«.^ Einige dieser Persönlich-
keiten, die den aufsteigenden Flug der jungen Künstlerin begleiteten
und zu fordern bestrebt waren, hinsichtlich ihrer Beziehungen zur Mara
der Vergessenheit zu entreißen, soll ein Zweck der nachfolgenden
Zeilen sein, deren Inhalt zum weitaus größten Theile dem unge-
druckten brieflichen Nachlasse ^ eines eifrigen Verehrers von 6. Elisa-
beth Schmeling, dem leider später in Unehre und Schande verfalle-
nen Rudolf Erich Raspe entnommen ist. Daneben fallen manche
Mittheilungen ab über die Lebensumstände und die künstlerische
Laufbahn der Sängerin yomehmlich in den Jahren 1766 und 1767,
die zur Ergänzung und Beleuchtung dessen, was wir aus der Selbst-
biographie und anderen gedruckten Quellen, deren Ausbeutung A.
Niggli^ in seiner Lebensbeschreibung der Mara voigenommen hat,
bis jetzt wußten, nicht unwillkommen sein dürften.
Im Jahre 1765 war die 16jährige Künstlerin von ihrer großen
englischen und holländischen Studien- und Kunstreise nach ihrer
Heimath Cassel zurückgekehrt. ^ Ein Konzert, mit dem Zwecke
veranstaltet, eine Anstellung |am Casseler Hofe zu erhalten, hatte
nicht den gewünschten Erfolg. Landgraf Friedrich II. verließ sich
auf das Urtheil seines ersten Sängers Morelli, der die -Sangesweise
der Schmeling verworfen haben soll mit den Worten 9 Ella canta
come una tedesca.^ Daß dennoch Unterhandlungen geführt worden
sind, um das junge Talent zu fesseln, erscheint unzweifelhaft. Wir
hören aus glaubwürdigem Munde, ^ daß der Landgraf an die Künst-
lerin das Verlangen gestellt habe »auf dem Theater zu singen« d. h.
zur Bühne überzugehen, daß dieses Ansinnen aber seitens der Schme-
ling abgelehnt worden sei. Es war dieselbe Scheu, die Bühne zu
betreten, die noch 1767 der Kurfürstin von Sachsen gegenüber aus-
gesprochen wurde.
» a. a. O. Sp. 600.
2 Aufbewahrt unter Mscr. litt. 40 2 auf der Ständischen Landesbibliothek xu
Cassel. Der Briefwechsel enthält 5 Originalbriefe von G. Elis. Schmeling an
Baspe, 3 Orig. -Briefe nebst einem Zettel von deren Vater an ebendenselben und
8 Original schreiben und Entwürfe von Raspe an die Genannten. Sämmtliche
Schreiben sind in englischer Sprache abgefaßt, nur Vater Schmeling bedient sich
seiner Muttersprache in unbeholfener Weise. Die weiter benutzten Briefe von
Heyne, Andrea, Dieze, Hegewisch, Matthaei u. a. be6nden sich am gleichen Orte.
3 Gertrud Elisabeth Mara. Eine deutsche Künstlerin des 18. Jhds. Von
Am Kiggli. Sammlung musikal. Vorträge Nr. 30.
* Nach Niggli S. 10 im Frühjahr, nach Heyne etwa im Herbst, s. u.
s Heyne an Haspe. Göttingen 27. April 1766. Er wird zweifellos aus dem
Munde der Schmeling selbst den Grund ihres Scheiterns in Cassel gehört haben.
mm , , ^
Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Besiehgn. zu Rud. Eriqb^B^F^.usw. j[ QJ
Nachdem Vater und Tochter den Winter noch in Cassel* 'Z.uge-*
bracht hatten, wo die dortige Oper anziehend wirkte, brachen sie
im April 1766 auf mit dem Gedanken, über Hamburg nach England
zurückzukehren'.^ Der Weg führte zunächst nach Göttingen, wohin
sie Empfehlungen an Herrn Hof-Bath Achenwall mitbrachten, der
im Vereine mit Prof. Heyne 2 Konzerte mit großem Beifall zu
Stande brachte. »Das erste mal«, so schreibt der Letztgenannte, ^
dessen Gast Elisabeth in den ersten Tagen fast alle Abende war, »das
ich das Mägdchen singen hörte, war ich ganz entzückt über ihre
Stimme . . . Was mich aber noch mehr entzückte, war eine Guitarre,
die sie ganz englisch schön spielt. Mit der Unschuld ihres Alters,
ein solch melancholisch sanftes Instrument, eine solche Stimme —
Ich gestehe es , ich bin ein paar Stunden wieder ganz jung' ge-
wesen.« Am 21. April 1766 kündigte bereits Heyne die demnächstige
Ankunft der »Miss Betty, one of God Almighty's wondersa in Hanno-
ver seinem Freunde Baspe an. Indessen verzögerte sich die Abreise
und zwar keineswegs zu Heyne's Freude. Die Studenten, die der
Sängerin lebhaften Beifall gespendet hatten, an ihrer Spitze ein ge-
wisser Backmeister, »ein frecher, liederlicher junger Herr«, hielten
Vater und Tochter zurück. »Der Vater «t, so schreibt Heyne, ^ der
sich D Ehrentwegen a von beiden zurückziehen mußte, ärgerlich, »ist
ein ehrlicher einfältiger Tropf, der sich von dem Backmeister ordent-
lich hat anführen lassen, noch ein acht Tage länger hier zu bleiben
unter dem Versprechen, beyde in seinem Wagen mit nach Hannover
zu nehmen.« Backmeister entpuppte sich schließlich als Schwindler,
er verschwand am 26. April Abends bei Nacht und Nebel aus Göt-
tingen. Kurze Zeit danach wird die Abreise nach Hannover erfolgt
sein. Gotter überreichte dabei ein gedrucktes Gedicht, die Gefeierte
nennt es ihren »ersten Kranz. «^.
^ Niggli a. a. O. S. 10 sieht Leipzig als das damals schon vorgenommene
Ziel an.
2 s. o. S. 100 Anm. 5.
» Schreiben vom 27. April 1766.
^ Diese an Kaspe. Göttingen, 8. Mai 1766 und Selbstbiographie Sp. 529.
Ich habe das Gotter'sche Gedicht leider nicht ausfindig machen können. Oder
sollte es dasselbe sein, das im Göttinger Musenalmanach von 1773 S. 135 abge-
druckt ist mit der Überschrift
Die Sängerin.
Halt o Sängerin, halt ein!
Deiner Töne süsses Beben
Dringt durch Mark und Bein,
Dringet mir ans Leben; usw.
• •
» • • • •
• • • » •• • •
• • ,• •• •
lOi •• '••• *•»' C*^l Scherer,
• •
• *, -Vor dem 4. Mai war man in Hannover angekommen; am 5. Mai
brachten die Hannoverischen Anzeigen bereits die folgende Mit*
theilnng :
»Eine berühmte und ungemein geschickte Sängerin und Vir-
tuosin, Namens Betty Smeling, welche sich in Engelland und Hol-
land mit grossen Beyfall hören lassen, und jetzt im B^rif ist, wiederum
nach Engelland zurück zu gehen, wird künftigen Mittewochen um
5 Uhr auf der Londonschenke ein öffentliches Concert geben, wozu
sie alle Kenner und Liebhaber der Musik invitiret. Die Entree-
Billets sind bey ihrem Vater, wohnhaft in Drosten Hause auf der
Burgstrasse neben der Post über, oder auch beym Eingange zu haben:
imd kostet das Stück 1 Rthlr.a
Daß das erste Auftreten vom besten Erfolg begleitet gewesen
sein muß, beweist der Umstand, daß bereits am 12. Mai zugleich
mit einer warmen Danksagung für den »hohen Beifall« ein zweites
Konzert für Freitag den 16. Mai in der Londonschenke angezeigt
wurde, dem am Freitag dem 23. Mai aus Anlaß des aufs neue er-
haltenen Beifalls ein drittes folgte.^
Elisabeth nennt uns die Namen derer nicht, die sich in Han-
nover für sie und das Zustandekommen ihrer Konzerte interessirten,
wir lernen sie nun kennen aus dem Raspe'schen Briefwechsel.
Es ist danach zweifellos, daß R. Erich Raspe selbst der erste
gewesen ist, der von Göttingen her durch Heyne und Dieze benach-
richtigt und zugleich gebeten wurde, sich der jugendlichen Sängerin
anzunehmen.^ Raspe, im 30. Lebensjahr stehend, bekleidete damals
die Sekretariatsstelle an der Bibliothek zu Hannover,^ aber seine
Wünsche und Neigungen gingen weit über die engen Grenzen seiner
amtlichen Beschäftigungen, die er so gern schon längst mit einem
angemesseneren Wirkungskreis vertauscht haben würde, hinaus.
Vielseitig beanlagt, nicht immer tief eindringend, oft flüchtig, schön-
geistig im guten wie im schlimmen Sinne erscheint uns die Persön-
1 8. Hannov. Anzeigen Ao. 1766, 36. 38. u. 40. Stück. Die Neue oder London-
schenke in der Neuenstraße war damals ein beliebtes Konserthaus und diente zu>
gleich als Gesellschaftshaus für einen 1752 gegründeten Klub.
2 8. o. S. 101 u. u. S. 107.
3 Man Ter gleiche über das Leben Baspe's Strieder, Hessische Gelehrten-Ge-
schichte. Bd. XI S. 221 ff; Mittleres Vorwort zu den von ihm herausgegebenen
Briefen von Boie, Herder u. a. im Weimarischen Jahrbuch. Bd. III S. 1 ff; und
Mohrmann, Kudolf Erich Baspe. Eine biographische Skizze. Enthalten im Han-
nover'schen Courier vom Juni 1881. Ein vollständiges Bild des vielseitigen Mannes
ist durch die obigen Darstellungen in keiner Weise gegeben. Es ist hierzu vor
allem eine völlige Durcharbeitung des brieflichen Nachlasses und Ausfindigmachung
der bis jetzt zumeist noch verschollenen eigenen Briefe Raspe's nothwendig.
Gertrud Elisab. Sehmeling u. ihre Bedehgn. lu Rud. Erioh Haspe usw. ] 03
lichkeit dee Mannes, der bei regem Interesse an der Kunst — hatte
doch die Ackermann'sche Gesellschaft noch im Vorjahr mit seinem
»Solimanc einen Haupttreffer erzielt^ — vielleicht noch mehr An-
theil an ihren Ausüberinnen zu nehmen pflegte. Dazu fehlte es
Raspe, der selbst geborener Hannoveraner war und seit 1760 wieder
in der Heimat lebte, nicht an guten und einflußreichen Verbindungen
mit hochstehenden Persönlichkeiten des Ortes und des Landes. Dem
alten Staatsminister von Schwicheldt, der seit seiner Abschiedsein-
reichung allerdings meist die ländliche Stille seines Gutes Flachstöck-
heim dem Stadtleben vorzog, war er nahegetreten als Erzieher seiner
Söhne und Verwalter seiner Bibliothek; mit Münchhausen, dem
hochverdienten Premier-Minister, brachten ihn die von ihm zu er-
ledigenden Geschäfte der Göttinger Bibliothek, deren Anträge und
Berichte an Münchhausen als den Kurator gingen, in Verbindung;
General von Wallmoden, der nachmalige Hannoverische Gesandte in
Wien, begünstigte den jungen Gelehrten, der mit ihm das eifrige
Interesse für alte Kunst theilte imd sich durch eine gewisse Auf-
sichtsführung über die von ihm zusammengebrachte, für jene Zeit
bedeutende Kunstsammlung verdient machte.^ Dazu kam ein freund-
schaftlicher Verkehr mit Männern, die sich in den besseren Bürger-
kreisen und in der Beamtenwelt des damaligen Hannovers großer
Beliebtheit erfreuten und eine bedeutende Rolle spielten, mit Brandes,^
dem feingebildeten Geheimsekretär und bevorzugten Vertrauten des
leitenden Ministers, mit Andrea,^ dem gelehrten Apotheker und
Beschützer der schönen Künste, einer damals bereits in seiner Vater-
stadt angesehenen und allgemein verehrten Persönlichkeit, und mit
Heiliger, dem Konsistorialrathe und nachmaligen Bürgermeister der
Residenz.
Es trat schließlich hinzu ein Kreis von jüngeren Freunden, die
wie Raspe sich vortrefflich auf das Leben und Lebenlassen verstanden,
und zugleich wie er als Schöngeister auf dem »kleinen Hannoverschen
Stadtpamaßtf sich tummelten. Der talentvolle und übermüthige
^ Ackermann an Raspe. Hamburg 16. Sept. 1765 und Denkwürdigkeiten von
Karoline Schuhe. Mitgetheilt von Herrn. Uhde im Histor. Taschenbuch. 5. Folge.
3. Jhrg. S. 396.
3 Einen Katalog, einen Theil des Kabinets umfassend, yeröffentlichte Raspe
in der Neuen Biblioüiek der schönen Wissenschaften ... Bd. IV Stück 2. (Leip-
lig 1767) S. 201 ff.
9 s. Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. lU S. 242 und die daselbst ange-
gebenen Quellen.
« s. SchlichtegroU's Nekrolog auf das Jahr 1793. Bd. IV 1. S. 164 ff.;
Neues yaterländisches Archiv. Jahrg. 1825 Bd. HS. 9 ff . und Allgemeine Deutsche
Biographie. Bd. I S. 447.
104 ^^^^ Scherer,
Flügge,^ vennuthlich ein Sohn des 1754 verstorbenen Predigeis zu
Hannover und angestellt an der Bauabtheilung des Ministeriums als
Kanzleisekretär, erscheint als einer der besten Kameraden Raspe's,
neben ihm bleibt unter anderen D. H. Hegewisch zu nennen, der, ehe
er die Stelle eines Hofmeisters und Privatsekretärs im Hause des hoch-
gebildeten Konsuls Grafen Schimmelmann in Hamburg angenommen
hatte, als Erzieher in der Andreä'schen Familie thätig gewesen war,
und später von seiner Stellung als dänischer Legationssekretär in
Hamburg zur Übernahme einer Professur in Eäel berufen wurde. ^
Das Hannover Georgs HI. war im Gegensatz zu der Zeit der
Regierung seines Vorgängers ein ziemlich stiller Ort. »Trauriges
Hannover«, so ruft Hege wisch im Hinblick auf das anregende gleich-
zeitige Hamburger Leben aus, >Du wirst wohl stets der Sitz der
Langeweile bleiben 1«^ Der König kehrte dem Lande den Rücken,
seine Residenz war London; zwar wurde der Hofstaat beibehalten, aber
Carl von Mecklenburg-Strelitz, der als Kurfürstlicher Feldmarschall
an der Spitze der Hannoverschen Armee stand und als Gouverneur
der Stadt Hannover das Palais an der Leinstraße bewohnte, war nicht
dazu veranlagt, ein glänzendes Hof- und Residenzleben anzuregen
und zu befördern. Der gesellschaftliche Verkehr zog sich zurück in
die privaten Zusammenkünfte, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit
im Winter sowohl von den altadligen Geschlechtem als auch von
den jungadligen sowie von den angeseheneren Beamten- und Bürger-
familien veranstaltet wurden und einer gewissen Einförmigkeit Vor-
schub leisteten. »Mit Caßel«, schreibt später einmal Flügge,^ »dürfen
wir uns nicht vergleichen, wo sie ihren Landesherrn bey sich haben,
und wo die Künste unter der Anfuhrung eines fürstlichen Kenners
und Belohners herrschend sind.«^
^ Flügge verdient der Vergessenheit, mit der ihn selbst Oödecke bedeckt,
entrissen zu werden. Es soll an anderem Orte geschehen. Berichtigt sei hier
ein Irrthum Meusel's im Gel. Teutschland. * Bd. I S.|645. Nicht Heinr. Herrn.
Flügge, der Prediger an der Martinskirche in Braunschweig, sondern sein Bruder,
der Obige, ist der Verfasser der Aeneis, feiner Travestie auf Vergil's Gedicht. —
2 Briefe Flügge's an Bürger sind abgedruckt in den »Briefen von und an O. A.
Bürger a . . . hg. von Ad. Strodtmann. Bd. II S. 17 ff.
2 s. Rotermund, Das gelehrte Hannover. Bd. 11. S. LXXXI und Allge-
meine Deutsche Biographie. Bd. XI S. 278.
^ Hegewisch an Raspe. Hamburg 23. Sept. 1766.
^ Flügge an Raspe. Hannover 12. Man 1773. Man vergl. über das gesell-
schaftliche Leben seu Hannover: Bodemann, Johann Georg Zimmermann. S. 43 ff.
Es geht dies freilich zumeist auf die 70er Jahre.
^ An einer anderen Stelle betont er freilich, Hannover sei es werth, daß man
seiner gedenke, »obgleich es die Mode in der Nachbarschaft ist, uns mit einer
Art von Erbarmen und Verachtung anzusehen. Fo«, st hie essetis, aliter sentireiisti.
Schreiben an Raspe vom 21. Febr. 1770.
Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Besiebgn. lu Rad. Erich Raspe usw. \Q^
Trotzdem galt Hannover damals als kunstsinnige Stadt. Schau-
spielertruppen, die ab und zu Einkehr hielten, vermittelten die Bekannt-
schaft mit Shakespeare. Musik hörte man nicht nur in Konzerten,
wenn etwa ein Bach, wie dies von Zeit zu Zeit geschah, dorthin kam,
man betrieb sie auch eifrig in Selbstausübung im Familienkreise. ^
Andrea selbst liebte die Musik und hatte in seiner Jugend fertig
Klavier gespielt;^ so freute er sich, die Schmeling in seinem Hause
verkehren zu sehen und theilte gern die Bemühungen um das Gelingen
der Konzerte mit Freund Saspe, ja er hatte schließlich, als dieser
zu Ende Mai zu seinem Schwager, dem Amtsvogt Völger, nach Ütze
verreist war, die Sorge für das Zustandekommen des dritten Abends
allein auf sich. Wie sehr er sich die Sache angelegen sein Uefi,
beweist sein Brief an B.aspe vom 21. Mai: »In des Herrn Cammer-
Herm von W[almoden] Hause bin ich zweimal gewesen, one Ihn zu
sprechen. Auch ebenso vergeblich bei d. Hm. General. Indeßen
wird Ihnen die Inlage zeigen, das dadurch nichts versäumt ist.
Heute habe ich den Plan^ herum zu schikken ange&ngen. Allein
die verwünschte Musterung 1 Der H. Feld Marschall^ ist nicht zu
Hause gewesen, d. H. premier Minister hat geantwortet. Er wolle
es Seiner Gemahlin sagen. Nun ist diesen Mittag bei dem Gen. v. W.
ein Tractement auf Seinem Garten. Dis zieht one Zweifel widerum
Leute aus der Stadt und vermuhtlich auch den Feld Marschall. Folg-
lich wird der Plan erst Morgen früh seine ordentliche Reise antreten
können. Mehr hirmit zu eilen ist mir, wie Sie sehen, unmöglich.«
In den Briefen Andreä's an Haspe spricht sich eine gewisse liebe-
volle Zuneigung und Zärtlichkeit für seine jugendliche Schutzbefohlene
aus. »Gern nehm ich«, meint er launig, »sie unter den Schatten
meiner Flügel in Abwesenheit der noch wärmeren Henne. Ja wäre
dis artige Küchlein noch im Ey, ich hätte Lust es aus zu brüten . . .
Adieu, mein lieber Freund, bleiben Sie nur hübsch lange aus! ich
wil schon — . — Ihr gehorsamer Diener bleiben.«
Wir ersehen zugleich aus diesem Schreiben unschwer, wie es
mit Kaspe selbst bestellt war; Andrea wußte es am besten, hatte doch
der Herzensroman zwischen dem Erstgenannten und Elisabeth schon
1 Hartmann, Gteschichte der Residenzstadt HannoTcr. S. 382.
2 B. Schlichtegroll's Nekrolog, a. a. O. S. 171.
' Der Subskriptionsplan war zun&chst dem Herrn Kammerherm von Wall-
moden gegeben und ohne Erinnerungen gebilligt worden; alsdann hatte ihn An-
drea an den General yon Wallmoden weitergeieicht. Die beiden Genannten waren
außerdem von Raspe brieflich um ihre Verwendung gebeten, s. Andreä's Brief an
Raspe Tom 18. Mai 1766.
* Frins Carl von Mecklenburg.
JQg Carl Seherer,
lange seinen Anfang genommen. Die Greisin berührt diese Ereignisse
in ihrer Selbstbiographie nur mit den kurzen Worten: »Auch bekam
ich daselbst (nämlich in HannoTer) verschiedene Anträge zum heirathen,
welche ich aber ausschlug, indem ich meinem Vater sagte, ich wäre
noch zu jung, auch hSitte ich noch keine Lust mich zu binden,
worüber er sehr zufrieden zu seyn schien a. ^ Daß zu den abgewiesenen
Bewerbern Raspe zu rechnen ist, ergibt sich aus dessen Briefen. ^
Die Befürchtung Dieze's,^ daß des Freundes Herz nicht stark genug
sein würde »den verfiihrerischen Zaubertönen der Sirene zu wider-
stehen«, wurde bald zur Wahrheit. Heyne sah sich schon am 1 1. Mai
veranlaßt, in väterlicher und freundschaftlicher Gesinnung zu warnen
und abzumahnen.
»Mir thut es sehr l^id«, so schreibt er, »werthester Freund, daß
ich durch meine Dienstfertigkeit einen solchen Aufruhr in Ihreni
Herzen angerichtet habe. Ein Vergnügen ein Amüsement, eine Zer-
streuung für Sie höchstens ein gout passager, war alles, was ich mir
in diesem Fall erwartete; und ich hoflFe noch, daß Sie darauf zurück-
kehren sollen. Die eiserne Nothwendigkeit würde es ohnedem mit
ihrem grosen Gehülfen, der Zeit, thun und Sie dahin fuhren. Alle
äuserliche Unmöglichkeiten, die Sie sich selbst gestehen müssen, sind
nicht unüberwindlicher als die welche im Temperament und Cha-
rakter der Betty lieget; sie hat kein Herz, das eines Grades von
Gefühl fähig ist Sie werden sie nie so fühlbar machen daß Sie dabey
glücklich wären.* Es ist ein ingrater Boden, Empfindungen einzu-
pflanzen. Ich habe dergleichen Gemüther mehr gekannt, die just
die Eigenschaften des Herzens hatten von denen sich die Phaeno-
mena an ihr am ersten Anblick gleich darbieten. Ich beschwöre Sie
also bey allem, was Sie sich und Ihrer Kühe schuldig sind, amusiren
Sie sich soviel Sie wollen, aber eine ernste Leidenschaft suchen Sie
abzuwerfen, es mag auf eine Art geschehen wie es will. Sie wissen
daß ich hohe Begriffe von dieser Leidenschaft habe daß mein Kath
gewiß nicht aus den vulgairen Grundsätzen entlehnt ; aber die innere
Unmöglichkeit der Erfüllung ihrer Wünsche zwingt mich Sie auf
1 a. a. O. Sp. 529.
2 Ein Nebenbuhler scheint ein gewisser Englander Mr. Callin gewesen zu
sein nach Kaspe's Schreiben (Entwurf) an einen Ungenannten Tom 11. Mai [1766].
3 Dieze an Raspe. Gott. 8. Mai 1766.
4 In dem Briefe vom 4. Mai äußert sich Heyne in ähnlicher Weise: »Der
Charakter des Mägdchens war für mich etwas, das ich in keine definition bringen
konnte; etwas so fade unfühlbares, und doch ein Grad von Eitelkeit. Doch Sie
werden ihn vielleicht besser zu bestimmen im Stande seyn.«
Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Beziehgn. zu Rud. Erich Haspe uew. \{)'J
das feyerlichste zur Herrschaft über sich selbst aufzurufen. Ich be-
hane unveränderlich
Ihr wahrer Freund
Heyne. «
Die Folge des Briefes war Verstimmung auf Seite des Empfängers,
der in der freimüthigen Mahnung eines Freundes nur die Bitterkeit
und Unzufriedenheit eines Sittenrichters sah und gebieterisches, be-
leidigendes Wesen in den wohlgemeinten Rathschlägen zu erkennen
glaubte. Wie ernst es Haspe mit seiner Liebe meinte, beweisen seine
Briefe, ebenso unzweideutig ersieht man daraus, daß die Neigung
eine einseitige war d. h. auf Elisabeths Seite nicht erwidert wurde.
Zwei Tage nach einem Ausflug, der am 10. Mai in Gesellschaft der
Schwester Baspe's und einiger anderen Damen nach Herrenhausen ge-
macht wurde, erfolgte eine offene Erklärung an Elisabeth; sie möge
auszugsweise mitgetheilt sein.
My dearest Life!
True friendship and the purest Love are the natural duties fo
Viriue, Talents, Yovth and Beauiy; and wheti I repeat You that I
bear them to You in the Jiighest degree, and when I teil You that all
my attentions owe their oriyin to them ahne, I hope You will consider
the aknotßledgement as well as the above mentioned sentiments as an
offering, worthy the accepting and giving of every honest and generous
heart. So it isy and so You may account for my troubles and inquie-
tudes; than I ought to be and to appear to all the world and to my-
seif a most unworthy ungefierous man could I bear patiently and
tamely the mortifying distance You keep toith me, and see vnth insen-
sihility how carefully You refuse whatever comes from nie, how coldly
You receive my addresses, how Yow avoid them to listen with compla-
cency to whatever other people may teil You. Ah sweetest creature!
give me leave to say that such an undeserved rigour puts me to low.
Every body knows that I was Your first acquaintance here. I am
conscious to have behaved as every honest man ought to do. And what
must people think that see me avoided so carefully by her, that lovnng
Virtue and honour must love gratitude toot
.... ludge by Your seif how You wrong me in exposing me to
such an undeserved blemish; when I protest and am convinced that
no body can love and esteem You, Your talents and Your honour, unth
purer sentiments as Your most obedient humble servant
JR. E. It€tspe.
log . Call Scherer,
Konnte sich Baspe schon jetzt über Undankbarkeit beklagen,
so sollte er und mit ihm seine Freunde bald noch weitere Erfahrungen
machen. Elisabeth verließ Hannover ohne jeglichen Abschied, ohne
Wissen der Bekannten, um sich über Celle nach Hamburg zu wenden.
Saspe erfuhr es erst durch einen gewissen Werckmeister, aber er
beeilte sich trotzdem, der Sängerin in Celle einen günstigen Empfang
zu sichern, indem er schleunigst ein empfehlendes Schreiben für jene
an Barte von Schwicheldt, die Tochter seines Gönners, nachschickte. ^
Wenn auch Letzere zu spät nach dort kam, als daß sie etwas zu
Gunsten der Schmeling hätte thun können, so hatte doch Raspe
wenigstens die Freude, alsbald von ihr zu hören, daß Elisabeth nach
aller Urtheil in Celle großen Beifall gefunden habe.^ Ein weiterer
Brief folgte nach Hamburg, wohin sich die Entwichene am 31. Mai
gewendet hatte. Bereits hatte Raspe nach Verabredung wieder ein
neues Konzert, das nach der Rückkunft von Hamburg stattfinden
sollte, eingeleitet, nur mußte er sich Gewißheit verschaffen, ob Eli-
sabeth zurückkehren würde. Er zürnt, daß sie zu stolz gewesen sei,
von ihm Adressen nach Hamburg sich geben zu lassen, nun wisse
er nicht einmal, wo sie dort zu finden sei, noch viel weniger, ob und
wann sie Hannover wieder besuche; diese Unschlüssigkeit sei der
Grund, warum die Subskription so langsam nur fortschreite. »Pray
what can I say when asked about You? Invite every one to the Sub-
scription, assuring thcU certainly You wile come back, at leastfor some
days when going to Pirmonta,^ Der Aufenthalt in Hamburg war
übrigens nicht von langer Dauer. Die Schmeling spricht sich in ihrer
Biographie zwar dahin aus, daß es ihr am dortigen Platze gefallen
habe, und daß sie im Verkehr mit den vielen Engländern wieder an
ihre glückliche Jugendzeit in England erinnert worden sei, ^ bemer*
kenswerth ist es aber demgegenüber doch sicherlich, wenn Andrea
am 19. Juli von Hamburg aus schreibt: »Es schadet uns freilich, und
vielleicht Ihr Selbst nicht, daß Ihr Hamburg nicht gefallen
hat. Es hätte Ihr aber beßer gefallen können, wenn Sie nicht so
stillschweigend von Hannover dahin geeilet wäre, ich getraue mir
zu sagen, daß Ihr eine Adreße von mir sehr vorteilhaft gewesen sein
würde«. Bereits am 25. Juni war die Sängerin wieder durch Hannover
durchgereist, um sich nach Pyrmont zu begeben, wo sich Prinz Carl
von Mecklenburg eben aufhielt. Das Konzert in Hannover war mitt-
lerweile so weit gesichert, daß die Ankündigung für Montag den
1 Raspe an Elisabeth. (Entw.) Hannover 10. Juni 1766.
2 Barte von Schwicheldt an Raspe. Weyhe 10. Juni 1766.
3 Schreiben Yom 10. Juni 1766 nach Hamburg gerichtet (Entwurf).
< a. a. O. Sp. 529.
Gertrud Elisab. SchmeUng u. ihre Beziehgn. zu Rud. Erich Haspe usw. | QQ
30. Juni im Stolzischen Hause erfolgen konnte.^ Zuvor aber war
schon ein neuer Plan, der zweifellos Raspe verdankt und in Gemein-
schaft mit anderen besprochen wurde, aufgetaucht und in Gang ge-
bracht ; es handelte sich darum, die Schmeling dauernd für Hannover
zu gewinnen. Raspe war in der Lage, schon bei der Durchreise
nach Pyrmont sie und ihren Vater mit dem Entwurf bekannt zu
machen. ^ Elisabeth sollte sich entschließen, den Winter in Hannover
zuzubringen und dort eine Reihe von Konzerten zu geben ; während
der übrigen Zeit des Jahres sollte sie jedoch in keiner Weise gebunden
sein. Dafür wiirde ihr eine feste Pension zugesichert, die erst auf jähr-
lich 600 Rthlr. festgesetzt war, in Anbetracht des Ausfalles der Som-
mermonate aber und mit Hinsicht darauf, daß gute Gelegenheit zum
Ertheilen von Stunden vorhanden sei, dementsprechend um etwa 150
Rthlr. gekürzt wurde. »Ich bin sicher«, so betheuerte Raspe, »die
Mittel werden uns nicht fehlen, es zu bewilligen und zu geben«, wo-
hei er vor allem auf die Bemühungen des Generals von Wallmoden
haute. Andrea äußerte seine große Freude über das Unternehmen:
> Wer siehet und höret die artige Nachtigall nicht gerne 1 und dann
glaube ich auch noch immer, daß Sie bei uns beßer, als sonst irgendwo
au%ehoben ist. Und wohl aufgehoben zu sein verdienet sie doch.«
Zugleich aber betont er die Anwendung der nöthigen Vorsicht, n Hüten
Sie sich zu Viel auf die Entreegelder zu rechnen: und komt, unter
dieser Vorsicht, dan eine hinlängliche Subscription zu Stande, so,
denke ich, fordern wir die unterschriebenen Gelder doch insgesamt
und auf das ganze Jar erst ein, ehe das Concert eröfnet wird. Sonst
laufen wir Gefar, selbst zuschießen zu müßen, und uns durch Mah-
nen Feinde zu machen.«^ Auch in Göttingen nahm man an dem
Zustandekommen lebhaften Antheil: Heyne erklärte mit Recht das
Gelingen »als für das Schicksal der Miß unstreitig entscheidend.«^
Vater Schmeling und Tochter gingen auf das Anerbieten ein und
erklärten sich bereit, gegen eine Pension von 450 Thlr. den Winter
in Hannover Aufenthalt zu nehmen, falls das Projekt zu Stande
käme. Es blieb nun nur übrig, den Gedanken in Wirklichkeit um-
zusetzen. Raspe hat zweifellos keine Mühe und Arbeit gescheut, nicht
nur in Hannover selbst Freunde zu werben, sondern auch solche
^ Gedruckte Nachricht. 1 Ex. liegt dem Briefwechsel bei.
2 Es sollte ursprQnglich schriftlich geschehen, wie die beiden in Reinschrift
vorhandenen und mit Adresse nach Pyrmont gerichteten Briefe Raspe's an Vater
und Tochter vom 25. Juni beweisen; der eine trägt indeß den Vermerk: »mündlich
ausgerichtet bei ihrer Durchreise nach Pyrmont.«
3 Andrea an Raspe. Hamb. 19. Juli 1766.
« Heyne an Raspe. Gott. 3. Juli 1766.
110 . Carl Scherer»
Familien zu gewinnen, die gerade die Winter monate in Hannover zu-
zubringen pflegten, wie wir denn wissen, daß Barte von Schwicheldt
zu Anfang August den Subskriptionsplan in Flachstöckheim hatte.
Daß Baspe dabei in gewissem Maße egoistisch handelte, ist ersicht-
lich, er glaubte noch immer damals in den Gesinnungen der Freundin
den erwünschten Umschwung herbeifuhren zu können, noch war sie
seine i^fairest Itosebud<i,^ die er liebte, auch wenn sie erst nach
Hamburg entwichen und nun nach ihrer Rückkehr von Pyrmont,
wo der Prinz Carl von Mecklenburg sie sehr ausgezeichnet hatte,-
alsbald fort nach Braunschweig gezogen war, noch brauchte Heyne
nicht zu mahnen, daß man seiner Schönen getreu bleiben müsse.'
Raspe empfand thatsächlich die Entfernung seiner Freundin tief und
schmerzlich; Unthätigkeit, Gleichgültigkeit und Entmuthigung, zum
Theil sicher verursacht durch den schlechten Fortgang des Unter-
nehmens, überkamen ihn und traten an Stelle der bisherigen Leiden-
schaft. Heyne begann zu furchten. »Nichts als Bewegung und
Beschäftigung kan Sie davon losreisen und ich dächte, Sie liesen
alles stehen und liegen und nähmen eine Reise vor. Kommen Sie
nur einmal wieder zu einem Gegenstand, der Ihre Aufmerksam-
keit auf sich ziehet, so hoffe ich, daß Ihre Seele und Blut wieder
in Gang kommen werden. Kömmt der Winter heran und es stellt
sich Jemand zum Konzert ein, so wird alsdann die Leere ohnedem
ausgefüllt seyn.«^
Die Schmeling war unterdessen in Braunschweig mit hohen
Ehren gefeiert worden; man brachte die Zeit der Messe dort zu und
besuchte wieder fleißig das Theater.^ Es erfolgte eine Einladung,
bei Hofe zu singen; Elisabeth trug auf Verlangen 4 Arien vor, was
nach Aussage der »Capellisten« noch keine Sängerin gethan hatte.
Herzog Carl, der kunstsinnige Schwager des großen Königs, suchte
die Künstlerin für Braunschweig zu gewinnen. Die Antwort war:
»in Hannover engagirt.« Am Hofe zu Bernburg, der auf der Weiter*
reise nach Leipzig besucht wurde, wiederholte sich das gleiche Schau-
spiel. Mitte August etwa langte man in Leipzig an^, wohin Raspe
1 Raspe an Eliflab. 25. Juni 1766.
2 Elisabeth an Raspe. Leipzig 28. Jan. 1767.
3 Heyne an Raspe. Gott. 4. Aug. 1766.
« Heyne an Raspe. Oött. 21. Aug. 1766.
3 8. Selbstbiogr. Sp. 530. Die Wohnung befand sich während der Zeit »im
gülten arm in der Oerlinger stras. « s. Briefe des alten Schm. an R. Braunschweig
30. Juli 1766 und Leipzig 30. August
Das Absteigequartier war im »gulten Hud« in der Reichsstraße. Brief des
alten Schm. t. 30. Juli 1766.
Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Besiehfirn, zu Bud. Erich Raspe usw. \\\
Empfehlungen mitzugeben veiaprochen hatte. Zu derselben Zeit traf
eine Mittheilung von des letzteren Hand dort ein, die das Zustande-
kommen der Konzerte in Hannover zweifelhaft erscheinen ließ. Erst
unter dem Eindruck dieses Schreibens wurde, wie wir jetzt mit Be-
stimmtheit folgern müssen, der Vertrag mit Zehmisch abgeschlossen.
Am 30. August schreibt der Vater Schmeling hierüber an Raspe:
y> Hoch Edel gebohmer
Hoch ge Ehrter Herr
Dero ab gelaßenes Schreiben haben wir mit großer Ver wun-
derung er halten, und darauB er sehen, daß wir wegen der Sup-
scription unß keine sichere Hoffnung können Ver sprechen, wie auch
eben fals auß Herr Weis seinen Brieff, und der Herbst so nahe Vor
der Hand, da die beste Zeit zu Reisen Vor bey ist, hir durch wurte
also genötiget, unß in Leipzig in H. Zehmisch sein Concert, auf
Ein Jahr vor selben acort zu angagiren, bis auf weider orter, Es were
unB hertzlich freute geweßen, die winder Zeit, bey Ihnen in Hannover
zu seyn, allein Vors un gewiße Muß man daß ge wiße wehlen, solte
es künfftig sicher zu stände kommen, so er bieden wir unß, auf Ver
langen zu dienen. In deßen dancken wir M. Hgb. H. Raspe, Vor dero
er zeigte Liebe, Ehre, gutigkeit und freuntschafft, bis künfftig wieder
sehen, ... in er Wartung einer baltigen antwort hirauf werden sie
sämtl. Von unß 1000 sentfeltig ge grüset. Ver bleiben dero freunte
und Diener
J. Schmeling.«
Raspe's Antwort ging bereits am 4. September ab; er mußte
unter diesen Umständen den Plan mit Miß Betty aufgeben, aber er
nahm ihn in veränderter Gestalt wieder auf. Hegewisch, der sich
zu der Zeit in Hamburg aufhielt, scheint es gewesen zu sein, der
auf Mad. Schulze, die sich unter der Ackermann'schen Truppe befand,
zuerst aufmerksam machte. »Lindanea, meinte er, »wird uns Miß
Betty ersetzen.«^ Mitte September waren die Unterhandlungen
bereits im Gange, die sich indessen zerschlugen, weil die Schulze vor
Fasten aus dem Verbände der Gesellschaft nicht loskommen zu können
erklarte. *
Ob Raspe sich zu jener Zeit überhaupt noch um Elisabeth be-
kümmert hat, ist fraglich ; die Empfehlungen für Leipzig, die nach Braun-
schweig nacherbeten wurden, und die Raspe an Männer wie Clodius,
1 Hegewiflch an Kaspe. Hamb. 16. Sept. 1766.
s Derselbe an Raspe. Hamb. 23. Sept. 1766.
112 ^"^ Scherer,
Oeser und Weiße, die im Leipziger Kunstleben ihre Rolle spielten,
hätte geben können, blieben vielleicht ganz aus. Der Gekränkte,
der sich eben durch eine kleine Reise zu Familie von Schwicheldt
nach Flachstöckheim zu zerstreuen suchte, erhielt von Leipzig kei-
nerlei Nachrichten mehr und so hüllte auch er sich in Schweigen.
DDaß Sie die liebe Betty haben entlassen können«, schrieb Heyne
am 29. September, »ist etwas, was mich in Erstaunen setzt. Ich be-
wundere Ihre edelmüthige Entschlossenheit mehr als ich sagen kann.«
Und unterm 12. November wußte er Raspe als Neuigkeit mitzutheilen,
daß Miß B. den Herrn Direktor des Konzertes gar herzlich gefesselt
habe, und daß man sie dem Vernehmen nach »im comischen mehr
goutire als im ernsthaften.« Raspe hatte bereits vergessen; Elisabeth
Schmeling war verblaßt vor einem neuen Stern, der ihm in einem
Mitgliede der Leppert'schen Gesellschaft aufgegangen war, vor Jean-
nette Lucius. So mochte er selbst zumeist überrascht sein, als im
Dezember ein Schreiben von Elisabeth ankam. Sie schrieb unterm
16. Dezember:
Sir
Tko I know it is a great liberty in a lady to Rite to a Getleman (so!)
who is offended at her, yet Fll venture to take hold of my pen — poor
Mr. Raspe — tohat you are angry withme — well — / dont know how to
make it up again tho I Card Say hut you have had a good deal of
patience yet I did not think it toolTd have been gone all at onece, but
how ever if you wear Determind to be angry you Shoul ^d have let
me know be fore hand, that I tnight have prepare W my Seif for it.
but what did I Say — you to be angry — no I that Can never be, Such a
Gentleman as Mr, Raspe Does not onece know what it is to be angry^
no! I Dare Say it hos been for nothing but for want of time that toe
did not hear from you, I Suppose your Business wolVd not attow you
tho think of us. So I beg pardon for the mistake Fve made, and in
hopes of your for giving me
I Remain Sir yours
E Schmeling
My Papa Gives his Compliment to you and I beg mine to your Sister.^
Raspe verzieh und nahm die Beziehungen sofort wieder auf;
am 25. Dezember bereits hatte Elisabeth seinen G^enbrief in den
1 Zum Schluß bittet die Schreiberin, in Hannover nachzufragen, ob Briefe
für sie dort lägen, und, wenn es der Fall sei, sie ihr nach Leipzig an Heim
Winckler in der Fleischer-Straße zu schicken.
Gertrud Elisab. Sohmeling u. ihre Beziehgn. su Rud. Erich Raspe usw. 113
Händen, dem einige Liedchen beigefügt waren, die mit freudigem
Danke aufgenommen wurden. ^ Seitdem herrscht wieder ein regerer
Verkehr zwischen den Versöhnten, dessen Vermittelung aufs eifrigste
geführt wird von einem Leipziger Studenten, Carl Matthaei. Die
Persönlichkeit des Genannten ist, wie es scheint, eine recht unbe-
kannte; nur wenige erwähnen ihn, kein Lexikon hat den Namen in
seine Spalten aufgenommen und so dem Gedächtnifi erhalten. Matthaei,
der aus Nürnberg stammte ^ und sich bereits geraume Zeit auf der
sächsischen Hochschule angehalten hatte, wo er mit Männern wie
Geliert, Weisse, Oeser u. a. bekannt wurde, war zu An£Eing des Jahres
1767 gelegentlich eines Besuches in Hannover von Raspe in dessen
bekannter liebenswürdiger und zuvorkommender Weise angenommen
worden. Seitdem vereinigt ein enges Freundschaftsband, gefestigt
und erhalten durch die warme Anhänglichkeit des Jüngeren an den
Alteren, die beiden Männer. Der Gedankenaustausch brachte einen
lebhaften Briefwechsel ^ mit sich, der um so interessanter ist, als die
Briefe Matthaei^s, der ein guter Beobachter und eifriger Liebhaber
von Kunst und Theater ist, uns zum Theil in dieselbe Leipziger Zeit
fuhren, in die auch Goethe's Aufenthalt dort fällt. Matthaei gehörte
bis Frühjahr 1768 der Hochschule an und hatte auch später wieder
nach vorübergehendem Aufenthalte auswärts Gelegenheit, das Leipziger
Leben aus unmittelbarer Nähe zu beobachten, als er im Herbst 1768
als Erzieher des jungen Freiherrn von Friesen nach Rötha bei Leipzig
übergesiedelt war.
Matthaei ist eine offene, heitere, liebenswürdige und lebenslustige
Natur, kein Verstandesmensch, sondern ein Gemüthsmensch, dessen
Herz vielleicht in verliebter Laune wohl den Kopf beherrschen mag;
ungefärbt und ungeschminkt gibt er sich in seinen Briefen; er ist
wahr durch und durch, er bemäntelt nichts und verschweigt nichts;
um so schätzbarer werden für uns seine Nachrichten. Matthaei
schreibt über vieles, was in Leipzig zugeht, aber den Kernpunkt und
Mittelpunkt bildet doch, seitdem er sie kennen gelernt hat, Miß Betty«
Raspe hatte den jungen Freund zum Überbringer seines Antwort-
schreibens auf Elisabeths Brief vom 28. Januar gemacht. So be-
richtet dieser denn am 4. März über seine Eindrücke beim ersten
Besuch der Sängerin in begeisterten Worten :
1 Elisabeth an Baspe. Leipzig 28. Jan. 1767.
2 Körte, der einiges wenige über ihn mittheilt, sagt, daß man von Matthaei's
Herkunft nichts gewußt habe. s. Hoffmann von Fallersleben,', Findlinge. Bd. I
S. 418 Anm. 2.
3 Erhalten sind 48 Briefe Matthaei's aus den Jahren 1 767 — 75. Haspels Briefe
sind verloren.
1893. 8
114 OariSck
erer.
»Aber itzo moegen mich die Musen mit ihrem heiligen Feuer be-
seelen, denn ich rede von einem liebenswürdigen Gegenstande, nicht
schoen doch reizend, keine Grrazie aber doch eine Hebe angenehm und
gefaellig; Wer kann Sie einmähl sprechen und den Wunsch nicht
aeusem, Sie ofte recht ofte zu besuchen. Von wem konnte ich dieses
Urtheil anders in Leipzig faellen, als von Miß Betty? O Sie haben,
liebster Freund, Sie haben Unheil angerichtet, daß Sie mich zu dem
Boten ihres Briefes ernannten, jedoch thun Sie es nur oefter, ich
will gerne ihr Correspondent seyn.
Gott! wie hüpfte ich nicht zu der unschuldigen Miß hin, so
bald ich wieder ausgehen konnte; ich fand mehr als ich suchte;
viele Freundschaft im Umgange, viele Gefaelligkeit; wie las sie nicht
mit heiterer Miene ihr Schreiben indem sie bald laechelte, bald gafte;
mich nach allem was in Hannover ist fragte, ihre Lebens Art in
England erzaehlte und auf diese Weise mich von II uhr Nachmittags
bis VI uhr Abends unterhielt. Wer war froher als ich, wer war
mit sich selbst vergnügter, ich bat sie um einen Brief Einschlus, sie
versprach es mir, und uebermorgen gehe ich hin den Brief abzuholen:
Stunden! die ihr den morgenden Tag bringt
Stunden beflügelt euch!
Eilt, und bringt mir den Tag, welcher der Freude mich
Neugebohren entgegen fährt!
Nun liebster bester Freund, nun unterstützen Sie diese Bekannt-
schaft, helfen Sie mir fort daß ich oefters sie besuchen darf, daß
ich sie auf ihrer Cithare hoere und den englischen Ton ihrer Stimme
einathmen kann; daß ich oefters bey ihr sein darf um mit ihr eng-
lisch zu schwazen. O schreiben Sie mir ofte und tragen Sie mir
Bestellungen an Sie auf, schicken Sie ihr durch mich ihre Grüße
ihre Briefe ihre Marly und alles was Sie wissen; schreiben Sie ihr,
daß ich wünschte von Herzen wünschte Sie ofte zu besuchen^ daß
ich ein junger aber furchtsamer Freund sey, daß ich schmachte ihre
Stimme zu hoeren und ihre Cithare zu hoeren doch dies habe
ich ja schon alles geschrieben! Wohlan dann stehen Sie mir bey und
befestigen das gute Werk welches. Sie bereits angefangen haben!!«
Zwei Tage läßt Matthaei den angefangenen Brief liegen, dann
eilt er wieder zu seiner Miß, um das versprochene Schreiben abzu*
holen und sich von neuem an ihrer Liebenswürdigkeit zu berauschen.
Er fährt fort:
»d. 4. Merz
Eben komme ich von Mis Betty; liebster Freund wie voll ist
meine Seele von diesen lieben Maedgen; sie sang mir einige Eng-
lische liedergens vor, mit solcher Anmuth, mit solcher ungezwungenen
Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Beziehgn. zu Rud. Erich Haspe usw. 115
Art, 80 licht und himmliscli daß mir der Gesang noch in den Ohren
toent. Endlich sprach ich viel von England mit ihr, und alles was
sie sprach war WoUaut. . . . Also, bester liebster, unterlassen Sie ja
nicht alle Briefe die an ihr abgehen^ alles was Sie ihr schicken sollen,
mir jederzeit zu zu schicken, damit ich es ihr ueberbringen kann,
und bitten Sie in ihren Namen mir ihre fernere Gunst zu schenken,
and mir zu erlauben daß ich sie oefbers besuchen kann, um in der
Englischen Sprache von ihr zu geniesen. . . . Lieben Sie mich noch
femer. Das gewiseste Zeichen hirvon wird ihre baldige Antwort und
der Einschlua an die good sweet Betty sein :
ich bin from all my heart
ganz der ihrige
Carl Matthaei.c
Das Schreiben bedarf, was seinen Verfasser anlangt, keiner Er-
läuterung; der «kleine Faunci hatte tüchtig Feuer gefangen, der
Strom des Herzens ergießt sich in die Feder. Wichtig aber und
nicht unnöthig erscheint es, darauf hinzuweisen, wie wir auch von
dieser Seite eine Bestätigung der liebenswürdigen und einnehmenden
Eigenschafben erhalten, die, um seine Heldin Corona Schröter ihr
gegenüber um so höher zu heben, der Schmeling abzustreiten und
abzusprechen, sich Keil einst angelegen sein ließ. ^ Chrysander hat
demgegenüber schon sofort nach Erscheinen des Keil'schen Werkes
mit Kecht diese Entstellungen zurückgewiesen durch den Hinweis
auf Gerber, 3 der gleichzeitig in Leipzig lebte und uns in allen
Stücken das günstigste und beste Bild von der jugendlichen Sängerin
zeichnet, die ihm »einem bloßen Studenten], der keine Empfehlung
weiter haben konnte als die Gewogenheit des Herrn Kapellmeisters
Hillers, und eine brennende Begierde zur Musik« in der gefälligsten
und freundlichsten Weise Zutritt zu ihrer Person und zu ihrer Kunst
gestattete. Gerber's Angaben aber decken sich vöUig mit dem, was
Matthaei zu berichten weiß.
übrigens machte Letzterer von der ihm nun einmal gebotenen
Gelegenheit, sich Elisabeth öfters zu nähern »der Englischen Sprache
1 So nennt Kretschmann, der Matthaei später in Zittau kennen lernte und
durch ihn mit Raspe bekannt wurde, Jenen in einem Briefe an Letzteren. Zittau
15. Aug. 1768. Danach ist in dem Kretschmann'schen Hochzeitslied auf Raspe
(Ahnanaeh der deutschen Musen auf das Jahr 1772 S. 56) das »Und M***, den
Faunen« auf Matthaei zu beziehen.
> Vor hundert Jahren. Mittheilungen aber Weimar, Qoethe und Corona
Schröter ... von Rob. Keil. Bd. 11 S. 35 ff.
3 s. Chrysander, Corona Schröter. In der Allgem. Musik. Zeitung. 1875 Nr. 41
bes. Sp. 644 ff. und Gerber, Histor.-biogr. Lexikon der Tonkflnstler . . . Th. I
Sp. 858.
8*
1 1 6 Carl Scherer,
wegen a fleißigen Gebrauch; er wartete nicht, bis ihm ein Brief aus
Hannover erst einen passenden Vorwand bot. Am 13. März, wo er
ihr eine Baspe'sche Romanze, die mit großem Vergnügen gelesen
wurde, zum Andenken überreichte, schreibt er an den Freund:
»Vorhero da ich Miß Betty blos als Saengerin kannte, schaezte ich
sie so wie ich alle Kunst schaeze; aber izo da ich sie als Maedgen
kennen lernte, als das unschuldigste gefülvolste naiveste Maedgen
izo wünsche ich alle Tage bei ihr zu sein, ist mir die Stunde glück-
lich da ich sie sprechen kann; da ich ihren Silberton hoere, und
ihr flaterhaftes Gespreche, und ihren muntren Schertz . . . Schreiben
Sie ihr doch, daß sie mir es zu gute halten soU, wenn ich oefters
zu ihr kaeme, schreiben Sie ihr, daß ich der Englischen Sprache
wegen es thaete .... dann der Alte Vater lauert wie ein Satan, ^
ein besofener Mann der ohnmoeglich der Vater dieser Hebe sein
kann.« Raspe mochte der leidenschaftliche Stil des Freundes be-
denklich erscheinen, er fürchtete bei fortgesetztem näheren Verkehr
mit Elisabeth für die Ruhe des »kleinen feurigen Jünglings« und
hielt nicht mit seinen Warnungen zurück. Fast wie eine Recht-
fertigung gegen eine falsche Unterstellung klingt es aus Matthaei's
Antwort heraus:^
»Mein Herz«, so verwahrt er sich, »ist für alles empfindungsvoll
was edel und gut scheinet; wenn ich eine gute Handlung erzaelen
hoere steigt mir das Blut in die Wange, sehe ich eine Miß in ihrer
Unschuld schwezen, hoere ich ihre Toene die die Nachtigall beschae-
men, so klopft mir das Herz, so wünsche ich von Herzen ihr zu
zeigen daß ich sie so rechtschaffen schaeze, als es je möglich ist;
aber kein Lovelace wird mir meine Begierden anfeuern, nie wird
eine seiner Handlungen mich von meinem Wege abführen um auf
Neben Wege zu kommen . . . Hoeren Sie hier mein redliches Ge-
staendnis von der Miß:
Wann jemals eine andere als gerechte als platonische Empfin-
dung in meine Seele kam, da ich sie sähe; wann jemals ein anderer
Wunsch mir entfloh als dieser, konnte ich ihr doch zeigen wie voll
Achtung meine Seele gegen ihre Unschuld ist, konnte ich ihr doch
Merkmahle geben wie eifrig ich ihre Kimst schaeze; so moege mir
der erste Schritt in ihre Wohnung zum Falle gereichen, und mein
Gewissen mich quaelen, so oft ich sie oder ihren Namen sehe!«
Zu jener Zeit war der Briefwechsel zwischen Elisabeth und
Raspe übrigens in gutem Gange. Wieder trafen »Englische Versgen«
1 Man vergl. damit die Selbstbiogr. a. a. O. Sp. 515.
'^ Matthaei an Raspe. Leipzig 2. April 1767.
Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Beziehgn. su Kud. Erich Raspe usw. ( [ 7
ein wie einst in Hannover; noch bewahrte die Besungene deren eine
Anzahl aus der früheren Zeit auf, die sie hervorsuchte und wohl
auch dem bittenden Matthaei zu lesen gab, wenn ein neu ankom-
mender Brief Raspe's ihr aUe vergnügten Stunden in die Erinnerung
Eurückrief, die sie gemeinsam mit ihm in Hannover und im neuen
Hause dort verlebt hatte. »Wie oft«, so konnte Matthaei immer von
neuem wieder dem Freunde zu dessen Genugthuung mittheilen,
«spricht dieser kleine Engel von ihnen, fragt ob ich keine Briefe er-
halten, ob Sie nach England reisen, ob Sie nicht vorher herüber
kommen woUen, warum Sie nicht schreiben ?ai usw.
Es war die Zeit, wo Elisabeth sich auf der Bahn des Ruhmes
emporrang; Anfang April waren die Proben für die »Sancta Helena« ^
im Grange, in der ihr die Rolle der Eustasia zufiel, in der Char-
woche Mitte April erfolgte die erste Aufführung; nsie hat sich selbst
übertroffen und sich jedermanns Liebe zugezogen« schrieb der be-
geisterte Matthaei. Mitte Mai folgte ein Konzert, das ihr den
lauten Jubel der Versammelten eintrug, sie war wohl schon daran
gewöhnt; denn sie, des Beifalls gewis, sähe ganz ruhig aus, und
laechelte.« Zachariae aus Braunschweig und Nicolai aus Berlin, die
sich während der Messe in Leipzig aufhielten und durch Hiller mit
der Schmeling bekannt gemacht wurden, waren ihres Lobes voll.
Eben damals dachte diese daran in Familienangelegenheiten nach
Cassel zu gehen und damit einen Abstecher nach Hannover zu ver-
binden. ^ Der alte Schmeling, der noch wegen seiner dort zurück-
gelassenen Sachen mit Raspe in Verhandlungen stand, setzte Letzteren
von der Absicht am 27. April in Kenntniß:
»Der Musicus Schröder, solte diese ostem mit tochter und söhn,
Vom Concert ab gehen, weil aber daß Vor haben ist, diesen sommer
ein opra auf zu führen, so scheints als ob sie noch werden bleiben,
durch dieses könde es geschehen, daß wir ein Monat oder 2 eine
'Reis auf Cassell möchten, und in der Redür auf Hannover gingen,
al wo wir mit allem Dank Vor'^dero gehabtes Be mühen, uns dankbar
^ Matthaei an Raspe. Leipzig 20. Mai 1767.
' Es ist das Hasse'sche Oratorium, das der Sängerin die oft wiederholten
Verse Ooethe's »Klarster Stimme, froh an Sinn« usw. einbrachte. Löper, G. W.
(Hempel) Th. lU S. 363 Anm. meint, daß Qoethe einer Auffuhrung des Oratoriums
im Desember 1767 beigewohnt und danach die Schmeling besungen habe. Kürschner
in der Allgem. Deutschen Biogr. Bd. XX S. 287 nimmt 1768 als Auffdhrungsjahr
der »Elena« an. Nach dem Briefe Matthaei's, der die erste Aufführung festlegt,
könnte Goethe bereits diese besucht haben, s. Matthaei's Briefe Yom 2. April,
21. April und 20. Mai 1767 sowie Goethe-Jahrbuch, IV S. 194—95.
3 Matthaei, der die Absicht einer Gasseier Reise bestätigte, meinte, für einen
guten Freund lägen ja Cassel und Hannover nahe aneinander?
I \ $ Carl Scherer.
er zeigen weiden , Man will hoffiiung haben Mein Herrn Raspe künf-
tige Messe hir zu sehen, wolt-gott es möchte geschehene.
Die Reise, die auf die Zeit nach Johannis verschoben war, kam
nicht zur Ausfuhrung. Elisabeth sah ihre Heimat in diesem^ Jahre
nicht, dagegen hatte mittlerweile Raspe eine seinen Wünschen ent-
sprechende Anstellung dort gefunden; er war unterm 29. Mai 1767
zum Inspektor der Casseler Antikensammlung mit dem Charakter
als Rath ernannt worden. Elisabeth beglückwünschte den Freund
alsbald mit herzlichen Worten: i^Haveing heardt so schreibt sie »o^
your establishement in Cassel I take the opportunity of Congratulal'-
eing you and Wishing you all the happiness that I tcaul 'd wish my
selfa. Matthaei, der den Brief mit seinem eigenen Glückwunsch-
schreiben am 21. Juli absandte, verfehlte nicht, seine neusten Ge-
dichte auf die Angebetete seines Herzens bei dieser Gelegenheit
mitzutheilen. Sie lauten:
»Auf die Veilchen.
Von allen Blumen auf der Flur
Sing ich euch holde Veilchen nur
Die ihr in dunkles Laub verhült
Mit Wohlgeruch die Lüfte fült!
Nicht stolz auf euren Vorzug, wie
Die pralerische Rose, die
Auf ihren Domentron erhoeht,
Sich jedes Beifall heischend, dreht;
Seid ihr, in stiller Sitsamkeit
Wenn ihr des Menschen Herz erfreut,
Zufrieden, daß es niemand sieht,
Wie ihr dem Lenz zur Ehre blüht';
Zufrieden, wenn euch niemand dankt,
Und euch die Tulpe, die nur prangt,
Vorzieht; gros müthig, nicht erfült
Vom Neide; kurz — Mis Bettys Bild!
Dies war eine Anwandlung der poetischen Wuth der ich nicht
wiederstehen konnte; aber es ist auch ein impromptu; man wird
dem Verfasser Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Aber hier ist noch
eines, ich kann dem Trieb nicht wiederstehen; jedoch ich bitte um
ihre freye Beurtheilung.
Was fühlt ich, als zum erstenmahle
Miß Bettys goetlicher Gesang
Viel süßer als das Lied der Nachtigall im Thale
Mein Ohr, stets heißer dürstend, trank?
Ist hier Elysien? Die Lieder
Des Orpheus, hoeret die mein Ohr
Singt er Euridicen — nichts trennt von ihr ihn wieder —
Izt seine ewge Liebe vor?
Gertrud Elisab. Schmeling lu ihre Besiehgn. su Rud. Ehrieh Raspe usw. \\^
Ists der Gesang der Aoniden?
Hoer ich die Goettin Harmonie?
Kehrt sie zurück und bringt dem Erdball ewgen Frieden?
Wie glücklich war er einst durch Sie?
Nein, Es ist Betty ! frohe Taenie
Ziehn um sie her die Graiien
Die Muse des Gesangs flieht ihre Lorbeerkraenze
Beschaemt ums Haupt der Sterblichen.
Und aller Menschen Beyfall theilet
Lautschallend ringsumher die Luft
Und aller Goetter die sich lange hier verweilet
Und mehr als süßer Weirauohduft.
Miß Bettys Lieder schenen
Beseheiden, Amor! lauschest Du!
Der Musen Brust, darf nicht Dein Pfeil verlesen
Stoert er gleich aller Wesen Kuh.
»Ihr Goetter I wie entzükend süße
»Ist ihrer Stimme Harmonie!
» Doch noch viel reisender für uns, viel mehr noch süße
»Ist ihres Lebens Harmonie!
»Wie glaenzt die Unschuld ihrer Jugend
»Die ihr bescheiden Auge spricht;
»Erhaben trotzet sie an Deiner Hand, o tugend!
» Dem Laster, das ihr Neze flicht !
So sprach sie, welche Deine schoene
Ihr stets geweihte Seele, so
Von Jugend auf geformt, die goetliche Athene !
O Betty ! küßte Dich und floh !
Man wird mir«, so schließt Matthaei, i» vergeben, daß ich mich
dahin reisen lasse, aber mein Blut lauft geschwinder, und alle meine
Sinne sind Gefühl, wenn ich bey ihr bin; und doch spielt sie die
Laute nicht mehr, und singt keine englischen Liedgens mehr dazu;
was würde ich sonsten fühlen?«
Raspe beantwortete die Zeilen Elisabeths am 21. August von
Cassel aus, wohin er etwa Mitte des Monats übergesiedelt sein muß.
Er hatte zu derselben Zeit zwei junge Engländer, Dr. Houlston und
Hopson, die nach Leipzig reisten, mit Empfehlungen an Matthaei
▼ersehen; dieser vermittelte ihnen die Bekanntschaft mit der Stadt,
ihren Gelehrten, ihrem Theater und vor allem mit seinem »kleinen
Engel«, der dem ^kleinen Engländera so wohl gefiel, daß er ihm
ein Liedchen widmete. Der Brief vom 1. September (geschlossen
6. Sept.), dem wir diese Mittheilungen verdanken, ist noch in anderer
Hinsicht bemerkenswerth.
Neben Elisabeth Schmeling war damals, an demselben Konzert-
unternehmen wie jene, als zweite Sängerin ihre große Nebenbuhlerin
\ 20 Carl Scherer,
Corona Schröter angestellt. Wir wissen, daß das Leipziger kunst-
sinnige Publikum sich in zwei Parteien schied, deren stärkere und
größere der Fahne der Corona folgte, während die kleinere Schaar
treu zu Elisabeth hielt. Als ergebenster, eifrigster Anhänger der
Erstgenannten galt bisher allgemein Schiebeier, der übrigens als
seine erste Göttin die seit März 1767 am Leipziger Theater wirkende
Schauspielerin Karoline Schulze verehrte. ^ Jetzt ersehen wir aus
dem Briefe Matthaei's an Raspe, daß Schiebeier wenigstens nicht so
fanatisch gegen die Schmeling eingenommen war, daß er nicht
sogar Anwandlungen gehabt hätte, sich auf ihre Seite zu schlagen.
»Ich lege hier ein Gedichtgen«, so schreibt M., »von H. Schübeier
bey;'^ er ist seit einiger Zeit, ohngefere seit 3 Wochen, so platonisch
in Betty yerliebt, daß er von nichts anders singt und girrt, als von
ihr. Es ist auf dieses Gedichtgen eine Parodie herausgekommen,
welche, ob sie gleich witzig, dennoch so boshaft und ungerecht ist,
daß ich sie nicht abschreiben will. Z. E.
Durchstroemt von allen Haeßlichkeiten
Rühmst Du die Schoenheit, singest sie;
O Schabler schweig, dann Deine Saiten
Sind leer, wie* Du, von Melodie.
Verfertige Opern, mache Lieder
Brauch Deinen Witz, den Gott Dir gab,
Und horchend neigen Deine Brüder
Die Esel, sich zu Dir herab.
Ist das nicht Malice? Der Verfasser ist unbekannte.
Gewinnt so die Stellung Schiebeler's zu Elisabeth eine etwas
andere Beleuchtung, so ist derselbe Brief fernerhin nicht uninteressant
zur Verdeutlichung des Verhältnisses zwischen Vater und Tochter.
Letztere hat in ihrer Biographie Jenen als einen einfachen, braven
alten Mann dargestellt und charakterisirt und nur eine pietätvolle
Kindespflicht erfüllt, wenn sie dabei Fehler und Schwächen ihres
Vaters verschwieg. Wir müssen uns, denke ich, bei Beurtheilung
seines Charakters mehr auf das ZeugniB derer stützen, die durch
keine Rücksichtnahme auf verwandtschaftliche Bande beengt, vor-
urtheilsfrei den Eindruck des Alten auf sich wirken ließen. Wenn
1 Man yergl. für die angedeuteten Leipziger Verhältnisse Keil a. a. O. Bd. II
8. 37 ff.; Biedermann, Goethe und Leipzig. Th. I S. 157—159, Th. II S. 56—50 und
die Biographien der Mara. Für die Stellung Schiebeler's zur Schulze sind Tor
allem Matthaei's Briefe beweisend. S. auch ihre von Uhde herausgegebene Selbst-
biographie im Historischen Taschenbuch. 5. Folge. , 3. Jhrg. S. 394 und 402.
2 Leider ist es nicht mehr vorhanden.
Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Beziehgn. zu Rud. Erich Raspe usw. 1 2 1
Heyne über den alten Schmeling sich dahin äußert, ^ daß er der
Tochter »keine große Empfehlung mache« , so ist dies ja kein Vor-
wurf, der den Charakter trifft, vergißt doch der Schreiber selbst
nicht hinzuzufügen, daß der Vater »ein gutes ehrliches Stück Mann
sei«; bedenklich aber klingt es, wenn Matthaei aus seiner Erfahrung
heraus ihn einen »besofnen Manne nennt ;^ und jetzt berichtet, daß
der Vater die Tochter Jisehr grob und ungeschliffen traktire«, sie
nicht als Kind sondern als Sklavin behandele. Seit einigen Wochen
führe sie ein sehr verdrießliches Leben, »es ist zu bedauren wie sie
aussieht, sie weint mehr als sie laechelt, ... oft wünscht Betty in
Cassel bei ihnen zu seyn, und ich wünsche es mit«. Was immer
die Veranlassung des Zwistes, der damals zwischen Vater und
Tochter ausgebrochen, aber schon am 1. Oktober wieder beigelegt
war, gewesen sein mag, Matthaei's Äußerungen sind für den Alten
belastend.
Es tritt nun leider in dem Briefwechsel, veranlaßt durch Raspe's
Schuld, eine längere Pause ein. Matthaei hatte Leipzig im Frühjahr
1 768 verlassen und durch Geliert's Verwendung eine Hofmeisterstelle
bei einem Kaufmann in Zittau erhalten. Von dort knüpft er am
6. März 1768 die unterbrochenen Beziehimgen mit Raspe wieder an.
Worte des herzlichsten Dankes sind es, die er dem Freunde zollt
für alles, was er durch seine Vermittelung in Leipzig angenehmes
genossen habe. » Wann das Leben heist, wo man in einer Ruhe und
Glückseligkeit sich und die Welt zufrieden betrachten, und ungestoert
genießen kann, so habe ich nicht laenger als ein einziges Jahr gelebt,
und dieses ist der Anfang da ich Mis Betty kennen lernte. er Er
rühmt an ihr den Gewinn an Lebensart und Bildung, den sie als
Frucht aus dem Leipziger Aufenthalt gezogen habe, er erwähnt ihre
Vervollkommnung am Dresdener Hofe, sie sei der Liebling der ganzen
Stadt, und er sei glückselig gewesen sie zur Freundin — gehabt zu
haben. Also auch Matthaei hat entsagt. Wehmüthig klingt es aus :
«Doch dieser Sommer-Nachts-Traum ist vorbeyl Gerürt gebe ich
ihnen den Dank zurüke für dieses Glüke, welches ich vieleicht —
Gott weiß es — niemals oder nicht so volkommen in meinem Leben
gemessen werde 1« Ja, Matthei kommt noch weiter in seiner Er-
kenntniß ; er gelangt zu einer gewissen Erniichterung, die zum Theil
wohl erweckt und geiuLhrt wird durch die Öde und Leere der lang-
weiligen Stadt, in der er nun lebt, und durch die Unzufriedenheit
mit seinem Wirkungskreise. »Der Taumelkelch«, äußert er mit Bezug
1 Heyne an Raspe. Göttingen 27. April 1766.
• Matthaei an Kaspe. Leipzig 13. M&rs 1767.
.4-
122 • Carl Scherer,
auf seine Schwärmerei für die Schmeling am 7. April 1768, »hatte
mich so benebelt, daß ich berauj»cht nicht zu mir wieder selbst kommen
konnte, biß ich endlich und endlich — aber o wie spaet erwacht
die traurige Vernunft sähe daß bey derjenigen Betty, wo ich nichts
fand als: Grace in her steps, Heavn in her eye, in every gesture
dignity and lowe, ich mich endlich gezwungen fand zu sagen:
oh! tchy did God
Creator wise^ that peopled highess. Heaven
With Spirits masculine creaie at last
That novelty on earth, this fair defect
of Naturefv.
Schon im Mai gab Matthaei seine Thät^keit in Zittau auf; nach
kurzem Aufenthalt in Dresden, wo er ein ihm Ton Hagedorn ange-
tragenes Ämtchen als Unteraufseher am Kupferstichkabinet ablehnte
mit Rücksicht auf eine ihm von Raspe angebotene HofmeistersteUe
bei Herrn von Busche zu Bruche im Osnabrückischen, wandte er
sich, weil das Pflaster in der sächsischen Residenz zu theuer war,
nach Annabei^ zu seinem alten Freunde, dem Rektor Gotleber.
Auf der Fahrt nach Osnabrück sollte ein Aufenthalt bei Raspe ge-
nommen werden. Der Besuch in Cassel, das dem Reisenden sehr
mißfiel wegen der dortigen gesellschaftlichen Zustände, wurde aus-
geführt, die Weiterreise aber unterblieb, weil für Matthaei sich mitt-
lerweile bessere Aussichten auf eine Beschäftigung im Friesen'schen
Hause als Hofineister des jungen Freiheirn eröffnet hatten. Matthaei
nahm seinen Weg über Leipzig, wo Raspe's Briefe an Betty und
Weisse abgegeben wurden, und stellte sich dem Oheim seines Zög-
lings Grafen Werthem in Kreynitz vor;^ Mitte Oktober wurde nach
einem Abstecher nach Dresden Rötha, der alte Friesen'sche Stamm-
sitz, erreicht, » 3 Stunden von Leipzig . . . Ein kurzer Weg, oefters
Leipzig oder Betty zu besuchen. « Noch war die Messe nicht vor-
über, einige Tage der letzten Woche wurden in Leipzig verbracht;
wieder führte wie vormals täglich der Weg zu der Miß; gemeinsam
mit ihr wurde Abends zum Ärger des neidischen Zehmisch die Komödie
besucht. Schon am 19. konnte Matthaei an Raspe die ersten Grüße
übermitteln und hinzufugen »sie wird taeglich angenehmer, taeglich
liebenswürdiger, so wie der Haufe ihrer Anbeter taeglich sich auf-
haeuft und zerstiebt«.^ Von neuem rühmt Matthaei ihre Vervoll-
kommnung im Umgänge; ihre fortgeschrittene Bildung, ihre Muntei-
keit im Gespräche, ihre Gefälligkeit; Kauf- und Handelsleute,
1 Matthaei*8 Briefe vom 9. Juni 1768 — 9. Oktober 1768.
* Matthaerg Briefe vom 27. Okt. 1768 u. 7. Febr. 1769.
Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Besiehgn. zu Rud. Erich Raspe usw. "I 23
Studenten, Ladendiener, Schreiber, Duncen, Bauchhändlei und Fedei-
hüter umschwärmen sie wie Bienen. Unter den Liebhabern schmelzen c,
so scherzt Matthaei, »noch immer Junge Herren mit ihren Hofmeistem« ;
auch die Presse beeifert sich mit Buhmeserhebungen, Herr Hirsch-
feld, der eine Wochenschrift, den Winter betitelt, drucken ließ,
brachte in dessen 10. Stück Lobeserhebungen auf die »fürtreffliche
Schmel. mit ausgedruckten Namen in Schwobacher Schrift.«
Die Nachrichten über Elisabeth werden von jetzt ab spärlich;
der litterarische Streit mit Klotz, geführt von Lessing, Raspe, Nicolai
u. a. nimmt eines Theils den größeren Inhalt der Briefe ein, ander-
seits liegt der Grund darin, daß Matthaei in der Begel nur noch
zur Meßzeit nach Leipzig kommt. AuffaUend ist es, daß in den
Briefen immer die zunehmende Bildung der Freundin betont wird;
man wird gewiß hieraus einen negativen Schluß für die frühere Zeit
machen dürfen und das »Kleinparis« als ihre beste geistige Bildnerin
betrachten müssen. Sie war in der großen Stadt eine Andere geworden.
»Ihr Auge«, dünkt Matthaei, j» blickt nicht mehr die goettergleiche
Vnschuld, die ich 1766 sah, aber noch ist sie ein Engel und verdient
je eine Person glücklich zu sein, verdieut je eine unsere frommen
Wünsche, so ist sie es gewiß.« ^ Mit wie ganz anderen Augen Matthaei
aber seine Heldin jetzt ansieht, zeigt sein eifriger Wunsch, daß Raspe
nach Leipzig kommen möge, um wenigstens die Schrötern zu sehen;
sie sei ganz für ihn geschaffen, sie allein wäre schon die lohnendste
Vergütung für die Mühen einer Reise, Herr Tischbein könne ihm
als bester Grewährsmann einen Kommentar hierüber geben. ^
Raspe's Stellung zu Elisabeth hatte sich mittlerweilen auch wieder
geändert. Der Briefwechsel stockte; man hoffte, sich bald persönlich zu
sehen. Erst wartete Raspe das Eintreffen jener in Cassel ab, das
für 1767 und wieder für 1768 in Aussicht [genommen war, dann
kündigte dieser selbst einen persönlichen Besuch in Leipzig an, der
hinterher nicht zur Ausfuhrung gelangte. Zumeist aber fehlte es
doch, nachdem Matthaei sich von der Schmeling mehr zurückgezogen
hatte, an einer Mittelsperson, die in gleich eifriger Weise wie einst-
mals jener den Verkehr aufrecht erhalten hätte. Ein Brief Elisabeths
möge noch hier seine Stelle finden, weil er für lange Zeit dann die
Beziehungen schließt. Er lautet:
Leipzig 18, August 1768,
Sir,
I must beg Pardon for not answering Your letter sooner, which.
I would not kave faild to have done^ had it not been for the hopes
i Matthaei an Raspe. 8. Mai 1769.
^ Derselbe an Raspe. 13. Juli 1769.
t24 ^^^^ Seherer,
of seiitff Yau my seif this Summer in Oassel^ tchich now I must give
up, for there is no likelyhood of my coming this Year. Thus I must
Comfort myself wiih the hopes of having that Pleasure next Summer,
I am very much JRejoiced to hear that all my friends are well, and
that Fm StiU in their Kind Remembrens. Pray make my Complimenf
to them allj and teil them hoto much I loos being depreiv*d of their
Company, Likeunse I rejoice very much to hear, that You are so happy
establishedy and I toihs you may like that Toum better than You did
Hannover. IVhen You Rite to Your Sister make my Compliment to
heTy and Recomend me to her Kind Rememberence and friendship and
teil her how much I toish to have the Pleasure to See her ones more,
and if ever I ShuTd come to Braun — Schweig I whuld not faü to wait
upon her, My Papa presents his Compliment to You, and wihses
You all the contentment You can wish Yourself As does liketaise
Your
most humble Servt and friend
E. Schmeling.
Ab und zu kommt auch später noch eine Mittheilung Ton Rötha
her, aber die Tonart Matthaei's ist eine andere geworden als früher,
sie klingt kühl, sie ist ärgerlich. »Unsere Miß Betty «, so schreibt
er beispielsweise am 24. Mai 1770, »ist ganz Leipziger Stadt und
Ehren Dame, das Wort doch jederzeit in dem besten Verstände ge«
nommen; aber verteufelt geziert, ein bisgen coquet, und kann ant-
worten wie man will, soupirt, besucht Baelle und Comoedien, nimmt
Besuche an und spricht franzoesisch. Nun mein lieber Raspe, was
wollen Sie mehr, was wollen Sie mehr?«
Im Dezember 1770 verließ Matthaei mit seinem Zögling Rötha ;
der Besuch des Carolinums in Braunschweig war zunächst nach dem
Erziehungsplane vorgesehen, das Weihnachtsfest wurde bereits an dem
neuen Wohnort, der für den bildungsdurstigen Geist des Hofmeisters
in Folge seiner Bekanntschaft mit Ebert, Zachariae, Gärtner, Jerusalem
u. a. besonders erwünscht und angenehm erscheinen mußte, zuge-
bracht. Im Frühjahr 1771 löste Elisabeth Schmeling ihren Leipziger
Vertrag und kehrte der Stadt, der sie so ungemein viel zu danken
hatte, den Rücken. Wenige Monate später war sie als erste Sängerin
des Königs von Preußen in Berlin angestellt. Ebert, der im Herbst
des Jahres dorthin reiste und die »kleine Betty Schmeling« hörte,
»war mitten durch das Herz geschossen und seufzte«, als er nach
Braunschweig zurückkehrte. »Ernsthaft«, fügt Matthaei hinzu, jssie
soll in Berlin mit Ehre, Lob und allen Guten so ueberhaeuft sein.
Gtertrud Elisab. Schmeling u. ihre Beziehgn. cu Rud. Erich Raspe usw. |25
daB man fürchtet, es werde das Zu viele Gute ihr eben nicht dienlich
seyn; sie soll bereits eine ziemliche Dosis Buhlerey und Eitelkeit
haben und im Begriffe stehen sie zu verfeinern und voUkomner zu
machen. «
Raspe war kurz zuvor, ehe die Schmeling nach dort kam, in
Berlin einige Wochen gewesen; er hatte am 9. April die Tochter eines
Dr. Lange, Babette, mit der er sich im Herbst zuvor verlobt hatte,
als Crattin heimgeführt. 2 Jahre später that Elisabeth den gleichen
Schritt, indem sie dem Violoncellisten Mara die Hand reichte. Raspe,
der im eifrigen Briefwechsel mit einflußreichen Berliner Persönlich-
keiten schon vorher gestanden hatte und weiter noch stand, der gerade
jener Zeit nichts mehr betrieb, als einen Ruf an die Königliche Aka-
demie zu erhalten, ist doch nicht eher als im Herbst 1774 wieder
nach der Preußischen Hauptstadt gekommen. Daß er damals noch
einmal die Jugendgeliebte gesehen und gesprochen hat, ist nicht eben
unwahrscheinlich, hatte er sich doch noch kurz zuvor ihr, der Hoch-
gefeierten, in Erinnerung zu bringen gesucht, wie folgendes Schreiben,
dessen Entwurf sich im Nachlaß erhalten hat, beweist:
A Madame Mara
nee Smeling ä Berlin,
Cassell 27, March 1774.
Madame
Supposing that neither the dazzKng lustre of glory You live in
nor time and vidssitudes of Life can have cancelVd out of Your good-
naturd tnind Your sincerest friends abroad I venture to remind me
to Your remembrance by heartfelt congratulations and wishes, Tis
no courtiers bon paid to beauty and talents in highest favour, No
Tis friendship gladden'd by Your happiness and the greatest mans
Uving flattering applause; fis friendship sharing Your satisfaction in
every respect and evensdting in benevolence to You even toith the law-
reltd Hero at Sans-Soucy and the man You likemost, Theydid You
justice. I hope and unsh they will do So for ever^ and You not only
JSindly receive these mine and my ladies sentiments but likeunse allow
fne to be and order me to shew when occasions offer how much and
since rely I am
Madame
Your
most obedient humble Servant
Raspe,
126 - ^'^^ Soherer,
Als die Mara zum eisten Male wieder seit 1766 im Jahre 1777
nach Cassel kam, ^ um sich vor ihren Landsleuten als Meisterin des
Gesanges hören zu lassen, traf sie den Jugendfreund nicht mehr dort
an. Der Untersuchung und Strafe, die ihn wegen schwerer Ver-
untreuung; begangen in seinem Amte als Aufseher der Antiken treffen
sollte, hatte sich Raspe im März 1775 durch die Flucht entzogen;
steckbrieflich verfolgt, war es ihm gleichwohl geglückt, nach England
zu entkommen, wo er als Verbrecher und Verbannter seine letzten
Lebensjahre verbracht hat, die der deutschen Litteratur den » Münch-
hausen « zuführten. Während Elisabeth Schmeling unablässig empor-
strebend die steilsten Huhmeshöhen erstieg, war Rudolf Erich Raspe
hinabgestürzt in den tiefen Abgrund selbstverschuldeter Unehre und
Schande. Matthaei blieb dem Freunde treu bis zu dessen Katastrophe;
der letzte Brief an ihn ist in Wittenberg, wohin der junge Friesen
1 Die Mara gibt in ihrer Selbstbiographie Sp. 564 das Jahr 1777 als dasjenige
ihrer Heise nach Leipzig, Frankfurt, Cassel und Spa an, während sie in das Jahr
1778 einen Aufenthalt in Straßburg setzt. Grosheim, Das Leben der Künstlerin
Mara. S. 23 ff., läßt gleichfalls das erste Casseler Konzert 1777 stattfinden und
die Sängerin während der Pfingstzeit, also Ende Mai, in ihrer Heimath weilen.
Dagegen hat in dem von ihm gebrauchten Handkalender [im Besitz der Casseler
Landesbibliothek] Landgraf Friedrich II. eigenhändig zum 22. September 1778
vermerkt : AU^ a Cassel [näml. von Weißen stein, wo er residirte.] V Apres dind
pour un Grand Concert sur Le grand Theaire donne par M, ^ Mara, Daß diese
Angabe zuverläßig ist, mithin thatsächlich die Mara damals konzertirt hat, unter-
liegt keinem Zweifel. Es bleiben zwei Möglichkeiten, die Sch¥rierigkeit zu lösen ;
entweder, es sind 2 Konzerte gegeben, das eine 1777, das andere 1778, oder
es hat nur eins stattgefunden und zwar 1778. Im ersten Falle bleibt es auf-
fallend, daß der Landgraf, der doch gerade beim ersten Auftreten der Mara nach
ihrer langen Abwesenheit Yon Cassel zugegen gewesen ist und dabei letztere so sehr
auszeichnete, den Eintrag dieses Ereignisses in seinen 1777er Kalender yergessen
haben sollte; auch würde Grosheim, der in Cassel damals lebte, sicher von einem
zweimaligen Auftreten uns berichtet haben. Hat die Mara aber thatsächlich nur
einmal im Jahre 1778 gesungen, — bemerkenswerth ist dabei, daß mit des Land*
grafen Angabe, wonach das Konzert im Theater stattfand, auch die Berichte, die
ersteres in das Jahr 1777 setzen, übereinstimmen — so muß man den Biographien
eine Ungenauigkeit Yorwerfen. Grosheim, der als 13 jähriger Knabe dem Kon-
zert beiwohnte, kann sich wohl in seiner Erinnerung getäuscht haben, die Mara
selbst aber, die, wie wir wissen, sich im allgemeinen bei Abfassung ihrer Biogra-
phie auf ihr Gedächtniß verließ, hat möglicher Weise den zeitlichen Ansatz 1777
erst Grosheim's 1823 erschienenem Werkchen entnommen. Die beiden Casseler
Zeitungen aus jener Zeit gedenken leider des Auftretens der Mara mit keiner
Silbe, sonst würde die Frage unschwer zu lösen sein. — Ergänzend sei hinzuge-
fügt, daß in Weimar im Jahre 1778 2 Konzerte von der Mara gegeben sein müssen.
Sie sang am 8. Oktober auf der Bückreise Yon Straßburg (s. Keil a. a. O. Bd. I
S. 165 und Bd. II S. 152) und hatte, wie die Weimarer Fourierbücher (s. Qoethe-
Jahrbuch. VI S. 154) ausweisen, gemeinsam mit ihrem Manne auch am 21. Juli
desselben Jahres konzertirt.
Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre BesiehgD. zu Rud. Erich Haspe usw. f 27
mitsememEizieherim Frühsommer 1773 gegangen war, am 15. Jan. 1775
geschrieben. Goethe's » Götz « ist damals der Gegenstand ihrer Unter-
haltung; er hatte auf beide die gleiche gewaltige Wirkung ausgeübt.^
Matthaei hatte später Gelegenheit, Goethe, dem er als Student in
Leipzig unseres Wissens nicht naher trat, persönlich noch mehrfach zu
begegnen ; die Bekanntschaft, die vielleicht von Hannover aus durch
die Familie Kestner vermittelt war, wurde erneuert bei Goethe's
Besuche in Lausanne 1779^ und noch in den 80er Jahren erinnert
sich der Dichter in seinen Briefen an Lavater und die Marquise
Branconi des »guten Mattei«, der im Hause der schönen Frau seit
1777 als Hofmeister ihres Sohnes, des Grafen Forstenburg, weilte.
Matthaei starb am 19. Juli 1830 zu Neustrelitz als Mecklenburgischer
Titular-Legationsrath im 90. Lebensjahre. ^
^ Briefe Matthaei's 5. Okt. 1773 und 15. Jan. 1775 und Höpfner an Raspe.
Gießen 23. April 1774 im Weimar. Jahrbuch. Jhrg. UI S. 68.
< Die verstreuten Notizen über Matthaei werden an anderer Stelle vereinigt
werden. Über seinen Todestag s. Neuer Nekrolog der Deutschen. Jahrg. VIII (1830^
Th. II S. 966.
Die Entstehnngszeit der Oavertnre zn Leonore Nr. 1
Op. 138,
mit anschließenden kritischen Bemerkungen
zu Nottebohm's Beethoveniana.
Von
Albert Leyinsohn.
I.
Einleitung.
Es gilt heute als ausgemacht, dass die noch immer als Nr. 1
bezeichnete Ouvertüre Op. 138 der Entstehung nach nicht, wie
man früher annahm, die erste, sondern die dritte der vier Ouvertüren
zu Leonore-FideUo ist. Diese Änderung der chronologischen Be-
stimmung geht aus von Nottebohm's in der »Allg. mus. Ztg.« und
bald darauf in seinen Beethoveniana veröfTentlichten Aufsatze, und
sie ist durch seine Autorität zu allgemeiner Geltung gelangt. Eine
Würdigung der Argumente und ein auf Grund davon erhobener
Widerspruch ist enthalten in meinem Aufsatz in Nr. 50 der »Allg.
mus. Ztg.« von 1882, zum Theil veranlaßt durch das 1880 von Notte-
bohm herausgegebene Skizzenbuch von 1803, durch welches ein aus
der Entstehungszeit der (7 moU- Symphonie zu entnehmendes Argu-
ment entkräftet wurde. Daß meine Ausführungen irgend welche
Beachtung gefunden haben, ist mir nicht bekannt geworden (Notte-
bohm war gerade gestorben), und da die Frage ein nicht blos chrono-
logisches, sondern ein immerhin erhebliches musikalisches Interesse
hat, so möchte ich nochmals die Aufmerksamkeit auf sie lenken
durch eine ausfuhrliche Untersuchung mit Berücksichtigung der aus
dem Nachlaß erschienenen zweiten Beethoveniana Nottebohm's
(1887).
Es wird wohl Niemand leugnen, daß bei Vergleichung der drei
Ouvertüren in Cdur es sich als eine sehr natürlich scheinende
Die Entfltehungsseit der Ouyerture zu Leonore Nr. 1. i29
Annahme ergibt, daB Nr. 1 zuerst komponirt ist, und daß es bei
lediglich musikalischer Betrachtung eine gewisse Überwindung kostet,
zu glauben, sie sei erst nach den anderen beiden entstanden. Mit
diesen dreien, sowie mit der Oper, hat die 1814 komponirte Ouver-
türe in Ednx keinen Zusammenhang. Anders bei Nr. 1. Mit der
Oper verbindet sie der darin angenommene Anfang der Florestan-
Arie; eben das hat sie auch mit Nr. 2 und 3 gemein. Fernere
Ähnlichkeiten sind die TonaVt, die Einleitung, in der die Haupt*
tonart des Allegros noch nicht festgestellt wird, ein gewisser Charakter
des ufl/Ze^o-Themas, die Art der Einfährung oder Wiedereinführung
des Themas durch allmähliches Emporsteigen. Nr. 2 und 3 bieten aber
eine viel großartigere Ausführung dieser Ideen, und das Motiv der
Florestan-Arie, welches in Nr. 1 als Zwischenstück enthalten ist, ist
in jenen als zweites Thema zu einem organischen Bestandttheil des
AUegros geworden. Es erscheint durchaus verständlich, daß, was
man firüher für wahr hielt, Beethoven diese Ouvertüre als für den
Inhalt der Oper nicht großartig genug verworfen hat, und Thayer
hat sehr Unrecht, wenn er mit Berufung auf Nottebohm meint, die
vielen beredten Betrachtungen über die erstaunliche Fortentwicklung
von Beethoven's Schöpferkraft, wie sie sich in dem Fortschreiten von
Nr. 1 zu Nr. 3 zeige, seien mit einem Schlage der Thorheit und
Lächerlichkeit verfallen. Diese Betrachtungen waren vielmehr wohl^
begründet, und würden sich auch dann nicht als lächerlich erweisen,
wenn sie aufgegeben werden müßten. Sie sind sogar so gut be-
gründet, daß nur die unzweifelhaftesten Beweise uns nöthigen dürften
sie auftugeben.
Schlüsse auf die Handlungen der Menschen zu machen, ist und
bleibt eine unsichere Sache, und lächerlich wäre es, die Unmöglichkeit
behaupten zu wollen, daß sich Beethoven nach der Komposition der
großen Ouvertüren habe entschließen können, sich auf den beschränk-
teren Standpunkt von Nr. 1 zurückzuversetzen. Die aus der musi-
kalischen Vergleichung genommenen Prämissen ergeben höchstens
eine sehr wahrscheinliche Folgerung. Dazu aber, um diese »mit
einem Schlage « als unrichtig zu erweisen, gehört auch wirklich etwas
Schlagendes, eine sichere Thatsache. Statt dessen finden wir ein
etwas künstliches Gebäude von Schlußfolgerungen, bei denen einige
Skizzen und ihr chronologisches Verhältniß eine Hauptrolle spielen.
Dadurch erhält die Frage außer dem musikalischen Interesse noch
ein anderes; sie giebt Anlaß zur Prüfung, in wie weit solche Skizzen
überhaupt einen sicheren Anhalt zu chronologischen Feststellungen
bieten. Obschon bereits Andere, namentlich Jahn und Thayer, Skizzen
Beethoven's musikalisch und chronologisch benutzt haben, so
1893. 9
]30 Albert Levinsobn.
verdanken wir doch die Kenntniß eines großen Theils und die Erleich-
terung ihrer Yerwerthung ganz besondere den mit umfassender
Kenntniß und philologischer Sorgfalt unternommenen Veröffentlichun-
gen Nottebohm's. Das Verdienst dieser mühevollen Arbeiten hat
noch bei weitem nicht genügende Anerkennung gefunden. Es be-
steht nicht nur in der chronologischen Ausbeute, sondern vor Allem
in 'der Auswahl, Zusammenstellung und Interpretation von Skizzen,
wodurch uns ein lebendiges Bild de/ merkwürdigen Entwicklung
der größten Werke aus kleinsten Ansätzen und oft wunderlich
tastenden Versuchen gegeben wird. Auf dieses Verdienst geziemt es
mir hier hinzuweisen, weil ich als ein Opponent gegen manche
mehr oder weniger wichtige Einzelheiten auftrete; daß das nur ge-
schieht, indem ich auf dem vom Meister gebahnten Wege weitergehe,
spreche ich hiermit zum Beginn gern aus.
Die andauernde Beschäftigung mit einem wenig oder gar nicht
benutzten Material fuhrt aber leicht zur Einseitigkeit und XJber-
Schätzung, und davon ist Nottebohm nicht frei geblieben. Die
Bedeutung der gelehrten Forschung erscheint dann am größten,
wenn sie eine Annahme, welche bislang allgemein als eine natürliche
gegolten hat, als falsch erweist. Das befördert leicht die Neigung,
sich mit solchen Annahmen in Widerspruch zu setzen,, und in seiner
Wirkung führt es einen Cirkel herbei. Auf Grund des Ansehens der
gelehrten Forschung und der Autorität eines in einem gewissen Ge*
biet besonders Thätigen wird das Ergebniß anerkannt, und diese
Anerkennung wiederum dient zur Stärkung der Autorität, um so
mehr, je allgemeiner und scheinbar sicherer die umgestoßene Ansicht
in Geltung gewesen ist.
II.
Daten zur Geschichte der Ouvertüre Op. 138.
Nachdem ich mich durch Erinnerung an das an die Frage ge-
knüpfte Interesse und durch kurze Übersiebt über die Sachlage der
unparteiischen Aufmerksamkeit des Lesers versichert habe, gehe ich
zunächst an die Betrachtung der über die Ouvertüre Op. 138 vor-
liegenden Mittheilungen.
In der »Leipziger Allg. Mus. Ztg.« von 1828 wird (s. Nottebohm,
Beethoveniana S. 60) berichtet, daß Tobias Haslinger auf der Auktion
von Beethoven's Nachlaß unter Anderem für einen Spottpreis ein
Päckchen Tänze, Märsche u. dgl. erstand und darin die Partitur
nebst ausgezogenen Orchesterstimmen einher ganz unbekannten, großen,
charakteristischen Ouvertüre fand, welche der Meister, wie sich
Die Entstehungszeit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1 . ] 3 1
Schuppanzigb erinnerte, wohl Tor einigen Jahren probiren ließ, was
auch die eigenhändig mit Rothstift verbesserten Schreibfehler be-
zeugen. Die Partitur ist eine Abschrift; über das Autograph ist
nichts bekannt. In der Stimme der ersten Violine sind von Beetho-
ven die Worte »Charakteristische Ouvertüre« hinzugefügt. Sie wurde
1828 in zwei Konzerten aufgeführt, worüber mehrere Zeitungsbe-
richte vorliegen, nach denen zu urtheilen, seltsamerweise der Anfang
der Florestan-Arie und damit die Bestipimung der Ouvertüre nicht
gleich erkannt worden ist. In den bekannten gefälschten Studien
Beethoven's von Seyfried, welche 1832 erschienen, findet sich die
Mittheilung, es sei eine für die Prager Bühne entworfene minder
schwierige Ouvertüre zu Fidelio, und der Verleger Hashnger macht
dasu die Anmerkung, sie werde noch im Laufe des Jahres erscheinen,
Sie erschien aber mit der Angabe »komponirt im Jahre 1805 zur Oper
Leonore«, womit Seyfiried's Angabe übergangen war, da die Oper zum
ersten Male am 20. November 1805 aufgeführt worden ist, und
etwaige Unterhandlungen mit der Prager Bühne 1805 nicht statt-
gefunden haben können.
Nottebohm nun findet es unerklärlich, wie HasUnger zu dieser
abweichenden Datirung kommen konnte, und man hat darin ein Bei-
spiel für seine gel^entlich einseitige Betrachtungsweise. Denn unerklär-
lich ist es nur, wenn man die nächstliegende Erklärung abweist, näm-
lich daß er inzwischen andere Mittheilungen erhalten hatte, die er für
suverlässiger hielt. Geschäftliche Interessen können nicht mitge-
spielt haben. Daß Haslinger und Andere aus der musikalischen
Beschaffenheit der Ouvertüre auf eine frühere Entstehungszeit ge-
fichlossen haben, ist möglich, daß das allein der Grund gewesen
sein soll, von Seyfried's Angabe abzuweichen, nicht gerade wahr-
scheinlich. Selbstverständlich hat man sich damals in Wien über
die Ouvertüre besprochen, und da noch genug Musiker und nahe
Freunde Beethoven's lebten, welche die ersten Aufführungen mit-
erlebt hatten , so mochte wohl Einer oder der Andere sich einer
beiseite gelegten Ouvertüre erinnern. Schindler erzählt in der ersten
Auflage seiner Biographie, ohne Berücksichtigung der Angabe Sey-
fried's und der Geschichte von der zufälligen Auffindung: »Der
Komponist hatte selbst kein rechtes Vertrauen dazu, war daher ein-
verstanden, daß sie vorerst von einem kleinen Orchester bei Fürst
Liehnowsky versucht werde. Dort wurde sie von einer Kennerschar
einstimmig für zu leicht, und den Lihalt des Werkes zu wenig be-
zeichnend gefunden, folglich beiseite gelegt, und kam bei Lebzeiteii
Beethoven's nimmermehr zum Vorschein«. In den späteren Auflagen
hat er das, nach seiner leidigen Manier, theatralisch ausgeschmückt^
9»
1*32 Albert Lerinsohn,
und spricht von einem zu Gericht sitzenden Areopag. Nottebohm
greift das, als seinem Zweck, die Erzählung unwahr erscheinen za
lassen, dienlich auf und schreibt: «Da kann man doch fragen: Wer
hatte den musikalischen Gerichtshof eingesetzt, dem sich Beethoven
zu fügen hatte?« Es ist eine bedenkliche Art von Kritik, die sich
an diese Ausdrucksweise anschließt. G^gen den Inhalt der Erzäh-
lung ist nichts zu sagen; er erscheint ganz glaubhaft, und ob nun
das ürtheil seiner Freunde^ mehr oder weniger zu dem Entschloß
beigetragen hat, so wird man ihn jedenfalls ganz begreiflich finden.
Nicht nur an der Oper gemessen, sondern auch gegen die voran-
gegangene zweite und dritte Symphonie gehalten, erscheint sie klein-
lich, und steht dem Standpunkt der ersten Symphonie näher; Marx^
abweichendes ürtheil beruht auf seiner Marotte, immer den ersten
Wurf für den richtigen zu halten. Schumann schrieb über sie: »Sie
ist bis auf eine matte Stelle ein schönes frisches Musikstück und
BeethoTcn's gar wohl würdig. Einleitung, Übergang in's AüegrOy
das erste Thema, die Erinnerung an Florestan's Arie, das Crescendo
am Schluß — das reiche Gemüth des Meisters blickt aus allem
diesen«. Mehr wußte auch er nicht zu sagen.
Woher nun Schindler seine KenntniB hat, ist eben so wenig
bekannt, wie von HasUnger. Daß er nicht gerade allzu zuyerläßig
in seinen Mittheilungen ist, das ist genugsam bekannt. Dennoch ist
kein Grund, ohne Weiteres seine Angabe als &lsch, und die Has-
linger's als unerklärlich zu erklären, nur deshalb, weil man nicht
ihre Quelle kennt. Nottebohm bringt in Betreff des letzteren eine
sehr künstliche und unwahrscheinliche Vermathung vor. Er be-
hauptet, in jenem Jahre habe man von der Existenz der Ouvertüre
No. 2 nichts gewußt, sondern nur Nr. 3 und 4 gekannt. Das will
er durch einige Musikberichte aus den Jahren 1831 und 1832 be*
weisen, in dem Nr. 3 erwähnt wird, und nun meint er, Haslinger
oder sein Gewährsmann habe sich eingeredet, die Ouvertüre Op. 138
sei 1805 bei der ersten Auffuhrung gespielt worden. Die Verfasser
der Berichte mögen von der Existenz der Ouvertüre Nr. 2 nichts
gewußt haben ; aber daß man von Nr. 2 damals keine KenntniB hatte,
ist eine in ihrer Allgemeinheit falsche Behauptung. Schindler hatte
die Partitur von Beethoven kurz vor seinem Tode zum Geschenk
erhalten, und Seyfried konnte sich der zur Umarbeitung der Oper
gehörenden Umarbeitung der Ouvertüre auch noch vielleicht erinnern,
ebenso wie andere alte Bekannte Beethoven's. Jedenfalls aber mußte
er, der als Kapellmeister am Theater an der Wien an Aea Proben
und Aufführungen betheiligt war, wissen, daß nicht eine verhältnis-
mäßig zahme Ouvertüre, wie Op. 138, bei der ersten Aufifuhrung
Die Entfltehungsseit des Ouvertüre su Leonore Nr. 1. {33
gespielt worden war, sondern eine viel gewaltigere, welche durch
ihre Ausdehnung, ihren Charakter, durch das Trompetensignal, und
das Unisono der Geigen Aufsehen erregte. Eben darum ging ja auch
seine Meinung dahin, es sei eine nachkomponirte Ouvertüre. Wenn
nun dennoch Haslinger die Ouvertüre mit der Jahreszahl 1805 er-
scheinen ließ, so findet das seine ganz natürliche Erklärung darin,
daB er es besser zu wissen glaubte.
Andererseits ist aber auch Seyfried's Meinung nicht grundlos
gewesen. In dem in Weimar erschienenen Journal des Luxus und
der Moden aus dem Januar 1808 findet sich ein Auszug aus einem
Wiener Briefe mit der Mittheilung, Fidelio solle nächstens in Prag
mit einer neuen Ouvertüre aufgeführt werden, und Nottebohm sieht
darin ein besonders wichtiges Beweisstück. Genauer als er gibt
Thayer (Bd. Hl, S. 24) die Mittheilung wieder: »Mit dem größten
Verzügen gebe ich Ihnen die Nachricht, daß unser Beethoven so-
eben eine außerordentlich schöne, ganz seiner würdige Messe voll-
endet hat, welche am Feste Maria bei dem Fürsten Esterhazy auf-
geführt werden soll (d. h. im September 1807). — Beethoven's Oper
Fidelio, welche trotz aller Widerrede große Schönheiten enthält, soll
nächstens in Frag aufgeführt werden mit einer neuen Ouvertüre, --r
Die vierte Sinfonie von ihm ist im Stiche« etc. — »Dabei fängt er
bereits an einer zweiten Messe ano. Ebensowenig nun wie aus der
zweiten Messe etwas wurde, nicht einmal Anfänge sind bekannt
(Nottebohm hat ihre Erwähnung fortgelassen), ebensowenig wie aus
der Prager Aufführung damals etwas wurde (von Verhandlungen aus
damaliger Zeit ist keine Spur), ebensowenig braucht aus der neuen
Ouvertüre etwas geworden zu sein. Hätte er voreilig, was bei ihm, der
meistens mit bestellten Arbeiten im Rückstande war, schon sehr
merkwürdig wäre, die Ouvertüre geschrieben, warum ist sie dann
später, z. B. als die Oper 1810 in Prag aii%eflihrt wurde, nicht ge-
spielt worden? Von einem Projekt konnte Seyfried, ebenso wie jener
Korrespondent, gehört haben, und ich halte es fär höchst wahr*
scheinlich, daß beide eine Person sind, da Seyfried viel für Zeitungen
schrieb. Beethoven konnte sehr wohl unter der neuen Ouvertüre
die alte nicht bekannt gewordene verstehen. Er nahm es darin nicht
genau. Zu seiner Benefizvorstellung der dritten Umarbeitung 1814
zeigte er zwei neue Arien an; die eine war die Arie Rocco's, welche
1805 gesungen, aber später fortgelassen wurde. Noch etwas Anderes
ist möglich. Beethoven konnte eine Umarbeitung der Ouvertüre be-
absichtigen, wie er sie, nach von Nottebohm mitgetheilten Skizzen
1814 in £dur versucht hat. Es würde das über einen bisher nicht
beachteten Umstand aufklären.
^34 Albert Levinsohn,
Beethoven war eifrig bestrebt, alle Kompositionen, auch die
unbedeutendsteD, zu^verwerthen. Waram ist das mit der Ouvertüre,
die ein fertiges und seiner durchaus würdiges, für Verlegerzwecke
höchst brauchbares Werk war, nicht geschehen? Bis zum Jahre 1814
kann das seine Erklärung in der Absicht einer Umarbeitung finden.
Was hat nun Beethoven nachher mit ihr gemachte Nach Schuppanzigh
soll er sie später einmal haben durchspielen lassen. DaB sie überhaupt
einmal probirt worden ist, darauf deuten die eigenhändig mit Roth*
Stift gemachten Korrekturen. Die erste Violinstimme war ursprüng-
lich überschrieben:
Ouvertura
Violino I"*>.
Durch Beethoven's eigenhändige Zusätze sieht sie jetzt so aus:
Ouvertura in C
Charakteristische
Overture
Violino 1°^
So nach Nottebohm; nach Thayer (Chronologisches Verzeichnis
S. 64) vielmehr:
Ouvertura in C |J,
wobei das C mit Rothstift, das übrige Hinzugefugte mit Bleistift
geschrieben ist. Die Partitur scheint nicht besonders bezeichnet zu
sein. Es sind in ihr Änderungen vorgenommen, zum Theil nur an-
gedeutet, zum Theil sehr eingreifend (s. Nottenbohm, S. 77).
Daß Beethoven an eine Verwerthung dachte, geht daraus deut-
lich hervor. Nun fügte Schindler seiner Erzählung schon in der
ersten Auflage hinzu: »Herr Tob. Haslinger in Wien, welcher auch
diese Ouvertüre von seinem Vorgänger (Steiner & Co. ; früher Theil-
haber, wurde er 1826 alleiniger Inhaber) übernahm, ließ sie erst vor
wenig Jahren mit der Opuszahl 138 öffentlich erscheinende, und weiter-
hin berichtet er noch Genaueres darüber. Im Jahre 1823 wollte die
Firma Steiner & Co« Beethoven verlocken mit dem Antrage einer
Gesammtausgabe seiner Werke und der Annahme aller zukünftigen
Werke gegen einen festzustellenden Tarif, wenn er sich verpflichtete,
keins einem anderen Verleger zu überlassen. Als Pressionsmittel
brauchte die Firma ein große Forderung, welche sie an ihn in Folge
gemachter Vorschüsse hatte. Auf Anrathen seiner Freunde ging er
auf diese Vorschläge nicht ein und befreite sich von der Forderung
durch Verkauf einer Bankaktie. Vorher hatte er versucht, durch
seinen Anwalt Dr. Bach mit einer Gegenforderung aufzutreten,
Die Entstellungszeit der Ouvertüre £u Leonore Nr. 1. 135
nämlich, die seit lange sich in Besitz der Firma befindlichen Manu-
skripte: die erste Ouvertüre zu Fidelio, die Kantate: J)Der glorreiche
Augenblick t und mehrere andere noch sogleich zu publiziren. Nette-
bohm thut diese Mittheilung kurz ab: »Wie konnte BeethoTcn die
Herausgabe eines nicht druckfertigen Werkes fordern«? Dieser Ein*
wurf erledigt sich, abgesehen davon, daB die Änderungsversuche
nachträgliche sind und sich in den Stimmen nicht finden, schon
dadurch, dafi Beethoven eben nur die auf ihn ausgeübte Fression
vergelten wollte. Femer soll, nach Nottebohm, in dem 1815 mit
Steiner abgeschloßenen Vertrage die Ouvertüre Op. 138 nicht
enthalten sein. Ein Vertrag ezistirt aber nicht (s. Tbayer in, 33S),
und hat vielleicht nicht existirt. Vorhanden ist nur die nicht unter-
schriebene Abschrift einer Quittung Beethoven's über verschiedene
Werke vom 29. April 1815. Es sind später noch verschiedene, dort
nicht angeführte Kompositionen bei Steiner erschienen. Aus einem
Briefe an Haslinger vom 12. September 1822 theilt Thayer (Chr. Verz.
8. 89 und 120) die Stelle mit: «Anbelangend den Marsch (nämlich
aus den Ruinen von Athen) — so ist mir von selben die letzte Kor-
rektur zu schicken — ebenfalls von der Ouvertüre in Es (zu König
Stephan) — das Terzett (nämlich Tremaie empi), die Elegie (Elegi-
scher Gesang »Sanft wie du lebtest«), die Kantate (der glorreiche
Augenblick) — die Oper — heraus damit, sonst mache ich wenig
umstände damit, da eure Rechte schon verschollen sind, nur meine
GroBmuth gibt euch größeres Honorar dafür als ihr mir.a Femer
steht in dem bekannten Konversationsbuche von 1823, bevor Schind-
1er auf den Grafen Gallenberg und die Gräfin Julia zu sprechen
kommt: »Was sind Sie denn in BetreflF der Werke bei Steiner ge-
sonnen zu thun? — Noch längeres Stillschweigen? — Dr. Bach
fragte mich letzthin noch deshalb.«
Von der Ouvertüre ist keine Rede, und doch ist ein bloBer
Irrthum Schindler's nicht möglich, entweder hat er von ihrer Exi-
stenz gewußt, oder er hat seine Angaben einfach erfunden, um nicht
merken zu lassen, daß er von ihr nichts gewußt hat. In der spä-
teren Auflage beschuldigt er Haslinger geradezu der Lüge: »Es war
kaum zu bezweifeln, daß die Spekulation auf Beethoven's Ableben
gerechnet, um alsdann noch mit einer Reibe neuer Werke von ihm
hervortreten zu können. Somit erklärt sich die letzte Opuszahl
138 auf der großen Ouvertüre zu Leonore Fidelio.cr Li Betreff der
angeblichen Auffindung derselben sagt er: »Zur Zerstörung dieses
weit ausgebreiteten Lügengewebes wird eine von des Meisters Hand
im Monat Februar 1823 gemachte Kalender-Notiz — die vorliegt —
behiilflich sein. Diese bezeugt: Steiner haben die Sachen alle von
136 Albert Levinsohn,
1B14 — 1816.(r Damit ist gar nichts bewiesen, und jedenfiüls hat sicli
Schindler durch seine Feindschaft gegen Haslinger su Anschuldigun-
gen hinreißen lassen, welche bloB auf Kombinationen beruhen. DaA
die Partitur nebst den Stimmen sich wirklich im Nachlaß befunden
hat, kann nach ihrer Beschaffenheit yernünftigerweise nicht bezweifelt
werden. Falls etwa Haslinger darin ein ihm bereits gehöriges Werk
erkannt hätte, hätte er allerdings durch Gründe der Geschäftsspeku-
lation bewogen werden können, die Wahrheit zu verschweigen. Noch
zwei Bemerkungen sind zu machen. Erstens ist Op. 138 das einzige,
aus dem Nachlaß stammende, noch unbekannte Werk, das für einen
Verleger einen erheblichen Werth hatte. Wenn es in einem für
einen Spottpreis erstandenen Päckchen Tänze und Märsche gefunden
wurde, so konnte der Erwerber dadurch nicht rechtmäßiger Eigen-
thümer geworden sein. Wozu denn sonst die genaue Katalogisirung
des Nachlasses und Schätzung jeder einzelnen Nummer? Zweitens
ist es merkwürdig, daß sich eine ganze Partitur nebst Stimmen Ter*
krochen hat, während doch die gerichtliche Aufnahme des Nachlasses
und der Auktionskatalog unter Mitwirkung von Czerny, Hadinger
und Artaria au& Genaueste und Vorsichtigste gemacht worden ist
(s. Thayer, Chr. Verz. S. 173 ff.). In der Rubrik: Ausgeschriebene
Stimmen zu Beethoven'schen Werken steht unter 199: Zu einer
Sinfonie, Tänze, Marsch, verkauft für 40 kr., unter der Rubrik:
Geschriebene Musikalien verschiedener Kompositeurs:
212 Fidelio im Partitur
213 Ouvertüre in Partitur — 3- und 4 stimmige Gesänge
von Haydn, nebst 17 verschiedenen Stücken verkauft für
2 fl. 10 kr.
,214 Klavierkonzert von Beethoven in Partitur.
Vielleicht befand sich Op. 138 in 199 und 213.
III.
Die Ouvertüre Op. 138, die C moll- Symphonie und die
Cellosonate Op. 69.
Die Geschichte der Ouvertüre Op. 138 stellt sich nach Allem als
eine wenig gesicherte dar. Die Angaben von Schindler und Haslinger
sind nicht derart, daß sie als unbedingt zuverlässig zu betrachten
sind; ob es die aus einigen Skizzen gezogenen SchlüBe mehr sind,
ist nun zu untersuchen.
In dem Auktionskatalog sind 50 Nummern Notirbücher, Noti-
rungen und Notirbücher, Notirungen und Skizzen aufgeführt, wo-
Die EntBtehungSEeit der Ouvertore su Loonore Nr. 1. |3Y
nach die Untencheidung und Zusammenstellung gemacht worden
ist, ist nicht ersichtlich. Diese sind nun durch die Auktion in die
Welt Terstreut worden, und haben mannigfache Schicksale erlebt.
Einige Skizzenbücher sind vollständig erhalten und anscheinend von
Beethoven leei so in Gebrauch genommen worden, wie sie jetzt noch
sind« In ihnen sind Seiten üst oder ganz leer geblieben und so
können auch während des Gebrauchs viele leer geblieben, und erst
nachträglich benutzt worden sein. Es gibt auch Bücher, die zugleich
vom und hinten angefangen sind (s. Nottebohm, zweite Beeth. S. 171).
Also schon bei diesen Büchern können erhebliche Zweifel über die
chronologische Folge der Skizzen entstehen. Andere Skizzenbücher
sind unvollständig, es sind Blätter herausgerissen, andere Bücher
oder Stücke von solchen, oder einzelne Lagen und Blätter hinzuge-
bunden, ohne daß immer sicher zu sagen wäre, in welcher Verfassung
sie Beethoven gebraucht und hinterlassen hat. Andere bestehen aus
verschiedenen Lagen, welche Beethoven, t(i8 sie bereits zum Theil
benutzt waren, hat zusammenbinden lassen. Femer finden sich
Eonvolute von Blättern, die Beethoven zum Zweck der Aufbewah-
rung zusammengelegt hat; endlich einzelne Bogen und Blätter. Es
liegt auf der Hand, daß ein solches Material, welches noch dazu von
Jemandem herrührt, der das Gegentheil von Ordnungssinn besaß, in
vielen Fällen nur einen höchst unsicheren Anhalt für chronologische
Feststellungen bieten und zu allen möglichen Vermuthungen Anlaß
geben kann. Am allermeisten aber ist das natürlich der Fall bei
einzelnen Blättern, und solche sind das Material, mit dem die Ent-
stehung der Ouvertüre im Jahre 1807 bewiesen werden soll.
Nottebohm theilt einige kurze Skizzen zur Cmoll- Symphonie
mit, in deren Nachbarschaft solche zu der Ouvertüre vorkommen,
desgleichen ein zum ersten Satz der Cello-Sonate Op. 69 gehöriges
Stück, und dann sagt er: »Aus der Stellung und Beschaffenheit der
erwähnten und mitgetheilten Skizzen geht hervor, daß die Ouvertüre
begonnen wurde, als die Symphonie ihrem Abschluß ziemlich nahe
war, und daß sie im Entwurf fertig da stand, als die Sonate noch
im Entstehen begriffen war.cr Nun ist die vierte Symphonie 1806
vollendet worden, die fünfte frühestens 1807, die Sonate 1808. Wenn
nun auch jene Skizzen als ungefähr gleichzeitig geschrieben anzu-
sehen sind, so steht doch nichts im Wege, daß das 1805 geschehen
sein kann, und wenn wirklich nach den Skizzen die Symphonie dem
Abschluß nahe war, so mußte sie eben zurückstehen g^en die dringen-
dere Arbeit. Als Beethoven mit der Oper fertig war, da machte sich
eine Umarbeitung nothwendig, dann warteten seiner die von Rasou-
mowsky bestellten Quartette; noch vorher beendigte er für seinen
1 3S Albert Levinsohn,
eigenen Konzertgebrauch das Gdur-Konzert, schrieb für seinen Freund
Clement zu dessen Konzert das Violinkonzert; föhrte zunächst die
vierte Symphonie aus, obgleich sie später als die fünfte begonnea
sein muB, schrieb die Coriolan-Ouverture, welche er mit der Sym-
phonie und dem Klavierkonzert im Anfang 1807 in einem Konzert
ausführte, schrieb dann die von Esterhazy bestellte Messe, welche
im September fertig sein mußte u. s. w. Eine Symphonie, die im
Entwurf fertig ist, ist doch keine Naturgewalt, die in gesetzmäßigem
Verlauf der Endwirkung zustrebt, sondern eine von der Person ab-
hängige Schöpfung, die man nach Belieben, nach Umständen, wie
Dringlichkeit anderer Arbeiten, weiterführt oder zurückschiebt. Selbst
wenn die Skizzen die Arbeit in einem vo^eschrittenen Stadium
zeigen, so ist doch von ihnen bis zum Abschluß noch ein weiter
Abstand.
Die vorliegenden Skizzen geben überhaupt nur kurze Brocken.
Ein loses Blatt (wo es sich befindet, sagt Nottebohm nicht) enthält
auf der einen Seite folgende Skizzen:
1. 16 Takte vom Ende des Trios ^nd 3 Anfangstakte des Scfaersos.
2. 15 andeutende Takte aus dem Adagio.
3. 15 fernere Takte aus dem Adagio.
4. 16 Takte des Scherzos anscheinend vom Schluß.
5. 4 Takte aus der Mitte des l'rios (das Thema).
6. 8 Takte vom Schluß des Trios.
Auf der anderen Seite oben steht
7. ein rhythmischer Versuch der Überleitung zum Finale.
worauf Skizzen zur Ouvertüre folgen. Auf vier zusammengehörenden
Bogen (im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde im Wienj steht
auf der ersten Seite unter Anderem
8. ein fernerer Versuch der Überleitung zum Finale mit den 3 Anfangs-
takten desselben.
worauf 12 Seiten Skizzen zur Ouvertüre folgen, und hierauf eine zur
Cello-Sonate gehörige (ob sonst noch etwas auf den Bogen steht, ist
aus Nottebohm nicht zu ersehen).
Von allen diesen Stellen ist nur Nr. 5 (das Thema des Trios in
der Flöte) in der Partitur enthalten. Nr. 2 und 3 scheinen für das
Ende des Adagios bestimmt gewesen zu sein ; in der Partitur ist aber
von Nr. 2 gar nichts, von Nr. 3 nur ein gewisser, durch den thema-
tischen Zusammenhang bedingter Anklang enthalten. Nr. 4 gehört
zum Ende des Scherzos, vielleicht vor dem Finale. Auf dem liegen-
den as des Basses tritt das Thema ein ; aber der BaB verläßt das as
wieder. Die Versuche zur Überleitung in den */4~Takt des Finales
lassen von der endgültigen Fassung nichts ahnen. Nr. 1, 5 und 6
gehören zum Ende des Trios; dasselbe sollte danach in Cdur ab-
Die EntBtehungszeit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. 139
• ■
schließen, und das Scherzo ohne Überleitung folgen. Mit der Par-
titur haben sie nur den durch das Thema bedingten Zusammenhang.
Die in Nr. 6 angedeutete Engfuhrung kommt in dieser Weise nir-
gends vor.
Faßt man das Wenige zusammen, worüber diese Skizzen Aus-
kunft geben, so kann man nicht sagen, die Symphonie sei ihrem
Abschluß nahe gewesen. Die kürzeste und einfachste Form, das
Scherzo und das Trio, stehen danach in wichtigen Theilen nicht fest.
Über das Adagio geben die beiden Skizzen keine nähere Aufklärung,
der erste Satz wird gar nicht berührt, und es wäre Willkür, daraus
zu schließen, er sei fertig gewesen. Denn Beethoven hat an den
▼erschiedenen Sätzen eines Werkes meistens durcheinander skizzirt.
So sehr man sich auch hüten muß, blos aus inneren Gründen, auf
den Angaben von Haslinger und Schindler mit eigensinniger Zuver-
sicht zu bestehen, so sind doch diese Skizzen nicht der Art, um die
Unmöglichkeit ihrer Niederschrift im Jahre 1805 zu erweisen. Das
Stückchen der Cello-Sonate ist von noch geringerer Bedeutung.
Später mitgetheilte Skizzen zum letzten Satz derselben (s. Nottebohm,
Zweite Beeth. S. 533) stehen auf zwei zusammenhängenden Bogen
(wo, wird nicht gesagt), auf welchen der gedruckten Form nahe-
kommende Entwürfe zum zweiten Satz der Cmoll- Symphonie
vorkommen sollen. Nottebohm theilt nur die ersten Takte des
Themas mit, welches im Haßschlüssel steht und statt Sechzehntel
und Zweiunddreißigstel gleiche Sechzehntel enthält. Daneben theilt
er noch zwei Anfänge zum Scherzo der Sonate mit (S. 534), die auf
anderen Blättern ohne nähere Angabe vorkommen sollen.
IV.
Die Cmoll-Symphonie, das Klavierkonzert in Gdur und
die Oper.
Schon vor dem Aufsatz über die Ouvertüre Op. 138 hatte Notte-
bohm einige Skizzen zur C moU-Symphonie besprochen (vorher schon
von Thayer, Chron. Verz. S. 75 mitgetheilt) , welche die Idee der-
selben in ihrem allerersten Stadium zeigen. Der erste Satz erscheint
in embryonalem Zustande; kaum mehr als die ersten Anfangstöne
(ohne Fermate) und der Rhythmus ist festgestellt. Auf derselben
Seite steht ein Anfang zum zweiten Satz, überschrieben Andante quasi
Menuetto, dem die marschartige, sich jetzt unmittelbar an das Thema
anschließende Melodie folgt mit der Überschrift quasi Trio. Der
Anfang
140
Albert Levinsohn,
Andante quasi Menuetto.
^
gehört zu den merkwürdigen Dokumenten, welche uns über die all-
mähliche Entstehung der schönsten Beethoven'schen Melodien aus gans
unscheinbaren, fast trivialen Anfängen belehren. Es folgt ein ultimo
pezzo überschriebener Anfang scu einem Finale in Moll und Vs Takt.
Auf der nebenstehenden Seite beginnt ein Entwurf zum ersten Satz
des O dur-Konzerts, und Nottebohm weist mit Recht auf den rhyth-
mischen Zusammenhang des Themas mit dem des ersten Satzes der
Symphonie hin. Er stellt aber die Sache so hin, als wiese das
Nebeneinanderstehen darauf hin, daß der Entwurf zum Konzert als
eine Folge des vorangegangenen zur Symphonie entstanden sei. Das
ist aber nachweislich nicht der Fall, und es liegt damit ein deut-
liches Beispiel vor, wie leicht man mit Schlüssen aus den Skizzen
irre gehen kann.
Der erste Keim des Themas des Konzerts findet sich nändich
in dem von Nottebohm (1880) veröfientlichten Skizzenbuche von
1803, und zwar zwischen Skizzen zu den ersten Stücken der Oper.
Es sind die ersten fünf Takte, aber mit einem lahmen Abschluß auf
der Tonika, während jene längere Skizze in diesen Takten mit der
späteren Fassung nahezu übereinstimmt, und in dem gleich eintreten-
den Tutti die spätere Fassung vorbereitet ist.
Cimcerto.
S
E
-^
Tsr.
JS s_
m
^-
t
Concert [tempo moderaio).
Zu erwähnen ist noch, daß von den zwei Skizzen zum ersten
Satz der Symphonie die voranstehende kurze irgend einer mittleren
Partie angehört, die folgende, bei der bemerkt ist: Sinfonia presto
AIP I*'^, den Anfang zu geben scheint, obgleich sie, scheinbar in
(7moll beginnend, sich doch eigentlich mehr in j^^dur bewegt. Da
Die EntstehungSEeit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. ]4}
konnte man nun hin und herrathen, welche Skizze die früher ge*
schriebene ist, ob nach inneren Gründen die zweite, nach äuBeren
die erste.
Es folgt dann ein Entwurf zum Finale des Konzerts, interessant
dadurch, daB es mit der Figur anfangen sollte, welche jetzt zur Be*
gleitung des Chors der Gefangenen gehört Auf der folgenden Seite
steht eine Stelle aus dem Terzett der Oper (»Gebt euch die Hand
und schlieBt das Hand in süBen Freuden -Thränen.t) Nottebohm
schloB daraus, daB die Toranstehenden Skizzen in der ersten Hälfte
des Jahres 1805 geschrieben seien, weil die Oper frühestens gegen
Ende 1804 begonnen wurde. In Folge des erwähnten Skizzenbuchs,
dessen Hauptinhalt die dritte Symphonie betrifft, hat er seine Mei-
nung geändert, und verlegt den Beginn der Oper in das Jahr 1803
oder spätestens Anfang 1804, und in Folge dessen auch die erste Idee
zur Symphonie und zum Konzert. Bedenken, welche er etwa gehabt
haben mag, daB der Abstand zwischen den allerersten Au£seichnun-
gen zur Symphonie und den schon Torgeschrittenen, welche neben
denen zur Ouvertüre Op. 138 vorkommen, zu groB ist, als daB sie sich
zeitlich so nahe stehen können, hat er selbst dadurch beseitigt. Es
finden sich in dem erwähnten Skizzenbuche Skizzen zur CmoU-
Symphonie zwischen solchen zu den ersten Stücken der Oper. Diese
stehen zeitlich zwischen jenen ersten und den weiter vorgeschrittenen,
und die ersten werden dadurch weiter zurückgerückt. Jene Bedenken
sind also unter allen Umständen unerheblich; es wird dadurch, gleich*
viel ob die Oper erst Ende 1804 begonnen worden ist, die erste
Idee zur Symphonie als diesem Beginn vorausgehend festgestellt, und
jene auf den einzelnen Blättern stehenden, von Nottebohm im Zu-
sammenhang betrachteten Skizzen werden zeitlich auseinandergerückt.
Die Stelle aus dem Terzett ist zu irgend einer späteren Zeit ge-
schrieben, als die erste Skizze zur Symphonie.
Es sind nach Nottebohm einige zusammengehörende Blätter,
welche auf acht beschriebenen Seiten verschiedene Skizzen enthalten.
Die mitgetheilten Skizzen zur Symphonie stehen auf der zweiten
Seite, auf der dritten und vierten die zum Konzert, auf der fünften
die Stelle aus dem Terzett; was sonst noch etwa da steht, und wo
sich die Blätter befinden, giebt Nottebohm nicht an. Zufällig ersieht
man aus Thayer (HS. 115 und Chron. Verz. S. 75), daB sie sich
vom in einem Skizzenbuch befinden, welches früher Fetter in Wien
gehörte. Es enthält nach Thayer zu Anfang Skizzen zur Phantasie
mit Chor, die erst 1808 geschrieben wurde, auf Seite 6 die zur Sym-
phonie, auf Seite 9 die Terzett-Stelle und von Seite 15 bis zu Ende
(Seite 56) Skizzen zu den Quartetten Op. 18 und anderen Werken
] 42 Albert Levinsohn,
aus dem Jahre 1800. Es sind also einzelne BUltter, welche durch
einen Zufall vom hineingebunden worden sind^ und sie geben ein
Beispiel von der Unsicherheit des Materials.
Daß die Skizzen zur Symphonie keineswegs in ungefähr der-
selben Zeit geschrieben sind, wie die nur zwei Seiten von ihr ent-
fernte Terzett-Stelle, ergiebt sich deutlich aus dem Skizzenbuche von
1803 — 1804. Von Skizzen, welche dort von Seite 146 {wo die Skiizen
zur Oper beginnen) bis 157 stehen, fuhrt Nottebohm Folgendes an:
S. 146 und 147 Marcellinen-Arie, S. 148 Anfangs-Duett und
die ersten Takte des 6r dur-Konzerts , S. 150 — 152 Marcellinen-Arie,
S. 154 Duett, S. 155 das später gestrichene komische Terzett (s. Jahn's
Klavierauszug] und eine Skizze zum Scherzo der CmoU-Symphonie,
welche sich über S. 156 fortsetzt, und der eine Skizze zum Anfang
des ersten Satzes folgt, wonach dann noch Skizzen zu den genannten
Stücken der Oper, zum Quartett-Kanon und zur Rocco-Arie kommen
bis S. 171). Die Skizzen zum ersten Satz der Symphonie zeigen
einen bedeutenden Fortschritt gegen jene embryonalen Keime auf
den einzelnen Blättern. Die ersten 20 Takte stimmen nahezu mit
der Partitur. Die Fermate tritt aber nicht auf dem abschlieBenden
g ein, sondern nach einer zweitaktigen thematischen Verlängerung
mit einer Wendung nach der Dominante von Es dur, worauf dann
sofort das jetzige zweite Thema erscheint. Vom Scherzo bringt die
Skizze eine mittlere Partie, wonach die wichtigsten Ideen des Satzes
feststanden; der Keim zum Trio ist gegeben in einer Baßfigur in
Achteln. Bezeichnen wir das Skizzenbuch, von dem Nottebohm nur
die Seiten 5 — 9 betrachtet, mit A, das andere mit B, so folgen sich
die Aufzeichnungen der Zeit nach so:
Zuerst, mindestens einige Zeit vor Beginn der Oper S. 6 A
(Symphonie), dann S. 148 B (Thema des Konzerts), dann S. 155
— 157 B (Symphonie) und S. 7 u. 8 A (Konzert), endlich S. 9
(Terzett), und so sieht man ein, wie wenig Zusammenhang zwischen
S. 6 und S. 9 ist, und es ist ein lehrreiches Beispiel für die Be-
nutzung der Skizzen.
V.
Die von Schikaneder bestellte Oper, die Klavier-Sonaten
Op. 53, 54, 57, das Tripelkonzert und die Kompositionszeit
der Leonore.
Nach Treitschke, dem Regisseur und Theaterdichter der Hofoper,
dem Bearbeiter des Fidelio-Textes von 1814, erhielt Beethoven Ende
1804 den Auftrag eine Oper für das Theater an der Wien zu schreiben.
Die Entstehungsseit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. j[43
Nottebohm behauptet, seine Angabe sei nicht zuverlässig, und könne
ea nicht sein, weil er durch seine Stellung an einem anderen Theater
von den Unternehmungen des Theaters an dei Wien fern gehalten wor-
den sei, und mit dem, was dort vorging, nicht genau bekannt gewesen
adn könnte. Diese Bemerkung ist schon dadurch hinfällig, daß seit
dem Februai 1804 beide Theater, nachdem sie sich längere Zeit Kon-
kurrenz gemacht hatten, unter der einheitlichen Leitung des Baron
Braun standen, und SonnleHhner, der Bearbeiter der Leonore, als
Hoftheater-Sekretär nächster Kollege von Treitschke, und bis zum
August sogar Direktor des Theaters an der Wien war. Auch wurde
am 10. November eine Oper von Treitschke mit Musik von Salieri
am Theater an der Wien aufgeführt (s. Thayei II, S. 378).
Femer berichtet Treitschke, daß Beethoven kontraktlich freie
Wohnung im Theatergebäude hatte. Nun ist, nach Nottebohm, durch
Briefe zu belegen, daß er 1803 dort wohnte, nicht aber ebenso für
1804. Auch beruft er sich auf Ries und Sejrfried. Dieser sagt:
»Beethoven erhielt daselbst eine freie Wohnung«; Kies: »Als er
Leonore komponirte, hatte er für ein Jahr freie Wohnung im Wie-
dener Theater ; da diese aber nach dem Hofe zulag, behagte sie ihm
nicht. Er miethete sich also zu gleicher Zeit ein Logis im rothen
Hause an der Alserkaserne.«
Daß er in der Theaterwohnung die Leonore komponirt hat, geht
gar nicht daraus hervor; höchstens hat er die Wohnung gelegentlich
benutzt. Daß sie ihm in der That gehörte, beweist das Adreßbuch
für 1805 (s. Thayer II, 218). Allerdings aber hat er dort 1803 ge-
wohnt, in Folge seines Kontraktes mit dem damaligen Besitzer des
Theaters, Schikaneder, für den er eine von ihm verfaßte Oper schrei-
ben sollte, wobei er freie Wohnung im Theatergebäude erhielt
(s. Thayer n, S. 225); übereinstimmend damit ist seine Adresse an-
gegeben (s. Thayer II, S. 233j. Es sind also die gegen Treitschke
gemachten Bedenken hinfällig.
In Beethoven's Nachlaß hat sich ein größeres, nicht vollständig
fertig instrumentirtes Gesangsstück für vier Personen gefunden, aus
dem Nottebohm (Beethoveniana S. 82 ff.) das Schlußquartett mitge-
theilt hat, welches bekanntlich die Grundlage für das Duett von
Leonore und Florestan geworden ist. Es gehörte unzweifelhaft zu
der Schikaneder'schen Oper, welche nach den Namen zu urtheilen,
darunter Porus, Alexander in Indien behandelt haben wird. Skizzen
zu diesem Stück, sowie zu einer wahrscheinlich daran anschließenden
Arie finden sich in dem vorhin mit B bezeichneten Skizzenbuche auf
S. 96 — 120, bald nach den Skizzen zur dritten Symphonie. In einem
Briefe an Macco vom 21, November 1803 schreibt Beethoven: » — weil
144 Albert Levinsohn,
ich jetzt erst an meiner Oper anfange.« DaB er ernstlich an der Oper
gearbeitet hat, ist offenbar. Vielleicht wurde die Arbeit, zu der er
doch kontraktlich yerpflichtet war, durch den Wechsel des Eigen-
thümers unterbrochen. Dadurch, daß das Theater im Februar 1804
in den Besitz des Hoftheater*Unternehmers Baron Braun überging,
kam Beethoven in Berührung mit Sonnleithner. DaB dieser ihm
vorher einen Text für ein in erbitterter Weise konkurrirendes Theater
geschrieben haben soll, ist ganz unglaublich. So findet sich auch in
dem VerzeichniB der von 1 754 an aufgeführten Novitäten Treitschke's
Name als Textdichter erst nach dem Besitzwechsel (& Thayer II,
S. 375 ff). Im Frühjahr zog Beethoven aus dem Theater aus. Am
24. Juli 1804 schreibt er aus Baden an Ries: i»Ich hätte mein Leben
nicht geglaubt, daß ich so faul sein könnte, wie ich hier bin. Wenn
darauf ein Ausbruch des Fleißes folgt, so kann wirklich etwas Rechtes
zu Stande kommen.« Er hatte danach keine dringende Arbeit. In
einem Briefe vom 6. Juli (s. Thayer II, 8. 346) schreibt er an Wiede-
bein: »Wäre es jedoch gewiß, daß ich meinen Aufenthalt hier be-
hielte, so wollt ich Sie auf Glück hierher kommen lassen, da ich
aber wahrscheinlich den künftigen Winter schon von hier reise« u.8.w.
Nach allen diesen Umständen muß man annehmen, daß Treitschke
ungefähr richtig berichtet hat. Die Paer'sche Leonore wurde am
3. Oktober 1804 in Dresden zuerst angeführt, und Faer reiste darauf
über Wien nach Italien. Ob man bei der Wahl desselben zu Grunde
gelegten französischen Textes schon von der Existenz der Faer'schen
Oper wußte, oder wie vielleicht wahrscheinlicher ist, nicht wußte,
muß dahin gestellt bleiben. Die Faer' sehe Leonore wurde 1809 in
in Wien aufgeführt. Die geschriebene Fartitur ist in Beethoven^s
Nachlaß verzeichnet.
Es ist einzig die einseitige Verwerthung von Skizzen, die Notte*
bohm dazu gebracht, die Angaben von Treitschke zu bezweifeln und
es für undenkbar zu erklären, daß Beethoven die Oper in weniger
als einem Jahre vollendet haben könne. Auf Seite 120 des Skizzenbuchs
B folgen auf die Skizzen zu der Schikaneder'schen Oper sehr ausge*
dehnte, ununterbrochene Skizzen zur Klaviersonate in Cdur Op. 53 bis
Seite 145. Auf Seite 145 beginnen zwischen den letzten Skizzen zum
Rondo Skizzen zu einem AUegretto für Klavier in Cdur (zum ersten
Mal gedruckt in dem Nachtragsbande der Ausgabe von Breitkopf &
Härtel), die bis S. 155 reichen, also zwischen die ersten Skizzen sar
Oper, welche Seite 146 beginnen, fallen. Nottebohm schließt daraus,
daß die Sonate in den Skizzen fertig war, und aus der Kreuzung mit
dem AUegretto, daß zwischen ihr und dem Beginn der Marcellinen-
Arie nur kurze Zeit liegt. Nun ist die Sonate im Mai 1805 er-
Die EntstehuDgflzeit der Ouvertuire zu Leonore Nr. 1. ^145
^(flt
schienen, und somit stimmt Alles aufs Beste und weist wieder auf
das Jahr 1804. Nottebohm aber behauptet noch, daß Skizzenbuch
er^be, daß die Skizzen zur Leonore höchstens ein Vierteljahr später
als die zur Schikaneder'schen Oper fallen, und daß deswegen die
Komposition der Leonore wahrscheinlich zwischen Mai und Oktober
1803, sicher nicht später als Februar 1804 begonnen sei. Dabei
fuhrt er selbst den Zeitungsbericht aus dem Sommer über die fiir
Schikander zu schreibende Oper an; trotzdem soll Beethoven nach
dem Briefe an Macco Tom November schon den Text zur Leonore
in Händen gehabt haben, und das Alles nur, weil durchaus die in
dem Skizzenbuch vorkommenden Stücke hinter einander geschriebeü
sein sollen, während es in der That sich von Anfang 1803 bis gegen
Ende 1804 erstreckt. Nachdem die Oper bei Seite gelegt war, be-
Bchaftigte sich Beethoven mit der Beendigung der dritten Symphonie
gab ein großes Konzert (Christus am Olberg) und legte sich im
Sommer zueist auf die faule Haut. Bis zum Beginn der Oper hat
er dann die Sonate Op. 53 wahrscheinlich ziemlich beendet, die Klavier-
sonate Op. 54 angefangen (erschienen April 1806) und ebenso die
Sonate in jPmoIl Op. 57 (erschienen im Februar 1807), sowie an dem
Tripelkonzert Op. 56 (erschienen im Juli 1807) gearbeitet, von dem
sich Skizzen zum ersten Satze auf den letzten Seiten des mit B be-
^ebneten Skizzenbuches befinden. In diese Zeit fallen vermuthlich
die ersten Gedanken zur fünften Symphonie. Über die vierte ist bis
jetzt wenig bekannt; nach Thayer (U, S. 320) sollen Skizzen zu ihr
in unmittelbarem Zusammenhange mit solchen zur Oper vorkommen.
VI.
Das große Leonore-Skizzenbuch und die Klaviersonate
Op. 54 und 57, sowie das Tripelkonzert.
Skizzen zu Op. 54, 56, 57 stehen in dem großen Leonore-Skizzen-
buch, das von Thayer (H, S. 278 und 393 ff.) beschrieben und von
Nottebohm (Zweite Beethoven., S« 499 ff.) als Skizzenbuch aus dem
Jahre 1804 eingehend besprochen worden ist. Das Buch ist so, wie
es jetzt ist, nicht von Beethoven in Gebrauch genommen worden.
Das geht aus den Mittheilungen deutlich hervor. »Es ist durch
seinen Inhalt, seinen Einband und seine große Ausdehnung von ann
deren unterschiedene (Thayer). Es hat 346 Seiten, die doppelte Zah*
der übrigen größeren Skizzenbücher. Im Auktionskatalog ist ein
»großes Notirbucha angegeben; mc^licherweise ist es dieses, und dann
hätte Beethoven das Durcheinander der Skizzen veranlaßt, indem er,
1893. 10
146 Albert Lerinsolm,
Vielleicht als er im Frühjahr nach Hetaendorf sog, die yerschiedenen
zerstreuten Skizzen zu bequemerer Aufbewahrung binden lieB. Nottebohm
behauptet, es seien beim Binden Blätter verbunden worden und andere
hineingebunden, die nicht dazu gehören. Er ist aber dazu veranlaftt
worden offenbar einzig deswegen, weil sich Skizzen zum i^dur-Quartett
Op. 59 darin finden, welche nicht in das Jahr 1804 hineinpassen.
Auf Seite 182, 187—198 und 203 stehen Skizzen zur i^oU-Sonate;
die Seiten 183 — 186 enthalten Skizzen zum Quartett (was man erst
durch Vergleichung von Thayer 11, S. 398 und Nottebohm a. a. O.
S. 81, 409, 437 herausbringt). AuBer diesen letzteren wirft Notte-
bohm noch die Seiten 199 — 202 hinaus; was dort steht, wird nicht
mitgetheilt. Nur eine Stelle zum Adagio des Tripelkonzerts ' wird
(s. S. 41^j erwähnt. Skizzen zu diesem, sowie zu den anderen Sätzen
sind durch das ganze Ruch verstreut, so daB also diese Blätter eben-
so gut hinein gehören können. Die Skizzen zu anderen Instrumental-
werken kommen zusammenhängend vor, zum Finale der Sonate Op. 54
und zum Konzert S. 8 — 20, zum Konzert (nach Thayer) S. 136 — 143,
zur Sonate Op. 57 und zum Quartett S. 182 — 203» Diese gröBeren
Gruppen sind nicht von Skizzen zur Oper unterbrochen, und man
kann sich darüber, wie sie in das Buch hineingekommen sind, die
verschiedensten Vorstellungen machen.
Nach Thayer ist die Sonate Op. 57 erst 1806 entstanden; er
beruft sich auf Schindler, der sagt, Beethoven habe sie 1806 während
einer kurzen Hast bei dem Grafen Brunswick, dem sie gewidmet ist,
in einem Zuge niedergeschrieben. Dann müBte das Buch erst später
auf Veranlassung seines Besitzers gebunden worden sein. Auf S. 188,
also bei den Skizzen zur FmoU-Sonate steht mit groBen Buchstaben
geschrieben: Nel Terzetto gegen das Ende immer mehr pianissimo.
Diese Bemerkung kann ebenso gut früher, als später wie die be-
nachbarten Skizzen geschrieben sein. Seite 94 — 97 sind (nach Thayer)
fast leer, Seite 132 — 135 sind leer, ausgenommen drei Takte mit den
dem Worte »sterbe«; hätte Beethoven nachträglich diese Seiten be-
nutzt, so könnte man nun auch herumrathen.
Nottebohm beruft sich auf die Erzählung von Bies über die
Entstehung des Finales der Sonate, weil sie in das Jahr 1804 fallen
muB. In Wahrheit liegt aber darin nicht der geringste Beweis, daB
Beethoven damals die Arbeit an der Oper längst begonnen hatte.
Andererseits hat Thayer Unrecht, die Erzählung von Ries zu be-
zweifeln und zu meinen, er habe Op. 57 mit Op. 53 oder 54 ver-
wechselt. Nach Ries hat Beethoven auf einem von Dobling aus
(wo er im Spätsommer 1803 wohnte) mit ihm gemachten langen
Spaziergang immer herauf und herunter geheult und auf eine Frage
Die Entstehungsseit der OuTorture zu Leonore Nr. 1. 147
■ -■ - ■*
gesagt: »Da ist mir ein Thema zum letzten Allegio der Sonate ein-'
gefallena; zu Hause angekommen lief er, ohne den Hut abzunehmen,
an's Klavier »und tobte wenigstens eine Stunde lang über das nun
so schön dastehende Finale V. Das Erlebniß war ein zu denkwürdiges,
Ries ein zu bedeutender Musiker, als daß er sich geirrt haben sollte.
1806 warSies nicht mehr in Wien; im Sommer 1805 war er längere
Zeit verreist. Auch wollte Beethoven in Folge eines übel au%e-*
nommenen Scherzes mit dem ursprünglich zu Op. 53 gehörigen An-
dante in jPdur seine neuen Kompositionen nicht mehr in seiner
Gregenwart spielen ^ so daß Ries das Zimmer verlassen mußte, als
^Beethoven Freunden aus der Oper vorspielen sollte. Übrigens kann
auch Schindler Recht haben; seine Angabe bezieht sich eben dann
nur auf die Niederschrift.
Übrigens betreffen die erwähnten Skizzen zur Sonate nicht den.
letzten Satz selbst^ sondern nur die Überleitung nebst dem Hauptmotiv.*
Vor, zwischen und nach diesen Skizzen stehen solche zum ersten
Satz, von denen nach Nottebohm die auf Seite 190 später als die
auf Seite 192 stehenden geschrieben sein sollen. Dazwischen stehen
Skizzen zu den Variationen des zweiten Satzes ohne das Thema. Auf
Seite 191 oben steht eine kurze Skizze, überschrieben ultimo pezzo^
die Nottebohm für einen verworfenen Anfang hält. Wenn man aber,,
statt lediglich auf die Überschrift, auf den Inhalt sieht, so wird man
dem schwerlich beistimmen können; sicherlich ist es kein Anfang.
Darunter stehen durcheinander Skizzen zum zweiten Satz und zur
Uberleitiung zum Finale. So sieht das Material aus, das zu chrono-
logischen Schlüssen benutzt werden soll. Nottebohm folgend müßte man
auch von der Sonate sagen, sie sei bereits 1804 »ihrem Abschluß
nahe gewesen«, und doch ist sie eist 1806 niedergeschrieben worden.
Um so weniger darf man sich wundern, wenn es mit der Cmoll-
Symphonie ähnlich gegangen ist.
VIT.
Die Beendigungszeit der Oper, die Leonoien- Arie de
ersten, zweiten und dritten Bearbeitung, die Ouvertüre
zu Leonore Nr. 2 und das Motiv aus der Florestan - Arie
in seinen verschiedenen Gestaltungen.
Auf Seite 26t des erwähnten großen Skizzenbuches findet sich
ein Anfang in £«dur, überschrieben »Overturir, auf Seite 291 bei Skizzen
zum Schlußehor die Bemerkung : vam 2. Juni — Finale immer simpler
alle Klaviermusik ebenfallst u. s. w. Nach Nottebohm soll der Juni 1804
10*
\4tS Albert Levinsohn.
gemeint sein: nDie Ouvertuie war noch nicht angefangen, die Arbeit
zum Finale kaum über ihr erstes Stadium hinaus, andere Stücke des
zweiten Aktes waren noch nicht vollendet, als die Bemerkung ge-
schrieben wurde«. Jene Bemerkung nun steht, wie zufallig aus
Thayer (11, S. 278) zu ersehen, in der oberen äußeren Ecke, kann
also zu irgend einer Zeit geschrieben sein, und es ist, wie ich denke,
am wahrscheinlichsten, daß dies geschah, nicht als die Skizzen ge-
schrieben wurden, sondern als das Finale ausgearbeitet wurde. Damit
würde stimmen, was Treitschke sagt, Mitte 1805 sei die Oper ziem-
lich beendet gewesen.
Die letzten Blätter des Buches geben zu mancherlei Betrach-
tungen Anlaß. Die letzten vier, S. 339 — 346, sind nach Nottebohm
einzelne, nicht zusammenhängende, in keiner chronologischen Fol^e
stehende, und sollen ursprünglich nicht dazu gehören. Sie be-
ziehen sich, nach ihm, auf Änderungen nach der ersten Aufführung,
ferner auf den zweiten und dritten Satz des Tripelkonzerts und auf
die Ouvertüre Nr. 2, Seite 345 — 346. Auf Seite 338 stehen aber
ebenfalls Skizzen zur Ouvertüre, dies scheint auch ein einzelnes
Blatt zu sein (s. Nottebohm, a. a. O. S. 452), und so sieht man wieder
nicht ein, warum gerade die letzten Blätter nicht hinein gehören
sollen. Zufällig ersieht man wieder aus Thayer, daß Seite 341 — 346
verkehrt gebimden sind, und so können die Skizzen zur Ouvertüre
keine Auskunft geben über das chronologische Verhältniß zu Nr. 1,
und schon gar nicht, wenn die daneben, z. B. auch auf Seite 346
vorkommenden Skizzen und Bemerkungen zur Oper sich auf die
Umarbeitung beziehen. Übrigens ist das sehr zweifelhaft, und es
können ebensogut Änderungen vor dem Abschluß der Arbeit sein.
Z. B. theilt Nottebohm ein Ende des Duetts zwischen Leonore und
Bocco im Kerker mit, welches keiner erhaltenen Bearbeitung entspricht,
und nach Jahn ist das Duett überhaupt nicht umgearbeitet worden.
Von den Skizzen zur Ouvertüre sagt Nottebohm, es lasse sich
kein zusammenhängendes Bild aus ihnen gewinnen ; viele verworfene
Skizzen kämen vor. Von dem Thema des Allegro erwähnt er nichts,
nichts von der Einleitung. Florestan's Melodie sollte in £dur ange-
bracht werden, wie in Nr. 2; das Trompetensignal ist in ^dur, wie
in der ersten Bearbeitung, angedeutet. Femer kommt eine aus der
Florestan- Melodie abgeleitete Schlußstelle vor, die mit Weglassung
der ersten Noten später angebracht ist, so daß man ihren Ursprung
nicht erkennt. Auf Seite 345 und 346 soll die Arbeit etwas vorge-
rückt sein. Nottebohm theilt die Florestan-Melodie in ^J^'T9kX Cdur
mit und einen anschließenden Versuch der Überleitung zu der Violin-
passage, wie sie Nr. 2 ähnlich zeigt. Weil die schöne Melodie infdur
Die Entstehungszeit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. 1A9
nack dem Trompetensignal, sowohl angehörig der Oper, wie der Ouver-
türe Nr. 3, in Nr. 2 nicht vorkommt, und ebenso nicht in dem Skizzen-
buch, so schließt Nottebohm, daß sie erst nach der Komposition von
Nr. 2 eingelegt wordmi ist. Nach Jahn ist aber die originale Partitur
nebst Abschrift von der ersten Bearbeitung des Quartetts vorhanden
kenntlich an dem ursprünglichen Trompetensignal in Triolen, wie in,
der Ouvertüre Nr. 2. Auch findet sich in Nr. 2 in der kurzen
Überleitung vom Trompetensignal zum Adcigio mit der Florestan-
Melodie dasselbe rhythmische Begleitungsmotiv, wie in Nr. 3 zu der
Melodie in jBdur. Das ist vermuthlich ein Überbleibsel der Idee
diese Melodie auch schon in Nr. 2 anzubringen. Wegen der großen
Länge des vorangehenden Durchführungstheils hat Beethoven darauf
verzichtet, und ist bei der Umarbeitung darauf zurückgekommen.
Es ist hier ein Beispiel von der einseitigen Ausnutzung der Skizzen-
bücher durch Nottebohm« Beethoven hat eben neben jenem Skizzen-
buche noch andere Bücher oder Blätter während der Komposition
benutzt. Es betrifft; nur einen Theil der Oper, von einigen Stücken
finden sich nur einige Andeutungen, und die umfangreichen Skizzen
zu anderen sind noch in sehr unfertigem Zustande. Es sieht fast so
aus, als habe Beethoven selbst die während des Winters theils viel-
leicht in kleinen Heften, theils auf einzelne Bogen geschriebenen
Skizzen zur Oper, sowie zu den Instrumentalwerken zusammenbinden
lassen, wobei denn noch viele Seiten leer gewesen sein mögen; so
erklärt sich das seltsame Durcheinander der Skizzen.
Erst nach dem SchluBchor auf Seite 333 — 337 kommt die Arie
der Leonore vor. Seite 331 und 332 hängen mit Seite 335 und 336
zusammen (s. Nottebohm, a. a. O. S. 452); Seite 333 und 334 ist also
ein einzelnes Blatt, was wieder auf die Entstehung des Buches hin-
deutet. Der erste Versuch an der Arie ist in Z>moll und JPdur.
Nun wird in einem Bericht über die erste Aufführung eine Sopran-
Arie in jPdur mit drei obligaten Hörnern und Fagott erwähnt, und
so hat schon Jahn vermuthet, daß es wirklich eine solche Arie ge-
geben hat, und Nottebohm hält das bun durch das Skizzenbuch für
erwiesen. Warum aber nicht das Einfachste annehmen, daß F ein
Druckfehler für E ist?
Die Texte von 1805 und 1806 stimmen allerdings nicht über-
ein, worauf sich Nottebohm auch beruft; der Text von 1805 soll der
verlorengegangenen Arie angehören. Er enthält zwei gleiche Strophen
von acht Versen, von denen die vier letzten sich wie ein Refrain
nahezu gleichen. Nun benutzte Beethoven die ersten vier Verse zum
Becitativ j»Ach brich noch nicht« etc. (das jetzige Recitativ gehört
erst der dritten Bearbeitung an), und zwar zuerst in Z>moll, und
j[50 Albert LeTinsohn,
dann in anderen Tonarten, welche auf den EbtuptsatE in £dur hin-
deuten. Auf seinen Wunsch vermuthlich sind dann zum Zwecke
des beabsichtigten Adoffios vier Verse hinzugedichtet und so ist der
Bau der Strophen zerstört worden. Aus Nachlässigkeit oder weil es
zu spät war, enthält der Text von 1805 diese Verse nicht Es ist
eine überflüssige Vermuthung, dafi es eine Arie in 2^dur gegeben
haben soll, die ebenfalls mit drei obligaten Hörnern und Fagott be-
gleitet gewesen sein soll. Die Sängerin, später als Blilder- Haupt-
mann berühmt, würde sich wohl dessen erinnert haben. Sie erzahlte
aber Jahn nur, daß sie vergebens Kämpfe mit Beethoven wegßxk der
ünsangbarkeit der Passagen gehabt habe; erst 1814 habe sie Ände-
rungen durchgesetzt. Die jetzige, im Adagio bedeutend vereinfachte
Arie mit dem neuen Recitativ ist zuerst bei Beethoven's Benefiz-
vorstellung am 18. Juli 1814 gesungen worden, und war mit der
Arie Bocco's als neues Musikstück angezeigt, Sie war bei den ersten
Aufführungen noch nicht fertig. Ein Berichterstatter schreibt: »Schön
und von vielem Kunstwerthe war die Arie in JEsdur (?) mit vier
obligaten Waldhörnern (?). Doch dünkt es Ref. als verlöre nun der
Akt am raschen Fortschreiten«. Treitschke, der drittte Bearbeiter
des Textes, sagt, sie sei später wieder fortgeblieben. Seltsamer Weise
findet sich (s. Nottebohm, a. a. O. S. 303] in dem bei den ersten Auf-
führungen gebrauchten, handschriftlichen Textbuche ein Text der
Arie mit acht Veisen Recitativ, wovon nur die vier ersten mit dem
jetzigen längeren Texte übereinstimmen, während der Text des Ada-
gios: «Komm, Hoffnung« fehlt. Jener Text ist jedenfalls von
Treitschke. Hat es nun etwa wieder eine andere Arie (in EsAxxri)
gegeben, die verschollen ist? Thayer ist schwankend.. Nottebohm
entscheidet sich, auf Grund von Skizzen, dafür, daß es nicht der Fall
ist. So wird es sich auch mit der angeblichen Arie in 2^dur verhal-
ten, und zwar trotz der Skizzen. Ist nun 1814 in den ersten Vor-
stellungen die alte Arie von 1806 gesungen worden, wie Nottebohm
meint? Ich glaube, nein ; denn sonst wäre an der neuen nichts neu
gewesen als das Recitativ. Entweder es ist gar keine gesungen
worden , oder es ist aus der früheren das Adagio , dessen Figuren
die unsangbarsten sind, fortgelassen worden.
Während der Komposition der Oper ist von den Instrumental-
werken, mit denen sich Beethoven gelegentlich beschäftigt hat, nur
die Sonate Op. 54 fertig geworden. Es ist durchaus nicht unglaub-
lich, daß er in nicht ganz einem Jahre die Oper vollendet haben,
soll; es ist sogar zu vermuthen, daß ihm kontraktlich keine längere
gewährt war. Der giöBere Theil dei in dem Skizzenbuch enthaltenen
Skizzen wird während des Winters geschrieben sein, und einige
Die EntotehuDgsseit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1.
151
Stacke mögen schon imFrühjahi fertig vorgel^en haben. Die Skizzen
suz OuTerture Nr« 2 können erst entstanden sein, nachdem die Melo-
die der Florestan-Arie ihre endgültige Fassung bekommen hatte. In
dem Skiaenbuche ist das, so yiel aus Nottebohm und Thayer's An-
gaben SU ersehen ist, noch nicht geschehen. Trotz einer Menge der
verschiedensten Anfänge und Versuche wird doch nur eine Melodie
erreicht, welche ungefähr die Grundlage der spateren bildet. Gerade
der charakteristische chromatische Schritt, den die Arie in der früheren
Bearbeitung hat, und übereinstimmend die Ouvertüre Mr. 2 und 3,
fehlt in den Skizzen zur Arie, während er in denen zur Ouvertüre
bereits vorhanden ist. Diese können sehr wohl geschrieben sein, als
die Ouvertüre Op. 138 bereits fertig war. Alle bisher bekannten
Skizzen reichen nicht aus, um die Unrichtigkeit dieser Annahme zu
beweisen. Von Interesse ist schließlich noch folgende Zusammen-
stellung der verschiedenen Fassungen des Anfangs der Florestan-
Melodie:
1) Skizse zur Arie*
2) Skiszezum iwei-lts^
tan Thema des Alle- ^^
^o«l.OuTertureNr.2zrz3
3) Skiue zum Ada-
gio vor dem Schluß
derOuvertureNr. 2.
?^
m*
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li
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aTirrfff^
4) Einleitunff der
OuTeituie Ifr. 2.
5) Adagio vor dem
Schluß der Ouyei^
ture Nr. 2.
V.J^.1^ I
^^nr ^ "^ff
6) Arie der zweiten Z
Bearbeitung.
7} Einleitung der
OuTerture m. 3
(zweite Bearbeitung).
8) Adagio in der
Ouvertüre Nr. 1
(Op. 138).
9) Arie in der dritten
Bearbeitung.
TTj-fn
fe*
m
p f. t f, f, I fr ji J.J^
«
] 52 Albert Lerinsohn,
Die Arie der ersten Bearbeitung fehlt. Da Nr. 6 und 7 über*
einstimmen, so könnte man vermuthen, daß die Arie der ersten Be-
arbeitung mit Nr. 2, 3, 4, 5 übereingestimmt haben kann, und da
nun Nr. 8 nicht mit diesen, sondern mit der zweiten Bearbeitung
übereinstimmt, könnte man femer vermuthen, Op. 138 sei erst nach
dieser komponirt. Allein bei den vielen Wandlungen, welche die
Melodie durchgemacht hat, ist das sehr unsicher; sie kann in der
Arie so gewesen sein, wie in der Ouvertüre Nr. 1, und nachher,
vielleicht durch Einfluß des instrumentalen Gedankens in Nr. 2 ge-
ändert worden sein. Der chromatische Schritt, der in der Skine
zur Arie noch nicht vorhanden ist, ist im Fidelio endlich wieder ent*
fernt worden, und so die früheste Fassung wieder au^enommen
worden; in Folge dessen fehlt jetzt zwischen Fidelio und Nr. 2 und
3 die Übereinstimmung; sie passen nicht dazu.
VIII.
Die Klaviersonate in £dur Op. 14, die Violinsonate in .^dur
Op. 12, die Klavierkonzerte in jBdur und Cdur.
Die Veröffentlichung eines zerstreuten und nicht leicht zugäng-
lichen Materials sollte so geschehen, daß die Benutzung erleichtert
wird. Dazu ist vor Allem nöthig die Angabe, wo es sich befunden
hat. Es ist seltsam, daß Nottebohm das öfters verschweigt,
wie schon gelegentlich bemerkt, und daß man oft nicht einmal er-
kennen kann, ob die Skizzen für sich allein oder in Verbindung mit
anderen, und mit welchen, vorkommen. Dies im Zusammenhang mit
der Unterlassung der Angabe mancher anderer wichtiger Umstände,
sowie mit der Art der Behandlung erweckt das Gefühl, daß dem
Leser eine Meinung nahe gelegt werden soll, statt daß ihm Material
und Gründe zu eigener Prüfung geboten werden. Daneben macht
sich die Neigung bemerkbar, die Überlieferungen der Zeitgenossen
gegen besonders auf Skizzen beruhende Kombinationen von manch-
mal künstlicher Art zurückzudrängen. Einige solche nicht nur in
chronologischer Hinsicht interessante Fälle sollen im Folgenden noch
besprochen werden.
Auf der ersten Seite von zwei zusammengehörenden Bogen
(j)die an der königl. Bibliothek zu Berlin aufbewahrt werden«,
wonach man einzelne Bogen vermuthen würde, während sie nach
Nottebohm's Ausdrucksweise in irgend einem Skizzenbuche vor-
kommen werden, das er nicht angiebt) steht eine größere Skizze
* Die Entstehungszeit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. J 53
mit dem Thema des ersten Satzes der Klayiersonate in £dur Op. 14
(erschienen Ende 1799), auf d6n folgenden Seiten Skizzen zur
Yiolinsonate in ^dur Op. 12 (erschienen Ende 1798). Nach Notte-
boliin ist es fraglich, ob sie für Klavier oder mehrere Instru-
mente gedacht ist. Mir scheint das letztere unzweifelhaft. Umfang-
reiche und weit vorschreitende Skizzen zu den drei Sätzen der
.£dur -Sonate finden sich auf der letzten Seite eines Bogens, der
auf den vorhergehenden Seiten Skizzen zum zweiten und dritten
Satz des jBdur-Konzerts enthält. Das Thema des Rondos des Kon-
zerts hat den Rhythmus #^ I J /^ J statt ^ J ^ J I ; sonst ist es
wie jetzt (s. Nottebohm, a. a. O. S. 45, 69). Ein anderer Bogen ent-
hält auf allen vier Seiten Skizzen zum Konzert, von denen Notte-
bohm nur wenige Noten mittheilt. Auf der dritten Seite stehen
oben Nachahmungssätze, welche dem Unterricht bei Albrechtsberger
angehören. Da nun das Konzert nach Nottebohm im März 1795
gespielt worden ist, so schließt er, daß die Klaviersonate in JS dux
und die Violinsonate in ^dur auch bereits dieser Zeit angehören.
Noch andere, auf einzelnen Blättern vorkommende Skizzen zum
Konzert erwähnt er, fuhrt aber nur einen Anfang zum Rondo an,
der bereits den jetzigen Rhythmus hat.
Die Blätter mit den Skizzen zum Konzert befinden sich
zwischen allen möglichen in Unordnung zusammengehäuften aus der
Bonner Zeit bis an das Ende des Jahrhunderts reichenden Papieren,
welche zu chronologischen Feststellungen wenig geeignet sind.
Warum Beethoven den angefangenen Bogen nicht beiseite gelegt,
und gelegentlich als einen leeren zur Hand genommen haben soll,
ist nicht einzusehen. Nun hat Beethoven das Konzert später um-
gearbeitet, wahrscheinlich 1798 (s. Nottebohm, a. a. O. S. 73) und die
Skizzen könnten sich darauf beziehen, und somit wäre alles in bester
Ordnung. Zu dieser Umarbeitung finden sich Skizzen in einem
Skizzenbuch von 1798 (s. Nottebohm, a. a. O. S. 479). Sie betreffen
fast ausschließlich den ersten Satz ; worauf die Umarbeitung gerichtet
war, läßt sich nach Nottebohm nicht sagen. Aus dem zweiten Satz wird
nur an einer kleinen Stelle gearbeitet, und vom dritten Satz sind
nur wenige Takte aus der Mitte da. Jene anderen Skizzen aber
befassen sich hauptsächlich mit dem letzten Satz. Es ist also leicht
möglich, daß sie derselben Zeit angehören. Vielleicht ist das Rondo
an Stelle eines anderen hinzukomponirt worden; im Nachlaß hat
sich ein Rondo in J9dur gefunden, welches vielleicht ursprüng-
Uch dazugehörte. Wie dem auch sein mag, jedenfalls können
uns die angeführten Skizzen nicht zwingen, die Komposition der
] 54 Albert Leiinfohii,
Klaviersonate in £dur und der Yiolinsonate in ^dur so froh und
80 lange vor ihrem Eischeinen anzusetzen.
Nach Nottebohm hätte Beethoven bis 1800 in Wien nur das jBdur-
Konzert gespielt, obschon er bereits 1798 in Prag das (7dur-Konzert
gespielt hat. Das ist nicht glaublich, widerspricht auch dem Bericht
▼on Wegeier, dem aber Nottebohm keinen Glauben schenkt. Bs
ist festgestellt, daß Beethoven am 29. März und 18. Dezember 1795,
am 8. Januar 1796, am 27. Oktober 1798 und am 2. April 1800
ein Konzert gespielt hat; Wegeier, der bis Mitte 1796 in Wiai war,
kann also das Cdur-Konzert sehr wohl gehört haben, von dem Beet-
hoven selbst sagt, daB es das später komponirte sei. In der An-
kündigung des ersten Konzerts heifit es: ein neues Konzert, und
Nottebohm behauptet, erst 1800 habe er wieder ein neues Konzert
voi^etragen. Aber in der Ankündigung steht das nicht, nur in einem
Bericht, und also kann er auch früher, worüber Berichte nicht vor-
liegen, ein neues gespielt haben. Das 1800 gespielte könnte das in
CmoU gewesen sein. Das Manuskript hat die Jahreszahl 1800 und
nach Anspielungen in einem Brief an Hofmeister vom Dezember 1800
kann es zum Konzerte wohl fertig gewesen sein. Nach Wegeier
schrieb Beethoven das Rondo zum Cdur- Konzert drei Tage vor der
Auffuhrung unter Kolikschmerzen, gegen die er ihm Mittel eingab.
Am nächsten Tage, als in Beethoven's Zimmer Probe abgehalten
wurde, stand das Klavier für die Blasinstrumente einen halben Ton
zu tief, weswegen er nach b stimmen ließ und seine Partie aus eis
spielte. Nottebohm behauptet, es könne nur das Konzert in jBdur ge-
wesen sein. Es ließe sich nicht beweisen (?), daß das in C damals
fertig war. Das in B habe keine Trompeten und Pauken und darum
sei bei ihm eine Probe im Zimmer wahrscheinlicher. Eistens war
es eine erste Probe, mit vielleicht nicht vollständigem Orchester»
zweitens wohnte Beethoven damals zeitweilig beim Fürsten Lichnowsky.
Wegeier nennt sich in der Vorrede bescheidener Weise in Hinsicht
auf Musik nur einen schwachen Dilletanten. Das nutzt Nottebohm
gegen ihn aus, um sein Zeugniß 7u entwerthen, sogar die Ver-
wechslung von Leonore und Fidelio, die nicht ihm sondern Brenning
zur Last fällt, benutzt er dazu. Eine solche Kritik ist nicht ge-
eignet, VVegeler's Erinnerung an ein Ereigniß, welches sich ihm
als denkwürdig eingeprägt hatte, als unzuverlässig bei Seite zu
schieben.
Die Entstehungflseit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. ^[gg
IX.
Der Trauermarsch der Klaviersonate in .^^dur Op. 26.
Nottebohm schreibt:
»Ferdinand Ries sagt: Der Trauermarsch in ^moU entstand
aus den großen Lobsprüchen ^ womit der Trauermarsch Paer's in
dessen Oper Achüleus von d^i Freunden Beethoven's aufgenommen
wurde. (Von anderer Seite [von wem?] wird hinzugefugt, Beethoven
sei durch einen in Paefs Marsch vorkommenden Faukenwirbel zur
Nachbildung angeregt worden.) Diese Mittheilung kann nicht wahr
sein, weil Beethoven's Trauermarsch schon vor Mitte 1800 angefangen
war, und Paer's Achilleus erst am 6. Juli 1801 zum ersten Male in
Wien angeführt voirde.« Es soll das wieder aus Skizzen nachge-
wiesen werden. Nun sagt aber auch Czerny (was Nottebohm nicht
anführt): i»Die Marda Funebre wurde bei Gelegenheit eines damals
sehr beliebten Trauermarsches von Paer geschrieben und der Sonate
Op. 26 beigefügte. Es sind also zwei unabhängige sehr gute Zeugnisse
da. Das Skizzenbuch , auf das sich Nottebohm (a. a. O. S. 230 ff.)
beruft, enthält nach Skizzen zur Sonate solche zur Prometheus-
Musik, welche am 21. März 1801 zuerst au%efuhrt wurde. Vielleicht
war jener Marsch nicht aus Achilleus, was ja auch Czerny nicht
sagt, oder er konnte, da Paer in Wien lebte, bereits vorher bekannt
sein. Man muß doch bedenken, daß Ries, als die Sonate im März
1802 erschien, bereits in Wien und Beethoven's Schüler war.
In den Skizzenbüchem aber geht es oft seltsam zu, und das
Vertrauen, die Folge der Skizzen als chronologische Folge zu be-
trachten, ist nur unter Umständen . gerechtfertigt. Erst auf Seite 73
des Skizzenbuchs fangen die Skizzen zum Prometheus an und er-
strecken sich mit vielen Unterbrechungen bis zum Ende des Buchs
(S. 186). Im Anfang des Buches stehen Skizzen zu den Violinsonaten
Op. 23 und 24; die zu der letzteren kommen fast bis zu Ende des
Buches vor. Auf Seite 1 steht die »Rondo« überschriebene Melodie des
Bondos der Fdur-Sonate Op. 24, mit vier Kreuzen, trotzdem wohl in
2%dur zu lesen; femer vier Takte aus dem i^dur-Quartett Op. 18,
und weil nun dieses Quartett nach einer keineswegs sicheren Ver-
muthung im Sommer 1800 fertig war, so schließt Nottebohm ohne
Weiteres, daß auch alles Folgende bereits 1800 geschrieben ist. Er-
schienen sind die Violinsonaten im Oktober 1801.
Nun bedenke man aber Folgendes: Von Seite 44 an stehen
ziemlich weit vorrückende Skizzen zum ersten Satz der zweiten
1 56 Albert LeTinsohn,
Symphonie (welche Seiten sie einnehmen, ist nicht genau angegeben) .
Mitten zwischen ihnen stehen auf den oberen Zeilen einei Seite in
Reinschrift die ersten vier Takte der Sonate pathetiquey was Notte-
bohm mit den Worten abthut, ein ErgebniS sei daraus nicht 2u
ziehen. Die Sonate ist im Dezember 1799 erschienen. Da nun Beet-
hoven wohl nicht die Absicht haben konnte, die Sonate nochmals
in einem Skizzenbuche aufiEuschreiben , so bleibt kaum eine andere
Erklärung übrig, als daB er zum Theil bereits beschriebene Blätter
hat zusammenbinden lassen, wodurch denn eine chronologisclie
Yerwerthung in Frage gestellt sein würde.
Schon auf Seite 2 t findet sich ein Stück zum Finale der ^sdur-
Sonate; es sollte wohl der Mitte angehören, da die Stelle das Thema
Torauflsetzt, indem es in einer anderen Lage erscheint und dann eine
Yarürung im Triolen angefangen wird. Auf Seite 54 steht dann eine
im An&ng mit dem Druck übereinstimmende Skizze; die von Notte-
bohm mitgetheilte, auf Seite 159 stehende ist ebenso beschaffen. Nun
steht auf Seite 56 eine Skizze zum Trio des Trauermarsches und eine
zum Thema der Variationen mit der Bemerkung : eariee tutt a fatto -
poi Menuetto o qualche aliro pezzo charactertstica come p. JE. una Marcia
in as moll e poi questo, worauf ein Anfang im V4-Takt folgt, den Notte-
bohm für die Idee eines Finales hält, was richtig zu sein scheint.
Auf Seite 57 steht dann die erste Skizze zum Marsch, auf Seite 132
eine andere; über fernere Skizzen sagt Nottebohm nichts.
Dieser Zustand des Buches läßt wieder verschiedene Erklärungen
zu. Daß aber die Skizzen zum Marsche bereits Mitte 1800 ge-
schrieben sein müssen, ist viel zu viel gesagt. Beethoven kann das
Buch, wenn er es wirklich leer in Gebrauch genommen hat, vom
und in der Mitte (S. 73) ungefähr gleichzeitig beschrieben und nach-
her leere Plätze ausgefällt haben. Wieviel leere Stellen noch vor-
handen sind, sagt Nottebohm nicht. Irgend etwas muß doch an
den Angaben von Ries und Czemy wahr sein, und wenn Nottebohm
Recht hätte ; so müßte Beethoven zufällig einen Trauermarsch ge-
schrieben haben, bevor ein anderer von Paer bekannt wurde, und
aus später angestellten Vergleichen müßte der Irrthum jener ent-
standen sein. Ich bleibe vorläufig bei der Überlieferung.
X.
Die Phantasie für Klavier mit Chor und Orchester und
das Klavierkonzert in Esdui,
Auf Seite 255 a. a. O. behandelt Nottebohm ein Convolut von
24 Bogen imd zwei einzelnen Bogen, ferner einen früher bei Petter
in Wien befindlichen Bogen, indem er die Seiten ohne Weiteres
Die Entstehungflsseit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. j[57
durchnumeriit, und 27 in einander liegende Bc^en als ein Skizzen*
buch ansiebt. Wie abei die einzelnen Bogen eingerechnet sind, muß man
eist errathen. Der letztgenannte Bogen wird derjenige sein, der sich
nach Thayer (11, S. 115) zu Anfang jenes schon erwähnten Buches
findet, das ganz vom Skizzen zur Phantasie -mit Chor und danach
die allerersten Ideen zur CmoU-Symphonie enthält (s. oben S. 141).
Man liest leicht über diese seltsame Benutzung des Materials hin-
w^. Damit aber soll nun durch das Vorkommen von Skizzen zur Ein-
leitung der Phantasie mit Chor zugleich mit solchen zu Kompositionen,
die sEum Theil sicher dem Jahre 1809 angehören, bewiesen werden,
daß diese Skizzen nach der Auffuhrung der Phantasie im Dezember
1808 geschrieben seien, dafi also die jetzige Einleitung damals nicht
existirt habe. Zwischen Skizzen zur Phantasie für Klavier Op. 77
sollen solche zur Phantasie mit Chor vorkommen, und nach Angabe
des Erzherzogs Rudolf soll Op. 77 im Oktober 1809 komponirt sein.
Daran ist nur so viel wahr, daß in der abschriftlichen Sammlung,
welche sich der Erzherzog anlegte^ die Phantasie vom Oktober datirt
ist, was sich auf das Datum der Übereichung bezieht.
Im Original-Artikel (Musik. Wchbl. VII, S. 511 ff.), wo die zwei
Bogen noch nicht als zu den 24 zugehörig gerechnet werden, sind
Skizzen zu Op. 77 nicht bei den letzteren erwähnt; sie sollen jetzt
auf Seite 103 — 108 vorkommen; dies und andere Gründe lassen er-
rathen, daß Nottebohm die drei Bogen, wie um die anderen herum-
gelegt, gerechnet hat. Die 24 Bogen beginnen, nach dem Original-
Artikel, mit Skizzen zum jEsdur- Konzert; auf den zwei einzelnen
Bogen kommen (s. ebenda) Skizzen zum zweiten und dritten Satz
vor. Eine Brie&telle kommt auf Seite 7 der 24 Bogen vor, jetzt
offenbar auf Seite 13 (s. Nottebohm, a. a. O. S. 261), und ein nach
dem Original-Artikel früheres Blatt mit einer ähnUchen Briefstelle
wird jetzt als vorangehendes gerechnet
Nim scheint ziemlich sicher zu sein (s. Nottebohm, a. a. O.
S. 500 ff.), daß Beethoven während der Arbeit an der Phantasie mit
Chor gleichzeitig am £«dur-Konzert skizzirte. Mit der Y ermuthung,
der Anfang des ersten Satzes mit dem Klavier- Solo sei durch die
Einleitung der Phantasie hervorgerufen, hat Nottebohm gewiß Recht*
In dem von ihm (a. a. O. S. 455 ff.) besprochenen Skizzenbuche von
1808, das mit Skizzen zur Phantasie beginnt, findet sich auf Seite 53
ein Versuch der Einleitung für ELlavier, auf Seite 75 ein anderer:
(u. g. w.) ,
j[58 Albert Levinsohn,
in CmoU zu lesen, dessen Anfang in anderen Tonarten wiederkehrt.
Darauf folgen dann Skizzen znm ersten Satz des Konzerts. Die Ar-
beit an der Phantasie ist dann anderwärts fortgesetzt worden (Notte-
bohm, a. a. O. S. 500), und daB sich daneben Skizzen zum Konsiert
auf solchen BUttem finden können, ist sehr natürlich.
Die angefahrte Skizze hat mit der jetzigen Einleitung nichts
gemein, wohl aber mit dem Thema des Finales des Esint-KonzeTta,
was Nottebohm nicht bemerkt zu haben scheint. Auf Seite 1 1 des
Skizzenbuches findet sich Folgendes:
Yielleicht mit einem Quartett anfangen —
Finale welches sich mit einem Quartett in Eit anfängt —
Anfang.
wo die Beziehung zum Konzert, und zu dem vorhin angeführten
Anfang unverkennbar ist. Es scheint, als dachte Beethoven daran,
der Phantasie ein Finale in ^dur zu geben, welches sich selbst
oder in seiner Einleitung thematisch an das Klavier-Solo anschließen
sollte. Nottebohm interpretirt diese Stelle so, als wenn die Phan-
tasie damit beginnen sollte, obschon doch j» Finale a dasteht, und die
auf Seite 53 vorkommende Skizze
^^^^3^
^hißf f-
Anfang der
Phantasie. # ^
!• S^
k
-f-F
:t=r-
(u. 8. w« achttaktige Periode, ngt Fermate
auf g, worauf die marschartige Überleitung
beginnt).
hält er für die Idee eines Anfiings. Da nun jene andere Stelle erst
S. 75 vorkommt, so will er dadurch beweisen, daß Beethoven auf
den Gedanken, das Werk mit einer längeren Einleitung beginnen
zu lassen, erst später gekommen ist. Mir kommt das nur wie ein
unnöthiger kritischer Gewaltstreich auf Grund eines dürftigen Mate-
rials vor, und ich lasse mir dadurch nicht ausreden, daB gerade die
Einleitung durch eine Klavier -Phantasie, das Hinzutreten des Or-
chesters, und dann des Chors, was die eigenthümliche Grundidee des
Werkes ist, es auch von vornherein gewesen ist. Beethoven hat ein-
fach zuerst die Orchester-Partie vorgenommen, und die Einleitui^, die
nur in ihrer allgemeinen Idee feststand, bis zuletzt gelassen. Daß die
angeführten 8 Takte wirklich den Anfang des Werkes bilden sollten,
ist auf keine Weise glaublich.
Die Entstehungsseit der OuTerture zu Leonore Nr. 1. I59
Skizzen zor jetzigen Einleitung der Phantasie finden sich auf
Seite 92 der 27 Bogen, also zu den 24 Bogen gehörig, und auf den
hinsugefiigten Bogen, und die betreffenden Bogen scheinen auf den
firüher liegenden Seiten Skizzen zum Konzert zu haben. Ob nun
überhaupt, und auf welche Weise diese Bogen einmal zusammen
gelegen haben, das läßt sich nicht sagen; Nottebohm beschreibt auch
noch andere 8 und 2 Bogen mit Skizzen zum Konzert. Er beschreibt
ferner (a. a. O. S. 38) ein Skizzenheft zu den Ruinen von Athen:
»Die Bl&tter, Bogen und Lagen, aus denen das Heft besteht, sind
erst nach dem Gebrauch zusammengefadelt worden und liegen nicht
durchweg in der Ordnung, in der sie beschrieben w^irden.« Das
laBt sich hier, wo es sich nur um ein und dasselbe Werk handelt, leicht
feststellen. Wo die Skizzen verschiedene Kompositionen betreffen und
auf losen Bogen Torkommen, sollte man denn doch noch mifitrau*
ischer sein.
XI.
Die Violinsonate in G^dur Op. 96 und das Allegretto der
achten Symphonie.
In einem Skizzenbuch, dessen Beginn Thayer in das Jahr 1809,
dessen Fortsetzung er in das Jahr 1811 setzt, steht eine Posthorn-
FanfiEire und daneben: Fostillon von Karlsbad, wozu er bemerkt: es
müsse bei Beethoven's Ankunft in Teplitz, als die Erinnerung noch
frisch war, geschrieben sein. Ob ei meint, Beethoven müsse die Reise
über Karlsbad gemacht haben, ist unklar, jedenfalls kann die Notiz bei
Gelegenheit seines Aufenthalts in Teplitz 1811 geschrieben sein. Notte-
bohm nimmt die Sache sehr ernst, und behauptet, es müsse 1812 in
Karlsbad geschehen sein; sonst hätte Beethoven nicht schreiben können:
1 Fostillon von Karlsbad«, sondern er hätte anders schreiben müssen,
etwa: Fostillon aus Karlsbad od. dgl. (s. Orig.-Art. im Mus. Wchbl. X,
S. 214, in den zweiten Beethv. nur angedeutet, S. 290). Ich führe
das nur an als Beispiel, wie durch allzu tüftelnde Ausnutzung solchen
Materials vortrefi^liche Leute Gefahr laufen, in's Komische zu ver-
fallen.
Die chronologische Frage in Betreff des Skizzenbuches hat aber
in der That ein besonderes Interesse. Auf dem vorletzten Bogen stehen
auf drei Seiten Skizzen zum dritten und vierten Satz der achten Sym-
phonie, auf der vierten Seite und dem letzten Bogen Skizzen zurViolin-
sonate Op. 96. Da die Sonate im Dezember 1812 beiAnwesenheitBode's
in Wien beendigt worden ist, so meint Thayer, Beethoven habe die
Skizzen 1811 zurückgelegt. Nottebohm aber weist mit Recht auf den
160
Albert Levinsohn,
auch Yon Thayer citirten Brief an den Enhenso^ Rudolf hin, aus
dem hervorgeht, daB Beethoven das Finale mit Rücksicht auf Rode's
Wünsche geschrieben hat. Aus einem Briefe vom I.Juli 1816 geht
aher sogar hervor, daß er die Sonate auf Veranlassung des Erzhenogs
geschrieben hat, der sie mit Rode in einem Privat -Konzert vortrug.
Beethoven schreibt: »Ich darf wohl von Ihrer Gnade hoffen, daß Sie
der mir etwas freventlich (jedoch blos um der Überraschung willen)
erlaubten hier beigefügten Dedikation sonst keine Absicht beilegen.
Das Werk war für I. K. H. geschrieben, oder vielmehr hat es Ihnen
sein Dasein zu danken, v Die Sonate ist im Juli erschienen. (Das
dem Erzherzog gewidmete Trio Op. 97 erschien erst etwas später.)
In diesem Skizzenbuche nun, dessen Ende sicher an das Ende
des Jahres 1812 gehört, kommen Skizzen zum Allegretto der achten
Symphonie vor, dessen Thema aus dem auf Mälzel, den Erfinder des
Metronoms, geschriebenen Kanon stammen soll. Nottebohm sagt:
» Das Skizzenbuch widerspricht dieser Angabe nicht. Die vorkommen-
den Skizzen sind nirgends auf die Bildung jenes Themas, sondern
auf die Weiterführung jenes Themas und der darin enthaltenen
Motive gerichtet, lassen also eine frühere Entstehung des Themas
wohl annehmen.« Dazu theilt er eine Skizze mit, deren Anfang ist:
l)hema.
r.f f f " f
h^Lbf^i^
jjy'ji
^t '1^ f if r-1^
(U. 8. ▼.)
Man wird diese Skizze sehr wenig zu Nottebohm' s Worten stim-
mend finden, und vielmehr überrascht sein, sie noch so fern von
dem daraus entstandenen Allegretto zu finden, während dessen An-
I)ie Entstehungflzeit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1 .
161
fang genau dem Kanon entspricht. Es scheinen nach den ausfuhr-
lichen Angahen des Original -Artikels nur sehr wenig Skizzen zu
diesem Satz in dem Buche vorzukommen, und Nottehohm wird doch
sicherlich die «einem Zwecke noch am hesten dienliche ausgesucht
haben. Es überrascht in ihr vor Allem, daß der Rhythmus der gleich-
mäßigen Sechzehntel; der in dem AUegretto eine so wichtige Rolle
spielt und das Entstehen aus den Taktschlägen des Metronoms so
glaubhaft macht, hier nur im Anfang als Begleitung angedeutet ist
und gar nicht im Zusammenhang mit dem Thema selbst steht, wie
auch der Fortgang mit ihm gar keinen Zusammenhang hat, daher
auch nicht mit dem AUegretto. Man vergleiche dagegen den Anfang
des Kanons:
ta ta ta ta ta ta ta ia ta ta ta ta ta ta ta
u. s. w.
lie - her, lie - ber Mäl-zel, ta ta ta ta ta ta ta ta ta
Hier ist vollständige rhythmische und melodische Übereinstim-
mung. Besonders zu beachten ist, daß im Unterschied von der Skizze,
das melodische Motiv auf den zweiten Takttheil schließt. Ich halte
es danach für kaum möglich, daß die Skizze nach dem Kanon ge-
schrieben sein soll, und während man sich denken kann, daß der
Kanon oder das AUegretto aus dem Taktschlage des Metronoms her-
vorgegangen ist, ist das bei der Skizze nicht glaublich.
Diesmal bleibt Nottehohm bei der ÜberUeferung und beruft sich
auf Schindler's Erzählung, der Kanon sei 1812 bei einem Abschieds-
mahle improvisirt worden und daraus das AUegretto entstanden; hin-
gegen ist es Thayer, der die Richtigkeit bestreitet. Daß Schindler
als Ohren- und Augenzeuge berichten soU, darin hat Nottehohm sein
Gedächtniß getäuscht ; Schindler's erste flüchtige Bekanntschaft mit
Beethoven datirt erst von 18 14, sein näherer Umgang mit ihm von 1816.
Schindler nennt unter den bei jener Gelegenheit Anwesenden den
Ghrafen Brunswick, und da Thayer (III, S. 221, 235) aus dem Ver-
zeichniß der in Wien Angekommenen glaubt nachweisen zu können,
daß dieser von Februar 1809 — 1813 nicht in Wien war, so soll die
Improvisation 1813 im Frühjahr stattgefunden haben. Zu dieser Zeit
aber war die Symphonie bereits fertig (s. Brief an Varena vom 27. Mai
1813). Dennoch hält Thayer es für richtig, daß das Thema des Alle*
gretto durch das Metronom hervorgerufen worden ist; aus dem AUe-
1893.
11
\Q2 Albert Levinsohn,
gretto soll dann der Kanon hervorgegangen sein. Dann wäre die
Entstehungsweise verwickelt. Denn das Thema ist ersichtlich nicht
aus dem tatata hervorgegangen, sondern dieses ist ihm nachträglich
vorgesetzt. Daß das durch Erinnerung an das Metronom, bevor Beet-
hoven an den Kanon dachte, geschehen sein soll, halte ich für wenig
glaublich. Entweder hat er nachträglich eine Ähnlichkeit mit den
Taktschlägen herausgefunden und ist in Folge dessen auf den Kanon
gekommen, oder, da ihm gerade das Allegretto im Kopfe war, ist er
auf den Kanon gekommen, und erst so hat das Allegretto den An-
fang bekommen, der für das ganze Stück bestimmend geworden ist,
nämlich das Zwischentreten des ta ta ta zwischen dem Abschluß des
melodischen Motivs in BAvlt und dessen Wiederholung in GmolL
Gerade das Fehlen dieser Wiederholung des charakteristischen An-
fangs in der Skizze macht es sehr unwahrscheinlich, daB sie aus dem
Kanon, oder selbst auch nur aus den Taktschlägen des Metronoms
entstanden ist.
Zwei Konversationsbücher von 1820 und 1824 enthalten folgende
Äußerungen von Schindler: »Der Kanon, Motiv zum 2. Satz der
8. Symphonie. — Ich kann das Original nicht finden. Sie werden
wohl die Güte haben und ihn noch einmal aufschreiben.« — ferner:
»Ich bin eben im 2. Satz der 8. Symphonie — ta ta ta ta — der
Kanon auf Mälzel — Es war doch ein sehr lustiger Abend, als wir
diesen Kanon im Kamehl sangen. — Mälzel der Baß — Damals sang
ich noch Sopran — Ich glaube, daß es Ende December 1817 war.c
Hier ist nun nicht deutlich gesagt, daß das Allegretto aus dem Kanon
hervorgegangen ist; da aber Schindler, wie hierdurch bewiesen, sich
über das Allegretto wiederholt mit Beethoven unterhalten hat, iind
da er ferner die Sache so darstellt, so wird das auch wohl richtig
sein. Dann aber hat die Improvisation des Kanon im Frühjahr 1812
stattgefunden (daß Brunswick dabei gewesen sein soll, wird eben ein
Irrthum sein), und die Skizzen zur 8. Symphonie sind nicht, wie
Nottebohm meint, im Sommer, sondern spätestens schon während
des Winters und Frühjahrs geschrieben, und die vorangehenden Skixzen
zur 7. Symphonie fallen dann noch in das Jahr 1811. Das Skizzen-
buch spricht durchaus nicht dagegen. Es findet sich ein einzelnes
Blatt (S. 17 und 18) mit Skizzen zu den Ruinen von Athen, welche
im Sommer 1811 geschrieben sein müssen. Nottebohm behauptet
deswegen, es gehöre ursprünglich nicht zum Buche ; nach seiner An-
gabe, in welchem Zustande sich das Buch früher befunden hat (s. d.
Orig.-Art.), sind solche Behauptungen von der allerunsichersten Art,
und nicht mehr, wie das Posthornstückchen (das z. B. auch später
hineingeschrieben sein kann) geeignet, für die Chronologie der achten
Die Entatehungueit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. ( g3
Symphonie und insbesondere des Allegrettos als Quelle zu dienen.
Möglicherweise könnten die vonNottebohm nicht mitgetheilten Skizzen,
sowie etwa noch au&ufindende über dessen Entwicklung mehr Aus-
kunft geben.
XII.
Die Klaviersonate in ^dur Op. 101.
Das Autograph der Klaviersonate in ^dur Op. 101 hat die
Überschrift: »Neue Sonate für Harn ... 1816 im Monat November.«
Beethoven war, wie sich aus Briefen, welche in diese Zeit fallen, er-
giebt, über die richtige Verdeutschung nicht klar. Aus dem Auto-
graph sowie aus dem Datum des Erscheinens (23. Febr. 1817) soll
sich nach Nottebohm ergeben, daß Schindler und mit ihm Thayer
darin irren, daB die Sonate im Februar 1816 in Wien öffentlich ge-
spielt und das gedruckte Widmungsexemplar am 23. Februar 1816
versandt worden sei. Die Übersendung des Widmungsexemplars an
Frau von Ertmann ergiebt sich aus dem begleitenden Briefe vom
23. Februar 1816. Diese Datirung muB aber irrthümlich sein. DaB
es sich nicht etwa um eine Abschrift handelt , geht aus Briefen an
Haslinger hervor (s. Thayer III, S. 500 ff.), wo Beethoven nachträglich,
während die Sonate schon im Druck ist, den neuen Titel der Sonate
mit der Widmung mittheilt imd der Überraschung wegen um Still-
schweigen darüber bittet. Nach Briefen an Haslinger (Thayer m,
S. 494, 496) ist die Sonate Ende 1816 zum Stich gegeben, und es
ist jener Brief ein Beispiel, wie wenig zuverlässig Beethoven's Da-
tirungen sind.
Damit, sowie mit dem Autograph ist aber die Sache keineswegs
entschieden. Schindler berichtet, es sei die einzige Sonate gewesen,
welche zu Lebzeiten Beethoven's öffentlich gespielt worden sei; Beet-
hoven habe sie dem Spieler selbst einstudirt. Thayer giebt das Da-
tum des Konzerts als den 15. (?) 1816 (III, S. 328) an^ ohne nähere
Auakunfit. Ob sich nun Schindler in der Sonate, oder was wahr-
scheinlicher, im Jahre geirrt hat, ist ohne Weiteres nicht zu entscheiden.
In einem Briefe an Haslinger (Thayer III, 496) schreibt Beethoven:
»besonders giebt es Menschen, die mich wegen der schwer zu exe-
quirenden Sonate plagen v, woraus man eine zusichere Yermuthung
entnehmen könnte, die Sonate sei bekannt gewesen (nicht wegen
jenes Beiworts; denn das ist eine Beethoven'sche Anspielung auf
den Ausdruck eines Recensenten) . In einem anderen Briefe (Thayer III,
S. 494), in dem er die neue Sonate anbietet, schreibt er: »Ich habe
II»
f g4 Albert Lerinsohn,
auch Variationen im Sinne, welche auf einen besonderen Festtag
passeui und dann sogleich da sein könnten.« In einem Skizzenheft,
das fast ausschließlich das Finale der Sonate betrifft, finden sich da-
zwischen ein paar Takte mit den Worten : Christ ist erstanden Varia-
tionen (s. Nottebohm, Zw. Beethv. S. 555). Das sind die in dem
Briefe gemeinten (nicht die Variationen Op. 121a über den Schneider
Kakadu, wie Thayer sonderbarer Weise vermuthet). Auf den ersten
Seiten dieses Skizzenhefts stehen Skizzen überschrieben : Marsch ....
für die . . . . ; Nottebohm meint wieder, diese Blätter hätten ursprüng-
lich nicht dazu gehört, wahrscheinlich, weil er die Skizzen in Zu-
sammenhang bringt mit der Aufforderung, 1815 einen Marsch für
die bürgerliche Artillerie zu schreiben. Skizzen zu einem Marsch
finden sich in einem Heft aus dem Jahre 1815 (s. Nottebohm, a. a. O.
S. 315j; an diese oberflächlich sich anschließende, welche im Juni
1816 als Marsch zur großen Wachtparade ausgeführt wurden, stehen
am Ende eines Skizzenbuches, das Skizzen zum 2. Satz der Sonate
und den ersten Keim des Finales enthält. Dieses Buch reicht nach
Nottebohm von etwa Mitte 1815 bis spätestens Mitte 1816, in Wahr-
heit aber bis gegen Ende 1816. Es findet sich eine mit Bleistift
geschriebene Stelle: «Ich nahm die Wohnung indem ich dachte, daß
Ew. K. Hoheit mir einen kleinen Theil erstatten würden ohne dieses
hätte ich sie nicht genommen«. Nun enthält ein Tagebuch aus dem
Herbst die Worte: »Beeilung mit dem Trio an Seine K. H. Wegen
400 fl. * — alles eiligst — im Nothfalle schießt er auch vor«, und in
dem Briefe, mit dem er das Trio Op. 97 mit der Widmung über-
schickt, heißt es: »Übrigens denken Sie an keine Absicht dabei von
mir. Da aber die großen Herren schon gewohnt sind, irgend bei
dergleichen Eigennutz zu vermuthen, so will ich diesesmal auch
dieses Vorurtheil von mir scheinen lassen, indem ich mir nächstens
von I. K. H. eine Gnade zu erbitten habe, deren gegründete Ursachen
Sie wahrscheinlich einsehen und mir selbe gnädigst gewähren wer-
den.« Dieser Brief ist aus dem November 1816 (s. Nohl, Neue Briefe
Beethoven's, S. 115). Jene Bemerkung steht auf S. 95 des Skizzen-
buchs, die Skizzen zum Marsch, dessen Autograph vom 3. Juni datirt
ist, stehen S. 108 — 112. Bei der Beschaffenheit des Skizzenbuches
und dem Umstände, daß es sich über eine lange Zeit erstreckt, kann
wieder nichts Sicheres aus dem Vorkommen der Skizzen geschloßen
werden, und obschon ich vorläufig die Entstehung der Sonate im
Jahre IS 16 für wahrscheinlicher halte, so wäre es doch auch möglich,
daß sie bereits 1815 skizzirt und Anfang 1816 beendigt worden ist.
Zum Schluß noch ein Beispiel, welches das Mißtrauen gegen die
aus Skizzenbüchem gezogenen Schlüsse evident rechtfertigt. Notte-
Die £iitstehunf?szeit der Ouvertüre su Leonore Nr. 1. |ß5
bohm beschreibt (a. a. O. S. 463) ein kleines beschriebenes Heft^ in
welchem vom (S. 13} einige Skizzen und den Titel betreffende Be-
merkungen zur Schlacht bei Yittoria stehen, also zu einem 1813 ge-
schriebenen und 1816 veröffentlichten Werk, während der folgende
Inhalt viel spätere Kompositionen, die große Messe und die Klavier-
sonate in AsAnx Op. 110 betrifft, und zwar stehen auf S. 14. also
auf demselben Blatt, das auf der vorderen Seite jene Skizzen ent-
hält, Skizzen zum Agnus Dei der Messe. Nur zufällig sind wir hier
durch unsere Kenntnisse davor bewahrt, total falsche Schlüsse wegen
der Kachbarschaft von Skizzen zu machen, welche in Wahrheit viele
Jahre auseinander liegen. Lägen sich die betreffenden Werke näher,
so könnten die Schlüsse ganz plausibel erscheinen, und dennoch
gänzlich verkehrt sein. Es scheint überhaupt, als wenn Beethoven
gar nicht oder sehr selten hübsch ordentlich ein frisch eingebundenes
leeres Heft oder Buch zur Hand genommen hat, sondern zunächst
Blätter und Bogen beschrieben, sie dann zusammengelegt, und je
nach Umständen hat einbinden lassen, wobei dann später die vielen
leeren Seiten und Stellen nach Zufall benutzt worden sind. Es ist
wohl nicht zu läugnen, daB ein einziger Fall, wie der erwähnte hin-
reicht, um die Schlüsse, welche aus den auf losen Blättern und
Bogen stehenden Skizzen zur Ouvertüre Op. 138 und zur (7moll-
Symphonie gezogen worden sind, als nicht im Geringsten zwingende
erscheinen zu lassen.
Fälschnngen in Schubert' s Liedern.
Von
Max Friedlaender.
Das Mißgeschick y das Franz Schubert, diesen an Geld und äuße-
ren Erfolgen ärmsten unter unseren Meistern, sein ganzes Leben
hindurch verfolgte, ist ihm bis über den Tod hinaus treu geblieben.
Keines anderen neueren Tonkiinstlers Werke sind in so fragwürdiger
Gestalt verbreitet worden, wie viele der bedeutendsten Lieder Schu-
bert's, und es hat ihrer ganzen leuchtenden Schönheit bedurft, um
trotz der VerbaUhomung ihren Werth erkennen zu lassen. — Wenn
Mosel in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts HändeVs Samson,
Jephta, Salomo eigenmächtig umgestaltete, so hatte er doch wenig-
stens den Muth, die Schlimmbesserung mit seinem Namen zu ver-
treten. Anders verfuhren die Schubert- Bearbeiter; sie blieben in der
Anonymität und bürdeten dadurch dem Komponisten selbst die Ver-
antwortlichkeit für die gefälschten Lesarten auf.
In der deutscheu Litteratur haben wir ein ganz ähnliches Bei-
spiel von starker Willkür Seitens des berufenen Herausgebers erlebt:
die Umarbeitung und Stilisirung der Hölty' sehen Oden durch
Johann Heinrich Voss. Ein volles Säculum verging, ehe die richtige
Form von Hölty's Dichtungen zur Wiederherstellung kam; nicht ganz
so lange Zeit, aber immerhin mehr als fun&ig Jahre dauerte es,
bis in Gesängen wie Schuberts Müllerliedern, der Winterreise, dem
Erlkönig u. v. a. grobe Fehler erkannt und ausgemerzt wurden.
Bei beiden Bevisionsarbeiten hatten die Neuherausgeber die Freude,
zu sehen, wie die restitutio in integrum in allen Fällen mit einer
Verschönerung gleichbedeutend war.
An den Fälschungen der Schubert'schen Lieder trugen Schuld:
die sogenannten Revisoren, die »Verbesserungen« in der Sing-
stimme und in den Harmoniefolgen vornahmen, und die Sänger»
die die Melodien durch »embellissemenfsd zu verzieren glaubten.
Ffilschungen in SofauberU Liedern.
167
Die Ersteren waieu giammatikfeste Musiker vom Schlage der
Hiittenbienner und Diabelli. Sie konnten der Verlockung nicht
widerstehen, Schubert von der Fülle ihres Wissens profitiren zu lassen,
sie tilgten aus Rücksicht auf vermeintliche Parallelstellen manche
schönen Nuancen^ und wandelten eine Reihe von kühnen, echt
Schubert'schen Akkordverbindungen in die gewohnten schulgemäfien
Noch viel freier schalteten die Sänger, unter ihnen besonders
der um Schubert sonst hochverdiente Baritonist Michael Vogl.
In der Schule des italienischen Gesangs angewachsen, hielt er sich
für berechtigt, die Liederweisen mit allerlei schmückendem Beiwerk
SU versehen; von bösem Willen war dabei nicht etwa die Rede, im
G^entheile glaubte er, seinem Freunde dadurch einen Dienst zu
leisten, und der Erfolg beim Publikum schien ihm auch Recht zu
geben. Indem Vogl femer längere Melodiephrasen durch kühne
1 Unter vielen Stellen sei hier nur die eine aus dem berClhmten Liede Du
bist die Kuh (op. 59 Nr. 3) erwähnt. Schubert führte hier die Melodie eu den
"Worten: »Dies Augenzelt« beim ersten Male:
m
cresc.
=SfF
Dies Au - gen - zeit, von dei - nem Glanz al - lein er - hellt —
dagegen bei der Wiederholung ein wenig anders
cresc.
Dies Au - g^n - zeit, von dei -nem Qlanz al - lein er - hellt —
Die Absieht ist ganz klar: zuerst wollte er: »von deinem Glanz erhellt«
betont haben, das zweite Mal aber: »Ton deinem GLinz.a Vor dem Eifer der
Berisoren halfen aber weder die ausdrücklich hingeschriebenen /es, noch die
Zurückrüekung des ereac, noch das Auflösungszeichen vor dem folgenden/ — der
Bparalldstelle« wurde die Nuance geopfert, und bis zum Jahre 1884 gab es keine
einzige Schubert-Ausgabe, in der der ursprünglichen Lesart zu ihrem Rechte ver-
hoifen worden war.
' Es liegt sehr nahe, hier an eine ganz ähnliche Verplattung zu denken,
welche nach Goethe' s Tode im Egmont vorgenommen wurde. In Clärehen's Lied:
»Freudvoll und leidvoU« hatten die Herausgeber die ausdrucksvolle Lesart:
Langen und bangen in schwebender Pein
in die gewöhnlichere:
Hangen und bangen
geftndert, und diese »Verbesserung« blieb dann l&nger als drei Jahrzehnte hindurch
in sftmmtlichen Goethe-Ausgaben stehen.
}ßg Max Friedlaender,
Einschnitte einfach kürzte, ging er etwas egoistisch vor, da ihm sein
höheres Alter ^ beim Athmen Schwierigkeiten bereitete. Schubert, der
in äußerlich bescheidenster Stellung lebte, vermochte nicht, dem ge*
feierten Künstler in diesen Willkürlichkeiten entgegenzutreten; er
tröstete sich mit dem Gredanken^ daß der von ihm selbst besorgte
erste Druck der Lieder von fremden Zuthaten zumeist frei geblie-
ben war.
Nach Schubert's Tode hatten aber die Verleger den unglück-
lichen Gedanken, die neuen Auflagen einiger Werke so zu drucken,
wie Vogl, Tietze und andere Sänger sie sich für ihren persönlichen
Gebrauch zugestutzt hatten. So wurden die fremden Ausschmückun-
gen zu einem integrirenden Bestandtheil der Lieder selbst. Wären
sie noch mit Geschmack angebracht, so würde der Schaden nicht
groß gewesen sein. Aber die Zuthaten zeugen fast ausnahmslos
von einem solchen Mangel an Stilgefühl, ja sie sind zum Theil
so lächerlich, daß es uns unbegreiflich erscheint, wie die Fälschung
viele Decennien hindurch unbemerkt bleiben konnte. Li den keu-
schen, innigen Melodien Schubert's wirken jene selbstgefälligen
Schleifer und Doppelschläge und Trillerchen und Bouladen etwa
wie Schönheitspflästerchen auf einer klassischen Statue.^
Ich erwähnte vorhin , daß die von Schubert selbst besorgten
ersten Ausgaben der Lieder (in op. 1 — 108 enthalten) von fremder
1 Er war 29 Jahre vor Schubert geboren.
2 Ein vollständiges Bild der hauptsftchlichen Fälschungen habe ich unter
Gegenüberstellung der ursprünglichen Lesarten im Supplement der kritisch
revidirten Ausgabe von Schubert's Liedern, Edition Peters Nr. 2173, su geben
versucht.
Den ersten Schritt zu einer Keinigung hat Anfang der 60er Jahre J. B.
Slandhartinger in Wien mit seiner Ausgabe der Müllerlieder (Wien, Spina)
unternommen — eine in der Anlage sehr verdienstvolle, in der Ausführung leider
ungenaue Arbeit. — Eine »revidirte Ausgabe« sämmtlicher s. Z. gedruckter Lieder
ist in den 70er Jahren von Julius Rietz besorgt worden (Leipzig, SeniF). Es
wird mir nicht leicht, über einen so angesehenen Musiker wie Rietz etwa? Ungün-
stiges zu äußern, aber es muß doch einmal ausgesprochen werden, daß seine
Schubert- Ausgabe zu den unzuverlässigsten gehört, die wir besitzen. Nicht nur
hat Rietz alle Yogl-DiabeUi'schen Fälschungen belassen, sondern er hat noch eine
Reihe neuer eigenmächtiger Änderungen hinzugefügt. Daß ein Mann von Riets'
Bedeutung keines der zahlreichen und zum Theil leicht zugänglichen Manuskripte,
ja nicht einmal eine wirkliche Original- Ausgabe benutzte (er legte seinem Druck
vielmehr die neuen Diabelli'schen Ausgaben zu Grunde), ist voUig imbegreiflicb.
Auch Rietz' Revision der sieben letzten Mozart'schen Opern mußte bekanntlich
in sehr vielen wichtigen Punkten ergänzt und verbessert werden — siehe darüber
Wüllner's Bericht im Supplement der Gesammtau sgabe — aber sein Mozartwerk
erscheint noch als Philologenarbeit verglichen mit der von Fehlem winunelnden
Schubert- Ausgabe.
Fälschungen in Sohubert's Liedern.
169
Zuthat zumeist frei geblieben sind. Alle leider nicht. Ich darf
hier feststellen, daß bei den allbekannten Gesängen :
Wer sich der Einsamkeit ergiebt, op. 13 Nr. 1,
und Der Einsame (Wenn meine Grillen schwirren), op. 41,
schon der vom Komponisten besorgte erste Druck durch Vogl's Ände-
rungeii verunstaltet ist. So finden wir in dem obenerwähnten Ge-
sang des Harfhers:
statt der Lesarten des
Manuskripts :
schon im ersten Druck die noch
jetzt übliche Form:
NB NB
ein je-dei lebt, ein je - der liebt
f-C' I r f^ I f r ^ =
und Iftflst ihn sei - ner Pein
ein je - der lebt, ein je - der liebt
(NB!)
M NB
t
und l&sst ihn sei - ner Pein
S> '' 1 1 ^' '
fc
^
es schleicht ein Lie - ben - der
es schleicht ein Lie - ben - der
j. r/ 1 r- fr I f r ^ =
Freun-din al - lein
^
Freun - din al - lein
l r r r r P
Ein - sa - men die Qual
^
Ein - sa - men
die
Ä
Qual
j, j:5ij. j- i j' ^^
ein - sam im Gra-be sein
ein - sam im Gra
be sein
An diesen Sängerzuthaten, die das schöne Lied leider von Be*
ginn an entstellen, ist Schubert, wie ich überzeugt bin, ebenso
'1 70 ^^^ Friedlaender,
unschuldig, wie an der trivialen Ausschmückung im Einsame
(op. 41)':
bin ich nicht srans a^^^ 1
bin ich nicht ganz
Es scheint, daß der Komponist bei der Veröffentlichung dieser
beiden Lieder besondeie persönliche Rücksichten hat walten lassen
müssen. Uebiigens giebt der Vergleich der gedruckten Form mit dem
Manuskript des Harfnerliedes einerseits und VogPs Singexemplar anderer-
seits zugleich den Beweis, daß Schubert hier, wo er sich Vogl fugen
mußte, wenigstens die ärgsten Stilwidrigkeiten auszumerzen und die
Zuthaten auf ein geringeres Maß zu reduciren sich bemühte. Es hat
etwas Rührendes, den Kampf des Komponisten gegen den übermäch-
tigen Einfluß des Virtuosen, der zugleich sein Freund und Wohlthäter
war, zu beobachten.
Nach Schubert's Tode konnten die Sänger und Verleger natürlich
viel freier schalten, und wir würden die meisten Lieder in völlig
verballhornter Form besitzen, wenn nicht erfreulicherweise schließlich
das Trägheitsmoment überwogen und die Barbarenhände der Revisoren
von weiteren » Verbesserungen a abgehalten hätte. Wohin wir sonst
gekommen wären, zeigen Michael VogVs Singexemplare. ^ Das Ständ-
chen aus dem Schwanengesange hatte sich Vogl z. &. folgender-
maßen eingerichtet:
1 Zu Nottabohm' 8 Schubert-Katalog ist noch nachsatragen, daß das Lied su-
erst als Beilage der Wiener Zeitschrift für Kunst, Litteratur, Theater und Mode
vom 12. März 1825 erschienen ist. Schon in dieser ersten Fassung enthält es
jene entstellende Figur.
Aach das Lied: Der blinde Knabe, op. 101, war in hohem Grade den
Verbesserungsgelüsten der Sänger ausgesetit, glücklicherweise aber erst in der
E weiten Auflage.
2 Es sind dies dieselben Singexemplare, nach welchen um das Jahr 1830 Idder
jener Diabelli'sche Neudruck der Müll erlie der hergestellt wurde, der für viele
JTahraehnte hindurch allein maßgebend blieb. Die Fälschungen bei den MÜUer-
liedem sind noch erheblich sahlreicher und eingreifender, als bei den obenerwähn-
ten Gesängen. — Mir persönlich war es eine lehrreiche Erfahrung, daß drei der
bekanntesten und angesehensten deutschen Musiker noch vor ganz kuner Zeit die
»alten« Vogl'schen Lesarten den wiederhergestellten » neuen a yon Schubert Tor-
zogen; sie waren eben von Jugend auf an die Fälschungen gewöhnt und konnten
sich an die einfachere, klassische Form nicht leicht gewöhnen.
Vogl^s Singexemplare werden zum Theil in der Wiener Gesellschaft der Musik-
freunde aufbewahrt; einige besitze ich selbst.
Fftlschungen in Sohubert's Liedern.
171
I
NB.
NB.
^^
-tf'^
de
Flü-Bternd schlanke Wi - pfel rau - sehen in des Mon - des Licht,
Sie yer-stehn des Bu-sens Seh - nen, ken - nen . Lie - besschmers,
NB.
^^
Htftf
in des Mon
ken-nen Lie
des Licht
bes-schmerz
ferner:
kunathmig .^
g^- B J ^^
P^
komm , be - glü-cke mich
NB.
komm, be - glü-cke mich
-^
:i;^
be- glü-cke
^^
statt:
t
ä
■iS^
mich
*
be - glQ - cke mich
In Jägers Abendlied (op. 3) wollte Vogl drucken lassen
MüL^ I ,v f, ri ^pg^^^jP ;
da schwebt so licht dein lie - bes Bild
statt
t
^T^=^^
da schwebt so licht dein lie - bes Bild
ferner :
jA^ i r H'im
dein sü - ßes Bild mir vor
m
^m
^m
statt
stellt sich's dir nicht ein-mal
i^OcJi-Ti^
t
weiß nicht, wie mir geschehn ^
Z^J^TJTfjim
dein sQ - ßes Bild mir vor
stellt sich's dir nicht ein - mal
weiß nicht, wie mir ge-scheh*n
i72
Max Friedlaender,
im Fischer (op. 5):
fen^' I ) i i'^^^
fein feuch-tes Weib, ein feucb-tes Weib her - vor
statt
g1^ ' g rt^4 ^
ein feuch-tes Weib — her - vor
und im Wanderer (op. 4) :
NB.
NB.
i
=3;
iHTT-XI
etc.
und im - mer fragt der Seufser
NB.
NB.
ich bin ein Fremd - ling ü - ber - all
NB.
P
r J 7 i^-
^=F=t
t
■^
i
ü
NB.
mein ge - lieb - tes Land
NB.
i
f=^=^
-^
und nie, nie ge - kannt
Diese Beispiele ließen sich leicht um hundert andere vermehren.
Freuen wir uns, daß YogFs Attentate schließlich an der Indolenz
des Verlegers scheiterten. Ohnedies ist des Schlimmen wahrlich genug
geschehen. Schon die Auswahl der nachgelassenen Gesänge (von
den ungefähr 550 Schubert'schen Liedern war zu Lebzeiten des Kom-
ponisten kaum ein Dritttheil gedruckt) giebt zu starken Bedenken
Anlaß, denn die Herausgeber haben u. a. ganz unbedeutende Jugend-
lieder aus Schubert's fünfzehntem und sechzehntem Lebensjahre auf-
genommen, während sie wahre Perlen unbeachtet gelassen haben. ^
Am Bedauerlichsten erscheint mir aber eine Thatsache, die bisher
ebenfalls^ noch nicht bekannt geworden ist: daß nämlich eine
große Anzahl Schubert'scher Lieder durch Eingangsritor-
nelle gefälscht worden ist.
^ Vor Kurzem konnte Schreiber dieses eine Ansahl von ihnen im Schubert-
Album Vn veröffentlichen.
I Fälschungen in Schubert's Liedern.
173
Schon vor langer Zeit war es mir aufgefallen, daß die ersten
Takte vieler Schubert'schen Lieder einen völlig unschubertischen
Charakter zeigen, und ich hatte seitdem die Genugthuung, zu finden,
dafi kein einziges Autograph und keine einzige authentische Kopie jene
verdächtigen Takte enthält ^- mit Ausnahme von zwei Handschriftei),
die gerade den untrüglichsten Beweis für die Fälschung bringen:
Originalmanuskripte Schubert's, in die eine fremde
Hand die später gedruckten Bitornelle eingeschrieben
bat. Diese fremde Schrift konnte ich durch Yergleichung mit
authentischen Manuskripten Anton Diabelli's als unzweifelhaft von
Diabelli herrührend feststellen. Dieser war der Herausgeber und
Yerleger des weitaus größten Theils von Schubert's Nachlaß. Er
hatte den Wunsch, die in seinem Verlage erscheinenden Vokal-
kompositionen in allen Fällen den Sängern bequem zu gestalten. Nun
fand er unter Schubert's Liedern eine ganze Anzahl, die ohne eine
Instrumentaleinleitung sofort mit der Singstimme einsetzten. Um auch
bei diesen den Sängern die Intonation der ersten Worte zu erleichtem,
komponirte Diabelli frisch und fröhlich selbst einige Eingangstakte,
die er dann beim Druck ohne Weiteres in die Lieder einschmuggelte. ^
Welcher Art sind aber diese Diabelli'schen Eingangstakte? Nehmen
wir die Musik zu Goethe's herrlichem Liede: An den Mond. Der
achtzehnjährige Schubert hat es zweimal komponirt, das erste Mal als
Strophenlied:
i
i?
W^
^^
^ y ' Hb
Fal - lest wie - der Busch und Thal still mit Ne - bei - glänz
— eine einfache, innige Melodie, die bei der Stelle:
Brei-test ü - ber mein.
Oe - fild lindernd dei-nen Blick.
das unvergleichlich Milde und Sehnsüchtige, das Froh -Trübe der
Verse beinahe erreicht.
Wenn wir dieses Lied im ersten Druck oder irgend einer jetzt
existirenden Schubertausgabe au&chlagen, so finden wir es in folgen-
der Form:
^ Es darf hier wohl daran erinnert werden, daß Diabelli auch vor einer Fäl-
schung Beethoven's, und swar des op. 120, nicht zurückgeschreckt ist. Vgl. dai^-
über-Nottebohm's Beethoveniana I, 47.
174
Max Friedlae&der,
An den Mond.
Ziemlich langsam.
Frans Schubert, Nachlaß, Lieferung 47
fP Füllest wiedei
Füllest wieder etc.
jM
H-^t. fiy-^ i ^iA ^y-^-i^
£
Es würde sehr begreiflich sein, wenn Jemand nach diesem ent-
setzlich trivialen Eingang die Geduld verlieren und das Lied in dem
Gedanken überschlagen würde, es sei ein unbedeutendes Jugendwerk,
das nicht hätte veröffentlicht werden sollen. Nirgends steht ja an-
gedeutet, dafi Schubert mit diesen ersten vier Takten nicht das Ge-
ringste zu thun hat. Sieht man sie sich im Einzelnen an, so über-
kommt einen die Scham, daß eine so triviale italienische Leierkasten-
weise in Schubert'sche Lieder eingeschwärzt werden und bis jetzt
unbemerkt bleiben konnte.
Nicht anders steht es mit den Eingangstakten zu Schuberts
Komposition von Groethe's Nachtgesang (Nachlaß, L%. 47):
„O gieb vom weichen Pfühle
Träumend ein halb Gehör";
fg^ ^ t: t ^t
(man denke: solche Noten zu solchen Worten!)
ferner zu Goethe's Rattenfänger (Nachlaß, Lfg: 47):
„Ich bin der wohlbekannte Sänger"
Fälschungen in Sehubert's Liedern.
175
XU Goethe's Goldschmiedgesell (Nachlaß, Lfg. 48)
ts:
und mit dem verhältnißmäßig harmloseren Eingangstakt zu Goethe's
Trost in Thiänen! »Wie kommt's, daß du so traurig bist« (Nach-
laß, Lieferung 25). Aus diesen Ritornellen blickt uns nicht Schubert's
Poetenauge entgegen, vielmehr haben wir in ihnen das getreue Bild
des begabten Geschäftsmannes Anton Diabelli, der mit leichter Hand
je nach dem Tagesbedürfniß heute Lieder und Klavierstücke (darunter
übrigens sehr wohlklingende Sonatinen), morgen Messen und Offer-
torien, übermorgen Potpourris und banalste Tanzmusik aufs Papier
warf. Von einem Musiker dieses Schlages war nicht zu erwarten,
daß sich in ihm etwas wie philologisches Gewissen regen und ihn
von Eingriffen in fremdes geistiges Eigenthum abhalten würde. So
fälschte er weiter Schubert's Frohsinn (Nachlaß, Lfg. 45) durch
folgende nicht gerade vornehme Einleitung:
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-^
Ich bin von lo - ckc-rem Schla - ge eto.
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^
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T.
5^-
ete.
> .s
176
Max Friedlaender,
ferner das Erntelied
(Nachlaß, Lfg. 48)
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i
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£
Si - cheln schal - len etc.
I
^m
T
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» * « f » - f »
^^jMH^-^^JL^ [ lij
^
(Wie charakteristisch ist das aforzato!)
weiter :
Klage an den Mond.
(Nachlaß, Lfg. 48.}
i
Ä
t=^
-^
T-
}^ — V-
H ^>- i
3^
Dein Sil - ber schien durch Ei-chengrOn
etc.
etc.
^S§
J i
WS-
s^
£
^
F&lschungen in Schabert's Liedern.
177
Daß Tischleilied (L%. 48)
Haimloser, aber ebenso unecht ist der Eingangsakkord in Fax
Tobiscum (Nachlaß; Lfg. 10) und der erste Takt in Ossian^s Lied
(L%. 4). '
Daß das schöne Lied: Loda's Gespenst (aus Ossian's Gesän-
gen, Lfg. 4) durch die Herausgeber mit einem Schluß von 46 Takten
versehen worden ist, der zwar von Schubert herrührt, aber zu Schiller's
Punschlied gehört, ist bereits in der Leipziger AUg. Musikalischen
Zeitung vom 30. Januar 1867 au%edeckt ivorden.^ Nicht erwähnt
steht dort aber, daß die Eingangstakte dieses Schlusses:
auch in Schuberts Punschliede — es ist noch ms^ — nicht vor-
kommen. Ohne Frage stammen auch diese Takte von Diabelli her.
Man vergleiche sie einmal mit den von Schubert komponirten Ein-
gangstakten zu Loda's Gespenst:
^^^^m^^f^m
um den ganzen Unterschied zu erkennen.
^ Durch den »Keumüthiges Bekenntniß« überschriebenen Aufsatz Leopdlds
▼OD Sonnleithner. ^ Im Beiits Ton Nikolaus Dumba in Wien.
1S93.
12
178
Max Friedlaender.
Die beiden Schiibert'schen Manuskripte nun, in denen ich von
Diabelli's eigener Hand die im ersten Druck vorkommenden Ritor-
nelle eingetragen fand, enthalten die Lieder:
Die frühen Gräber (Nachlaß, Lfg. 28), bei Schubert ^ beginnend :
Willkommen, o silberner Mond, schöner stiller Oe - fähr
te^erNaeht
^\-^ I f U | f^
und mit diesen Eingangstakten Diabelli's versehen:
^ffjyy^iif^
m
i 1
und Ins stille Land (Nachlaß, L%. 39), bei Schubert ^ beginnend:
1 Autograph beim Oralen Victor Wimpffen in Kainberg. — Das Lied ist nicht
gerade bedeutend und hält keinen Vergleich mit Oluck's herrlicher Komposition
der Ode aus; durch Diabelli's Zusats wird es aber geradezu trivial.
2 Autograph in der KönigL Bibliothek in Berlin.
Fälschungen in Sehubert's Liedern.
179
and von Diabelli mit folgenden Eingangstakten veiselien:
1 ^^
/or<«
^trtflt^^
Sehr lehrreich ist ein Vergleich dieser Takte mit Sehubert's
Einleitung zu dem bekannten Mignonliede, das mit: Jilns stille Lande
grofie Ähnlichkeit hat:
Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich lei - de,
4
^
^
S
-»^
t5»
■^^
I
r
Auch die Eingangstakte der Lieder:
Das Finden,
Cora an die Sonne,
Grrablied,
(sämmtlich aus Lieferung 42 des Schubert'schen Nachlasses) halte ich
aus inneren Gründen für unecht. Aus äußeren Gründen bezweifle
ich femer die Authenticität zweier Ritomelle, die an sich durchaus
12»
180
Max FriedUtender,
nicht unschubertisch 1 klingen, aber in den Originalmanuskripten
und allen alten Kopien fehlen: e8 sind die Einleitungen zu:
Das Rosenband (Im Frühlingsschatten fand ich sie) Nachlaß, L%»^8.
•Die Forelle (In einem Bächlein helle) op. 32. ^
Sicher gefälscht ist der Eingangsakkord zu:
Wonne der Wehmuth, op. 115 Nr. 2,
der selbst in Nottebohm^s sonst so treuem Kataloge steht, obgleich
er im ersten Drucke fehlt. — Suspekt sind meiner Ansicht nach
auch die Eingangstakte von
Hektor's Abschied, op. 58 Nr. 1 (der erste Takt),
Sprache der Liebe, op. 115 Nr. 3.
Lob des Tokaiers, op. 118 Nr. 4,
Ein Fräulein, op. 126,
Die Laube, op. 172 Nr. 2,
Die erste Liebe, Nachlaß, L%. 35,
Trinklied, Nachlaß, Lfg. 45 (wahrscheinlich gekürzt),
Die vier ersten Lieder sind allerdings nicht bei Diabelli erschienen,
sondern in T. WeigFs, M. J. LeidesdorfiTs und Joseph Ccemy's Ver-
lag, sodaß diese Letzteren die Verantwortlichkeit für die Zusätze
tragen würden.
Echt Diabelirsch ist aber wieder die Herausgabe eines andern Schm-
berfschen nachgelassenen Liedes, nämlich des Naturgenuß. Nach
einem arpeggirten Eingangsakkord beginnt die Melodie:^
^^^=3
Im A - bend - Bohim - mer wallt der Quell durch Wie - aen-
Der Pap - pel - irei - de wechselnd Ghrün weht ru - he-
m
blu - men pur - pur - hell,
lis - pelnd drü - Der hin.
^ Sehr Terd&chtig sind nur die brutalen aforzaii am Schluß. Diabelli liebte
im Allgemeinen starke Einleitungen, die mit einem Tusch enden.
' Nicht enthalten ist das Eingangsritomell der Forelle in den beiden Auto-
graphen des Liedes (bei Nik. Dumba in Wien und C. Meinerti Dessau), in der
a. d. J. 1817 stammenden Kopie von Schubert's Freund Stadler (in meinem Besiti),
im ersten Drucke (in der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und
Mode 1820) und im Einzeldruck von Ant Diabelli & Co. v. J. 1825. Erst in
Diabelli's Sammlung: Philomele steht das RitomelL Übrigens ist es von allen
das am wenigsten anfechtbare, da es nur eine Vorausnahme des Sohubett'schen
Sohlußritornells bringt.
s Sie mag durch Beethoven's £8 dur Sonate op. 7 (erster Sats, Takt 59 fT.)
etwas beeinflußt sein.
Ffilsehunfi^n in Sebubert's Liedern.
181
Man sieht, es ist Schuberts bekanntei ^ Trauerwalzer « (op. 9 Nr. 2,
Origiaal in As), dem Ton DiabeUi die Matthisson'schen Verse, so gut
und schlecht es eben ging, untergelegt worden sind. Daß aber
mit dieser süBen, wehmüthig-schwärmerischen Melodie jemals eine
Pappelweide in Verbindung gebracht werden würde , hat sich
Schubert wohl nicht träumen lassen. — Auch den zweiten Theil des
Walsers benutzte Diabelli:
etc.
Im Lens - hauch weht der Geist des Herrn
und da der Matthisson' sehen Strophen gar zu viele waren, nahm er
achlieBlich noch einen andern Schubert'schen Walzer (op. 9 Nr. 14,
Original in Des) dazu:
ji^^ j I r
x^
etc.
Ich bli - oke her — und bH - oke hin
Nur Tand sind Pracht und Herr - Hoh-keit etc.
Nach diesem As dur brauchte Diabelli einen Übergang nach dem
Es dur des Anfangs ; kurz entschlossen komponirte er folgende distia-
guirte Überleitung:
^!w^ i I ^rjfi
und endete mit einer Bepetition der ersten Strophe, in der wir dann
nochmals der Pappelweide zu b^egnen die Freude haben. DiabeUi
nahm das Lied in seine »Immortellen« betitelte »Sammlung der
beliebtesten Schubert^schen Gresänge« auf, durch welche es ungemein
lasch verbreitet wurde. DaB Schubert Matthisson's »NaturgenuBt
zweimal selbst komponirt hatte — als Männerquartett (op. 16) und als
Lied (noch ungedruckt) — störte Diabelli natürlich nicht im Geringsten.
Immerhin sind bei dem eben behandelten Liede die Ehupt-
melodieen von unserm Komponisten. Völlig imeoht ist dagegen das
Lied Adieu:
182
Max Friedlaender,
i
fe
!>'> r, / =^ ; ^ J'
i-^-— I
.. \ Vai - ei rin-stani »u - prS
de ? ^^®'- ^^<>Q naht, um uns zu schei
^ ®." I o^®' • Schon naht der To - des - en
riexxen:| ^^^^, ^^^^i O - sten geht, nach O -
me
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gel,
sten
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der
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der
W\, i" H p
g
22:
m i' J
e
-^
Tren -
fas -
Er -
de no8
nungs - au
send dei
de Stil
a - dieux!
' gen - blick.
- ne Hand.
- 1er Flug.
j/ ' i m 'ffl i j
etc.
B^
t
1^
t
welches noch immer in sämmtlichen französischen, russischen und
italienischen Schubert- Sammlungen und leider auch in vielen eng-
lischen und deutschen Ausgaben steht. In Frau Viardot-Garcia*s
Auswahl nimmt es sogar die erste Stelle ein. Keine Geringeren als
Franz Liszt und Stephen HeUer haben es mit dem Erlkönig etc. zu-
sammen fiir Klavier transskribirt; Theodor Döhler war ihnen hierin
vorangegangen, Th. Oesten, W. Kühe, Fritz Spindler u. A. sind nach-
gefolgt. So wird die Melodie voraussichtlich noch manche Jahre als
Schubertisch verbreitet werden. Der Komponist des Liedes ist aber
keineswegs Schubert, sondern der Dorpater Musiker und Dichter
August Heinrich von Weyrauch (geb. 1788 in Riga), der es
unter seinem Namen zuerst 1824 im Selbstverlage, später 1846 bei
C. A. Challier in Berlin herausgab. — Wie bei »Bach's« Willst du
dein Herz mir schenken, »Mozart*s«r Wiegenlied, »Beethoven's«
Sehnsuchtswalzer, »Weber's«r Letztem Gedanken, so finden wir auch
hier die Erfahrung bestätigt, daß berühmte Namen förmlich polypen-
artig allerlei fremdes Gut zu sich heranziehen und diesem zu einer
ungeahnten Verbreitung verhelfen.
Fälschungen in Sehubert's Liedern. ISS
Ich brauche wohl nicht eist erwähnen, daß es nur ein kleiner
Theil aller Fälschungen ist, der hier besprochen werden konnte.
Zu den beliebtesten Eigenmächtigkeiten der Herausgeber gehörte es
noch, daß sie die Kompositionen nicht in der Originaltonart, sondern
schon im ersten Druck transponirt yeröffentlichten. Bei den
ELlayierwerken wurden dann leichter zu spielende Tonarten gewählt,
s. B. Gr- und D-dur statt Ges- und Des-dur, bei Liedern eine 9 be-
quemere« Gesangslage — alles natürlich unbekümmert um den Cha-
rakter des Tonstücks. Aber auch abgesehen von diesen willkürlichen
Veränderungen waren bei den Liedern viele Druckfehler stereotyp
geworden, darunter wichtige Notenfehler in Melodie und Harmonie,
ferner entstellende Versehen in den dynamischen Zeichen, den Liga-
turen, den Taktbezeichnungen (z. B. fast immer Y4 Takt statt ^//a
breve), — Zu einer wahren Specialität haben die Schubert-Herausgeber
und Korrektoren die Verballhomungen der Texte ausgebildet. Um
nur bekannte Lieder zu erwähnen, so sind im Irrlicht (Winterreise)
die Worte: «Liegt nicht schwer in meinem Sinna in ihr gerades
Gegentheil geändert worden: »liegt noch schwer in meinem Sinna,
in: Der Tod und das Mädchen die Worte: »geh, Lieber!« in
»geh' lieber«, im Frühlingsglauben »sie säuseln und webena in:
iwehen«, ja die pedantischen B^visoren haben »der Mai ist kom-
men« in den Trocknen Blumen in: »ist gekommen«, j»hab'
ich funden« in: Jig'funden«, im Lindenbaum: »Da hab' ich
noch im Dunkel« den Dativ »korrekt« in: »im Dunkeln« ver-
wandelt. — Noch schlimmer ist es begreiflicherweise den weniger
bekannten Gesängen ergangen. In dem schönen Liede Fahrt zum
Hades z. B. (Nachlaß, Lfg. 18] standen in sämmtlichen Ausgaben
die unverständlichen Worte:
Vergessen, wenn ich zwiefach sterben.
Was ich mit höchster Kraft gewann,
Verlieren, wieder es erwerben,
Wann enden diese Qualen, wann?
Eine authentische alte Kopie ^ brachte hier des Räthsek Lösung :
Schubert schrieb im ersten Verse:
Vei^essen nenn ich zwiefach Sterben!
Ähnliche Beispiele ließen sich in Menge geben. — Bei andern
Liedern mußten die Originaldrucke der Gedichte aushelfen, um Fehler
zu erkennen und zu verbessern. So heißt es z. B. in Fellingefs
Erster Liebe (Nachlaß, Lfg. 35) nicht, wie in allen Schubert-Drucken
steht:
^ Von Albert Stadler. Das Manuskript fehlt leider.
\ g4 Max Friedlaender.
Da wacht es auf, das Vorgefühl des Schönen,
Du schaust die Gattin in dem Lichtgewande etc.
sondern: die Göttin in dem Lichtgewande ^; in Craigher's Todten-
grähers Heimweh (Schubert, Nachlaß, Lfg. 24) nicht:
»und starre mit schnödem Blick hinab ins Grab«,
sondern: »mit sehnendem Blick«^ u. s. w., u. s. w., u. s. w. Zur
Entschuldigung der Herausgeber kann allerdings angeführt werden»
daß es nicht ganz leicht ist, sich die Werke der Schubert-Dichter zu
verschaffen ; sie sind nur zum Theil gedruckt, einige der ungedruckten
aber glücklicherweise in handschriftlichen Sammlungen vorhanden,
die in den Nachlässen v.on Schubertfreunden noch gefunden werden
können. Bei sehr vielen Liedern sind die Dichternamen unrichtig
angegeben, sei es von Schubert selbst oder den Herausgebern. —
Man sieht, der Fehler sind gar viele, und im Ganzen dürfte die Be-
hauptung gerechtfertigt sein, dafi manche der weniger bekannten
Schubert'schen Lieder nur deshalb nicht die verdiente Belichtung
gefunden haben, weil sie nicht in ihrer echten, ursprünglichen Ge-
stalt vorlagen.
Nicht in die Kategorie von Fälschungen, sondern harmloser Ver-
sehen fallt es, daß öfters Kompositionen eines Dresdener YioUnisten
Namens Franz Schubert [geb. 1808, gest. 1878) mit denen seines
berühmten Namensvetters verwechselt werden. Besonders ist es ein
vielverbreitetes Salonstück des Dresdener Schubert: Habeille^ das nicht
selten irrthümlicherweise in das Prc^amm von wirklichen Schubert-
Abenden eingefügt wird. Die beiden Schubert sind nicht mit ein-
ander verwandt. Der Vater des Dresdener Seh., ebenfalls Franz
Schubert mit Namen, hielt sich aber s. Z. für das bedauemswerthe
Opfer einer Verwechslung mit unserm Wiener Meister. Einen cha-
rakteristischen Brief von ihm über diese Angelegenheit drucke ich
hier zum Schlüsse ab ; gehört er doch auch zum Kapitel der » Schubert-
Fälschungen «. Vorher bemerke ich noch, daß der eben erwähnte
Franz Schubert sen. 1768 geboren wurde, als Kontrabassist, später
als Kapellmeister der ital. Oper, endlich als Königl. Kirchen-Com-
positeur in Dresden wirkte, wo er 1824 starb. Seine Kompositionen
1 Von dem Dichter des Liedes sind, wie ich nebenbei bemerke, auch die
bekannten Verse:
Wo man singet, laß dich ruhig nieder etc.
^ Den Text fand ich in: »Poetische Betrachtungen in freyen Stunden toh
Nicolaut. Mit einer Vonede etc. begleitet Ton Friedrieh Ton Sohlegel.« VTieft
1828. Nieolaus ist ein Pseudonym für Jacob Nicolaus Craigher, von dem auch die
Dichtung der Jungen Nonne herrührt.
Fälschungen in Schubert't Liedern. \g^
zeichnen sich, soweit ich sie einsehen konnte, durch ganz außer-
ordentliche Trockenheit aus.
Nun zu dem Schriftstück, das ich der Güte der Herren Breit-
kopf & EQLrtel in Leipzig verdanke. Gottfried Christoph Härtel mag i. J.
1817 an den Dresdener Schubert geschrieben haben, er wisse mit dem
Briefe eines gewissen Franz Schubert in Wien nichts Rechtes zu
beginnen, in dem dieser ihn eine Komposition des Erlkönigs in
Verlag zu ndimen ersuche. Härtel fügt das Manuskript bei, um zu
hören, ob sein Dresdener Freund trotz der Verschiedenheit des Wohn-
orts und der Schrift doch vielleicht der Autor sei. Darauf antwortet
der alte Herr in Dresden mit einem Briefe, der uns jetzt ungemein
drollig anmuthet:
Werthgeschätzter Freund
.... Noch muß ich Ihnen melden, daß ich vor ongefahr 10
Tagen einen von Ihnen mir schätzbaren Brief erhalten, wo mir
Dieselben ein von mir sein sollendes Manuscript den Erlkönig
von Göthe überschickten, zu meinem größten Erstaunen melde
ich, daß diese Kantate niemahls von mir componirt worden ; ich
werde selbige in meiner Verwahrung behalten um etwan zu er-
fahren, wer dergleichen Machwerk an Ihnen auf so eine un-
höfliche Art übersendet hat, und um auch den Padron zu ent-
decken, der meinen Nahmen so gemißbraucht. Übrigens
bin ich Ihnen für dero gütige Übersendung freundschaftlich ver-
bunden und verbleibe mit der vollkomsten Hochachtung
dero verbindlichster Freund und Bdr!l!
Franz Schubert,
iKönigl. Eörchen-Compositeur.
Dresden den 16. Apnl 1817.
Der würdige Mann hat in seiner Entrüstung wohl nicht geahnt,
daß es spiteT Niemandem mehr in den Sinn kommen werde, ihn mit
dem Komponisten des «Erlkönig« zu verwechseln.
Ein anonymer Mnsiktraktat des elften bis zwölften
Jahrhunderts.
Von
Johannes Wolf.
Will man sich von der abendländischen Musik der ersten Jahr-
hunderte christlicher Zeitrechnung ein Bild machen, so führe man
sich jene Stelle Eoetius Inst. Mus. I, 34, Tor Augen: Is eatmuaicus^
cui ödest faculi(i8 secundum speculationem raiionenwe proposüam ac
musioae convenientem de tnodis ac rhythmis deque generibus amtüena-
mm ac de permixtionibus ac de omnibus, de quibus posterius es^licanr-
dum est (nämUch de numeris ac proporthnibus) ac de poetarum
carminibus iudtcandi. Nicht der ausübende Künstler, sondern der
Kritiker führt also allein mit vollem Rechte den Namen musicus;
nicht das Gefühl, sondern der Verstand ist maßgebend. Was mit
demselben nicht erfaßt werden kann, wird yerworfen. Anstatt die
Theorie aus der Praxis zu ziehen, wird letztere von der ersteren ab-
hängig gemacht. Der Gelehrte beherrscht die Musik des frühen
Mittelalters. Von einer ausübenden Tonkunst vernehmen wir fast
gar nichts. Nur hin imd wieder wird nebenbei der Spielleute (scurrae,
mimt, ioculatores), der wahrscheinlichen Träger echter Volksmusik,
Erwähnung gethan. Diese ist ganz zurückgedrängt worden. Ver-
schwunden ist sie indeß niemals. Ab und zu blinkt ihr freundlicher
Dur-Charakter durch das starre System der Kirche.
Der Grund des Zurückdrängens der Volksmusik ist leicht ein-
zusehen. Diese war voll heidnischer Elemente und mtißte daher
der Kirche für die Verbreitung des Christenthums gefahrlich erschei-
nen. Was bot dieselbe aber als Ersatz? Ein entlehntes, zum Theil
mißverstandenes System. Boetius ward ihr Gewährsmann, seine
dem Griechenthum entlehnte Musiklehre für einige Jahrhunderte die
maßgebende. Mit seinem Werke j>De institutione musicaa fand
unfruchtbare Spekulation und trockener Pythagoricismus Eingang in
Ein anonymer Musiktraktat de« elften bis zwölften Jahrhunderts. ]g7
die Musiktheorie des christlichen Abendlandes. Eine mehr mathe-
matisclie Auffassung der Musik macht sich geltend. Die Töne
werden in Zahlen umgesetzt, die Konsonanz oder Dissonanz Ton
Zahlenverhältnissen abhängig gemacht und die minutiösesten Mono-
chordtheilungen und komplicirtesten Tonberechnungen angestellt.
Will man aber Segeln über Gesang oder Melodiebildung finden,
wird man vergeblich suchen.
Dies ist der Standpunkt der Theorie bis zum achten Jahr-
hundert. Die Musikschriftsteller fußen auf Boetius und geben seine
Lehre in nur wenig veränderter Form wieder. Unvermittelt taucht
plötzlich bei Alcuin^, dem berühmten angelsächsischen Gelehrten
am Hofe Karls des Großen, die Lehre von vier authentischen Ton-
arten protus^ deuteruSj trituSj tetrarchim (?) und vier plagalen auf.^
Woher diese gekommen und wie diese sich entwickelt haben, ist
noch nicht genügend aufgeklärt. Verschiedene Umstände, wie auch
die Namen, deuten darauf hin, daß sich byzantinische Einflüsse
geltend gemacht haben müssen. Mit dieser Lehre hebt eine neue
Epoche der Theorie an. Bei Hucbald, den Oddonen, dem Verfasser
der Mttsica enchiriadiSj Guido, sehen wir eine selbständige mittel-
alterliche Theorie sich herausentwickeln, die nach einer gewissen
Seite hin durch die Reichenauer Schule zu voller Blüthe gelangt.
Die beiden Häupter dieser Schule sind Bemo^ und Hermannus
Contractus.^ Ihre Lehre sei in ihrem wichtigsten Theile, der von
den Konsonanzen handelt, in Kurzem klar gelegt.
1 Alcuin lebte von 735—804.
' Nach der Tradition soll der heilige Gregor die vier Kirehentonarten ein-
geführt und de in authentische und plagale getheilt haben. Vergl. den Hinweis
Reimann's, daß Gregor 4 Jahre päpstlicher Gesandter in Konstantinopel war.
(Vierteljahrsschrift f. M. V. Heft 2, 332).
3 Bemo (Bern), welcher sich 999 im Benediktinerkloster zu Fleury und dann
SU Prüm bei Trier aufhielt, wurde im Jahre 1008 vom Kaiser Heinrich an Stelle
des rohen Abtes Immo als 29ter Abt nach der Reichenau berufen. Dort wirkte
er 40 Jahre und starb »uff den sibenden tag brauchotts 1048a. VergL über ihn
Gallus Oheims Chronik t. Beichenau, herausg. y. Barack. Stuttgart 1866 und
Neugart. Episc. Const. sowie Chroniean Matuui, Hirsaugiensü,
^ Hermannus Contractus (Herimann der Lahme) entstammte einem reichbegü-
terten oberschwäbischen Graf engeschlechte von Aishausen (später Ton Veringen)
und war geboren am 18. Juli 1013. Er war an allen Gliedern gelähmt und wurde
schon als siebenjähriger Knabe dem Kloster Keichenau übergeben. Hier bildete
er sich heran zu einem der gelehrtesten Männer der damaligen Zeit. Er starb
1054. Seine Schrift Munea kann wegen der darin enthaltenen Polemik gegen
Bemo erst nach 1048 bekannt geworden sein. Über sein Leben und seine Werke
Ycrgleiehe die Monographie v. Heinrich Hansjakob: Herimann der Lahme Ton der
Keichenau, Mains, Kirchheim 1875 und Schönhuth, Chronik des Klosters Reiche-
nau. Freiburg L B. 1836. (§. 22).
1 gS Johanes Wolf,
Beide legen ihiem System die Doppeloktave von A — a zu Grunde.
Dieselbe zerlegt Berno in 4 Tetrachorde A D | D G | a d |
Indem er der in der Schrift: Cita et vera menauratio manochordi^
welche, wie Brambach^ wahrscheinlich gemacht hat, nicht von
Bernelinus^ herrührt, gegebenen Lehre über Quarten- und Quinten-
gattungen folgt, nimmt er 3 Quartengattungen DG, Ea, 6c an,
aus welchen er die Quintengattungen hervorbringt, dadurch, daB er
für die beiden ersten Quintengattungen den beiden ersten Quarten-
gattungen oben, für die dritte und vierte Quintengattung der dritten
und (formalen) ersten Quartengattung unten einen Ganzton hinsu-
fügt. Oktavengattungen hat er sieben, denen er aber noch keinen
bestimmten Aui^angspunkt giebt. Bei ihm tritt zum ersten Male
das Bestreben auf, die drei Hauptkonsonanzen ihren Gattungen nach
in Beziehung zu bringen. So besteht
prot aut, aus I. Quint — h !• Quartgattung
deut. aut. ,, IL ,, + IL ,,
trit, aut. „ in. „ -f-in. „
tetr. aut, „ IV. ,, 4- I. ,,
prot, plag, aus I. Quart — |- I. Quintgattung
deut, plag, „ 11. „ + IL „
trit. plag, „ lH. ,, +111. ,,
tetr, pl<ig. „ L „ + IV. „
Auf diesem Wege, die Theorie in ein klares und übersichtliches
System zu bringen, schreitet sein Schüler Hermannus Contractus
fort. Er zerlegt die Areihe in die 4 Tetrachorde AD|DG|adjdg
a
und die vox superacuta a.
Anknüpfend an die biformitas des D (d), welches zugleich quarta
gravium (superiorum) und prima finaliutn (excellenttutn) ist, nimmt
er eine vierte Quartengattung (in poeitione prima) D G an und kon-
struirt die Quarten in den Tetrachorden gravium und finalium^ die
Quinten in denjenigen finalium und superiorum. Damit entspricht
die Zahl der Gattung der Stellung der Grenztöne der Konsonanswu
innerhalb der Tetrachorde, und es besteht z. B. die erste Quartgattung
aus erster gravis und erster finalisy die erste Quintgattung aus erster
finalis und erster superior und die erste Oktavgattung aus erster
gravis und erster superior. Im Unterschiede von Berno nämlich
giebt Hermannus den Oktavengattungen einen üesten Ausgangspunkt
^ VergL Brambach, Die Keichenauer Sängersehule, Leipzig, Haiassowits 1888.
2 Vergl. Gerbert, Scriptores I.
Em anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. ( gQ
A UBd nimmt deren 2X4 an, denn nach seiner Lehre sind die
Oktaven A— a und D— d u. s. w. derselben Gttttung, da sie aus
Konsonanzen derselben Gattung bestehen. Sie unterscheiden sich
nur dadurch, daB bei der einen die Quarte unten, bei der andern
oben liegt. Wie Bemo hat Hermann 9 modij scheidet aber den
triionus aus und setzt dafür den unisonus ein. Die Neuerungen des
großen Reichenauer Gelehrten bestanden also yomehmlich in der
Annahme einer vierten Quartgattung und 2X4 Oktavgattungen.
Diese mußten die Theoretiker anfangs stutzig machen. Es waren
doch die Gattungen durch die Stellung des Halbtons bedingt , und
dieee brachte nur 3 Quartgattungen und 7 Oktavengattungen hervor.
Wir müssen durchaus nicht glauben, daß die Theoretiker sogleich
der Lehre Hermann's zufielen. Im Gegentheil mögen sich viele
konservativ und ablehnend verhalten haben. Einige fühlten sich
durch die Klarheit des Systems sogleich angezogen, andere dagegen
erkannten den Werth der alten und neuen Lehre an und nahmen
eine vermittelnde Stellung ein. Ein Beispiel hierfür bietet uns ein
Anonymus, dessen Traktat sich in dem Codex Darmstadtiensis 1988
befindet. Diesen einer näheren Betrachtimg zu unterziehen, sei die
Aufgabe vorliegender Arbeit.
I.
Der Codex Darmstadt., No. 1988,^) GroBoktav auf Pergament,
entstammt der Bibliothek des ehemaligen Benediktinerklosters St. Jakob
in Lüttich und gelangte durch die Sammlung des Barons von Hüpsch
nach Darmstadt. Er enthält eine Reihe von Handschriften aus dem
11. und beginnenden 12. Jahrhundert meist musikalischen Inhalts,
welche ursprünglich drei selbständigen Codices angehörten. Dies ist
«o8 der Inhaltsangabe zu ersehen, -welche sich bei jedem ursprüng-
üehen Codex befindet. Das Generalverzeichniß, ein einzelnes, später
hinzugefugtes Pergamentblatt, welches die Schriftzüge des 15. Jahr-
hunderts aufweist, giebt uns damit die Zeit an, in welcher die drei
Codices zu dem jetzigen Bande vereinigt wurden. Derselbe enthält
neben den Schriften Guido's xmd Bemo's eine Abhandlung Qua^stianM
in Mtmca^) und eine Reihe kleinerer Traktate, welche zum Theil
Abschnitte aus den Werken bekannter Theoretiker (Boetius, Aribo),
nun Theil aber die Arbeiten unbekannter Verfasser sind. Unter
ihnen interessirt vor allem der Traktat auf Fol. 1S2' — 189^, der uns
1 Vergleiche das Referat v. Roth, Vierteljahrschrift 1887, III 488 über den
Inhalt des Codex.
* Der Verfasser ist unbekannt.
][90 Johannes Wolf,
ein in sich geschlossenes Bild der Theorie des 1 1. Jahrhunderts giebt.
Derselbe muB gegen das Ende des 11. Jahrhunderts geschrieben
worden sein.
Die Schrifizüge sind unbedeutend eckig, die einzelnen Buch-
staben stehen deutlich unterscheidbar neben einander. Charakteristisch,
sind die Minuskeln a, b^ d, p, r, s. Die Buchstaben b, 1, d sind
oben etwas verdickt und schräg abgeschnitten; der Seitenstrich von
h geht noch nicht unter die Linie; n und u, t und c sind deutlich
von einander zu unterscheiden; i hat noch keinen Accent und ist
auch nicht durch einen solchen von dem folgenden Vokal getrennt.
Für M findet sich am Ende der Wörter häufig die Unciale und fiir
nt die unciale Ligatur JV^, welche Wattenbach ^ bis 1106 hat ver-
folgen können. Die Minuskel f ist die gewöhnliche, nur selten
findet sich am Schluß eines Wortes die Majuskel s, welche noch
über der Linie schwebt.
Die Handschrift ist mit vielen Abküizungen und ohne Absatz
geschrieben. Die Schriftzüge sind deutlich, tragen aber Kennzeichen
der Flüchtigkeit an sich. Initialen und Tonbuchstaben sowie XJber-
schriften sind weggelassen, um später farbig von dem Schreiber aus-
geführt zu werden. Die zur Ausschmückung angewandten Farben
sind roth und grün. Zeichen der sorglosen Anfertigung der Hand-
schrift sind die vielen Schreibfehler und verschiedenen Schreibweisen
einiger Wörter. Nebeneinander finden sich
ypate — ipate
parypate — paripate
diapason — dypason
diatessaron — dyatessaron
ptolemeus ^ phtolemeus
yperboleon — iperholeon u. s. w.
Daraus, daß der Text zuweilen auf der Mitte der Zeile unter-
brochen und erst innerhalb der nächsten fortgesetzt ist, läßt sich
erstens schließen, daß hier eine Kapitelüberschnft Platz finden sollte,
(in der Handschrift sind mehrere Beispiele, wo die Überschrift
mitten in einem Satze steht) und zweitens, daß der Schreiber
eine Vorlage gehabt haben muß, unsere Handschrift also nicht
Original ist.
Der Verfasser des Traktats ist nicht bekannt. Roth hat in
seinem Referat die Vermuthung ausgesprochen, daß dieser Traktat
vielleicht ein unbekanntes Werk Hermanni Contracti sei. Diese
erweist sich aus mehreren Gründen nicht haltbar. Vor allem nimmt
VergL Wattenbach, Lateinische Pal&ographie. Leipiig, Hiizel, 1886. Seite 63.
Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. JQl
man wegen des Anfangs AnstoB, das Werk jenem berühmten
Reiclienauer Gelehrten zuzuschreiben.
Schon zwei Jahrhunderte vor Hermann verstand man in der
Reichenau Griechisch, was aus dem Verkehr mit dem Kloster Fulda
hervorgeht, wo Hrabanus Maurus ein gefeierter Hellenist war. Das
Studium des Griechischen wurde noch dadurch gehoben, daß in der
ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts griechische Mönche einwanderten
und bleibenden Aufenthalt in der Reichenau nahmen. Es steht
femer fest, daß man den Aristoteles in diesem ELloster zur^ Zeit
ELermaim's in der Ursprache zu lesen verstand.^ Hält man hiermit
die in dem Anfang gegebenen Etymologien griechischer Wörter zu-
sammen, wird man nur zu einem negativen Resultat kommen können.
Gesetzt aber, diese seien durch einen unkundigen Schreiber hinein-
gekommen, muß dem Hermann aus inneren Gründen die Autorschaft
abgesprochen werden. Man lese, mit welcher Schroffheit er über
Berno urtheilt, da er die Quartengattungen im Tetrachord det finales
konstruirt^, und vei^leiche damit die ParalleUsirung der bemo-
nischen und hermannischen Quartentheorie in unserem Traktate.
Eine derartige Würdigung, wie sie den bemonischen Quarten zu
Theil wird, hätte Hermaimus Contractus nie ausgesprochen. Es läßt
sich ja allerdings nicht leugnen, daß der Stil mit seiner Knappheit
und ELlarheit den Gedanken an die Autorschaft Hermann's wohl
wachrufen kann, zumal auch ein kleiner Theil seiner Musiklehre in
unserem Traktate niedergelegt ist.
Wer der YerfEtsser ist, wissen wir nicht. Jedenfalls war es ein
feiner Kopf, begabt mit kritischem Verstände und ausgerüstet mit
einer für die damalige Zeit guten Kenntniß der lateinischen Sprache.
Durch kleine Umstellungen und geringe Änderungen vermag er
entlehnten SteUen schöneren Fluß zu geben und die Gedanken
klarer hervortreten zu lassen.
Von Nationalität muß er ein Allemanne gewesen sein; denn er
sagt in dem Kapitel über die Romanusbuchstaben bei k: apud nos
ailemannos. Dem könnte entgegengehalten werden, daß in dem
Briefe Notker's an Lantpert auch nos Allemannos steht und dies ein-
&ch abgeschrieben sei. Vergleicht man aber, wie unser Verfasser
Stellen benutzt, wie er sorgfältig alles ausmerzt, was nicht in den
Zusammenhang hineinpaßt , so wird man ihm ein derartiges ober--
flächliches Abschreiben nicht zutrauen.
* VergL Heinrich Hansjakob, Herimann der Lahme.
* Vergl. HermannuB ContractuB ed. Brambach. Leipzig, Teubner 1884.
pag. 1, 41 ff.
192 Johannes Wolf,
Wollte man einen geeigneten Verfassei des Traktats suchen, so
könnte die Vermuthung nur den Hirschauer Mönch Conradus treffen.
Über diesen schreibt Trithemius in seinem Chronicon insigne Monasierü
Hiraaugtensia (Basüeae, 1559): daruü iiedem quoque temparibus in
hoc monasterio Hirsaugiensi , sub abbate Gebhardo^ ei quibusdam sue^
cessoribus eitts, monachtM quidam doctiesifnus nomine Conradus y qui
scieniia et erudithne sua admirabili, famam consecutus est immortalem,
Fuit enim non solum in divinis scripturis Studiosus et doctus, verum
in secularibus quoque litteris eruditissimuSy Phtlosopbus, Shetor, Mttsicus
et poeia omnium sui temporis in Allemannia celeberrimus. Multa in-
genii sui praeclara Volumina posteris legenda omatissimo sermone cam^
posuitf in quibus notnen suum ex humilitate, sub Peregrini vocabuloj
abscondit. In Ais praecellit opus illud darissimum^ quod de saneta
virginitate, sub nominibus Peregrini presbyteri et Theodorae sanctin
monialis, in dialogi modum per libros octo, distinguens, speculum vir-
ginum appeüavit: opus sane tarn utile et necessarium Christi virgimbue^
ut satis laiudari ab homine mortalinon valeat. In Evangelia quoquCy quae
per anni circühum ad missam leguntur, magwum volumen pulchra varietate
composuit De vita, spiritu et fructu fnortis edidit librum unum et alium,
quem Matrictdariumpraenotavit^ itemalium, quempraetitulavit Didascalon:
de miusica et differentia tonorum librum unum: metrieum quoque opusculumde
laudibus S. patris nostri Benedicti: Sermones etiam plures et homilias
mtdtas elegantissimasque composuit. Sed et carmina plura et epiffram-
mata dioersa^ varii generis omatu scripsit, quae veterum negligentia
partim in oblivionem deducta sunt. Nemo cum ista legerit, arbitreiur
declamatorem ülum^ qui ex eorum ordine, quos mendicantes voeant^
^mergens^ sub peregrini nomine sermones ad popuhim dcatricosos instar
modemorum humili composuit dictione, aut nostrum fuisse peregrinrnn^
out ei comparare aliquatenus posse. Hle enim more declamatorum
huitcs temporis^ scholastico sermone depressus incedens^ creberrimas m-
troducit quotationes scripturarum. Iste autem noster peregrinus
Tüllianam secutus eloquentiam, veterum more sine aUegationibus super-
ßuis bicidctm, sanam et integram orationem continuat.
Wir finden bei diesem Mönche alles, was wir nach dem Traktate
an unserem Verfasser suchen: Feine Bildung, kritischen Verstand,
gewandte Rede, bescheidenen Charakter^ kurze und klare Ausdrucks*
weise, die sich frei von jeder Spekulation hält. Auch das Lehrhafte
seiner Werke (man vei^leiche den Titel didascalon und das in Dia-
logform geschriebene speculum vir ginum) zeigt sich in unserem Traktate.
Er ist gleichfalls Allemanne, musiats und hat eine musica verfaßt.
1 1091—1106.
Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. j; 93
Wir keimen keine solche eines Konrad. Könnte es da nicht die
Toiliegende sein, zumal in ihi auch die Differenzen der Töne be-
handelt sind? Die Zeit, das letzte Jahrzehnt des elften Jahrhunderts
stimmt sehr wohl für die Abfassung des Traktats und auch der Ort
erfüllt alle Vorbedingungen. Wir können mit Sicherheit annehmen,
daB die Schriften, welche unserer Musiklehre zu Grunde liegen, in
dem Erlöster vorhanden waren. Denn dort hatte sich schon seit
einer Reihe von Jahren ein reiches Musikleben entfaltet. Man er-
innere sich nur, daß Wilhelm dort von 1069 — 91 als Abt wirkte.
Überzeugende Beweise sind nicht beizubringen, doch hat die Annahme
groBe Wahrscheinlichkeit.
Behufs Abschrift mag der Traktat nach der Liitticher Abtei
St. Jacobi gekommen sein, in der sich vom 11. bis 15. Jahrhundert
ein reges Interesse für Musik zeigt. ^ Diese Yermuthung gründet
sich darauf, dafi die Bemo-Handschrift, welche sich auch in dem
Codex 1988 befindet, demselben Jahrhundert entstammt und dasselbe
Format und dieselbe refftäa aufweist (was auf einen gemeinsamen
Entstehungsort schließen läßt), sich schon früh in dem ELloster nach-
weisen läßt. Ein Mönch der Lütticher Abtei St. Laurentii sagt
nämlich in einer Bandbemerkung der zu Brüssel befindlichen Bemo-
Handschrift (10162 — 66) auf Fol. 48: Si hie est defectus, nescio, quia
in libro^ ex quo scripsi (de S. Jacobojf cuiAuc nuigis est spatium dere-
lictum.
Der Verfasser verfolgt mit dem Traktate einen lehrhaften Zweck.
Man yergleiche die Stellen: Quod (die Lehre von den Bomanus-
buchstaben] hie ponere mihi quidem non pigrum, studiosis cnitem
fartassis non erit ingratum. — Sed ne quis dubitationis scrupulus
obsistere debeat, legentibus easdem reponamus^ si videtur apertias. —
Sufficiant igiiur haec de tetrachordorum speculatione utcumque digesta,
quae fortasse diligentioribus ad maiora causa sint investiganda. —
Der ganze Stil tragt den Charakter der Unterweisung. DemgenulB
ist auch die Anlage des Traktats wohlgeeignet, einen Schüler in die
Musiklehre einzuführen. Methodisch geht der Verfasser vor und
vermag, indem er sich von jeder Spekulation frei hält, uns auf
wenigen Seiten ein klares Bild der damaligen Theorie zu geben.
1 Vergl. Foulhn, Hisioria Leodiensis ed. alt. 1655 Leodii.
1014 Consilio Joannis Epiaeopi ItaU a Baldrico inchoatur Monasterium
D. Jacohi Leodii pro expiaiione caesorum in hello Hugardienei.
Nach Trithemius ist es 1010 gegründet worden ; doch ist wohl der obigen
Nachrieht mehr Glauben zu schenken.
1893. 13
194
Johannes Wolf,
n.
Tractatus cuiusdam Monachi de Musica.
Fol. 182 r.
[De dispositione monochordi.y
Qmndecim chardae ^ hähentur in
monochordo secundum Boeiium. In
his constderandum est diatonicum
ffentiSj quod ideo dicitur diatonicum,
quia duo toni per totum habentur
ernte semitonium. ^ In his etiam
chordis duo considerantur diapason;
sed utrumque diapason continet in
se duas compositivas specieSy idest
diatessaron et diapente. [Pason
graece, latine octo, dia dtu)^"] In
diapason duae chordae sindles in
proffressione cantus habentur, in dia-
tessaron et diapente similiter. Quat-
tuor tetrachorda regularia habentur
in XV chordis. Unum gravium^,
quia sonum reddit graeissimum, se-
cundum ßnalium, quia omnis meto-
dia regulariter in eofiniiur, tertium
superiorum, eo quod duobus inferi-
oribus constitutum est superius, quar-
tum excellentium, quia omnia in
meto suo excellit alia. Quintum te-
Bemo, Prologus in
(Gerbert II, 63): eoquod sii wfra
ßnalium et reddat sonum omnium
gravissimum. Tetrachordum ßna-
lium, eoquod in eo finis sit omnium
tonorum legitime currentium. Si^
periorum, quod sit stq>erius consti--
tutum. ExceUentium, quia excetUt
sonos trium aliorum.
^ Die Kapitelaberschrift fehlt. Aus dem freigelassenen Räume ist aber
sichtlich, daß der Schreiber denselben nachträglich und zwar farbig ausführen wollte.
2 Das durch ßoetius dem Mittelalter überlieferte Z weioktavensystem der Griechen
a
von A-a war von den Keichenauer Theoretikern wieder angenommen und ihrer
Lehre zu Grunde gelegt worden; chorda ist gleich vox, sonus zu fassen.
3 Die Etymologie des Wortes diatonicus ist wohl den mangelhaften griechischen
Sprachkenntnissen der damaligen Zeit zuzuschreiben. Vielleicht war auch, wie
sich aus »duo toni per totum habentur unte semitonium •■ vermuthen Ifisst, für den
Verfasser der Gedanke an eine in der Volksmusik bestehende Durskala, für deren
Vorhandensein viele Anzeichen in der mittelalterlichen Theorie sprechen, leitend
gewesen.
^ Dieser Satz mag durch einen unwissenden Abschreiber hineingekommen
sein ; denn er steht in zu schroffem Gegensatz zu der wohlüberlegten Schreibweise
unseres Verfassers. Wäre nämlich die gegebene Etymologie richtig, so würde ja
diapason die Doppeloktave sein.
5 Die Tetraohordnamen graves, finales^ superiores, exceUentes finden sich zuerst
bei Notker.
Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 195
cf, Musica Hermanni Contracti
Gerbert II, 149 f.
iracJwrdum ^ quod dicitur synemme-
nony istia quatuor tetrachordis^ ap-
panüur^ propter cantum tncompo-
situnt.^ Novem etiam modi debent
in tnelo intittdarij qui diversa po-
Miane a compJuribus^ denotantur,
sed hoc termino nunc temporis a
valentioribus intelliguntur,
[Versiis Hermanni ad discemen-
dum cantum.Y
Ter tria tunctorum suni intervalla
tonorum
lam nunc unisonot ezequat vocula
ptongos
Nunc prope con&imilem discemit
limma^ canorem
Nunc tonus affxni tribuit discrimina
voci
Nee non assidue coniunctim limma
tonusque
JEtduo saepe tonipartter sibi conti-
nuati
Sepeque dulcisonas moderans dia-
tessaron odas
Et crebro grate mulcens aures dia-
pente
* Das ietrcuihordum synemmenon ist aus der ^iechischen Musik (Boetius) durch
Hucbald in die mittelalterliche Theorie hineingetragen. Diese Übertragung bedingte
den folgenreichen Schritt der Einführung eines h. rotundum neben (} gtuidratum.
Die selbständige mittelalterliche Musiktheorie (Hermannus Contractus) verwirft das
tetraehordum synemmenon.
2 In der Handschrift steht chordis.
3 Ein cantus tncompositw kann nichts anderes sein, als ein Gesang, welcher
aus verbundenen Tetrachorden besteht. Der Ausdruck kommt sonst nicht vor.
Bei Boetius Inst, Mtis, I 23 bezeichnet incomposüus die Unzerlegbarkeit eines Inter«
valles. So ist z. B. das trihemitanium im chromatischen Geschlecht incompoaitum, non
incompositum aber im diatonischen, da es hier aus tonus und semitonium besteht.
^ Auch Hucbald und Bemo hatten 9 modi. Diese Theoretiker werden wahr-
scheinlich mit den complurea gemeint sein. Modus ist übrigens nicht Zusammen-
klang, sondern melodisches Intervall.
^ In der Handschrift ist Raum zur Überschrift freigelassen. Die Verse finden
sich in Handschriften von Wien, Leipzig, Ottobeuren, St. Blasien, St. Gallen und
sind als Hermannisch verbürgt.
* Limma oder diesis (Philolaus) ist der diatonische Halbton der Griechen, dessen
Lehre durch Boetius dem Mittelalter überliefert wurde. Er hat das Verhältniß
243:256, welches man erhält, indem man die, pythagorische Terz 64:81 von der
Quarte 3:4 abzieht.
13*
196
Johannes Wolf,
Interdumque toni bino cum limmate ^
temi
Ac quandoque tonis connezum limma
quaternis
Haec si voce notisque sitnul dis-
cernere novis
Quemtis distinctum potes his mox
pangere cantum
Discemendo thesin * sine praecentore
vel arsin.
Fol 182. V.
6 voces Unisonos aequat,
S semitonii distantiam signaty
T toni differentiam tonat,
i s cum t semiditonum statuit,
I t duplicata ditonum titulat.
D diaiessaron sünphoniam denvtat,
A Delta diapente consonantiam dis-
criminat,
c
2\ delta cum s hina cum tritono lim-
mata docet
^ delta cum t quatemos cum lim-
mate tonos, nuiximum videlicet in
cantilenis nostris phtongorum^, inter-
vallum determinat, Sed hae notae
cum punctis ^ remissas, sine punctis
intensas vocum differentias discer-
nunt praetexatas.
Diapason habet VII species.
Prima species diapason incipit in
proslambanomenos et pertingit in
cf, Musica Hermanni Contracti
Gerbert Scriptores IL
1 Der unkorrekte Ausdruck hino cum limmate ist wohl nur des Verses wegen
gewählt.
3 ihesis =i depositio \
arsta ^i eleüatto )
^ Der Verfasser der quaeatumea in musiea definirt: Phtongi autem non qui-
cunque dicuniur soni, aed gut Ugüimis ab invicem spaiiis mdo 9wü aptu Junge ergo
duoa phUmgoa qwui duas lüteraa et fit vel tomu vel eemitomum. Diese Definition
stimmt mit der des Bemo im Prologus in tonarium überein : Oraeei vocant phtongoe
eertoe et determinatoa Bonos quasi a simüüudine loquendi. cf. ferner Huobald De
härm, inetit. Gerbert I, 107 und Boet. Inst, M. 1, 8.
* Nicht unmöglich wäre es, daß der Punkt seine Bedeutung aus der Neumen^
Schrift erhalten hätte.
Ein anonymer Musiktraktat des elften bis iwOlften Jahrhunderts. j[97
mese a, secunda in hypate hypaton
et ascendit in paramese ^. Et ita
procedendo ultima incipit in lichanos
mesan O et ascendit in paranete
hyperboleon g.
De speciebus diapente et diätes-
saron.
Diapente habet IV specieSf dia-
tessaron tree. ^ Prima species dia--
tessaron^ constans ex tano, semitonio
et tano, incipit in lichanoe hypaton
D et pertingit in lichanoe meson O.
Sed prima species diapente canstat
ex prima specie diatessaraUj assu-
mens unum tonum superius a licha-
nos meson in mese. Secunda species
diatessaran constat ex semitonio duo-
busque tonis ab hypate meson E in
mese a. Sed secunda species dia-
pente unum tonum assumit^ superius
ex adiutorio diatessaron a mese a
in paramese |||. ' Tertia species dia-
tessaron constat duobus tonis et se-
mitonio a lichanos meson G in trite
diezeugmenon c. Sed tertia species
diapente perßdtur ex eadem specie
diatessaron unum tonum inferius as-
sumendo a Uchanos meson G in par-
hypate meson F. Quarta species
diapente constat ex prima specie dia^
tessaron superius a mese a in para-
nete diezeugmenon d, idest tono,
semitonio et tono, et assumit unum
tonum inferius a mese a in lichanos
meson G.
I
^ Die hier entwickelte Lehre von den Quart- und Quintgattungen ist weder
Eigenthum Bemo^s (Prolog, in Ton. 5 Oerbert ü, 67, 1), noch kann sie Hucbald
(De härm, instit. Oerbert I 122) oder Bemelinus (Gerbert I, 313, 1) zugeschrieben
werden. Ihr Verfasser ist unbekannt und muß es schon 2u Berno's Zeit gewesen
sein, da dieser ihn sonst genannt hätte.
2 In der Handschrift steht aastunst,
3 Die Handschrift hat ab hypate meson E in parameeon ^ » welches zu verbessern
war, da doch der hinzugenommene Grenzton näher bestimmt werden solL
198
Johannes Wolf,
^Modülatio^ profi et eins disci-
ptUi in suo diapente:^ Principium
ego 8um etfinis, deuteri et eius
discipulisic: duo caritatis prae^
cepta sunt, tritt et eiua discipulisic:
Tria sunt munera preciosa,^
tetrardi et eius disciptdi sie: No-
men domini tetragrammaton,^
Inceptio auteniorum et eorum di~
scipulorum sie dinoscitur. Omnis
autenticus regulariter potest incipi
in sua finali, vel per magistratum
ßncdis usque ad suum diapente, sed
inferius regulariter tantum protendi-
tur ad unum tanum.
Discipuli autem eandem regtdam
hahent in diapente quam et magistri,
sed inferius pertingunt per incep-
tionem ad diatessaron sive diapente.
1 Die Verknüpfung der Theile ist hier sehr lose, da wohl von den tpeeiet
diapasoHf nicht aber von den tropi oder tont geredet worden ist.
2 modulatio ist die natürliche Folge der Töne.
9 Die Handschrift hat diapason. Der Fehler wie auch der Sinn der Stelle wird klar
durch Bemo (Gerbert Script. 11, 79,t): Nunc igitur ponanuu singuhrum diapente,
unitucuitMque a proprio ßncdi incipientes et per quinae eyüabae, connumeratis quae
in medio sunt vocibus, aecendamus ; itemque per iUiae quinae in usque ßnalee simiH
modo deecendamus. Es finden sich bei Bemo dieselben Beispiele. Diese sind mit
Ausnahme von tria sunt munera precioea keine AntiphonenanfiSnge sondern
Memorialverse.
* Es gab eine Antiphone proti plagalis : Tria sunt munera ( Guido AreUnut
de modorum formulis, Coueeemaker IE 88); die Melodie, die ich in mehreren alten
Antiphonarien (Neumen auf Linien; ungefähr saec XU) gefunden habe, ist eher
authentisch zu nennen.
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le-runt ma - gi do '- mi
divina mysteria.
^ Of s^
no
u. B. w.
in die iUa et habent in te
^ Zur Erklärung des Wortes tetragrammaton yergleiohe Aureliani Meom,
Mue» JDiecipL cap, VIII (Gterbert I, 40, 1). Tetra enim apud Qraeeo» quatuer
dieuntur, unde et nomen Dei tetragrammaton^ eoquod quatuor liUeris eeribitur.
Ein anon}rmer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts, J99
De temUnationibus secuhrum
amen.^
Qui voluerit dücernere terminum
sectdamm amen autenticorum et eo-
rutn discipulorum, tali inceptione
considerabtt. Terminus euouae proti
et lateralis deuteri et subiugalis tritt
in chorda incipitur^ quae mese idest
medial didtur.^ Deuteri tritt et
discipuli tetrardi in irite diezeug-
menon^ idest iuxta tertiam disiunc-
tarn. Tetrardi in paranete diezeug-
tnenon idestiuxta ultimam disiunctam.
Omne melum compositum, si in
suajindli velper magistratumßnalis
inctpitur et suum diapente^ non
transgreditury inferius autemfinali ad
unam chordam protenditur^ quia dia-
penteamborum, idest domini et serm,
est commune, etiam melum erit com-
mune verbi gratia: Biduovivens,^
BernOj Prologus in Ton. (Ger-
bert II, 72 Spalte 2J. Si vero ad
diapente quidem pervenü etnecsupra
infra diatessaron habet, quia
nee
diapente amborum commune est, can-
tus quoque communis sit [ita tarnen
ut eorum alteri tribuatur, cuius et
^ Dem Schlüsse eines Gesanges pflegten die Worte: Oloria.patri et ßlto et
spiriiui sancto, sicut erat in principio et nunc et semper et in secuta aeetdorum amen
hinzugefügt zu werden. Dieser Satz wurde gewöhnlich auf sectdorum amen yer-
kürzt und noch dadurch vereinfacht, dass man aus diesen beiden Worten nur die
Vokale herauszog. Jeder modus hatte mehrere %eculorum amen.
2 In der Handschrift steht medium, wie auch im folgenden iuxta tertium
disiundum und iuxta ultimum disiunctum. Doch ist wohl hier chorda zu ergänzen
und daher die weibliche Form zu wählen.
3 Die Anfangstöne des secuhrum amen werden auch tenores genannt, cf . Gotto XI.
(Gerbert 11).
* Die Handschrift hat diapaeon.
^ Die Antiphone JBiduo vivens muß, wie aus Coussemaker, I, 422 ersichtlich
ist und es uns C. 184 [Domni Guidonis Abbatis in Caroli loeo JtegtUae de arte musiea)
berichtet wird, von manchen dem zweiten Tone zugerechnet worden sein. Dort heißt
es: Mirorergo, quare iUa antiphona i> JBiduo vivens« dicatur esse secundi modi, quia
et frequenter tangit quartam et in ea moratur et propriam habet compositionem
prtmi autenti idest primi tont. — Folgendes ist die Antiphone
-©-
^Eö
Bi-du - o vi'Vens pen-de bat in cruce pro Chri^sti no-mi -ne be - a ' tus
An-dre - as et do-ce- batpo-pu-lum
Aevia sind die Vokale aus Alleluia.
a ' e - Vi " a
E'U - O'U" a -e.
200
Johannes Wolf,
Lux orta est^ ei aliae quam
plurimae. quae proto aptantur ex
consuetudine. Hos vero quae
simili modo incipiunt et in eundem
locum ascendunt et descendunt, tdest :
O dofhine salvum,^ Oblatus
esi^ et alias mbiugali adaptamzcs,
quia ha>s frequentier illicontulit usus.
Sedmelum quod non pertingit ad
diapente, sive inferiusdiatessaronha-
buerit sive non^ pro imperfectione sui
plagi adaptabitur ut subscriptae te-
stanturantiphonae: Benedicatnos^j
frequentier usus habetur. JEcce kas
antiphonasvel his similes] idest: Bi-
duo vivens Lux orta est ad
protum canimus. Has vero quae
simili modo incipiunt, in eundem
locum ascendunt ac descendunt in
eundem^ idest ant, domine sal-
vum ant. oblatus est ad subiuga-
lern eius canimus. [s. obige Klammer.]
Berno Prol. i. T. G. II. 72, 2.
Si quis cantus a finali suo ad
diapente non pertingit, nee diätes-
saron inferius habet pro sui brevi-
tate vel imperfectione solemus cum
subingali designare; exempli causa
Lttx or -ta est su-per nos qui - a ho-di - e na-tus est sal-
va - tor
a- e - vi - a E- u- o - u - a - e.
O do-mi-ne sairvitmmefac o do-mi-ns be~ne pro-spe-ra-re.
Ob-la-tus est qui-a ipse vo-ki ~ it et pec-ca-ta no-stra ip-sepor-ta-vit.
^ Die Antiphone Benedicat nos habe ich in ihrem ganzen Wortlaut nicht
feststellen können. Coussemaker giebt in dem Intonarium des Abtes Oddo den An-
fang folgendermaßen:
Be-ne-di'cat nos.
Dieser stimmt aber nicht ganz mit der Neumirung über ein, die uns der Vrf.
der Qumesttones in Musica giebt, welcher die Stelle von Sed melum — iudicandus
wörtlich aufweist Benedicat nos deus deus noster =
Be-ne-di-cat nos de -us de- us no - ster.
Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 201
In omnemterram,^ Beata ma"
ier y^ Ju sie et pie. ^
Si quis autetn cantus non legi-
time inceperüy vel in processu sie
se variaverit, ut ad debitum finem
reffulariter occurrere non potuerit,
ita ut alio tono indpiat et alio
/Iniatur,
Fol. 183 V.
hie inquam cantus nothiis est indi-
citndus.
Prius autem Auius modi cantus
däigenter debet considd^rari^ si vel
inter protum et eius subingalem:
Benedicat nos deus deus no-
ster, Beatamater, Ceti celo-
rum. In omnetn terram. Juste
et pie. Juste iudicate.
Berno P. L T. G. H 77, Cete-
rum si quis cantus contra legem
finaUum ortus inceperit, vel aliter
contra regulam in processti varia-
verit, nee debito fivi occurrerit, ita
ut ab uno tono ordiatur, et in alio
terminetur, hie ialis magis nothus
quam legitimus est iudicandus.
^ ^♦«* I ^
In ofn~nem
ier- räm ex- % - vit so - nus « - o - rum
ei in ß-nes cr^is ter-rae ver
ba
e ' o - rum.
Beaüglieh des Tonumfanges stimmt diese Antiphone mit dem oben gesagten
überein, nicht aber bezüglich des modus. Im Intonarium des Oddo ist der Anfang
folgendermaßen gegeben:
Dies entspricht ungefähr dem neumirten Beispiel in den Q. i. M»: In omnem
terruim «*
2 Die Ant. Beata maier ist mir nicht gelungen festzustellen.
3
Juste et pi - e vi - va-mue exper-tan-te» be-a-tam spem et ad-
ven - tum do- mi-ni E ~u- o -u-a- e,
cf. das neumirte Beispiel in den Q. i, M, Juste et pie.
202
Johannes Wolf,
in transpositis ^ vel transformatispos-
sit cantari, Unusquisque enim tonus
transformatos habet modulos vel
transpositoSj ut siquis cantus inmem-
bris ßnalium propier deficientia ibi-
dem semitania nonpossit decurrere,
in transpositis vel transformatis de-
centerpossitprocedere, quodstudiostis
cantor diligenter debet attendere. Ad
quod comprobandum licet praesto sint
plurima^ duo tarnen suffteere viden-
tur exempla, ut ex similibus colligan-
tur similia. Turba multa,^ quae
si in membris ßnalium cantetur^ in
eo loco tn nomine domtm in mi
scilicet syllaba defectum patietur.
^ Das vel-vel zu Anfang scheint auf Verschiedenheit von transpositus und
trafisformatus hinzudeuten. Dem widersprechen aber die nächsten S&tze. Eine Er-
klärung der Bedeutung giebt Engelbert IV, 38 (G. 11, 365): Cum propter mutaUm
aliqttam consonanttam per occurmm semtUmii transpositi campeUimur cantum aUcmm
toni non in loeo 8%bi proprio et naturali incipere out finire, sed in consimili [Qtiarte
oder Quinte), tunc dieitur cantus sive tonus tranaformatus 9ive trcmspoaitus. IHeitur
auiem transpo^iius, quia sua inceptio et tenninatio transponitur a eua aede naturdU
ad consimilem; et dieitur transformatus, guta ex tunc, cum est transpositus, non de-
cantatur in naturalihus speciebus diatessaron et diapente et diapason iilius toni, sed
in consimüihus seeundum formean, et aliis secundwn locum et sedem fiaturalem.
Einige Theoritiker haben indessen die beiden Ausdrücke auch unterschieden.
cf, Q.i, M,: Transformatus modus dieitur qui transformam propriae qualiUUisinformam
convertitur alterius proprietatis , ita ut melodia plerumque magis videatur eius esse
modi, cuius non est, quam eius, cuius est. Quae vitiosa transformatio maxime fit
per h motte et frequentius in septnno et oetavo tono, quando scilicet cantiiena per
sf/nemmenon decurrit tetrackordum, ut G sonst protum. Transpositus modus dieitur,
qui a proprio sede in socialem chordam cantandus transponitur. Differt auiem a trans-
formato, quod ille fit vitio, iste regulariter et necessario.
Turba mtil-ta quae con-ve-ne-rat ad di- em fe-stum cla-ma - bat
do ' mi'^^: Be~ne-dic-tus qui ve ~nit inno-mi -ne do-mi - ni
l
o-san^na
in ex-cel'Sis E-U'0~u-a- e.
Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 203
Item: Domine gut operatt in
eo locotntabemaculo tuo,^ Ceterum
fnuUa sunt vitiata in cantionibus
tarn noctumis quam diumis, maxime
in aniiphoniSf qiuie ex psalmis com-
positae sunt^ cantorum vel inscitia
t>el incuriGf quiiefacHe possent cor-
rigi, si inolita consueiudo ab ore
cantantium posset evelli. Qua prop-
ter, ut iam praefati sumus, peritus
cantoT caute debet inspicere, utrumr-
(ne) cantus regülari a stia ßnali
incipiat ordine, si legitime currat,
ne quid naturali vitiata qualitate ab-
sonum Jiat, si rata tonorum semito-
niorumquedimensione beneconveniat,
ne extra metam inferius superius-
Bemo. P. i. T. Gerb. 11. 73, 1.
Quamquam haec reguia partim can-
torum insdtia, partim longo usu
inveterato constat omnino in multis
viticUa, tum in quotidianis anti-
phonis, quae inveniuntur compositae
ex psalmis, tum etiam in äliis plu-
rimis cantionibus^ in noctumis mde-
licet ac diumis, Quod quidem ad
regülam aliqtcatenus posset corrigi,
si inolita consuetudo ab ore cantanr-
tium potuisset ullo modo evelli. —
Gerbert 11 74, 1. Propter huius modi
aliosque devios errorum anfractus
debet peritus cantor caute inspicere,
utrum cantus regülari a suo ßnali
incipiat ordine, an legitime currat,
ne quid naturali vitiata qualitate
absonum ßat, si rata tonorum semi-
toniorumque dimensione consonantiae
bene conveniantj ne extra metam in-
^ Die Antiphone war nicht festzustellen, die Neumirung ergab folgendes:
Do-mi-ne qui o-pe-ra-ti in ta-ber-na- cu-lo tu - o
Über diese Antiphone spricht Oddo: Dicdogua de Musica, cap. VI. (Gerbert I,
256, 2) In antiphona: »Dotnine qui operati sunt« haec diligerUius prohari poteris:
nam si eam incipias in sexto modo, ut muÜi probant, in F littera, non discrepabU ah
eo modo usque ad semitonium, quod est »in tahemaculo tuo« in una syUaba, Sed
quia in usu ita est et bene sonat, emendari non debet. Sed inquiramus, anforsitan
in aiio tono incipiatur totaque in eo modo consona inveniatur eamque emendari
opus non sit.
Incipe itaque eam in G littera, hoc est, in odavo modo et regulariter in eo
sütre probabis. Unde quidam incipiunt Domine sicut: Amen {amodofj dico vobis.
Ex quo comprehendituTf quia imperitus musicus est, qui fadU ae praesumptuose
pJwres cantus emendaty nisi prius'per omnes modos investigaverit, si forsitan in
aUquo stare possit; nee magnopere de simüitudine aiiorum eantuum, sed de regülari
veritate curet. Quod si ntdlo tono placet, secundum eum tonum emendetur, in quo
minus dissonat. Atque hoc observari debet, ut emendatus cantus aut decentius sonst,
out a priori svmüitudine parum discrepet. Läßt man demgemäß die Antiphone auf
G anfangen, so fiäüt das synemmenon fort:
204
Johannes Wolf,
gue canendi exo9'dium sumaty st ad
finalem recto legis tramite recurrat,
qui finales illius et illius cantilenae
existanL Haec est autem regtda ad
quodlibet melum inchoandum^ ut nee
supra quintum superiorem, nee infra
quintum inferiorem locum aliquando
incipiat, sed intra novem ülos modos
superius dictos inceptiones stias co-
hibeat. ^
Considerandum quoque est quod
sicut grammaticae ita insunt vitia
musicae, quae peritus cantor tanto
magis vitare debet, quanto haec ars
caeteras liberales artes antecellit.
Nam ut illud appellam de caritate,'^
etiam de hac inferam. Aliarum scienr^
tia destruetur, haec nuryquam excidet.
Fol. 184 r.
Etenim cum psalmista prae-
mitteret: Psallite deo nostro,
psallitCj psallite regi nostro,
psallite — ad postremum inttdit
— psallite sapienter,^
Quemadmodum igitur in sgllabis
aiiae producuntur, aliae corripiun-
tur, ita et in melodiis aliae cursim,
aliae morose^ aliae perfecta sursumj
aliae retractim^ aliae graviter, aliae
mansuete et vario modo, prout se
habet cantilenae dignitas, promendae
sunt. Unde et in cantionum libris
tam nociumis quam diumis* in-
ferius aut superius canendi ezor-
dium sumatj si ad finalem suum
recto legis tramite recurrat, qtd fi-
nales* illius et illius existant ....
... — Et haec est eorum regula
ad quodlibet melum inchoandum, ut
nee supra quintum superiorem ^ nee
infra quintum inferiorem locum cdi-
quando incipiant, sed inter eas octo
voces vel aliqwndo novem initia
sua cohibeant.
1 Die Ausdrucksweise unseres Verfassers ist klarer, als die des Bemo. Unter
dessen 8 oder 9 voces sind offenbar die Töne zu verstehen, welche sich aus der
Summation der oberen Quinte und unteren Quarte oder Quinte ergeben.
3 Caritas ist nicht als Stoff aufzufassen, über welchen er gehandelt hat.
3
jooe.
ps.
.' . • . . . .
Ps(d-li-ie de-o nostro psal-li - te psal-li-te re-gi nostro psallite sa-pi-enter.
^ Um bequemer gebraucht werden|zu können, scheinen die Antiphonarien in zwei
Theile zerlegt worden zu sein, in einen für die kanonischen Stunden der Nacht und
einen für die des Tages.
Ein anon3niier Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhundert«. 205
veniuntur notulae ex alphabeio neu^
fnis appositcte^ qtioe idipsum signi-
Jlcentf * verbi gnUia a. c. g. l, m,
s. t. Inveni praeterea cuiusdam inr-
dustrii adtnodum mtmci, mm am-
temnendum huiua tnodi exemplar, per
omnes ordinatim alphabeti lüteras
cum stgmßcationibim suis. Quod hie
ponere mihi quidem non pigrum,
Btudiosis autem fortassis non erit
ingratum: a ut altius elevetur ad-
monet, b ut bene gravetur sive teneor-
tur, c ut cito dicatur, d ut deprima-
tur, e ut equaliter sonetur, fut cum
fragore feriatuTy g ut in gutture
garruletur gradatim ; h ut sicut ipsa
in scriptura aspirat, ita et in nota
idipsum fadat; i inferius insinuat;
k licet apud latinos parum vel nihil
valeatj apud nos tarnen allemannos
klenke ue.clange signißcat; l levare
neumam, m mediocriter moderari
melodiam; notare n significat; o
figuram sui in ore cantantis ordinat,
p preesionem vel perfectionem si-
gnificat; q in signtficationibus nota-
Nother Balbulus in dem Brief
an Lantpert (cf. Geibert I, 95) a
ut altius elevetur, admonet, b secun"
dum litteras quibus adiungitur, ut
bene, multttmextollatur, vel gravetur
sive teneaturj belgicat; c ut cito
vel celeriter dicatur, certificat; d
ut deprimatur demonstrat; e ut
equaliter sonetur eloquitur ; / ut
cum fragore seu frendore feria-
tur , ßagitat ; g ut in gutture
gradatim garruletur, genuine gra^
tulatur] h ut tantum in scriptura
aspirat ita et in nota idipsum habi-
tat; i iustem vel inferius insinuat
gratitudinemque pro g interdum
indicat; h licet apud latinos nihil
valeatj apud nos tarnen allemannos
pro X graeca positum chlenche idest
clange clamimt;l levare laetatur; m
mediocriter melodiam moderari men-
dicando memorat; n notare, hoc est
noscitare notißcat\ o figuram sui in
ore cantantis ordinat; p pressionem
vel prensionem praedicat ; q in signi-
ficationibus notarum cur quaeratur,
cum etiam in verbis ad nihil aliud
1 Aus dem Conjunctiv signißeent läßt steh ein gewisser Zweifel an der Rich-
tigkeit der Notkerischen Erklärung herauslesen. Dieser Zweifel ist ganz be-
rechtigt, denn nach Notker's Ausdeutung sagen die Buchstaben uns nichts anderes,
als was die Neumen schon ausdrücken. Qans richtig sagt Joh. Cotto XXI (Qerbertlly
259): 8ed etat eis (sei. litierüj trtbuatur aliqua certa significiUto, non tarnen per
hoc exstirpaiur amnts dubitatio, dum cantor adhuc manet ineertus de modo inten-
nonis et remissionis. cf. die versuchte Deutung der Buchstaben bei Riemann,
Studien sur Geschichte der Notenschrift, Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1878.
Vergleiche femer: P. A. Schubiger^ Die Sänger schule von St. Gallen, Ein-
siedel und New^York, 1858.
206 Johannes Wolf,
scribaiur, nisi ut sequens v vim suam
rum non invenitur; r rectitudinem amittere quaeritur; r rectitudinetn
vel criapationem sign^cat; 8 sur-
sum scandere; t trahere.
Quae reliquae sunt littertte in
significationibus notarum nihil va-
lent,^
Accidii, etiam ut per cola^ et
cammata toiitts cantilenae periodus
texatur, ut per singtdas sensus cae-
suras ad finalem suum recurrat.
Qui modus cantandi pulcherrimus
et rectissimus, ut in illa antiphona :
a progenie in progenies.^
Item: fecit misericordiam
dominus j ita et per singtdas
senstis caesuras usque ad finem,
Similiter in illa: Gau de et
vel rasuram non aholitioms sed cri--
spationis rogitaU; s susum vel sur-
sum scandere sibüat; t trahere vel
tenere debere testatur etc.
^ Der Verfasser der Quaestiones in Musica, welcher die Lehre von den
Bomanusbuchstaben dem vorliegenden Traktate entlehnt hat, schließt folgender-
maiSen : Q et reliquae litterae in 8ignißc4Xti<m%bu8 notarum probaniur nihil valere, Sed
et exsuprascriptis omnibtMhas tantum in noetris antiphonariia frequentari repperimus.
a. c. e, h. t. m, s. t Haec ut praediximus in eanendo fuit antiquie cantoribus
consideratio, quae iamdtid^m obiit, immo seputta est. Zieht man nun in Betracht,
wie wenige Schriftsteller des Uten und 12ten Jahrhundert überhaupt nur eine
Kenntniß der Romanusbuchstaben ahnen lassen und die meisten Ton ihnen die-
selben nur oberflächlich berühren, so scheint mir die Behauptung Schubiger's,
daß die Kenntniß der Komanusbuchstaben im Uten und 12ten Jahrhundert yon
großer Ausdehnung gewesen sei, mit obiger Stelle zusammengehalten, siemlich
hinfällig.
^ Die Ausdrücke Colone comma, periodus sind der Grammatik entlehnt Nach
der Musica enckiriadis ist eolon es 2 oder mehr commata. Ein comma besteht
aus elevatio und depositio. Der Abstand Tom höchsten und tiefsten Ton eines
comma heißt diastema. Mehrere cola bilden eine Periode (periodus). Ootto scheint
die Begriffe eolon und comma mit einander vertauscht zuhaben. Cotto X: Inprosa
quippe quando suspensive legitur^ eolon vocatur, quando per legitimum punctum sen-
tentia divididur, comma ; quando sententia adßnem dedttcitur, periodus est; Verbi gratia
Anno XV imperii Tiberii Caesaris, hie in omnibiM punctis eolon est, deinde ubi
subditur, sub principibus sacerdotum Anna et Caipha^ comma est; in ßne autem
versus ubi est Zachariae ßlium in deserto, periodic est. Similiter cum eantus in
quarta vel quinta a ßnali voce per suspensionem pausat, eolon est, cum in medio
ad ßnalem reducitur, comma est, cum in fine ad finalem pervenit, periodus est.
3 Die Antiphone A progenie in progenies war nicht festzustellen.
Ein anonymer Musiktraktat den elften bis zwölften Jahrhunderts. 207
laetare^ et in alüs quam phir-
rimis qtias longum est enumerare.
De finaübus autenticorum et dir-
sdpulomm.
fol. 184 V.
Hü breviter praelibatiSf quae
ratio m compositione cantus debeat
observari, diligenter a nobis debet
cansiderari. Et primum quidem de
Jindlibus sin^orum dicamua, quia
de inceptiombus superius succincte
notammus,
Cantus iffitur primi magistri
eius^ue discipuli* in lichanos hypa"
tan tdest in D^finitur^ secundi eius-
ffue discipuli in hypate meson^ idest
in E, tertii eiusque discipuli in
parhypate meson, tdest in Fy quarti
ei eius discipuli in lichanos meson,
idest in G terminatur, Primus
iffitur magister protus appellatur,
eiusque discipulus plagis proti nomi-
natur. Secundus magister dicitur
deuterus, eiusque discipulus lateralis
illiuSf tertius tritus, subiugalis sub~
ditus eius, quartus tetrardus; di-
scipulus eius habetur octavus. —
Quordam inceptiones, nomina etfina-
les eorum diximus, intensionis et
Anonym. I (Oerbert I, 336). Can-
tus igitur primi magistri eiusque
discipuli D finitur, secundi eiusque
discipuli Ej tertii eiusque discipuli
F, quarti
eiusque discipuli O.
Anonym. I (Gerbert I 336, 2).
Sed quoniam nomina etßnales eo-
rum diximus, intensionis et remis-
^ In vigilia nattvitiUis Domini
Qaude et lae-ta - re Je-ru - 9a - Um ec-ce rex tu- U8 ve-nit de quo
pro-phe " tae prae-ci - ne-runt, quem ange 'U ad - o - ra - ve- runt, quem ehe"
ru 'hin et se-ra-phin eanc-tue sane-tus sane-tue pro - cla-mant,
2 Die Ausdracke magister, discipulus sind der Reiehenauer Schule eigenthümlich.
3 Die Tonbuchstaben fehlen in der Handschrift. Aus dem freigelassenen
Baume geht hervor, daß der Schreiber sie nachträglich farbig hinzufügen woUte.
208
Johannes Wolf,
remissionis Itmites aperiamus. Sed
quoniam regüla intensionis et re-
missionis antiquorum dliquantulum
discrepat a sententia iuniarum, po-
namus sententias singuhrum^ prius
tarnen antiquorum,
Antiquorum intensionis et remis-
sionis reffula.^
Primus igitur magister ascendit,
ab ipsaßnali ad nete diezeugmenon,
idest e litteram et descendit ad pros-
lambanomenos , idest A; eius vero
discipulus intenditur admese^ idest
a, vel paramese, quae est t], et re-
miititur ad eandem, ad quam et
magister. Secundus magister inten-
ditur ad trite hgperbolean, idest f^
et remittitur ad hypate hypaton,
quae est B; eius vero discipulus in-
tenditur ad trite diezeugmenon, idest
c, et remittitur ad eandem, ad quam
et magister eius. Tertius magister
ascendit ad paranete hgperboleon,
quae est g, et descendit ad hypate
hypaton, idest B; eius vero disci-
pulus intenditur ad paranete die-
zeugmenon^ quae est d, et remittitur
ad eandem, ad quam et magister
eius.
Quartus magister ascendit ad
nete hyperboleon, quae est a, et
descendit ad lichanos hypaton, quae
est D; cuius discipulus intenditur
ad nete diezeugmenon ^ qtuie est
Cy et remittitur item ad lichanos
hypaton, quae est D. Haec antiqua
sionis limites aperiamus.
Anonym. I (Oerbert I, 336, s).
Primus magister ascendit ad Ple'Pet
descendit ad A. [A\
eius vero discipulus intenditur
ad H [a] vel M[jg^]et remittitur ad
idem A, [A]
Secundus magister ascendit ad
Q[f]et descendit ad B [B]]
eius discipulus intenditur ad N^
[c] et remittitur ad idem B. [B]
Tertius magister ascendit ad
B[g]et remittitur ad C [C] ;
cuius discipulus intenditur ad
0[d\et descendit ad idem C. [C\
Quartus magister intenditur ad
S [a] et descendit ad D [D];
cuius discipulus intenditur ad
0[d]et descendit ad idem C. [O]
Haec est enim intensionis eorum
1 Der Kaum für die Überschrift ist nicht ausgefüllt, die Tonbuchstaben sind
nach den griechischen Tonnamen von mir hinaugefügt worden. Die AuBdrQcke
iniensio und remissio sind vom Anspannen und Nachlassen der Saite gewonnen
und sind gleichbedeutend mit elevtUio und depowtio.
2 Anonymus I bedient sich zur Beseichnung der Töne der Buchstabenreihe
A-8 mit Ausschluß von I-L. Das A ist aber hier im Gegensats zu Boetius wirk-
lich der Pro9lambanomenos A.
3 Oerbert hat : intenditur ad Q. Dann wfire aber sowohl die elevatio als auch
die depositio deuteri autentiei und plagalis gleich.
Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 209
est antiquorum intensionis et remis-
sionis reguia *, guod veris assertto-
nibus in quibusdam prohari poterit
cantionibus. Sed iuniares subtilius
et cumiius considerantes et certius
leffoKusque discriminantes^ non ex
toto consentiuntj non ex toto dis-
sentiunt Aiunt enim inter modos
esse certas oportere differentias^ ut,
cuniscunque sint, cognoscere possi-
tnus cantilenas, Si enim primus
modus a nete diezeugmenon [e] re-
tnittatur ad proslambanomenos [A],
secundtis vero a paramese [tj] ad
eandem proslambanomenos [A], si
inter mese [a] et proslambanomenos
[^ cantus non excedens componatur
et in lichanos hypaton [D] utrius-
que ßnaii regulariter terminetur,
incertum [est],^ cui poiius deputetur.*
Pari modo si tertius a trite hy-
perboleon [f] ad hypate hypaton
\B] deponatur, qtiarttif vero a trite
diezeugmenon [c] ad eandem hypate
hypaton [B] remittatur, cantus, qui
inter paramese [b] et hypate hypaton
[B] compositus in hypate meson
utriusque ßncdi finitur, cuius potius
siij incertum habetur. Idem con-
tingit in caeteris. Ad hanc ergo
incertitudinem propulsandam, iuni-
orum comprobamus regulam. Cuius,
quoniam est probabilior, tractatus
ßat diligentior. Finales, uti prae-
diximus , serventur , intensiones
et remissiones aliquantulum va-
rientur.
antiqua reguia et remissionis, quod
probari potest in multis cantUenis
Sed iuniares subtilius et
acutius diiudicantes et certius lega-
liusque discriminantes non ex toto
consentiunt nee ex toto dissentiunt,
Aiunt enim inter modos esse
certas oportere differentias, ut, cuius-
cunque sint, cognoscere possimus can-
tilenas. Sed si primus modus re-
mitiatur ad A [A]
secundus vero ab M [Ij] ad idem
descendit A [A\, si inter H [a] et
A [A]
cantus non excedens componatur et
in D [D]ßnali utriusque regulariter
ierminetur, incertum est, cui potius
deputetur.
Pari modo si tertius a Q [/]
deponatur ad B [B], quartus vero
ab N [c] ad idem remittatur B [B]y
cantus qui intra
M [ij] et B \B\ compositus est,
ßnitur, cuius potius duorum sit, in-
certum habetur. Idem contingit in
caeteris, ad quam incertitudinem
propulsandam iuniorum comproba-
mus regulam^ cuius,
quoniam est probabilior, tractatus
ßat diligentior. Finales, uti prae-
diximus , serventur , intensiones
vero et remissiones aliquanttdum va-
rientur.
1 Bei der älteren Regel unterscheiden sich also magister und disciptUus nur
dadiurch, daß ersterer bis zur None, letzterer bis zur Sexte aufsteigt. Der Abstieg
ist bei beiden derselbe.
' Der Ausdruck iuniares suhtilitu et acutius considerantes et certius Ugaliusque
discriminantes ist im Uten und 12Jten Jahrhundert typisch.
^ Nach Anonymus I ist wohl est zu ergänzen.
^ Die Worte von iuniores — deputeiur finden sich auch in der eingeschobenen
Stelle bei Berno Prologus (Gerbert 11, 71).
1893. U
2t0
JohAnnes W6ki,
Regula inteiisums et remissioms
secundum mmores.^
Primus modus intenditur ad pa-
raneie diezeugmenon^ quae est d,
aliquando vero ad nete diezeup^
menon idest e^ remittitur autem ad
parhypate kypaton, idest (7, conti-
nens quartam inter lichanos kt/pa-
ton et paranete diezeugmenon dia-
pason formam^ supra vero et infra
diapason chordam. Secundus modus
ascendit ad mese, idest a, aliquando
ad trite diezeugmenon, idest c, de^
scendit ad proslambanomenos, idest
A, possidens inter hanc et mese
primam^ diapason spedem [supra
vero vocem].^ TerHus modus in-
tenditur ad nete diezeugmenon, idest
Sj aliquando ad trite hyperboleon,
quae est f, remittitur vero ad li-
chanos hypaton^ idest D, possidens
quiniam inter hypate meson et nete
diezeugmenon diapason^eciemySupra
vero et infra vocem. Quartus modus
ascendit ad paramese, quae est |;|,
aliquando ad trite diezeugmenon quae
[vel id]est c, descendit ad hypate
hypaton, quae est B, continens se-
cundam inter hanc et paramese dion
pason formam^ supra diapason vero
chordam, Quintus modus ^ intenditur
Anonym. I (Qerbert I, 337).
Ptimus modus intenditur ad O
[{fj, raro autem ad P(e), descendit
ad C (C)y continens quartam inter
D et O diapason formam, supra
vero et infra chordam.
Secundus modus ascendit ad
H[a]y raro autem ad M (6 1;) vel
I {?)y remittitur ad A, possidens
primam inter A et H diapason spe-
ciem, supra vero rarenter vocem;
et hi sunt primus magister emaque
discipulus, Tertius modus intenditur
ad P (e), raro autem ad Q (f)
descendit ad D [D) . . . possidens
quintam inter JE et P diapason epe-
dem, supra "vero et infra vocem.
Quartus modus ascendit ad M
({7, li)), raro autem ad N(c)y demit-
titur ^ ad B {B) , continens secundam
inter B et M diapason formam^
supra vero chordam.
Quintus modus intenditur ab Ead
^ Diese Regula findet sieh auch in der eingeschobenen Stelle bei Bemo
(Qerbert ü, 70, g). Sie stimmt fast wörtlich mit Ammym, überein, hat aber anstatt
der Tonbezeichnung durch die Buchstabenreihe des Alphabets die griechischen
sowie die seit Oddo gebräuchlichen Tonnamen.
* forma = species.
^ primam fehlt in der Handschrift.
^ Die eingeklammerten Worte siud analog den anderen modi hinzugefügt
^ Bei Bemo: descendit.
^ Bei Bemo heißt die Stelle : Quintus modus intenditur ad f,' quae est trite hyper-
boleon, raro autem ad g et remittitur ad £, hoc est hypate meson, continens inter Fetf
sextam diapason spedem supra vero et inßra vocem, Sextus modus ascendit ad c,
quae est trite diezeugmenon^ raro autem ad d, hoc est ad paranete dieteugmenon et
descendit ad C, quae est hypate hypaton^ possidens inter C ete tertiam diapason formam,
supra vero aliquando chordam. Der Wortlaut des siebenten modus entspricht dem
des fünften, der des achten dem des sechsten.
Ein anonjmer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 211
ad irite hyperboleon, qucie est fy
Fol. 185 V.
remittiiur autem <ui parhypate
mesofiy quae est Fj continens sextam
inter hone et trite hyperboleon dia-
ptisan formamy supra vero, quia ad
paranete hyperboleon, quae est g,
ascendit chordam,
Seztus modtAS intenditur ad trite
diezeuffmenon, quae est c, remittitur
vero ad parhypate hypaton^ idest C,
poMsidens inier hbnc et trite diezeug-
menon tertiam diapason speciem,
supra diapason vero vocem, Septimus
modus intenditur ad paranete hyper-
boleon^ quae estg, remittitur autem ad
parhypate meson, idest F, continens
septimam inter lichanos meson, quae
est Gy et paranete hyperboleon,
idest g, diapason speciem, Octavus
modus ascendit ad paranete diezeug-
menon, quae est d, [aliquando autem
ad e], 1 descendit vero ad parhypate
hypaton, idest C, continens secun-
dum primum magistrum diapason
speciem, supra vero et infra vocem.
Hufic enim tonum ut Boetius
refert Ptolemaeus apposuit, ^ et quia
diapason octava caret specie, quar-
iam utprimus obtinuit Qui quam-
f>is eandem teneat speciem, diversam
tarnen habet ßnalem, sed eandem ad
parhypate hypaton, idest C, remis-
sionemj licet raro proveniat
J)e cantuum inceptUmibus?
His de intensione et remissione ?nagi-
strorum et discipulorum succincte
praenotatis, considerandum videtur,
ö \f)i ^örro autem ad R {g), con-
tinens sextam inter F et Q diapch-
son speciem, supra vero et infra
vocem.
Sextus modus ascendit a C ad
N {c) , rarenier vero ad O (d), possi-
dens tertiam inter C et N diapason
formam, supra vero chordam,
Septimus modus intenditur ab
F ad R {g), rarenter autem ad S
[aj, continens septimam inter G et
R diapason speciem, supra vero et
infra vocem.
Octavus modus ascendit ad O
[d) , raro autem ad P, possidens
qua?' tarn aD adO secundum primum
magistrum diapason formam, supra
vero chordam.^
Hunc enim PtolemaetAS annexuit
et quia diapason octava specie ca-
ret, quartam ut primus obtinuit.
Qui quamvis eandem teneat ^ speciem,
diversam habet finalem et non ean-
dem ad C remtssionem.
^ Die eingeklammeiten Worte fehlen in der Handschrift; sind aber aus supra
vero vocem 2u ergänzen*
2 Auch bei Berno findet sich nur ein Abstieg bis D.
' Den Fehler, daß Ptolemaeus den achten modus (tonua hypermixoJydiue) hinzu-
gefügt habe, hat Boetius in die mittelalterliche Musik hineingetragen, cf. Boetigis
de inst. mus. IV, 17 ed. Friedlein pag. 348^.
^ Berno h«t habeaif stimmt sonst aber vollständig mit Anonymus überein.
3 Die Überschrift ist Ton mir hinzugelägt.
14*
212
Johannes Wolf,
quibus chardarum sedibus magi-
strorum et disctpulorum inchoentur
regulariter cantus,
Cantus primi magistri incipii
qiiatuor chordis C D F a,^ Can-
tus discipuli quatuor habet principia
sicut et magistri A C D F, Cantus
secundi magistri tribus chordarum
iiicipit sedibus E G c, Subiugalis
deuteri idest secundi magistri in sex
chordas suas distendit incipientias
C D E F G a, Omnis cantus triti
i. e, tertii magistri tribus chordarum
sedibus suas terminat incipientias
Fj a, c, Discipulus^ vero duo sor-
titur principia F D.
Quartus magister quatuor cantus
habet initia G t^ c d. Discipulus
tetrardi, idest quarti magistri^ spa-
tiosior reliquis invenitur [fore'^]
discipulis, initia sui cantus sex chor-
darum protelat sedibus C D F g a c,
Fol. 186 r.
De consonantianim speciehus}
ConsideratiSj utcumque in cantu
inveniuntur, tonorum inceptionibtis^
nunc ad consonantiarum species
veniamus, ut, quibus numerorum pro-
portionibus unaquaeque consietj vi-
deamus. Et primo quidem, quid
sit consonantia, dicamus; dehinc
species et numerorum proportiones
pro captu ingenii aperiamus,
Consonantia est diversarum vo-
cum concentus suaviter et unifor-
miter accidens auribus;^ veluti si
in aliquo musico instrumento, dili-
Anonymus I, (Gerbert I, 333).
Consonantia est diversarum vo-
cum concentus suaviter et umfor-
miter accidens avribus^ ut siin lyra
vel alio aliquo instrumento düigenter
1 Die Anfänge sind nach dem Verfasser der Quawtionea in munea erg&nÄt,
der die Lehre über dieselben unserem Traktate entlehnt hat.
2 Nach Handschrift discipuli. * _^ i ..^«
3 Fore paßt nicht in die Konstruktion des Satzes. Besser ist» es fortiulassen
oder durch esse zu ersetzen.
* Die Überschrift ist hinzugefügt, . ^ . -4
5 Vergl. Boetius, Inst. Mus. I, 8: Consonantia est aeuti sont grävtsque mtxtura
sfMviter uniformiterque auribus accidens.
Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 213
genier intensis nervisj primam et
guartam, primam et quintam^ pri-
mam et octavam simtdteiigerie cnor-
dam^. Inter species igiiur con-
sonantiarum diatessaron ponitur
pHnuM, quae habetur et minima,
diapente secunda diatessaron una
superans chorda, qtme tonus exstat
proportione sesquioctava ; ex his
duabus camposita diapason consti-
tuitur tertia, diapason et diapente
quartay bis diapason ponitur quinta,
His quinque speciebus, si diapason
et diatessaron adicias, sex habebis
consanantias. Quam Pythagoras^
quidem praetermisit, sed Ptolemaetis
rationabili iudicio apposuit.^
Quod si quis hanc neget esse
y^eciem, cum generis sui subiaceat
difflnitioni, facülime convincipoterit
raüone, Si enim homo est sub-
stantia animata, rationabilis, sensi-
bilis, procul dubio speciebus inter e-
rit animalis. Si autem diapason
et diatessaron est diversarum vocum
concentus suaviter et uniformiter
accidens auribus, iure interponetur
consonantiae speciebus, Sed hoc
eaim esse nemo est,^ qui possit in-
ficere,^ si rei veritatem studeatper-
pendere,
Igitur speciebus immo ipsis inr-
tererit consonantns. Prima igitur,
quae diatessaron dicitur, sesquitertia
tensis et remissis nervis primam et
quartam, seu primam et quintam
vel primam et octavam simul ferias
vocem; quarum prima, quae et mi-
nima, diatessaron dicitur, secunda
diapente tono maior, tertia ex his
duabus compacta diapason, quarta
diapason et diapente, quinta bis
diapason, vel disdiapason, Quibus
si secundum Ptolemaei rationabüe
iudicium diapason et diatessaron
adicias, sex habebis consonantias. . ,
Nam si equus est
substantia animata, sensibtlis, pro
certo speciebus intererit animalis;
quod si diapason et diatessaron est
diversarum vocum concentus sua-
viter et uniformiter accidens auri-
bus, iure interponetur consonantiae
speciebus, Sed eam hoc esse nemo
negare poterit; igitur consonantiis
intererit.
Prima ergo quam diatessaron
diximt^s, in sesquitertia proportione
^ Aus den Worten der Parallelstelle diligenter tensis et remissis nervis scheint
hervorzugehen I dass ein Instrument mit gleichlangen Saiten gemeint ist. Dann
kann es wohl nur das psaUeriutn decachordutn sein.
^ Das Wort Pythagoras fehlt in der Handschrift, lAsst sich aber aus den
Quaesiianes in Musica ergänzen, welche die Stelle von Inter species bis intererit
consonantiis fast wörtlich wiedergeben. Nach der Lehre des Pythagoras bilden nur
multiplex und superparticülare Verhältnisse Konsonanzen. Da nun das Verhältniß
von diapason et diatessaron superbipartiens ist, so ist es nach ihm keine Konsonanz.
3 cl Boetius Inst. Mus. V, 9. »Demonstratio secundum Ptolemaeum diapason
et diatessaron consonantiam esse.«
* Das est ist aus den Quaestiones in Musica ergänzt.
^ infieere mittelalterlich für inßtiari.
2t4
Johannes Wolf,
conatat proportione, veluti s% qua-
temarius conferatnr temario, dia-
pente vero sesqualiera, ut si qua-
temario conferatur senarius, Dia-
pason in dupkiy ut si praedicto
temario idem conferatur senarius,
diapason et diatessaron in duplici
sesquitertia , ut si eidem senario
sedecim conferantur in nutnero;
diapason et diapente in tripla, ut
ad saepe dictum Fol. 186 ▼. sena-
riuntj si decem conferantur et
octo. Bis diap<ison in quadrupla,
ut ad senarium XXIV. Nemo
autem ezistimet idem esse dia-
tessaron, quod sesquitertium, dia-
pente quod sesqualterum, diapason
quod duplum, Nam quod in arith-
metica^ sesquitertium vocatur, in
musica diatessaron appellatur , eo
quod sub IV voculis talis proportio
contineatur; diapente, quod sonat
de quinque, quod suh totidem vocu-
lis constituatur. Diapason vero,
quod dici potest de omnibus, hoc
ideo nomen accepit, quod harum
duarum^ omnes voces contineat, vel
quod melius puto, omnium in se
vocum discrimina concludat. Sep-
tem namque sunt vocum* distantiae,
quae consiituunt tres species sym-
pkoniae: diapente scilicet et dia-
tessaron, quas utrasque, ut dictum
est, concludit in se diapason.
Quarum species et spatia licet
superius manifeste sint dicta,
cuiusdam^ tarnen versus easdem
species et spatia declarantes hie
inserere dignwn duximus, qui sie se
habent.
consistit, ut si temario conferatur
quatemarius. Diapente vero in
sesqualtera, ut si quatemario con-
feratur senarius. Diapason indupla,
ut si praedicto temario idem se-
narius, Diapason et diatessaron
in duplici sesquitertia, ut si eidem
senario sedecim.^
Diapason et diapente in tripla, ut
si saepe dicto senario decem et octo.
Bis diapason in quadrupla, ui
si eidem senario contuleris XXIV,
Nemo autem ezistimet idem esse
diatessaron quod sesquitertium, dk^
pente quod sesqualterum, diapason
quod duplum. Nam quod aritk-
metici sesquitertium dicunt, musici
diatessaron, quod sonat de quahtor,
quod sub quatemis voculis talis
proportio contineatur; diapente^ de
quinque, quod sub totidem conti-
neatur. Diapason de omnibus, vel
quod harum duarum omnes voces
contineat, vel, quod melius puto,
omnium vocum discrimina in se eon-
cludat.
Nam Septem dumtaxat sunt vo-
cum distantiae, videlicet AB G D
E F G; [quodsi octavum, quae est
H, teUgeris, eandem invenies primae].
^ Bei Oerbert fftlsehlich quatuardeeim.
3 Handschrift hat arimeiica.
3 8cl. consonanttarum diapente et diattssaron.
^ Die Stelle klingt an Vergil. VI, 646, an: Septem diserimüut vocuni,
^ Den Verfasser der Verse habe ich nicht feststellen können.
EiD anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 215
Septem sunt voces, quaeformant
symphonias tres :
Quinae distinctae quadris spa-
tiis (üapente,
Bü binae %pat%o dtatessaron at
iriplicatOj
Octonae prima diapaaon candu-
plicata.
Tot spedes ipsum quoque per--
ßciunt diapasan.
Tres aiapente toni ac semis
specie quadriformij
Ditanus at trimode diatessaron
hemitonusque.
limma modos harum discemit
symphaniarum,
Post out ante tonunty prope
ßnem sive supremum,
Duobus praeterea versibus de^
ciarat f^ quae spedes proto, quae
deuteroj quae tritOj quae tetrardo
conceniat.
Prima proto spedes aptatur,
deutera deutro,
Tertia nam tritum sortitur,
quarta tetrardum.
Septem ergoj ut dictum estj dia-
pason habet spedes j una minus
quam voces. Septem quoque secun--
dum diapason spedes modos sive
tonos Juisse, sed Ptolomaeum octa*
vum addidisse, Boetium novimus
in musicis tradidisse.^ Sed quia
diapason octava spedes de^uit^
gratia primi locum societatts in
specie obtinuit. Ilhid quoque con-
siderandumy quod cum in uno dia-
pason Septem diversae voces non
nisi duo tetracAorda^ efftdant, sep-
tenarius vero^ ut cunctis liquet unam
Anonymus I. (Gerbert I, 335). Sic
ergo diapason Septem habet spedes^
unam minus quam voces (, . . J
Septem tantum secun-
dum diapason spedes modos fuisse,
sed Ptolomaeum octavum superad-
didisse, Boetium in musicis tradi-
diese novimus.
Hermannus Contr actus, :Bram-
bach pag. 5, 27—33). Hlud quoque
sdendum^ quod
unam, ut cunctis liquet medietatem.
* Nämlich auet&r verntum.
' c£ BoetiuB Inst Mut. IV, 17. Der Plural musicis erklärt neh daraus, da0>
das Werk des Boetius aus 5 Büchern besteht.
3 Hermannus gebraucht für tetrachordum den Ausdruck quadrichordum.
216
Johannes Wolf,
medietatem possideat, necesse est
duo tetrachorda ipsa una medietate
continuari, quam Graeci sinaphen,
no8 coniunctionem possumus dicere,
ut mdelicet sit prioris quarta et
acutissima, posterioris vero prima
et gravissima. Quam medietatis
rationem exsequendampro litterarum
posttione sorte videtur obtinere,
Adhuc et illud in ietrachordorum
speculatione considerandum est, quod
cum in multis communiay in hoc
privata possident offida, quod pri-
mum et quartum sibi in eztremi-
tatibus opposita, alterum nesessario
ffravissimum melodiae descensum,
alterum altissimum ascensum, duo-
rum vero mediorum alterum conti-
lenae exitum, alterum initia om-
nium excepta una in seculorum
amen continet differentiarum, Ubi
illud non praetereundum videtur,
quod, quemadmodum discipulus non
est super magistrum, ita nulla sub-
iugalium differentia vel super ma-
gistrum^ vel cum ipso, sed semper
infetius locum accipit. Omnis autem
autentus, praeter deuterum, quinto
a finali loco, idest in suo diapente,
dijferentiam seculorum amen collo-
cat, omnis vero subiugalis subtus
in secunda vel tertia chorda incep-
tionem seculorum amen terminal.
Idem autem, quod de differentiis
seculorum amen posuimus, de diffe-
rentiis tonorum^ dicere possumus.
tU videlicet superioris sit quarta
quam medietatis rationem pro lit-
terarum positione solum D sorte
ordinis exequendam obtinutt.
H. C. 6, 12—21. Adhuc et illud
in quadrichordorum speculatione
scire oportet, quod . . .
private et propria
exttum, alterum una excepta om-
nium continet initia differentiarum.
Omnis etiim autentus quinto a
finali loco ......
^ Besser w&re super magiatri differentiam vel cum ipsa.
2 Unter differentiae tanarum sind jene Grundmelodien zu den Worten Naeane,
Nonnanoeane, noeagis etc. [adverbia laetantis secundum Cotionem] zu verstehen,
welche bei Vergleichung mit andern Gesängen durch besonders hervortretende
Töne (Keperkussionstöne) eine Erkennung des modus des Gesanges ermöglichen.
Folgendes sind z. 6. nach Hucbald's Commemoratio hrevis die Differenzen des
ersten und zweiten Tones.
^ : ^ r^ ^=V^^-5r^ ^ ^^ ^^_^^^ ^ g ^-^r^
^ ^ c^ '^ zan^
No-a no - e^a - ne
Ein anonymer Musiktraktat des elften bis iwölften Jahrhundert». 217
Omnis quippe autentus ad dia~
pente suas in cantibus eztendit
differentuUy nee huius regukte Ufni-
tem in differentuxrum inceptionibus
quisquam ülorum transgreditur,
nisi in tnembris socialium vel trans-
ponatur vel transformetur, praeter
deuteruniy gui pro quinta^ ad quam
naturaliter per diapente intendi
debuity tASualiter ad vocem sextam
elegit. Cum enim in ^ suum sit
diapente j hanc contra naturam tränst-
lit et in sexta^ quae est c, diffe-
rentias tarn seculorum amen quam
cantuum ponit, Ceterum subiuga-
lium differentiae aspirare non au-
dent ad diapente, sed infra ipsum
suas inceptiones cohibere sunt con-
tentae. Omnis autem autentus sub
finali ad unam vel duas chordas
suas deponit differentias.
De qtiattuyr tetrachordis,
Solet^ a nonnullis inquiri, quae
ratio constituat, ut, cum quatuor
tantum sint tetrachorda, unusquis-
que tarn subiugalium quam autenti-
corum tria possideat, Cfüitis in-
quisitionis fadlis patet responsio,
si et monochordi dispositio et ipso-
rum processionis consideretur ratio.
Nam cum omnis autentus a proprio
ßnali incipiens et propria diapason
specie per superiores in suam ex~
cellentem transiens^ omnis quoque
subiugalis a sua gravi per finales
in suam superiorem ascendens, ne-
cesse est, ut semel duo numerentur
extrema, bis vero duo media ^ quia
H. C. pag. 6, 22—32.
QtMeritur etiam, quare^ cum
quatuor tantum sint quadrichorda,
tarn subiugales, quam autentici tria
possideant.
Quod fädle considerata pro-
cessionis eorum ratione solvitur.
Nam cum
(et)
excellentem.
%n suam transeat
ascendat supeHorem,
ut duo extremasemely duo vero media,
quia dupliciter sunt pervia, bis
^^ .y r^ . r^ , . ^^ ' ^L^^jg^ c^^ ^ ^ ^^ r^ ^
^^
zso;^zsL
1Z.
•2ZZUZ.
- Q ' g >-
-^
-Ä>-
is:
22:
No
a-gu
^ Die Stelle von solet bis habentur superiores findet sich auch in den Quae-
stiones in musica (fol. 113y;.
218
Johannes Wolf,
duplicüer sunt pervia. Qua ex re
quoqtie coHigitur^ quod graoes ei
auperiores includunt subiugales^ fina-
les et ezceUentes eatnplectuntur
auieniicos, stmtqtie subiugalium ex--
tremitates graves et superioreSj me-
diae vero finales, auienticorum ex-
tremitates finales et exceUenteSy
tnediae vero habentur stg>eriores,
Quae autem principdlium,^ ßnalium^
superiorum, excellentium stnt officia^
in proximo supra puto manifeste
sat dicta, Sufficiant igitur kaec
de tetrachoraorum speculatione ut-
cumqtie digesta, quae fortasse diH"
gentioribus ad maiora causa sint
investiganda. Nunc cansiderandum
videtur attentius, qualiter tarn ordo
quam proprietas omnium tetrachar-
dorum idest diatessaron specierum ex
eo^ oriatur, quod principale diximus.
De principaUs^ tetrachardi con-
structione.
Prima species diatessaron con-
stat ex prima gravi et ex prima
finalif A videlicet et 1>, idest tono^
semitonio, tono; secunda ex secunda
gravi B et ex secunda finali jB,
idest semitonio duobusque tonis;
tertia ex tertia gravi C et ex tertia
finali F, idest tono, tono, semitonio;
quarta ex qtuirta gravi D et ex
quaria finali G, locum societatis
toni, semitoniiy toni sortüa ex pri-
mae speciei gratia. Deest namque
numerentur.
(includunt)
exceüentes includunt autenticos,
finales mediae,
vero extremitates
stjq>eriores mediae.
officiay iam diximus et adhuc diee^
mus H. C. pag. 7, 3;
Sufficiat igitur haec nos de um^
forfnä>us vel tropieis quadrichordis
dixisse, quae fortasse dUigentiori--
bus ad maiora investiganda viam
fecerunt.^ Nunc quaUter ex eo,
quod principale diximus , omnium
quadrichordorum, idest diatessaron
specierum, tarn ordo quam proprie-
tas oriatur, dUigenter inquiramus.
H. C. pag. 7, 11—18.
i principahs «s graves cf, S, C. pag. 5, 10 — 1 1 . Hoc autem (sd qtuidriehordum)
quod alii pro qudlitaie vocum grave, nos pro muUimoda effeeius eius vi ae poimUia
primum vel principale nominamus. Der Ausdruck principale mag sich aus dem
frühen Mittelalter erhalten haben, denn Boetius Inst. Mus. I, 26 berichtet uns,
dass Albinus die griechischen Tetrachordnamen, hypaton, meson^ synemmenon, die-
teugmenon, hyperboleon mit principalium, mediarmn, comundarum, disiunetarum
und excellentium übersetzte.
' sei, teirachordo.
3 besser /ocftm^.
* Handschrift hat principali.
Ein anonymer Muaiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 219
quarta species diatessaron, nisi ex
ffratia primae tribuatur ei sicut ei
octava diapason. Quod quare^ sie
evenerit, superiar regula minime
taeuit. Nunc igiiur quüibet Stu-
diosus perpendere poteritj qualiter
principalis tetrachordi constitutio,
omnes^ diatessaron species propriis
comprehensas litteris generet, nihil-
que desit nihilque exubereL^ Quod
si quem forte moveat in animoy
guod^ haec dicUessaron specierum
constitutio quasi videatur esse di-
versa ab ea, quae est in superiori-
bus posita, utriusque positionem
düigenter consideret et hunc non
diversam, sed eandem esse constitutio-
nem inveniet, nisi quia haec a gra-
vibus in finales^ illa a finalibus
pertingit %n superiores.
Sed hoc reor in his specierum
constitutionibus considerandum, quod
haec quidem formam principalitatis,
illa summam obtinet nobilitatisy dum
unaquaewe earum ex sese suum
format aiapente vel stipra se tonum
assumendo vel sub se, quod dia-
tessaron in gravibus non potest
eontingere. Nam si quis diapente
species in gravibus ex diatessaron
formare voluerit speciebus, mox in
secunda specie diapente, quae exinde
confusio nascatur, poterit perpen-
dere.^ Cum enim omnis species
diapente unum tantum possideat
limmay haec contra naturam, si con-
stituatur, duo recipit semitonia,
Quod quam sit absurdum , quivis
H. C. 7, 19^20. Videsne quaeso,
ut principalis quadrichordi gemtura
omnes diatessaron species propriis
comprehensas litteris prooreet, ni^
hilque desit, nihil exuberet.
^ Wegen der bifonniias des D.
' Nach der Handschrift omnü,
^ nihilque duU, nihil •xuberei boetianische Phrase, cf. Boet. Inst^ Mus. I, 4.
^ quod fehlt in der Handschrift.
s Vergl. H. C. 17, 28. lietn possum inUndere diatessaron B E, sed non poseum
intendere diapente B F, quia semiionio obeietenie differentia deßeU,
220
Johannes Wolf,
poterit considerare, si naturam mo-
nochordi sttcduerit investigare. Nunc
ad spederum constitutiones redea-
mus et, quae diversttas vel pernio-
dica eis possit inessej pro nosse
nostro dtcamus. Si dioersitatis
aliqua in Im consideraiur ratio,
illam procul dubio hoc suo servi-
tutis exhihebit officio, ut illa qui-
dem in superiores pertingens a
finalibua in progressione cantus
communis sit autentis et subiugali-
buSj Jiaec vero a principalibus per-
tingens in finales tantum redpiat
subiugales, nisi forte, quod fieri
licet ^ autentica elevatio et plagalis
evenerit depositio,^
De spedebus diapente}
De spedebus diapente et dia^
pason superius quidem strictim et
veluti per transitum mentionem fo-
dmus, Sed ne qtsis dubitationis
scrupulus obsistere debeat legenti-
bus, easdem reponamus, si mdetur
apertius. Igitur prima spedes dia-
peilte ex prima finali, quae est D
et ex prima perfidtvr superiori,
idest a, concludens apte speciem dia-
tessaron in se. Secunda nihilomi-
nus ex secunda finali, idest E et
ex secunda formatur superiori,
idest ls[, eodem, quo prima, ordine^
sed non eadem podtione, reddens
diatessaron ex se. Hinc tertia spe-
des diapente constat ex tertia fi-
nali F et ex tertia superiori c ne-
que eodem ordine neque eadem
positione diatessaron Valens ex se
reddere, Quarta dehinc spedes
I H. C. pag. 7, 17—28.
^ Dies ist der Fall im cantus mixtus,
^ Aus dem freigelassenen Kaum in der Handschrift ist ersichtlich, daß eine
Überschrift beabsichtigt war.
3 ordo besieht sich auf die Hinwegnahme des Gbmztons, ob oben oder unten,
positio auf die Folge yon Ganz- und Halbton.
Ein anonymer' Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 221
diapente ex quarta finali G et ex
quarta surffit superiori d, eadem,
qua prwia, positione, sed mm eodem
diatessaron ex se reddens ordine,
Hae si ad graves vicissim trans-
panantur specieSj confusio nascitur
non modica, dum ex quarta specie
düq>ente redditur prima sicque spe-
cierum constitutio confunditur et
natura.^
De spedebus diapason.
Nunc de spedebus diapason vi-
deamus et in quantum nobis nasse
contifferitj quae visa fuerint, bre-
viter aperiamus. Bis Septem vocum
discrimina quatuor ex se reddunt
teirachorda, quae amnia secundum
simplicem vocum positionem viden-
iur aequalia, secundum specierum
vero diapente et diatessaron consti-
tutionem aliquantulum disparia^ ita
ut primum tertio, secundum aequale
videatur esse quarto. Ex qua re
coUiffitur, quia superiores octavae
sunt ffravium, excellentes vero eo-
dem ordine finalium^ quatuor dia-
pason species inceptas a gravibus
terminari in superioribus , easdem
repetitas a finaJibus finiri in ex-
cethntibus. JSrit igitur prima conr-
stans ex prima gravi A et ex prima
superiori a, secunda quoque ex se-
cunda gravi B et ex secunda
superiori Cf, tertia nihilominus ex
tertia gravi C et ex tertia superiori
c; quarta dehinc surgit ex quarta
gravi D et ex quarta superiori d,
Fol. 189 T.
£cce quatuor diapason species
ex quatuor gravibus et ex quatuor
constitutas superioribus, Quatuor ,
quae videntur adhuc residual a
Nunc etiam de diapason spe-
ciebus videamus, Superius dictum
est, quod duo septena vocum dis-
crimina quatuor reddunt quadri-
chorda, quae omnia secundum uni-
formem troporum successionem sunt
aequalia , secundum institutionem
vero specierum diapente et dia-
tessaron primum tertio, secundum
aequale est quarto. Unde necesse
est, ut, cum superiores gravium,
excellentes octavae sunt finalium,
quatuor diapason species, inceptae
a gravibus, finiantur in superiori-
bus, eaedemque repetitae a finalibus
terminentur in exceüentibus. Erit
igitur prima A a ex prima gravi
et ex prima superiori, secunda B t)
ex secunda gravi et ex secunda
superiori, tertia C c ex tertia gravi
et ex tertia superiori, quarta D d
ex quarta gravi et ex quarta su-
periori.
1 Das Wort natura besieht sich darauf, daß die Zahl der Gattung mit der
Zahl der Buchstaben innerhalb der Tetrachorde übereinstimmt.
222
Johannes Wolf,
finalibus incipientes pertinguntin ex-
cellentes, Itaque non dicatur quinta
sed prima species diapason constat
ex prima finali D et ex prima ex-
cellenti d, secunda ex secuTida finali
E ei ex secunda excellenti e^ tertia
ex tertia finali F et ex tertia ex-
cellenti f, quarta ex quarta finali
G ei ex quarta excellenti g.
a
De ultima littera a.
Adhuc in parte suprema vox
tma cemitur residua, qtcae secun-
dum monochordi dispositionem talem
creditur habere rationem, quodpri-
mus videlicet quatemorum paesuum
finiiur in Ula,^ sicui secundtds in a
media, Ai secundum litterartmi
disiributionem, cum omnis autentw
in proximam supra diapason eocem
potenter^ ascendaty hone teirardus
iure potestatis obtinety quoniam
supra diapason ipsit4s pronmum
locum possidet, Quod si quis in
hac parte Ptolomaei sententiam
approbando velit accipere, ut quarta
sübiugaliy idest octavo tono, quem
ipse^ apposuit, octavam speciem dia-
pason a prima superiori, idest a,
Item prima propter praedietam
commumonis causam D d ex prima
finali et prima excellenti^ secunda
E e ex secunda finali et ex secunda
excellenti, tertia Ff ex tertiafinaK
et ex tertia excellenti, quarta G g
ex quarta finali et ex quarta ex--
cellenti,
H. C. pag. 10, 38—42.
Hestat, ut supra dictum est, vox
una, idest a superacuia, cuius haec
secundum mensuram est ratio, quod
in ea primus qtuxdrupli passus, si-
cut in media a .secundus fimtur.
Secundum distributionem vero liit^^
rarum, cum omnis tropus supra
diapason aliquam voeem ücentia
accipiat, etiam et ipsam, idest o,
tetrardus, qui ei proximus est, iure
licentiae obtinebit.
ad ultimam excellentem^ a attribuat,
sicut idem disposuit, quod inconve-
niens exinde prosequatur, hac ra-
tione perpendere poterit. Cum om-
nis subiugalis suam diapason spe-
ciem a gravibus incipiens et per
finales gradiere non ultra procedat
1 Zu Grunde liegt die Yiertheilung des Monochords von rechts nach links;
vergl. H. C. 5, 12.
2 Gewöhnlich wurde hier der Ausdruck UeBntiaUter, lieentia oder per Uesntiam
angewendet.
3 Ptolemseus soll doch nach Boetius den achten Ton [tonua hypermixolydüut)
hinzugefügt haben.
a
^ a ist nach Bemo die letzte der exceUentea. Nach der Theorie des Hermann
liegt sie aber außerhalb des Tetrachords der exceüentea und wird a superacuia ge-
nannt (ein Überrest der guidonischen Eintheilung der Töne).
Ein anonymer Mufdktraktit des dften bis zwölften Jahrhunderts. 223
^uam ad ^uperioreSj onmis autem
auUntm a proprio finaU miam äia-
pason speeiem incipiem per superio-
res trafueat m excellentes, hie soJus,
^preia imceptione gravium et fina-
üumy a prima superieri^ idest a, in-
a
cipit et ad ultimam excellentem a
perveniens etiam sui magistri epeciem
9ua specie transilit. Quod ßtsam
sit absurdissimum f ut disctpulus
^uperpenatur magistrOj cuiusvis dis-
cemere poterit tudiciurn. Ergo
quia se ultra exiulit, quam lex vel
natura diacipuUs concesserit, non
sohim ius^ quod supra magistri spe-
Fol. 189 ▼.
dem sibi usurpaoit, amisit, sed
etiam societatem magistri specie
perdidii. Itaque magistro supposi--
tus cum suis eonstituatur aequaUbus,
et ex primi gratia eandem infinar-
libus et superioribus diapason spe-
dem redpiat, quam in superioribus
et excellentibus amiserat. Detur
itaque d tdtima gradum et ultima
superiorum, idest D et dy pro dia-
pason spede, quae pro coniunctione
spederum diatessaron et diapente
dupUd potestate praefulgens tarn
subiugaiem tetrardi quam protum
üiformare consuedt,^
De consommtiaTum proportio-
nibus}
Quoniam ad cognoscendas spe-
des diapason, diapente et diatessar-
on quae dicta sunt ddentur suffi-
cere, restat, ut de toni quaUtate
siudeamus perspicere. Ad quem
substituendum, quoniam ipsius auxi-
lioy ut posdnt subsisterOj omnes
H. C. 11, 24—25 quia super ma-
gistrum esse voluisti, tam tuum,
quam magistri tus perdidisti.
H. C. pag. 4, 4—11.
Ubi primum nobis quaedam ad-
mirmtio de toni quaUtate oceurrit,
Ipse emm eonsonantjis non indiget;
consonantiae vero ipso oonstitutae
ddentur spadorum raritate quod
quadam vasUtate sesqualterae,
Nunc interim ut eum ad
1 Ve^leiche su der gaasen Stelle von Qwotf 8% qms in hae parte bis eonsu&di
H. C. pag. 10, 42^11, 26.
3 OberBchrift fehlt. Das ganae Kapitel findet siob wM gani geringen Ab-
weidinngen in den Quamtifmes in Mtmem*
224
Johannes Wolf,
effent consonantiae species^ stuis,
ut substituatur y dent singulae par-
tes, Igüur diapason duplum^ dia-
pente sesqualterum, diatessaron da-
bit sesquitertium j quae collectae in
unttm seaquioctava proporttone con-
stituunt tonum. Quod si diligentius
hü numeroram partibus velimus
intendere, numeros ex his, quos
Pythagoras in quatuor malleorum
ponderibtts ^ repperit , ^ poterimtss
producere, Ouius productionis^ ut
procedat ratiOj ipsorum numerorum
accedat multiplicatio idest, ut bina-
rius temarium multiplicet et qua-
temarium, temarius se ipsum simul
et quatemarium, Dicatur ergo:
Bis tema^ sunt sex, bis quatema
sunt octo; ecce sesqudltera propor-
tio, idest diapente, Ter terna sunt
novem.
Ecce sesquioctava propartio ad
octanarium, idest tonus. Ter qua-
tema sunt XII. Ecce sesqualtera
propartio ad octonarium, sesquiter-
tia ad novenarium, duplaris collatio
adsenarium, quod, ut clarius pateat,
figura^ quadrangulata ponatur, quae
hoc idem contineat. (Figur 1.)
\Quod si rursus numerorum isto-
rum altius velimus perscrutari h^bi-
tudines, sicut ex prioribus simplices,
ita ex istis compositas simul et sim-
plices consonantiae producemus spe-
cies. Quod sine dubio tunc con-
venienter perficietur, si non ad se
invicem sicut priores , sedper binor-
rium unusquisque ipsorum multi-
plicetur. Ponitur itaque prius
ipsius multiplicationis ratio ; dehinc
etiamfigura talis constituatur, quae
suum hiatum complendum valeant
corrigere, omnes suas mensurabäes
partes , tU eum efficiant, praeparent
comportare. Ergo diapason duas,
diapente treSj diatessaron partes
exhibet quatuor, Itaque Ily III, IV
in unum collectae IX atque ideo
tonum sesquioctava proportione fa-
ciunt.
cf. H. C. 4, 20—25. Quos (sei.
numeros) hoc modo, quasi ex silice
ignem, excudemus, si primus mul-
tiplicator, idest binarius, temarium,
temarius quatemarium, rursus bina^
rius quatemarium, temarius vero se
ipsum multiplicet.
1 Ponderibw ist ergänzt 'worden cf. H. C. 84, 22.
2 Vergl. Boetius Inst. Mus. I, 10.
3 Nach der Handschrift h\B ter, bis quatuor, ter temi.
* Die Figur ist aus den Quaestiones in Musiea ergänzt.
Ein anonymer Musiktraktat des eilten bis iwölften Jahrhunderts. 225
Figur 1.
sesoTciY
DIATCSSAR
positarum videatur esse demonstratio.
In cuius ponatur senarius medietate,
cunctis numerorum proportionibus
excellentior dignitatey ad quem solum
recurrat cetera multitudo proportio-
num. Cum enim omnes proportio-
nes numerorum aut toto super abun-
dent partibus aut partibus toto, hie
Salus nee toto superabundat partibus
nee partibus toto. Sed partes in
toto et partibus includitur totum.
lam de multiplicandi ratione,
ut proposuimus, prosequamur. Bis
sex sunt XII. Ecce diapason in
dupla proportione. Bis octo sunt
XVL Ecce diapason cum dia-
tessaron in dupla et sesquitertia
proportione. Bis novem sunt XVIII.
Ecce triplaj sive magis placet, dupla
cum sesqualtera. Idest, diapason
cumdiapente. Bis XII sunt XXIV.
Ecce bis diapason in quadrupla pro^
portione. Haec si videntur in äli-
quid obscura , haec praesens clari-
fieet figura. (Figur 2.)
1893.
15
226
Johannes Wolf,
Figur 2.
XII
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DIAPASON
Nj
XVI
III.
Wie aus dem vorhergehenden Abschnitte zu ersehen ist, liegen
unserem Traktate Anonymus I, der Prohgus in Tonarium des Bemo
und die musikalischen Schriften Hermanni Contracti zu Grunde,
welche theils wörtlich theils frei benutzt worden sind. Etwa ein
Viertel der Schrift ist in der Fassung original.
Nachdem der Verfasser das System klargelegt, die Konsonanzen
mit ihren Gattungen erörtert und die Hermannische Art der Notirung
gelehrt hat, geht er auf die Töne genauer ein und giebt allgemeine
Hegeln für Anfang, SchluB und ambitus. Hierdurch kommt er ganz
natürlich auf die verschiedenen Arten des Gesanges zu sprechen.
Er unterscheidet einen canttis autenitis, plagalisy communis^ not Aus j
transpositus und transformatus. In der Definition des caniua com-
munis lehnt er sich frei an Berno an. Seine Fassung bildet wiederum
die Grundlage für den Verfasser der Quaestiones in Musica^ der in-
sofern hierbei in Frage kommt, als die angeführten Beispiele bei
ihm neumirt und uns somit theils Quelle der Melodie sind, theils
aber bei den noch vorhandenen Melodien zur Vergleichung heran-
gezogen werden müssen. Einen Beweis für die Schwierigkeit der
festen Bestimmung der termini technici der mittelalterlichen Musik-
theorie geben die Ausdrücke cantus transpositus und transformatus.
Ursprünglich mögen sie so unterschieden worden sein, wie es uns
der Verfasser der Quaestiones in Musica überliefert. Ist doch schon
Ein ftnonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhundeits. 227
durch das Wort transformatus ausgedrückt, daB einer der Töne um-
gewandelt wird. Mehrdeutig war aber nur b, daher konnte sich die
transfarmatio nur auf diesen Ton beadehen. Ein canUis transforma--
hts endigte in den ßnales, nicht aber der transpositus. Bei ihm
wurde eine Versetzung meist in die confinales vorgenommen. All-
mählich yerschmolzen beide Bedeutungen und die Ausdrücke wur-
den pramiscue und gleichbedeutend gebraucht.
Die nun folgenden Regeln über den Anfang giebt ei fast wört-
lich nach Bemo und schließt nach einem kurzen Vergleich des
Gesanges mit der Grammatik die Notker'sche Erklärung der B^manus-
buchstaben daran. Dabei enthält er sich aber der Wortspielereien,
in denen Notker sich gefällt, und gewinnt dadurch an Deutlichkeit.
Nichtsdestoweniger bleibt uns immer noch der Zweifel an der
Richtigkeit der Notker'schen Erklärung. Riemann glaubt in den
Buchstaben Anlehnungen an die griechische Notation zu erkennen
Die am häufigsten vorkommenden seien c, p, m, i, welche den grie-
chischen C P M I entsprechen und die Töne E F G a ergeben. Da-
durch, daB an gewissen Stellen die Tonhöhe des neumirten Gesanges
angegeben ist, wäre in der That ein genaueres Singen nach Neumen
ermöglicht. Vielleicht haben auch noch andere Buchstaben Be-
ziehung zu Tönen. Bis jetzt gewinnt es den Anschein, als ob ein
Theil derselben feste Tonbestimmungen, ein anderer Theil aber Vor-
tragsbezeichniingen und Merkzeichen für die Sänger seien. ^ Der
Text unseres Verfassers ist wörtlich in die Quaestiones hinüberge-
nommen. Interessant ist uns dort die Bemerkung, daB in den Anti-
phonarien nur die Buchstaben a, c, e, h, i, m, s, t häufigere An-
wendung gefunden hätten. Von diesen ließen sich c, e, h, i, m auf
griechische Tonbuchstaben zurückführen [CEHIM] und würden
dadurch die Töne E, t| |^ (1) a, G bezeichnet.
Bis zum 12. Jahrhundert wurde der Gesang nicht mensurirt.
Von der Länge oder Kürze der gesungenen Silbe hing die Quantität
des Tones ab« Ganz natürlich muBte sich eine Melodie so zergUe-
dem wie der zugehörige Satz. Nicht zu verwundem ist es daher,
daß auch die grammatischen Ausdrücke colon, comma und periodus
auf die Melodie Anwendung fiinden und in die Musikterminologie
übergingen.
In der Angabe der Finaltöne stimmt unser Verfasser mit Ano-
nymus I (Gerbert, Scriptores I) fast wörtlich überein. Wer Quelle
i of. Riemann, Studien sur Geschichte der Notenschrift, Leipsig, Breitkopf
1878 und P. A. Schubiger, Die'S&ngerschule Ton St. Qallen. EinsiedeLn und New-
York 1858.
15*
228 Johannes Wolf,
ist, läßt sich nicht sicher entscheiden, doch scheint der Traktat des
Anonymus früher entstanden zu sein. Bei der Behandlung der modi
sehen wir aus stilistischen Gründen auf wenige Zeilen fast alle Aus-
drücke zusammengedrängt, welche für die plagalen Tonarten ge-
bräuchlich waren — discipulus, subdüus^ ploffis, lateralis ^ subiugalü.
Um den Ausdruck zu erschöpfen, fehlten nur noch sermiSj pütgalis
und collateralis.
Eingehend behandelt ist die Frage, wie weit sich ein regel-
mäßiger Gesang nach oben und unten ausdehnen könne. Hierbei
unterscheidet er die regula antiquorum und iumartitn. Erstere hat
er mit Anonymus I gemeinsam, der zur Bezeichnung der Töne die
Buchstabenreihe von A — S gebraucht.^ Nach der regula antiquorum
unterschieden sich die autentischen und plagalen Töne nur durch
die elevatio. Durchlief nun ein autentischer Gesang nicht die ganze
Tonreihe, welche ihm nach oben hin zu Gebote steht, so konnten
Zweifel entstehen, ob er nicht dem plagalischen zuertheilt werden
müsse. Dies machte sich in der Praxis fühlbar, und die iuniores sub-
tilius et acutius considerantes et certius legaiiusque discriminanies —
ein Ausdruck, der im 11. und 12. Jahrhundert typisch ist — stellten
auf Grundlage der alten eine neue regula auf, welche die depoeiOo
der autentid beschränkte. Die regula iuniorum findet sich in der
Schrift des Anonymus I (C) und in der in Bemo eingeschobenen
Stelle Gerbert II pag. 70 — 72 (B) in ziemlicher Übereinstimmung mit
der Stelle in unserem Traktate (A) . Die Kollation dieser drei Texte
ei^ebt eine enge Verwandtschaft von B und C und A und C. Gre-
wisse übereinstimmende Abweichungen der Texte A und B von C
lassen vermuthen, daß entweder eine sorgfaltigere Fassung von C
oder eine Handschrift X vorhanden gewesen sei, auf welche alle drei
zurück gehen. Am strengsten giebt A die Lehre der iuniores \ B
hat schon einige Licenzen; C leidet an Verunstaltungen, welche aber
durch B und A leicht richtig gestellt werden können. Differenzen
ergaben sich bezüglich des fünften und achten modus. Im Gegen-
satze zu den beiden andern läßt unser Verfasser im fünften modus
eine depositio per licentiam nach E nicht zu und giebt dem achten
einen Abstieg bis C. während B und C die Stimme nur bis JX'
herabsinken lassen. Diese Verschiedenheiten werden wahrschein-
lich aus der Beobachtung der Praxis hervorgegangen sein. Die
depositio bis C ändert ja auch nicht die AufßEissung des modus. Das
Entscheidende ist doch, welcher Ton Theilton ist, ob G oder a.
1 Diese Buchstabenreihe unterscheidet sich von der des Boetius dadurch,
daß A 'wirklich den Ton A beaeichnet. Die Buchstaben I K L werden über-
sprungen.
Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 229
Bei der Lehre von den Anfängen ist die Zalil derselben für
jeden modus wohl angegeben, der Kaum für die Tonbuchstaben aber
imausgefüllt geblieben. Glücklicherweise findet sich diese Stelle in
den Quaestiones mit Angabe der Töne wieder, sodaß das Fehlende
leicht ergänzt werden kann. Im Gegensatze zu dem starren Fest-
halten an dem einmal Gegebenen, das sich in der Theorie des frühen
Mittelalters erkennen läßt, hat die Lehre von den Anfängen viele
Umwandlungen erfahren. Stellt man sich eine Tabelle derselben
nach den Schriften der einzelnen Theoretiker auf, so lassen sich aus
gewissen Übereinstimmungen chronologische Schlüsse ziehen. [Tabelle
auf folg. Seite.]
Man erkennt zum Beispiel, daß unser Verfasser, Carthusiensis
Monachus, Anonymus IX und Theogerus ungefähr dieselbe Lehre
haben. Nun haben wir für Letzteren das feste Datum, daß er 1090
zum Abt des Klosters Sankt Georg im Schwarz walde erwählt wurde,
was uns zu dem Schluß führt, daß obige Theoretiker etwa um diese
Zeit gewirkt haben müssen. Dieses Resultat stimmt auch mit dem
überein, welches wir aus paläographischen Eigenthümlichkeiten der
Handschrift gezogen haben.
Die nun folgende Konsonanzenlehre giebt der Traktat theils
frei, theils wörtlich nach Anonymus I (Gerbertl, 333 Spalte 2); er
selbst ist Quelle für die Quaestiones in Musica, Die Textabweichun-
gen sind von keinem Einfluß auf den Sinn. Wir finden auch hier
jene Frage behandelt, welche sich von den Griechen (Pythagoras,
Ptolemaeus) über Boetius^ bis in das späte Mittelalter hinzieht, ob
die Undecime (diapason et diatessaron) ein Konsonanz sei.^ Einige
Theoretiker, wie Isidor von Sevilla und Regino von Prüm treten
auf die Seite des Pythagoras, der Konsonanzen nur aus rationes
multiplices und superparticulares entstehen läßt; die Mehrzahl bekennt
sich dagegen zur Meinung des Ptolemaeus und nimmt die Undecime
ebenso gut wie die Quarte als Konsonanz an. Während Ptolemaeus
den Beweis mit der Zahl X führt, bringt unser Verfasser in An-
lehnung an Anonymus I einen neuen mit der substantia animata.
Wie vorsichtig und bewußt er entlehnte Stellen ändert, zeigt auch
hier der Text. Anonymus hat si equus est substantia animata sensi-
büis. Für equus setzt unser Verfasser homo ein, fugt aber demgemäß
als Attribut rationalis hinzu.
Wiewohl es nicht ausgesprochen ist, scheinen in dem Traktate
die Konsonanzen in einfache und zusammengesetzte getheilt zu sein ;
1 Boetius (ed. Friedlein), Inst Mus. II, 27 u. V, 9.
2 Ptolemaeus. Hormon, liher I eap. 6,
Joh&DUM Wolf,
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Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhanderta. 2S1
denn während er anfangs nur von 6 Konsonanzen spricht, führt er
jetzt 3 tymphoniae an.
Wer der Verfasser der von diesen handelnden Verse ist, ist
unbekannt. Läfit man aber den Hirschauer Mönch Konrad, der
aucli als Dichter einen Buf hatte, als Urheber des Werkes gelten,
80 liegt die Vermuthung nahe, daß er selbst die Verse gemacht und
seine Autorschaft nur aus Bescheidenheit verschwiegen habe. Die-
selben geben ein Gemisch bemonischer und hermannischer Lehre.
Während der Verfasser in der ersten Hälfte des Traktats Ano-
nymus I und Bemo stark benutzt hat, lehnt er sich in der zweiten
ausschlieBlich an Hermannus Contractus an. Dadurch gewinnt der
Traktat an Bedeutung. Denn, da nur eine Handschrift der Musica
Hermanns yorhanden ist, so ist bei den vielen darin enthaltenen
Fehlem jede wörtliche Anlehnung anderer Theoretiker mit Freuden
m begrüßen, in so fem als sie vielleicht zur Wiederherstellung ver-
derbter Stellen dienen könnte. Und in der That erhalten einige
dunkle Stellen durch Vergleichung mit unserem Traktate Auf-
klärung.
So heißt es bei Hermannus Contractus (ed. Brambach) 5,31 über
die caniunctio: out videlicet superioris sit quarta et acuOssima, poate-
rioris vero prima et graviasima. Dieses euperior weist fälschlich auf
das höhere Tetrachord und steht in gar keinem Gegensatze zu
posterior. Durch unsere Schrift erweist sich, daß superioris ver-
schrieben ist aus sit priaris. Damit ist der Gegensatz hergestellt
und jeder Zweifel über den Sinn gehoben. Das tiefere Tetrachord
ist beim Aufstieg zeitlich prius, das höhere posterius.
Bei der Besprechung der Funktionen dieser Tetrachorde kommt
er auf die Anfange der Differenzen (euouae) zu sprechen. Die Aus-
gabe Brambach's weicht hier etwas von unserm Verfasser ab. Erstere
hat: Omnis enim autentus quinto a finali loco differentiam
eollocatj letzterer schiebt nach omnis enim autentuSj praeter deute^
rum ein. Da diese Ausnahme durch H. C. 10, 10 und 11, 43 als
hermannisch verbürgt ist, so können wir, zimial der Text sonst
v^örtlich wiedergegeben ist, wohl annehmen, daß dies in einer
unbekannten Handschrift des Hermann stand, die unser Verfasser
benutzt hat.
Im Anschluß hieran behandelt er ziemlich ausgedehnt die di^e-
rentiae tonorum. Man versteht darunter die Töne, welche in der
Melodie eines modus häufiger erklingen und dadurch ein Erkennen
desselben ermöglichen.
Ganz hermannisch klingt, wiewohl sie von dem gewöhnlichen
Text erheblich abweicht, die Stelle: SoUt a nonmdlis inquiri^ quae
232 Johannes Wolf.
ratio constüuatf ut, cum qitattwr tantum sint tetracharda, unusqtiisque
tarn subiugaiium quam autenticorum tria possideaL Cuius inquigitioms
facilis patet responsiOy si et monochordi dispositio et ipsorum processio-
nis consideretur ratio.
Sie giebt ein gutes Beispiel, wie unser Verfasser nach einer
klaren Ausdrucksweise strebt. Wo der Gedanke ihm allzu kurz
scheint, greift er erweiternd ein, hält sich aber streng an der Ter-
minologie des Schriftstellers.
Höchst interessant und unserm Verfasser eigenthümlich ist ein
Vergleich der bemonischen und hermannischen Quartentheorie. Wir
sehen ihn eine Mittelstellung zwischen beiden Theoretikern ein-
nehmen und beiden gerecht werden. An der bemonischen Quarten-
theorie gefällt ihm namentlich, daß die Quarte innerhalb desselben
Tetrachordes die Quinte hervorbringt, und daher erkennt er ihr auch
die summa nobilitas zu. Sein Traktat bietet uns ein Bild der Zeit,
die sich noch nicht fest für den einen oder den anderen Theoretiker
entschieden hat.
Bei der folgenden Erörterung der Quintgattungen sehen wir ihn
ganz originell die Quarten aus den Quinten entwickeln. Ist auch
dies im wesentlichen nichts anderes als eine Umkehrung des bemo-
nischen Verfahrens, so ist der Gedanke doch neu.
Betrachtet man die Stelle : Superius dictum est^ quod duo septena
vocum discrimina quatuor reddunt quadrichorda, quae omnia secundum
uniformem troporum stcccessionem sunt aequaHa, secundum institutionem
vero specierum diapente et diatessaron primum tertio secundum aequale
est quarto in H. C. 8, 41 — 45 genauer, so fällt stilistisch der mangelnde
Gegensatz zu sunt aequalia auf, auf den hin der Satz doch angelegt
zu sein scheint, und den sich ein feinfühliger Schriftsteller kaum
hätte entgehen lassen. Derselbe ist bei unserm Verfasser heraus
gearbeitet. Alsdann fällt der Ausdruck institutio specierum> auf, wo
doch Hermann sonst ^ constitutio gebraucht. Auch hier giebt unser
Traktat das richtige Wort. Will man nicht die ganze Stelle, welche
stilistisch feiner als die sonst überlieferte ist, als hermannisch an-
nehmen, so ist doch jedenfalls der Terminus institutio specierum in
constitutio zu berichtigen.
Interessant wäre es gewesen, hätte der Anonymus wie bei den
Quarten, so auch bei den Oktaven einen Vergleich der hermanni-
schen mit der alten Theorie gegeben. Jedenfalls ist ihm der wunde
Punkt der Oktaventheorie Hermanns nicht aufgefallen. Es ist ja
doch die Oktave erster Gattung zwischen den graves und st^eriares
1 Vergl. H. C. ed. Brambach. 5,42, 7,14, 7,37. 7,45, 8,38 u. 8. w.
Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 233
nicht gleich der ersten Gattung zwischen finales und excellentes.
Wenn sie auch beide aus Quarten und Quinten derselben Gattung
bestehen, so ist doch die Anordnung von Ganz- und Halbton ver-
scbieden, wodurch gerade eine Gattung bedingt ist.
In der Lehre über den letzten Buchstaben a lehnt sich der
Verfasser frei an H. C. 10, 38 — 1 1, 27 an. Da er seiner Musiklehre das
bemonische System zu Grunde legt, so ist a ultima exceUens, Bei
ELermannus liegt dieser Ton außerhalb der Tetrachorde, und er be-
zeichnet ihn als vox superacuta, ein Rest der guidonischen Ein-
theilung der Töne des Monochords. Durch dieses a kommt er auf
den tontis hypermixolydius zu sprechen, welchen nach Boetius Inst.
Mus, IVy 17 Ptolomaeus eingeführt haben soll. Boetius scheint aber
entweder diesen Schriftsteller nicht gelesen oder nicht verstanden zu
liaben ; denn er tadelt ja gerade jene, welche, indem sie noch einen
Ton überflüssig hinzufügten, zu 8 Tönen fortschritten.^ Im übrigen
wissen wir ja auch, daß schon vor Ptolemaeus die Hyper-Tonarten
in Gebrauch waren. Mit einer Darstellung der Zahlenverhaltnisse
der einfachen Konsonanzen schließt der Traktat.
Wiewohl das explicit am Ende fehlt, können wir doch annehmen,
daß die Schrift uns vollständig überliefert ist; denn alle Punkte,
die bei der damaligen Musiktheorie in Frage kommen, sind in Kürze
behandelt worden. Bei dem Verfasser der Quaestiones in Musica,
welcher die Darlegung der Zahlen Verhältnisse entlehnt hat, findet
sich als Fortsetzung in demselben Stile eine Erörterung der Zahlen-
verhältnisse der zusammengesetzten Konsonanzen. Obwohl ich nicht
glaube, daß diese Stelle zu unserm Traktate gehört hat, theilte ich
dieselbe doch am Schluß der Vollständigkeit halber mit.
Der Traktat entstammt einer Zeit, welche arm ist an selbstän-
digen Arbeiten. Werke Anderer werden ohne Kritik ab- und aus-
geschrieben und die entlehnten Stellen nicht selten unverbunden
nebeneinandergesetzt. Vortheilhaft hebt sich unser Verfasser durch
seinen Stil heraus, und dadurch, daß er alles zu einem wohl-
gerundeten Ganzen zusammenfügt. Und würde er auch gar nichts
Neues bieten, so wäre er doch werth gewesen, mitgetheilt zu werden,
da er uns in Kürze ein klares Bild der Theorie des 1 1 . Jahrhunderts
giebt. Aber auch einige neue Züge treten durch seine Darstellung
zu Tage. Wir sehen hermannische und bemonische Theorie in
manchen Punkten mit einander verschmolzen, die Lehre von den
1 Vergl. Wallis^ Claudii Ftolemaei harmonicorum libri ires. Ox<m%% 1682 U, 10.
234 Johannes Wolf.
Anfangen präcisirt und eine neue Entwickelung der Quarten aus
den Quinten gegeben. An Bedeutung gewinnt das Werk noch da-
durch, dafi es einige Stellen der Masica des Hermannus Contractus
aufklärte. Einen direkten Einfluß auf die spätere Süeit können wir
ihm nicht nachweisen, einen indirekten aber insofern, als er vom
Yerhaaei der Quaestiones in Mtuica wörtlich benutzt worden ist,
dessen Werk noch im 14. Jahrhundert bekannt war und bei Johannes
de Muris in hohem Ansehn stand, wie die Worte zeigen: Factor
quaesiumum in tnusica, qui sine dubio Valens ftdt musicusj ut suwn
probat opu8.€
Kritiken nnd Beferate.
Edtoard Dannreuther^ Musical Ornamentation (Part I.] London,
NoYello, Ewei and Co. (1892).
Dies Werk von Dannreuther ist bei Weitem das Beste und Vollstftndigste,
was bis jetzt über musikalische Ornamentik gedruckt yorliegt. Der Verfasser be-
sebrinkt sich nicht auf eine Zeit und nicht auf ein Instrument, er faßt vielmehr
alles susammen, was in der Musik bis J. S. Bach filr Gesang, fflr die Laute, die
Geige und klaTierte Instrumente an Zierformen auftritt, reiht es in historischer
Folge an, und sucht nachzuweisen, wie die Ornamente der verschiedenen Klang-
körper und verschiedenen Zeiten und Volker sich unter einander beeinflußt haben.
Er beginnt am Ende des 16. Jahrhunderts mit Diruta. Es mag gut sein,
daß er nicht noch weitn hinabgestiegen ist, denn das würde am letzten Ende tief
in den gregorianischen Gesang hineingeführt haben, in Gebiete also, die noch ihrer
gründlichen Aufhellung entgegensehen. Für künftige Arbeiten nach dieser Rich-
tung werden übrigens die Kolorirschulen aus dem Anfang und der Mitte des
16. Jahrhunderts eingehender Berücksichtigung bedürfen, insbesondere die Flöten-
sdiule von Silvestro dal Fontego, die höchst interessant ist wegen der hohen Aus-
bildung, auf der wir dort die Instrumentalkoloratur bereits antreffen, und wegen
der vielen, sonst in der Litteratur des 16. Jahrhunderts nicht gebrftuchlichen Fach-
ausdrucke für diese Verzierungsarten, Ausdrücke, die also wohl dem Jargon der
venetianischen Pfeifersunft angehört haben. In Diruta's Tran»üvano finden sich
zuerst systematische Angaben über die Verzierungen auf Tasteninstrumenten. Was
Dannreuther daraus anführt, genügt vollkonmien, um ein Bild von dem Wesen
derselben zu gewinnen. Zur Verbesserung kleiner Unrichtigkeiten in den histo-
rischen Angaben und den Notenbeispielen darf ich wohl auf meine eigene Arbeit
über Diruta hinweisen (Vierteljahrsschr. 1892, ni). Hier nur wenige Bemerkungen.
Dannreuther druckt Ammerbach's »Mordant« so ab, wie er ihn in der »Orgel- und
Instrument-Tabulatur« gefunden hat, wo eine Zweiviertelnote in ein Viertel und
zwei Achtel aufgelöst wird. Ich habe schon früher (a. a. O. S. 368) die Vermuthung
ausgesprochen, an Stelle der Achtel sollten wohl Sechzehntel stehen, und ich bin
jetzt ganz überzeugt, daß es so sein muß, denn ich habe in der Musik des 16.
Jahrhunderts kein Beispiel finden können, daß der gerade Takt bei der Kolorirung
in den ungeraden verwandelt würde. Es wird sich also bei Ammerbach um ein
Versehen handeln. S. 9 zeiht der Verfasser Diruta der Inkonsequenz bei Aus-
führung der Tremoli und Groppi. Trotzdem nach seiner Anweisung der Tremolo
236
Kritiken und Referate.
mit der oberen und der Groppo mit der unteren Hülfsnote gespielt werden solle,
fänden sie sich in den Beispielen bisweilen umgekehrt ausgeschrieben. Nun
wimmeln die Ausgaben des Transilvano so von Fehlem, daß man dergleichen
Widersprüche getrost auf die Bechnung von Druckfehlern setzen darf. Den zweiten
Theil des Transilvano hat Dannreuther nicht gekannt. Er bedauert, daß Diruta
über die Accenti und das öftere Wiederanschlagen der Taste keine näheren An-
gaben macht. Die Accenti sind im 11. Theil (S. 12) in Noten ausgeschrieben, und
die Reperkussion erklärt sich nach der Stelle in Th. I, S. 12 von selbst. Zur
praktischen lUustrirung des von Diruta theoretisch Erörterten werden Beispiele
verzierter Stellen aus den Werken von Andrea und Giovanni Gabrieli, Claudio
Merulo und Sweelinck abgedruckt.
Dann folgen die englischen Künstler Byrde< Bull und Gibbons, von denen
VirginalstÜcke in der Parthenia vereinigt sind. Den durch Rimbault besorgten
Neudruck dieser Sammlung in den » Publications of the Musical Antiquarian So-
ciety« kritisirt Dannreuther lakonisch mit den Worten »vefy slovenlyrequires red-
süm from heginning io end: Wer sich einmal die Mühe genommen hat, das der
Ausgabe vorangestellte Facsimile mit seiner Übertragung zu vergleichen, wird
diesem harten Urtheil nur beistimmen können. Ein revidirter Neudruck thut
dringend noth, und — um es hier gleich auszusprechen — endlich auch einmal
eine Herausgabe der übrigen englischen Virginalmusik. Sollte sich in dem reichen
England nicht ein Verleger finden, der das doch wahrlich nicht große Opfer für
die Hebung der Schätze altnationaler Musik brächte, die bedeutendsten Virginal-
bücher in Neudrucken der Musikwissenschaft zugänglich zu machen? Vorerst ein-
mal Queens Elizabeth und Lady Nevils Virginal Book, andere könnten später
folgen. Dannreuther mit seiner intimen Kenntniß der Musiklitteratur dieser Zeit
und mit] seinem kritischen Scharfblick wäre wohl der geeignete Mann für die
Leitung solches Unternehmens. Vorläufig wollen wir die Verbesserungen zu Rim-
bault's Ausgabe, die er hier beibringt, dankbar annehmen. Die Erklärung der
verschiedenen in der Parthenia aufstoßenden Verzierungen an der Hand gleich-
zeitig und später vorkommender Agremente in der Klavier- und Lautenmusik
scheint mir recht glücklich, wenn sich auch nicht läugnen läßt, daß bei der
modernen Umschreibung, die Dannreuther mit Byrde's Pavana ^The Earle of Salü-
buryn vornimmt, dem Zeichen ^ die Bedeutung zukommen würde »mache es Jeder
wie es ihm beliebt«.
Bei Behandlung der italienischen Vokalmusik um das Jahr 1600 ist der Stoff
nicht vollkommen ausgeschöpft. Für die Gesangskunst des 16. Jahrhunderts hätte
wohl vor allem Zacconi berücksichtigt werden müssen. Unter den aus Caccini's
Werken angezogenen Ausschmückungen vermißt man die verschiedenen Arten der
Esclamatione: kmguida, piü viva, spiritosa etc. Femer hätten aus Emilio del Cava-
lieri's •JRappresentationen folgende eigenthümlich benannte Ornamente aufgeführt
werden können:
Momtchina,
Groppolo,
Zitnbelo.
Letzterer fällt mit Caccini's »ribattuta dt golan zusammen. Die Bemerkungen über
das iempo rttbaio der älteren Zeit sind gut und treffend. Gerade weil man heute
ujiter rubaio etwas anderes versteht, nämlich ein ungebundenes Sehalten mit dem
k
Eduard Dannreuther, Musical Omamentation. 237
Tempo überhaupt, ist es nOthig, darauf hinEuweisen, daß im Tempo rubato des
1^ — 18. Jahrhdts. die ursprüngHehe Bewegung im Baß streng festgehalten wurde,
isrfihrend die melodieführende Stimme abweichend von der Art, wie sie aufge-
seichnet war, etwas yorwärts dr&ngte oder surüokblieb. Daneben war auch ein
f^taa freier Vortrag üblich, den s. B. Frescobaldi für seine Toccaten vorschreibt,
aber gute Qesanglehrer wie Zacconi, Bovicelli, Tosi warnen ausdrücklich davor
und fordern einen gleichmftßig fortlaufenden Takt. Zur Erklfirung des Ausdrucks
sieht Dannreuther eine Anmerkung Agricola's in seiner Übersetzung von Tosi's
Oesangschule herbei : »Tempo rubare bedeutet einer Note einen Theil ihres Werthes
'wegndimen, um einer andern ebensoviel suzusetsen, und vice versa«. Wenn Dann-
reuther von Caceini's Trillo sag^, daß er »represenis ihe vihrato of bUenista and
ffioUats^f so wftre dem entgegenzuhalten, daß vielmehr das Vihrato der genannten
Instrumente vom Gesang herübergenommen ist, um durch das leise Beben den
warmen Klang der Menschenstimme nachzuahmen. Das Orgelregister vox humana^
das wohl schon im 16. Jahrhundert existirte, sicher aber zu Anfang des 17. (durch
Banehieri bezeugt) und bei dem ein Zittern des Tons durch mechanische Mittel
herbeigeführt wurde, weist deutlich auf den vokalen Ursprung dieses Vortrags-
effekts zurück.
Yortrefflich sind Dannreuther's Ausführungen über eine eigenthümliche Ver-
lierungsmanier, die bei Frescobaldi vorkommt und auch zum iempo rubato gehört.
Frescobaldi giebt in der Vorrede zu seinen Toccaten die Anweisung, wenn in der
einen Hand Achtel- und in der anderen Sechzehntelnoten zusanmien vorkftmen, so
solle man das zweite Sechzehntel immer punktiren, also statt M j [ so spielen:
. Dazu stellt Dannreuther eine Stelle aus Couperin's Pikees de Clavecin
und seiner Art de toueher le Clavecin in Parallele, wo dieselbe Spielmanier an-
gegeben wird, und spricht die Vermuthung aus, es möchte das mit dem alten
Fingersatz zusammenhängen, der die zweite Ausführungsart leichter als die erste
gestattete. Die Ausdrücke »ditev und »note htumeti und ^»cattive* deuten darauf
hin, daß die Fhrasirung wohl die Wahl der Finger beeinflußt hat, und umgekehrt.
»Ghite« und »schlechte Noten« kommen auch bei Quantz vor (Versuch etc. XI. § 12),
der die umgekehrte Regel giebt: im Adagio solle man auf der guten Note ein
wenig l&nger verweilen und die schlechte verkürzen. Dannreuther konmit zu dem
Schluß: laAU dlong, Ühen, ftom hefore Frescobaldi to Bach and later, the notation
of certain preludes, toceataa and the like eeems to represent rigid time, but in pradice
there was tenipo rubato, and more -thofi tJiatv.
Über Mersenne, Denis Gaultier, Christopher Simpson, der bereits nicht
weniger als zwölf verschiedene Agremente kennt, werden wir zu Locke, Froberger
und Henry Purcell geführt. Pauer's Ausgabe von des letzteren »Lessons for the
Harpsichordn wäre, so urtheilt Dannreuther, korrekt in Bezug auf den Notentext,
hätte aber in den Verzierungen eine Bevision nöthig. Interessant sind hier die
Angaben, wie die verschiedenen Komponisten das Tempo bestimmten: nach dem
Herzschlag, durch mäßig schnelles Zählen, nach der Bewegung eines Uhrpendels etc.
Nach Purcell, im Verlauf des 18. Jahrhunderts, steigt die Verschiedenheit
der Verzierungsbezeichnungen in erschreckender Weise. Diese Verschiedenheit
zeigt sich nicht nur von einer Nation zur andern, sondern innerhalb desselben
Landes; es kommt schließlich dahin, daß alle allgemeinen Kegeln aufhören und
daß jeder Komponist und Lehrer sich seine eigenen Zeichen und Ausführungen
surecht macht. Unter meinen Kollektaneen befindet sich eine ganze Reihe von
238 Kritiken und Referate.
Auslugen aus englischen Schulen für das »Harpsiehord«. Das erste Werk aus
dem Anfang des 18. Jahrhunderts, 2^ Harpsiehord Master (1722), seigt noch eine
Tollstftndige Übereinstimmung der Spielmanieren und Bezeichnungen mit Purcell's
Lessofu. Bereits die folgenden: The Harpsiehord lüustrated and Improved (1733)
und H^ eompleie Tutor for the Harpsiehord weichen davon ab, und je weiter
man ins 18. Jahrhundert hinein kommt, desto größer wird die Verschiedenheit
der einzelnen Werke unter sich. Nicht zwei stimmen am Ende ganz überein.
Hier auf jedes Detail einzugehen, war auch für Dannreuther unmöglieh ; es würde
den Umfang des Buchs auf das Doppelte haben anwachsen lassen. Doch ist die
Auswahl eine so große, daß die Verftnderung^n, welche die musikalische Oma-
mentstenographie nach und nach erfahren hat, wenigstens in ihren Hauptphasen
fixirt werden. Überall weiß der Verfasser durch Ausführungen aUgemeinerer Natur
seinem scheinbar so beschränkten Gegenstand eine weitere Perspektive zu geben.
Bei Couperin z. B. macht er die gute Anmerkung : »In the seventeenth and eighteenih
centurieSf the hahit of Freneh and Oerman vioUsis, players of wind instruments,
cembaltsts, and organists, to form a group or a series eonsisting of an indefinite
nwnber of pieees of similar or diversant ehar acter, in the same key, was derived
flrom the practice of earlier or eontemporary IwtenistSf with whom it was an adcan-
tage to he able to play a suecession of pieees wOhout having to re-tune the open
bass strings.K Das ist sehr wohl möglich, und bis jetzt, soweit mir bekannt,
noch nicht ausgesprochen worden.
Die Abhandlung Ober das Verzierungswesen bei J. S. Bach, die den Sehluß
dieses Bandes bildet, nimmt den breitesten Baum ein (50 Seiten) und gehört zu
den werthvoUsten Abschnitten des Buchs, das kaum Jemand lesen wird, ohne nach
irgend einer Richtung hin Anregung oder Belehrung zu finden. Der ausübende
Musiker empfängt praktische Fingerzeige für die Auffassung und den Vortrag der
älteren Violin-, Klavier- und Orgelmusik, und dem Musikhistoriker wird ein un-
gemein reiches Vergleichsmaterial in die Hand gegeben, das er sonst mit großem
Zeitaufwand aus den verschiedenen nicht immer leicht zugänglichen Werken zu-
sammensuchen müßte.
Vollkommen ist kein Menschenwerk, und die UnvoUkonmuenheiten, die Dann-
reuther's Werk anhaften, sind so gering, daß sie keine Erwähnung verdienen.
Einige kleine Lässigkeiten wird jeder Leser leicht selbst verbessern. Hier möchte
ich nur auf ein Versehen hinweisen, das nicht so leicht in die Augen springt.
Durch einen Druckfehler verführt hat Dannreuther eine Stelle aus der Vorrede zu
Frescobaldi's Toccaten mißverstanden. Es heißt dort: »Li comminciamenti deüe
toeeate sieno fatii adagio, et arpeggiando ete. . • per non laseiar voto (nicht »noto*;
modern ital. : vuoto) ristromento: il quäl baUimento arpiglierassi ä bono placito di
ehi suona,» Also: »Der Anfang der Toccaten soll arpeggirt werden etc. . . damit
es auf dem Instrument nicht leer klingt. « Dieselbe Vorschrift giebt Lorenzo Penna
[Li primi alhori musicali S. 198): »IVoeuri d'arpeggiare per non laseiar vuoto fln-
strumento.n Dannreuther zieht den Satz »per non laseiar etc.« zum Folgenden und
überträgt: »but in order to make the best of the instrument, the beat must be left
to the good taste of the executant^
Berlin. Carl KrebB.
Dr. Karl Hagen, Über die Musik einiger Naturvölker. 239
Dr. Karl Hagen, Über die Musik einiger Naturvölker (Australier,
Melanesier, Polynesier). Jenaer Inaugural-Dissertation. Hamburg
1892. 80. 1).
Der jugendliclie Verfasser des yorliegenden Aufsatzes hat sich vorgenonunen,
das äußerst serstreute und mitunter geradezu versteckte Notenmaterial cur Er-
forschung des Musiktreibens der sogenannten Naturvölker susammenzubringen,
und macht damit den Anfang auf Grundlage (zwar nur eines Theiles) der Litteratur
aber den ftußersten Süd-Osten unserer Hemisph&re. Sein Unternehmen ist, wie er
mit Recht betont, falls es ihm gelingt, es richtig zu Ende zu führen, nicht nur
fiir die vergleichende Ethnologie, sondern auch für die Musikgeschichte ein überaus
vrichtigesy ja unerläßliches. Bevor wir die Ursprünge der uns zunächst berühren-
den, stetig fortschreitenden Konst zu ermitteln versuchen, bedarf es einer sichern
Kunde der Vorbedingungen zu ihrem Entstehen, welche in der leiblichen und
seelischen Menschennatur anzunehmen sind. Durch den Einfluß der Rultur vieler
Jahrhunderte sind wir selber den Anschauungen und Verhältnissen unserer noch
1 Aus dem »Internationalen Archiv für Ethnographie« Bd. V. 1892 (Leyden,
F. W. M. Trap), jedoch durch Zusätze des Verfassers vermehrt.
Bemerkungen der Redaktion des Int. Arch. Wenn Dr. Hagen von
Bauten der Malayen früherer Tage spricht, die noch heute unsere gerechte Bewunderung
erregen, so dürfte der Hinweis angebracht sein, daß jene Bauten, soweit solche im eigent-
lichen malayischen Archipel in Betracht kommen, Überreste alter Hindu-Kultur sind.
Der Behauptung; (pg. 8), daß die Chinesen in der Musik »bis jetzt nicht über
die ersten Anfänge hinausgekommen«, wird wohl Niemand zustimmen, der sich auch
nur oberflächlich mit der Ethnographie China's beschäftigt hat. Wir gestatten
uns, Dr. H. anheim zu geben, den Artikel »Muziek« in Prof. Schlegels »Neder-
landsch-Chineesch Woordenboek« UI pg. 1016 ff. nachzulesen und sind sicher
überzeugt, sein Urtheil wird alsdann anders lauten.
In der Litteratur wäre noch manch einschlägiges Material zu finden gewesen,
das als wichtiger Beitrat für die anregende und bis jetzt so vereinzelt dastehende
Untersuchung Dr. H.'s nätte dienen können. So u. A:
V. Schmidt Ernsthausen: Über die Musik der Eingeborenen von Deutsch
Neu-Guinea (Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft VI [1891] pg. 268 ff.), Hugo
2^1Ier: »Deutsch Neu-Ouinea« j)g. 11; Prof. A. C. Haddon: The ethnography of
the westem tribes of Torresstraits (Joum. of the Anthrop. Inst, of Gr. Brit. & Irel.
XIX [1890] pg. 297 ff.); wo an allen drei Stellen Notenbeispiele gegeben sind.
Was Dr. H. in so bestimmter Weise betreffs näherer Handelsbeziehungen der
Chinesen mit den Papua's sagt, ist uns vollkommen neu ; eine nähere Angabe seiner
Quelle wäre uns um so erwünschter gewesen, als selbst ein so ausgezeichneter
Sinologe wie Prof. Schlegel uns darüber nichts mitzutheilen wußte.
Das Vorkommen der i>Skengn genannten Mundorgel auf Borneo dQrfte durch
die längeren Beziehungen der.,Chinesen zu dieser Insel genügend erklärt werden;
was der Verfasser über die Ähnlichkeit des Namens {wiiw-gaing) der Tänze der
Eingebornen von Neu-Britannien etc. mit dem, durch die Engländer der Theater-
etc. Musik der Chinesen gegebenen Namen (nngsong) sagt, wäre besser unterblie-
ben; die Erklärung für beide Benennungen ist eine zu natürliche.
Auch für die Andamanen wäre Man's Monographie der Ethnographie dieser
Insel im Joum. of the Anthron. Inst. O. B. & I. sicher noch eine nutzbringende
Fundgrube gewesen; Bambus kommt wenigstens auf den melanesischen Gruppen
der Südsee-Inseln sicher vor ; die Beeinflussung der Samoaner durch die Vitier
ist eine bekannte Thatsache; (siehe für beides letztere: »Die anthrop. ethnogr.
Abth. des Museum Godeffiroy«); das Schlagbrett kommt in Mdlanesien (Neu-Bri-
tannien) vor (siehe Dr. O. finseh, Ethnolog. Erfahrungen und Belegstücke).
240 Kritiken und Referate.
ungebildeten Vorfahren soweit entfremdet worden, daß RückBchlaese aus dem,
uns ohne weiteres Umschauen als das Natürlichste erscheint, mindesten bedenklich
werden. Da wir die wirklichen Anfänge unserer Musik nicht mehr urkundlich
belegen können, bietet sich zur Aushülfe fast nur die Beobachtung der Kinderwelt
und der, dieser ziemlieh nahestehenden niederen Kulturstufen dar.
Freilich erheben sich dabei bedeutende Schwierigkeiten. Die wenigsten unter
den Sammlern an Ort und Stelle sind soweit zu solcher Aufgabe vorgebildet, daß
sie das Gehörte rein aufzufassen vermögen, statt es unwillkürlich nach modern-
europäischen Schablonen zurechtzulegen. Man müßte die Zeit und die Fähigkeit
haben, um sich in die fremde Musikübung ganz einzuleben und sie ohne Rücksicht
auf das anderswo Erlernte als selbständiges Gebilde zu begreifen. Vor allem
kommt das Verständniß der Tonleiter in Betracht, denn bekanntlich ist die An-
zahl der überhaupt möglichen Intervalle zwischen den Tonhöhen unendlich groß,
und kann die Auswahl daraus zum musikalischen Gebrauch nach sehr verschiedenen
Principien getroffen sein. Wo wir z. B. die gebräuchliche Tonreihe zunächst naeh
Oktaven eintheilen, ist für Andere die Quarte das größte Maß. Es empfiehlt sieh
daher, sieh vor Allem nach wohlerhaltenen Instrumenten mit festen Tönen umzusehen,
und diese Töne physikalisch genau zu bestimmen, was z. B. wieder bei den Flöten
weniger als bei metallenen Klangstäben gelingt. Auch unsere Notenschrift, welche
bloß auf unsere eigenen Scalen eingerichtet ist, sollte nie ohne die jedesmal
nöthigen Korrekturen und Verwarnungen angewendet werden. In den meisten
Fällen wird es jedoch an dergleichen Instrumenten oder Gelegenheit zu ihrer
exakten Untersuchung fehlen, und da bleibt nur übrig, daß der Reisende sich
selber zum Musikanten im Sinne des betreffenden Volksstammes ausbildet, und
gleich nach der Rückkehr die erworbene Praxis einem kompetenten Forscher etwa
durch Gesang oder Violinspiel übermittelt. Vielleicht wird in Zukunft der ver-
besserte Phonograph uns diese schwierige Aufgabe bedeutend erleichtem. Mit
dem Rhythmus wird der Beobachter schon eher fertig, besonders wenn er ein
Metronom, Pendel oder Ahnliches zur Hand hat; doch giebt es auch hier Ge-
fährlichkeiten, wie wenn der Javane den Accent auf die letzte, statt wie wir auf
die erste iNote des Zeitabschnitts legt, und vollends dort, wo eine verwickelte
Metrik wie jene der altgriechischen Chöre sich gebildet haben sollte. Ein voll-
ständig ausgerüsteter Musikforscher außerhalb unserer Kulturländer sollte eigent-
lich nicht bloß musikalisch, sondern auch mathematisch - physikalisch , und dazu
in der Technik der Musikinstrumente hinreichend erfahren sein, und allerlei
Apparate zur sofortigen genauen Ton- und Zeitmessung zur Verfügung haben.
Ohne das, abgesehen noch von linguistischen und historischen Kenntnissen, wird
an^der Zuverlässigkeit und annähernden Vollständigkeit der Resultate immer
Manches fehlen.
Unter solchen Umständen wird das relative Verdienst solcher ungleichwerthigen
Berichte, wie der Herr Verfasser sie zu sammeln angefangen, keineswegs ge-
schmälert, aber doch auf die große Vorsicht hingewiesen 'werden dürfen, mit der sie
jedenfalls zu benutzen sind, und gegen voreilige Verallgemeinerungen Einsprache
erhoben.
Bei der Untersuchung javanischer Musik, wo Ref. in besonders g^stiger
Lage war, hat sich schon gezeigt, wie wenig Gewicht auf das bisherige Material
(wie das von Herrn Hagen S. 16 angeführte holländischer Beamten unter Raffles
und Crawfurd) zu legen sei. Jetzt wieder bietet ein messingenes Schlaginstrument
von der Insel Bali, unter Bestätigung eines unabhängig davon entstandenen
hölzernen, welches ebendaher erhalten wurde, dem europäischen Ohr die uner-
wartete Tonreihe: gr. Terz, Quarte, Quinte, gr. Septime, Oktave, mit Wiederholung
Dr. Karl Hagen, Über die Muaik einiger Naturvölker. 241
in der n&ohst höheren Oktave i; es ist also der Halbton dem Balinesen bei der
Konstruktion der Leiter nicht zu klein, um unterschieden zu werden; doch ist die
Frage, was die noch vorzunehmende objektive Tomnessung schließlich ergeben wird.
Vorläufig w&re auch dringend zu warnen vor Betrachtung der fremden Leitern,
als ob sie nur unvollkommene Ansätze zu unseren Tonarten wären. Sogar die
Sirchentöne sind ja, bei aller Annäherung an unser Dur und Moll, nach anderen
Orundsätzen gedacht, und die Werke älterer Meister, sowie die Volkslieder aus
ihrer Zeit, nur daraus verständlich; und es versteht sich nicht ohne Weiteres, daß
unser theüweise zweifellos künstliches Tonsystem die allgemeine natürliche Form bil-
det, wobei es sieh nur darum handeln würde, ob es da oder dort mehr oder weniger
T^ollkommen zur Geltung gelangt wäre. Von F dur oder E moll bei Völkern ohne
europäische Beeinflussung soUte in wissenschaftlichen Schriften noch weniger die
Hede sein als etwa bei Messen von Palestrina oder calvinistisohen Psalmweisen.
Leider verschwinden die bescheidenen Kulturgebilde, die hier zu untersuchen
sind, von Jahr zu Jahr, bevor wir unser Beobachtungsverfahren ausreichend ver-
bessert haben können, und was noch vorhanden, wird immer mehr durch europäische
Einwirkungen entstellt^. Hauptsache bleibt demnach, so wie so baldigst einzu-
heimsen, was noch zu retten ist, um von dem unvollkommenen Material doch soviel
wie möglieh zur Vergleichung zu bekonunen, in der Hoffnung, daß manches Ver-
sehen ein anderes nahezu ausgleichen wird. Dann aber bleibt noch die umsichtige
kritische Behandlung des Gesammelten ; eine Aufgabe, welche unser Vf. hoffentlich
anderen Kräften überlassen wird.
Übrigens erwarte man nicht, daß mit solchen Untersuchungen der Urquell
sofort aufgedeckt sein würde. Alter als alles, was bei den Völkern einfachster Ge-
sittung schon als fester Brauch gilt, ist jedenfalls die mehrseitige Äußerung er-
regter Gefühle, wie wir sie bei unsern sehr jungen Kindern wiederfinden, durch
Wort, Melodie und Geberde zu gleicher Zeit. Bei erhöhter Lebensempfindung
kommt der unerzogene Mensch als Ganzes in Bewegung; Rede wird Gesang, Gang
und Körperhaltung vrird Tanz; es mischt sich darunter dramatische Darstellung
des Gegenstandes, der gerade das Bewußtsein erfüllt, sowie Begleitung mit irgend
welchen schallenden Geräthen; das alles wird zusammengehalten von dem natür-
lichen Trachten nach Regelmaß und geschlossener Form. Allseitiger Genuss wird
aber dem Menschen bald des Guten zuviel, und so wird von der anfänglichen Ge-
sammtkunst wechselweise das eine oder das andere Element fallen gelassen und
^ Vorläufig möchte ich die javanische verkürzte Pelog-Scale Namens Bem ab
Vorbild vermuthen. L,
^ Wie weit es damit gekommen, zeifft der interessante Aufsatz des Herrn
Prof. Dr. W. Joest in Bd. V des Lit. Arch. f. £thn. : Malayische Lieder und
Tänze aus Ambon und den Uliase (Molukken). Malavisch ist darin
nichts als die unterlegten Liedertexte im Dialekt der Hafenstadt Ambon, welcher
selbst erst durch den Seeverkehr und die Fremdherrschaft dort üblich geworden
sein kann, denn die Urbevölkerung in den Molukken redet ganz andere Sprachen.
Die Meloaien sind durchaus europäisch, oft sehr bekannte Gesangs- und Tanz-
weisen, nur hin und wieder so entstellt, daß man an Reminisoenzen aus alter ein-
heimischer Musikübunff denken dürfte. Von Ambon aus verbreitet sich diese Art
Musik über die benachbarten Inseln. Eben hat noch Herr Pro! Martin aus dem
Linem von Buru die Abbildung einer Geige mitgebracht, welche dort unter dem
portugiesichen Namen vihola als Erbstück aufbewahrt, aber längst nicht mehr
oespiät wird. Man sollte bei diesen Studien immer das wirklich Einheimische und
das durch Schiffer, Soldaten u. s. w. weiterhin Eingeführte genau zu unterscheiden
suchen. X.
1893. 16
242 Kritiken und Referate.
das Übrige mit Vorliebe gepflegt; so entfaltet sieh denn hier das Kecitativ mit
Geberden, dort das Tanslied, weiterhin der Gesang in Ruhestellung, das gesprochene
Gedicht, der Tans nach Instrumenten, u. s. w. Ob die Musik überhaupt wesent-
lich Ausdrucksmittel oder formelles Gebilde sei, ist eine müssige Frage; je nach-
dem ist sie das eine oder das andere, oder auch beides zugleich; es fragt sich
nur, welche Bedürfhisse sich im Augenblick vorwiegend geltend machen. Es wird
also bei jedem Naturvolk insbesondere untersucht werden müssen, wie weit und
in welchen Richtungen die anfängliche kindliche Oesammtkunst der Empfindunga-
äußening sich dort differensirt und ihre Bestandtheile sich entwickelt haben; so
wird nachgerade ein umfSassendes Bild entstehen von dem, was darin von Menschen
geleistet worden ist, und hieraus erschlossen, was etwa bei den Urv&tem der dvili-
sirten Tonkunst und ihren Verwandten vorausgesetit werden dürfte.
Der neueste Betrieb der historischen Wissenschaften setst sich öfters dem
Vorwurf aus, daß er im Widerwillen gegen bloß abstraktes Gerede vom Wesen
des Staats, der Sprache, der Kunst u. s. w. sich einem planlosen Anhftufen von
bloßen Thatsachen, bedeutenden und nichtssagenden hingebe. Auf die Dauer kann
der vernünftige Mensch eines solchen Geschäfts nur überdrüssig werden und läuft
dann Gefahr, auf wissenschaftliche Forschung gans zu versichten. Wenn aber
scharfe Beobachthng von klarer Fragestellung imd verständiger Sichtung des Ge-
gebenen fortwährend geleitet wird, dann, aber auch nur dann, werden Arbeiten,
wie sie unser Verfasser angefangen, ihm selbst cum dauernden Genuas und unserer
Erkenntniß der Wirklichkeit, in der wir leben, cur bleibenden Förderung.
Leyden. J. F. TX. Ijand.
6r. Engel, Die Bedeutung der Zahlenverhältnisse für die Ton-
empfindung. Dresden, B. Bertling. 1892. 59 S. 8.^
Bekanntlich ist der Begriff des musikalischen »Intervalls« nicht identisch
mit dem eines Höhenunterschieds zwischen zwei Tönen. Ein Intervall ist gegeben
durch einen bestimmten Grad der Konsonanz ; und es ist sehr wohl denkbar, daß
z. B. der Konsonanzgrad, durch welchen das Quintenintervall charakterisirt ist, in
verschiedenen Tonregionen einen ungleichen Höhenunterschied (Abstand, Distanz)
der bezüglichen Töne darstellte, d. h. daß die beiden Töne in der reinen Em-
pfindung, wenn man also alle Nebenvorstellungen absondert, im einen Fall ein-
ander ähnlicher erscheinen als im anderen Fall.
Die Meinungen über die thatsächliche Beschaffenheit unsrer Tonempfindungen
in dieser Beziehung gehen aber auseinander. Manchen erscheint thatsächlich, ob-
schon sie die logische Denkbarkeit des gegentheiligen Verhaltens zugeben, das
gleiche Intervall überall auch eine gleiche Distanz zu sein; und sie schließen
hieraus, daß die Mitte zwischen zwei Tönen allgemein gegeben sei durch den-
jenigen Ton, welcher der geometrischen Mitte der Schwingungszahlen entspricht,
z. B. die Mitte zwischen den Tönen 100 und 400 durch den Ton 200. Andere
halten für die Mitte den Ton, welcher der arithmetischen Mitte der Schwingungs-
zahlen entspricht; im genannten Beispiel also den Ton 250. Wieder Anderen
scheint die Wahrheit in der Mitte beider Mitten zu liegen.
1 Aus der »Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane«
1892, Bd. IV (Hamburg und Leipzig, Leopold Voss), jedoch vom Verfasser ftlr
die V. f. M. umgestaltet.
G. Engel, Die Bedeutung der ZahlenverhSltnisse fOr die Tonempfindung. 243
An den experimentellen Studien und theoretischen Streitigkeiten hierüber
hat sieh Verf. obiger Sehrift bereits früher betheiligt. Er fügt jetst seine in der
Zeitschr. f. Psychologie u. Physiologie der Sinnesorgane II 361 f. mitgetheilten
Beobachtungen über Tondistanzen in einen größeren, dort nur angedeuteten, theo-
retischen Zusammenhang ein. Ihm erscheint bereits vom Standpunkt der »Zahlen-
logik« die geometrische» nicht die arithmetische, Tonmitte als die wahre. Obschon
er bei seinen Versuchen an yorzüglichen Musikern gefunden, daß eine Neigung
vorbanden ist, die Mitte etwas über der geometrischen anzunehmen, und obschon
er selbst sie bei größeren Distanzen nach seiner Empfindung um 1 — 3 Halbtöne
höher legt, möchte er aus apriorischen Erwägungen dieses Ergebniß immer noch
einer Trübung des Urtheils durch gewisse Nebenumst&nde, namentlich durch die
(bis zur 3-gestrichenen Oktave) zunehmende Unterschiedsempfindlichkeit, zu-
schreiben. Wenn es indessen richtig ist, daß die Unterschiedsempfindliekkeit und
die Distanzsehätzung integrirend zusammenhängen, bezw. die letzte von der ersten
abhängt (s. m. Tonpaychol. I 60 f., 130, 250), so haben wir es hier vielmehr mit
einem maßgebenden Hauptumstand zu thun, von dem das Urtheil nicht gestört
wird, sondern auf dem es beruht. Ich möchte daher dem Beobachtungsergebniß
des Verfassers mehr reelle Bedeutung zuschreiben als er selbst.
Dagegen in den apriorischen Deduktionen werden wir dem Verfasser nicht
folgen können. Ihm gegenüber möchte ich sagen: Zahlen beweisen nicht. Rein
zahlenmäßig giebt es noch andere Mittelwerthe, z. B. den harmonischen oder den
quadratischen. Aber die Empfindimgsmitte, die, wie die Empfindung selbst, das
reale Produkt sehr komplizierter physiologischer Faktoren ist, hat keine Verpflich-
tung, mit irgend einem noch so hochwohlgeborenen Produkt der Zahlenlogik zu-
sammenzufallen. Solche Koinzidenz wäre vielmehr a priori eher unwahrscheinlich.
Wohl können wir unter Umständen aus deduktiven Erwägungen vermuthen, daß
ein Sinnesurtheil, das anscheinend nur auf den bezüglichen Empfindungen gründet,
falsch und zwar subjektiv &lsch sei, daß es nicht den Empfindungen entspreche.
Gerade die Musik bietet vielfältige Gelegenheit, dieses Verhältniß von »Sinn und
Vernunft«, dem bereits Ptolemacus in der Harmonik eingehende Betrachtungen
widmete, an interessanten Beispielen zu verfolgen. Aber die deduktiven Erwägungen
müssen dann aus der sonst bekannten Natur des Sinnes hergenommen sein oder
doch auf irgend eine Weise einen durchsichtigen Zusanmienhang zwischen den
Prämissen und dem Schlußsatz aufweisen, den ich in diesem Falle, offen gesagt,
nicht finden kann.
In der Kritik der Lorenz'schen Versuche schließt sich Engel meinen Aus-
stellungen an und führt sie in einzelnen Punkten weiter aus. Positiv wünscht
auch er ein musikalisch geschultes Gehör der Beobachter, Verwendung einfacher
Töne, Mitberücksichtigung größerer Tondistanzen, und bei den kleineren eine
feinere Veränderlichkeit des Mitteltons durch abstimmbare Gabeln. Nur auf einen
Punkt legt er meines Eraohtens noch zu wenig Gewicht, obschon er ihn erwähnt.
Der Beobachter muß auch psychologisch ad hoc eingeübt sein (obige Zsch. I
457). So sieht auch ein sonst sehr geübtes Auge an mikroskopischen Präparaten
doch nicht sogleich das, worauf es ankommt. Daraus folgt, daß gelegentliche
Aussagen feinhöriger Musiker in dieser Sache doch nicht ohne weiteres ent-
scheiden.
Zur Erläuterung hierfür diene sogleich die Behauptung von EngeVs Musikern,
daß die Distanz e — d entschieden größer sei als d — «. Ich habe bereits in früheren
Jahren öfters Musikern die Frage vorgelegt und die umgekehrte Antwort erhalten
(vgL das. I 461). Lorenz und seine Mitarbeiter endlich fanden die beiden Distanzen
Ifi*
244 Kritiken und Referate.
gleich (das. 334 — 5, dp). Woher nun die drei verschiedenen und alle drei unge-
wöhnlich bestimmt abgegebenen Antworten?
Meiner Meinung nach ist keine von ihnen Ausdruck eines reinen Distanx-
urtheils. Obschon natürlich eine darunter wahr sein muß, dürfte sie doch nur zu-
fällig wahr sein. Die Distanzen gleich zu schätzen, liegt denen am nächsten, die
ohne feinere musikalische Bildung einfach durch den aus dem Leben jedem be-
kannten musikalisch-mittleren Ton bestimmt werden. Unter den Musikern werden
solche, die in keiner Weise durch ein musik-theoretisches Wissen beeinflußt sind,
geneigt sein, den Schritt d — e, der zum charakteristischen Ton der Leiter führt,
als den für das Gefühl wichtigeren auch für den größeren zu halten ; schon der
Kontrast mit der MoUterz drängt zu solcher Überschätzung. Solche aber, die Tom
»großen imd kleinen Ganzton« (so genannt wegen der Zahlenverhältnisse 8:9 und
9 : 10) vieles gehört und vielleicht sogar darüber zu dozieren haben, werden leicht
durch diese Assoziation bestimmt werden, d^-e kleiner zu schätzen. In allen drei
Fällen sind dann aber nur eben Assoziationen maßgebend. Und gerade darum
kann in einem so schwierigen Fall ein so bestimmtes Urtheil abgegeben werden.
Denn bei so kleinen Distanzen müssen ja auch die Unterschiede der wahren und
der scheinbaren Mitte so gering sein, daß das reine Distanzurtheil sich nicht so
leicht festsetzen würde.
Engel handelt in einem 2. Theil der Schrift über die Begründung der Musik-
theorie. Er schreibt, wie schon in früheren Arbeiten, den Schwebungen (die er
mit 128 in der Sekunde noch sehr kräftig findet) eine nur untergeordnete Bedeu-
tung zu, und führt die Bedeutung der Obertöne darauf zurück, daß sie mit den
einfachsten Schwingungsverhältnissen zusammentreffen, welche letzteren Engel
(Euler und Hauptmann verbindend) für direkt maßgebend ansieht. Die Schwin-
gungsrhythmen sollen sich beim Zusammenklang in unserem Bewußtsein geltend
machen. Wie dies geschehen kann, ist mir mit Heknholtz nicht verständlich. Daß
übrigens das Prinzip der geometrischen Mitte auch hierbei, in der Leiterkon-
struktion, trotz seiner apriorischen Vortrefflichkeit nicht durchführbar ist, hebt
Engel selbst hervor. Fällt ja schon die erste Abtheilung innerhalb der Oktave,
die Quinte, nicht in die geometrische Mitte (die zwischen fis und ges l^e), son-
dern gerade in die arithmetische. Aber das heißt nun auch wieder nicht so viel,
als daß dieses Intervall durch ein Distanzurtheil gefunden würde, worin gleiche
Unterschiede der Schwingungszahlen als gleiche Tondistanzen geschätzt würden
(sonst ließe sich ja das Intervall auch nicht auf die nächst höhere oder tiefere
Oktave übertragen). Vielmehr hat das bloße Distanzurtheil für die Feststellung
der Grundintervalle offenbar gar keine Bedeutung, mag es übrigens mit der arith-
metischen oder geometrischen oder sonst ii^end einer beliebigen Zahlenmitte zu-
sammenfallen.
Für lehrreiche Einzelbemerkungen haben wir Engel, wie immer, auch hier
zu danken; so namentlich für die Bemerkungen Über Intonation.
München. C. Stumpf.
Notizen.
Das Echiquier, In einem Aufsatz über besaitete Klavierinstrumente (Viertel-
jahrsschrift 1892, S. 93 ff.) hatte ich auch das Echiquier (exaquir, Schachbrett etc.)
herbeigezogen und die Vermuthung ausgesprochen, es könnte wohl eine Anfangs-
form des Clavichords oder Clavicymbalums sein. Vander Straeten, der um die
Musikwissenschaft so hochverdiente Sammler und Erklärer alter Dokumente, hat
zuerst die Aufinerksamkeit auf das Wort und seine muthmaßliche Bedeutung ge-
lenkt. In einem kleinen Artikel einer belgischen Kunstzeitschrift [La FidSration
artistiqve. 1892 Nr. 33) kommt er noch einmal auf das räthselhafte Instrument zu-
rück und versucht ein Citat aus Jacquot's ^Hisioire musiealeti zu kommentiren,
das folgendermaßen lautet: »A Loya HodiUij arganiste, la somme de irente escuz
d'ar Moleilt que Monseigneur le duc a ordannd pour Vachast d'un instrumerU que
Monaeigneur a prins de luy, faisant archiqtüer, orgues, espinettea et ßuttesa, (Aus
den Bechnungsregistem des Lothringischen Hofes von 1511.) Vander Straeten
wirft die Frage auf, ob man es in »archiquierv mit einer orthographischen Variante
von Echiquier oder mit einer Zusammenziehung aus archi'4chiquier zu thun habe,
ohne daß er es zu einer vollkommenen Lösung brächte. Der Vermuthung blieb
der weiteste Spielraum gelassen. Ein glücklicher Zufall hat jetzt, wie ich glaube,
die endgültige Erklärung herbeigeführt.
Als ich im Sommer 1892 zum Besuch der Musik- und Theater-Ausstellung
in Wien war, machte mich Herr Dr. O. Fleischer, dem ich für diesen Hinweis zu
großem Dank verpflichtet bin, auf ein eigenthümliches, in der Ambraser Sammlung
befindliches Schachbrett aufmerksam. Der Direktor der Sammlung, Herr Regierungs-
rath Hg, ermöglichte mir freundlichst eine eingehende Untersuchung des Möbels,
so daß ich in der Lage bin, es hier genau zu beschreiben.
Es ist ein großes Schachbrett von 45 cm ins Geviert und entsprechender
Höhe, aus hellem Holz gefertigt und reich mit dunkeln Intarsien von ausgesucht
schöner Arbeit geschmückt. In geschlossenem Zustand unterscheidet es sich in
nichts von einem gewöhnlichen Schachbrett, klappt man es aber auf, so sieht man,
daß das Puffbrett innen auf beiden Seiten nicht ganz an den vorderen Band der
Umfassung stößt. Das schmale Brettchen, welches den Abschluß nach vom bildet,
läßt sieh heraus ziehen. Dadurch wird auf jeder Seite eine kleine Klaviatur frei-
gelegt, die den hohlen Kaum zwischen dem vorderen abschließenden Brett und
dem Puffspiel ausfüllt. Jede hat einen Umfang von zwei Oktaven und einer Terz
chromatisch [f—a.). In der tiefsten Oktave ist nur h Untertaste, in der obersten
246 KotiBen.
fehlt gis. Die eine gehört su einem kleinen Regal, dessen Bfilge unter dem oberen
Brett des Puffspiels liegen und leicht von dem Spieler selbst oder einer anderen
Person in Bewegung gesetzt werden können. Die andere l&ßt ein einehöriges
Spinettchen erklingen. Hier ist das Deckbrett mit dem Puffspiel aufiiuklappen
und hochzustellen wie der Deckel eines Flügels. Auf der Querleiste über den
Docken stehen die Worte t»8%c transii Oloria IfunJ»*«!; die dünne Leiste über der
Klaviatur trägt die Jahreszahl MDXXXU. Im Resonanzboden befindet sich eine
mit feinem Maßwerk gefüllte Rosette, offenbar von italienischer Arbeit, wie das
ganze Stück. Die ursprüngliche Stimmung ist natürlich nicht mehr mit Sicheriieit
festzustellen. Nach der Saitenlftnge zu schließen war das tiefste / des Spinetts f^,
so daß der Umfang bis a ^ reichte. Das Regal stand vielleicht eine Oktave tiefer
von/~fl2.
Da hätten wir also ein Instrument vfaiaant (trchiquier, orgues, espinsttes* (die
Flöten fehlen) und das "tistrument semblant tTorguene, qui sana ab eordes*, daz exa-
quir Johanns I. von Aragonien. Ich zweifle nicht daran, daß durch diesen Fund
die Frage nach dem Wesen des unbekannten] Instruments »Schachbrett« beant-
wortet ist.
Berlin. Carl Kreba.
Zu den Kampositionen über die Horazischen Metren. (Vgl. Jahrgang
3 dieser Zeitschrift (1887) S. 26 L; auch Jahrg. 5 (1889) & 291 f. und Jahrg. 6 (1890)
S. 310 f.)
Laurentius Stiphelius, Kantor in Naumburg, gab 1607 bei Weidner in Jena
einen LibeUus Seholastieus pro aenatoriae Nutnburgensium Sckolae pueri» heraus,
der, wenn gleich zunächst für die musikalische Büdung seines Sehülerehores, so
doch zugleich für den kirchlich gottesdienstlichen Gebrauch bestinunt war. Das
Buch enthält in 5 Abschnitten
1. eine Sammlung geistlicher Hymnen, Lieder, Responsorien und Antiphonen,
geordnet nach den Kirchenzeiten von Advent bis Trinitatis. Die Oesänge werden
theils choraliier mit den gregorianischen Melodien, theils ßguraliter in 4stimmigem
Satz gegeben, je nach ihrem kirchlichen Zweck.
2. Eine Sammlung der damals in Naumburg gebräuchlichen Begräbnißlieder.
3. Weitere Oesänge für Kirche, Schule und Haus.
4. Harmoniae ad omnes Odaa, quibw Horatius Flaccua in suis quaiuor cor-
minum lihris ^ in suo Epodon lihro usus est, aeeomodaiae,
5. Ein Manuale eantoris, d. h. ein nach Sonn- und Festtagen geordnetes
Verzeichniß von Liedern, Introiten, Messen und Motetten für das ganze Kirchenjahr.
Indem ich mir vorbehalte, auf den übrigen lehrreichen Inhalt dieses Werkes
in anderem Zusammenhang zurückzukommen, möchte ich hier nur zur Ergänzung
früherer Mittheilungen auf die unter Nr. 4 aufgeführten Horazischen Oden auf-
merksam machen. Sie lehren uns, daß diese Art der Odenkompositionen weder
mit den Senfl'schen und Hof haimer'schen noch auch mit den Olthof sehen zu Ende
ging, sondern daß sie also bis ins 17. Jahrhundert fortdauerte. Melodie und Satz
der von Stiphelius mitgetheilten sind andere, als die bisher bekannten des 16. Jahr-
hunderts, aber ganz im selben StiL Zur Ftobe theile ich eine Ode hier mit:
Notisen.
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Da Stiphelius keinen anderen Verfasser nennt, wird man kaum irre geben,
wenn man ihn selbst dafür ansieht. Hatte doch Qlare'an im Dodekachord bei
der Lehre aber »die Erfindung der Tenore« (Buch 2, Kap. 39) eben diese Hora-
sischen Oden als Unterlage seiner Übungsbeispiele benutzt So könnte also auch
Stiphelius sehr wohl seine Studien an diesen Melodien und Sätzen im graden
Kontrapunkt gemacht haben, wie er sie wieder bei seinen' Schülern verwendet. Sie
sind in der That ein ganz vortreffliches Unterrichtsmittel; möchten doch auch
unsere Gymnasien sich das gesagt sein lassen! Denn indem sie, musikalisch be-
trachtet, eine ausgezeichnete Vorschule für den vierstimmigen Gesang bilden,
machen sie die Schüler zugleich mit den antiken Metren praktisch vertraut und
beleben das Bild des alten römischen Dichters. Wer sich etwa an den Härten
der alten Harmonik stößt, der kann ja den Melodien leicht ein weicheres Mäntel-
chen umhängen, nur daß er sich hüte, die Strenge des Kontrapunkts an sich dabei
zu verwischen. Denn grade in den Dreiklängen liegt für das musikalische Gehör
das Bildende.
Schleswig.
B. V. Idliencron.
Berlehtigiuig«
S. 486, Anmerkung 1 des vorigen Jahrgangs wolle man statt »Sopran und Alt« lesen:
»Alt und Tenor«.
Adressen der Heransgeber:
Professor Dr. Spitta, d. Z. geschäftsfahrender Herausgeber, Berlin, W. Burg-
grafenstraße 10; Dr. Friedrich Chrysander, Bergedorf bei Hamburg; Professor
Dr. Guido Adler, Prag Weinberge, CelakoTskygasse 15.
Lodovico Zacconi
als Lehrer des Kunstgesanges.
Von
Friedrich Chrysander.
II*)
Über Gesang, und Sänger im Verhältniß zu den Komponisten
und Kompositionen der damaligen wie der früheren Zeit.
Die Ausbildung und geschichtliche Entwicklung der Musik.
Vergleichung der Musik der Niederländer mit derjenigen
Palestrina's und seiner Zeitgenossen. Notenkunde und Lehr-
methode für Gesangschüler. Aufgaben, Pflichten und Frei-
heiten des vortragenden Sängers.
Das Kapitel über die »Gorgia«, welches im ersten Abschnitt ge-
druckt ist, bietet eine ausfuhrliche/ zusammenhängende Darstellung
über den kunstmäßigen Vortrag des Sängers und mußte deßhalb
voran gestellt werden. Was Zacconi außerdem noch über Stimme,
Gesangunterricht und Sängerkunst vorträgt, sowie über viele andere
damit verbundene Materien, lasse ich hier in einem zweiten Ab-
schnitte folgen. Seine Mittheilungen sind wichtig genug, um in
ihrer Gesammtheit gekannt zu werden, denn sie enthalten das Voll-
ständigste und in ihrer Vielseitigkeit auch WerthvoUste , was uns
von einem Autor aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts über
den Kunstgesang seiner Zeit überliefert ist.
Für unsern Zweck kommt nur das erste Buch des ersten Bandes
der »Pratticaa in Betracht. In verschiedenen Kapiteln desselben sind
die Materialien unmethodisch verstreut. Den Autor möglichst selbst
zu Worte kommen zu lassen , mußte der Hauptzweck dieser Arbeit
sein, und weil damit eine sachlich geordnete Darstellung nicht zu
vereinigen war, so blieb nur übrig, Zacconi auf dem von ihm ein-
geschlagenen Wege zu folgen und den Inhalt seiner Kapitel der
•) S. Abschnitt I: Vierteljahrgschrift 1891 Bd. VII S. 337—396.
1893. 17
250 Friedrich Chrysander,
Eeiheufolge nach mitzutheilen. Dies ist nun so geschehen, daß die
wichtigeren und längeren wörtlichen Anführungen durch eine kleine
Einriickung und einen Nebenstrich kenntlich gemacht sind, während
das XJbrige in meinen Bericht verwebt ist. Durch Zusätze in [ ]
Klammem habe ich Zacconi's Worte, wenn sie der Kürze oder des
mangelhaften Ausdrucks wegen unklar waren, deutlicher gemacht
und damit viele umständliche Anmerkungen erspart. Auf diese Weise
war es möglich, bei einem mäßigen Umfange doch annähernd eine
sachliche Vollständigkeit " zu erreichen und die Leser nicht allzu-
sehr unter der Weitschweifigkeit des Autors leiden zu lassen.
Xihvo Ißvimo.
Kapitel 4.
Was die Bezeichnungen Theoretiker, Praktiker, Musiker und Sänger bedeuten.
[Che cosa sia Theorica, Prattica, Musico, et Cantore, et cht iintenda per Theorico,
Frattico, Musico, et Cantore.)
» . . . Man nennt Musiker den Komponisten, um ihn zu unter-
scheiden sowohl von dem einfachen Sänger wie auch von dem
Praktiker y welcher nicht singt, sondern bloß die Noten zum Singen
aufsetzt. Also: Wenn der Komponist komponirt und nicht singt,
d. h. sich nicht zu Zeiten bei beliebiger Gelegenheit zum Singen
herbei läßt, dann heißt er Praktiker, weil er von seinem Wissen
einen [praktischen] Beweis gegeben hat. Aber wenn er gelegent-
lich beim Singen sich zum Gesänge schickt und mit Sängern ver-
eint singt, dann muß man ihn Musiker nennen. Ich sage: dann,
wenn er bei Gelegenheit mit Andern singt — um diejenigen
Komponisten darunter zu verstehen, welche eine gute oder aus-
gezeichnete Stimme haben und sich hinsichtlich der Stimme nicht
zu scheuen brauchen, zu singen. Also, um Alles in Einem zu-
sammen zu fassen: Theorica ist die einfache Wissenschaft, welche
diejenigen besitzen, die nicht vermöge musikalischer Noten, sondern
vermöge der Proportionalität der Zahlen alle harmonischen An-
ordnungen verstehen. Prattica ist diejenige Wissenschaft, welche
die proportionirten Zahlen auf musikalische Noten zurück fuhrt.
Musico ist der, welcher die so zurück geführten [in Musik gebrachten]
Verhältnisse versteht und nachdem sie zurück geführt [komponirt]
sind, sie mit Andern singt oder sich als ein Sänger zum Gesänge
herbei läßt«. (Fol. 4).
Obige Definitionen bewegen sich noch ganz in den alten Vor-
stellungen von der abstrakten Zahlentheorie und der konkreten
LodoTico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 251
Bethätigung derselben als Komposition, die selbstverständlich bloß
als eine gesangliche angesehen wird, wobei nur derjenige Komponist,
der zugleich gesangsfähig ist, den Ehrennamen »Musikers erhält.
Hierin offenbart sich uns wieder der ganze uralte Sängerstolz.
Einige dieser Bezeichnungen haben später eine veränderte Be-
deutung erhalten: so war >Musico« seit dem vorigen Jahrhundert
gleichbedeutend mit Kastrat. Der Ausdruck »Prattica« für Kompo-
sition blieb noch längere Zeit im Gebrauch ; in diesem Sinne recht-
fertigt Monteverde seine neue Art zu komponiren als »seconda prattica«.
Kapitel 5.
Warum der Autor den Titel »Prattica di Musica» gewählt hat.
». . . . Nachdem ich also viel erörtert und überlegt und das beste
gewählt hatte, habe ich gegenwärtigen Titel »Prattica di Musica«
gebildet, denn es schien mir, daß sich mit diesem Namen meine
volle Absicht am besten darstellen müsse, da es sich um nichts
andres handelt, als zu sehen, nicht bloß ob die aufgestellten Kanti-
lenen ihre zukömmlichen Zeichen und Notenwerthe haben, sondern
auch, wie diejenigen, welche mit andern als den gewöhnlichen
Zeichen gesetzt sind, gesungen werden müssen .... Unter dem
Namen Prattica di Musica werden wir also allmählig und auf
anmuthige Art alle Eigenthümlichkeiten und das wesentliche Zu-
behör (essentiali accidenti) der Melodien durchgehen«. (Fol. 4^).
Kapitel 6.
Wie hoch Musik, Musiker und Sänger geehrt werden.
». . . . Ich rede hier nicht von den Künstlern und Handwerkern,
welche sich Tag und Nacht abmühen, um ihren kargen Lebens-
unterhalt zu gewinnen. Nur der Musiker mit dem Sänger ver-
dient sich sein Brot mit Vergnügen, Lust und Annehmlichkeit.
(Solo il Musico col cantore, st guadagna il pane coti piacere, solazzo,
et dolcezza.) Und er lebt unter den Geehrten geehrt und sorgt
nicht oder hat Furcht, hinaus gejagt zu werden oder zu irgend
einer geehrten und anständigen Gesellschaft keinen Zutritt zu
haben. Vielmehr lebt er in solcher Achtung und Schätzung, daß,
wo er nicht ist, er hingerufen und daselbst mit offenen Armen
empfangen wird. Jeder liebt ihn, jeder schmeichelt ihm, jeder
sucht ihm gefällig zu sein : so schätzt man die Kunst und deren
Lehrer hoch. Ich für mein Theil würde nicht im Stande sein
noch das Vermögen oder die Zunge haben, zu sagen, in welcher
Werthschätzung und Achtung ein Sänger steht; denn wieviel man
17*
252 Friedrich Chrysander.
auch bezahlt, so daß er bei den Großen als einer der Kleinsten
und Untersten oder wenigstens nur als Lohnarbeiter angesehen
wird, — nimmt man ihm dafür doch nicht den Platz und die
Ehre, die ihm als Virtuosen zukommen. Er gelangt mit seiner
Kunst als Ehrenperson allenthalben hin wie eine würdige Persön-
lichkeit, von Jedermann gut angenommen und begünstigt, geehrt
durch Tüchtigkeit und verdiente Gunst {cotne omato di virtü, et
meritevol di favore). Zu jeder Zeit und Stunde ist er gerüstet
zum Dienst, und sein Dienst macht nicht müde. Er [der Sänger]
hat keine Sorge, Instrumente mit sich herum zu schleppen, noch
hat er Werkstätten und Häuser nöthig, um seine Kunst üben zu
können. Wo er auch geht, trägt er alle seine Instrumente mit
sich, kein Räuber kann sie ihm nehmen. Wenn nun schon ein
einfacher Sänger so geehrt und geachtet wird, wieviel mehr wird
ein wahrer Musiker und ein guter Komponist geehrt und geachtet
sein: denn wenn man den Schüler so ehrt, wie viel mehr wird
man den Lehrer ehren! Sicherlich, es giebt keine Sprache, die
den Vortheil, welchen die Musik bringt, genügend ausdrücken
könnte, noch eine rechte Vorstellung davon. Nicht allein heitert
die Musik uns auf und bringt der Seele, die durch körperliche
Leiden betrübt und belästigt ist, neue Belebung, sondern sie ist
Vielen auch behülflich, daß sie durch ihre Kraft ein geehrtes
Leben fuhren«. (Fol. 5.)
Kapitel 9.
Welche Musiker man unter den Alten versteht, und welches die Melodien sind,
die man heutzutage alt nennt. [Quali Musici s'iniendino per antichi^ ei quäle ateno
quelle cantilene ch'oggi giorno si chiamano antiche.)
Auf die lebhafte Schilderung von der glänzenden Stellung der
Sänger und Sänger-Komponisten seiner Tage läßt Zacconi im 9. Ka-
pitel einen kleinen geschichtlichen Excurs folgen, der hier nicht nur
in den bezeichnendsten Stellen, wie die meisten übrigen Kapitel,
sondern vollständig mitgetheilt wird, da er für den Autor charakte-
ristisch, auch in verschiedener Hinsicht werthvoU und dabei nicht
ohne humoristischen Reiz ist; denn seine »antiken« Komponisten
und Kompositionen kommen so ziemlich auf das hinaus, was jung
war, als noch der Großvater lebte.
»Damit die Untersuchungen, welche über die musikalischen
Dinge anzustellen sind, jene Klarheit und Durchsichtigkeit erlan-
gen, die alle an sich schwierigen und zu ordnenden Dinge haben
müssen, so will ich, bevor wir weiter gehen, erklären, welche
Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 253
Musiker man unter den »Alten« versteht und was die »alten«
Kantilenen und Kompositionen sind.
Was die antiken Musiker betriäl, so finden wir davon zwei
Klassen. Die erste Klasse bilden jene Philosophen, welche in
erhabener Weise von der Wissenschaft der Musik geschrieben
haben, wie Pythagoras, Plato, Macrobius, Amphion, Diodor, Boetius,
St. Augustin und viele Andere. Diese nannten sich seinerzeit
Musiker, weil sie nach den Hegeln der Wissenschaft die Zahlen-
verhältnisse und die wahren Konsonanzen kannten. Femer wur-
den noch die [damaligen] Dichter für solche [Musiker] gehalten
wegen der guten und ausgezeichneten Ordnung ihrer Verse.
Die zweite Klasse bilden jene Komponisten, welche vermit-
telst der musikalischen Notenzeichen so viele Kantilenen setzten,
als wir heute noch erhalten sehen. Die Namen derselben sind :
Jusquino, Gio. Mottone [Mouton], TOchghen [Ockenheim] , Bru-
mello [Brumel], Heinrich Isaac, Ludw. Senfel und viele Andere,
welche ich mit Stillschweigen übergehe, da ich nicht die Pflicht
übernommen habe, Alle zu nennen. Weil nun ein anderes ist,
die Musik hinsichtlich des Tones zu betrachten, und ein anderes,
sie nach ihren Notenzeichen zu setzen: so werde ich, wenn ich
von jenen Musikern rede, welche den Klang durch Spekulation
untersuchten und ihn in so und so viele numeri sonori, misti und
dissonori schieden, sie immer mit ihren Eigennamen nennen und
sagen Diodor, Amphion, Boetius, Macrobius, St. Augustin u. a. ;
aber wenn ich von denen zu sprechen habe, welche die Zahlen
in Noten umsetzten, so werde ich immer sagen »die Alten [antichi.a^
und wünsche, daß man zu diesen Alten rechne: Jusquino, Gio.
Mottone, Brumello u. a., welche die tönenden Zahlen [i numeri
sonarCj unter musikalische Noten ordneten, und dieselben nicht
verwechsle mit Denjenigen, welche die Gesänge so setzten, wie
wir sie heutzutage zu singen pflegen, noch darunter Jene ver-
stehen, welche den Ton bloß theoretisch untersuchten und ihn
nicht auf genannte Art in Noten brachten.
In ähnlicher Weise machen wir noch eine Unterscheidung
zwischen Denen, welche die tönenden Zahlen als Schriftzeichen
und Noten ordneten, und Jenen, welche sie [bloß] als Zahlen
ordneten, indem sie allein im Auge hatten, auf wie viele Weise
der Ton sich theilen läßt. Dadurch wissen wir, welche Kantilenen
bei uns als alt zu gelten haben; denn von jenen Kantilenen, die
in musikalischen Noten aufgezeichnet sind und zum Singen die-
nen, werden wir sagen, daß alle diejenigen alt sind, welche von
den oben genannten und andern ungenannt gebliebenen Autoren
254 Friedrich Chrysander,
komponirt wurden. Und ferner hat man, wenn ich vom Alten
rede, immer diejenigen Männer und Kompositionen zu verstehen,
welche zu jener Zeit vorhanden waren, als unsere Musik in Bliithe
stand, und das war zur Zeit der oben genannten Männer (£ pero
sempre cKio dirb antichi^ et compositione antiche s^hanno da inten-
dere colorOj et quelle compositioni che furono a quel tempo che la
Musica nostra fioriua che fu al tempo de quegt huomini, che sono
descriiti qui dt sopra). Und man braucht sich darüber nicht
zu wundern, daß ich diese Unterscheidung mache. Denn wenn
ich bei Abhandlung der Musik jene Philosophen und Dichter,
welche schon vor langer Zeit für Musiker gehalten wurden, unter
den »Alten« verstanden wissen wollte, so würde ich die Kompo-
nisten von musikalischen Noten mit demjenigen verwechseln, wel-
cher Poesien und Reime verfaßte, oder mit dem andern, der den
Ton nur in Bezug auf sein Verhältniß betrachtete und darüber
geschrieben hat. . . [Zacconi unterscheidet nun die ganz alten Kompo-
nisten des fünfzehnten und beginnenden sechzehnten Jahrhunderts
von den älteren Tonsetzern seiner Zeit, und will die ersteren
Anficht j die letzteren aber Vecchi genannt wissen.] . . . Also : die
antiken Komponisten werden alle jene sein, die schon vor langer
Zeit lebten und von denen man jetzt nur noch Spuren oder Ab-
schriften ihrer Werke findet; die » Alten c( aber werden solche sein
wie Adriano Vuilarth (Willaert], Morales, Ciprian [de] Rore, Zer-
lino [Zarlinoj, Palestina [Palestrina] u. a., die später und zu unsem
Zeiten lebten und die wir nicht anders nennen können, als Vecchi.
Ebenso muß man nach ihrem Namen einen Unterschied machen
(denn das ist nothwendig) zwischen den alten Kantilenen und den
modernen, welch letztere die frischeren und neueren sind, deren
Autoren noch heute leben oder die, sollten sie schon gestorben sein,
doch [als Komponisten] jung geblieben sind trotz ihres Greisen-
alters. Mit diesen Unterscheidungen werden wir sicherer vorgehen:
denn beim Anführen der Antiken, der Alten und der Modernen,
wissen wir dann gleich, was darunter zu verstehen ist«. (Fol. 7).
Kapitel 10.
Wodurch die Alten ihre musikalischen Effekte hervorbrachten. [Di donde eattauano
gli antichi gli effetti suoi Musicali.)
Die etwas schwerfällige Auseinandersetzung in dem vorigen
Kapitel mußte nicht bloß deßhalb gegeben werden, um den Grad
des Lichtes erkennen zu lassen, der unserm Autor die musikalischen
Zeitalter erhellte, sondern namentlich auch wegen der in diesem
Kapitel folgenden Mittheilungen, die sich daran schließen. Daß
LodoTico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 255
Zacconi von dem eigentlichen frühen Mittelalter und damit von der
^wirklichen Ausbildung der heutigen Tonkunst ebenso wenig Ge-
naueres weiß, wie von der Musikübung des Alterthums, wird jeder
Leser bemerken. Er war hierin nicht klüger als seine Zeit.
«Da sich Zustände und Zeiten ändern, wie wir sie fortwährend
wechseln sehen, so müssen sich nothwendigerweise auch alle die
Dinge ändern, welche in diesen Zeiten gemacht sind. Das zeigen
uns so recht ihre Formen, welche sehr häufig schlechter werden,
wenn nicht ganz, so doch zum Theil. Untersuchen wir nun, woher
die Uralten (antichi) ihre musikalischen Effekte bezogen haben,
so dürfen wir uns nicht wundern, daß sie mannigfach von denen
der Modernen verschieden sind; denn die musikalischen Noten
dieser Antiken waren auf andere Weise gesetzt, da sie nur ver-
mittelst der Konsonanzen und harmonischen Zahlenverhältnisse
fortschritten. Daher findet man eine sehr große Abweichung
zwischen den Betrachtungen der Musik, wie sie Boetius, Amphion
und Macrobius anstellten, und den harmonischen Dispositionen,
welche Josquino und die andern Antiken machten; ebenso wie
sich eine sehr große Abweichung findet zwischen den in alter
Zeit gemachten harmonischen Dispositionen und den modernen.
Denn obwohl im Allgemeinen dieselben Begeln und Konsonanzen
zu Grunde liegen, sagt man trotzdem (weil nämlich die modernen
Konsonanzen anders als die antiken disponirt sind), daß die Ur-
alten ihre musikalischen Effekte hervor brachten vermittelst Fugen
und anderer Hülfsmittel, welche sie immer nach ein und dem-
selben Stile disponirten. Das zeigen uns ihre Werke, bei deren
Singen wir stets dieselbe Art der Harmonie hören und die Em-
pfindung haben, als gingen sie immer wieder dieselben Wege.
Und das kommt nur daher, weil sie das Augenmerk allein auf
die Inventiouen und die Verschiedenheiten der Fugen richteten,
nicht sowohl um sie zu erfinden, als um sie geschickt zu weben
und auszubreiten, nämlich durch die Verbindung von mehreren
zusammen (wie man es in den Motetten von Gombert sieht), um
ihre große Kunstfertigkeit in der Behandlung der tönenden Zahlen
und Konsonanzen zu zeigen. Aber durch Adrian Willaert und
Ciprian de ßore, jene so klugen und gelehrten Alten [veccht) in
der Kunst, begann man allmählig andere und schöne Effekte zu
erfinden. (Freilich waren ihre Werke nicht von Anfang an so
bekannt und geschätzt.) Solcher Gestalt lernten die Modernen
durch den Stil unserer Alten, so daß sie nun Musik setzten mit
ziemlich von den Antiken verschiedenen Effekten. Denn außer
den Inventionen wurden Verzierungen erfunden, die zu jener Zeit
256 Friedrieh Chrysander,
noch nicht entdeckt waren, und wenn bereits einige wenige ent-
deckt wurden, doch noch nicht allgemein bekannt waren. Denn
die Absicht dieser Uralten zielte auf nichts anderes, als auf Fugen
und Tonverbindungen ; man fand Vergnügen daran, einen Einfall
bis zu Ende auszuspinnen ohne weiter auf Verzierungen und Ver-
schönerungen Bücksicht zu nehmen. In der That habe ich mit
alten Musikern Rücksprache genommen, welche in ihrer Jugend
berühmte Sänger und bedeutende Komponisten gekannt haben,
die damals die Kantilenen sangen, wie sie in den Büchern ge-
schrieben standen, ohne ihnen auch nur den kleinsten Accent zu
verleihen oder irgend eine Verzierung beizufügen. Denn sie waren
auf nichts anderes gerichtet, und nichts anderes beabsichtigten sie,
als reine und einfache Modulation, aus welcher nichts als der
einfache und reine harmonikale Effekt entstehen konnte, erzeugt
durch gute, auf verschiedene Art angeordnete Konsonanzen, ob-
gleich sie im Anordnen derselben nicht jene vollkommenen Regeln
hatten, wie wir heutzutage. Und deßhalb können wir sagen, daß
die Antiken ihre musikalischen Effekte nur durch ihre reinen
und einfachen Inventionen hervor brachten. (Ma poi col tetnpo
per opera (TAdriano Vuilarthj et di Ciprian Rore, che furono quei
Vecchi nella professione si intelligentij et dotti, s'incomincid a ri-
trouarsi altri nuoui, et vaghi effetti: (se bene Vopere loro non
furono cosl da principio conosciute ^ et stimate;) talche hceuendo
imparato i modemi dallo stile de nostri vecchi campongano hora
Mtcsiche con effetti assai dissimili da gVantichi: perche oltra Fin-
uentioniy si sono ritrouate vaghezzCy che a quel tempOj non erano
scope7'te, et se pur erano qualche poco scoperte non erano conosciute :
perche la mira loro non tendeua in altro, che ne gToblighi, nelle
fughe, et nelle osseruationi: pigliandosi piacere di condurre un Ca-
priccio sin al fincy non hauendo rispetto piu che tanto alle vaghezze^
et dolcezze. Anzi che io mi son trouato a ragionare con Musid
vecchi, i quali in sua giotientü hanno conosciuto famosi cantori di
quel fefnpoy et compositori d^importanza, che cantauano le cantilene
come le siauano scritte sopra de libri, senza porgerli pur un minimo
arcento, d darli qualche poco di vaghezza: perche non erano intenti
ad altrOy ne ad altro attendeuano che alla pura, et semplice modu-
laiione: dalla quäle non ne poteua riuscir altro che il semplice^ et
puro effetto harmoniale: catutto per via di consonanze huone diuer-
samente disposte, se bene nel desporle^ non haueano quelle perfette
regole, et osseruanze che hora habbiamo noi; e perd possiamo dire
che gTa7itichi non cauassero gleffetti Musicali suoi se non dalle
piirCj et semplice loro inuentioni.Jvi (Fol. 7^.)
LodoTico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 257
Auch dieses kleine Kapitel habe ich ganz mitgetheilt, da es zu
den historisch merkwürdigsten und gewissermaßen auch wichtigsten
gehört. Von dem griechisch-römischen Alterthum absehend, theilt
Zacconi die geschichtliche Entwicklung seiner Kunst nur in drei
Perioden. Die erste Periode füllt er mit den » Antiken ((. Dies waren
jene ehrwürdigen Meister um 1500, welche die spekulativen Zahlen
der Griechen nach seiner Ansicht in d tönende Zahlen« und damit
in wirkliche Noten brachten. Von ihren Werken hatte sich noch
eine ansehnliche Menge erhalten^ aber für die Praxis waren sie
so gut wie todt; Zacconi, ausschließlich ein Mann der Praxis seiner
Tage, kannte sie fast nur noch von Hörensagen oder aus Büchern.
Hinsichtlich ihres Vortrages glaubte er das, was ältere Zeitgenossen
ihm erzählten. Diese Periode wurde seit und durch Willaert abge-
löst von einer zweiten, die in einem neuen Frühling einen ganz
anderen Flor der Musik zu Wege brachte, freilich damals auch schon
größtentheils der dritten oder eigentlich modernen Periode hatte
weichen müssen, aber doch noch in vielen großen Werken lebendig
geblieben war. Zacconi's moderne Periode unterscheidet sich von
dieser mittleren nicht im Wesen, sondern lediglich durch das zeit-
gemäß Gefälligere, und würde von ihm wohl kaum besonders hervor
gehoben worden sein, wenn er als Virtuose nicht so ganz und gar in
ihr aufgegangen wäre. Dagegen ist seine Scheidung der ersten und
zweiten Periode in »Antike« und »Altea geschichtlich so richtig,
daß sie mehr als bisher beachtet zu werden verdient. In solchen
Gruppirungen trifflt der jüngere Zeitgenosse gewöhnlich das Rechte,
weil ihm diejenige Einsicht, welche wir uns erst durch Studium
erwerben müssen, traditionell übermittelt ist.
Dieselbe Tradition, die in der Entwicklung der musikalischen
Formen das Richtige sehen läßt, verleitet aber erfahrungsmäßig zu
Irrthümern, sobald es sich um die musikalische Praxis handelt. Ein
solcher Fall liegt auch hier vor, und zwar ein sehr merkwürdiger
und verfänglicher. Den Praktikern der jeweiligen Gegenwart wird
die Musikübung einer um fünfzig Jahre zurück liegenden Zeit mehr
und mehr unbekannt; handelt es sich aber gar um eine Entfernung
von hundert und mehr Jahren, so beginnen die Formen völlig zu
erstarren, so sehr, daß es als stilgerecht angesehen w^ird, die Werke
in dieser Starrheit zu Gehör zu bringen, falls sie einmal aufgeführt
werden. Zacconi würde nicht wenig verwundert sein, wenn er er-
fahren könnte, welche Vorstellungen wir uns heute von dem ganzen
Gebiete machen, auf dem er lebenslang wirksam war; wie wir es
insgesammt als Palestrina - Stil ansehen und den Vortrag der be-
treffenden Kompositionen als a capella-Gesang. Er würde ausrufen :
258 Friedrich Chrysander,
»Was Ihr da singt, das haben wir zu unserer Zeit niemals von -wirk-
lichen Sängern vernommen, sondern nur von Stümpern; so hat der
Komponist sein Werk nicht gemeint, auch nicht gehört, denn ein
wahrer Sänger mußte bei uns noch etwas anderes können, als bloB
die geschriebenen Noten singen«. Und derselbe Mann, der so ge-
sprochen hätte, will uns hinsichtlich eines ihm fremden Gebietes
denselben Irrthum einreden ! Er hat sich sagen lassen, daß die Musik
vor Willaert so aufgeführt wurde, wie sie zu Buche stand, da die
Ausschmückungen der Sänger noch nicht erfunden oder, wenn er-
funden, doch nicht allgemein bekannt waren. Zacconi muß aber
niemals daran gedacht haben, sich die Frage vorzulegen, was denn
eigentlich an diesen Künsten zu erfinden gewesen wäre, wer sie
erfand und wann es geschah: sonst würde er bemerkt haben, daß
es auf diese Frage keine Antwort gab, da es sich in allen Perioden
lediglich um neue, der veränderten Zeit und Kunst entsprechende
Modifikationen einer uralten Praxis handelte.
Von seinen Mittheilungen ist aber soviel richtig, daß die Kompo-
sitionen der von ihm geschilderten ersten Periode, die wir jetzt die
Zeit der früheren Niederländer nennen, von allen am wenigsten auf
Sänger-Ornamente berechnet waren, weßhalb sie auch zu dem, was
die Sänger freischaffend hinzu thun konnten, nur eine verhältniß-
mäßig geringe Veranlassung boten. Dies wird der sachliche Grund
gewesen sein, an den sich dann mit der Zeit jene irrthümliche Mei-
nung heftete.
Zu den inneren Gründen von der Un Wahrscheinlichkeit, ja Un-
möglichkeit, daß die Kunst der freien musikalischen Ornamentik
erst später im Dienst einer Zeitmode beliebig » erfunden a sein könnte,
gesellt sich in diesem Falle noch der äußere Beweis durch Lehr-
bücher, die sechzig Jahre vor Zacconi's »Pratticaa geschrieben sind,
allen erwünschten Aufschluß gewähren und die Behauptungen unsers
alten Sangmeisters recht drastisch widerlegen.
Den schmucklosen korrekten Vortrag aufgezeichneter Kontra-
punkte, welchen Zacconi seinen Antiken zuschreibt und worauf er
in dem folgenden zwölften Kapitel zurück kommt, wollte Pietro della
Valle im Jahr 1640 auch schon in Palestrina's Zeitalter, also bei
Zacconi selber, entdeckt haben, und um 1800 fing man bereits an,
sich ähnliche Vorstellungen hinsichtlich eines »würdigen« Vortrages
der Händerschen Gesänge einzureden. Wie alle Dinge in der Welt,
so drehen sich auch die Mißverständnisse im Kreise und lassen uns
von Zeit zu Zeit immer wieder dasselbe Gesicht erblicken.
Übrigens verweise ich auf Kapitel 34 (s. unten S. 266 — 68), wo
Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 259
Zacconi sich über die Stellung des Sängers zu den Kompositionen
der Alt'Niedeiländei weit unbefangener und richtiger ausdrückt.
Kapitel 12.
Ob die modernen musikalischen Effekte dieselbe Kraft besitzen, welche die antiken
hatten. {Se i moderni effetti Musicali hanno quella forza luiueano gli antichi.)
»Jedermann kann sich selber vorstellen, nicht bloß aus täglicher
Erfahrung von den Veränderungen der Dinge, sondern auch durch
die eigenthümliche Wirkung der Musikstücke von einer Zeit auf
die andere (um nicht zu sagen : von einer Stunde auf die andere) ,
daß die modernen musikalischen Effekte von den antiken ziemlich
verschieden sind, sei es bezüglich der Kompositionen an sich
selber, welche heutzutage in einem geschmückteren Stil abgefaßt
werden, oder sei es bezüglich der graziösen Accente, welche ihnen
die Sänger geben. Und um so verschiedener heben sich die moder-
nen E^ekte von den antiken ab, als die Stücke von Irrthümern und
Unreinheiten freier und in besserer Ordnung komponirt sind, da ja
diese modernen Kompositionen mit größtem Fleiße und angestreng-
tester Aufmerksamkeit auf die Wirkung, welche die Kantilenen
auf den Hörer ausüben, nach den Regeln der Alten (veccki) auf-
gesetzt werden. Wenn gute Sänger sie hervorbringen und mit
großer Erfahrung ausführen, so zeigt es sich, daß die Wirkung
der modernen Musikstücke die der antiken übertrifft, da man sie
mit mehr Schmuck und Annehmlichkeit singt. (. . . per esser stato
% moderni con le regole de Vecchi con grandissima dilegema^ et fissa
attentione ad ascoltaf'e che effetto faccino le modulate canttlene;
qtiando che da buoni cantori sono cantate^ etfattone di motte esperienze
st tiene che gli effetti de le Musiche moderne superano gli antichi,
perche sono con piu vaghezza, et dilettatione cantati.) . . . Vergleichen
wir also die Wirkungen, die aus unsern heutigen Kompositionen
resultiren, mit denen der antiken, so sage ich, daß die modernen
viel anziehender sind, als die antiken, sowohl hinsichtlich der gut
geordneten Konsonanzen wie auch hinsichtlich der guten Sänger,
die sie vortragen. Man kann dabei noch die besondere Erfahrung
machen, daß, wenn man eine Kantilene aus der Hand mittelmäßiger
Sänger in die Hand berühmter und guter Sänger legt, diese Kompo-
sition eine andere wird und nicht mehr dieselbe zu sein scheint.
Hieraus können wir ohne weiteres folgenden Schluß machen:
Voraus gesetzt, daß solche Sänger da sind, die bei guten Musik-
werken die Wirkung verdoppeln, und voraus gesetzt, daß die mo-
dernen Kompositionen nach vorzüglichen Kegeln gesetzt und von
vorzüglichen Sängern, welche die zierlichen Accente und graziösen
260 Friedrich Chiysander,
Manieren beherrschen, vorgetragen werden — so haben diese
modernen Kompositionen viel mehr Kraft, als die antiken, da ja
die Sänger der früheren Zeit nur darauf Acht hatten, ihre Kanti-
lenen gut zu singen und [in den vorgeschriebenen Noten] keinen
Fehler zu machen, denn darin bestand ihre ganze Ehre und ihr
Ruhm, während doch heutigen Tages der Ruhm und die Ehre
eines guten Sängers nicht bloß darin erblickt wird, sicher zu sein,
sondern auch mit Grazie und Accent zu singen. [Per che ü possi-
amo senz^ altro concltiderej che essendo i cantori quellt i quali con
Ig buone Musiche raddoppiano gVeffetti^ che essendo le Mtisiche mo-
derne fatte con buonissime reg oh ^ et cantate da buonissimi cantori,
patroni de gli accenti vagh% et delle grattose maniere, che le habbiano
molto piu forza che non haueano Pantiche giä che i cantori di quel
tempo, non attendeuano ad altro che a cantar bene le loro cantHene,
et a non fallarle: perche in quello consisteua tutto il loro honore,
et a lor gloria: come anco oggi giomo la gloria, et Thonore di vn
buon cantore non solo consiste nelV esser sicuro cantante: ma anco
nel cantar con gratia, et accentuatamente,)« (Fol. 8.)
Der Gegensatz, welcher hinsichtlich der Ausfuhrung zwischen
dem »Antiken« und »Modernen <( bestand, wird von Zacconi über-
trieben, wie wir bereits wissen. Aber selbst nachdem dieses in Abzug
gebracht ist, bleibt von seinen Darlegungen genügend übrig, um eine
große Bedeutung beanspruchen und belehrend auf uns wirken zu
können. Seine Schätzung der beiden, von ihm als antik und modern
bezeichneten Gebiete ist im Ganzen auch die unsere, denn das Zeit-
alter Palestrina's steht uns so hoch über dem Josquin's, daß letzteres
fiir unser Kunstleben kaum etwas bedeutet und nur als historische
Vorstufe gilt. Aber in der Abschätzung dessen, was den Hauptwerth
der gepriesenen Kunst der zwei letzten Drittel des 16. Jahrhunderts
ausmacht, stimmen die heutigen Ansichten mit denen des Zacconi
schlechterdings nicht überein. Entweder also war der alte Sang-
meister in Nebendinge verliebt, durch Äußerlichkeiten geblendet,
oder wir befinden uns auf einem argen Holzwege. Die erstaunliche
Gründlichkeit in allen Zweigen der musikalischen Kunst, welche
Zacconi kund giebt, schützte ihn wohl hinreichend gegen Verflachung.
Aber wer solches nicht als genügend beweiskräftig ansehen sollte,
der bedenke, daß er nicht der einzige Tonlehrer war, welcher die
Musik seiner Zeit in dieser Weise erklärte, daß andere musikalische
Zeitgenossen von gleicher Gründlichkeit und gleichem Gewicht das-
selbe lehren und zwar, was sehr bemerkenswerth ist, durchaus unab-
hängig von einander in verschiedenen Orten und Schulen. Dieses
einfach abzuweisen, ist unmöglich ; es kann sich nur darum handeln.
LodoYico Zaeconi als Lehrer des Kunstgesanges. 261
vor einer Erscheinung, die uns jetzt völlig neu ist, nicht die Äugen
zu verschließen ; sondern den Sachverhalt genau zu erkennen und
das Erkannte sodann praktisch zu verwerthen.
Kapitel 23.
Von dem Alter der Musik und ihren Erfindern. (Della anticküä deüa Mustca et
suoi intientori.)
In diesem Kapitel faßt Zaeconi das zusammen, was er hin und
wieder über das Alter und die Entwicklung der Musik äußert. Er
ist auch hier Praktiker, der sich an das Handgreifliche hält, denkt
daher sehr gering und sehr nüchtern über die musikalischen Wunder-
dinge, welche aus dem Alterthum berichtet werden. Wer dem Jubal
sowie der langen und glänzenden Reihe griechisch-römischer Musiker,
Dichter und Philosophen die Erfindung der Musik zuschreibe, der,
meint er, solle sich doch nicht bei den bloßen Namen begnügen,
sondern auch einige ihrer Musikstücke zu sehen verlangen.
4 Spricht man nun aber mit den Lehrern, welche heute leben,
so wissen sie als älteste Beispiele und Proben von Musik nichts
anderes aufzuweisen, als die Werke von Jusquino, Giovan Mottone
und den Andern, welche zu jenen Zeiten lebten, d. h. in Summa
innerhalb der letzten hundert Jahre. Das ist doch höchst wunder-
bar und merkwürdig. Da uns der Ruf und das Andenken von
Plato, Aristoteles, Anaxagoras, Socrates, Homer, Ovid, Yirgil und
hundert Andern, welche an Profession verschieden waren, erhalten
geblieben ist und erhalten bleiben wird, warum haben wir nicht
auch ein Andenken sei es auch nur an einen einzigen Musiker
jener Zeiten, wenn doch damals, wie man schreibt, auch Poeten
waren? Erwähnt man doch sonst niemals die Wissenschaft, ohne
einen hervor ragenden Lehrer aus ihr zu nennen; umgekehrt er-
wähnt man niemals einen hervor ragenden Lehrer, ohne irgend ein
beweisendes Beispiel seiner so großen Wissenschaft vorzuzeigen
oder wenigstens zu erwähnen.
Noch mehr. Wenn uns in den Werken und Schriften jener
fähigen MUnner auch die Poesien derjenigen, welche Musiker ge-
wesen sein sollen, aufbewahrt sind, warum erblicken wir in den-
selben nicht auch ihre Musik noch? Wenn unsere jetzige Musik
schon in jener Zeit vorhanden war, warum wissen wir nichts von
ihrem Stil oder welcher der berühmteste und erlesenste gewesen
ist ? Dieses Nichtfinden beweist deutlich, daß die Musik jener Zeit
nur darin bestand, die Gedichte abzusingen, oder, wenn doch die
Stimmen in 2, 3, 4 sich gruppirten, daß sie dann zu einer Konso-
nanz vereinigt wurden nur durch natürliche, nicht durch künstliche
262
Friedrich Chrysander,
Thätigkeit. Man sieht das noch sehr gut im Sommer an den
Schnittern auf dem Felde, oder bei Andern in andern Beschäf-
tigungen, welche nicht wissen, was Musik und harmonisches Singen
ist und dennoch harmonisch singen, einen lieblichen Zusammen-
klang zu Stande bringen und eine anmuthige Harmonie erzeugen.
Ebenso auch, wenn eine Menschenmenge das Lob ihrer Götter
oder irgend einer heroischen Person sang, mußte sie ohne Kunst
und Kenntniß der Wissenschaft sich in einer Konsonanz vereinigen.
Denn es scheint mir das bedeutungsToU, daß man zwar allerwärts
die Werke des genannten Jusquino, Giovan Mottone u. a. antrifft,
aber nirgends eine Abschrift oder Probe, sei es auch nur zum
Gedächtniß oder gewissermaßen als Reliquie, von den alten Sachen,
die doch wenigstens um 50 oder 100 Jahre früher waren. Die
da aber sagen, daß Mercur. Macrobius, Lucianus, Diodor, Boetius
und St. Augustin mit all den Andern über diese Musik geschrieben
hätten, täuschen sich gewaltig und nehmen einen großen Irrthum
für Wahrheit. Denn wenn Einer einzig und allein jene Werke
zehn Jahre lang studiren wollte, würde er doch niemals komponiren
lernen .... Will man komponiren, so muß man einen anderen
Weg einschlagen und andere Pfade wandeln; kein Komponist, sei
er auch noch so gelehrt [und bewandert in diesen alten Schriften] ,
wird behaupten können, durch ihr Studium die Fähigkeit des
Komponirens erlangt zu haben. Denn all ihr Reden in arith-
metischen Dingen und Ausdrücken mit ihren Divisionen, Ver-
gleichen, Vervielfältigungen, Vereinfachungen, Dissonanzen, Ein-
heiten u. s. w. hat so viel Ähnlichkeit unter einander, daß sie
immer wieder dasselbe zu sagen scheinen. Wer das aber nun in
[musikalische] That umsetzen will, der findet in all jenen Bänden
keine Andeutung, wie man die Partien im Baß [grave] , Tenor
[naturale) und Sopran [acuto) zu setzen hat, oder welches die Musik-
noten sind, oder welches ihr Werth im Gemeinsamen oder Beson-
deren ist, nebst allen übrigen Dingen, die man zum Komponiren
nöthig hat. In diesem Sinne können wir sagen, daß die heutige
Musik zu jenen Zeiten noch nicht vorhanden war, wenn man
anders vermittelst des Gehörs (per raffion cPudtto) unterrichtete und
begriff. Wir müssen glauben, daß es nun unter ihnen Einen gab,
der das mehrstimmige Verssingen geordnet hat und es harmonisch
ertönen ließ, und zwar nicht in unserer Ordnung, sondern in der
einfachen Ordnung des Accordsingens ; und daß mit der Zeit
Jemand angetreten ist, welcher, um die noch Ungeschickten und
Plumpen singen zu lassen, die Erfindung machte, mit Schrift-
zeichen zu unterrichten, und daß das menschliche ürtheil allmählig
LodoYico Zacconi ala Lehrer des Kunstgesanges. 263
gewissermaßen aus Nichts zu diesem Zustande empor gebracht
wurde und zu dem jetzigen Wesen. Soll ich nun aber sagen, wer
der Erfinder dieser Musik, die wir gegenwärtig haben, gewesen
ist, und finde keine andere Erklärung als wie ich sie oben gegeben
habe, so sehe ich mich schon gezwungen zu erklären, daß man es
nicht weiß — wenn ich nicht auch, wie die Andern, auf poetische
Fabeln verfallen will. Wir müssen also nach meinem Erachten
glauben, daß die Alten, wenn sie ihre Verse sangen, mangels einer
bestimmten Kenntniß beim Singen und Musiciren nichts anderes
thaten, als die Sänger bloß vermittelst des Gehörs in die Konso-
nanzen einfuhren, und daß mit der Zeit irgend Einer auftrat,
welcher sie mit neuen Ordnungen und Kegeln lenkte, bis daß sie
zu einem guten Ziele gelangten.
Wenn mir also Dieser oder Jener auf Grund der alten
Schriften sagen wollte, daß Boetius, Diodor, Anfion und di& Andern
Musiker gewesen seien, so wird er mir doch niemals beweisen, daß
sie Musiker von derjenigen Art waren, wie wir sie heute haben.
Denn wenn Einer Verse und Keime zur Zither, zur Laute oder
einem ähnlichen Instrument ohne Kenntniß des musikalischen
Gesanges vorträgt, so können sich doch solche Leute nicht mit
den Musikern der heutigen Zeit vergleichen. Ich meine also, daß
jene Art Musiker zu ihrer Zeit einfach die Dichter waren oder
solche, die ihre Reime sangen, wie wir ähnlich sagen könnten, daß
Dante, Petrarcha und Ariosti sich zu den Musikern rechnen müßten,
weil sie Keime und Gedichte machten. Aber der eigentliche Sinn
dieser Bezeichnung erstreckt sich heutzutage nicht mehr so weit,
daß man unter Musik etwas anderes verstehen müßte, als jene
Harmonie, welche die Stimmen erzeugen, wenn sie nach den
musikalischen Gesetzen und Kegeln diese und jene Werke der
Komponisten singen (cantano queste, et quelle compositioni da com-'
positori composte).
Und Diejenigen, welche sagen, daß unsere heutige Musik
schon die möglichste Vollendung erreicht habe, täuschen sich und
begehen in der Täuschung einen großen Irrthum. Denn wollen wir
etwa glauben, daß die Zeitgenossen von Ockenheim , dem Lehrer des
Jusquino, und die Zeitgenossen von Josquin selbst, Gio. Mottone und
die andern berühmten Musiker, im Hinblick auf die erreichte Stufe
und Vollendung nicht auch hätten sagen müssen, daß es unmöglich
wäre, die Musik zu noch größerer Vollkommenheit zu bringen?
Und dennoch scheint uns die moderne Musik viel schöner und lieb-
licher zu sein, als die ihrige. So werden denn auch mit der Zeit
Andere noch wieder andere Mittel finden können, durch die neuen
264 Friedrieh Ohrysander,
Veränderungen und Verschönerungen, die sich von Zeit zu Zeit ein-
stellen ; und auch sie werden dann [von ihrer Zeit] behaupten, was
wir jetzt [von der unsrigen] sagen. Das kommt doch bloß daher,
daß, wenn wir die Musik noch mehr zu verschönern wüßten, wir sie
auch verschönem würden, um sie zu vervollkommnen; aber weil
wir neue Mittel dazu nicht sehen, scheint es uns, als ob man es über-
haupt nicht machen könnte. Trotzdem ist es nicht unmöglich, da
es ja auch uns nicht unmöglich gewesen ist, die Musik so zu ge-
stalten, wie sie sich jetzt vorfindet. (Ei quellt che dicano che questa
nostra Musica sia ridotta a tutta quella perfettione che si pud mai
ridurre: assai sHngannano^ et nelF triff anno commettono tutto Terrore:
perche vogliamo not credere che coloro cKerano al tempo dt Giouan
Ogkechem che fu maestro di JtMquino, et al tempo d'esso Jtisqnino^
Giouafi Moitone e gli aliri famosi Musici vedendola esaer ridotta
a quel termtJie, et perfettione^ ancor loro non douessero dire che non
fosse possibilc di poterla ridurre a miglior perfettione? et nondimeno
la Musica moderna ci pare molto piu vaga, et molto piu soave che
non € la loro, Cosi col tempo potranno altri, altre piu vaghe vie
trotuire, per le nuoue varietäj et vaghezze che di tempo in tempo si
ritrouanOf et ancK essi dire qtAello che hora diciamo noi; e questo
non per altro solo perche se noi conoscessimo di poterla piu inuaghire,
piu T inuaghiressimo per renderla piu perfetta ; ma non vedendoci
altra via, ci pare che non vi si possi far^ altro, pur non e impossibile,
si come a noi non e stato impossibile di farla tale quäl hora la se
ritroua essere.)« (Fol. 12^—13^.)
Die AeuBerungen in diesem ganzen Kapitel sind höchst beachtens-
werth und wichtig, aber das in dem letzten Absätze Gesagte über-
trifft alles Vorhergehende. Die ersichtliche Vorliebe, mit welcher
Zacconi der Kunst seiner Zeit ergeben war, hinderte ihn also nicht,
den freiesten Standpunkt einzunehmen und die Entwicklung seiner
Kunst weitblickend zu überschauen. Solches geschah von ihm nicht
im Charakter jener schwankenden Geister, denen es leicht wird, aus
einer Zeit und Richtung in die andere hinüber zu schweben, weil
sie nirgends einen festen Halt besitzen: sondern eben als fest ge-
wurzelt in der Kunstpraxis der damaligen Zeit bildete er sich diese
Ansichten, und das verleiht seiner Anschauung erst ihr eigentliches
Gewicht. Er steht deßhalb vor uns als eine abgeschlossene Gestalt
ohne Einseitigkeit — eine ebenso seltene wie werth volle Erscheinung.
Lag ihm nun fern, der Zukunft die Thore zu versperren, so war
es doch andererseits für ihn unmöglich, den nächsten selbständigen
Schritten der Musik lebhaft zu folgen oder sie überhaupt nur zu be-
merken. Dies ergab sich in nothwendiger Folge aus der Stellung,
Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 265
welche er als Künstler einnahm. Man würde Unrecht thun, solches
Einseitigkeit zu nennen, denn einseitig ist nur, wer das, was vom
Eignen abweicht, hemmt und bedrückt, und so etwas hat Zacconi
nie gethan. Aber bei der für ihn charakteristischen, aus seinem
Künstlerthum sich ergebenden Nüchternheit, mit welcher er auf das
Alterthum blickte, war von selber ausgeschlossen, daß er der Schaar
jener Schwärmer beitreten konnte, die eben damals mit vollem Feuer
am Werk waren, die altgriechische poetisch -musikalische Kunst
wieder zu erneuern. Denn das Alterthum der musikalischen Kunst
Zacconi's lag nicht in Hellas und Rom, sondern in den Komposi-
tionen des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts, und diese waren
ihm keineswegs das höchste zu erreichende Ideal, sondern nur ein
geglückter richtiger Anfang und eine rühmliche Vorstufe auf dem
fortschreitenden Wege zur Vollkommenheit.
Kapitel 34
bespricht die acht Notenzeichen, welche bei der Niederschrift der
Kompositionen im Gebrauch waren: ö cj ti ^ J J / #^.
Die Alten bedienten sich durchweg der größeren Notenfiguren.
Aber es kamen im Vortrage noch kleinere Zeitwerthe zum Vor-
schein, als auf dem Papier standen.
»Obwohl man jetzt das Zweiunddreißigstel findet, gebildet als
Hälfte des Sechzehntel, um dieses zu theilen, und obwohl* es noch
wieder seine Untertheilung hat, so ist das kein Zufall, noch durch-
bricht es die Ordnung oder untergräbt die Regel, daß es nur acht
Noten giebt. Denn dieses Zweiunddreißigstel ist für den Gebrauch
des Spielers erfunden worden und den Noten angefügt, da er mit
den Händen auf den Instrumenten bedeutend mehr Noten der
gewöhnlichen Sorte in einem Takte ausfuhren kann, als ein Sänger
mit der Stimme. Die Noten andererseits waren zum Gebrauch der
Stimme erfunden, so viel man sieht, und man muß glauben, daß
sie mit Hülfe der Stimme dann bei den Instrumenten Anwendung
fanden. (. . . . attento che questa Bischroma e stata ritrouata per
U80 del sonatore, et alle figure aggionta, potendo egli con le mani
SU gtinstrumenti assai piu ßgure delP ordinarie in vfi tatto condurre
che non pud far con la voce vn cantore : et le ßgure furono trouate in
seruitio della voce a quel che si vede: et si deue credere che per mezzo
della voce si sieno poi ritrouati [da] grinstrumenti,) Denn während
ihr Erfinder noch glaubte, daß die Töne bis zum Sechzehntel ge-
theilt und gebrochen werden könnten, legten sie ihm doch eine
Grenze auf, so daß man, wie man sieht, sagen kann, daß die letzten
1893. 18
266
Friedrich Chrysander,
[und schnellsten] erst vor kurzem erfunden worden sind. Denn
jene Alten gebrauchten nur vier. Diese vier Noten, die ich meine»
sind die sogenannten größeren Noten, und man begann sie zu
theilen, weil sie wegen der langen Zeitdauer, die sie in sich hielten
und aushielten, den Ausführenden wie den Zuhörern Langeweile
und Überdruß erregten. Als man also merkte , wie viel Vergnügen
ihre Untertheilung darbot, schied man sie in so viele Theile, als
für die menschliche Stimme hinreichend waren. Daher müssen
wir glauben, daß man die durch die Theilung der Hauptnoten ge-
botene Gelegenheit aufgriff und . . . theilte, bis die Sänger ver-
anlaßten, die Theilung bei den Sechzehnteln zu endigen. Trotzdem
— wenn auch heute, wohl zum Glück für gute Sänger, die größeren
Noten von den Kompositionen und Kantilenen fast ausgeschlossen
sind — will ich doch nicht unterlassen , auf ihren Werth hinzu-
weisen; denn wenn man auch glücklicherweise jene vier letzten
Noten, die sogenannten gebrochenen, kleineren und getheilten,
singt, soll man doch auch die vier ersten sogenannten Haupt- oder
größeren Noten noch ohne Furcht singen können .... (Fol. 22**.)
Jene beiden Noten, Sechzehntel und Zweiunddreißigstel, wer-
den in den Gesangs-Kompositionen nicht gesetzt aus Rücksicht auf
die Schwerfälligkeit träger Sänger , weil es der menschlichen Stimme
wegen des Athemholens schwer fällt, sie unter einem Takte zusammen
zu fassen. Dennoch giebt es Sänger, welche durch die Kraft ihrer
glücklich beanlagten Kehlen sie mit Leichtigkeit singen kdnnen.
Aber besser ist es, sich ihrer nur als Verzierung der Kantilenen statt
als wesentliche Noten zu bedienen. Denn wenn man die Leichtigkeit
bezüglich des Sängers [d. i. den Grad seiner Befähigung für den Vor-
trag der Kompositionen] kennte, würde man sie bequem anwenden
können je nach Belieben ebenso wie die andern, die leicht sind;
aber da das nicht der Fall ist, muß man sie auslassen. Auf leichte
Ausführung achteten die Alten sehr wohl, damit ihre Kompositionen
den Sängern bequem seien. Und in demselben Maße, wie sie
sich der Hauptnoten mehr als der kleineren Noten bedienten, weil
sie [damals im Vortrage überhaupt] schneller waren, achteten sie
auch wieder vorzugsweise auf die Lieblichkeit und Süßigkeit der
Konsonanzen mehr als auf die Ausschmückung und Verzierung der
Kompositionen. Denn sie wurden angeregt entweder durch die
Vorlagen der Choralgesänge, der sogenannten Canti fermi, oder
durch sonstige besondere Vorwürfe [oder musikalische Themen],
wie ihre Werke solches deutlich zeigen. [Queste due figure Semi--
chromay et Bischroma non si pongano nelle compositioni da cantare,
per rispetto della inhabilitä del pigro cantore; per docke lo stringerle
Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 267
sotlo dt vn tattOj alla voce humana e difficile^ per causa delV aspira-
tione del fiato\ nondimeno et sono anco de cantanti che per vigore
delle loro felice gorgie con facilitä le potrian cantare: ma meglio e
dl seruirsene per ornatnento delle cantilene che per ßgure essentiali:
perche se st conoscesse facilitä rispetto al ca?Uante , le se potriano
adoperare commodamente, et a piacere come si adoperano Valtre che
li sono fädle: ma non essendo y si dehbano lasciar stare, Alla cui
facilitä assai mirauano gVantichi, accioche le compositioni loro fossero
commode a i ca?itori. Et piu si seruiuano delle ßgure principali che
deir altre inferiori^ per causa che erano piu intenti, et piu rimirauanOy
alla soauitäy et dolcezza delle cofisofianze , cKalla vaghezza^ et oima-
tnento delle Musiche: perche d cK* erano mossi da gVinuiti de canti
Chorali detti canti fermi; ouero da subietti particolari come Vopere
loro chiaramente ne lo dimostra,)^ (Fol. 23*.)
Im zwölften Kapitel des zweiten Buches widmet Zacconi diesem
Gegenstande abermaJs einige treflFende Worte, indem er sagt: Wenn
nun die Tonsetzer auch kleinere Noten als Achtel in ihren Kompo-
sitionen nicht ausschrieben, so würden solche doch von den Instru-
mentisten und kolorirenden Sängern [i sonatori et i gorgheggianti)
gebraucht, und man könne sie nicht aus dem Bereiche der Noten-
zeichen verbannen, sondern müsse sie konserviren zur Erhaltung der
Freiheit für die musikalische Wissenschaft, die sie alle wie eine
Mutter umarme und für jede passende Gelegenheit bereit halte [per
conservatione della libertä della scienza Musicale, la quäle Tabbraccia
iutte come madre et le conserua per ogni sorte di occasione, necessitä,
et bisogno). (Fol. 94 ^)
Was Zacconi S. 266 als Ursache angiebt, warum die kleinsten
Noten nicht in die Komposition eingetragen, sondern dem freien
Vortrage überlassen wurden, ist richtig, nur nicht ganz ausreichend.
Man würde auch diese kleinen Noten aufschreiben können, meint er,
wenn die Fähigkeit des betreffenden Sängers zu errathen wäre. Aber
ich führe seinen Gedanken nur weiter aus, wenn ich hinzu setze,
daß es unmöglich ist, diese Fähigkeiten im voraus zu kennen, ein-
mal, weil es sich hier nicht nur um einen einzigen Sänger handelt,
sondern um zahllose Virtuosen aller Orten und Zeiten, und sodann,
weil der einzelne Sänger sich nicht immer gleich bleibt, sondern in
verschiedenen Lagen und Stimmungen ein anderer ist, stets aber das
Recht besitzt, den individuellen Moment in seinem Vortrage auszu-
prägen. Darin ist es hauptsächlich begründet, daß der ornamentale
Schmuck der Musik nicht von den Tonsetzern ein für allemal gültig
aufgezeichnet werden kann.
Hieran schließt er eine Bemerkung über die gesangliche
18*
2 (58 Friedrich Ghrysander,
Einrichtung der Kompositionen um 1500, welche geeignet ist, seine
zu weit gehenden Behauptungen über denselben Gegenstand Seite 256
zu ergänzen und einzuschränken. Behauptete er dort, jene o Alten«
hätten ihre Musik ganz ohne freie Verzierungen singen lassen, so
drückt er sich hier weit besonnener und richtiger aus; denn daß sie
die Ornamente der Sänger weniger in Betracht zogen und denselben
einen bescheideneren Spielraum gewährten, als die Späteren, habe ich
bereits oben S. 258 angedeutet. Zur Erklärung der Fassung, welche
die Alten ihren Kompositionen gaben, weist Zacconi auf die An-
regungen hin, die sie von bekannten geistlichen und weltlichen
Melodien empfingen. Man kann noch hinzufügen, daß ihre in
schnellerem Tempo vorgetragenen Kontrapunkte bereits viele Gänge
und Manieren ausgeschrieben enthalten, welche später die Sänger frei
zu machen pflegten. Weiter können wir uns an diesem Orte auf
jene Gesangsweise der Alt-Niederländer nicht einlassen.
Kapitel 45
bespricht denselben Gegenstand insofern noch etwas weiter, als hier
angegeben wird, wie bei den geschwärzten Noten, seien sie nun mit
den weißen in Ligaturen verbunden oder frei stehend, die Sänger
den Werth erkennen und sich zurecht finden können. Bei Noten wie
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wissen gar Manche nicht, sagt er, wie viel jene geschwärzte Brevis
gilt, wenn sie nicht vorher die Takte berechnet haben, und doch
kommt sie bei alten und neuen Tonsetzern nicht selten vor; z. B.
Morales gebraucht sie in der ganzen Messe Quem dicunt homines so,
wie im obigen Beispiel, von vier Achteln gefolgt, woraus man denn
auch leicht ersehen kann, daß sie nichts anderes als eine punktirte
Semibrevis [<^') ist. In diesen geschwärzten Longen und Breven
steckt viel Irreführendes fiir den Sänger. Der größte Theil der Liga-
turen war aber damals schon aufgegeben, um eine leichtere Beweg-
lichkeit zu erzielen und auf jeder kleinen Silbe eine beliebig große
Anzahl von Noten singen zu können. Die einstmals so wichtigen
Ligaturen sind in der Musik doch auch nicht die Hauptsache.
)>Denn die Kunst der Komposition besteht nicht in den Ligaturen
und noch weniger in der Verschiedenheit der [schwarzen oder weißen]
Noten, sondern in der Verschiedenheit der Gedanken, in der Erfin-
dung der Fugen, in der Begleitung der Theile [oder Ordnung der
Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 269
Stimmen] und in der Fähigkeit, immer die eigentlichen und natür-
lichen Stellen der Kadenzen zu finden.« (Fol. 33*.)
Kapitel 49.
»Alle Thiere haben das von Natur, daß sie, wenn sie sich in
schlechter Lage befinden, es mit der Stimme anzeigen und zu ver-
stehen geben können; auch wenn sie erzürnt oder fröhlich sind,
thun sie es kund. Denn wenn es ihnen schlecht geht, hört man
eine rauhe, schmerzliche Stimme bei der Angst und den Leiden
des Herzens, worauf jeder Schmerz sich bezieht; und wenn sie
fröhlich oder zornig sind, so zeigen sie es durch eine heitere oder
geräuschvolle Stimme an.
Ebenso haben auch die Menschen, wenn sie krank und
schwach sind, eine ganz andere Stimme, als wenn sie gesund sind.
. Von diesen Verschiedenheiten der Stimme, glaube ich, haben die
Musiker den Modus genommen, die Kantilenen süß, munter oder
traurig zu setzen, in Nachahmung eines Menschen, der wehklagt
oder scherzt oder fröhlich ist, und sie haben dann mit Aufmerksam-
keit der Wirkung des bmolle und des bquadro gelauscht. Und
vermittelst dieses b quadro und b moUe haben sie die Gesänge bald
süß , bald rauh gesetzt. Denn überall , wo b moUe steht , werden
die Gesänge so süß und zart, daß Alles uns mitleidig und weich
stimmt; und wo bquadro steht, da werden die Gesänge so rauh,
daß ihre Rauheit uns gewissermaßen quält. — Das b quadro dient
den Gesängen von Natur, und das bmolle als Accidens oder zum
Transponiren«. . . . (Fol. 36*.)
Die folgenden ausführlichen Belehrungen über das Hexachord, den
Gegensatz von Natural und Accidental sowie den Grund und Ort
des Halbtons fdiesisj übergehen wir, da sie uns zu weit vom Wege
abfahren würden. Dieselben verdienen aber eine gesonderte Be-
trachtung.
Kapitel 54.
Einige schwierige und wenig gebräuchliche Gänge.
Von solchen Raritäten führt er sieben Beispiele an, deren Noten
hier ohne seine erklärenden Worte folgen. Die großen Sprünge in
den letzten dieser Beispiele waren damals sehr ungewöhnlich und
jenem Stil auch wenig angemessen.
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270
Friedrich Chrysander,
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(Josquin: Messa La sol fa re mi, im Credo.)
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(Jaces Worth: Madrigal Solo pensoso.)
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(Fol. 43.)
Kapitel 57.
In wie vielen Weisen kann man eine einzige Komposition singen?
»Diejenigen Dinge, welche die intimsten, geheimsten und ver-
borgensten sind, erscheinen bei ihrer Aufdeckung auch am wunder-
barsten und erstaunenswerthesten.
Wenn wir nun reiflich untersuchen, so werden wir wenige
Dinge finden, welche in sich nicht irgend ein besonders verborgenes
Geheimniß haben, und finden wir nun wenige Dinge von Geheim-
nissen frei, so müssen wir noch viel mehr glauben, daß die Musik
nicht frei davon, sondern sehr damit angefüllt und belastet sei.
Schon bisher haben wir viele aufgedeckt, und noch weiterhin ist
bei passender Gelegenheit zu erwähnen, daß in der Musik, wie wir
sie täglich singen, Geheimnisse sind, die nicht von Allen genügend
gekannt, Terstanden und gesehen werden. Denn der Sänger, der
nur Obacht auf den [mitwirkenden] Sänger hat, kümmert sich
nicht darum oder glaubt es vielleicht nicht einmal, daß unter den
Lodoyico Zacconi als Lehrer des Runstgesanges.
271
Dingen die ihm vor Augen oder in den Händen sind, ein Ge-
heimniß steckt, welches man ohne die Kunst und Kenntniß des
Komponirens verstehen und enträthseln kann. Ich spreche nicht
von den Geheimnissen heim Studium derjenigen Gesänge, welche
man in verschiedenen Taktarten aufgezeichnet hat, noch weniger
von denen, die unter den Bezeichnungen der Modi und Prolationen
gesetzt sind; denn obwohl diese Art Gesänge oft genug die Stirn
auch manches guten Sängers schwitzen macht, so haben doch die
Kantilenen in sich keinerlei verborgene Geheimnisse, da jede Note
imter bestimmten Regeln aufgestellt wird und diese Regeln öffent-
lich und allgemein bekannt sind. Die Gesänge sind also auch
öffentlich und offenbar.
Kann man also nicht sagen, daß genannte Zeichen, Zahlen
und Modi Geheimnisse sind, so finden sich doch in der Musik
genug Geheimnisse ohn^ irgend ein [äußeres] Anzeichen. Die Ge-
heimnisse, die ich meine, sind zweierlei Art: eine, welche der
Komponist bei seiner Thätigkeit an verschiedenen Stellen, so zu
sagen, verborgen hat, wenn er einen Theil von vorn, den andern
umgekehrt vom Ende aus singen läßt, oder wenn ein Theil singt
wie geschrieben steht und der andere nur die Noten unter Weg-
lassung der Pausen, oder wenn er alle Noten von verdoppeltem
Tempo wegnehmen und nur die andern von dem Takt der Media
übrig läßt. Die andere Art [der Geheimnisse] ist diejenige, welche
von Natur in den Partien [der Ausführenden] liegt nach dem Wil-
len und Belieben jedes scharfsinnigen und spekulativen Sängers.
Die erste Art gehört den Meistern der Kunst und den Musikern
von Profession, die zweite allen Liebhabern des Gesanges.
Ferner muß man wissen, daß jeder Sänger jede beliebige
Komposition variiren kann, ohne den Werth der Noten zu ändern,
nicht in einerlei Art, sondern, wenn er will, in verschiedener Weise.
Das geschieht jedes Mal, wenn die Kantilenen, welche man [sonst]
in richtiger Folge singt, verkehrt gesungen werden, d. h. wenn
die aufsteigenden Noten der genannten Kantilenen dann umgekehrt
absteigen , oder wenn die absteigenden aufsteigen : nicht anders,
als ob das Buch, aus welchem gesungen wird, umgedreht wäre
oder derjenige, der das Singebuch in der Hand hält, es verkehrt
hätte, so daß die Stimme, wenn die Noten in die Höhe gehen,
sinkt, und dagegen sich erhebt, wenn sie abwärts gehen. So können
die Sänger mit geringen Mitteln den Zuhörern einen neuen Ge-
sang vortragen und die Harmoniefolge ändern. Aber man muß
darin Meister sein und die kleinen und kurzen Regeln befolgen,
daß man bei solcher Umkehrung la singt statt ut, und sol statt re.
272
Friedrich Chrysander,
und mi statt fa^ indem man [zugleich] von den Außenstimmen eine
mit der andern vertauscht, d. h. das, was der Baß singt, dem
Sopran giebt, und umgekehrt die Baßstimme singen läßt, ^vras
im Sopran steht, und dabei Tenor in Alt oder Alt in Tenor um-
setzt. So wird man eine bewundernswürdige Wirkung erzielen
und vollkommene Befriedigung daran finden.«
Freilich nicht bei allen Gesängen, setzt er hinzu, sei dieser
Efiekt der Umkehrung möglich, solche Versuche könnten daher auch
oft nicht anders als unschön und mißklingend ausfallen. Zacconi
giebt dann von dieser Sänger- Geschicklichkeit ein hübsches und kurzes
Beispiel, welches ich hier mittheile.
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Lodovico Zacconl als I^ehrer des Kunstgesanges.
273
Die Umkehrung dieses Gesanges erhält nach den obigen Regeln
folgende Gestalt.
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(Fol. 47— 48^)
Aber auch noch auf andere Weise, sagt er, kann man eine und
dieselbe Kantilene verändert vortragen und dadurch verschiedenartige
Zusammenklänge erzeugen. Namentlich könne man jede Kantilene,
so schwer sie auch sei, vom zweitheiligen auf das dreitheilige Maß
übertragen, »und dies — setzt er hinzu — ist meine hauptsächliche
Absicht bei Abfassung des gegenwärtigen Kapitels gewesen.« Auf
die Auseinandersetzung und die ausführlichen Beispiele, mit welchen
er dieselbe erläutert, können wir hier aber nicht weiter eingehen.
274 Friedrich Chrysander,
Kapitel 58.
Lehrt uns die Natur singen, oder die Kunst? {Se la Natura h VArte c*%ruegn4X a
cantar di Musica.)
»So sehr ist es dem Menschen eigenthümlich , zu singen, da.ß
man es fast unter die unausbleiblichen Ereignisse rechnen kann.
Bei einer häufigen Betrachtung der menschlichen Natur gerade
nach dieser Richtung hin nimmt es mich wunder, wie doch die
Natur so anmuthig zum Singen neigt. Denn es giebt keinen
Menschen, der, von einem natürlichen Verlangen getrieben, nicht
einmal sänge oder gesangsähnliche Töne von sich gäbe. Das
kommt nur daher, daß er bei der Sprachfähigkeit im Sprechen
merkt, daß sein Sprechen klingt; und wenn dieser Klang ertönt,
ist er nicht dem Klange der Glocken ähnlich, der von seiner Ton-
höhe niemals abweicht, einem beweglichen und dehnbaren Klange,
welcher sich hebt und wieder senkt, zum Forte aufsteigt und dann
sich wieder mäßigt, rauher oder sanfter und süßer wird? Auf
diese Weise ordnet die Rede ihn nach Klangstufen und, unter-
schieden von der Rede, wird er zum Gesang übergeführt, so daB,
um es kurz zu sagen, die Natur diejenige ist, welche uns singen
lehrt, indem sie die Stimme in anderer Weise, als beim Sprechen,
sich erheben läßt. Aber durch bloße Ueberleitung der Stimme
zjim Gesang lehrt sie uns noch nicht Musik singen, denn die Musik
ist eine Wissenschaft und Kunst, die man sich nur durch Übung
erwirbt und uns keineswegs schon von Natur eingepflanzt ist.
Dabei sieht man, wie groß der Unterschied ist zwischen Gesang
und Musik, denn der allgemeine Name des Gesanges umfaßt
sämmtliche harmonische Musik, aber unter der Bezeichnung Musik
sind keineswegs alle vorhandenen Gesänge zu verstehen, da es
deren viele giebt, welche keinerlei Harmonieform haben, wie das,
was die Kinder zuweilen bei ihren Belustigungen in kindischer
Weise nach Natureingebung singen.
So müssen wir bei der Frage, ob die Natur oder die Kunst
uns Musik singen lehrt, wissen, daß die Natur uns den Gesang
gewährt, aber die Kunst es ist, welche, eine ähnliche Ordnung
einhaltend, uns den Weg weist, den Gesang in die Form der
Harmonie zu bringen, — nicht mehr und nicht weniger, als wenn
einer zum Sprechenlernen keinen Lehrer hätte, denn so groß er
auch wäre, wüßte er doch nicht einmal Brod zu fordern oder an-
dere Dinge von noch größerer Bedeutung, trotz einer freien Zunge
und zum Wortbilden geschickten Stimme. Denn wenn unser
Sprechen nicht von der Kunst käme und erworben wäre, würden
wir alle [Völker] verstehen und es bestände kein Unterschied zwi-
Lodovico Zacconi als Lehrer des Runstgesanges. 275
sehen dem französischen, spanischen, englischen, italienischen,
polnischen und deutschen Sprechen; aber da es durch Kunst er-
'werben wird, so versteht man nur was erlernt ist. Aehnlich ver-
hält es sich mit [unserer] Kunst; wer es nicht lernt, kann auch
nicht harmonisch singen a. . . . (Fol. 50^.)
Hierauf macht Zacconi den Unterschied zwischen Canto di Musica
als einfachem, einstimmigem Gesänge, und Musica oder Mehrstimmig-
keit. Einige Menschen, sagt er, sind voil der Natur so begünstigt,
daß sie bei ihrem Vortrage für Sänger gehalten werden, obwohl sie
nicht eine Note lesen können. Diese sollten erst recht singen lernen,
um das Höchste zu erreichen.
Kapitel 59.
Von der neuen und zeitgem&ßen Methode, Gesang zu lehren. [Del nouo ei
modemo modo dinsegnare a cantare.)
Dem Anfänger im Gesänge wurden damals die ersten Schritte
so schwer gemacht, weil man ihn mit allen Minutien der guidonischen
Hand belud, die doch nur dem Kontrapunk tisten nöthig waren.
DeBhalb räth Zacconi, den Kontrapunkt-Schülern die Lehre von der
Mutation zu überlassen und sich einfach zu merken, daß besagte
»Hand ff die sieben Buchstaben ABCDEFG drei Mal enthält, also
den ganzen Umfang der vier Stimmen Baß, Tenor, Alt und Sopran
in drei Oktaven. Diesen von den Praktikern eingeschlagenen Weg
nennt er nun die moderne kurze Methode. Einige aber, sagt er,
pflegen dabei nicht von A^ sondern »vom Buchstaben C anzufangen,
und zwar deß wegen, weil der größte Theil der Stimmen im tiefen
oder hohen C zusammen kommt. Beide Wege sind gut, denn Die-
jenigen, welche auf dem Wege der ersten Buchstaben gehen, die
sich in der Hand finden , stützen sich auf die Reihenfolge dieser
Buchstaben AB CD u. s. w., und die Andern gehen auf dem Wege
der Natur. Und obwohl man nun ohne weiteres vom Princip der
Natur beginnen muß, hat man dennoch wegen der Leichtigkeit der
Buchstaben und um sie nicht zu verwechseln, vom Anfange dieser
Buchstaben zu beginnen, da ja auch der Lehrer nicht wissen kann,
welche der beiden Reihenfolgen dem Schüler die dienlichere sei.
Denn beide stehen zu Gebote. Hiernach zeige er ihm, daß man
unter dem Buchstaben C versteht das Singen per natura, unter F
das b molle, und unter G das b quadro.« Durch diese drei Wege oder
Tonlagen, in denen das Hexachord zu singen war, prägte sich dem
Schüler der Sitz des Halbtones ein; er wußte dann, wo er vorkom-
menden Falls mi oder fa zu singen hatte und kam damit ziemlich
leicht über eine Schwierigkeit hinweg, die unter der Herrschaft des
276 Friedrieh Ghrysander,
Hexachord-Systems bei der herkömmlicheu mangelhaften Aufzeicli-
nung viele Mühe veruisachte. Schon in damaliger Zeit gingen
Einige noch weiter, um mit Sicherheit erkennen zu lassen, ob b
(b moUe) oder h (b quadro) zu singen war. So erzählte Orlando Lasso
unserm Autor, der Don Anselmo Fiamengo, ein Mitglied der Miin-
ebener Kapelle, habe für die siebente Stufe die Silben si und ho ge-
wählt, also,«^ re mi fa sol la \ j^ gesungen und damit die Oktave
erreicht, und Andere versuchten zur selben Zeit anderes ^ Aber über
solche Versuche äußerte schon Kepler^ mit Recht, wenn man zur
Oktave wolle, warum man sich dann nicht lieber an die sieben Buch-
staben aic u. s. w. halte. Das kommt mit Zacconi's Meinung überein.
Erst später, als die Bedeutung des Grundbasses vollständig zur Gel-
tung gekommen war, wurden auch Namen für sämmtliche Stufen der
Oktave nothwendig. Daß man aber dabei das Hexachord oder die
Solmisation festhielt und in sachkundigen Kreisen immer festhalten
wird, ist als eine gesangliche Noth wendigkeit zu bezeichnen.
Vier Hauptstimmen giebt es nur, sagt Zacconi, unter denen der
damalige Tenor ^unser Baryton) deßhalb naturale genannt ward, »weil
fast alle Menschen von Natur in dieser Stimmlage zusammen kommen.«
Da sich alle vorhandenen Stimmen diesen vier Hauptgattungen ein-
ordnen, ))ist es gut, die oben genannten sieben Buchstaben zu nehmen
und mit ihnen den Gesangsunterricht zu beginnen.« Wenn er dann
sagt: j}die menschlichen Stimmen gehen nicht über acht Stufen
hinaus«, also nicht über eine Oktave, und übersteigen einander, so
will er dadurch offenbar nur andeuten, daß die Eigentöne jeder
Stimme im Bereich einer Oktave liegen, ohne damit den wirklichen
Tonumfang derselben zu beschränken. Bei derartigen Tonlagen, fugt
er hinzu, »verbietet man den hohen Stimmen die Buchstaben des
Basses zu erlernen, und umgekehrt, denn das wäre Zeitvergeudung
und zweckloses Abmühen. a Das wäre es in der That, weil es den
Schüler anfangs nur verwirrt haben würde, denn die Namen der
Töne waren im Hexachord nach den Stimmlagen gänzlich verschieden.
Der Baß hatte für seine Oktave aufsteigend die Namen A re, B mi,
C fa utj D sol re, E la mtj Ffa ut, G sol re ut^ A la mi re; «die natür-
liche oder Tenorlage« reichte von Cfaut bis Csolfaut; die Altlage
von A la mi re, dem Endtone des Basses, bis zum zweiten A la mi re;
der Sopran von Csolfaut, dem Eudtone des Tenors, bis hinauf zu
C sol fa. »Und obgleich diese Lagen zum Theil eine die andere
1 Zacco7iif Prattica, parte II, p. 10.
2 Harmonices mundi, lib. III cap. 10: De Tetrachordis et usu syllabarum:
Ut, Re, Mi, Fa, Sol, La.
Lodoyico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 277
decken, darf man doch nicht von einer zur andern übergehen, denn
geschähe das, so würde man alle Anfangsstudien im Unterricht ver-
wirren und von einer durchsichtigen und klaren Ordnung zu einer
konfusen und überstürzten gelangen. . . . Auf diese Weise haben wir
die tiefen, natürlichen, hohen und überhohen Stimmen geschieden.«
Diese vier Stimmen berücksichtigen sämmtlich nur den Umfang
männlicher Kehlen, wie man bemerken wird. Solche Scheidungen
betrachtet er gleichsam als »die Häuser, wo die Anfänge und Ein-
leitungen der Scalen per natura und per bmoUe niedergelegt sind.«
Er räth nun, mit neuen Schülern den oben gezeigten Weg der sieben
Buchstaben der guidonischen Hand zu gehen je nach den vier
Stimmlagen, setzt aber hinzu: »Sollte der unterrichtende Lehrer
wissen, daß es gut sei, diese Scalen in anderer Weise aufzufassen,
um sie für den Schüler bequemer zu machen, so verschließe man
ihm den Weg nicht und hindere ihn nicht, davon Gebrauch zu
machen. Denn diese Lehrordnung ist im Allgemeinen gegeben, ohne
dem Besonderen schaden zu wollen.« (Fol. 51.)
Sind nun auch Zacconi's Anweisungen — denen überall die An-
schauung zu Grunde liegt, daß die Sängerkunst seiner Zeit jener der
früheren Perioden überlegen war — im Einzelnen nicht immer so
klar formulirt, wie zu wünschen wäre, so ist doch an der Liberalität,
mit welcher er sein Lehramt bethätigt, sicherlich nichts auszusetzen.
Er bleibt in jedem einzelnen Falle dem Charakter treu, welchen er
in seinem ganzen Werke offenbart, wobei nur zu bedauern ist, daß
er in dieser * Hinsicht so wenige ^Nachfolger gefunden hat. Denn
niiberalität gegen anders unterrichtende Kollegen war immer ein
besonderes Kennzeichen der Gesanglehrer bis in die neueste Zeit.
Die kleinen Modifikationen, welche der Einzelne von ihnen heraus
findet und dann als »seine ff allein richtige Methode herum trägt,
haben meistens nur den Werth von Verkaufsmarken und sind auch
gewöhnlich zu einem solchen Zwecke entstanden. An derartigen
Industriellen wird es schon in Zacconi^s Zeit nicht gefehlt haben,
denn nicht umsonst zieht er im Anfange dieses Kapitels heftig gegen
die habisüchtigen, geldgierigen Gesanglel^er zu Felde.
Eapitel 60
ist als eine Fortsetzung des unmittelbar Vorhergehenden anzusehen,
da es die Anweisung enthält, bei wem der Gesangschüler Unterricht
nehmen und was er zuerst lernen soll. (Da cht st ha da cercar
cTimparare a cantare, et quäl cosa vn scolare habhia da imparar prima.)
Weil aber ein fester methodischer Lehrgang nicht Zacconi's Sache
278
Friedrich Chrysander,
war, hängen seine Kapitel wenig zusammen. DeBhalb widerspricht
sich auch Manches anscheinend oder wirklich, und fast bei jedem
Kapitel fängt er durch eine allgemeine Betrachtung den Gegenstand
gleichsam von vorne an. Eine solche Einleitung bekommen ivir
auch hier, und zwar eine sehr hübsche. Wissen und Können, sagt
er, läßt sich nicht vererben ; alles muß selbstthätig erlernt und durch
saure Mühe erworben werden. »Es ist klar, daß [selbst] die klügsten
Virtuosen, die es auf der Welt jemals gab, weder ihren Söhnen, noch
ihren Freunden oder ihren Erben beim Tode ihre Kunst hinterlassen
konnten : eine Thatsache von großer Bedeutung, denn jene so klugen
und von Gelehrsamkeit vollen Köpfe, welche wegen ihrer einzigen
Kunst und der schönen und seltenen Eigenschaften von aller Welt
geschätzt und geehrt wurden — sie starben, und mit ihnen war all
ihr Wissen erloschen. Es ist also unerläßlich nothwendig, daß der-
jenige, welcher irgend etwas lernen will, es sich im Schweiße seiner
Arbeit aneignen muß; und wer durch natürliche Anlage darin ge-
nügend unterstützt wird, der lobe Gott wegen eines so großen Ge-
schenkes a und suche es aufs beste zu verwerthen.
Zunächst läßt Zacconi nun die Hand oder die Scalen der ver-
schiedenen Stimmen durch zehn Töne erlernen, auf- und absteigend
in sieben verschiedenen Lagen und Schlüsseln:
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.Q-
^2—^
3:
^-
2^=^
is:
-^
^=6^
denen dann auch die mit Vorzeichnung eines b folgen. Hierbei wird
es wieder recht deutlich, wie wenig er es auf eine methodische Sing-
schule angelegt hatte, sonÄ würde er diese üebungen mit denen der
vier Hauptstimmen des vorigen Kapitels verbunden, sodann auch
das für jede dieser Stimmen Geeignete zusammen gefaßt und damit
Konfusion und Mißverständnisse vermieden haben. Aber in seinem
gedruckten Buche kam es ihm offenbar nur darauf an, über alle
Fragen der praktischen Musik seine Ansichten und Grundsätze dar-
zulegen; das Einzelne des Lehrganges überließ er der mündlichen
Unterweisung.
Lodoyico ZaccoDi als Lehrer des KunstgesaDges. 279
einen dieser Grundsätze giebt er kund in der Warnung, bei den
Uebungen nicht zu stark zu singen:
»Man achte auch noch darauf, sich nicht jener von allen Tüch-
tigen getadelten Unart hinzugeben, nämlich so stark als man nur
kann zu singen. Ein Solcher meint vielleicht, ein guter Gesang
bestehe im Schreien und merkt nicht, daß er dadurch die Stimme
ohne Nutzen ermüdet und Nachbarn und Vorübergehende lachen
macht. Wenn der Schüler nicht ohne Schreien singen lernen
könnte, dann freilich würde ich sagen, daß man Recht hätte zu
schreien; aber es ist ersichtlich, daß man es auch mit Leisesingen lernt.
Denn wie alle Handlungen Maß und Ziel erfordern — Ziel um
sie schön, Mäßigung um sie ausdauernd zu machen — , so muß
auch der Lehrer danach handeln, sich selber mäßigen im Schreien
und das Endziel im Auge behalten, um nicht dem schwächlich
nachzugeben, der den Unterricht nimmt. In solcher Angelegenheit
genügt es, wenn nur die Stimme soweit gehört wird, daß man beim
Intoniren der Töne keine Fehler vernimmt. Wenn dann der
Schüler, nachdem allmählich ein Sänger aus ihm geworden ist,
dahin gelangt, in der Camera zu singen, dann singt er wirklich
so, daß er von dem Kapellmeister niemals zurück gewiesen wird,
während bei etwaiger Gewohnheit, stark zu singen, es für ihn
schwer sein würde, sich dort zu mäßigen. Wer aber sagt, daß
durch lautes Schreien die Stimmen sich heraus bilden, der irrt
sich doppelt, erstens, weil Viele durch Leisesingen und Vortrag in
den Häusern (wo man das Schreien verabscheut) singen lernen,
und sodann, weil viele Andere nicht gezwungen sind, wie besol-
dete Sänger in Kirchen oder Kapellen zu singen, nämlich die Edel-
leute und ähnliche, welche nicht nöthig haben, auf solche Weise
sich ihr Brod zu verdienen.«
Gegen das Starksingen würde er schwerlich so geeifert haben,
wenn es nicht bei den vielen Gesanglehrern, welche zugleich Kirchen-
sänger waren, ziemlich allgemein üblich gewesen wäre. Auch Theater-
sänger halten das Fortesingen bei den Uebungen für nützlich;
Lablache zum Beispiel empfiehlt es ausdrücklich. Was Zacconi sagt,
wird nicht anzufechten sein; seine Gründe betreffen aber zum Theil
doch nur Nebensachen und erschöpfen die Sache keineswegs.
Das Schreien will er dem Sänger nur einmal im Leben gestatten,
nämlich merkwürdiger Weise gerade unter Umständen, wo man her-
kömmlich alles Singen zu untersagen pflegt: bei der Mutation. Er
sagt: »Beim Stimmwechsel will sich die Stimme festigen, und wird
sie durch Schreien auch nicht stärker, als sie von Natur ist, so
schreie er doch so viel er schreien kann. (Et poi perche si stabilis-
280 Friedrich Chrysander,
cano le uoci solamenie qtiando le st mutano ; et cht da ftatura non Tha
forte per gridar non Fingrandisce mai; gridi pur qaanto sä gridare.)^
Wenn die Schüler gelernt haben, die Pausen zu zählen, sa^
Zacconi hierauf, dann möge man ihnen niemals erlauben, solches
beim Singen laut zu thun, denn außer der Störung, die es den An-
dern bei ihrem vor- und rückwärts Zählen verursacht, offenbart es
auch die geringe Sorgfalt, welche ihre Lehrer beim Unterrichten an-
gewendet haben. (Fol. 51*» — 53*.)
Kapitel 61 und 62
geben weitere Anweisungen darüber, wer und wie der Sänger sein
und welche Qualitäten er besitzen muß. Vieles davon gehört in's
Komplimentirbuch und handelt über gute Lebensart. Bemerkens-
werth ist das Gewicht, welches er auf die äußere Haltung und
Erscheinung des Sängers legt. Derselbe muß feine Manieren haben,
jung und hübsch sein, »und die das nicht sind, geht mein Reden
nichts an.ff Dabei soll er nicht versäumen, seinen natürlichen Men-
schen vortheilhaft heraus zu putzen, denn ein Sänger muß sich ge-
schickt und geschmackvoll mit Kleidern zieren. Pater Zacconi wird,
als er dies schrieb, sicherlich selber noch ein schmuckes, anmuthiges
Kerlchen gewesen sein.
Was aber am meisten zu vermeiden ist, das sind die schlechten
Gesten, welche der Sänger beim Vortrage macht, ohne daß er es
selber gewahr wird, die Bewegungen mit dem Leibe, die Verzerrungen
der Gesichtszüge, das Verdrehen der Augen wie ein Schwärmer, und
dergleichen. Da nun die Ausübung der Musik mehr, als manche
andere Thätigkeit, zu derartigen ungraziösen Manieren verleitet,
namentlich bei Blaseinstrumenten, »deßhalb verbieten Viele den Edel-
leuten, Instrumente wie Trompeten, Zinken, Pfeifen u. a. zu spielen,
weil man mit diesen leicht sein Gesicht verderben und seine Schön-
heit entstellen kann.« Die harmlose Flöte in späterer Vollkommen-
heit war für die vornehme Welt des sechzehnten Jahrhunderts noch
nicht vorhanden.
Auch »mögen die Sänger darauf achten, nicht in einen Fehler
zu verfallen, den Viele machen. Nämlich um beim Tremolo die
Töne mit der Stimme bequemer heraus zu bringen, bewegen sie dabei
den Kopf, wie wenn jener Triller aus dem Kopfe käme. Und doch
hat er mit dem Kopfe gar nichts zu thun . . . Der Triller ist in
der Musik nicht nothwendig: aber wenn man ihn macht, verschönert
er die Kantilene, außer daß er von Sicherheit und Kühnheit zeugt.
Aber verständig da zu stehen mit Haupt, Augen und Körper, ist fast
Lodovico Zaoconi als Lehrer des Kunstgesanges. 281
eine unerläßliche Nothwendigkeit beim Vortrag der Gesänge. (II
iremolo nella JUusica non e necessario; ma facendolo oltra che dimostra
sinceritä, et ardire; ahellisce le cantilene : ma lo star savio col capo,
con ffPocchi, e con la vüa, e quasi una fiecessitä ne i canti^ inseparabile.Jti
Zacconi will hiermit natürlich nur sagen, daß die Gesammthaltung
des Sängers für seine Wirkung auf die Hörer von größerer Bedeutung
und daher auch noth wendiger ist, als seine gesangliche Ausführung
im Einzelnen. Aber man hat hier wieder ein Beispiel, wie er durch
solche unmethodische, beiläufige Erwähnung wichtiger Materien in
verschiedenen Kapiteln leicht Mißverständnisse veranlassen kann und
mit sich selber in Widerspruch zu gerathen scheint.
Noch Vielerlei wird in diesen beiden Kapiteln berührt, was an
sich interessant, aber für die Sache entbehrlich ist. Zacconi ist un-
ermüdlich in der Ermahnung, der Sänger möge sich so halten, j»daß
ihn Jedermann während seines Gesanges gern anschaut.« Aber Alles
in geziemenden Grenzen ; denn »diejenigen Sänger, welche zwei oder
drei Noten aus dem Buch und vier oder sechs mit den nach andern
Richtungen hin gewendeten Augen singen, um zu kokettiren und
sich zu zeigen bei ihrem Gesänge, thun übel daran. a (Fol. 53^ — 55^.)
Kapitel 63.
Wie man die Musiknoten mit Grazie singen kann. [In che modo 8i possano le
figwre Musicali cantar con graiia.)
»Bei allen menschlichen Handlungen, seien sie welcher Art
sie wollen, oder worauf sie sich auch beziehen mögen, strebt man
nach Grazie und guter Haltung. Ich meine mit Grazie nicht
diejenige Grazie, welche die Hofleute vor Königen und Kaisern
kund geben, sondern die, welche die Menschen haben, wenn sie bei
einer Handlung zeigen, daß sie dieselbe ohne Anstrengung voll-
bringen und mit der Behendigkeit auch die Anmuth und die Ge-
fälligkeit zu verbinden wissen. (, . , et alt agilitä aggiungano le
vaghezze e^l garbo.)
In dieser Beziehung erkennt man den großen Unterschied,
wenn ein Kavalier oder Kapitän reitet, oder ein Ackers- und
Dienstmann, und mit wie viel größerer Anmuth ein erfahrener und
tüchtiger Fahnenträger die Standarte in der Hand hält, entfaltet
und schwenkt, als wenn man sie in der Hand eines Schusters
sieht, denn bei letzterem gewahrt man nicht nur, daß er sie nicht
zu entfalten und zu schwenken weiß, sondern auch, daß er sie
nicht einmal in der Hand zu halten versteht. Von dieser An-
muth und Schönheit hat uns einiges die Natur gerade so gelehrt,
wie das Nahrungsuchen, das Gehen, das Kleidertragen u. s. w.
1893« 19
232 Friedrich ChiyBander,
einiges andre kommt femer von dem gemeinschaftliclien Verkehr
wie durch die Beobachtung der vielen und verschiedenen gegen-
seitigen Handlungen, durch welche wir uns Diesem oder Jenem
gefällig erweisen. Denn viele Freunde werden erworben durch die
Hülfsmittel der Grazie und schönen Handlung. Auch giebt es
Viele, welche, ohne vorher gesehen oder bekannt zu sein, sich be-
liebt machen durch anmuthige Bewegungen und hübsche Zierlich.—
keit, die sie bei Erledigung ihrer Angelegenheiten zeigen. Femer
bemerkt man öfters bei öffentlichen Spielen, wie Tanz und Ball,
daß die Umstehenden eine größere Vorliebe für den Einen, als für
den Andern haben, ohne daß man sich von dem Grunde dessen
Rechenschaft zu geben vermag: offenbar nur, weil jener Bevor-
zugte mit Grazie und Anmuth dem Takte des Tanzes folgt. In
ähnlicher' Weise verweilen bei den schönen Aufführungen eines
Kavaliers im Turnieren die Zuschauer gefesselt und hingerissen.
Es dürfite also auch am Platze sein, dem Sänger, der sich
doch häufig unter verschiedenen Menschen bewegen und eine
öffentliche Aufführung machen mu£, zu zeigen, wie man so etwas
mit Anmuth in's Werk setzt. Denn nicht genügt es, korrekt zu
sein und wählerisch in allen solchen Dingen, welche ihn verun-
stalten können, sondern man verlangt auch, daß seine Aufführungen
und Handlungen anmuthig und gefällig seien.
Das Singen begleitet nun die Aktion mit Grazie, wenn der
Sänger außer den Dingen, die im vorigen Kapitel weit und breit
behandelt worden sind, die Töne mit lieblichen Accenten aus-
stattet. Doch sei vorher noch besonders darauf hingewiesen, daß
man die Worte rein, verständlich und klar ausspreche, damit ein
jeder sie leicht verstehen könne und dem Sänger nicht die Hälfte
des Textes zwischen den Zähnen hängen bleibe, weil es dann, so-
weit das Verständniß der Worte in Frage kommt, keine angenehme
Sache ist, solche Musik anzuhören. Und wer an einem Orte singt,
wo er glaubt schreien zu müssen, möge [nur lieber] die Noten
richtig, leicht und mit einer weder forcirten noch matten Stimme,
sondern so vortragen, wie es die Natur ihm verliehen hat. Denn
wie eine überschriene Stimme immer fehlerhaft ist, wirkt sie auch
immer unangenehm und vereinigt sich niemals mit andern. Wenn
aber zufällig die Kantilenen so hoch gehen, daß die Sänger nicht
bequem hinauf kommen können, dann mögen sie sich nicht zwingen
und, um dort anzukommen, einen Schrei ausstoßen, wie ihn Ver-
rückte oder Verzückte von sich geben. Sie mögen sie [die Töne]
lieber fahren lassen, als sie dem Ohre so seltsam und unangemessen
zu bieten. In ähnlicher Weise muß man beim Piano-Singen in
Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges.
283
der Höhe verfehren, wenn man es nicht bequem erreichen kann,
denn die Töne zu verschweigen, ist besser, als sie schlecht hervor
zu bringen. Und da die [Töne in den] Kompositionen nicht
immer stufenweise gehen, sondern zuweilen um eine Terz, Quart,
Quinte, Oktav u. s. w. von einander abstehen, so wird es gut sein,
T^enn die Singenden, um sich das Wohlwollen der Zuhörer zu erwer-
ben, darauf bedacht sind, einige schöne Accente den Noten beizu-
fügen. Denn der Komponist, welcher sie verfertigt, hat
sich nur befleißigt, diese Noten gemäß den Forderun-
gen der harmonischen Regeln zu setzen: aber der Sän-
ger ist bei deren Ausführung verpflichtet, sie mit der
Stimme [ausdrucksvoll] zu begleiten und sie der Natur und
Eigenthümlichkeit der Worte gemäß ertönen zu lassen.
fJEt perche le compositiont non caminano sempre di grado in grado :
tna alle uolte sono distante una dal altra una terza, una quarta, una
qtnntay una ottava etc. per queato serä bene per acquistarse beneuoli
gV Mcoltanti che procurino di dar qualche vago accento alle figure :
perche il compositore che le compose ad altro non attese che alT or^
dinar esse figure ^ secando la conuenienza delT harmonice dispositioni :
ma il cantore nel sumministrarle d obligato d'accompagnarle con la
voce, et farle rissonar secondo la natura j et la proprietä delle parolej
Doch muß er wissen, daß die genannten Noten mit sol-
chen Accenten zu begleiten sind, welche vom Retardiren und
Anhalten der Stimme erzeugt werden, und daß man sie hervor
bringen muß, indem man ein Theilchen der einen Note der
andern zulegt. Und um nun zu zeigen, in welcher Weise sie
am besten gelingen, bemerke ich, daß, wenn man eine Note ge-
sungen hat und die nächst zu singende ist von jener um eine
Terz entfernt, man dann auf der ersten ein wenig verweilen muß —
eine Verzögerung, die nicht größer zu sein braucht als eine Viertel-
note. Doch muß man dieses Viertel nicht bloß von 'der zweiten
Note abziehen und es der andern geben, sondern im Verweilen
und beim Aufsteigen zur Nachbarnote läßt man auch noch während
des Ton wechseis ungefähr ein Sechzehntel hören; wobei bemerkt
werden soll, daß man diese Verzierung nur machen darf auf re-fa;
mi-sol; far-la] sol-fa, vorzugsweise bfei Terzenspriiugen , wie man
hier sieht:
^^^
gl_g_lj||g>rg=g
Q
'.sc
-«•-
; ^ ^r^g Ti^
mi:
p
-Ä>-
'J2i
-Q
19»
284
Friedlieh Ohrysander,
Es ist ein punktirtes Achtel mit Sechzehntel gesetzt, damit die
Sänger sehen, wie man aufsteigt. Denn es giebt Einige, die, weil
diese Verzierungen fast wie natürliche erscheinen, sie beim Singen,
so langsam und zögernd ausfuhren, daß sie wegen der SchlaflTheit
eine ganz schlechte Wirkung machen und nichts von schöner Be-
friedigung dem Ohre gewähren. Das sind Dinge, die mit noch so
großer Mühe doch schwer zum richtigen Yerstandniß gebracht und
demonstrirt werden können; der kluge und fleißige Sänger muß
da suchen, sich in der Weise zurecht zu finden, daß sein eignes
Gehör ihm sagt, ob er sie gut oder schlecht singt. Denn da diese
Art zu singen höchst ergötzlich und süß ist, und Süßigkeit (ob-
wohl sie der Natur zusagt) sättigt und zuweilen Ekel und Über-
druß erweckt, deßhalb ist es nicht lobenswerth^ sie stets anzuwen-
den, um den Zuhörern keinen Widerwillen zu erregen. ^
Auf ähnliche Weise kann man diese Verzierung noch ge-
brauchen beim Sekundenschritt, d. h. bei den Noten, die. stufen-
weise auf oder ab steigen, indem man dabei denselben Gang wie
beim Terzensprung ausführt. Nur kann diese Tonfigur bei mi und
ut, nämlich im Absteigen von fa zu mi und von re zu ut, keinen
— - I nicht, weil seine
Stützpunkt finden: das eine 1 z. B
[z.B^
-»-
/«
l-=St
mi
1 Zacconi müht sich ab, mit Worten deutlich zu machen, was er in den Noten
nur unvollkommen aufgeseichnet hat. Bei seinen sämmtlichen Beispielen S. 283 — 286
ist die letzte Note um ein Viertel zu lang. Die wirkliche Ausführung lautet an-
nähernd so
■■^^^^^^
<P^
etc. Und später, 8. 286:
• ■ "gl: ^ --f — Fz?- \ ^ T M^ ^ ' ^^^^ ^®' Ausführung noch genauer
entsprechend :
^
-Ä>-
rrn-n^
«>i.
Während hier bei der
ersten Note die Stimme retardirend nachhängt und dadurch eine größere Austdnung
erzeugt, schlägt die Silhe der letzten Note den vorauf gehenden Ton (oder auch
zwei Töne] vor und bewirkt damit eine geschmeidigere und zugleich kräftigere
Vocalitat. Alles das dient lediglich den Zwecken eines schönen und ausdrucks-
vollen Gesanges, gehörte auch zum festen Besitz der alten Sängerschulen.
Mehreres aus diesem 63. Kapitel Zacconi*s ist unlängst bereits von Dr. Carl
Krebs zur Sprache gebracht in seiner Abhandlung über »Qirolamo Diruta's Tran-
silvano« (in der Vierteljahrsschrift 1892 S. 307 — 388). Derartige unbefangene und
sachkundige Besprechungen eines immerhin schwierigen Gegenstandes lassen hoffen,
daß wir auch im Gebiete des Kunstgesanges in nicht ferner Zeit von alten Vor-
urtheilen befreit sein werden.
LodoTico Zacconi als Lehrer des Slunstgesanges.
285
Natui nicht sehr süß ist, und das andere Iz. B. ^ ä. f (^* 1
re ut
nicht, weil unter ihr [d. i. unter der Note ut] keine weitere Note
folgt. Denn alle Noten stützen sich auf diese Tonfigur, da sie es
ist, welche sie leitet, aufrecht hält und führt, wie man hier sieht:
^m
^^5
-^-
^SE
■^-
iF^TH l '^n^m
Beim Singen der Quarte und Quinte muß man einen andern
Stil einhalten. Denn das Sechzehntel, das inmitten der stufen-
weise zu nehmenden Terz läuft, würde hier die Terz im Sprunge
anlaufen müssen, und weil ein Sprung der menschlichen Stimme
schwer fällt und der Süßigkeit entbehrt, deßhalb singt man das
genannte punktierte Achtel und das Sechzehntel immer auf der
ersten Note, doch mit der Bieobachtung, daß man stets von der
zweiten dieser Noten jenes ganze Zeitmaaß, welches man vor sich
hat, nimmt und es auf der [Stufe der] ersten singt, in der Weise,
daß beide Noten von Anfang bis zu Ende nicht mehr Zeitwerth
haben, als den, der ihnen von Natur zukommt. Doch muß man
dabei in der Mitte mit der Stimme jene Verzierungen gut aus-
drücken, ohne sie durch [un verbundene] Noten ertönen zu lassen
(ma bene nel mezzo pronuntiarli con la uoce quelle vaghezze senza
farle rissonar per ßgure).^ Um erkennen zu lassen, wie derartige
Verzierungen zu behandeln sind, bilde ich folgendes Beispiel, da-
mit sich Jeder danach richten und sie beherrschen lernen kann.
^J? .f^ ^"L. j: j "^^"I j'?js:f^j^ ^ijy^^ ^
rxr
3
1 Der Sinn dieser etwas su gedrängten und dadurch unklaren Worte dürfte
sein: Man soll die Stoßfigur ^« m ^^ , die man hier bloß rhythmisch statt
melodisch, d. h. auf einer einsigen Tonhöhe hervor bringt, nicht ansehen als aus
mehreren Noten bestehend, sondern als aus einem einzigen Tone durch verschiedene
Stärke erwachsend, daher auch ohne abzusetzen ausführen, also nicht
sondern
2z:
^ ff
klären.
Tt
Die dunkle Stelle ist aber schwerlich vollständig zu er*
286
Friedrieh Chrysander,
a ^.. JJ^ I - ^r-^
-^-
^
jGL
-»■
fjt t ^
W~^~-f-^-*.
-^-
-^-
^m
3C
^-M
I
Aber weil diese DingS; wie ich schon sagte, schwer ohne das
Vorbild der [ausführenden] Stimme zum rechten Yerständniß ge-
bracht werden können, so will ich, ohne mich um Vielerlei, was
hier noch gesagt werden könnte, weiter zu kümmern, nur das Eine
sagen: Wie man sich, wenn man auf dem Wege Gold, Silber
oder irgend etwas WerthvoUes findet, gerne bückt, um es aufzu-
heben, so muß der Sänger auch, wenn er die Verzierungen von
einem andern hört — (ich meine hier nicht die Gorgie und jene
Passagen, welche man nicht so auf den ersten Zug fassen kann) — ,
sie nachzuahmen suchen so weit es ihm möglich ist, damit er das
Vergnügen, welches er von Andern hatte, selber an Andere weiter-
gebe. Diesbezüglich soll der Sänger darauf hingewiesen werden,
daß, wenn er manche Arten von Fugen oder Phantasien singt, er
keine einzige Note verlangsame; um nicht deren schöne imitirende
Tonfolge zu unterbrechen und zu vernichten; sondern er muß sie
gleichmäßig singen ohne irgend eine Verzierung, nur nach ihrem
Notenwerthe, damit jene Fugen ihre Wirkung thun. (Deue un
cantante m questo easer auertitOy che cantandosi älcune sorte dtjughe^
ouero f antaste per non rompere et ffuastar quei bei ordini d^immt-
tatione di non ritardar veruna ßgura: ma cantarle eqttale, secondo
che voffliano senza veruno adomamento; accioche esse fughe habbino
il suo dotiere.) Auch giebt es noch andere Noten, die ihren Worten
nach keineswegs Accente benöthigen, sondern an ihrer eignen
natürlichen und lebendigen Kraft Genüge haben: zum Beispiel,
wenn man Intonuit de Coelo Domintis — Clamatit — Fuor fuori —
Cavalieri uscite — AI arme al arme und viele andere zu singen
hätte, wobei der diskrete Sänger von feinem Geschmacke nach
seinem eignen Urtheil verfährt. Sodann aber giebt es auch andere,
welche von selber die Verzierungen und schönen Accente fordem,
wie z. B. Dolorem meum — Misericordia mea — Affanni e morte: diese
deuten dem Sänger ohne weiteres an, in welcher Weise er sie zu
singen hat. Man pflegt auch noch gewisse Noten mit einiger
Heiftigkeit und Kraft zu brechen, was in der Musik eine sehr große
und schöne Wirkung thut. In der Absicht, davon einige Notiz
zu geben, bilde ich folgende Beispiele.
LodoYico Zaeconi als Lehrer des Kunstgesanges.
287
1.
3.
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9.
^'irHrpj
-^-
»
Ö
?s:
t
-1^-
An diesen wenigen Beispielen möge man für viele andere
einen Wegweiser haben und Licht auf den Weg; denn ich hätte
ziemlich viel zu thun, wollte ich sie hier allesammt in einem Epilog
sammeln. Und man braucht sich nicht zu wundem, wenn ich mich
nach diesen hier gebückt habe (sie aufzuheben] , um Beispiele auf-
zustellen für jene Dinge, welche die Natur fast von selber
lehrt und darbietet. Es mag den Anschein haben, daß ich es in
diesem Falle mache wie Einer, der, um den Ignoranten zu zeigen,
daß er etwas weiß, den Gelehrten das Abc in die Hand drückt. Aber
da ich aus den modernen Schulen einige Schüler ohne diese Aus-
schmückungen und Accente habe hervorgehen sehen, so faßte ich
den Entschluß, diese wenigen Sächelchen zu Papier zu bringen,
welche man nun denjenigen überlassen möge, die keinen Geschmack
oder keine gute Singart besitzen. Merke übrigens, daß diese
letzten höheren Accente hier nicht gesetzt werden, weil
sie so in der aufgeschriebenen Komposition stehen
könnten, sondern nur, damit man der Stimme die Mög-
lichkeit andeutet, die Noten zu accentuiren. {Jßi nota
che questi vltimi superiori accenti non st pongano perche cosi in
scrittura possino stare: ma solamente per quelle che si concede dUa
voce per accenttMr le ßgure.)
288 Friedrich Cfarysander,
ttss
Zum Schluß habe ich noch dieses zu bemerken, daß die Meister
beim Unterweisen in solchen Accenten und Schmucksachen dem
Schüler zur Pflicht machen sollen, Maß zu halten, damit er sie
nicht zu häufig und fast immerwährend anbringt; denn wie zu
viel Süßigkeit die schmackhaftesten und kostbarsten Gerichte Ter-
dirbt, so erregen auch überreiche Ausschmückungen und Zierlich-
keiten Überdruß und Langeweile. Wendet man doch so viele
Dissonanzen in der Musik aus keinem andern Grunde an, als bloß,
um damit die Süßigkeit der Konsonanzen zu verdoppeln. c (Fol.
55b_57a)
Das vorstehend mitgetheilte Kapitel ist nächst dem 66sten über
die Gorgia das bedeutendste von allen, was die praktische Aus-
führung des Gesanges betrifiPt. Zacconi deutet freilich an, daß es
mit jenem nicht zu vergleichen sei, insofern es Sängerkünste und
-Feinheiten bespricht, die Einer dem Andern beim Vortrage ablauern
und sodann nachmachen kann, während das große Kapitel über die
Gorgia Sachen behandelt, die nicht so im Fluge zu erschnappen
sind, sondern in harter Studienarbeit erlernt sein wollen. Aber für
uns heute sind beide Kapitel gleich wichtig, gleich instruktiv.
Die Grazien sind also hauptsächlich zweierlei Art, was meistens
von den Intervallen abhängt, welche sie zu verbinden haben: sie
bewegen sich stufenweise oder sprungweise. Der stufenweise Gung,
durch welchen sie namentlich Terzen verbinden, ist als ihre haupt-
sächliche und ursprüngliche Au%abe anzusehen, gleichsam als ihre
Quelle, denn Tonsprünge bilden Tonlücken und sind für die mensch-
liche Stimme, wenn diese rein auf sich selbst gestellt ist, etwas Un-
natürliches, was sie deßhalb zu überwinden strebt. Das Mittel, wo-
durch solches geschieht, bewirkt nun zugleich Tonverstärkung und
damit Schwung, Kraft, lebhafteren Ausdruck, und durch alles dieses
zugleich einen größeren Tonreiz. Zacconi legt das alleinige Gewicht
auf diesen Beiz und diese Anmuth, was bei der Art seiner Betrach-
tung erklärlich ist; denn in den Gegenstand noch weiter einzu-
dringen, als die Tagespraxis gerade erforderte, war seine Sache nicht.
Mit deutlichen Worten wird uns gesagt, daß die Komponisten
derartige Grazien nicht in Noten vorschrieben, aber als selbstver-
ständlich ansahen. Weil nun diese Grazien überall zum Hausbe-
darf der praktischen Musik gehörten, waren sie auch aller Willkür
entkleidet und hatten in der damaligen Tonordnung ihre feste ge-
setzmäßige Stellung. Das betraf hauptsächlich Viererlei.
Zunächst mußte man sich hüten, durch irgend welche Zusätze
die Textworte undeutlich oder unverständlich werden zu lassen. So-
dann sollte man die verzierten Stellen nicht retardiren, sondern streng
Lodoyico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 289
im Takt ausfuhren. Beide Regeln unsers Altmeisters Zacconi kehren
zu allen Zeiten wieder bei allen Autoren, die den Beruf hatten, über
den Gegenstand zu schreiben.
Drittens waren die Schmucknoten nur bei gewissen Tönen der
Skala anzuwenden. Als Skala gilt hier selbstredend nicht unsere
Oktave, sondern das Hexachord der Guidonischen Hand, dessen
Grundton (ut) unantastbar ist. Die sprungweisen Bewegungen, welche
hier in Betracht kommen, gehen nicht über die Quinte hinaus.
Sextensprünge sind zwar in der damaligen mehrstimmigen Musik
nicht selten und unter diesen auch solche der großen Sexte, die also
das ganze Hexachord umspannen, wie man an den barocken Beispielen
3, 4 und 7 auf Seite 270 sieht; aber die letzteren Gänge galten für un-
schön oder unbeholfen und wurden im besten Falle angesehen als aus
zwei Tönen bestehend, die isolirt bleiben müssen. Seit 1600, wo dieses
Intervall im Sext- oder Quartsext-Akkorde eine feste harmonische
Unterlage erlangte, hatte dasselbe damit auch in der Melodie das
Bürgerrecht gewonnen, und diese Teränderte Stellung verschaffte dem
vortragenden Sänger für seine Ausschmückungen einen Spielraum,
welcher ihm früher verschlossen war.
Ebenso wurde Viertens eine Begrenzung angegeben hinsichtlich
der Tonstücke oder gewisser Stellen in denselben, wo der graziöse
freie Schmuck anzubringen war. Was ohne denselben besser klang,
sollte ungeschmückt bleiben. Dies bezog sich namentlich auf jene
»Fugen oder Phantasien«, oder auf Theile derselben, deren Gewebe
nicht zuließ, daß die Noten anders als in vorgeschriebener Weise
ausgeführt wurden. Um solches in einem kleinen Beispiele zu
zeigen, betrachte man den Takt auf Seite 285. Will man hier
•^-
nach Zacconi's Angabe so vortragen
dann kann dies doch nur unter der Voraussetzung geschehen, daß
die übrigen Stimmen eine derartige Theilung der letzten Note ge-
statten.
Hält man diese Vorschriften zusammen, so läßt sich leicht be-
merken, daß dadurch all und jeder Willkür ein Riegel vorgeschoben,
aber auch dem Sänger eine Aufgabe zuertheilt war, welche eine voll-
ständige Durchdringung der vorzutragenden Komposition nach allen
Seiten hin voraus setzte. Solche Lehrvorschriften dürften daher am
meisten geeignet sein, uns mit Bewunderung zu erfüllen über den
Höhenstand der damaligen Virtuosität.
290 Friedrich Chrytander,
Kapitel 64
bespricht die passende Art, die Worte oder den Text zu den Noten
zu singen. Zwar möchte Belehrung hierüber unnöthig scheinen, meint
er, da es genüge zu wissen, daß die Worte so gesungen werden
müssen, wie sie unter den Noten stehen. Aber es sei doch mancherlei
zu beachten: verständliche und deutliche Aussprache, Befolgung der
Wiederholungszeichen, auch Vermeidung aller willkürlichen Zer-
stückelung der Wörter. »Die Komponisten, wenn sie die Wörter
zerstückeln wollen, um ihren Sinn in den Tönen nachzuahmen,
wissen sehr wohl den richtigen Weg zu finden, z. B. wenn sie einen
Seufzer auszudrücken haben, unterbrechen sie die Wörter so gut ver-
mittelst stummer Noten-Pausen, daß es in der That scheint, als ob
man seufze.« Gleichfalls soll man sich hüten, Ende und Anfang
verschiedener Wörter in einander zu schleifen. »Alles das vermeide
man auf's möglichste; denn unter all den guten Dingen, die man
an einem Sänger während seines Vortrages beachtet, ist auch das,
ob er die Worte deutlich ausspricht und überhaupt ohne Mängel und
Fehler hören läßt.t (Fol. 57».)
Kapitel 65
behandelt, gleichsam als Ergänzung des vorigen, die Yortheile, von
welchen der den Noten hinzu gefügte Funkt, die sogenannte Augmen-
tation, für die deutliche und sinngemäße Aussprache der gesungenen
Worte gewesen ist. »Denn wenn dieser Punkt nicht im Gesänge
vorhanden wäre, so müßte man viele Worte barbarisch und gegen
alle grammatikalische Rlangrichtigkeit aussprechen.«
Was uns heute durch eine lange Gewöhnung als eine Kleinig-
keit erscheint, die kaum noch beachtet zu werden braucht und schon
beim ersten Notenunterricht erledigt wird, war in jener Zeit, wo der
Funkt zuerst in die musikalische Komposition eingeführt wurde, von
größter Wichtigkeit, denn er gehörte zu den Regulatoren, welche
die neue mehrstimmige Figuralmusik für wirklichen Gesang geeignet
machten. Deßhalb schilt Zacconi auch jene Komponisten, die sich
diese bequeme Gelegenheit, sinnvoll und deutlich zu singen, nicht
zu nutze machen, sondern wie Barbaren ihre Texte behandeln, was
um so mehr eine Schande sei, J»a1s heutigen Tages unsere Ohren so
gereinigt sind, daß auch der kleinste Fehler beleidigt«, nicht bloß
bei lateinischen, sondern auch bei italienischen Wörtern. Denn er
möchte sich »erkühnen zu behaupten, daß der Erfinder des Augmen-
tations-Funktes ihn nicht bloß erfand und sodann in die Musik ein-
führte, um eine Note um den Werth der nächsten Note zu ver-
LodoTico Zaoeoni als Lehrer des Kunstgesanges. 291
•
mehren, sondern auch, um die Worte hurtig aussprechen zu lassen,
und das letztere war yielleicht seine eigentliche Absicht. Denn wenn
wir diesen Augmentations-Punkt recht betrachten, so kommt er nach
seiner eigentlichen Bedeutung bloB in den zweitheiligen Kantilenen
(cantüene hinarie) oder der imperfekten [d. i. geraden] Zeit vor, und
nur nebensächlich behufs der Deutlichkeit im dreitheiUgen Zeitmaß.«
Die Deutlichkeit der Aussprache beim Gesänge einzuprägen,
verursachte damals große Mühe, weil die Figuralmusik noch so jung
und die Notenschrift unentwickelt war. Aber unaufhörlich richtete
man das Augenmerk darauf, durch sinnvolle Notentheilung das Wort
so deutlich und verständlich zu machen, »daß es ebenso gut klingt
und nicht weniger leicht verstanden wird, als wenn es gesprochen
wäre.« Dabei muß man sich an die Noten von mittlerem Werth
halten, sagt Zacconi, denn bei den sehr lang ausgehaltenen Tönen
verschwindet das Wort, und bei den ganz kurzen sind überhaupt
keine Silben mehr anzubringen. (Fol. 57*» — 58"^.)
Kapitel 67
schärft dem Kapellmeister, der zugleich immer Komponist war, das
Gewissen und erinnert daran, daß «deßhalb ein Werk mehr gefällt
als das andere, weil sein Komponist beim Schaffen einige neue und
zugleich leichte Verzierungen einflocht, von denen dagegen, wenn
sie schwer wären, niemand reden noch sie verlangen oder schätzen
würde.« Denn »man sieht in den Bibliotheken neuere Kompositionen,
die schon veraltet sind, ohne dem Komponisten Ehre und dem Ver-
leger Gewinn gebracht zu haben, weil sie ohne Lieblichkeit und
Melodie und dabei doch sehr schwer sind.<r Diese Tonsetzer »glauben
vielleicht, daß sie, wenn sie ihre Musik recht schwierig setzen, damit
Neues an Melodie und harmonischer Erfindung produciit haben,
sehen aber nicht, daß die Sänger solche Musik unberücksichtigt
lassen, oder aber beim Singen jene Abänderung der Noten vor-
nehmen, deren Verwirrung ich oben getadelt habe.« (Fol. 76* — 77*.)
Kapitel 68.
Welche Art von Stimmen man zu wählen hat, tun eine gute Musik zu machen.
(Di quäl sorte dt voci s% dehbe far eüetione per far huona Musica.)
»Wer insgeheim sich mit irgend einem besonderen Studium
beschäftigt, ohne daß ein Anderer weiß, was er im Sinne hat, der
wird immer aus der Meinung Anderer dasjenige heraus suchen,
was unter den verschiedenen Ansichten überein stimmt, um sich
bei Gelegenheit dessen bedienen und zu seiner Rechtfertigung
Diesem oder Jenem die gemeinsame Ansicht vorhalten zu können.
292
Friedrich Chrysander,
So habe auch ich gethan, indem ich mit ganzem FleiB und Streben,
ohne daß man je meine Absicht gemerkt hätte, die Yerschiedeneii
Meinungen Anderer über die menschlichen Stimmen sammelte ,
denn beim Singen pflegt doch eine Stimme mehr zu ergötzen als
die andere, und thatsächlich gefallt dem Einen die eine und dem
Andern eine andere Art von Stimmen. Aber bei den vielen und
verschiedenen Meinungen habe ich durch Beobachtung gefunden,
daß von den Kopf- und den Bruststimmen nach gemeinsamer An-
sicht die Bruststimmen am besten sind.
Indessen, weil unter den Bruststimmen sich einige finden,
die man stumpfe Stimmen nennt, so will ich zur Unterscheidung^
sagen, daß die Stimmen entweder nur Kopf- oder nur Bruststinimen
oder nur stumpfe Stimmen sind: und zwar sage ich »nur« (mera-
mente) deßhalb. weil sich einige finden, die halb Kopf-, halb Brust-
stimme sind.
Die bloßen Kopfstimmen (voci di testa) sind die, welche mit
einer klaren und durchdringenden Schärfe ohne Anstrengung seitens
des Singenden heraus kommen. Sie treffen vermöge ihrer scharfen
Höhe so fröhlich an unser Ohr, daß sie andern Stimmen, obgleich
diese größer und fröhlicher sind, doch überlegen scheinen.
Die bloßen Bruststimmen (voci di petto) sind solche, die beim
Intoniren — welches sie im Ausstoßen aus der Kehle bewirken —
durch die Kraft der Brust heraus getrieben zu werden scheinen.
Sie pflegen erheblich mehr Vergnügen zu bereiten, als die Kopf-
stimmen, und sie haben die Wirkung, daß man ihrer niemals
überdrüssig wird, während andere [Stimmen] nicht bloß UeberdruB
und Langeweile, sondern in kurzer Zeit auch Widerwillen und
Ekel erregen.
Die letzten, die bloß stumpfen Stimmen (voci ohtuse d. i.
ottuse) sind die, welche für gewöhnlich stumme genannt werden.
Unter den andern — munter wie diese sind oder wenigstens sein
können — vernimmt man sie nicht, sondern sie sind da zwischen
so gut wie gar nicht vorhanden.
Unter diesen drei Arten findet man einige mittlere oder halbe
Stimmen, die nämlich theils Kopf-, theils Bruststimmen sind; und
wieder andere, die theils Bruststimmen und theils stumpfe Stimmen
sind. Sie werden so genannt wegen der von ihnen zu vernehmenden
Wirkung, weil sie halb zu der einen und halb zu der andern Art
gehören.
Diese Mittelstimmen anlangend, sagt man, daß, wenn sie mehr
von der Brust- als von der Kopfstimme besitzen, sie immer mehr
Vergnügen bereiten, als die [bloßen] Bruststimmen imd die stumpfen
LodoTico Zacooni als Lehrer des Kunstgesanges. 293
Stimmen. Denn die Brechung [der Töne], welche die Stimme in
jener starken Röhre [der Kehle] hervor bringt — man nennt es
Mordent — ist bei einiger Mäßigung so angenehm und ergötzlich,
daß die Ohren yoU befriedigt sind, mehr als von jenen andern,
die bei dem Mangel dieses Mordentes großentheils stumm bleiben
und jene Annehmlichkeit nicht darbieten. (Perche il frarigere che
fa la voce in quella tuba forte ^ si chiama mordente et i per la
temperanza so grata et diletteuole^ che Vorrechte restano sodisfatte
et consolate, piu che non fanno di queV altre che per esser spogliate
di questo mordente ^ restano in gran parte mute^ et non porgano
quella delettatione,)
Wollen wir aber ein wenig eingehender die wahre Natur der
Stimme erforschen, so werden wir finden, daß die Bruststimme die
eigentliche und natürlichste ist, nicht allein weil die Brust sie
hervor bringt, indem diese die Instrumente [d. h. Lungen] dazu
in sich enthält, sondern auch, weil die Bruststimme immer als die
[musikalisch oder tonlich] richtigste befunden wird. Denn man
wird niemals bemerken, daß die Bruststimme falsch ist, wie die
Kopfstimme und die stumpfe Stimme, die man selten ohne jenen
besonderen Mangel, falsch zu sein, antreifen kann.
Nun hat man unter allen Stimmen immer die Bruststimmen
zu wählen, um von einer guten Komposition den besten Eindruck
zu erhalten, und besonders die [mittleren], welche jenen genannten
angenehmen Mordent haben, der wohl gebrochen aber nicht schlecht
klingt; und man hat unberücksichtigt zu lassen alle stumpfen
Stimmen und auch die bloßen Kopfstimmen, .denn die ersteren
hört man zwischen den andern nicht, und die Kopfstimmen über-
wiegen zu sehr (superano troppo).
Wenn man [aber] unter den Stimmen, die zuweilen falsch
sind, die Wahl hat zwischen denen, die beim Singen schwächer wer-
den und solchen, die stärker werden^ so hat man lieber die stärker
werdenden zu nehmen, als die schwächeren; denn dieser Mangel ist
[bei den stärker werdenden Stimmen] seiner Natur nach erträglicher.
Auch soll bemerkt werden, daß, wenn hier von falschen Stimmen
die Rede ist, die ganz falschen ausgeschlossen sind, damit diese auf
keinen Fall bei der Wahl in Betracht kommen. Denn wenn der
Mangel gering ist, so nehmen wir gern den übrigen [besseren und
größeren] Theil an; ist er aber zu groß, so wird es unerträglich.
Bei der Auswahl gut das aber nicht sowohl für die Stimmen,
welche stark zu singen haben, als vielmehr für diejenigen, welche
piano zu singen haben, da [hier] der Fehler, falsch und Kopfstimme
zu sein, auf jeden Fall zu Gehör kommt und beleidigt. Wenn
294 Friedrich Chrysander,
Sänger mit jenen einzigen und vollendeten Stimmen, von denen
ich sagte, daB man sie zur Ausfiihning einer guten Musik wählen
müsse, nicht vorhanden sind, so wird man das Singen darum doch
nicht einstellen. Es giebt ja noch andere Arten von Sängern,
welche immerhin nicht die traurigsten und schlechtesten sind, die
man findet. Denn man weiß ja wohl, daß hier auf Erden nur
wenige Stimmen denen der Engel und den göttlichen ähnlich sind.
Es wird genügen, wenn man mittelmäßige oder annähernd gute
findet. Aber weil auch die stumpfen Stimmen ihren Dienst zu
thun haben und man sie nicht gänzlich bei Seite schieben kann,
so wird man von ihnen die, welche am meisten klar sind, mit den
andern einführen, und man wird Acht haben, daß sie groBentheils
richtig und nicht ganz und gar mangelhaft seien, so daß sie einen
guten musikalischen Körper abgeben von gleichmäßiger Harmonie.
Ich sage nun nichts von jenen Stimmen, welche zu keinerlei
Vollendung gelangen und als ganz unvollkommen unter den andern
rangiren, denn über diese vermag Jeder zu urtheilen: sondern
ich will nur von den Stimmen reden, die zwar nicht so [voll-
kommen] gut sind, aber eine sehr hübsche Manier zu singen
haben, und die man zum Theil nicht unberücksichtigt lassen darf.
Denn die seltenen Reize (vaghezze) und ergötzenden Accente sind
es, welche mehr gefallen und in diesem Falle alle Mängel ver-
decken, besonders wenn genannte Accente gut heraus kommen und
gut begleitet werden. Das kommt von dem großen Vergnügen,
welches das Publikum empfindet beim Anhören dieser schönen
Brechungen und getheilten Noten, die man so nicht von Allen
hört, denn keineswegs besitzen AUe die Geschicklichkeit, sie so
zu theilen und zu brechen.
Wenn also diejenigen Stimmen, welche ganz besonders mangel-
haft und zum Theil unerträglich sind, nicht etwas an sich haben,
was sie andrerseits würzt und ergötzlich macht, so muß man sie
bei Seite lassen, außer in absonderlichen Fällen der Noth und des
Zwanges; und von solchen [Stimmen], die mit Recht den Namen
der berufenen verdienen, aber dabei nicht ganz Bruststimmen sind,
hat man diejenigen, welche ein wenig von jener gemäßigten
Brechung haben, für besser zu halten, als andere, die taub oder
fast stumm klingen. Denn, wie ich oben gesagt habe, es sind
wenige Stimmen völlig vollendet: und wenn man die Wahl hat
zwischen Stimmen, die beim Aufsteigen und solchen, die beim Ab-
steigen UnvoUkommenheiten haben, so werden die aufsteigenden
die besseren sein und zwar deßhalb, weil es für die richtigen und
guten Stimmen (wenn letztere überhaupt wegen der mangelhaften
Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 295
[Begleii]- Stimme sich von ihrem guten Tone weg zu begehen
haben) leichter ist, mit diesen aufzusteigen, als mit jenen andern
abzusteigen. Wenn man nun keine [geschulten] Sänger hat, so
sollen die Stimmen, obgleich sie nicht allesammt gut sind, eine
die andere umarmen [,sich gegenseitig haltend,] und so gut es an-
geht dahin fließen.« (Fol. 77»— 78».)
Kapitel 69
zeigt die Weise, wie man damals beim Beginn des Gesanges den
einzelnen Stimmen den Ton angab.
Die Kenntniß der verschiedenen Tonarten wurde dabei voraus
gesetzt; dann war die Intonations- Kegel für den 1. und 9. Ton
re-fa-la^ für den 2. Ton sol-re und re-la^ für den 3. tni-mij u. s. w.
Den gewöhnlichen Praktikern war dieses aber zu schwierig, weil
eine genauere Kenntniß der zahlreichen alten Tonarten bei ihnen
meistens nicht mehr vorhanden war. Wem das also zu schwer ist,
sagt Zacconi, »der habe folgende vier Regeln im Gedächtniß: Re-la
dient zur Intonation für den 1., 2., 9. und 10. Ton, mi-tni für den
3. und 4., fa-fa für den 5. und 6., und ut-sol für den 7., 8., 11.
und 12., so daß er auf diese Weise nicht irren kann.«
Auch in diesem Kapitel kommt der Autor darauf zurück, daß
in Kirchen laut zu singen war, der Sängerchor daher auch ent-
sprechend stark und heftig zu intöniren hatte, während im Kammer-
gesange das Piano herrschte, denn hier hatte man sich nicht fiir
neugierige Nachbaren hören zu lassen. (Fol. 78.)
Kapitel 70 und 71
besprechen hierauf die Zeichen, welche das Ende der Gesänge an-
geben.
Nachdem er Anfang und Mitte der Kompositionen behandelt
habe, sagt Zacconi, halte er es für gleich wichtig, auch über die Be-
endigung derselben zu sprechen, denn wie beim Anfang um Modus
und Kunst, in der Mitte um Schmuck und Vortrag, so handle es sich
bei dem Ende um Vortrag, Ausschmückung, Kunst und den ent-
sprechenden Modus, also um alles Vorhergehende zusammen.
Von den hier erwähnten fünf Einzelheiten führe ich nur den
ersten Fall an, wo eine andere (gewöhnlich eine mittlere) Stimme
mit dem Basse gleichzeitig zur Finalis absteigt, wie es in den vier- bis
acht-stimmigen Kompositionen am Ende und auch in der Mitte der
Stücke vorkommt. An solchen Stellen muß der Sänger der oberen
296
Friedrich Chrysander,
Stimme den Ton vorschlagen, um Oktaven mit dem Basse zu ver-
meiden, zum Beispiel
ai==:
^i— «>-
t=rö:
80
P
tt
-^
iME^
^•■
is=iX
9^
tt
singen. Auf
^
ähnliche Weise hat man sich bei Quinten und in andern Fällen ku
helfen.
Die Hauptsache bei den Final-Bewegungen bleibt immer das
einträchtige Zusammengehen aller Hetheiligten, was Zacconi bei jeder
Gelegenheit den Sängern einzuschärfen sucht. Um einen solchen
Endzweck zu erreichen, soll man willkürliches Bitardiren vermeiden
und unbedenklich »den überflüssigen Luxus an Verzierungen und
Koloraturen bei Seite lassen. Denn die Verlangsamung der einen
Stimme macht, daß man ein liebliches und delikates Ende nicht gut
hört. Und das ist erklärlich, weil Einige beim Ende der Kantilenen
mit den Koloraturen (gorgie) eine Stunde lang aushalten und dadurch
bewirken, daß alle andern Gefährten dastehen und auf ihn [den
kolorirenden Sänger] warten, zuweilen auch wohl, nachdem sie eine
lange Zeit gewartet haben, ihren Gesang plötzlich abbrechen [und
ihn im Stiche lassen]. Den Sängern sollen die Verzierungen, die
Fassagen oder Gorgien nicht verwehrt werden, aber man verbietet
ihnen das Zuviel und die Verschleppung ihrer Partie. Denn in der
Mitte liegt der wahre Werth, wie ich oben und anderwärts gesagt
habe. Auch die Knaben, die noch nicht schwimmen können, stehen
im Wasser mehr am Ufer und spielen: aber der kühne und perfekte
Schwimmer zieht beim Schwimmen eben dahin, wo es am tiefsten
ist, denn dort hat er Freude an seiner Sicherheit.« (Fol. 78^ — 80*).
Ueber die Endnote der Stücke sagt dann Kap. 7 1 das Bekannte,
daß sie meistens sehr lang und nicht an ein bestimmtes Zeitmaß
gebunden ist, sondern den Sängern zu beliebiger Austönung über-
lassen bleibt, »weil das Ende eine Sammlung aller Thätigkeiten ist,
in welcher sie ausruhen, und weil in der Musik alle Lieblichkeiten
und Süßigkeiten wie in einem abschließenden Epilog sich vereinigen.«
(Fol. 80.)
Kapitel 25 mid 75
gehören inhaltlich zusammen, denn im 75. Kapitel, wo »die haupt-
sächlichen Pflichten des Sängers« aufgezählt werden (Fol. 82),
Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 297
wiederholt Zacconi nur das, was bereits gesagt war, besonders in
Kapitel 25, auf welches er auch ausdrücklich verweist. Hier sieht
man aufs neue, wie er bei enormen Kenntnissen und Einsichten so
gar wenig darauf Bedacht nahm, den Lehrstoff methodisch zu ordnen.
Kapitel 25 enthält auf kaum zwei Seiten bereits die gesammte Unter-
weisungy von den ersten Elementen einer musikalischen Fibel an bis
zu den höchsten Erfordernissen einer freien Sängerkunst, und außer-
dem noch als Einleitung eine allgemeine Betrachtung über Natur
und Kunst, Gutes und Böses, Untersuchimg der Principien, Streben
nach Vollkommenheit, und anderes mehr. Als musikalische Sermone
sind seine in sich abgerundeten Kapitel angenehm, gehaltreich und
neu in ihrer Art, aber sehr unpraktisch als Lehrbuch.
Bei Aufzählung der Gesetze und Normen, welche ein Sänger
sich einzuprägen hat, betont er im 25. Kapitel wieder den weit
höheren Werth des mehrstimmigen Gesanges im Vergleich zum Solo-
gesänge. Dieses Urtheil war durchaus im Einklänge mit der Kunst-
übung seiner Zeit, in welcher selbst der vollkommenste virtuose
Künstler bei allem persönlichen Hervortreten doch niemals ein wirk-
lich freier Solosänger wurde, sondern immer Gesammtsänger blieb.
Zacconi sagt:
»Alle diese [vorhin einzeln aufgeführten] Dinge zusammen
machen die Musik aus : denn wenn die Stimmen durch Harmonie
begleitet werden, so erhält man dabei jenen süßen Zusammenklang,
der heutzutage von Allen Musik genannt wird. Und obgleich
man von einer allein singenden Stimme, geschehe es nun ver-
mittelst der Kunstregeln oder in der Art improvisirter Lieder, würde
sagen können, daß sie musikalisch singt, so sagt man doch, daß
eine solche [Stimme zwar] singt, aber nicht Musik singt, da sie
ja nicht jenen Zusammenklang hervor bringt, wie es mehrere Stim-
men thun, wenn sie vermittelst genannter Regeln vereinigt und
[von einander] begleitet werden. Denn würde man sagen, daß er
[der Solosänger] Musik singt, so verfiele man so recht in jene
Meinung, der fast alle Schriftsteller huldigen, welche glauben, daß,
wenn die Alten beim Lobe der Götter ihre Verse mit tönender
und erbaulicher Stimme absangen, diese [unsere heutige akkord-
liche] Musik schon zu jenen Zeiten existirt habe. Also : die Musik
wird von allen oben aufgezählten Faktoren gebildet, in der Art
und Weise wie es den Komponisten gut dünkt, und zwar so, daß
er die Noten auf genannten Saiten [oder Liniensystemen] ordnet
und vertheilt, wie es ihm am besten paßt und seinen Absichten
zu entsprechen scheint; denn dazu und dafür sind sie erfunden
worden. Alle andern Sachen nun, wie die Affekte beim Singen,
1893. 20
298 Friedrich Chrysander,
die guten Stimmen, die ausschmückenden Accente, die schone
Aussprache und die Yenderungen sind [zu notiren] nicht nothiren-
dig, denn ohne sie bleibt Musik [als Komposition] Musik. Aber
mit ihnen erscheint sie erheblich schöner und giebt mehr Ver-
gnügen und Ergötzen. (Valtre cose pai come gTaffetti nel cantare,
le btione voci, i vaghi accenti^ le belle profwncie, e gVomametUij non
sono necessarij perche senza dt loro la Musica riman Mtisica: tna
bene con esst assai meglio la comparisce, et ne rende maggiar dilettOy
et piacereJ) Jedeij der sich mit Singen ve^nügt, muß studiren
und bemüht sein, seine Sache gut zu machen, weil diese Verzie-
rungen und schmückenden Accente nicht bloß die Musikstücke
verschönern, sondern auch dem Sänger Ehre eintragen. Denn
auf diese Weise bringt man es zu Ehre und Achtung und Ansehen,
und man wird bei jeder Gelegenheit zum Gesang gerufen und da-
für herzlich bedankt.« (Fol. 15^)
Bei aller Umständlichkeit der Wortfügung, wie wir sie von
Zacconi gewohnt sind, enthalten obige Sätze doch eine ganz piäcise
Darlegung des richtigen Verhältnisses von Tonsatz und Ausführung.
Der Nachdruck, mit welchem überall der verschönernde Einfluß des
Vortragenden auf die Komposition betont wird, könnte sehr leicht
dazu verleiten, nun diese Komposition an sich für etwas Unfertiges
zu halten, für eine bloße Skizze, die der Sänger nicht nur zu ver-
schönem, sondern durch seine Verschönerung auch zu verbessern
und damit erst vollständig zu machen hätte. Aber eine solche An-
sicht wäre ebenso irrig wie nachtheiUg. Alles was der Tonsetzer
mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufzeichnen konnte, hat
er vollständig aufgezeichnet; sein Werk ist fertig. Die Kritik mag
daran rütteln und es vielleicht vernichten; aber ein Bessermacher
soll seine Hand davon lassen, es sei denn, daß er ein eignes Gebilde
von größerem Werth daraus zu gestalten vermag. Was noch hinzu
kommen muß, um das Tonbild an das Ohr des Hörers zu tragen,
ist nicht mehr Sache des Komponisten, sondern des ausführenden
Sängers, oder des Komponisten nur dann, wenn er zugleich Sänger
ist. Das war die anerkannte Stellung der beiden musikalischen
Thätigkeiten von Alters her, bis auf Palestrina's Zeit und noch zwei
Jahrhunderte nach derselben.
In
Kapitel 76
wird vor einem Irrthum gewarnt, in den «sowohl ein sicherer wie
ein furchtsamer Sänger leicht gerathen kann«, indem er die Kegel,
nach welcher »alle einfachen und gewöhnlichen Kadenzen ihrem
Lodovioo Zaoeoni als Lehrer des Kunstgesanges.
299
eigenüichen Wesen nach von der Diesis [dem Unterhalbton] gestützt
sind und damit Halt und Stütze in der vorletzten Note haben« (wie
+
gezeigt ist], nun auch bei den
hier tfa: ■ < p ' '
t=l:
f
■tf^
Schlüssen in der diatonischen i?-Leiter anwendet:
+
'S
-<^
^
Hier auf der vorletzten Note dis
zu nehmen statt d, lag dem unvorsichtigen Sänger um so näher, weil
die Stimme an sich zum chromatischen Gesänge neigt und in einem
solchen auch durch uralte Praxis geübt war. (Fol. 82^.}
Kapitel 77.
Was in den graiiösen Verzierungen und schönen Accenten der gewöhnlichen und
gemeinen Kantilenen sehr zu vermeiden ist.
Selten pflegt es zu geschehen, sagt Zacconi in der unvermeid-
lichen Einleitung, daB ein Mensch in seiner bestimmten Thätigkeit
nicht irgend etwas Verkehrtes oder Schlechtes t}iut. Das soll hier
aber nicht in aller Breite und Vollständigkeit aufgezählt werden;
sondern
»Ich will in meinem gegenwärtigen Vorhaben . . . nur das Eine
beabsichtigen, dem Sänger zu zeigen, was er beim Singen vermeiden
muß. Wenn wir alle die anmuthigen Bewegungen und reizenden
Accente, die von dem Sänger auf dieser oder jener Note gemacht
werden, betrachten, so sage ich : alle sind schön und gut, wenn
man sie von Unsauberkeit gereinigt und geläutert hat ; aber immer
pflegt doch eine mehr als die andere zu gefallen und zu ergötzen,
da eben eine mehr als die andere gut und passend ist.
Nun wissen wir, wie schon gesagt, daß die einfachen Accente
wie auch die einfachen Passagen der Kehle [gorgia) in den Kanti-
lenen diejenigen Dinge sind, welche am meisten Genuß und Ge-
uugthuung gewähren. Doch wird Einiges davon durch Manche
schlecht heraus gebracht. Um solches dem Sänger bemerklich zu
machen und um ihn zu reinigen, sage ich, daß man oft etwas hört,
was abscheulich ist. Zum Beispiel, bei Passagen machen Einige
diese widerlichen Arten von Ritornellen:
indem sie solche wiederholte Verdoppelungen von Noten länger
fortfuhren, als es sein kann, und nicht gewahr werden, wie
20*
300 Friedrich Chrysander,
langweilig und widerwärtig derartige Schritte sind. Denn in diesem
wie in jedem andern Falle hat der Sänger niemals seine Gor^en
oder Passagen zu wiederholen, wenn seine Passagen oder Goi^en
nicht andere [verschiedenartige] Brechungen haben. Denn jene
ähnlichen [oder gleichen] Brechungen sind nur gut am Ende der
Kadenzen, auf der vorletzten Note, wenn man schließen will. Uncl
um so weniger sprechen sie [anderswo] an, als derjenige, welcher
sie gebraucht, sie nicht klar hinstellt und nicht vollkommen gut
macht.
Dabei will ich noch bemerken, daß ähnliche Kadenzschritte
nach allgemeiner Annahme immer besser sind, wenn die [von oben
ausgehende] Bewegung sich wieder nach oben erhebt, wie ich ina
66. Kapitel bei jenem besonderen Schritte von la fa la gezeigt
habe^, und nicht so, wie man es hier [in dem angeführten Bei-
spiele] sieht, von unten. Denn er gelingt besser von oben, als
von unten, und man hat auch einen besseren Eindruck davon.
In ähnlicher Weise findet sich auch Anderes, was man durch
Beobachtung an Andern von selbst zu vermeiden lernen kann.
Denn wer nur ein wenig Beruf hat, der lernt das Gute und
Schlechte unterscheiden, wenn er es von Andern hört.
Dieses Wenige, glaube ich, wird genügen, denn dem Ver-
ständigen genügt ein bloßer Wink, wo dem Ignoranten nicht ein-
mal das Zehnfache von Unterrichtsstunden genug ist. Und wünscht
der Intelligente noch weitere Belehrungen, so möge er Andere
beim Singen beobachten, nicht allein das [beachtend] was ihm,
sondern auch was verschiedenen und den meisten Menschen ge-
fällt. Denn bei solchen Beobachtungen wird er sich das Gute
auswählen und andererseits das Schlechte fahren lassen. a (FoL
82^—83».)
Kapitel 78.
Ob alle Verschönerungen und Singmanieren, die sich in einer Stimme gut aus-
nehmen, auch in einer andern gestattet sind. \Se tutte le vaghezze et moniere dt
cantare che stanno bene ä una parte si concede aÜ* aUra.)
«Um dem großen Mißbrauche abzuhelfen, den die Sänger oft
beim Singen begehen und hören lassen, habe ich mich entschlossen,
über dieses besondere Thema gegenwärtige Bemerkungen kund zu
geben, damit ein großer Theil von berühmten Sängern den Irrthum
erkennt, der ziemlich häufig und ohne Absicht begangen wird, im
Glauben das gut zu machen, was man vielmehr schlecht macht
i Man sehe den 1. Abschnitt, Vierteljahrsschrift 1891. S. 356—357.
Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 301
Jeder Sänger soll wissen^ daß viele Accente und Ausschmückungen
im Sopran erlaubt sind, die man jeder andern Stimme verbietet;
und viele von ihnen, die man sowohl dem Sopran wie den andern
Stimmen erlaubt, sind dem Basse nicht gestattet. Denn so oft die
genannten Verzierungen und Accente gewisse beifolgende und ge-
wöhnliche Begleitungen [oder gewohnte harmonische Gänge] haben,
sd erlaubt man sie meistens allen Stimmen, außer der des Basses;
denn der Baß, als tiefe Stimme und auf entgegen-gesetzte Gesetze
gebaut, hat andere Manieren, als die übrigen Stimmen. Ich sage
entgegen-gesetzte Gesetze [contrari; ordini), denn seine Stimm-
führung ist um so schöner und besser, je mehr seine Bewegungen
sprunghaft sind und weit von einander liegen.
Es werden also dem Basse viele Schritte wohl anstehen, die
den andern Stimmen nicht zukommen. So z. B. kann man wohl
sagen, daß es sein Vorrecht ist, diesen Oktavschritt
; _ ^f p a y # m
zu nehmen, der einer andern Stimme nicht so erlaubt ist. Obgleich
es nun gut scheinen möchte, wenn der Tenor die Möglichkeit
hätte, ihn [den Oktavenschritt auch] zu nehmen, besonders wenn
der Tenor den andern Stimmen als Grundstimme dient, so ist es
doch ein Fehler, ihn zu machen, und zwar ein um so größerer,
wenn besagter Tenor stark singt. Denn oft hört man [die anderen
Stimmen] bei diesen Stellen, wo er herab steigt, um jenen Oktav*
schritt zu machen, garnicht, und das ruft dann eine befremdende
und häßliche Wirkung hervor. Man möge also diejenigen tadeln,
welche bei der Ausführung jene Note, von der sie dann die Oktave
nehmen wollen, mit allzu großer Heftigkeit singen.
Noch will ich bemerken, daß man dem Basse [den obigen
Oktavenschritt] erlaubt, wenn der, welcher ihn singt, alles geschickt
und kräftig genug ausführt. Aber wenn er dazu nicht fähig ist
und nicht die Stimme hat, die es zur Zufriedenheit heraus bringt,
soll er es lieber sein lassen. Übrigens, wenn die Finalis in den
gewöhnlichen Saiten [oder tieferen Tönen] liegt, muß man beim
Fortesingen auf keinen Fall die Oktave bilden. Denn wenn man
sie bildet und die Stimme im Baß ist nicht genügend leistungs-
fähig und kräftig, so bleibt die Musik jener Stimme leer [weil man
nichts hört].
Deßwegen sei bemerkt, daß jeder Sänger diese besondere
Überlegung anstellen muß, daß, wenn er forte singt, er die Noten
singen muß wie der Komponist sie gesetzt hat. Wenn er aber
302 Friedrich Chrysander,
piano singt) so kann ei die Oktaven machen, falls ei sicher ist,
daß sie da gut angebracht sind. Und nun mag er wissen, daß
man sie dann für gut angebracht hält, wenn sie deutlich hörbar
und so beschaffen sind, daß Jeder sie ohne Beleidigung [des Ohres]
anhören und vernehmen kann.
Die Oktavenschritte sind also allen über dem Basse liegenden
Stimmen verboten, und auch der Baß darf sie nicht machen, \fenn
er nicht sicher ist, sie auf das trefflichste und gut machen zu
können. Denn macht man sie schlecht, dann mißfallt es so, daß
kaum etwas widerwärtiger sein und mehr das Ohr beleidigen kann.
Trotzdem wollen aber Viele nicht [zugeben], daß es gut sei, wenn
sie [nämlich die Noten bei A in dem folgenden Beispiele] nicht
so [wie bei B und C] oder durch andere Formeln [accompagnamenti]
ähnlicher Natur begleitet [und damit verändert vorgetragen] werden,
obgleich sie doch nicht so schlicht und einfach sind, daß man sie
als nackt und bloß anerkennen [oder bezeichnen] könnte.^
Hierbei gilt denn mehr der Geschmack, als die schriftliche
Lektion, da man in der Schrift gewisse Beispiele nicht nieder-
legen kann, die sich bei der Besprechung mit der Stimme angeben
lassen. Die Unterstützung durch die Feder kann indeß als ge-
nügend angesehen werden, wenn sie mit ihrer Schrift zeigt und
aufweist, was die Absicht des Schreibers ist.
Hier sieht man nun, daß meine Absicht ist, einige Thorheiten
von Sängern nachzuweisen, die leider gebräuchlich sind. Wenn
ich diese [Fehler] nicht mit der Stimme vormache, so kann der-
jenige, welcher das oben Gesagte nicht recht überlegt, es leider
nicht verstehen.
^ Die Ausdrücke accompagnare und aceompagnafnento bei Zacconi sind durch
»begleiten« und »Begleitung« nicht yöUig wieder zu geben, weil sie damals eine
weitere Bedeutung hatten, als jetzt, indem sie sich auch auf das mehrstimmige
Zusammensingen bezogen und gleichfalls (wie in dem obigen Absätze) auf variirt
vorgetragene Stellen.
Lodovieo Zaoconi als Lehrer des Kunstgesanges. 303
Indeß, nachdem ich nun das alles, was eines Schriftstellers
Pflicht ist. abgethan habe, stelle ich Jedem das Verständniß und
die Einsicht anheim, in der Überzeugung, daß, wenn nicht Alle,
so doch Manche von ihnen so fleißig und scharfsinnig sein werden,
vermittelst meiner Worte das, was ich sagen will, zu erfassen.«
(Fol. 83.)
Dieser Überzeugung oder Hoflnung unsers trefflichen Zacconi
schließe ich mich ebenfalls an hinsichtlich dessen, was ich zur Er-
läuterung der obigen Auszüge beigebracht habe.
304 Friedrich Chrysander,
Über die Komposition der Villanellen.
Als letzte Mittheilung aus dem ersten Bande Zacconi's lasse ich hier
zwei Kapitel folgen, welche ebenfalls mit gesanglichen Verhältnissen zu-
sammen hängen, was die Überschrift freilich nicht vermuthen läßt. Die
Abweichung des Notensatzes der Villanellen und ähnlicher Singsachen
von den Motetten und Madrigalen war mitunter eine so vollständige
und zugleich in ihrer Komposition eine scheinbar so widersinnige,
daß die Erklärung dafür gesucht werden muß, wie Komponisten,
welche in Motetten, Madrigalen und andern Zweigen des höheren
Tonsatzes ihre Meisterschaft hinreichend bewiesen hatten, dazu kommen
konnten, in den Villanellen oft Harmoniefolgen hin zu schreiben, die
wie eine absichtliche Verspottung der Regeln des musikalischen Satzes
aussehen. Zacconi ist, so viel ich weiß, der einzige alte Schriftsteller,
welcher uns diese Erklärung gegeben hat, die aber, wie fast alles
von ihm Geschriebene, bisher gänzlich unbeachtet geblieben ist.
Anknüpfend an das, was im 71. Kapitel (S. 295) über die Ton-
schlüsse gesagt wird, belehrt Zacconi uns nun in
Kapitel 72.
darüber, daß man bei Villanellen und Kanzonetten anders zu ver-
fahren pflegt, als bei Motetten und Madrigalen, wodurch der ganze
Tonsatz und damit auch der Schluß desselben abweichend sich ge-
staltet. Man bildet bei diesen leichteren und einfacheren Gesängen
musikalische Abschnitte, die wiederholt werden, giebt solches auch
durch Zeichen an und folgt dabei den Zeilen und Strophen des Textes,
woraus sich also liedförmige Gesänge ergeben. (Fol. 80^ — 81^).
Nachdem diese mehr elementaren Sachen erledigt sind, läßt der
Autor eine weitere und noch gründlichere Besprechung der Villanellen
in dem nächsten Kapitel folgen, welches ich seiner Bedeutung w^en
hier vollständig mittheile.
Kapitel 73.
Auf welche Weise die Villanellen und andere Schnurren den musUcalisehen
Kegeln widersprechen können und ihnen nicht unterworfen sind. [In che modo
le ViUanelle et aÜre Barzelette possano contradire et non esaer aoggette aüe regoU
MtMxcali.)
»Es giebt Manche, die sich gar sehr wundern und nach dem
Grunde suchen, wie es kommt, daß die Villanellen und die anderen
Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 305
kleinen ähnlichen Sachen ohne Rücksicht auf die principiellen Ver-
bote in 2, 3 odei 4 Quinten, einer nach der andern, unvermittelt
durch Dissonanzen oder unvollkommene Konsonanzen, gesetzt werden.
Diese müssen wissen, daß (gemäß dem Sprichwort) jede Kegel Aus-
nahme erleidet. Aber diese Ausnahme hier läßt als Schluß und
Antwort auch noch das zu, daß man es [durchaus] nicht für un-
passend zu halten hat, wenn bei ähnlichen Arten von Gesängen
sich zwei, drei oder mehr Quinten finden, in Anbetracht, daß es
Kantilenen sind in Nachahmung jener Arien [Aeri), bei denen sich
oline Kenntniß der Musik mehrere Stimmen vereinigen und nun
in natürlichen Konsonanzen zusammen singen: wie wir das alle
Alten von Personen thun sehen, die ein und denselben Vers singen
wollen, den ein Anderer singt, und dabei nun [nach der Lage ihrer
Stimme] die Töne und richtigen Klänge suchen, um ihren Sing-
sang einem wirklich musikalischen Gesänge ähnlich zu machen.
Wir können also annehmen, daß die Musiker, als sie diese Veran-
staltungen sahen, die [ohne musikalische Schulung] nur vermittelst
des Gehörs und der Natur zu Stande kamen, ihrerseits dieselben
auf diese Form gebracht haben.
Denn obwohl man sieht, daß diese Villanellen und die andern
Sächelchen nicht bloße Volksgesänge {aeri) sind, sondern etwas
Musikalisches darstellen und nach musikalischen Regeln gebildet
wurden, so imitirt man bei ihnen, die ich aeri-artig nenne, doch
jene hübschen [ländlichen] Lieder.
Und dabei läßt sich die sonderbare Bemerkung machen, daß
Diejenigen, welche von Musik nichts verstehen und die genannten
Aeri in der Weise von Villanellen singen, keine Acht darauf haben,
nicht bloß zwei oder mehrere Quinten, sondern auch zwei oder
mehrere Oktaven zu machen, weil sie es nicht besser wissen; daß
aber die Musiker, die da wissen, wie häßlich zwei Oktaven hinter
einander wirken, sich darauf beschränken, lediglich die Quinten-
folgen nachzuahmen, weil diese Konsonanzen mehr verdeckt sind
als die der Oktaven.
Und femer ist wahrzunehmen, daß man sich ihrer niemals in
den Kompositionen zu zwei oder zu vier Stimmen, sondern allein
in den dreistimmigen bedient, und zwar in diesen auch, wenn die
Stimmen stufenweise fortschreiten, in Nachahmung der genannten
Stimmen, die sich in ähnlichen Konsonanzen bewegen, aber in den
engen Schritten sonst nicht zu bewegen wüßten, weil sie sich [nur
auf diese Weise von einander] gut begleitet zu sein wissen.
Deßhalb werden wir uns nicht wundern dürfen, wenn die
Musiker bei der Nachahmung jener Gesänge oder Kantilenen in
306 Friedrieh Chiysander,
den stufen weisen Bewegungen zwei odei mehrere Quinten einfuhren ;
sonst könnten sie dieselben überhaupt nicht imitiren. Und wer
mich fragen sollte, weBhalb man sie Villanellen nannte, dem würde
ich antworten, daß man vielleicht gewisse junge Mädchen zusammen
ihre ergötzlichen Verse singen gehört hat mit jenen musikalischen
Accenten, die sie den Versen zu geben pflegen, besonders wenn
sie bei der Arbeit singen: und so hielt man es für das beste, sie
Villanellen zu nennen. Vielleicht auch [kommt der Name daher] ,
daß man die Villanellen singen hörte, wenn die Leute auf den
Feldern bei der Arbeit stehen.
Dies ist also der Grund, warum die Musiker beim Verfertigen
von gewissen Villanellen sich nicht vor Quintengängen scheuen;
denn dann ahmen sie nicht den Gesang der Musiker nach, sondern
verfahren wie diejenigen, welche ohne irgend eine musikalische
Kenntniß singen und nur mittelst der durch das Gehör gefundenen
Konsonanzen zusammen stimmen. Aber in den Villanellen zu zwei
oder zu vier Stimmen gebraucht man sie nicht; denn in den vier-
stimmigen ist es nöthig, Oktaven zu vermeiden, weil sie allzu offene
Konsonanzen sind, und in den zweistimmigen, weil es da die
[Quinte ohne die] Terz ist.««) (Fol. 81.)
Die Villanellen, welche einen so bedeutenden Theil der musikalischen
Literatur des 16. Jahrh. bilden, erhalten hierdurch eine Erklärung,
die man erst dann recht willkommen heißen wird, wenn man sich die
wegwerfenden Urtheile vergegenwärtigt, mit denen diese Gattung bisher
bedacht ist. Selbst ernste und gewissenhafte Forscher machen darin
keine Ausnahme; jeder schneidet den armen Villanellen im Vorbei-
gehen ein unfreundliches Gesicht. Eine gediegene Arbeit von Herrn
Bud. Schwartz über sDie Frottole im 15. Jahrhunderte erschien 1886
in der »Vierteljahrsschrift«^). Gegen Ende dieser Abhandlung be-
rührt der Verfasser auch die Villanellen und sagt: »Vl^ahre Kunstr
werke sind aber die Frottolen im Vergleich zu den späteren Villa-
nellen alla Napolitana, Diese Machwerke entsprechen genau den
Anforderungen, die Cerone an die Frottolen gestellt hat. Gewöhnlich
dreistimmig, hin und wieder auch vierstimmig, bewegen sie sich in dem
primitivsten Kontrapunkt in ganz gewöhnlichen Quintparallelen «. Jede
Vergleichung von Villanell und Frottole, meint er S. 462, werde »so-
fort den Unterschied zwischen der Satzweise der norditalienischen
Frottolisten und der Süditaliener «c erkennen lassen.
^ »0< neüa a dua perche ei h la ierza» steht bei Zacconi, wobei die Worte
welche ich in Klammer gesetzt habe, ausgelassen sein werden.
» Bd. 2, S. 427—466.
Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 307
Es ist zunächst der in der angeführten Beuitheilung aufgerichtete
Gegensatz von Nord und Süd, den wir beanstanden möchten. Nicht
daß den Yillanellen ihr süditalienisches Naturell aberkannt werden
sollte, wohl aber, daß sie maßgebend sein könnten für die Abschätzung
der musikalischen Kunst hüben und drüben. Wer komponirte die
Yillanellen? Waren es solche Stümper, wie man aus den gering-
schätzigen Urtheilen schließen muß? Keineswegs waren sie das, sie
whlten vielmehr zu den anerkannten Tonsetzern. Herr Schwartz
fuhrt von Giovanni Damenico da Nola einige abschreckende Beispiele
an. Nun war aber dieser Nola Kirchenkapellmeister in Neapel und
komponirte geistliche Werke, von denen das erste Buch fünf- und
sechstimmiger Motetten 1575 in Venedig gedruckt wurde. Auch im
Gebiete weltlicher Kunstmusik muß er mit Erfolg thätig gewesen sein,
denn nicht nur publicirte er seit 1545 mehrere Bücher vier- und
fünftimmiger Madrigale, welche, wie jetzt aus Dr. VogeFs Verzeich-
niß zu ersehen ist*], noch erhalten sind, sondern seine Gesänge
wurden auch aufgenommen in viele Madrigal-Sammlungen jener Zeit
und damit ausdrücklich den Erzeugnissen der ausgezeichnetsten Meister
(di diversi excellentissimi mtisici) beigezählt. Und alles das kam nicht
in einem süditalienischen Winkel an's Licht, sondern in Rom und
besonders in Venedig, dem Centrum der damaligen Musik-Publikation.
Auch Nola's Yillanellen erschienen in Venedig und müssen mit
außerordentlichem Beifall aufgenommen worden sein. Die dreistim-
migen »Canzoni Villaneschea, welche 1541 als seine erste jugendliche
Veröffentlichung heraus kamen, wurden 1545 von einem andern
Verleger zweimal nachgedruckt. Noch mehr scheint die 1567 publi-
cirte Villanellen-Sammlung zu drei und vier Stimmen gefallen zu
haben, denn von dieser brachte der Verleger schon 1569 eine neue
Auflage, die ein Konkurrent dann sofort nachdruckte. Jener vene-
tianische Verleger war aber nicht ein obskurer Geschäftsmann, son-
dern einer der ersten Tonsetzer des Jahrhunderts, nämlich der große
Claudio Merulo da Correggio, ein in seiner Bedeutung noch viel zu
wenig erkannter Mann, welcher damals einen eignen Musikverlag
etablirte und auf dem Titel des Nola'schen Werkes ausdrücklich be-
zeugte, daß er es selber korrigirt habe [nuouamente date in luce, et
correUe da Claudio da Corregio), sowie bei der zweiten Auflage, daß
dieses Büchlein von ihm mit aller Sorgfalt neu aufgelegt sei (con
ogni diligentia ristampate). Wäre hinsichtlich des Tonsatzes etwas
Anstößiges darin gewesen, so war Claudio Merulo sicherlich mehr
1 Bibliothek der gedruckten weltlichen Vocalmusik Italiens aus den Jahren
1500—1700 von Dr. Emil Vogel. Band U, S. 22 ff.
308
Friedrieh Chrysander,
befähigt, als wir heute, solches zu bemerken, und auch in der Lage,
es entfernen zu können.
Wir dürfen also Nola mit Recht den beliebtesten Komponisten
jener Zeit beizählen. In dem kleinen lustigen Fache der Villanell-
Kanzone war er offenbar zeitweilig ein tonangebender Meister und
Bahnbrecher. Herr Schwartz konnte daher für seine Proben keinen
besseren finden, als den genannten Autor. Von seinem ersten Bei-
spiel aus Nola's Sammlung lautet der hierher gehörende Vordersatz
(bei welchem ich den u4 moU-SchluBakkord des Druckes in Adnr ver-
wandelt habe):
m
^
t
-^-
^
■^
w-^
f r r I r- (i)j
Auch der Anfangs- und Schlußakkord des zweiten Beispiels ist in
Moll gedruckt, muß aber ebenfalls in Dur stehen:
^■
Ä
■<«>
t=±
m
^^
S
^
t=t
s
1=^
t
Beide Sätzchen sind im Rhythmus wie auch meistens in der harmoni-
schen Bewegung gleich. Wie man sieht, hat Nola hier an Quinten
etwas Ordentliches ausgeschüttet. Dieselben bewegen sich stets in
vollen Dreiklängen und diese müssen durchweg Dur-Dreiklänge sein,
aus den weiterhin angeführten Gründen.
Nola's Villanellen stimmen zu Zacconi's Beschreibung: sie sind
dreistimmig, gestatten sich Quintengänge, vermeiden aber Oktaven. Durch
solche Mittel brachten die Komponisten des sechzehnten Jahrhunderts
den sicherlich uralten ergötzlichen Singsang des rohen Volkes in eine
musikalische Form, wie sie gebildeten Ohren noch erträglich war.
Bei den niedlichen Feldgesängen oder Volksgesängen müssen wir
aber eine derartige musikalische Vorsicht nicht suchen. Diesen
Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 309
Sängern waren künstlerische Rücksichten unbekannt, sie konnten
sich daher auch nur denjenigen Beschränkungen unterwerfen, die in
ihren Tonmitteln und der vorhandenen Situation lagen. Oktaven
wurden hier nicht vermieden , diese mußten ihnen sogar die Haupt-
sache sein. Der Grund und Anfang ihres Singens war eben Ok-
taven-Gesang von Frauen und Männern, denn nur hierdurch konnten
sie die Hauptsache bei allem kunstlosen Zusammensingen erreichen,
nämlich den Vortrag derselben Melodie von sämmtlichen betheiligten
Stimmen, so daß alle mit einander Schritt hielten und in ihren Ton-
folgen sich nachahmend begleiteten; zugleich erzielte man damit die
einfachste, klarste und sicherste Harmonie oder die vollkommenste
Konsonanz, wie die Alten es nannten. Aber wie kam man dann zu der
weiteren Harmonie von Quinten und Terzen? Auf demselben Wege
wie die Oktaven-Harmonie erlangt war, durch Nachahmung der Me-
lodie. Man kann solches schon aus den obigen Beispielen lernen,
die auch noch dadurch bezeichnend sind, daß sie Melodien enthalten,
welche als typische Tonreihen vom Umfange der Terz und der Quarte
in alten Zeiten am meisten gesungen wurden. Der erste von Nola's
zur
Sätzen hat JL = , der andere JL
Melodie. So lange in sämmtlichen Stimmen diese Gänge nachge-
macht werden, entstehen Dreiklang-Folgen und zwar in Dur, weßhalb
die obigen Akkorde auch überall mit dem Dur -Zeichen versehen
werden mußten. Der gebildete Komponist setzte diese Folgen nur
soweit fort, wie die musikalische Wohlanständigkeit gestattete, und
gab dabei der Harmonie zuliebe mitunter die genaue Nachahmung
der Melodie preis, was wir an der Mittelstimme des zweiten Beispiels
sehen, die ßs ff a b singt statt ^« g ah. Aber die ungeschulten Volks-
haufen konnten keine andere Rücksicht kennen, als nur die, in allen
Stimmen gleichzeitig genau dieselbe Melodie anzubringen, da sie mit
dem Verlassen der Melodie ihren einzigen Halt verloren hätten.
Hierbei sang Jeder nach seinem Schnabel. Die tiefen Bässe bewegten
sich eine Oktave unter den oberen, so daß die Oktave in drei Stufen
erklang; die höheren männlichen und die tieferen weiblichen Stim-
men fanden sich in den Kegionen der Tenore imd Alte zurecht;
durch die Oktaven -Harmonie der Bässe und Soprane wurde dabei
das Ganze beherrscht. Betrachtet man jeden Dur-Akkord für sich,
gleichsam als eine unbewegliche Tonsäule, so ergeben sich Terz und
Quinte desselben fast von selbst, weil sie beide, ohne direkt intonirt
zu sein, bereits in der Natur -Harmonie mittönen. Aber in diesen
Mittelstimmen die Melodie halten zu können gegen die stärkeren
3t0 Friedrich Chrysander.
Oktaven oben und unten, erfordert eine Tonstärke von ungewöhn-
licher Kraft und Sicherheit, und die hierin wahrnehmbare Selbständig-
keit des Tonsinnes ist das eigentlich Bemerkenswerthe in dem übrigens
so rohen und wilden Experiment. Denn eine solche Fähigkeit war
nicht von heute auf morgen zu erwerben. Sie deutet auf lange Übung.
Zacconi bekundet daher, trotz seiner ungenügenden Kenntnifi des
Alterthums, historischen Scharfblick, wenn er oben im 23. Kapitel
(S. 261) die Mehrstimmigkeit der antiken Musik überhaupt auf eine der-
artige »natürliche, nicht künstliche« und doch )»anmuthige Harmonie«
beschränkt. Als Bodensatz einer alten Kultur angesehen, dürfte es
für diese Singweise bezeichnend sein, daß sie besonders in jenen
süditalischen Gegenden heimisch war, wo das Griechenthum am
längsten gewirkt hatte und auf seinem Grunde ein neues und eigen-
artiges Volksleben erblühte. Dieses ländliche Singen war nur unbe-
wußt harmonisch, beharrte starr auf der Grundstufe der Harmonie,
konnte daher in dieser Hinsicht auch keiner Entwickelung fähig sein :
der Kern desselben und der alleinige Leiter für die singende Schaar
war und blieb die Melodie. Das ist aber noch ganz der antike
Standpunkt.
Auch ohne sachlichen Anhalt im Einzelnen, lediglich in Berück-
sichtigung der Eigenart dieses Volkes und seiner uralten Weise der
Fröhlichkeit, würde es der Phantasie ein Leichtes sein, sich auszu-
malen, wie die beschriebene Kurzweil in Wirklichkeit gestaltet war.
Ohne Zweifel kümmerte man sich dabei um die Regeln des guten
Anstandes nicht mehr, als um die der musikalischen Fortschreitung,
und das Singen war in Wirklichkeit ein tolles Durcheinander von
Gesang, Tanz, Rede und Gesten: aber alles höchst ergötzlich. Es
ließ sich erwarten, daß die Musiker des Landes einen solchen SpaB
sich nicht würden entgehen lassen, gehörten sie doch zu den Haupt-
lieferanten für die jährliche Faschings-Tollheit. Aber auch in der
übrigen nüchternen Zeit mußten sie, besonders als musikalisches
Kollegium unter sich, um so mehr die Neigung verspüren, alles
Regelwerk durch Abschüttelung zu verspotten, je. stärker sie da-
mals durch den musikalischen Tagesdienst an dasselbe gefesselt
waren. Der Anregung folgend, die wir Zacconi verdanken, können
wir daher wohl verstehen, wie die Musiker des sechzehnten Jahr-
hunderts dazu kamen, diese Quelle der Narrheit in ihr Bette zu
leiten und damit gleichsam über die eigne Kunst sich lustig zu
machen. »Machwerke« waren diese ihre Villanellen- Kompositionen
allerdings, aber Machwerke musikalischer Spaßmacher.
Der Orgelspieler nnd Mnsikgelebrte Johann Valentin
Eckelt, 1673—1732,
nebst Angaben über Beruf und Stellung eines Organisten
zu Wernigerode.
Von
Eduard Jacobs.
Auf J. Val. Eckelt als Meister der Tonkunst und musikalischen
Schriftsteller hat zuerst E. L. Gerber in seinem Lexikon der Ton-
künstler I, Sp. 372 — 374, Leipzig 1790, hingewiesen, und was G. W.
Fink (Ersch und Gruber I, 30, 455, Leipzig 1837), FetiSj Biogr. uni-
ters, Illf 113 f., Paris 1868 f. und Mendel-Reißmann, Mus. Convers.-
Lex. 3, 320, Berlin 1880, bringen, geht darauf zurück, bringt wenig-
stens nichts neues hinzu. Nun ist aber Gerber's Auskunft nicht nur
eine unzulängliche, sondern seine Angaben bedürfen auch mehrfach
der Berichtigung. Eckelt's musikgeschichtliche Bedeutung ist aber
groß genug, um einige nähere Nachricht über ihn nicht unnütz
erscheinen zu lassen. Freilich vermögen wir auch nur das zu bieten,
was sich aus wemigerödischen Quellen und einigen auswärtigen Er-
kundigungen gewinnen ließ.
Die Eckelt stammen aus dem sangesreichen Thüringerlande.
Ein Jeremias Eckelt war in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts
Bürgermeister in Ohrdruff. Als Eckelt und Eckholt finden wir den
Familiennamen in demselben Jahrhundert auch in Gera und Leipzig
vertreten^. Aber Joh. Valentins unmittelbare Vorfahren saßen wohl
schon im 16. Jahrhundert^ in dem alten zur Grafschaft Gleichen
1 Vgl. yersehiedene Leichpredigten von 1646 an auf derFürsÜ. Bibl. zu Wem.
Die Leipziger Eckolts stammen freilich, wenigstens theilweise, aus dem Öster-
reichischen: Steier, Wels u. s. f.
3 In dem großen Sterbejahre 1638 stirbt am 8. Sept. eine Catharina Eckelten
in Wemingshansen nach dem dortigen Kirchenbuche, fast bey 70 Jahren.
312 Eduard Jacobs,
gehörigen, in Folge eines Vergleichs von 1621 zehn Jahre später an
die Grafen von Hohenlohe gelangten Dorfe Wemingshausen bei
Erfurt, das als ein abgesprengtes Stückchen Land unter Sachsen-
Gotha'scher Hoheit steht.
Von dem urdeutschen Rufnamen Agiovald (7. Jahrh.), Eggiold
abgeleitet erscheint nicht nur im Werningshäuser Kirchenbuch vor-
herrschend, sondern vereinzelt auch noch in Wernigeröder Quellen
der Familienname als Eckolt^ Des Musikers Voreltern mütterlicher-
seits, die Caps, waren in gleicher Weise eine schon lange im Dorfe
gesessene Familie 2.
Geistig geweckt und an ihrem Orte angesehen müssen die Eckelts
gewesen sein. Georg Ludwig Eckelt, der im Jahre 1676 verstarb,
vermuthlich Joh. Valentins Oheim, war Vogt oder Amtsverwalter,
das heißt Vertreter der damaligen Landesherren in Gerichtssachen,
zu Werningshausen 5, der Vater aber, Johann Eckelt, von 1667 — 1675
Schulmeister daselbst. Ihm wurde nun anfangs Mai des Jahres 1673
von seiner Ehefrau Elisabeth der uns hier beschäftigende Sohn ge-
boren und am 8. d. M. getauft, wobei er nach zwei Pathen die
Namen Johann und Valentin beigelegt erhielt*. Da er schon als
Kind im zweiten Lebensjahre am 19. Januar 1675 seinen Vater verlor
und dem neunjährigen am 2 1 . Juni 1682 auch die Mutter durch den Tod
entrissen wurde ^, so konnte nur die letztere seine früheste schulmäßige
Unterweisung leiten, während nachher Vormünder und Gönner der
Eltern Stelle vertreten mußten. Wir dürfen nun aber aus dem Um-
stände, daß der früh Verwaiste sich eine gründliche Schulbildung
aneignete, auch einen Rückschluß auf sein kräftiges geistiges Streben
thun. Da Gerber, dem umfangreiche Aufzeichnungen von Eckelt's
Hand zu Gebote standen, ausdrücklich sagt, derselbe habe in seiner
Jugend zuerst die Schule zu Gotha besucht, wo er sowohl die Wissen-
schaften überhaupt, als im besonderen Musik getrieben und diese
Studien darauf in Erfurt fortgesetzt habe, so müssen wir, bis auf
1 Joh. Eckolt und Elisabeth Caps, getraut den 6. Okt. 1669, Auszug aus
dem Kirchenbuch, gleich den übrigen gütigst mitgetheilt von Herrn Pfarrer E.
Lachmann, Wemingshausen 26. Okt. 1891.
2 In dem erwähnten großen Sterbejahre wurde auch am 1. Juni »Martha
Capsen, an die 80 Jahre alt« dahingerafft.
3 Nach gütiger Mittheilung des Herrn Pfarrers Lachmann.
* Hans Valentin, Johann Eckelts, Schulmeisters Sohn. Die Pathen: Herr
Valentin Fröschel, Hans Schwartznau, Anna Margarethe, Herrn Voigts (etwa des
Vogts Georg Ludw. E. ?) Tochter, den 8. May 1673. — Gerber Sp. 373 läßt ihn
gegen Ende des 17. Jahrh., Fink a. a. O. kurz nach dem Jahre 1680, F6tis gegen
1690, geboren werden.
^ Nach dem Kirchenbuch.
Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt 3|3
weiteren Nachweis an dieser Reihenfolge festhalten, obwohl dem
Knaben und Jünglinge die letztere Stadt nicht nur näher lag, son-
dern auch Gotha es ist, wo wir später dem vierundzwanzigjährigen
begegnen.
Damals, das heißt gegen den Mai 1697, hatte Joh. Yal. nicht
nur seine gute wissenschaftliche Vorbildung bereits hinter sich, er
war auch schon ein die Bewunderung von Fachmännern erregender
Meister in der Kunst des Orgelspiels. Aber er hatte sich auch be-
reits als Tonsetzer versucht, denn einen Monat später bezeichnet er
sich selbst als componista^. Jene Meisterschaft im Orgelspiel läßt
bestimmt voraussetzen, daß er sich darin von Kindesbeinen geübt
und Liebe und Verständniß dafür schon aus seinem Heimatsdorfe
mitgebracht hatte. Dürfen wir die Nachricht, daß seit 1661 eine
O^el im Gebrauche war^, so verstehen, daß sie erst damals eingeführt
wurde, was auch an und für sich sehr wahrscheinlich ist, so ist auch
anzunehmen, daß in jener älteren Zeit Joh. Valentins Vater als Lehrer
zugleich die Orgel zu spielen hatte. So erklärte sich's denn um so
mehr, wie des Lehrers Sohn durch lange Uebung zum Meister wurde.
Im Besitze dieser Meisterschaft, nicht als Lehrling oder Geselle,
begab sich J. Val. im Frühling des genannten Jahres auf die Wan-
derschaft. Seine Absicht soll dabei gewesen sein, sich und seine
Talente bekannt zu machen 3. Das mag ihn mit bewogen haben,
aber aus seiner eigenhändigen Angabe können wir noch auf einen
anderen in der Zeit liegenden idealeren Zweck seines Unternehmens
schließen. Nach seiner eigenen Angabe trat er im April oder Mai
1697 eine für damalige Verhältnisse nicht ganz kleine Reise von
Gotha nach Hamburg an^. Bekanntlich war nun aber die alte
Hansestadt damals, dank den Bemühungen des rechtskundigen Sena*
tors Gerh. Schott, der Sitz eines außerordentlich regen musikalischen
Lebens. Und während sich hier ein weltberühmtes Operninstitut
befand, wirkte in der nicht weit entfernten Schwesterstadt Lübeck
der gefeierte Buxtehude, der erste Meister im Orgelspiel. So ist es
denn bei Eckelt ebenso wie acht Jahre später bei seinem jüngeren
Zeitgenossen und Landsmann Joh. Seb. Bach eine Kunstreise zur
Erweiterung seiner musikalischen Kenntnisse und Erfahrungen, zu
der er sich aufmacht.
1 Wernigerode, 9. Juni 1697 Jean Val. Eckelt, org. et comp. Vgl. Organisten-
Bestall. in der Stadt Wern. B. 46, 2. Fürstl. H.-Arch.
2 Sim. Schlierbach (s. 1826 Lehrer in Wemingshausen), Geschichtliche Nach-
richten über Wem. 32 S. 80, Erfurt (1841) S. 25.
3 Gerber Sp. 373.
* Wernigerode, den 9. Juni 1697. F. H,-Arch. B. 46, 2.
1893. 21
314 Eduard Jacobs,
Da erhält er unterwegs die Nachricht, dafi zu Wernigerode, wo
seit einem Jahre der durch seine musikalischen Kenntnisse und Be-
strebungen berufene Dr. Heinr. Greorg Neuß an der Spitze des
Kirchenwesens stand, eine Organistenstelle erledigt sei. Das ver-
anlaßte ihn, sich bei Neuß zu melden. Dieser wies ihn an den Mag.
Joh. Bodinus, Pastor der verbundenen Kirchengemeinden zu Unser
Lieben Frauen und S. Theobaldi, bei denen eben die durch des Orga-
nisten Oswald Bodinus, Sohnes des Pastors, Ableben frei gewordene
Stelle zu besetzen war. Nächst dem Pastor hatte er die Kirchväter
der Gemeinde, endlich den regierenden Büi^ermeister aufzusuchend
Bei allen diesen Besuchen scheint Eckelt einen guten Eindruck
gemacht zu haben, und so wurde er alsbald auf den 21. Mai zur
Ablegung einer Probe seiner Kunst in der Hauptkirche beschieden 2.
Diesen Ausweis über seine Kunst hatte er aber nicht allein beizu-
bringen, sondern in der kurzen Frist seit des vorigen Organisten
Ableben hatten sich mehrere Mitbewerber eingefunden. Der eine
war ein völlig gleichaltriger Heinrich Genzel, der sich nicht bloß auf
seine Kunst, sondern daneben so sehr als geborner Nöschenröder auf
den Nativismus seiner Landsleute verließ, daß er seine Organisten-
stelle in Zilly au%egeben und nun bereits vier Wochen, ohne amtlich
dazu aufgefordert zu sein, den Organistendienst zu U. L. Fr. versehen
hatte. An Tüchtigkeit übertraf ihn ein geborener Derenburger
Heßling. Dazu kamen noch zwei weitere Bewerber aus Braunschweig
und Blankenburg.
Der genaue Bericht, den der Superintendent Neuß dem Grafen
Ernst zu Stolberg über diese Organistenprobe abstattete, verdient es
wohl, daß wir das Wesentliche daraus wörtlich mittheilen. NeuO
schreibt :
»Als nun der Tag zur Proba angestellet war, ging ich nebst
Hern Mag. Bodino zur Kirchen, nahm auch den Hern Capellan mit,
als einen erfahrnen Musicum^. Der Herr Cantor^ nebst dem Or-
ganisten SS. Sylv. und Georgij^ waren auch da, sammt den sym-
1 Wernigerode, den 9. Juni 1697. F. H.-Arch. B. 46, 2.
*^ Da am 28. Mai 1697 Geschworene, Kirchenvorsteher und Gemeinde zu
Nöschenrode in einem Schreiben an den Grafen Ernst von der Hauptkirche reden,
so scheint es, als müsse man an die U. L. Frauenkirche der Nebenkirche zu S.
llieobaldi gegenüber denken. In einem Aktenstück A» conaist., wegen der Anstel-
lung der Organisten zu Wern. F. H.-Arch. B. 46, 2 wird aber die Oberpfarr-
kirche (um 1738) als die Hauptkiiche bezeichnet
8 Chr. Friedr. Gutjahr.
* Andr. Mart. Bötticher.
^ Just. Christoph Sumburg.
Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin £ekelt. 315
phoniacis^; auch hatten sich aus dem Noschenrode und der Lieb
Frauen Pfarre unterschiedlich aufmerker mit eingefunden. Senatus
aber hatte zweene deputirte geschikket. Als nun Ich mit Hern M.
Bodino kam, hatte der gedachte Gänzel bereits die Organisten-Bank
Yon selbst eingenommen, ohne meine anordnung. Ob vielleicht
deputati vom rath ihn darzu bevollmächtiget, weiß nicht. Ich
ließ es aber also geschehen und machte die Anstalt, daß ein jeder
sich solte hören laßen 1. in einem praeambulo, 2. Mit einem Teut-
sehen alten liede, welches einem jeglichen angesagt wurde, 3. in
dem General-Basse, 4. In einem Themate* oder Fuge, welches ihnen
von mir vorgeleget ward. Der gedachte Gänzel machte sein praeam"
hulum und das teutsche Lied populariter hin. Als aber der General-
Baß vorgeleget ward, der doch gar leicht war, mußte ihm vom Hern
Cantore vielfaltig eingeholfen werden; so machte er auch keine
einige Signatur mit, sondern machte es aufs allerschlechteste. Von
dem Themate aber zuletzt konnte er fast gar nichts ins geschikke
bringen. Drauf wurde der Gotische ^ gerufen; der machte sein prae-
amhulum nach künstlich-gebrochner Art sehr wol. Das alte Lied:
O Herre Gott begnade mich, war ihm anselbst unbekand. Drauf
wurde ihm die Tabulatur vorgeleget; welche er nicht ohne Verwun-
derung machte. Den General-Baß tractirte er aufs netteste, alle
Signaturen exprimirte er aufs deutlichste, verfehlete nicht des aller-
geringsten punctes, daß ihm nicht mit dem geringsten dorfiPte einge-
holfen werden, ob das Stük zimlich schwer war. Das vorgeschriebene
Thema resolvirte der Mensch so wol und promt, daß je länger er
spielte, je lebendiger alles ward, so daß sie sich alle verwunderten
und höchst content waren, absonderlich die Musicverständige. Nach
diesem ward der von Braunschweig gefedert, welcher aber sehr
schlecht war. Endlich ward gerufen Heßling aus Derenburg, welcher,
wie ich meine, derzeit zu Drübek sich aufhält; der war auch ziem-
lich fertig, übertraff den Gänzel in allen stükken ziemlich weit, aber
an den Gotischen langete er bey weiten nicht; der von Blankenburg,
weil er noch zu jung, ward nicht mitgeruffen zur probe.a
Nach diesem musikalischen Wettkampf traten Neuß und Bodinus
mit den Abgeordneten des Raths auf dem Schülerchore zusammen.
Neuß gab seine Meinung dahin ab, daß Eckelt die andern bei weitem
übertreffe, daß nächst ihm Heßling der beste sei; auf diesen folgten
Genzel und der Braunschweiger. «Ich gebe also«, erklärte Neuß
^ Die vier Stadtmusikanten Job. Dietr. Eggerding, Joh. Balth. Hintse, Joh.
Kiß und Alb. Hintse. Hanzeitsehr. 24. S. 3S0 Anm. 5.
2 Eokelt.
21
•
31 ß Eduard Jacobs,
gegen den Grafen, »mein votum deme, der der beste wäre, damit
man rechte Leute ins Land brächte.« Bodinus war durchaus mit
ihm einverstanden und äußerte, daß er des Superintendenten Spruch
als sehr wahr erkenne. Auch -die Vertreter des Raths stimmten zu,
berichteten in diesem Sinne, und der Bath blieb bei dieser Meinung.
So wurde denn Eckelt schon tags darauf in sein Amt eingeführt und
versah dasselbe während der pfingstlichen Feiertage ^
So schien alles in bester Ordnung, der neue Organist war von
der obersten kirchlichen, den Grafen vertretenden, wie von der
städtischen Oberbehörde anerkannt und in sein Amt eingewiesen,
das durch ihn an einen der tüchtigsten gelangt war, die es je be-
kleideten. Aber es war bei der Prüfung das Herkommen nicht genau
beobachtet. Zwar entsprach es demselben, daß der Superintendent
mit dem Pfarrer und Vertretern des Raths dabei betheiligt waren.
Ebenso war die Herbeiziehung von Sachverständigen, insbesondere
der Stadtmusikanten, so natürlich als gebräuchlich 2. Endlich hatten sich
auch interessirte aufmerksame Zuhörer aus der Gemeinde nach
Wunsch betheiligen können und auch wirklich eingefunden. Aber
es war Herkommen, so beispielsweise 1635 bei der Bestellung des
Organisten in der Neustadt, daß erst auf die Wahl des Geistlichen
und der ELirchväter der Organist angenommen und vom Magistrat
bestätigt wurde ^. Auf diese Betheiligung der Kirchväter bei der
Kür oder Wahl war nicht die gebührende Rücksicht genommen ;
besonders wies daher auch der Kanzleidirektor Martini darauf hin,
daß die Nöschenröder Gemeindevertretung, weil der Organist zu U.
L. Frauen auch von dieser einen Zuschuß erhalte und in der S.
Theobaldikirche zu spielen habe, ordentlich habe eingeladen werden
müssen und daß diese Pflicht zunächst dem Pastor der verbundenen
Gemeinden, Mag. Bodinus obgelegen habe^.
Aber dieser Formfehler hätte nicht viel zu bedeuten gehabt,
wären damals nicht schon seit einer Reihe von Jahren die Gemüther
in Wernigerode so aufgeregt gewesen. Immer aufs Neue gab es
damals gegenseitige Klagen zwischen der Stadtverwaltung und den
Bürgern, die so weit gediehen, daß der Kurfürst von Brandenburg
einmal den ganzen Rath absetzte und einen neuen erhob, dann dem
1 Neuß an Gr. Ernst 2u St. Wem. 1. Juni 1697. Bestall, des Organ, lu
U. L. Fr., B. 46, 2.
^ "Wie die Organisten die Probe geschlagen, sind von Baths wegen die
Musicanten dazu gebeten; so sind verzehrt 3 Gld. 12 Gr. E.. Rechn. Vgl. auch
Delius, Marienkirche. Wem. IntelL-Bl. 1832, S. 152.
3 Vgl. z. B. bei der unten abgedruckten Dienstanweisung am Schluß.
* Wem. 5. Juni 1697 B. 46, 2.
Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt .317
ersteren wieder feierlich Genugthuung geben ließ. Und was die
Aufregung dauernd noch erhielt^ war der Umstand, daß über diesen
Streitigkeiten der Kurfürst das wichtigste Besitzstück der Stadt,
Hasserode, im Jahre 1694 erst unter sein Sequester gestellt, dann
aber ihr abgenommen hatte.
Als nun Unzufriedene aus der Liebfrauengemeinde die Bestätigung
Eckelt's zum Organisten in rücksichtsloser Weise dem Bathe als Ge-
walttbat, Anmaßung und »Obtrudirung« vorrückten, blieb dieser seine
Antwort in der gleichen Tonart nicht schuldig. Und indem er auf
das anspielt, was die Stadt durch diese Angriffe auf die eigene
ordentliche Obrigkeit erst kürzlich verloren hatte, erinnert er die
trotzigen Beschwerdeführenden daran, es sei vielmehr ihre Pflicht
gewesen, des Baths Becht und Gerechtigkeit, das schon von andern
genug gekränkt sei, gegen andere zu vertreten, statt sie anzutasten.
>Eure von alters hergebrachte gerühmte^ befugnisse ist eine eitele
Einbildung, liebkosung und schmeicheley, würdet auch, wenn die
schnöden affecten Euch nicht verblendet, wohl davon stille geschwiegen,
zurücke gelaßen und deßen gar nicht erwehnet haben.« Den Klägern
wird aus dem Bechte gründlich heimgeleuchtet und ihnen ernstlich
anbefohlen, sich ihrer Anschuldigungen zu enthalten und das » Zu-
sammenlaufen <r einzustellen, über des Baths wohlerwogenes Verfahren
nicht zu klügeln oder gewärtig zu sein, daß man solch Exempel
statuiren werde, daß sich andere daran spiegeln sollen. »Habt euch
hiemach zu achten und vor Schimpf zu hüten v. Hatten sich hier
Bürger aus der Liebfrauengemeinde bei ihrem Bathe beschwert, so
thaten es am 28. Mai Geschworene, Kirchen Vorsteher und sämmtliche
Gemeinde zu Nöschenroda beim Grafen Ernst und klagten, daß
Superintendent und Bath Eckelt zum Organisten bestellt und ihm
beide Kirchen zu U. L. Frauen und S. Theobaldi anvertraut hätten,
während von ihnen, den Nöschenrödern, ihr Bürgerssohn Genzel ge-
wählt sei. Die Wahl Eckelt's bestehe nicht zu Becht, da beiden
Gemeinden die Kür des Organisten zustehe. Sie behaupten sogar,
der candidatus (Eckelt) habe nicht ^prcestanda preestirü und sei daher
zu der Bedienung nicht fähig ; keine Gemeine sei mit ihm zufrieden ;
sie hätten Dr. Neuß gebeten, sie bei ihren Bechten zu lassen und
beim Bath Verwahrung eingelegt. Der Graf solle die Sache ans
Consistorium verweisen, auch den Bath nach Befinden vorfordern.
Es sollten die Kandidaten nochmals zur Probe vorgefordert werden
und sollen dann der Bath und die Gemeinden ihre Stimmen abgeben.
statt hergebrachtes gerühmtes.
3J[g Eduard Jacobs,
Sie könnten die Oigel zu S. Theobaldi, die der Gemeinde viel ge-
kostet, nicht duich einen »Unverständigen yerderben lassenc^
Tags darauf beauftragte der Kanzleidirektor den Pastor Bodinus,
darüber zu berichten, wie es früher bei der Annahme eines Organisten
gehalten sei. Hodinus spielte hierbei keine vortheilhafte Rolle. Bei
der Probe hatte er Eckelt unbedingt seine Stimme gegeben. Hin-
terher übernahm er, wie NeuB einigermaßen entschuldigend dem
Grafen erklärt — )»dazu forciretc die Führung der Unzufriedenen.
Den früheren Brauch bei den Organistenwahlen berichtet er dem
Kanzleidirektor im Allgemeinen richtig. Wenn er aber dabei wieder-
holt hervorhebt, die früheren Organisten seien nicht aufs Rathhaus
citirt, so versichert Neuß dem Grafen der Wahrheit gemäß, daß dies
auch bei Eckelt nicht geschehen sei.
Wie sehr es das wilde Parteiwesen war, das bei der Wahl Eckelt's
zum Vorschein kam, und daß der Rath nicht umsonst den Protesti-
renden anbefohlen hatte, sich des «Zusammenlaufens« zu enthalten,
erfuhr Martini aus dem Munde des Nöschenröder Geschworenen, den
er zu sich beschieden hatte. Dieser berichtete : die Kirchenväter und
Sechsmannen in der Stadt trieben sie an, wider den Organisten
(Eckelt) zu sein. Sie, die Nöschenröder, wollten es aber der gnädigen
Herrschaft überlassen. Die Sechsmannen berichteten ganz entgegen
dem Superintendenten, daß der neue Organist soUte »ein teuschs lied
spielen können«. Wegen Eckelt^s Befähigung befragte Martini den
Organisten der Oberpfarrkirche auf sein Gewissen, worauf dieser ver-
sicherte, der angenommene Organist habe am besten bestanden^.
Eine kurze Zeit blieben die Nöschenröder bei ihrem Widerstand.
Sie hatten vorübergehend die Absicht, ihrem Landsmann Genzel allein
den Dienst an der Theobaldiorgel zu übertragen und solle er daneben
noch eine Schule anfangen. Daraus konnte freilich kaum etwas
werden, weil sich aus einem Briefe, den dieser am 23. Mai an NeuB
richtete, ergab, daß es mit seiner Rechtschreibung, Stil und Ge-
dankenverbindung sehr übel bestellt war. Am 9. Juni — achtzehn
Tage nach seiner Bestallung — klagt Eckelt, die Nöschenröder Orgel
sei ihm verschlossen geblieben. Ohne seine Schuld habe er dieser-
halb verschiedenes dulden müssen. Man möge die Nöschenröder
anhalten, ihm die Orgel zu öffnen und ihn für ihren Kirchendiener
anzunehmen und zu lohnen.
1 Wern. 27. Mai 1697 Bargerm, und Kath H. Bodinen, Christoff Reselem,
Andres Runde, Christoff Bode, H. Hans Wilh. Randolff, Andres Hildebrand, Hana
Müller. B. 46, 2.
2 Martini 5. Juni 1697.
Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin EckeU- 319
Dieser Widerstand der Nöschenröder dauerte aber jedenfalls
nicht lange. Des unbeabsichtigten Formfehlers wegen kam man
den Widerstrebenden soweit entgegen — wenigstens empfahl dies
der Kanzleidirektor unterm 5. Juni — daß dem Rath und Superin-
tendenten angedeutet wurde, bei künftigen Organistenwahlen auch
die Vertreter der Gemeinden zur Prüfung und Wahl dem Herkommen
gemäfi einzuladen.
So widerwärtig aber auch die Verhältnisse sein mochten, unter
denen Eckelt sein Amt in Wernigerode antrat, so besserten sie sich
doch bald und schlugen zu- seiner großen Befriedigung in das Gegen-
theil um. War doch er selbst ganz unschuldig an dem Hader zwi-
schen Rath und Gemeinden, der vielmehr in den angedeuteten Ver-
hältnissen der Verwilderung des damaligen Geschlechts seinen Grund
hatte, nicht zuletzt auch in der Abneigung gegen Eckelt's Gönner^
den erst im Jahre yor seiner Bestallung nach Wernigerode berufenen
» Pietisten c Neuß.
Für seine musikalische Kunst fehlte es Eckelt nicht an mannig-
facher Anregung. Jede der drei städtischen Pfarrkirchen hatte ihren
besonderen Organisten und als Leiter des kirchlichen Gesanges je
einen Lehrer der Latein- und Oberschule, zu S. Silvestri den Kantor
Andr. Mart. Bötticher, zu U. L. Frauen den Konrektor. Für ihre
Kirchenmusik und besonders für ihre Orgel haben die Wemigeröder
seit der Kirchenemeuerung manches Opfer gebracht. Auch die zu
Eckelt' s e^entlichen Studien gehörenden Fragen nach der Stimmung
der Instrumente und den Tonintervallen beschäftigten damals die
Musikfreunde in Wernigerode und Nachbarschaft. Zwar war Christoph
Albert Sinn, ein Schriftsteller auf diesem Gebiete, noch bei jüngeren
Jahren, aber Neuß selbst war bei dieser Frage sehr interessirt. In
dem benachbarten Halberstadt wirkte einer der größten Meister im
Orgelspiel, Andreas Werkmeister, und drei Glieder dieser Familie,
von denen eins Küster zu U. L. Frauen wurde, zogen ziemlich
gleichzeitig mit Eckelt in Wernigerode ein^ Neben dem Superin-
tendenten war der Diakonus an der Oberpfarrkirche Chr. Friedr.
Gutjahr ein Freund und Kenner der Musik. Die Stadtmusikanten,
die zur Erhöhung des kirchlich-musikalischen Gottesdienstes heran-
gezogen wurden, erfreuten sich in außerordentlicher Weise der Gunst
* Sam. Wolfg. W. aus Quedlinb., der 1693 Bürger wurde, war Advokat, ein
Amt, das öfter mit dem des Organisten verbunden war. Im Jahre 1701 nehmen
in der Gemeinde, bei der E. wirkte, folgende 3 Mitglieder der Fam. Werkmeister
am h. Abendmahle theil: Joh. Diederich W. 23. Janaar; Samuel Wolf W. und
Frau 20. Febr., David Christian W. 27. M&rz. Von 1704—1724 war letzterer
Küster an der Eirche.
320 Eduard Jacobs,
des Hüters der kirchlichen Angelegenheiten. Denn kaum läßt sich
in unseren Quellen ein zweites Beispiel dafür beibringen, daß sich,
wie Neuß es zu Eckelt's Zeit that, der Superintendent dieser
Leute warm annahm und sich für sie beim Grafen verwandte^.
Eckelt's nähere Beziehungen zu den Musikanten sehen wir beispiels-
weise darin angedeutet, daß er bereits am 15. März 1698 dem ersten
derselben Joh. Dietr. Eggerding eine Tochter aus der Taufe hebt 2.
Wenn zu jener Zeit ohne des Superintendenten Zustimmung der
Rath die Gurrende vermehrte^, so zeigt sich darin zwar eine Rück-
sichtslosigkeit gegen den Oberhirten ; wir erkennen aber doch daran
zugleich, daß kirchliche wie geistliche Spitzen in der Stadt an Gesang
und Spiel der Instrumente ein lebhaftes Interesse offenbarten.
An keinem fand Eckelt aber doch mehr Anhalt, keiner zeigte
für Eckelt's Kunst ein solches Verständniß, wie sein Gönner NeuB.
Dieser war bekanntlich nicht nur ein Dichter, sondern auch Sänger
geistlicher Lieder und Tonsetzer. Für die Orgel interessirte er sich
aber mehr, als für irgend ein anderes Instrument und ließ sich selbst
eine Hausorgel bauen. Wie innig sich aber auch Eckelt seinem
Beförderer und Strebensgenossen zu Danke yerbunden fühlte, bewies
er beispielsweise durch die zarte Aufmerksamkeit, daß er zu einem
Besuche von Neußens Schwiegervater dem Braunschweiger Superin-
tendenten Dr. Ermisch im August d. J. 1700 eine Bewillkommnungs-
musik komponirte und mit den Stadtmusikanten ausführte^.
Wenn nun so der innigste Bund zwischen dem Organisten, den
Stadtmusikanten und Kantor und dem kirchlichen Gesänge stattfand
und dieser Bund eine solche Frucht zeitigte, daß damals Wernige-
rode durch seinen kirchlichen Gesang andern Gemeinden weit und
breit vorleuchtete, so ist das in doppelter Hinsicht bemerkenswerth,
erstlich insofern wir an diesem Beispiele sehen, daß die Pflege der
kirchlichen Instrumentalmusik, und zwar innerhalb der Kirche,
keineswegs die Blüthe des kirchlichen Gesangs ausschließt, daß sie
vielmehr Hand in Hand gehen können und sollen, sodann aber weil
wir daran sehen, daß nicht der Pietismus als solcher, besonders nicht
der Spenersche, die Verkümmerung der Kirchenmusik zur Folge
haben mußte, sondern nur eine einseitige Richtung in demselben.
Neuß war ein' echter und treuer Vertreter der kirchlichen Neu-
belebung im Sinne seines Freundes Spener.
1 VergL Harzzeitachrift 24, S. 380.
2 Kirchenbuch zu U. L. Frauen.
8 Gravamina des Superint Neuß wider den Rath 1697 f. B. 62, 9. F. H.-
Ar eh.
* HarzzeitBchr. 24. S. 381.
Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt. 321
Sehen wir auf die äußere Stellung Eckelf s, so war es zwar ge-
schichtlich begründet, daß in Wernigerode wie anderswo der Orga-
nist unter dem Kantor stand, aber es kam gerade bei ihm viel auf
die einzelne Person an. Verschiedene wernigerödische Organisten
waren studirte Leute, so Eckelt's Vorgänger Bodinus; sie waren
mehrfach Notare. Das Gehalt wurde wenigstens bei seinem Mitbe-
werber und Nachfolger Heßling 1717 auf 47 Thlr. 22 Gr. berechnet.
Davon zahlten die Kirchenväter zu U. L. Frauen 28 Thlr., 1 Thlr.
4 Gr. Holzgeld, 8 Gr. für den in Wegfall gekommenen Kirchen-
schmaus. Aus der Rathskämmerei erhielt er 12 Thlr. 18 Gr., aus
der S. Theobaldikirche 1 Thlr. 4 Gr., aus der Nöschenröder Gemeinde
4 Thlr. 12 Gr. Dazu kommen noch 15 Malter Holz, die sich der
Organist selbst musste anfahren lassen.^
Da ein solches Gehalt, zumal wenn der Organist eine Familie
zu ernähren hatte, für den Lebensunterhalt nicht zulangen wollte, so
wurde verschiedener Nebenverdienst gesucht. Und da eine Thätigkeit
als Advokat nur von den studirten Juristen geübt werden konnte,
so erwarb man sich durch Tafelmusik etwas zu. Auch hatte der
Oi^anist bei Hochzeiten, zumal Brauerhochzeiten, seine bestimmte,
durch freiwillige Geschenke wohl gemehrte Einnahme. Eckelt's Vor-
gänger Andr. Homung (1644 — 1687) verdiente sich — wie sehr ge-
wöhnlich die damaligen Organisten — etwas durch das Schreiben
von Hochzeits- oder Brautbriefen, 1 Groschen für das Stück.
Wenn aber bereits erwähnt wurde, daß die Wemigeröder sich
von der Reformationszeit an ihre Orgeln viel kosten ließen, so wandte
sich naturgemäß auch ihrem Organisten das Interesse der Gemein-
den zu. Es ist schon von anderer Seite daran erinnert worden, daß
Eckelt's Gemeinde für ihren Organisten mehr ausgab, als für jeden
andern kirchlichen Beamten, die Geistlichen nicht ausgenommen. ^
Es kommen auch Stiftungen für Orgel und Oi^anisten vor, so zu
U. L. Frauen von dem um 1585 verstorbenen Bürgermeister Hans
Ebbrecht, der 100 Gulden Hauptgeld und 5 Gulden Zins dazu aussetzte.^
E. hatte zwei Kirchenorgeln zu bedienen. Die in der Haupt-
kirche zu U. L. Frauen reichte bis in's 16. Jahrh. zurück^, war aber
^ Ada eonsistf Dqt Organisten zu Wem. Anstellung und Gehalt B. 46, 2.
F. Arch., Vgl. auch Delius, Marienkirche S. 66 — 68.
2 Daselbst. S. 63.
8 Ebendas. S. 66.
^ Weffen des Untergangs der älteren Kirchenrechnungen wissen wir über die
frühesten Orgeln u. Organisten zu U. L. Frauen wenig. Der erste uns bekannte
Organist ist hier 1583 Thom. Ulrich. Delius, Marienkirche S. 68.
322 Eduard Jacobs,
in den Jahren 1605 und 1606 durch Beschaffung eines neuen Rück-
positivs von 9 Stimmen und 6 neuen Blasebälgen fast vollständig
erneuert worden. Ihr Meister war Nikolaus von Nordhausen. Die
Kosten betrugen rund 549 Gulden. Schon im Jahre 1619 war eine
Besserung nöthig geworden; 1650 musste eine größere vorgenommen
werden, wobei wieder über 208 Gulden aufzubringen waren.
Die andere Oigel, auf der E. bei den Nebengottesdiensten zu
spielen hatte, war die zu S. Theobaldi. Es war die erste in diesem
Gotteshause. Zwar hatten die Nöschenröder, die eines solchen In-
struments beim Gottesdienste nicht gern entrathen mochten, sich im
Jahre 1596 wegen Beschaffung eines Positivs an den Grafen Wolf
Ernst gewandt ; es scheint aber der Wunsch damals nicht in Erfüllung
gegangen zu sein. Zwischen 1650 und 1652 erreichte man aber durch
ansehnliche willige Opfer das gewünschte Ziel. Samuel Herold
lieferte das Werk, das, vielfach gebessert, noch heute vorhanden ist
und auf welches bei seiner Beschaffung in ziemlich kümmerlicher
Zeit, abgesehen von der Verpflegung von Meister und Gesellen, über
278 Thaler verwandt wurden. Im Jahre 1671 wurde eine nöthig
gewordene Verbesserung daran vorgenommen.^
Über die Anforderungen, die man an einen Organisten zu Wer-
nigerode und speziell zu U. L. Frauen zu Eckelt's Zeit stellte, läßt
uns die mit ihm und seinen Mitbewerbern angestellte Prüfung ein
gewisses Urtheil gewinnen. Im Allgemeinen belehrt uns darüber in
etwas früherer Zeit die unten abgedruckte Dienstanweisung. Dazu
kommt noch das, was Paul Veckenstedt — von 1567 bis 1578 Kon-
rektor, dann bis 1591 Diakon zu S. Silvestri, darnach bis 1626 Pastor
zu U. L. Frauen, über diesen Gegenstand sagt. Er fordert von dem
Organisten, daß er seine Kunst verstehe und recht gut gelernt habe,
beides im Choral und Figural, seines Dienstes mit getreuem Fleiß
abwarte, sich bestrebe, das ihm anbefohlene Orgelwerk wohl in Acht
zu nehmen und sein Schlagwerk — das heißt das Orgelspiel — also
anstelle, daß er den conrectorem nicht perturbire, auch keine welt-
lichen Possen auf die Orgel bringe und sich deren im Schlagen ver-
nehmen lasse. Da Veckenstedt von 1567 an gegen zwölf Jahre selbst
an der Kirche der Leitung des Gesanges hatte warten müssen, so
redete er offenbar aus Erfahrung, wenn er von der Störung sprach,
die der kirchliche Gesang durch das ungeschickte Orgelspiel zu
befahren hatte. Nur ist hierbei nicht an die Leitung des Gemeinde-
gesangs oder Chorals, sondern des Chorgesangs zu denken, weil von
1 Vgl. Delius, S. Theob. Kirche. Wem. Int. Bl. S. 183.
2 Delius, Marienkirche S. 63 f.
Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt. 323
einer Begleitung des Gemeindegesangs durch die Orgel zu Vecken-
stedt's Zeit noch nicht die Rede sein kann.^ Von kundiger Seite ist
aus Neußens Vorrede zu seinem Wernigeröder Gesangbuch von 1712
geschlossen worden, daß diese nun seit etwa anderthalb Jahrhundert
übliche Begleitung auch zu Eckelt' s Zeit in Wernigerode noch nicht
gebräuchlich war.^ Aber unsere Quellen scheinen doch darauf hin-
zuweisen, daß damals der gemeine Mann auf die Geschicklichkeit des
O^anisten im Spielen .eines deutschen Liedes, d. h. eines Chorals,
einen besonderen Werth legte. Nicht nur muß sich der Organist
nach dem Vortrag eines Vorspiels bei der am 21. Mai 1697 ange-
stellten Probe an zweiter Stelle hinsichtlich seines Geschicks hierin
ausweisen, sondern die Nöschenröder haben es gerade an dem neuen
Organisten auszusetzen, daß dieser kein deutsches Lied spielen könne.
Das war allerdings ein Mißverständniß, das dadurch entstanden war,
daß Eckelt gerade das ihm aufgetragene Lied ,0 Herre Gott begnade
mich^ nicht kannte, also auch nicht aus dem Kopfe spielen konnte.^
NeuB sah davon ab, ihn ein anderes bekanntes spielen zu lassen,
weil ihm für den Ausweis seiner Meisterschaft anderweitige Gelegen-
heit genug geboten war. Und wenn Genzel Vorspiel und deutsches
Lied ^populariter' d. h. schlicht und volksthümlich hinspielte, so be-
weist dies, daß er zu einem kunstgemäßen Spiel nicht geschickt,
den Nöschenrödem aber und der bis dahin von ihm bedienten Ge-
meinde zu Siilly mit seinem schlichten Vor- und Choralspiel genehm
und genügend gewesen war. Und doch war Genzel noch nicht der
ungeübteste der Bewerber um die Wernigeröder Stelle.
Ehe wir jedoch noch ein Wort von Eckelt als Meister des Orgel-
spiels sagen, haben wir auf seine persönlichen Verhältnisse einen
Blick zu werfen. Während der ersten drei Jahre seiner wernigerö-
dischen Amtsthätigkeit hatte er keine Veranlassung, die dortige
Bürgerschaft zu erwerben. Das geschah erst im Frühjahr 1701, als
er die Hand einer Wernigeröderin erhalten hatte und daran dachte,
einen häuslichen Herd zu gründen. Seine Erkorene war Maria
(Katharina), die Tochter Meister Matthias Reinecke's, also eines Hand-
werkers, dessen Vater um die Mitte des 17. Jahrh. aus Groningen
1 Vgl. die wichtige und sorgfältige Darlegung von D. Qeorg Bietschel, Die
Aufgabe der Orgel im Gottesdienste bis in das 18. Jahrhundert Leipzig 1892.
s Daselbst S. 69.
3 Es ist der von dem tüchtigen Musiker am Dom zu Straßburg Matthaeus
Greiter (20. Dez. 1550) gesungene weniger bekannte Psalm, den wir zuerst in
den 1610 zu Straßburg bei Theod. Rihel gedruckten Psalmen, Geistl. Liedern und
Lobes&ngen D. M. Luth. Bl. GXXIIIb>— CXXVIb aufgenommen finden.
324 Eduard Jacobs,
nach Wernigerode gezogen war.* Kurz bevor die Braut ihrem Ver-
lobten angetraut wurde, ging der Schwiegervater mit letzterem zu
Rathhause. Hier schwur Joh. Val. seinen Eid und wurde gegen
die Leistung des halben Bürgergeldes — die andere Hälfte erfreite
er mit seiner Braut — als Bürger angenommen. Diese Hälfte be-
trug etwas über 11 Thaler. Hiervon zahlte er zunächst 5 Thaler;
für die übrigen 6 verbürgte sich der Schwiegervater. Sie wurden
mit je 3 Thaler im Mai 1706 und am 3. März 1713 abbezahlt. ^ Am
7. Trinitatissonntage, den 10. Juli 1701 hielt der Bräutigam seinen
damals noch sehr feierlich begangenen ersten gemeinsamen Gang
zum heil. Abendmahl mit seiner Braut, ,Maria' Reinecken.^ Zwei
Tage darauf, am 12. Juli, fand die Trauung statt.^
Nicht lange nach dieser sommerlichen Hochzeitsfeier vertauschte
Eckelt seine Stelle im Sachsenlande mit einer Anstellung im hei-
mischen Thüringen und zog mit seiner Neuvermählten als Organist
an der Dreifaltigkeitskirche nach Sondershausen, wo der im Jahre
1697 in den Reichsfürstenstand erhobene Christian Wilhelm Hof
hielt. Auf diesen folgte von 1721 an dessen musikliebender Sohn
Günther der 41.
Mit großer Befriedigung konnte E. auf seine vierjährige wer-
nigerödische Wirksamkeit zurückblicken. Gerber, der die reichhaltigen
eigenen Aufzeichnungen des Künstlers benutzte, bezeugt, daß E. sein
Amt daselbst mit Beifall bekleidet habe. Er zog aber auch die Auf-
merksamkeit Auswärtiger auf sich, die, um ihn zu hören, nach Wer-
nigerode kamen.^
Es fehlt auch nicht an bestimmten Andeutungen über die Früchte
seiner Wirksamkeit in Wernigerode.
Daß er in der Orgelkunst Schüler herangebildet habe, sehen
wir an einem Matthias Reinecke, der zweimal die Oi^anistenkunst
erlernt, aber aus Noth etliche Jahre sein Brod auf andere Weise ver-
dient hatte und sich im Jahre 1731 nach dem Ableben des Orga-
nisten Burmeister zu S. Silvestri in Wernigerode um dessen Stelle
bewarb.^ Da er ein wernigerödisches Landes- und Bürgerskind war
^ Andres Keineke aus Groningen wird 1651 Bürger in Wem.; Matth. R.,
Eckelt's Schwiegervater, des Andreas S., leistet am 29. Dez. 1682 den Bürgereid.
2. Wem. Bürgerbuch v. 1624—1682 im Stadtarchiv.
« Drittes Bürgerbuch von 1683—1742 S. 172. Hier erscheint der Familien-
name noch einmal in der Gestalt Eckolt.
3 Beichtregister der U. L. Frauengemeinde.
* Kirchenbuch der U. L. Frauengemeinde von 1666 ff
ö Gerber a. a. O. Sp. 373.
^ Wemigerode, 9. Mai 1731 und M. R. an Gutjahr. Er wohnte damals lu
Nordhausen am Petersberge in der Webergasse. Orgelbestall, zu S. Silv. in Wem.B. 46,2.
Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt. 325
und den Vor- und Zunamen von Eckelt's Schwiegervatei trug, so
werden wir ihn für E's Schwager ansehen dürfen.
Aber wichtiger als diese Spur eines Schülers ist eine andere
Beobachtung, daß wir nämlich keine Zeit kennen, in der man so
viel Opfer für neue Orgeln in den wernigerödischen Gemeinden
darbrachte, als unmittelbar oder doch in der nächsten Zeit nach
Eckelt's Abgang. Zunächst sei erwähnt, daß gleich im Jahre 1702
der Wernigeröder Bodinus als Pastor in Silstedt für die dortige Kirche
eine erste kleine Orgel oder Positiv beschaffte.^ Sodann aber wurden
beide Orgeln, welche Eckelt bedient hatte, entweder mit großen
Kosten gebessert oder erneuert. Die Hauptorgel in der Liebfraueu*
kirche wurde im Jahr 1705 bis 1707 durch eine neue ersetzt, wofür
der Meister, Christoph Concius oder Kuntze aus Halberstadt, abge-
sehen von dem Unterhalt für sich und seine Gesellen und außer
dem ihm überlassenen alten Werke, 820 Thaler erhielt. ^
Aber auch die Nöschenröder , die sich bei Eckelt's Bestellung
anfanglich so schwierig gezeigt hatten, ließen sich ihr Orgelwerk
etwas kosten. Schon ein Jahr vor der städtischen Liebfrauenge-
meinde, 1704, ließen sie dasselbe fast ganz erneuern, wofiir der
Meister, abgesehen von seiner und seines Gesellen Verpflegung,
185 Thaler erhielt.* Wieder etwas früher, im Jahre 1703, begannen
bedeutende Arbeiten an der Orgel der Oberpfarrkirche, wobei auch
Christoph Kuntze thätig war.* Während diese Arbeiten bis 1712
dauerten, der Superintendent NeuB sich selbst, wie erwähnt, eine
kleine Handorgel bauen ließ^, ist noch zu erwähnen, daß zu S. Sil-
vestri von 1719 bis 1722 schon wieder ein bedeutender Orgelbau
unternommen wurde. ^ Wenn wir zu S. Johannis in der Neustadt
damals von keinem solchen Orgelbau zu berichten wissen, so ist zu
bemerken, daß von 1666 bis 1667, also dreißig Jahre vor Eckelt's
Amtsantritt, hier eine gründliche Herstellung der Orgel durch Meister
Friedr. Besser in Braunschweig stattgefunden hatte. Im Jahre 1718
1 Aufseiehnungea in einem Quartbande in der Kirchenregistratur za Silstedt.
^ Delius, Marienkirche S. 20 f.
8 DeliuB, S. Theobaldikirche, Wem. Intell.-Bl. 1831, S. 183.
* Vergl. diese Viertel jahrsschrift. V (1889) S. 577.
^ So erklärt sich's, daß damals der Orgelmacher Job. Christoph Kunschius
aus Halle (!) sich zunächst als Witwensitz für seine Frau ein Haus bei der Ober-
pfarrkirche zu Wernigerode zwischen dem kleinen Gadenstedtschen Hause und der
Stadtmauer erwerben konnte, das er am 30. Mai 1716 wieder an den gräfl. Kammer-
diener Hirschfeld für 322 Thaler veräußerte. B. 47, 1. Fürstl. H.-Archiv.
« Vierteljahrsschr. V, S. 577.
326 Eduard Jacobs,
wurde dann mit Meistei Aug. Friedr. Rüdigei ein Vertrag -wegen
neuer Bemalung der Orgel für 45 Thaler geschlossen.^
Zwar können wir dieses lebhafte Interesse der Wernigeroder für
ihre Orgeln nicht allein auf Eckelt zurückführen, sondern neben ihm
gebührt dem Superintendenten NeuQ und Männern wie Gutjahr und
Sinn hieran ein Verdienst; aber als Meister der Orgelkunst und des
koloristisch reichen Spiels kommt doch gewiß der Schützling des
Superintendenten in erster Reihe mit seiner unmittelbaren Wirkung
in Betracht.
Eckelt^s unmittelbarer Nachfolger als Organist bei der Liebfrauen-
kirche wurde noch im Jahre 1701^, sein Mitbewerber, der vollständig
gleichaltrige Nöschenröder Joh. Heinrich Genzel, der aber schon am
8. April 1702, erst 29 Jahr alt, verstarb^, worauf dann diese Stelle
dem nächsttüchtigen Theilnehmer an der Organistenprobe im Mai
1697, dem Andreas Heßling aus Derenburg, zufiel.^
Noch einmal machte Eckelt den Versuch, ein Organistenamt in
Wernigerode zu erlangen. Als nämlich im Jahre 1718 wegen Un-
vermögens des alten Organisten Just. Christoph Sumburg die Er-
ledigung von dessen Stelle zu S. Silvestri in naher Aussicht stand,
suchte er diese zu erlangen. Ihn bestimmten dabei verschiedene
äußere Rücksichten. Durch das im Jahre 1714 erfolgte Ableben
seines Schwiegervaters'^ war ihm ein kleines Vermögen zugefallen. Da
nun nach den damaligen Rechtsverhältnissen von allem nach auswärts
gehenden Vermögen eine überaus große, lästige Steuer oder Abzugs-
geld (Drittepfennig) gezahlt werden mußte, so suchte E., der ja wer-
nigerödischer Bürger geblieben war, sein , Bißchen ErbtheiV unver-
kürzt zu erhalten. Dazu kam, daß seine Frau, als echte Harzerin und
Wernigeröderin , bei dem Wasser von Sondershaujsen nicht gesund
werden konnte und sich nach dem wernigerödischen zurücksehnte
und nach ihrem , Vaterlande' verlangte.^ Sein und seiner Frau Wunsch
ging jedoch nicht in Erfüllung und Christoph Joach. Burmeister, i
bisheriger Organist in der Neustadt, rückte in jene Stelle ein.
1 Acta, Orgelbau und Glocken zu S. Joh. in der Neustadt 1666 — 1789 betr.
in der Pfarr-Registratur.
2 Nicht erst 1703, -wie Gerber a. a. O. Sp. 373 sagt, ging £. nach Sonders-
hausen.
3 Delius, Marienkirche S. 68.
* Ebendas. Heßling verstarb 1723.
^ Er starb 62 J. 11 Wochen 3 T. alt und wurde durch das ganze Ministerium
begraben.
^ Joh. Val. E. Sondershausen d. 19. Aug. 1718 an den Superint. Gutjahr.
Wem. B. 46, 2 Organisten-Besetzung in der Stadt.
r
Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt 327
So blieb denn £. in Sondershausen bis an sein Lebensende, das
am 18. Dezember 1732 erfolgte. Wie das Kirchenbuch der Drei-
faltigkeitsgemeinde sagt, verstarb Herr J. V. E., wohlbestallter Stadt-
organisty in seinem Heilande und Erlöser sanft und selig. Eine
Leichenpredigt wurde auf ihn nicht gehalten, dagegen wurde er als
Kirchendiener mit der ganzen Schule und Musik kostenfrei zur Erde
bestattet.^
Die amtliche Hinweisung auf sein frommes christliches Ende ist
köine leere Form und Redensart, vielmehr war E. in seinem Dichten
und Trachten eine sinnige beschauliche Natur. Er übte seine Kunst
nicht etwa bloB zufällig in der Kirche, sie war vielmehr ganz dem
Heiligen und Göttlichen geweiht. Die größte musikwissenschaftliche
Arbeit seines Lebens, die ihn lange beschäftigte und von der im
Jahre 1724 schon ein hoher Stoß geschriebener Hefte vorlag, war
seine Musiklehre. Er sagt mit Bezug darauf gelegentlich selbst: i»Ein
mehreres wird in meinem Traktat vorfallen de Mtmca, welcher durch
das Licht der Gnade Gottes in der Vereinbarung der musikalischen
Proportion erscheinet und durch die heilige Schrift bekräftiget wird.«^
Ein bestimmtes Urteil vermögen wir über dieses Werk nicht zu geben,
da. die Handschrift verloren ging, aber nach dem, was wir darüber
hören oder aus seinen eigenen Worten schließen können, suchte E.
den Gedanken von einer heiligen Harmonie der Töne und Tonver*
hältnisse, die sich schon bei Pythagoras angedeutet findet*, in sinniger
Weise durch die ganze heilige Schrift alten und neuen Testaments
durchzuführen. ^
Vor allen Dingen war E. aber praktischer Musiker als Meister
des Orgelspiels und suchte mit verschiedenen Zeitgenossen die Mängel
dieses königlichen Instruments zu verbessern. Wie wir sehen, war er
aber auch seit jungen Jahren Tonsetzer, doch ist durch die Ungunst
der Umstände davon nichts an die Öffentlichkeit gelangt. Druckfertig
hinterließ er außer verschiedenen Orgel- und anderen Instrumental-
stücken eine vollstimmige Passion und eine Sammlung von geistUchen
Arien oder Liedern mit Begleitung zweier Violinen. Von theoretischen
Schriften vollendete er: 1) Experimenta musicae geometrica 1715, 2)
Unterricht eine Fuge zu formiren 1722, 3] Unterricht, was ein Orga-
nist wissen soll. Wenn Gerber bemerkt, daß Zeit und Ort ihn ver-
hindert hätten, diese Werke gedruckt zu sehen ^, so soll dem zwar
1 Hen P. F. Apfelstedt in Sondershausen, 3. Nov. 1891 aus dem Kirchen-
buche.
« Gerber Sp. 373.
s Vgl. auch Gerber Sp. 374.
« Gerber Sp. 373.
328 Eduard Jacobg,
nicht widersprochen werden, doch iBt zu bemerken, daB es zu seiner
Zeit sowohl in Wernigerode als in Sondershausen bereits Druckereien
gab; sie waren aber für musikalischen Notendruck nicht einge-
richtet. Für die Musikgeschichte wurde Eckelt's litterarische Thätig-
keit noch lange nach seinem Tode dadurch von Bedeutung, dafi
fünfundfUnfzig Jahre später der Hoforganist Ernst Ludwig Crerber
seine musikalische Büchersammlung, die, wie dieser meint, für die
damalige Zeit als vollständig gelten konnte, von den Erben erwarb
und nun die in jedem Bande derselben fleißig beigeschriebenen An-
merkungen, die von seiner Aufmerksamkeit und seiner Einsicht
zeugten, für das äußerst schätzbare 2>Hi8tor.-Biogr. Lexikon der Ton-
künstler « verwerthete.
Dienstanweisung für den Oi^nisten an der Stadtkirche
zu Unser Lieben Frauen in Wernigerode
1618.
Commendari Beckero futuro nostro organico,
1. Pietatem in Deum, quo cuUtis divinus omnis et ipse chrtsiia-
nismus,
2. Observantiam atque ohedientiam erga^ utrumqtse magtstniium
polüicum^ et ecclesiasticum cum in genere tum in specie ut et in cives
huius loci,
3. Modestiam publice et privatim decentem servienti templo.
4. Diligentiam in officij partibus prestandis, quo cura justa exer-
citij musici, non Itßdendi operis organici, describendi cantiones corales
et ßgundes usitatas et arte compositas, prout anm tempus poscit.
5. üt sit contentus salario nostri templij ut antecessores /uere.
Dabei ist nachträglich bemerkt: Specißcetur 12 fl. idle 4tal,
15 fl. zu rathause.
6. Ut vitet omnem scurrilitatem^, clamores, tumultus noctumos^
petulantiam etc.j sodalitia effera^ impia atque scelerata.
7. Servitus ipsius sit annua et nobis mutabilis, mutanda quoties
hisce legibus non iniquis studuerit esse exproposito contrarius reftun-
ciabimus,
Rathshandelsbuch vom Jahre 1598 ff. im Stadtarchiv zu Wernige-
rode Bl. 83^ mit einem lose beiliegenden Blatte.
1 So statt ergo der Handschr.
^ So statt politium.
3 Darüber steht : quamiibet (?) ynd wildigkeit.
l)er Orgelspieler und Musikgelehrte Jobann Valentin Eckelt. 329
Puncten welche der Organist bei seiner annehmung zusagen vndt
vnterschreiben mueß.
(1626).
1. Daß er sich eines Christlichen Gottsehligen Lebens vndt
wandelß befleißigen vndt also ein Kirchendiener, welche andere (!)
billigk mit einem gueten Exempell vorgehen sollen, erzeigen wolle.
2. Daß gegen seinem vorgesatztem Pfarhern vndt deßen Collegen,
so woU auch gegen die Herren E. Ehmvesten Rahts sich ererbietigk
vndt gehorsamblich zu iederzeit erweisen.
3. Daß wan der Pfarher irgents nach gelegenheit der Zeit einen
oder den andern hymnum, gesangk vndt Psalm zu singen oder sonst
die Ceremonien im singen vndt schlagen abzukurtzen befehlen wurde,
demselben also nachzukommen.
4. Mit dem Domino Cantore auch iederzeit in gueter Correspon-
dentz zueleben vndt alle Son : vndt Festage zuvor sich mit demselben
grundtlich zu bereden, waß er an JResponsorio, Introitu, htmnis,
Psalmen, Tonis, Muteten ^ Mißen oder derogleichen singen weiten,
eß [sei]* Choralis oder Fiffuralis Cantus'^, waß er nicht habe, solches
zeitig genug zuvor absetzen vndt solche muehe des absetzens sich im
geringsten nicht verdrießen laßen, damit also ein fein harmonia vndt
gleichstimmigkeit zwischen der Orgeln vndt dem Chor erhalten vndt
der liebe Gottesdienst mit desto mehrer Zier vndt andacht verrichtet
werde.
5. Daß er im gebrauch der stimmen im schlagen zue iederzeit
abwechseln vndt dem heraußgegebenen verzeichnuß nach deß Oi^el-
machers sich gemeß verhalten.
6. Weill die Schnarwerke vndt Broststimmen sich leicht ver-
stimmen, daß er alle Sonnabendt, sonderlich wen es vnbestendigk
gewitter ist, vmb ein vhr neben seinem Calcanten für der vesper in
die Kirchen kommen, solche durchlauffen vndt reinlich wieder zurecht
stimmen.
7. Daß er ohne vorbewußt vndt vrlaub des Pastoris keinen Sonn-
abendt oder Sontagk verreisen oder abwehsent sein soll, damit vff
den begebenden nohtfal im verreisen oder sonsten man sich darnach
zu richten wiße.
8. Soll auch in seinem abwesen keinen anderen frembden vndt
zue Zeiten vngeubten Organisten ohne vorbewust des Hern Pfarhers
aufstellen, sintemahl daß Orgellwerck dießer Kirchen vndt gemeine
1 sei fehlt in der Hdschr.
2 Hdschr. Caniur.
1893. 22
330 Eduard Jacobs,
ein großes kostet vndt durch einen ynerfahrnen leicht verderbet wer-
den köndte.
9. Da er auch kunfftigk disctpulos haben wurde , dieselbe nicht
jhres gefallens auff der Orgell allein gebahren laßen, sondern ieder-
zeit dabei sein, damit durch deroselben Verwahrlosung der Or^g^ln
kein schade zugezogen werde.
10. Zue Winters Zeit soll er auff daß Feur, Lichtt vndt Rohleii
fleißig achtung geben, damit wen der Gottesdienst auß ist, daß feuer
nicht stehen bleibe, vndt weill es an allen ohrten holtzwerck vndt
bretter sein, dadurch schade entstehen, sondern dem Calcanti be-
fehlen, das er die Feurpfanne iederzeit in deß Aeditui hauB tragen
vndt daselbst wieder holen muste.
1 1 . Dem Calcanti zue befehlen, daß er die Flugeil ahn der Orgell
zu iederzeit an der Orgell nach geendigten Kirchen - C^emonten
zuethue.
12. Wan die copulation vndt treuw^ zueschlagen er gebehten
wirdt, alßdan mit dem ienigen, alß 1 ohrtsthaler, so jhme gesetzt,
zuefrieden sein vndt keinen vber sein vermuegen waß abfederen. Will
aber einer auß guetem willen ein mehres thuen, daß soll dem Breuti-
gamb freistehen.
13. Weill auch dem Orgellmacher gebühret, bei liefferung deB
wercks in gantzer versamblung E. Ernvest. Wolw. Rahts vndt derer
von der Kirchen außgesagt; daß dadurch den Orgellwerken nicht
geringe vngelegenheit vndt schade zugetzogen wurde, weill iederzeit
viele Leuthe hinauff lauffen, von dem staube, dreck vndt andren, so
sich darauf destomehr heuffen, alß soll er die thuer an der Orgell
verschloßen zuehalten, auch nicht ohne unterscheit iederman hinauff-
laßen, wie dan heutiges fast Schuester, Schneider vndt andere hinauf
lauffen; welche aber der Musiken zugethan sein und den Chorum
helffen zieren, mit denen hat es ein ander gelegenheit. Damit auch
die thuer desto fleißiger zugehalten werden könne, soll dem Domino^
Cantori auch ein schlußell zu der Orgell zugestellet werden, daß er
könne auff vndt abkommen, wen er wolle, vndt wieder zueschließen.
14. Auf die wohnung deß Organisten soll er auch fleißigk ach-
tung geben, daß durch nachleßigkeit vndt verseumbniß oder durch
sein vndt der seinen verwarlosung deroselben kein schade zugezc^en
wurde, so etwaß daran zu bauwen oder beßem, soll er solches den
Bauhem von E. E. Kaht anzeigen, ^e werden woU anordnung davon
zu thune wißen.
1 wohl statt trauw.
2 Hdschr. Dnö.
Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt. 33 1
15. Da er auch 4igenis die wohnung selber nicht bewohnen
wurde, soll er ohne vorbewust des Pfarhem vndt E. E. Rahts nie-
mandt hineinsetzen, sondern soll mit deren willen geschehen, damit
durch solche heußlinge daß hauß vndt gahrten nicht auBgewohnet
vndt verwüstet vndt also hernach vnnötige bawkosten dem Raht-
hauße zugezogen werde. Do auch der Organist daß hauß nicht selber
bewohnen wurde, sollen Prediger, der Schueldiener Witwen oder den
(!) Schuldienem selbst für andern auf den erstfall den vorzugk haben
in solchem hauße zu wohnen, doch daß dem Organisten ein billiger
haußzinß darvon gegeben werde.
16. So soll er mit der alten besoldung content vndt friedtlich sein.
17. Dafem ehr auch zue guetten leuten gefordert werden solte,
soll ehr sich gueter descretion gebrauchen, außwertigk bezeigen, sich
auch in sothanen Convivüs alles kartenspiels enthalten L
18. Wofern Sie dießem nicht also geleben wurden, wollen Rahtt,
pastam vndt Kirchväter alle jehrliches dieselben abzuesetzen befugt
sein etc.
Dieße puncten getrewlichen zuehalten vndt in acht zu nehmen
soll der Organist bei seiner annehmung mit handt vndt mundt zue-
sagen, darzue jhme auch Gott der her Gluck, Segen und bestendige
gesundt verleihe.
Anno etc.
Die Jahr- und Tagzeichnung ist nicht ausgeführt, aber es heißt
in der Aufzeichnung weiter: iDen 13. Decembris Anno 1626 ist Johan
Becker von Hm. M. Lyborio Heylio, Pfarhem in der Neustadt, an-
geben vndt vermeldet worden, daß er von Ihn, den Kirchvetem vndt
hem in der Neustadt zu einem Organisten in Johan Rosenthals
stelle, so thots verblichen, wieder angenommen, mit pitte, denselben
Rahtswegen zu conßrmiren; seindt Ihme darauf dieße vorgesatzte
puncta vorgelesen, die er steiff, vehst vndt vnverbruchlich zuehalten
angelobet, vndt darnach zue solchem Dienst confirmiret worden, vndt
pro salario zugesaget Sechzigk fl. von der Kirchen zue S. Johannis^
alle Quartall 15, dan vom Rahthauße Michaelis 10 fl. vndt holtzgelde
gleichfals vff Michaelis 3 fl. Dan werden Ihme gegeben 6 scheffell
Rogken von Waßerlehr; dazu will Ihme H. M, Lyborius Heylius
etzliche Morgeu ackers einthuen, solche vermachnuß aber mit ab-
leiben deß herren pastoris vndt Organisten zugleich mit erloschen
sein soll.
1 Punkt 17 ist nachträglich von anderer Hand eingeschoben.
22*
n
332 Eduard Jacobs.
Inßdem subscripsü Johannes Becker mpjK
Eines Erb. vndt wolweisen Radtts beider Städte Wemingeroda
Priuattsachen vndtt Handelung 1598 ff. Bl. 89 ff. im Stadtarchiv
zu Wernigerode.
Johann Becker, von 1617 oder 1618 bis 1626 Organist an der
Stadtkirche zu Unser Lieben Frauen, war darauf von 1626 bis 1635
Organist zu S. Johannis in der Neustadt. Während demselben nun
die letzteren deutsch abgefaßten »Punkte er bestimmt am 13. Dezember
1626 vorgelegt wurden, so dürfte ihm die vorhergehende lateinische
Dienstanweisung vor seiner Annahme als Organist zu U. L. Frauen
übergeben und er auf dieselbe verpflichtet worden sein.
Kritiken und Referate.
Wüh. Bäumker, Das katholische deutsche Kirchenlied in seinen
Singweisen. Freiburg i. Br. Bd. I 1886. Bd. II 1883. Bd. III 1891.
Ueber dem deutschen Kirchenlied hat seit einem halben Jahrhundert ein
guter Stern gewaltet, sowohl nach der Seite seines Lebens in der Kirchei wie nach
der seiner wissenschaftlichen Erkenntniß. Beides ist natürlich aufs engste ver-
bunden und geht Hand in Hand miteinander. Angesichts einer so heryorragenden
wissenschaftlichen Leistung, wie wir sie in dem oben genannten Werke vor uns
haben, ist es von Interesse, sich die Wege zu yergegenw&rtigen, welche dahin
geführt haben. Freilich lassen sich dabei hier nur die obersten Momente der
Entwickelung andeuten und nur die wenigen hervorragendsten Arbeiten herausheben.
Wenn man auf die Zustände lurackblickt, in denen die auf diesem Gebiete
jedenfalls arg verwüstende Periode des älteren Bationalismus das Kirchenlied hinter
sich zurückließ, wie in Auswahl und Textgestaltung so in musikalischer Behand-
lung der Lieder, so muß man sich gestehen, daß es damals recht fraglich erscheinen
konnte, ob es überhaupt noch möglich sein werde, das Kirchenlied aus solcher Ver-
kommenheit wieder zu heben, oder ob es sich um den unaufhaltsamen Verfall
einer einst so herrlichen und an Qeistesfrüchten so reich gesegneten Erscheinung
handle. Wie in der evangelischen Kirche, so fand das Gleiche auch in der
katholischen statt, obwohl man sich innerhalb ihrer selbst der täuschenden Vor-
stellung hingab, durch deutsche Singmessen und neugebackene Liedersammlungen
dem deutschen Gemeindegesang vielmehr einen ganz neuen und höheren Auf-
schwung zu geben. Der dritte Band von Bäumker's Buch wird Gelegenheit bieten,
hierauf noch zurückzukommen.
Daß gegen solche Verflachung ein Bückschlag eintrat, ist natürlich an erster
und oberster Stelle dem allgemeinen Umschwung zuzuschreiben, der seit den ersten
Jahrzehnten unseres Jahrhunderts in dem religiösen Empfinden eines immer größeren
Theiles der Nation eintrat. Eine religiöse Stimmung der Gemüther, aus deren
Gluth und Erhebung heraus fromme Sänger wie Arndt und Novalis ihre Lieder
erschallen ließen, mußte erst die Kirche erfaßt und durchglüht haben, ehe die
Strahlen dieses heiligen Feuers auch die verkümmerte Pflanze des Kirchenliedes
zu jungen Trieben und zu neuem Leben erwecken konnten. Aber die Triebe
sollten doch nur langsam erstarken und die Früchte der anhebenden Bewegung
ließen noch lange auf sich warten. Wohin jedoch die Blicke, die nach der Er-
leuchtung in diesen Dingen suchten, sich richteten, das erkennt man zuerst in den
Arbeiten des jüngsten der Hamburger Rambaoh, August Jakob, der sich, getrieben
von dem allgemeinen Geist der Zeit und auf der andern Seite durch den eigenen
milden Geist von dem sich erhebenden heftigen Streit der kirchlichen Richtungen
femgehalten, schon früh hymnologischen Forschungen und Sammlungen zuwandte,
334 Kritiken und Referate.
deren bedeutendstea 'wissenschaftliehes Ergebniß seine »Anthologie cbrigtlicher
Gesänge aus allen Jahrhunderten der K-irehe« ist (6 Bfinde, 1817—33). Die zwar
noch mit ungenügenden Mitteln ausgeführte aber sehr tüchtige Arbeit trug reiche
Frucht. Das Wichtigste dabei war die Erkenntniß, daß der Geist des echten
evangelischen Kirchenliedes nur da zu finden und zu fassen sei, wo es frisch aus
der Quelle hervorsprudeltf zur Zeit der Reformation, im 16. Jahrhundert, und daß
es durchaus nöthig sei, diesen Geist erst wieder richtig zu erkennen, ehe man sich
an die Verbesserung der Lieder unter den Gesichtspunkten des modernen Ge-
schmackes und augenblicklich herrschender kirchlicher Strömungen heranwage.
Die Texte bildeten ja aber nur die eine Seite des Liedes: daneben standen
die Melodien und ihre musikalische Behandlung. Daß auch hier die Gtedanken
einzelner Einsichtiger sich gleichfalls alsbald der älteren Zeit zuwandten, das zeigt
sich m. W. am frühesten an Becker und Billroth's »Sammlung von Chorälen aus
dem 16. und 17. Jahrhundert a (1831). Zu den ersten Quellen stiegen aber sie doch
nicht wieder hinauf, sondern es sind hauptsächlich 4 stimmige Liedersätze von Seth
Calvisius und Hermann Schein, also schon der Zeit um 1600 angehörend, welche
hier mitgetheilt werden. An dieser Seite der Sache sah es aber fast noch schlimmer
aus, als an der der Texte, denn um 1830 herrschte über die Beschaffenheit der
Musik im 16. Jahrhundert, von der doch hierbei ausgegangen werden mußte, noch
ein fast völliges Dunkel bei unseren Musikern. Doch nahm beides gleichseitig
einen stetigen und glücklichen Fortgang. Um was es sich in Betreff der Texte
zunächst vor Allem handelte, das war Einsicht in das Wesen des Volksliedes und
des Volksthümlichen oder, wie man sagen möchte, ein Einblick in das wahre Leben
der Volksseele. Nicht ohne Ergötzen liest man in den Vorreden mancher katlio-
lischer Gesangbücher des 18. Jahrhunderts, welche Bäumker in der Einleitung zu
seinem 3. Bande mittheilt, wie vergebens und unter wie falschen und beschränkten
Gesichtspunkten die Verfasser sich bemühen, festzustellen, was volksthümlioh sei
und wie darum das kirchliche Volkslied beschaffen sein müsse. Franz Berg, der
Verfasser von »Liedern zum katholischen Gottesdienste« (1781, 1. c. S. 129f.) meint
bei Untersuchung der Forderung der »Deutlichkeit«, die man stets als eine Haupt-
forderung für das volksthümliche Kirchenlied aufstelle, man komme schließlich
zur Einsicht, daß der mangelhaft gebildete Verstand des » Publikums a auch für
das deutlichste Lied noch nicht ausreiche und daß man daher damit anfangen
müsse, die Köpfe vorher durch bessere Einrichtung der häuslichen und öffentlichen
Erziehung empfänglich zu machen, ehe man dem Publikum bessere Lieder gebe.
— Seit Herder begannen aber die Begriffe sich zu klären. Die Grimm's führten
uns zu den altdeutschen Wäldern zurück, in denen wir die längst entschwundenen
Jahrhunderte heimlich belauschen konnten. »Des Knaben Wunderhom« erschloß
im schlichten Liede des Volkes eine ungeahnte, ja überwältigende Fülle der Poesie,
die gleich einem verjüngenden Lebenselixir die Adern der poetisch Sehaffenden
wie poetisch Genießenden durchdrang. Manch andres folgte als neue Stoffsamm-
lung nach, aber erst Uhland's Meisterwerk führte zu voller Klärung und Erkenntniß.
Die beiden Bände seiner Volkslieder erschienen 1844 und 1845; sie bilden das
Ergebniß einer tief in das Wesen und in die Geschichte des Volksliedes ein-
dringenden Untersuchung. Uhland machte es aber in seiner wortkargen Art (seine
erläuternden Anmerkungen wurden erst mehr als 20 Jahre später gedruckt) selbst
den Forschern nicht leicht, die Resultate seiner Studien im Einzelnen zu erkennen.
Gleichwohl erreichten sie dies vielleicht um so sicherer, weil es nur durch nach-
forschende Arbeit möglich war. Es stand nun klar vor Augen, in welchem Sinne
in Deutschland das 15. und 16. Jahrhundert den letzten Höhepunkt des älteren
Volksliedes bildete und worin auf diesem Höhepunkt die charakteristischen Merk-
'Wüh. Bftumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 335
male des Volksliedes bestanden. Das war aber eben auch für das ELirchenlied um
ao irichtiger, weil Luther das ältere geistliche Lied, an welches er anknüpfte, vom
15. Jahrhundert überkam und weil er selbst, indem er das geistliche Lied zu seinem
Kirchenlied erhob, sich dabei an das in ihm selbst lebende Volkslied des 16. Jahr-
hunderts anschloß. Jetzt also vermochte die Forschung auch weiter zu erkennen,
worin und wie weit das neue eyangelische Kirchenlied sich über die Natur des
Volksliedes, aus dem es erwuchs, als eine yeredelte und höhere Art erhob. Dieser
Forschung und der dafür unentbehrlichen Stoffsammlung in kritischer und ge-
schichtlicher Durcharbeitung galten Philipp WackemageVs an umfassendem Fleiß
und peinlichster Sorgfalt des Einzelnen unübertroffene Werke: »Das deutsche
Kirchenlied von M. Luther bis auf Nie. Hermann und Ambros. Blarer« (1841), die
»Bibliographie zur Geschichte des deutschen Kirchenliedes im XVI. Jahrhundert«
(1855) und abschließend: »Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu
Anfang des XVII. Jahrhunderts« (5 Bände, 1864—77). Dem zur Seite entwickelte
sieh in drei Auflagen (1847, 1852—53 und 1866—77) E. £. Koch's höchst schätzens-
werthe »Geschichte des Kirchenlieds und Kirch engesan^s der christlichen, insbe-
sondere der deutschen evangelischen Kirche« von seinen ursprünglichen 2 zu
8 Banden und A. F. W. Fischer ließ (1878—79) als nützliches Naohschlagebuch
sein »Kirchenlieder-Lexikon« über ca. 4500 Lieder folgen. So lag nun auf diesem
Felde nicht nur der Forschung ein ausgezeichnetes Material vor, sondern es waren
damit vor Allem auch der praktischen Besserung der herrschenden Zustände
die Wege gebahnt Schon 1832 hatte in Hamburg der durch Kambach gegebene
Anstoß zu der unter seinem Vorsitz ausgeführten Abfassung eines neuen Gesang-
buches geführt, welches 1842 eingeführt wurde, wohl das erste, in welchem mit
Bewußtsein, wenn auch noch in zaghafter Weise, die neu gewonnenen Gesichts-
punkte zur Anwendung kamen. Vorangegangen war man übrigens schon in Berlin
und an anderen Orten mit der Beseitigung der rationalistischen Gesangbücher und es
begann nun eine Reform der Gesangbücher, die in immer mehr bewußter Weise,
hier mehr, dort minder radikal — ein bestimmtes Ziel verfolgt und welche bis
heute ihren Abschluß für das ganze evangelische Deutschland noch nicht gefunden
hat. Eine Beihe trefflicher Forscher und Männer griffen in sie ein : Göring,
Layritz, Cuntz, Tucher, Wiener, Stier, Grüneisen, Geffcken, Victor Strauß u. A.
Seit 1854 stand in der Mitte dieser Bewegung das in diesem Jahre von der »Evan-
gelischen Kirchenkonferenz zu Eisenacha herausgegebene, also unter amtlicher
Empfehlung erscheinende »Deutsche evangelische Kirchen-Gesangbuch in 150 Kern-
liedem«, die als der allen Gesangbüchern gemeinsam zu machende Grundstock
gedacht waren. Zuerst schlag diesen Weg im engen Anschluß an die Kernlieder
das treffliche bairische Gesangbuch ein, gedruckt schon im gleichen Jahre 1854.
Andere folgten, doch ist bisher der Erfolg hinter der Absicht leider noch immer
weit zurückgeblieben.
In genauer Parallele hierzu entwickelte sich die musikalische Seite der Sache.
Für die vorhin ausgesprochene Behauptung, daß unseren Musikern um 1840 im
Allgemeinen noch jede Vorstellung von der Musik des 16. Jahrhunderts und jedes
Interesse für sie gefehlt habe (nur die Münchner Aiblinger und Ett machen hier-
von eine rühmliche Ausnahme), ist es ganz bezeichnend, daß nicht durch Musiker,
sondern durch zwei Juristen und einen Geistlichen die Bahn ins gelobte Land der
Palestrina, Senfl, Lasso und des ersten evangelischen Kirchengesanges gebrochen
werden mußte, von Winterfeld, dessen großes Werk : » Der evangelische Eirchen-
gesang und sein Verhältniß zur Kunst des Tonsatzes « 1843 — 47 erschien; Fr.
Layritz mit seinem »Kern des deutschen Kirchenlieds von Luther bis Geliert« (1844)
und Frhr. von Tucher mit seinem »Schatz des evangelischen Kirchengesangs im
336 Kritiken und Referate.
ersten Jahrhundert der Reformation« (dem ein Probeheft mit 42 Liedern schon
1840 vorangegangen war). Die erste praktische Wirkung war die, daß in Baiem
(wo Tucher wie Layritz su Hause waren) das Konsistorium sich su dem Versuch
der Wiedereinführung rhythmischen Gesanges entschloß. Johannes Zahn, der schon
seit 1846, damals noch auf dem Predigerseminar zu München, an den Arbeiten
Tucher's u. A. teilgenommen hatte, ward 1847 mit den Vorarbeiten und Einlei-
tungen dazu betraut Ueberraschend schnell und leicht, wenn auch nicht ganz
ohne leidenschaftlichen Widerspruch, gelangen die Versuche, und schon 1854 konnte
das von Zahn bearbeitete »Vierstimmige Melodienbuch« zum neuen bairischen Ge-
sangbuch erscheinen. Auch die Eisenacher Kirchenkonferenz nahm sich aber der
Sache an und ließ den 150 Kernliedem das »Melodienbuch des deutschen evan-
gelischen Kirchen-Gesangbuches für Orgel und Chorgesang« bearbeitet von Tucher,
Faißt und Zahn folgen (1855). — Inzwischen war auch die Musikwissenschaft der
Bewegung nachgekommen; Bellermann erschloß in seinen theoretischen Arbeiten,
welche hauptsächlich dem 16. Jahrhundert galten, die Schätze der alten Musik und
erzog eine Schaar musikalisch wie wissenschaftlich wohlgeschulter Jünger. Auf
den Chören der katholischen Kirchen, hie und da auch durch evangelische Kirchen-
chöre und in den Koncertsfilen lebten die alten Meister wieder auf und es ver-
breitete sich eine klarere Anschauung von der wirklichen Beschaffenheit der alten
Melodien und ihrer harmonischen Behandlung durch die Meister des alten Styles.
Auch dem Volksliede des 15. und 16. Jahrhunderts in seinen Melodien und ihrer
kontrapunktischen Verarbeitung wandte die Forschung sich mehrfach mit Vor-
liebe zu.
Ueberblicken wir nun aber diese Reihe eifriger und fruchtbarer Arbeit, so
werden wir gewahr, daß unter denjenigen Vorarbeiten, deren es mit Nothwendigkeit
als festen Fundamentes bedarf, immer noch eine und zwar eine überaus wichtige
auf sich warten ließ: nämlich eine nach Möglichkeit und nach den Umständen
vollständige Sammlung der Melodien des Kirchenliedes, aus denen die älteste ur-
kundliche Form und die weitere Geschichte der einzelnen Melodien, ihre Erfinder,
ihr Auftauchen und Verschwinden oder ihre Wandlungen bis auf die Gegenwart
zu ersehen waren. Die bisher genannten Sammlungen enthalten unbeschadet ihrer
sonstigen Vortrfflichkeit doch stets nur eine Auswahl von Melodien und fassen auch
für diese beschränkte Zahl nur einzelne Seiten der angedeuteten Aufgabe ins Auge.
Merkwürdiger Weise griff nun grade hier die katholische Kirche zuerst ein, welche
zwar von der bisherigen Bewegung in der Gesangbuchfrage nicht ganz unberührt
geblieben war, aber ohne in bedeutenden Arbeiten daran theilzunehmen. Im Jahre
1862 erschien der erste Band eines Werkes von Karl Severin Meister : »Das katholische
deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen von den frühesten Zeiten bis gegen Ende des
17. Jahrhunderts«, welches für diese wichtige Periode des katholischen deutschen Kir-
chenliedes die Aufgabe zu lösen unternahm. Indem der Verfasser sich der herkömm-
lichen Eintheilung der katholischen Ritualbücher in das de tempore et de eanctis
anschließt, bringt er in den 311 Nummern dieses ersten Theiles das sogenannte
de tempore, die Festlieder von Advent bis Trinitatis nebst dem Fronleichnamsfest
und Altarssacrament mit einer ausführlichen und gehaltreichen Einleitung, der es
nur zum Schaden gereicht, daß der Verfasser in der Frage ijiach Luther^s Ver-
diensten um das Kirchenlied in einer thörichten Polemik befangen ist Wenn ihn
dabei die richtigen Gesichtspunkte entgehen, so muß man allerdings gerechter
Weise anerkennen, daß es der älteren herkömmlichen Auffassung der Hergänge
auf unserer Seite nicht besser ging und daß ihre Irrthümer die Katholiken wohl
in die entgegengesetzten hineintreiben konnten. Denn wenn bei uns die populäre
Ansicht sich ungefähr dahin zusammenfassen ließ: Luther habe das Kirchenlied
Wilh. Bäumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singveisen. 337
erdacht und gemacht und seit 1524 haben seine Gemeinden es gesungen, so geht
das an den entscheidenden Punkten der Frage eben so blindlings vorbei, wie wenn
der Katholik darauf entgegnete : das geistliche deutsche Lied wurde seit alter Zeit
▼om Volke gesungen, Luther fand es in Menge vor, auch im kirchlichen Gebrauch
war 68 zugelassen und Luther that nichts, als es nach seinem Kopfe umiumodeln.
Der Streit darf wohl durch die in voller Sachkunde und mit einem durch Partei-
lichkeit nicht mehr getrübten Blicke geschriebenen Einleitungen des Bäumker'schen
Werkes auch für die katholische Seite für abgethan gelten und der Evangelische
wird nur gegen Einselheiten der Bäumker'schen Aufstellungen Einwendungen zu
erheben haben. Darauf einzugehen ist hier nicht der Ort; wohl aber ist es ange-
seigty den eigentlichen Kernpunkt der ganzen Sache einen Augenblick ins Auge
EU fassen, denn es hängen wichtige Fragen damit zusammen, und er ist vielfach
auch auf unserer Seite nicht in seiner eigentlichen Bedeutung erkannt, während
Bäumker ihn richtig andeutet i, indem er darauf hinweist, daß Luther das geist-
liche deutsche Lied zum Bestand th eil der Liturgie und erst dadurch im
Sinne unserer Kirche zum Kirchenlied machte.
Alleiniges Subjekt der Messe, des Hauptgottesdienstes, ist in der katholischen
Kirche der Priester. Der Gottesdienst besteht in einer von der Priesterschaft, die
dabei theilweise vom Chor vertreten wird, vollzogenen Handlung. An die Stelle
dieser Ordung wieder die der Urkirche zu setzen, vermöge deren vielmehr die
Gemeinde, zum Theil vom Priester als ihrem Wortführer vertreten, das Subjekt
der gottesdienstlichen Handlung ist, das war der leitende Grundgedanke Luther's.
Die Form, in der sieh diese gottesdienstliche Handlung vollzieht, ist nun aber
die Liturgie. Daraus folgt, daß die Gemeinde, wenn sie sich fortan wieder als den
Träger dieser Handlung fühlen und erweisen sollte, auch einen Antheil an der
Ausführung der Liturgie haben mußte, wobei nun auch sie sich, so weit es an-
gemessen schien, vom Chor vertreten lassen konnte. Luther wollte zu solchem
Zweck nicht neue Bestandtheile in die Liturgie einflechten, sondern nur die dazu
geeigneten Stücke der Liturgie in solche Form bringen, daß sie der Gemeinde,
also dem Volk, zum ächten Ausdruck des eigenen Wesens dienen könnten. Die
Quelle, aus der er eine solche Form abzuleiten habe, erkannte er in dem älteren,
namentlich auch im 15. Jahrhundert in reicher Blüthe stehenden geistlichen deut-
sehen Volksliede, welches ja in einzelnen Fällen und an einzelnen Orten schon
Einlaß in die Kirchenthüren gefunden hatte, nicht zwar als Bestandtheil der
Liturgie, sondern als bescheidener Begleiter bestimmter liturgischer Gesänge, des
Grates nunc omnes zu Weihnacht, des Victimae paachali zu Ostern, des Vent sancte
Spiritus zu Pfingsten u. a. (vgl. Bäumker, Bd. II, S. 11 f.) Auch diese Sitte
eines begleitenden deutschen Parallelgesanges ließ Luther nicht nur zu, sondern
verallgemeinerte sie für diejenigen Kirchen, in denen der lateinische Chorgesang
1 »Wenn demnach Wackemagel, der gründlichste Forscher auf dem Gebiete
des deutschen Kirchenliedes, meint, in der Zeit vor der Keformation könne von
einem deutschen Kirchenliede in dem Sinne, welchen wir seit der Reformation mit
diesem Worte verbinden, nicht die Bede sein, so hat er vollständig recht, wenn
er damit sagen will, daß erst seit Luther das deutsche Kirchenlied allmählich zum
officiellen liturgischen Gesang der protestantischen Kirche erhoben wurde.«
Nur gegen das »allmählich« ist doch zu bemerken, daß die Durchführung dieser
Einrichtung allerdings erst sehr allmählich vor sich ging, auch nur gehen konnte,
theils weil es an den nöthigen Liedern noch fehlte, theils weil die Erziehung der
Gemeinden zum Gesänge der Lieder nur langsam, d. h. erst im Verlaufe fast eines
Jahrhunderts durchgeführt werden konnte; daß aber Luther's That grade in der
grundsätzlichen Einfügung der Lieder in die liturgische Ordnung bestand.
338 Kritiken und Referate.
bestehen blieb. Im Übrigen aber setzte er das deutsche Gemeindelied als gleich -
werthigen Bestandtheil an Stelle des betreffenden lateinischen Textes und dies
bildet fortan den Antheil der Gemeinde an der Ausführung der Liturgie als der
Form, in der die gottesdienstliche Handlung, vor allem die Messe, sich vollzieht.
Daß das infolge des großen Eindruckes des lutherischen Liedersingens auf
die Gemüther nun alsbald auch eifriger gepflegte katholische Kirchenlied niemals
die gleiche gottesdienstliche Stellung eingenommen hat, braucht kaum gesagt zu
werden. Wer von dem, was in dieser Hinsicht geworden ist und besteht, keine
Kunde hat, kann sich in der ersten besten katholischen Kirche, in der überhaupt
während der Messe das deutsche Gemeindelied gesungen wird, von dem Sachver-
halt überzeugen: das Lied greift in die Handlung nicht ein, sondern steht einfach
daneben : während des Eingangsliedes liest (» betet a) der Priester den lateinischen
Introitus mit deu ihm voraufgehenden liturgischen Stücken ; während des Glaubens-
liedes liest jener das lateinische Credo \ während der Priester das lateinische Evan-
gelium liest, singt die Gemeinde ein Sonntagslied u. s. w. Das Lied hat hier
immer nur die Aufgabe, die passive Theilnahme der Gemeinde an der priester-
lichen Handlung zu beleben, mehr als etwa das stille Lesen in einem Gebetbuch
es thut und ihr zugleich durch den Inhalt des Liedes einigen Anhalt für den In-
halt der Liturgie zu geben. In dem ältesten katholischen Gesangbuch, dem Vehe-
schen von 1537 (s. Bäumker, B. 1, S. 65, 124, 187) erscheint übrigens das Lied aus-
schließlich als Predig^ed, avor und nach der Predigt« gesungen. Die Predigt
aber steht ganz außerhalb der Liturgie. In älteren Zeiten wurde sie sogar vor-
zugsweise außerhalb der Kirchen gehalten. Ihre Einschiebung in den kirchlichen
Gottesdienst fand in der katholischen wie in den Reformationskirchen und findet
in den katholischen noch heute auf die verschiedenste Weise statt. Bald bildet
sie einen ganz außerhalb der sonstigen Liturgien stehenden Predigtgottesdienst,
so z. B. auch auf unserer Seite in den Predigtämtem der Nürnberger SLirchen (vgl.
Herold, Alt-Nürnberg in seinen Gottesdiensten z. B. S. 141, hier freilich mit einem
kurzen liturgischen Officium ante concionem ausgestattet; der Hauptgottesdienst
folgt dann post concionem als »Tag-Amt« nach), so heute z. B. in München und
vieler Orten ; bald wird sie nach der (liturgischen) Vorlesung des Evangeliums, bei
uns fast überall zwischen Credo (bei ausfallendem Offertorium) und Präfation in
die Liturgie eingeschoben. Stand sie allein, so war eine Einrahmung durch Lieder
um so natürlicher; wird sie eingeschoben, so kann man eben sowohl auch die sie
einrahmenden Lieder mit einschieben. Bäumker glaubt (Bd. H, S. 12 f.), diese
Sitte sei schon vorreformatorisch. Die beiden von ihm angeführten Beispiele be-
ziehen sich doch nur auf das einzelne Lied »Christ ist erstanden«, welches man
hier und da vor der Predigt anstimmte, und wenn die Salzburger Provinzialsynode
von 1569 das Singen vor und nach der Predigt eine alte Gewohnheit nennt, so
waren seit dem Erscheinen von Vehe's Gesangbuch damals schon 32 Jahre ins
Land gegangen. Andere Belege dafür sind mir nirgends begegnet, falls man nicht,
was doch nicht wohl geht, etwa den Umstand dafür anführen wollte, daß grade
schon älteste Lutherische Kirchenordnungen solche Predigtlieder anordnen. Es
kommt übrigens herzlich wenig darauf an, wem hier die Priorität gebührt und ich
selbst sehe in der That keinen Grund, wenn Bruder Bertold aus der Linde herab
predigte, warum die vielen Tausende, die ihm von Begeisterung bis zum Fanatis-
mus erfüllt zuhörten, nicht hier so gut gesungen haben sollten, wie sie es sonst
bei Bittgängen u. s. w. thaten.
K. S. Meister ist es nicht vergönnt gewesen, die Beendigung seines dankena-
werthen Buches zu erleben: er starb vor der Fertigstellung des zweiten Bandes
1881. Der thätige um die katholische Li tteratur in hervorragender Weise verdiente
Wilh. Bfiumker, Das kathoL deutsehe Kirchenlied in seinen Singweisen. 339
Verleger (Uerder'sche Verlagsbuchhandlung in Freiburg i. Br.) gewann in Wilh.
B&umker, damals Kaplan in Niederkrüohten im Rg.-B. Aachen, jetzt Pfarrer in Rurich,
einen ausgezeichneten Nachfolger für den Verstorbenen ; ein Schüler yon Crecelius
und durch ihn insbesondere auch mit dem Volkslied und seiner Litteratur vertraut,
xugleioh neben seiner praktischen Vertrautheit mit dem liturgischen Gesang der
katholischen Kirche ein durchgebildeter Kenner der alten Musik. Daß es den
darüber gepflogenen Unterhandlungen nicht gelang, ihm den Meister'schen Nach-
laß susuführen, gereichte der Sache zum VortheiL Gezwungen, sich ganz auf eigene
Füße zu stellen, wußte B. in Kurzem das Material nicht nur im Umfange des
ersten Bandes, sondern in noch erweitertem Maaße zu beschaffen. Überhaupt stand
er im Vergleich zu seinem Vorgänger auf einem weiter vorgeschrittenen Stand-
punkt der Forschung. Die Folge davon war, daß der schon 1883 gedruckte zweite
Band nun den ersten an wissenschaftlicher Durcharbeitung merklich überragte. Er
fügte dem Meister'schen Plan gemäß, der sich selbstverständlich jetzt nicht mehr
findem ließ, den Festliedern des de tempore, die Lieder de eanctis u. s. w. hinzu,
alles bis »gegen Ende« des 17. Jahrhunderts. Das allgemeine Bedauern darüber,
daß nun der erste Band so entschieden hinter seiner Fortführung zurückstehe,
führte den muthigen Verleger, den dabei das laue Interesse, welches die eigene
Kirche an der doch so wichtigen Sache zeigte, keinesweges ermuthigen konnte,
zu dem Beschluß, Bäumker zu einer neuen selbständigen Bearbeitung des im
Meister'schen ersten Band enthaltenen Stoffes zu veranlassen. Schon 1886 konnte
dieser neue erste Band dem voraufgegangenen zweiten nachfolgen und das ganze
Werk wurde von der Kritik als eine höchst werthvoUe Bereicherung und Er-
weiterung der hymnologischen Litteratur und eine wahrhaft mustergültige Arbeit
aufgenommen. Es war neben Anderen der berufenste aller Beurtheiler auf evan-
gelischer Seite, Johannes Zahn, der oben genannte Mitarbeiter Tucher's, der sich
mit höchster Anerkennung in Nr. 6 der Siona von 1886 darüber aussprach.
Die Einleitungen der beiden Bände erörtern in vollster Sachkunde die all-
gemeinen geschichtlichen Hergänge bei der Entstehung des deutschen Kirchen-
liedes: das geistliche Lied (so sollte es hier doch richtiger heißen, als »Kirchen-
lied«) vor der Reformation, Luther und das Kirchenlied, das katholische Lied nach
der Reformation. Es folgt eine reichhaltige Litteratur und Bibliographie, die ge-
naue Beschreibung der wichtigsten katholischen Gesangbücher und Auszüge aus
ihren Vorreden, höchst lehrreich für die weitere Geschichte des katholischen Liedes.
Der erste Band enthält der Melodien 421, der zweite 441. »Die einzelnen Melo-
dien sind genau nach den benützten Quellen notiert, über jeder ist nicht bloß
das älteste kathol. Gb. angegeben, in welchem sie erstmals erscheint, sondern
auch die wichtigsten sp&teren, in welche sie aufgenommen worden ist. Nach jeder
Melodie folgen werth volle Bemerkungen Über die bedeutendsten Veränderungen,
welche sie erfahren hat, und über die Texte, zu denen sie benutzt worden ist; bei
mancher sind auch verschiedene Formen mitgetheilt, in welchen sie auftritt, femer
finden sich Bemerkungen über das Alter und den Ursprung der Liedertexte, endlich
auch über die Verwendung der Melodien von Seiten der evangelischen Kirche und
über die Lieder, für welche sie hier gebraucht worden sind. Unter jeder Melodie
ist die erste Strophe des Liedes beigesetzt und bezüglich der übrigen Strophen
wird auf die Werke von Kehrein und Wackernagel verwiesen« (Zahn a. a. O.).
Man sieht, es ist im Wesentlichen das gleiche Verfahren, welches Zahn bald nach-
her selbst befolgte, und man sieht zugleich, ein wie reicher, aufs sorgsamste vor-
bereiteter Stoff dem Forscher hier vorliegt, der klassische Melodienschatz des
kathoUsch-deutschen Kirchenliedes.
Aber die ganze Aufgabe war doch damit noch nicht zu Ende geführt. Schon
340 Kritiken und Referate.
Zahn sprach in seiner Anzeige den Wunsch aus, der Verfasser möge in einer Fort-
setzung nun auch in gleich wissenschaftlicher und sorgMtiger Weise die seit 1700
in der katholischen Kirche gebrauchten Melodien mittheilen und dieser Wunsch
ward von vielen Seiten wiederholt. Gleichwohl stieß die Ausführung auf Schwierig-
keiten; nicht etwa wegen des zu beschaffenden Materials; dies Hindemiß wußte
der unermüdliche Verfasser, der wohl die Anerkennung fand, daß ihn die Bres-
lauer theol. Fakultät honoris causa zum Docior theologias ernannte, im Übrigen aber
auf seiner abgelegenen Pfarre, mit Amtsgeschäften beladen sitzen blieb, zu über-
winden. Aber die Theilnamlosigkeit des katholischen Publikums, die sieh nui auz
Mangel an Verständniß für die Bedeutung des Gegenstandes erklären läßt, drohte
dem Verleger und nicht minder dem Verfasser zu große Opfer. Eine Subskription
auf den geplanten dritten Band und die »hervorragende Betheiligung des preus-
sifichen Kultusministeriums an der Subskription« (Bd. 3, S. 8) mußte hinzukommen,
um die Arbeit zu ermöglichen.
Inzwischen erwuchs aber dem Verfasser für den Theil seiner Aufgabe, in dem
sie sich mit dem protestantischen Kirchenliede berührt, ihm wohl gleich überraschend
wie der ganzen evangelischen Kirche, ein neues Hülfsmittel von unvergleichlicher
Vortrefilichkeit. Als ich 1886 in den Beilagen zu Nr. 186—187 der (damals noch
Augsburger} Allgem. Zeitung das Bäumker'sche Buch besprach, schrieb ich: »Die
katholische Kirche besitzt nun für ihre Melodien bis zum Ausgang des 17. Jahrh. ein
grundlegendes Werk, wie sich eines gleichen die evangelische Kirche nicht rühmen
kann«; ein Eingestand niß, welches angesichts des sonst so unleugbar behaupteten
Vorsprunges der evangelischen Seite auf dem Gebiete der Hymnologie doppelt be-
schämend wirken mußte. Dieser Mangel wurde in der That keineswegs etwa nur
innerhalb der wissenschaftlichen sondern weit mehr noch fortwährend bei der prak-
tischen Arbeit unserer ELirche für die Verbesserung des Gesangbuchwesens em-
pfunden, bei der es immer und immer wieder an einem wirklich ausreichenden
und sichernden Fundament fehlte. So schloß denn damals auch Zahn seine Anzeige
des Bäumker'schen Buches mit den Worten: »Es wäre nur zu wünschen, daß auch
der Melodienschatz der protestantischen Kirche, welcher an innerem Werth dem
der katholischen Kirche nicht nachsteht, an Formenreichthum denselben weit über-
trifft, mit gleicher Sorgfalt und Gründlichkeit bearbeitet und veröffentlich würde«.
So schrieb Zahn noch 1886, und schon 1889 lag der erste von den 6 Bänden, in
denen er selbst, man mag wohl hinzufügen, wirklich er allein diese Riesenau%abe
gelöst hat, fertig vor; heute, nur 4 Jahre weiter, fehlt dem großen Werke nur
noch die zweite Hälfte des letzten sechsten Bandes mit dem Quellenverzeichniß.
Es sind der Melodien im Ganzen 8806, mit allem zu einer kritischen Ausgabe ge-
hörenden Apparat, ein Werk, vor dem die Kritik ehrfurchtsvoll verstummt, weil
sie nur zu lernen hat. Seit 1891 liegt denn auch der dritte Band des Bäumker'schen
Werkes, der die Geschichte des katholischen Liedes durch das 18. Jahrhundert fort-
setzt, vor, mit gleicher Umsicht entworfen, in gleicher Vortrefflichkeit ausgeführt,
wie die beiden ersten Theile; es sind in den 3 Theilen der Melodien zusammen 1113.
Ich meine, daß ich, von hier aus zurückblickend, wohl an das Wort erinnern darf,
mit dem ich diese Zeilen begann, daß über dem deutschen Kirchenliede in letzter
Periode ein guter Geist gewaltet habe. Beide Forscher haben sich in unver-
gänglicher Weise den Dank des deutschen Volkes und der deutschen Kirche er-
worben.
Zahn hat die Melodien nach den Strophenbauten geordnet, d. h. nach der
Zahl der Zeilen und der Sylben der Zeilen; bei gleichem Metrum chronologisch
nach dem ersten Auftreten der Melodie in einem Gesangbuch. Es war, auch vor
dem Erscheinen des fünften Bandes, wohl möglich, die Lieder danach aufzufinden,
Wilh. Baumker, Das kathoL deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 341
wenn auch mitunter nicht ohne Zeitverlust. Jetzt Oberhebt das Verzeichniß im
fünften Bande den Nachschlagenden jeder Mühe und die Anordnung der Lieder
nach ihren Metren gewährt der Forschung manche Vortheile. Bäumker war an die
Anordnung gebunden, welche sein Vorgänger Meister dem eisten Bande gegeben
hatte. Sie war durch die Anordnung, welche im Allgemeinen in den katholischen
Gesangbüchern von Anfang an beobachtet und bis heute beibehalten ist, nahege-
legt. Es beruht diese Anordnung auf den katholischen Ritualbüchem, die in ihrem
ersten Theil neben dem sogenannten Ordinarium der Qottesdienste, d. h. den sich
in jedem Gottesdienste wiederholenden und gleichbleibenden liturgischen Bestand-
theilen, die Liturgien der Sonn- und Festtage des Kirchenjahres, im zweiten Theil
dann die Liturgien der Marien-, Engel-, Märtyrer- und Heiligenfeste nach ihrem
Auftreten im Laufe des Kirchenjahres geordnet geben, an die sich einiges Allgemeine
wie die Todtenmesse u.s. w. anschließt. Der erste Theil wird als de tempore, der zweite
als de sanetis bezeichnet. Dem de tempore entspricht der erste Theil von Bäumker's
Werk, indem er nach dem Gange des Kirchenjahres die Lieder für die Festzeiten
von Advent bis Fronleichnam giebt; sie erweitem sich z. T. zu allgemeineren
Rubriken, indem an Mariae - Lichtmeß die Krippen- \ind Wiegenlieder sich an-
schließen, die Sonntage von da bis Ostern nur im Allgemeinen durch die Fasten-
und Passionslieder vertreten sind, in die Bittwoche 30 Bittgesänge und zu Fron-
leichnam die Altarssakramentslieder überhaupt gestellt werden. Ln Ganzen sind
es der Lieder 421. Der zweite Theil bringt dann das de sanetis: die Marienlieder
(91 Nummern), die Lieder von den Engeln, Johannes dem Täufer, Joseph und den
Aposteln (21), von den Heiligen (65) und fOr Prozessionen und WaUfahrten (8).
Daran reihen sich dann einige allgemeine Rubriken: Katechismus-, Predigt- und
Evangeliumslieder (46), Morgen-, Abend- und Tischlieder (24), Büß- und Bet-
lieder (15), Bitt-, Dank- und Loblieder (39), von der Kirche und wider die Feinde
der Christenheit (17), Sterbelieder, von den letzten Dingen (32), Psalmenlieder
(32), Litaneien und Rufe (51). Im Anhang folgen noch einige vierstimmige Sätze
zur Charakteristik dieser Behandlungsart, die am Kirchenliede in der kathol.
Kirche zuerst 1628 in einem Bamberger Gesangbuch von Joh. Degen erscheint. Doch
finden sich Ulenberg'sche Psalmenlieder schon 1589 durch Hagius vierstimmig ge-
setzt, nach dem Vorbild der Goudimel'schen Psalmen von 1565. Aus allen drei
Werken theilt Bäumker Proben mit. In den Degen'schen Liedern ist, was der
Titel noch besonders hervorhebt, die Melodie in die Oberstinune gelegt. Die
protestantische Kirche hatte bekanntlich diesen Weg schon seit Lucas Osiander's
Vorgang (1586) eingeschlagen. — Ich habe oben die Anzahl der Lieder in den
einzelnen Abtheilungen bemerkt, denn obwohl es sich ja hierbei nur um die Melo-
dien, nicht um die Texte handelt, so dürften sich doch auch für die Texte im
Ganzen richtige Prozentsätze daraus ergeben, was zur Charakteristik des katho-
lischen Liedes nicht unwichtig ist.
Da Meister's Werk nur auf die Zeit bis 1700 als die klassische Periode des
katholischen Kirchenliedes angelegt war, so mußten im dritten Bande, der nun das
18. Jahrhundert hinzufügen sollte, die angeführten Abtheilungen noch einmal wieder-
holt werden, wobei zwei neue eigenthümliche hinzugekommen sind, nämlich die
»Lieder von Jesus, Maria, Joseph«, deren Aufkommen und Verbreitung Bäumker
von der Verbreitung der »Bruderschaft von der christlichen Lehre«, welche sich
mit diesen drei Namen bezeichnet, herleitet, und sodann die »Singmesse«, deren
am weitesten verbreitete und noch heute in den Gesangbüchern fortlebende der
Josephinischen Periode angehört.
Die Benutzung des Bäumker'schen Buches wird dadurch, daß man statt eines
Registers für das Ganze stets mit dreien zu rechnen hat, etwas erschwert-, dafür
342 Kritiken und Referate.
trägt aber nicht der Verfasser die Schuld, sondern die Entstehungsgeschichte des
Werkes. Dem Verfasser muß aber das Lob gezollt werden, daß die Register, so-
wie die höchst werthyoUen und lehrreichen bibliographischen und sonstigen Hilfs-
mittel der Einleitungen der 3 Bände mit großer Sorgfalt und Umsicht gearbeitet sind.
Diese Bibliographien nebst den Mittheilungen aus den Vorreden der wich-
tigsten Gesangbücher ermöglichen uns, einen klaren Oberblick über die ganse Ge-
schichte des katholischen Kirchenliedes bis sum Jahre 1800 zu gewinnen. Die
Arbeit erweitert sich hierdtirch über die Melodien hinaus zu einer Entwicklungs-
geschichte des katholischen Kirchenliedes überhaupt
Es sei gestattet, den Gang der Entwickelung, wie er im Bäumker^sehen Werk
erscheint, in seinen allgemeinsten Zügen zu zeichnen.
1537 erschien das erste katholische Gesangbuch, dessen Lieder »in und außer
der Kirche, vor und nach der Fredigt, auch zur Zeit der allgemeinen Bittfahrten
und zu andern heiligen Gezeiten« gesungen werden mochten. Es ist dies die sieh
nun stehend wiederholende Formel, nur daß namentlich noch der Gebrauch der
Lieder unter dem Amt der Messe hinzukam. Michael Vehe, Fredigermönch und
Fropst der Stiftskirche zu Halle a. d. Saale, der Verfasser dieses Gesangbuches,
dachte also, was die gottesdienstliche Verwendung der Lieder betrifft , nur an
einen Gesang vor und nach der Fredigt; das zeigt seine »Ordnung vom Gebrauch
der Fsalmen und Lieder «r, und zwar am festfreien Sonntag, zu Weihnacht und
Neujahr, zu Ostern, Himmelfahrt, Ffingsten und Fronleichnam. Für jeden dieser
Tage werden bestimmte Lieder (also als de iempore-lAedeT) bezeichnet. Dann
folgen Gruppen von Frozessionsliedern für Fronleichnam und für die Kreuswoehe,
sodann wieder vor und nach der Fredigt auf die Marienfeste, Johannis, Apostel-
tage und Aller Heiligen-, oder einzelner Heiligen Tage. Man sieht also hier die
Grundlinien der später stets beibehaltenen Anordnung, wie sie sich eben an die
altkirchlich katholischen Ritualbücher am Einfachsten anschließt Volle Durch-
bildung würde sie allerdings nur dann erhalten haben, wenn sie sich allmählich
bis zu vorgeschriebenen de tempore-lÄedem fQr alle einzelnen Sonntage erweitert
hätte. Das ist aber nie erfolgt, ja es sind sogar die protestantischen Gesangbücher
zeit- und theilweise solchem Ausbau näher gekommen, als die katholischen, was
freilich sonderbarer Weise von unseren Hymnologen bisher kaum beachtet und
noch weniger in seiner großen Bedeutung gewürdigt worden ist „Daß Vehe durch
die Einwirkung der seit reichlich 12 Jahren rund um ihn her in Übung stehenden
protestantischen Gesangbücher und der rasch wachsenden Neigung für den deut-
schen Gesang in der Kirche zur Abfassung seines Gesangbuches und zu dem Ver-
such einer festem Ordnung des liiedersingens auch in der katholischen Kirche ge-
führt wurde, das geht deutlich genug aus seiner Vorrede hervor und wird weiter
bestätigt durch den Umstand, daß er die Texte der »von den Alten gemachten«
(also vorreformatorischen) Lieder gleich wol nicht dem lebendigen geistlichen Ge-
sang oder vorreformatorischen Quellen entnahm, wie Luther und seine Genossen
es thaten, sondern eben den Lutherischen Gesangbüchern. Er giebt solcher Lieder
21, dazu 25 vom HaUer Rathsmeister Caspar Querhammer, 5 von G. Wicel und
1 von Seb. Brant gedichtetes Lied. Letzteres ist eine dem Ende des 15. Jahr-
hunderts angehörende Nachdichtung der Sequenz Ave praeclara maria Heüa. Daß
Druck xmd Einführung katholischer Gesangbücher zur Abwehr des gefürchteten
Eindringens der protestantischen Lieder gefördert wurden, ist ein noch lange wieder-
kehrender Zug. So versichert es selbst z. B. das Leisentrit'sche Gesangbuch von
1567, das Dillinger von 1576, das Münchener von 1586, das Andemaeher von 1608
(sollte speziell dem Vordringen des Bonner Gesangbuchs, 1561 f., entgegenwirken),
das Osnabrücker von 1626, sogar noch das Münstersche von 1677. Merkwürdiger
Wilh. Bäumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 343
Weise yeinuchten zwei verbreitete von den Jesuiten besorgte Gesangbücher des
17. Jahrhunderts umgekehrt, durch Lieder den Protestanten den Übertritt in die
katholische Kirche zu erleichtem, nämlich die Wiener Davidische Harmonie von
1659 und das sogenannte Rheinfelsische Gesangbuch von 1666, ein bedeutend
▼ermehrter Nachdruck der Davidischen Harmonie, zun&oht für St. Goar bestimmt.
Hier ist zu dem angedeuteten Zweck eine große Masse von Liedern aus prote-
stantischen Gesangbüchern aufgenommen; in der Davidischen Harmonie unter 115
Ijiedem 74, zu denen im Rheinfelsischen Gesangbuch noch 20 hinzukommen! —
Die beständig wiederholte Betonung der Abwehr »ketzerischer« Lieder zeigt wenig-
stetis, daß die Legalisirung und Ordnung des deutschen geistlichen Liedes bei der
katholischen Kirche des 16. und 17. Jahrhunderts nicht in erster Linie aus Liebe
dafür bei der Geistlichkeit, wohl aber beim Volk hervorging, welches die Kirche
in eine Art von Nothstand versetzte (man vgl. z. B. die Vorrede zu Leisentrit
1567 bei Bäumker IS. 188 f.). Ulenberg erinnert in der Vorrede zu seinem Psalter
(Bfiumker I S. 204} daran, daß schon die alte Kirche gegen die ketzerischen Lieder
der Arianer, Syrer u. A. zu kämpfen gehabt habe, was dann im Corner' sehen
und anderen späteren Gesangbüchern wiederholt und weiter ausgesponnen wird.
Ich würde sagen, auch die in den Vorreden so oft wiederholten Rechtfertigungen
und Anpreisungen des Singens deutscher Lieder überhaupt lassen erkennen, wie
wenig fest sich bei den deutschen Katholiken der Oemeindegesang eingebürgert
habe. Das wäre aber doch nicht begründet, denn auch in den Vorreden prote-
stantischer Gesangbücher und Liedersammlungen des 17. Jahrhunderts gehört diese
Anpreisung des Gesanges unter Berufung auf die Beispiele des alten und neuen
Testamentes zu einem herkömmlichen pedantischen Zierrath.
Es dauerte ganze 30 Jahre, ehe auch nur (zu Mainz) ein Nachdruck des
Vehe'schen Gesangbuchs erschien. Dem gleichen Jahre gehört dann auch das zweite
katholische Gesangbuch an. Vorher aber sind noch einige Werke zu nennen,
deren Inhalt für den katholischen Gesang wichtig ist, indem er später vielfach
für die Gesangbücher benutzt ward, nämlich 1545 — 46 Wicel's Verdeutschungen
der H}rmnen für die Vespern, sowie der Prosen und Sequenzen für die Messen
und 1550 sein PioUer ecclesiastictis ) 1555 das Gesangbuch Triller's, der zwar ein
Anhänger der Beformation aber ein Gegner Luther's war. Sein Gesangbuch enthält
zum großem Theil altkirchlische Hymnen, Antiphonen, Sequenzen und dazu 35
vorreformatorische Lieder. Im gleichen Jahre erschienen Leonhart Kethner's ver-
deutschte «Aymitt öder geistlichen Lobgeseng, wie man die in der Cystercienser
Orden durchs gantz Jar singet«, denen ich als nächste wichtige Quellen für das
katholische Gesangbuch gleich hier des Rutger Edingius »gantz Psalter Davids«
1574, die noch mehr benutzten »Psalmen Dauids in allerlei Teutsche gesangreimen
bracht« von Caspar Ulenberg 1589, und die geistlichen Lieder des Johann Haym
V. Themar, die in 4 Werken 1581 — 90 gedruckt wurden, anschließe.
Inzwischen aber waren als zweites Gesangbuch 1567 in 2 Theilen des Johann
Leisentrit, Domdechanten zu Bautzen »Lieder vnd Psalmen« erschienen; der erste
Theil ausdrücklich als de tempore, der zweite als de aanciis bezeichnet. Unter den
Liedern sind 27 lateinisch, 47 aus Vehe, 8 aus Wicel's Werken, 25 von Hecyrus
(von dem sogleich], 39 aus Triller und 27 aus protestantischen Quellen (darunter
14 Lutherische Lieder), 1 aus Edingius und 1 Lied von Böschenstein. Eine zweite
vermehrte Auflage erschien 1573, eine dritte 1584, diese um 97 Texte vermehrt,
darunter 10 protestantische Lieder. Leisentrit will die Lieder nicht nur, wie Vehe,
vor und nach der Predigt gesungen sehen, sondern auch bei der Messe unter dem
Offertorium und der Kommunion. Dem zweiten Theil sind auch Unterweisungs-
(d. h. also Katechismus-)Lieder beigefügt.
344 Kritiken und Referate.
Der eben genannte Hecyrus, mit seinem deutschen Namen Christoph Schweher
(vgl. AUg. D. Biogr. ßd. 33 S. 329) war lange Schulrektor in Budweis, dann
Pfarrer zu Caden in Böhmen. Nachdem er, wie er erw&hnt, 25 seiner Lieder dem
Leisentrit schon 1567 mitgetheilt hatte, gab er selbst seine » Christliche Gebet vnd
Gesang auff die heilige zeit vnd fayertage vber das gantie Jahr« 1581 heraus,
und zwar cum consensu . . . archiepiscopi Pragensisj wodurch sie für die kirchliche
Verwendung zugelassen waren, als Gesangbuch für die Frager Diöcese. Es sind
52 meistens Ton Hecyrus selbst gedichtete und ds tempore geordnete Lieder. Das
älteste eigentliche Diöcesangesangbuch war aber schon 1575 zu DilUngen für die
Bamberger Diöcese »auff fürstbischöfl. Befehl« gedruckt; ein Auszug aus Leisentrit,
62 Lieder, de tempore geordnet. Andere Gesänge soUen forthin abgeschafft sein.
Vor der Fredigt, mag sie nun je nach örtlicher Gewohnheit vor, innerhalb oder
nach der Messe gehalten werden, soll ein Lied gesungen werden. Das zweite nach
dem Exordium der Fredigt und vor dem darauf folgenden Vaterunser (ein auch
bei den Protestanten verbreiteter Gebrauch), das dritte nach der Predigt und endlieh
nach der Vesper das vierte. Es seien nicht jedem Sonn- und Festtag seine be-
sonderen Lieder zugetheilt, sondern manches Lied auf mehre Sonn- und Feiertage
verordnet, damit die Gemeinden sie um so leichter lernten. Der Schulmeister soUe
sie den Kindern beibringen, alsdann mit ihnen in der Kirche singen und so die
Gemeinde zum Mitsingen heranziehen. Neue Auflagen und Umarbeitungen folgten
1576, 1638, 1670, 1691. In Dillingen erschienen noch andere Gesangbücher 1589
und 1624. — Zunächst folgte »mit obrigkeitlicher Bewilligung« 1586 ein Münche-
ner Gesangbuch, 56 Lieder aus Vehe, Leisentrit, Ulenberg, aus einem von Walas-
scr in Tegemsee 1574 herausgegebenen Gesangbuch, das einen besonders volks-
thümlichen Charakter trägt, u. s. w. VTiederholungen und andere Gesangbücher
folgten in München 1597, 1598, 1613, 1621, 1627, 1631, 1666, 1667, 1685. Mögen
zunächst (nach dem Erscheinen des je ältesten der Gesangbücher dieser Gattung,
die man als kirchlich autorisirte zu betrachten hat, geordnet) die Jahreszahlen
selbst eine Art Statistik geben:
Innsbruck: 1587, 1588. — Würzburg: 1591, 1625,1627,1628,1630. 1631,
1649, 1656, 1669, 1671, 1693.— Ingolstadt: 1594, 1598.— Co n stanz: 1597, 1600.—
Köln: Seraph. Lustgarten 1635; GB. bei Quentel 1599, 1600, 1619, 1621, 1625;
bei Brachel 1619, 1623, 1625, 1628, 1631, 1634 u. s. w.; Geistl. Psalter 1638. —
Speier: 1599, 1613, 1617 u. ö. — Mainz: Cantual 1605,1625, 1627, 1661, 1664,
1679, 1699; Himml. Harmonie 1628; Allgem. Gesangb. 1697 (4. Aufl.) — An-
dernach (für Bonn): 1608. — Hildesheim: 1619, 1625. — Braunsberg:
1624, 1639. — Neiße (für Bresku) : 1625, 1663, 1675, 1680. 1688. —Osnabrück:
1628, nur eine neue Ausgabe von Köln, Brachel 1619. — Paderborn: 1609,
1616, 1617, 1628, 1665, 1696. — Mol s heim (für linksrhein. Diöcesen): 1629, 1659.
— Heidelberg: 1629 (Abdruck eines älteren GB.) —Münster, niederd. 1629;
hochd.: 1674 (2 verschiedene), 1677, 1678, 1688, 1700.— Frag: 1655, 1676. — Wien:
Davidische Harmonie (s. o.) 1659. — Rheinfels (s.o.): 1666. — Erfurt: 1666.
— Hannover: 1675. — Corvey: 1675. — Eger: £cho hymnodiae eoelestu 1675.
— Duder Stadt (für das damals Mainzische Eichsfeld) : 1688, 1690. — Trier:
1695 (Nachdruck von Köbi, Quentel 1625.) — Fulda: 1673, 1695. — Straß-
bürg: 1682, 1697.
Dazwischen erschienen mehrere Gesangbücher von zunächst mehr privatem
Charakter, die aber Hauptquellen für die späteren Diöcesan-Gesangbücher wurden,
namentlich folgende: Nicol. Beut tn er. Katholisches Gesangbuch, Graz, cum
licentia superiorum, 1602; 7. Aufl. 1660. Benutzt hat er Vehe, Leisentrit, Haym
von Themar, die GB. München 1586, Köln 1599, auch verschiedene protestantische;
^ilh. B&umker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 345
im Ganzen 141 deutsche Lieder mit 86 Melodien. Die neuen Auflagen scheinen
unveränderte Abdrücke zu sein. — "Wichtiger noch ward des P. Gregor Corner's,
Priors su Göttweih »Groß Catholisch Gesangbuch«, 1625, 1631, 1649, 1568, 1671,
1674, 1676 ; eine der hinfort am meisten benutzten Quellen. £r selbst nennt als seine
Quellen Leisentrit, Ulenberg, femer die Gesangbücher Speier 1599 u. s., w. Köln
(Brachel) 1619, 1623, Mainz 1628, Würzburg 1628, Heidelberg 1629 u. a. Er hat aber
nach Bäumker's genauer Untersuchung auch Beuttner benutzt. Die Ausgabe von
1631 hat neben 76 lateinischen 470 deutsche Texte mit zusammen 276 Melodien.
Das Buch enth< den bis dahin erwachsenen Kern des Liederschatzes. 42 der
Lieder stammen aus nicht katholischen Quellen, 8 lateinische und 53 deutsche
Texte erscheinen hier zuerst. Aus der sehr lehrreichen langen Vorrede dieses
Gesangbuches (Bäumker I S. 216 — 28) kann ich mir nicht yersagen, im Vorüber-
gehen die folgende kleine Erzählung hier mitzutheilen, welche einen beachtens-
werthen Wink dafür giebt, wie sehr damals noch auf protestantischer Seite die
Verwendung des Liedes de tempore nach festgeregeltem Herkommen im Volke lebte :
»Mir ist nicht vnbewußt^ das vberwitzige Ketzer gefunden werden, welche allen
Tnterwshied, sowol der Festtag als des singens gern wolten durch einander buttern,
wie ich denn einsmals selbs in einer Lutherischen Kirchen ein heimblich Calvini-
sehen Praedicanten am dritten Advent Sontag hab hören auff der Gantzel anheben
zu singen: Christ ist erstanden, aber seine damalen noch Lutherischen Zuhörer
(welche der Gatholischen Andacht vmb ein gutes näher verwand zuseyn vermeynen
als die Calvinischen) lachten jhn selbst au(3, vnd waren jhrer sehr wenig die dem
Praedicanten begehrten nachzusingen. Als aber nach der Predig der Schulmeister
anfieng zusingen: Nun komt der Heyden Heyland, sang alles Volck fleißig mit,
denn diß war de tempore^ jenes nicht.« Endlich ist noch des Kapuziners Martin
V. Cochen »Allgemeines Gesang-Buch aus denen Mayntsischen, Trierischen, Cöll-
nisehen, Würtzburgisohen und Speyrischen Gesangbüchern zusammengestellt« her-
vorzuheben, welches 1568 in erster, 1700 in elfter Ausgabe erschien.
Das erwähnte Köln-Quentelsche GB., welches auf Befehl des Bischofs für
die Speirer Diöcese gedruckt ward, zeigt insofern eine kleine Abweichung in der
Anordnung, als es auf Bl. 1 — 20 die Katechismuslieder voranstellt. Es ruht
übrigens mit seinen 42 lateinischen und 132 deutschen Liedern (112 Melodien)
hauptsächlich auf Vehe, Leisentrit, Ulenberg und dem Münchener GB.
Das Mainzer Cantual von 1605 giebt zum ersten Mal eine ausdrückliche
Anweisung, »Wie die Pastores vnd Custodes oder Kirchner« die Gesänge ge-
brauchen mögen. In der gesungenen Messe wird gestattet, statt des Graduales
oder Tractus, auch statt des Alleluja, doch mit Ausnahme der hohen Feste, ein
deutsches Lied zu singen. Doch mag auch an Festen unter dem Choralgesang
des Alleluja und der Sequenz ein Lied gesungen werden. Dann mag femer unter
dem Offertorium ein Lied gesungen werden (!) ebenso stets nach der Elevation;
außer an hohen Festen auch statt des Agnus ein Sakramentslied und nach dem
Deo gratia» ein kurzes Beschlußlied. — Wenn dagegen die Messe nur gelesen
wird, dann mag der Küster mit der Gemeinde vom Introitus bis zum Beginn des
Evangeliums (also auch während der Epistellesung) vom Oflertorium bis an die
Elevation, von der Elevation bis an den Segen und zum Beschluß deutsche Lieder
singen. In der Vesper an den Festen darf nur nach dem Schluß der lateinischen
Liturgie deutsch gesungen werden.
Das Andemacher GB. 1608 fügt allen deutschen Liedern lateinische Bear-
beitungen bei. Das gleiche that auf protestantischer Seite z. B. schon 1583 das
»Neuw Gesangbuch Teutsch v. Lateinisch« von Wolfg. Ammon (Exempl. in der
Dresdener kgl. Bibliothek). Das Andernacher GB. gestattet das deutsche Singen
1893. 23
346 Kritiken und Referate.
übrigens wieder nur Yor und nach der Predigt und bei ProseBsionen, nicht unto-
der Messe.
Das Bamberger GB. 1628 giebt, wie schon erwähnt, die Melodieen zum ersten
Mal in 4 stimmigen Sätzen; es ist also auf die Mitwirkung des Chores beim Ge-
sang der Lieder berechnet und zwar, wie die Verlegung der Melodie in die Ober-
stimme beweist, zur Begleitung des Gemeindegesanges, entsprechend dem in der
evangelischen Kirche seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts aufgekcMnmenen
Style. Joh. Degen, der Setzer dieser Gesänge und Herausgeber des Gesangbuches
war Kaplan und Organist an der St. Martinspfarrkirche zu Bamberg.
Das Osnabrüoker Gesangbuch 1628 verbietet strenge den Gebrauch aller
anderen Liederbücher neben diesem offiziell eingeführten. Dabei ein kultur-
geschichtlich interessantes Kuriosum. Unter denen, denen dies Verbot eingeschärft
wird, sind auch die bischöflichen Thurmbläser und Spielleute ; sie sollen Morgens,
Abends und Mittags von den Thürmen nichts abblasen und spielen, als was in
diesem GB. »mit sicherer Ordnung und Designation « vorgeschrieben wird, d. h.
zu allen Zeiten des Kirchenjahres nur die richtigen de tempore-JjiedeT. Ohne
Frage ist das eine ganz allgemein verbreitete Sitte gewesen. Auf protestantischer
Seite weiß ich nur außerhalb Deutschlands ein Beispiel nachzuweisen. In Kopen-
hagen wurde am Hofe Christian's IV. 1649 ein Thurmbläser angestellt; in seiner
Bestallung wird ihm auferlegt: allnächtlich beim Schlag der vollen Stunden und
nach dem Wächterruf auf dem Thurm der Frauenkirche eine Strophe eines geist-
lichen Liedes zu blasen, welches nach Maaßgabe der Zeit in den Kirchen gesungen
wird. (VgL Angul Hammerich, Musiken ved Christian den i^erdes Hof. Kjebenh.
1892 S. 155). Auch hier wieder ein Beleg für die feste Einbürgerung des de
tempore auch beim deutschen Liede.
Unter den Kölnischen (Bracherschen) Gesangbüchern hat der Seraphisch Lust-
garten von 1635 eine abweichende Ordnung, nämlich nach dem Direktorium des
Franziskanerordens: er folgt dem Jahr vom 1. Januar bis 28. Dezember und schaltet
alle Feste in die betreffenden Monate ein. Dann folgen Wallfahrtslieder u. a.
Eigenthümlich sind ihm auch die »Gesprächslieder«, den um diese Zeit auch in
der protestantischen Kirche üblichen Dialogen entsprechend.
Während bis hierher die alte Tradition in den Gesangbüchern wenigstens
im Charakter auch der neu hinzukommenden Lieder ununterbrochen fortlebt, tritt,
so viel ich sehe, zuerst im Kölner »Geistlichen Psalter« von 1638 ein Liederdichter
ganz neuen Geistes auf: es erscheint hier eine Anzahl Spee'scher Lieder, die sich
später in der bekanntlich erst nach des Dichters Tode 1649 gedruckten Trutz-
nachtigall wiederfinden. An Spee schließt sich dem Geiste nach Angelus
Silesius an, dessen Heilige Seelenlust zuerst 1657 erschien, 123 Lieder mit Melo-
dien von Georg Josephus, einem Musiker im Dienste des Fürstbischofs von Breslau.
Es läge hier die Versuchung nahe, im Anschluß an diese beiden Dichter von so
hervorragender dichterischer Bedeutung auf die Frage einzugehen, auf welchen
Gründen der thatsächlich vorhandene große Unterschied zwischen dem katholischen
und protestantischen Kirchenliede trotz ihrer nahezu gleichen ja in vielen Stücken
geradezu gemeinsamen Ausgänge beruht. Wenn man die heutigen Gesangbücher
beider Seiten zusammenhält, so fällt der Vergleich zu Ungunsten der katholischen
aus. Die redlichen Freunde des deutschen Kirchenliedes unter den Katholiken
dürfen die Augen vor dieser Thatsache nicht verschließen, um die Frage, welche
Wege zur Hebung ihres Kirchenliedes einzuschlagen sind, in diesem Lichte zu
prüfen. Hier aber ist nicht der Ort, hierauf einzugehen; schon der Baum würde
es nicht gestatten. Auch gilt ja Bäumker's Werk- zunächst nur der andern Seite,
den Melodien. Nur eine kurze Bemerkung scheint doch hier zur Sache zu ge-
Wüh. B&umker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 347
hören. Spee's und Scheffler's Eingreifen in die Liederdichtung um die Mitte des
17. Jahrhunderts hat auf den katholischen Gesang nicht in der Weise eingewirkt,
daß viele ihrer Lieder dauernd im kirchlichen Gebrauch geblieben wären, wenn
ich nicht irre, von Spee gar keine, so wenig wie bei uns Protestanten, Ton Schefiler
weniger, als bei uns. Aber der Charakter ihrer Dichtung hat auf die Folgezeit
und auf ein Jahrhundert hinaus stark auf die Liederdichtung und daher mittelbar
auch auf die Gesangbücher eingewirkt. Ich glaube indeß nicht zu irren, wenn
ich meine, daß Scheffler auch in dieser Hinsicht auf die protestantische Lieder-
dichtung ungleich stärker eingewirkt hat, als auf die katholische. Dabei darf
man eben nicht vergessen, daß er selbst auf dem Boden des protestantischen
Liedes gestanden hat, ehe er zur katholischen Kirche übertrat. Der Geist seiner
Dichtung steht daher auch der protestantischen Seite näher. Es ist freilich gewiß
genug, daß auch seine schönsten Lieder, etwa das herrliche »Ich will dich lieben,
meine Stärke«, welches sich ja bis heute in katholischen wie protestantischen Ge-
sangbüchern findet, in ihrer Empfindungsweise und Empfindsamkeit außerhalb der
Grenzlinien des eigentlich kirchlichen stehen; diese wußten seine protestantischen
Zeitgenossen Paul Gerhard, Rist u. a. sicherer zu erkennen und zu wahren und
ohne die pietistische Strömung würde auch Scheffler auf unserer Seite nicht so
stark eingewirkt haben. Neben Spee und Scheffler erscheinen dann noch Andere,
die für das katholische Kirchenlied bedeutend wurden: Johannes Kuen oder
Khün, an der Münchener Peterskirche, gest. 1675, ein Freund Balde's; der Jesuit
und kurkölnische Hof prediger Wilhelm Nacatenus, gest. 1682 und gegen Ende des
17. Jahrhunderts der Pater Laurentius von Schnüffis, erst fahrender Sänger und
Schauspieler, dann Priester und Kapuziner, gest. 1702.
Eine eigentümliche Erscheinung bilden noch die 1653 zu Würzburg erschie-
nenen »Catholische Sonn- vnd Feyertägliche Evangelia, vnd darauß gezogene
Lehrstück«. Hier wird über jedes Sonn- und Festtags-Evangelium ein Lied und
ein zweites über die darin enthaltene Lehre gegeben, immer beide auf dieselbe
Melodie. Eine zweite Ausgabe, um die ebenso behandelten Episteln vermehrt,
erschien 1656. Viele dieser Lieder gingen in das Mainzer Gesangbuch von 1661,
1665 über, sind aber aus dem von 1679 wieder fortgelassen. In der protestantischen
Kirche beginnen bekanntlich die Evangelienlieder mit Nie. Hermann's Sonntags-
evangelien von 1560, die zahlreiche Nachahmungen fanden. Kurz vor den Würz-
burger Evangelien, nämlich 1651 war Rist's Sabbathische Seelenlust, »Das ist Lehr-
Trost- Vermahnung- und Warnungsreiche Lieder über all Sontäglichen Evangelien
deß gantzen Jahres« erschienen, angeregt durch Opitz' 1624 erschienene Lieder über
die Episteln. Kist selbst las diese Lieder auf der Kanzel, nachdem er über das
betreffende Evangelium gepredigt hatte und ermahnte die Hörer, das Lied nachher
zu Hause zu singen. Auf protestantischer Seite steht die Sache in einem gewissen
Zusammenhang mit der Entstehung der Kirchenkantate, was ich an anderer Stelle
nachweisen werde. In der katholischen Kirche scheint sie nicht weiter nachgewirkt
zu haben; doch erschien noch 1725 zu Schweidnitz eine ähnliche Sammlung von
Epistel- und Evangelienliedem «mit der Lehre«.
Das 18. Jahrhundert, dem nun der dritte Band des Bäumker'schen Werkes
gilt, nach gleicher Anordnung des Stoffes dargestellt, hielt in seiner ersten Hälfte
an der Überlieferung des 16. und 17. Jahrhunderts fest. Die Hauptgesangbücher
erscheinen in immer neuen zum Theil vermehrten Auflagen. So das Beuttnerische
OB., das Mainzer Cantual 1715, 1724, an dessen Stelle dann neue Ausgaben des
Mainzer GB. von Martm v. Cochem treten (1705, 1312, 1733, 1737, 1762, 1772, 1774).
Das Kölner Jesuiten-Psälterlein (1701, 1718, 1734, 1741, 1147), die Gesangbücher von
WüTzburg, Bamberg, St. Gallen, Straßburg, Münster, Paderborn, Osnabrück, Hildes-
23*
348 Kritikeii und Referate.
heim, Eichsfeldi Erfurt, Breslau u. s. w. Neu hinzu tritt, gleichfalls die alten F&den
-weiter spinnend, besonders das stark verbreitete Potsdamer GB. des P. Raymundus
Bruns (1738, 1742, 1745, 1754, 1764, 1785, Nachdrucke Augsburg 1740, Münster 1744,
Liegnitz 1745, Köln 1748.) Die Lieder ScheffWs und seiner Nachfolger finden um
diese Zeit größere Beachtung, als im 17. Jahrhundert. Ein Breslauer GB. von 1727
enthält 63 Scheffler'sche Lieder, neben nur 13 weiteren Ton katholischen Dichtem.
Auch die Heranziehung protestantischer Lieder bleibt fClrerst noch unangefochten ;
dasselbe Breslauer GB. hat ihrer 151 ; ein Dansiger von 1732 unter 202 Liedern 100;
dies GB. wurde dann allerdings in einer Aufl. von 1 750 als unkatholisch yerboten.
Sogar das ausdrücklich gegenreformatorische Prager GB. von 1715 enthält unter
104 Liedern noch 25 protestantische. Unter den Liederdichtem, die weitere Be-
achtung fanden, ist Pet. Keyenberg zu nennen, dessen Neuvermehrte hinunlische
Nachtigal, Köln 1701, seiner eigenen Lieder 85 enthält (die erste Ausgabe war
1673 erschienen).
In dem stark vermehrten Bamberger GB. von 1732 macht sich zuerst ein
Eindringen des Deutschen Liedes in die Liturgie selbst bemerkbar. Während
sonst, wenn das deutsche Lied unter der Messe zugelassen wird, stets vorausge-
setzt ist oder ausdrücklich befohlen wird, daß darüber von dem lateinishcen Text
der Liturgie nichts ausfallen dürfe, wird hier angeordnet, daß statt des Hymnus
Fange lingua die (chorsingenden} Schüler das Lied: »Mein Zung erkling« singen
sollen; beim Begräbniß statt des Müerere: »O Gott in meinem höchsten Leid«,
statt des Libera: »Mitten wir im Leben sinda. Es mehren sich zugleich die Lieder,
welche bestimmt sind, unter den einzelnen Abschnitten der Messe gesungen zu
werden, nach der Einrichtung, welche man — meines Wissens erst etwas später
— als deutsche Singmessen bezeichnet hat. Die Sache ist uns ja schon vorhin im
17. Jahrhundert im Münster* sehen Gesangbuch 1877 begegnet. Solche Singmesse
gibt z. B. das Hildesh. GB. 1739. Die hierfür gedichteten Lieder sollen dann den
einzelnen Theilen der Messe, dem Gloria, Gradual, Credo, Offeriorium u. s. w.
entsprechen. Es ist freilich ein trauriger Ersatz, wenn in der am meisten ver-
breiteten Singmesse von 1797 statt der mächtigen Worte des Credo gesungen wird:
Allmächtiger, vor dir im Staube
bekennt dich deine Greatur,
o Gott und Vater, ja ich glaube
an dich du Schöpfer der Natur:
auch an den Sohn, der ausgegangen
von dir, geboren ewig war
und den vom heiigen Geist empfangen
die reinste Jungfrau uns gebar.
Auf gleicher Höhe steht alles Andere, was mir von diesen Singmessen zu Gesieht
gekommen ist; es gehört zu den dürftigsten Erzeugnissen der kathol. kirchlichen
Dichtung.
Gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts beginnt eine ganz neue moderne
Strömung in der Gesangbuchlitteratur zu Tage zu treten. Die alten Lieder fangen
an, altfränkisch nach Sprache, dem Zeitgeist zuwiderlaufend in ihrem Inhalt und
in der Form ruh zu erscheinen. Was die Sprache betrifft, so ist es allerdings
bedenklich, daß man seit dem Anfang des Jahrhunderts (vgl. z. B. das Würzb.
GB. von 1705) auf den Titeln so oft und zwar in den verschiedensten Gegenden
den mundartlichen Plural; » Gesänger «, sogar auch »Gebeter« liest Das scheint
eine kleinliche Äußerlichkeit, hängt aber doch mit dem Einfluß zusammen, den
diejenigen Bestandtheile des katholischen Gesangbuches, — sie nehmen einen
Wilh. Bäumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 349
recht erheblichen Baum ein — welche Yermöge ihr ganzen Fassung nur für das
»Volk« d. h. seine unteren Schichten bestimmt sind, auf das Ganze ausüben.
Träger des Liedes ist in der protestantischen Kirche nicht das Volk, weder in
diesem Sinne des unteren Volkes, noch im Sinne seiner Gesanmitheit, sondern die
Gemeinde, wie sie in der Reformationskirche Überhaupt wieder zum Subjekt
der heiligen Handlung gemacht wurde. Im 16. Jahrhundert deckten sich hierbei
noch beide Begriffe, Gemeinde und Volk. Die erst gegen Ende des Jahrhunderts
im Kulturleben der Nation deutlicher heraustretende Kluft zwischen den wissen-
schaftlich Gebildeten und dem »Volk« in der modernen Bedeutung war in der
Geburtsstunde des Lutherischen Kirchenliedes noch nicht vorhanden. Gerade dies
hat diesem Liede die Eigenart eingeprägt, vermöge deren es das kirchliche Em-
pfinden und Denken der die Gemeinde bildenden Gesammtheit der geistig höher
oder minder Gebildeten ganz gleichmäßig zum Ausdruck bringt. Das protestan-
tische Kirchenlied hat sich von dieser Eigenart zwar mannigfach abirrend verloren,
bald nach Seiten unvolksmäßiger Verkünstelung, bald und zwar hauptsächlich
nach Seiten zu subjektiver Gefühlsdichtung. Es hat aber jene eigenthümliche mitt-
lere Linie wenigstens niemals aus dem Gesicht verloren und sucht sie stets, in unse-
rer Periode so gut wie in den früheren, wiederzugewinnen. In der katholischen
Kirche ist es nach wie vor nicht die Gemeinde, welche als solche einen Antheil
an der heiligen Handlung hat, sondern eben das Volk der verschiedenen Klassen,
welches ihr mit religiöser Antheilnahme beiwohnt. Darum ließ man hier auch
stets dem »Volk« nach seinen verschiedenen Klassen das Wort und wir finden in
den Gesangbüchern eine Menge von Liedern, die, weU sie eben geistliche Volks-
lieder geblieben sind, ohne dem edleren Stamme des Kirchenliedes eingeimpft zu
werden, in einem protestantischen Gesangbuch, wie manche andere Abirrungen
vom rechten Wege es' sonst auch enthalten möge, gänzlich unmöglich wären.
Hier in Schleswig, wo von unseren Katholiken das Münstersche Gesangbuch ge-
braucht wird, singt man z. B. nach diesem Gesangbuch noch das zuerst im Köln-
Brachel'schen Gesangbuch von 1623 erscheinende Lied:
1. Als ich bei meinen Schafen wacht,
ward frohe Botschaft mir gebracht.
Des bin ich froh, bin ich froh,
froh, froh, froh, o, o, o!
Benedicamus domino,
2. Ein Engel sprach: geboren ist
das Heil der Welt, Herr Jesus Christ.
Des bin ich u. s. w.
(Bäumker I Nr. 162; bei Böhme, Altdeutsches Liederbuch S. 632 mit Beeht
unter die Volkslieder aufgenommen.) Im selben Gesangbuch findet sich (Nr. 67)
das zuerst 1767 erscheinende von Bäumker als beliebtes Sakramentslied bezeich-
nete, an sich sehr anmuthige Volksliedchen :
1. Himmelsau, licht und blau,
Wie viel zählst du Stemlein?
Ohne Zahl, so viel Mal
sei gelobt das Sacrament.
2. Gottes Welt, wohlbestellt,
wie viel zählst du Stäublein?
Ohne Zahl u. s. w.
350 Kritiken und Referate.
(Bäumker III Nr. 67). Ursprünglich lautete der Eingang: »Himmelblau,
dich beschau«. Diese Beispiele genügen zur Beleuchtung des Gesagten. So wenig
wie solche Lieder dem geistigen Wesen der einen Hälfte der Gemeinde entsprechen»
so fremdartig muß es freilich die andere anmuthen, wenn sie (Nr. 31 desselben
Gesangbuches) in Distichen singt:
Lob und Ehre sei dir, o Christe, Gott und Erlöser,
Dem der Hosannagesang jauchzender Kinder erscholl
oder in biederen Alexandrinern (Nr. 62).
In Demuth bet ich dich, verdeckte Gottheit an,
die zwar mein leiblich Aug hier nicht entdecken kann
Es täuschen sich an dir Geschmack, Gefühl, Gesicht,
nur sicher glaubt man dem Gehör, dies trüget nicht.
Bei dieser Ton einem » Gebildeten « für »das Volk« hergerichteten »Deutlichkeit«
kommen freilich beide Theile gleichmäßig zu kurz.
Einerseits sind es nun eben diese zum wahren Kirchenlied nicht erhobenen
Volkslieder, mehr aber noch andererseits gerade der beste Kern der alten Lie-
der, gegen den sich, wie gesagt, gegen Mitte des 18. Jahrhunderts der Zeitgeist
erhob. Gleich ein hierbei vorangehendes privates Liederbuch »Neues Gott und
dem Lamm geheiligtes Kirchen- und Hauß- Gesang« von H. Lindenbom, Köln
1741, welches unter dem Namen »Tochter Sion« große Verbreitung fand, schüttet
frischweg das Kind mit dem Bade aus. Jedes ungeblendete Gemüth, meint der
Verfasser, werde bekennen müssen, daß es trotz der vielen Gesangbücher doch
gar keines oder nur wenige gebe, welche »ein allgemeines Teutsches Gesangbuch
in reiner Teutscher Sprach« darstelle. Er dichtet daher eines mit 199 deutschen
Liedern und läßt, damit doch auch die Musik nicht in ihrer bisherigen Niedrig-
keit verharre, von den bewährtesten KapcUmeistem und Musikverständigen ganz
neue Melodien anfertigen. Noch unter diesem Buch steht durch Nüchternheit
und Plattheit Barmann's Gesangbuch, Augsburg 1760, welches ebenfalls lauter
neue Lieder mit Melodien in »anmuthigem Figuralstyl« enthält. Auch Hausen
wollte in seinem »Singenden Christ«, DilÜngen 1762, eigentlich lauter neue Lieder
geben, ließ aber doch einigen alten auf mannigfache Fürbitte noch Gnade wieder-
fahren, doch nicht ohne sie zu »verändern, verbessern und abzukürzen«. Auch
versah er seine Lieder mit »angenehmen Arien«. Die größte Verbreitung und den
weitesten Einfluß als Grundlage vieler anderer Gesangbücher gewann aber Kohl-
brenner's »Der heilige Gesang zum Gottesdienste in der römisch katholischen
Kirche«, Landshut 1777, weil es so recht der Bichtung des Josephinismus und dem
nüchternen Geiste der Aufklärung entsprach. An der Poesie , meint er, werde
man zwar viel zu tadeln haben, es sei aber mehr für das Herz als für das Ohr
gemeint. Das gemeine Volk verlange Deutlichkeit, man müsse sich zu dessen
»leichtem Begriffe« herablassen. Nebst seinen eigenen Liedern nahm er Lieder
des Wiener Denis und EiedeUs auf; die Melodien machte Hauner. Eine in
musikalischer Hinsicht verbesserte 2. Auflage von 1790 besorgte Michael Haydn.
Von Hauner wird denn auch die Komposition der (aus diesem Buche eben stam-
menden) oben erwähnten deutschen Singmesse sein, die bis heute lebt und ver^
breitet ist Wenigstens entspricht seiner sonstigen Art (nur daß sie sich öfters:
ganz in banalen Volkston herabläßt) z. B. folgendes Litroitus- (oder Kyrie-?) lied
Wilh. Bäumker, Das kathol. deutsclie Kirchenlied in seinen Singweisen. 351
1
Sehr langsam.
t
m
Hier liegt vor dei - ner Ma-je-stät im Staub die Chri-sten-
p LMx j I f r ^F^ m jt j:g^ §
schar; das Herz su dir, o Gott! er -höht, die Au - gen zum AI-
M-^^ I ^'r r r C; 4^^h
r ^ h ^ I
tar. Schenk uns, o Va - ter, dei - ne Huld, ver-gieb uns un-sre
P
3Ö
¥
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fa -^-^ m:^ ^
Sün - den-schuld, o Gott, vor dei - nem An - ge - sieht, ver-
i~T] j ~r^
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stoß uns ar - me Sün
der nicht! ver - stoß uns
t
^m
l I M t i I r
nicht! Ter - stoß uns Sün - der nicht!
Der Text ging übrigens auch in den evangelischen Gesang über ; er findet
sich bei Zahn Nr. 5606 mit einer Melodie von Schicht.
Andere wandten sich in gleichem Modemisierungstrieb gegen die alten Melo-
dien. Das sehr stark verbreitete Gesangbuch vonitud. Deutgen, Osnabrück 1781,
giebt z. B. neben jeder alten Melodie eine neue. Wer sich aber sei es für Text
oder Melodie nicht gleich gerüstet fand, dem Zeitgeschmack mit lauter Neuem
zu dienen (Ign. Franz sagt in seinem gleichfalls stark verbreiteten Gesangbuch,
Breslau 1778, er habe lieber gleich lauter neue Lieder gemacht, weil ihm dies
veniger Mühe gemacht habe, als wenn er alle Fehler der alten hätte verbessern
wollen; die Fehler seiner Lieder müsse man damit entschuldigen, daß er sich erst
seit 12 Jahren mit Liederdichten beschäftigt habe!), der modernisierte wenigstens
die alten Lieder. So vollzog sich nun in rascher Folge in allen Diöcesen und
Gesangbüchern ein mehr oder minder vollständiger Bruch mit der Überlieferung.
Die Art wie und die mancherlei Gesichtspunkte, unter denen dies sich vollzog,
legt Bäumker in der Einleitung des dritten Bandes und der sich daran anschlie-
ßenden Bibliographie auf höchst anziehende und lehrreiche Weise dar. Man lese es
dort in ganzer Ausführung; es ist weit über seinen nächsten Stoff, die Melodien,
hinaus von Interesse. Dem Musikkundigen wird es aber kein geringeres Interesse
gewähren, sich auch die 351 Melodien dieses dritten Bandes auf diese ihre
Geschichte hin anzusehen. Auch findet sich, so wenig kirchlich sie im Großen
352 Kritiken und Referate.
und Gänsen sind, doeh eine Anxahl schöner Melodien darunter. Man betrachte
c. B. die schönen alten Melodien Nr. 5 mit ihrem Bhythmenwechsel, Nr. 6 (Es
ist einRos* entsprungen, aber eine andere, als die bekannte Melodie), Nr. 12; die
schönen Volkslieder Nr. 22, Nr. 40 u. s. w.
Was ich vorhin andeutend über das rein Yolksmäßige im Text der katholi-
schen Kirchenlieder sagte, das findet ja auch auf die Melodien seine Anwendung
und zwar nicht nur auf die des 3. Bandes und des 18. Jahrhunderts. Ich möchte
mir darüber in aller Kürze noch ein allgemeines Wort gestatten. An ihrem Aus-
gangspunkte im 16. Jahrhundert stehen die Lieder beider Kirchen auch in ihren
Melodien ganz auf gleichem Boden ; stellte sich doch Luther mit seinen Freunden
von Anfang an z. Th. grade auf den Boden des altkirchliohen geistlichen Volks-
gesanges. So sind denn auch die Melodien alle in gleicher Weise volksthümlieh.
Dabei aber, das darf man nicht vergessen, handelt es sich um eine Musikperiode,
in der überhaupt das geistliche Lied in seinem Charakter von dem weltlichen nicht
wesentlich verschieden war. Wie hätten auch sonst so manche Melodien welt-
licher, oft im bedenklichsten Sinne weltlicher Lieder einfach auf kirchliche Texte
übertragen werden können? Erst gegen Ende des Jahrhunderts mit dem Ueber-
handnehmen der italienischen Liedformen schieden sich die Wasser. Ghrade zur
selben Zeit wurde aber dem protestantischen Kirchenlied die Gunst einer eigen-
thümlichen Entwicklung zu Theil. Von Anfang an hatte ja in der evangelischen
Kirche in den Gesang des Gemeindeliedes der Chor mit eingegriffen, wie dies
schon das Walther'sche Chorgesangbuch in seinen wiederholten Auflagen beweist
Hier geschah es, wie das nicht anders sein konnte, in der figurirenden Poly-
phonie des damaligen Kunstgesanges. Zeigt sich indessen schon bei Walther etwas
von dem Bestreben, hierbei nicht zu kunstvoll schwierig zu setzen, so nimmt in
der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts die Vereinfachung des Satzes immer merklicher
zu. Ich glaube nicht, daß man ursprünglich dabei das Mehr oder Minder des
Kirchlichen oder auch nur leichtere Faßbarkeit der 4 stimmigen Sätze im
Auge gehabt hat, sondern vielmehr nur ihre leichtere Ausführbarkeit. Der
Kreis ihrer kirchlichen Verwendbarkeit verengerte sich ja in eben dem Maße, in dem
man höhere Anforderungen an die Gesangstechnik des Chores stellte. Das war um
so bedenklicher, weil der Chor damals ganz allgemein als das eigentliche Organ
betrachtet wurde, durch das die Lieder in den Gemeindegesang übertragen werden
konnten. Nicht einmal die Orgel kam damals hierfür in Betracht. Das Bedürfniß
steigerte sich aber noch, weil in der 2. Hälfte des Jahrhunderts ein gewisses Nach-
lassen und Erlahmen des Gemeindesanges eintrat, woran die mannigfachen Klagen
keinen Zweifel lassen. Unter solchen Eindrücken hatte man allen Anlaß, dem
Chor der Singenden wie dem Ohr der Hörenden die Sache möglichst zu erleichtern.
So bildete sich als eine kunstvolle und schöne Mitte zwischen dem Figuralstyl und
dem Note gegen Note kontrapunktirenden FaUo bordone, wie er beim Psalmodiren
üblich war, jener ältere protestantische Choralstyl, in dem die zur Melodie hinzu-
tretenden Stimmen, während sie sich im allgemeinen zu Harmonien aceordisch
zusammenreihen, doch von der Bewegung des Figuralstyls grade so viel beibe-
halten, um sich flüssig in imtergeordneter Selbständigkeit zu bewegen. Vollendet
wurde dieser Styl durch den entscheidenden Schritt, die Melodie aus dem Tenor
in den Cantus zu verlegen. Nun folgte bekanntlich in wenig Jahrzehnten eine
Durcharbeitung des ganzen protestantischen Melodiensohatzes in dieser Form durch
die größten Tonmeister der Zeit. Da ist es denn auch, wo sich der dauernde Styl
und Geist des protestantischen Kirchenliedes nach der musikalischen Seite hin
festgestellt hat. Zunächst Übertrug sich dieser Styl des vierstimmigen Liedes auch
gleich auf die Orgel und gab damit dem gesammten Orgelspiel unserer Kirche sein
Wilh. Bäumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 353
unterscheidendes Gepräge. Von alle dem aber wurden nun auch die Melodien,
sobald es sich um die Erfindung neuer Melodien handelte, in sehr wesentlichem
Maaße mit berührt. Denn es bedurfte gewisser Eigenthümlichkeiten der Melodien,
um sie zu geeigneten Trägern solchen Satzes zu machen; sie mußten im Geiste
solcher Behandlung erfunden werden. Dadurch waren sie aber von dem sich da-
neben in mancherlei neuen Formen entwickelnden Volks- und weltlichem Kunst-
Hede wenigstens soweit geschieden, daß diese nicht mehr unmittelbar, oder im
Wesen unyerändert in den kirchlichen Gesang Übergehen konnten. Die kirchlichen
Sänger haben sich zwar namentlich im 17. Jahrhundert oft genug durch moderne
Neigungen auf Abwege in ihren Melodien locken lassen, das besserte und berich-
tigte sich auch immer wieder, und zu derselben Zeit, wo uns Bäumker's 3. Band
das katholische Lied so weit auf die Seite des Volksliedes hinabgeglitten zeigt,
sehen wir das protestantische Kirchenlied in Bach's Chorälen auf einem ganz
idealen Höhepunkte. Die katholische Kirche hat jene kurz geschilderte £nt-
wiekelung nicht selbst mit durchgemacht, wenn sie gleich von ihren Folgen stark
beeinflußt worden ist, wie eine Menge ihrer Melodien zeigen und wie es auch
schon wegen der tief eingreifenden musikalischen Bedeutung der Sache gar nicht
anders sein konnte.
Ist denn Bäumker's ausgezeichnete Arbeit wirklich mit diesem dritten Bande
geschlossen? Warum wird so besorglich betont, daß dies der Schluß band sei?
Wer den reichen Inhalt der vorliegenden Bände mit dem regen Antheil, den er
▼erdient, an sich vorüberziehen ließ, der wird das Buch nicht aus der Hand legen
ohne den lebhaften Wunsch, nun auch zu erfahren, wie denn an das 18. Jahrhun-
dert das 19. sich angereiht hat, um daraus zugleich deutlicher, als etwa einige
Gesangbücher es ihm leisten können, zu erkennen, wie also der heutige Bestand
und Zustand des Liedersingens in der deutschen katholischen Kirche ist. Hoffent-
lich wird man auf katholischer Seite nicht auf die Dauer verkennen, einen wie
großen Schatz man der unermüdlichen Liebe des Verfassers zur Sache verdankt,
und nicht da gleichgültig bleiben, wo das größte kirchliche Interesse vielmehr zu
emsig fördernder Theilnahme treiben sollte I Das zwar haben die Katholiken allein
mit sich selbst auszumachen. Die hymnologische Wissenschaft aber * wird sich
dadurch nicht in dem Danke beirren lassen, den sie dem trefflichen Werke und
seinem Verfasser schuldet
Schleswig. B. v. Iiiliencron.
Johannes Zahn, Altkirchliche Introitus (Eingangspsalmen) zu den
Festen und Sonntagen des Kirchenjahres, deutschen Texten angepaßt
und für den Kirchenchor vierstimmig gesetzt. 1. Heft: Advent,
Weihnachten, Epiphanias. 2. Heft: Septuagesima bis Pfingsten.
Gütersloh. Druck u. Verlag von C. Bertelsmann. 1893.
Es ist eine noch immer sehr verbreitete irrige Meinung, die altkirchliche
Einrichtung, yermöge deren die Liturgie eines jeden Sonn- und Festtages ihren
eigenen Introitus hatte, sei in der Lutherischen Kirche gleich oder doch sehr bald
zwar nicht ganz abgeschafft, aber doch dahin beschränkt, daß nur die Festzeiten
Advent, Weihnachten, Epiphanias u. s. w. ihre eigenen Introiten behalten hätten.
So hat man es auch in neuerer Zeit da, wo Überhaupt die Liturgie wieder reicher
354 Kritiken und Referate.
ausgestattet worden ist, z. B. in der Bairischen Ootteadienstordnung, gemacht.
Abge8cha£ft ist in der ^älteren Kirche der Introitus überhaupt nicht, sondern nur
in den Kirchen, die keinen Chor hatten, durch ein Eingangslied ersetzt. Wo da-
gegen ein Chor war, sang er auch stets die sämmtlichen altkirchlichen Introiten
zu ihren altkirchlichen Chorälen. Das lehren schon die Psalmodia des Lucas
Loßius Ton 1553, 1579, 1595 und KeuchenthaVs Kirchen-Oesänge von 1573. Wo
der Chor dann später überhaupt noch lateinisch sang, da blieb bis ins 18. Jahr-
hundert auch der Qesang der sämmtlichen Introiten bestehen. Leider ist, so viel
ich habe finden können, niemals in älterer Zeit der Versuch gemacht und durch-
geführt worden, die schönen altehrwürdigen Melodien den deutschen Worten der
Lutherbibel anzupassen: daher ist denn auch im 18. Jahrhundert mit dem letzten
Rest des lateinischen Chorgesanges der Qesang der Introiten in Abgang gekommen
und man versuchte auf allerlei andere Arten, das de tempore der einzelnen Sonn-
und Festtage im Anschluß an das Evangelium des Tages auszuprägen. Man verlor
aber darüber vielmehr nur das gottesdienstlich so bedeutungsvolle Ziel gänzlich
aus dem Auge und meinte schließlich mit Eingangs- und Predigdied sei AUes
gethan. Die Uebertragung der alten Choräle auf die deutschen Texte war aller-
dings keineswegs eine leichte Aufgabe, denn es handelt sich darum, die Gänge
der Melodietöne und besonders auch die Ligaturen den Accenten der deutschen
Worte und dem sinngemäßen Vortrag der Sätze anzupassen. Die Choräle müssen
also mit sicherer Erkenntniß ihres charakteristischen Wesens ziemlich frei behandelt
werden, damit diejenigen musikalischen Wendungen und Accente, auf denen die
Bedeutsamkeit der Deklamation beruht, wieder auf die richtigen Silben fallen. In
bewundernswürdiger Weise hat der Verfasser der oben genannten 2 Hefte von In-
troiten, denen wohl das 3. mit den Introiten der Trinitatissonntage bald folgen
wird, diese Aufgabe gelöst. Es ist Johrnnes Zahn, der hochverdiente Schöpfer des
großen Werkes über die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder. Er
giebt also hier die sämmtlichen altkirchlichen Introiten der Sonn- und Festtage,
wie sie bei Loßius und Keuchenthai aus der Urzeit der Reformationskirche über-
liefert sind. Sie stimmen nicht nur, soweit sie hier vorliegen, sondern, wie ich aus
eigener Untersuchung weiß, überhaupt mit den noch heute in der katholischen Kirche
gebräuchlichen bis auf wenig unwesentliche Abweichungen überein. Aus denselben
beiden Quellen hat Zahn auch, wie er mir freundlichst mittheilte, die Choräle für
diese seine Bearbeitung genommen. Loßius und Keuchenthai sind die beiden
Hauptwerke, aus denen auch Schöberlein, Kade u. a. bei ihren Arbeiten vornehmlich
geschöpft haben. Ich möchte mir erlauben, dawider eine kleine Einwendung zu
erheben. Es hat bekanntlich in Folge der Verhandlungen des Tridentiner Concils
in der Erkenntniß, daß die Choräle der Ritualbücher vielfach verderbt seien, eine
kritische Revision stattgefunden, deren erstes Ergebniß das revidirte Brevier und
Missale Papst PiusV. (1572—85) war (Bulle Quoda nobis). Unter Paul V. (1621—1623)
erfolgte eine nochmalige Revision. Seitdem ist die Congregaiio rituum in Rom
stets eifrig bemüht gewesen, die möglichste Reinheit der Melodien zu erhalten und
zu fördern. Die cura et auctoritate sacrorum rituum congregationie redigirten
römischen Ritualbücher, welche überall ohne Mühe zu haben sind (für Deutsch-
land z. B. bei Pustet in Regensburg) bieten daher die sicherste Gewähr dafür, daß
man die möglichst echte und reine Ueberlieferung vor sich hat. Von einer Art
protestantischer Tradition zu sprechen, welche sich in der Uebereinstimmung zwi-
schen Loßius, Keuchenthai und anderen zeige, scheint mir eigentlich in keiner
Weise gerechtfertigt. Ihre Abweichungen von den römischen Texten beruhen nur
auf damaligen lokalen Gewohnheiten und haben keinerlei wirkliche Beglaubigung.
Ich meine daher, wir sollten uns nicht besinnen, in Betre£f der gregorianischen
Joh. Zahn, Altkirchl. Introitus zu den Festen u. Sonntagen des Kirchenjahres. 355
Chorfile, wo wir auf sie zurückgreifen wollen, die FrQchte der gewissenhaften
römischen Forschung auch für uns gewachsen sein zu lassen.
Zahn hat die Melodien in die Oberstimme gelegt und indem er sie zu diesem
Zweek mensurirt, zu 4 stimmigen Sätzen erweitert im Style, wie er etwa um den
Ausgang des 16. Jahrhunderts in der protestantischen Kirche herrschte. Ohne
fingstliche Scheu vor den Gewöhnungen des modernen Ohres hat er dabei die alten
Tonarten strenge eingehalten. Vieles klingt wohl aufs erste Hören nicht nur sehr
überraschend, sondern auch hart. Ich glaube aber, bei richtiger gesanglicher Aus-
führung wird gleichwohl ,der Eindruck dieser Musik ein sehr großer und grade
durch die Fremdartigkeit vieler harmonischer Wendungen packender sein. Die
richtige Ausführung erfordert freilich nicht nur überhaupt einen durchgebildeten
Chor, sondern auch einen Leiter, der mit der eigenthümlich recitierenden Vor-
tragsweise, die dabei gefordert werden muß, vertraut ist.
Grade an diesem Orte ist es übrigens wohl angezeigt, darauf hinzuweisen, ein
wie herrlicher Stoff der musikalischen Komposition damit zuwächst, wenn die In-
troiten wieder eingeführt werden. Sobald dies geschieht und die Texte dann, wie
es sich gebührt und wie es z. B. bei den Introiten für die Festzeiten in Baiem
der Fall ist, im liturgischen Anhang des Gesangbuches stehen, ist natürlich auch
jede der von Alters her zulässigen Weisen der Ausführung gestattet Wo über-
haupt ein Gesang nicht möglich ist, hat der Geistliche den Introitus als Elngangs-
Bpnich zu lesen. Er kann ihn; aber auch allein oder mit der Gemeinde liturgisch
singen. Wo ein Chor ist, singt er ihn im gewöhnlichen Gottesdienst einstimmigi
* choraliter«; oder er singt den Choral in mehrstimmigem Satz, wie in den vorliegen-
den Zahn'schen Kompositionen. Endlich aber steht es dem Musiker auch frei, den
Text namentlich für Festgottesdienste in freier Komposition zu behandeln. Wie
bedeutende musikalische Aufgaben sind das nicht! Man denke sich z. B. den
Introitus des 1. Advent mit seiner Feststimmung der seligen Erwartung: »Mein
Gott, ich hoffe auf dich — denn keiner wird zu Schanden, der deiner harret!«
wenn man dann etwa das alte de iempore-lA&d dieses Sonntags »Nun komm der
Heiden Heiland a als canius ßnnus eingreifen ließe. Seine dem alten Hymnus Veni,
rtdemptor gentium entstandene Melodie beginnt noch dazu zufällig mit denselben
Tönen (d c f d), die sich im Eingang des Introitus wieder erkennen (vgl. Zahn, Nr. 1),
sich also von selbst als Hauptmotiv bieten.
Möchten die kleinen Hefte vor allem bei den Kirchenchören die Beachtung
finden, welche sie in hohem Maße verdienen, und möchten sie alleitig dazu anregen,
auf dem hier betretenen Pfade im Interesse unserer evangelischen Gottesdienste
rüstig fortzuschreiten ! Darin wird der hochverehrte Verfasser den schönsten Lohn
für seine Arbeit erkennen.
Schleswig. B« v. Iiilienoron.
Robert Schumann^ Gesammelte Schriften über Musik und Musiker.
Bd. 1 u. 2. Vierte Auflage, mit Nachträgen und Erläuterungen von
F, Gustav Jansen, Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1891.
Man kann noch heute gute Kenner und begeisterte Verehrer Robert Schu-
mann's finden, denen es fast unbekannt ist, daß der herrliche Tondichter zugleich
einer unserer besten musikalischen Schriftsteller war ; nur wenige wissen aus eigener
Lektüre, wie er es war, welcher zu einer treffenden, gewissermaßen nachschaffen-
den musikalischen Kritik gegenüber der trockenen Zergliederung früherer Zeit die
356 Kritiken und Referate.
Wege gewieseo hat. Und doch liegen seit 40 Jahren die von Schumann selbst ge-
sammelten Aufs&tse in Tier Bänden dem Publikum vor. Nicht gAuz so viele Jahre
sind verflossen, seit der Meister selbst nicht mehr unter uns weilt In dieser Zeit
hat sich die Erkenntniß seiner künstlerischen Größe vollzogen und die anfängliche
Zurückhaltung vieler ist einer Popularität im besten Sinne gewichen; der Wider-
spruch der Meinungen, dessen sich Aeltere auch aus den 50er Jahren noch er-
innern werden, besteht nicht mehr, und auch die allmähliche Entwicklung bis inr
Höhe liegt objektiv vor uns. War für Schumann selbst, als er seine Aufsätie
sammelte, jene Zeit des Stürmens und Drängens, in der er auch durch das Wort
die ersehnte neue Zeit vorzubereiten strebte, noch ganz mit seiner Persönlichkeit
verwachsen, so daB er nicht zu scheiden brauchte, wo er allgemein Gültiges aus-
gesprochen und wo er liebevoller Hoffnung in weitgehendem Maße Raum ge-
geben; wir übersehen jene Periode, wir können jene Scheidung machen, ohne unser
Urtheil davon beeinflussen zu lassen; im Gegentheil, wir gewinnen dabei den
Menschen und den Künstler um so lieber.
Es ist daher mit Freude zu begrüßen, daß uns Schumann's Schriften in neuem
Gewände von berufener Hand wieder vorgelegt werden. Gustav Jansen hat
sich in seinen bisherigen Veröffentlichungen, der Sammlung Schumann'scber Briefe
(1886) und dem trefflichen Buche »die Davidsbündler« als gründlichen Kenner nicht
blos von Schumann's Leben und Schaffen, sondern des musikalischen Lebens über-
haupt in der Zeit, in welche jenes fällt, bewährt; er war vor allem berufen, uns
Schumann's schriftstellerische Thätigkeit von neuem vor Augen zu führen. Durch
genaues Studium nicht nur der von Schumann geleiteten Neuen Zeitschrift, sondern
auch der übrigen Litteratur, durch vielfache schriftliche und mündliche Traditionen
ist er für seine Arbeit ausgestattet. Seine musikalische Kenntniß ist umfassend;
er wäre der Mann, die ausführliche Biographie Schumann's, die uns noch fehlt, zu
schreiben.
Wir haben hier nicht über Schumann's Schriften selbst zu sprechen. Der
Verfasser dieser Zeilen hat vor ziemlich langer Zeit diese Thätigkeit Schumann's,
ebenfalls unter Zuziehung der Neuen Zeitschrift selbst, zu behandeln versucht^
und glaubt noch jetzt auf diesen Aufsatz Bezug nehmen zu dürfen.
Neuerdings hat Ph. Spitta^ die Natur von Schumann's kritischer Thätigkeit
behandelt und ihre Beziehungen zu der früheren Weise kritischer Besprechung
und zu Schumann's menschlicher und künstlerischer Persönlichkeit klar gelegt; wir
rathen dringend, bei der Lektüre der Schriften diesen Aufsatz nicht ungelesen zu
lassen. An dieser Stelle haben wir es aber nur mit dem Verfahren des neuen
Herausgebers zu thun.
Nach dem Titel der neuen Ausgabe, welche in Folge räumlicher Zusammen-
drängung in zwei Bänden erscheint, will Jansen nicht ein neues Sanmielwerk bieten,
sondern nur die von Schumann selbst besorgte Sammlung neu erscheinen lassen.
Auf dem äußeren Titel wird sie als »Neue kritische Ausgabe« bezeichnet Er
druckt Schumann's Einleitung wieder ab, er giebt Abweichungen von der ersten
Fassung, wie sie in der Zeitschrift steht, in der Anmerkung; also kurz, er will
Schumann's Schriften neu herausgeben. Wir müssen das betonen, um unseren
Standpunkt seiner Arbeit gegenüber festzustellen. Der Herausgeber eines älteren
1 Allg. Mus. Ztg. 1865 No. 47 — 19. Rec. bemerkt, daß er die im Folgenden
vorkommenden Anführungen aus der Zeitschrift seinen Notizen entnonunen hat; da
ihm beim Niederschreiben dieser Besprechung die Zeitschrift nicht zur Hand ist
^ Ueber Robert Schumann's Scliriften, Deutsche Rundschau 19. Jahrg. H. 3.
Bobert Schumann, Oesammelte Schriften über Musik und Musiker. 357
Werkes steht unter bestimmten wissenschaftlichen Vorschriften, und wir stellen uns
nicht gegen das Verdienst des Buches, wenn wir an jene erinnern.
Schon in der Vorrede wird der Standpunkt des Herausgebers verlassen, indem
Jansen erklärt, nicht blos geben zu wollen, was in die Schriften aufgenommen ist,
sondern möglichst alles zusammenzubringen, was Schumann von Aufsätzen und An-
zeigen hat drucken lassen. So ist denn — da der Herausgeber sich keine Mühe
des Suchens hat verdrießen lassen — sowohl aus der Zeitschrift selbst wie aus an-
deren Journalen (Herloßsohn's Komet, Leipziger Tageblatt u. s. w.) beigebracht, was
an Schumann'schen Aufsätzen zu finden war. Es ist sicherlich höchst dankens-
werth, daß wir auch dies alles vereinigt erhalten; denn der ephemeren Bedeutung
ist entrückt, was irgendwie mit einem großen Manne zusammenhängt und zu seinem
Bilde beiträgt. Aber dazu gehört doch auch der Plan, den er bei seiner Aus-
wahl verfolgt hat. Schumann hat zwar, wie der Verfasser hervorhebt, den Druck
seines Werkes nicht mehr selbst überwachen können ; die Zusammenstellung selbst
aber hat er mit gesunden Kräften vorgenommen und hat wohlbedacht ausgeschie-
den, was ihm sei es wegen seiner Geringfügigkeit, oder weil er vielleicht seine An-
sicht geändert hatte, oder weil er auf Lebende Rücksicht nahm, für die Aufnahme
nicht geeignet schien. Wer also Schumann's Werk neu ediren wollte, mußte wohl
auch diese Weglassungen respektiren und mußte um so vorsichtiger sein, als ja
manche der jetzt hinzugefügten Aufsätze (z. B. Bd. I. S. 49 »Zeitgenossen«, S. 124
Abschiedskonzert von Livia Gerhardt, S. 125 Lipinski [2 Artikel], 11. S. 93 Eine
Vision, 8. 468 Mose von Marx) nur durch Vermuthung, wenn auch zum Theil sehr
wahrscheinliche, Schumann zugeschrieben werden. Jansen hat die zugefügten Auf-
sätze durch einen Stern kenntlich gemacht^; er hatte aber ein einfacheres Mittel,
um die Schumann'sche Arbeit zu konserviren und doch dem Leser nichts Schu-
mann'sches vorzuenthalten: er mußte einen Anhang bilden und konnte in dem-
selben alles aufnehmen, was früher gefehlt hatte, auch das nicht völlig Erwiesene.
In diesen konnte dann noch manches kommen, was, unzweifelhaft Schumann an-
gehörig, jetzt in den Anmerkungen steht. Manches bleibt auch zweifelhaft; wenn
Schumann (I. S. 162 fg.) zwei der »Schwärmbriefe« nicht aufgenommen hatte, so
bleibt unsicher, ob sie von ihm herrühren. Andererseits könnte man erinnern,
wenn man sich einmal auf denselben Standpunkt stellen will, daß doch noch ein-
zelnes fehlt. So stehen z. B. in der Zeitschrift [Bd. V. S. 88 fg.) Anzeigen über
1 Wir verzeichnen hier kurz die Aufsätze, welche in der neuen Ausgabe hin-
zugefügt sind : Bd. I. S. 6 Keminiscenzen aus Clara Wieck's letzten Konzerten, aus
dem Kometen. S. 10. Die Davidsbündler, desgl. S. 41. Prospekt der neuen Zeit-
schrift. S. 49. Zeitgenossen. Anna von Belleville. S. 52. Malibran, engl. Matrosen-
lied. Hero, von Brandt. S. 55. An die Leser der N. Z. S. 67. Dorn. S. 90. Zeit-
genossen. Cherubini. S. 91. Field, Notturno. S. 101. Pr . . tzsch, Freudvoll und
Leidvoll. S. 103. Bommer, Sonaten. 6. 117 über L. Schunke. S. 121. Hiller,
Keveries. Schum. Papillons. S. 124. Livia Gerhardt. Soir6e bei der Gräfin. S. 125.
Lipinski. S. 129. Berlioz. S. 155. Löwe. S. 157. Konzert von Clara Wieck. S. 162,
Chiara an Eusebius. S. 168. Serpentin an Chiara. S. 183. Manuscripte. S. 206.
Hiller, Konzert. Bd. U. S. 7. Decker, Sonate. S. 15. Schumann's Uoncert sans
Orchestre. S. 93. Eine Vision. S. 131. Richter, Scherzo. S. 153. Ole Bull. S. 201.
Anger, 6 Stücke. S. 251. Die Euterpe - Konzerte. S. 255. Herzberg, Scherzos.
S. 264. Fr. Schubert. S. 331. Montag, drei Melodieen. S. 333. Markuli, Charakter-
stücke, und einiges andere. S. 351. Wolff, Preistrio. S. 353. Wittmann, Etüden.
S. 375. Hartmann, Lieder. S. 377. Banok, Marienlieder. S. 393. Die Verschwörung
der Heller. S. 420. Möhring S. 451. Marxsen, Variationen. S. 452. Walther v.
Oöthe u. s. w. S. 468. Marx, Mose. S. 469. Evers, Sonate. S. 471. Etaff, Heller,
Wichmann. S. 484. Neue Bahnen (Brahms).
358 Kritiken und Referate.
musikalische Schriften von Hirsch, Pohle u. a.» untereeichnet 12, also von Sehu-
mann. Bd. VII S. 35 der N. Ztschr. werden Lieder aus Beethoven's Nachlaß Ton
22 (Schumann) kurz angezeigt Bd. X. S. 10 und 37 finden sich Mittheilungen
Schumann's aus Wien [über die Originalpartitur von Mozart's Requiem u. s. w.).
Und wenn der Prospekt der Neuen Zeitschrift aufgenommen wurde, so Terdiente
dies wohl auch die Erklärung wegen vorläufiger und definitiver Niederlegung der
Redaktion, welche in Bd. XX (1844) enthalten ist.^
Während sonst in Wiedergabe des Inhalts der gesammelten Schriften die
größte Genauigkeit geübt wird, ist uns aufgefallen, daß in der Besprechung neuer
Symphonieen (Bd. IL S. 180 fg.) die Erwähnung einer kleinen Symphonie von Ray-
mond unterdrückt ist (vgl. Alte Ausg. III. S. 341), ohne daß der Leser erföbrt,
warum dies geschehen.
Noch in einem anderen wichtigen Punkte ist Jansen von dem Original, welches
er neu herausgeben wollte, abgewichen; er hat es unternommen, die Aufsätze in
eine streng chronologische Form zu bringen. Diese festzustellen, hat er den em-
sigsten Fleiß angewendet und nicht nur die Zeitschrift selbst, sondern auch die
sonstige Litteratur zur Lösung der zuweilen verwickelten Frage zu Rathe gezogen ;
denn auch hier mußte mehrfach Vermuthung zu Hülfe genommen werden. Nun
hat freilich auch Schumann im Prinzip eine chronologische Folge geben wollen,
aber nicht im einzelnen, sondern in größeren Gruppen nach Jahren, und es ist auch
in diesen mehrfach von der ursprünglichen Zeitfolge abgewichen, in der Absicht
Gleichartiges zu gruppiren, z. B. Werke gleicher Gattung, oder verwandter Meister,
oder Berichte von ganzen Reihen von Aufführungen u. s. w. Diese Zusammen-
hänge sind durch die streng chronologische Anordnung vielfach zerrissen. Dieser
Zwang führt sogar einmal zu einer Textesänderung, Bd. I. S. 248, wo Schumann ge-
sagt hatte (Alte Ausg. IL S. 175) i>über die ausführlicher auf Seite 49 f. gesprochen
wurde«, und wo es jetzt heisst: »über die ausführlicher in einer zukünftigen Va-
riationenschau « (falls dies nicht etwa schon in der Zeitschrift gestanden hatte). Aus
dem, von Schumann bewußt zusammengestellten »Denk- und Dichtbüchlein« (Alte
Ausg. I. 50 fg., Jansen I. 25 fg.) sind drei Artikel (Berlioz IL 137, G. Wedel I
137, Musikverein zu £3rritz IL 219) herausgenommen und an spätere Stellen gesetzt
Die chronologische Reihe möglichst festgestellt zu haben, ist ein zweifelloses Ver-
dienst Jansen's ; ob es aber zur Mittheilung des Ergebnisses seiner Untersuchung
nicht eine andere Form gab, etwa durch genaue Zeitangabe unter dem Text, oder
Anhängung eines Verzeichnisses, ist wohl nicht so zweifellos. Da die Absicht
Schumann's hier feststand und von derselben bewußt abgewichen wird, kann die
neue Ausgabe nach streng philologischem Grundsatz nicht als eine solche des
Schumann'schen Werkes mehr gelten, sondern erhält den Charakter eines neuen.
Die Ueberschriften der kritischen Aufsätze sind fast überall geändert, indem
Jansen an die Stelle der von Schumann gewählten freieren Fassung die wirklichen
Titel der recensirten Werke einsetzt. Auch hier wird niemand den Bienenfleiß des
des Verfassers in Ermittlung der wirklichen Aufschriften verkennen ; wollte er aber
^ »Während einer längeren Abwesenheit von hier wird Herr Oswald Lorenz
thätigen Antheil an der Redaction dieser Zeitschrift nehmen. Ich ersuche alle meine
Freunde, ihr Wohlwollen für mich auf ihn zu übertragen. Alle an mich direkt
gerichtete Einsendungen gelangen durch Herrn R. Friese richtig in meine Hände.
Leipzig, den 6. Januar 1844. R. Schumann.«
Am 24. Juni erklärt er dann, daß er wegen » Privatverhältnissen « die Redaktion
vom 1. Juli ab niederlege und O. Lorenz sie von da ab übernehme.
Robert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. 359
Schumann ediren, so mußten auch die Ueberschriften stehen bleiben, wie dieser
sie gewShlt hatte.
Was den Text selbst angeht, so hat den Unterzeichneten eine genaue Ver-
gleichung gelehrt, daß der Herausgeber mit der größten Sorgfalt verfahren ist.
Fehler in der Wiedergabe, welche auf ungenauer Vergleichung beruhten, finden
sich so Bu sagen gar nicht, und man erhält die Schumann'schen Aufätze nach
dieser Richtung in getreuer und suverläßiger Gestalt wieder. Wer die frühere
Ausgabe nicht kennt oder nicht yergleicht, kann sich auch in der neuen dem Ein-
drucke des Schumann'schen Geistes voll und ganz hingeben. Es geschieht nur aus
dem Standpunkte der Forderungen der Kritik, wenn wir erwähnen, daß auch hier
Abweichungen von der früheren Fassung, nicht etwa durch ungenaue Kontrolle,
sondern absichtliche, sich finden. Der Herausgeber erklärt, daß er bei Verschieden-
heit der Lesart in der Zeitschrift und in den Schriften sich mehrfach für erstere
entschieden habe. Das ist unzweifelhaft gerechtfertigt, wo bei der Redaktion Schu-
mann's ein deutlich erkennbares Versehen begangen worden ist , nicht aber, wo die
Aenderung eine absichtliche und ihr Grund ersichtlich ist. Ferner erklärt er, in
der Rechtschreibung beim Schwanken Einheit durchführen zu wollen; gut. Aber
wenn er weiter geht und nach eigener Meinung eine Rechtschreibung durchführt,
welche Ton der Schumann'schen abweicht, so ist das doch bedenklich. Er nennt
ja seine Ausgabe eine kritische und muß daher erwarten, daß der Kritiker seine
Methode verfolgt und zusieht, ob er darauf bedacht gewesen ist, das von Schumann
Geschriebene und Gewollte zu ermitteln und festzustellen, oder ob er daneben Schu-
mann selbst verbessern will; letzteres geht über die Aufgabe des Kritikers hinaus.
Wir wollen ihm einräumen, da wo Schumann selbst schwankte, eine Schreibung durch-
zuführen; aber dem Leser an Stellen, wo Schumann eine eigenartige Schreibung
befolgte, jeden Anstoß wegzuräumen, ist nicht Sache des kritischen Herausgebers ;
auch dazu können Anmerkungen dienen. Beispiele für das Gesagte würden wir
aus dem ganzen Werke zusammenstellen können; wir müssen uns hier beschränken.
Da sind z. B. die großen Anfangsbuchstaben. Jansen schreibt Jemand, Andere,
Einer, Alle u. s. w., wo Schumann (richtig) jemand u. s. w. hat. Dann aber, wo
das Neutrum steht, hat Jansen alles, manches, einiges, vieles, Schumann Alles
u. 8. w. Hier sind, wie man sieht, wenn wir an das jetzt Geltende denken, Beide
inkonsequent; Jansen aber in höherem Grade, wenn er daneben wieder schreibt:
vor Allem, vor Kurzem, ohne Weiteres, bei Weitem, im Einzelnen, wo Schumann
ganz richtig kleine Buchstaben hatte. Hier hätte es also genügt, die Inkonse-
quenzen Schumann's, welcher meist das Richtige schrieb, zu beseitigen. In der
Interpunktion ändert Jansen vielfach durch Zufügung und Weglassung des Komma's
u. s. w., mitunter sogar mit leiser Nuance des Sinnes; wir haben kaum eine Stelle
gefunden, wo wir die Aenderung als durchaus nöthig bezeichnen könnten. Doch
dies könnte nebensächlich scheinen ; andere Aenderungen sind eingreifender. Manche
derselben können wir als zutreffende Konjekturen bezeichnen, auf die Schumann
vielleicht, wenn er den Druck noch hätte beaufsichtigen können, selbst verfallen
wäre. So wenn er I. S. 29 schwebend in schwebt ändert, S. 149 das »wird« an
seine richtige Stelle setzt, S. 166 »der letzteren« statt des letzteren, S. 167 statt
Heiligen Arien »Heiling- Arien« schreibt, S. 236 ein »sind« zusetzt, U. S. 57 Quar-
tett statt Trio schreibt, S. 57 ein »die« zusetzt, S. 98 statt Empfindungsschwäche Er-
findungsschwäche schreibt, S. 101 ein »wenig«, S. 127 und 135 ein »sie«, S. 409
ein »sich« streicht, S. 277 ein »nicht« zusetzt, S. 445 vierstimmigen in vielstimmigen
ändert, wenn er endlich die Notenbeispiele mehrfach berichtigt, so sind das Ver-
besserungen, denen wohl auch Schumann zugestimmt haben würde. Auch Ver-
besserungen von Eigennamen, wie Kuhnau (Schum. Konau), Lvoff (Schum. Lwoff),
3ß0 Kritiken und Referate.
Verden (Schum. Förthen) laßen wir gelten. Qut ist die Konjektur »bewegen« statt
abhalten, die er in den Text setzen durfte (ü. S. 357), nicht nöthig dagegen » ärm-
liches a statt ähnliches 11. S. 136. Sprachlich nöthig ist das beigesetzte »[vielmehr;«
U. S. 378; auch hier wäre Schumann einverstanden gewesen. An vielen andern
Stellen aber sind wir abweichender Meinung. Schumann bildet gern den Dativ der
Eigennamen mit angehängtem n oder en : Zeltern, Liszten, Schuberten, Marschnem ;
das mag man provinzialistisch nennen ; es entsprach sicherlich Schumann's Sprech-
und Schreibweise und giebt der Darstellung eine individuelle Färbung. Jansen
streicht überall die Endung und verbessert so ohne Recht Schumann selbst. I. S. 39
schreibt er statt »schwerlich zu glauben« schwer zu glauben, S. 51 »dich —
heißen« statt dir heißen, S. 57 fügt er »Durschluß« hinzu (vielleicht nach der
Zeitschrift), schreibt auf derselben Seite herunter statt hinunter, S. 73 singend
statt siegend (vielleicht Druckfehler), S. 78 fügt er (Z. 3. v. u.) ein »als« hinzu (ganz
unnöthig), S. 104 schreibt er während des Adagio (Schum. Adagio's), S. 148 »ein
weibliches Wesen, das alles« (Schum. die Alles), S. 156 »manchen von Mendels-
sohn» (Schum. Mendelssohn'schen), S. 238 Gapricen (Schum. Capriccio's), S. 239
jeder Nerv (Schum. jede Nerve) und ein kleines Beispiel (Schum. ein klein
Beispiel), läßt S.281 ein »und« weg, schreibt S. 283 »Was sie aber im Uebrigen be-
trifft« (Schum. Was aber im übrigen; hier hat J. seine Konjektur durch Klammem
kenntlich gemacht), S. 285 »über ein Thema — leicht hinfaseln« (Schum. leichthin
faseln), »Mehreres« (Schum. Mehres, wie öfter), S. 299 »Mozart, eine Elfen-
seele , sammelte« (Schum. Mozart sammelte, eine Elfenseele ), S. 303
»anstaunen« (Schum. erstaunen, in transitivem Sinne, also wenn auch sprachlich
bedenklich, doch mit ganz anderem Gedanken), S. 306 »dem Ergreifendsten« (Schum.
das Ergreifendste), II. S. 17 »Manuskripte weniger Gekannter« /Schum. Manu-
scripte, weniger Gekanntes ; also eine unberechtigte Aenderung), S. 23 »Körper und
Geister hebender Walzer« (Schum. Körper und Geisterhebender Walzer; die Ver-
besserung also unrichtig), S. 35 Adagisaimo (Schum. Adagtosissimo] , S. 67 »Großer
Achtung dürfte ich mich sicher erfreuen, wenn« (Seh. Großer Achtung, dürfte ich
mich ihrer erfreuen, wenn^), setzt S. 86 »wissen« zu, schreibt S. 107 »über dem
einen Werk ^waltet mehr Segen als über dem andern« (Schum. über das eine —
das andere), S. 150 »kurz vorher« (Schum. kurz; J. hat [vorher] eingeklanunert)^
läßt S. 208, 312 ein »und« weg, S. 225 das Wort »dasige« (Konservatorium), sehreibt
S. 230 »waren« (Seh. war) S. 266 »und in diesem Sinne war auch alles« (Schum.
und war auch alles in diesem Sinne), »den einen Chor« (Schum. das eine Chor),
S. 299 »die Aufgabe« (Schum. seine Aufgabe), »er hat sich in das — geschickt«
(Schum. angeschickt), »den Ausruf Spohr« (Schum. den Laut Sp.), S. 318 Trauer-
marsch (Schum. Marcia funehre!) ^ S. 332 »Kunstgriffe« (Schum. Kraftgriffe,
zweifellos richtig), S. 340 »Claviermusikepoche« (Schum. Ciaviermusikerepoche),
S. 384 »Kärrner« (Schum. Krämer), setzt S. 408 »vierhändigen« (Diversions) hin-
zu, u. s. v.
Es ist ja klar, daß viele der Verbesserungen sprachlich richtig und stilistisch
angemessen sind; manche andre Änderungen sind aber nicht nöthig gewesen; und
überhaupt bleibt für uns die Forderung bestehen, daß bei Edition eines Schrift-
werks mit dem Text nicht willkürlich verfahren werden darf, und daß vom Stand-
^ Die Konj. des Herausgebers ist glücklich, das ursprüngliche sprachlich
unmöglich; aber es ist nicht, wie J. in der Anmerkung sagt, ein bloßes Druek-
versehen, da es außer in der Ztschr. auch in den Schriften II. S. 94 steht
*^ Auf derselben Seite Z. 2 ist ein Druckfehler Composition (statt des Plui.)
stehen geblieben.
Robert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. 361
punkte der Kritik es prinzipiell als unerlaubt bezeichnet werden muß, den Schrift-
steller selbst zu korrigiren.
Diese Neigung zu ändern hat Jansen sogar auf den von Schumann bereits auf-
genommenen Aufsatz von Gottschalk Wedel (I. S. 299) ausgedehnt, indem er die von
diesen erfim denen, sonderbaren, aber an dieser Stelle charakteristischen Ver-
deutschungen musikalischer Ausdrücke wieder durch die gewöhnlichen ersetzte.
Selbst Zusätze aus den Schriften läßt er weg, z. B. 11. S. 254 »ein Miniaturstück,
das gleichfalls schon gedruckt ist« (Sehr. III. S. 292), oder S. 429 außer
den bei Mompour in Bonn gestochenen Stimmen; lagen hier Irrthümer Schu-
mann's vor, so waren sie in der Anmerkung zu berichtigen. Auch der in den
letzten Partieen öfter gewählte Sperrdruck, abweichend von den Schriften, fällt auf.
In den »Musikalischen Haus- und Lebensregeln«, welche Schumann selbst mehr-
mals herausgegeben, hätte u. £. überhaupt kein Buchstabe geändert werden
dürfen.
Sieinere Aenderungen sind z. B., daß er bei Angaben von Tonarten oder an-
deren musikalischen Bezeichnungen lateinische Lettern setzt, statt der von Schu-
mann gewählten deutschen, daß er Zahlen bei Schumann meist in Buchstaben
ausdrückt u. s. w. Man könnte uns der Kleinmeisterei zeihen, wenn wir hier
noch weiter gehen wollten; es kam uns nur darauf an, das Prinzip der kritischen
Behandlung festzustellen und zu begründen. —
Mehrfach hat Schumann in den Schriften Sätze aus der ersten Fassung der
Zeitschrift weggelassen, andere abgeändert; es ist von Interesse und dankenswerth,
daß der Herausgeber mehrfach in den Anmerkungen die erste Fassung zur Ver-
gleichung heranzieht und Zusätze beifügt. Es lässt uns das in die Eeflexionen
hineinblicken, welche den Meister bei der Herausgabe beschäftigten, und der Her-
ausgeber durfte hier, wo es sich nicht um den Text, sondern um Erläuterung des-
selben handelt, kühn noch weiter gehen. So hätte z. B. gleich in dem ersten Auf-
satze über Chopin's Variationen, S. 4 Z. 1, die Lesart des Originals angeführt
werden können : »es ist, als wenn der frische Geist [Schriften: die Begeisterung]
des Augenblicks die Finger über ihre Mechanik [Sehr.: über das gewöhnliche
Maß ihres Könnens] hinaushebt«, weil sie zeigt, wie Schumann bei der Redaktion
den Ausdruck feiner und präciser zu gestalten strebte. So hat gerade dieser
Aufsatz noch mehrere Verbesserungen von Schumann erfahren; interessant ist auch
der Schluß, der in der ersten Fassung lautete: »so beug' ich doch mein Haupt
seinem Genius, seinem festen Streben, seinem Fleiße und seiner Fantasie«, wo
Schumann später schrieb »solchem Genius, solchem Streben, solcher Meisterschaft«.
8.61 hatte Schumann den Worten: »Heiterkeit, ^Buhe, Grazie« noch hinzugefügt
und später gestrichen: »Idealität, Objektivität«. S. 64 stand bei den Worten »dem
Sohn Emanuel« [Bach] im Original: »dem fantastischen Jüngling unter Schlafmützen«,
was ihm später nicht mehr zutreffend scheinen mochte. S. 138 hieß es nach den
Worten »und von diesem Augenblick an wird sie die erste aller schönen Künste
sein« noch: »SoUte dieser Augenblick mit der Symphonie von Berlioz beginnen«?
S. 141 Z. 8 setzt Jansen zu den Worten »So ist der Bau des ganzen ersten Ge-
sanges durchaus« (mit Bez. aufs Vorherige) hinzu: »rein und edel«, was Schumann
gewiß absichtlich gestrichen hatte, wie er auch S. 143 Z. 4 aus dem ursprünglichen:
kontrapunktirt er »wie ein Meister« gemacht hatte »sehr schön«; man sieht, daß er
später nicht mehr so viel Lob auf Berlioz häufen mochte. S. 178 waren die be-
geisterten Worte über Schubert etwas weitläufiger; es hieß: »der, ohne Beachtung
scharfer mathematischer Formen, ohne Anwendung kontrapunktischer Hülfsmittel,
Todfeind aller Philisterei« u. s. w., und nach dem Satze war noch beigefügt »Sein
ganze« Wesen ist ein ewiges Singen, eine selige Melodie, durch Rhythmus
1893. 24
362 Kritiken und Referate.
gefestet, durch Harmonie verschönt und geadelt durch den Gedankenj«. Vor der
Besprechung der Trios (S. 257) stand ursprünglich noch ein »Gruß von dem Gipfel
des Jahres 1836«, welcher wegen der sp&ter von Schumann gewählten Anordnung
wegfallen mußte. Den Schluß der Besprechung von Ouvertüren (II. S. 91) bildet
Anzeige einer Ouvertüre von Gerke, was immerhin erwähnt werden konnte. Bei
dem Gedichte »Traumbild« (II. S. 133) konnten die Varianten am Schluß: »das
Engelskind aber bestürzt und leicht zurück in seine Heimath entweicht« aus
dem Original erwähnt werden. S. 142 stand bei »Bevorzugung jüngerer Talente«
im Original: »deren ausgezeichnetste man wohl auch Romantiker nennen hört«;
Schumann wollte bekanntlich von dieser Bezeichnung nichts wissen. IL S. 344
konnte noch ein Zusatz über Liederbearbeitungen, in Nachahmung der Liszt'schen,
in der Anmerkung Erwähnung finden. Darin heißt es (Ztschr. Bd. XV. S. 142) am
Schlüsse: »Aus einem Lied ein Bravourstück machen zu wollen, bleibt immer etwas
Verkehrtes. Will man aber Lieder ohne Worte, so nehme man doch die echten
Mendelsohnischen. «
Mit vorstehenden Aeußerungen sagen wir dem Herausgeber jedenfalls nichts
neues, und wir möchten nicht, daß über unsere Anerkennung des Verdienstes,
welches sich Jansen durch seine sorgfältige Forschung um Schumann erworben hat,
irgend ein Zweifel bliebe. Schumann's schriftstellerische Anlage und Thätigkeit
liegt uns, wenn wir die Einleitung, die neu hinzugefügten Aufsätze und viele
Aeußerungen in den Anmerkungen zusammennehmen, weit vollständiger wie bisher
▼or; zum Verständnisse seiner Persönlichkeit hat Jansen durch emsige Unter-
suchungen und feines Nachempfinden mehr geleistet wie irgend einer vor ihm. Be-
sonders wohlthuend berührt ^e warme Pietät für den Meister, welche das ganze
Buch durchdringt, im erfreulichen Gegensatze zu der ersten Biographie Schumann's.
Wir erwähnten die Einleitung: hier wird Schumann's geistige Entwicklung von der
Schulzeit her dargelegt und in's rechte Licht gestellt, wir erkennen die reiche
poetische Anlage, welche zeitweise sogar die musikalische zu überflügeln schien,
wir lernen wie er zuerst an's Schriftstellern über Musik kam und in verschiedenen
Zeitschriften Aufsätze niederlegte, bis er die Neue Zeitschrift gründete. Die Ge-
schichte derselben wird bis an's Ende von Schumann's Thätigkeit fortgeführt, zu-
gleich über die Entstehung der Sammlung Bericht gegeben. Auch die kurze Wiener
Zeit Schumann's enthält (im Anschlüsse an den Aufsatz von Kalbeck) neues Licht
Außerdem hat der Herausgeber nicht nur den Text mit Anmerkungen begleitet,
sondern im Anhang beider Bände eine große Zahl von Erläuterungen gegeben, und
in beiden eine solche Fülle von Ergebnissen niedergelegt, daß man wohl sagen
darf: es ist nichts in Schumann's Schriften unerklärt geblieben. Die Anmerkungen
unter dem Texte enthalten, außer den bereits erwähnten Zusätzen aus dem Original:
Feststellung der Tage von Konzerten, Namen von Künstlern, die Schumann nur
andeutet, genauere Angaben von Citaten, litterarische Nach Weisungen, Erklärung
Schumann scher Anspielungen, hier und da auch Berichtigung Schumann'scher An-
gaben; man ist überall dankbar für schnelle Aufklärung und ahnt doch kaum die
Mühe, welche der Herausgeber auf diese Erläuterungen verwandt hat. Von höchstem
und bleibendem Werthe sind die Erläuterungen, welche im Anhange gegeben sind.
Man wird hier mitten in die Zeit versetzt, in welcher Schumann wirkte und zur
Anerkennung empordrang, mitten in die Umgebungen, in welchen er lebte; seine
geniale, liebenswürdige, hochsinnige, ernste und wahre Persönlichkeit tritt uns, wie
es in Janeen's »Davidsbündlern« schon der Fall war, warm und individuell ent-
gegen. Dem Herausgeber kommt hier eine umfassende, auf eigener Forschung be-
ruhende Personen- und Litteraturkenntniß zu Hülfe, welche er durch lange und
liebevolle Versenkung in den Stoff sich und andern zu klarem Bilde gestaltet. So
Bobert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. 363
kommen denn auch Schumann's Freunde und die Künstler, mit denen er zusammen-
kam, uns in kurzen, lebensvollen Bildern nahe. Man lese z. B. die Anm. 4 (Bd. I)
über die muthmaßlichcn Urbilder des Davidsbundes (wobei das über Fr. Wieck
und dessen Verhältniß zur Zeitschrift Gesagte von besonderem Interesse ist), Anm. 8
über Wenzel, Anm. 58 über Julie Baroni-Cavalcabo, Anm. 66 über Job. A. Hiller
und seine Schülerinnen, die Schwestern Podlesky, IE. Anm. 1 über Stemdale Bennett,
Anm. 11 und 12 über Ad. Henselt, Anm. 13 über Stephan Heller, Anm. 45 über
Schumann's mißgünstigen Yerkleinerer C. Banck, und so manche andere, um zu er-
kennen, welche Sorgfalt der Herausgeber angewandt hat, um die Leser über be-
merkenswerthe Gestalten der Zeit zu unterrichten. Von besonderer Wichtigkeit
sind weiter I. Anm 8, wo die Notizen über einen früh komponirten Symphoniesatz
von Schumann gut zusammen gestellt werden; Anm. 17 über Fink und dessen Ver-
h<niß zu Schumann's Bestrebungen, Anm. 33 über gleichzeitige Beurtheilungen
Schnmann'scher Werke und sein Verhältniß zu gleichzeitigen Kritikern, Bellstab,
Gottfr. Weber, Castelli; die verschiedenen Artikel über Berlioz (I. Anm. 37. 58.
n. Anm. 29), Urtheile über ihn und Nachrichten über seine Aufnahme in Deutsch-
land; die Abnahme von Schumann's Begeisterung für den französischen Tonsetzer
tritt schon sehr hervor. Bd. II. Anm. 10 wird die Aufnahme von Meyerbeer*8
Hugenotten und Schumann's Stellung zu dem Komponisten weiter behandelt; der
Anhang dieses Artikels, welcher die eigene Anmerkung Schumann's zu seinem Auf-
satze über Hugenotten und Paulus (H. S. 59 fg.] enthält, hätte unseres Erachtens
bei dem Texte bleiben müssen, bei dem er ja in den Schriften (II. S. 229) steht.
Ueber die der Zeitschrift angehängten Beilagen handelt Anm. 14, über Schumann
in Wien Anm. 31, über den Ausdruck »Teufelsromantiker« Anm. 33, über Liszt
und Schumann's Zusammensein mit ihm Anm. 48 bis 50, über Schilling Anm. 63,
über den schönen kritischen Versuch Schumann's, verdorbene musikalische Texte
bei Bach, Mozart, Beethoven zu verbessern (II. S. 344 fg.) Anm. 61; hier hätte
vielleicht die Antwort von Beethoven's Freund K. Holz Erwähnung verdient,
welcher in der Zeitschrift Bd. XV. N. 42 die Vermuthung Schumann's bezüglich
der Pastoralsymphonie als richtig bestätigte. Das »Theaterbüchlein« wird durch
weitere Aussprüche über Opern aus dem Feuilleton der Zeitschrift (Anm. 66) er-
läutert.
Wir haben hier nur Beispiele angeführt; alle Anmerkungen sind werthvoll
nicht nur als willkommene Erläuterungen des Textes, sondern für sich als Beiträge
zur Kenntniß der musikalischen Zeitströmung und als Bausteine zu einer den be-
rechtigten Wünschen und Forderungen entsprechenden Biographie Schumann's. Ja
auch über diesen hinaus ragt des Verfassers Interesse; man beachte, was er über
Beethoven'sche Werke, z. B. die Leonorenouverturen, die Adur-Smphonie (I. Anm. 48)
beibringt, um zu erkennen, daß er auch in diesen Dingen zu Hause ist.
Selbst in dem Inhaltsverzeichniß, welches sehr sorgfältig gearbeitet ist, giebt
er mehr als man erwartet, indem er den in demselben angeführten Künstlernamen,
soweit es nöthig und möglich war, kurze biographische Notizen beigiebt.
Wir schließen mit aufrichtigstem Danke gegen den Herausgeber und mit der
Hoffnung, daß durch seine Bemühung die Schumann'schen Schriften eine recht
weite Verbreitung finden und daß Schumann' sehe Denk- und Empfindungsweise
über musikalische Kunst mehr wie bisher eindringen und zur Gesundung des
musikalischen Geschmacks das ihrige beitragen möge, was unserer Zeit sehr
Noth thut.
Goblenz. Hermann Deiters.
Adressen der Herausgeber:
Professor Dr. Spitta, d. Z. geschäftsführender Herausgeber, Berlin, W.Burg,
Hafenstraße 10; Dr. Friedrich Ghrysanderi Bergedorf bei Hamburg; Professor
Dr. Guido Adler, Prag Weinberge, Gelakovskygasse 15.
Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen
Dingen.
Von
Engelbert Bontgen«
Helmholtz sagt am Schlüsse seines Buches »Die Lehre von den
Tonempfindungen « :
»Nach diesen Erfahrungen, glaube ich, kann kein Zweifel
darüber bleiben, wenn noch einer da war, daß die theoretisch
bestimmten Intervalle, welche ich in dem vorliegenden Buche
die natürlichen genannt habe, wirklich die natiirlichen für das
unverdorbene Ohr sind . . . «
Nach den langjährigen Erfahrungen und Beobachtungen, die ich
in meiner musikalischen Praxis gemacht habe, bin ich zu der Über-
zeugung gelangt, daß diejenigen Intervalle, die ein musikalisch be-
gabter Sänger oder Spieler intonirt, in vielen Fällen von den theo-
retisch bestimmten Intervallen abweichen, und daß die letzteren
nicht immer das Ohr eines musikalisch empfindenden Hörers be-
friedigen. Obgleich es nun leicht ist, durch direkte Beispiele aus
der Praxis nachzuweisen, daß solche Abweichungen in der That vor-
handen sind, so ist es, nach meinen Erfahrungen, unmöglich, dem
Helmholtz'schen Systeme irgendwie ein anderes entgegen zu stellen.
Man kann eine große Menge von einzelnen Fällen anführen, in
welchen eine meßbare Verschiedenheit der betreffenden Intervalle
vorhanden ist; diese Fälle sind aber in der Mehrzahl nur jeder für
sich und für den Augenblick von Gültigkeit und erweisen sich unter
veränderten Umständen nicht als stichhaltig. Es sind deshalb immer
veränderliche Größen, mit denen man zu rechnen hat, und aus solchen
läßt sich ein System nicht errichten.
Diese Veränderlichkeit beruht erstens auf dem Unterschiede
zwischen der harmonischen und der melodischen Verwendung der
Intervalle und zweitens auf den Schwankungen in der Tonhöhe der
1893. 25
366
Engelbert Röntgen,
alterirten Intervalle ^. Diese Schwankungen sind von dem Charakter
des Kunstwerks und von der Auffassung und der Ausführung des
ausübenden Künstlers abhängig, denn in dem ausdrucksvollen und
belebten Gesang oder Spiel ausgezeichneter Künstler oder Künstle-
rinnen ist eine größere Alterirung der Intervalle bemerkbar als iu
den Leistungen geringer befähigter und weniger erregbarer Musiker.
Ohne Zweifel aber wird jeder musikalische Hörer beim Anhören
eines Kunstwerkes in einer vollendeten Ausführung, trotz der Ab-
weichungen von den theoretischen Intervallen oder vielleicht gerade
in Folge derselben, die größte Befriedigung empfinden.
Die folgenden Beispiele sind das Resultat meiner Untersuchungen
auf einem nach Helmhol tz'schem Prinzip in natürlichen Intervallen
gestimmten Harmonium und der Beobachtungen, die ich mit ge-
spanntester Aufmerksamkeit und mit einem durch Übung geschärften
Ohr während der Leistungen vorzüglicher Künstler und Künstlerinnen
gemacht habe.
I.
Der Durakkord.
Dieser Akkord ist der einzige unter allen aus theoretisch reinen
Intervallen gebildeten Akkorden, welcher in der Praxis unverändert
vorkommt, jedoch nur dann, wenn derselbe in harmonischer Ver-
wendung und im Zustande der Ruhe auftritt. Das Wort »Ruhe«
bezieht sich selbstverständlich nicht auf die Zeitdauer, sondern auf
die Beharrungsfähigkeit des Akkords. Es sind also hauptsächlich
der tonische Dreiklang und die Unterdominante, die hier in Betracht
kommen können, da die Oberdominante in den meisten Fällen keinen
beharrungsfähigen Charakter hat
Kein Sänger oder Spieler wird zum Beispiel hier im zweiten
Takt eine theoretisch reine Terz intoniren:
p
-Ä^
■ ^ . '*■
^^-fff ]
f
I I
jO.
1 Unter »Alterirung« verstehe ich hier die Erhöhung oder Erniedrigung eines
Intervalles innerhalb eines Halbton-Schrittes, im Gegensatz zu der in der Harmo-
nielehre Qblichen Bedeutung des Wortes zur Bezeichnung chromatisch-veränderter
Töne.
i
Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen Dingen.
367
weil die Entfernung von dem Leitton bis zu dem Tone (7, der ihm
schon im Sinne liegt, eine zu große sein würde, der Hörer aber wird
nur dann von dieser harmonischen Fortschreitung befriedigt sein,
wenn er einen erhöhten Leitton zu hören bekommt.
Man kann jedoch auch zuweilen im Oberdominantakkord eine
reine Terz zu hören bekommen, wenn dieser Akkord z. B. im Halb-
schluB und also vorübergehend im Zustande der Buhe erscheint:
i
^
1^
i
•
J,
» r nn
p
In melodischer Verwendung findet eine merkliche Alterirung des
Terztones statt, größer oder kleiner, entsprechend dem Charakter
des Tonstücks und der Ausdrucksfähigkeit des Ausführenden.
Ich machte einen Versuch mit einer Klavierspielerin, einer sehr
begabten musikalischen Dame, und hatte von vorn herein die Be-
fürchtung, daß sie durch die jahrelangen Übungen auf ihrem im gleich-
schwebend temperirten System gestimmten Instrument verwöhnt und
beeinflußt sein könne. Dies war jedoch nicht im Geringsten der
Fall. Ich spielte auf dem Harmonium die Töne G und Z>* und
ließ sie dazu die große Terz singen; das h stimmte vollkommen mit
der natürlichen Terz, ^, des Harmoniums überein. Auch bei Um-
kehrungen und in erweiterten Lagen sang sie immer die natürliche große
Terz. Dann machte ich den nämlichen Versuch mit einem vorzüglichen
Violinspieler. Er spielte ebenfalls theoretisch reine Terzen und war
darüber nicht einen Augenblick im Zweifel. Darauf ließ ich mir
von Beiden, von einem gegebenen Grundton aus, die Durtonleitec
vorsingen und -spielen. Um möglichst genaue Messungen anstellen
zu können, hatte ich das Griffbrett der Violine in Grade eingetheilt ;
es ließ sich selbstverständlich dadurch keine absolut genaue Messung
erreichen, jedoch annähernd die Tonhöhe der Intervalle bestimmen.
Es stellte sich nun unstreitig heraus, daß Beide, die Singende und
der Spielende, ganz in gleichem Maße alterirte, keine theoretischen
Terzen und Sexten hervorbrachten. Diese Intervalle waren ungefähr
1 Ich schreibe die Quinttöne mit großen, die Terztöne mit kleinen Buch-
staben; für die Erhöhung oder Erniedrigung um ein Komma gebrauche ich den
üblichen Strich über, bez. unter dem Buchstaben.
25*
368
Engelbert Köntgen,
um die Hälfte eines Kommas höher als die entsprechenden
Töne des Harmoniums. Der Leitton ^ wurde aber noch schärfer
genommen und der Unterschied mit dem Ton des Harmoniums konnte
ohne Weiteres auf ein Komma geschätzt werden.
Einige Beispiele aus der Praxis mögen als Beweis dienen, daß
in melodischer Verwendung in der That alterirte große Terzen und
Sexten gespielt und gesungen werden. Im zweiten Satz des Beethoven-
sehen Violinkonzertes:
i
-^-
t
n^ctii
spielt Herr Professor Joachim keine natürlichen, sondern um ein
halbes Komma erhöhte Terzen und Sexten (h und e).
Im ersten Satz des Brahms'schen Konzertes:
i
I
eT*
Si'— r
.£E i
-I — ;
t=t=t:
t
ebenfalls ein in gleicher Weise eihöhtes^« und h.
Einige Takte aus der Bach'schen Matthäus-Passion sind mir
besonders in der Erinnerung geblieben. Der ausgezeichnete Sänger
Herr Messchaert singt in der Abendmahlseinsetzung:
»=^
t
Ich sa - ge euch : Ich wer - de von nun an nicht mehr . . .
die Terzen bedeutend alterirt.
In dem letzten Satz der Sinfonia eroica von Beethoven nimmt
der erste Oboist im Leipziger Gewandhausorchester an dieser Stelle:
Poco Andante.
eine sehr hohe Terz, die nahe an die pytha-
goreische {\ • f J) grenzt.
Wenn nun zuweilen eingewendet wird, daß alle neueren Musiker
durch die Klaviere an zu hohe Terzen gewöhnt sind, so muß ich
* Über die 7. Stufe der Tonleiter siehe weiter unten.
Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen Dingen.
369
dem entgegenhalten, daß, nach meiner Erfahrung, kein wirklich
musikalisch begabter Mensch, weder durch die unabänderlich unreinen
Intervalle des gleichschwebend temperirten Systems, noch durch
irgend ein Anderes, sich beeinflussen läßt^ Unbewußt folgt er
seinem natürlichen , musikalischen Empfinden , das ihm stets den
rechten Weg zu der Intonation weist, die ihn selbst und zugleich
den verständigen Hörer befriedigt.
Einen schlagenden Beweis liefern die Beobachtungen, die ich
an dem Gesänge der unteren Schichten des Volkes gemacht habe.
Junge Männer und Mädchen, die nie irgend welche musikalische
Bildung genossen, vielleicht nie oder nur höchst selten ein Klavier
zu hören bekamen, singen ihre Melodien mit den nämlichen Terzen
und Sexten, die ich von Joachim hörte. Ich führe nur einige
Beispiele an. wie man sie täglich beobachten kann:
X X
pT7^ [ ]sjim
II.
Der Mollakkord.
In auffallender Weise gehen hier Theorie und Praxis auseinander.
Der theoretisch reine Mollakkord klingt in Folge der hohen kleinen
Terz ziemlich herb und unangenehm und erweckt, wie etwa ein
Durakkord mit pythagoreischer Terz, die Empfindung von Spannung
und Unruhe.
Obgleich bei einem Versuch auf dem Harmonium die Reinheit
und der Wohlklang des Mollakkords durch die sehr deutlich hervor-
tretenden Kombinationstöne beeinträchtigt werden, so giebt es doch
in Vokal- und Instrumentalleistungen sehr viele Fälle, in welchen
^ Es gehört zu den schwierigsten Aufgaben für einen Violinspieler, eine Ton-
leiter in gleichschwebend temperirten Intervallen zu spielen. Mir ist es bis jetzt
nicht gelungen, diese Aufgabe mit einiger Sicherheit zu lösen.
370 Engelbert Röntgen,
diese Töne sich dem Gehör entaiehen. Der Akkord behält aber
trotzdem den oben beschriebenen Charakter.
Auf dem Harmonium ist es vorzugsweise der tiefste Kombina-
tionston, der, namentlich in höheren Akkordlagen, sehr stark her-
vortritt:
Primäre Töne
Kombinations-
töne I. Ordnung
I
k
öt
S
^ r-g
Diese Kombinationstöne, mögen sie nun mehr oder weniger
deutlich gehört werden, stellen dem Mollakkord, nach meiner Ansicht
gewissermaßen ein Ursprungsseugniß aus, in welchem der Grund für
die Zweideutigkeit und Unklarheit des Akkords zu suchen ist.
Ein weiteres Eingehen auf diesen Gegenstand gehört nicht
hierher.
Ich will jetzt versuchen durch Beispiele darzuthun, daß die in
der Praxis gebräuchliche kleine Terz bedeutend von der theoretisch
bestimmten abweicht.
Ich ließ auf dem Harmonium die Töne im # aushalten und
spielte dazu auf der Violine, anstatt der natürlichen kleinen Ten,
nach und nach tiefere Terzen; die Messung auf dem graduirten
Griffbrett der Violine ergab nun, daß der Akkord am ruhigsten
klang mit einer Terz, die ungefähr um ein Komma tiefer als
die natürliche war.
Es ist nicht zu leugnen, daß der Akkord in dieser Abstimmung
auf dem Harmonium, jedoch nur in höheren Lagen, ziemlich rauh
klingt; aber der theoretisch reine Akkord klingt auf diesem Instru-
ment, in höheren Lagen, ebenfalls schärfer und gespannter als in
tieferen.
Eine sehr günstige Gelegenheit zur Beobachtung des Akkords
im ruhenden Zustande bietet sich in dem Terzett mit Chor aus dem
ersten Akt des »Freischütz«:
1 Die weißen und schwarzen Noten dienen zur Bezeiohnung fCtr Quint- und
Terztöne.
Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen Dingen.
371
Adagio,
Tenor solo.
^
^
i9-
^m
1 1 «
Wff^
?i
t
P^=i-
■^^
Der Chor singt den Grundton und die Quinte und allein der
Solotenor singt die kleine Terz; man hört also den Akkord in die-
i
ser Lage: <
^
^
-^■
321
31
In vielen Aufführungen dieser Oper habe ich die Beobachtung
gemacht, daß jeder Tenorist eine tiefe kleine Terz singt, und daß
die Klangwirkung des Akkords eine höchst befriedigende ist. —
In melodischer Fortschreitung werden ebenfalls nur erniedrigte
Terzen und Sexten intonirt, und man kann die Größe der Alterirung,
unter Vorbehalt der erwähnten Schwankungen, auf \ • ff schätzen.
Es sind also um ein Komma erniedrigte natürliche kleine Terzen.
Man spiele auf dem Harmonium die Tonfolge:
und jeder, sogar derjenige, der »auf des Meisters Worte schwört«,
wird eingestehen müssen, daß eine solche melodische Fortschreitung
unleidlich verstimmt klingt. Es ist eine unwiderlegliche Thatsache,
daß allgemein c und f, nicht C und F gespielt und gesungen wird.
In der ersten Strophe der Choralmelodie:
singt man in amoU nicht (7, sondern c.
Im zweiten Satz des Cdur- Streichquartetts von Beethoven:
5
pg
^
^
-r-n spielt der Violinspieler
372
Engelbert Röntgen,
in a moll nicht C und F, sondern c und /; ebenfalls in dem Adagio
der Sinfonia eroica von Beethoven:
r^ Ru /jpü^
in cmoll nicht Es, sondern es.
Ich hörte von der Sängerin Fräulein Leisinger, deren Gesang
sich durch große Reinheit der Intonation und Schönheit des Vortrags
auszeichnet, ein Lied von Schubert : »Auf dem Wasser zu singen».
Das Lied hat ^«dur-Yorzeichnung, fängt aber in Moll an:
Mit-ten. im Schimmer der spie-geln- den Wellen . . .
Sie sang keine natürlichen, sondern um ein Komma erniedrigte Terzen.
In den Anfangstakten der Arie mit Solovioline in der B ach-
schen Matthäus-Passion:
spiele ich in Amol! d und ff\ die Theorie aber verlangt D und G.
Ich bin fest überzeugt, daß der unbefangene Hörer in allen den
bisher angeführten Fällen das Spiel und den Gesang der Künstler
als unrein bezeichnen würde, wenn dieselben, anstatt der alterirten
Intervalle, theoretisch reine spielen oder singen würden.
III.
Der Dominantseptimenakkord.
Ich habe oft in Wort und Schrift die Bemerkung gehört, daß
dieser Akkord in Folge der zu hohen Septime unangenehm und hart
klingt. Als praktischer Musiker möchte ich dem entgegenhalten,
daß mir der Akkord in dieser Gestalt ebenfalls nicht behagt, daß
Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen Dingen. 373
aber nicht die zu hohe Septime» sondern der füi mein Gefühl zu
tiefe Leitton daran Schuld ist. Ich verlange, mit Hinblick auf seine
Auflösung, einen kräftig dissonirenden Akkord, einen Akkord, dessen
strebender Charakter scharf ausgeprägt ist, und dies kann nur durch
einen erhöhten Leitton erreicht werden.
Man kann allerdings den Akkord G — h — D — i^ viel milder machen,
wenn man die theoretische Septime um ein Komma erniedrigt und
in y verwandelt ^ Hierdurch werden dann nicht allein die verhält-
niBmäßig milde Septime G — F^ sondern zugleich die ziemlich rauhen
Dissonanzen h — F und D — F erheblich gemildert. Dieser Akkord
steht aber an der Grenze der konsonirenden Akkorde und hat kaum
noch den Charakter einer Dissonanz. Für die Praxis ist der Akkord
nur von untergeordneter Bedeutung.
Ich ließ auf dem Harmonium einen reinen 6rdur* Akkord aus-
halten und spielte dazu auf der Violine abwechselnd die verschiede-
nen Septimen. Für den isolirten Akkord war das / entschieden
wohllautender als -F, jedoch waren die anwesenden Musiker mit mir
einverstanden, daß der Akkord G — h — D — f in Folge der zu großen
Weichheit nicht befriedigte, dagegen mit einer um ein halbes
Komma erniedrigten theoretischen Septime eine bessere Wirkung
machte. Aber der auflösende Akkord, den ich dann folgen ließ, be-
wies unwiderleglich, daß der Akkord G — h — D—f als strebender
Akkord für die Praxis unbrauchbar ist. Man entschied sich ein-
stimmig für den Dominantseptimenakkord G — H — D—F,
Hieraus geht hervor, daß, streng genommen, von der absoluten
Klangwirkung eines isolirten Akkords nicht die Bede sein kann,
denn Dissonanz und Auflösung ist eine veränderliche, sich gegen-
seitig bedingende Erscheinung. Erst der auflösende Akkord recht-
fertigt und bedingt die Spannung des dissonirenden Akkords, und
das spannungsbedürftige Intervall ist stets der Leitton, der das
Bestreben hat, sich eng an den Auflösungston anzuschließen.
Der Leitton ist das hervorleuchtende Intervall des Akkords und
stellt die abwärts fortschreitende Septime gewissermaßen in den
Schatten, so daß die größere oder geringere Entfernung der Septime
von ihrem Auflösungston, im Zusammenklang des Akkords, weniger
ins Gewicht fallt. —
In melodischer Beziehung wird die vierte Stufe der Tonleiter,
sei es als Septime im Dominantakkord oder als Durchgangsnote, stets
1 Die Septime / grenzt nahe an die natürliche Septime, ^, doch ist jene noch
am das Interrall |{^ größer als die natürliche Septime, der siebente Fartialton des
6r-Klange8.
374 Engelbert Röntgen,
im natürlichen Zustande verwendet. Wenn das Intervall um einen
halben Ton abwärts fortschreitet, so ergiebt sich die hier erwünschte
Annäherung an den tieferen Ton aus der bereits oben erwähnten
Erhöhung des letzteren.
IV.
Die siebente Stufe der Dur- und Molltonleiter.
Dieses Intervall ist von besonderer Bedeutung für diese Unter-
suchungen, in sofern die in der Praxis stattfindende Alterirung des-
selben sich auf alle Akkorde erstreckt, in welchen dieser Ton als
Leitton oder im Charakter eines solchen vorhanden ist. Es sind dies,
außer der Oberdominante und dem Dominantseptimenakkord, der
verminderte Dreiklang, der übermäßige Dreiklang, der verminderte
Septimenakkord und sämmtliche Akkordgebilde, welche übergreifende
oder chromatisch- veränderte Töne enthalten*.
Wir sahen bereits, daß dieses Intervall als Terz der Oberdominante
und des Dominantseptimenakkords in der Praxis einer Erhöhung
bedurfte, um sich eng an den Auflösungston anschließen zu können.
Da nun das Intervall, welches den natürlichen Leitton von seiner
Auflösung trennt, stets einen großen Halbton, -j-f , beträgt, und jeder
musikalische Mensch die Empfindung hat, daß diese Entfernung zu
groß und unnatürlich ist, so wird der Leitton in der Praxis stets um
etwa ein Komma erhöht, wodurch der Halbton von ^ auf einen
kleineren von f^ • f ^ = f$ (annähernd) herabgeht.
In sämmtlichen hier beispielsweise angeführten Akkordverbin-
dungen ^ klingen die dissonirenden Akkorde in ihrer regelmäßigen
Fortschreitung auf einem in reinen Intervallen gestimmten Harmonium
unbefriedigend, bald zu weich, bald zu hart. Durch die Alterirung
des Leittons, wie dies in der Praxis in der That der Fall ist, werden
die mit x bezeichneten Akkorde den musikalischen Anforderungen in
befriedigender Weise angepaßt.
In der Theorie. In der Praxis.
X - ^ X
In Cdur /^ i g (^ T=SL
^ H. Yon Herzogenberg, Tonalität (Vierteljahrsschrift f. Musikwissensch.
Jahrg. 1890).
2 Die um ein Komma erhöhten Quinttöne werden durch eine größere weiße
Note, die um ein Komma erniedrigten Terztöne durch eine durchstrichene
schwarze Note bezeichnet.
EiniKes über llieorie und Praxis in musikalischen Dinaren.
375
In amoll
In amoll
Der reine yerminderte Septimen akkord ist eine Dissonanz, die,
wie Helmholtz sagt, »fast an die Grenze des Uneiträglichen stieifta.
Dies mag wohl der Grund sein, warum man diesen Akkord in der
Praxis nie in der theoretisch reinen Zusammenstellung hört.
In der Bach'schen Matthäus-Passion würde das bekannte
Ba - rab-bam I
theoretisch folgende Intervalle enthalten:
stets
gesungen.
; es wird aber
In dem Becitativ zu der Arie der Gräfin »£ Susanna non yien?«
X. vioi.
(Figaro's Hochzeit) findet sich Folgendes:
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Sämmtliche Geiger in unserm Leipziger Orchester intoniren
j r j nicht w Tt w*^-^^^^^ . Ich würde wohl schwerlich Glauben
finden, wenn ich ihnen sagen wollte, daß sie Alle (theoretisch!) un-
rein spielen.
376 Engelbert Röntgen,
Übergreifende und chromatisch-veränderte Töne.
In der Theorie. In der Praxis.
In Cdur
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gp ^tf> — ^ — 1 — ^T"-^^ ^^. -| —
Es erklärt sich hierdurch, weshalb der SäDger und der Spieler
Halbtöne intoniren, die von den theoretischen verschieden sind. Ein
Blick auf die letzten Beispiele wird dies veranschaulichen. In der
Theorie sind die Halbtöne F-ßs^^ D-dis, e-eis und e-JEs (links)
kleiner als die in der Praxis gebräuchlichen (rechts). Jeder Sänger
und Spieler intonirt F-Fis^ D-dis^ e-eis und e-Es. Hingegen sind
die Halbtöne ^5-G 2, dis-e , eis-ßs und Es-D (links) größer als in
der Praxis; hier wird jFVs-G, dis-e, eis-ßs und J&ä-Z) (rechts' intonirt.
Der Unterschied beträgt jedesmal ein Komma.
In dem übermäßigen Quintsextakkord (vorletztes Beispiel) findet
man einen anschaulichen Beweis für die oben gemachte Bemerkung,
daß Dissonanz und Auflösung in innerstem Zusammenhang stehen
und daß in Folge dessen der dissonirende Akkord an und für sich
keinen bestimmten Charakter haben kann. Ich spielte auf dem
Harmonium folgende Akkordfolge: yp ^ — ^ g ö^ . Der dritte
Akkord wurde in Folge der hohen kleinen Septime als hart und
unangenehm bezeichnet. Dann spielte ich ? m^ tf j t f ^ ^ ^^ \ - »
wohlverstanden, mit der alterirten übermäßigen Sexte (eis anstatt««).
Hier wurde die Klangwirkung des dritten Akkords j> vollständig be-
Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen Dingen.
377
friedigenda genannt. Nun enthalten aber beide Akkorde. G-h-D-^F
und G'h-D-eis die nämlichen Bestandtheile, denn eis ist nur um das
Intervall |f^ höher als jF und kann folglich diesem Tone gleich
gestellt werden. Wir sehen daraus, daß in diesem Falle der disso-
nirende Akkord zwei verschiedene Klangwirkungen hervorbringt
und daß diese Verschiedenheit nur auf dem Prozeß der Auflösung
beruht. —
Man könnte nun glauben, daß die Alteiirung der 7. Stufe nur
durch das Bestreben, sich eng an den Auflösungston anzuschließen,
hervorgerufen wird. Indessen ist das nicht der Fall, denn es lassen
sich durch Beispiele aus der Praxis Beweise dafür beibringen, daß,
so paradox es scheinen mag, dieses Intervall, sowohl in harmonischer
als in melodischer Verwendung, in abwärts gewendeter Richtung als
durchgehende Septime oder als Vorhalt, in gleicher Weise erhöht
wird wie der aufsteigende Leitton. Im Zusammenklang eines Akkords
entsteht hierdurch eine sehr scharfe, aber für das musikalische Ge-
fühl durchaus unentbehrliche Dissonanz. Durch ein Experiment auf
dem Harmonium kann man sich auch in diesem Falle von der Un-
zulänglichkeit des reinen Intervalls überzeugen.
Arie mit Chor »O Isis und Osiris« (Zauberflöte}. Chor der Priester.
j j. j j j
Nehmt sie in eu - ren Wohnsitz auf.
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Wohnsitz auf.
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Alle Sänger und Spieler nehmen hier unbewußt eine sehr hohe
durchgehende Septime. Wie ausdrucksvoll klingt das £, wie matt
und verstimmt würde dagegen das theoretische Intervall klingen!
378
Engelbert Böntgen,
Im Österreichischen Volkslied, mag man es vom Volke gesungen
oder wie und wo sonst hören, wird an dieser Stelle
immer Fis, nicht ^ä gesungen.
Ich hörte einmal von einem ausgeaeichneten Violinspieler ein
Konzert in Ddur von Mozart spielen, der zweite Satz. Andante
Viol.solo.
cantabile, fangt an:
tfi-^rr i tM-na s
:^-
Im ersten Takt spielte derselbe eine sehr hohe durchgehende Septime.
Der zweite und vierte Takt führen uns schließlich zu der Be-
trachtung der:
V.
Wechselnoten.
Wir haben es hier mit denjenigen Wechselnoten zu thun, die
als Halbton tmterhalb der harmonischen Note, entweder als melodisch
vorbereitete oder frei eintretende Töne auftreten. Unter »melodisch
vorbereitet« verstehe ich eine Wechselnote, die von einer harmonischen
Note ausgeht und zu derselben zurückkehrt. In beiden Fällen sind
diese Intervalle als leitereigene, übergreifende oder chromatisch-ver-
änderte Töne zu betrachten; ihre Entfernung von der harmonischen
Note beträgt daher stets einen theoretischen großen Halbton, -j-f .
Wohl nirgends ist das Bedürfniß nach Erhöhung in der Praxis
dringender als bei dieser Wechselnote; in unzähligen Fällen habe
ich diese Beobachtung gemacht.
In dem zweiten und vierten Takt des vorhin besprochenen Bei-
spiels wird anstatt dis-E und his-cis^ Dis-E und his-cis gespielt.
Ich erinnere femer an »f/e, Eli^ latnay lama asabthanid aus der
Matthäus-Passion :
r T
^
L,j' 84^-1
la^ma a - sab^tha-nil
hast du mich ver-las-Benl
Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen Dingen.
379
Beide, der Bassist und der Tenorist^ singen eine äußerst scharfe
Wechselnote.
In dem Terzett aus der AZauberflöte^c »Seid uns zum zweiten mal
willkommen« enthält die erste Violine in der Begleitung durchweg
fast nur Wechselnoten:
j.T II J^ < >g j
Hier werden ebenfalls anstatt der theoretischen, nur kleine Halbtöne,
H» gespielt.
In der Cdur-Messe von Beethoven, im ersten Satz, zu den
Worten »miserere nobisu heißt die Orchesterbegleitung:
Oboe.
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350 Engelbert Röntgen, Einiges über Theorie und Praxis in musikal. Dingen.
In einer Aufführung dieses Werkes wurde ich überrascht durch
die genaue Übereinstimmung der beiden Bläser (Oboe und Fagott).
Vollständig unbewußt und ohne sich irgendwie gegenseitig darüber
verständigt zu haben, spielten sie Beide den bewußten Ton in ganz
gleicher Alterirung. Das äußerst scharfe Fis war von ergreifender
Wirkung.
Was diese Künstler einmüthig zu solcher Ausdrucksweise bewegt,
kann nur » innigste Empfindung« genannt werden. Für diese lassen
sich aber weder Maße noch Zahlen finden.
Ein Weümachts-Gesang des Heinrich Baryphonus.
Mitgetheilt Ton
PUUpp Spltta.
■ •
Über Familie, Leben und Wirken des Baryphonus haben die in
dieser Zeitschrift veröffentlichten Forschungen von Eduard Jacobs
Licht verbreitet. Eine Würdigung seiner Verdienste als Theoretiker
hat Hermann Gehrmann gegeben (ebenhier, Jahrg. 1891, S; 479 f.).
Von seinen Compositionen war bisher nichts bekannt; da aber un-
längst eine solche zum Vorschein gekommen ist, erscheint es geboten,
daß wir von ihr Notiz nehmen und den begabten Mann nunmehr
auch als Tonsetzer betrachten. Die Composition befindet sich auf
der Stadtbibliothek zu Hamburg und bildet jetzt einen Bestandtheil
eines Sammelbandes (Realkatalog ND. VI. Nr. 990). Der Titel ist:
r^Meloa Genethliacvm \ Oder | Weihenacht Gesang | Mit 6. Stimmen
gesatzt, vnd dem | Newgebomen Jesulein aus schuldiger Danck- | bar-
keit zur Newen Jahrs Ga- | be verehret | Von | Henrico Baryphono
Wemi- I gerodano Cherusco der Quedelburgischen | Schulen Musico. \
O lesu MIserICorDIa, \ Gedruckt zu Magdeburgk, Im Jahr, 1609 c.
Als Jahreszahl stand ursprünglich 1608 gedruckt, was handschriftlich
in 1609 geändert ist. Das Chronostichon stimmt aber weder mit
dieser noch jener; es ergiebt nur MDCIIII (1604). Herr Archivrath
Jacobs in Wernigerode, dem ich die Bekanntschaft mit der Compo-
sition überhaupt verdanke, vermuthet, der Drucker habe aus Ver-
sehen unterlassen, das u in lesu groß zu drucken [leaV), Dann
^vürde die Zahl MDCVIKI (1609) herauskommen. Den Titel um-
giebt eine breite, mit sinnbildlichen Gestalten reich ausgestattete
Randverzierung; in der oberen Leiste liest man die von einem Kranz
umgebenen Worte des 65. Psalms: Benedices coronae anni benignitatis
iuae. Es sind im Ganzen sechs Stimmenblätter in Kleinquart; der
Titel steht auf der Vorderseite der Bass-Stimme. Von besonderem
Interesse ist, daß das Exemplar Worte in des Componisten eigner
Handschrift trägt. Zwischen den beiden letzten Zeilen hat er
1893. 26
382 Pl^PP Spitta,
eingeschiieben (ich löse die Abkürzungen auf) : Amplissimo et consul-
tissimo Domino Matthiae Lutrodio illustrium Comttum Stolobergensium
quaestori ßdelissimo dono dat autor, Lutrodius ist, wie mich Herr
Archivrath Jacobs belehrt, Lutterott; eine Familie dieses Namens war
in Wernigerode zwischen 1515 und 1665 ansässig, der obige Matthias
Lutterott bekleidete das Amt eines gräflichen Amtschössers von 1601
bis 1616. Des Baryphonus eigne Hand macht sich auch in mehr-
fachen Correcturen des Notentextes bemerklich. ' Nicht autograph
ist aber eine Notiz auf der inneren Seite der Bass-Stimme: «Ist ab-
gesetzt in Lit: C, No, 50«. d Absetzen a heißt in dieser Zeit »in
deutsche Tabulatur bring,en« zum Zweck der Begleitung auf der
Orgel. Sammlungen solcher arrangirter Gesangstücke sind ziemlich
zahlreich erhalten, und eine derartige ist mit Littera C offenbar
gemeint.
In der Fassung des Titels läBt sich ein unschuldiger Humor
nicht verkennen. Kirchen- und Schulbeamte pflegten zu Neujähr
ihren Vorgesetzten und Gönnern zu gratuliren und rechneten dabei
auf eine klingende Gegenleistung. Baryphonus, der in äußerst be-
,scheidenen Verhältnissen lebte, wendet sich in den üblichen Rede-
formen gleich an das Christkind selbst. Daß er für sein Geschenk
auf Erkenntlichkeit hofft, ist mit anmuthiger Laune in dem Beisatz:
O Jesu^ Misericordia angedeutet. Wie weit das Christkind Mitleiden
mit dem armen Cantor bewiesen hat, wissen wir nicht. Jedenfalls
hat dieser es für angezeigt gehalten, auch noch einen irdischen Gön-
ner mit seinem Gesänge anzugehen. Das wird eben zu Neujahr
1609 geschehen sein, während das Stück für das vorhergehende
Weihnachtsfest componirt und an ihm zuerst aufgeführt sein dürfte.
So erklärt sich, warum auf dem Titel 1 608 gedruckt und (vom Ver-
fasser] in 1609 geändert worden ist.
Ein Weihnaelitt-Geuing des Heinrieh Baryphonus.
383
Melos genethliacum.
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384
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Ein Weihnaehto-Gesaiig des Heinridh BaiyphonoB.
385
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in WeOmsehts-GeBang des Heinrieh Baryphonus.
389
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390 P*»iliPP Spitta,
Der Originaldruck enthält einige Fehler. S. 385, System 2 lauteten
die Noten für die beiden Abschnitte des Cantus II anfänglich so:
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Hernach sind die Köpfe der ersten beiden Noten mittelst Tinte ge-
füllt worden und die Cauda der fünften Note ist gestrichen. Nun
aber will sich der Text nicht recht unterfiigen; es ginge nur so:
freu-eteuch
aber daß nach vorhergehender Fusa auf die erste Note dieser Ton-
reihe eine Silbe hat gelegt werden sollen, ist wenig wahrscheinlich.
Ich habe deshalb die beiden Semimmtmae in eine Minima zusammen-
gezogen. S. 387, Syst. 2, Abschn. 2 ist der ersten Note des Altus
handschriftlich, und sicherlich vom Componisten selbst, das 4| vor-
gesetzt: eine sehr willkommene Correctur, da sonst auch f nicht
unmöglich wäre. Die Textworte »fröhlich all« werden vom Tenor I
im Originaldruck überhaupt nicht gebracht; er hat immer nur »singet
feiner zu singen. Dies ist gewiß ein Druckversehen und ich habe
demgemäß von S. 387, Syst. 3, Abschn. 1 an geändert.
Nicht zu den Fehlern, aber zu den ünbehiilflichkeiten des Drucks
gehört es, daß bei den Semifusae {^) die beiden Fähnchen stets
handschriftlich haben hergestellt werden müssen. Auch Virgulae
(Bindebogen) scheint der Setzer nicht haben leisten zu können: so-
wohl S. 383, Syst. 2—3, als S. 384, Syst. 1, Abschn. 2—3 steht die
anzubindende kürzere Note einfach neben der längeren, ohne irgend
ein Zeichen ihrer Beziehung zueinander, und doch ist die Aus-
führung nicht anders denkbar, als so wie sie in der Partitur ge-
geben ist.
Der Tripel- Rhythmus auf S. 384 ist im Originaldruck nur durch
Schwärzung ausgedrückt, ohne Anwendung eines neuen Mensurzeichens.
Das Verhältniß ist dies, daß drei Minimae jetzt denselben Zeitwerth
haben, wie vorher zwei. Das Maß ist also dasjenige unserer Triole,
konnte aber in der Partitur bequemer durch Vorzeichnung der Pro-
portion \ angezeigt werden. Das Notirungsmittel der Ligatur kommt
im Original nur an einer Stelle vor, S. 386, Syst. 1, Abschn. 2 — 3 im
Ein Weihnachts-Gesang des Heinrich Baryphonus. 391
Tenor I, und hier in Verbindung mit der Imperfection : -^ — t* ♦
was im 17. Jahihundert bald selten zu werden anfängt. Die Acci-
dentien gelten in der Partitur für den ganzen Abschnitt, in dem sie
vorkommen; i und t? heben sich gegenseitig auf. Die übergeschrie-
benen Accidentien stehen nicht im Original, auch die Abtheilungs-
striche sind natürlich von mir hinzugesetzt. Eigenthümlich ist hier
und da der Punkt verwendet, nicht zur Augmentation oder Alteration,
sondern wie ein Punctum divisionisj besser noch Punctum demonstra-
tionis nach der Art, wie sie Philipp von Vitry beschreibt. Der Punkt
findet sich zwischen Text und Liniensystem an gewissen Stellen, die
der Aufmerksamkeit der Sänger besonders empfohlen sein sollen.
So S. 383 zwischen Abschnitt 4 und 5 in allen vier oberen Stimmen,
wie um darauf vorzubereiten, daß nunmehr auch die beiden tiefsten
Stimmen hinzutreten; ferner vor dem Beginn der Tripelmensur in
allen sechs Stimmen und beim Wiedereintritt des Tempus imper-
fectum diminutum in allen Stimmen außer der des Basses, wo er
aber wohl nur aus Versehen fehlt. Auf S. 384, Syst. 2 zu 3 steht
der Punkt in den drei oberen Stimmen, während er sich im Tenor 1
schon Syst. 2, Abschnitt 3 vor der ersten Note der wiedereintretenden
Stimme findet, und in den beiden tiefsten Stimmen überhaupt fehlt.
Hier ist wohl durch Schuld des Setzers die Absicht des Componisten
gestört: wahrscheinlich sollte der Punkt in allen Stimmen dort stehen,
wo der Satz sechsstimmig wird. Bei einer Notirungsart, die unserer
Taktstriche entbehrt, war ein solches Mittel, durch das die Sänger
sich bei gewissen Stellen immer leicht zusammenfinden konnten, so-
wohl für Einübung wie Aufführung von Werth. In einzelnen Stimmen
ist der Demonstrations-Punkt noch angewendet: S. 385, Syst. 2, Ab-
schnitt 1 vor der ersten Note der Bass-Stimme, S. 387, Syst. 2, Ab-
schnitt 2 unter der vorletzten Note der Alt-Stimme ; im letzteren Fall
ist sein Zweck nicht recht ersichtlich und vielleicht steht er da nicht
an richtiger Stelle.
Der Text gehört zur Gattung jener zahlreichen kleinen Weih-
nachtslieder, die in lateinischer und deutscher Sprache die Vorgänge
in der Christnacht kurz andeutend verfolgen : die Herniederkunft des
Engels, die Verkündigung der Geburt, den Gesang der Hirten an
der Krippe. Die Phraseologie und Keimart dieser Lieder ist, bei
kleinen Abweichungen im Einzelnen, im Ganzen immer ziemlich
gleich. Ob der von Baryphonus componirte Text auch sonst noch
vorkommt, weiß ich nicht ; es ist sehr wohl möglich, daß er ihn sich
in dieser Form selbst zusammengestellt hat. Das Wort »sausen«
(= sich in Schlaf singen lassen) gehört ebenfalls zu dem sprachlichen
392 Plulipp Spitta, Eiu Weihnachts-Oesang des Heinrich Baiyphonus.
Gemeingut dieser Lieder. In der schönsten und ausführlichsten
Eatwicklung des Stoffes , in Luther's »Vom BLimmel hoch da komm
ich her«, soll «das rechte Susannine« (Wiegenliedchen] gesungen
werden.
Die CompositioD, welche Baryphonus mit 27 Jahren schrieb,
zeugt — bei einigen Freiheiten in der Stimmführung — im allge-
meinen von bedeutender contrapunctischer Gewandtheit, von Sinn
für wirksame Gruppirung und Wohlklang und von lebendiger musi-
kalischer Empfindung.
Die Privatkapellen des Herzogs von Alba.
Von
Carl Krebiä.
Die Herzogin Ton Berwick und Alba hat im Jahre 1891 eine
Anzahl von Dokumenten aus den Archiven der Albas veröffentlicht \
Es befindet sich Einiges darin, was auch für die Musikgeschichte
Interesse hat, und da die Originalpublikation nicht im Buchhandel
erschienen, also jedenfalls schwer zugänglich ist, so mag das auf
die Musik bezügliche hier mitgetheilt werden. Es handelt sich um
zwei Mitgliederlisten der Privatkapellen des Herzogs Alba, die eine
aus Neapel, die andere aus Brüssel. Beide Listen sind zugleich
Zahlungsanweisungen des Herzogs resp. der Herzogin und Gehalts-
quittungen der Angestellten. Es finden sich dort ferner — und das
ist von besonderem Werth — zwei Hymnen des Kapellmeisters
Du Hotz abgedruckt, die Domenico Scarlatti in Partitur gesetzt hat,
nebst einem Brief Scarlatti's an einen Herzog von Alba, einen Nach-
kommen des Don Fernando Alvarez von Toledo.
Das erste Dokument aus Neapel lautet ^:
»Mein Diener Juan Lopez^ ich befehle euch,
daß ihr von dem Geld eures Etats an meine
Kapellsänger das für den verflossenen Februar
fällige Gehalt auszahlt, jedem wie es hier unten
festgesetzt ist, folgendermaßen:
An Diego Ortiz, Kapellmeister, 16 Ducados
6 Carlines und 6 Granos 6 d.' 6 c^ 6 gr."
Diego Ortiz, (Autograph wie die folgen-
den Namen).
An Francisco de Xaca 1 Ducado 1.
Fran,^^ de Jacca.
^ Documentos escogidos del Archivo de la Casa de Alba. Los pubUea la Dtp-
quesa de Berwiek y Alba, Condesa de Siruela. Madrid 1891.
^ Die Originale aller hier wiedergegebenen Dokumente sind spanisch abgefaßt,
nur der Brief Scarlatti's ist in italienischer Sprache geschrieben.
394 ^^^^ Krebs,
An Francisco de Bustamante 4 Ducados 4.
Fran.^^ de Bustamante.
An Francisco de Loscos 4 Ducados 1 Carlin
und 5 Granos 4. 1. 5.
An Pedro de Talavera 2 Ducados 2.
Diego Ortiz,
An Peramato, 6 Ducados 6.
Peramato,
An Francisco Cortes, 2 Ducados 2.
Fran,^^ de Cortes.
An Francisco Cornelio, 1 Ducado 1.
Cornelio Francot.
An Carrasco, 8 Ducados 3 Carlinos 3 Granos 8. 3. 3.
Hieronymo Car,^^
An Paulo Giraldo, 4 Ducados 4.
Paulo Oeräldo.
An Cornelio Celso, 8 Ducados 3 Carlines
3 Granos Cornelio Zelso 8. 3. 3.
An Perianez, 3 Ducados 3.
Piafiez (!)
An Francisco Salinas, Organisten, 4 Ducados 4.
und an Emando, Sopran, 3 Ducados für einen 3.
Monat Diego Ortiz. '
6ü- 4. 7.
Für den Senor Fran.^® de Salinas
Grauiel Olivier.
Die Summe die ihr besagter Juan Lopez an
die besagten Sänger meiner Kapelle für den be-
sagten Monat Februar zu zahlen habt, belauft
sich also auf 69 Ducados, 4 Carlines und 7 Granos,
deren Empfang durch Unterschrift zu bescheinigen
ist etc.i
Gegeben in Neapel am ... . 1558 ^
Die Herzogin, Marquise.ff
Auf der Rückseite: Rechnung vom Februar 1558. Kapelle,
69 Ducados, 4 Carlines 7 Granos.
Es scheint, daß Herzog Alba sich die Kapelle nicht für seinen
persönlichen Bedarf zusammengestellt hat, sondern daß sie überhaupt
zum Hofhalt des Vicekönigs von Neapel gehörte, wenigstens wird
Ortiz schon in dem Privileg des Papstes Julius HI., das dem
1 Brüche ün Papier haben hier Auslassungen zur Folge gehabt.
Die Piivatkapellen des Herzogs von Alba. 395
i^Tratiado de glosas sobre Clausulds 1563«, voransteht, %Proregi8 Na-
politan. Capelle Magistet^t genannt. Über die Funktionen der ein-
zelnen Mitglieder habe ich nichts ermitteln können; hier wird nur
•Emando als Sopran, Salinas als Organist und Ortiz als Kapellmeister
genannt. Francesco Bustamante und Peramato müssen Sänger gewesen
sein, denn sie traten später in die sixtinische Kapelle ein, wie aus
Adami da Bolsena's Verzeichuiß hervorgeht ^ Beide werden auch von
Arteaga unter den Spaniern angeführt, die sich um die Pflege der
Musik in Italien Verdienste erworben habend. Daß Salinas Angestellter
der viceköniglichen Kapelle war, ist bisher nicht bekannt gewesen und
bietet einen kleinen Beitrag zu seiner Biographie. Aus der Vorrede zu
seinem Werk nDe Musica libri VII, 1577 v, dem wir alle Nachrichten
über sein Leben verdanken, geht nur hervor, daß er mit einem Vice-
könig von Neapel — wohl dem Herzog Ferdinand von Gonzaga — eng
befreundet war und durch seinen Tod schwer betrübt wurde. Auffallen
muß für einen Mann von seiner Bedeutung ein so geringes monat-
liches Gehalt, denn 4 Ducados betragen nach unserem Gelde noch nicht
ganz 14 Mark (1 Ducado = 3,441 Mk.; l Carlino = 0,344 Mk.;
1 Grano = 4,25 Pf.). Hingegen erscheint die Besoldung von Ortiz
ganz stattlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Lassus in München
400 Gulden jährlich bezog, also nicht wesentlich mehr.
Die zweite Liste aus Brüssel hat folgenden Wortlaut:
Goncalo Cano, mein Schatzmeister, zahlt von dem Geld
eures Etats an die unten Genannten, die in meiner Kapelle
bedienstet sind, dreitausend siebenhundert vierundachtzig
Escudos und zwei Placas, jeden Escudo zu vierzig Placas, die
sie als Besoldung für 23 Monate zu bekommen haben, vom
1. Januar 1572 bis zum 30. November 1573.
An Pedro de Hotz, Kapellmeister, als Besoldung vom
1. Januar 1572 bis 30. November 1573, also für 699 Tage,
den Tag 14 Placas, zusammen neuntausend siebenhundert
sechsundachtzig Placas 9786.
Er hat ferner zu bekommen für sechs Knaben, die er
zur Bedienung der Kapelle hält, fünf Placas ^ fiir jeden täg-
lich, während derselben Zeit, zusammen zwanzigtausend
neunhundert siebzig Placas 20970.
^ Osservazioni per ben regolare ü Coro deUa Capeüa Pontißcia, 1711. S. 166 u. 167.
2 Le JRipobizioni del Tealro mtuicale iialiano. 1785. I, S. 205.
3 In einer Gehaltsrechnung der herzoglichen Kapelle, die Pierre du Hotz
1576 einreicht, ist der tägliche Zuschuß für jeden Knaben nur mit 4 Placas an-
gesetzt, »e« qtC est bien peu« wie Du Hotz freimüthig dazu bemerkt Vander
Straeten, La-Mtmque aux Paye-Bas B. UI, S. 320.
396 ^^'^ Krebs,
Er hat feiner zu bekommen für Schuhe^ Strümpfe und
andere Kleinigkeiten der besagten Knaben drei Escudos
monatlich, zusammen für die besagten 23 Monate zwei-
tausend siebenhundert sechzig Placas 2760.
Ich, Pedro de Hotz, bescheinige hiermit, von dem Schatz-
meister Gon^alo Cano die besagten dreiunddieißigtausend
fünfhundert Sechsundsechzig Placas empfangen zu haben.
Pedro de Hotz (Autograph, wie die übrigen Unter-
schriften).
An »miceru Adriano Hayos für besagte 23 Monate,
also 699 Tage, neun Placas täglich, zusammen sechstausend
zweihundert einundneunzig Placas 6291.
Ich, micer Adriano Hayos, bescheinige hiermit, von
Gon9alo Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Adriano des Hayois.
An »Sire« Jan Spinoit, Kapellan, für dieselbe Zeit die-
selbe Summe 6291.
Ich, Sire Jan Spinoit, bescheinige hiermit, von Gon^alo
Cano besagte Summe empfangen zu haben. Jan Spinoit.
An Sire Jan Xodemart, Kapellan, für dieselbe Zeit die-
selbe Summe 6291.
Ich, Sire Jan Xodemart, bescheinige hiermit, von
Gon^alo Cano besagte Summe erhalten zu haben.
Joannes Chodemart
An Jain le Pontre, Sänger, für dieselbe Zeit dieselbe
Summe 6291.
Ich, Jain Lepontre, bescheinige hiermit von Gon9alo
Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Jekan le Poinctre, -
An »cire« Jan Dupontre, dasselbe 6291.
Ich, Jan Dupontre, bescheinige hiermit, von Gon^alo
Cano besagte Summe empfangen zu haben. Jan Dupont.
An Giles Crocart für dieselbe Zeit dieselbe Summe 6291.
Ich, Giles Crocart, bescheinige hiermit, von Gon^alo Cano
besagte Summe empfangen zu haben. Gielis Crocaert.
An Jaques Pelers, für dieselbe Zeit dieselbe Summe 6291.
Ich, Jaques Pelers, bescheinige hiermit, von Gon^alo
Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Jacques Pelers.
An Sire Paul Fratisart für dieselbe Zeit dieselbe Summe 6291.
Ich, Paul Fratisart, bescheinige hiermit, von Gon^ala
Cano besagte Summe empfangen zu haben. P. Fratissart.
Die Privatkapellen des Herzogs von Alba. 397
An Teodoro Risten für dieselbe Zeit dieselbe Summe 6291.
Ich, Teodoro Risten, bescheinige hiermit, von Gon^alo
Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Teodoro Rixter,
An Estefan de Noter für dieselbe Zeit dieselbe Summe 6291.
Ich, Estefan de Noter, bescheinige hiermit, von Gon^alo
Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Esteuan de notere,
f An Miguel Frans für dieselbe Zeit dieselbe Summe 6291.
Ich, Miguel Frans, bescheinige hiermit, von Gongalo
Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Machiel Frans.
An Fransois Corneta, der als Violinspieler dient, die-
selbe Summe 6291.
Ich, Fransois Cometa, bescheinige hiermit, von Gon-
calo Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Fransois Cometa.
An Sir Guerart, für 6 Monate Gehalt, vom 1. Januar 1571
bis Ende Juni desselben Jahres, wo man ihm den Abschied
gab; also 182 Tage zu 9 Placas. 1638.
Ich, Sir Guerart, bescheinige hiermit, von Gon^alo Cano
besagte Summe empfangen zu haben. C, Gerard mol.
An Bastian Du Mulin, für dieselbe Zeit dieselbe Summe 1638.
Ich, Bastian Du Mulin, bescheinige hiermit, von Gon-
^alo Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Bastian du molin.
An sire Martin Clote für dieselbe Zeit dieselbe Summe 1638.
Ich, sire Martin Clote, bescheinige hiermit, von Gon^alo
Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Maest. Martin Clost.
An Gaspar Payan, der vom 1. Januar 1571 bis zum
26. Mai desselben Jahres angestellt war, also 146 Tage zu
9 Placas den Tag, zusammen 1314.
Ich, Gaspar Payan, bescheinige hiermit, von Gon^alo
Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Frangois Comet cot. execute.
An Peralta, Sopran (tiple), der vom 1. Juli 1572 bis
Ende November 1573 angestellt war, also 518 Tage zu
9 Placas den Tag, zusammen 4652.
Ich, Peralta, Sopran, bescheinige hiermit^ von Gon^alo
Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Baltassar de Peralta.
1893. 27
398 ^'i ^"-ö^«'
An Maestre BolifaciO; der an Stelle von Bastian de Moli
am 22. Juli 1572 eintrat und bis zum 30. November be-
dienstet war, also 495 Tage zu 9 Placas den Tag 4455.
Ich, Maestro Bolifacio, bescheinige hiermit, von Gon-
9alo Cano besagte Summe erhalten zu haben.
Boniface Hubert.
An Juan de Somayn, Tenor, der am 25. Juli 1572 an Stelle
des verstorbenen GasparPayan eintrat und bis zum 30. Novem-
ber 1573 Dienste that, also 408 Tage zu 9 Placas den Tag 4432.
Ich, Juan de Somayn, bescheinige hiermit, von Gon9alo
Cano besagte Summe empfangen zu haben. Jan Sommain.
An Antonio Dalu, tiefen Bass, der an Stelle des aus-
geschiedenen Sir Xerart Mole vom 1. August 1572 bis zum
30. November 1573 Dienste that, also 487 Tage zu 9 Placas
den Tag 4383.
Ich, Antonio Dalu, bescheinige hiermit, von Gon9alo
Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Anthoni Dalldux.
An Sire Piere Movuesin, der als Contraalt an Stelle
von Martin Clote vom l. November 1572 bis zum 30. No-
vember 1573 in Dienst war, also 369 Tage zu 9 Placas 3555.
Ich, Sire Piere Movuesin, bescheinige hiermit, von
Gon^alo Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Sire Piere Monuaisin.
An mestre Luis Breme, Organisten, für besagte 23 Mo-
nate, also 699 Tage zu 3 Placas den Tag 2097.
Ich, Maestre Luis Breme, bescheinige hiermit, von
Gon^alo Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Loys Brumen,
An Fedrique Hans, Hülfsorganisten, für dieselbe Zeit,
zu 6 Placas den Tag 4194.
Ich, Fedrique Hans, bescheinige hiermit, von Gon^alo
Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Frederich de Harns.
An Maestre Miquel de Memorasi, der als Stimmer in
Dienst steht, dieselbe Summe 4194.
Ich, Maestre Miquel de Memorasi, bescheinige hiermit,
von Gon9alo Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Michiel de Memorefisi.
An Jan Jilos, der als Sakristan vom 1. Januar 1572 bis
zum 30. September desselben Jahres in Dienst stand und
dann entlassen wurde, also 273 Tage, zu 6 Placas den Tag 1638.
Die Privatkapellen des Herzogs von Alba. 399
Ich, Jan Gilos, bescheinige hiermit, von Gon^alo Cano
besagte Summe empfangen zu haben. Jan Oillo,
An Juan de Garitta, Sakristan, der an Stelle von Juan
Gilo am 15. Oktober 1572 eintrat und bis zum 30. Novem-
ber 1573 in Dienst war, also 411 Tage zu 6 Placas den Tag, 2466.
151426.
Ich, Juan de Garita, Sakristan, bescheinige hiermit, von
Gon^alo Cano besagte Summe empfangen zu haben.
Jan Garitta,
Das macht zusammen die besagten dreitausend sieben-
hundert vierundachtzig Escudos und zwei Placas, wie oben
erklärt ist, die ihr gegen Quittung auszuzahlen habt etc.
Gegeben in Brüssel am 30. November 1573
Der Herzog von Alba.
Verifizirt: Albornoz [Sekretär des Herzogs]. Auf der Rückseite des
Dokuments findet sich die Bemerkung, daß am 31. Dezember 1573 an
den Kapellmeister P.^ de Hot die Summe von 3784 Escudos ausge-
zahlt wurde.
Hier läßt sich über die Personalien der Mitglieder schon mehr
in Erfahrung bringen. Vander Straeten hat mit großem Fleiß Details
über die Kapellen des spanischen Hofs zusammengetragen. Ich werde
das, was sich in den acht Bänden seiner ^Mustque aux Pays-Basv
zerstreut findet, in den Hauptsachen übersichtlich aneinanderreihen.
Pierre Du Hotz taucht zuerst auf in einer Liste der Kapellmit-
glieder Karls V. von 1556, und zwar als einfacher Sänger, was er bis
zum 1. April 1559 blieb. Mit diesem Tage tritt er als Kapellmeister
in die Dienste der Regentin der Niederlande, Margarethe von Parma.
Gleich nach seinem Amtsantritt bewarb er sich um die Praebende von
Conde, die durch den Tod Roberts de la Porte frei geworden war,
und erhielt sie auch. 1564 fuhrt er in der königlichen Kapelle in
Brüssel eine Trauermusik auf den Tod des Kaisers Ferdinand auf,
wofür er mit 24 Livres entschädigt wird. Aus den Jahren 1564,
1575, 1577 sind Dokumente vorhanden über die Sendung von Sängern
nach Spanien, deren Anwerbung Du Hotz vermittelt hatte. In einem
Schreiben vom Jahre 1596 an den Generalgouvemeur der Nieder-
lande sagt Jean Tournhout, daß er seit zehn Jahren, also seit 1586,
die Funktionen eines Kapellmeisters in Brüssel versehe. Ob Du
Hotz in diesem Jahr gestorben ist und Jean Tournhout an seine
Stelle trat, ist bis jetzt nicht ermittelt worden.
Von Kompositionen Du Hotz' weiß Vander Straeten nur eine
Sammlung anzuführen, die er bei Becker, »Die Ton werke, des
27*
400 ^^'^ Krebs,
XVI. und XVII. Jahrhunde rtstt, S. 121 notirt gefunden hat: »Preces
speciales a Petro de Hoto collectae et per J. de Kerle ad ßguras et
modos musicos accommodatae cum quatuor vodbtts. Venetüs^ apttd
A, Gardanum, 1062.9 Und vielleicht enthält diese Sammlung nicht
einmal eigene Kompositionen Du Hotz\ sondern ist nur von ihm
zusammengetragen, wie man aus dem Titel fast schließen möchte.
Die beiden fünf und sechsstimmigen Hymnen, die in den »Docu-
mentos« abgedruckt sind, bilden also eine schätzbare Bereicherung
unserer Kenntniß von der tonkünstlerischen Thätigkeit Du Hotz',
so daß die Wiedergabe wenigstens einer von ihnen an dieser
Stelle wohl gerechtfertigt ist. Der Umschlag des Manuskripts
trägt folgende Bemerkung eines Archivars aus dem 18. Jahrhundert:
»Die Kompositionen dieses Bandes sind Originale; dabei befinden
sich ihre Kopieen, deren Spartirung von Scarlatti herrührt, dem
berühmten Komponisten seiner Majestät des Königs Ferdinand VI.
Sie wurden zu Ehren des Großherzogs von Alba, D. Fernando Alvarez
de Toledo y Pimentel, und seines Sohnes, des Groß-Priors von S. Juan,
Don Fernando de Toledo, gesungen. Wo und wann, ist ungewiß.
Aber man glaubt, daß es in Brüssel geschah, in der Kathedrale der
heiligen Gudula, wovon es lateiiusch heißt: »In Aede Divae Gvldtdae:
et oratione ßnita Deo Chorus laudes concinit. Galero et ense ab Epi-
scopo Dux pitcs mduitur, Omnia Umdatissima celebratione peracta.^ Den
Helm und den Degen brachte Karl von Eboli, Kämmerer seiner
Heiligkeit Pius V., nach Brüssel, zusammen mit der Gnaden* und
Vergebungsbulle für seine Excellenz (die sich nicht im Archiv be-
findet), ausgefertigt in Bom am 21. Mai 1569. Heute werden diese
Kleinodien nebst der geweihten Böse, die seine Heiligkeit an die
Frau Herzogin sandte, in St. Stephan zu Salamanca aufbewahrt. ^
Die Überreichung der spartirten Hymnen an den Hersog von
Alba hat Scarlatti mit einem Brief begleitet, der wie folgt lautet:
Durchlauchtigster Herr,
Es schien mir gut, Eure glückliche Bückkehr nach hier ab-
zuwarten, um Euch meine Ergebenheit auszudrücken, nicht nur
durch die Übersendung der beifolgenden Blätter, sondern durch die
Versicherung meiner Bereitwilligkeit für jeden anderen Auftrag, mit
dem Ihr mich beehren werdet. Das Aussetzen der Worte, die zwar
lateinisch, aber in gothischen Abbr^iaturen geschrieben siad, hat
mehr Mühe gemacht, als alles Andere, wie Ew. Excellenz beio^erken
wollen; ebenso die alten Stimmen, die ich in Partitur gesetzt habe,
nicht allein, um das Lob eines so großen Todten zu feiern, sondern
auch, damit viele moderne Opernkomponisten [teatristi campositori]
Die Privatkapellea des Herzogs von Alba. ^Q\
daran die wahre Art und die wahren Regeln der kontrapunktiechen
Schreibweise beobachten und erlernen können — das heißt , wenn
sie wollen — , was heut zu Tage nur bei wenigen zu finden ist.
Ich kann nicht ausgehen. Eure Excellenz sind stark, hoch-
herzig und gnädig. Warum kommen Sie also nicht, mich durch
Ihren Anblick zu trösten? Vielleicht, weil ich dessen nicht werth
bin? Es ist wahr^ aber wo hat die Tugend ihren Sit^, wenn nicht
im Herzen der Großen?
Hiermit schließe ich. Ich bitte Gott, daß er Ihre und meine
Wünsche unterstütze und segne. Amen.
Scarlatti. [Autograph . ]
Ohne allen Zweifel handelt es sich hier um Domenico Scarlatti.
Es ließe sich schon daraus schließen, daß Domenico einen großen
Theil seines Lebens in lissabon und Madrid zugebracht hat^ während
Alessandro, soweit bekannt, keine Beziehungen zu Spanien 'hatte.
Und es geht zur Evidenz hervor aus jener Bemerkung des Archivars,
die ihn als Komponisten Ferdinands VI. bezeichnet. Der Brief ist
nicht datirt. Er mag in die Zeit fallen, wo Scarlatti schon anfing,
an Altersschwäche zu leiden, weil er schreibt, er könne nicht aus-
gehen. 1754 kehrte er kränkelnd nach Neapel zurück, nahe an das
Jahr 1754 kann also vielleicht auch die Abfassungszeit des Briefes
gerückt werden.
Über die Mitglieder, die außer Du Hotz angeführt sind, werden
einige kurze Bemerkungen genügen.
Jean Lepoinctre, Gerart Mole und Antoine Dalleu (wie er 1576
geschrieben wird) waren tiefe Bässe.
Der Tenor war vertreten durch Giles Crokaert, Jacques Peler
und Gaspar Payen. Payen war unter Karl V. Violinspieler gewesen
(musico de vihuela d'Arco) und hatte ihn auf zahlreichen Reisen be-
gleitet. In der Kapelle Philipps II. spielte er ebenfalls Geige, sang
aber auch bisweilen, und beim Herzog von Alba ist er nur Sänger.
Im Jahre 1572 starb er^ wie aus obenstehendet Liste hervorgeht,
und Jean Sommain trat an seine Stelle.
' Paul Fratissart war Altist, ebenso Bastian du Moulin. Letzterer
begleitete schon Marie von Ungarn nach Spanien, ging nach ihrem
Tode wieder nach den Niederlanden, und trat als Altist in die Kapelle
Margarethas von Parma ein. Nach Übernahme der Regentschaft
durch Alba scheint er in der Kapelle geblieben zu sein. . Vom
22. Juli 1572 an nahm seine Stelle Boniface Hubert ein, der dem-
nach hier Alt sang. Auch er war schon in der Kapelle Margarethas
von Parma thätig gewesen, und zwar als Sopran. Später trat er in
die Dienste Philipps IL Martin Clote, ebenfalls Altist, wird unter
402
Carl Krebs,
den Sängern Philipps 11. genannt. 1562 war er noch in der Madrider
Kapelle, wird aber im letzten Drittel dieses Jahres nicht mehr auf-
geführt. Er ist also voraussichtlich damals nach den Niederlanden
zurückgekehrt und in Albas Dienste getreten. Am ersten November
1572 wurde er durch Pierre Monvoisin ersetzt.
Als Sopranist wird nur Baltassar de Peralta genannt.
Teodor Rixter (Rixtel, Risten) war Posaunist, Esteban de Noter
Zinkenist, ebenso Miquel Frans.
Francois Comet war Violinspieler in der Kapelle Karls V., der
ihm bei der Übergabe der Regierung an Philipp IT. eine jährliche
Pension von 50 Livres aussetzte. Unter Philipp II. behielt Cornet
seine SteUung als Yiolinspieler bei. 1573 finden wir ihn in demselben
Eigenschaft in der Kapelle des Herzogs Alba, aber 1576 wird er nur
noch als Kapelldiener aufgeführt.
Adriane Hayois nennt eine Liste von 1576 nchapelain des haulies
messest j Spinoit und Chodemart als Kapellane, ebenso Jean Dupont,
der 1559 die Praebende von Cond^ ausschlägt, die ihm vom Madrider
Hof angeboten wird, und die Du Hotz nachher bekam. Ein Organist,
ein Hülfsorganist, ein Otgelstimmer und ein Sakristan vervollständigen
das Kapellpersonal.
Was die spanisch->>niederländischen Münzsorten »Escudot und
»Placaa anbetrifft, so hat Herr Th. M. Roest, Direktor des Univer-
sitäts-Münzkabinets in Leyden, die Freundlichkeit gehabt, mir mitzu-
theilen, daß der Escudo oder Phillppus-Thaler nach unserem Geld etwa
fünf Mark gilt; di^ Placa hat also einen Werth von ungefähr 12V2
Pfennigen. Danach lassen sich die Umrechnungen leicht vornehmen.
Es möge nun der Hymnus von Du Hotz auf den Herzog Alba
folgen. Das Original ist in hohen Chiavette mit der Schlüsselstellung
^^
»
3 |> -ä^
Ä
notirt. Ich habe das Stück hier auf die normale Tonhöhe gebracht,
und al» Einheit die Brevis genommen, während Scarlatti nach
Semibreven abtheilt, was der Komposition ein zu zerstückeltes An-
sehen giebt. An einzelnen Stellen habe ich Änderungen vornehmen
müssen, weil das, was da stand, keinen musikalischen Sinn gab und
offenbar auf fehlerhafter Überlieferung beruhte.
S. 405, Syst. 2 lauten der 3. und 4. Abschnitt des Alt so: .
. ^ af a .
g * f^ ^ '
4=t
S. 405, Syst. 3. Abschnitt 1 und 2, Alt:
ISi
ä
^
/tu
Die PriTatkapellen des Herzogs von Alba.
403
S. 405, Syst. 3, Abschn. 5, Alt: P=^^=^
g>"(g
2. Tenor:
S. 406, Syst. 2, Abschn. 1 ist stark korrumpirt, es steht dort im
-AV-
jzzsz:
und im Bass:
E^
Bei der
letzten Note hat der moderne Herausgeber offenbar zwei flüchtig ge-
schriebene Semibrevis-Pausen für Yerlängerungspunkte genommen.
I »v*« ^ ^ — ö«-
S. 406, Syst. 2, Abschn. 2, zweiter Tenor:
S. 406, Syst. 2, Abschn. 4, Bass:
r ^ ~^
ebendort, Alt:
'^
^^^
■^-
X
ig?" '—
3z:
jC^
S. 406, Syst. 3, Abschn. 5, erster Tenor:
-»W Ä>-
■^■
X
i
-«^
S. 407, Syst. 1, Abschn. 1, Alt:
S. 407, Syst. 2, Abschn. 1 hatte Scarlatti vor das d des Alt ein
4 gesetzt, das natürlich fehlen muß.
Andere anstößige Dinge (z. B. die offenen Quinten S. 405,
Syst. 2 — 3] und Ungeschicklichkeiten zu ändern, habe ich mich nicht
für befugt gehalten, denn es konnte ja nur meine Au%abe sein, die
Komposition in ihrer ursprünglichen Gestalt möglichst wieder herzu-
stellen, nicht, sie durch Retouchen zu verbessern. Auch die keines-
wegs mustergiltige Unterlegung der Worte durch Scarlatti habe ich
nicht angetastet : ist sie doch bezeichnend dafür, wie fremd selbst die
großen Meister des 18. Jahrhunderts der älteren Musik gegenüber-
standen. Nur eine Stelle, wo auf die Silbe m eine lange Notenreihe
gesungen werden sollte, ist geändert worden. Der Text lautet im
Zusammenhang :
Heroi canimiu Ducis Albani genus amplunif
Summis omatum virtutibiu atqae heatum,
Strenua pro sancto quod gessit praeUa Jesu,
Dmx Ferdinandus de Toledo honus Heros
Effulget eelebris, quo Belgis iustior alter
Nee pietate fuit, nee hello maior et armis^
Adversam toties fortunam fortiter aequo
Qui vincens animö Beigas in paee gubemat.
Das Epitheton -aversos latinos ele.gantes^, mit dem der bereits
oben erwähnte Archivar des 18. Jahrhunderts diese Hexameter be-
denkt, wird man nicht minder zweifelnd aufnehmen als das über-
schwängliche Lob, das dem Herzog Alba und seiner » friedlichen <r
Regierung der Niederlande darin gespendet wird.
404
Carl Krebs,
Heroicum Panegiricum in laudem Illustrissimi et
Excellentissimi D. Ferdinandi de Toledo, Ducis ab Alba.
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Anonymi cujusdam Codex Basiliensis.
Von
Johannes Wolf.
In der Baseler Universitätsbibliothek befindet sich unter der
Signatur F. IX, 54 eine Minuskelhandschrift aus dem Anfange des
14. Jahrhunderts, welche über die Musiktheorie des Mittelalters
handelt. Sie ist eine Abschrift, was sich aus mehreren Anzeichen
ergiebt. Die Lücken innerhalb des Textes gegen Ende der Hand-
schrift lassen erkennen, daß hier theils Überschriften, theils Initialen
und Abschnittszeichen fehlen, welche der Schreiber später farbig
hinzusetzen wollte. Außerdem zeugen dafür mannigfache Ver-
schreibungen und der Umstand, daß ganze Stellen sich doppelt
finden. Die Handschrift ist nicht vollständig, dies geht schon reia
äußerlich aus dem fehlenden explicit hervor. Sie ist auf Pei^ament
geschrieben und besteht aus acht Blättern, klein Oktav, welche in
zwei Spalten zu je 34 Linien getheilt sind; durch starkes Beschneiden
haben namentlich die Figuren auf Fol. Ir. und Fol. 4v. gelitten.
Den Inhalt bilden zwei Musiktraktate über den Cantus planus.
Voran steht eine Kreisdarstellung der Tonarten, welche mit der
bei Johannes de Muris ^ einige Ähnlichkeit hat. Während sich aber
letztere auf Herzählung der Namen und Angabe des Amhitus der Töne
beschränkt, ist erstere spekulativ weiter ausgeführt. Die authentischen
Töne sind mit den vier Temperamenten Sanguis, Cholera, Phlegma,
Melancholia^ verglichen, ohne daß jedoch damit gesagt werden soll,
daß der Dorius der Modus der Sanguiniker sei etc., da der Charakter
der einzelnen Tonarten in dem nächsten Kreise ganz anders ausge-
deutet wird. Wieviel man hiervon im 16. Jahrhundert hielt, das
zeigt der Ausspruch des Glarean^: Profecto qtcae in eo Franchino
libro sunt extra Boetium, vei*ba sunt ex varits commentariis sedula lectione
coacervatUy sed rem nihil adiuvantia. Quemadmodum comparatio xUa
quatuor modorum ad quatuor complexiones, colores Mit
den Piagalen werden die vier virtutes: Justitia^ temperantia, pru-
^ Coussemaker, Scriptores II , 264.
2 Vergl. Joh. de Muris XIV. Gerbert III, 217: Homo consiat ex quatuor hu-
moribus: cholera, aanguine, phlegmate et melancholia.
' Qlarean, Dodekachordon. Liber I, Cap. XXI.
Anonymi oujuBdam Codex Basiliensis.
409
dentia, /ortiiudoy welche die musica in anima ausmachen, zusammen-
gestellt. Es darf aber hier nicht übergangen werden, daß nicht allein
die Modi, sondern auch gewisse Zahlen mit einzelnen Tugenden
verglichen wurden. So lesen wir bei Bemo^: Quemadmodum Uli
octo toni semper bini et bifd ad unam ex quatuor finalium chordis
quadam dictante iustitia velut ad parentem redeunt ühde pulchre
eundem octonarium antiqui iustitiam eocaveruntf no7i solum ob supradictam
harmonicae rationis catisam, verum etiam^ quia primus omnium ita sohitur
in numeros aeque pariter pareSy idest in quatuor: ut nihilondnus in
numeros aeque pariter pareSy idest, duo et duo ipsa divisio solvatur.
Nicht klar ist, wie sich der Verfasser die Beziehung von melan-
cholia und justitia zur musica in voce gedacht hat ^.
Der äußerste Kreis giebt den Charakter der Tonarten an. Der-
selbe war, wie die untenstehende Tabelle zeigen mag, durchaus nicht
feststehend, und mit Recht konnte Johannes de Muris hierauf den
Ausspruch des Terenz anwenden: Quot capita^ tot sententiae; suus
cuique mos est.
Der Charakter der Tonarten nach
Guido H. ContractOf Job. Cottd"»^ Job. de Muris Cod. Basil.
Primus
modus
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riae recio et
tranquiUo
feratur cursu
gravis vel
nobilis
morosa ei cu-
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vagatio
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modus
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rauca gravi-
tos
praeceps ei
obscura gra-
viias
ad senes
Tertius
modus
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twus delecte-
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saltans
severa ei qua-
si indignans
persuliatio
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sultatto
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Quartus
modus
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inodestus vel
morosus
adulatorius
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adidaiorius
ad blandos
Quintus
modus
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modesta pe-
tuiantia
petulans
lascivia
(fehlt)
Seactus
tnodus
voluptuosus
lamentahilis
lacrimosus
dulcis queri-
monia anum-
iium
ad tristes
Septimus
m,odus
garrulus
»
garrulus
mimicos sal-
tus faciens
liberos sal-
ius iocundi
faciens
ad versuios
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modus
suavü
iocundus vel
exultans
decens et qua-
si inionalis
seriosus
ad honesios
^ Berno, Prolog, in Tonariumy Gerbert II, 66, Spalte 2.
2 Vielleicbt bat er bei mekmcholia an melos gedacbt und will iustitia
tigkeit gefaßt wissen.
Rieb-
410
Johannes Wolf,
Was den Amiüus der Töne anbetrifft, so weichen unser Verfasser
und Job. de Muris recht erbeblich von einander ab. Besonders
auffällig ist dies beim sechsten und achten Modus.
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Cod. Bas.
Joh. de Maris
Sextus modus
OctaviM modus
B—c
C—d
Keiner der bekannten Theoretiker stimmt in Bezug auf Umfang
der Modi mit der Figur überein. Doch läßt sich aus einer Zu-
sammenstellung der Schluß ziehen, daß dieselbe der Zeit zwischen
Walter Odington und Johannes de Muris angehört.
Da die Figur, wie wir gesehen haben, manches Interessante bietet,
sei sie hier wiedergegeben.
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Anonymi cujusdam Codex Basiliensis. 411
Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß nach Rückgang
der Reichenauer Theoretikerschule, welche sich von Spekulation fast
ganz frei gemacht hatte, die Bedeutung der spekulativen Musik-
theoretiker des frühen Mittelalters: Boetius, Cassiodor und Isidor
und die des Guido zunimmt und bis zum 15. Jahrhundert zu unge-
ahnter Größe heranwächst. Boetius und Guido sind die, auf welche
sich alle berufen, und alles Bedeutende wird ihnen zugeschrieben.
Die Solmisation gelangt zur Herrschaft; die Systemisirung nach
Tetrachorden bleibt nicht die allein herrschende. Neben sie tritt
gleichberechtigt, ja manchmal überragend die guidonische nach Ok-
taven. Diese charakteristischen Merkmale finden sich auch in unse-
rem Codex. Wir können also behaupten, daß sein Inhalt vor 1100
nicht entstanden ist.
Der Figur folgt ein Gedicht über die vier Modi, welches sich
auch bei Joh. de Muris^ findet. Bei letzterem ist es aber so schlecht
wiedergegeben und so umgestellt, daß es kaum zu verstehen ist. Ist
nun zwar der Text im Cod. Basil. auch nicht fehlerfrei, so lassen
sich durch Yergleichung doch viele Schäden beseitigen und ein ein-
heitlicher Text schaffen. Das Gedicht lautet:
Quatuor eece tropi natura matre creaii
QuatiMr ut reges intra sua regna sedentes,
Hinc pi'othus, ac deuirtts, trüus tropicttsque tetrardus
Suh dicione aua eohihent modulamina cuncia.
Quas tarn prudenter disiinxit musica matery
Tarn statuit certaa vocum discrimina metas,
Alter ut aUerius non usurpet aibi cantus
Vindice natura vel cedat in altera iura,
A gravitate quidem nimium distabat acumen
Et gravitas neumis non conveniebat aeutis.
Sic ex consilio divisis quatuor octo
[Late diffusus tenet eccleeiaaticus usus.]
Ergo suum comitern dux sede recepit eadem,
Commodus et patiens et amice foedera iungens.
Omnibus hospitium ßnalium dat tetrachordum:
Primaque D primos'^ habet, E que secundos
Obtinet aequivocos F tertia, quartaque quartos.
Hos tonus et semis sequitur, semis, toniu istos^;
Ditonus et semis superantes propedit illos.
» Joh.de Muri«, Buch VII, Cap. LVI (Cousa. II, 282).
2 Nämlich den ersten authentischen und ersten plagalen Ton etc.
3 Bei den ersten Tönen (auth. und plag.) folgt zu Anfang Qanzton, Halbton,
bei den zweiten Halbton, Ganzton. Bei den dritten und vierten ist nicht ganz
klar, wie sich Verf. das gedacht hat, da dort authentisch und plagal nicht so ent-
sprechen.
412 Johannes Wolf,
Sie cum semitonis serie$ ducreia iotwrum
Discernit nobiejinem quorumqU€ tropontm.
Quaerere nunc ratio rationis et exigit ordo,
Quid teneant proprium, quae sint eommunia, quae non,
Quomodo queinque tropum 9ua constituiU diapason,
Aut uhi eoneordent, tibi discordando repugnent,
Alter ab dUerius de/endens iure suum ius.
Ei nunc quisque modus duplici modulamine fretus
AuUntum, plagam eeJem eomponit in unam,
Ut dux authentuit eonies ut sit plaga eoeatus,
Alter ei minor est, praeceUit digtiior alter,
Quod cum natura dictavit philosopliia,
Vocibus ut voces liquidis apte graviores
Et gravibue liquidae resonent infraque supraque.
Quae quasi confuse coneordabant nimis mite.
Condieione iamen^ qui so sciat inferiorem
Seu graves sortitur metaSy comes egrediaiur.
At cui non liceat voces attingere, quaei'at,
Sui alias captum dux fortior auf erat tllum.
Et totus cantus sub nomine transeat huius.
Primus ab A plagalis in a firmat sua castra,
Alterius B tj cursum distinguit utrumque,
Extendit de C tentoria tertius in c,
Nam D d quartum certo sub limite claudunt.
Hos D cingit et E mediis ius legis et F, G,
Quae diapente supra reddunt, diatessaron infra.
Authenius primus inter D d spaeiatur.
At sua tendit in e tentoria deuterus ex E.
Ex F in f magni distingue palatia triti.
Ex O g summi disponitur aula tetrardi.
His <z, b, c, d mediatrices liquet esse.
His diapente subest, gressus diatessaron effert.
Sed quoniam veluti promit senttntia flati (f)
Segnius irritant animos dimissa per aures,
Quam quae sunt oculis subiecta ßdelibus, Ecee!
Ordine dispositis eompingo castra ßguris,
Quae tam mirißce natura struxit et arte
Distribuitque tropis se musica matre creatis.
Hie ades, expugna^ quisquis potes, haec mea castra.
[Quae situ superes, capias ut victor et intres,
Invenies in eis thesauros totius artis.]^
Was die nun folgenden Traktate anbelangt, so sind sie zu wenig
originell, um im Wortlaut mitgetheilt zu werden. Den ersten,
welcher Ars musica überschrieben ist, habe ich bis auf einige unbe-
deutende Fetzen in Macrobius, Boetius, Herno, Cotto, Hieronymus de
^ Die beiden eingeklammerten Verse fehlen im Cod. Basil.
Anonymi cujusdam Codex Basiliensis. 413
Moravia und Johannes de Muris wiedergefunden. Im Anfange des-
selben wird in ausführlichster Weise über die Etymologie des Wortes
musica und die Wirkung der Musik gesprochen. Während die
Theoretiker sich bisher einer Auslegung des Wortes musica enthielten
oder die Herleitung von den Musen als allgemeingültig hinstellten,
tritt im 13. und 14. Jahrhundert die Ableitung von moys in den
Vordergrund, und wird von einigen Theoretikern, wie Marchettus von
Padua, sogar als die einzige angeführt. Bemerkenswerth ist bei den
Einzelnen die Motivirung dieser Etymologie:
Job. Aegid. Zamorensis: Musica a moys, quod est aqua, quia
in aquis repertam asserunt, solis nervis et arteriis ab ossibus et carni-
hus in aquis per aquarum defluxum exutis; quibus tactis m so?ium
harmonicum eruperunt, Vel ideo sit dicta^ quia vox sine humore palati
et linguae non ßt,
Marchettus von Padua, Lucidarium I, 6, Gerbert III, 67:
Musica dicitur a moys, quod est aqua, eo quod iuxta aquas inventa
fuit, ut liemigius refert : quia, sicut aqua non potest tangi, quod non
moveatur^ sie nee musica, quod non audiatur. Inquit enim ipse, moys
genus est, quod aquam signi/icat ; multum enim iuvat aqua sonum musicum,
ut probabilitei' apparet in ßstulis organalibus, quae implentur aqua, ut
sonum reddant,
Job. de Muris, Gerbert III, 193: Quidam dicunt, quod musica
dicitur quasi moysica a moys, quod est aqua, eo qaad aqua plutialis
f>el quaecumque alia, dum cadit super div er sam materiam, nunc super
tecta, nunc super lapides, nunc super terram, nunc super aquam, nunc
super vasa vacua, nu?ic super arborum folia, so?ios diverses reddere
videatur, a quibus ad invicem comparatis antiqui dicuntur musicam
invenisse.
Philipp de Vitry, Airs nova, Coussemaker III, 17:
Musica dicitur a moys, quod est aqua, et ycos scientia, quia in-
venta fuit iuxta aqua^,
Anonymi fragmenta musica, ed. De laFage (Paris 1853), S. 36:
Musica nomen graecum est et dicitur a moys, quae est aqua et
sica, quae est scientia sumpta de aqua, quia a Pytiiagora philosopho
iuxta aquas inve?ita fuit.
Tunstede VÜ, Coussemaker IV, 203:
Musica .... dicitur a moys graece , quod est aqua latine, quasi
scientia iuxta aquam inventa, quia sine humoris beneßcio nulla canü-
lenae vel vocis delectatio subsistit.
Das, was der Verfasser über die Wirkung der Musik bringt, ist
Koetius, Berno und Cotto entlehnt. Nach Boetius theilt er die
Musik in mundana, humana und instrumentalis, unterscheidet drei
1893. 2S
414 Johannes Wolf,
Tongeschlechtei: das diatonische, chromatische und enharmonische, und
drei genera musicorum: quod carmina fingitj quod instrumentia agitury
quod instrumentorum opus carmenque ditudtcat. Originell und ganz
modern klingt die Definition von Konsonanz und Intervall.
Tunc dicuntur consonanttae, quando superior voz ab uno et inferior
ab alio tanguntur. Sed quando unus diapente, diatessaron vel diapason
et sie de aliis cantatity intervalla vocantur. Die beiden Begriffe
consonantia und intervallum müssen demnach bei ihm zweideutig ge-
wesen sein, da er nachher von sechs Konsonanzen, welche sich in
simplices und compositae
diatessaron j> diatessaron et diapason
diapente » diapente et diapason
diapason » disdiapason
theilen, und zwei Intervallen
semitonium cum diapente
tonus cum diapente
spricht.
Der Traktat schließt mit der Konstruktion der Tonarten aus
Oktaven, Quarten und Quinten gleicher Gattung nach hermannischer
Lehre, indem bei den authentischen Tonarten die Quinte, bei den
plagalen die Quarte unten liegt.
Zu erwähnen ist noch eine seltsame Bemerkung, die jeder
historischen Begründung entbehrt : quod Julianus Apostata et imperator
semitonium cum diapente adiecit.
Am Ende des Traktats finden sich Figuren, die den Ambitus
der einzelnen Töne erläutern. Auch diese sind nicht originell, son-
dern mit einigen Abweichungen bei Aribo Scholasticus ^ und Joh.
de Muris^ nachzuweisen. Es sind je zwei sich schneidende Kreise,
deren gemeinsames Segment di^ dem authentischen und zugehörigen
plagalen Tone gemeinsame Quinte, deren nicht gemeinsame Seg-
mente die dem plagalen und authentischen eigenthümliche untere
und obere Quarte umfassen.
Den zweiten ungleich interessanteren Traktat hier wiederzugeben,
scheint ebenfalls unnöthig, da er zum größten Theile, wenn auch
recht mangelhaft, von Coussemaker im 2. Bande der Scriptores
Seite 4S5 nach einer Lütticher Handschrift der Abtei St. Jakob
herausgegeben ist. Mit Recht setzt Coussemaker die Entstehungszeit
desselben auf das 12. Jahrhundert fest. Der Verfasser ist unbekannt.
1 Gerbert II, 205.
2 Coussemaker II, 275—276.
Anonymi cujusdam Codex Basiliensis. 415
Coussemaker vermuthet, daß es ein Mönch obengenannter Abtei ge-
wesen sei. Im Cod, BasiL findet sich nach einer selbständigen Ein-
leitung nur der erste Theil dieser Schrift, der über die Musica plana
handelt, und ist Ars musicae harmonicae überschrieben. Die Defi-
nition von mtcsica harmonica giebt uns Jsidorus Hispalensis : ^ Musica
harmonica est, quae ex vocum cantibus constat .... et quae decemit
in sonis acutum et gravem.
Interessant ist im Anfang die Stelle über eineViertheilung der Töne
in simplices adsimplices, compositae ad compositas, simplices ad composiiaSy
compositae ad simplices^ welche von gewissen Theoretikern zu Gunsten
der Dreitheilung in graves, acutae, superßuae verworfen worden sei.
Nicht ganz klar ist, was der Verfasser mit der ersten Theilung meint.
Voces simplices sind Ganz- und Halbton, compositae die aus jenen
zusammengesetzten Konsonanzen. Und zwar Ovaren vielleicht die
beiden Terzen simplices ad simplices, da der dazwischen liegende Ton
nach beiden Seiten hin einfache Töne ergiebt, die Quarten und Quinten
simplices ad compositas, da z. B. von C zu D eine vox simplex und
von D bis F oder G eine vox composita ist, die beiden Sexten
(■7. , { semitonio\ .. t . ,. j j« tt j •
diapente cum l . > compositae ad stmphces und die Undecime
[diapason et diatessaron] , Duodecime [diapason et diapente), Doppel-
oktave [disdipason) composita-e ad compositas.
In der Systemisirung folgt der Verfasser dem Boetius und Cassio-
dor. Er theilt die Musik in musica mundana, humana und instrumen-
talis. Letztere kommt zum Ausdruck theils auf natürlichen [naturali-
bus)j theils auf künstlichen [artificialibus) Instrumenten. Erstere sind
Zunge, Zähne, Gaumen etc., letztere, quibus tonus per doctrinam et
industriam elicitur, ut lyra et timpanum etc., quae humano exercitio
sunt inventa. Die musica instrumefitalis wird untergetheilt in melica,
metrica, rhythmica. Aus der Definition von melica: quae cantibus
discemendis et cognoscendis proportionaliter est atiributa, erkennen wir,
daß dies nichts wesentlich Anderes als die musica harmonica ist, und
daß wir hier das Kassiodorische System vor uns haben.
Aus der Buchstabennotation folgert er, daß, da das F ein grie-
chischer Buchstabe und gleichsam der Ursprung und die Grundlage
der folgenden Töne ist. die Musik von den Griechen erfunden, von
den Lateinern (die lateinischen Buchstaben) aber vervollkomnet sei.
[Haec ars a Graecis i7u:enta, a Latinis vero consummatä]. In origineller
Weise erzählt er hierauf, wie Pythagoras aus dem Zusammenklang der
vier Hämmer die Musik herausgelockt habe. Nach dessen Tode sei die
1 Etymologiae III. Gerbert I, 21.
28
416 Johanne« Wolf,
Musik wieder vemachlässigt worden ; und Boetius und Guido gebühre
das Verdienst^ diese Kunst wieder zu Ansehen gebracht zu haben.
Er nimmt das guidonische System von F — , an, theilt also die
Tonreihe in graves, acutae^ superacutae oder superezcellenies. Hin-
sichtlich der Notirung zerfällt die Tonreihe in loca linealia und
spacialta. Linealia sind die graves F, B^ Z>, F, die acuiae a, c, e, g
und die st^eracutae ^ ^7, spacialia die übrigen. Daneben theilt er die
ganze Tonreihe nach Duihexachorden und wendet auf die Töne des
Hexachords die Solmisatignssilben : ut, re^ mij fa^ sol^ la^ an. Den
Unterschied der Hexachorde nennt er proprxetas. Es giebt deren
drei: b durum, b molle und propria nota. Das Hexachord mit 6 c&rum
setzt auf r, G oder g ein , das mit b molle auf F (f) und das mit
der pi'opria nota auf C (c). Die Namen der Hexachorde sind
hexachordum durum
» molle
» naturale.
Wie oberflächlich Coussemaker Handschrifiten bearbeitet hat, zeigt
die Stelle : Sic aliquo modo debile iudicatur propria nota tertia pro-
piHetas dicitur quia proprio^ voces vindicat ab utraqtie praedictarum
proprietate separatas. Hier zieht er ganz widersinnig propria nota
zum Vorhergehenden, das über b molle handelt, und beginnt erst mit
tertia proprietär einen neuen Abschnitt, da doch die dritte proprietxts
gerade die propria nota ist.
Durch die Verschränkung der Hexachorde fallen auf einige Töne
zwei und drei Silben. Bei diesen finden mutationes statt. Muiatio
est progressio ab alia proprietate in aliam. Die Töne mit zwei Silben
haben zwei mutatio7ieSj die mit drei deren sechs, z. B. y« ut hat die
7nutatione8 fa-ut, ut-fa und sol re ut folgende : sol-re, re-solj sol-^^
nt-solj re-ut, ut-re. Diese Mutationslehre tritt wegen einiger augen-
scheinlichen Auslassungen im Cod. Bas. nicht deutlich hervor, wird
aber durch den Vergleich mit der Handschrift bei Coussemaker klar
gestellt. In der darauf folgenden Lehre über die Modi ist ee eigen-
thümlich, daß er alle Beziehungen zweier Töne auf einander mit
consonajitia bezeichnet. Der Begriff ist alsdann wohl so zu fassen,
wie er im ersten Traktate definirt wurde. Er unterscheidet elf species
co7ison.antiarum, von denen er drei (diatessaro?iy diapente, diapason) als
principales consonantiae hinstellt. Diese species sind: UnisonuSj tonus,
semito7iium^ ditonuSy semiditonus^ diatessaron, tritonus, diapente, diapenie
cum to?iOj diapefite cum semitonio, diapason. Diese geht er einzeln
Anonymi cujusdam Codex Basiliensis. 417
durch. Mit besonderem Nachdruck betont er, daß nicht beliebige
fünf Töne die diapente ergeben, sondern B F und E 7 sowie ihre
Wiederholungen davon auszunehmen sind. Mit dem Nachweise, daß
die Oktave aus acht und nicht aus neun Tönen bestehe, obwohl die
Quarte und Quinte, aus denen sich die Oktave zusammensetzt, vier
und fünf Töne hat, schließt die Handschrift. Das explicit fehlt,
wie schon gesagt. Es ist also nicht unmöglich, daß der Theil, der
über die Musica organica handelt, noch folgen sollte, zumal in der
Handschrift noch Raum frei geblieben ist.
Die natürliclie Stimmung in der modernen
Vokalmusik.
Von
Max Planck.
I.
Die Frage, ob der natürlichen Stimmung in der modernen Musik
irgend eine praktische Bedeutung zukommt, trifft gegenwärtig in
Musikerkreisen, soweit sich dieselben überhaupt mit ihr beschäftigen,
noch auf sehr verschiedenartige Beurtheilung. Wohl die überwiegende
Mehrzahl hält daran fest, daß es sich hier um geringfügige Unter-
schiede von mehr theoretischem Interesse handelt und daß in der
praktischen Ausübung der Kunst weder heute noch auch in Zukunft
sich irgend eine Veranlassung ergeben wird, eine andere als die nun
schon durch mehr als zwei Jahrhunderte mit so glänzendem Erfolge
bewährte temperirte Stimmung zu berücksichtigen. Daneben zeigen
sich allerdings einzelne widersprechende Erscheinungen : so wird von
aufmerksamen Geigenspielern ziemlich allgemein zugegeben, daß es
gewisse Falle giebt, wo ein Doppelgriff besser klingt, wenn er nicht
genau im temperirten Intervall, sondern etwas abweichend davon
genommen wird, und erfahrene Chordirigenten wissen, daß beim
a cappella -Gesang in einem piano ausgehaltenen Durdreiklang die
Terz leicht etwas zu tief genommen wird. Andere betrachten da-
gegen diese Erscheinungen nicht als sekundär, sondern gerade als
die normalen: ich habe öfters von sachkundiger Seite die Ansicht
aussprechen und sogar als ziemlich selbstverständlich hinstellen hören,
daß das Streichquartett und der mehrstimmige Gesang sich immer
nach der natürlichen Stimmung richte.* Einige Theoretiker gehen
sogar so weit, der temperirten Stimmung überhaupt jede Berechtigung
abzusprechen, da sie sich von den natürlichen Verhältnissen entferne
und sozusagen dem Ohr etwas vorlüge — ein Standpunkt, der sich
allerdings Angesichts der thatsachlichen Leistungen der temperirten
Stimmung von selber richtet.
Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 419
Versucht man, in den Gegenstand der beregten Meinungsver-
schiedenheiten tiefer einzudringen, so erhellt sogleich, daß es sich
hier um zwei von einander gänzlich verschiedene Untersuchungen
handelt: die eine betrifft die Frage, welche Stimmung in der Musik
jetzt oder in Zukunft die größte Berechtigung hat, die andere die,
welche Stimmung in der Musik, so wie wir sie gegenwärtig etwa in
Konzerten und Theatern zu hören bekommen, thatsächlich zur An-
wendung kommt. Die Beantwortung der ersten Frage ist ungleich
schwieriger und überhaupt nur bis zu einer gewissen Grenze mög-
lich, da sie jedenfalls auch ein Eingehen auf die dem Wechsel der
2*eit in hohem Grade unterworfenen ästhetischen Wirkungen des
Zusammenklangs erfordert; sie hat überdies die Beantwortung der
zweiten Frage zur nothwendigen Voraussetzung; denn es ist nicht
denkbar, daß man im Stande sein sollte, Vorschriften über die Aus-
übung der Kunst zu machen, wenn man sich nicht vollkommen klar
darüber ist, auf welche thatsächlich bestehenden Verhältnisse diese
Vorschriften angewendet werden sollen, und welche Veränderungen
daher ihre Befolgung hervorrufen wird. Vielleicht ist auch der Um-
stand, daß sich die bisherigen Untersuchungen auf diesem Gebiete
vorwiegender mit der Frage beschäftigt haben, was sein soll, als mit
der, was wirklich ist, mit ein Grund dafür, daß sie auf die prak-
tische Musik bisher keinen merklichen Einfluß ausgeübt haben.
Im Folgenden werde ich mich hauptsächlich mit der Unter-
suchung der Thatsachen, aliso mit der in der Musik gegenwärtig zur
Anwendung kommenden Stimmung beschäftigen. Daß eine solche
Untersuchung nicht überflüssig ist, zeigt das diametrale Auseinander-
gehen der im Eingang erwähnten Ansichten; eher ließe sich gegen
sie einwenden, daß sie zu komplicirt ist, um überhaupt ein be-
stimmtes Kesultat zu versprechen. Denn der einzige Weg zur voll-
ständigen Lösung der gestellten Aufgabe wäre offenbar der, daß man
von Ort zu Ort ginge und überall die Leistungen von Chören und
Orchestern in der Wiedergabe möglichst verschiedenartiger Kompo-
sitionen nach einer zuverlässigen Methode prüfte und zusammenstellte,
und es ist keinesfalls zu erwarten, daß die Resultate überall ganz
übereinstimmend lauten würden, schon wegen der Verschiedenwerthig-
keit des Materials und der Vorführungen. Aber es wäre doch schon
viel gewonnen, wenn es gelänge, etwa in bestimmten Fällen und bei
den besten Leistungen, irgend ein allgemeines Gesetz in Bezug auf
die zur Anwendung kommende Stimmung aufzustellen; und selbst
wenn dies sich als unmöglich herausstellen sollte, wenn also die
musikalische Praxis gänzlich regellos schwanken würde zwischen der
natürlichen, der temperirten, der pythagoreischen und anderen
420 ^^^ Planck,
Stimmungen, so wäre die Erkenntniß dieser Thatsache an sich wohl
schon einer derartigen Untersuchung werth, und zwar nicht nur aus
wissenschaftlichen, sondern auch aus rein künstlerischen Gründen.
Denn wenn man bedenkt, daß jeder Fortschritt und jede Verfeinerung
in den Leistungen einer Kunst nach allen unseren Erfahrungen aufs
engste verbunden ist mit der Vermehrung und Vervollkommnung
ihrer technischen Ausdrucksmittel — dies Wort im allgemeinsten
Sinn genommen — , so erhellt sowohl für den schaffenden als auch
für den reproducirenden Künstler die Wichtigkeit der Aufgabe, »ich
der Existenz und des Wirkungsbereiches dieser Ausdrucksmittel, zu
denen die Musik in vorderster Linie die Stimmung zählt, bewußt zu
werden; denn nur dann wird er sie in wirklich wirksamer, und
nicht blos in eingebildeter Weise verwenden können.
Ich habe nun die angedeutete Untersuchung, allerdings in sehr
beschränktem Rahmen, begonnen und bin dabei zu gewissen Resul-
taten gekommen, die ich unten mittheile und deren Bestätigung in
weiterem Umfange bez. Einschränkung ich anderen Untersuchungen
anheimstellen muß. Da es sich um die Prüfung von veränderlichen
Intervallen handelt, so sind Instrumente mit festen Tönen, deren
Stimmung ja unmittelbar bekannt ist, von ihr ausgeschlossen, und
es bleiben übrig die Streichinstrumente und die menschliche Stimme.
Von diesen habe ich nur die letztere untersucht, weil bei ihr eine
Verschiedenheit der Stimmung im Allgemeinen jedenfalls eine noch
größere Rolle spielen muß, als in der Streichmusik, deren leichtere
Beweglichkeit den praktischen Einfluß der Genauigkeit der Inter-
valle häufig mehr zurücktreten läßt. Es kommt also im Folgenden
auf die Messung gesungener Intervalle an, und zwar nicht im Labo-
ratorium, sondern im Konzertsaal, durch welchen Umstand die Unter-
suchung einigermaßen erschwert wird, da man hier die Versuchs-
bedingungen nicht willkürlich variiren kann; als einzig ausführbare
Messungsmethode erscheint die direkte Beurtheilung durch das Ohr.
Allerdings muß das Gehör für derartige Beobachtungen zuvor be-
sonders geschult werden, da es unter gewöhnlichen Umständen zu
wenig empfindlich und zudem durch allerlei Einwirkungen mancherlei
Täuschungen ausgesetzt ist. Zur Vermeidung derselben ist eine sorg-
fältige Vorbereitung nothwendig, und diese Vorbereitung bildet den
schwierigsten, sowie auch ihre Besprechung den umfangreichsten
Theil der ganzen Arbeit.
Vor allen Dingen muß das Ohr auch andere Intervalle als die
temperirten des Klaviers und der Orgel kennen lernen, und zwar
keine zufälligen Abweichungen, wie sie bei unreiner Musik vor-
kommen, sondern wohldefinirte Unterschiede, wie sie die natürliche
Die natürliche Stimmunj? in der modernen Vokalmusik. 421
oder die pythagoreische Stimmung liefern. Für diesen Zweck stand
mir als vorzüglich geeignet zur Verfügung ein großes Harmonium
in natürlicher Stimmung, welches von dem Lehrer Carl Eitz in Eis-
leben erfunden und konstruirt und im Auftrag der preußischen
Staatsregierung von der Pianofortefabrik Schiedmayer in Stuttgart
erbaut worden ist. Die Tastatur dieses Instruments^ welchem ich
auch die Anregung zu der gegenwärtigen Untersuchung verdanke,
habe ich in den Verhandlungen der Physikalischen Gesellschaft zu
Berlin 'Sitzung vom 20. Januar 1S93) beschrieben;' hier will ich
nur anführen, daß dasselbe 4V2 Oktaven, und in jeder Oktave 104
verschieden hohe Töne enthält, nämlich 8 verschiedene Quinten-
reiben, eine jede zu 13 Tönen (z. B. as-es-b-f-c-g-d-a-e'-h-^S'cis'gis) .
Dabei sind je 2 benachbarte Quintenreihen um ein syntonisches Komma
von einander verschieden. Man kann also auf diesem Instrument, was
bisher noch in keiner derartigen Konstruktion erreicht wurde, 8 um
natürliche Terzen von einander abstehende Töne angeben (z. B. deses-
fes-as-c^e-gis-his-disis)^ ebenso die übrigen natürlichen und die pytha-
goreischen Intervalle. Aber auch jedes temperirte, sowie überhaupt
jedes ganz beliebig gedachte Intervall kann man auf dem Instrument
in festen Tönen angeben, da man die in so großer Anzahl verfüg-
baren Intervalle stets durch passende Kombination zu einem Intervall
zusammensetzen kann, dessen Abweichung von dem gesuchten für
das feinste Ohr unmerklich ist. So z. B. erhält man die temperirte
große Terz bis auf den 68. Theil eines syntonischen Kommas genau
durch Zusammensetzung von 9 reinen Quinten in aufsteigender Rich-
tung und 6 natürlichen großen Terzen und 3 Oktaven in absteigender
Richtung. — Die Reinheit und Haltbarkeit der Stimmung des In-
struments ist ganz befriedigend, die Spielart in Anbetracht der zahl-
reichen Tasten verhältnißmäßig bequem; ein gemsser Mangel liegt
darin, daß nebeneinanderliegende Töne häufig an Stärke und Klang-
farbe mehr von einander abweichen, als es wünschenswerth ist, wenn
man eben nur ihre Tonhöhen vergleichen will. Namentlich gehört
einige "Übung dazu, sich nicht von der Klangfarbe beeinflussen zu
lassen, da man gewöhnlich geneigt ist, einen schärferen Ton für
höher zu halten als einen gleichhohen weicheren. Diese Fehlerquelle
muß also noch besonders berücksichtigt werden, sie läßt sich immer
dadurch vermeiden, daß man jeden Versuch auch in andere Ton-
lagen transponirt.
Ich gehe nun zunächst zur Besprechung einer Reihe von Er-
scheinungen über, die sich auf die musikalische Wirkung gewisser
^ W^iedemann's Annalen der Physik und Chemie, 48. Band, 1893.
422 ^*^ Planck,
Mehrklänge und Tonfolgen beziehen und die mir beim Spielen des
Instruments besonders auffielen. Das Wesentliche derselben ist längst
bekannt; doch müssen sie hier mit Kücksicht auf die später zu
machenden Anwendungen noch etwas weiter ins Praktisch-Musika-
lische verfolgt werden.
II
Wenn man, mit vollständig ausgeruhtem Gehörorgan, die Töne
eines Durdreiklangs, etwa mit temperirter Terz, aber ein wenig ver-
stimmter Quinte, gleichzeitig angiebt und sich, ohne kritisch zu
analysiren^ der Gesammtwirkung des Klanges hingiebt, so hat man
vollständig den Eindruck des konsonanten Dreiklangs, wenn auch
vielleicht mit einem gewissen Beigeschmack, trotzdem das Ohr bei
entsprechender Aufmerksamkeit und besonders beim Vergleich mit
reineren Intervallen sehr wohl im Stande wäre, die Verstimmung
der Quinte wahrzunehmen. Schon Chladni^ bemerkt hierüber: 4 Es
ist ein unzweifelhafter Erfahrungssatz, daß, wenn man ein Intervall
hört, welches nur äußerst wenig von einem durch einfachere Zahlen
auszudrückenden Intervall abweicht, man das einfachere zu hören
glaubt, und daß diese Täuschung desto vollkommener ist, je weniger
die Abweichung beträgt. Daß eine solche Täuschung des Gehörs
stattfindet, ist auch sehr wohlthätig für uns, weil außerdem schlechter-
dings keine brauchbare Musik existiren könnte.« Diese Fähigkeit
des Gehörs, mit einem verstimmten Intervall vorlieb zu nehmen,
sich ihm gewissermaßen zu akkommodiren, welche etwa der Fähig-
keit des Gesichtssinnes vergleichbar ist, eine mit merklichen per-
spektivischen Fehlem behaftete Zeichnung dennoch mit dem richtigen
räumlichen Eindruck wirken zu lassen, erstreckt sich übrigens nicht
blos auf sehr kleine Verstimmungen, sondern unter Umständen, wenn
die Tonhöhe nicht sehr ausgesprochen ist, z. B. bei der Pauke, so-
gar auf Halbtöne und mehr. ^ Individuell scheint sie, auch bei
Musikern, sehr verschieden zu sein, und wechselt auch bei einer
und derselben Person je nach den Umständen. Ich selber erinnere
mich sehr deutlich, daß es mir als Knabe viel weniger gut als jetzt
gelang, einen etwas verstimmten Dreiklang, so wie er auch bei
besseren Orchestern, besonders in den Bläsern durch Temperatur-
einflüsse, oder auch auf der Bühne in einem a cappellaSs,tze leicht
einmal vorkommen kann, als rein in die Empfindung aufzunehmen.
i Akustik, 1830. § 36.
-^ Vgl. Stumpf, Tonpsychologie, IL Band, 1890. p. 400.
Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 423
Die Töne wollten dann nicht miteinander verschmelzen und ich
hörte immer nur jeden einzeln; auch ist kein Grund zu der An-
nahme vorhanden, daß vor 25 Jahren weniger reine Musik gemacht
wurde als heutzutage. Allerdings kommt hierbei auch die allgemeine
Thatsache mit in Betracht, daß Kinder immer mehr auf das Detail
achten und es erst mit der Zeit lernen müssen, das Ganze als eine
Einheit zu erfassen.
Aber auch in jedem Augenblick ist die Fähigkeit, sich einem
verstimmten Intervall zu akkommodiren, den Umständen und bis zu
einem gewissen Grade auch der Willkür unterworfen. Man kann
sein Gehör geradezu einstellen auf einen höheren oder geringeren
Grad von Akkommodationsvermögen. Das Ohr des Konzertbesuchers
ist, bei gespanntester Aufmerksamkeit im Übrigen, akkommodations-
fähiger, wenn er als Genießender, wie wenn er als Kritiker erscheint.
In besonders hohem Maße muß es der Dirigent verstehen, seinem
Ohr das Akkommodiren, das bei ganz geringen Verstimmungen immer
unmllkürlich erfolgt, zu verbieten, und auch der Sänger wird seinen
Ton um so reiner einsetzen und aushalten, je weniger er von der
Akkommodationsfähigkeit seines Ohres Gebrauch macht. In jedem
Falle muß natürlich, wenn Musik erträglich rein wirken soll, die
Akkommodationsfähigkeit des Zuhörers noch weiter gehen als die
der Ausführenden.
Es wäre nun aber sehr verkehrt, wenn man daraus den Schluß
ziehen wollte, daß, im Falle nur die nöthige Akkommodation statt-
findet, der Grad der Keinheit im Übrigen von geringem oder gar
verschwindendem Werth sei, und daß demnach die auf die Erzielung
größtmöglicher Reinheit gerichteten Bemühungen von da ab keine
praktische Bedeutung mehr hätten. Denn wenn die Akkommodation
thatsächlich vollständig und auch vollkommen unwillkürlich von
Seiten des Hörers erfolgt, so geht daraus noch keineswegs hervor,
daß sie ohne begleitende Nebenerscheinungen bleibt, die auf die
künstlerische Wirkung der Musik Einfluß haben können. Es wird
sich vielmehr direkt zeigen, daß jede Akkommodation, auch die
unwillkürliche, immer gewisse Begleiterscheinungen, darunter Eigen-
thümlichkeiten in der Klangfarbe, vor Allem aber ein gewisses Ge-
fühl der Spannung bedingt, welches schnellere Ermüdung des Hörers
bewirken kann. Die Mühe und Sorgfalt, welche die ausübenden
Künstler auf die Keinheit der Stimmung verwenden, kommt also
doch dem Hörer zu Gute, sie hat den Zweck, diesem die Arbeit
des Akkommodirens, die er sonst zu leisten hätte, abzunehmen und
ihn so zu freierer Entfaltung seiner Phantasie in der von der Kom-
position gewollten Richtung zu befähigen.
424 ^^^ Planck,
Eine direkte Untersuchung der mit dem Vorgang der Akkom-
modation verbundenen Erscheinungen ist nur dadurch möglich, daß
der Grad der Verstimmung verändert, sei es erhöht oder verringert
Avird. Denn so lange in der nämlichen Verstimmung weiter musicirt
wird, fehlt ein deutliches Vergleichungsohjekt. So kann unter Um-
ständen, wenn man längere Zeit hindurch keine Musik gehört hat,
ein verstimmtes Klavier oder ein gleichmäßig unreiner Gesang, bei
dem die Fehler unterhalb einer gewissen Grenze bleiben, ziemlich
leidlich und unauffällig wirken; sobald aber daneben reinere Musik
zu hören ist, werden die Unterschiede deutlich genug hervortreten.
Um also nun die fraglichen Wirkungen an einem verstimmten Inter-
vall, etwa einer Quinte, zu studiren, kann man z. B. den Grundton
festhalten und die Tonhöhe der Quinte mit der Zeit verändern. Da-
bei muß jedoch eine Vorsichtsmaßregel eingehalten werden, deren
Nichtbeachtung die zu untersuchende Erscheinung stören, ja sogar
ins Gegentheil verkehren könnte. Die Änderung des betreffenden
Tones darf durchaus nicht sprungweise, sondern muß sehr langsam
und allmählich vorgenommen werden. Jeder plötzliche Sprung in
der Tonhöhe erzeugt nämlich eine besondere Wirkung, die daher
rührt, daß der frühere Ton sich in der Erinnerung mit dem späteren
vermischt; diese wird im nächsten Abschnitt zu besprechen sein.
Hier haben wir es nur mit der Wirkung gleichzeitiger reeller Töne
zu thun, und können diese nur dadurch sicher erhalten, daß wir
immer nur allmähliche und langsame Übergänge vornehmen. Auf
dem Harmonium läßt sich eine solche stetige Änderung der Ton-
höhe sehr bequem dadurch hervorbringen, daß man die Taste nicht
fest andrückt, sondern etwas hebt oder senkt. Dadurch wird der
Windzufluß zur Zunge verringert bez. vergrößert und der Ton in
Folge dessen etwas tiefer bez. höher. Die Unterschiede gehen bis
zu etwa einem Komma.
Läßt man nun in dieser Weise eine etwas zu hohe Quinte, der
man sich zuvor vollständig akkommodirt hat, langsam kleiner werden,
so nimmt der Klang, zugleich mit der Verringerung der Häufigkeit
der Schwebungen, etwas Kuhigeres. Gleichmäßigeres und Weicheres
an,^ und zugleich verspürt man deutlich die Abnahme eines gewissen
Spaimungsgefühls. Dabei ist charakteristisch, daß man sich der
Existenz dieses Spannungsgefühls erst eben durch die Abnahme des-
selben bewußt wird, sowie man etwa den Druck einer gewohnten
Bürde erst durch die Erleichterung bemerkt, welche eintritt, wenn die-
selbe weggenommen wird. Besonders interessant ist der Augenblick,
1 Vgl. Helmholtz, Ton emp findungen, 1877, p. 299 ff.
Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 425
wo das natürliche Inteivall sich herstellt und die Schwebuagen sich
ganz verlieren. Für mich ist dieser Übergangspunkt geradezu eine
Quelle künstlerischen Genusses: es ist^ als ob ein gewisser letzter
Erdenrest verschwände und zugleich sich ein Schleier lüfte, welcher
der Phantasie den Einblick in eine neue, bis in unendliche Fernen
reichende Welt eröffnet. Selbstverständlich erfordern diese Versuche
die konzentrirteste Aufmerksamkeit und lassen sich daher in Gegen-
wart eines Auditoriums leider nicht mit sicherem Erfolg ausführen.
Überschreitet man weiterhin die reine Quinte, indem man das
Intervall noch kleiner nimmt, so stellen sich die Schwebungen wieder
ein, und mit ihnen das Gefühl der Anspannung, wenn auch in anderer
Weise; zugleich macht der Klang den Eindruck des Matten, Faden,
der sich immer mehr steigert. Schließlich kommt dann ein Punkt,
wo die Akkommodation des Hörers nicht mehr folgen kann und das
Intervall nicht mehr als rein, sondern als verminderte Quinte bez.
als übermäßige Quarte aufgefaßt wird. Ganz entsprechend sind die
Eindrücke, die man auf dem umgekehrten Wege: beim allmählichen
Größerwerden des Intervalls empfängt. Nach der Überschreitung
des natürlichen Intervalls wird die Spannung immer stärker, die
Klangfarbe immer schärfer, bis auch auf dieser Seite die Akkommo-
dation schließlich ein Ende nimmt.
Ahnliche Erscheinungen wie bei der Quinte, und ihrer Um-
kehrung: der Quarte, lassen sich bei anderen Intervallen beobachten,
so bei der Oktave, der großen Terz, auch bei der kleinen Septime,
deren Klang im natürlichen Intervall (4 : 7) ganz besonders weich
und schön ist. Dabei gilt die Regel, daß die Akkommodation um
so leichter erfolgt und sich um so weiter treiben läßt, je weniger
konsonant das Intervall ist. Eine Oktave verträgt lange nicht den
Grad der Verstimmung wie die Quinte, und diese wieder lange nicht
den der Terz. Bei der großen Terz ist übrigens der Akkommodations-
bereich von der natürlichen Terz aufwärts gerechnet, merklich größer
als der von ihr abwärts gerechnet, d. h. eine große Terz, die über
der natürlichen liegt, wird viel eher für richtig gehalten, als eine,
die um ebensoviel unter der natürlichen liegt. Hier zeigt sich deut-
lich die Gewöhnung unseres Ohrs an die temperirte Stimmung.
Auch in der Praxis läßt sich das Walten der besprochenen Vor-
gänge nachweisen. Der Leitton zur Tonika, die große Terz der
Dominante, wird bekanntlich, besonders in leichterer, z. B. Operetten-
musik, gern sehr hoch genommen. Wenn nun, wie es in Schluß-
kadenzen gelegentlich vorkommt, auf dem Dominantseptimenakkord
eine Fermate liegt, und der Sänger darin jenen Leitton auszuhalten
hat, so steigert er nicht selten, um seiner Stimme einen schärferen
426 ^** Planck,
Ausdruck zu geben, noch während des Haltens allmählich die Ton-
höhe und liefert so gerade die Bedingungen zu dem oben beschriebenen
Versuch. Es ist auffallend, wieviel hierbei oft der Akkommodations-
fähigkeit der Hörer zugemuthet wird, von denen gewiß oft schon
ein großer Theil die Spannung nicht mehr ertragen kann und die
Akkommodation längst aufgegeben hat, wenn der Sänger noch mitten
in seiner Fermate ist. Kommt dann schließlich der erlösende Halb-
tonschritt zur Tonika, so führt er sehr häufig dementsprechend zu
hoch hinauf, und die Kadenz endigt in einen Mißklang.
HI.
Läßt man auf dem Harmonium einen natürlichen Dreiklang
einige Zeit lang ertönen, und giebt unmittelbar darauf einen anderen
reinen natürlichen Dreiklang an, der um ein Komma höher oder
tiefer liegt, so ist die Wirkung abscheulich. Man glaubt im ersten
Augenblick den ärgsten Mißklang zu hören und oft erst, wenn er
mehrere Sekunden lang ausgehalten ist, bricht sich die Gewißheit
Bahn, daß man es doch mit nichts Anderem als wieder mit einem
rein gestimmten natürlichen Dreiklang zu thun hat. Dann ist aber
die Rückkehr zu dem vorigen mit derselben unangenehmen Em-
pfindung verbunden. Die Ursache dieser Erscheinung ist offenbar
der Umstand, daß nach dem vollständigen Erlöschen eines physischen
Klanges eine gewisse psychische Nachwirkung zurückbleibt, die eine
Zeit lang ziemlich kräftig ist und erst allmählich sich verliert. In
dem besprochenen Beispiel wirken also außer den aktuellen Tönen
des neuen Dreiklangs auch die verklungenen Töne des alten in der
Erinnerung nach und geben einen ähnlichen beleidigenden Effekt,
als wenn man die beiden Akkorde gleichzeitig zu hören bekommen
hätte.
Dagegen kann der Übergang von dem einen Dreiklang zum
andern frei von jeder unangenehmen Empfindung ausgeführt werden,
wenn man ihn nicht unvermittelt vornimmt, sondern eine Reihe
anderer Akkorde dazwischen schiebt, von denen jeder sowohl mit
dem vorhergehenden als auch mit dem folgenden verwandt ist. Hier-
auf beruht die Sitte, bei kurz aufeinanderfolgenden Vortragsstücken
entweder verwandte Tonarten zu wählen, oder, wenn das nicht an-
gängig ist, ein kurz hinüberleitendes Präludium einzuschieben, um
so das Ohr des Zuhörers wie auch des Vortragenden erst an die
neue Tonart zu gewöhnen. Diese psychische Nachwirkung bedingt
überhaupt einen großen Theil aller musikalischen Effekte. Der Ein-
druck, den ein bestimmter Akkord auf uns macht, hängt nicht allein
von seiner eigenen Beschaffenheit ab, sondern sehr wesentlich auch
Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 427
von der Art, wie das Ohr auf ihn vorbereitet worden ist. So kann
ein und derselbe Akkord unter Umständen wie eine himmlische Offen-
barung, unter anderen Umständen nichtssagend und trivial wirken*
Was von Akkorden gilt, gilt auch von einzelnen Tönen. Das
lebendige Bewußtsein einer Tonika und das Bedürfniß, zu ihr zu-
rückzukehren, beruht auf der Erinnerung, die sie in uns vom Be-
ginn des Stückes an zurückläßt. Überhaupt ist ja diese Erinnerung
schon Vorbedingung für die Möglichkeit, zwei um ein bestimmtes
Intervall diflferirende Töne nacheinander zu singen^ wobei dann der
erste Ton im Gedächtniß nachwirkt, während der zweite gesungen
wird. Der Schritt von einem Ton zu einem andern hat daher in
der Wirkung immer etwas von dem Zusammenklang beider Töne ;
so wirkt z. B. ein kommatischer Schritt an und für sich immer
häßlich, und läßt sich deshalb im Allgemeinen für die praktische
Musik nicht ohne Weiteres rechtfertigen.
In einer Generalpause bildet die psychische Nachwirkung die
Brücke, welche von dem letzten Akkord zum nächsten hinüberführt.
Nicht nur der Spieler und Sänger behält während dessen den Ein-
druck der letztverklungenen Töne, auch der Zuhörer läßt seine
Einbildungskraft an dem begonnenen Faden in derselben Richtung
weiterspinnen. Beweis dafür ist der üble Effekt, den der leiseste
fremde Ton, z. B. einer aus Unachtsamkeit berührten leeren Saite,
während einer solchen Pause hervorbringt. Wie mit einem Messer
ist der Faden durchschnitten und dadurch oft die ganze Wirkung
verdorben. Ein indifferentes Geräusch, wie z. B. das Rücken eines
Stuhles, des Umwenden eines Notenblattes, kann dagegen weit stärker
sein, und doch viel unschädlicher verlaufen. Fügt es aber ein glücklicher
Zufall, daß die leere Saite mit einem charakteristischen Ton des letzten
Akkordes übereinstiinmt, so vermag die Einbildungskraft gelegentlich
sich diesen Ton noch zu assimiliren und mit ihm weiter zu wirken.
Bei der Intonation eines a cappella-GestLUges wird die Fähigkeit
der Sänger in Anspruch genommen, den vom Dirigenten angegebenen
Ton bis zum Beginn des Stückes genau festzuhalten. Es kann dies
entweder durch angespannte Vorstellung des betreffenden Tones ge-
schehen, wozu nur einige Übung: gehört, oder auch dadurch, daß
die Sänger den Ton sich durch Nachsummen deutlicher einzuprägen
suchen. Gegen das letztere, in unseren Saal- und Kirchenkonzerten
öfters zu beobachtende Verfahren, möchte ich mich bei dieser Ge^
legenheit mit einigen Worten wenden. Zuverlässiger ist dasselbe
keineswegs immer; denn daduich, daß der Ton noch besonders nach-
gesungen wird, schaltet sich zwischen den ursprünglich markirten
428 ^^^ Planck,
und den später öffentlich gesungenen Ton noch ein Zwischenglied
und somit auch eine Fehlerquelle ein, zumal das Summen des an-
gegebenen Tones unter erschwerenden Umständen stattfindet. Ent-
scheidender jedoch fällt ins Gewicht die nachtheilige Wirkung,
welche dieser Blick hinter die Coulissen auf das Publikum ausübt.
Überraschend und geheimnißvoU, wie aus einem Zauberfiillhorn aus-
strömend, müssen die ersten Klänge anheben, wenn sie ihren besten
Eindruck auf den Zuhörer hervorbringen sollen. Das Einstimmen
der Instrumente beim Orchester läßt sich hiermit nicht vergleichen,
weil es indifferent ist. Was würde man aber sagen, wenn in einem
Streichquartett die Spieler den Beginn des ersten Satzes vorher leise
markiren wollten? Nach meinem Dafürhalten sollte ein Chordirigent
aufs strengste darauf halten, daß, sobald er, zum Chore gewendet,
den Anfangston markirt hat, auch nicht durch den feinsten Laut
ein einziger Ton, geschweige denn die Tonart des Stückes dem
Publikum im Voraus verrathen wird.
Die Frage, wie lange eine Spur der Nachwirkung eines Tones
bei dem Einzelnen anhält, läßt sich dadurch prüfen, daß man die
betreffende Person veranlaßt, einen angegebenen Ton nach kürzerer oder
längerer Pause nachzusingen. Dabei macht es natürlich einen bedeutenden
Unterschied, ob in der Zwischenzeit die Vorstellung auf diesen Ton
konzentrirt wird oder ob sie inzwischen andere Bahnen einschlägt. Hier
kommt also wieder ebenso, wie oben bei der Akkommodation, auch
die Willkür mit ins Spiel. Wenn Jemand im Stande ist, zu jeder
beliebigen Zeit einen bestimmten Ton immer wieder richtig anzu-
geben, so besitzt er das sog. absolute Tongefühl, und zwar in voll-
ständigerem Sinn als Jemand, der einen ihm angegebenen Ton nur
richtig zu benennen vermag. Über das absolute Tongefühl sind schon
manche Erfahrungen gesammelt worden; ich beschränke mich hier
auf die Betonung seines engen Zusammenhangs mit der psychischen
Nachwirkung, den ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. So
lange ich als Kind nur mit einem einzigen Instrument, einem Klavier,
vertraut war, besaß ich ein sehr ausgesprochenes absolutes Ton-
gefühl, derart daß ich einst, aufgefordert einen mir sehr wohl im
Gedächtniß bekannten Marsch auf einem fremden, etwas tiefer ge-
stimmten Klavier zu spielen , nach den ersten Tönen abbrechen
mußte, weil ich sogleich vollständig verwirrt wurde und nicht die
Fertigkeit besaß, in der Eile die doppelte Transposition zu machen:
einmal im Kopfe in eine tiefere Tonart, und dann wieder auf den
Tasten zurück in die frühere Tonart. Heutzutage, wo ich vielerlei
Musik in vielerlei Stimmungen gehört habe, ist mein Tongefiihl
lange nicht mehr so sicher; es gelingt mir mit Aufwand einiger
Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 429
■■ .1 II . . .,,,-,■, — ■ ■ ■ I ■ „
Mühe ganz gut, den Ton c bis zu einem halben Ton höher oder
tiefer mir vorzustellen.
Die hohe Bedeutung der Nachwirkung für die Beurtheilung des
Wohlklanges von Akkorden in verschiedenen Stimmungen liegt auf
der Hand. Wenn man zwei Intervalle oder Akkorde, die nur
kommatische Unterschiede aufweisen, wie z. B. denselben Akkord
in temperirter und in natürlicher Stimmung, in Bezug auf ihren
Wohlklang miteinander vergleichen will, so genügt es nicht, die
beiden Akkorde etwa auf dem Harmonium irgendwie hintereinander
anzugeben und auf das Gehör wirken zu lassen. Es macht vielmehr
einen sehr bedeutenden Unterschied, welcher der beiden Akkorde
zuerst angegeben wird, und wie lange jeder ausgehalten wird. Der
erste Akkord hat immer einen Vorzug vor dem andern voraus, an
ihn gewöhnt sich das Ohr zunächst, er nimmt gewissermaßen von
der Vorstellung Besitz und läßt sich nicht so leicht daraus ver-
drängen. So finde ich bei der Vergleichung des Molldreiklangs in
temperirter und in natürlicher Stimmung, daß dieser Dreiklang
immer in derjenigen Stimmung besser klingt, in welcher er zuerst
angegeben und lange genug ausgehalten wird. Beginnt jnan mit
dem temperirten, so klingt nachher die kleine Terz des natürlichen
zu hoch und scharf, und beginnt man mit dem natürlichen, so
klingt die Terz des temperirten zu tief und matt. Selbstverständlich
ist damit nicht gesagt, daß in allen Fällen der vorangehende Akkord
besser klingt als der folgende, sondern nur, daß der vorangehende
etwas vor dem folgenden voraus hat, was erst wieder durch ander-
weitige besondere Vorzüge des folgenden ausgeglichen werden muß,
wenn dieser einen guten Eindruck machen soll.
Der besprochene Einfluß geht aber noch viel weiter, als ich
Anfangs für möglich hielt, er äußert seine Wirkung, wie ich zu
meinem Erstaunen bemerkte, sogar bei der Vergleichung des Dur-
dreiklangs in pythagoreischer und in natürlicher Stimmung. Wenn
ich den pythagoreischen Durdreiklang lange Zeit aushalte, vielleicht
auch dazwischen einige einfache Modulationen in pythagoreischer
Stimmung einschalte, und mich so möglichst in seinen Klang ver-
denke, dann klingt unmittelbar darauf der natürliche Dreiklang im
ersten Augenblick gamicht wie eine Erlösung, sondern matt und
ausdruckslos. Dabei beflndet sich das Ohr in einem eigenthümlichen
Zwiespalt: auf der einen Seite die Terz in der vom Ohre gewöhnten
und begehrten frischen Höhe, zugleich mit den hämmernden Schwe-
bungen, auf der anderen Seite die Terz in Kühe, aber doch für das
augenblickliche Bedürfhiß zu tief. Allerdings hält dieser Eindruck
immer nur ganz kurz an; sehr bald hat das Ohr herau^efunden
1893. 29
430 ^" Planck,
daB die Töne des natürliclien Dreiklangs doch besser zusammen-
passen, und dann ist bei der Rückkehr zur pythagoreischen Terz
der Abstand im Wohlklang sehr viel größer als bei dem umgekehrten
XJbergange. Nimmt man statt der pythagoreischen Terz die temperirte,
so gelingt der Versuch noch sicherer. Wesentlich ist aber immer
dabei, daß der Übergang nicht allmählich, sondern sprungweise
erfolgt. (Vgl. S. 424.)
Diese Erscheinungen zeigen, daß das Ohr sich nicht nur einem
dargebotenen Intervall akkommodirt, sondern daß es sich auch an
die Akkommodation gewöhnt und daran festhält. Ich kann mir sehr
wohl den Fall vorstellen, daß Jemand, der eine bestimmte Stelle in
einem Musikstück immer nur in einer bestimmten Art gelinder Ver-
stimmung gehört hat, schließlich diese Art der Ausführung geradezu
verlangt oder wenigstens, wenn er einmal die richtige hört, fremd-
artig berührt wird. Der Schluß auf den Einfluß der temperirten
Stimmung, mit der wir aufgewachsen sind, auf unser ganzes musi-
kalisches Fühlen liegt nahe. Es ist die Gewohnheit, die hier ihre,
wie in allen Sphären des Lebens, so auch in der Kunst mächtige,
aber unajuffällige und deshalb häufig unbeachtete Rolle spielt. Selbst-
verständlich ist ihr Einfluß nicht unbegrenzt; es geht hier so wie
auch bei anderen abnormen Reizen, daß man sich entweder an sie
gewöhnt und sie dann vermißt, wenn sie einmal ausbleiben, oder
daß sie andrerseits jedesmal unangenehmer wirken, bis zur Steigerung
ins Unerträgliche. Welcher von beiden Fällen thatsächlich eintritt,
muß jedesmal besonders untersucht werden.
IV.
Während ich die oben beschriebenen Studien an dem Eitz'schen
Harmonium anstellte, überzeugte ich mich zugleich durch besondere
Versuche, daß mein Gehör bei frei ang^ebenen Mehrklängen und
einzelnen Tonschritten in den mittleren Oktaven zwischen der natür-
lichen und der temperirten Stimmung unterscheiden kann, am
schärfsten und ohne jegliches Besinnen im Durdreiklang, ziemlich
sicher auch im Molldreiklang, weniger gut, aber mit einigem Nach-
denken gewöhnlich auch in dissonanten Intervallen, wobei jedoch
immer bald Ermüdung eintritt. So vorbereitet, benutzte ich jede Ge-
legenheit, die sich ja in Berlin reichlich findet, um die Frage nach
der in unserer Vokalmusik thatsächlich zur Anwendung kommenden
Stimmung in Konzerten und Proben direkt zu prüfen. Dabei wandte
ich meine hauptsächlichste Aufmerksamkeit den Durdreiklängen zu,
nicht nur, weil ich dieselben besser zu analysiren verstand, sondern weil
Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 431
es keinem Zweifel unterliegt, daß bei diesen der Einfluß der natiirliclien
Stimmung, falls er überhaupt vorhanden ist, am ehesten zur Geltung
kommen muß. Die Resultate, welche ich an verschiedenen a cappella-
Chören gewann, lauten übereinstimmender, als ich erwartet hatte:
in allen von mir geprüften FäDen, einzelne Ausnahmen abgerechnet,
auf die ich weiter unten zurückkomme, wurde unzweideutig temperirt
gesungen. Die charakteristischen gespannten temperirten Terzen sind
bei einiger Übung so deutlich herauszuhören und so augenblicklich
wiederzuerkennen, daß eine Täuschung darüber ausgeschlossen er-
scheint. Daß die temperirte Terz im Durdreiklang erträglich ist und
sogar von dem Ohr, das an sie gewöhnt ist, gefordert werden kann,
haben wir in dem vorigen Abschnitt gesehen; daß sie aber wirklich
gefordert wird, zeigen diese letzten Beobachtungen. Es ist also die
Macht der Gewohnheit, in erster Linie offenbar bedingt durch die
häufige Benützung des Klaviers, welche dem Sänger die temperirte
Stimmung in Fleisch und Blut hat übergehen lassen; er kennt nur
seine 12 Halbtöne in der Oktave, sie isind ihm das gemeinsame
Maß fiir alle übrigen Intervalle. ' Wenn er den Schritt c — d zu
machen ha^ fragt er nicht erst, ob er sich in C7dur oder in £dur
befindet; er hat weder eine Vorstellung von einem Unterschied,
noch ein Bedürfhiß, einen solchen zu machen, und in Überein-
stimmung damit ist es ja auch die Theorie und nicht die Praxis
gewesen, die das Problem der natürlichen Stimmung wieder hat
aufleben lassen.
Nach meiner Erfahrung nimmt ein geübter Sänger auch die
Tonleiter nicht in natürlicher, sondern in temperirter Stimmung,
ebenso wie letztere, wenn sie vorgespielt wird, ihm besser klingt als
jene. Er nimmt sie aber auch nicht in pythagoreischer Stimmung,
wie ich hier deshalb hervorheben möchte, weil kürzlich in einer
sonst vielfach verdienstlichen Schrift von J. Steiner^ die Ansicht
angestellt worden ist, daß die Melodik sich der pythagoreischen
Stimmung bediene. Ich habe bei meinen Beobachtungen auch nicht
die Spur von einer Anwendung der pythagoreischen Stimmung ge-
funden, und kann auch keinen der hierfür angeführten Belege als
beweiskräftig anerkennen. Daß das jPt^moU im 6. Takte des Vor-
spiels zu »Lohengrina einem erlesenen Areqpag von Musikern in pytha-
goreischer Stimmung besser geklungen hat als in natürlicher, glaube
ich gern ; aber noch viel fester bin ich überzeugt, daß dieser Akkord
in temperirter Stimmung noch besser geklungen hätte als in pytha-
goreischer.
^ Grundzage einer neuen Musiktheorie, Wien 1891.
29*
432 ^^^^ Planck,
Ist somit das derzeitige entschiedene Übergewicht der temperirten
Stimmung, auch im reinen Vokalgesang, als direkt erwiesen zu be-
trachten, so drängt sich doch sogleich eine Überlegung anderer Art
auf. Die temperirte Stimmung ist bekanntlich unkonsequent, sie
steht mit sich selber im Widerspruch. Denn sie verlangt reine Ok-
taven, temperirte Quinten (die sehr nahe rein sind) und temperirte
Terzen. Diese drei Forderungen lassen sich aber gamicht gleichzeitig
erfüllen; denn jede temperirte Terz ergiebt durch die Obertöne und
Kombinationstöne, welche ebenso reell, wenn auch schwächer sind
als die Haupttöne, merklich unreine Quinten und Oktaven. Hierauf
beruht, wie Ilelmholtz zuerst nachgewiesen hat, die physiologische
und daher auch die künstlerische Schwäche der temperirten Stimmung.
Es ist also nur eine Frage der Praxis, ob die genannten Nebentöne
beim Vokalgesang unter Umständen stark genug hervortreten können,
um jenen in der temperirten Stimmung begründeten inneren Wider-
spruch zu Gehör zu bringen. In einem solchen Falle ist zu erwarten,
daß die Sänger, die Unreinheit fühlend, dieselbe, wenn auch un-
willkürlich, dadurch auszugleichen suchen, daß sie aus der tem-
perirten in die natürliche Stimmung übergehen. Ich habe mich daher
zunächst bemüht, die Bedingungen aufzusuchen, die für das Zustande-
kommen derartiger Erscheinungen möglichst günstig sind.
Vor allen Dingen müssen die verschiedenen Stimmen gut auf-
einander hören und sich nach einander richten — Bedingungen,
die ohnedies als die ersten Kennzeichen eines tüchtigen Chors an-
gesehen werden. Doch ist mir immer aufgefallen, wie verschieden
diese Bedingungen von einem und demselben Chor unter verschie-
deneu Umständen erfüllt werden. Ein Chor, der für gewöhnlich
tadellos rein singt, kann unter ungünstigen Verhältnissen, z. B. bei
Müdigkeit, Hitze, Langeweile, zu einer tüchtigen Leistung unfähig
sein. Gewöhnlich äußert sich eine derartige Mißstimmung in der
Unmöglichkeit, die Töne auf konstanter Höhe zu halten ; mehr oder
weniger merklich sinkt die Stimmung dann herab, und jeder Versuch
in der hier beabsichtigten Richtung würde natürlich resultatlos ver-
laufen müssen. Unter allen musikalischen Instrumenten ist ja keines
nach seiner ganzen Leistungsfähigkeit so innig an die augenblick-
liche körperliche und geistige Verfassung des Spielers gebunden,
wie die menschliche Stimme. Daher weiß ein erfahrener Dirigent
die Mitglieder seines Chors nicht allein durch technisch-musikalische,
sondern gelegentlich auch durch anderartige, oft selbst persönliche
Mittel immer wach und rege zu halten und zu den höchsten Lei-
stungen anzuspornen. Dann besteht das Aushalten eines Tones oder
Akkordes nicht in einem passiven Verharren jeder Stimme auf ihrem
Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 433
einmal eingenommenen Standpunkt, sondern in einem lebendigen,
fortwährenden Neuerzeugen des Tones, woran sich alle Stimmen
aktiv betheiligen. Jeder Sänger lauscht dabei mit gespanntester
Aufmerksamkeit gleichzeitig auf alle Töne, die sein Ohr treffen, und
vergleicht fortwährend seinen eigenen mit den übrigen. Wenn sich
in einer Stimme, vielleicht in Folge einer Aufforderung des Diri-
genten, die geringste Änderung zeigt, müssen, wie durch eine feste,
wenn auch unsichtbare, Übertragung, sofort alle anderen Stimmen
darauf reagiren. Diese absolut nothwendige Wachsamkeit, ja Auf-
regung wird in Aufführungen und auch in Hauptproben durch das
Bewußtsein von der Bedeutung des Augenblicks gefordert, weshalb
dann auch in der Regel reiner gesungen wird.
Allerdings ist eine solche Anspannung der Sinne anstrengend
und ermüdend, jedoch die Mühe belohnt sich unmittelbar, wenn die
Feinheit der erzielten Wirkung ihr entspricht, aber auch nur in
diesem Falle. Daher kommt so Viel auf die Reinheit des allerersten
Einsatzes an, ja von ihr hängt oft das Gelingen des ganzen Stückes
ab. Wenn durch irgend einen Fehler die Stimmen nicht rein ein-
setzen, wenn z. B. der Chor sich in zwei Parteien spaltet, von denen
jede unter sich rein singt, die aber nicht miteinander harmoniren,
so giebt es eine Art von Kampf, der sich, besonders in Konzerten,
wo nicht abgeklopft werden kann, mitunter Takte lang verfolgen
läßt. Nun giebt es aber für den Sänger kein peinlicheres Gefühl,
als wenn er in die Lage versetzt ist, zu einem ihm unrein ange-
gebenen Intervall einen dritten Ton , anzugeben, z. B. zu einer un-
reinen Quinte die Terz zu singen. Das Resultat ist dann immer,
daß er sein Akkommodationsvermögen so stark in Anspruch nimmt,
als er irgend vermag. Damit ist aber der Kampf aufgegeben, eine
gew^isse Gleichgültigkeit eingetreten, und das Stück nicht mehr zu
retten.
Eine weitere wichtige Bedingung, die das Aufeinanderhören der
Stimmen begünstigt, ist ferner, daß die Töne jeder Stimme bequem,
namentlich nicht zu hoch liegen, und daß mit dem Athem nicht ge-
spart werden muß. Denn je bequemer die Tonbildung erfolgt, um
so mehr kann sich die Aufmerksamkeit des Sängers auf die Tonhöhe
konzentriren. Daher ist auch für diese Versuche der Chorgesang
besser geeignet als der Sologesang, weil im Chor bei lang gehaltenen
Tönen der Athem unregelmäßig und ganz nach dem Belieben des
Einzelnen erneuert wird. Ferner ist günstig, daß nicht forie^ son-
dern pianissimo gesungen wird, da man um so weniger auf die Um-
gebung zu hören pflegt, je stärker man selber singt. Endlich müssen
es möglichst konsonante Akkorde sein, und zwar in sehr langsamem
434
Max Planck,
Wechsel, am besten Durdreiklänge in den wohlklingendsten Lagen,
weil hier am deutlichsten die Bedingungen der Konsonanz aus-
gesprochen sind, also auch die Vorzüge der natürlichen Stimmung
gegenüber der temperirten am ehesten zum Vorschein kommen müssen.
Es ist mir nun in der That gelungen, durch gelegentliche,
unter den angegebenen Umständen angestellte Beobachtungen die
gesuchten Erscheinungen in der praktischen Musik in einzelnen, fllr
ihr Zustandekommen besonders günstigen Fällen aufzufinden. An-
statt mehrere Beispiele kürzer zu berühren, will ich lieber einen
einzigen derartigen Fall, der an sich allein schon beweiskräftig ist,
ausführlich beschreiben.
Der a cappella^Chor der königlichen Hochschule für Musik in
Berlin, der von seinem Begründer und derzeitigen Dirigenten, Prof.
Adolf Schulze, zu ausgezeichneten Leistungen herangebildet worden
ist, führte im Winterhalbjahr 1892/93 einige geistliche Gesänge von
Heinrich Schütz^ auf, darunter einen fünfstimmigen Chor, in dem
sich folgende pianissimo genommene Stelle befindet:
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Bei der ersten Probe pausirte das begleitende Klavier nach dem
Beginn dieser Stelle, oder wurde wenigstens so schwach, daß man
es nicht hörte; als es dann am Schluß wieder einsetzte, war der
Chor inzwischen so gesunken, daß der Dirigent abklopfte und die
1 Sämintliche Werke, herausgeg. von Philipp Spitta. VIII. Band. 1889.
i
Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik.
435
Stelle mit Klavier wiederholen ließ. Dabei war der Gesang aber
keineswegs unrein gewesen, im Gegentheil hatten die konsonanten
Dreiklänge in dem zarten pianissimo ganz besonders gut geklungen.
Diese Erscheinung zeigte sich nicht ein einziges Mal, sondern wieder-
holte sich in der Folge jedesmal wieder, so daß keine Einzige Probe
vorüberging, ohne daß der Tenor daran erinnert wurde, das e im
ersten und das h im vierten Takt recht hoch zu nehmen. Denn
offenbar liegt es an der großen Terz des Tenors, der sich später der
zweite (bez. der erste) Sopran anschließt, und die nachher zur Quinte
wird, daß die natürliche Stimmung hier den ganzen Chor um ein
Komma hinunterzwingt.
Zur systematischen Untersuchung derselben Frage habe ich nun
eine Reihe von Akkordfo^en zusammengestellt, wie sie einzeln leicht
einmal in einer Komposition vorkommen können, und welche eine
auffällige Wirkung hervorbringen müssen, wenn sie in natürlicher
Stimmung gesungen werden. Die folgenden 21 Takte enthalten
lauter Durdreiklänge, mit dem Grundton im Bass, je zwei aufeinander-
folgende durch einen gemeinsamen Halteton verbunden. Sie beginnen
mit C-Dur und endigen in c-Diu:, ohne daß dazwischen irgend eine
enharmonische Yertauschung vorgenommen wird. Der an die tempe-
rirte Stimmung gewöhnte Musiker wird also darin keinen Grund zu
einer Abweichung nach der einen oder der andern Seite finden.
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Dennoch sind die Akkordfolgen so eingerichtet, daß, wenn die
Haltetöne auf ihrer Höhe ausgehalten und die Dreiklänge durchweg
436 ^^^ Planck,
in natürlicher Stimmung genommen werden, das Schlufi~c um 5 syn-
tonische Komma, also über einen temperirten Halbton, tiefer ist als
das Anfangs-o. Dabei sind die Umstände für die Verstärkung dieses
Einflusses möglichst günstig gewählt: Konsonante Intervalle, sehr lang-
sames Tempo, wobei ganz nach Belieben und mitten im Takt ge-
athmet werden muß, nicht hohe Lagen, geringe Tonstärke. Hiermit
hat also jeder Dirigent ein einfaches Mittel, um sich von dem prak-
tischen Einfluß der natürlichen Stimmung auf den Gresang seines
Chors zu überzeugen, und ich möchte hier an alle Diejenigen, welche
sich für diese Frage interessiren, die Bitte richten, den beschriebenen
Versuch anzustellen; eine Mittheilung des Ergebnisses, wie es auch
lauten möge, würde mich jederzeit zu Dank verpflichten. Es würde
ja nur nöthig sein, die Stimmen ausschreiben und sie in einer be-
liebigen Probe (auf irgend einen Vokal oder Silbe) singen zu lassen.
Der Anfangsakkord wird auf dem Klavier angegeben, und der Schluß-
akkord wieder am Klavier kontroUirt. Dabei sind natürlich alle
oben beschriebenen Maßregeln zu beobachten, ferner ist auch darauf
zu halten, daß der Satz öfters durchgesungen wird, damit die Stimmen
im Treffen der Töne keine Schwierigkeit mehr finden. Denn so lange
man damit beschäftigt ist, die Gegend seines eigenen Tones zu suchen,
kommt man nicht dazu, den feineren Nuancen seine Aufmersamkeit
zuzuwenden. Diese letzteren muß aber der Dirigent den Sängern
selbstverständlich ganz überlassen, am Besten wohl, indem er vorher
überhaupt kein Wort darüber verliert. Wenn dann am Schluß der
Chor wieder auf dem Ausgangs-^ anlangen sollte, so wäre das ein
zwingender Beweis dafür, daß fdr ihn die natürliche Stimmung auch
nicht die geringste praktische Bedeutung hat. Dann wäre es, vom
Standpunkt der modernen Kunst betrachtet, lediglich müßige Speku-
lation, sich noch einen Augenblick länger mit der Theorie der natür-
lichen Stimmung zu beschäftigen. Aber ich habe nach den oben
mitgetheilten Beobachtungen allen Grund zu der Annahme, daß dies
meistens nicht der Fall sein wird. Zudem hatten einige mir be-
freundete musikalische Damen und Herren, denen ich auch an dieser
Stelle hierfür meinen herzlichen Dank sage, die Güte, mir die 21 Takte
mehrmals vorzusingen, und das Ergebniß war jedesmal ein Sinken um
etwa einen halben Ton. Ob dieses Kesultat aber ein ganz allgemeines
ist, müssen weitere Versuche lehren.
Auch die Gegenprobe habe ich versucht, indem ich die obige
Akkordfolge gerade umkehrte, wie in den folgenden 21 Takten dar-
gestellt ist.
Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik.
437
MoUo Lento,
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In natürlicher Stimmung gesungen, führen diese 21 Takte vom
Anfangs-c bis zum SchluB-c um 5 syntonische Komma hinauf. Die
Ausführung erwies sieh aber als schwieriger, da die entscheidenden
Stellen (besonders im 9., 12. und 13. Takt) zuerst auch nicht an-
nähernd richtig getroffen und erst nach mehrmaligem Üben einiger-
maßen wohlklingend erhalten wurden. Das schließliche Resultat er-
gab kein Sinken, aber auch nicht das erwartete Steigen der Tonhöhe.
Ohne meine Ansicht hierüber als endgültig hinstellen zu wollen,
möchte ich die Ursache dieser Erscheinung in dem Umstände suchen,
daß der Sänger, nachdem er, wie gewöhnlich, im temperirten Intervall
eingesetzt hat, beim Aushalten des Tones immer eher geneigt ist,
etwas in der Tonhöhe nachzulassen, als hinaufzugehen, und daher
die dem ersten Verfahren günstigen Chancen leichter benützt. Hier-
über müssen aber noch weitere Erfahrungen gesammelt werden.
Immerhin kann nach allem Bisherigen als feststehend betrachtet
werden, daß es in der reinen Vokalmusik Fälle giebt, in denen ein
438 ^** Planck,
Chor zum Sinken gebracht wird, nicht durch Unreinsingen, was ja
auch sehr häufig vorkommt, sondern gerade im Gegentheil durch
Reinsingen, nämlich durch die instinktive Berücksichtigung der natür-
lichen Stimmung. Diese Fälle beweisen, daß die Differenzen der
natürlichen und der temperirten Stimmung die in der praktischen
Musik zulässigen Schwankungen der Intervalle unter Umstanden
merklich überschreiten, und stellen daher jeden Dirigenten vor die
Aufgabe, sich darüber ein ürtheil zu bilden. Denn durch Ignoriren
würde er einmal von den Leistungen seines Chores einen ganz falschen
Begriff bekommen, und außerdem, da er sich der wahren Ursache
derartiger Erscheinungen nicht bewußt wäre, auch nicht die richtigen
Mittel finden können, dieselben abzustellen bez. in richtiger Weise
zu verwerthen.
Damit kommen wir nun zu einer Frage, die zwar streng ge-
nommen außerhalb des Rahmens dieser Untersuchung liegt, aber im
Zusammenhang dennoch mit einigen Worten berührt werden soll:
Wie ist in derartigen Fällen, wie z. B. in der oben citirten Kompo-
sition von Schütz zu verfahren? Soll man, um die absolute Tonhöhe
nicht aufzugeben, den Chor veranlassen, die Terz im Durdreiklang
nicht natürlich, wie das musikalische Gehör es ihm eingiebt, sondern
temperirt zu nehmen? oder soll man, jenem nachgebend, auf die
konstante Tonika Verzicht leisten? oder soll man endlich, ,um die
Forderungen der natürlichen Stimmung, mit dem Festhalten der Tonika
zu vereinigen, das Quint-^ im a-Dur-Akkord ein Komma höher
nehmen lassen als das Terz-e im c-Dur- Akkord?
Zu allererst müßte in einer solchen Frage der Komponist vernommen
werden: er allein, der durch das Tonstück zu uns redet, hätte das ent-
scheidende Wort zusprechen. Wenn aber, wie in dem vorliegenden Falle,
diese Instanz nicht mehr zugänglich ist, so müssen andere Erwägungen
eintreten, und hier kann nicht genug betont werden, daß die letzte,
oberste Entscheidung einzig und allein von der Rücksicht auf die
künstlerische Wirkung ausgehen darf. Denn die Kunst findet ihre
Begründung in sich selbst, und kein theoretisches System der Musik,
wäre es noch so logisch begründet und konsequent durchgeführt, ist
im Stande, alle Forderungen def zugleich mit dem menschlichen
Geiste ewig wechselnden Kunst ein für alle Mal zu fixiren. In dieser
Beziehung hat das natürliche System durchaus keinen Vorzug vor
dem temperirten, und es ist daher auch durch Nichts gerechtfertigt,
bekannte Kompositionen ohne Weiteres in natürliche Stimmung zu
übertragen.
Damit wird allerdings die Möglichkeit einer allgemeinen Beant-
wortung der aufgeworfenen Frage aufgehoben; aber in speciellen
Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 439
Fällen, so in dem vorliegenden, wird doch eine bestimmte Antwort
gefunden werden können. Zunächst dürfte sich die dritte der ge-
nannten Möglichkeiten, das Quint-^ anders zu nehmen als das Terz-6^
aus dem Grunde verbieten, weil eine kommatische Verschiebung an
und für sich immer auffallend und im Sinne einer Dissonanz wirkt
(vgl. S. 427) und der Komponist einen solchen Effekt an dieser har-
monischen Stelle ganz gewiß nicht beabsichtigt hat. Aber auch die
temperirte Terz würde nach meiner Auffassung im Widerspruch
stehen mit dem Eindruck der himmlischen Ruhe und Harmonie,
welchen die Komposition offenbar gerade hier zum Ausdruck bringen
will, entsprechend den Textesworten: »So schlaf ich ein und ruhe
feino. Man sollte hier auch den Umstand nicht unterschätz|3n, daß
der Chor, ganz sich selbst überlassen, wie oben geschildert wurde,
thatsächlich zur natürlichen Terz herabsinkt, seiner anerzogenen Ge-
wohnheit zum Trotz, und dadurch gerade den Beweis liefert, daß
dem unbefangenen musikalischen Gefühl, das ebenso auch beim
Hörer vorhanden sein wird, ein Nachlassen der Spannung; ein sanftes
Hinabgleiten in eine neue Welt von Tönen, hier am besten zusagt.
Allerdings überschreitet eine solche Modulation die Grenzen der
schulmäßig zulässigen Intervalle; aber was liegt daran? Die Schule
muß sich doch nach der Kunst richten, nicht umgekehrt. Es handelt
sich eben hier um etwas Neues, um eine Bereicherung der für ge-
wöhnlich gebräuchlichen Ausdrucksmittel. Für denjenigen, der das
Bedürfniß nach der Rückkehr zur absoluten Tonika hat, bietet sich
an irgend einer der folgenden Stellen, namentlich bei Dissonanzen,
leicht einmal eine Gelegenheit, wieder in diq Höhe zu steigen. Aber
gerade an dieser Stelle wäre das nivellirende Festhalten an der tempe-
rirten Stimmung eine Yerflachung des Ausdrucks. Die Hauptwirkung
des ganzen Stückes beruht auf dem Gegensatz zwischen der geschil-
derten seligen Ruhe und den folgenden bewegten Kampfesstellen: »es
ist ja doch kein Andrer nicht, der für uns könnte streiten«. Wenn
der natürlichen Stimmung öfters nachgesagt wird, sie sei farblos, leer,
nichtssagend, so ist an dieser Komposition zu ersehen, daß unter
Umständen gerade sie, durch den Gegensatz der Konsonanzen und
Dissonanzen, charakteristischer wirkt als die temperirte Stimmung,
bei der dieser Gegensatz von geringerer Bedeutung ist.
V.
Zum Schlüsse mögen die Hauptergebnisse der vorliegenden Unter-
suchung noch einmal kurz zusammengefaßt werden.
Die moderne Vokalmusik bedient sich fast durchweg, auch in
konsonanten Durdreiklängen, der temperirten Stimmung. Ermöglicht
440 ^^^^ Planck, Die natflriiche Stimmung in der modernen Vokalmusik.
wird dieser Umstand durch das Akkommodationsvermögeii, zur Wirk-
lichkeit wird er durch die Gewöhnung unseres Gehörs an die tempe-
rirten Intervalle.
Dagegen giebt es einige bestimmt charakterisirte Fälle, in denen
ein praktischer Einfluß der natürlichen Stimmung thatsächlich nach-
weisbar ist. Jedem Dirigenten eines a cappella-Chors ist ein einfaches
Mittel gegeben, um sich von dem Grad dieses Einflusses bei seinem
eigenen Chor zu überzeugen. In jedem solchen Falle entsteht die
praktische Frage, welche Stimmung in der Aufführung der Kompo-
sition zur Anwendung kommen soll. Hat der Komponist selber
darüber keine Vorschrift erlassen, so kann die Frage nur vom ästhe-
tischen Standpunkt aus entschieden werden.
Ob die natürliche Stimmung künftig einmal eine bedeutendere
Rolle in der Musik zu spielen berufen ist, als jetzt, vermag heute
Niemand zu sagen. Sicher ist nur das Eine, daß dies nur dann ge-
schehen wird, wenn ein Genius ersteht, der in der Sprache der
natürlichen Stimmung mehr zu sagen weiß, als in irgend einer
anderen; ihm würde gewiß kein principielles Bedenken Stand halten.
Berlin, Oktober 1893.
Kritiken und Referate.
Johann Ev, Engl, Festschrift zur Mozart- Centenarfeier in Salz-
burg am 15., 16. und 17. Juli 1891. Salzburg, Dieter. 1891. 8. 123 S.
Adolf Buff^ Mozart's Augsburger Vorfahren. Zum 5. Dezember
1891. Sonderabdruck aus der Zeitschrift des Historischen Vereins
für Schwaben und Neuburg. XVIII. Jahrgang. 1891. 8. 36 S.
Otto Jahn^ W. A. Mozart. Dritte Auflage. Bearbeitet und er-
gänzt von Hermann Deiters. Erster Theil. 1889. XLTV imd
853 S. Mit drei Bildnissen und vier Facsimiles. Zweiter Theil. 1891.
XI und 888 S. Mit zwei Bildnissen und 10 Notenbeilagen, gr. 8.
Leipzig, Breitkopf und Härtel.
Rudolf Freiherr Prochäzka^ Mozart in Prag. Zum hundertjährigen
Gedächtniß seines Todes. Prag, Dominicus. 1892. VI und 236 S. 8.
Die Mozart-Centenarfeier hat die Herausgabe einer Anzahl großer und kleiner
Bücher und Abhandlungen Teranlaßt, aus welcher die obengenannten hier einer
kurzen Besprechung unterzogen werden sollen. Sie kommt verspätet aber nicht
zu spät» da der Inhalt jener Schriften dauernden Werth hat, oder doch haben
möchte.
Jahn's Biographie erschien zuerst 1856 — 1859 in vier Bänden, die zweite Auf-
lage, die der Verfasser noch selbst besorgen konnte, 1867 in zwei Bänden. Nach
zwanzig Jahren zeigte sich die Nothwendigkeit, eine dritte Auflage zu yeranstalten.
Indem diese yor zwei Jahren zur Vollendung gebracht worden ist, schließen die
Jahre 1856 und 1891 — jenes die hundertjährige Wiederkehr des Oeburtsjahres,
dieses des Todesjahres Mozart's bezeichnend — die bisherigen Schicksale des
Jahn'schen Werkes ein, von dem wir alle wissen, was es der Musikwissenschaft
unseres Jahrhunderts bedeutet.
Ob es räthlich ist, eine wissenschaftliche Leistung, die zugleich den Werth
eines Kunstwerks beanspruchen darf, fremder Hand zur Nachbesserung zu über-
lassen, ist eine Frage, die nicht grundsätzlich, sondern nur yon Fall zu Fall be-
antwortet werden kann. Ich werfe sie nicht auf, weil ich im geringsten zweifelhaft
wäre, daß sie Jahn's »Mozart« gegenüber zu bejahen war, sondern weil sich da-
durch, daß sie überhaupt gestellt werden kann, am einfachsten das Verhältniß
enthüllt, dem es gilt, gerecht zu werden. Thatsächliche Berichtigungen haben auch
Änderungen in der Darstellung zur Folge, und durch sie kann der Charakter des
Ganzen Beeinträchtigung erleiden. Das Beethoven-Buch yon Marx, dessen Werth
man mit Unrecht gering schätzt, hat in seinen späteren, durch Gustav Behncke
besorgten Auflagen solche Berichtigungen in weitem Umfange erfahren. Es ist
442 Kritiken und Referate.
dadurch mit dem jeweiligen Stande der fortBchreitenden Beethoven-Forschung in
Einklang gebracht worden. Aber um sich über Thatsachen aus BeethoTen*s Leben
Belehrung zu holen, wird jetzt ebenso wenig wie früher jemand nach dem Buche
greifen, und Zweck und Anlage desselben ist durch die nöthig erachtete stärkere
Betonung des Thatsftchlichen verdunkelt und verändert worden. Einfacher Abdruck
der zweiten Auflage wäre hier vorzuziehen gewesen. Was nun aber der Mozart-
Biographie von Jahn ihren hohen Rang in der Musik-Litteratur anweist, ist zu-
meist die vollkommene Harmonie, in welche die Ergebnisse umfassender und ein-
dringender biographischer Forschung mit der verständnißtiefen Würdigung von
Mozart's Werken und Künstlerthum gebracht sind. Dies Buch ist Kunstwerk
und Nachschlagebuch zugleich. Nach allen Seiten des Wissens hin gewährt es
die vollständigste Auskunft. Es ist Pflicht, ihm diesen Vorzug dauernd zu er-
halten. Da es aber in seiner Totalität schon etwas abschließendes und nicht zu
übertreffendes ist, nachdem Jahn selbst noch in der zweiten Auflage die erforder-
lichen theilweisen Umformungen hatte eintreten lassen, kann sich, was nach zwanzig
Jahren etwa nachzubessern war, auch immer nur auf Einzelheiten beziehen.
Damit wird nicht gemeint, daß die Arbeit des neuen Herausgebers nun eine
leichte gewesen wäre. Sie erforderte, sollte sie die Leser befriedigen, Durch-
arbeitung der gesammten neueren Mozart -Litteratur, Beherrschung des Stoffes,
innige Vertrautheit mit Jahn's Buche und Jahn's wissenschaftlicher und schrift-
stellerischer Eigenart. Sie erforderte vor allem Entsagung und uneigennützige
Liebe zur Sache. In keinem Punkte konnte der Herausgeber sich selbst geltend
machen, überall mußte er vielmehr suchen, hinter dem Original zu verschwinden.
An die Lösung einer solchen Aufgabe jahrelange Arbeit zu setzen, wiU etwas
heißen, und ist sie zweokgemäß zu Ende gebracht, so verdient der Herausgeber
doppelten Dank. Diesen Dank an Hermann Deiters gelangen zu lassen, ihm aus-
zusprechen, daß unseres Erachtens keiner gefunden werden konnte, dessen Qe-
wissenhaftigkeit und Begabung sich an diesem härtesten Prüfstein glänzender zu
bewähren vermochte, ist der einzige Zweck dieser Anzeige. Auf Einzelheiten gehe
ich nicht ein; wo die ganze Arbeit im Zusammentragen und Einarbeiten von
Einzelheiten besteht, hat der Beurtheiler viel mehr die Pflicht, ihren Gesammt-
werth hervorzuheben.
Die Schriften von Engl und Buff konnte Deiters noch benutzen, und damit
dürfte ihr Hauptzweck erfüllt sein. Große Ausbeute gewähren sie nicht. Engl
behandelt in drei Abschnitten: Die Mozart-Familien in Augsburg, Salzburg und
Wien, Drei bis 1890 ungedruckt gebliebene Briefe W. A. Mozart's aus der letzten
Lebenszeit, Das Requiem und die Requiemfrage. Aber der geringste Theil seiner
Mittheilungen ist neu oder originaL Betreffs der Augsburger Mozarte stützt er
sich auf die Forschungen Buffs; dieser hat sie aber etwas später in der obenge-
nannten Abhandlung mit dankenswerther archivarischer Genauigkeit in berichtigter
und erweiterter Form selbst vorgelegt und dadurch Engl überflüssig gemacht. Die
angeblich unveröffentlichen drei Briefe stehen seit 1880 in Nottebohm's >Mozartiana«
auf S. 42, 31 und 72 zu lesen. Solche Unkenntniß überschreitet doch das Maß
des Verzeihlichen. Überhaupt wimmelt Engl's Buch von kleinen und groben
Fehlem, von Flüchtigkeiten und Lässigkeiten aller Art. Man liest z. B. S. 42
Folgendes: »Den Anfang sollten die Klavierconcerte in Gmoll undEsdur (Op. 478
und 779) im Juli und 16. Oktober 1785 machen«. Es wird nicht leicht sein, mehr
Verkehrtheiten in einen einzigen mangelhaft stilisirten Satz zusammenzuhäufen.
Daß es ein Gmoll- Klavierconcert von Mozart nicht giebt, sollte jeder wissen,
der über Mozart schreibt. Es muß also 1} statt »Klavierconcerte« heißen: >Klavier-
quartette« ; 2) ist Niemand berechtigt, die fortlaufenden Nummern des Kdehel'schan
Mozartschriften . 443
XLatalogs als Mozart'sche Opuszahlen aufzufassen; 3) muß statt 779 stehen 493;
4) können die saloppen Datirungen »im Juli und 16. Oktober 1785« in obigem
Zusammenhange entweder so verstanden werden, daß sie die Publikationstermine
Hoüneister'Sy oder daß sie die Entstehungszeit der Kompositionen bedeuten. Hat
der Leser sich für letzteres entschieden, so wird er nicht anders meinen, als daß
das erstere Datum auf das GmoU-, das letztere auf das Es dur-Quartett gehen
soll; sie sind aber beide auf das Gmoll-Quartett zu beziehen und von Engl mit
unbegreiflicher Flüchtigkeit aus Köchel abgeschrieben. Der dritte der Briefe ist
an zwei auf einander folgenden Tagen verfaßt, und den zweiten dieser Tage hat
Mozart selbst als »Samstag den 8.« bezeichnet; natürlich ist Oktober 1791 ge-
meint, da es sich um eine der ersten »Zauberflöten «-Aufführungen handelt. Wenn
nun der 8. Oktober ein Samstag gewesen ist, so muß der 16. Oktober ein Sonntag
und der 14. ein Freitag gewesen sein. Dennoch verlegt Engl S. 56 einen »Sams-
tag«-Brief Mozart's auf den 16. Oktober, und korrigirt S. 51 Mozart's eigne An-
gabe, der am 14. Oktober schreibt: »Gestern Donnerstag den 13.« in »Freitag
den 13.«. Aber es ist gegenüber der Beschaffenheit der ganzen Arbeit zwecklos,
sich bei einzelnen Fällen aufzuhalten. Fassen wir unsere Ausstellungen in den
Wunsch zusammen, daß derartige Festschriften nicht wieder geschrieben werden
möchten. Über die Kequiemfrage sollte jetzt keiner mehr das Wort nehmen, der
nicht ganz neue Aufschlüsse zu geben hat. Gustav Pressel glaubte dazu im Stande
zu sein, und seinen gründlichen Untersuchungen sind wir ihrer Zeit mit Interesse
gefolgt. Diese aber ohne Kritik zum zweiten Male zum Abdruck zu bringen, wie
Engl in seinem dritten Abschnitte thut, ist überflüssig. Deiters verhält sich ihnen
gegenüber vorsichtig zurückhaltend und stellt eine ausführliche Prüfung der Er-
gebnisse Pressel's in Aussicht. Möchte er uns damit nicht zu lange warten lassen !
Das Buch Proch&zka's ist nach der Ausgabe des zweiten Bandes der Jahn-
schen Biographie erschienen. Deiters konnte von ihm keinen Gebrauch mehr
machen; umgekehrt hat Proch&zka vorsichtig gewartet, um jene Publikation noch
für seine Zwecke zu nutzen. Der Eindruck, den wir beim Lesen des Buches
hatten, war anfänglich kein günstiger. Außer den vielen Druckfehlem, Austria-
cismen und andern stilistischen Unreinheiten störte uns jene stark auftragende
Feuilleton-Phrase, die Mißtrauen gegen die sachliche Zuverlässigkeit der Forschung
erregt. Allmählich aber trat dieser erste Eindruck zurück, als wir ims von der
Sorgfalt und Liebe überzeugten, mit welcher der Verfasser alles zuhauf getragen
hat, was mit Mozart's Beziehungen zu Prag zusammenhängt. Wäre allein dies
schon löblich, so wächst die Anerkennung, wenn man gewahr wird, wie vielerlei
Neues das Buch bringt. Freilich ist dieses dem Verfasser großentheils durch die
ergiebige Beihülfe Schebek's dargeboten worden. Aber er hat sich die eigne Arbeit
deshalb nicht leicht gemacht, sondern nach allen Seiten hin selbst geforscht und
seine Quellen auf ihren Werth gewissenhaft geprüft. Daß das Buch eine starke
lokalpatriotische Färbung hat, ist ganz in der Ordnung: Prag kann in der That
stolz darauf sein, Mozart in seiner vollen Größe zuerst erkannt und hierin Wien
weit hinter sich gelassen zu haben. Um Mozart's willen folgen wir auch dem Ver-
fasser gern in weitläufige Einzeluntersuchungen, wie z. B., ob sich die Geschichte
von der späten Vollendung der »Don Juan «-Ouvertüre und deren praktischen Folgen
auf die Generalprobe bezieht, oder die Aufführung selbst, ob das für den Harfe-
nisten Häusler komponirte Stückchen in das Frühjahr 1787 oder den Sommer 1791
zu setzen seL Die Schilderung von Mozart's Beziehungen zu Franz und Josepha
Duschek ist werthvoll, und die Bemühung, Josepha's Bild von den Flecken zu
reinigen, mit denen es der allezeit geschäftige Klatsch bespritzt hat, anerkennens-
werth. Hätte der Verfasser diesem nur nicht neue Nahrung gegeben durch seine
444 Kritiken und Referate.
Untersuchungen über den Grad der Intimität, die zwischen Mozart and Josepha
bestanden habe. Solche Dinge, über die man — vollends nach hundert Jahren —
gamichts sicheres wissen kann, sollten alle ernsthaften Schriftsteller in still-
schweigender Übereinkunft auf sich beruhen lassen. Lebhaft wird man Ton der
Beschreibung der »Bertramka«, des Duschek'schen Landhauses, angezogen; die
Genauigkeit, mit der wir die Ortlichkeit kennen lernen, wo Mozart den größten
Theil des »Don Juan« schrieb, sein Wohnzimmer, den Garten, den Ruheplatz am
Brunnen, weckt ein anheimelndes Gefühl, dem man sich gern überläßt. Hübsehe
Zinkdrucke vervoUständigen die Anschaulichkeit.
Ich möchte die kleine Anzeige nicht ohne einen bescheidenen Beitrag von
meiner Seite schließen. In einem besonderen Kapitel behandelt Prochazka die
»zweite Handschrift« der »Don Juan «-Partitur, d. h. die im Jahre 1787 in Frag vom
Autograph genommene Abschrift, nach welcher Mozart, wenn auch wohl nicht die
ersten Aufführungen der Oper, so doch die am 2. September 1791 veranstaltete
dirigirt haben wird. Ein Brief Dionys Weber's vom 18. April 1829 wird mitge-
theilt, der sich auf diese Partitur bezieht. Der ungenannte Adressat hatte ge-
wünscht, sie kennen zu lernen, und erhält durch Weber's Vermittlung unter
obigem Datum den ersten Akt. Als er nun unter dem 29. April das Manuskript
zurücksendet, merkt er dies auf dem Briefe an und fügt die Chiffire »Dr. Fst.«
hinzu. Wer unter ihr verborgen sei, hat Prochdzka nicht gewußt. Es ist ein
Dr. Feuerstein aus Pirna, seiner Zeit ein eifriger Autographensanmüer, der auch
in der Geschichte der Manuskripte Seb. Bach's eine gewisse Rolle spielt (J. S.
Bach U, S. 822). Wie er mit Pölchau in Verbindung stand, so hatte er auch wohl
zu Mozart's Wittwe Beziehungen angeknüpft, um durch sie ein Autograph Mozart's
für seine Sammlung zu erhalten. Durch seine Vermittlung scheint es alsdann ge-
schehen zu sein, daß Constanze dem Dionys Weber ein Exemplar des »Don Juan« —
vielleicht , einen in Mozart's Händen gewesenen Klavierauszug — zum Geschenk
machte. So versuche ich mir den letzten Satz des Briefes zu deuten.
Berlin. Philipp Spitta.
Ferdinand Praeger, Wagner, wie ich ihn kannte. Aus dem
Englischen übersetzt vom Verfasser. Leipzig, Breitkopf und Härtel,
1892. 8. 366 S.
Wer den in den letzten beiden Jahren besonders reichlich ausgefallenen Zu-
wachs der Wagnerlitteratur überblickt, wird mit Genugthuung bemerken, daß auf
diesem Gebiet ein ruhigerer Ton Platz zu greifen beginnt und daß sich Leistungen
von wissenschaftlichem Werthe einfinden. In erster Linie verdient die gründliche
und groß angelegte Darstellung diese Anerkennung, welche Hugo Dinger von
»Wagner's geistiger Entwicklung« gegeben hat Ihr darf man Chamberlain's Studie
über »Das Drama Rieh. Wagner's« anschließen, mit gewissen Einschränkungen
auch die kleine Biographie des Künstlers, welche Franz Muncker als 26. Band da-
Bayerischen Bibliothek veröffentlicht hat. Aus einem anderen Grunde muß den
beachtenswerthen Stücken der neusten Wagnerlitteratur auch die hier angeseigte
Schrift Praeger's beigezählt werden.
F. Praeger (geb. 1815 zu Leipzig, gest. 1891 zu London) ist eid alter Mit-
arbeiter von Schumann's »Neuer Zeitschrift f. M.« Er vertrat dort mit Theodor
Hagen in den vierziger Jahren als Korrespondent jene pessimistische, zuerst nur
mit der Kunst, dann mit der ganzen Kultur, mit der Gesellschaftsordnung, mit
Gott und Welt zerfallene und hadernde Minderheit der deutschen Musiker, deren
Praeger, Wagner, wie ich ihn kannte. • 445
Geist und Ziele später den vollständigsten Ausdruck in Bich. Wagner's »Kunst
und Revolation« * fanden. Praeger gewann unter den wohlthätig ernüchternden
Einflüssen des englischen Lebens zur rechten Zeit das innere Gleichgewicht wieder,
erlangte in London, wohin er schon im Jahre 1834 Terzogen war, eine behäbige
Existenz als Musiklehrer, machte sich als Komponist (»Praegeralbum«) bekannt
und als Schriftsteller um die sogenannte »Zukunftsmusik« verdient.
Seine Hauptleistung in letzter Eigenschaft ist das vorliegende Buch über
»Wagner, wie ich ihn kannte«. Aus persönlichem Umgang geschöpfte Mittheilungen
über Wagner besitzen wir verhältnißmäßig nicht viele. Es muß daher jedes
Werk willkommen geheißen werden, das nach dieser Seite hin ergänzend eintritt.
Wir haben dabei als Muster für solche Veröffentlichungen H. v. Wolzogen's
»Erinnerungen an Wagner« im Auge. Praeger versuchte mehr zu geben, nichts
Geringeres als eine ganze Biographie. Wahrscheinlich kam ihm dazu der Antrieb
von außen. Einzelne Kapitel seines Buches tragen den Stempel ihrer Entstehung
als Zeitungsaufsätze an der Stirn; Widersprüche, Wiederholungen und Flüchtig-
keiten zeigen die Eile, mit der der Verfasser zuweilen schrieb. Mit der Disposition
machte er es sich sehr leicht. Er folgte einfach der bekannten Wagnerbiographie
Glasenapp's aus dem Jahre 1876. Folgte ist zu wenig gesagt: er schrieb ruhig
ab — leider ohne seinen Autor zu nennen — und ergänzte und korrigirte an den
Punkten, wo er selbst besser unterrichtet war oder zu sein glaubte. Ohne Arg
übernahm er so auch eine Menge erstaunlicher Mittheilungen Glasenapp's, die einer
strengen Nachprüfung bedürfen. So z. B. die (allerdings von einem Briefe Wagner's
an Nietzsche abgeleitete) Behauptung, daß Wagner auf der Kreuzschule in Dresden
tief in die Sprache und die Litteratur der Griechen eingedrungen sei, daß sich an
der in dieser Anstalt herrschenden Begeisterung für den ehemaligen Kreuzschüler
Theodor Körner sein deutsch nationaler Sinn entzündet habe. Aber nicht bloß
die Thatsachen erzählt Praeger seiner Vorlage nach, sondern er macht auch die
Begründungen und die geistreichen Verknüpfungen Glasenapp's zu seinen eigenen.
Dabei geräth dann oft ein im Original sinniger Gedanke an eine ganz falsche
Stelle. Wie in aller Welt, fragt sich der Leser, kommt die vielbesprochene
Sinfonie Wagner's aus dem Jahre 1833 in einen Zusammenhang mit der französischen
Julirevolution? Rein durch das Ungeschick des Kompilators, der vorher von dem
Text Glasenapp's abgewichen war, aber sich das Fettauge, mit dem das Kapitel
schließt, nicht entgehen lassen wollte.
Viel bedenklicher ist es, daß in dem Buche Stellen vorkommen, die die
Glaubwürdigkeit des Verfassers überhaupt in Frage stellen. Bei seiner Umwandlung
aus dem deutschen Stürmer und Nebelkopf in den praktischen Engländer hat
Praeger auch eine ungesunde Neigung sich aufzuspielen in sich aufgenommen. Er
flunkert und ändert Daten, die inzwischen durch den Briefwechsel Wagner's mit
Liszt und Uhlig festgestellt sind, um sich selbst in Positur zu stellen. Praeger's
Eitelkeit geht so weit, daß er seinen Vater, der unter Bondini und Küstner in Leipzig
Musikdirektor am Theater war, zum »Dirigenten der berühmten Gewandhau skonzerte«
und zum Vorgänger Mendelssohn's macht. In einem solchen Falle ist die Annahme
eines bloßen Irrthums ausgeschlossen. Das weiß doch ein Sohn gewiß, was sein
Vater gewesen ist. Aus derselben Großthuerei Praeger's erklärt es sich auch, daß
er eine bestimmte Angabe über den Beginn seiner persönlichen Bekanntschaft mit
Wagner umgeht. Dieser Punkt ist absichtlich und künstlich ins Dunkel gehüllt.
Mehr noch: aus der Einleitung werden die meisten Leser den Eindruck gewinnen,
daß es sich um eine Freundschaft zwischen den beiden Männern handelt, die bis
in die Kinderjahre zurückreicht.
Sie waren allerdings beide geborene Leipziger und nur zwei Jahre
1893. 30
446 E.ritiken und Referate.
anseinander. Aber allem Anschein nach haben sie sich erst im Jahre 1855 persönlich
kennen gelernt, als Wagner nach London kam, um die Konzerte der Philharmonischea
Gesellschaft su dirigiren. Wagnerianer war allerdings Praeger von vomherein
seinem gansen Naturell nach. Bereits 1843 trat er in Zeitungsartikeln für die
Werke des damaligen Dresdner Kapellmeisters ein und dafür» daß er ein leiden-
schaftlicher Parteigänger wurde, sorgte der unglückliche August Bdckel durch
fleißige Briefe nach London. Diese Köckel'schen Briefe bilden einen Haupttheü
des Praeger'sohen Buches. Sie haben Glasenapp augenscheinlich nicht sur Verfijgung
gestanden. Aus ihnen und aus mündlichen Mittheilungen von Röckel's Freunden
und Verwandten hat Praeger eine Reihe von Zügen geschöpft , die Wagnei^a
Verhältnisse in der Dresdner Zeit schärfer beleuchten. Aber daß auch hier Vor-
sicht und Kritik geboten ist, beweist der Abschnitt, in welchem Pr aeger Wagner's
Theilnahme am Maiaufstand auf Orund dieser Röckel'schen Mittheilungen darstellt.
Diese Darstellung ist inzwischen bereits widerlegt, nämlich von Hugo Dinger in
dem vorhin genannten Werke. Durch seine aktenmäßigen Untersuchungen ist
diese Frage endgültig erledigt und zwar in einer Weise, die zwischen der Schön-
färberei Qlasenapp's und der Schwarsfärberei von Röckel und Praeger die Mitte
hält. Am stärksten tritt aus den RöckeVschen Briefen die Thatsache hervor, daß
Wagner in Dresden von Freunden umgeben war, die beständig Ol ms Feuer gosaen
und den hitzigen Künstler nahezu in einen Verfolgungswahn trieben, in dem er
ringsum nur egoistisch interessierte Gegner und Verschwörungen erblickte. Auch
einer Künstlernatur wie Felix Mendelssohn wurde in diesem eingebildeten Litri-
gantentreiben eine leitende Rolle zugewiesen. Und Praeger hat dieser Zumuthung
gegenüber kein Wort des Erstaunens oder Bedauerns I
Da Praeger bei der Schilderung von Wagner's Dresdner Zeit getreu nach
Glasenapp die Wagner'sche Aufführung von Beethoven's neunter Sinfonie zu einem
geschichtlichen Ereigniß macht, so sei bei dieser Gelegenheit einmal auf Otto
Nicolais eben veröffentliohte Tagebücher verwiesen. Da schreibt S. 132 der Kom-
ponist der »Lustigen Weiber« von einer Wiener Aufführung der »Neunten«,
die ziemlich gleichzeitig mit der Dresdner stattgefunden haben muß und ihr an
Sorgfalt der Vorbereitung nicht nachgestanden zu haben scheint. Nicolai hielt
dreizehn Proben dazu. Wagner's Verdienste um die ELlassiker in allen Ehren —
aber es haben jederzeit hinter den Bergen auch Leute gewohnt. Die Unwissenheit,
die das Heil der deutschen Kunst auf zwei Augen setzen will, werden wir wohl
niemals ganz los. Heute schreien sie »Wagner«, [morgen »Bülow«. Schlimm ist's
nur, wenn diese lärmende, einseitige Banausenschaft zur Führung in den öffentlichen
Kunstangelegenheiten gelangt.
Den Zeitpunkt, von dem an zwischen Wagner und Praeger ein unmittelbarer
Verkehr nachweisbar wird, bildet das Jahr 1855. Während seines Londoner Aufent-
haltes war Wagner der Gast Praeger's, der das Engagement an der PhUhannonie
Society — nach seiner Aussage — hauptsächlich vermittelt hatte. Nach der Rück-
kehr in die Schweiz schreibt Wagner seinem Londoner Wirth häufig Briefe, im
nächsten Jahre sucht ihn Praeger in Zürich auf, später folgt er Einladungen nach
Paris, München, Luzem. Diese Besuche und die dazwischen fallenden Briefe des
Dichterkomponisten bilden den Inhalt der letzten sechs Kapitel und geben dem
Buche Berechtigung und einen gewissen Werth. Glasenapp wird von da an ent-
behrlich; es genügen wenige verbindende Worte.
Was nun Praeger in diesen persönlichen Erinnerungen vorzulegen hat, sind
Beobachtungen und Ergebnisse, in denen die Kunst Wagner*s eine untergeordnete
Rolle spielt, die aber den Menschen in Wagner und die Eigenart seiner Natur
Vielen näher zu bringen geeignet sind. So wie er sich hier im ungezwungenen
Friedrich Ghrysander, Kleine Mittheilungen. 447
Verkehr, in der Häuslichkeit, im Freundeskreise, im trauten Gespräch dem Verfasser
gezeigt hat, so haben ihn schon Glasenapp, Wolzogen und Andere geschildert.
Aber Praeger besiist den den englischen Biographen eignen Sinn für das Anek-
dotische und Pragmatische und das Talent, das Beobachtete in lebensvollen Skizzen
wiederzugeben. Praeger's Wagnerporträt gleicht dem Händelbilde des Mainwaring
darin, daß das Genie vor dem BOxgersmann zurücktritt Die Originalität der
ganzen Persönlichkeit, die Kühnheit seiner Natur, die Bücksichtslosigkeit und
Heftigkeit seines Charakters, die den Wagner der Öffentlichkeit kennzeichnen,
erfahren eine liebenswürdige Ergänzung durch Züge aus der Intimität, Züge von
Herzensgüte und naiver Kindlichkeit, die manche Femstehende überraschen werden.
Das Hauptverdienst, das sich Praeger um die Biographie Wagner's erworben
hat, ist, daß er der ersten Gattin des Dichterkomponisten Gerechtigkeit wider-
fahren läßt. Daß eine Frau, die Jahrzehnte der Entbehrung und der bittersten
Noth mit ihrem Manne getheilt hat, nicht so unbedeutend sein kann, wie sie uns
von einzelnen Biographen geschildert worden ist, mußte man sich von vornherein
sagen. Um so erfreulicher ist es, dies von einem Augenzeugen ins Einzelne be-
stätigt und nachgewiesen zu sehen. Das dämonische Element, das dennoch zur
Trennung des Ehepaars führte, verfolgt Praeger nicht, wie es überhaupt nicht
seine Sache ist, in die Tiefe zu gehen. Wir wiederholen aber nochmals, daß das
Buch trotzdem Beachtung verdient.
Leipzig. Hermann Kretssohmar.
Nachschrift. Diese Anzeige war gedruckt, als die Bayreuther Blätter (im
7. Stück) eine 39 Seiten lange Kritik des Praeger'sohen Buches brachten, die
seine schon hier stark bemängelten Seiten, Glaubwürdigkeit und Methode, noch
viel weiter bloßstellt. Ihr Verfasser, H. S. Chamberlain, weist auf Grund ein-
gehender Vergleiche zwischen der englischen und der deutschen Ausgabe des
Buches nach, daß Praeger mit den Originalbriefen Wagner's mindestens sehr frei
umgegangen ist und glaubt, daß Briefe Röckels an P. überhaupt nicht existirt
haben. Diese zweite schwere Beschuldigung ist nicht ganz einwandsfrei* Aber
selbst wenn sie das wäre, würden wir doch das Gesammturtheil der vorstehenden
Anzeige gegen Chamberlain aufrecht halten müssen, der das Praeger' sehe Buch für
schlechterdings werthlos und für rein scandalös erklärt. Ch. irrt, wenn er Praeger
für einen Feind Wagner's hält. Das verbieten die Antecedentien des Mannes
ebenso wie der Ton seines Buches und dessen ganz zweifellos wohlgemeinte
Absicht. Praeger hat ja nicht für Bayreuth, sondern für das große englische
Publicum seiner Zeit geschrieben. Es kommt hinzu, daß nach allen Abzügen, die
wir an Praeger's Wahrhaftigkeit, Charakter, Begabung und Bildung machen müssen ,
noch eine Summe von anekdotischen Mittheilungen übrig bleibt, die nur aus per-
sönlicher Bekanntschaft und aus intimen Quellen . geschöpft sein können.
H. K.
Kleine Mittheilnngen.
1.
Besuch eines Engländers bei J. S, Bach im Jahie 1749.
Sir John Hawkins widmet in seiner Geschichte der Musik Bach nur wenige,
aber durchaus anerkennende Zeilen und beschließt dieselben mit einem Bach'schen
Tonsatz, bestehend aus Aria und zwei Variationen. Hawkins sagt dabei nur:
»Die folgende Komposition ist unter seinen Klavierstücken.« Solches ist auch der
30*
448 Kritiken und Referate.
Fall; die »Ana« bildet das Thema im 4. Theil der Klavier-Übung, und die beiden
Variationen nehmen in der Reihe der 30 Veränderungen, die Bach über dieses
Thema schrieb, die neunte und zehnte Stelle ein. Auch findet .man bei Hawkins
einen genauen Abdruck der von Bach yeranstalteten Ausgabe, einige Vorschläge
und Manieren abgerechnet. Man wird hiemach glauben müssen, Hawkins habe
diese drei Stücke aus Baoh's Drucke zusammen gestellt. Aber solches war nicht
der Fall; ein Freund übergab ihm die drei Sätze, so wie er sie gedruckt hat.
In einem Katalog antiquarischer Musik von W. Reeyes in London, 1893,
wird ausgeboten:
»Bach (J. S.)i An Aria with 2 Var. for the Harpsichord or Organ, 3 pages.
10 B. 6 d.«
Auf der Vorderseite dieses Manuskripts (wird dabei bemerkt) stehen folgende
Nachrichten :
»An exact Copy of a Composition of the leamed Professor of Muaic
J. S. Bach, with which he presented me in his own writing in the year
1749 on my going from Vienna to Leipzig, professedly to hear his
astonishing Performance on the Organ.«
»As a token of respect J. H. has for Mr. Ölen, he begs his acceptance
of this copy« etc.
»N. B. — My long intimacy with the late Sir John Hawkins, induced
me to give him a copy to insert in his History of Music.«
Hawkins hat also im 5. Bande seiner Oeschichte S. 256—258 nur gedruckt,
was ihm yon einem Freunde mitgetheilt wurde. Ob dieser Freund jener »J. H.c
war, der ein Jahr Tor Bach's Tode von Wien nach licipzig reiste, um den Alt-
meister auf der Orgel spielen zu hören, oder ob »Mr. Ölen« die Kopie an Haw-
kins gab, läßt sich aus der Notiz des Katalogs nicht ersehen. Es wäre interessant
zu erfahren, wer dieser J. H. war und ob das Autograph, welches er von Leipzig
heim trug, noch erhalten ist. Man würde dann auch ersehen können, ob Bach ihm
drei Blätter aus seinem großen Variationen -Werk übergab, oder ob er ihm die
genannten drei Sätze auf einem Bogen zusammen neu ausschrieb.
2.
Dr. Cr off 8 Gesänge fiir das Theater.
Li dem Aufsatze »Der Bestand der königl. Privatmusik und Kirchenkapelle
in London yon 1710 bis 1755« (Vierteljahrschr. 1892 S. 514-^531) habe ich über
Leben und Wirken des Kirchen-Kapellmeisters Dr. Wm, Oroft Mittheilungen ge-
macht und dabei S. 521 geäußert, er sei niemals über den Kreis dieser kirchlichen
Kapelle hinaus getreten. Diese Behauptung muß eingeschränkt und dahin be-
richtigt werden, daß Groft (der sich Anfangs Crofts schrieb) in seiner Jugend
ebenfalls den Versuch gemacht hat, für die Londoner Theater zu arbeiten. Wir
ersehen dies aus einer Annonce, welche ich unlängst in einer Londoner Zeitung
fand.
Ende December 1703 zeigen die Musikyerleger Walsh u. Hare u. a. an:
»Mr. Crofts new Musick in 4 parts, performed in the Comedy called
The Lying Lover, price 1 s. 6 d. the set.« Post-Man. 21/23. Dec. 1703.
Aus dem Preise ist zu schließen, daß es nur eine sehr kleine Sammlung vier-
stimmiger Lieder gewesen sein kann. Groft stand damals im 27. Lebensjahre
Seit 1700 habe ich weiter keine Komposition weltlicher Musik von ihm angezeigt
gefunden. Chr.
Musikalische Bibliographie
von
Prof. Dr. F. Ascherson^
Bibliothekar und erstem Gustos der königlichen Unirersit&ts - Bibliothek zu Berlin.
I. Qesohiehte der Musik«
Annuaire du Conservatoire Royal de Musique de BmXeUes. Dix-sepiteme annee.
Avec le porirait de Henry WarnoU, Gandj librairie Hoste. Bruxelles, librairie
Ramlot 1893. 241 S. 8.
After f J. M., Andreas Kaselius Ambergensis, sein Leben und seine Werke. Eine
Studie. (Beilage zu den Monatsheften für Musikgeschichte.) VII, 48 S. gr. S
mit 1 Tafel. Leipzig, Breitkopf und Härtel. n. 1 uff 50 «^.
JBarilU, Anton Giulio, Gittseppe Verdi, Vita e opere. 2. edtz. Genova, Donath,
1892, 156 S. 8,
JSensaWj Oskare Richard Wagner säsom akapare af musikdrama, Del IV. 38 S. 8
Stockholm, JBlaedel u. X. kr. 0,75,
, Alla 4 delame samt: Wagner, R., Ludwig van Beethoven i eit band kr. 4,50:
inb, kr, 6.
ßemaySf M., Prolog zu Mozarts Requiem. 10 S. gr. 8. Leipzig, Breitkopf und
Härte], n. 10 ^.
Blographieen schweizerischer Tonkünstler. Das Künstlerpaar August und Anna
Walter- Strauss. Ein biographisch -kritischer Essay yon A. Niggli. 56 S.
gr. 8 mit Bildniß - Tafel. Zürich, Gebrüder Hug. n. 50 ^.
Blmbanniy Ed., Jüdische Musiker am Hofe von Mantua. Wien, Waizner und
Sohn. 1893. 35 S. und 2 Musikbeilagen.
Bock, A., Goethe und Spontini. . (Berliner Tageblatt 1993, Nr. 475.)
BoU's musikalischer Haus- und Familienkalender 1894. Mit biographischen,
noyellistischen und musikal. Beiträgen von L. Fulda, H. Heiberg, A. Kohut
u. A. m. 111 S. 40 mit Illustrationen u. Kunstbeilage. n. 1 uff ; geb. n. 1 uff 50 «^.
Bolte, Johannes, Die Singspiele der englischen Komödianten und ihrer Nachfolger
in Deutschland, Holland und Skandinavien. Hamburg und Leipzig, Leop.
Voß. 1893. 194 S. gr. 8.
Bmiy, Louis, Uhe ezcursion dans Vorgue. Paris , Fischbacher. 1892. 95 S. 8.
de JBremontf The world of music. 3 vols. London. Gibbings. 10 sh. 6 d,
JBrenetf Jean de Ockeghem. Paris. 1893.
Buffen, F. F., Musical celebrities. 2d series, 4^. London, Chapman and Hall.
21 sh. [S. ob. Bd VI S. 590.]
Chopy M, (M. Charles), Vademecum für Wagnerfreunde. Führer durch Richard
Wagner's Tondramen (mit über 40 Notenbeispielen). VII, 494 S. gr. 8. Leipzig,
450 Musikalische Bibliographie.
Koßberg'sche Hof buchhandlung, n. 8 Jl\ geb. n. 10 ulf; in 7 einzelnen Heften
n. 9 uT 80 ^. 1. Der fliegende Holländer. VH, 36 S. n. 1 uT. — 2. Tannhäuser.
ni, 43 S. n. 1 ur 20^. — 3, Lohengrin. HI, 35 S. n. 1 uT. — 4. Die Meistersinger
von Nürnberg. HI, 62 S. n, 1 uT 20 ^. — 5. Tristan und Isolde. III, 61 S.
n. 1 UT 20 ^. — 6. Der Ring des Nibelungen. HI, 193 S. n. 3 uT. — 7. Par-
sifal. m, 62 S. n. 1 uT 20 ^.
Conserratorlnniy das königliche, der Musik zu Leipzig. 1843—1893. YII, 144 S.
Lex. 8. Leipzig, Breitkopf &: HärteL n. 2 jU,
CatUagne, H. , ha drames musicaux de Ridua-d Wagner. 16. Paris , G, FUeh'
hacher. 3 fr. 50 c.
, Oaspard Duiffoproucart et les luthiers lyonnais du XVI. stiele. Etüde histo-
rique accompagnie de pieces jttstißeatives et d*un portrait en hiliogravure.
Paris, Fischbacher. 1893. 79 S. gr. 8.
Curzan, de, Henri, Musiciens du temps passi. Les demikres annSes de Weber,
Mozart et le Mozarteum de Salzbourg, Mihul, Hoffniann musicien. Paris,
Fiselibacher. 1893. 3 fr. 60 c. 8.
Destranges, Etienne, Voeuvre ih4ätral de Meyerbeer. Etüde critique. Paris,
Fischbacher. 1893. 8. 2 fr,
DonizetH, Lettere inedite di Gaetano I>onizettif con note di Füippo Mardtetti
e AUssandro Parisotti e prefazione di JESugenio Checchi* Roma, Unione
cooperativa editrice. 1892. XXXIII und 149 S. 8.
DreyeSy O. M., Aurelius Ambrosius, »der Vater des Kirchengesanges«. Eine
hymnologische Studie (Stimmen aus Maria- Laach. Ergänzungsheft 58.) M^I,
146 S. gr. 8. Freiburg i. B., Herder'sche Verlagsh. n. 2Jf.
Ehrlieli^ A., Berühmte Geiger der Vergangenheit und Qegeni^art. Eine Sammlung
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Oeb. bar n. 5 Jf.
Ehrlich, H., Dreißig Jahre Künstlerleben. 416 u. VIII S. 8. Berlin, Hugo
Steinitz, Verlag, n. 6 UST, geb. n. 7 UJT 50 3^.
Engl, J. E., Studien über W. A. Mozart. [Aus XI. Jahresbericht des Mozarteums.]
23 S. gr. 8. Salzburg, Herrn. Kerber. Bar n. 50 ^.
Ernst, A., L'art de Richard Wagner. Voeuvre poetique 18. Paris, E. Plön,
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Esehmann, J. C, Wegweiser durch die Clayier-Litteratur. 4. Aufl. t. A. Buthardt.
XX, 282 S. 8. Leipzig, Gebrüder Hug und Co. Verlags-Conto. n. 1 uT 50 ^.
Eymieu, H., Etudes et biographies musicales. Suivies cCwi aperpi sur les origines
et rhannonisation du piain- chant par E. I>e8brau8ses et H. Efgtnieu.
Avec une priface par Auguste DorcFiain* XI, 181 p. 16. Paris, Savine. 2 fr.
Fazy, E., Louis IL et Richard Wagner. D' apres de documents irMits. Avee
une Version nouvelle sur la mort de Louis II. 18. Paris, Perrin et Cie.
3 fr. 60 c.
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HaHdbveh der musikalisehen Literatur oder Yerzeichniß der im deutschen Reiche
und in den angrenzenden Ländern erschienenen Musikalien, auch musikalischen
Schriften, Abbildungen und .'plastischen Darstellungen mit Anzeige der Verleger
und Preise. In alphabetischer Ordnung mit systematisch geordneter Über-
sicht. 10. Bd oder 7. Ergänzungsband. Die von Anfang 1886 bis Ende 1891
neu erschienenen und neu aufgelegten musikalischen Werke enthaltend. VIII,
CGLII, 947 S. gr. 40. Leipzig, Friedrich Hofmeister, n. 82 uT. [S. ob.
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S. 81—346. Qatersloh, Bertelsmann. 1891—1893. 8. [S. ob. Bd. VII, S. 684.]
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Beilage der Voßischen Ztg. 1893. Nr. 15 und 16.
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Vierteljahrsschrift«.) III, 416 S. gr. 8. Regensburg» A. Coppenrath, Verlag,
n. 5 uT. ' •
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heimers Buchhandlung, n. 80 ^.
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. Nr. 10, 11.
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Nr. 35, 36.
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29 und 30. 3..Bd S. 401—720. gr. 8. Gütersloh, C. Bertelsmann, ä Doppelliet
n. 2 ur. [S. ob. Bd. VIU, S. 548.]
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und Härtel. n. 12 JC, Band 1. Von Paris bis Rom. Band 2. Von Rom bis
Ende.
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ihrer Pfleger. Charakter - Studie. (Sanmilung pädagogischer Vorträge. Herausg.
von W. Meyer -Markau. V. Bd. 6. Heft.) 24 S. gr. 8. Bielefeld, A. Helmichs
Buohh. (H. Anders), n. 60 3jf.
452 Musikalische Bibliographie.
Mllitftr-llaslky die deutsche, auf der intematioDalen Ausstellung fdr Musik- und
Theaterwesen Wien 1892. Mit Bildern', 16 Lichtdruck -Tafeln mit 16 S. Er-
klärungen. 12. Berlin, Emil Prager's Buchhandlung. In Leinwand -Decke
n. 2 M,
Monats beriebt 9 musikalisch- litterarisoher, über neue Musikalien, musikalische
Schriften und Abbildungen für das Jahr 1893. Als Fortsetzung des Hand-
buchs der musikalischen Litteratur. 65. Jahrgang. 12 Nrn. gr. 8. (Nr. 1.) Leipzig,
Friedrich Hofmeister, n. 13 ulT, auf Schreibpapier n. 15 •#. Ausg. für das
Publicum n. 1 Ulf.
Musiker -Kalender, allgemeiner deutscher, für 1893. Ked. t. B. Wolff. 15. Jahrg.
XVI, 503 S. 16. Berlin, Raabe und Plothow (Max Eaabe). Geb. in Leinw.
n. 2 M.
MnBlk-Tascbenbncb* H. Kiemann: Erklärung der musikalischen Kunstausdrücke.
Kurzgefaßte Harmonielehre. Anleitung zum Studium der technischen Übungen.
Tabellen zur Musikgeschichte. O. Schwalm : Katechismus der Musik. Notiz-
blätter und Stundenconto. Führer durch die Edition Steingräber. 5. Aufl.
352 und XXXn S. 16. Leipzig, Steingräber Verlag. In Leinw. kart. n. 1 M.
Neijabrsblatt, 81., der allgemeinen Musikgesellschaft in Zürich. 1893. 40. Zürich,
Höhr und Fäsi. nn. 2 uf^ 20 «^. Hector Berlioz. Ein Pionier der Tonkunst.
Von O. Lüning. 26 S. mit Bildnis in Holzschnitt.
Nlcolal's O., Tagebücher nebst biographischen Ergänzungen. Herausg. Ton B.
Schröder. VU, 166 S. gr. 8. Leipzig, Breitkopf und Härtel. n. 3 uT, geb. n. 4ur.
Nietzsche, F., Le caa Waffner, Un prohleme mtmeal. Traduit par 2). HaUvy
et B. R. Dreyfw. 79 S. 8. Leipzig, C» G. Naumann, n. 1 Jf 60 Sjf,
OpltZy Paul, Kurze Geschichte des königlichen Domchors in Berlin. Zum fünfzig-
jährigen Jubiläum, Ostern 1893. Berlin, Druck von Hermann Blanke. 18. S. 8.
TarsifaZ. Pohne de Richard Wagner. Traduction de Judith Gautier» Paris.
Armand Colin 8f de. 8. 4 fr.
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Wagner* s nach ihren Grundlagen in Sage und Geschichte dargestellt. -VH,
394 S. 8. Berlin, Trowitzsch und Sohn. n. 5 Jf; geb. in Leinw. n. 6 Jf.
, a piain handbook io Richard Wagner's Ring of the Nibelung. Prelude, The
Reingold from the German by F. Speed, 34 S. 12, Berlin, Trowitzsch und
Sohn. n. 60 ^.
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et grav. Grand in 8, Paris, G. Fischbacher. 4 fr.
Biemann, H., Musik-Lexikon. 4. Aufl. (In 20 Lieferungen.) XI u. 1210 S. 8.
Leipzig, M. Hesse's Verlag. 10 •#.
, Opern-Handbuch. Repertorium der dramatisch-musikalischen Litteratur (Opern
Operetten, Ballette, Melodramen, Pantomimen, Oratorien, dramat. Kantaten etc.)
Ein notwendiges Supplement zu jedem Musiklexikon. IL Suppl. unter Mit-
wirkung von F. Stieger. S. 747—662, gr. 8. Leipzig, C. A. Koch's Verlags-
handlung ;J. Sengbusch), n. 2 •#. . .
Musikalische Bibliographie. 453
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Mowbothafn, J. F., The private life of the great eompoaers. 8. Londony Isbiater
and Co. 7 ah. 6 d,
Bubinsteüiy Anton, Erinnerungen aus 50 Jahren. 1839 — 1889. Aus dem Kussi-
schen von K Kretschmann. Berichtigte und TervoUständigte Ausgabe. V,
124 S. mit 5 Abbildungen und Bildnissen und 1 Faksimile. Leipzig, Bartholf
Senif. Bar n. 3 JK, geb. in Leinwand nn. 4 J^.
Schauerte^ BL, Die Akte der heiligen Musik. 31 S. 8. Paderborn, Junfermann's
Buchhandl. 60 ^.
Scherer^ C. , Gertrud Elisabeth Schmeling und ihre Beziehungen zu Rud. Erich
Raspe und Karl Matthaei. Ein Beitrag zur Lebensgeschichte der Künstlerin
in den Jahren 1766—1774. (Aus: »Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft«.)
29 S. gr. 8. Cassel, Beyschmidt's Hofbuchh. [S. ob. S. 99—127.]
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1893. 202 S. XL 8.
Spltta^ Ph., Die Passionsmusiken von Sebastian Bach und Heinrich Schütz. (Samm-
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R. Virchow und W. Wattenbach. Neue Folge. 176. Heft) 40 S. gr. 8. Ham-
burg, Verlagsanstalt und Druckerei, Actien-Gtesellschaft. n. 80 ^.
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Heft 3. S. 382—392.
, Ballade. In: Deutsche Rundschau, 19. Jahrgang, Heft 6, S. 420— 436 und
Heft 7, S. 30—47.
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Steliiy A., (H. Nietschmann) , Aus dem Reiche der Töne. Bilder aus dem Leben
unserer grossen Meister. VH, 204 S. gr. 8. Halle a. S., Buchhandlung des
Waisenhauses. 2 Jf AO 3^, geb. in Leinw. n. 3 ulf 10 ^.
Stiehl 9 G. , Katalog der Musik - Sammlung auf der Stadtbibliothek zu Lübeck.
Lübeck, Druck von Qebt. Borchers. 60 S. 4.
Sroboda^ A., Illustrirte Musikgeschichte mit Abbildungen von M. Frhm. v. Branco.
IL Bd. (In 10 Lieferungen.) Lief. 1, 2, 3, 4, 5. S. 1*-160. gr. 8. Stuttgart,
Carl Grüninger. k n. 50 4^. [S. ob. Bd. VHI, S. 550. ]
Unlyersal- Bibliothek für Musiklitteratur, begründet von J. Laurencic. Nr. 1 — 3.
8. Leipzig, Ernst Hedrich in Comm. n. 1 uff 20 ^. 1—3. Die 150jährige Ge-
schichte der Leipziger Gewandhau s-Koncerte 1743 — 1893. Von E. Kneschke.
4. Tausend. 160 S. mit Illustrationen.
Unter^teiner, A., Storia della musica. 8. Mailand^ U. Hoepli. 3 X.
Van der Siraetenj E.. Nos Periodiqitee musieaux. Oand, Zibrairie VayUteke,
1893. 84 S. 8.
YeneiehniSS der im Jahre 1892 erschienenen Musikalien und musikalischen Schriften
und Abbildungen mit Anzeige der Verleger und Preise. In alphabetischer
Ordnung nebst systematisch geordneter Übersicht. 41. Jahrg. oder 7. Reihe
1. Jahrg. Vn, CXLI, 424 S. gr. 8. Leipzig, Friedrich Hofmeister, bar n.
16 u(^, auf Schreibpapier n. 18 M.
Vie <fun compositeur moderne (Louis Niedermeyer) 1802 — 1861. Avec wie introd.
par C. de Saint- SaShe. Avec 2 portr.yun autogr. et 4 hiliograv. Petit in 4f^.
Paris, G. Fischbacher. 6 fr.
Waffner, Richard, La Walhfre. Expliquie par Charies GJellerup» Edition
francaise par M» 8. GoumovUch. Paris, H. L. Sondier. 1893. 2. Aufl.
1 fr. 50 e.
454 Musikalisehe Bibliographie.
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Wien, Carl Konegen. n. 60 ^,
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Künstlerbild. VII, 164 S. gr. 8 mit Bildniß. Leipzig, JuL Heinr. Zimmer-
mann, n. 3 Jf; geb. in Leinw. n. 4 Jf,
T« Weber, C. M., Ausgewählte Schriften. Herausg. von R. K.leinecke. (Universal-
Bibliothek Nr. 2981 , 2982.) 206 S. gr. 8. Leipzig, Ph. Reclam jun. Bar a
n. 20 ^.
Welt) Fromme's musikalische. Notiz-Kalender für das Jahr 1893. 18. Jahrg. Bed.
Ton Th. Helm. VIII, 365 S. 16. Geb. in Leinwand n. 3 uT 20 ^, Brieftaschen-
Ausgabe bar n. 4 •# 40 ^.
Wefltphal) K., Aristoxenos von Tarent. Melik und Rhythmik des classischen
Hellenenthums. IL Band. Berichtigter Originaltext nebst Prolegomena. Heraus-
gegeben von F. Saran. Leipzig, Ambr. Abel. 1893. 16, CCXL, 31 und
110 S. gr. 8.
WiUeby, C, Frederick Francois Chopin, 8. London, Low and Co. 10 sh, 6 d,
, Masters of English music. 8. London, Osgood and Co. 5 sh.
Zabel 9 E. , Anton Rubinstein. Ein Künstlerleben. 288 S. 8 mit Heliogravüre.
Leipzig, Bartholf Senff, n. 6 Jf; geb. in Leinwand nn. 7 Jf.
Zabii) J., Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder, aus den QueUen
geschöpft und mitgetheilt. Heft 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46 (Schluss .
5. Bd. S. 397 — 556. 6. Bd. 1—578. gr. 8. Gütersloh, C. Bertelsmana.
a Doppellieferung n. 2 uT. [S. ob. Bd. VIII, S. 551.]
Zelle^ F., Joh. Ph. Pörtsch, 3. Beitrag zur Geschichte der ältesten deutschen Oper.
Programm. 24 S. 4. Berlin, R. Gärtner's Verlag [H. Heyfelden). n. 1 Jf.
(S. ob. Bd. VII, S. 687.]
Zelter, Karl Friedrich, Einige Aufsätze. Mitgetheilt von Ernst Friediänder.
Sonntags-Beilage z. Voss.. Zeitung. 1893. Nr. 26, 27, 28.
n. Theorie.
Amelnng, W., Das genau temperirte Klavier. Praktische Anleitung zum Klavier-
stimmen nach anerkannter, auf den Regeln der Akustik beruhender Methode.
24 S. gr. 8. Langensalza, Hermann Beyer und Söhne, n. 40 «^.
AppuBil, A., Ein natürliches Harmoniesystem, mit besonderer Rflcksicht auf An-
wendung in der musikalischen Praxis, verbunden mit einer Anleitung zur Be-
handlung eines neu konstruirten Instrumentes und reiner Stimmung, ebne
Abänderung der gewöhnlichen Klaviatur. (Aus »Bericht der Wetterauiachen
Gesellschaft für die gesammte Naturkunde in Hanau. 1893.«) 32 S. gr. 8
mit Musikbeilage, 6 S. Leipzig, Gustav Fock, Verlags -Conto. Bar n.
Bayer, Ed., Metodo per Cetra. Parte la. 49. Trier. P. Ed. Hoenes. 2 l. 50 c.
Böttcher^ E., Populäre Harmonielehre in Unterrichtsbriefen. VI, 210 S. 8. Leip-
zig, C. A. Koch's Verlagshandlung (J. Sengbusch), n. 1 uff 80 S^.
Bnsfller^ L., Praktische Harmonielehre in 54 Aufgaben mit zahlreichen ausschließ-
lich in den Text gedruckten Muster-, Übungs- und Erläuterungs- Beispielen,
sowie Anführungen aus den Meisterwerken der Tonkunst für den Unterricht
Musikalische Bibliographie. 455
an öffentlichen Lehranstalten, den Privat- und Selbstunterricht systematisch-
methodisch dargestellt. 3. Aufl. X, 228 S. gr. 8. Berlin, Carl Habel. n. 4 Jl\
geb. in Schulband n. 4 uT 50 ^; in Halbfrzbd nn. 5 uT 50 ^.
Klayler und Klayiersplely das, sowie Mittheilungen und Vorschläge far Ankauf
und Instandhaltung der Klavierinstrumente. Entnommen aus Mittheilungen
Fachkundiger und eigenen Erfahrungen des Verfassers. 50 S. 12. Dresden,
Oskar Damm, Verlag, nn. 1 M.
Eitz^ C, Hundert geistliche Liedireisen in Tonsilben gesetzt. Eisleben, Selbst-
verlag. 1893. Nebst Flugblatt »Erläuterungen zu den Tonsilben von Carl
Eitz«. 24 und 4 S. 8.
Emsty E. , Die Gymnastik der Hand oder Vorschnle der Musik und der ver-
schiedenen Künste und Gewerbe. Ein nützliches Handbuch für Eltern , Er-
zieher, Musiklehrer, sowie eine Anleitung zur Behandlung des Händezitterns,
Schreibkrampfs und anderer HandübeL 2. Aufl. Xu, 53 S. 16. VHI, 203 S.
Leipzig, J. J. Weber, n. 1 M,
CterylnaSy Victorie, Naturgemäße Ausbildung in Gesang und Klavierspiel mit be-
sonderer Rücksicht auf gemeinschaftlichen Unterricht nebst einer Harmonie-
lehre und einer Sammlung von Liedern und Klavierstücken. Sonderabdruck:
Lieder. Fol. Leipzig, Breitkopf und HärteL n. 2 Jl,
Olrsehner^ O. , Allgemeine Musiklehre mit Rückblicken in die Geschichte der
Musik. Für Kunstjünger und gebildete Musikfreunde verfasst. 1. Theil ent-
haltend die Lehre von den allerersten Elementen der Musik und die Elementar-
formenlehre. Vlil, 133 S. gr. 8. Hannover, Louis Oertel, Musik -Verlag,
nn. 1 ufT 50 ^.
HAberly F. X., Magister choralis. Theoretisch -praktische Anweisung zum Ver-
ständnis und Vortrag des authentischen römischen Choralgesanges. 10. Aufl.
VI, 252 S. 8. Regensburg, Friedrich Pustet. Kart n. 1 uT 40 ^.
Helm, J., Die Formen der musikalischen Komposition in ihren Grundzügen syste-
matisch und leichtfaßlich dargestellt. 3. Aufl. VI, 128 S. gr. 8. Leipzig,
Andreas Deichert's Verlagsbuchh. Nachfolger (Georg Böhme), n. 4 •# 50 «^.
Herold) G., Die Kunst des Notenschreibens. Kurse praktische Anleitung richtig
und schön Noten schreiben zu lernen. Mit zahlreichen Notenbeispielen. 48 S.
4. Leipzig, Carl Merseburger. n. 1 uff.
^€i,das80hnf S.y Tratte cTharmonie. Traduit de TaUefnand par JE. Brahy. X,
278 S, gr. 8. Leipzig, Breitkopf und HärteL n, 4 M; geb. n. 5 Jf W Sjf.
Kadeii) R., Wie stüdirt man Musik? Nebst Anhang: Bericht über die pädago-
gische Musikschule. 26 S. gr. 8. Dresden , Conrad Weiske's Buchhandl. (Gg.
Schmidt), n. 40 ^.
Krause 9 £., Didaktisches für junge Musiker und Musikfreunde. Vermischte
Aufsätze. VII, 159 S. Lex.- 8. Hamburg, C. Boysen, Verlag, n. 3 jU,
KrosSy £., Die Kunst der Bogenführung. Praktisch -theoretische Anleitung zur
Ausbildung der Bogentechnik und zur Erlangung eines schönen Tons. Op. 40.
59 S. gr. 4. Heilbronn, C. F. Schmidt bar 4 uT 50 ^.
Lobe^ J. C, Katechismus der Musik. 20. Aufl. (Weber's illustrirte Katechismen
Nr. 4.) Vm, 144 S. 12. Leipzig, J. J. Weber. Geb. in Leinw. n. 1 uT 50 ^.
Piel) P., Harmonie-Lehre. Unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen
für das kirchliche Orgelspiel, zunächst für Lehrer ^Seminare bearbeitet und
herausgegeben. 3. Aufl. Op. 64. X, 338 S. gr. 8. Düsseldorf, L. Schwann.
Kart n. 3 uT 50 ^\ geb. nn. 4 uT.
Quinet, JE., Ce que dit la musique. 18, Paris, C. Levy, 3 fr, 60 e.
456 Musikalische Bibliographie.
Rambadiy A. , System einer Musik- Stenographie. 90 S. gr. 8. Zürich, Artist.
Institut, OreU Füssli, Verlag, n. 4 uT.
Richter, £. F. , Die praktischen Studien zur Theorie der Musik. 2. Bd. gr. 8.
Leipzig, Breitkopf und Härtel. n. 4 uT 50 ^; geb. n. 5 uT 70 ^; in Schulbd.
nn. 5 jK. 2. Lehrbuch des einfachen und doppelten Kontrapunkts. Praktische
Anleitung zu dem Studium desselben, zunächst für das Konservatorium der
Musik zu Leipzig. 8. Aufl. , bedeutend erweitert, vermehrt und ergänzt von
A. Richter. X, 241 S. [S. Bd. Vm, 8. 553.]
, Traiti complet de contrepoint. Traduit de V aüemand sur la 6. idtt. par
G. SandrS, VI, 230 S. gr. 8. Leipzig, Breitkopf und Härtel n. 4 M 80 ^.
, Tratado de annonia teörico y practica . Vertido al espanol por F. Pedreü.
La presente edicion contiene, adeftids, los ejercicios complementarios para el
estudio de la armonia practica, eacritos par el mistno. autar. VII, 246 S. gr. 8.
Leipzig, Breitkap/ und Härtel. n. 6 JK.
Riechers, A., Die Geige und ihr Bau. 36 S. gr. 8 mit 4 lith. Tafeln. Göttingen,
Frans Wunder. Kart. n. 2 JK.
MameUf J., I>art du pianiste. 18. Paris, J, Hetzel et de. 4 fr.
Sachs, W., Über die Klavierbegleitung zu Schtmiann's Frauenliebe und Leben.
(Op. 42.) Eine Yortragsanalyse. 15 S. 12. Straßburg, Ernst Ackermann in
Komm. 30 ^.
Sehneeberger, F., Kurse Stimmbildungslehre. 16 S. 8. Biel, F. Schneeberger.
n. 80 ^.
Scholz, R., Die Vortragskunst in der Musik, nebst specieller Berücksichtigung des
Violinvortrages. Katechismus für Lehrende und Lernende. III, 35 S. gr. 8.
Hannover, Louis Oertel, Musik -Verlag, nn. 1 Jf 2b ^.
Sebnbert, F. L., Die Violine. Ihr Wesen, ihre Bedeutung und Behandlung als
Solo- und Orchester- Instrument. 4. Aufl., vollständig umgearbeitet und mit
einem Litteratur- Anhange versehen von R. Hofmann. 124 S. 12. Leipzig,
Carl Merseburger. 90 ^.
Stolz, J., Allgemeine Musiklehre. (Mit besonderer Berücksichtigung für Klavier-
spieler.) IV, 113 autogr. S. kl. 4 mit 1 Tab. Graz, Hans Wagner in Komm.
n. 1 uT 20 ^.
, Die Verzierungsarten der Musik. 21 autogr. S. gr. 4. Graz , Hans Wagner
in Komm. n. 2 Jg.
Taylor, F., Die Elemente des Klavierspiels. Deutsche Ausgabe von M. Stegmayer.
2. Aufl. (Weber*8 illustrirte Katechismen Nr. 99.) 151 S. 12. Leipzig, J. J.
Weber. Geb. in Leinw. n. 2 JK.
Theory af ihe Nelo Keyboard tcith the Cooperation of Mr. Walter BradUy Keeier
edited by Emil K. Winkler* (In use at the Paul von Janko Consercatory of
Music, New York.) Fol Leipzig, Breitkopf and Härtel. 1 Jf.
Thürllngs, A., Der Musikdruck mit beweglichen Metalltypen im 16. Jahrhundert
und die Musikdrucke des Mathias Apiarius in Strassburg und Bern. 32 S.
gr. 8 mit Facsimiles. Leipzig, Breitkopf und Härtel. n. 1 Jf. (S. Vierteljahrs-
schrift für Musikw., Jahrg. 1892, S. 389 ff.
T. WaslelewBki, W. J., Die Violine und ihre Meister. 3. Ausg., XU, 581 S. gr. 8
mit Abbildungen, n. 9 JK; geb. in Leinw. n. 10 Uff 50 ^.
Widmanii, B. , Generalbass- Übungen nebst kurzen Erläuterungen. Eine Zugabe
zu jeder Harmonielehre, systematisch geordnet. 5. Aufl., VI, 91 S. Lex. -8.
Leipzig, C. Merseburger. 2 Uf 25 ^.
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Zellner^ L. A., Vorträge über Orgelbau. Gehalten am Conservatorium der Ge-
sellschaft der Musikfreunde su Wien. 'Mit 65 Abbildungen im Texte, 2
Notenbeispielen und 3 Beilagen. VII, 14S S. gr. 8. Wien, A. Hartleben's
Verlag, n. 4 UT; geb. n. 5 uT 40 ^.
Zlminery F., Elementar -Musiklehre. Enthaltend das Wissensnötige fOr jeden
Musiktreibenden. III. Heft gr. 8. Quedlinburg, Chr. Friedr. Vieweg's Buchh.
n. 1 Uff 50 «^. Organik, musikalische Formenlehre und Abriß der geschicht-
lichen Entwickelung der abendländischen Musik', insonderheit des evange-
lisohen Kirehengesanges. 8. Aufl., IV, 126 S. mit Hokschn. [S. ob. Bd. VII,
S. 689.]
, Orgelschule. Theoretisch-praktische Anleitung ssur Erlernung des kirchlichen
Orgelspiels. 1. Theil. Unterstufe. 4. Aufl. 4®. Quedlinburg, Chr. Friedr.
Vieweg's Buchh. 1 Jf bO £^.
m. Ästhetik. Physikalisohes.
CombarieUf Jules, Lee rapports de la musique et de la poesie, cofisiderdes au
point de vue de Texpression, Paris, Felix Alcan. 1893. XXVII und 523 S. 8.
QottkMy F., Das Wesen der Musik. 54 S. gr. 8. Bonn, Friedrich Cohen,
n. 1 tJf,
JETugonnet, P., La musique et la pantomime. Avec ill. et facsimüi, 16. Parts,
E. Kolb. 4 fr.
Lonls^ R., Der Widerspruch in der Musik. Bausteine su einer Ästhetik der Ton-
kunst auf real-dialektischer Grundlage. VIII, 115 S. gr. S. Leipsig, Breitkopf
und Härtel. n. 2 uT 50 Sjf,
Schauerte f jET., De musices sacrae justitia. 44 S, gr. 8. Paderborn, Junf er-
mannte Buchh. n. 60 ^.
, Wesen der heiligen Musik. 22 S. 8. Paderborn, Junfermann's Buchhandl.
n. 50 ^.
Schimmelbascliy £. W., Im Geiste Richard Wagner's. Studien und E.ritiken zur
Ethik und Ästhetik deutscher Gegenwart. II , gr. 8. Würsburg, Ballhom
und Cramer, Verlagsbuchhandlung, n. 1 Jf. II. Dichter und Dichtung des
Musikdramas £.unihild. Studien und Kritiken von G. Beck, H. Ritter,
B. Wörnhecke und dem Herausg. 63 S.
Seliinltz^ A. A., Die CV^moU-Sonate ^quasi una Fantasiaa, Op. 27, Nr. 2 Yon L. v.
Beethoven. Ein Tongemälde oder Tongedicht, erklärt. 31 und 6 S. Musik-
beilage gr. 8. Remscheid, Gottl. Schmidt in Komm. n. 1 .^ 75 ^.
Thlbaut) A. F. J., Über Reinheit der Tonkunst. 7. Ausg. Mit dem Vorwort von
K. Ch. W. F. Bahr zur 3. Ausg., XV, 100 S. gr. 8. Freiburg i. B., J. C. B.
Mohr (Paul Siebeck), n. 1 Jf; Einbd. n. 80 ^.
IV. Ausgaben von Tonwerken.
Bach) J. S., Werke. Jahrgang XL. Gesammelte Choralvorspiele imd Choralvariati-
onen. FoL Leipzig, Breitkopf und Härtel. [S. ob. Bd. VIII, S. 555.]
, Werke für Gesang. Gesammtau sgabe für den praktischen Gebrauch. Voll-
ständiger Klavierauszug, gr. 8. I. Kirchen-Kantaten. Lief. 71, 72, 73, 74,
75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82—89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100,
101, 102. Leipzig, Breitkopf und Härtel. ä n. 1 uT 50 ^. [S. ob. Bd. VIH,
8. 555.]
458 Musikalische Bibliographie.
Bacli) J. S., Werke für Gesang. IL Motetten. Nr. 1. Singet dem Herrn ein
neues Lied. 1 uT 50 ^. Nr. 2. Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf.
1 M 50^. Nr. 3. Jesu, meine Freude. 1 uT 50 ^. Nr. 4. Fürchte dich
nicht, ich bin bei dir. 1 uff 50 ^.
^ Werke fürs Orchester. Nr. 3. Ouvertüre Ddur. 10 Stimmenhefte je 30 3jf.
3 uSr. Nr. 4. Ouvertüre i)dur. 12 Stimmenhefte je 30 ^. 3 uT 60 ^. Nr. 6.
Concert i^dur. 10 Stimmenhefte je 30 ^. 3 Jl, Nr. 7. Concert in &dur
10 Stimmenhefte je 30 ^. 3 ulf. Nr. 8. Concert in 6^dur. 9 Stimmenhefte
je 30 ^. 2 UT 70 ^. Nr. 9. Concert in J^dur. 6 Stimmenhefte je 30 ^.
1 ur 80 ^. [S. ob. Bd. Vm, S. 555.]
CoUecHofn complite des Oeuvres de Gri^try^ publie pttr le Gouvernement beige.
Livr. XIIL Zemire ei Azar, Comedie Ballet en quatres actes. FoL Leipsig,
Breitkopf und Härtel. 16 Jg, [S. ob. Bd. VIII, S. 555.]
Erky L., Deutscher Liederhort. Auswahl der vorzüglicheren deutschen Volkslieder
nach Wort und Weise aus der Vorzeit und Gegenwart gesaxmnelt und er-
läutert. Im Auftrag und mit Unterstützung der königl. preuss. Regierung
nach Erk's handschriftlichem Nachlass und auf Grund eigener Sammlungen neu-
bearbeitet und fortgesetzt von F. M. B5]ime* (In 3 Bdn.J Lief. 1, 2, 3. (Bd. U
S. 1—192.) gr. 8. Leipzig, Breitkopf und Härtel. k n. 1 Jf.
Militärmftrseke 9 Altpreußische, aus dem Musikarchiv der königlichen Haus-
bibliothek in Berlin. Ausgabe für Klavier von G. ThaureU FöL Leipzig,
Breitkopf und Härtel. 3 Jf.
Mozart's Werke. Kritische Gesammtausgabe. Serie XXIV. (Supplement Nr. 5S.
Zwölf Duette für 2 Bassethömer. Nr. 59. Skizze zum Quintett für Pianoforte,
Oboe, Klarinette, Hörn und Fagott. Nr. 60. Sonate für 2 Klaviere. Fragment.
Palestrina's Werke. Kritisch durchgesehene Gesammtausgabe. Partitur. Bd.XXXlL
3. Nachtrag zur Gesammtausgabe. Fol. Leipzig, Breitkopf und HärteL Ib Jf,
[S. ob. Bd. vm, S. 556.]
Pnblikatloii älterer, praktischer und theoretischer Musikwerke, vorzugsweise des
XV. und XVI. Jahrhunderts. Herausgegeben von der Gesellschaft für Musik-
forschung. Jahrgang XXI, Band XVIH. 2. Hälfte. Die Oper. 5. Theil.
R. K eiser, Der lächerliche Prinz Jodelet. 2. und 3. Handlung. FoL Leip-
zig, Breitkopf und Härtel. 15 uJf. [S. ob. Bd. VIH, S. 556.]
Sl^erhoniy P. , Universal -Choralbuch. Enthaltend die Melodien in der vom
königl. Konsistorium der Provinz Brandenburg festgesetzten Form in mehr-
facher Bearbeitung, nebst 3000 Strophenzwischenspielen und 700 Orgelpunkten.
H, 328 S. qu. gr. 40. Berlin, Carl Ulrich und Co. Verlag, in Komm. nn. 15 JK.
Schubert's Werke. Kritische Gesammtausgabe. Serie XVI. Für Männerchor.
Partitur. Einzelausgabe a) mit Begleitung von Streich- oder Blas-Instrumenten.
Fol. Leipzig, Breitkopf und Härtel. Nr. 1. Nachtgesang im Walde. Op. 139.
n. 1 uir 5 ^. Nr. 2. Hymne. Op. 154. n. 1 uT 20 ^. Nr. 3. Gesang der
Geister über den Wassern. Op. 167. 1 uT 50 ^. [S. ob. Bd. VIII, S. 556.]
Nr. 4. Das Dörfchen. Op. 11, Nr. 1. n. 90 ^. Nr. 5. Die Nachtigall. Op. 11,
Nr. 2. n. 90 £^. Nr. 6. Geist der Liebe. Op. 11. Nr. 3. nn. 70 ^. Nr. 7.
FrühHngsgesang. Op. 16, Nr. 1. n. 1 JK b ^. Nr. 8. Naturgenuß. Op. 16,
Nr. 2. n. 75 £^. Nr. 9. Der Gondelfahrer. Op. 28. 75 S^. Nr. 10. Boot-
gesang. Op. 52, Nr. 3. 30 ^. Nr. 11. Zur guten Nacht. Op. 81, Nr. 3.
30 ^. Nr. 12. Widerspruch. Op. 106, Nr. 1. 60 ^.
Musikalische Bibliographie. 459
Sehabert's Werke. Serie XVI. b) Ohne Begleitung. Nr. 20—23. Vier Gesänge.
Op. 17. 60 ^. Nr. 24 — 26. Drei Gesänge. Op. 64. 1 uT 20 3^. Nr. 27.
Mondenschein. Op. 102. 60 ^. Nr. 28. Schlaehtlied. Op. 151. 75 ^. Nr. 29.
Trinklied. Op. 155. 45 ^. Nr. 30. Nachtmusik. Op. 156. 45 ^. Nr. 31.
FrQhlingsgesang. 60 3jl, Nr. 32. Der Geistertanz. 30 Sjf. Nr. 33. Gesang der
Geister über den Wassern. 60 3jf. Nr. 34. Lied im Freien. 60 3^. Nr. 35.
Sehnsucht 30 ^. Nr. 36. Ruhe, schönstes Glück der Erde. 45 3jl. Nr. 37.
Wein und Liebe. 45 3jf, Nr. 38. Der Entfernten. 30 3jl, Nr. 39. Die Ein-
siedelei. 30 3jf. Nr. 40. An den Frühling. 30 Sjf, Nr. 41. Grab und Mond.
30 3jf, Nr. 42. Hymne: Komm, heil'ger Geist. 75 ^.
, Serie XVU. Für gemischten Chor. Vollständige Partitur. 3 Bde. n. 19 •#•
Dramatische Musik:
, Serie XV. Band V. Alfonso u. Estrella. Part. n. 40 Jl.
, Band VU. 32 UT.
, Einselne Ouvertüren in Partitur. Der yierjährige Posten. Singspiel 2 uff
10 ^. Die beiden Freunde von Salamanka. Singspiel. 2 •# 10 ^. Die
beiden Zwillingsbrüder. Singspiel. 1 uff 35 ^. Musik zum Zauberspiel: Die
Zauberharfe. 4 ulf 80 ^. Musik lum Schauspiel: Bosamunde. 2 Uf 70 ^.
Claudine von ViUa Bella. SingspieL 1 uT 95 ^.
, Serie V. Quartette für Streichinstrumente. Einzelausgabe. Partitur. Nr. 1.
Quartett. 1 uT 5 ^. Nr. 2. Cdur. 90 ^. Nr. 3. Jdur. 1 uT 65 ^. Nr. 4.
Cdur. 1 ufT 50 ^. Nr. 5. J?dur. 1 Uf 65 ^. Nr. 6. -Ddur. 1 uT 95 ^Jr.
Nr. 7. Ddur. 1 Uf 50 ^. Nr. 8. J?dur. Op. 168. 1 uT 80 ^. Nr. 9. ÖmoU.
1 uT 65 ^. Nr. 10. Quartette. Op. 125, Nr. 1. 1 uT 65. Nr. 11. Quartett -B.
Op. 125, Nr. 2. 1 uT 65 ^. Nr. 12. Quartett CmoU. 90 Sjl. Nr. 13. Quartett
^molL Op. 29. 2 uT 10 ^. Nr. 14. Quartett Dmoll. 3 Jf. Nr. 15. Quartett G.
Op. 161. 3 Jf.
, Revisionsbericht. Serie X. Sonaten für Pianoforte, herausg. von J.Epstein
und E. Mandyssewski. Gr. 8. 1 Uf 50 Sjf.
Schlitz^ Heinrich, Sämmtliche Werke. Herausgegeben von Philipp Spitta-
Band XHI, XIV, XV. Gesammelte Motetten, Concerte, Madrigale und Arien-
2., 3. und 4. Abtheilung. Fol. Leipzig, Breitkopf und HärteL [S. ob. Band
Vm, S. 557.]
Werke^ musikalische, der Kaiser Ferdinand IH. , Leopold I. und Joseph L , her.
ausgegeben von G. Adler. Band 2. Gesänge aus Oratorien und Opern.
Instrumentalkompositionen. FoL Leipzig, Breitkopf und HärteL 10 •#.
[S. ob. Band VHI, S. 567.]
WUlloery F., Chorübungen der Münchner Musikschule. Neue Folge. Muster-
sammlung 5- bis 16 stimmiger Gesänge aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert.
Partitur. 137 S. 40. München, Theodor Ackermann, Verlagsconto. n. 6 uff.
, dasselbe, 4 Stimmen, hoch40. Bar ä 1 uT 50 Sjf, Sopran I und II, 40 S.
— Alt I und II, 40 S. — Tenor I und 11, 13 S. — Basso I und II, 39 S.
Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie von 1893.
(S. Jahrg. VIII, S. 559.)
Antiquarische Kataloge.
Ackermann, Theod., Manchen, Promenadeplats 10. — Kat. Nc 397. Enthalt
862 literarische Werke aus allen Fächern der Musik meist neuerer Zeit.
Baer & Co.» Frankfurt a. M., Kossmarkt 18. — Nr. 317. Die klassische Periode
der deutschen Literatur mit einem Anhange: Die Romantiker.
BertUng, B., Dresden-A.» Victoriastrasse 6. — Katalog Nr. 21. Seltene Drucke
aus dem 16., 17., 18. Jahrhundert.
Qilliofer & BauBOhburg, Wien I, Bognergasse 2. — Anzeiger Nr. 25 (III. Serie
Nr. 1) des antiquarischen Bücherladens. — Katalog Nr. 42. Curiosa. Kultur-
geschichte. Kunst. Literatur.
G. Hess & Co., München, Arcostr. 1. — Katalog Nr. VI, enthaltend ein Hjmnen-
buch etc.
Kirohhoff & Wigand, Leipzig, Marienstrasse 19. — Musikwissenschaft. Katalog
Nr. 915.
IiOBser, Heinrich, Breslau, Neue Tas chenstrasse 21. — Katalog Nr. 253. Theater,
Musik.
lilpmannsBohn, Leo, Antiquariat Berlin W., Charlottenstrasse 63. — Katalog Nr. 101.
Musikliteratur nebst Vokal- und Instrumentalmusik. — Katalog Nr. 102.
Musiker- Autographen. — Nr. 98. 185 Werke aus allen Fächern der Musik
und Schriftstellerei. — Nr. 99. Autographen aus allen Fächern. — Nr. 100.
Werke zur Geschichte und Theorie der Musik, nebst einigen seltenen alten
Musikdrucken. — Nr. 103. Musikliteratur nebst Vokal- und Instrumentalmusik.
liissa, Georg, Buchhandlung und Antiquariat. Berlin W., Kronenstrasse 64. —
13. Lager-Katalog. Seltene und interessante Bücher aus allen Fächern.
liiet & Franke, Leipzig, Universitätsstrasse 13. — Nr. 248. Verzeiehniss einer
werthyoUen Sammlung theoretischer Werke über Musik, nebst einem Anbange
von Schriften über das Theater. — Nr. 245. Biographien, Memoiren, Brief-
wechsel 1893.
Mirauer & Salinger, Antiquariats- und Sortiments-Buchhandlung. Berlin NW 6,
Charit^str. 3. — Antiquariats-Katalog Nr. 22. Deutsche Sprache und Literatur.
Illustrierte Werke. Musik.
Vyt, Camille. Gent. Catalogue de la hibliotheque de feu M. K. L. 216 meist
niederländische Werke.
Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie. 461
Grössere Kritiken ersohienen in Musikseitungen vom Oktober 1898 bis
Besember 1898 über folgende Werke:
(Die römischen Ziffern bedeuten den Jahrgang der Zeitschrift,
die arabischen die Nummer.)
Bdhmey E. E. H., Die Geschichte der Musik. (Schweizerische Musik^eitung
XXXni, 1.)
Boltey Johannes, Die Singspiele der englischen Komedianten und ihrer Nachfolger
in Deutschland, Holland und Skandinavien. (Signale LI, 53.)
Chamberlaliiy Houston Stewart, Das Drama R. Wagner's. (Neue Zeitschrift für
Musik LX, 8. 9.)
Ehrlich, Heinrich, »30 Jahre Künstlerleben «. (Neue Berliner Musikzeitung XLVII,
10; Neue Musikzeitung XIV, 6.)
Ehrlich, A., Berühmte Geiger der Vergangenheit und Gegenwart. (Musikalisches
Wochenblatt XXIV, 19; Signale LI, 16; Schweizerische Musikzeitung XXXIU,
10; Musikalische Rundschau VIII, 2; Zeitschrift für Instrumentenbau XIII, 11.)
Engelke, Leopold, Neues System der Musik-Schrift. (Signale LI, 41; Schweizerische
Musikzeitung XXXIU, 14; Neue Musikzeitung XIV, 13.)
Gade, Dagmar, Niels W. Gade. (Musikalische Rundschau XIII, 19.)
€K)ldsch]iiidt, Hugo, Der Vokalismus des neuhochdeutschen Kunstgesanges und
der Bühnensprache. (Allgemeine Musikzeitung XX, 14.)
HinterBteiner, Jacques, Physiologische Gesangschule. (Musikalisches Wochen-
blatt XXIV, 1.)
Jadassohn, S., Allgemeine Musiklehre. (Neue Zeitschrift für Musik LX, 29.)
Klauwell, Otto, Musikalische Gesichtspunkte. (Neue Musikzeitung XIV, 3.)
Kneschke, Emil, Hundertfünfzigjährige Geschichte der Leipziger Gewandhaus-
konzerte 1743 — 1893. (Allgemeine Musikzeitung XX, 36; Signale LI, 47;
Schweizerische Musikzeitung XXXm, 18; Neue Zeitschrift für Musik LX, 42.)
Kretschmann, Eduard, Anton Rubinstein's Erinnerungen. (Signale LI, 18; Musi-
kalische Rundschau VIH, 8.)
La Mara, Musikerbriefe aus fünf Jahrhunderten. (Musikalisches Wochenblatt
XXIV, 41.)
, Franz Liszt's Briefe, (Neue Zeitschrift für Musik LX, 37.)
Merten, Friedrich, Harmonische Klangbildung nach dem Grundakkord gebildet
und erklärt. (Neue Zeitschrift für Musik LX, 4.)
Mlchalitschke , Ein Monochord mit spiralförmigem Stäge zur Darstellung der
pythagoräischen, der physikalischen und der gleichschwebend-tempärirten Ton-
intervalle. (Allgemeine Musikzeitung XX, 45.)
ICeltzel, Otto, Der Führer durch die Oper des Theaters der Gegenwart. (Signale
LI, 42; Musikalische Rundschau XIII, 20.)
Ifeitzel u. Chop, Zwei neue Wagnerführer. (Allgemeine Musikzeitung XX, 34/35 ;
Schweizerische Musikzeitung XXXIU, 16; Musikalische Rundschau VIH, 18;
Gazetta musicale XL VIH, Nr. 29.)
Pfohl, Ferd., Höllenbreughel als Erzieher. (Musikalisches Wochenblatt XXIV, 15.)
Praeger, Ferdinand, Wagner, wie ich ihn kannte. (Musikalisches Wochenblatt
XXIV, 22; Schweizerische Musikzeitung XXXIU, 8.)
Puder, Heinrich, Wiedergeburt in der Musik! (Schweizerische Musikzeitung
XXXIII, 1; Neue Zeitschrift für Musik LX, 14.)
Bieehers, August, Die Geige und ihr Bau. (Zeitschrift für Musikinstrumenten-
bau XIII, 29.)
Budolf, Louis, Der Widerspruch in der Musik. (Signale LI, 28.)
1893. 31
4Q2 Nachtrag zur Mu^kalischen Bibliographie.
Sehmitty Hans, Eine neue Notenschrift (Musikalische Bundschau VIII, 11. 12.}
SchrSder^ B., Otto Nicolai's Tagebücher. (Allgemeine Musikzeitung XX, 25;
Signale II, 11 ; Schweizerische Musikzeitung XXXIII, 7.)
SehlltZf Alfred, Die Geheimnisse der Tonkunst. (Neue Zeitschrift fQr Musik
LX, 10.)
Schnmamiy Robert, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. (Neue Zeit-
schrift für Musik LX, 2.)
Seldly Arthur, Über musikalische Erziehung. (Allgemeine Musikzeitung XX, 21/22;
Musikalische Kundschau VIII, 19.)
Souhies et Malherbe, HUtoire de fOp^a comique^ (Signale LI, 10.)
Thibanty Anton Fr. Just., Über die Reinheit der Tonkunst (Musikalische Rund-
schau Vin. 9.)
Waslelewskiy W. Jos. vod, Geschichte der Instrumentalmusik im XVI. Jahrhundert
(Zeitschrift für Instrumentenbau XUI, 16.)
Zabel) Eugen, Anton Rubinstein. (Signale LI, 16.)
Zellner, L. A., Vorträge über Orgelbau. (Signale LI, 36.)
Auszüge aus MuBikzzeitungen.
Allgemeine Musik -Zeitung. Red. O. Lessmann. Charlottenburg -Berlin. —
XX. Nr. 1. Zum fünfzigsten Jahrestage der ersten Aufführung des »Fliegenden
Holländers« von Richard Wagner. Von Albert Heintz. (Schluss in Nr. 2). —
Nr. 3. Borodin's II. Sinfonie. Von Felix Weingartner. — »Die Hexe« von
Aug. Enna. Von O. Lessmann. — Nr. 4. Berliner Theaterbauten. Von
O. Bie. (Schluss in Nr. 5.) — Nr. 6. Ein bisher ungedrucktes Stückchen
»Lohengrin«. Von A. Naubert. — Richard Wagner 's Mutter und sein Stiefvater
Ludwig Geyer. Von A. Heintz. — Nr. 7. »Franciscus« von Edgar Tinel.
Von S. Ochs. — Nr. 8. Wie soll der Trauermarsch aus der »Götterdämmerung«
im Konzertsaal beginnen? Von A. Heintz. — Beethoven's »Wasserträger«.
Von A. Kopfermann. — Nr. 9. »Romeo und Julie« von H. Berlioz. Von
F. Weingartner. — »Die Rantzau«. Oper von P. Mascagni. Von H. Reimann. —
Nr. 10. Wegweiser durch die Motivenwelt der Musik zu Richard Wagner's
Tetralogie: »Der Ring des Nibelungen« IV. Von A. Heintz. (Mit Fortsetzungen
bis Nr. 46.) — König Ludwig II. von Bayern und Richard Wagner. —
Nr. 14. Zweiter Beitrag zur Lukas-Passions-Forschung. Von B. Ziehn. (Mit
Fortsetzungen bis Nr. 18.) — Die kgl. Sammlung alter Musik-Instrumente zu
^ Berlin und ihre Bedeutung für die deutsche Instrumentenindustrie. Von M.
Seiffert. — Neue Kompositionen von Eugen d' Albert. Von H. Reimann
(Schluss in Nr. 15.) — Nr. 17. »Unter Räubern«. Oper. »Die Rebe« Ballet
von Rubinstein. Von O. Lessmann. — Nr. 18. Die kgl. Musikinstrumenten-
sammlung in Berlin. Von O. Bie. (Mit Fortsetzungen bis Nr. 22.) — Musik
in Paris. Von Max Seiffert. (Fortsetzungen Nr. 20—23.) — Nr. 20. Wagner-
Vorträge in Berlin. — Nr. 21/22. Francesca da Rimini. Von H. Reimann. —
Wanderers Sturmlied von Richard Strauss. Von S. Ochs. — Ein Jugend-
porträt Franz Liszt's. Von O. Lessmann. — Franz Liszt's sinfonische Dich-
tungen. Von A. Hahn. — Zur XXIX Tonkünstler-Versammlung in München.
Von O. Lessmann. (Fortsetzungen bis Nr. 24.) — Nr. 23. »Falstaff« von Verdi. —
»Die Kinder der Halde« von Rubinstein. Von 0. Lessmann. — Nr. 24. »Die
Perlenfischer« von Georges Bizet. Von O. Lessmann. — Nr. 25. Klassische
Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie. 463
Konzerte zu Rom 1892—93. Von R. Wichmann. — Nr. 26. Friedrich Sme-
tana und seine Oper: »Die verkaufte Braut«. Von H. Dütschke. — »Der
Zigeuner«. Oper von Richard Stiebitz. Von O. Lessmann. — Nr. 30/31.
Musikinstrumente aus deutscher Urzeit Von Oskar Fleischer. (Schluss in
Nr. 32, 33.) Richard Wagner's Briefe an Anton Apt. Von R. Batka. (Mit
Fortsetzungen.) — Ein neues Buch Hausegger's. Von O. Bie. (Schluss in
Nr. 32/33.) — Denkmäler deutscher Tonkunst, 1. Band. Samuel Scheidt,
Tabulatura Nova 1624. Von M. Seiffert. — Nr. 32/33. Richard Wagner
und die 48 er Revolution. Von O. Bie. (Schluss in Nr. 34/35.) — Die Fest-
aufführungen in Gotha. — »Der Schmied von Gretna-Green«. Oper von Johannes
Doebber. Von M. Seiffert. — Nr. 34/35. Die Wagner- Aufführungen in
München. Von O. Lessmann. — Nr. 36. Der evangelische Kirchenrath und
die liturgische Forschung. Von M. Seiffert. — Nr. 37. Eine »klassische«
Liedfälschung. Von H. Reimann. — Liszt und Friedrich Smetana. Von
O. Payer. — Nr. 38. München und Wagner früher und jetzt. — William
George Cusins. — Nr. 39. Dr. Shohe Tanaka's syntonisch reingestimmte Orgel.
Von M. Seiffert. — »Mataswintha«, Oper von X. Scharwenka. Von H. Dütschke.
— Nr. 40. Zum Kapitel von den »Entlehnungen«. Von H. Reimann. (Forts,
bis Nr. 42.) — Nr. 42. »Der Rubin«. Musikalisches Märchen von Eugen d'
Albert. — Nr. 43. »Hagbart und Signer<. Musikdrama von Richard Metzdorff.
Von R. Sahla. — Charles Gounod. — Das Haus Schott. Von M. Seiffert. —
Nr. 45. Das 40 jährige Jubiläum der Pianoforte-Fabrik von Julius Blüthner
in Leipzig. — Nr. 47. Berlioz's » Harold in Italien «. — Nr. 49. C. Loewe's
»Der Neck«. Von A. U. Harzen-Müller. (Mit Forts.)
Der Chorgesang. Herausg. A. Gottsohalg, Leipzig. — IX. Nr. 1. Beethoven
über die Ausführungen von Klaviermusik. Von Max Arend. (Schluss in
Nr. 2.) — Nr. 2. Josef Diem. — Nr. 3. E. Kremser. — Nr. 4. Carl Rorich. —
Wie man den Verfall der Gesangskunst verhindern könnte. Von Lamperti.
(Schluss in Nr. 5.) — Nr. 5. W. L. Blumenschein. Von A. Kapell. —
Deutsohe Kunst- und Musik - Zeitung. Adolf Eobitschek. Wien. XX.
Nr. 1. Ellen Forster -Brandt. Von O. Keller. — üngedruckte Briefe von
Franz Liszt. Von R. Heuberger. (Schluss in Nr. 2.) — Nr. 2. »Die Rantzau«,
Oper von P. Mascagni. — »Fürstin Ninetta«, Operette von J. Strauss. —
Nr. 3. Neue Beethovenstudien. Von Th. v. Frimmel. (Schluss in Nr. 6.) —
Nr. 4. Die Gesangs -Phrasirungsausgaben von Dr. Hugo Riemann. — Nr. 7.
Haydn's Wohn- und Sterbehaus in Wien. — Nr, 8. »Die (verkaufte Braut«.
Oper von Smetana. — Nr. 9. » Der Cid «, Lyrisches Drama von Peter Cor-
nelius. (Forts. 10, 11.) — Nr. 10. Johannes Brahms. — Nr. 11. »Cornill
Schyt«. Oper von Smareglia. Von Fanta. — »Falstaff« von G. Verdi. —
Nr. 12. Die italienische Stagione im Theater a. d. Wien. (Schluss in Nr. 14.) —
Nr. 13. Ein Brief von Moritz Hauptmann an Schnyder von Wartensee. — Nr. 14.
Josef Forster, — Herzog Ernst IL von Sachsen-Coburg-Gotha. Von Keller. —
Nr. 18. August Labitzky. — Verdi's, »Falstaff«. — Die Enthüllungsfeier des
ersten Denkmales für Franz Liszt in Ödenburg. — Nr. 22. Peter v. Tschai-
kowsky. Von O. Keller. —
Qazetta musioale di Milane. Ricordi. XLVIII. Nr. i. »Cristoforo Colomboytn
di Alberto Franchetti, Di C. RicordL — Prospetto deüe Opere nuove italiane
rapressentate neW anno 189'J, Di Q. Albinati. — Nr, 3. ^La Loreley^ di Ca-
taktni, — Nr. 4. H conto corale neue scuole. Di Mantovani, — Nr. ö. Wagner
e la psichiatria. Di A. G. Biahchi. (Continuaz. e fine Nr. lO.J — Nr. 6.
Manon Lescaut di G. Puccini. Di Soffredini. — H Goldoni e la mttsica. —
31*
4g4 Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie.
Nr. 7. i^FdUtaffvi di G. Verdi, — Giovanni Strauss e la musica da hallo. Di
A. Untersteiner, (Fine Nr, 8.) — Nr, 9, La Wally di Alfredo Catalant ad
Amhurgo. -r- Nr, 10, II fenomeno psicologico di Verdi. — Nr. 11, Psicologia
deUa danza. Di L, A, Villanis, (Fine Nr. 16,) — Nr, 12, II destino deüa
musiea. Di G. Mogavero, — Frederieo Hegar. Di P. Florinda. — Nr, 13.
Musica Chinese in San Fraficisco, Di B, A, Look. — Nr, 14, La musica
italiana alT estero,' — Nr, lö. «11 Falstaff« di Verdi. — La musica a Firenze.
— Nr. 16. »II piccolo Haydn«^ di Soffredini, — Nr. 17^ L*arte degli organi
in Venezia. D. F, Molmenti, — Nr, 18, Lettere di Germania. Di A. JJnier'
steiner. — Ricordo di amicizia aüa memoria di Giovanni Bimboni. — Nr. 19.
Giuseppe Zarlino. Di G. Tebaldini. — Nr. 22. Tartini. Di P. Molmenti, —
Nr. 23. La ßlosoßa di Mazzini. Di V. Fedeli, (Coniinuaz, Nr, 31,) —
Egmont e Ruine di Atene di Beethoven. Di I, Valetta. — Nr. 24. —
Nr. 26. L'epistolario di Francesco Liszt, Di A. Unter steiner, — Nr. 26,
L America in Milano, — Lopera huffa napolettafia. Di M, Virgilio, (Con-
tin. Nr. 27, 29.) — I musicisti bresdani, Di P, Molmenti. — Nr. 27, Goethe e
Boito, Di G. Mogavero. — Origini delP Opera in Francia. {Fine Nr. 29.) —
Gretry. — Nr. 28. Tre letture sopra il uFalstaff^ di Verdi, A. C. Macken-
zie. (line Nr. 36.) — Nr. 29. R. Conservatorio di musica in Milano, — Nr, 30.
F. Fo7itana, Di A. Ghislanzoni. — A commemorazione di S. GolineUi. — Ar. 32.
Apollo Geloso. Di C. Ricci. — A Proposito delT estetica del libretto musicale.
Di C, Albertini, — Nr. 33. Alfredo Catalani. Di Soffredini. — A proposito
del concorso per la canzone piemontese. Di L. A. Villanis. — Nr. 37. Note
piü o meno wagneriane. Di P. Florida. — Nr. 36, GH ambasciatori stranieri
nei teatri veneziani. Di P. Molmenti. — Nr. 37, Süll 'antica scuola veneia.
Di G, Tebaldi7ii. (Fine Nr. 38.) — Nr. 38. La messa a 6 voci di Edgar Tinel.
Di G. Tebaldini, — Nr, 39. Arte democratica, Di S. Morelli. — / teairi
veneziani. Di P, Molmenti. — Nr, 40. Per Varte democratica. Di L. A,
Villanis, — Nr. 41, La musica nel Romanzo. — DR, Conservatorio di
Palermo. Di E. Gasperoni. — II paradosso delT interpretaziofie. Di L.
A. Villanis. — Nr. 42, Questione sull- insegnamento del conto corcUe. Di
T. Piccoli. — Nr. 43. Per la riforma della mtisica sacra. — Carlo PedroUi. —
Nr. 44. Lettere di Germania. Di A, Untersteiner. — Gounod. Di Ach, de
Lausieres. — Gounod a Roma, Di I. Valetta. — Nr, 46. Carlo Bignami e
e Nicolb Paganini. Di A. Mandeli. (Continuaz. Nr, 46 ^ 48.) — I festivaks
inglesi a proposito del Festival di Norwich. Di P. Mazzoni. (Contin. Nr. 46 —
48,) — Arte defnocratica. Di Morelli. — Spontini a Berlino, Di A, Unter-
steiner, (Fine Nr, 47,) — Nr, 46, I Medici di R, Leoncavallo. — Nr. 47 Iste-
rismo wagneriano. — Pietro Tschaikowsky. Di A. Untersteiner. — Nr. 48, Vita
artistica palermitana. Di E. Gasperoni. — Nr. 49. Una inchiesta sugli effetti
psichici della musica di Cesare e Paolo Lombroso (Contin.). H regio ducal teatro
di Milano nel secolo X VIII. Di A. Pagliacd Brozzi. (Contin.) — Nr, 60,
Poetaj cofnpositorCf esecutore e critico, Di E, Pirani. —
Qregoriusblatt. Herausg. H. Böckeier in Aachen. Düsseldorf, Schwann. XVIII.
Nr. 1. Die Missa in honorem B. M. V. de Lourdes von Edgar Tinel. Fort-
setzung vom Jahrg. 1892. (Schluss in Nr. 2.) — M. Haller's Kompositionslehre.
Von Franz Nekes. (Schluss in Nr. 4.) — Über das Vorurtheil. Von B. Widmann.
— Nr. 2. Das Taktiren in der Mensuralmusik. Von B. Widmann. — Nr. 3.
Dominantseptime und Dominantdreiklang in Dur. Von Jos. Moonen. —
Das Konservatorium in Köln. Von H. Böckeier. — Über die Moral der Kom-
- ponisten im 16. Jahrhundert. Von B. Widmann. — Nr. 4. Die Wiedereröff-
Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie. 465
Dung der Abteikirche in Maria-Laach. — Nr. 5. Über den Einflusa des
lateinischen tonischen Accentes und des Cursus auf die melodische und rhyth-
mische Struktur der gregorianischen Phrase. Von F. Bohn. (Schluss in Nr. 6.) —
Nr. 7. Die pneumatische Windlade. — Heinrich Bone f. — Nr. 8. Aurelius
Ambrosius. (Schluss in Nr. 10.) — Meisterwerke kirchlicher Tonkunst (u. Nr. 10.)
— Nr. 9. Eine pneumatische Orgel. — Nr. 10. Der erste Organistentag in
Köln. — Nr. 11. Die ältesten Lieder zu Ehren der hl. Cäcilia. — Die Melodien
des Gesangbuches der Erzdiöcese Köln. —
Iie Guide Musical, P. Schott 8,- Cie, Paris, XXXIX. Nr, 1. Z'oeuvre tUdtrah
de Meyerheer. Par JE, Destranges. (Suite Nr. 2, 3, 4, ö , 6, 7.) — Nr, 2, Pierre
Tschaikotüsky. — Nr. 4. Jules Massenet, Par H. Lnbert. — »^er^Acr«, drame
lyrique de Massenet. Par M. R4my. — Nr. 5. Massenet a Bruxelles. — Nr. 6.
Moland de Lassus. — Nr. 8. Melodrams et drame lyrique. Par JET. Mauhel. —
Louis II et Richard Wagner, lettres inSdites. Par M. Kufferath. — Nr, 9.
»Lattaque du moulin.n Par Van Santen Kolff, — nP^cheur d' Island«, drame
de Guy Ropartz. Par M. Remy. — Nr. 10. Hans Richter et Richard Wagner. —
Za Maladetta, ballet de Vidal. Par H. Imhert — Nr. 11. Richard Wagner
et le Faust de Goethe. Par M. Kufferath, — Musique et aquareüe, Par H»
Inibert. — Nr. 12. Le lutiste R. Ballard, Par M, Brenet. — Nr, 13, Tristan
et Yseult, Par M. Kufferath. (Suites.J — Les Matitudes de Cesar Franck, Par
G, Services. — Orphee, trag^die de Gluck. — Nr. 15. La premihre francaise
de Tristan et Yseult. — Les chanteurs de Saint^ Gervais. Par M, Brenet. —
Nr. 19/20. La musique dans la litterature, — Lidylle de Siegfried. — Nr. 21/22,
La Walkyrie, — Le wagnerisme ä Paris. Par E. EvenepoeL — La WaUcyrie
et la presse. — Nr. 23/24, Phryne^ opSra de C. Saint-Saens. Par H, Imhert. —
Nr. 25/26. CmniUe Saint-Saäns. Par G. Services. (Fin Nr. 36.) — Nr. 29/30,
Taffanel. Par H. Imhert, — Nr. 37, Lomamentation musicale. (Fin Nr, 36.)
Par M. Brenet. — Nr. 38. Bonn et Beethoven. Par H. Imhert, — Nr. 39,
Society Chorales. — Diidamie, op4ra de Mar^chal, Par H. Itnbert. — Henri
Marechal, Par H. Imhert. — Nr. 40. Poete ou musicien. Par Kufferath. (Fin
Nr. 41.) — Nr. 41. Richard Wagner et Jf»»« Mettemich, lettres inedites
— Nr. 42. Le tomheau de Robert Schumann ä Bonn. \Par H, Imhert. —
Nr. 43. Charles Gounod, Par H. Imhert. — Nr. 44. Richard Wagner et Charles
Gounod. Par M. Kufferath, — Loeuvre de Gounod, Par Ren4 de Remy. —
Meilief, piece villageoise de P, Benoit, — Nr, 45. Georges Onslow, lettre in^dite.
Par M. Brenet. — Eugene Gand, Par C, Pierre. — Nr. 46. Pierre TschaX-
koujsky. Par M, Kufferath, — Billet, lettres etc. ^Hector Berlioz, Par Van
Santen Kolff. (Suite Nr. 47, 48.) — Nr. 47. J. Joachim et son quatuor. —
Nr. 48. Alfred Bruneau. Par H. Imhert. — »Antigone musique«, de Saint-Saens.
Par H. Imhert. — Nr. 49. Le ?nanuscrits des Maitres chanteurs, (Contin.) —
Nr, 50. Lattaque du moulin. Drame lyrique de A, Bruneau. Par H. Imhert.
— Nr, 51. Hugo Heermann. Par H. Imbert. —
Harmonie. Herausg. Louis Oertel. Hannover. Nr. 66. Zu Richard Wagner's
10. Todestag. Von Wuthmann. — Ein musikalischer Humorist. Von C. Hof-
mann. — Nr. 67. Das goldene Jubiläum des königlichen Oonservatoriums der
Musik zu Leipzig. Von Wuthmann. — Nr. 69. Raoul Koczalski. Von C. Krohn.
— Nr. 70. W. A. Mozart als Klavier-, Gesang- und Kompositionslehrer. Von
H. Kling. (Schluß Nr. 74.J — Nr. 72. MusikaUscher Schlendrian.
Von L. Wuthmann. — Nr. 73. Oscar Jüttner. Von H. Kling. — Ein Wort
zu Gunsten der Harmonielehre nach reiner Stimmung. — »Tristan und Isolde.«
Von O. Mörike. — Nr. 74. August Ludwig. —
^gg Nachtrag cur Musikalischen Bibliographie.
Iie M6neBtrel. Henri Heugel, Paris. ZIX. Nr. 1. Histoire de la seconde saBe
Favart Par A, Soubies et CA. Maiherbe. (Fin Nr. 17.) — »Yolande», drame
en nmsique de A. Magnat d. Par Zucien Solvay. — Ftude &ur la FltUe
etichanUe. Par J. Tiersot. (contin.J — Nr. 2. Enseignement du piano, Par M.
Jaeü. — Nr, 4. Werther. Par H. Moreno. — Nr. S. Lettres inSdOes de Mozarts
Par J. Tiersot. (Suite.) — Nr, 9. La maladetta, ballet de Oaühard — Vidal. Par
A. Pougin. — Nr. 10. JBroceliande, opera de L. Lambert. — La vSritd sur
le role de Wagner pendant la revolution de 1849. Par Edmond Neuk&mm.
(Suite Nr. 11.) — Nr. 11. L'impot sur les pianos. — Nr. 12. Marihe le Rodiois.
Par A. Pougin. (Suite Nr. 13, 15, 16.J — Nr. 13. »Kassya«, opSra de Leo DeUbes.
Par H. Moreno. — Nr. 16. La setnaine sainte a Saint- Gervais. Par J'. Tiersot.
— Du beau dans la tnusique. Par Ch. Grandmougin. — Nr. 17. Cantaies
francaises du XVIII* sihcle. Par J. Tiersot. (Suite Nr. 18, 20, 21, 22, 23, 24.) —
Nr. 18. Marie Malibran. Par Arthur Pougin. (Fin Nr. 48.) — Nr. 19. GusUa>e
Nadaud. Par O. Comettant. — Nr. 20. La WaÜcyrie de Riehard Wagner, Par
H. Moreno. — La musique et le thedtre au scUon des Champs-ElysSes. Par
CamiUe le Senne. (Suite Nr. 21, 22, 23, 24.) — Nr, 21. La Walkyrie et les
wagnSriens. Par H. Moreno. — Nr. 22. Phryn^ de Saint-SaSns. Par H. Moreno.
— Nr. 25. Monsigny et »le Deserteur«i, Par A. Pougin, — La mueique et le
thedtre au salon du Champs-de-Mars. Par CamiUe le Senne. (Suite Nr. 26.)
— Nr, 26. »Les deux avares«, opSra de GrHry; »le Deserteur t^, opera de Mon-
signy. Par Arthur Pougin. — Nr. 27. Les ßceües dramatiques. Par Emest
Legouv4. (Fin Nr. 28.) — Les fastes du chaUau de Gaillon. Par Edmond Neu-
komm. (Suite Nr. 28, 29, 30, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39,) — Nr, 33. Le mois
d'aoüt au thedtre. Par A, Pougin. — Nr. 36. Sonneries de trotnpettes. Par
E. Neukomm. — Nr. 36. Le centetiaire du conservatoire. Par A. Pougin, —
Nr. 37. Les domestiques au thedtre. Par E. Logouve. (Suites Nr, 38, 39, 40.) —
Nr. 38. DSidamie , opSra de H. Mar4chal. Par H. Moreno. — Nr, 41. La
police ä la ComMe-Italienne. Par Paul d'Estree. (Suite 42, 43, 44.) — Nr. 43,
Cltarles Gounod. Par A. Pougin. — Nr. 44. Funerailles de Charles Gounod, —
Nr. 46. La messe Douce memoire de Roland de Lassus. Par J. Tiersot. —
Nr. 46. Les fites de la revolution. Par J. Tiersot. (Suite Nr. 47, 48.) — Nr. 48.
»Lattaque du moulina, opSra de Bruneau. Par H. Morefio. — Nr. 49. Les
fHes de la revolution francaise. Par J. Tiersot. (Contin:). — Les choeurs
d'Antigone de M. C. Saint-Sat'ns. Par J. Tiersot. — Nr. 61. Maliers et Etienne
Molinier en 1662. Par A. Baluffe. —
Monatshefte für MuBik-aesohichte. Kobert Eitner, Templin (U.-M.). XXV.
Nr. 1. Aktenmaterial aus dem städtischen Archiv au Augsburg. Schluß Nr. 2.
— Zwickau er Musik-Katalog. (Forts.) — Nr. 2. Nachträge und Berichtigungen
zur Todtenliste von 1S91. — Nr. 3. Eine Choralsammlung des Jakob Prätorius.
Von J. Bolte. — Aus älteren Musikdrucken. Von F. W. E. Roth. — Cavalli
als dramatischer Komponist. Von H. Goldschmidt. (Forts.) — Nr. 7. Eine
Symphonie von Gluck. Von H. Pardall. — Philipp Friedrich Böddecker. —
Nr. 8. Johann Friedrich Doles. — Johann Seb. Bach's Aufenthalt in Kassel
Von C. Scherer. — Todtenliste des Jahres 1892. (Forts.) — Nr. 9. Das alte
deutsche mehrstimmige Lied und seine Meister. Von R. Eitner. (Forts.
The Musical Times. London. Novello, Eu:er 8f Co. Nr. 599. Cambridge Musical
Degrees. — Christmas Carol. (From my study, See Nr. 100.) — Beethovens
sketch books. By S. Shedlock. (Conclus: 2. book Nr. 607.) — Cowens opera
ii Signa«. — Nr. 600. Music in public tvorship. By H C. Shuttlencorth. —
Hubert Parry on expression and design in music. (See Nr. 601,) — Nr. 601.
Nachtrag zur Musikaliachen Bibliographie. 467
y^Falstafftt and the land of miMic. (See Nr. 602, 603, 604, 605.) — Bizefs
-»Bjamüekn. — Nr, 602. Franz Liszfs lettera. — The mtMtc of negation. —
Wagner and Richter. — Nr. 603. Some old programmes. An album of auto-
graph lettera (from my study). (See Nr. 606.) — Thomas Wingham. By L. N.
Parker. — Nr. 604. Müsic at the Chicago exhibiiion. — Whitmati» poems.
Northufnberiand household Book. (Im From my study.) — Nr. 605. Mustc in
the Cathedrdl of Reims. — Weber in London. — Nr. 606. »Of the Mastersingers
gracious Arti (Wagenseü). (Cont. Nr. 607,608.) — British Bcdlads (from my
study). — Schuhertiana. — Nr. 607. Norwich festival Novelties. — Welsh
Choral singing. — London street music and the county Council. — Musical
Degrees. — Nr. 608. Augustus Harris on the opera in England. — A new
American composer (JS. W. Parker), — Nr. 609. (JharUs Gounod. (See Nr. 610.)
— Savage music and its lessons (according WaüascheJds »Primitive Music«), — :
Folk'Songs in Symphonies (according H. Reimann). — Nr. 610. Peter Tschai-
kowsky. — The Berlioz Cycle at Carlsruhe. — CowerCs »Signati. —
Musioa Sacra. Regensbuig, Pustet. XXVI. Nr. 1. Bischof Dr. M. Marty über
Kirchenmusik. Von Fr. X. Habeil. — Nr. 3. Kirchenmusikalischer Bericht
aus den deutschen Kolonien in Südrussland. Von £. Schmid. — Nr. 4. Lehr-
kurse über Kirchenmusik. — Praktische Bemerkungen Aber das deutsche
Kirchenlied. — Nr. 5. »Eine goldene Brücke«. Von Walter. (Schluß in Nr. 6.) —
Modulation durch kurze Motiye. — Nr. 6. Der Mechanismus der Böhren-
pneumatik. — Nr. 7. Über musikalische Erziehung. Von A. Walter. —
Gedanken über moderne Kirchenmusik. — Nr. 10. Kirchenmusikalische Lehr-
kurse und Versammlungen. Von F. X. Haberl. (Schluß Nr. 11.) — Nr. 11. Über
Orgel-Dispositionen, Bauten und Neuerungen. Von F. X. Haberl.
Musikalisohe Bundschau. Josef Graf, Wien VIII. Nr. 2. Musikergehalte an
der Wiener Hofoper in alter Zeit. Von F. Leutner. — Analyse der 8. Sym-
phonie von Anton Brückner. Von M. Graf. — Nr. 5. G. Verdi und die Wiener
Oper vor 50 Jahren. Von F. Leutner — Nr. 7. Anton Rubinstein als Dirigent. —
Nr. 11. Cornil Schut. Oper von A. Smareglia. — Hans Sommer. VonL. Gerhard. —
Nr. 12. Das Rieh. Wagner-Museum. Von A. Seidl. — (Schluß in Nr. 13.) — Inge-
borg v.Bronsart. Von L.Gerhard. — Nr. 13. Carl Löwe. Von L. Gerhard. — Nr. 16.
Gefühlsverständnis. Von A. Seidl. (Forts. Nr. 17. 18.)— Nr. 17. Eine Dichtung
des deutschen Kirchenliedes. Von M. Graf. — Nr. 18. Der Friedrich Smetana-
Cyclus in Prag. Von V. Joss. (Schluß Nr. 19.) — Nr. 21. Ch. Gounod. — Robert
Schumann als Prophet. — Nr. 22. Peter Cornelius und sein Cid. — Niels
W. Gade und Mendelssohn. (Forts.)
Musikalisches Wochenblatt. Red. E. W. Fritzsch, Leipzig. XXIV. — Nr. 1.
Erinnerungen an Robert Franz. Von A. Seidl. (Forts, bis Nr. 7.) — Heinrich
Zöllner. (Forts, in Nr. 3. 4. 6.) — Nr. 3. »Frauenlob«, Oper in 3 Aufzügen von
Reinhold Becker. Von H. Dinger. — Nr. 8. Ortrud. Von Paul Schubring.
(Forts. Nr. 9. 10. 12.)~ Nr. 10. Hugo Becker. — Nr. 11. Zum fünfzigjährigen
Jubiläum des k. Konservatoriums der Musik zu Leipzig. — Anton Brückner,
Psalm 150. Von H. Schenker. — Nr. 14. Die neue Ausgabe von Rob. Schu-
mann's Gesammelten Schriften und einige ungedruckte Briefe von demselben.
Von Fr. Müller (bis Nr. 18.) — Isidor Seiss. Von O. Klauwell (Schluß in Nr. 15.) —
Nr. 19. Direktor und Lehrpersonal des k. Konservatoriums der Musik zu
Leipzig bei dessen 50jährigem Bestände. — Nr. 22. Richard Wagners Be-
ziehungen zu den bildenden Künsten. Von A. N. Harzen-Müller. (Forts, in
Nr. 23. 24. 25. 29. 30.) — Nr. 27. Der Ton und die Tonreihe. Von Willy Pastor.
(Schluß in Nr. 28.) -- Nr. 29. Gelehrte und Künstler. Von H. Riemann. —
4g g Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie.
Nr. 31/32. Aus den neueren Forschungen über die ältere Notenschrift. Von
P. Wagner. (Forts, bis Nr. 34.)— Cyrill Kistler. Von Hermann Ritter. {Schluß
in Nr. 33.) — Nr. 33. Ein Bericht über Pariser Opernverhältnisse um die Mitte des
Jahrhunderts. Von R. Schlösser. — Nr. 35. Ein Mahnwort an unsere jungen Kom-
ponisten. Von Friedrich v. Hau segger. (Forts, bis Nr. 39.) — Nr. 39. Zwei Briefe Yon
Richard Wagner. — Nr. 40. Beethoven als Klavierpädagog. Von H. Riemann.
(Forts, bis Nr. 43.) — Gustav KogeL — Einige Betrachtungen über das Konzert-
agenturwesen. — Nr. 42. Zwei Briefe von Richard Wagner. — Nr. 44. Die Pflege
der allgemeinen Geistesbildung des Musikers. Von R. Kaden. (Schluß in Nr. 45.)
Nr. 46. »Das Nachthom«, Von Peter DrufTeL (Forts.) — Zum 40jähTigen
Jubiläum der k. sächsischen Hofpianofortefabrik v. Julius Blüthner. — Nr. 49.
Hermann Tiete.
Neue Berliner MusikBeitimg, Red. Dr. Richard Stern. Berlin, Stern & OUen-
dorff. XL VII. Nr. 1. Franz Liszt. (Forts, bis Nr. 3.) — j» Du meine Seele, du
mein Herz.« Von W. Tappert. — Nr. 2. Lydia Müller. — Die Interpretation
einer Sonate. Von F. Hörn. — Nr. 3. Streng oder frech? Von J. van
Santen Kolff. (Schluss in Nr. 4.) — Nr. 4. Heinrich Hoffmann. — Nr. 5. Die
Frauen in der Musik. — Der Klavierteufel. Von F. Hom. — Nr. 6. Hans
V. Bronsart. (Schluss in Nr. 7.) — »Mireiliea, Oper in 3 Akten von Ch.
Gounod. — Die Überschwemmung auf dem deutschen Musikalienmarkte. —
Nr. 7, Adalbert von Goldschmidt. — Auf R. Wagner's Tod. Von Ernst v.
Wildenbruch. — Richard Wagner. Von W. Tappert — Nr. 8. Edgar Tinel. —
Der Volksgesang im Kaisermarsch. Von W. Tappert. — »Die Geier- Wally«,
Oper in 4 Akten von A. CatalanL Von J. Sittard. — Nr. 9. Hermine Spies.
Von Adolph Kohut. — »Die Rantzau«, Oper in 4 Akten von Mascagni.
Von A. Kleffel. — König Ludwig 11. und R. Wagner. — Nr. 10. Zur Er-
innerung an Hermine Spies. Von Otto Dorn. — Alice am Kreuz. Von W.
Tappert. — Die Mascagni- Woche. Von E. Zabel. (Schluss in Nr. 11.) — Nr. 11.
Hans V. Bülow's Wiederauftreten. Von A. Kleffel. — Nr. 12. Albert Becker.
— Die Zukunft der philharmonischen Gesellschaft in Berlin. Von Sittard. —
Der königliche Domchor in Berlin. (Schluss in Nr. 13.) — Schleudere! im Musi-
kalienhandel. — Nr. 13. Die Zukunftsoper. — Nr. 14. Franz Betz. — Carl
Seydelmann in seinen Urtheilen über Musik und Musiker. Von A. von
Winterfeld. — Nr. 15. Spott und Hohn in der Musik. Von J. van Santen
Kolff. (Schluss in Nr. 16.) — Zur Lage des Musikalienhandels. — Nr. 16. Die
Thätigkeit und künstlerischen Resultate der königlichen Oper zu Berlin im
Jahre 1892. — Zur Geschichte des königlichen Domchors zu Berlin. Von
P. Einbeck. (Schluss in Nr. 17.) — Nr. 17, Raimund von Zur-Mühlen. — Richard
Wagner und Heinrich Hübler. Von A. Kohut. — Nr, 18/19. Woldemar
Bargiel. Von A. Kleffel. (Schluss in Nr. 20.) — Johannes Brahms. — Prof.
Joseph Giehrl. — Nr. 20. Richard Wagner's buddhistischer Drama-Gedanke.
Von I. van Santen Kolff. [Schluss in Nr. 21.) — Die Beethovenfei er in Bonn.
Von Carl Wolff. (Schluss in Nr. 21.) — Nr. 21. Hector Berlioz. Von Richard
Pohl. (Forts, in Nr. 24, 27.) — Nr. 22. Robert Kahn. — Vom Niederrheinischen
Pfingst- Musikfest. Von C. Wolff. (Schluss in Nr. 23.) — Nr. 23. Die
29. Tonkünstler- Versammlung su München. (Schluss in Nr. 24.) — »Die Kinder
der Haide.« Oper von A. Rubinstein. Von A. K. — Nr. 24. Garten-Konzerte.
Von W. Tappert. — »Die Perlenfischer.« Oper von G. Bizet. — Deutscher
Lieder kränz in New- York. Von Schaezler. — Nr. 27. »Die verkaufte Braut.«
Oper von Smetana. -— Über Musikunterricht und Musiklehre. (Schluss in Nr. 28.)
— Nr. 28. Hessisch - pfälzisches Musikfest in Worms. — Moritz Nabich. —
Nachtrag sur Musikalischen Bibliographie. 469
Nr. 29. »Josef und seine Brüder« und seine Erstaufführung an der komischen
Oper zu Paris. Von Carl Fr. Wittmann. (Forts. Nr. 30, 31, 32, 33, 34.) —
Nr. 30. Ein Besuch bei Marcella Sembrich. Von Josef Lewinsky. —
Nr. 31/32. Die Bühnen-Festspiele in Gotha. Von W. Tappert — Erinnerungen
an Georg Heine. Von A. Eleffel. — Ergänzendes über Berlioe. Von I. van
Santen Kolff. — Das Stralsunder Hohnblasen am 24. Juli. Von G. Schubert.
— Nr. 33. W. A. Mozart* s Schädel. (Schluss in Nr. 34.) — Nr. 34. Mozart und
Wieland. Von A. v. Winterfeld. — »Manon Lescaut«, Oper von G. Puccini. —
Nr. 35. Richard Schmidt. — Beethoven's Frauenkreis. Von Chr. Kalischer.
(Forts.) — Nr. 36. Leipziger Musikbrief. Von H. Chevalley. — E^chard
Wagner in München. — Nr. 37. Marie Schmidt-K.öhne. — Wie Gounod
Musiker wurde. — Nr. 38. Zwei Briefe Eichard Wagner's. *— Nr. 39.
Alfred Sormann. — Der erste königlich preussische Generalmusikdirektor.
(Forts, bis Nr. 49.) — Nr. 40. Woldemar Meyer. — Allerlei Musikalisches
aus Zola's Roman- Cyclus. Von I. van Santen Kolff. — (Forts. 42, 43.) —
Richard Wagner und Pauline Metternich. (Schluss Nr. 41.) — Die Pianoforte-
Fabrik von Ed. Seiler in Liegnitz. — Nr. 41 . Georg Ritter. — Nr. 42. Fer-
dinand Hummel. — »Der Kuss.« Oper von Smetana. Von A. Chevalley. —
Nr. 43. Ch. Gounod. (Schluss in Nr. 44.) — Nr. 44. Prof. Gustav Engel. —
Josef Hellmesberger sen. f. — Nr. 45. Heinrich Grahl. — Liszt und die
Fürstin Wittgenstein. Von La Mara. — (Schluss in Nr. 46.) — Nr. 46. Peter
Tschaikowsky. Von J. Sittard. (Schluss in Nr. 47.) — Der Karlsruher Berlioz-
Cyclus L Von H. ChevaUey. (Forts, in Nr. 47.) — Nr. 47. Adelina Herms. —
»Manon Lescaut«, Oper von Puccini. Von J. Sittard. — Nr. 48. Sonzogno,
Leoncavallo und Mascagni. — Nr. 49. Über Programm-Musik.- Von August
Ludwig. (Forts.) —
TSfeue Musikzeitiing. Red. Dr. A. Svobada, Stuttgart, Grüninger. XIV. — Nr. 1.
Rosa Hochmann. — Nr. 2. Paul Geisler. — Zelia Trebelli-Bettini. — ürtheile
des Malers Cornelius über Musik und Musiker. Von B. Horwitz. — Die
Musikanten-Ordnung des alten Butzbacher Konservatoriums. Von H. Becker.
(Schluß in Nr. 3.)- Die Volkspoesie der Litauer. Von C. Gerhard. (Schluß in Nr. 3.)
— Nr. 3. Marie Wolff-Kauner. Von Emil Krause. — Die Tontaubheit. —
Nr. 7. W. F. G. Nicolai. Von Arnold SpölL — Der Gesang als erstes Mittel
der Musikerziehung. (Schluß in Nr. 5.) — Eine Erinnerung an Vincenz Lachner.
Von G. Hermann. — Musikgeschichtliches von W. H. Riehl. (Schluß in Nr. 5.)
Eine Erinnerung an Niels W. Gade. — Nr. 5. Bertha Pierson. Von O. Linke.
Aus dem Leben Vincenz Lachner's. Von F. Schweikert. (Schluß in Nr. 6.) —
Briefe König Ludwigs II. von Bayern an Richard Wagner. — Nr. 6. Ruggiero
Leoncavallo. Von B. Vogel. — Nr. 7, Richard Wagner*s Festspielgedanke. Von
O. Merz. — Über das Lärmende in Rieh. Wagner*s Werken. Von R. Heuberger. —
— Ed. Hanslick's erste Begegnung mit Rieh. Wagner. Von G. Zernin — Die
gebräuchlichsten Stricharten der Violintechnik. Von A. Eccarius-Sieber. (Schluß
in Nr. 8.) — Die beiden ersten Hörselbergscenen in der ersten Lesart des »Tann-
häuser« und in der »Pariser Bearbeitung«. Von B. Vogel. — Nr. 8. Therese
Rothauser. — Die Grenzen der Tonkunst. Von Jörgen Mailing. (Forts Nr. 9. 10.)
— Lebenserinnerungen eines berühmten Tonkünstlers. — Ein Brief R. Wagner's
an Ed. Hanslick. Von A. von Winterfeld. — Nr. 9. Dr. Otto Eiben und der
volksthümliche deutsche Männergesang. — Gottfried Keller über Gesangsfeste.
— Nr. 10. Gemma Bellincioni. Von R. Freiherr Proch&zka. — Deutsch-
böhmische Komponisten der Gegenwart (Forts. Nr. 11. 12.) — Giovanni Battista
Lully. Von E. Kreowski. (Schluß in Nr. 11.) — Nr. 11. Genari von Karganoff. —
470 Nachtrag but Musikalischen Bibliographie.
Über das Dirigieren. Von A. SchulUe (Schluß in Nr. 12.) — Nr. 12. Suzanne
Lavalle. — Das 70. niederrheinische Musikfest. Von E. Heuser. — XXIX.
Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen deutschen Musikvereines. Von
O. Merz. — Franz Schubert — Nr. 13. Sophie Fritsch. Von Fr. Schweickert.
— Robert Schumann und Richard Wagner. Von Otto Michaeli. (Forts. Nr. 14.
15. 16. 17.) — Einige Handschriftliche Bemerkungen Jenny Lind's zum Ge-
sänge. Von P. V. Lind. — Christian Fr. Hölderlin und die Musik. Von Leo
von Husen. (Forts. Nr. 14.) — Robert Volkmann's Hausmusik. Von B. Vogel.
(Forts. 14. 15. 16.) — Musikalische Seelenwanderung. Von H. Fritsch. (Fort«.
Nr. 14.) — Franz Liszt und die Frauen. (Forts. Nr. 14. 16. 17.) — Hans M.
Schletterer. Von Schäfer. Nr. 14, Sibyl Sanderson. Von Maris. — Frana
Erkel. * Von H. Klein. — Nr. 15. Josef Forster. — Josef Giehrl. Von
O. Merz. — Mozart als Komponist von Tanzstücken. — Zur Geschichte der
Geige. (Schluß inNr. 16.)— Nr. 16. Charlotte Huhn. — Nr. 17. Hedwig Bernhardt.
Von O. Wilda. — Alfredo Catalani. Von A. Untersteiner. — Jacques Offen-
bach. — Nr. 18. Andreas Dippel. Von O. Wilda. — Verdi's »Falstaff« in Stutt-
gart. — Carlo Broschi-Farinelli. Von E. Kreowski. — Nr. 19. Katharina Rosen.
Von O. Wilda. —Modulation. Von Jörgen Mailing (Forts. Nr. 20. 21 . 22. 23.) —
Alt-Weimars Musik- und Theaterleben. Von E. Greiner. — Ein Stadtpfeifer-
geselle. Von O. Jöcker. (Forts. Nr. 20. 21.)— Die Enthüllung des ersten Liait-
Denkmales. Von O. Linke. — Hans Richter als Kopist bei R. Wagner. —
Dichter und Musiker. Von M. Hamann. (Forts. Nr. 20. 21. 22.)— Nr. 20. Hans
Huber. Von A. Niggli. — Allerhand über Marschner. Von R. Batka. —
Liszt und Friedrich Smetana. Von O. Payer. — Warum ist Franz Schubert
kein Opemschöpfer geworden ? Von Aug. Ludwig. — Nr. 21 . Robert Steuer.
— Charles Fran9ois Gounod. — Erinnerungen an Jenny Lind. Von Fr. von
Hohenhausen. — Nr. 22. Irene von Chavanne. — Alter Musikschatz in Heil-
bronn a. N. — Musikhistorische Bilder aus Alt-Wien. (Forts. 23.) Fanny Mendels-
sohn und Gounod, Von L. Erbach. — Nr. 23. Lili Dreszler. — Aus dem Leben
Paganini's. — Nr. 24. Richard Sahla. — Die Anfänge der Operette. Von J. Clauwell.
Neue Zeitschrift fär Musik. Red. Paul Simon, Leipzig. LX. Nr. 1. Louis
Spohr und die deutsche Geigenschule. — Das Partitur Studium. Von E. Krause.
(Forts, bis Nr. 4.) — Nr. 5. Die Prager Don- Juan-Partitur v. J. 1787. Von
F. Bischoff. — Nr. 7. Robert Schumann's Briefe an L. Spohr. Von
Schletterer. (Schluß in Nr. 8.) — Nr. 11. Raoul Koczalski. Von Camilla
Krohm. — Nr. 13. Aus Friedr. Schneider's Leben. — Eine Symphonie von
Gluck. Von H. Pardall. — Nr. 15. »Durch welche Rhythmen oder melodische
und harmonische Wendungen läßt sich die eigenartige Schreibweise von Bach,
Haydn, Mozart, Weber, Mendelssohn u. A. unverkennbar nachweisen?« Von
Böhme. (Schluß in Nr. 16.) — Nr. 17. Karl August Fischer. Von O. Türke.
— Nr. 18. Ludwig van Beethoven und Karl Maria von Weber. Von K.
Plato. (Schluß in Nr. 19.) — Nr. 20/21. Peter Cornelius in München. Von
P. Simon. — Die erste Aufführung des Barbier von Bagdad. Von R. Pohl. —
Die XXIX. Tonkünstlerversammlung in München. — Nr. 22. Franz Liszt's
XIII. Psalm. Von J. Schucht. — Die 29. Tonkünstlerversammlung in Mün-
chen. (Forts. Nr. 24, 25.) — Nr. 23. Das 70. niederrheinische Musikfest zu
Düsseldorf 1893. — Nr. 26. Die Künste in ihrer Bedeutung als Kulturmächte.
Von A. Reißmann. (Schluß in Nr. 27.) — Klavierkonzert von Kaufimann.
Von B. Vogel. — Nr. 29. Neues praktisches Tonmaterial. Von Yourij von
Arnold. (Schluss in Nr. 30.) — Nr. 32. Josephine Gerwing. Von C. Krohm.
— Nr. 35. Beethoven's »Beichtvater«. Von Kalischer. (Forts. Nr. 36, 37, 38,
Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie. 4tll
39, 40.) — Nr. 40. Sachsens gewaltigste Orgel. Von O. Türke. — Nr. 41.
Kunstgesang und Konzert- Bepertoire der S&nger und Sängerinnen. Von E.
Krause. (Schluß in Nr. 42.) — Die Enthüllung des Liszt-Denkmales in
Oedenburg. Von'O. Keller. — Nr. 43. Ein musikalisches Autographen-Album.
Von A. Kohut. (Schluß in Nr. 45.) — War Liszt ein Plagiator? Von Korn el
Abranyi sen. — Nr. 46. Soldatenpoesie im Dienste des sächsischen Signal-
wesens. Von K. Naefe. (Schluss in Nr. 47.) — Nr. 48. Das Individualisieren
der Phrasen. Von Richard Kaden. — Akustik von Yourij von Arnold. —
Nr. 50. Qluck als Symphoniker. Von La Mara. —
Schweizerisohe Musikzeitung. Gebr. Hug. Zürich. XXXIII. Nr. 1. , Das
Künstlerpaar August und Anna Walter-Strauss, Von A. Niggli. (Fortsetzung
bis Nr. 9.) — Die Festspielwoche in Bayreuth. Von A« Beetschen. (Forts.
Nr. 3.) — Nr. 4. Das Quartett der Thiere. (Schluß Nr. 5.) Von I. Mähly. —
Nr. 5. K. Wagner's »Fliegender Holländer« im neuen Züricher Stadttheater. —
Nr. 6. Qesangsdirektor GotÜieb Brandenberger. Von Ul. Kollbrunner. —
Nr. 8. Johannes Brahms. Von A. Niggli. — Nr. 9. Eidgenössisches Sänger-
fest in Basel — Nr. 10. Briefe von Hob. Franz an S. Bagge. — Nr. 12.
Musik und Architektur. Von B. Widmann. — Schweizerischer Stipendienfond
für Musikstudien. — Nr. 13. Das 19. eidgenössische Sängerfest zu Basel vom
8.— 10. Juli 1893. (Schluß in Nr. 14.) — Nr. 15. Ein lyrisches National-
Theater in der Schweiz. Von C. H. Kichter (11). — [Silhouetten namhafter
Genfer Musiker. Von H. Kling. (Forts.) — Nr. 1 7. Otto Nicolai und Erminia
Frezzolini. Von A. Niggli. — Nr. 18. Musik und MalereL Von B. Widmann. —
Signale für die inusikaliBche Welt. Leipzig, Bartholf Senff. LI. Nr. 1. ^Kück-
blick auf das Musikjahr 1892. — Nr. 3. St. Petersburger Musikleben. (Nr. 13, 18,
47, 64.) — Nr. 7. Zu Elise Polko's 70. Geburtstag. Von M. Steuer. — Nr. 12.
Djamileh, Oper von G. Bizet. Von E. Bemsdorf. — Peter Hertel. — Nr. 14.
Richard Gen6e. — Nr. 15. Franz Liszt's Briefe. — Nr. 17. Das königliche
Konservatorium der Musik in Leipzig. (Forts. Nr. 19, 20, 22.) — Nr. 31. Julius
Stockhausen's Volks -Konzerte in Frankfurt a. M. — Golter mann -Jubiläum.
— Nr. 32. Musikleben in Kussland. (s. Nr. 65.) — Nr. 40. Mattia Battistini. —
Nr. 42. Gustav Schirmer. — Nr. 46. Gounod's Bekenntnisse. — Nr. 50. »Der
Kuß«. Oper von F. Smetana. Von E. Bernsdorf. — Nr. 53. Charles Oounod.
(s. Nr. 55.) — Nr. 57. Erinnerungen an Paganini. — Nr. 58. Peter Tschai-
kowsky. —
Zeitschrift für Instrument enbau. Ked. Paul de Wit. Leipzig. XIII.
Nr. 1. Internationale Ausstellung für Musik und Theaterwesen Wien 1892.
Von Kurka. (Forts, bis Nr. 8.j — Zur rein pneumatischen Windlade. Von A.
Feith. — Nr. 2. Eine werthvolle Verbesserung am Geigenbogen. *— Nr. 3. Der
Empire-Styl und der Instrumentenbau. Von Böttcher. — Über die Verbesse-
rung des Fagotts. (Schluss in Nr. 5.) — Nr. 4. Die Gründung des Vereines
deutscher Pianoforte-Fabrikanten. — Nr. 5. Wilh. Heokel's neue Klarinette
mit dem patentirten » Keform-Mundstück.« Von Altenburg. — Nr. 6. Einige
Worte über russische Jagdhorn-Musik. — Nr. 7. Die Ausstattung der Pianos,
insbesondere im Barock- und Kokokostyl. Von Böttcher. (Schluss in Nr. 8.) —
Nr. 9. Paul Apian-Bennewitz. — Der Stegstift. Von J. Friedrichs-Gummers-
bach. (Forts. Nr. 10.) — Die reine pneumatische Windlade. V. Allihn. —
(Forts. Nr. 10, 11.) — Nr. 10. Die Eingangszölle auf Erzeugnisse der Musik-
instrumenten-Industrie in den verschiedenen Ländern. (Forts.) — Nr. 12. Ab-
zahlungsgeschäfte und Kamschbazare unter Berücksichtigung der Musik-
instrumentenbranche. — Nr. 13. Ein Vorschlag betreffend die hohen Aufleimer
472 Nachtrag zur Musikalisehen Bibliographie.
auf der Klaviatur. — Nr. 14. Musikalisches aus Tirol. Von Eichhorn. (Ergän-
zung in Nr. 17.) — Nr. 15. Ein Klavier- Violoncello. — Nr. 16. Zum Kapitel
»Schäden im Pianohandel. Von J. Friedrichs. (Schluss in Nr. 18.) — Nr. 17.
König Albert von Sachsen im musikhistorischen Museum von Paul de Wit in
Leipzig. — Nr. 18. C. Mahillon's patentirte Verbesserungen indem Klappensystem
der Klarinette. Von W. Altenburg. (s. Nr. 28,) — Die Orgel zu'Valle di PonpeL
Von Allihn. — Nr. 19. Johann Christian Gottlieb Temler. — Nr. 20. Der
englische Stil. Von Böttcher. — Nr. 21. Nicolas Lupot. — Nr. 22. Deutsch-
land's Musikinstrumenten - Industrie. — Geigen* Zettel aus der klassischen
Periode des Geigenbaues. (Forts. Nr. 24, 26.) — Nr. 24. Die Ausstellnng
von Wohnungseinrichtungen im Gewerbehause zu Dresden und die Be-
theiligung der Instrumenten -Industrie. Von Böttcher. (Forts. Nr. 28.) —
Nr. 27. Dekorationsstücke für Instrumenten - Magazine. — Die Orgel des
Strassburger Münsters. Von Allihn. — Nr. 29. Die Musikinstrumenten-Industrie
des sächsischen Vogtlandes im Jahre 1892. — Nr. 30. Zum 50 jährigen Jubi-
läum der Firma Carl Thieme in Leipzig. — Chicago und die amerikanische
Klavierindustrie. Von Schiedmayer. — Nr. 31. Charles Victor Mahillon. Von
W. Altenburg. — Die Musikinstrumentenbranche auf der Tiroler Landes-
ausstellung. Von Eichhorn. — Nr. 32. Gasparo da Salo und die Erfindung
der Violine. Von Giovanni Livi. (Forts. Nr. 34, 36.) — Die Zwölf zahl in der
Tonwelt. Von H. Vincent. — Nr. 33. Henry Fowler Broadwood. — Reise-
beobachtungen über Amerika. Von A. Perterson. — Nr. 37. Joh. Jos. Held. —
Nr. 35. Deutsche. Pianos auf der Weltausstellung zu Chicago. Von C. von
Hartmann. . — Nr. 36. Über das Bleichen vei^lbten^Elfenbeins an Klaviertasten.
Von Arnold Hiller. — XIV. Nr. 2. Deutsche Musikinstrumente auf der Welt-
Ausstellung von Chicago. Von C. von Hartmann. — Ein kurfürstlich säch-
sischer Erlass gegen das unbefugte Trompeten-Blasen und Heerpauken-
Sohlagen. — Nr. 3, Die Ritter'sche Viola -Alta. Von E. Simontre. —
Können Frauen Klavi erstimmerinnpn werden? Von C. F. Witte. — Nr. 4.
Zum 40jährigen Jubiläum der kgl. sächs. Hof-Pianofortefabrik von Julius
Blüthner in Leipzig. — Mechaniken mit Ober- oder Unterdämpfung. —
Nr. 5. Frankreichs Ausstellung von Musikinstrumenten auf der Weltausstellung
von Chicago. Von C. von Hartmann. — Nr. 6. Die Vervollkommnung des
Blechinstrumentenbaues durch die Firma C. Mahillon. Von W. Altenburg. —
Ein Wort über pneumatische Windladen. Von R. KeiteL — Nr. 7. Gaspar
Duiffopruggar und die Entstehung der Geige. Von A. Payne. — Musik-
instrumente auf der Weltausstellung zu Chicago. Von C. v. Hartmann. (S.
Nr. 8.) — Die Entwicklung des deutschen Musikinstrumenten-Gewerbes. Von
O. Behre. (Forts.) — Nr. 8. Ein physikalisches Mittel zur Erleichterung des
Klavierstimmen 8. Von A. Hiller. —
Inhaltsverzeichniss.
Zusammengestellt von Max Selffertt
A. Abhandlungen, Kritiken, Referate, Notizen.
Bäumker, Wllh^ »Das katholische deutsche
Kirchenlied in seinen Singweisen«; s.
K. y. Liliencron.
Buflfy Adolf, »Mozart's Augsburger Vor-
fahren«; R. Phil. Spitta.
Chrysander, Frledr., »LodoTico Zacconi als
Lehrer des Kunstgesanges. IL Ab-
schnitt« 249.
»Besuch eines Engländers bei J. S.
Bach im Jahre 1749« 447.
»Dr. Croft's Gesänge fOr das Thea-
ter« 448.
Dannenreufher, »Musical Omamentation«;
8. C. Krebs.
Deiters, Herrn«, Kritik über »die 4. Auf-
lage von K. Schumann's Gesammelten
Schriften über Musik und Musiker,
besorgt von F. G. Jansen« 355.
»3. Auflage von Otto Jahn's Mozart-
Biographie«; s. Ph. Spitta.
Elling, Catharinus, »Die Musik am Hofe
Christian's IV. von Dänemark« (Nach
Angul Hammerich) 62.
Engel, G., »Die Bedeutung der Zahlen-
verhältnisse für die Tonempfindung«;
s. C. Stumpf.
Engl, Johann Ev., »Festschrift zur Mozart-
Centenarfeier«; s. Ph. Spitta.
Friedlaender, Max, »Fälschungen in Schu-
bert's Liedern« 166.
Hagen, Dr. Karl, »Dissertation über die
Musik einiger Naturvölker«; s. J. P.
N. Land.
Hammerich, Angul, »Die Musik am Hofe
Christian's IV. von Dänemark«; s. Elling.
Jacobs, Eduard, »Der Orgelspieler und
Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt
(1673—1732)« 311.
Jansen, F. Gustav, »4. Aufl. von R. Schu-
mann's Gesammelten Schriften«; s. H.
Deiters.
Krebs, Carl, Kritik über »Edward Dannen-
reuther, Musical Omamentation« 235.
»Das Echiquier« 245.
»Die Privatkapellen des Herzogs
von Alba« 39:^.
Kretzschmar, Herrn., Kritik über »Ferd.
Praeger, Wagner, wie ich ihn kannte«
444.
Land, J. P. N., Kritik über »Dr. Karl Haeen,
über die Musik einiger Naturvölker
(Australier, Melanesier^Polynesier)« 239.
Levlnsohn, Albert, »Die Entstehungszeit der
Ouvertüre zu Leonore Nr. 1, op. 138,
mit anschliessenden kritischen Bemer-
kungen zu Nottebohm's Beethoveniana«
128.
Liliencron, R. von, »Zu den Kompositionen
über die Horazischen Metren« 246.
Kritik über »Wilh. Bäumker, Das
katholische deutsche Kirchenlied in
seinen Singweisen « 333.
Kritik über »Joh. Zahn, Altkirch-
liche Introitus zu den Festen und Sonn-
tagen des Kirchenjahres, deutschen
Texten angepasst und für den Kirchen-
chor vierstimmig gesetzte 353.
Planck, Max, »Die natürliche Stimmung
in der modernen Vokalmusik« 418.
Praeger, Ferd^ »Wagner, wie ich ihn
kannte«; s. H. Kretzschmar.
Prochizka, »Mozart in Prag«; s. Ph. Spitta.
Röntgen, Engelbert, »Einiges über Theorie
und Praxis in musikalischen Dingen«
365.
474
Namen- und Sachregister.
Scherer, Carl, »Qertrud Elisabeth Schme-
ling und ihre Beziehungen zu Rud.
Erich Raspe und Carl Matthaei. Ein
Beitrag zur Lebensgeschichte der Künst-
lerin in den Jahren 1766—1774« 99.
Schwartz, Rudolf, »Hans Leo Hassler unter
dem Einfluss der italienischen Madri-
galisten« 1.
Spitta, Philipp, »Ein Weihnachts -Gesang
des Heinrich Baryphonus« 381.
Kritik über »Joh. Ev. Engl, Fest-
schrift zur Mozart-Centenarfeier in Salz-
burg 1 891 ; Adolf Buff, Mozarf s Augs-
burger Vorfahren; H. Deiter's 3. Auflage
von O. Jahn's Mozart-Biographie; Rud.
Freiherr Frochdzka, Mozart in Prag«
441.
Stumpf, Carl, Kritik über » O. Engel, Die
Bedeutung der ZahlenverhSltnisse für
die Tonempfindung« 242.
Wolf, Johannes, »Ein anonymerMusiktraktat
des elften bis zwölften Jahrhunderts«
186.
»Anonymi cujusdam codex Basilien-
sis« 408.
Zahn, Joh., »Altkirchliche Introitus, deut-
schen Texten angepasst und für den
Kirchenchor vierstimmig gesetzt«; s.
R. y. Lilienoron.
Ascherson, F., »Musikalische Bibliogra-
phie« 449.
B. Namen- und Sachregister.
Absolutes TongefDhI 428.
Aegidlus, Joh. Zamorensls, mittelalterlicher
Theoretiker 413.
Agricola, Ornamente im Gesang 237.
Alba, Herzog v, seine Privatkapellen 393 ff.
Alblnus latinisirte die griechischen Tetra-
chord-Namen 218 Anm. 1. ^
AIculn, mittelalterlicher Theoretiker 187.
Amen, Job., Instrumentist aus Thom, ver-
kauft Christian IV. Instrumente 70.
Ammerbach, Koloraturen 235.
Ammon, Woifg., Gesangbuch (1583) 348.
Andernacher Gesangbuch 342, 344 f.
Anonymus 1 bei Gerbert 207—215, 226—
231.
Anonymus IX bei Gerbert 229 f.
Anonymi über die Musik des 11. und 12.
Jahrhunderts 194 ff. (s. Conradus), 408 ff.
Arlbo Scholasticus, mittelalterlicher Theo-
retiker 189, 414.
Arrebo, Anders, Psalter 77.
Augsburger Gesangbuch 348.
Bach, Joh. Seb., Verzierungen 238 —
Besuch eines Engländers bei ihm (1749}
447 f.
Bachrogge, Hans, Sänger und Madrigal-
Komponist 77, 94.
Baiern, Gesangbuch-Reform 335 f.
Bamberger Gesangbuch 344, 346—348.
Barmann, Gesangbuch (1760) 350.
Bartholutzlus, VIncenz, Organist in Kopen-
hagen 75.
Baryphonus, s. Pipegrop.
Bftumker, Wllh., Verdienst um das deutsche
Kirchenlied 339 ff.
Becker, Joh^ Organist in Wernigerode^
seine Dienstanweisung 328, 331 f.
Becker, C. F., Verdienst um das deutsche
Kirchenlied 334.
Beethoven, Daten zur Geschichte der Leo-
noren-Ouverture (Op. 138, Nr. 1) 130 —
Ouvertüre, CmoU-Sinfonie und Cello-
sonate (Op. 69) 136~Gmoll-Sinfonie,
Klavierkonzert Gdur und die Oper,
139— Die Oper für Sehikaneder, Kla-
viersonaten (Op. 53, 54, 57), Tripel-
konzert, Kompositionszeit der Leonore,
1 42 — Großes Leonore - Skizzenbuch ,
Klaviersonaten (Op. 64, 57), Tripel-
konzert, 145 — Beendigung der Oper,
Leonoren-Arie in 1 . 2. 3. Bearbeitung,
Ouvertüre zu Leonore II, Motiv der
Florestan - Arie , 147 — Klaviersonate
(Op. 14), Violinsonate (Op. 12), Klavier-
konzerte in B und C, 152 — Trauer-
marsch der Kiaviersonate (Op. 26j 155
— Klavier - Phantasie mit Chor und
Orchester, Klavierkonzert in Es, 156 —
Violinsonate (Op. 96), Allegretto der
8. Sinfonie, 159— Klaviersonate (Op. 101)
163.
Berlin, Keform der Gesangbücher, 335—
Auftreten der Sängerin Schmeling-Mara
124.
Bernburg, Auftreten der Sängerin Schme-
ling-Mara 110.
Bernellnus, mittelalterlicher Theoretiker
188, 197 Anm. 1.
Namen- und Sachregister.
475
Berno, mittelalterlicher Theoretiker 187 —
18», 191, 193 f., 195 Anm. 4, 196 Anm. 3,
197 Anm. 1, 198 Anm. 3. 199-201, 203 f.,
209 Anm. 4, 210 Anm. 1. 5. 6, 211 Anm.
2. 4, 222 Anm. 4, 226—228, 231 f., 409,
412 f.
Besser, Friedr., Orgelbauer in Braun-
schweig 325.
Beuttner, Nik., Gesangbuch (1602) 344f., 347.
Billroih, Verdienst um das deutsche Kir-
chenlied 334.
Bodlnus, Oswald, f 1697 als Organist in
Wernigerode 314, 321.
Boeiius, mittelalterlicher Theoretiker 186,
189, 194 Anm. 2, 195 Anm. 1. 3. 6, 196
Anm. 3, 208 Anm. 2, 211 Anm. 3, 212
Anm. 5, 213 Anm. 3, 215 Anm. 2, 218
Anm. 1, 219 Anm. 3, 224 Anm. 2, 228
Anm., 229, 233, 411-413, 415 f.
Bonner Gesangbuch 342, 344.
Borchgrevinck, Bonaventura, Kapellmeister
in Kopenhagen 65.
Borchgrevinck, Melchior, Schaler Gio.
Gabrieli's, Organist, Kapellmeister,
Madrigalkomponist in Kopenhagen 69 f.,
72, 74 f., 81, 94.
Bottegari, Cosimo, Komponist für 'die
Laute, 2 — Kanzonen 56 f., 59.
Bttiticher, Andr. Hart., Kantor in Werni-
gerode 314, 319.
Bovicelli, Ornamente 237.
Brade, William, Instrumentist in Kopen-
hagen 78.
Braunsberger Gesangbuch 344.
Braunschwelg, Auftreten der Sängerin
Schmeling-Mara 110.
Breme, Luis, s. Brumen.
Breslauer Gesangbücher 344, 348.
Brumel, Ant., von Zacconi erwähnt 253.
Brumen, Loys, Organist des Herzogs v.
Alba 39S.
Bruns, P. Raymund, Gesangbuch (1738) 348.
Brüssel, Kapelle des Herzogs v. Alba
(1573) 395 ff.
Bull, Dr. John, Koloraturen 236.
Burmeister, Christoph Joach., i 1731 als
Organist in Wernigerode 324, 326.
Bustamante, Franc, da, Sänger des Herzogs
V. Alba, 394 f.
Byrde, Will., Koloraturen 236.
Caccini, Giulio. Lautenarrangements, 2
Anm. — Gesangsverzierun^en 236 f.
Canzonetten von Zacconi mit Madrigalen
verglichen 304 ff.
Carrasco, Hieronym., Sänger des Herzogs
V. Alba 394.
Carthusiensis Monachus, mittelalterlicher
Theoretiker 229 f.
Casslodor , mittelalterlicher Theoretiker
411, 415.
Cavallerl, Emil, del, Ornamente 236.
Celle, Auftreten der Schmeling-Mara 108.
Celso, Cornel., Sänger des Herzogs v. Alba
394.
Chodemari, Joannes, Kapellmitglied des
Herzogs v. Alba 396, 402.
Chor, Mitiivirkung beim Gesang der Kir-
chenlieder 346.
Choral, Blasen vom Thurm herab in Osna-
brück und Kopenhagen 346.
Christian IV. v. Dänemark als Förderer der
Musik 62 ff.
Chromatik in der italienischen Gesangs-
musik des 16. Jahrhunderts 48.
Clpriano, s. Rore.
Clost [Clote] Martin, Altist des Herzogs v.
Alba 397, 401 f.
Cochem, Martin v., Gesangbuch (1568) 345,
347.
Compenius, Esaias, Erbauer der Fredrik-
borger ISchlosskirchenorgel 79.
Conradus, Reichenauer Mönch, muthmass-
licher Verfasser eines musiktheore-
tischen Traktats 192, 230 f.
Constanzer Gesangbücher 344.
Contractus, s. Hermannus C.
Conversi, Giroi., Lauten-Arrangements, 2
Anm.
Cornelio, Franc. Sänger des Herzogs v.
Alba 394.
Corner, P. Gregor, Gesangbuch (1625) 345.
Corneta, Fran^ois, Violinist des Herzogs
V. Alba 397, 402.
Cortes, Franc, Sänger des Herzogs von
Alba 394.
Corvey, Gesangbuch 344.
Corvinus, Joh. Mich., s. Ravn.
Costanzo, Angeio di, Madrigal-Dichter 53.
Cotto, Joh., mittelalterlicher Theoretiker
199 Anm. 3, 205 Anm., 206 Anm. 2,
216 Anm. 2, 412 f.
Couperln, Verzierungen 237.
Cracowit, Mich., Organist in Kopenhagen 81.
Crocaert [Crokaeri] GÜes, Tenorist des
Herzogs v. Alba 396, 401.
Croft, Dr. Will., Sammlung vierstimmiger
Lieder für das Theater 448.
Currende in Wernigerode um 1700, 320.
Daildux [Dalleu, Dalu] Anthoni, Bassist des
Herzogs v. Alba 398, 401.
Danziger Gesangbuch 348.
Dascanio, Josquin, Frottolen 8.
476
Namen- und Sachregister.
Degen, Joh., Gesangbuch (1628) 346.
Deiters. Herrn., Würdigung seiner Neu-
ausgabe y. Jahn's Mozartbiographie 442.
Demant, Christoph, Lieder 20.
Denis, Dichter geistlicher Lieder 350.
Dentlci, Fabrizio, Lauten -Arrangements,
2 Anm.
Deutgen, Rud. Gesangbuch (1781) 351.
Dlabelll als Schubert- Herausgeber 168 Anm.
2, 170 Anm. 2, 173 ff.
Dillinger Gesangbuch 342, 344.
Dlruta, Girol., Verzierungen 235 f.
Dowland, John, Lautenist in Kopenhagen
70—72.
Duderstadter Gesangbuch 344.
Dupont [Dupontre] Jan. Kapellmitglied des
Herzog v.Alba 396.
Duschelc, Franz und Josepha, Ihre Be-
ziehungen zu Mozart 443 f.
Eccard, Joh., Einfluss in Dänemark 77.
Echiquier, Klavierinstrument, Erklärung
des Namens 245 f.
Echo in der italienischen Vokalmusik des
16. Jahrhunderts 32 f.
Eclcelt, Joh. Val., Orgelspieler und Theo-
riker. Herkunft seiner Familie 311 —
Geburtsdatum 312 — Ausbildung
312 f. — Organistenprobe in Wernige-
rode 314 ff. — Dienstliche Funktionen
321 ff. — Organist in Sondershausen
324 — Tod 327 — Kompositionen und
Schriften 313, 320, 327.
Edingius, Rutger, Psalter (1574) 343.
Eger'sche Gesangbuch 344.
Eggerding, Joh. DIetr., Stadtmusikant in
Wernigerode 315, 320.
Elchsffelder Gesangbuch 344, 348.
Eltz, Kari, Harmonium in natürlicher
Stimmung 421.
Engelbert, mittelalterlicher Theoretiker 202
Anm. 1.
Erfurter Gesangbuch 344, 348.
Ernando, Sopranist des Herzogs y. Alba 394.
Faucart, Jac, Violinist in Kopenhagen 97.
Ferretti, Gio., Lautenarrangements, 2 Anm.
Festa, Cost., Madrigale 8.
Flamengo, Anseimo, musikalische Silben
276.
Fischer, A. F. W., Verdienst um das deutsche
Kirchenlied 335.
Fontana, Agostino, Altist und Kapell-
meister in Kopenhagen 93.
Fontego, s. Silvestro dal F.
Fonteio, Gio., s. Nielsen.
Frans, Miquel, Zinkenist des Herzogs y.
Alba 397.
Franz, Ign., Gesangbuch (1778) 351.
Fratlssart [Fratitart] Paul, Altist des
Herzogs v. Alba 396, 401.
Frescobaldi, Ornamente 237 f.
Friderici, Dan., Gesangsverzierungen, 12
Anm.
Froberger, Koloraturen 237.
Frottola, Musikalische Form 2 f., 6.
Fulda'sche Gesangbuch 344.
FUllsack, Zach, und Hildebrand, Christ,
Tanzsammlung 72, 76.
Gabrlell, Andr., Madrigale 4 f., 11, 14 f.,
17, 22 f., 30, 35, 38, 47 Anm., 48 f.,
58 f. — Koloraturen 236.
Gabriel!, Gio., Seine Werke und sein Un-
terricht in Kopenhagen sehr geschätzt
64, 74. — Koloraturen 236.
Gaffurlus über Quintenfolgen 14.
Gagliano, Marco da, Werke in Kopenhagen
beliebt 92.
St. Gallener Gesangbuch 347.
Gastoldl, Gio., Madrigale 5, 27—29, 42.
Gautier, Denis, Verzierungen 237.
Gemeinde, Erklärung des protestantischen
und katholischen Begriffes 349.
Gemeindegesang bei Protestanten und
Katholiken 336f., 343 — in Wernigerode
323 f., s. auch Kirchenlied.
Genzel, Heinr., Organist in Zilly, bewirbt
sich um eine Stelle in Wernigerode
314 f., 317 f., 323, 326.
Geraldo, s. Giraldo.
Gerlandia, s. Hugo de G.
Gesang zu Zacouni's Zeit 259 — einige
schwierige Gänge 269 — die damals
moderne Kunst 275 — musikalische
Silben 276 — das Leisesingen 279 —
das Starksingen bei der Mutation 279 —
äussere Haltung beim Singen 280 —
innere Grazie, Ausschmücken durch
Accente 282 ff. — Aussprache des Textes
290 — Register der Stimme 291 —
übertriebene Auszierungen 299.
Gesangbuch-Reform in unserm Jahrhun-
dert 335, 8. auch Andernach, Augsburg,
Baiem, Bamberg, Berlin, Bonn, Brauns-
berg, Breslau, Constanz, Corvey, Danzig,
Dillingen, Duderstadt, £ger, Eichsfeldt,
Erfurt, Fulda, Gallen, Graz, Hamburg,
Heidelberg, Hildesheim, Ingolstadt,
Innsbruck, Köln, Liegnitz, Mainz, Mols-
heim, München, Münster, Neisse,
Osnabrück, Paderborn, Potsdam, Prag,
Rheinfels, Schweidnitz, Speier, Stras-
burg, Tegernsee, Trier, Wien, Würzbarg.
Namen- und Sachregister.
477
Giacobbi, Werke in Kopenhagen geschätzt
92.
QlbbonSy Koloraturen 236.
QiraldOy Paulo, Sänger des Herzogs von
Alba 394.
Glnstow [Gistou], Nicol., Altist in Kopen-
hagen 72, 75.
filarean, Dodekachord 247/ 408.
Gomberi, von Zacconi erwähnt 255.
Grazer Gesangbuch 344.
Greifer, Matth., Komponist des Chorals
»O Herre Gott, begnade mich« 323.
GuarinI, Madrigaldichter 51.
Guido abbas in Caroli loco, mittelalter-
licher Theoretiker 199 Anm.. 5,
Guido Yon Arezxo, Theoretiker 187, 189.
198 Anm. 4, 230, 233, 411,-416.
Gumpeitzheiffler, Sacri concentus 47 Anm.
Günther, Ambros., Trompeter in Dresden,
zur Krönung nach Kopenhagen 66«
Gutjahr, Chr. Friedr., Kapellan in Werni-
gerode, »erfahrener Musikus« 314, 319,
324 Anm. 6, 326 Anm. 6.
Hamburger Gesangbuch, durch Eambach
reformirt 335.
Hains, Frederich de, Organist des Herzogs
von Alba 398.
Hannover, Auftreten der Schmeling-Mara
102 ff., 108 ff. — Gesangbuch 344.
Hans, Fredrique, s. Hams.
Hasse, »Sancta Helena« in Leipzig auf-
geführt 117.
Hassler, Casp., »Sacrae symphoniae« 58.
Kassier, H. L, Seine Werke unter dem
Einfluss der italienischen Madrigalisten;
musikalisch 21 ff., textlich 51 ff.
Hauner, Komponist geistlicher Lieder 350.
Hausen, Geistliches Liederbuch (1762) 350.
Haussmann, Val., Deutsche Lieder 55.
Haydn, Mich., Herausp;eber von Kohlbren-
ner's geistlichem Liederbuch (1790) 350.
Haym, Joh. v. Themar, Geistliche Lieder
(1581) 343 f.
Hayois [Hayos] Adrian des, Kapellmitglied
des Herzogs von Alba 396, 402.
Hecyrus, s. Schweher.
Heidelberger Gesangbuch 344 f.
Hermann, Nie, Evangelien-Lieder 347.
Hermannus Contractus, mittelalterlicher
Theoretiker 187—191, 195 f., 215—224,
231—234.
Herold, Sam^ Orgelbauer 322.
Hessling, Orgelspieler, bewirbt sich um
eine Stelle in Wernigerode, Nachfolger
J. V. Eckelt's 314 f., 321, 326.
HIeronymus de Moravia, s. MoraVia^
1893.
Hlidebrand, s. Füllsack.
Hildesheimer Gesangbücher 344, 347 f.
Hintze, Aib.j Stadtmusikant in Wernigerode
315.
Hintze, Joh. Balth., ebenfalls 315.
Hornung, Andr., Oi^anist in Wernigerode,
Vorgänger J. V. Eckelt's 321.
Hotz, Pedro du, Kapellmeister des Herzogs
V. Alba 393, 395 f., 399 f., 402 ff.
Howet, Gregorlus, Lautenist, beliebt in
■Kopenhagen 74.
Hubert, ' Boniface, Altist des Herzogs v.
Alba 398, 401.
Hucbald, Theoretiker 187, 195 Anm. 1. 4,
196 Anm. 3, 197 Anm. 1, 216 Anm. 2,
226.
Hugo de Gerlandia, Theoretiker 230.
Jacca, Francisco, Sänger des Herzogs v.
Alba 393.
Jahn's Mozart-Biographie gewürdigt 441 f.
Ingolsiadter Gesangbücher 344.
Innsbrucicer Gesangbuch 344.
Introitus in der protestantischen Kirche
353 ff.
Joachim, Prof. J., Sein Spiel 368 f.
Josephus , Georg , Breslauer Komponist
geistlicher Lieder 346.
Josquin Dascanio, s. Dascanio.
Josquin de Pris, von Zacconi erwähnt 253,
255, 262 f., 270.
Isaac, Heinr., von Zacconi erwähnt 253.
Isidor V. Sevilla, Theoretiker 229, 411,
415.
Kapellen des Herzogs v. Alba 393. ff. -r.
Christian's IV. in Kopenhagen 62 ff. —
in Lübeck 64.
Kassel, Auftreten der Schmeling -«Mara
100 f., 126.
Katholisch, , Das k. deyt^che. Kirchenlied,
in seiner geschichtlichen' EntWickelung'
333 ff. ^ ^ .
Keplers Urthetl über dSe musikalischen
Silben 276.
Kerle, ' J. de, Kompositionen 400..' .
Kethner, Leonh^ Gesangbuch (155&) -343.
Keyenberg, Pet., Dichter geistlicher Lieder
348.
KhUn, Joh., s. Kuen.
Kirchenmusiic - in Wernigerode um 1700,
320, 322 f.,' 328 ff. — 's.; auch" Katholisch.
KIss, Joh;, Stadünusikant'in Wernigerode
315.:
Koch, JL ^, Verdienst um das deutsche
Kirchenlied 335.
32
478
Namen- und Sachregister.
Kohlbrenner, Geistliches Liederbuch (1777)
350.
KVIner Qe^angbücher 344—348.
Kopenhagen, Pflege der Musik am Hofe
Christian's IV. 62 ff. — Blasen der
Choräle vom Thurme 346.
Kortenberji holt silberne Posaunen von
Nürnberg nach Kopenhaffen 66.
Kraft, Joh., Lektor der Musik an der
Universität Kopenhagen, Schriften 95.
V. KOckeison, Vertasser eines Ballets 87.
Kuen, Joh., Dichter geistlicher Lieder 347.
Kunize, Christ, Orgelbauer in Halber-
stadt 325.
Lablache, Urtheil über das Starksingen
279 (yergL Zaceoni).
Lasso, Orl., von Zaceoni erwähnt 276 —
Lautenarrangements, 2 Anm. — deutsche
Lieder 19 f — in Kopenhagen be-
liebt 64.
Lauromberg, Job., Verfasser von Schau-
spielen 88.
Layriiz, Fr., Verdienst um das deutsche
Kirchenlied 335.
Lechner, Leonh., Deutsche Lieder 20.
Leipzig, Auftreten der Schmeling-Mara
117, 120.
Loiseniriii, Gesangbuch (1567) 342-345.
Leisinger, Opemsängerin, ihr Vortrag 372.
LoonI, Leone, Werke in Kopenhagen ge-
schätzt 75, 92.
Lepoinciro [Lepontre] Jaln, Bassist des
Herzogs y. Alba 396, 401.
Leverentz, Alex., Violinist in Kopenhagen
97.
Liegniizer Gesangbuch 348.
Lindenborn, H., Geistliches Liederbuch
(1741) 350.
Locke, Verzierungen 237.
Lorenz, Job., Orgelbauer in Kopenhagen
79.
Loringhoff, Eitel Friedrich, Bassist in
Kopenhagen 80 f.
Loscos, Franc, do, Sänger des Herzogs
von Alba 394.
LQbeclc, Rathsinstrumentisten (1595) 64.
Lucius, Jeannette, Mitglied 4^r Leppert'-
schen Gesellschaft 112.
Maas, Nicolai, Orgelbauer in Kopenhagen
79.
Madrigal, seine musikalische Form 3 ff.,
7, 11 f. — mit den Villanellen ver-
glichen von Zaceoni 304 ff. ~ bei H.
L. Haßler 1 ff.
Mainzer Gesangbücher 344 f., 347.
Mara, s. Schmeling.
Marchettus v. Padua, Theoretiker 413.
Marenzio, Luca, Madrigale. 10 Anm., 11
13—15, 18, 2Ö, 37 f, 40 f., 49, 60 —
in Kopenhagen beliebt 64.
Massak, Hans, Mitglied der Kopenhagener
Kantorei 63.
Medici, isabolla, Großhersogin von Tos-
cana, Lauten-Arrangements 2 Anm.
Meister, Karl Sov., Verdienst um das
deutsche Kirchenlied 336.
Momoronsl [Memorasl], Miquoi do, Stimmer
beim Herzog v. Alba 398.
Morils, JaCv Violinist in Kopenhagen 75.
Morsenno, Verzierungen 237.
Moruio, Ci., Verzierungen 236 — odirt
Nola^a Villanellen 307.
Mosschaori, Konzertsänger, sein Vortrag
368.
Mourslus, Job., sen., Musikj^elehrter 96.
Monrsius, Job., jun., gleichfolls 96.
Micha, Frottolen 8.
MIttolaltorlicho Musiktheorie, s. Theo-
retiker, Musiktheorie.
Molo, C. Gerard, Kapellmitglied des Her-
zogs V. Alba 397.
Moiin, Bastian do, Altist des ^erzog8 v.
Alba 397, 401.
Molshoimor Gesangbacher 344.
Monachus, s. Carthusiensis M.
Monteverdi, CI., Madrigale 75.
Monvoisin, Pioro, Kontra -Altist des Her-
zogs V. Alba 398, 402.
Moralos von Zaceoni erwähnt 254.
Moravia, Hioronymus do, Theoretiker 412 L
Moroni, Sänger in Kassel. Urtheil über
die Schmeling-Mara 100.
Mototto von Zaceoni mit den Villanellen
verglichen 304 ff.
Mouiin, Bast, do, s. Molin.
Mouton, Bio., von Zaceoni erwähnt 253,
262 f.
Movuosin, s. Monvoisin.
Mozart, W. A., Beziehungen zu Franz und
Josepha Duschek 443.
Muiin, Bast de, s. Molin.
MDnchonor Gesangbuch 342, 344 f.
Münster'sche Gesangbücher 342, 344,
347—350.
Muris, Joh. do, Theoretiker 234, 408 Anm.
2, 409—414.
Musica onchiriadls, 187, 206 Anm. 2.
MusilK der Naturvölker, Werth ihrer Er-
forschung für d. Kulturgeschichte 239 ff.
— Definition der Musik bei Zaceoni
250 ff. — niederländische Musik, siehe
Niederländisch.
Namen- und Sachregister.
479
Musiker im Unterschiede Ton den Theo-
retikern und Praktikern (nach Zacconi)
250 ff.
Musiktheorie des H. und 12. Jahrhunderts
nach anonymen Traktaten 168 ff., 408 ff.
Nacaienus, Wilh., Dichter geistlicher
Lieder 347.
Neapel» Privatkapelle des Herzogs von
Alba (1558) 393 ff.
Neisse'sche Gesangbuch 344.
Neuss, Dr., Heinr. Georg,» Superintendent
Dichter und Komponist ^istUcher liie-
der, Beförderer der musikalischen Be-
strebungen in Wernigerode 314 ff.
Nlederllndische Musik, ihre Ausführung
nach Zacconi 255 ff., 2Ö6 ff.
Nielsen, Hans, Schüler Gio. Gabrieli's
74!:, 79.
Nikolaus, Orgelbauer aus Nordhausen
322-
Nola, Gio. Domenico da, Komponist von
Viilan eilen 307 ff., — Lauten- Arrange-
ments 2. Anm.
Notengattungen bei Zacconi 265 ff., — ge-
schwärzte Noten 268.
Noter, Estefan de, Zinkenist des Herzogs
von Alba 397, 402.
Notker Balbulus, Theoretiker 191, 194
Anm. 5, 205 f.^ 227.
Nottebohm's Beethoven-Kritik 128 ff.
Obreclit, Jac, von Zacconi erwähnt 270.
Ockenhelm, gleichfalls, 253, 263.
Oddo, Theoretiker 187, 200 Anm. 4, 201
Anm. 1, 203 Anm. 1, 210 Anm. 1. 230.
Odington, Walther, Theoretiker 230, 410.
Olivier, Qraulel, Kapellmitglied d. Herzogs
von Alba 394.
Opitz, Mart., Geistliche u. weltliche Lieder
89, 347.
Organisten, ihr Beruf und ihre Stellung
in Wernigerode um 1700, 311 ff., 328 ff.
Orgeln in Wernigerode 313, 321 f., 325 f.
in Kopenhagen 79.
Ornlthoparchus, Schrift von Dowland
übersetzt 71.
Ortiz, Diego, Kapellmeister des Herzogs
von Alba 393—395.
Osnabrück, Blasen des Chorals vom Thurm
346 — Gesangbücher 342, 344, 346 f.
Paderborner Gesangbücher 344, 347.
Palestrina, Lauten-Arrangements 2 Anm.
— Madrigale 4, 8—11, 18, 29, 33, 39—
41, 43 f., 46, 48, 55 f., 59 — in Kopen-
hagen geschätzt 64 — von Zacconi er-
wähnt 254.
Pauer's Edition von Purcell 237.
Payan [Payen , Gaspar, Tenorist d. Herzogs
V. Alba 397, 401.
PedersVn, Mogens, Schüler Gio. Gabrieii's,
Musiker in Kopenhagen 74, 76—78, 95.
Pelers, Jacques, Tenorist des Herzogs v.
Alba 396, 401.
Peralta, Baltasar de, Sopranist d. Herzogs
V. Alba 397, 402,
Peramato, Sänger des Herzogs V. Alba 394 f.
PeriaSez, ebenfalls 394.
Petrarca, Dichtungen für Madrigale 54.
Petrucci, Lautenbuch (1507) 2.
Pickerow, Adam, Instrumentenmacher in
Kopenhairen 70, 96.
PIpegrop, Heinr^ ein Weihnachtsgesang
besprochen und in Noten mitgetheilt
381 ff.
Pontre, Jaln le, s. Lepoinctre.
Porta, Cost., Madrigale 31, 37, 52.
Potsdamer Gesangbuch 348.
Praetorlus, Jac, Organist in Hamburg,
bei Christian IV. in gutem Ansehen 94.
Praetorlus, Mich., Besiehungen zu Christian
IV. 94 f.
Prager Gesangbuch 344, 348.
Praxis, ihre Abweichung von der Theorie :
Durakkord 366 — Mollakkord 369 —
Dominant- Septimenakkord 372 — 7.
Stufe der Dur- und MolUeiter 374 —
Wechselnoten 378 — s. auch Stimmung.
Prüm, s. Regino v. P.
Purcell, Verzierungen 237 f.
Pyrmont, Auftreten des Sohmeling-Mara
110.
Quanz, Verzierungen 237.
Qulntenffoigen in Madrigalen 14 — inVil-
lanellen und Canzonetten von Zacconi
erklärt 304 ff.
Rambach, A. J., Verdienste um das deutsche
Kirchenlied 333 f.
Randhartinger als Schubert-Herausgeber
169 Anm. 2.
Ravn, Hans Mikkelsen, Theoretische Schrift
• 95.
Regino v. Prüm, Theoretiker 229.
Regnart, Jac, Deutsche Lieder 20.
Reinecke, Matth., Schüler J. V. Eckelt's,
bewirbt sich um eine Stelle in Wernige-
rode 324 f.
Rheinffelsische Gesangbuch 343 f.
Riedel, Dichter geistücher Lieder 350.
RIetz, Jul. als Schubert-Herausgeber 168
Anm. 2.
32*
480
Namen- und Sachregister.
RImbaulfs Ausgabe der „Parthenia'' 226.
Rist, Joh., Evangeiienlieder 347.
Rixter [Risten, RIxtel], Teodoro, Posaunist
des Herzogs v. Alba 397, 402.
Rore, Clpriano de, von Zacconi erwähnt
254 f. — Lautenarrangements 2 Anm. —
Madrigale 3, 33, 47 Anm.
Rosenthal, Joh., f 1626 als Organist in
Wernigerode 331.
Rossl, L, ,,Orfeo" 53 Anm.
Salinas, Franc, Organist des Herzogs t.
Alba 394 f.
Scarlatti, Dom., Brief an Herzog v. Alba,
Partitur eines Stückes von du Hotz
393, 400 ff.
Scheffler, Dichter geistlicher Lieder 347 f.
Schildt, Melch., Organist in Kopenhagen
80, 94.
Schmeling, Gertr. Ells., Biographische und
künstlerische Nachrichten über sie, ihre
Beziehungen zu Rud. Erich Haspe jun.
und C. Mätthaei 1 00 ff.
SchnUflfis, Laur. v.. Dichter geistlicher
Lieder 347.
Scholasticus, s. Aribo.
Sdiop, Joh., Violönist in Kopenhagen 76, 94.
Schröter, Corona, Sängerin in Leipzig,
' Nebenbuhlerin der Schmeling-Mara 120,
123:
Schubert, Franz, Dresdner Musiker, Brief
an Breitkopf & Härtel über den „Erl-
könig*' 184 f.
Schubert, Franz, Beispiele für die Verun-
zierung seiner Lieder durch Sänger und
Revisoren 166 ff.
Schulze, Mme., Mitglied d.Ackermann'schen
Truppe 111.
Schumann, Rob., Kritische Behandlung
seiner Schriften über Musik und Musiker
durch J.'G. Jansen 355.
Schutz, Heinr., Kapellmeister in Kopen-
hagen 82— 93.
Schwirzung der .Noten bei Zacconi 268.
Schweher, Christ., Geistliche Lieder 344.
Schweidnitzer Gesangbuch .347.
Scrivano, Jo., Frottolen 41.
Senfl, Ludw., von Zacconi erwähnt 253 —
Deutsche Lieder 16 ff.
Silben, musikalische-, Zacconi's und Kep-
ler's Urtheil über. sie 276.
Sllesius. Angelus, Geistliche Lieder 346.
Siivestro dar Fontego, Koloraturen 235.
Simpson, Christopher, Verzierungen 237.
Simpson, Thom., Instrumentist in Kopen-
hagen 78.
Sommaln [Somayn], Jan de, Tenorist des
Herzogs v. Alba 398, 401.
Spee, Geistliche Lieder 346.
Speier' sehe Gesangbücher 344 f.
$plnolt,.Jan., K9.pellmitglied des Herzogs
V. Alba 396, 402.
Stephanus; Job. sen., Theoretiker -95. •
Stimmung, natürliche, in modemer 'Vokal-
musik 418 ff.
Stiphellus, Laur., Kantor in Naumburg,
Komponist v. Oden, Hymnen, Liedern,'
246 f:
Stolie, Phil., Instrumentist in Kopenhagen
97.
Strassburger Gesangbücher 344, 347.-
Striggio, Aiess., Lauten-Arrangements -2
Anm.
Sumburg, Just. Christ, Organist in Werni-
gerode 314, 326.
Sweelinck, Koloraturen 236.
Talavera, Pedro de, Sänger des -Herzogs
V. Alba 394.
Tegernsee'er Gesangbuch .344.
Themar, Joh. Haym. v., s. Haym.
Theogerus, Theoretiker 229 f.
Theoretiker, s. Aegidius, Alcuin, Ano-
nymus, Aribo, Bemelinus, Bemo,
Boetius, Oarthusiensis,' Gassiodor, Ck>n-
radus, Cotto,^. Engelbert, Gafurius,
Glarean, Guido, Hermannus, Hucbald,
Hugo, Isidor, Kraft, Marchettus, Meur-
sius, Moravia, Muris, Mus. ench.,
Notker, Oddo, Odineton, Omithoparch,
Rayn, Begino, Stephanus, Theogerus,
Tunstede, Vitry, Zacconi^ Zarlino.
Theorie, s. MusiKtheorie — ihre Abwei-
chung von der Praxis, s. Praxis. —
Unterschied von der Praxis nach Zac-
coni 250 ff.
Thide, Andr., Hoforganist in Kopenhagen
69.
Thurmbiasen in Osnabrück und Kopen-
hagen 346.
Tollius [Thollus], Joh., SSnger in Kopen-
hagen 73.
TongeffOhi, absolutes 428.
Tos i, Ornamente 237.
Tournhout, Jean, Kapellmeister in Brüssel
399.
Trehou, Greg., Kapellmeister in Kopen-
hagen, Nachfolger Borchgrevinck's 65.
Trierer Gesangbucn 344 f.
Trilier's Gesangbuch (1555) 343.
Tromboncino, Bartol., Frottolen 10.
Tromboncino, Ippol., Lauten-Arrangements
2 Anm.
Namen- und Sachregister.
481
Tücher, Freih. t., Verdienst um das deut-
sche Kirchenlied 335.
Tunstede, Theoretiker 413.
Ulenberg, Casp., Psalter (1589) 343--345.
Uirich, Thom., Organist in Wernigerode
321.
Vaile, P. della, Urtheil über Palestrina's
Zeitalter 258.
Vecchl, Orazio, Madrigale 4 f., 15 Anm.,
46, 48, 52, 58 f. — in Kopenhagen ge-
schätzt 64, 94.
Veckenstedt, Paul, Leiter der Kirchen-
musik in Wernigerode 322.
Vehe, Mich., erstes katholisches Gesang-
buch 342—345.
Venosa, principe da, Madrigale 11, 20, 46.
Verdelot, Bearbeitung der Madrigale durch
Willaert 2.
Verso, Antonio II, Madrigale 52.
Villanellen, Ihre Erklärung und ästhe-
tische Bechtfertigung durch Zacconi
304 ff.
Vinci, Pietro^ Lauten- Arrangements 2 Anm.
Vitry, Phii. de, Theoretiker 413.
Vogl, Mich., Urheber vieler Verunzierungen
in Schubert's Liedern 167—170.
Voigtlinder, Gabr., Trompeter in Kopen-
hagen, Liedersammlung 97.
Voltaimusilc, moderne, und die natürliche
Stimmung 418 ff.
Waciternagel, Phil., Verdienst um das
deutsche Kirchenlied 335.
Walasser, Gesangbuch (1574) 344.
Walther, Chorgesangbuch 352.
Weckmann, INatth., Organist in Kopen-
hagen 97 f.
Weimar, Auftreten der Schmeling-Mara
126 Anm.
Wericmeister, Mitglieder der Familie in
Wernigerode 319.
Werner, Friedr., Instrumentist in Kopen-
hagen 97.
Wernigerode, Kirchenmusik um 1700, 320,
322 f., 328 ff. — Orgeln daselbst 313,
321 f., 325 f. — Familie Werkmeister
319 — Gurrende 320.
Wert, Giacb. de, Lauten- Arrangements
2 Anm. — von Zacconi erwähnt 270.
Weyrauch, Aug. Heinr. v., Komponist des
Fr. Schubert zugeschriebenen »Voici
l'instant« 182.
Wicei, Gesangbuch (1545) 343.
Wiener Gesangbuch 343 f.
Willaert, Adr., von Zacconi erwähnt 254 f.,
257 — bearbeitet Verdelot's Madrigale 2.
Winterfeld, C. v., Verdienst um das deut-
sche Kirchenlied 335.
Würzburger Gesangbücher 344 f., 347 f.
Xaca, s. Jacca.
Xodemart, s. Chodemart.
Zacconi, Lodov., Unterschied zwischen
Theoretiker, Praktiker, Musiker, Sänger
250, 297 — Urtheü über alte und moderne
Kunst 252 — alte Stil 254 — neue Stil
259 — Alter der Musik und ihre Er-
finder 261 — gebräuchliche Noten-
gattungen 265 — geschwärzte Noten
268 — einige schwierige Gänge 269 —
moderne Gesangskunst 275 — musika-
lische Silben 276 — Leisesingen 279 —
Starksingen bei der Mutation 279 —
äußere Haltung beim Singen 280 —
innere Grazie, Ausschmücken xlurch
Accente 282 — Textaussprache 290 —
Stimmregister 291 — Kadenz im Phry-
gischen 298 -^ übertriebene Aus-
zierungen 299 — Villanellen 304 ff.
— Ornamente 236 f.
Zahlenverhiltnisse, ihre Bedeutung für
die Tonempfindungen 242 ff.
Zahn, Joh., Verdienst um das deutsche
Kirchenlied 336, 340.
Zamorensis, s. Aegidius.
Zangius, NIkol., Beziehungen zu Christian
IV. 71 Anm.
Zarlino, von Zacconi erwähnt 254 — Ein-
fluß als Theoretiker 95.
Zelso, s. Celso.
Adressen der Heraasgeber:
Professor Dr. Spitta, d. Z. geschäftsführender Herausgeber, Berlin, W. Burg,
Hafenstraße 10; Dr. Friedrich Chrysander, Bergedorf bei Hamburg; Professor
Dr. Guido Adler, Prag Weinberge, Gelakovskygasse 15.
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