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Full text of "Vierteljahrsschrift für musikwissenschaft"

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Vierteljahrsschrift 

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MÜSIKWISSEI^SCHAFT. 

Uerausgegeben von 

Friedrich Chrysander, Philipp Spitta 
Guido Adler. 

Neunter Jahrgang. 

Preii 12 Mark. 




Leipzig 

i Diuek und Veik^ voa Bieitkopf und übttel 

I 189a. 



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AUe Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten. 



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Hans Leo Hausier unter dem Einflufs 
der italiänischen Madrigalisten. 

Von 

Rudolf Schwartz. 



Die Musik des Mittelalters hat bei den Nordländern einen an- 
deren Entwicklungsgang durchgemacht, als bei den Italiänem. Wäh- 
rend dort der ganze Zug der Entwicklung auf die Yielstimmigkeit 
ging, waltet hier ein monodisches Prinzip vor, der einstimmige Gesang 
in Verbindung mit der Laute. Dem durchaus auf das Persönliche ge- 
richteten Charakter des Italiäners entsprach eben die Monodie, als Aus- 
druck der Empfindungen des Einzelnen vielmehr als die Polyphonie, 
bei der die Empfindung des Einzelnen unter dem Banne der Allgemein- 
heit stand und in dem Ensemble der übrigen Stimmen auf oder 
unterging. Nun wurde zwar durch die Berührung mit den Nord- 
ländern auch die italiänische Musik mehrstimmig, aber der Charakter 
dieser Mehrstimmigkeit wurde durch die Monodie bestimmt. 

Polyphon im Sinne der Nordländer ist die weltliche Musik der 
Italiäner überhaupt niemals geworden, denn der Grundpfeiler der 
Polyphonie, der Tenor als Cantus firmus, war bereits zertrümmert, 
als die Italiäner mit ihren ersten mehrstimmigen Versuchen ans Licht 
traten. Was war aber die Melodie in der Oberstimme anderes, als 
die aus dem polyphonen Strome gerettete Monodie? Nur ihr Klang- 
körper hatte eine Änderung erfahren. War früher die Laute das 
begleitende Instrument der Solostimme, so wurden es jetzt menschliche 
Stimmen, welche die Melodie harmonisch stützten. Die Mehrstimmig- 
keit war das AccidentieUe, die Hauptsache blieb die einfache Melodie. 

Ein gewisses Widerstreben gegen die Polyphonie haben die Ita- 
liäner denn auch nicht verläugnen können. Bezeichnend genug ist 
es jedenfalls, daß sie noch in den ersten Anfangen des koutrapunk- 
tischen Studiums begriffen, die Instrumentalmusik nicht aus den 
1893. 1 



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Au^en .verlb^eii;. "Nicht einmal der Reiz der Neuheit konnte sie 
verlpcke^, die polyphone Kunst ausschließlich zu üben. Bereits 
,l'5t).7*. gab' Petrucci eine gedruckte Lautentabulatur heraus ^ in der 
stell ' Frottolen für die Laute gesetzt finden. Fast als ein Durch* 
brechen des poljrphonen Stiles muß es aber bezeichnet werden, 
wenn 1536 Adrian Willaert Madrigale von Verdelot für eine Solo- 
stimme mit Lautenbegleitung arrangirt. 

Ja selbst in der Blüthezeit der mehrstimmigen italiänischen 
Vokalmusik lebte der von der Laute begleitete Gesang ruhig fort. 
Die Bibliote ca palatina in Modena besitzt (n. 8 classe speciale) einen 
Codex, von der Hand des florentinischen Meisters Cosimo Bottegari 
in den Jahren 1572 — 1602 geschrieben, der hundert Kompositionen 
für eine oder mehrere Singstimmen mit Begleitung der Laute enthält. ^ 

Es kamen aber auch noch andere Gründe hinzu, welche der 
Ausbreitung der Polyphonie nicht günstig waren. Die polyphone 
Vokalmusik gehörte ihrer Entwicklung nach überwiegend der Kirche 
an. Nun war aber zu der Zeit, als die Nordländer ihre Kunst nach 
dem Süden brachten, nirgends der Sinn verweltlichter, als gerade in 
Italien, obwohl es der Sitz des Oberhauptes der Kirche war. Mit 
kirchlichen Dingen fand man sich nur äußerlich ab. Das Interesse 
der gebildeten Stände drehte sich um das Studium der alten Meister- 
werke, »die dazu dienen sollten, die Nationalpoesie auf der Höhe 
der Schönheit und des Ideals zu erhalten.« Für die Musik lag da* 
her auch kein besonderer Grund vor, sich in den Dienst der Kirche 
zu stellen, sie fand an der nationalen Lyrik eine überreichliche und 
erwünschtere Nahrung. Hier galt es nicht von der Kirche fertig 
gemachte Stimmungen, an denen das Herz doch keinen Aütheil nahm, 
sondern subjektives Empfinden, das eigenste Naturell, musikalisch 
darzustellen — magis corde quam organo lautete die Devise eines 
italiänischen Druckerzeichens. 

In diesem Betonen des Persönlichen besteht ein wesentlicher 
Unterschied zwischen der italiänischen und deutschen weltlichen 
Musik des sechszehnten Jahrhunderts. Der zweite liegt auf for- 
maler Seite. Die Italiäner hatten sich gleich bei ihren ersten poly- 
phonen Gesängen, den Frottolen, dadurch eine musikalische Form 
geschaffen, daß sie die poetische Struktur des Gedichtes auf 

* Poesie musicali dei secoli XIV, XV e XVI. Tratte da vari codici per 
eura d% Antonio CappeUi. Bologna 1S68, pag. 17 und 18. Der Codex enthält nach 
der Angabe Cappelli's Stacke von folgenden Autoren: Bottegari Cosimo. Caccini 
Giulio, detto Komano. Conversi Oirolamo. Dentioi Fabrizio. Ferretti Giovanni. 
Lasso Orlando. Medici Isabella (sorella del Granduca di Toscana). Nola (da) 
Gio. Bomenico. Palestrina Giannetto. Rore Cipriano. Strigio Alessandro. Trom- 
bonoino Ippolito. Vinci Pietro. Wert Jaches. 



Hans Leo Häßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 



die Musik übertrugen. Aus den einzelnen Versen bildeten sie ganz 
kurze musikalische Perioden, die neben einander angereiht wurden 
und sich nicht, wie in der deutschen Liedkomposition, in einander 
verschlangen. Dadurch bekam das Gedicht eine seinem strophischen 
Bau genau entsprechende musikalische Form. Wie die poetische, 
so bestand auch die musikalische Frottole aus drei Theilen, von 
denen der dritte den ersten wiederholte. Bei der musikalischen 
Gestaltung wurde die Dreitheiligkeit der Form dadurch noch be- 
sonders hervorgehoben, daß der erste Satz gewöhnlich repetirt, und 
der letzte Satz mit einer Coda versehen wurde, so dafi der Anfang 
und Schluß der Komposition zu dem kürzeren mittleren Theile auch 
schon äußerlich einen Gegensatz bildete. 

Das Madrigal, eine Frucht der fortgeschrittenen Kunstentwick- 
lung, verwischte im Allgemeinen die scharfen Umrisse der Frottolen- 
form wieder. Das Prinzip derselben, die Dreitheiligkeit, wird aber 
auch hier zuweilen beibehalten. 

Regel ist es, daß die Schlußverse des Gedichtes wiederholt wer- 
ben. Diese Wiederholung stimmt entweder mit dem ersten Male 
genau überein, oder sie hebt einen neuen musikalischen Gedanken 
an. Für die erste Art diene folgendes Madrigal von Ciprian de Köre 
als Beispiel: 

Aficor che col partire, 

Jo mi senta morire 

Partir da voi vorrei ogni momeniOj 

Toni el piacer chüo sento 

Della vita che acquisto nel ritomo. 

Et cosi mille e mille volle il giorno 

Partir da voi vorrei, 

Tanto son dolci li ritorni miei. 

Der in Frage kommende Schluß der Komposition zeigt folgende 
musikalische Gestalt: 



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Rudolf Schwartz. 



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Für die zweite Art diene nachfolgendes Palestrina'sche Madrigal. 
Hb. n, Nr. 16: 

Amor, quando fiorui 

Mia spene e^l guiderdon d^ogni mia fede^ 

Tolta nie quella ond! attendea mercede. 

Aki dispietata morte! ahi crudel vita! 

Uuna friä posto in doglia, 

E mie speranze acerbamente ä spente: 

Zf' cUtra mi tiene^qua giü contra mia voglia, 

E lei che se rie gita 

Seguir non posso, cKella nol consente 

Ma pur ogtd. or presente 

Nel mezzo del mio cor madonna siede, 

E quäl e la mia vita ella sei vede. 

Der Schlußvers ist folgendermaßen komponirt: 



h -<■ f r r r|J7r; j J , r"7lr-^r nr7~n 



e quäl e la mia vi - - ta el-la sei ve -de e qital e la mia 



j^^ r r r-f-fr-^iJ- ^-JvJ Jiin^ 



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vita el-la sei ve-de^ ella sei ve - - - de, el-la sei ve - de. 

Bei den Wiederholungen der Schlußverse pflegen Andrea Gabrieli 
und zuweilen auch Orazio Vecchi eine Vertauschung derjenigen Stimmen 
Yorzunehmen, die unter gleichen Claves singen. 

Aus diesem allen geht hervor, daß die italiäiuschen Madrigalisten 
dem Schlüsse ihrer Kompositionen eine besondere Bedeutung bei- 
legten« Da sie nun aber auch den Anfang ihrer Stücke durch öftere 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 



Textwiederholungen weiter ausspannen, so treten Anfang und SchluB 
in einen gewissen Gegensatz zu dem übrigen Theile der Komposition, 
und das ganze Stück erhält dadurch eine dreitheilige Form. Dieses 
Verfahren hat namentlich Andrea Gabrieli gern beobachtet, z. B. in 
Nr. 8 des zweiten Buches der sechsstimmigen Madrigale, Venedig 
MDLXXXVI. 

Die Dreitheiligkeit der Madrigalform ist im Prinzip dieselbe, 
wie die der Frottolen, denn die Wiederholung der Anfangs verse fand 
auch dort statt, und der breit angelegte Schluß entspricht dem 
Frottolenschlusse mit der Coda. 

; Auf demselben Gegensatz des Anfangs - und Schluß theils zu der 
Mitte der Komposition beruht die Dreitheiligkeit der Kanzonetten 
Orazio Vecchi's (Nürnberg MDC), von denen ich Nr. 16 hier hersetze: 



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Chi^ari lu-cen-ti rat che dentroalco-re, Po-nesti un taV ar-do-re, 



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Che mi sface in ufi tempo e tie - ne in vi - ta, 

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Co - me 




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(las- 8o) da voi fa - ro par-ti - ta. — ta. 



Neben dieser Kanzonettenform A :i|: B C:'{: kommt auch noch die 
folgende: A : : B :|l: vor (cf. Vecchi Nr. XVIII, Giov. GastoldiNr. 19). 

Die Balletti Giovanni Gastoldi*s (Venedig 1600, siebente Auflage) 
haben dieselben Formen wie die Kanzonetten, also a :I|: b c : : oder 
a :il: b :|;: die zweitheiligen Sätze sind hier jedoch vorherrschend. 
Die übrigen Formen, welche die italiänische Musik im sechszehnten 
Jahrhundert ausgebildet hatte, lasse ich hier bei Seite, da sie für 
die nachfolgende Abhandlung nicht von Belang sind. 

Im Vergleich zu dem ausgeprägten Formenwesen der italiänischen 
Musik kann man in der deutschen Liedkomposition bis zum Auf- 
treten Haßler's von eigentlichen musikalischen Formen nicht wohl 
reden. Hier herrschte das Prinzip, das Stimmgewebe möglichst wenig 
zu zerreifien, und wenn auch im Allgemeinen das Gesetz von der 
Repetition der beiden Stollen und dem Gegensatz des Abgesanges 
hierzu beobachtet wurde, wodurch eine gewisse Zweitheiligkeit der 



5 Rudolf SehwartE , 



Form entstand, so scheute man doch selbst hier vor einer wirklichen 
Trennung der beiden Theile zurück und suchte die Verbindung der- 
selben auf irgend eine Weise aufrecht zu erhalten. 

Ganz anders die Italiäner. Ihre Gesänge haben nicht eine ohne 
Unterbrechung fortlaufende Melodie, sie bestehen vielmehr aus ein- 
zelnen Theilen, musikalischen Perioden, die deutlich von einander 
abgesondert sind. Im Gegensatz zu der deutschen Liedkomposition 
herrscht also hier nicht eine Verbindung, sondern eine Trennung der 
einzelnen musikalischen Gedanken. 

Zwei wesentliche Unterschiede existiren demnach zwischen der 
deutschen und italiänischen Musik des sechszehnten Jahrhunderts: 
der eine betrifft die technische, der andere die formale Seite der 
Komposition. 

DfL nun aber die Haßler'schen Kompositionen diese beiden Unter- 
schiede vermissen lassen, und sowohl in der Technik des Satzes, als 
auch in der Form ganz in dem Stile der Italiäner sind, so muß man 
eine italiänische BeeinfluBung seines Stiles annehmen. Daß eine 
solche aber wirklich vorhanden ist, werde ich durch eine Vergleichung 
seiner Kompositionen mit den italiänischen Madrigalen nachzuweisen 
suchen. 

I. 

Das italiänische Madrigal wurzelt in der Frottole, ein Sachver- 
hältniß, das ich in meiner Abhandlung «die Frottole im fünfzehnten 
Jahrhundert« (Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft, 18S6, IV) nach- 
gewiesen habe. Ebenso wie die Frottolisten schlössen sich auch die 
Madrigalisten eng an den Bau des Gedichtes an. Da aber die poetische 
Struktur in beiden Dichtungsarten eine andere war, so mußte sich 
auch die musikalische Form derselben verschieden gestalten. 

Die Frottole bestand aus drei Theilen, die sich so gliedern, daß 
der Anfangssatz zum Schluß wiederholt wird. Aus den einzelnen 
Verszeilen des Gedichtes bildeten die Frottolisten 3- und 6- oder 4- 
und 8-taktige Perioden, derartig, daß das Versende sich jedesmal mit 
einer musikalischen Kadenz aller Stimmen deckte. Nur an den Schluß- 
vers schloß sich gewöhnlich eine längere oder kürzere Coda an, je 
nachdem man ihn ganz, oder nur einzelne Worte desselben wieder- 
holte. 

Diese knappe Form, die schon stark an den allerge wohnlichsten 
Schematismus streifte, konnte wohl für die dilettantischen, ersten mehr- 
stimmigen Versuche der Frottolisten genügen, für die kunstvollen 



Hans Leo' Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 



Gebilde aber der Madrigalisten mußte sie nicht bloß als eiae lästige 
Fessely sondern geradezu als ein Hemmniß des polyphonen Stiles er- 
scheinen. Da aber die Kunst in ihrer weiteren Entwicklung in der 
Hauptsache einen polyphonen Charakter annahm, so mußte sie diesen 
Formenzwang, der überdies in der homophonen Schreibweise der Frot- 
tolen seinen Grund hatte, um so drückender empfinden. Die Madri- 
galisten ließen zwar auch, wie ihre Vorgänger, da einen musikalischen 
Abschnitt eintreten, wo ein Vers zu Ende war, überließen aber die 
Anzahl der kadenzbildenden Stimmen sowohl, als auch namentlich 
die Größe der musikalischen Perioden für die einzelnen Verse des 
Gedichtes ganz dem eigenen Ermessen des Komponisten. Nun war 
der beengende Formenzwang durchbrochen, jetzt konnte die Phantasie 
des schaffenden Künstlers frei schalten und walten. Aber die spätere 
Kunst riß nicht bloß die alten Gebäude ein, sie baute auch neue 
auf. Dadurch nämlich, daß die Madrigalisten bald den ganzen Stimme 
komplex, bald nur einzelne wenige Stimmen sich an der Kadenz be- 
theiligen ließen, gewannen sie gewisse musikalische Kontraste, durch 
welche sie nicht nur die einzelnen Verse des Gedichtes deutlich von 
einander abheben, sondern auch wichtigere besonders hervorheben 
konnten. 

Die bedeutenderen Momente der Dichtung wurden durch den 
ganzen Stimmkomplex, die weniger bedeutenden durch die geringere 
Anzahl von Stimmen auch musikalisch als solche gekennzeichnet. 
Denselben Gründen entsprang auch der zweite Kontrast, die Gegen- 
überstellung der homophonen und polyphonen Schreibart, musikalische 
Ausdrucksmittel, die natürlich bei der homophonen Setzweise der 
Frottolen unmögUch waren. 

Bahnbrechend für eine neue Kunstrichtung, im Verhältniß zu 
den Nordländern, waren aber die Frottolisten dadurch geworden, daß 
sie die Melodie dem Tenor abnahmen und in den Sopran legten. 
Die Madrigalisten billigten dieses Sichlossagen von dem alten Tenor, 
und räumten auch ihrerseits dem Sopran die herrschende Stellung 
ein, indem sie die richtige Erkenntniß ihrer Vorgänger theilten, 
daß die oberste Stimme der geeignetste Platz für die Melodie wäre. 

Daß das Madrigal eine andere Form annahm, als die Frottole, 
lag wesentlich in der Verschiedenheit des strophischen Baues der 
beiden Dichtungsarten. Da die poetische Struktur des Madrigals 
jene Dreitheiligkeit der Frottolen nicht aufwies, so lag auch für die 
musikalische Komposition kein Grund vor, eine von dem Gedichte 
abweichende Form auszubilden. 

Ganz vergessen war übrigens die Frottole auch im späteren Ver- 
lauf des sechszehnten Jahrhunderts noch nicht. In den dreistimmigen 



g Rudolf Schwarte, 



Madrigalen des Costanzo Festa fVenedig bei Antonio Gardano, 1543J 
finden sich einige, die genau dem Bau der Frottolen entsprechen. 
Ein Madrigal daselbst: 

O Dio che la brunetta mia che Te difora 
ne vol iomar anchora, O Dio che fdaccora 
che meco non dimora almerl una sol hora, 

O Dio che la brunetta mia che Te difora, 

stimmt genau Note für Note mit der Frottole des Micha, im ersten 
Buche, fol. 38 der Petruccischen Sammlung überein , nur daß die 
vierstimmige Frottole hier durch Weglassen des Altes als ein drei- 
stimmiges Madrigal erscheint. Von Festa kann die Komposition nicht 
sein, da sich Micha als Dichterkomponist in d^m Petruccidruck aus- 
drücklich bezeichnet. Eine bekannte Thatsache ist es aber, daß die 
Meister nicht immer die Herausgabe ihrer Werke selbst überwachten, 
und so wird durch ein Versehen des Druckers, diese jedenfalls beliebt 
gewesene Frottole in die Sammlung Festa'scher Madrigale hinein- 
gekommen sein. Einer ähnlichen Beliebtheit muß sich auch die Frot- 
tole d/w te Domine speraviv von Josquin Dascanio (Petrucci, Frottole 
lib. I fol. 50) erfreut haben. Wir begegnen derselben wieder in dem 
Codex F. X. 22, 23, 24, aus dem Jahre 1535, den die Baseler Uni- 
versitätsbibliothek besitzt. Am Ende der gedruckten Lieder hat ein 
Liebhaber noch eine Reihe von Gesängen handschriftlich aufgezeichnet, 
unter denen sich auch das Josquin'sche Stück befindet. Allerdings sind 
hier nur Sopran und Baß erhalten, die aber genau mit der älteren 
Vorlage übereinstimmen. Der Name des Autors findet sich hier 
nicht, vielleicht weil er zu bekannt, oder schon der Vergessenheit 
anheimgefallen war. 

Von den vierstimmigen Madrigalen Palestrina's ist Nr. IS des 
zweiten Buches der Form nach eine Frottole. 

Der Text lautet: 

1. La cruda mia nemica 

Del mio dolor $i pasce e si nutrica: 

Per che talor si pia, 

La veggio al mio languire, 
5. Che parmi udirla dire: 

Spera cKin hreve ßnirä il tormento. 

E poscia in un mxnnefito, 

Veggendo mi contentOj 

Mi si mostra s\ ria, 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. <) 



10. CKancide il fior de la speranza mia; 
Ond e forza, cKio dica: 
La cntda mia nemica 
Del mio dolor si pasce e si nutrica. 

Die Komposition hat folgende Fonn: 

Vers l und 2 bilden einen deutlichen musikalischen Abschnitt, der 

am Schlüsse des Madrigals, mit einer längeren Coda 
versehen, noch einmal auftritt. 

Yers 3 ist ein anfangs homophon gearbeiteter Satz, der sich 

nachher freier gestaltet. Interessant ist hier, so wie 
auch an mehreren anderen Stellen der Komposition, 
das Korrespondiren der beiden äußeren Stimmen, in- 
dem der Baß die vorgeschlagene Sopranmelodie in 
der tieferen Oktave, oder wie im Vers 10, der Sopran 
die vorgeschlagene Baßmelodie in der höheren Oktave 
wiederbringt, während eine der beiden Stimmen pausirt 
oder durch Melismen fortgesponnen wird. 

Vers 4 wird vom Alt und Baß zweistimmig gesungen. 

Vers 5 ist dreistimmig ohne Baß gesetzt. 

Vers 6 betont absichtlich seine Zweistimmigkeit, um zu dem 

folgenden 

Vers 7 auf dem sich der ganze Stimmkomplex (nota contra 

notam) vereinigt, einen recht deutlichen Kontrast zu 
bilden. 

Vers S wiederholt die eben gesungene Melodie zweimal und 

zwar das erste Mal im Sopran unter Begleitung des 
Altes und Teueres, das zweite Mal im Basse (in der 
tieferen Oktave), während Sopran und Alt dazu sei* 
feggiren. 

Vers 9 ist ein freierer vierstimmiger Satz. 

Vers 10 wird von den beiden unteren Stimmen begonnen, zu 

denen sich die oberen nach einander gesellen. Der 
Baß hört aber beim Einsetzen des Sopranes auf, nach- 
dem er diesem die Melodie vorgeschlagen hat, die der 
Sopran nun in der höheren Oktave genau wiederholt« 

Vers 11 ist eine homophon gesetzte vierstimmige Periode, an 

die sich der Anfangssatz der Komposition mit einer 
Coda anreiht. 

Aus der musikalischen Form dieses Madrigales erhellt die 
Richtigkeit des vorhin aufgestellten Satzes, daß sich auch die 
Madrigalisten eng an den Bau des Gedichtes anlehnten. Die 



10 



Rudolf Schwarte, 



poetisclie Struktur der Frottole hätte also sehr wohl auch dem spä- 
teren Madrigal zur Grundlage dienen können, die musikalische dagegen 
mußte mit dem Fortschreiten der Kunstentwicklung zusammenbrechen. 
Das rein Musikalische der Frottolen dagegen erwies sich in manchen 
Beziehungen als lebensfähig und der weiteren Ausbildung fähig. 

Die Frottolisten liebten es, den Text mit der Musik in die mög- 
lichste Übereinstimmung zu bringen, d. h. sie bestrebten sich den 
Text da, wo sich die Gelegenheit bot, auch musikalisch zu veran- 
schaulichen. Sicherlich beabsichtigt ist es z. B., wenn ein Komponist 
das Dcorrere dietro al vento« im neunten Buche Folio 45 durch fol- 
gende Tonreihe musikalisch illustrirt, 



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oder wenn Bartolomeo Tromboncino in demselben Buche fol. 13 den 
festen Entschluß [eines Liebhabers, seiner Angebeteten zu folgen, 
durch fünfmalige Wiederholung desselben Melodietones g ausdrückt^. 



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o - sti ' na- to vo se - gm 

Derselben Vorliebe für die Textmalerei, die manchmal, nach 
unseren heutigen Begriffen wenigstens, in reine Spielerei ausartet, 
begegnen wir auch in der späteren Madrigalkomposition wieder. 
Sicherlich ist folgende Komposition der Worte nbrevi i diletU son^ 
lunghi gli affanmik aus Nr. 13 des dritten Buches der Madrigale yon 
Palestrina, nicht viel mehr als eine Spielerei: 




hrt'Vi % dt'Ut'ti 9on, lun - ghi giiaf - fan - - - 



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^ Gans analog komponirt Luca Marenzio in seinen Madiigali spirituali pag. 9 
einen ähnlichen Gedanken f olgendennaßen : 



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io non mu-to pen^siei" 



Hans Leo Haßler unter dem Einfloß der italiänisohen Madn>aliBten. | j 



Die Absicht des Komponisten ist einleuchtend. Man merkt deutlich, 
wie Palestlina duich denText selber zu dieser Kompositionsweise gebracht 
ist, daB er nämlich den Gegensatz der beiden Epitheta brevi und lunghi 
durch die Augmentation der I^otenwerthe auch musikalisch als einen 
solchen kennzeichnen wollte. Daß dies Verfahren ein rein äußerliches 
ist, liegt auf der Hand, ebenso wenn Luca Marenzio in seinen Madrigali 
spirituali das Wort oscuro immer durch Schwärzung der betreffendenNoten 
wiedergiebt ; oder wenn der Principe di Yenosa, im ersten Buch seiner 
funfstimmigen Madrigale pag. 7, die Stelle /ra due mi tieni jedes- 
mal nur von zwei Stimmen singen läßt, während die anderen pausiren. 
Andrea Gabrieli , der denselben Text im zweiten Buch seiner sechs- 
stimmigen Madrigale pag. 3 komponirt hat, läßt sich zwar auch an 
dieser Stelle von dem Sinne des Textes beeinflussen, indem auch er 
eine gewisse Zweistimmigkeit anstrebt, aber er entledigt sich seiner 
Aufgabe geschickter, künstlerischer. 

Die Zweistimmigkeit bei dem Worte due^ haben die italiänischen 
Tonsetzer gern angewendet, weil sich ihnen hier eine willkommene 
Gelegenheit bot, textliche Beziehungen durch rein musikalische Mittel 
auszudrücken, ein Verfahren, das in ihrem kompositorischen Prinzip 
begründet war, eine möglichst innige Verschmelzung der Poesie mit 
der Musik anzustreben. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, 
erscheint manches Sonderbare in der Komposition weniger auffallend, 
ja selbst die Spielerei mit den Silben des Hexachordes wird dadurch 
i)egTeiflicher, denn die größeste Übereinstimmung des Textes mit 
der Musik bestand doch schließlich darin, daß man Textworte un- 
mittelbar durch gleichlautende Noten übersetzte. Die Anfänge jener 
Wortmalerei lagen in der Frottole: das Madrigal behielt dieses Aus- 
drucksmittel als eines ihrer vornehmsten bei. Konnte ich a. O. von 
den Dichtungen der Frottolen sagen, daß sie der WiederhaU der 
Empfindungen der ganzen Nation waren, und daß einzelne Rede- 
wendungen schon so sehr als Gemeingut galten, daß Niemand Be- 
denken trug, dieselben für sich da in Anspruch zu nehmen, wo sie 
ihm am Platze zu sein schienen, so gilt dies nicht weniger von ein- 
zelnen musikalischen Wendungen des späteren Madrigals. 

Hierhin gehören folgende melismatische Figuren, welche sich in 
den Madrigalen der verschiedensten Meister unzählig oft wiederfinden, 



1 Auch bei dem Worte solo habe ich eine ähnliche Wortmalerei verschiedent- 
lich gefunden. Die Stimmen sind hier so geführt , daß schließlich eine Stimme 
allein auf dem Worte sol abschließt. 



12 



Rudolf SchwartB, 



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ferner folgende Wendungen, die bei den Kadenzbildungen in allen 
Stimmen angewendet sind; 



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hierhin gehören ferner die Läufe bei den Worten vento, pioggia, 
dardo, saetta^ strahl ßamma, foco und mo, die trotz der Verschieden- 
heit ihrer Autoren eine große Ähnlichkeit unter einander aufweisen, 
femer die musikalisch-bildliche Darstellung einiger Worte wie z. B. 
der Oktavensprung bei dem Zusammentreffen der Begriffe cielo e terra, 
oder die Trennung der Wörter respiro und sospiro durch eine Pause 
hinter der Vorsilbe, u. s. w. 



1 Ob und in wie weit hier Beeinfiußungen durch die Gorgia vorliegen (cf. 
Chrysander's Aufsatz in der VierteljahrBschrift 1891], will ich hier nicht entscheiden» 
Auffallend bleibt, daß die Kolorirung gerade so häufig in den Kadenzen auftritt, 
und das waren ja die Stellen »die den S&nger ganz besonders einluden, Fiorituren 
und Fassagen anzubringen a. Daß die Gorgia Anfang des 17. Jahrhunderts sich 
allgemein verbreitet hatte, beweist die Mitsica ßguralis von Daniel Friderici (Ro- 
stock 1619), in der er ausführliche Regeln über die Ausschmückung der Stimmen 
giebt Dort heißt es: »Im Basi sollen keine Coloraturen mehr gemacht werden | 
dann die so vom Componiaien gesetzet sein | sonsten wird das fundament des Ge- 
sanges zerrißen | und bleiben die andern Stimmen Bodenloß | und wird nichts 
den nur eine verdrißliche dissonanz gehöret«. Dagegen gestattet Friderici die 
Gorgia bei den andern Stimmen; diese sollen »also coloriren, daß sie nicht vitia 
musicalia einführen | solches können sie merklich vorhüten | wan sie in dem Ckme 
auffhören | darinne sie anfange. 

Exemplum: 

Recht ist's 



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oder so zu singen. 



Unrecht aber ist's 



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Hans Leo Haßlex unter dem Einfluß der itali&nischen Madrigalisten. \ 3 



Es liegt nicht in meiner Absicht, noch näher auf diese Einzel- 
heiten einzugehen; einer eigenthümlichen Schreibweise jedoch, die 
sich durch die ganze italiänische Madrigallitteratur hindurchzieht 
und die ich eine motivisch-thematische nennen will, muß ich noch 
Erwähnung thun. Ihr Keim liegt übrigens wiederum in den Frot- 
tolen. Das Charakteristische dieser motivischen Schreibweise besteht 
in der Wiederholung einer Tonreihe auf einer höheren oder tieferen 
Tonstufe; die Gründe für die Ausbildung dieser Setzart sind wiederum 
in dem Bestreben der italiänischen Tonsetzer zu suchen, für den 
poetischen einen möglichst adaequaten musikalischen Ausdruck zu 
schaffen. Dadurch nämlich, daß ein musikalischer Gedanke auf einer 
höheren Tonstufe wiederholt wird, gewinnt er einen leidenschaft- 
licheren Charakter und kann deshalb zum Ausdruck eines gesteigerten 
Gefühles in der Dichtung dienen, während umgekehrt die Versetzung 
einer Tonreihe auf eine tiefere Stufe ein Nachlassen des Gefühles 
ausdrückt und sich deshalb zu beruhigteren, leidenschaftsloseren 
Stimmungen im Gedichte eignet. 

Auch werden die Motive verkehrt, vergrößert und verkleinert. 

Es bleiben noch einige technische Eigenthümlichkeiten der Setz- 
weise zu besprechen übrig. Bei der Kadenzbildung der italiänischen 
Meister finden wir den Quartsext- und Septimenakkord mit seinen 
ümkehrungen deutlich ausgebildet. 

S(^ar den verminderten Septimenakkord habe ich gefunden: 
Marenzio, Madrigal Nr. 2, lib. I. 



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Eine weitere Eigenthümlichkeit der Kadenzbildung besteht in 
der Beweglichkeit der einzelnen Stimmen. 

An die Kadenzbildung der Frottolen erinnert der Oktavensprung 
von der Quinte der Tonart in die Oktave der Quinte. 



14 



Rudolf Sehwarti;, 



Wenn auch der Oktavensprung nicht im Basae, sondern regel- 
mäßig in einer anderen Stimme auftritt, so scheint mir bei dieser 
Schreibweise doch ein Einfluß der Frottolen vorzuliegen, da auch die 
Frottolisten den Sprung zuweilen von einer mittleren Stimme ausführen 
ließen. 

Oktaven- und Quintenparallelen in unserem Sinne sind in den 
Madrigalen nicht gerade selten; nach damaligen Anschauungen aber 
waren diese Fortschreitungen nicht unter allen Umständen verboten. 
Gafurius z. B. gestattete dieselben ausdrücklich, wenn zwischen den 
beiden Konsonanzen die Pause einer Semibrevis stand; die Frotto- 
listen änderten diese Regel dahin ab, daß sie statt der Pause der 
Semibrevis die der Minima annahmen, wie das folgende Beispiel zeigte 



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Nahe lag es, an Stelle dieser Pause, die ja doch schließlich nur 
für das Auge bestimmt war, eine Verlängerung der ersten Note um 
den Werth der Pause eintreten zu lassen, d. h. die erste Note ein- 
fach zu punktiren und die Regel so zu fassen : Quinten- und Oktaven- 
parallelen sind erlaubt, wenn die erste Note der beiden Konsonanzen 
einen Punkt hat. In dieser Fassung nahmen die besten Madrigal- 
komponisten die Regel an. 

Stellen, wie die folgende, entsprachen also durchaus den Be- 
dingungen des reinen Satzes. 



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(L. MarenziO; I. Buch der Madrigale, pag. I.) 
Derartige Parallelen finden sich selbst da, wo die Stimmen nicht 
stufenweise fortschreiten : 



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Marenzio. 



A. Gahrieli. 



* cf. S. 464 meiner Abhandlung »Die Frottole im 15. Jahrhundert«. 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der itali&nischen Madrigalisten. \ 5 



Duldete man nun einmal Parallelen, bei denen die sweite Kon- 
sonanz sozusagen vorbehalten wurde, d. h. nachschlug, so konnte man 
auch das umgekehrte Verhältniß, die Vorwegnähme der zweiten 
Konsonanz, sehr wohl gestatten. 



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Marenzio, 



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A* Gabrieh. 



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II. 

Die Grundlage aller polyphonen Gesangsmusik der Nordländer 
ist im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert der Tenor. Er ist 
der Träger der Melodie. Die übrigen Stimmen stehen zu ihm in 
einem abhängigen Verhältnisse, da sie ihre Melodien entweder durch 
Imitation aus dem Tenor gewinnen, oder nur Umbildungen dieses 
unter Berücksichtigung seiner charakteristischen Melodieschritte sind, 
oder endlich ihm nur als begleitendes Beiwerk dienen. Mit dem 
Erscheinen Hans Leo Haßler's tritt ein Wendepunkt in der welt- 
lichen Musik der Nordländer ein. Der Tenor als Cantus firmus ver- 
schwindet aus der Komposition und giebt seine herrschende Stellung 
an den Sopran ab, der nun der Träger der Melodie wird. Eine so 
Tollständige Umgestaltung einer Kunstrichtung, noch dazu wenn sie 
auf Jahrhunderte langer Tradition beruht, tritt aber gewöhnlich nicht 
mit einem Male und ganz plötzlich auf, sondern es pflegen derselben 
eine Keihe gewisser Momente voraufzugehen, in der die Umgestaltung 
selbst nur als ein Schluß- nicht aber als ein vollständig neues Glied 
erscheint. Zum richtigen Verständnis der Stellung Haßler's zu den 
deutschen Tonsetzern wird es daher nöthig sein, einen kurzen 
Überblick über die weltliche Liedkomposition der Deutschen im 



1 In Betreff der Quintenparallelen, welche sich in den Villanellen alla Napo- 
litana vorfinden, verweise ich auf meine Abhandlung in der Vierteljahrsschrift 11, 
8.462, habe aber noch hinsuzufügen, daß auch in den dreistimmigen lustiniane 
von Orazio Yecchi solche Qu intenf ortschrei tungen an der Tagesordnung sind; 
Stellen, wie die folgende, sind durchaus nicht selten: 




Iß Rudolf Schwarte, 



sechszehnten Jahrhundert zu gehen, um einerseits diejenigen Momente 
hervorzuheben, Vielehe Abweichungen von dem alten Prinzip ent- 
halten, andrerseits aber die Vereinigung dieser in den Haßler'schen 
Kompositionen nachzuweisen. 

Ludwig Senfi, der eigentliche Liederkomponist des sechszehnten 
Jahrhunderts, steht mit seiner weltlichen Musik ganz auf dem Boden 
der alten Kunstrichtung. Seine Melodien erklingen demgemäß im 
Tenor. Der musikalische Satz verräth überall die Hand des Meisters, 
der über alle kontrapunktische Künste frei schalten und walten kann ; 
aber das Anziehende seiner Lieder besteht gerade darin, daß er den 
Kontrapunkt nur als Mittel benutzt, um die Stimmung des Gedichtes 
ganz zu erschöpfen. Er sucht seine Musik in XJbereinstimmung mit 
den durch den Text gegebenen Affekten zu bringen. Dies gelingt 
ihm überall meisterhaft; seine Kompositionen sind in des Wortes 
eclelster Bedeutung Stimmungsbilder, die bald hell, bald dunkel ab- 
getönt sind, je nachdem sie Freude oder Leid ausdrücken sollen. 
Seine Weisen sind von einer Zartheit und Innigkeit, wie sie nur ein 
deutsches Gemüth erfinden konnte. 

Von einer Form seiner Kompositionen kann man nur insofern 
reden, als Senfi meist die beiden ersten Stollen des Gedichtes wieder- 
holt und zuweilen den Abgesang durch einen Wechsel des Rhythmus 
besonders hervorhebt ; im Übrigen vermeidet er es, das Satzgefüge durch 
Generalpausen oder durch Kadenzen aller Stimmen zu zerreißen, ob- 
wohl auch solche Fälle vorkommen. Gewöhnlich setzt der neue Ge- 
danke da ein, wo eine oder mehrere Stimmen abschließen, oder er 
reiht sich unmittelbar an die etwaige allgemeine Kadenz an, damit die 
Fühlung mit dem Ganzen wenigstens in einer Stimme gewahrt wird. 

Li einigen Gesängen weicht Senfi indessen auffallend von 
diesem Prinzipe ab. Hier werden die einzelnen Verse des Ge- 
dichtes in ganz knappe musikalische Perioden gekleidet, die Vers- 
enden durch allgemeine SchluBkadenzen bezeichnet; der Kontrapunkt 
ist, im Gegensatz zu der sonst durchaus kunstvollen Behandlung, der 
denkbar einfachste — nota contra notam, so daß die Setzweise dieser 
Gesänge homophon zu nennen ist. 

Dem Inhalte nach betrachtet, sind die fraglichen Gedichte Gassen- 
hauer, von nichtssagender Bedeutung, ohne jeden poetischen Werth ; 
vielleicht wollte Senfi ihre Minderwerthigkeit durch diese ganz ein- 
fache Setzweise auch schon äußerlich kennzeichnen — oder es liegt 
hier bereits italiänischer Einfiuß vor, eine Annahme, in der ich noch 
durch folgende Stelle aus einem solchen Stücke bestärkt werde. 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der itali&nischen Madrigalisten. \ 'J 



Der Text (Nr. L der Ott'schen Sammlung) lautet: 

Hans Beutler, der wollt reiten aus: 
da kam des Scherers. Michel 
geschlichen in sein Haus. 

Der Anfang des zweiten Verses ist folgendermaßen komponirt: 



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da kam des Sehe - rers 

Dieses Korrespondiren der Stimmen bei den Worten »da kam« 
ist eine specifisch italiänische Eigenthümlichkeit der Setzweise und 
findet sich in den Madrigalen der verschiedensten Meister. Einige 
Beispiele mögen hier folgen: 

A. Gabrieh, lib. IX, Madrig. pag. 7. 



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1893. 



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Budolf Schwarts, 



Marenzio, Madrig. lib. I, pag. IS. 



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Palestrina, Madiig. lib. III, Nr. 24. 



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Hans Leo Haßler unter dem Einiuß der italiSniscben Madrigalisten. \ 9 



Deutlichere Spuren des italiänischen Einäußes zeigen sich da- 
gegen in den deutschen Liedern des Orlandus Lassus (Nürnberg 1588) 
Zwar bekennt sich der Meister noch äußerlich als einen Vertreter 
und- Anhänger der nordischen Schule, indem er seine Melodien in den 
Tenor legt. Aber dieser ist bei ihm bereits ein anderer geworden. 
Die vielen Textwiederholungen, die sich Lassus innerhalb dieser Stimme 
(und zwar fast immer in einer vom ersten Male verschiedenen Kom- 
position) gestattet, ferner der Umstand, daß sich der Tenor oft gar nicht 
an dem Gesänge einzelner Verse betheiligt, lassen diesen nicht mehr als 
die feste Grundlage der ganzen Komposition erscheinen und beweisen, 
daß Lassus nicht immer unbedingt die Alleinherrschaft dieser einen 
Stimme anerkannte ; verwendete er ja doch selbst in seinen kirchlichen 
Gesängen öfter frei erfundene Melodien als Cantus firmus statt des sonst 
gebräuchlichen gregorianischen Gesanges. Der Meister betrachtete 
eben die weltliche und kirchliche Musik als zwei gleiche, neben- 
einanderstehende Mächte. Seine kirchlichen Kompositionen sind darum 
zwar nicht ausgesprochen weltlich, sondern nur weniger specifisch- 
kirchlich; er stellt sich nur insofern außerhalb der Kirche, als sein 
eigenes Empfinden auch hier maßgebend für ihn sein soll, nicht die 
von der Kirche fertig gebrachte allgemeine Stimmung. Trug er also 
hier kein Bedenken, die Unbequemlichkeiten, die ihm die alte Schreib- 
weise auferlegte, einfach dadurch zu beseitigen, daß er sich einen 
eigenen Tenor schuf, um wie viel leichter mußte es ihm bei seinen 
weltlichen Gesängen fallen, den Zwang der einen Stimme abzu- 
schütteln, wo ihm der Text oftmals von selbst Gelegenheit bot, seine 
Bestrebungen nach subjektivem Ausdruck, Tonbildlichkeit und charak- 
teristischer Schreibweise zu bethätigen. Diese Gelegenheit, musikalisch 
zu schildern, Jiat er denn auch gründlich ausgenützt. 

Selbst an dramatischen Zügen fehlt es nicht. In Nr. 36 der 
erwähnten Sammlung charakterisirt Lassus durch drei Theile hin- 
durch jede im Gedicht auftretende Person durch eine besondere Ton- 
reihe, die immer da wiederkehrt, wo die betreffende Person gesprochen 
hat. Die Anfänge des Leitmotivs könnte man hierin erblicken. Es 
handelt sich in dem Gedichte um die Auseinandersetzungen zwischen 
»der alten Schwiger«, »der schnür« und dem »son«. Das Motiv der 
ersteren ist bei den Worten »sprach die alte Schwiger« stets folgendes: 



Die Tonhöhe wechselt und richtet sich nach dem Gang der üb- 
rigen Stimmen. Die )> schnür« schließt ihre Beden stets mit fol- 
gendem Motive ab: 



20 Rudolf Schvartc, 



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sprach die schnür hin ^ wie - der 

Die Meinungsverschiedenheiten der Beiden sind durch die .ent- 
gegengesetzten Tonfolgen der beiden Motive vortrefflich charakterisirt. 
Einen Anflug von Komik hat es endlich, wenn der »son« dasselbe 
Motiv wie die )» schnür v hat; vielleicht wollte Lassus durch die Über- 
einstimmung der Motive das solidarische Auftreten der beiden Ehe- 
leute gegen die Schwiegermutter musikalisch illustriren. 

Je nachdem es die Komposition erheischt, sind die genannten 
Motive auch rhythmisch verändert. 

In seinem Bestreben nach Tonbildlichkeit verfallt Lassus zu- 
weilen in dieselben Äußerlichkeiten, wie wir sie vorhin bei den Ita- 
liänem kennen gelernt haben. Die Beweggründe z. B., weshalb Lassus 
in Nr. 20 seiner deutschen Lieder die Worte: »drey vöglein wol- 
gestalt« ferner nes sind drey Frewlein fein« und sogar »das dritt das 
hat kein Namen c dreistimmig setzt, oder die Worte »das ein das 
Annelein« von dem Sopran allein singen läßt, sind ebenso rein äußer- 
licher Natur, wie die des Fürsten von Venosa, der in einem Madri- 
gale die Stelle »fra due mi tienic zweistimmig komponirt; sie beruhen 
doch wohl nur auf den zufällig im Texte enthaltenen Zahlenbegriffeii 
drei und zwei. 

Erstreckte sich der italiänische Einfluß, den ich in der deutscheu 
Liedkomposition nachgewiesen habe, bis jetzt nur auf nebensächliche 
und äußerliche Dinge, so hat derselbe in den neuen geistlichen und 
weltlichen teutschen Liedein, die Leonhard Lechner 1589 in Nürn- 
berg erscheinen ließ, bereits derartig an Bedeutung gewonnen, daß 
er eine fundamentale Umgestaltung der bisherigen Setzweise bewirkte. 

In diesen Gesängen ist der Tenor nicht mehr die alleinherrschende 
Stimme, aus der die übrigen ihr Tonmaterial entnehmen; diese sind 
vielmehr so selbständig geführt, daß von einem abhängigen Verhält- 
nisse dieser von jenem nicht mehr die Rede ist. Und wenn Lechner 
in Nr. III derselben Sammlung dieses frühere Yerhältniß der Stimmen 
zum Tenor dahin abändert, daß er den Cantus firmus in den Baß 
legt, wodurch dem Tenor sogar eine untergeordnete Rolle in der 
Komposition zufällt, so beweist er mit diesem Verfahren, daß er zum 
Mindesten anders über die Stellung des Tenors zu den übrigen 
Stimmen dachte, als die früheren deutschen Tonsetzer. 

Regnart und Demantius thaten noch einen weiteren Schritt. Sie 
verwerfen den Tenor überhaupt und fangen an, ihren Gesängen be- 
stimmtere Formen zu geben. Nunmehr ist also die deutsche Kunst 
in einpm Stadium der Entwicklung, bei dem sich die früheren Gegen- 



Hans Leo Haßler unter dem Einfloß der itali&nischen Madrigalisten. 2 1 



satEe, welche zwischen der deutschen und italiänischen Setzweise bis 
dahin bestaitden hatten, nicht mehr schroff gegenüberstehen, sondern 
schon einander zustreben. Daß Hans Leo Häßler es war, der diese 
Gregensätze völlig zu Gunsten der italiänischen Setzweise schwinden 
lieB, wird jetzt zu zeigen sein. 

Die scharf ausgeprägten Formen seiner Kompositionen fallen 
zunächst in die Augen und zeigen schon äuBerlich die italiänische 
Beeinflussung seines Stils. 

Einige Formanalysen aus dem ersten deutschen Liedwerke Haßler's 
i^Neue Teutsche gesang nach art der welschen Madrigalien und Can- 
zonetten«, Augsburg 1596, will ich hier folgen lassen. 

Der Text von Nr. 13 lautet: 

Hertzlieb zu dir allein 
steht tag und nacht mein sinn 
dein rodes mündelein 
nimbt miir als trauren hin 
Dir hab ich mich ergeben 
dein aigen will ich sein 
mit dir in freudt zu leben 
biß an das Ende mein. 

Das Stück ist fünfstimmig, durchweg im einfachsten Kontrapunkt 
nota contra notam gesetzt. Es besteht aus zehn durch Generalpausen 
von einander getrennten Perioden. Davon kommen zwei auf die 
beiden Stollen, die übrigen auf den Abgesang. Dieser ist folgender- 
maßen musikalisch gestaltet: 

Die Verse 5 und 6 bilden die dritte , die Verse 7 und 8 die 
vierte Periode, hieran schließt sich eine Wiederholung der Worte 
«biß an das Ende mein« mit der vorigen Melodie, die hier um eine 
Quarte tiefer erscheint (Periode V). Dann folgen in neuer Komposition 
(Periode VI) die beiden Schlußzeüen, endlich wird der ganze Abgesang 
wiederholt. 

Das Stück hat also die Form der Kanzonetten: 

A. B. B. 

Das Neue und Charakteristische an diesem Stücke besteht in den 
homophonen, knappen, scharf hervortretenden, musikalischen Perioden. 

Bei der Verwendung des homophonen Satzes war eine Trennung 
der einzelnen Perioden nicht anders als durch Generalpausen mög- 
lich. Aus einer Theilung aber des Stimmkomplexes in einen höheren 
und tieferen Chor ergaben sich für die Periodisining neue Wege. 
Musterbeispiele lieferten die Madrigale in Hülle und Fülle. Von dieser 
Art der Stimmgruppirung hat Haßler vorzugsweise in seinen neuen 



22 Radolf Schwartig 



Teutschen Gesängen Gebrauch gemacht. Diesen Kontrast der ver- 
schiedenen Chöre zeigt z. B. Ni. 18 unserei Sammmlung. 
Der Text lautet: 

• Mit dantzen jubilieren und mit springen 
will ich mein zeit hinbringen 
und meim Bulen zu lob ein liedlein singen 
dann sie erfreid mein hertz vor allen Dingen. 

Aus der ersten Zeile bildet Häßler drei Perioden: 

I. 2 Soprane und Alt 

II. 2 Tenöre und Baß. (Die zweite Periode ist die 

Wiederholung der eisten in der tieferen Oktave.) 
in. 2 Soprane, Alt und Tenor I. 

Unmittelbar an die dritte Periode schließt sich der ganze Stimm- 
komplex mit dem zweiten Verse an. Dann folgt ein allgemeines 
Wiederholungszeichen. 

Der dritte Vers vertheilt sich auf einen oberen (2 Soprane, Alt, 
Tenor I) und einen unteren Chor (Alt, 2 Tenöre und Baß). 

Den vierten Vers heben die Stimmen, welche unter gleichen 

Claves singen (die beiden Soprane ^ und die beiden Tenöre im 

Altschlüssel), zuerst an, die vier unteren Stimmen wiederholen ihn, 
dann bringt ihn der ganze Stimmkomplex. 

Die drei Perioden des vierten Verses setzen sich also aus folgen- 
den Stimmgruppen zusammen: 

I. 2 Soprane — 2 Tenöre, 

II. Alt, 2 Tenöre und Baß, 

in. vollstimmiger Chor (6 stimmig). 

Dann folgt die Wiederholung der beiden Schlußverse, wobei die- 
jenigen Stimmen, welche in gleichen Schlüsseln komponirt sind, ver- 
tauscht werden. 

Das Stück hat demnach folgende Form: 

A : II : B I B' 
(B' bedeutet die Wiederholung des Theiles B in der Vertauschung der 
unter gleichen Schlüsseln singenden Stimmen. Dieses Sachverhältniß 
werde ich von jetzt an, der Kürze wegen, immer durch einen Strich 
rechts oben hinter dem Buchstaben bezeichnen.) 

Die eben analysirte Form wurde, wie ich in der Einleitung sagte» 
auch zur Madrigalkomposition benutzt. Daß aber Häßler bei der 
Formenbildung seines Stückes wirklich nach italiänischem Muster 
arbeitete, wird sich aus einer Vergleichung mit dem Madrigal Nr. Ill 
(lib. II) von Andrea Gabrieli ergeben. Der Text lautet : 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 23 



Came voi tu clCio viva 
Se m'uccidi 

JE come voi cKio mora 
Se mi dar vita ancora. 
Tra due mi tiene 
Onde tra morte e vita 
Vivendo nioro 
E non viveruPho vita. 
Der erste größere Abschnitt der Komposition umfaßt die Verse 
1 — 4 und besteht aus sechs Perioden. Zwei davon kommen auf den 
ersten, eine auf den zweiten, je eine auf den dritten und vierten 
Yers. Diese beiden letzten Perioden werden in etwas veränderter 
Gestalt (Periode V und VI) wiederholt — A. 

Der zweite Abschnitt umfaßt die Verse 5 — 8 und besteht eben- 
falls aus sechs Perioden. Davon erhalten: Vers 5 zwei, Vers 6 eine, 
Vers 7 zwei, (hier ist die zweite Periode die genaue Wiederholung 

der ersten] Vers 8 eine Periode B. 

Dann folgt die Wiederholung des Theiles B als B'. 
Eine Dreitheiligkeit der Form, welche auf dem Gegensatz des 
Anfangs- und Schlußsatzes zu der Mitte der Komposition beruht — 
ein Formprinzip, das wir von den Madrigalen und Kanzonetten her 
kennen — hat Nr. I der Haßler' sehen Gesänge. 
Der Text lautet: 

Nun fanget an ein guts Liedlein zu singen 
last Instrument und Lauten auch erklingen 
lieblich zu musiciren 
will sich jetzund gebüren. 
Drumb schlagt und singt 
daß es erklingt 
helfft unser Fest auch zieren. 
Der Anfang des Stückes zeigt folgende musikalische Gliederung : 
Der erste Vers (a) ist dreistimmig, der zweite (b) vierstimmig; bei 
der ersten Wiederholung erscheint die Melodie von a in der tieferen 
Quarte, die von b in etwas geänderter Gestalt wieder. 

Daim folgt die Repetition des Ganzen. Von diesem breit an- 
gelegten Anfangssatze heben sich die beiden folgenden Verse durch 
ihre Themata und durch ihre ganz knappe musikalische Fassimg 
deutlich, ab. 

Der Schluß aber nimmt durch die Wiederholung seiner Perioden 
wiederum breitere Dimensionen an. Aus den vorhandenen Gegen- 
sätzen e^ebt sich die Dreitheiligkeit des Stückes von selbst: 

A:': B C:|l: 



24 



Budolf Schwarts, 



Mit einer merkwürdigen musikalischen Form haben wir es in 
Nr. 16 derselben Sammlung zu thun. 
Der Text lautet: 

Ich scheyd von dir mit leyde 

verlaß dich mein treus Hertze 

das bringt mir grossen schmertze. 

Ach weh vor leyd ich stirbe 

Kans dan nit anders sein 

was sol ich than. 

O wie ein schweres leyden 

noch muß es sein gescheyden 

vor angst ich gar verdirbe 

Ach weh ich scheid und stirbe. 

In dem ersten Stollen des Gedichtes werden folgende Motive 

verarbeitet : ^ 

Thema a) 

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Ich scheyd von dir mit ley - de 



Gegenthema a} 



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ich scheyd Ton dir mit ley - de 

Beim Beginn des zweiten Stollen tritt das Gegenthema^ in seinem 
«weiten Theile rhythmisch verkürzt, in dieser Gestalt auf: 

Gegenthema b) 



I 



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X 



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X 



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3 



ach weh vor leyd ich stir - he 

Da also der zweite Stollen in der Hauptsache nur eine Wieder- 
holung des ersten ist, so kann man die beiden Stollen zusammen als 
einen Theil A auffassen. 

Die Verse 7 — 9 schlagen ein ganz neues Thema an und bilden 
hierdurch einen Gegensatz zu dem ersten Theil. Das alte deutsche 
Formprinzip, die Kepetition der beiden Stollen, denen der Abgesang 
gegenübersteht, blickt also hier deutlich durch. Da nun aber der 
zehnte Vers zweimal das Hauptmotiv als b und dann als a in der 
ursprünglichen Form mit einer Coda wiederbringt, so erhält das 



^ cf. S. 5$ dieses Aufsatzes. 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänisehen Madrigalisten. 25 



Stück durch die Wiederaufnahme des Anfangsgedankens am Schlüsse 
in der Form eine gewisse Aehnlichkeit mit der Frottole : A. B. A, 

Daß aber diese Form hier entstand, lag lediglich an der Beschaffen- 
heit des Gedichtes selber, dessen letiter Vers inhaltlich nur eine 
Wiederaufiiahme des Anfiangsverses der beiden Stollen war, ein Ver- 
hältniB, das nun auch auf die musikalische Form des Stückes über- 
tragen wurde. Vergleiche hierzu das auf Seite 8 erwähnte Palestrina- 
sehe Madrigal, dessen Frottolenform ebenfalls durch den strophischen 
Bau des Gedichtes bestimmt wurde. 

Was die Giuppirung und Kontrastirung der einzelnen musika- 
lischen Perioden in dieser Sammlung anbetrifft, so herrscht hier mehr 
das Prinzip des Nebeneinander als des Ineinander, d. h. die Perioden 
sind meistens so scharf von einander abgegrenzt, daß man die ein- 
zelnen aus dem Satzgefüge herausschneiden könnte. Ja es hat fast 
den Anschein, als suche Haßler etwas darin, in diesen Punkten die 
Italiäner noch zu übertrumpfen. Ein Periodenbau z. B. wie der 
folgende (Nr. 15) dürfte nicht so leicht bei den italiänischen Madri- 
galisten zu finden sein, während eine derartige Peiiodisirung in 
unserer Sammlung nicht gerade zu den Seltenheiten gehört. 



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Ach Schatz ich thu dirklagen 



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den großen schmertse 



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Ach Schatz ich thu dir klagen (wie obenj 



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Rudolf Sehwarts, 






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den großen telimertze m«ia den ich maß tragen d«n großen achmertse mei a den ich muß tragen. 






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mein (wie oben) 



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Da aber Haßler mit der Herausgabe seines Werkes zugleich den 
Zweck im Auge hatte, die deutschen Tonsetzer zu veranlassen, ihre 
Kunst im 8inne der Italiäner weiterzubilden, oder, wie er iu der 
Vorrede sagt, »andern bessern Komponisten dardurch ursach zu geben | 
hernach zu folgen ' damit also die löbliche Kunst auch besser und 
mehro in Teutscher sprach in gebrauch käme«, so nimmt das Werk 
einen didaktischen Charakter an, und von diesem Gesichtspunkte aus 
betrachtet erscheinen die stilistischen Uebertreibungen Haßler's in 
einem ganz anderen Lichte. Die Gruppirung und Kontrastirung der 
einzelnen musikalischen Perioden waren specifisch-italiänische Eigen- 
thümlichkeiten des Satzes, etwas ganz Neues in der deutschen 
Liedkomposition und schließlich ein Hauptunterschied zwischen den 
Musiken der Nord- und Südländer; wollte also Haßler, wie der Titel 
des Werkes es besagte »nach art der welschen Madrigalien und Can- 
zonetteuff komponiren, wollte er den deutschen Tonsetzern zeigen, 
worin das Wesen der italiänischen Kunst bestünde, so mußte er diese 
Hauptfaktoren der italiänischen Setzweise besonders hervortreten 
lassen und in seinen musikalischen Gebilden gerade hier die grellsten 
Lichter aufsetzen. Daß sich aber der Meister selbst sehr wohl be- 
wußt war, in diesen Punkten manchmal ein Zuviel gethan zu haben, 
geht daraus hervor, daß er in seinem zweiten deutschen Liedwerke 
»Lustgarten Neuer Teutscher Gesang | Balletti | Galliarden und In- 
tradena^ das er wenige Jahre später herausgab, von diesem hyper- 
italiänischen Standpunkte zurückgekommen ist, ohne daß darum sein 
Stil etwa weniger italiänisch wäre. £r sprach eben nicht mehr zu 
einem lernenden Publikum, dem er die Grundzüge der italiänischen 
Musik handgreiflich klar zu machen hatte, er war mit seinen Re- 



Haos Leo Haßler unter d^m Einfluß der italiän Ischen Madrigalisten. 27 



formen durchgedrungen und hatte nunmehr freien Raum zu eigenem 
künstlerischem Schaffen. 

Der Lustgarten enthält folgende neue musikalische Formen: 
Balletti , Galliarden (die Instrumentalsätze übergehe ich] , den Nach- 
tanz (proportio), der einigen Liedern angehängt ist, der in der ersten 
Liedsammlung Haßler's fehlt. 

Die Balletti unseres Meisters zeigen eine überraschende Aehnlich- 
keit mit den in der Einleitung erwähnten Ballettkompositionen Gio. 
Gastoldi's, und zwar nicht bloß in der Form a:;': b:||: oder : ':a b :{{:c, 
sondern auch in der Technik des Satzes. Man vergleiche: 

I. 






I r r r < r I r J ^ J^ 



Mi Jmrli\ mi fug-gi JkTaffli-gi mi struggi M'ucci-di 



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mi fuggi Maffli-gi mi struggi m'ucci-di 



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du falsch Lieb veraclist mich \ verlachst mich | rerspotstmich | hetr&bst mich bringat 



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du falachLieb | verachst mich 1 verlachst mich | verspotst mich ] betr&bst mich| 



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Radolf Sehwarts, 



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Dann die ich hab be - gert 



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I. Oastoldi, Balletti Nr. 5. 
n. Haßler, Lustgarten Nr. XXIII. 

III. Gastoldi, Balletti Nr. 2. 

IV. Haßler, Lustgarten Nr. XXI. 



t 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madriioilisten. 29 



Bei der groBen Verbreitung der Gastoldi'schen Balletti ä cinque 
voci — vor mir liegt die siebente Auflage einer Sammlung derselben 
aus dem Jahre 1600 — läßt sich eine direkte Bekanntschaft Haßler's 
mit diesen Stücken «ehr wohl annehmen, da die geradezu frappirende 
Ähnlichkeit der beiden Setzweisen unmöglich eine rein zufallige sein 
kann. 

Die Gagliarden Haßler's haben die Form a:i: b c:||: 

Eine Eigen thümlichkeit des Satzes, die sie mit Nr. 14 der Gastol- 
di'schen Stücke theilen, besteht darin, daß die Melodietöne (nicht 
der Kontrapunkt) der beiden letzten Takte des Theiles (a) am Schlüsse 
der ganzen Komposition wiederholt werden. 

Die italiänischenKanzonetten(1589) und Madrigale (1596) Haßlers 
sind mit Hervorkehrung der Eigenthümlichkeiten der italiänischen 
Setzweise ganz in dem Stile der italiänischen Madrigalisten gehalten. 

Nachdem ich den italiänischen Einfluß auf die formale Seite der 
Hafiler'schen Kunst nachgewiesen habe, werde ich jetzt dasselbe in 
Bezug auf die Kompositionsweise des Meisters thun, indem ich durch 
eineVergleichung diejenigen Punkte feststelle, welche an dem Haßler- 
sehen Stile auf italiänischen Einfluß zurückzufuhren sind. 

Italiänische Eigenthümlichkeiteft seines Satzes sind folgende: 

a) Der Vorschlag des Basses vor dem Eintritt des 
ganzen Stimmkomplexes. 



L. Marenzio. 



Palestrina. 



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Haßler, Lustgarten. 



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Rudolf SchwarU, 



Haßler, Lustgarten, 



italiänische Madrigale. 



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b) Die echoartige Wiederholung einer Melodie in den 
beiden Oberstimmen, wenn dieselben unter gleichen 
Schlüsseln singen: 

A. Gabrieli, 2. Buch der Madrigale, Nr. 2. 



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Hans Leo HaBler unter dem EinfluB der italiänischen Madrig&listen. 3 J 



Haßler, Neue Teutsche gesang Nr. 20. 



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wann du Ton mir wilst seheyden 



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wann du von mir wilst scheyden 



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wann du von mir wilst sehey-den 



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Gofltanzo Porta, IV. Buch der Madrigale, pag. 19. 



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Van ßa lo sde-gno del tuo cor tn «a - - - - no 



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Rudolf Schwarte, 



Haßler, Lustgarten Nr. 32; cf. auch Neue Teutsche gesang Nr. 22. 



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ben vor lieb schier bin ge - stör - ben 



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vor lieb schier bin ge-stor - ben vor lieb etc. 



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Vorziigsweise ist eine derartige Behandlung dei Stimmen in den 
doppelchöiigen Stücken der Italiäner und HaBler's im Gebrauch, ja 
es ist hier sogar der zweite Choi oftmals weiter nichts als das genaue 
Echo des ersten. Aber auch sonst findet sich das Echo häufig und 
zwar namentlich am Schlüsse der Komposition^ wo es dann als eine 
Wiederholung der Schlußphrase erscheint; s. Haßler, Kanzonette Nr. 14. 




da voi fa ' rd par-ti-ta, da voi fa- rb par 



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Diese Schreibweise ging dann später auch in die Klaviermusik 
über, wie Franz Beier in seiner Abhandlung über Johann Jacob 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänisohen Madrigalisten. 33 



Froberger [Waldersee's Sammlung musik. Vorträge) pag. 29 nach- 
weist. Er irrt aber mit Burney, wenn er pag. 30 fortfahrt: i> Dieses 
jEcto* stammt ebenso wie die Vortragszeichen descrescendOy decrescendo 
ptaTio und forte y welche nach Burney zum ersten Mal in Madrigalen 
Yon Mazzocchi (1638) zur Anwendung kommen, aus der ersten Hälfte 
des 17. Jahrhunderts und wurde schnell ein beliebtes und vielge- 
brauchtes Mittel zur Belebung des Vortrags.« 

1564 kommt das Echo am Schlüsse der Komposition schon bei 
Ciprian de Rore vor (Madrig. lib. I pag. 7,. 



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1586 ahmt Palestrina im dritten Buche seiner Madrigale (Nr. 7) 
das Echo in folgender Weise wirklich nach: 



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Di - dOf ehi gia - ce en-tro quesf ur - na 



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1596 komponirt Haßler ein ganzes Stück, eine Risonanza dEcho^ 
4uTchgängig in dieser echoartigen Weise. Ich gebe einige Takte aus 
demselben: 

1893. 3 



34 



Rudolf Schwarte, 




Jjt lü' gri - me 



hav-ran fin 



hatHTon fin gia- 



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Zeit. 



ma - » Chi puo 

Das Echo in der Vokalmusik stammt also aus einer viel früherea 

c) Die motivisch-thematische Schreibweise, cf. pag. 13« 
1. die Steigerung des Gefühles: 

Haßler, Kanzonette Nr. 3. 



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So - spi ' ra co - re, so - spi - ra co - re 
Neue Teutsche gesang Nr. 17. 



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Ach nie-mand ster - ben kan, ach nie-mand ster - ben kan 

2. das Nachlassen des Gefühles: 

Kanzonette Nr. 18. 



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/« no<^ e7 gior - no, la notte c7 gior - no 

Lustgarten Nr. 17. 




Gott helff uns beld | zu-samm mit freud | fa la la la la la, Gott 




S^ 



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helff uns beid | zu-samm mit freud | fa la la la la la. 

Die Steigerung des Gefühlsausdruckes wird auch so erreicht^ 
daB eine andere (höhere] Stimme das angeschlagene Motiv fortsetzt: 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigaliaten. 35 



Gabrieli. 



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Haßler. 



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beid nacht und tag führ ich mein Klag 



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beid nacht und tag führ ich mein Klag 



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36 



Rudolf Schwarte, 



Bei dem Ausdruck des nachgelassenen Gefühles tritt der um- 
gekehrte Fall ein. 

In der motivischen Bearbeitung seiner musikalischen Gedanken 
leistet Haßler manchmal geradezu Unglaubliches. Man sehe z. B. 
Nr. 31 in seinem »Lustgartens. Hier werden die Motive förmlich zu 
Tode gehetzt. Ich gebe als Beispiel den Schluß der Komposition 
(Theil B) in den beiden Oberstimmen. Der Alt schlägt das Thema vor : 



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£s folgt dann die Bearbeitung des Themas: 




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als ich letzt-lich ver-meint sie zu be - kom - men| weist sie mich 




als ich letzt-lich ver - meint sie zu be 



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weist sie mich ab sagt 



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weist sie mich ab, sagt ich sey zu spat kom-men I 



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weist sie mich ab, sagt ich sey zu spat kom-men [ weist sie mich ab, sagt 



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ich sey zu spat kom - - men weist sie mich ab 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 37 



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sey zu spat kom-men | sey su spat kom - men 




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weist sie mich ab sagt ich sey 2u spat kom-men) sey zu spat kom-men 

Zum Überfluß wird nun noch einmal der ganze Theil B als B' 
wiederholt. Aus dieser übertriebenen Anwendung der motivischen 
Schreibweise entstehen öfter störende Längen in den Haßler'schen 
Kompositionen, welche den Gesammteindruck des ganzen Stückes 
stark beeinträchtigen, cf. S. 50. 

Die Motive bestehen auch zuweilen nur aus einigen wenigen 
Noten: 

Haßler, Madrigal 7. Neue Teutsche gesang Xr. 1. 



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Marenzio, M adrig, spir. pag. 13. 



Haßler, Madrig. Nr. VI. 



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Porta, pag. 6. 



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Marenzio. Madrig. p. 19. 

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Das eben erwähnte Porta'sche Motiv (vergleiche auch L. Marenzio. 
Madrig. lib. I. pag. 11.) führt Haßler am Schlüsse des Tanzliedes 
Nr. 16 [Lustgarten) mit dem Texte fa la la etc. wie folgt durch: 



telf:tegB ^ ?^F3 =^^jyj3p ^ 



-«^ 



Man darf den musikalischen Werth dieser sequenzartigen Fort- 
spinnung der Motive nicht nach heutigen Begriffen veranschlagen, 
man darf dabei vor allen Dingen nicht vergessen , daß in diesen 
Sequenzen der Keim der späteren thematischen Arbeit lag. Diese 
motivischen Gebilde waren Schößlinge, deren Wurzeln im in|;iersten 
Wesen der Musik selbst lagen, Produkte einer urwüchsigen aber 



38 



Rndolf Sehwartz, 



zügellosen Bewegung, ins Kraut geschossene Pflanzen, die nui kunst- 
mäßigerer Pflege bedurften, um für eine spätere Zeit edle Früchte 
zu tragen. Natürlich mußte dieses üppig wuchernde Leben auf der 
anderen Seite Tod erzeugen. Eine in Bezug auf die Halbtöne streng 
durchgeführte Imitation der Motive mußte zu Verhältnissen führen, 
die nicht mehr im Einklang mit den bis dahin giltigen Kunstgesetzen 
standen. Es hieß den alten Kirchentonarten die Freundschaft kün- 
digen, wenn man ein Thema, das mit g-fis-g begann, mit d-cis-d 
beantwortete. Die Sequenzenbildung wies also von selbst auf die 
Modulation hin , und daß es gerade die Quinte war , nach der man 
zunächst modulirte, beweist, daß man schon damals ein richtiges, wenn 
auch noch dunkles Gefühl für die Zusammengehörigkeit oder Ver- 
wandtschaft der Tonarten hatte. Modulationen machte man nicht 
bloß durch Transpositionen der Motive, sondern auch dadurch, daB 
man bei Wiederholungen innerhalb des eigentlichen Grundmotivs 
gewisse Veränderungen schon im Hinblick auf den modulatorischen 
Zweck vornahm, in dem man leitereigene Töne der fremden Tonart 
an passender Stelle einführte. 

GabrielL 




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Der ganze Zug der Zeit drängte zum harmonischen Prinzip, und 
sicherlich haben die Sequenzen das Ihrige dazu beigetragen. Ein in 
Sequenzen fortschreitender Baß mußte z. B. eine Reihe von Akkorden 
nach sich ziehen, die nicht mehr das Resultat einer selbständigen 
Stimmführung waren; den Harmonien war durch die Baßführung ein 
ganz bestimmter Weg vorgeschrieben; der Komponist dachte also 
nicht mehr melodisch, sondern akkordlich. Sogar in der Themen- 
bildung selber machte sich das harmonische Element deutlich be- 
merkbar. Es entstanden neben den melodischen auch ausgeprägt 
harmonische Motive. 

GabrieU. 



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Marenzio. 



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Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 39 



Palestrina. 



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Haßler. 



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Die Motive erfahren des Öfteren rhythmische Veränderungen und 
werden häufig auch augmentirt und iu der Yerkehrung gebracht. 

d) das Korrespondiren der Stimmen. 

Ich versage es mir, hierzu Beispiele zu bringen, begnüge mich 
vielmehr, auf S. 17 zurückzuweisen. Haßler's Madrigale und Kanzo- 
netten sowohl als Neue Teutsche gesang liefern die Beweise, daß er 
sich diese Kompositionsmanier der Italiäner angeeignet hatte. 

e) die Kadenzbildung: 

1. Der Septimen- und Quartsextakkoid. 



Haßler, Madrigal XVI. 



Kanzonette Nr. IV* 



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Rudolf Schwarti. 




Die NonenbehandluQg im letzten Beispiele ist für die Anwendung 
dieses Intervalles lehrreich. Die Regeln, welche neuere Theoretiker 
über den Gebrauch der None im sechszehnten Jahrhundert aufgestellt 
haben, sind für die weltlichen Kompositionen dieser Zeit nicht er- 
schöpfend. Man thut am besten, hier nicht von einer »Begleitungi 
dieses Intetvalles zu sprechen, sondern die Nonen aU Vorhalts- 
haimonien im modernen Sinne aufzufassen. Diese Vorhalte sind 



entweder einfacher Art z. B. 



also 9 — 8, oder sie treten zugleich 



mit dem Vorhalte eines anderen Intervalles auf. Im obigen Beispiel 

haben wir die Verbindungen von , „ und „. 

Die erste Art von doppeltem Vorhalte findet sich häufig in den 
Paleetrioa'schen Madrigalen, z. B.: 



inl. Buch der 
Madrigale Nr. 11.) 



die zweite Art habe ich bei Luca Marenzio gefunden. 

Die umgekehrte None, von der Bellermann sagt, 'daß sie in 
jeder regelrechten mehrstimmigen Musik verboten sei« (Kontrapunkt 
II. Aufl. S. 197), hat Palestrina in Nr. 23 ultima parte] des ersten 
Buches seiner Madrigale: 




Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 4 ] 



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2. Der Quintsextakkord vor dem Dominantenakkoid. 

Frottolist Jo. Scrivano. Marenzio, Madrigal pag. 4. 



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Palestrina^ Madrig. spirituali lib. IINr. 2. Lustgarten Nr. XXV. 



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42 



Rudolf Schwartjs, 



N. T. ges. Nr. 13. 



N. T. ges. Nr. U. 




In den Kadenzen der Gagliarden ist dieser Akkord fast immer 
zu finden. 



Gastoldi, Balletti Nr. 14. 



Lustgarten Nr. XX. 



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Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 43 



Lustgarten Nr. XV. 



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3. Zum Abschluß kürzerer Perioden war bei den Madrigalisten 
und bei Haßler folgende Kadenzformel im. Gebrauch: 



Palestrina. 



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Haßler. 



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4. Harmonisches Interesse wegen der darin vorkommenden über- 
mäßigen Sexte bietet folgende Kadenz Haßler^s (Madrigal Nr. IV): 



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Nach Analogie dieser Stelle könnte man also in manchen Ka- 
denzen die Accidentalen setzen, wo sie die Herausgeber älterer Ton- 
werke bis jetzt Terschmäht haben, z. B.: 



44 



Rudolf SchwartEi 



Palestrina [I. Buch d. Madrigale Nr. 13). 



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Haberl läßt im Sopran die Accidentale fort; 
folgender Stelle: Palestrina I. B. d. M. Nr. 6. 



ebenso auch an 



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5. Das Figurenwerk in den Kadenzen. 
Lustgarten Nr. XXXVI. Madrigal Nr. IV. 



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Hans Leo HaBler unter dem Einfluß der italiäniscben Madrigalisten. 45 



Lustgarten Nr. IV. 



N. T. gesang Nr. 7. 




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6. Die Oktavensprünge in den Kadenzen. 



Madrigal Nr. VL 



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Madrigal XXIX. Madrigal Kr. V. 




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f) In dem Bestreben, schildernde Züge des Textes in 
gleichem Sinne für die musikalische Komposition zu ver- 
werthen, zeigt sich Haßler als ein echter Italiäner. Seine Ton- 
reihen bei den Wörtern saetta^ pioggia, dardo, rio, scherzar^ßammeg- 
giar u. a. sehen den italiäniscben zum Verwechseln ähnlich. Nun 
können aber die Tonreihen zweier verschiedener Komponisten ähnlich 
igein, ohne daß man berechtigt wäre, aus dieser Ähnlichkeit irgend 
welchen Schluß für die Komponisten zu ziehen; die Übereinstimmungen 



46 Rudolf SehwarU, 



könnten zufällige sein. Wenn wir aber bei den verschiedensten 
Komponisten unter denselben Voraussetzungen stets ähnliche Ton- 
reihen wiederkehren sehen, so verliert eine solche Ähnlichkeit den 
Beigeschmack des rein Zufälligen und erklärt sich in diesem Falle 
aus einem gemeinsamen Prinzipe der Setzweise. 

Prinzipiell aber verwendeten die Italiäner bei den vorhin ge- 
nannten und ähnlichen Wörtern charakteristisches Figuren- und Lauf- 
werk. Da nun HaBler zu gleichem Zwecke dieselben Mittel benutzt, 
so ist damit die italiänische Beeinflussung seines Stiles erwiesen, ich 
leite dieselbe aber doch nicht allein aus der bloßen Ähnlichkeit der 
hier in Frage kommenden Tonreihen ab — bei dem immerhin noch 
beschränkten Tonmaterial waren namentlich bei Läufen Übereinstim- 
mungen nicht wohl zu vermeiden — , als viel mehr daraus, daB 
Haßler das italiänische Prinzip auch für seine eigenen musikalischen 
Schilderungen annahm. Ich hielt diese vorangehenden Bemerkungen 
für angebracht, weil sich hier die Gelegenheit von selbst bot, die 
Gesichtspunkte anzugeben, welche für mich bei der Abfassung 
dieser Arbeit maßgebend waren. 

Ebenfalls auf italiänische Anschauung zurückzuführen sind die- 
jenigen Stellen, an denen HaBler seine Texte sozusagen wörtlich 
komponirt: z. B. mi fa durch einen Halbtonschritt, solo soletto durch 
eine einzelne Stimme. Wenn er femer die Worte »ich kann nicht« 
durch eine Pause trennt, um die Ermattung und Erschöpfung Jemandes 
auszudrücken, so ist das schließlich auch nichts anderes, als wenn 
Palestrina, der Principe von Venosa, Vecchi in einzelnen Fällen bei 
den Wörtern respiro und sospiro das Athmen und Seufzen durch 
eine Trennung der Vorsilben faktisch geschehen lassen. Je mehr es 
aber gelingt nachzuweisen, daß auch die Detailarbeit Haßler's unter 
dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten steht, um so klarer ist 
die italiänische Beeinflussung seines Stiles überhaupt erwiesen. Hier- 
bei ist nun eine interessante Stellungnahme Haßler's gegen die da- 
mals um sich greifende chromatische Schreibweise zu beobachten. 
In seinen weltlichen Kompositionen veischmäht nämlich der deutsche 
Meister das Fortschreiten der Stimmen in chromatischen Halbton- 
stufen, ein Mittel, dessen sich die Italiäner gern zur Steigerung des 
Affektes bedienten*. Was ihm durch das Verzichtleisten auf dieses 
musikalische Ausdrucksmittel verloren ging, ersetzte er durch charak- 
teristische Akkordkomplikationen und Alteration der Intervalle. Man 



1 Ich entsinne mich nur einer Stelle, wo Haßler diesen chromatischen Halb- 
tonschnitt Cg — gis) in einer Mittelstimme anwendet. 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der itaUänischen Madrigalisten. 47 



siebt daraus, daß Haßler trotz aller fremden Beeinflussungen doch 
seine Individualität zu wahren wußte . Der ruhiger veranlagte Deutsche 
äußerte eben seine Gefühle musikalisch in anderer Weise, als der 
leidenschaftlichere Italiäner. Und wenn Haßler in einer Motette 
chromatische Schärfungen jeder Art in der ausgiebigsten Weise ge- 
braucht, so spricht dieser vereinzelte Fall meiner Meinung nach dafür, 
daß der deutsche Meister zwar alle Eigenthümlichkeiten der italiäni- 
sehen Setzweise kannte, in der Verwendung aber derselben nicht 
kritiklos verfuhr. Außerdem handelt es sich in dieser fraglichen 
Motette (Sacri concentus Nr. 20) hauptsächlich um die sogenannte 
chromatische Quarte, welche gewissermaßen zu einem musikalischen 
Begriff geworden war^; eine Inkonsequenz ist es daher noch lange 
nicht, daß Haßler mit diesem Begriff gelegentlich auch einmal ope- 
rirte. Ich halte es fiir eine äußerst glückliche Idee, wenn unser 
Meister die Angstrufe eines geängsteten und zerschlagenen Herzens 
durch chtomatisch aufsteigende und die Bitte um Erlösung durch 
chromatisch abwärts steigende Gänge wiedergiebt. Durch diese 
Tonreihen werden die angstvoll zum Himmel emporgestreckten 
Hände und das allmähliche zur -Erde -Sinken des Betenden gleich- 
sam plastisch zur Anschauung gebracht. 

Ganz deutlich aber tritt die beabsichtigte Plastik und Figür- 
lichkeit der Tonreihen in dem Liede Nr. XXXVIII des » Lustgarten c 
zu Tage. Der Text handelt von dem »singen d' Maidlein in jrem 
Rayen«. In sehr charakteristischer Weise drücken die geschwungenen 



1 Auch die chromatische Terz verwendeten die italiänischen Madrigalisten su 
Themenbildungen : 






2z: 



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(s. Ciprian, I. Buch der Madrig. , Gio. Gabrieli 1 597 , vergL Vierteljahrsschrift VII, S. 156) . 
Die Accidentalen betreffend bemerke ich, daß das 7 voraufgehende Kreuze wider- 
ruft; nur das B-rotundum wird häufig (nicht consequent) durch unser modernes 
Auflösungszeichen S{ (b-quadratum) aufgehoben. Derselbe Drucker Valentin Schönig 
gebraucht (1601) unser Auflösungszeichen noch an dieser Stelle (Nr. 20 Sacrorum 
C&neeniuum von Gumpelzhaimer, Tenor): 



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In dem ersten Bande der Sacrae nielodiae von Melchior Franck (ebenfalls 1601) setzt 
derselbe Drucker als Auflösungszeichen beinahe regelmäßig wieder die liegenden 
Kreuze X. Die ersterwähnte Form des Auflösungszeichens (in Vokalkompositionen 
wenigstens] habe ich bis zum Jahre 1601 nur in den Drucken von Schönig gefunden. 



48 



Rudolf Schwarte, 



liinien der Tonreihen die Tanzbewegung aus, so daß man die tan- 
zenden Paare gewissermaßen an sich vorüberschweben sieht: 



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Mit ziemlicher Gewißheit darf man annehmen, daß Haßler bei 
der Komposition dieser Stelle an ein Vecchi'sches Stück dachte, in 
welchem die Tanzbewegung in ganz ähnlicher Weise folgendermaßen 
musikalisch geschildert wird: 



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Aus dieser Analogie ergiebt sich, daß Haßler den Grundsatz der 
italiänischen Setzweise billigte, wonach die Musik den Text möglichst 
getreu wiedergeben sollte, und er spricht diesen Gedanken auch 
selbst in folgendem Gedichte aus: 

ijWer singt der sing | das es wol kling — und thu die stimm recht 

führen 
Schrey nit zu sehr | thu sich vil mehr | fein lieblich moderiren | 
Auff daß gar frey — die Melodey | zum Text mög concordieren.a 

g) Außer der chromatischen Quarte bauten die Italiäner ihre 
Themen noch auf zwei anderen Quartengattungen auf, die 
ich zum Unterschied von einander als Dur- und Moll- 
quarten bezeichnen will. 

Die erstere ist nach Analogie der ionischen Quartengattung 
(c d e f) folgendermaßen gebildet: 

e fis gis a, a h eis d, d e fis g; 
die zweite ist eine Transposition der dorischen Quarte (defg) und er- 
scheint in dieser Gestalt: 

e fis g a, h eis d e. 

Die Hervorkehrung der großen Terz gerade in denjenigen Ton- 
arten, wo die kleine Terz geboten war — die Themen kommen auch 
mit ausgelassener zweiter Stufe vor (Palestrina: e gis a h, Gabrieli: 
a eis d) — bedeutet einen offenbaren Bruch mit den bisherigen Tra- 
ditionen und weist deutlich auf unser modernes Dur hin. Im letzteu 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 4^ 



Viertel des Cinquecento ist also bereits der Gregensatz von Dur und 
Moll in unserem Sinne ausgebildet. 

Eine weitere Umgestaltung des bisherigen Tonsystems ist die 
starke Betonung des aufwärtsgehenden Leitetones und zwar wieder 
bei denjenigen Tonarten, die des Subsemitoniums ermangelten. 
Marenzio und Gabrieli beantworteten beide dieses Thema 

g fis g a 

genau real mit d eis d e. 

Es finden sieh sogar häufig Themen , die mit dem aufwärts- 
gehenden Leiteton anfangen. Hatte man aber einmal das Subsemi- 
tonium eingeführt, so mußte die Annahme desselben eine Rückwirkung 
auf die akkordlichen Verhältnisse der Tonleiter ausüben ; es entstanden 
dadurch ganz von selbst die Akkorde a c fis, e g eis, h d gis, die 
ich wegen der beiden vorhandenen Leitetöne — Leitetonakkorde 
nennen möchtet Ich fasse dieselben als Bruchstücke einer vierstim- 
migen Harmonie auf; sie vertreten überall Septimenakkorde und 
verlangen wie diese eine Auflösung. Diese geschieht denn auch in 
der bekannten Weise, daß die beiden Leitetöne auf- resp. abwärts 
gehen, die Terz hat, wie bei dem Septimenakkorde die Septime, ent- 
schieden das Bestreben zu fallen^. 

Daß die Einführung des Subsemitoniums für die Bildung und 
Entstehung des Dominantseptimenakkordes von wesentlicher Bedeu- 
tung war, brauche ich wohl kaum hinzuzufügen ; man vergleiche die 
gegebenen Beispiele. 

Alle diese neuen Theorien nahm Haßler in vollstem Umfange 
an. Mehr noch als die Italiäner begünstigte er die Leitetonakkorde. 
In dem Madrigal Nr. XXVI kommen zwei derartige Akkorde hinter- 
einander vor, er benutzt dieselben gern zu modulatorischen Zwecken. 

Für die thematische Verarbeitung der Dur- und Mollquarten 
führe ich zwei Stellen aus dem Haßler'schen Madrigal Nr. XVI an, 
bei denen der beabsichtigte Gegensatz von Dur und Moll besonders 
scharf uns entgegentritt. 



* Auch die Akkorde ces-a und g-b^e (als Leitetonakkorde von if respektive 
J*) kommen bei den besten itali&nischen Meistern und audi b^i Haßler h&ufig vor. 
Alle diese Akkorde erscheinen auch mit Vorhalten bei der Terz oder bei der Sexte, 
oder mit beiden Vorhalten zugleich. 

3 Bei eventuellen Verdopplungen der Terz mußte natürlich die eine derselben 
dteigen, um die Oktavenparallelen zu vermeiden; ähnliches gilt auch bei etwaigen 
Verdopplungen der anderen Intervalle. 

1893. 4 



50 



Rudolf Sehwarts, 



1. 



e fis gis a a f 



Care la - gri-me u. s. w. 
2 e fis g^ a h c h 
O pur crescete tanto 

DaB bei dieser Themenbildung Haßler's, so weit es sich um die 
Quarten handelte ^ Übereinstimmungen mit den auf gleiche Weise 
gebildeten italiänischen Themen nothwendiger Weise stattfinden 
mußten, lag in dem verwendeten Tonmaterial selber begründet. 

h) In Bezug auf Quinten- und Oktavenparallelen gelten 
bei Häßler die italiänischen Regeln: 



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i) Die Stimmvertauschung; welche wir von den Italiänern 
her kennen, und die auch Haßler bei den unter gleichen Schlüsseln 
singenden Stimmen vornimmt, sei hier des Zusammenhangs wegen 
noch einmal erwähnt. Der Grund, weswegen Haßler von dieser 
Stimmvertauschung in der ausgiebigsten Weise Gebrauch macht, 
läßt sich einigermaßen mit Sicherheit errathen. Es bot ihm diese 
Setzweise Gelegenheit, die musikalischen Formen seiner Stücke zu 
erweitem und auszubauen ; er konnte Wiederholungen ganzer Perioden 
und ganzer Theile vornehmen, ohne daß die Sänger ermüdet wurden '^^^ 
denn sie wiederholten ja in der That nicht eben Gesungenes, sondern 
die vorangegangene Melodie der, mit demselben Schlüssel notirten, 
anderen Stimme. Da Haßler femer diese Stimmvertauschung konse- 
quenter als die übrigen Madrigalisten, fast ausschließlich zur Er- 
weiterung und Ausdehnung des Anfangs- und Schlußsatzes seiner 
Kompositionen verwendet, so tritt er damit noch entschiedener als 
die Italiäner für die Dreitheiligkeit der musikalischen Formen ein. 

k) Das Prinzip, den Schluß der Ko[mposition möglichst 
interessant zu gestalten, lassen auch die Haßler'schen Stücke 
deutlich erkennen. Die Rythmusverschiebungen, die Augmentationen 
der Notenwerthe bei Wiederholungen der letzten Tonreihe, die Orgel- 
punkte auf der Quinte unmittelbar vor dem Schlußakkorde, sind 
Eigenthümlichkeiten der italiänischen Setzweise, deren Nachahmung 



1 An dieser Stelle ist das Kreus nicht etwa aus Versehen fortgeblieben — 
gii könnte hier gar nicht stehen. 
' Nicht so der Hörer. 



Hans Leo Haßler unter dem Einflufi der italiänisclien Madrigalisten. 5I 



aber in diesem Falle auf einem Einverständniß Haßler's mit einem 
italianischen Kunstprinzipe beruht. Die eben erwähnten Orgelpunkte 
sind natürlich nicht mit modernen Verhältnissen zu vergleichen, sie 
sind ganz harmloser Art und bedeuten eigentlich nur ein Sichsammeln 
oder Verharren der Stimmen auf der Dominante. 

Eine merkwürdige Häufung solcher Orgelpunkte findet sich am 
Schlüsse des neunten Madrigales von Haßler. 

Dieses Thema 



Ir ijf J I j. j' rriTt; .Uy-ji^ 



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ruht anfangs auf einem langausgedehnten d und schließt mixolydisch 
ab, setzt in etwas veränderter und verkürzter Form von Neuem auf 
einem liegenbleibenden c ein, erscheint dann noch einmal genau 
imitirt (in der höheren Sekunde; auf einem Orgelpunkte der Quinte 
um endlich in A abzuschließen. Ich möchte beinahe glauben, daß 
hier wirkliche Einflüsse der Orgelmusik vorliegen. 



Konnte ich von der Musik Haßler^s sagen, daß sie trotz aller 
italianischen Beeinflussung doch den Stempel der eigensten In- 
dividualität ihres Schöpfers trug, so gilt dieses nur zum kleinsten 
Theile von den Dichtungen Haßler's. Diese sind ganz dem Boden 
italiänischer Denk- und Empfindungsweise erwachsen und lassen auch 
in der Sprache die Spuren italiänischer Terminologie deutlich er- 
kennen. Sie machen mehr den Eindruck bloßer Uebersetzungen, als 
den selbständiger Originalgebilde. Bei einigen derselben kann ich 
die betreffende Vorlage nachweisen. 

Eine wörtliche Uebersetzung eines Guarini'schen Madrigales ist 
Nr. 17 der Teutschen Gesänge Haßler's. 

Guarini. Haßler. 

Lasso, percht mi fuggi Falsch Lieb warumb mich fliehest | 

S^hai de la morie mia ianio desto? gfelt dir dann sowoihl mein Sterben und 

Tu se* pur ü cor mio; sohmertze { 

Credi tu per fuggire bist du doch je mein hertze | 

Crudel, farmi morire? meinst durch dein fliehen eben 

Ah, non si pub morir senza dolore, falsch lieb mir nemens lehen. 

£ doler non si pub cht non ha core. Ach nimand sterben kan der nit leid 

schmertze 
Und kein schmertz leyden kan wer hat 

kein hertze. 

Die Uebersetzung behält sogar das Metrum und die Beim- 
anordnung des Originales bei. Ebenfalls nach italianischen Texten 
gedichtet sind die Nummern 7 und 8 derselben Haßler'schen Sammlung. 

4* 



52 Rudolf Schwarte, 



Propo8ta. Nr. 7 (fehlt). 

Ardo si, tnä nan famo Ich brinn und bin entiUndt gen dir 

Perßda e dispietata doch nicht aus lieb magst glauben mir 

Indegnamente amata weyl du bist aller falschheit vol 

Da 81 leal amante nicht werth daß ich dich Heben soll | 

Ne ptü sixrä che del mio^ amor ti vante] dein falsch bös ungetreves hertz 

Ch'ho gia tanato il core, hat mir verjagt all liebesscherts 

E a^ardo ardo dt sdegno e non d'amore. Brinn drumb nicht mehr aus lieb gen dir 

sondern aus zoren für und für. 

Risposta. Nr. 8. Antwort. 

Ardi e gela ä tua voglia Brinn und zürne nur jmmerfort 

Perjido et impttdico mich hon betrogen dein falsche wort 

Hör amante kor nemico, als du begerst mein treves hertz 

Che <r ineonstante ingegno und tribst doch nur auß mir dein schertz 

Poco Tamor tstimo e men lo sdegno achst du dann nichts mein lieb und gunst 

Van fia lo sdegno del tuo cor insano. acht ich vil minder dein zorebrunst 

drum brinn und zürne so lang du wilt 
denn mir eins wie das andre gilt. 

Diese beiden italiänischen Madrigale müssen damals sehr beliebt 
gewesen sein. Ich kenne sie in der Komposition von C. Porta (1586), 
O. Vecchi (1594) und Antonio il Verso 1601 (nur die Proposta). Auch 
Häßler muß an ihnen Gefallen gefunden haben, da er außer der 
Uebersetzung auch noch die italiänischen Worte selber komponirte. 
(Madrigale III, IV). Bei Nr. 12 der Teutschen Gesänge 

»(Dein Äuglein klar leuchten wie d' Sonn gar eben) 
wer dich anschavet und thut dir's hertz nit geben I 
der ist nit gescheid oder hat gar kein leben.« 

is'jhwebten Haßler offenbar folgende italiänische Verse vor: 

Chi mira gV occhi tuoi. 
Et non sospira poi 
Credo che non sia vipo, 
ö dt giudicio privo, 

Sie bilden den Text zu einer Kanzonette, die jedenfalls damals 
viel gesungen sein muß. Am Ende eines Stückes von O. Vecchi 
heißt es nämlich: Deh tutti uniti insieme^ Cantiam quakhe ballat* o 
Canzonetta, worauf der obige Text angestimmt wird.*^ Auch Haßler 
kannte dieses Liedchen; in etwas veränderter Form hatte er es bereits 
{vor) 1589 komponirt (Kanzonette XVI;. 



^ Variante: duoL 

'^ Die Sitte , solche Favoritlieder als Refrain zu benutzen , stammte von den 
l*'rottolisten her (cf. Vierteljahrsschrift II, S. 434, 435], interessant ist es, daß die 
spätere Zeit sogar auch die stereotypen Formeln beibehielt, mit denen diese Liedohen 
eingeleitet wurden. Dieses ganze Verfahren ging dann noch später in die Oper über. 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiänischen Madrigalisten. 53 



Chi gtocchi vostri mira 
Madonna e nott tospira 
Q ch'ei dt vita i fore 
overamente non cognosce Amore. 

Die Abweichungen erklären sich vielleicht daraus, daß Haßler 
nicht das Original bei der Hand hatte und nur den Sinn des Ge- 
dichtes frei nach dem Gedächtniß komponirte — ein Verfahren, das 
mit der Textbehandlung Mendelssohn's einige Aehnlichkeit haben 
würde — vielleicht haben wir es mit einer d eigenen a Dichtung 
Häßler 's zu thun, bei der er sich dann ebenso stark an die Vorlage 
angelehnt hätte, wie bei vielen seiner deutschen Gedichte. Ich will 
bei diesem Gegenstande noch einen Augenblick verweilen. Als Pen- 
dant zu den eben erwähnten Texten diene folgender Anfang eines 
Sonettes von Angelo di Costanzo ;1507 — 1591). 

• 

Chi vede gli occhi vostri^ e di vaghezza 
Non resta vinto al primo inconiro, e priro 
Deir almoj pub hen dir che non i vivo, 
Ne sa che cosa sia grazia e bellezza. 

Um diese merkwürdige Uebereinstimmung der Gedanken zu 
charakterisiren, möchte ich hier an einen Satz erinnern, den ich a. O. 
bei der Besprechung der Frottolepoesien aufstellte (Vierteljahrs- 
schrift n, S. 445}. Dort hieß es: »daß bei der Massenproduktion 
hier und da mehrere Gedichte auf einen und denselben Gedanken 
hinauslaufen, darf nicht Wunder nehmen, sondern spricht einfach fdr 
die Popularität der Frottolen. Sie waren der Wiederhall der Em- 
pfindungen der ganzen Nation, und einzelne Redewendungen galten 
schon so sehr als Gemeingut, daß Niemand Bedenken trug, dieselben 
da für sich in Anspruch zu nehmen, wo sie ihm am Platze zu sein 
schienen.« Statt Frottolen setze man überall Madrigale und Kan- 
zonetten, und der Satz hat auch dann namentlich in Bezug auf die 
letzteren in vollstem Maße seine Bichtigkeit. Auch der Satz »Ge- 
dichte, wie die Frottolen es waren, konnte wohl jeder gebildete Laie 
anfertigen«, paßt auf einen großen Theil der späteren Madrigale, fast 
auf alle Kanzonetten. Warum sollte sich also Haßler nicht auch ein- 
mal in italiänischen Versen versucht haben? Folgendes Gedicht 
sieht beinahe darnach aus: 



Es scheint mir wenigstens im Prinzip genau dasselbe zu sein, wenn ein FrottoUst 
am Ende eines Stückes irgend eins solcher Favoritlieder singen läßt, als wenn 
Euridice, in dem Orfeo des L. Rossi (1645J, bevor sie zum Hochxeitszug aufbricht 
ex abrupto die schöne Kanzone »W fulgom anstimmt (vergl. Kretzschmar's Aufsatz in 
der Vierteljahrsschrift VIII, S. 23). Für die Entwicklung des Couplets dürfte dem- 
nach diese Art des Kefrains der Frottolen von Bedeutung gewesen sein. 



g4 Rudolf Schwarte, 



Musiea e lo mio eore 

JE gioir mi fa setnpre a tutte Thore^ 

Lodarla pur vorreu 

Mä son hasse le rime ai desier miei 

Deh non sdegnate cKio 

Appoggia ä voi mia Musa il canto mio 

Che se fia grato eonC aUefuT e spero 

Consacrerö a suoi merti ogni pensiero. 

Wäre es noch möglich nachzuweisen, daß Haßler die von ihm 
komponirte Kanzonette Nr. 1 auch selbst gedichtet hätte, so würde 
damit zugleich der Beweis geliefert sein, daß er auch der Verfasser 
des achtunddreißigsten Liedes in seinem «Lustgartena gewesen ist. 

Man vergleiche selber: 

Hidon dt maggio i praii e t vaghi colli Im külen Mayen | thun sich all ding er- 
I fior le rose i gigli in un viaggio freuen 



Cantan le Ninfe ogrC hör Die Blümlein auff dem Feld sich auch 

hen venga maggio vemeuen { 

etc. Und singen d' Mäidlein in jrem Räihen 

TVillkommen Mayen 

etc. 

Vorbilder für die italiänischen Worte gab es in Hülle und 
Fülle, z. B. : 

Hör che le piaggie ridon cCogrL intomo 
JE spuntan fuor viole e gigli e rose etc, 

oder 

Hör cK el garrir de gP Augelletti s'ode 
Et che vestono i prati^ 
Novi ßoretti e grati etc, 

oder folgender Saltarello 

Gioite tutti in suoni e^n eanti e'n halli 

Poi che La vaga Primavera e giunta, 

E ßoriscon le valli, 

E fuor la rosa spunta, 

Scherzan gl Amori 

E van spargendo ßori etc. 

Auch Petrarca lieferte zu eventuellen Nachdichtungen reichlichen 
StoflF.« 

Selbst wenn ich nun auf die eben ausgesprochene Vermuthung 
gar kein Gewicht lege, so darf ich doch zum Mindesten soviel sagen, 
daß der Dichter des »Lustgartens« in diesem Falle auch nach einem 



1 Daß. Haßler die Poesien Petrarca's kannte, darf man wohl voraussetzen; 
er komponirte übrigens zwei vollständige Sonette dieses Dichters — lieti ßori e 
felici und real natura, angelico inteüetto. (Nr. I und II resp. Nr. XXVI der Haßler- 
sehen Madrigale.) 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiftnisehen Madrigalisten. 55 

italiänischen Muster gearbeitet hat. Da aber das Lied Nr. VI des 
i>Lustgartens« die genaue Uebersetzung einer italiänischen Kan- 
zonette ist, 

n cor che mi rubasti Mein Hertz daß mir hast gstohlen 

Homai vorebbe, . Wolt widerumben 



Si glie fiincrebbe, Gantz geren kommen 

Tomar nel primo loco In seinen ersten stände | 

CK ei non pb piü soffrir Vardente foco Es kan nicht länger leiden Liebesbanden 

Mandolo un poco. Oib's doch von banden. 

und auch hier in der Uebersetzung das Metrum des Originals genau 
beibehalten ist, so darf ich weiter sagen, daß der Dichter des »Lust- 
gartens« das Prinzip des Dichters der neuen Teutschen Gesänge theilte. 
Da aber ferner die Sprache in den beiden Werken die gröBeste 
Aehnlichkeit hat, so darf ich wohl behaupten, daß beide Werke eine 
und dieselbe Person zum Dichter haben, daß also Haßler auch die 
Texte seines »Lustgartens« selbst verfertigt hat. 

Ungleich besser sind Haßler diejenigen Gedichte gelungen, bei 
denen er, unabhängig von den Italiänern, sich als Deutscher gab. 
Da er hier nicht an ein bestimmtes Metrum gebunden war, in das 
sich die Gedanken oftmals nur mit Gewalt hineinzwängen ließen, 
so erscheint auch die Sprache weniger gedrechselt, leichter und 
flüssiger. Diese Gedichte halten anderen zei^enössischen gegenüber 
sehr wohl Stich und heimeln durch einen gewissen innigen Hauch, 
der sie durchweht, außerordentlich an. Sie stehen allerdings stark 
unter dem Einflüsse Valentin Haußmann's, an dessen Neue teutsche 
weltliche Lieder (1592) sie sich zuweilen wörtlich anlehnen. 



Schließlich habe ich noch einiger Melodien Erwähnung zu thun, 
die sich als Entlehnungen Haßler's herausgestellt haben. Seine Kan- 
zonette Nr. IX, welche mit den Worten Jo sonferito beginnt, stimmt 
in mehreren Themen genau mit dem ebenso anfangenden Madrigal 
Palestrina's überein. Haberl giebt im 28. Bande der Gesammtausgabe 
der Werke Palestrina's für dieses Madrigal folgende Quellen an: 
Libro HL delle muse ä 5 voc. Venetia, 1561 pag. 9. Gianetto da 
Palestrina. Prima Stella de' Madrigali ä 5 v. Venetia 1570 pag. 9. 
Zanetto da Palestina. Gemma musicalis. Libro I, Noribergae 1588 
Nr. 47, Gioanetto da Palestrina. — Das betrefiende Madrigal ist also 
sehr beliebt gewesen. Da es 1588 in Nürnberg, also ein Jahr vor 
den Haßler'schen Kanzonetten erschien, so ist die Bekanntschaft 
Haßler's mit diesem Madrigal wahrscheinlich. 



56 



Rudolf Sohwart«. 



Die HaBler'sche Kanzonette kann man als eine Risposta auf das 
Palestrina'sche Madrigal ansehen. Bei diesen Parodien wurden zu^ 
weilen die Tonreihen des Originales, welches von der Risposta parodirt 
wurde, bei Textanklängen benutzt, z. B.: 

(O. VecchiJ [Proposta]. Kisposta. 




£ 



T 



£ 



t 



t 



i 



t 



-»- 



s 



Jrrrt 



^^9 - 9* dov' e7 mio be - 7ie 



Rag-gi dov^ el mio ma - le 



In dieser Weise verfährt Haßler; er nimmt die Palestrina'schen 
Melodien auf, wo in beiden Gedichten textliche Ubereinstimmungeii 
vorkommen. 



Palestrma. 



1 



Ib: 



X 



m^. 



■a^ 



3: 



i 



122: 



Haßler. 
=^=^^T^- 



-«^ 



i 



:?£ 



I 



Jo son fe - rito, ahi las - so 
Falestrina. 



-!»• 



t 



I TTTTr 



t 



t 



:?i^ 



za 



I 



Jo 8on fe - rito A -mo - re 
Haßler. 



t 



-e^-^i: 



t 



t 




22: 



t 



14 



e cA» mi die. 



de 



fe 



«=p 



Falestrina. 



X=t 



S 



-&- 



22: 



e queUa chi mi die -de 
Haßler. 



2S 



?E3r_^ 



1=1 



-g-TPf- 



P=t 



c^e sol m^abbia a sanar chi niha fe- ri-to 

Bei dieser letzten Melodie Haßler's muß man den Schlußvers 
seiner Kanzonette in Betracht ziehen; dieser lautet: 

Pai che non voi pigliar che m'ha ferita, 

Nr. XXVIII der Haßler sehen Madrigale ist eine Paraphrase 
einer Kanzone von Cosimo Bottegari , welche der schon erwähnte 
Antonio Cappelli in seinen Poesie musicali mittheilt. Zum Glück hat 
er auch die Musik in einer Beilage zu dem Werkchen mit ver- 
öffentlicht. Die Kanzone ist dort für eine Singstimme mit Begleitung 
der Laute komponirt. Die Melodie ist folgende: 

(wohl j. J^) 

-:t=4 



1 



r;^ g Ä>- 



"JSL 



-JSSl 



t 



— Ä»- 



t=* 



Mi par - to ähi sor - te ri - a, el cor vi la9 - seio 



Hans Leo Haßler unter dem Einflaß der itali&nischen Modrigalisten. 57 




elafflitt al - ma mi - a. Ne mor - rb ne mor - ro no ch^Amoi' no7i vuo - h 



m 




^(g— (g- 



\ H 



:p 



:?sr. 




[no cKAmor-non vuo- le] Ad -dt- o, Ad • di - o, Addio 



dol - eis - 81' 



^ 



:^- 



X 



t 



I 



-^- 



i 



tno ben mi - o 



dol - eis - 81 - mo ben mi - 



Taktlich ist die Melodie etwas korrumpirt, auch glaube ich; 
daß an der mit -f- bezeichneten Stelle g statt f stehen muß; man 
vergleiche das zweite dolcissimo und Haßler's Melodie zu denselben 
Worten. 

Aus dieser Kanzone hat Haßler ein breit angelegtes, schönes^ 
sechsstimmiges Tonstück gemacht. Die einzelnen Themen stimmen 
mit dem Original Note für Note überein, werden aber mehrfach 
wiederholt. In die Melodie theilen sich die beiden Oberstimmen in 
der Weise, daß entweder die eine Stimme die Melodie anfängt und 
die andere sie fortsetzt, 




el cor vi lascio e raff 



litfj al - 7na mi. 



a. 



oder auch in der Weise, daß beide Oberstimmen die betreffende 
Oiiginalmelodie nach einander wiederholen, wobei die bekannte Ver- 
tauschung der Stimmen vorgenommen wird. 



m 



3z: 




t 



-^ — Ä- 



i 



3: 



t 



^ 



-ö»- 



ahi 8or - ie ri - a [ahi sor - te ri - d] 




Zu diesem folgenden Thema 



58 



Rudolf Schwartz, 



f-^l^ r r f r 



— ^ I ^ 



</o/ - eis ' ai ' mo mio he - we 

benutzt Haßler ein Gegenthema, das er ebenfalls entlehnt hat. 

^ _ — g — ^ 



^^ 



:t 



T 



^ 



Do^ - et« - si - mo 6en mi - o 

Ich habe dies letztere bei Andrea Gabriel! gefunden : Madrigal VII 
libro II. (Neudruck 1586.) 

Beide Themen hat Haßler noch einmal in ganz ähnlicher Weise 
kontrapunktisch bearbeitet: Neue Teutsche Gesänge Nr. 16, vergl. 
S. 24 dieses Aufsatzes. 

Das Gegenthema allein benutzt er zu dem Aufangsworte seiner 
achtstimmigen Motette Venite exultemtcs Domino. (Sacrae symphoniae 
Nr. LXVII von Caspar Häßler 1601 herausgegeben.) 



9- 



fJ^ 



± 



m 



v=t 



-ß «- 



X 



-9 



ve ' nt - - te 

Er beantwortet es in motu contrario folgendermaßen: 



m 



-^- 



9^^—^ 




-^- 



-a^ 



ve - wt 



te 



Wie Seiffert (Vierteljahrsschrift VII. S. 161) mittheilt, verarbeitete 
H. Praetorius dasselbe Thema zu dem Worte gaudete seiner sechsstim- 
migen Motette : Gaudete omnes et laetamini; eben daher erfahren wir, daß 
auch Sweelingk auf dieses Thema eine Fantasie in dorisch-transponirter 
Tonart setzte. Daß aber die aufS. 162 angeführten Themen mit dem 
vorliegenden in Verbindung stehen sollen, bezweifle ich ; femer werden 
die Ausfuhrungen Seiffert's auf S. 197 — 199 durch meine Angaben 
etwas modificirt. 

In rhythmischer Beziehung hat das folgende Haßler'sche Thema 




mit dem Anfang eines von Vecchi- komponirten Madrigales die 
gröBeste Ähnlichkeit: 



Hans Leo Haßler unter dem Einfluß der italiäniaehen Madrigalisten. 59 




Ob es sich hier um eine wirkliche Entlehnung Haßler 's handelt, 
will ich nicht entscheiden. Mehrere Gründe sprechen allerdings 
dafür. Erstens legt Haßler seinem Thema die verschiedonsten Texte 
unter, was er bei den von Gabrieli und Bottegari entlehnten Themen 
ebenfalls that. Zweitens fällt der Umstand auf, daß das betreflfende 
Thema bei einer sonst größeren Stimmenzahl immer nur dreistimmig 
anfangs auftritt, so daß es den Anschein gewinnt, als habe Haßler 
mit dieser Stimmgruppirung irgend eine Absicht verfolgt, als habe 
er auf diese Weise sein Thema besonders hervorheben und auszeichnen 
wollen. Solche Auszeichnungen nahm Haßler nun in der That bei 
zwei nachgewiesen entlehnten Themen vor. In seiner Kanzonette 
»•Tb son ferito d^Amore^ läßt er die von Palestrina herrührende voll- 
standige Anfangsmelodie von einer einzelnen Stimme vortragen, eine 
Setzweise, die er sonst nicht in den Kanzonetten anwendet, der wir 
aber in Nr. 16 der Haßler'schen Teutschen Gesänge wiederbegegnen, 
wobei es sich wieder um ein endehntes Thema handelt. Haßler war 
ako ehrlich genug, nicht von ihm herrührende Melodien durch eine 
besondere Art der Einführung und Behandlung zu kennzeichnen. 
Drittens spricht die Thatsache, daß Haßler in Nr. 19 der Teutschen 
Gesänge seinem Thema einen Text unterlegt, der sich als eine 
wörtliche Übersetzung des Anfanges des von Vecchi komponirten 
Madrigales herausstellt, auch dafür, daß Haßler sich an das Vecchi- 
sehe Original angelehnt haben dürfte. 



Vecchi. 

OUene Canz<metC al mto Signore 
JS'l cor mto gli pcrgeUf 



Haßler. 

Fahr hin guts liedelein zum Bulen meine 
und bring jr mein treu6 hertze. 



Endlich erscheint auch bei Vecchi das Thema anfangs drei- 
stimmig, und es haben sogar die kontrapunktischen Bearbeitungen 
der beiden Themen unter einander eine auffallende Ähnlichkeit. 
Nun müssen die Vecchi'schen Madrigale seiner Zeit sich allgemeiner 
Beliebtheit erfreut haben, denn die Gerlach'sche Druckerei zu Nürn- 
berg hielt es 1594 für lohnend, dieselben in der Art einer Gesammt- 
ansgabe neu zu veröffentlichen. Auf dem Titel heißt es: piü d diver st 
Madriffali d Canzonette ä 5. 6. 7. 8. 9 8f 10 voci, per avanti separa- 
tamente iti in luce^ et ora insieme raccolti.^ Die Bekanntschaft Haßler's 



> 1601 erschienen auch die vierstimmigen Kanzonetten Vecchi's in Nürnberg 
bei Paul Kaufimann (87 Nummern). 



ßO Budolf Schwarte, 



mit diesen Madrigalen dürfen wir daher, wohl Toranssetzen« Wahr- 
scheinlich schrieb er die darin vorkommende Melodie »ffitene Can- 
zonetf al mio Signorn nach der Erinnerung nieder, wobei ihm sein 
Gedächtniß etwas versagte. 

Ob mit den angeführten Beispielen die Liste der Entlehnungen 
Ilaßler's geschlossen ist, vermag ich im Augenblicke nicht zu sagen. 
Indessen dürfte die definitive Entscheidung dieser Frage kaum noch 
wesentlich Neues zu Tage fordern, sie Würde höchstens das schon 
gewonnene Urtheil noch mehr bekräftigen, daß Haßler die italiänische 
Madrigallitteratur von Grund aus kannte, und daß er in seiner Kunst- 
übung vollständig zum Italiäner geworden war, in seiner Kunst- 
gesinnung dagegen sein Deutschthum wahrte. 

Wie nun die Wahrung der Persönlichkeit die Eigenart, so läßt 
die Gestaltung des Stoffes den Geschmack und die Leistungsfähigkeit 
eines Künstlers erkennen. Echtheit der Empfindungen, gepaart mit 
Anmuth und Würde, Einfachheit und Natürlichkeit auf der einen 
Seite, gewissenhafte, gründliche Arbeit, liebevolles Sichversenken in 
den Gegenstand der Darstellung auf der anderen Seite zeichnen die 
Haßler'schen Werke vortheilhaft aus und bezeugen überall das Fein- 
gefühl und das gediegene Können ihres Schöpfers. 

Auch die Formen, in die Haßler seine Gedanken ausströmen 
ließ, hat er von den Italiänern entnommen, der Geist jedoch, mit 
dem er sie erfüllte, entstammte deutschem Denken und Fühlen. So 
ist z. B. der Form nach das berühmte Lied DMein gmüth ist mir ver- 
wirret a eine italiänische Kanzonette (a:||:, b, c:|{:); man braucht aber 
nur einen Blick auf die italiänischen Kunsterzeugnisse dieser Art zu 
thun, um sich sofort von der Grundverschiedenheit des darin ge- 
äußerten Gefühlsausdruckes zu überzeugen. Es soll hiermit nicht 
der Anschein erweckt werden, als stünden Haßler s weltliche Kompo- 
sitionen etwa bedeutend über den italiänischen; ich verhehle es mir 
keinen Augenblick, daß Haßler nicht den unerschöpflichen Melodien- 
reichthum eines Luca Marenzio besaß. Aber dennoch kann sich 
keiner der mir bekannten italiänischen Madrigalisten, was Linig- und 
Sinnigkeit anbelangt, mit Haßler messen. 

Luca Marenzio^s Musik ist im edelsten Sinne des Wortes eine 
vornehme Salonmusik, HaßWs weltliche Tonschöpfungen sind für 
das Haus bestimmt. Bei diesen hat man sofort das Gefühl des Da- 
heim- und Vertrautseins, bei jener ist man anfangs ein Fremdling 
in der Gesellschaft, in der man sich, wenn man bekannt geworden 
ist, allerdings auch recht wohl fühlen wird. 

Hat man Marenzio den süßesten Schwan genannt, so möchte ich 
Haßler s Art zu singen mit den Worten Goethe's charakterisiren 



Hans Leo Haßler unter dem £influß der itali&nischen Madrigalisten. ß \ 

Ich singe wie der Vogel singt, 
der in den Zweigen wohnet. 

Wenn nun auch der Gesang des Schwanes den aller anderen 
Vögel überträfe, warum sollte man sich nicht an dem Gesang der 
Lerche erfreuen dürfen? Jedenfalls besitzen wir Deutschen in Haßler 
einen Liederkomponisten, den wir mit Stolz den unsern nennen 
mÜBsen. Hoffen wir, daB sich die Idee der Gesammtausgabe seiner 
Werke recht bald verwirklichen möge, damit mir wieder in den Be- 
sitz eines Eigenthumes gelangen, das wir lange entbehren mußten. 
Und wie sich an diesen Denkmälern deutscher Tonkunst die Wellen 
fast dreier Jahrhunderte kraftlos gebrochen haben, so werden auch 
sjMltere Zeiten kommen und gehen, ohne an ihnen die Spuren einer 
Verwitterung zu hinterlassen. Unsterblich in seinen Werken wird 
der Name ihres Schöpfers fortleben. 



Die Mnsik am Hofe Christian's IV. von Dänemark. 

Nach Angul Hammerich 

von 

Catharinus Elling. 



Ein kürzlich erschienenes Werk des dänischen Musikkritikers 
und -Historikers Angul Hammerich') wirft neues Licht auf die 
Musikzustände während der glänzenden Begierung Christian's IV. und 
da es auch über die Beziehungen Dänemarks zu den damals tonan- 
gebenden musikalischen Ländern und über die Stellung des da- 
maligen größten deutschen Komponisten am dänischen Hofe . neue 
Aufschlüsse bringt, darf es ein allgemeineres Interesse beanspruchen. 
Wir geben daher einen Auszug aus demselben, mit welchem wir uns 
im wesentlichen dem Gange anschließen, welchen der Verfasser in 
seiner Darstellung genommen hat. 

Er charakterisirt gleich anfangs die betreffende Periode mit fol- 
genden Worten: »In der dänischen Musikgeschichte — soweit sie 
bisher gekannt — nimmt das Zeitalter Christian's IV. einen eigen- 
thümlichen, zugleich vorgeschobenen und isohrten Platz ein. Die 
Pflege der Tonkunst nahm in dieser Periode einen ganz merkwür- 
digen Aufschwung, so bedeutend, daß man sagen darf, der Hof des 
Königs von Dänemark stand in dieser Beziehung in der ersten Reihe 
der Entwickelung, wäre jedenfalls unter den ersten zu nennen. In 
jenen Zeiten war Dänemark den Pflegern der Tonkunst ein bekanntes 
imd gastfreies Asyl und übte auf die musikalischen Berühmtheiten 
der damaligen Zeit eine wirksame Anziehungskraft, ja es schien so- 
gar, als ob unter der kunstmilden Regierung Christian's FV. eine 
nationale Schule von Musikern heranwachsen sollte. Doch — alles 
dies verschwand so ziemlich mit Christian IV. selbst. Was er an&og, 

1 Musiken ved Christian den Fjerdes Hof. Et Bidrag til dansk Musikhistorie 
af Angul Hammerich. Kjebenhavn. Forlagt af Wilhelm Hansen. 1892. 



Hammerioli-Elling, die Musik am Hofe Christian's IV. Yon Dänemark. ()3 



hat keiner Ton seinen Nachfolgern fortgesetzt und namentlich von 
einer nationalen Entwickelung kann in den folgenden Jahrhunderten 
nicht die Rede sein, nicht ehe wir zu unserer eigenen Zeit gelangen. 
Das Zeitalter Christian's lY. ist in unserer Musikgeschichte wie eine 
lächelnde Oase inmitten einer großen und ziemlich unfruchtbaren 
Öde.« 

Die Nachrichten über die früheren Musikzustände am dänischen 
Hofe fiind sehr spärlich. Erst in dem Jahre 1519 ist die Existenz 
einer Kantorei historisch sicher, vielleicht hat sie dem für die Kirchen- 
mufflk sehr interessirten Christian IL ihre Entstehung zu danken. 
Es wurde lateinisch gesungen, was auch späterhin, trotz der Refor- 
mation, noch lange Zeit das Gewöhnliche blieb ; doch hört man schon 
1529 von dänischem Kirchengesange. 

Die Musik war in dieser ersten Zeit beinahe ausschliefilich vokal 
und stand in Folge der historischen Entwickelung unter nieder- 
landischem Einflüsse. Es zeigt sich aber, daß das instrumentale 
Element auch hier sich nach und nach geltend gemacht hat, und 
so finden wir denn, daß die Kapelle beim Tode Friedrich^s 11. neben 
den Sängern auch ihre Instrumentisten hatte. 

Die Kantorei, deren vornehmste Au%abe die Mitwirkung beim 
Gottesdienste in der Schloßkirche war, in dessen Liturgie die vokale 
mehrstimmige Figuralmusik nach altem Style noch vollständig die 
Oberhand hatte, war ein in Bezug auf Anzahl und Tüchtigkeit wohl 
ausgerüstetes Sängercorps. Es zählte damals 23 Mann, nämlich je 4 
für den Alt (von Falsettisten gesungen) , Tenor und Baß nebst 8 
Kapellknaben, dazu einen Kapellmeister, femer den Lehrmeister der 
Sängerknaben und noch eine Person, Hans Massak aus Hessen, der 
auf den Sängerlisten aufgeführt wird, aber wahrscheinlich Instru- 
mentist-Lehrling gewesen ist. Dagegen zählte das Instrumentisten- 
corps nur 9 Mann. Zu erwähnen ist auch das 15 Mann starke Trom- 
petercorps. Zu Zeiten bildeten die Trompeter ein nicht unwesent- 
liches Glied des gesammten Musiketats des Königs , wie sie sich ja 
in nicht geringem Maße an den größeren Musikaufiührungen be- 
theiligten. Sonst fungirten sie als Herolde und Couriere, begleiteten 
den König auf seinen Reisen und thaten Kriegsdienst. Da Christian lY. 
beim Tode seines Vaters noch unmündig war, wurden die Geschäfte 
bis zu seiner Thronbesteigung von einer Vormundregierung geleitet. 
Diese verhielt sich dem Bestände dieses vererbten Kgl. Musiketats 
g^enüber ziemlich konservativ, doch mit Tendenz zum Sparen. Zwar 
wurde die Kantorei in ihrer alten Stärke erhalten und auch das 
Troinpetercorps hat nicht viel eingebüßt^ aber die Zahl der Instru- 
mentisten, die doch früher nicht eben sehr groß war, wurde noch 



ß4 Hammerich-Elling, 



mehr eingeschränkt, bildeten sie doch eine Art Luxus im Musik* 
verbrauche der damaligen Zeit. 

Um auch die Gehaltsfirage zu berühren, so war es in der Be* 
Ziehung recht kärglich bestellt. Jeder Sänger hatte nur 58 Thaler 
jährlich; man kann daher nicht anders denken, als daß die Stellung 
nur eine Nebenbeschäftigung gewesen sei. Für die Trompeter waren 
die Löhnungen etwas höher, nämlich für die unberittenen 93, für 
die berittenen 150 Thaler jährlich. Aber während die Löhnungen 
sowohl für die Sänger wie für die Instrumentisten eine stetige Ten- 
denz zum Steigen haben, blieben sie für die Trompeter so ziemlich 
die gleichen. Vom Jahre 1600 ab werden sie zwar auf 109, respective 
184 Thaler erhöht, aber höher hinaus kommen die Trompeter während 
der ganzen Zeit Christian' s IV. nicht. 

Anders verhält es sich mit den Instrumentisten. Sie w^aren vond 
Anfang an die am besten besoldeten und haben um die Zeit des 
Thronwechsels 135 Thaler jährlich nebst einer Hofkleidung. Dieser 
Betrag wurde zwar von der Yormundregierung auf 100 Thaler ver- 
mindert; das dauerte aber nicht sehr lange. Die Verhältnisse in 
Kopenhagen könnten am ehesten mit denen einer anderen Stadt, die 
auf diesem Gebiete der dänischen Hauptstadt in Entwickelung nahe 
stand und unter Friedrich IL den dänischen Hof mit Spielleuten 
versehen hatte, nämlich Lübeck, verglichen werden. Um diese Zeit 
(c. 1595) bestand das Lübeck'sche »Rathinstrumentistenacorps aus 
9 Mann, 4 mit dem großen Spiel (Posaunen und Zinken), 2 Laute- 
nisten, 1 Geiger, 1 Pfeifer und einem Trommler. Sie hatten eine noch 
niedrigere Löhnung, hatten aber daneben reichliche Sporteleinkommen 
als Stadtmusikanten, was es bei den dänischen Instrumentisten 
nicht gab. 

Die drei Corps bildeten jedes für sich ein Ganzes, jedes mit 
seiner Aufgabe: die Sänger wesentlich in der Kirche, die Instrumen- 
tisten bei der Tafel und festlichen Gelegenheiten, die Trompeter ein 
bischen überall. 

Die Kirchenmusik des 16. Jahrhunderts wurde von den Nieder* 
ländem und den Italienern beherrscht, und so finden wir denn auch 
am dänischen Hofe die gewöhnlichen großen Namen, Orlando Lasso, 
G. Gabrieli, Palestrina nebst vielen anderen, Luca Marenzio, Orazio 
Vecchi u. s. w. In der Kirche wurde, neben der Messe, besonders 
die Motette gepflegt; außer der Kirche, bei der Tafel und sonstigen 
Gelegenheiten, war es das Madrigal, das die Gemüther bezauberte. 
Die Instrumentisten wurden um diese Zeit hauptsächlich zur Ver> 
Stärkung der Singstimmen benutzt ; nur seltener trifft man reine In- 
strumentalstücke, die dann gewöhnlich aus Tanzmelodien: Galliarden, 



Die Musik am Hofe ChTistian^s IV. von Dänemark. g5 



Paduaneiij Branslen u. dergl. bestehen und im ganzen Style einem 
Madrigale fiir Singstimmen ähnlich sehen. Von der Anwendung des 
Trompetercorps ist oben die Rede gewesen. Vereint, als ein Ge- 
sammtcorps, traten sie seltener, und wohl niir in dem Falle auf, 
wenn irgend eine große Festlichkeit, ein Fürstenbesuch, eine Hoch* 
zeit und dergl., eine ungewöhnliche Glanz- und Pradhtentfaltung er- 
heischte. Es wird sich im folgenden zeigen, daß die Grenzlinien 
innerhalb des Wirkungskreises eines jeden Corps sich im Laufe der 
Zeit nicht wenig verschieben. Die Regierungsperiode Christian's IV. 
fällt eben in eine, für die Entwickelung der Musik wichtige Über- 
gangszeit. Der Schwerpunkt verschob sich mehr und mehr vom 
Sängercorps nach dem Instrumentistencorps, während das Sängercorps 
allmählich, doch erst in den späteren Jahren, mit der Tendenz, vom 
Chorgesang zum Sologesang überzugehen, seine ursprüngliche Physio- 
gnomie verlor. 

Wie oben erwähnt, bietet die Zeit der Vormundregierung auf 
dem Gebiete der Musik nichts bemerkenswerthes. Die Hauptbe- 
gebenheit war die Anstellung eines neuen Kapellmeisters (1590) an- 
statt des 1587 verstorbenen Bonaventura Borchgrevinck. Es 
war dies Gregor Trehou, wahrscheinlich ein Niederländer, und 
seiner Zeit ein angesehener Komponist, übrigens unbekannt. Sein 
Gehalt belief sich auf 416 Thaler nebst zwei Hofkleidungen im Jahr; 
er hatte ferner 32 Thaler monatlich für den Unterhalt von 8 Sänger- 
knaben, deren musikalische Ausbildung er zu übernehmen hatte, 
wahrend für deren anderweitige Bildung ein besonderer Schulmeister, 
der Paedagogus puerorum, der meistens selbst Sänger war, zu sorgen 
hatte. Dem Gregor Trehou wird die Einfährung des Heptachord- 
systems in Dänemark zugeschrieben, wodurch das Hexachordsystem 
dem jetzt gebräuchlichen Oktavsystem weichen mußte. 

Hatte die Vormundregierung bisher gespart, so wurde bei den 
Krönungsfestlichkeiten alle Sparsamkeit mit einem Schlage über Bord 
geworfen. Wo es galt mit einer Pracht aufzutreten, die den vielen 
fremden Gesandtschaften imponiren und ein Ausdruck der politischen 
Machtstellung Dänemarks sein konnte, war die Hülfe der Musik un- 
erläßlich. Schon aus diesem Grunde war es natürlich, daß der 
Musiketat stark erweitert wurde. Aber in dem Umfange und in der 
Weise, wie dies geschah, können wir deutlich spüren, daß diese An- 
gelegenheit dem Herzen des jungen Königs theuer war. 

Wir haben oben gesehen, daß das Instrumentistencorps bisher 
recht schwach besetzt -war. Man darf es wohl daher als ein Resultat 
des Musikinteresses des Prinzen betrachten, wenn schon vor der 
1893. 5 



ßg Hammerieh-Elling, 



Krönung 6 neue Instrumentisten angestellt wurden. Sie waren, dem 
Namen nach, sämmtlich Fremde, Deutsche, Polen und Engländer. 
In dieser Weise war die Zahl der Instrumentisten gegen die Krönungs- 
zeit auf 15 fest angestellte Leute gewachsen. Das Sängercorps, das 
schon im voraus vollbesetzt war, wurde nicht erweitert, wogegen die 
Trompeter, die ja von besonderer Bedeutung für die vielen Einzüge 
und Aufzüge werden mußten, bedeutend vermehrt wurden, theils 
durch feste Anstellung — die Zahl wächst auf 16 — theils wurden 
sie in großen Mengen eigens für die Feierlichkeit ei^agirt, und zwar 
aus Deutschland. Außer 12 Pfeifern und Trommlern, kamen von 
Trompetern in allem 17 Mann, darunter 10 aus Dresden, von Am- 
brosius Günther gefährt, andere aus Torgau und Cobui^. Der Auf- 
enthalt dauerte nur drei Monate, Juni bis September, und kostete 
722 Thaler. Das ganze Corps wurde außerdem zu den Festlichkeiten 
beritten gemacht. 

Bei diesen Erweiterungen hatte der Musiketat eine für die Ver- 
hältnisse der Zeit sehr starke Besetzung erreicht, 15 Instrumentisten, 
23 Sänger und 33 Trompeter, in allem 7 t Mann. Aber hierzu kamen 
noch die fremden »Musikanten ir und Trompeter, die die eingeladenen 
fürstlichen Herrschaften und fremden Gesandtschaften mit sich führten, 
wenigstens 17 »Musikanten« und 31 Trompeter. Mit den Leuten des 
Königs macht das eine gesammte Stärke von 64 Trompetern und 55 
Instrumentisten und Sängern, zusammen 119 Mann. Aber nicht 
genug mit dieser großen Stärke an und für sich, sollten sie auch 
mit äußerem Pomp, mit strahlenden Instrumenten und prachtvollen 
Kleidungen auftreten. Die Blasinstrumente, nicht wie gewöhnlich 
aus Messing, sondern aus purem Silber zu machen gehörte zu den 
Verschwendungen, die zu der Prachtlust dieser Renaissancezeit paßten. 
So wurde der Instrumentist Kortenberg nach Nürnberg geschickt, 
um 4 Posaunen aus Silber zu einem Preise von 530 Thalem einzu- 
kaufen. Erwähnt werden auch zwei Kesselpauken aus Silber und 
9 Trompeten aus lauter Silber, an den Enden vergoldet und mit 
schönen Seidenbändern behängt, worauf das Wappen ihrer Kgl. 
Majestät. 

Für diese vielen Musiktreibenden war sowohl während der Ein- 
züge der Fremden, während der Krönungsfeierlichkeit, wie endlich 
während der gesammten abschließenden Festlichkeiten, Inventionen, 
Mummenschanzen, Ringelrennen u. s. w. vollauf zu thun; ein buntes 
Bild von Lebenslust und lärmender Freude, so recht ein Festspiel 
im Geiste der Renaissance, entfaltete sich hier. 

Der Krönungszug zu der Frauen- Kirche wurde von einem Pauken- 
schläger und neun Trompetern eröffnet, alle mit Silberinstrumenten 



Die Musik am Hofe Christian's IV. von Dänemark. ß'J 



und in gelbe Atlasjacken, rothe Sammethosen, schwarze Kappen und 
Sammethüte gekleidet. Später kamen noch ein Paukenschläger und 
15 Trompeter, den hohen Reichsräthen, die die Reichskleinodien trugen, 
und dem König, der von den königlichen und fürstlichen Herrschaften 
begleitet wurde, vorausreitend. Während der sehr umständlichen 
Krönungsceremonie trat die Kantorei sowohl mit gewöhnlichem 
Psalmengesang wie auch mit kunstvollem Figuralgesang auf. Zu 
Anfang wurde die Hymne »Veni Sancte Spiritusn gesungen, danach 
kamen, als Einleitung zu dem eigentlichen Krönun^akte, die ersten 
zwei Abschnitte der Messe, hernach, während der Überreichung der 
verschiedenen Reichskleinodien, drei Motetten. Während der Glück* 
wünschung wurde auf der Orgel gespielt und ein nTe deumn gesungen 
und zum Schluß ein dänischer Psalm » Gtcd give vor Kotming og al 
Ovrighed Fredn (Gott gebe unserm König und aller Obrigkeit Frieden). 
Die groBe Ehrenpforte, die der Krönungszug auf dem Rückwege 
passirte, war in zwei Etagen theils von Paukern und Trompetern, 
theils von den Instrumentisten und Sängern des Königs eingenommen. 
Als der König durch die Pforte ritt, wurde er von einem Engel, der 
mittelst eines sinnreichen Mechanismus über ihn herabsank, gekrönt, 
während die Pauken geschlagen, die Trompeten stark geblasen wurden, 
»und Musikanten singen und Instrumentisten spielen«. 

Von den übrigen Festlichkeiten wollen wir, des musikalischen 
Interesses wegen, der Aufzüge und Inventionen, die mit dem Ringel- 
rennen verknüpft waren und zwei Tage dauerten, erwähnen. Mit 
derselben kindlichen Freude, mit welcher die Südländer ihren Karneval 
feiern, gingen alle diese Fürsten, Prinzen, Herzöge undEdelleute in 
dem Maskeradenspiel auf. Die Fiktion war, daß der Papst Ser- 
gius VT. zur Feierlichkeit eingeladen hätte, und die Musikanten des 
Königs traten daher im ersten Aufzuge als Mönche und Eremiten 
auf. Dann kamen die magdeburgischen Trompeter^ und Musikanten 
nach türkischer Mode, in blau und weiß gekleidet, die branden- 
burgischen in gelb und weiß, die holsteinischen als 4 polnische Spiel- 
leute in blauen Röcken und mit kleinen rothen Hüten; sie spielten 
auf großen polnischen Sackpfeifen, aus einem ganzen Bocksfell ver- 
fertigt, und auf einer kleinen Trommel. Femer drei Instrumentisten 
mit Harfe, Laute und Fiedel in der österreichischen Kleidertracht, 
lange schwarze Röcke mit gelben Schnüren. Den nächsten Tag 
traten auf vier Sängerknaben als Amorinen mit lieblichem Gesang, 
in weißen, seidenen Kleidern; im folgenden Aufzuge, Fortuna's 
Wagen, waren sechs Instrumentisten, im selben Kleide der Unschuld, 



^ Die Stadt hatte sich vertreten lassen. 



5* 



gg Hammerich-Elling, 



stufenweise auf drei Grasbänken mit Posaunen und Zinken aus purem 
Silber aufgestellt. In den späteren Aufzügen finden wir Instrumen- 
tisten in Engelgestalt mit vergoldeten Flügeln, in heidnischer Kleidung 
als Trabanten der Frau Venus, als Choristen herrlich auf Laute, Harfe 
und Geige spielend, als Wilde auf kleinen Pferden in Hirschgestalt 
reitend, als Meermann und Meerweib: »der Mann eine kleine Trom- 
mel schlagend und auf einer Flöte pfeifend, während das Meerweib 
eine Laute schlug« u. s. w. 

Man sieht, daß die verschiedeneu Gruppen immer für sich auf- 
treten, in Abtheilungen von 3 — 6 Mann, einmal die Bläser für sich, 
Posaunen und Zinken, ein andermal die Saiteninstrumente, Laute, 
Harfe und Geige: von einem Orchester im modernen Sinne war ja 
damals noch nicht die Rede. 

Wir haben uns so lange bei diesen Feierlichkeiten au^ehalten^ 
um zu zeigen, daß auch im hohen Norden der Geist der Kenaissance 
sich geltend machte, und zwar in den prachtvollsten, überschwäng- 
lichsten Formen. 

Wie schon erwähnt, darf man die reiche Musikentfaltung zur 
Zeit Christian's TV. wohl wesentlich dem König selbst zuschreiben, 
und in seiner auch sonst so reichbegabten Natur ist dies sein stets 
und unter allen Umständen reges und thätiges Musikinteresse einer 
der schönsten Züge. Eine musikalische Natur von Geburt, hat er 
seine Anlagen durch technische Übung und Beschäftigung mit der 
Tonkunst weiter entwickelt. Schon aus seiner Kindheit haben wir 
davon Proben. In seinem Schreibbuche finden wir noch 3 Reihen 
Uebungen im Notenlesen mit den damals üblichen Solmisationssilben 
ut, re, mi, fa, sol, la^ die er täglich zu repetiren hatte, und daß er 
eifrig darin gewesen, geht aus einem Aufsatze in seinem lateinischen 
Aufgabebuche hervor, worin er in komischem Knabenernste und 
Knabenlatein seinem Mitlehrling, Sohn des Niels Friis zu Hesselager, 
vorhält, daß er die musikalischen Uebungen nicht fleißig genug be* 
treibe: »Mihi videtur^ mi Frisi, qttando exercemus nos in Mtmca, tum 
canis non tarn diliffenter, ut te deceret, hoc non placet mihi, nam 
semper putavi, te esse diligentem puerum profecto, si posthac perce- 
pero tuam negligentiam ^ persuades tibi certo, accusaho te coram ma- 
gistron. Wer dieser Lehrer in Musik gewesen, wissen wir nicht; 
möglich ist es, daß der Lehrer des Prinzen, Hans Mikkelsen, auch 
dieses Fach übernommen habe. Aus seinen jungen Tagen haben 
wir noch eine Nachricht über ihn, die von einem deutschen fahrenden 
Studenten herrührt, der ihn im Jahre 1590 in Ringsted traf. Der 
13jährige König ließ sich bei der Tafel mit Trompeten und Musik 



Die Musik am Hofe Christian's IV. von Dänemark. gQ 



aufwarten und freute sich darüber »so daß er lustig wurde «. Daß 
Christian IV. sich persönlich an der Ausführung von Musik betheiligt 
hat, dafür haben wir das Zeugniß eines Zeitgenossen, wie auch daß 
er in eigener Person die, welche sich zu Dienst in seiner Kapelle 
einstellten, examinirte. 

Ganz amüsant ist es nun zu sehen, wie der Geist der Sparsam- 
keit, welcher in Bezug auf die Kapelle in den Tagen der Vormund- 
regierung herrschte, mehr und mehr weichen muß. Man hätte glauben 
sollen, daß, nach dem großen Aufwände bei Gelegenheit der Krönungs- 
feierlichkeiten, eine Reaktion eintreten würde. Es wurden wohl auch 
einige Einschränkungen vorgenommen, am fühlbarsten durch den 
Abgang der fünf letzthin angenommenen Instrumentistep. Aber 
andererseits behielten sowohl das Trompeter- wie das Sängercorps 
ihre alte Stärke; das erste wurde sogar erweitert — es zählte jetzt 
nicht weniger als 3 Pauker — und es dauerte auch nicht lange, bis 
das Instrumentistencorps wieder erweitert wurde, ja es wurde sogar 
besonders begünstigt. Hat der junge König aus ökonomischen Gründen 
oder aus Rücksicht auf das damals Gebräuchliche es gleich für gut 
befanden, die Segel zu reffen, so hat seine musikalische Natur doch 
bald die Oberhand bekommen, und die Sparsamkeitsrücksichten sind 
in den Hintergrund getreten. Dazu kamen noch neue äußere Ver- 
anlassungen, seine Hochzeit im Dezember 1597, und die bald danach 
stattfindende Krönung der Königin. Das erste günstige Zeichen 
waren einige Löhnungserhöhungen. So wurden unter den zwölf 
Hauptsängern sechs ausgewählt, die eine Art Elitecorps bilden sollten. 
Sie hatten täglichen Dienst und sollten immer dem König folgen. 
Jeder von ihnen bekam 100 (früher 58 Thlr.) jährlich. Besonders 
bevorzugt wurde der junge Instrumentist Melchior Borchgrevinck,* 
der jetzt nicht weniger als 196 Thlr. bekam, d. i. mehr als die übrigen 
Instrumentisten, ja sogar mehr als der Hoforganist Andr. Thide, ein 
Beweis, daß der junge Mann, der später eine wichtige Rolle spielen 
sollte, sich schon jetzt des Königs besonderer Gunst freuen konnte. 
Femer wurde die Kapelle mit neuen Instrumenten versehen. Ent- 
weder können deren früher nicht viele gewesen sein, oder das Be- 
dürfriiß nach guten Instrumenten hat sich stark geltend gemacht, 
denn in den Jahren um die Krönung herum ist die Bewegung auf 
diesem Felde ganz auffällig. Es war damals eine umständliche Sache, 
dergleichen Waaren habhaft zu werden. Eigene Instrumentenmacher 
hatte Dänemark nicht — sie erschienen, wie wir sehen werden, erst 
später — ; die Instrumente mußten daher vom Auslande geholt 
werden, und das bedeutet bei den damaligen primitiven Handels- 

1 Wahrscheinlich ein Sohn des früheren Kapellmeisters. 



7 Hammerich-Elling , 



Verhältnissen, daß der König expreß einen Mann ausschicken mußte, 
um sie zu kaufen. Wir wissen schon, daß Joh. Kortenberg im 
Jahre 1596 nach Nürnberg geschickt wurde, um vier Posaunen zu 
kaufen. Im selben Jahre wurde auch Melchior Borchgrevinck nach 
Danzig, in der Zeit eine in musikalischen Angelegenheiten gesuchte 
Stadt, geschickt, theils um eine neue Symphonie (Klavier) und andere 
ungenannte Instrumente zu kaufen, theils um drei Sängerknaben zur 
Kantorei anzuwerben. Im folgenden Jahre wurde er nach England 
geschickt, wieder um verschiedene Instrumente einzukaufen. Noch 
einige Jahre später (1601) zog ein anderer kgl. Instrumentist, der 
Lautenist John Dowland, nach England, um Instrumente im Be- 
laufe von 300 Thlr. zu erstehen. Christian lY. hatte aber jetzt als 
Musiklieohaber einen so guten Namen, daß seine Leute nicht mehr 
in der Welt herumzuziehen brauchten, um Instrumente habhaft zu 
werden, sondern man kam zu ihm. Einer der sächsischen Trompeter, 
die zur Krönung engagirt wurden, kam im folgenden Jahre wieder, 
und hat dem König 24 Messingtrompeten für 168 Thlr. verkauft. 
Es dauert nicht lange, so ist wieder ein Instrumentist aus Thom, 
ein Johannes Amen, da mit einer Sammlung Instrumente, wovon 
für 100 Thlr. angeschafft wurde; außerdem bekam er 40 Thlr. als Be- 
lohnung für andere, die er dem König geschenkt hatte. Dies war 
so ziemlich der letzte direkte Import. Interessant ist es immerhin, 
daß der Bedarf groß genug war, eine inländische Industrie, die 
(schon 1599) vom Instrumentisten Adam Pickerow gegründet wurde, 
hervorzurufen; doch hiervon später. 

In der Kapelle selbst zeigt sich eine bedeutende Entwickelung. 
Nach etlichen Jahren ist der Musiketat schon bemerkenswerth. Außer 
dem allgemeinen Interesse für Musik hat der junge König augen- 
scheinlich mit den großen, berühmten Kapellen des Auslandes, mit 
denjenigen in London, Warschau, München wetteifern wollen. Und 
es gelang ihm wirklich in dem ersten glücklichen Drittel seiner 
Regierung, dies Ziel zu erreichen. Auf ihrem Höhepunkt war seine 
Kapelle eine der zahlreichsten und bestversorgten Europas. 

Er lenkte zuerst seine Aufmerksamkeit auf das Instrumentisten- 
corps. Es war dies das am schwächsten besetzte, aber gleichzeitig 
der Repräsentant einer modernen Strömung in der Musik. War die 
Domaine des Sängercorps zunächst die Kirche, so hatten die In- 
strumentisten für ihren Theil die Tafel und den Rittersaal. 

Bei der Erweiterung dieses Corps war der König ausschließlich 
auf das Ausland verwiesen. Die Wiege der Musik hatte weit vom 
Norden gestanden^ aber auch in den meisten anderen Ländern waren 
die eigentlichen Kunstmusiker alle Fremde. Gewisse Länder hatten 



Die Musik am Hofe Christian's IV. von D&nemark. 71 



ja hier eine Art Monopol; 80 kamen die Sänger gewöhnlich aus der 
Heimath der Kontrapunktik, den Niederlanden, die Instrumentisten 
von der Geburtsstätte der neuen Kunst, Italien und theilweise aus 
Deutschland. Während der ganzen Regierungszeit Christian's lY. 
sieht man daher eine fortwährende Einwanderung von fremden 
Musikern, zuerst namentlich Instrumentisten, später, als der Solo- 
gesang sich zu zeigen anfing, auch Sängern. Besonders in den 
ersten Jahren machte sich die Einwanderung stark geltend ; nachher 
wurde sie etwas gehemmt, theils durch die anbrechende inländische 
Produktion von Musikern, theils durch die stets zunehmende Ebbe 
in der Staatskasse. Erwähnen müssen wir auch, daß Polen, dessen 
Kapelle damals zu den renommirtesten gehörte, wie auch einige 
Städte in den Ostseeländern, namentlich Danzig und Thom, ein nicht 
unbedeutendes Musikkontingent stellten. ^ Durch seine Verwandtschaft 
mit dem englischen, braunschweigischen und kursächsischen Hofe 
hatte der König auch Gelegenheit, seinen Musikerbestand zu erneuern. 
Die Kapellen aller dieser Höfe waren rühmlichst bekannt, und wir 
treffen denn auch nach und nach nicht wenige Musiker aus London, 
Wolfenbüttel und Dresden am dänischen Hofe. 

Von den ausländischen Berühmtheiten ist unter den in der ersten 
Zeit angestellten der Komponist und Lautenist John Dowland 
hervorzuheben. Er war nicht nur ein begabter Künstler, sondern, 
was damals auf diesem Gebiete seltner, auch ein kenntnißreicher 
und gebildeter Mann. Dowland war Baccalaureus Musicae an der 
Universität zu Oxford und hat den gelehrten Musiktheoretiker 
Omitoparchos übersetzt. Als Musiker konnte er sich der ungetheilten 
Bewunderung seiner Zeitgenossen freuen, besonders als bezaubernder 
Lautenist, ja er ist sogar in einem Sonette, das man, und nach 
Grove gewiß mit Recht, dem Shakespeare zuschreibt, verherrlicht 

worden: 

»7/ music and sweet poetry agree 

As they mtist needs, the sister and the hrother, 

Then must the love be great ^twixt thee and me 

Because thou lovest the one^ a7id J the othei\ 



1 Der Verkehr zwischen Kopenhagen und diesen Ostseestädten war in musi- 
kalischen Angelegenheiten um diese Zeit so lebhaft, daß der auch als Komponist 
bekannte braunschweigische, später brandenburgische Kapellmeister Nicolaus Zan- 
gius in einem Schreiben, dat. von Danzig 2./8. 1599, sich dem dänischen König 
einfach als Impresario zum Herbeischaffen guter Instrumental- und Vokalmusiker 
darbot. Da wir in der folgenden Zeit häufig Leute aus dieser Qegend in däni- 
schem Dienste antreffen, ist es möglich, daß Zangius bei den Engagements Vermittler 
gewesen. 



72 Haxnmerich-Elling, 



Dowland to thee is dear, whose heavenly toticli 
üpon the lute doth ravish human sense; 
Spenser to me, i/ohose deep conceit is such 
As passing all coficeit, needs no defencein. 

Auch als Komponist war er populär; seine Songs or Ayres er- 
lebten mehrere Auflagen . und durch seinen Sinn für melodischen 
Ausdruck und Feinheit wurde er in der englischen Gesangs-Litteratur 
bahnbrechend. Am dänischen Hofe wurde Dowland im Jahre 1598 
als Instrumentist angestellt mit 500 Thlr. jährlich, einem bis dahin 
unerhörten Gehalt, welcher dem der hohen Staatsbeamten gleichkam. 
Dazu kamen noch besondere Gnadenbezeugungen, so im Jahre 1600 
als Extrageschenk die nette Summe von 600 Thlr. Er blieb acht 
Jahre in Dänemark; in diese Jahre fallen seine zweite Sammlung 
von fi Songs or Ayres for the Lute^ und seine »Lachrgmae or 
seaven Teares y figured in seaven passionate Pavansu^ fünf- 
stimmig für Laute und Streicher. Das Yerhältniß aber, das sich 
anfangs zu aller Betheiligten Zufriedenheit gestaltet hatte, wurde 
durch seine Unzuverlässigkeit nach und nach lockerer, und trotzdem 
man ihm wiederholen tlich pekuniär auf die Beine half, nützte alles 
nichts, und er mußte im Jahre 1606 entlassen werden. Von seinem 
späteren Schicksal wissen wir nur, daß er im Jahre 1626 in eng- 
lischem Dienste gestorben. 

Auch in den Veränderungen innerhalb der Sängerschaar spürt 
man die neue Zeit. Sie wurde sowohl nach Quantität wie besonders 
auch nach Qualität verbessert und entwickelte sich um diese Zeit 
von der überlieferten Bescheidenheit zu größeren, der Zeit mehr ent- 
sprechenden Formen, was man vielleicht theilweise dem neuen Musik- 
style, der Monodie mit ihren höheren Ansprüchen an die vokale 
Fertigkeit und den Vortrag jedes einzelnen Sängers zuschreiben darf. 

Um tüchtige Leute zu bekommen mußte man, wie bei den In- 
strumentisten , so auch hier seine Zuflucht zum Auslande nehmen. 
Es wurden Sendboten theils nach den Niederlanden, theils nach Prag 
geschickt. Von den neuangestellten wollen wir des Altisten Nicolaus 
Gistou (Giustow) erwähnen, der auch einzelne kleinere Kompo- 
sitionen, sowohl vokale (in Borehgrevinck's Madrigal -Sammlung 
Giardtno novo) wie auch instrumentale (in Füllsach und Hildebrand's 
Sammlung von Galliarden und Paduanen, Hamburg 1607 — 9) 
hinterlassen hat. Er wurde mit einem Gehalte von 144 Thlr. an- 
gestellt, also auf einer Stufe mit den Instrumentisten. Von den 
übrigen sechs neuen Leuten, deren Gage sich sogar auf 200 Thlr. 
belief — ein ganz netter Sprung von den früheren 58 — nennen 



Die Musik am Hofe Ghristiaii's IV. Ton Dänemark. 73 

wir hier nur Johannes Tollius (Tholius), als Komponist von 
Kirchenmusik und Madrigalen, in Heidelberg und Venedig erschienen, 
bekannt; er wurde auch mit 300 Thlr. bezahlt. Das allgemeine Ni- 
veau der Sängerschaft hat sich ohne Zweifel bedeutend gehoben; es 
ist mehr europäisch geworden. 

Nach allen Richtungen war die Kapelle Christian's IV. in den 
ersten Jahren nach der filrönung in stetiger Entwickelung gewesen. 
Ein neuer Wille, jung und kräftig, mit ausgeprägtem Interesse für 
die Tonkunst, hatte die Führung übernommen. Aber wie die Ver- 
hältnisse lagen, war der König bisher, um sich mit den nöthigen und 
begehrenswerthen Musikelementen zu versehen, vom Auslande ab- 
hängig gewesen. Es blieb aber nicht dabei. Sollte die Tonkunst 
nicht fortwährend eine fremde Kulturpflanze bleiben, sollte sie in 
der heimischen Erde Wurzel schlagen, so mußte für eine Akkli- 
matisirung gesorgt werden. Es war eine große Aufgabe, dies damals 
ins Werk zu setzen. Daher spricht nichts so sehr für Christian's IV. 
Liebe zur Musik und Sinn für ihre Bedeutung, als daß er auch diese 
Seite der Sache anfasste. Und er hat es erlebt, die Früchte seiner 
Arbeit zu sehen. 

Erstens wurden Lehrlinge bei den hervorragenden Kapellisten 
fest angestellt. Es ist oben von den acht Sängerknaben die Rede 
gewesen, die, neben ihrem Dienste als Diskantisten, in den musi- 
kalischen Disciplinen vom Kapellmeister unterrichtet und, wenn sie 
Anlagen zeigten, später als Instrumentisten oder Sänger benutzt 
wurden. Femer wurden Lehrlinge bei den Instrumentisten selbst 
angebracht. Sie wurden in )» allerhand musikalischen Instrumenten (r 
unterrichtet; es wurde nämlich damals ebensoviel Gewicht auf die 
Quantität wie auf die Qualität der instrumentalen Technik gelegt; 
es galt, etwas auf verschiedenen Instrumenten zu können. Auch die 
Trompeter hatten ihre Lehrlinge. 

Aber noch wichtiger war es, daß junge Talente mit dem Auslande 
Bekanntschaft machten. Denn, wie man sich auch bestrebt hatte, die 
Verhältnisse zu bessern, so genügten sie doch noch nicht den Forder- 
ungen, die man an eine höhere Ausbildung stellen mußte. Ebenso 
wie die jungen Edelleute nach fremden Ländern, die Studenten nach 
Rostock und anderen deutsch enUniversitäten, nach Paris, Montpellier und 
Padua zogen, war es auch nothwendig, daß die Musiker nach dem 
Auslande geschickt wurden, wenn des Königs Absicht, Tonkünstler 
von dänischer Nationalität zu bilden, verwirklicht werden sollte. Er 
zauderte auch nicht und als kundiger Mann wählte er eben den Ort, 
wo die Entwickelung am besten vor sich gehen konnte. Und das 



74 Hammenoh-Elling, 



war Venedig. Die glänzende Handelsstadt hatte die Erbschaft der 
Niederlande angetreten und den Weltruf als die vornehmste Stätte 
für Musikpflege erworben. Mehr als irgend eine andere Stadt zog 
sie daher die jungen Musiktalente an sich. Vor allen waren es die 
zwei Gabrieli, besonders Giovanni Gabrieli, der um diese Zeit 
in seiner vollen Manneskraft stand, ein von Allen bewunderter Meister 
und Lehrer. Zu ihm strömten die Scholaren aus der ganzen Welt, 
und es war auch zu ihm, daß Christian IV. 4iiejenigen seiner jungen 
Leute schickte, welche er für entwickelungsfahig hielt. Die erste 
Abtheilung bestand aus zwei Sängern, dem Organisten Melchior 
Borchgrevinck sammt dessen zwei Lehrlingen, Hans Nielsen 
und Mogens Pedersön, also in allem 5. Sie reisten im Früh- 
jahr 1599 und kehrten zurück nach Verlauf eines Jahres. Man spürt 
den Nimbus, mit dem die Reise sie umgeben hat, in der steigenden 
Löhnung, die, was Borchgrevinck betritt, sogar auf 320 Thlr. erhöht 
wurde. Der Versuch hatte wahrscheinlich gute Resultate gebracht, 
denn er wurde in der ersten glücklichen Periode der Regierung 
Christian's IV. öfters wiederholt. Italien und Giov. Gabrieli waren 
stets das Ziel. Und der Aufenthalt hat sich auch meistens auf einen 
längeren Zeitraum erstreckt, ja wir sehen sogar, daß der Instrumentist 
und Komponist Mogens Pedersön, als er das zweite Mal mit einem 
besonderen Empfehlungsschreiben an Gabrieli ausgeschickt wurde, 
über vier Jahre in Venedig verweilte. 

Gabrieli starb 1613 und hiermit wie mit dem ein paar Jahre 
vorher ausgebrochenen Kalmarkriege hörten diese Ausbildungsreisen 
nach Venedig auf. Doch nur vorläufig. Denn so lebendig war immer 
die Erinnerung an die venetianische Musik, daß noch im Jahre 1619 
zwei Musiker vom Hofe Christian's IV. nach Venedig zogen; es war 
aber auch das letzte Mal. 

Auch anderwärts wurden Lehrmeister gesucht. An dem durch Freund- 
schaft und Verwandtschaft verbundenen braunschweig-lüneburgischen 
Hofe war damals ein hervorragender Lautenist, Namens Gregorius 
Howett. Zu ihm wurde im Oktober 1606 der obengenannte Hans 
Nielsen geschickt, um sich dort zu vervollkommnen. Femer war 
es England, wo unter Elisabeth die nationale Musik ihre üppigsten 
Blüthen entfaltete , besonders hatte das Madrigal in Komponisten wie 
William Bird, John Bull, Thomas Morley u. s. w. eifrige 
und hervorragende Pfleger gefunden. Wahrscheinlich war es in 
Rücksicht auf diese bedeutende Kunstentwickelung Englands, wenn 
im Jahre 1611 vier dänische Musiker, worunter Mogens Pedersön, 
an den Hof Jacob's I. geschickt wurden. Der Aufenthalt dauerte 
drei Jahre. 



Die Musik am Hofe Christian's IV. von Dänemark. 75 



Selbst auf das Trompetercoips erstreckte sich des Königs Für- 
sorge. 1604 wurde ein Lehrling an den Hof des Kurfürsten von 
Sachsen zur weiteren Ausbildung geschickt. 

Wir haben oben gesehen, wie sehr der König sich bestrebte, 
ausländische Berühmtheiten an seine Kapelle zu knüpfen. So wurden 
im Jahre 1607 wieder zwei Größen angestellt, nämlich Jacobus 
Merlis als »Fiolistacr und Yincentius Bartholutzius als Orga- 
nist mit den unerhört hohen Gehältern von 600 und 1000 Thalern. 
Von diesen hatte Bartholutzius, der früher am Hofe König Sigismund^s 
war, sowohl als Organist wie besonders als Komponist einen ange- 
sehenen Namen. Er starb aber schon 1608. 

In diese Zeit fällt eine Sammlung fünfstimmiger Madrigale in 
zweiBänden, von Melchior Borchgrevinck herausgegeben (160 5 — 
1606). Der Titel des ersten Theiles lautet: Giardino novo bellissimo 
di variißori mvsicali scieltissimi. II Primo libro de Madrigali A Cinque 
Voci, Der zweite Theil erschien 1606 und noch im selben Jahre 
eine zweite Auflage des ersten Theils^ Sie bringen zusammen 52 
Madrigale, die meisten von italienischen Komponisten. Sammlungen 
dieser Art waren damals Mode. Die genannte enthält hauptsächlich 
Werke venetianischer Kunst und darf wohl als die Frucht des Auf- 
enthaltes Borchgrevinck's in Venedig betrachtet werden. Die vor- 
zugsweise vertretenen Komponisten sind Monteverdi mit 6 und 
Leone Leoni mit 8 Madrigalen; daneben mehrere jetzt ziemlich 
vergessene Namen und schließlich sind drei dänische Hofmusiker 
vertreten, nämlich Borchgrevinck und Nicolo Gistou mit je 
zwei Madrigalen sammt Hans Nielsen (Giovanni Fonteio) mit einem. 
Von diesen letzten, die ja von besonderem Interesse wären, hat man 
leider nur das eine nAmate mi ben mto« von Borchgrevinck voll- 
ständig, eine nicht eben bedeutende Komposition-. Aus seiner 
Vorliebe für Monteverdi, von dem er sogar das seiner Zeit so ange- 
fochtene Madrigal » Cruda Amarillidi in die Sammlung aui^enommen 
hat, darf man wohl schließen, daß er zu den Reformfreunden ge- 
hört habe. 

Erwähnen müssen wir auch eine andere Sammlung, die zwar in 
Hamburg erschien, aber durch die vielen Beiträge dänischer Hof- 
musiker von einem gewissen Jnteresse ist. Es ist dies: nAusz- 
erlesener Paduanen vnd Galliarden . . , zu fünff Stimmen auff aller- 
ley Instrumenten vnd in Sonderheit auff Fioleti zu gebrauchen^i u. s. w. 



1 S. Emil Vogel, Bibliothek der gedruckten inreltlichen Vokabnusik Italiens 
aus den Jahren 1500—1700. Berlin, Haack, 1892, Bd. ü, S. 493 ff. 

2 Im dänischen Original als Notenbeilage I in Partitur mitgetheilt. 



76 Hammerieh-Ellinfr, 



von Zacharias Füllsach und Christian Hildebrand (Hamburg, zwei 
Theile 1607 und 1609). Von den 84 Tanzmelodien sind nicht weniger 
als 34 von dänischen Kapellmitgliedern. Dieser Umstand dürfte ein 
Zeugniß sein, daß ihr Ruf nicht gering war und sich über die Landes- 
grenze hinaus erstreckte. 

In Folge des Kalmarkrieges (1611 — 13) büßt die Kapelle recht 
viel von ihrer Stärke ein. Die Sänger werden auf 12, die Instru- 
mentisten auf 9 reducirt; ja es vergeht noch ein Jahr nach dem 
ja sonst glücklichen Kriege, bevor ein Aufgang zu verzeichnen ist. 
Aber dann kommt auch der Umschlag mit einem Male, und die 
Kapelle tritt in eine Blüthezeit hinein, die gegen das Jahr 1618 die 
volle Entfaltung bringt. 

Erstens treten die Kapellmitglieder, die sich in England auf- 
gehalten hatten, 1614 wieder ein. Ferner werden im selben Jahre 
mehrere neue Instrumentisten angestellt, und es sind wieder wie 
früher Polen und Frydtzenn (Preußen, also wohl die Städte Danzig 
und Thom), die das Kontingent stellen. Das Instrumentistencorps 
ist durch diesen Zuwachs von 9 auf 20 Mitglieder gestiegen. Aber 
damit nicht genug. In den nächstfolgenden Jahren 1615 — 18 werden 
fortwährend neue Spieler angestellt, so daß das Corps im Jahre 1618 
mit den drei Lehrknaben nicht weniger als 30 Mann zählt. Von 
besonderem Interesse ist es, unter den letztangestellten auch den 
Komponisten geistlicher Lieder Johann Schop, den Sänger der 
Melodien »Werde munter, mein Gemüthea, »Ermuntre dich, mein 
schwacher Geista u. a. zu finden. Er war mehr als drei Jahre in 
dänischem Dienste fl./ll. 1615 — 17./3. 1619), wohl auch hier, wie 
früher in Wolfenbüttel, als Violinist. Von seiner Wirksamkeit ver- 
lautet übrigens nichts. 

Daß dies glückliche Jahre gewesen, zeigt sich auch in dem 
wachsenden Interesse für die Sängerkapelle. Der Kapellmeisterposten, 
der seit Trehous' Abgang 1611 vakant gewesen, wurde 1618 mit dem 
öfters erwähnten Melchior Borchgrevinck besetzt; ebenfalls wurde 
ein Vicekapellmeisterposten eingerichtet, auf den Mogens Pedersön 
befordert wurde. Und in der Zeit vom Februar bis zum April 1618 
wurden nicht weniger als 10 neue Sänger angestellt, zwar lauter 
einheimische, die aber brauchbar gewesen sein müssen, denn die 
meisten verblieben in der Kantorei. Mit diesem Zuwachse und den 
6 Diskantisten war die Kantorei im Mai 1618 auf 31 Sänger ge- 
stiegen. Dazu kam das Trompetercorps, 16 Mann, und 30 Instrumen- 
tisten, in allem 77 Mann. Für das Jahr 1618 — 19 betragen die 
Ausgaben für den Musiketat 10197 Thaler. 



Die Musik am Hofe Christian's IV. von Dänemark. 77 



Christian IV. konnte auf seine Kapelle stolz sein. Sie war eine 
der größten und bestausgerüsteten der damaligen Zeit; sie konnte 
mit den berühmtesten wetteifern, ja überflügelte die meisten, und 
wurde in Größe nur von einigen wenigen , wie z. B. der Münchener 
Kapelle (92 Mitglieder) übertroffen. Christian lY. verstand es auch, 
diesen stattlichen Musikapparat zur Geltung zu bringen, und bei den 
vielen in diesen Jahren am dänischen Hofe stattgehabten Feierlich- 
keiten sehen wir die Kapelle eine thätige und glänzende ßolle spielen. 

Daß auch sonst ein rühriges musikalisches Leben geherrscht hat, 
dafür zeugt, daß in diesen Jahren nicht weniger als drei größere 
Musikwerke ans Licht kamen. Das erste ist eine Sammlung drei- 
stimmiger kleiner Madrigale, von dem Sänger Hans Brachrogge 
komponirt und 1619 erschienen ^ Sie enthält 21 Stücke (wovon 
jedoch zwei aus Mogens Pedersön's Feder herrühren), und zeichnet 
sich, wenn nicht gerade durch Kunst, so doch durch eine gewisse 
Frische aus ; unter den Madrigalen heben sich die von Mogens Pedersöu 
durch ihre interessantere Behandlung günstig hervor^. 

Von bedeutenderem Interesse ist ein zweites Werk, nämlich das 
von Mogens Pedersön herausgegebene is>Pratum spirittcale d. i. 
Messen, Psalmen und Motetten wie sie in Dänemark und Norwegen 
gebräuchlich ff, Kopenhagen 1620. Es enthält in meist fünfstimmiger 
Bearbeitung 28 der damals gebräuchlichsten Psalmen, dazu drei »Kyrie«, 
zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten zu singen, femer Respon- 
sorien, auf dänisch und auf lateinisch — wie oben berührt, hatte 
die Liturgie noch theilweise einen katholischen Charakter, besonders 
an den Festtagen — endlich ein Bruchstück einer lateinischen Messe 
und drei Motetten mit lateinischem Texte. Es ist also ein recht 
umfassendes Werk und nach der mitgetheilten Probe (eine Motette 
über den 67. Psalm nDetis mtsereatur nostri^^) zu schließen, war 
Mogens Pedersön ein mit der kontrapunktischen Technik wohlver- 
trauter Komponist. In seiner Bearbeitung der Kirchenmelodien scheint 
er von Johannes Eccard beeinflußt zu sein. 

Obwohl in etwas femer Verbindung mit dem vorliegenden Gegen- 
stand müssen wir doch einer Sammlung, die auch in diese Jahre 
fallt und so zu sagen eine volksthümliche Ergänzung zum Pratum 
spirituale bildet, Erwähnung thun: König Davids Psalter, ge- 
sangsweise ausgesetzt und von Anders Arrebo herausgegeben, 



» S. Emil Vogel, a. a. O. Bd. I, S. 116. 

' Das 16. Stück: AngioUUa che sola ist im dänischen Original als Noten- 
beilage n mitgetheilt. 

^ Notenbeilage III des dänischen Originals. 



78 Hammerich-EUing, 



Kopenhagen 1633. Sie enthält etwas über hundert ältere Psalmen- 
melodien; überall ist die strenge Diatonik der Kirchentonarten ohne 
Zugeständnisse an die moderne Chromatik konsequent durchgeführt. 
Seit dem Anfang des Jahrhunderts haben wir also drei größere 
und kleinere Werke auf dem Gebiete der eigentlichen Kunstmusik, 
nämlich das früher erwähnte Sammelwerk von Borchgrevinck und 
die zwei obengenannten Werke von Brachrogge und Mogens Peder- 
sön, als von danischen Musikern herausgegeben und theilweise kom- 
ponirt und in Dänemark erschienen aufzeigen können. Im Yei^leich 
zu der übrigen litterarischen Magerkeit der Zeit ist diese musikalische 
Produktion ein recht bemerkenswerther Zug. 

Im Jahre 1618 hatte die Kapelle ihren Höhepunkt erreicht. Im 
folgenden Jahre litt sie zwar argen Schaden durch die Pest, die da- 
mals in Kopenhagen wüthete und nicht weniger als 1 8 Mitglieder hin- 
wegraffte. Sie wurden aber bald ersetzt und es vergehen noch mehrere 
Jahre, bevor ein wirklicher Niedergang zu spüren ist. Es ist eigentlich 
erst nach der unglücklichen Theilnahme am dreißigjährigen Kriege, 
daß der Zustand als ein wesentlich anderer hervortritt. In den 
Übergangsjahren sind es die Trompeter und Sänger, die unter der 
Ungunst der Zeiten zu leiden haben, während die Instrumentisten 
ihre günstige Position bewahren. Durch mehrere Jahre sind die 
Ausgaben für diesen Etat ebenso groß, wie für die zwei anderen zu- 
sammen. Doch wurden bei den neuen Anstellungen die Gehälter 
etwas knapper zugemessen ; man merkt auch hier, daß eine gewisse 
Nüchternheit eingetreten. Der König läßt sich aber noch* immer die 
durch zufälligen Abgang im Laufe der Jahre nöthige Vervollständi- 
gung seines Instrumentistencorps angelegen sein. Den neuen An- 
stellungen nach, ist es besonders die Verbindung mit England, die 
aufrecht gehalten wird. Die meisten neu geworbenen Spieler sind 
Engländer, von welchen aber nur zwei uns interessiren, nämlich 
William Brade, seiner Zeit ein beliebter Tanzkomponist, der in 
Hamburg und Frankfurt a. d. Oder mehrere Sammlungen Instrumental- 
stücke, aus Paduanen, Galliarden und Couranten bestehend, heraus- 
gegeben hat, und Thomas Simpson, der in Frankfurt eine Samm- 
lung »Neue Pavanen, Galliarden etc.« und in Hamburg ein »Tafel- 
Consort allerhand lustiger Lieder« verlegt hat. 

Die Kantorei, die auch sonst recht große Verluste zu verzeichnen 
hatte — im Jahre 1622 wurden auf einmal 7 Mann entlassen — 
wurde durch den Abgang Mogens Pedersön's geschwächt. Er 
verschied in jungem Alter im Januar 1623. Mit ihm sinkt eine 
der Hauptgestalten der Kapelle dahin; nicht nur repräsentirt er in 



Die Musik am Hofe Christian'g IV. von D&nemark. 79 



diesem inteniationalen Bienenkorb das dänische Element, die aufdäm- 
mernde einheimische Tonkunst, sondern er scheint auch seinen Platz 
in einer Weise ausgefüllt zu haben, die des Königs schon frühzeitige^ 
Interesse für ihn gerechtfertigt zeigt. Sein Nachfolger war der früher 
erwähnte Hans Nielsen, also wieder ein Däne und wieder ein In- 
strumentist, was für deren überlegene Stellung gegenüber den Sängern 
zeugt. 

Ein nicht unwichtiges Konto in den Rechenschafts -Berichten 
dieser ersten und glücklichen Hälfte der Regierung Christian's IV. 
betrifft die Orgeln; es werden häufig verschiedene Summen, größere 
und kleinere, theils zum Bau neuer Werke, theils zu Reparaturen 
ausgezahlt. Unter den Orgelbauern trefien wir zwei rühmlichst be- 
kannte Namen. Es sind dies Nicolai Maas aus Stralsund und 
Esaias Compenius aus Hraunschweig, der berühmteste Oi^el- 
bauer der damaligen Zeit. Der erste, ein in seinem Fache tüch- 
tiger Meister, von Michael Prätorius mit besonderer Achtung ge- 
nannt, war von 1601 bis zu seinem Tode 1615 festangestellter 
Orgelbauer beim König. Als solcher hat er sich namentlich durch 
den Bau der großen Orgel in der Fredriksborger Schloßkirche be- 
kannt gemacht. Auch die sogenannte Silberorgel, eine der Sehens- 
würdigkeiten der Fredriksborger Schloßkirche, hat er gebaut. 

Die Fredriksborger Schloßkirche besitzt noch eine dritte Oi^el, 
wohl die merkwürdigste von allen mit Rücksicht auf die ganz be- 
sonders vorzügliche Beschaffenheit der Arbeit und die reiche, künst- 
lerische Einfassung. Wegen ihrer hervorragenden Eigenschaften ist 
sie mehrmals besprochen worden, ja noch in einer längeren Abhand- 
lung in Le monde musical (1891) wird sie ein Kleinod, eines der 
reichsten und charakteristischesten Monumente des Orgelbaues vom 
Anfang des siebzehnten Jahrhunderts genannt. Nach Michael Prätorius, 
der sie eines der vornehmen Orgelwerke in Deutschland nennt, ist sie 
von Esaias Compenius 1612 »zu Hessen ufim Schlosse« gebaut, sie kam 
aber schon c. 1617 nach Dänemark; nach einem Rechenschaftsberichte 
zu schließen hat Compenius persönlich die Aufstellung überwacht. 

Nach dem Tode des Nicolai Maas war ein Mann Namens Johan 
Lo rentz lange Zeit hindurch der Orgelbauer Christian^s IV. und hat 
als solcher mehrere große Werke gebaut. 

Wir haben oben erwähnt, daß die unglückliche Theilnahme 
Christian^s IV. am dreißigjährigen Kriege, wie für das ganze Land, 
so auch für den Musiketat ein Wendepunkt wurde. Von jetzt an 
geht es im Großen und Ganzen bergab; ab und zu, wie namentlich 



gO Hammerieh-EUing, 



während der Festlichkeiten bei Gelegenheit der Hochzeit des Kron- 
prinzen Christian, flackert es wohl wieder auf, aber das rege Leben 
^der ersten Zeit findet man nicht mehr. Merkwürdig genug sind es 
die Trompeter, die zuerst herhalten müssen; sie werden schon An- 
fang 1625, also zu Anfang des Krieges, auf 10 Mann vermindert; 
diese werden aber alle beritten gemacht. Die zwei übrigen Corps 
werden im selben Jahre zwar auch etwas vermindert, halten sich aber 
doch während der ersten Kriegsjahre in einer Stärke von 15 Instru- 
mentisten und 17 Sängern, die Diskantisten mitgerechnet Ja der 
König sieht sich sogen im Stande, im Sommer 1626^ zwei neue Leute 
anzustellen, beide mit einem Gehalt von 300 Thalern, nämlich den 
Bassisten Eitel Friedrich Loringhoff und den Organisten Mel- 
chior Schild. In diesem letzteren hatte Christian lY. wieder einen 
berühmten Musiker an seinen Hof geknüpft. Schüler des bekannten 
niederländischen Orgelmeisters Sweelinck war er selbst ein großer 
Orgelvirtuos und daneben ein talentvoller Komponist, der bei den 
Zeitgenossen in großem Rufe stand. Da er aber zu seinen Lebzeiten 
nichts herausgeben wollte, ist es nur einem glücklichen Zufall zu 
verdanken, daß man wenigstens etwas von seinen Kompositionen 
kennen gelernt hat. Es sind dies zwei Orgelstücke ^ die in einem 
Exemplar von Gabriel Voigtländer's Oden und Liedern in deutscher 
Tabulatur niedergeschrieben sind und sich auf der Kgl. dänischen 
Bibliothek befinden. Sie enthalten 1. eine Melodie »Gleich wie daß 
feuwr« mit zwei Variationen und 2. eine Padttana Lagrimay ein im 
Tanzrhythmus der Paduane gehaltenes Stück, eben£aills mit Varia- 
tionen.^ 

Neben seiner Stellung als Organist war er auch Lehrer der 
königlichen Kinder d. h. der Kinder Kristine Munk's, mit welcher 
der König zur linken Hand verheirathet war. Sein Aufenthalt in 
Dänemark dauerte aber nicht lange; theils waren die Verhältnisse 
nicht günstig, theils waren mehrere der Kinder Kristine Munk's um 
diese Zeit nach auswärts geschickt. Er wurde schon im Mai 1629 
und zwar mit den besten Zeugnissen entlassen, wandte sich nach 
Hannover und starb hier 1667 als ein nach den damaligen Verhält- 
nissen ungewöhnlich wohlhabender Mann.^ 

Der Krieg ging einstweilen seinen unglücklichen Gang, was 
für die Kapelle nicht ohne die traurigsten Folgen blieb. Im 

1 S. Monatshefte far Musikgesch. 1888, S. 27 ff. und 35 ff., wo sie von Frl. 
H. Fanum in modemer Notation mitgetheilt sind. 

2 S. die Untersuchungen Max Seiffert's in dieser Zeitschrift, Jahrg. 1891, S. 
220 ff. Seine Entstehungsurkunde hat folgenden TV ortlaut: »Wir Christian etc. 
yrkunden hirmit, Demnach der Ersame, vnser lieber getrewer Melchior Schild, vns 



Die Musik am Hofe Christian 's IV. Ton Dänemark. §| 



Jahre 1 627 yerliert sie ein Drittel ihrer Stärke^ darunter einige der Spitzen 
wie z. B. den Kapellmeister Melchior Borchgrevinck , der sich aber 
mit seinem Kanonikat in Boskilde trösten konnte ^ und den Bassisten 
Loringhoff. Ja, im Jahre 1629, zu gleicher Zeit mit dem Friedens- 
schlüsse, zählt die Kapelle ein Minimum von 7 Instrumentisten und 
4 Sängern außer den Diskantisten. 

Der Krieg hatte die Finanzen des Königs erschöpft, und es ver- 
gehen ein paar Jahre, bevor ein Aui^ang zu spüren ist. So hat man 
denn erst 1631 neue Anstellungen zu verzeichnen. Es sind in allem 
8 Mann, darunter jedoch der 1627 verabschiedete Melchior Borch- 
grevinck. Die Löhnungen sind aber recht klein, und von )}Spitzen(( 
ist keine Rede; es sind lauter einheimische Leute mit der gewöhn- 
lichsten Ausbildung. Aber hiermit war die fortschreitende Bewegung 
nicht abgeschlossen. Im Gegentheil, dies war nur der Anfang, und 
wie groß des Königs Neigung zur Musik gewesen, zeigt sich deutlich 
darin, daß er, sobald die Wunden nach dem Kriege einigermaßen 
geheilt und die Finanzen wieder in Ordnung sind, gleich an eine 
Verbesserung der Musikverhältnisse denkt. Wie so oft früher, mußte 
er auch diesmal seine Zuflucht zum Auslande nehmen. Ein Werber 
wird nach Preußen und Polen geschickt, und die Folge davon ist, 
daß in den ersten Monaten des Jahres 1633 nicht weniger als 9 Mann, 
nämlich 4 Sänger und 5 Instrumentisten angestellt werden. Unter 
diesen letzten müssen wir den Organisten Michael Cracowit, der 
zugleich Lehrer für die königlichen Kinder wurde, hervorheben. 

Bevor wir aber die letzte gute Periode der Kapelle, die jetzt 
heranrückt, berühren, haben wir den Verlust eines Mannes, der 
mehr als irgend ein anderer als Repräsentant der im Vorhergehenden 
geschilderten Zeit dasteht, des Kapellmeisters Melchior Borchgrevinck 



für Organisten Tnterthänigst gedienet, vnd seiner angelegenheit nach fernere beför- 
derung zu erhalten, vns ymb gnädigste erlassung vnd ein gezeugnus seines wohl- 
▼erhaltenes gehorsamst angelanget, welches wir ihm gnädigst wol gönnen vnd nicht 
verweigern mögen, daß gedachter Melchior Schild die Zeit seiner bei vns geführten 
bedienung sich fleißig, aufwärtig, vnd also betragen, vnd in allen verhalten hat, 
wie einem redlichen vnd qualificirten diener vnd Organisten eignet vnd gebühret, 
vnd seiner vns geleistete pflichte erfordert haben, daß wir deßhalb auch mit ihm 
in gnaden wol sein friedlich gewesen. Gelanget demnach in Crafl't dieses an alle 
vnd iede, so er damit belangen wird, nach Standesgebühr, freundlich günstig vnd 
gnedigst, sie wollen nicht allein diesem vnserm gezeugnus wol getrawen, besondem 
auch Ihn Melchior Schilden, vmb obgedachtes wolverhalt^ns willen, zu allen gnaden, 
Churfürstl. beförderung vnd freundschafft sich, zum besten recommendirt vnd anbe- 
fohlen sein laßen. Vrkundlich etc.« 

1 Es war nicht selten, daß die Sänger bei ihrem Abgang Ffarrstellen bekamen, 
wie es auch vorkam, daß sie neben ihrem Dienst in der Kapelle eine Küsterstelle 
innehatten, die dann nöthigenfalls von einem Substitut bedient wurde. 

1893. 



g2 Hammerich-Elling, 



zu verzeichnen. Er hatte der Kapelle von der allerersten Zeit treulich 
gedient, erst als Diskantist , später als Instrumentist. Wir haben 
gesehen, wie seine Stellung schon früh eine hervorragende wurde 
und daß er im Jahre 1618 die nach Trehou ledige Kapellmeister- 
stelle bekam', womit der König für seine Person ein Kanonikat in 
ßoskilde verband. Durch seine Tüchtigkeit, seine kompositorische 
Wirksamkeit wie durch seine kräftige Persönlichkeit hatte er eine 
bedeutende und angesehene Stellung erworben; mit ihm schwindet 
eine der Hauptgestalten der Kapelle. 

Wir nähern uns jetzt der Begebenheit, wo der Hof in all seinem 
Glänze strahlen sollte, der Hochzeit Kronprinz Christian's mit der 
sächsischen Prinzessin Magdalena Sibylla, Tochter des Kurfürsten 
Johann Georg I. Es galt bei dieser Gelegenheit, den fremden Ge- 
sandtschaften gegenüber zugleich Dänemarks Stellung als Großmacht 
im Norden zu behaupten. Und wahrhaftig, der Luxus, der bei dieser 
Gelegenheit entfaltet wurde, ist selbst in dieser Renaissancezeit 
einzig. Die Hochzeit dauerte 14 Tage (vom 5. bis zum 18. Oktober 
1634) und kostete dem Lande die damals ganz unsinnige Summe von 
2 Millionen Reichsthaler. ^ 

Wir haben oben gesehen wie die Kapelle, wohl theilweise mit 
Aussicht auf diese Begebenheit, wieder erweitert worden. Die Be- 
wegung setzte sich fort und so bestand die Kapelle um diese Zeit 
(1634) aus 57 Mann, nämlich 17 Listrumentisten , 18 Sängern (die 
6 Kapellknaben mitgerechnet) und 22 Trompetern. Hierzu kommen 
noch mehrere nicht festangestellte Leute, die zu der Festlichkeit 
herangezogen wurden; in den Berichten wird auch »der sächsischen 
Bergmusik« Erwähnung gethan, einer Schaar musicirender Bergleute, 
die wahrscheinlich der Prinzessin nach Dänemark gefolgt waren. 
Mit dieser Verstärkung zählte die Kapelle während der Festlichkeiten 
50 Musikanten, 24 Trompeter — sie bliesen auf Silberinstrumenten 
— und 2 Paukisten, in allem 76 Mann. 

Was aber der Begebenheit in musikalischer Beziehung erst ihren 
rechten Glanz verleihen sollte, war, daß man für die Kapellmeister- 
stelle keinen geringeren als Heinrich Schütz gewonnen hatte. 
Die Stellung als Kapellmeister am kursächsischen Hofe war ihm, wie 
wir wissen, nach und nach recht lästig geworden, und die Kri^s- 
unruhen verschlimmerten den Zustand mehr und mehr. Die Initiative 
zu Schützen's Übersiedelung nach Dänemark scheint vom Kronprinz 
Christian ausgegangen zu sein. Dieser, ein großer Musikliebhaber, 
hatte auf seinen wiederholten Besuchen in Dresden Schütz und dessen 



1 Ein »Rigsdaler« (Keichsthaler) war um Vß größer als ein »Daler courant«, 
der dem deutschen Thaler entspricht. 



Die Mudk am Hofe Christian's IV. von Dänemark. g3 

Fähigkeiten kennen gelernt, und der Wunsch ist dann in ihm ent- 
standen, zu den bevorstehenden Festlichkeiten sich mit diesem be- 
deutenden Künstler schmücken zu können. Aber erst nach langen 
Verhandlungen kam der Plan zur Ausführung. Aus einem Briefe 
dat. von Hamburg 15. Februar 1633 vom sächsischen Abgesandten 
in Hamburg, Fr. Leb zeiter, geht hervor, daß der Kronprinz sich 
an diesen gewendet hatte, um durch dessen Vermittlung mit Heinrich 
Schütz Verhandlungen einzuleiten. Lebzelter hat sich dann in Be- 
^vegung gesetzt und kann dem Prinzen die erfreuliche Mittheilung 
machen, daß Schütz willig sei und vielleicht schon zu Ostern kommen 
werde. Er schickt zugleich den Brief, den er von Schütz wegen 
dieses Engagements empfangen habe. Dieser Brief, der durch treu- 
herzige Form und bescheidenen Ton für Schütz so charakteristisch 
ist^ lautet folgendermaßen : 

»DEm Edlen Vesten Vndt Wohlfurnemen herrn Friederich Lep- 
zeltem, Churfl. Durchl. Wohl verordneten geheimbden Cammerdienern. 
Meinem Insonders grosg. herrn Vndt hochwerthen Vertrawten Freunde 
zu eignen banden. Hamburgk. 

MEine iederzeit bereitwilligste dienste, nebenst Wünschung Eines 
glückseeligen freudenreichen Newen Jahrs, sambt aller Wolfarth 
leibes Vndt der Seelen hinwiederumb zuvorn. 

Edler Ehren Vester Insonders grosg. herr Vndt Vertrawter 
werther freundt. Sein schreiben de dato friedrichsburgk den 8.|18. 
Januarii, Ist mir gleich heut dato wol worden welches zu beandt- 
worten Ich nicht Vnterlassen sollen Vndt wollen, Vndt berichte 
denselben hirmit freundlichen, das im betracht (Itziges meiner Pro- 
fession wiedrigen Zustandes alhir) Ich numehr in die 3 Virtel Jahr 
lang fast, darmit ümbgangen binn Vndt bey Meinem gnedigsten h. 
.mich Vntterthenigst bemühet habe das etwa auf 1 Jahr lang ich 
abermals gnedigste dimission erlangen, Vndt in Niedersachsen (Welche 
orter ich niemals gesehen) oder wo es mir gefallen würde, mich auf- 
halten möchte. Wie guete Wort ich auch Versuchet, habe ich solches 
doch bishero nicht erlangen mögen. Wann aber der continuirende 
harte zustandt bey Uns (welcher dem h. nicht Vnwissent ist, Vndt 
die Fortstellung des schweren Kriegswesens hinfem noch so balde 
nicht mindern möchte) bey gefaster resolution zu verbleiben, mich 
stark antreibet, ja nothdränget, als binn ich allerdings resolvirt ge- 
wesen, ehe des herrn jüngstes schreiben mir auch zu banden kom- 
men Ist, noch ferner, zu behaubtung dieser meiner intention, an 
Vnsern gnedigst. Churf. V. herrn mit gebürenden Vnterthenigsten 
discretion zu setzen. 

Das nun dieses mein fürhaben (des h. angenemen zuschreiben 

6* 



g4 Hammerich-Elling, 



nach) so eine {urneme in der Weldt noch aufgehende Sonne mit 
gnedigen äugen, so halt Vndt gleichsamb in der blüthe, anbüken 
thut; halte ich für ein gut Omen in meinem proposito, Ynd für 
Gottes sonderliche Schickung. Bleibe auch meinestheils, ausserhalb 
Gottes gewalt, dahero so Viel desto mehr in meinem fiirhaben be- 
stendig, Es weis aber der h. gar wol wie gar schwerlichen der Vrlaub 
bey Vnsern Gnedigsten h. zu erlangen stehet, Vndt muss ich freylich 
gemachsamb gehen das Vnsern Gnedigsten herrn Ich nicht offen- 
diren, auch andere ümb diesen hoff nun etliche Jahr sonder rühm 
Verdienste gratia, wie auch meinen rückstehenden Rest ich nicht in 
gefahr setzen noch Verschertzen möge. Wan Ihre hochfiirstl. Durchl. 
es belieben wolte, mit wenigen Inschrifften hirumb Vnsern gnedigsten 
Churf. Vndt h. zu ersuchen, das Seine Churf. Durchl. immittelst 
(Weil bey itzigigen Zustande ich wol abkommen könte) mir Ein 
JahrderoselbenVntterthenigst aufzuwarten, gnedigst Vergönnen weiten, 
were meines erachts die beste beforderung dieses werks, Im fall auch 
Ihre hochft. Durchl. disfals bedenken trügen, könten Sie etwa durch 
den herrn dem h. Ober Cemmerir solche Expedition mündlichen mit 
gueter discretion zu Vorrichten, erzuchen lassen, Vndt wenn ich den- 
selben auf meiner seite hatte hoffette ich die sache disto ehe durch- 
zubringen, Ich habe auch ohne dessen in willen ehistes tages dem- 
selben in meinem namen derohalben zuzusprechen, Ich zweiffeie aber 
fast daran das von mir er sich wirdt behandeln Vndt zum Vntter- 
händler gebrauchen lassen, Vndt lasset doch der meiste theil deren- 
jenigen so teglich ümb Vnsern Gnedigst h. seindt, sich lieber 
gebrauchen, Ihre Churf. Durchl. bey gueten muht zu erhalten, als 
Sachen so deroselben Verdrieslich (Worunter Ich halte das Urlaub 
bitten auch mit begriffen sey) furzutragen. Mache mir aber keinen 
Zweiffei wann höchstgemelte hoffl. Durchl. wolerwehnten h. Ober 
Cämmerir hirumb in gnaden ersuchen liessen. Er, als auf einem 
gueten fundament, desto williger hinan gehen Vnd die sache ob 
golt wol, erhalten würde. Welches alles dem h. zu bereiffen, Vndt 
femer bey hochf. Durchl. Ehistes zu vermittlen, ich hirmit anheimb 
geben, Insonderheit aber zum allerfleissigsten bitten thue, der h. data 
occasione bey höchstmehrgedachter f. Durchl. , mich Vntterthenigst 
Recommendiren , Vndt meine Vntterthenigste begierde deroselben 
aufzuwarten mit gebürender revenz berichten wolle, Ihrer hochf. 
Durchl. besondere Inclination auch liebe zu der Profession der 
Music, habe in dero anwesen alhier bey anstellung meiner damals 
in Warheit schlechten Music Ich genugsamb selbst Verspüret, habe 
auch ohne des herren bericht dessen gewisse nachrichtung. Meine 
qualiteten seindt geringe, kann mich auch nichts rühmen als nur 
desen, das Vntter den fürnembsten Musicis iu Europa ich gewesen, 



Die Musik am Hofe Christian 's IV. yon Dänemark. g5 



Vndt nur einen schatten Ihrer Kunst erlanget habe. Jedoch wolte 
Ich hoffen, mit der hülffe Gottes, Ihrer hochfl. Durchl. (wo ferne 
anders deroselben meine arbeit gefallen würde] derogestalt bedienet 
zu sein, das mit zimlicher anzahl gueter Stück oder Composition« 
nicht alleine meiner inuention als der schlechtesten, sondern auch 
der allerfürnembsten Componisten in Europa, welche ich nicht sonder 
grosser müh beyhanden bracht, dero Music oder Capell Versehen, 
auch in gueter ordinantzVerhoffentlich ins Werk gerichtet werden solte. 
Der h. wolle auch, wann es einsten die gelegenheit gibet, Ihre 
hochfl. Durchl. , Vntterthenigst per discursum nicht ohnberichtet 
lassen, was massen auf meiner jüngsten in Italien gethanen reise, 
Ich mich noch auf eine absonderliche art der Composition begeben 
hatte, nemblich wie eine Comedi Von allerhandt stimmen in reden- 
den stylo, übersetzet Vndt auf den schawplatz gebracht Vndt singende 
agiret werden könne, Welche dinge meines wissens (auf solche art 
wie ich meine) in teutschland noch gantz ohnbekandt, Bishero auch, 
wegen des schweren Zustandes bey uns, weder practiciret, noch be- 
fördert werden, Vndt weil ich darfür halte, das es schade sey, das 
solche recht Majestätische Vndt fürstliche inuentionen (worunter zwar 
meine Music nicht zurechnen sein würde, Vndt sonsten wegen mehere 
dazu gehörigen Sachen also Von mir intitoliret werden) ersitzen 
bleiben, Von andern Vndt besseren ingenüs nicht auch gesehen Vndt 
practiciret werden soll, So würde ich, so dann zu meiner ankunfft 
nicht Vntterlassen, Ihre hochf. Durchl. derogleichen Vntter fus zu 
geben, zu begebenden Vndt Vorstehenden Solenniteten, nach dero- 
selben gnedigst beliebung sich damit bedienen zu lassen. Bleibet 
schlieslichen darbey das Vmb fortstellung dieses meines propositi 
ich ehistes tages mich bemühe, wo ferne Ihre Churfl. Durchl. Ich 
zu gueter Stunde antreffe, bekomme ich wol für mich etwa gnedigsten 
Urlaub, weil in der warheit ich doch anitzo weniger als nichts alhier 
nütze binn, Vndt nun (?) zurüke komme. Kan auf allen Fall der 
h. obiger schreiben eines auswirken geschieht mir zu sonderbarer 
beförderung, Weil Ich auch etwas Von schlachfassen Vndt kästlein 
albereit auf den Weg fertig habe. So gelanget an den h. mein bitt 
er mir ohnbeschwerd an die handt geben wolle, wie ich solche mit 
einem passzettel hinab bringen möchte, alhir gross gesperr zu machen 
taug nicht, oder ob ich etwa solche dem h. (als ob Sie höchst Vndt 
oft^edachte printzl. Durchl. zustendig weren) nacher hamburg zu 
verdingen solle, binn des h. Rahts Vndt meinung ich auch gewertig, 
Vndt bleibe dem h. für seine zu mir tragende guete affection. hin- 
gegen zu aufrechten Diensten Vndt freundtschafib nach allen Vermögen , 
hinwiederumb verbunden. Göttliche protection Vns allerseits ganz trew- 
lichst empfelende. Signatum Dresden den 6.|16. Februari A« d. 1633. 



g5 Hammerich-Elling, 



Meines grosg. h. allezeit 

dienstwilligster trewer freien dt 

Henrich Schütz. Mp. 

Die Zeitungen, Vndt heutige alhier in Dresden fiirgegangene 
Decollattion des haubtmans Voppelii erfehret der h. von andern. « 

Auf der Bückseite des Briefes steht — wahrscheinlich vom 
Sekretair Lebzelter's geschrieben — ))1633, 6. February ausDreßden. 
14 dito in Hamburg. Heinrich Schüz.« 

Der Prinz lieB es auch seinerseits nicht an Eifer fehlen. Schon 
den 1 . März schickte er von Hadersleben aus Schütz einen Paß und 
zugleich, nach dessen Wunsch, einen Brief an den Kurfürsten und 
noch einen an die Kurfürstin wittwe , um deren einflußreiche Ver- 
mittelung gebeten wird. In dem Schreiben an den Kurfürsten heißt 
es u. a. , daß sowohl der Prinz wie sein Kgl. Vater den Schütz als 
meinen sonderbahren excellirenden und ieziger Zeit fast seines gleichen 
nicht' habenden Musicum« ansehe, und man bittet, daß der Kurfürst 
seinem Kapellmeister Urlaub »zum längst ein iahr« gewähren wolle, 
da dieser in den jetzigen Kriegszeiten muthmaßlich nicht von großem 
Nutzen sein könne. 

So glatt ging es doch nicht. Ein Vierteljahr später, im Juli 1633. 
findet der Prinz sich veranlaßt, direkt an Schütz zu schreiben, mit 
dem Ersuchen, sich so bald wie möglich auf den Weg zu machen. 
Dies half. Aus einem neuen Briefe von Lebzelter (Hamburg im 
November) ersehen wir, daß Schütz sich sclion ein paar Monate (also 
vom September an] dort aufgehalten und nur auf des Prinzen An- 
kunft in Haderslevhus gewartet habe, um sich zu ihm zu begeben, 
was jetzt geschieht. Schütz ist also um diese Zeit durch Holstein 
und Schleswig hinaufgereist und hat dann, dem Anschein nach, 
14 Tage auf Haderslevhus gerastet, um erst den 6. Dezember die 
Reise nach Kopenhagen fortzusetzen. 

Gleich nach seiner Ankunft dort wurde Schütz zum Kapellmeister 
ernannt mit einem jährlichen Gehalte von 800 Reichsthaler vom 
10. Dezember an zu rechnen. Daß er mit Sehnsucht erwartet worden, 
geht theils aus dem Umfange seiner Thätigkeit hervor — er war 
nicht nur Leiter der Kapelle im Allgemeinen, sondern auch eine Art 
Theaterdirektor — theils aus dem lebhaften Briefwechsel, den der 
König, damals auf Skanderborg residirend, seinetwegen mit den Hof- 
beamten in Kopenhagen unterhält. Es wird ihm eine Wohnung in 
der Stadt angewiesen; die Proben werden in der Schloßkapelle und 
in dem Saale neben dem Gemache des Königs gehalten. Man kann 
anfangs gleichsam eine Opposition gegen den neuen Führer spüren; 



Die Musik am Hofe ChriBtian's IV. von Dänemark, 37 



denn der König sieht sich veranlaßt zu beordern, daß die Kapell- 
mil^lieder, die nicht gehorchen »und sichl widerwillig anstellen«, ihres 
Gehalts verlustig gehen sollen. 

Wegen der neuen Dinge, die in Scene gesetzt werden sollten, 
einer Art Opem-Baüett und einem Paar Schauspiele mit Musik, galt 
es einen kundigen Mann an der Spitze zu haben. Und ein solcher 
war Heinrich Schütz, was er auch selbst in seinem früher citirten 
Briefe an Lebzelter andeutet. Er hatte in Wirklichkeit nicht blos 
im Allgemeinen Kenntniß von der neuen Art Komödie, die »singend 
agiretc wurde, sondern er hatte zugleich bei seinen wiederholten 
Studienaufenthalten in Italien, wo eben damals die Oper aufgekommen 
war, persönliche Fertigkeiten in diesem neuen Style erworben, ja 
er hatte einige Jahre vorher (1627) selbst eine deutsche Oper »Daphnea 
komponirt. 

Von der Musik, die bei den Festlichkeiten aufgeführt wurde, und 
von welcher man mit Sicherheit annehmen darf, daß sie theilweise 
von Schütz herrührt, ist uns leider nichts hinterlassen; sie ist bei 
der großen Feuersbrunst in Kopenhagen (1794) mit zu Grunde ge- 
gangen. Die Quellen, die die Festlichkeiten im Allgemeinen be- 
handlen, enthalten aber doch so viel über die Musik, daß man sich 
von deren Art und Charakter einen ziemlich deutlichen Begriff 
machen kann. Das größte musikalische Interesse knüpft sich an die 
Theaterbelustigungen, namentlich an das aufgeführte Ballett, wahr- 
scheinlich das erste in der Reihe in Dänemark. So wie das Ballett 
sich entwickelt hatte, war es ein Gemisch von vielen verschiedenen 
Dingen geworden, keineswegs nur Tanz oder mimische Kunst allein, 
sondern ebensoviel eine Art Singspiel mit Recitativen, kleinen Arien, 
Duetten und Chören, ein »Opern -Ballett«, wie es ganz richtig ge- 
nannt worden. Auch das hier aufgeführte Ballett, das der Tanz-« 
meister von Kükelsom verfaßt, während Schütz allem Anscheine 
nach die Musik dazu komponirt hat, war ein solches Gemisch von 
pantomimischer Aktion, choreographischer Kunst und eingeschobenen 
musikalischen Episoden für Solo oder Chor. Der Text war in mytho- 
logischer Einkleidung eine Anspielung auf den König als den glück- 
lichen Herrscher und auf die Vermählung des Kronprinzen »Neptuni 
Sohno mit der Göttin der Weisheit, Pallas. Die Musik zerf&llt in 
einen Prolog: eine vom ganzen Chor abgesungene und wahrschein- 
lich in Madrigalform gehaltene Einladung an die Götter, sich an dem 
Tanz zu betheiligen, und drei Intermezzi. Das erste derselben ist 
ein Lied mit Frohlockung, vom Chor gesungen, das zweite ein langer 
Solosatz, vermuthlich in dem halbrecitirenden, a monodischen« Style 
der Zeit mit reichlicher Anwendung von Koloratur und mit einem 



gg Hammerich-Elling, 



allgemeinen Freudenchor abschließend, das dritte wieder ein »Sonett« 
für Chor. Daneben giebt's im zweiten Bilde ein »sorgenvolles Klage- 
lied«, in welchem Orpheus seine verlorene Eurydice besingt und im 
vierten einen Sologesang, in welchem Apollo die Götter zu der bevor- 
stehenden Vermählung einladet. Die Musik müssen wir uns also 
von dreifacher Art denken, die Tanzmusik als instrumental, die Chöre 
in Madrigalform und endlich die drei großen Soli in dem neuen 
recitati vischen Opernstyle. 

Außer diesem Ballett gab man zwei Schauspiele mit Musik und 
Tanz, die von Johannes Lauremberg, damals Professor in Sorö, 
verfaßt sind und wieder in allegorisch-mythologischem Gewände die 
Vermählung feiern. Vom Komponisten schweigen die Berichte ; daß 
aber auch in diesem Falle Schütz der Komponist gewesen, darf als 
festgestellt betrachtet werden. 

Wie schon oben berührt, hält mit diesen Werken der neue Styl, 
der Stile recitativo seinen Einzug in Dänemark. Er stützte sich, wie 
bekannt, vorzugsweise auf den Sologesang, der durch den Generalbaß 
und andere Instrumente begleitet wurde, unter welchen die Violinen, 
im Gegensatz zur früheren Bevorzugung der Blasinstrumente, bald 
die Oberhand gewinnen. Es ist dies der neue Styl, den Schütz ia 
seinen Konzertkompositionen fast ausschließlich anwendet, und dieser 
Styl konnte hier, wo es galt für die Scene zu schreiben, und wo 
er so recht als der Styl par excelience sanktionirt geworden, um so 
besser zur Anwendung kommen. Auch in anderer Beziehung merkt 
man die neue Zeit. So war der Chor und die Instrumentisten) hinter 
der Scene angebracht, und, wie bei den ersten Opern in Florenz, für 
die Zuschauer unsichtbar. 

Beide Stücke werden mit einer Ouvertüre in Form eines kürzeren 
Chores (wohl in Madrigalform) eingeleitet, welche sich dann in einem 
besonderen Prolog mit Solo und Chor fortsetzt; für beide gilt es, daß 
jeder Akt in der Regel mit t) Chorus« und »der vollen Musik« also 
mit Chor und Instrumenten schließt. Daneben hat jeder Akt ein 
Solo oder, noch häufiger, Solo in Verbindung mit Ensemble und 
Chor. Von diesen wie von jenen müssen wir besonders einige her- 
vorheben. In dem einen Stücke tritt im 2. Akte ein Solist auf, 
sowohl vokal wie instrumental. Es ist Cupido, der ApoUo's Geige 
habhaft geworden und jetzt nicht umhin kann zu versuchen, «ob 
Cupido das Saitenspiel Apollo' s nicht besser brauchen könne als 
Apollo Cupido's Waffen«. Er spielt dann auf der Geige eine Sin- 
fonie und singt nachher, in nicht weniger als 13 Strophen, ein Lied 
zu seinem eignen Ruhm; darauf folgt eine kurze Hymne für Chor. 
Im dritten Akte bildet das Finale, ein ganzes Konzertstück mit Soli^ 



Die Musik am Hofe Christian's IV. yon Dänemark. g9 



Chören und Ensemblestücken, den Höhepunkt. Drei Amorinen singen 
zur Verherrlichung« des schönen Volkes der Frauen.« Aber gleich 
kommen Satyrn hinzu und fangen ihrerseits ein Spottlied an. Nach 
einigen gesprochenen Repliken wird das Stück weitergeführt in 
Form eines Wechselgesanges in verschiedener Verwendung, bald 
Terzett, bald Solo, bald Duett und zum Schluß triumphirender 
Freudenchor, als die grimmen Satyrn in die Flucht geschlagen wer- 
den. Im vierten Akte findet sich eine Art »Tanzlied« für die Heldin, 
eine Hymne an die Sonne und das Leben mit wechselndem und 
freierem Rhythmus, worauf die Prinzessin »zu dem Ton ihrer eigenen 
süBen Stimme und dem Echo von Wald und Thal« einen lieblichen 
Tanz mit ihren Zofen aufführt. 

In dem andern Stücke heben sich einige Ensembles tücke hervor. 
Zuerst ein Jägerlied zu einem frischen Texte von Martin Opitz. Es 
ist zu einem größeren kombinirten Konzertstücke ausgearbeitet: erst 
ein kleiner Chor von Hirten, von den Hörnern der Jäger unter- 
brochen, dann ein Duett und zwei Soli von Jägern, endlich ein all- 
gemeiner Chor von Hirten und Jägern, die das freie Leben in Feld 
und Wald preisen. Ein zweites Ensemble enthält an wechselnden 
Formen theils Solo, theils Chor, theils Duett oder Terzett für Frauen- 
stimmen und schließlich einen Chor. Außerdem findet sich in dem 
Stücke noch ein von zwei Geigen begleitetes Frauensolo mit Alle- 
gorie zum Preise des Brautpaares und ein Schifferlied, von dem 
Führer der Argonauten gesungen. 

Wir finden also im ganzen lebhaft wechselnde Aufgaben für 
musikalische Behandlung, Soli in Liedform, Recitationen in dem 
neuen Opernstyle und Soli mit obligaten Instrumenten, verschiedene 
Fnsemblestücke mit wechselnden Duetten, Terzetten, Soli und Chören 
und endlich die Einleitungs- und Schlußchöre. Man sieht aber auch 
gleich, daß die Musik eher konzerthaft als dramatisch zu nennen 
wäre. Sie tritt nur rein dekorativ auf und ist ohne organischen 
Zusammenhang mit dem Inhalte der »Handlung«. 

Wir können nicht umhin, des interessanten Berichtes zu er- 
wähnen, den der französische Gesandtschaftssekretär Charles Ogier, 
ein Mi^lied der Gesandtschaft, diejden französischen König bei den 
Hochzeitsfeierlichkeiten vertrat, in seinem Tagebuche gegeben hat.^ 
Aus mehreren Stellen geht hervor, wie die Mußik nicht nur am 
Hofe, sondern auch sonst im Leben eine ansehnliche Rolle gespielt 
habe. Gleich als er ans Land steigt, spricht er mit Anerkennung 
vom Knaben chor in der deutschen Kirche in Helsingör. Später, 



^ Her danicum, Paris, 1656. 



90 Hammerioh-Elling. 



als er nach Kopenhagen kommt, verweilt er bei der Musik in der 
Schloßkirche, die er gut nennt, und die, nach seinem Berichte zu 
schließen, nicht nur aus Chorgesang mit Orgel, sondern zugleich 
aus einer Art Orchester mit Blasinstrumenten und wohl auch Saiten- 
instrumenten bestanden habe.^ Ein andermal, als er die Schloß- 
kirche während eines Gottesdienstes besucht, erzählt er, wie vor der 
Predigt ein lateinischer Lobgesang mit Orgel und anderen Instru- 
menten und nachher eine deutsche Antiphonie al^esungen wurden. 
Auch von dem Orgelspiel in ein paar dänischen Kirchen ist er sehr 
angethan. 

Ein hübscher, von ihm erwähnter Zug bringt in direkte Berüh- 
rung mit des Königs musikalischem Naturell und seiner auch auf 
diesem Gebiete eigenthümlichen Erfindsamkeit. Bei der of&siellea 
Audienz der Gesandtschaft auf Rosenborg sei die Gesandtschaft in 
einen mit Malereien geschmückten, viereckigen Saal hineingeführt 
worden, unter welchen der König seine Musiker aufzustellen pflegte. 
Plötzlich wurde die Gesandtschaft mit einer unsichtbaren Musik von 
Instrumenten und Sängern überrascht. »Der Laut kam zu uns durch 
verschiedene Schalllöcher und tönte bald nah, bald fern«. Als später 
die Ambassade unter dem Thorweg in die Wagen stieg, ließ diese 
»unterirdische und unsichtbare Musik« sich wieder hören. Aus der 
Weise, wie Ogier die kleine Episode erzählt, kann man merken, daß 
sie den Zuhörern ein wirkliches Vergnügen bereitet hat. 

Man könnte glauben, daß nach den besonderen Anstrengungen 
bei Gelegenheit der Hochzeit der Rückschlag sich eingestellt hätte, 
um so mehr als die Finanzen in einer miserablen Verfassung waren. 
Diese Vermuthung hält aber, was die Kapelle betrifft, nicht Stich, 
und es ist kein geringes Zeugniß für des Königs Liebe zur Musik, 
daß er, trotzdem die Ausgaben für die Kapelle recht bemerkbar sein 
mußten, sich zu weitgehenden Einschränkungen doch nicht bequemen 
konnte. Erst der unglückliche (zweite) Krieg mit Schweden und 
die Nachwehen davon zwingen ihn endlich dazu in seinen aller- 
letzten Jahren. 

Auf einen Mann mußte doch der König verzichten, auf den 
Führer selbst, Heinrich Schütz. Die ursprüngliche Voraussetzung 
war ja aber auch gewesen, daß die Anstellung nur auf ein Jahr 
gelten, sollte. Wann er abgegangen ist, wird nicht bestimmt ange- 
geben; es muß aber im Mai 1635 geschehen sein; den 10. Mai wird 



1 Iter dan. pag. 46: »Satts, meo quidem judtcioy bona musxca cum organo, Jh 
stulis et aliis instrumentis. 



Die Musik am Hofe Ohristian's IV. von Dänemark. 9 1 



nämlich sein monatlicher Sold zum letzten Male ausgezahlt. Einige 
Tage yorhei hatte er als Zeichen besonderer königlicher Gewogen- 
heit ein Geschenk, bestehend aus einer Goldkette mit einem Konterfei 
(des Königs ?) im Werthe von 100 Rthlr. sammt 200 Rthlr. in barem 
Geld, bekommen. Der Paß, von Prinz Christian ausgefertigt, ist 
datirt yon Nykjabing (dem damaligen Aufenthaltsorte des Prinzen) 
den 25. Mai 1635. Gleichzeitig mit dem Passe hat der Prinz an die 
Kurfurstinwittwe und an den Kurfürsten zwei Schreiben ausgefertigt, 
worin er seinen Dank fiir die Überlassung des Kapellmeisters aus- 
spricht; der Kurfürst, heißt es u. a., möge dem Kapellmeister seine 
lange Abwesenheit nicht übel nehmen, »sondern viellmehr wegen seiner 
dissorts höchstrühmlichen geleisteten fleisigen Dienste Ihme unsert- 
halb mit allen gnaden zugethan verbleiben«. 

Der Paß gilt für Dresden »und von dar wieder hier in diese 
Reiche«, woraus hervorgeht, daß schon damals von Heinrich Schütz's 
Rückkehr nach Dänemark die Rede gewesen ist. Daß er sich in 
Wirklichkeit bald von Sachsen, das damals von den Schweden ver- 
heert wurde, hinweg gesehnt und mit Sehnsucht an das fette Däne- 
mark zurückgedacht hat, zeigt ein Schreiben Prinz Christian's an 
Chr. Rantzau datirt von NykJ0bing 25./9. 1635. Wir erfahren hieraus, 
daß Schütz von neuem seine Dienste angeboten habe, also nur nach 
einem Vierteljahre. Dieser Wunsch wurde aber erst im Jahre 1637 
erfüllt. Nach Prof. Spitta ^ » kann diese zweite Reise nach Kopen- 
hagen nicht vor dem Frühjahre 1637 vor sich gegangen sein, da 
Schütz erst unter dem 1. Februar nachsucht, ihn wieder dorthin zu 

entlassen Der Aufenthalt in Dänemark scheint dieses Mal 

nur ein Jahr gedauert zu haben, weil, wie der »Lebenslauf« glaub- 
würdig berichtet, Schütz im Jahre 1638 einer Einladung an den 
herzoglichen Hof zu Wolfenbüttel gefolgt ist, und wir ihn um Pfingsten 
1639 in Dresden finden.« Der dänische Verfasser, der von dieser 
Reise nichts sicheres zu berichten weiß , und die zweite Reise nach 
Kopenhagen erst im Jahre 1642 vor sich gehen läßt, bemerkt jedoch, 
daß sich unter den Briefen Prinz Christian's vom Jahre 1639 ein 
neuer Paß für Schütz findet; er bemerkt aber zugleich, daß der Paß 
weder datirt noch mit Jahreszahl versehen ist, und daß die Briefe 
des Prinzen oft unordentlich und ohne chronologische Reihenfolge 
liegen; man dürfte daher aus diesem Passe auf einen vermuthlichen 
Aufenthalt Schützen's in Dänemark im genannten Jahre nicht schließen. 
Hoffentlich wird die Forschung diese Unklarheiten noch aufhellen. 



^ Allgem. Deutsche Biographie, Art. Heinrich Schatz. 



92 Hammerieh'Elling, 



Schützen's dritter Besuch in Dänemark fallt mit den letzten 
glücklichen Jahren der Kapelle zusammen. Diese hatte sich nach 
den Hochzeitsfestlichkeiten trotz der schlechten Finanzen nur wenig 
verändert; ja man spürt eher eine Tendenz zu Erweiterung, in Be- 
zug auf Quantität wie auf Qualität. Es werden viele »feine« Künstler 
angestellt, heinahe sämmtlich Ausländer; die Ansprüche sind ge- 
stiegen ; aber die Ausgaben auch. Es sind offenbar die verschiedenen 
Hochzeitsfestlichkeiten , die um diese Zeit am Hofe stattfinden , be- 
sonders die große Doppelhochzeit im November 1642, als der König 
seine Zwillings-Töchter an Hannibal Sehested und Ebbe Ulfeldt ver- 
heirathete, denen die Kapelle die Wahrung ihrer günstigen Stellung 
zu verdanken hat. Fortwährend werden neue Instrumente angekauft, 
und auch für die Vermehrung seiner musikalischen Bibliothek zeigt 
sich der König eifrig bemüht. In Verbindung mit der Hochzeit der 
Prinzessin Leonora mit Corfitz Ulfeldt im Jahre 1636 werden Novi- 
täten von Leoni, Giacobbi, Gagliano u. a. angeschafft, worunter 
mehrere Konzerte, damals das aÜermodernste , Bravournummem für 
Sologesang mit Instrumentalbegleitung. Solche Bestellungen wieder- 
holen sich mehrmals in den folgenden Jahren und legen für das 
musikalische Leben am Hofe ein gutes Zeugniß ab. 

In diesen Jahren wurde, wie oben berührt, eine ganz beträcht- 
liche Anzahl neuer Musiker angestellt, ja in dem Jahre 1641 nicht 
weniger als 7 Mann, wovon 6 Instrumentisten. Aber auch von 
Sängern, die sich in dem neuen Kunstgesange auszeichneten, wurden 
mehrere angenommen, und sie ließen sich gut bezahlen (400 Rthlr.). 
Die Anzahl der Kapellknaben stieg auf 8. 

Die Kapelle war also gut ausgerüstet, als Schütz seinen dritten 
Besuch in Dänemark abstattete. £r wurde den 3. Mai 1642 als 
oberster Kapellmeister mit dem früheren Gehalte von 800 Rthlr. an- 
gestellt. Soweit man sehen kann , dauerte sein Aufenthalt diesmal 
genau zwei Jahre; sein Gehalt wird ihm unterm 30. April 1644 zum 
letzten Mal ausgezahlt. Von seiner eigentlichen Wirksamkeit als 
Leiter der Kapelle in diesen Jahren schweigen die Quellen; nach 
dem vortrefflichen Stande der Kapelle aber muß man mit ihr etwas 
haben leisten können. Daß er bei der Doppelhochzeit 1642 die 
Musik geleitet, wissen wir, das ist aber auch alles. 

Es kamen indessen schlimme Zeiten. Der unglückliche Krieg 
mit Schweden brach aus (1643), und der König hatte an anderes 
zu denken, als eine kostspielige Kapelle zu halten. Schütz mußte 
fort und ist im Frühjahr 1644 abgereist. Wo er sich in der Zwischen- 
zeit bis zum Mai 1645, da man ihn wieder in Dresden findet, auf- 
gehalten hat, ist nicht klar. 



Die Musik am Hofe Ohristian's IV. von Dänemark. 93 



Seine Dankbarkeit gegen den dänischen Hof hat er durch die 
Widmung zweier seiner Werke , nämlich des zweiten Theils der 
»Kleinen geistlichen Concerte« (1639] und ebenfalls des zweiten Theils 
der Symphoniae sacrae (1647) gezeigt. Das erste ist dem Herzog 
Friedrich gewidmet, jüngerem Bruder des Kronprinzen, welcher, als 
dieser schon 1647 kinderlos starb, nach Christian' s lY. Tode als 
Friedrich HI. den Königsthron bestieg ; auch zu Friedrich war Schütz 
schon bei seinem ersten Besuche in Kopenhagen in freundschaft- 
lichen Beziehungen gekommen. Das zweite Werk hat er bei seinem 
Abschiede im Jahre 1644 dem Kronprinzen Christian als Manuskript 
überreicht; es wurde aber erst 1647 gedruckt. Daß dieses letzte 
Werk in Dänemark entstanden ist, läßt sich mit Sicheiheit annehmen. 

Gleich im Anfange des Krieges fand eine allgemeine Reduktion 
der Kapelle statt. Sämmtliche Kapellknaben wurden entlassen, außer- 
dem mehrere der hervorragenden Instrumentisten, einige Sänger und 
endlich der Führer selbst. Die Kapelle war auf ein Minimum von 
8 Instrumentisten und 7 Sängern gesunken. Die zurückgebliebenen 
waren aber lauter gute, theilweise hoch besoldete Kräfte; ein neues 
Zeugniß des Musikinteresses des Königs und wie ungern er sich, 
selbst unter schwierigen Verhältnissen, auf ein Kompromiß mit seinen 
künstlerischen Forderungen einließ. 

Nach dem Kriege, der das Land öde gelegt und die Finanzen 
zerrüttet hatte, hebt sich die Kapelle nicht mehr. Es werden zwar 
einige neue Musiker angestellt, ja im Jahre 1647 wird sogar der 
nach Schützen's Abgang ledige Kapellmeisterposten mit dem tüchtigen 
Altisten Agostino Fontana besetzt; aber es hat alles keine rechte 
Art. Bald nachher, den 28. Febr. 1648, erfolgt des Königs Tod. 
Ein kleiner Rest der Kapelle rettete sich in diejenige Friedrich's III. 
hinüber; für die übrigen wurde auf verschiedene Weise gesorgt. 

Der Leser wird den Eindruck empfangen haben, daß die Musik 
dem König nicht nur ein Mittel war, Glanz über seinen Hof und 
seine Feste auszubreiten, sondern daß sie ihm wirklich eine Herzens- 
sache, ein inneres Bedürfniß war. Es ist ein recht bezeichnender 
Zug, wenn von ihm, der sonst den Freuden des Bacchus in guter 
Gesellschaft gern huldigte, berichtet werden kann, er habe auf der 
Tour nach dem Nordkap, während sein Gefolge sich mit Karten 
belustigte, es vorgezogen, die Zeit i»mit Musica« in seinem »Caper- 
nauma auf dem Schiffe zu vertreiben. Und doch hat er schwerlich 
damals seine eigentliche Kapelle mit sich gehabt. Ebenfalls kam 
es nicht selten vor, daß die Kapelle ihm auf seinen häufigen Reisen 



94 Hammerich-Elling, 



im Reich herum folgte. Sein eigenhändiger Schreibkalender bezeugt 
ebenfalls, in welchem Grade der König mit Musik lebte. Immerfort 
giebt er kleine Beträge zur Belohnung, zur Hülfe, zur Aufmunterung 
u. dergl. an verschiedene Musiker, an Organisten, die ihm vorge- 
spielt haben, zu Keiseunterstützungen , zu Pathengeschenken (am 
häufigsten den Trompetern und Sängern), zu persönlichem Einkauf 
von Streichinstrumenten und Saiten u. s. w. Es ist deutlich genug, 
daß Musik zum täglichen Brode des Königs gehörte. Mattheson er- 
zählt auch in seiner »Ehrenpforte«, daß jedesmal, wenn der König 
auf seinen Touren in Holstein in die Nähe von Hamburg kam, der 
berühmte hamburgische Organist Jacob Prätorius und der Instru- 
mentist Johann Schop zu ihm herauskommen mußten. Er wollte sie 
gern mit nach Kopenhagen haben, heißt es, sie wollten aber nicht. 
Daß dies, was Job. Schop betrifft, nicht korrekt ist, wissen wir schon. 

In dieser Verbindung müssen wir auch einer kleinen Anekdote 
gedenken. Der schwedische Gesandte am dänischen Hofe Baron 
Job. Skytte ließ einmal dem König gegenüber das Wort fallen: 
den könnte man nicht lieben, der Musik nicht gern hätte. Bei Gott, 
es ist wahr, antwortete der König, daher lasse ich auch täglich meine 
Kinder »m mtisicOy tarn instrumentali quam vocaliv unterrichten. 

Schon früh muß Christian lY. in der Musikwelt einen bekannten 
Namen gehabt haben ; das sieht man aus den zahlreichen Dedikationen, 
womit er schon als ganz junger Mann beehrt worden, theilweise von 
namhaften Komponisten, wie OrazioVecchi, der ihm Le Veglie di 
Siefiaa (Venetia, 1604) und Mich. Prätorius, der ihm vier Theile 
der Musae Sioniae (1605 — 07) zuschrieb: die zwei früher erwühnten 
Madrigalsammlungen von Borchgrevinck und Brachrogge sind eben- 
falls dem König gewidmet. 

Die Musik spielte damals als Erziehungsmittel eine nicht kleine 
Rolle, und so sehen wir denn auch, daß der Musikunterricht am 
Hofe mit wirklichem Ernst und Interesse getrieben wurde. Alle 
Kinder des Königs, die eigentlichen Prinzen sowohl wie die Kinder 
aus den vielen späteren Verbindungen, wurden in Musik unterrichtet, 
häufig auf mehreren Instrumenten. Besonders lernten sie alle Klavier 
(Clavichord) spielen. Daneben haben die Prinzen und die jüngeren 
Söhne auch Geige, Viola da braccio, Viola da gamba gelernt; außer- 
dem unzweifelhaft mehrere andere Instrumente. In ihrer Selbst- 
biographie erzählt Leonora Christina, daß sie als Neuvermählte sich 
die Zeit u. a. mit Spielen sur la viole de gambe^ sur la flute, mr la 
guitarre vertrieben habe; daß sie auch Klavier gelernt, haben wir 
oben gesehen. Von den Lehrern kennen wir schon Melchior Schild ; 



Die Musik am Hofe Christian's IV. von Dänemark. Q5 



auch Mogens Pedersön, der einige Zeit der Lehrer des Prinzen 
Christian war und ihm sein Pratutn spirituale gewidmet hat, müssen 
wir nennen. Des Königs Fürsorge erstreckte sich aber auch weiter. 
Nach dem ältesten Plane für die Akademie in Sorö sollten sogar drei 
Musiklehrer: »ein guter Simphonischläger (Klavierspieler), ein Laute- 
nist und ein Yiolist da gamba« angestellt werden. 

Um ein einigermaßen vollständiges Bild der Musikzustände wäh- 
rend der Regierung Christians IV. zu geben, können wir nicht um- 
hin, noch einige Momente, die bisher nicht zur Sprache gekommen 
sind, zu herühren. So hat diese Periode auch auf dem Gebiete der 
Musiklitteratur Werke von Interesse aufzuweisen. Wir nennen zuerst 
ein größeres, musiktheoretisches Werk, nämlich das 9 Heptachardum 
IJanicum seu Nova Sohisatio etc.« von Hans Mikkelsen Ravn 
oder wie er sich auf lateinisch nennt Johannes Michaelii Cor- 
▼inus verfaßt und in Kopenhagen 1646 erschienen. Nach einer 
historischen Einleitung, wo er, wie es die Zeit forderte, mit Anno 
Mundi /, mit Adam und Eva anfängt, und dann besonders bei der 
Stellung und Entwickelung der Musik in Dänemark verweilt, folgt 
der eigentliche Inhalt des Buches, eine Darstellung der Musiktheorie 
von den ersten Elementen bis zu Kanon und Fuge. Er zeigt sich 
hierin als ein Fortschrittsmann, was schon in dem Titel des Buches 
Heptachordum seu Nova Sohisatio — statt des üblichen Solmisatio — 
einen Ausdruck gefunden. Das Werk lehnt sich , wie es ja auch 
nicht anders zu erwarten stand, an fremde Muster wie Prätorius, 
Zarlino; er hat es aber verstanden, den Stoff so durchzudenken und 
zu bearbeiten y daß es trotzdem den Eindruck einer Originalarbeit 
macht. In einer folgenden Abhandlung, Logistica Harmonica hat 
er eine gelehrte Entwickelung der für die Bestimmung der Töne 
geltenden mathematischen Berechnungen gegeben. Das ganze Werk 
ist ein beredtes Zeugniß für das in der Zeit liegende Bedürfhiß nach 
musikalisch- wissenschaftlicheu Kenntnissen und bildet das litterarische 
Monument der üppig blühenden, aber schnell wieder hingewelkten 
ersten dänischen Musikschule. 

In der historischen Einleitung nennt Corvinus u. A. zwei Männer, 
die sich durch ihre theoretischen Forschungen ausgezeichnet haben 
und denen Corvinus, nach seinem eigenen Geständnisse, sehr viel 
zu verdanken habe. Der eine ist der Rektor des Gymnasiums in 
Kopenhagen und als solcher zugleich Lektor dei Musik an der Uni- 
versität Johannes Kraft, früher deutscher Pfarrer, der andere ist 
Johannes Stephanus d. A., Professor der Logik, später Vorstand 
der Akademie in Sorö. Sie haben beide musiktheoretische Schriften 



9 g Hammerich-EUing, 



hinteilassen und zeigen sich als eifrige Pfleger der Tonkunst. Jo- 
hannes Meursius d. Ä., den Christian IV. nach Sorö als Historio- 
graphen berief, hatte schon als Professor in Leyden die griechischen 
Musikschriftsteller Aiistoxenos, Nikomachos und Alypios herausgegeben. 
Sein Sohn, Johannes Meursius d. J., in Sorö geboren, hat ein 
Werk über die antike Flöte : Collectanea de Tibiis Veterum geschrieben. * 
Von Interesse ist auch eine kleine, auf derkgl. dänischen Bibliothek 
befindliche Handschrift, ein Geschenk des bekannten sorauischen 
Professors Jobs. Lauremberg an den Historiographen Johannes 
Stephanus d. J., den Herausgeber Saxos. Sie enthält eine Art 
Erklärung der neugriechischen Kirchenmusik mit ihren seltsamen 
orientalischen Notenzeichen, dazu theils Chorlieder, theils Orgelmusik 
von verschiedenen in der griechisch-orthodoxen Kirche bekannten 
Komponisten, Panarete, Maistore, Kukuzele, Contopetria, Crite, Korone, 
Lampadius und Klada. Es ist ganz wunderlich zu sehen, daß das 
Musikinteresse sich auch auf derlei Materien erstreckt hat, die ja erst 
in unseren Tagen zu näherer Behandlung aufgenommen worden sind. 
Auch andere Gelehrte dieser Zeit, wie die Bischöfe Hans Povelsön 
Kesen d. Ä., Jesper Brochmann, Jens Jersin sind bemerkens- 
werth durch ihre mehr als gewöhnliche musikalische Einsicht Es 
war eben das Zeitalter der Polyhistorie, wie die Musik ja auch so- 
wohl in der gelehrten Schule wie an der Universität ihre Vertreter 
hatte. 

Es wurde schon erwähnt, daß der große Bedarf von Instrumenten 
in dieser Periode eine einheimische Industrie hervorgerufen hat. Der 
erste und zugleich bedeutendste Instrumentenmacher war der Instru- 
mentist AdamPickerow; er scheint ein tüchtiger Meister gewesen 
zu sein und wurde vom König fleißig benutzt, doch hat er wahr- 
scheinlich nur Saiteninstrumente verfertigt. Aber auch Klaviere 
(Symphonien, Clavichorde, Virginale u. s. w.) und Positive wurden 
producirt. Dagegen scheinen die Blasinstrumente immer importirte 
Waare gewesen zu sein. 

Wir können diese Schilderung nicht abschließen, ohne eines 
Ablegers der kgl. Kapelle, nämlich der Kapelle Prinz Christian's 
Erwähnung zu thun. 

Prinz Christian scheint das Musikinteresse seines Vaters geerbt 
zu haben; wir haben seinen Namen schon angetroffen und gesehen. 



* S. Thesauri Granoviam Antiquit. Graec. 



Die Musik am Hofe Christian's IV. von D&nemark. 97 



wie es besonders auf seine Anregung geschah, daß Schütz an den 
dänischen Hof gezogen wurde. 

Schon als junger Mann liebte der Prinz, sich mit Musikern zu 
umgeben. Der Violinist Jac. Faucart wird 1626, als der Prinz 23 Jahr 
alt war, als der »Violist des Prinzen« bezeichnet. Aber auch andere 
hat er in seinem Dienste gehabt, wie er sich zugleich die Unter- 
stützung junger Talente angelegen sein ließ; wir nennen hier nur 
den jungen Violinisten Alexander Leverentz, den er nach Berlin 
schickte, um ihn dort weiter studiren zu lassen ; Leverentz trat später 
in die kgl. Kapelle ein. 

Nach der Hochzeit (1634) schaffte er sich eine ordentliche Kapelle 
an, die an seinem Hofe auf Nykjöbing Schloß aufwartete. Über das 
Personal u. s. w. hat man aber leider nur zerstreute Nachrichten; 
es ist daher schwer, die Entwickelung der Kapelle in den dreizehn 
Jahren (1634 — 47), in welchem dieser Hof existirte, zu verfolgen. 
Der Musiketat des Prinzen war recht klein und bestand in allem 
nur aus 6 Trompetern und 6 Instrumentisten, die theilweise zugleich 
Sängerdienste verrichteten. Von den sechs « Musikanten c waren drei, 
nämlich Philipp Stolle, Friedrich Werner und der Organist 
Matthias Weckmann von der kurprinzlichen Kapelle in Dresden. 
Sie sind wahrscheinlich 1634 angestellt worden und verblieben in der 
Kapelle bis 1647. Von den dreien ist uns besonders Weckmann 
interessant. Er ist wahrscheinlich von Schütz, bei dem er in Lehre 
war, dem Prinzen empfohlen worden. Man sieht aus einer Korre- 
spondenz des Prinzen Christian mit dem Kurprinzen von Sachsen, 
der seine drei Leute 1646 zurückgefordert hatte, daß der Prinz sie 
nur ungern vermissen wollte. Müßten sie fort, dann würde, heißt 
es: i» unsere Music gantz darnieder liegen und wir also der daraus 
habenden sonderbahren und fast einigen ergötzlichkeit ohnig gemacht 
werdena. Es half aber nichts. Er mußte sie loslassen, und im April 
1647 wurden ihnen Pässe nach Dresden ausgestellt. Wie bekannt, 
wurde Weckmann später ein berühmter Orgelspieler aus der Schule 
Jakob Prätorius\ 

Unter den Trompetern finden wir auch eine namhafte Persönlich- 
keit, nämlich den als Liederdichter bekannten Gabriel Voigtländer. 
Voigtländer, früher Rathstrompeter in Lübeck, kam in den Dienst 
Prinz Christian's im Jahre 1639. Er hat seine »Allerhand Oden und 
Lieder«, Sohra (Sorö) 1642 dem Prinzen gewidmet. Unter den Papieren 
dieses letzten findet sich auch eine Geldbewilligung zur Herausgabe 
dieser Sammlung, wie es scheint 100 Rthlr. Doch war es nicht die 
Absicht, daß sie veröffentlicht werden sollte, »sondern wir sie allein 
für uns, und wem wir sie gönnen wollen behalten«. 

1893. 7 



9g Hammericb-EUing, Die Musik am Hofe Christian's IV. von Dftnemark. 



Es ist schon erwähnt worden, daß der Prinz auf die Ausbildung 
tüchtiger Lehrlinge bedacht war. Der Kuriosität wegen sei hier das 
Regulativ mitgetheilt, das er für einen dieser Lehrlinge ausstellte. 
Der Hoforganist Weckmann, heißt es, soll jeden Morgen, Freitag 
und Sonntag ausgenommen, von 9 — 10 mit ihm und den anderen 
Musikanten üben. Er muß darauf achten, daß der Junge sich in 
den Manieren, die er gelernt, übe und nicht anderswo singe. Zur 
Bewahrung seiner Stimme soll er täglich extra etwas Kandiszucker 
haben und abends und morgens nach der Mahlzeit ein Glas Rhein- 
wein , das er gleich leeren soll. Man müsse auch ferner Acht geben, 
daß er sich vor übertriebenem Trinken, vor Nüssen und anderen der 
Stimme schädlichen Speisen gänzlich hüte. 

Nach dem Tode des Prinzen 1647 wurden die meisten der Trom- 
peter und zwei Instrumentisten in der kgl. Kapelle angestellt. 



Gertrud Elisabeth Schmeling und ihre Beziehungen 
zu Bud. Erich Easpe und Carl Matthaei. 

Ein Beitrag zur Lebensgeschichte der Künstlerin in den 

Jahren 1766—1774. 

Von 

Carl Scheren 



O. yon Biesemann gebührt das Verdienst, m eine Selbstbic^aphie 
der Sängerin Gertrud Elisabeth Mara« bei Nachsuchungen im Archiv 
des Beval'sehen Rathes aufgefunden und zuerst durch Druck in 
der 1» Allgemeinen Musikalischen Zeitung« ^ weiteren Kreisen zugäng- 
lich gemacht zu haben. Die Ver&sserin hatte nach ihrer eigenen 
Yorbemerktmg sich hauptsächlich zur Abfassung dieser Lebensskizze, 
die die Jahre 1749 — 1793 umfaßt, entschlossen, um falschen Nach- 
richten über ihr Künstlerleben, besonders auch irrigen und ^»schlechten« 
Ansichten über die Persönlichkeit ihres Mannes entgegenzutreten. 
Die Biographie wird somit zum Theil wenigstens zu einer Apologie, 
deren GenuB leider stellenweis durch die darin stark herrortretende 
»Künstlerkrankheit der Selbstvergötterung« beeinträchtigt wird. Die 
Mara zählte, als sie ihre Denkwürdigkeiten niederschrieb, bereits 
über 70 Jahre; aus dem Gedächtniß,^nicht etwa nach Tagebüchern 
zeichnet sie ihre Mittheilungen auf. Kein Wunder, daß einzelne 
Abschnitte ihrer ruhmreichen Lebensbahn, vielleicht, weil sie der 
Schreiberin weniger wichtig erschienen, vielleicht auch, weil sie in 
der Erinnerung verblaßt waren, nur flüchtig berührt oder kurz be- 
dacht sind. 9 Was mir aber unendlich Leid thutt, so lautet das Selbst- 
bekenntniß der Vorrede, »ist, daß ich den Fehler habe, keine Nah- 
men behalten zu können, dieses macht, daß ich viele talentvolle 



1 8. Allgemeine Musikalische Zeitung . . . Herausgegeben von Friedrich 
Chryaander. Jahrg. X [1875} Nr. 32—40. 



\QQ Carl Scherer, 



und achtungswerthe Personen nicht nennen kann, ohnerachtet ich 
mich ihrer Person sehr gut erinnere«.^ Einige dieser Persönlich- 
keiten, die den aufsteigenden Flug der jungen Künstlerin begleiteten 
und zu fordern bestrebt waren, hinsichtlich ihrer Beziehungen zur Mara 
der Vergessenheit zu entreißen, soll ein Zweck der nachfolgenden 
Zeilen sein, deren Inhalt zum weitaus größten Theile dem unge- 
druckten brieflichen Nachlasse ^ eines eifrigen Verehrers von 6. Elisa- 
beth Schmeling, dem leider später in Unehre und Schande verfalle- 
nen Rudolf Erich Raspe entnommen ist. Daneben fallen manche 
Mittheilungen ab über die Lebensumstände und die künstlerische 
Laufbahn der Sängerin yomehmlich in den Jahren 1766 und 1767, 
die zur Ergänzung und Beleuchtung dessen, was wir aus der Selbst- 
biographie und anderen gedruckten Quellen, deren Ausbeutung A. 
Niggli^ in seiner Lebensbeschreibung der Mara voigenommen hat, 
bis jetzt wußten, nicht unwillkommen sein dürften. 

Im Jahre 1765 war die 16jährige Künstlerin von ihrer großen 
englischen und holländischen Studien- und Kunstreise nach ihrer 
Heimath Cassel zurückgekehrt. ^ Ein Konzert, mit dem Zwecke 
veranstaltet, eine Anstellung |am Casseler Hofe zu erhalten, hatte 
nicht den gewünschten Erfolg. Landgraf Friedrich II. verließ sich 
auf das Urtheil seines ersten Sängers Morelli, der die -Sangesweise 
der Schmeling verworfen haben soll mit den Worten 9 Ella canta 
come una tedesca.^ Daß dennoch Unterhandlungen geführt worden 
sind, um das junge Talent zu fesseln, erscheint unzweifelhaft. Wir 
hören aus glaubwürdigem Munde, ^ daß der Landgraf an die Künst- 
lerin das Verlangen gestellt habe »auf dem Theater zu singen« d. h. 
zur Bühne überzugehen, daß dieses Ansinnen aber seitens der Schme- 
ling abgelehnt worden sei. Es war dieselbe Scheu, die Bühne zu 
betreten, die noch 1767 der Kurfürstin von Sachsen gegenüber aus- 
gesprochen wurde. 



» a. a. O. Sp. 600. 

2 Aufbewahrt unter Mscr. litt. 40 2 auf der Ständischen Landesbibliothek xu 
Cassel. Der Briefwechsel enthält 5 Originalbriefe von G. Elis. Schmeling an 
Baspe, 3 Orig. -Briefe nebst einem Zettel von deren Vater an ebendenselben und 
8 Original schreiben und Entwürfe von Raspe an die Genannten. Sämmtliche 
Schreiben sind in englischer Sprache abgefaßt, nur Vater Schmeling bedient sich 
seiner Muttersprache in unbeholfener Weise. Die weiter benutzten Briefe von 
Heyne, Andrea, Dieze, Hegewisch, Matthaei u. a. be6nden sich am gleichen Orte. 

3 Gertrud Elisabeth Mara. Eine deutsche Künstlerin des 18. Jhds. Von 
Am Kiggli. Sammlung musikal. Vorträge Nr. 30. 

* Nach Niggli S. 10 im Frühjahr, nach Heyne etwa im Herbst, s. u. 
s Heyne an Haspe. Göttingen 27. April 1766. Er wird zweifellos aus dem 
Munde der Schmeling selbst den Grund ihres Scheiterns in Cassel gehört haben. 



mm , , ^ 

Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Besiehgn. zu Rud. Eriqb^B^F^.usw. j[ QJ 



Nachdem Vater und Tochter den Winter noch in Cassel* 'Z.uge-* 
bracht hatten, wo die dortige Oper anziehend wirkte, brachen sie 
im April 1766 auf mit dem Gedanken, über Hamburg nach England 
zurückzukehren'.^ Der Weg führte zunächst nach Göttingen, wohin 
sie Empfehlungen an Herrn Hof-Bath Achenwall mitbrachten, der 
im Vereine mit Prof. Heyne 2 Konzerte mit großem Beifall zu 
Stande brachte. »Das erste mal«, so schreibt der Letztgenannte, ^ 
dessen Gast Elisabeth in den ersten Tagen fast alle Abende war, »das 
ich das Mägdchen singen hörte, war ich ganz entzückt über ihre 
Stimme . . . Was mich aber noch mehr entzückte, war eine Guitarre, 
die sie ganz englisch schön spielt. Mit der Unschuld ihres Alters, 
ein solch melancholisch sanftes Instrument, eine solche Stimme — 
Ich gestehe es , ich bin ein paar Stunden wieder ganz jung' ge- 
wesen.« Am 21. April 1766 kündigte bereits Heyne die demnächstige 
Ankunft der »Miss Betty, one of God Almighty's wondersa in Hanno- 
ver seinem Freunde Baspe an. Indessen verzögerte sich die Abreise 
und zwar keineswegs zu Heyne's Freude. Die Studenten, die der 
Sängerin lebhaften Beifall gespendet hatten, an ihrer Spitze ein ge- 
wisser Backmeister, »ein frecher, liederlicher junger Herr«, hielten 
Vater und Tochter zurück. »Der Vater «t, so schreibt Heyne, ^ der 
sich D Ehrentwegen a von beiden zurückziehen mußte, ärgerlich, »ist 
ein ehrlicher einfältiger Tropf, der sich von dem Backmeister ordent- 
lich hat anführen lassen, noch ein acht Tage länger hier zu bleiben 
unter dem Versprechen, beyde in seinem Wagen mit nach Hannover 
zu nehmen.« Backmeister entpuppte sich schließlich als Schwindler, 
er verschwand am 26. April Abends bei Nacht und Nebel aus Göt- 
tingen. Kurze Zeit danach wird die Abreise nach Hannover erfolgt 
sein. Gotter überreichte dabei ein gedrucktes Gedicht, die Gefeierte 
nennt es ihren »ersten Kranz. «^. 



^ Niggli a. a. O. S. 10 sieht Leipzig als das damals schon vorgenommene 
Ziel an. 

2 s. o. S. 100 Anm. 5. 

» Schreiben vom 27. April 1766. 

^ Diese an Kaspe. Göttingen, 8. Mai 1766 und Selbstbiographie Sp. 529. 
Ich habe das Gotter'sche Gedicht leider nicht ausfindig machen können. Oder 
sollte es dasselbe sein, das im Göttinger Musenalmanach von 1773 S. 135 abge- 
druckt ist mit der Überschrift 

Die Sängerin. 

Halt o Sängerin, halt ein! 
Deiner Töne süsses Beben 
Dringt durch Mark und Bein, 
Dringet mir ans Leben; usw. 



• • 



» • • • • 
• • • » •• • • 
• • ,• •• • 



lOi •• '••• *•»' C*^l Scherer, 



• • 



• *, -Vor dem 4. Mai war man in Hannover angekommen; am 5. Mai 
brachten die Hannoverischen Anzeigen bereits die folgende Mit* 
theilnng : 

»Eine berühmte und ungemein geschickte Sängerin und Vir- 
tuosin, Namens Betty Smeling, welche sich in Engelland und Hol- 
land mit grossen Beyfall hören lassen, und jetzt im B^rif ist, wiederum 
nach Engelland zurück zu gehen, wird künftigen Mittewochen um 
5 Uhr auf der Londonschenke ein öffentliches Concert geben, wozu 
sie alle Kenner und Liebhaber der Musik invitiret. Die Entree- 
Billets sind bey ihrem Vater, wohnhaft in Drosten Hause auf der 
Burgstrasse neben der Post über, oder auch beym Eingange zu haben: 
imd kostet das Stück 1 Rthlr.a 

Daß das erste Auftreten vom besten Erfolg begleitet gewesen 
sein muß, beweist der Umstand, daß bereits am 12. Mai zugleich 
mit einer warmen Danksagung für den »hohen Beifall« ein zweites 
Konzert für Freitag den 16. Mai in der Londonschenke angezeigt 
wurde, dem am Freitag dem 23. Mai aus Anlaß des aufs neue er- 
haltenen Beifalls ein drittes folgte.^ 

Elisabeth nennt uns die Namen derer nicht, die sich in Han- 
nover für sie und das Zustandekommen ihrer Konzerte interessirten, 
wir lernen sie nun kennen aus dem Raspe'schen Briefwechsel. 

Es ist danach zweifellos, daß R. Erich Raspe selbst der erste 
gewesen ist, der von Göttingen her durch Heyne und Dieze benach- 
richtigt und zugleich gebeten wurde, sich der jugendlichen Sängerin 
anzunehmen.^ Raspe, im 30. Lebensjahr stehend, bekleidete damals 
die Sekretariatsstelle an der Bibliothek zu Hannover,^ aber seine 
Wünsche und Neigungen gingen weit über die engen Grenzen seiner 
amtlichen Beschäftigungen, die er so gern schon längst mit einem 
angemesseneren Wirkungskreis vertauscht haben würde, hinaus. 
Vielseitig beanlagt, nicht immer tief eindringend, oft flüchtig, schön- 
geistig im guten wie im schlimmen Sinne erscheint uns die Persön- 



1 8. Hannov. Anzeigen Ao. 1766, 36. 38. u. 40. Stück. Die Neue oder London- 
schenke in der Neuenstraße war damals ein beliebtes Konserthaus und diente zu> 
gleich als Gesellschaftshaus für einen 1752 gegründeten Klub. 

2 8. o. S. 101 u. u. S. 107. 

3 Man Ter gleiche über das Leben Baspe's Strieder, Hessische Gelehrten-Ge- 
schichte. Bd. XI S. 221 ff; Mittleres Vorwort zu den von ihm herausgegebenen 
Briefen von Boie, Herder u. a. im Weimarischen Jahrbuch. Bd. III S. 1 ff; und 
Mohrmann, Kudolf Erich Baspe. Eine biographische Skizze. Enthalten im Han- 
nover'schen Courier vom Juni 1881. Ein vollständiges Bild des vielseitigen Mannes 
ist durch die obigen Darstellungen in keiner Weise gegeben. Es ist hierzu vor 
allem eine völlige Durcharbeitung des brieflichen Nachlasses und Ausfindigmachung 
der bis jetzt zumeist noch verschollenen eigenen Briefe Raspe's nothwendig. 



Gertrud Elisab. Sehmeling u. ihre Bedehgn. lu Rud. Erioh Haspe usw. ] 03 



lichkeit dee Mannes, der bei regem Interesse an der Kunst — hatte 
doch die Ackermann'sche Gesellschaft noch im Vorjahr mit seinem 
»Solimanc einen Haupttreffer erzielt^ — vielleicht noch mehr An- 
theil an ihren Ausüberinnen zu nehmen pflegte. Dazu fehlte es 
Raspe, der selbst geborener Hannoveraner war und seit 1760 wieder 
in der Heimat lebte, nicht an guten und einflußreichen Verbindungen 
mit hochstehenden Persönlichkeiten des Ortes und des Landes. Dem 
alten Staatsminister von Schwicheldt, der seit seiner Abschiedsein- 
reichung allerdings meist die ländliche Stille seines Gutes Flachstöck- 
heim dem Stadtleben vorzog, war er nahegetreten als Erzieher seiner 
Söhne und Verwalter seiner Bibliothek; mit Münchhausen, dem 
hochverdienten Premier-Minister, brachten ihn die von ihm zu er- 
ledigenden Geschäfte der Göttinger Bibliothek, deren Anträge und 
Berichte an Münchhausen als den Kurator gingen, in Verbindung; 
General von Wallmoden, der nachmalige Hannoverische Gesandte in 
Wien, begünstigte den jungen Gelehrten, der mit ihm das eifrige 
Interesse für alte Kunst theilte imd sich durch eine gewisse Auf- 
sichtsführung über die von ihm zusammengebrachte, für jene Zeit 
bedeutende Kunstsammlung verdient machte.^ Dazu kam ein freund- 
schaftlicher Verkehr mit Männern, die sich in den besseren Bürger- 
kreisen und in der Beamtenwelt des damaligen Hannovers großer 
Beliebtheit erfreuten und eine bedeutende Rolle spielten, mit Brandes,^ 
dem feingebildeten Geheimsekretär und bevorzugten Vertrauten des 
leitenden Ministers, mit Andrea,^ dem gelehrten Apotheker und 
Beschützer der schönen Künste, einer damals bereits in seiner Vater- 
stadt angesehenen und allgemein verehrten Persönlichkeit, und mit 
Heiliger, dem Konsistorialrathe und nachmaligen Bürgermeister der 
Residenz. 

Es trat schließlich hinzu ein Kreis von jüngeren Freunden, die 
wie Raspe sich vortrefflich auf das Leben und Lebenlassen verstanden, 
und zugleich wie er als Schöngeister auf dem »kleinen Hannoverschen 
Stadtpamaßtf sich tummelten. Der talentvolle und übermüthige 



^ Ackermann an Raspe. Hamburg 16. Sept. 1765 und Denkwürdigkeiten von 
Karoline Schuhe. Mitgetheilt von Herrn. Uhde im Histor. Taschenbuch. 5. Folge. 
3. Jhrg. S. 396. 

3 Einen Katalog, einen Theil des Kabinets umfassend, yeröffentlichte Raspe 
in der Neuen Biblioüiek der schönen Wissenschaften ... Bd. IV Stück 2. (Leip- 
lig 1767) S. 201 ff. 

9 s. Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. lU S. 242 und die daselbst ange- 
gebenen Quellen. 

« s. SchlichtegroU's Nekrolog auf das Jahr 1793. Bd. IV 1. S. 164 ff.; 
Neues yaterländisches Archiv. Jahrg. 1825 Bd. HS. 9 ff . und Allgemeine Deutsche 
Biographie. Bd. I S. 447. 



104 ^^^^ Scherer, 



Flügge,^ vennuthlich ein Sohn des 1754 verstorbenen Predigeis zu 
Hannover und angestellt an der Bauabtheilung des Ministeriums als 
Kanzleisekretär, erscheint als einer der besten Kameraden Raspe's, 
neben ihm bleibt unter anderen D. H. Hegewisch zu nennen, der, ehe 
er die Stelle eines Hofmeisters und Privatsekretärs im Hause des hoch- 
gebildeten Konsuls Grafen Schimmelmann in Hamburg angenommen 
hatte, als Erzieher in der Andreä'schen Familie thätig gewesen war, 
und später von seiner Stellung als dänischer Legationssekretär in 
Hamburg zur Übernahme einer Professur in Eäel berufen wurde. ^ 

Das Hannover Georgs HI. war im Gegensatz zu der Zeit der 
Regierung seines Vorgängers ein ziemlich stiller Ort. »Trauriges 
Hannover«, so ruft Hege wisch im Hinblick auf das anregende gleich- 
zeitige Hamburger Leben aus, >Du wirst wohl stets der Sitz der 
Langeweile bleiben 1«^ Der König kehrte dem Lande den Rücken, 
seine Residenz war London; zwar wurde der Hofstaat beibehalten, aber 
Carl von Mecklenburg-Strelitz, der als Kurfürstlicher Feldmarschall 
an der Spitze der Hannoverschen Armee stand und als Gouverneur 
der Stadt Hannover das Palais an der Leinstraße bewohnte, war nicht 
dazu veranlagt, ein glänzendes Hof- und Residenzleben anzuregen 
und zu befördern. Der gesellschaftliche Verkehr zog sich zurück in 
die privaten Zusammenkünfte, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit 
im Winter sowohl von den altadligen Geschlechtem als auch von 
den jungadligen sowie von den angeseheneren Beamten- und Bürger- 
familien veranstaltet wurden und einer gewissen Einförmigkeit Vor- 
schub leisteten. »Mit Caßel«, schreibt später einmal Flügge,^ »dürfen 
wir uns nicht vergleichen, wo sie ihren Landesherrn bey sich haben, 
und wo die Künste unter der Anfuhrung eines fürstlichen Kenners 
und Belohners herrschend sind.«^ 



^ Flügge verdient der Vergessenheit, mit der ihn selbst Oödecke bedeckt, 
entrissen zu werden. Es soll an anderem Orte geschehen. Berichtigt sei hier 
ein Irrthum Meusel's im Gel. Teutschland. * Bd. I S.|645. Nicht Heinr. Herrn. 
Flügge, der Prediger an der Martinskirche in Braunschweig, sondern sein Bruder, 
der Obige, ist der Verfasser der Aeneis, feiner Travestie auf Vergil's Gedicht. — 
2 Briefe Flügge's an Bürger sind abgedruckt in den »Briefen von und an O. A. 
Bürger a . . . hg. von Ad. Strodtmann. Bd. II S. 17 ff. 

2 s. Rotermund, Das gelehrte Hannover. Bd. 11. S. LXXXI und Allge- 
meine Deutsche Biographie. Bd. XI S. 278. 

^ Hegewisch an Raspe. Hamburg 23. Sept. 1766. 

^ Flügge an Raspe. Hannover 12. Man 1773. Man vergl. über das gesell- 
schaftliche Leben seu Hannover: Bodemann, Johann Georg Zimmermann. S. 43 ff. 
Es geht dies freilich zumeist auf die 70er Jahre. 

^ An einer anderen Stelle betont er freilich, Hannover sei es werth, daß man 
seiner gedenke, »obgleich es die Mode in der Nachbarschaft ist, uns mit einer 
Art von Erbarmen und Verachtung anzusehen. Fo«, st hie essetis, aliter sentireiisti. 
Schreiben an Raspe vom 21. Febr. 1770. 



Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Besiebgn. lu Rad. Erich Raspe usw. \Q^ 



Trotzdem galt Hannover damals als kunstsinnige Stadt. Schau- 
spielertruppen, die ab und zu Einkehr hielten, vermittelten die Bekannt- 
schaft mit Shakespeare. Musik hörte man nicht nur in Konzerten, 
wenn etwa ein Bach, wie dies von Zeit zu Zeit geschah, dorthin kam, 
man betrieb sie auch eifrig in Selbstausübung im Familienkreise. ^ 

Andrea selbst liebte die Musik und hatte in seiner Jugend fertig 
Klavier gespielt;^ so freute er sich, die Schmeling in seinem Hause 
verkehren zu sehen und theilte gern die Bemühungen um das Gelingen 
der Konzerte mit Freund Saspe, ja er hatte schließlich, als dieser 
zu Ende Mai zu seinem Schwager, dem Amtsvogt Völger, nach Ütze 
verreist war, die Sorge für das Zustandekommen des dritten Abends 
allein auf sich. Wie sehr er sich die Sache angelegen sein Uefi, 
beweist sein Brief an B.aspe vom 21. Mai: »In des Herrn Cammer- 
Herm von W[almoden] Hause bin ich zweimal gewesen, one Ihn zu 
sprechen. Auch ebenso vergeblich bei d. Hm. General. Indeßen 
wird Ihnen die Inlage zeigen, das dadurch nichts versäumt ist. 

Heute habe ich den Plan^ herum zu schikken ange&ngen. Allein 
die verwünschte Musterung 1 Der H. Feld Marschall^ ist nicht zu 
Hause gewesen, d. H. premier Minister hat geantwortet. Er wolle 
es Seiner Gemahlin sagen. Nun ist diesen Mittag bei dem Gen. v. W. 
ein Tractement auf Seinem Garten. Dis zieht one Zweifel widerum 
Leute aus der Stadt und vermuhtlich auch den Feld Marschall. Folg- 
lich wird der Plan erst Morgen früh seine ordentliche Reise antreten 
können. Mehr hirmit zu eilen ist mir, wie Sie sehen, unmöglich.« 

In den Briefen Andreä's an Haspe spricht sich eine gewisse liebe- 
volle Zuneigung und Zärtlichkeit für seine jugendliche Schutzbefohlene 
aus. »Gern nehm ich«, meint er launig, »sie unter den Schatten 
meiner Flügel in Abwesenheit der noch wärmeren Henne. Ja wäre 
dis artige Küchlein noch im Ey, ich hätte Lust es aus zu brüten . . . 
Adieu, mein lieber Freund, bleiben Sie nur hübsch lange aus! ich 
wil schon — . — Ihr gehorsamer Diener bleiben.« 

Wir ersehen zugleich aus diesem Schreiben unschwer, wie es 
mit Kaspe selbst bestellt war; Andrea wußte es am besten, hatte doch 
der Herzensroman zwischen dem Erstgenannten und Elisabeth schon 



1 Hartmann, Gteschichte der Residenzstadt HannoTcr. S. 382. 

2 B. Schlichtegroll's Nekrolog, a. a. O. S. 171. 

' Der Subskriptionsplan war zun&chst dem Herrn Kammerherm von Wall- 
moden gegeben und ohne Erinnerungen gebilligt worden; alsdann hatte ihn An- 
drea an den General yon Wallmoden weitergeieicht. Die beiden Genannten waren 
außerdem von Raspe brieflich um ihre Verwendung gebeten, s. Andreä's Brief an 
Raspe Tom 18. Mai 1766. 

* Frins Carl von Mecklenburg. 



JQg Carl Seherer, 



lange seinen Anfang genommen. Die Greisin berührt diese Ereignisse 
in ihrer Selbstbiographie nur mit den kurzen Worten: »Auch bekam 
ich daselbst (nämlich in HannoTer) verschiedene Anträge zum heirathen, 
welche ich aber ausschlug, indem ich meinem Vater sagte, ich wäre 
noch zu jung, auch hSitte ich noch keine Lust mich zu binden, 
worüber er sehr zufrieden zu seyn schien a. ^ Daß zu den abgewiesenen 
Bewerbern Raspe zu rechnen ist, ergibt sich aus dessen Briefen. ^ 
Die Befürchtung Dieze's,^ daß des Freundes Herz nicht stark genug 
sein würde »den verfiihrerischen Zaubertönen der Sirene zu wider- 
stehen«, wurde bald zur Wahrheit. Heyne sah sich schon am 1 1. Mai 
veranlaßt, in väterlicher und freundschaftlicher Gesinnung zu warnen 
und abzumahnen. 

»Mir thut es sehr l^id«, so schreibt er, »werthester Freund, daß 
ich durch meine Dienstfertigkeit einen solchen Aufruhr in Ihreni 
Herzen angerichtet habe. Ein Vergnügen ein Amüsement, eine Zer- 
streuung für Sie höchstens ein gout passager, war alles, was ich mir 
in diesem Fall erwartete; und ich hoflFe noch, daß Sie darauf zurück- 
kehren sollen. Die eiserne Nothwendigkeit würde es ohnedem mit 
ihrem grosen Gehülfen, der Zeit, thun und Sie dahin fuhren. Alle 
äuserliche Unmöglichkeiten, die Sie sich selbst gestehen müssen, sind 
nicht unüberwindlicher als die welche im Temperament und Cha- 
rakter der Betty lieget; sie hat kein Herz, das eines Grades von 
Gefühl fähig ist Sie werden sie nie so fühlbar machen daß Sie dabey 
glücklich wären.* Es ist ein ingrater Boden, Empfindungen einzu- 
pflanzen. Ich habe dergleichen Gemüther mehr gekannt, die just 
die Eigenschaften des Herzens hatten von denen sich die Phaeno- 
mena an ihr am ersten Anblick gleich darbieten. Ich beschwöre Sie 
also bey allem, was Sie sich und Ihrer Kühe schuldig sind, amusiren 
Sie sich soviel Sie wollen, aber eine ernste Leidenschaft suchen Sie 
abzuwerfen, es mag auf eine Art geschehen wie es will. Sie wissen 
daß ich hohe Begriffe von dieser Leidenschaft habe daß mein Kath 
gewiß nicht aus den vulgairen Grundsätzen entlehnt ; aber die innere 
Unmöglichkeit der Erfüllung ihrer Wünsche zwingt mich Sie auf 



1 a. a. O. Sp. 529. 

2 Ein Nebenbuhler scheint ein gewisser Englander Mr. Callin gewesen zu 
sein nach Kaspe's Schreiben (Entwurf) an einen Ungenannten Tom 11. Mai [1766]. 

3 Dieze an Raspe. Gott. 8. Mai 1766. 

4 In dem Briefe vom 4. Mai äußert sich Heyne in ähnlicher Weise: »Der 
Charakter des Mägdchens war für mich etwas, das ich in keine definition bringen 
konnte; etwas so fade unfühlbares, und doch ein Grad von Eitelkeit. Doch Sie 
werden ihn vielleicht besser zu bestimmen im Stande seyn.« 



Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Beziehgn. zu Rud. Erich Haspe uew. \{)'J 



das feyerlichste zur Herrschaft über sich selbst aufzurufen. Ich be- 
hane unveränderlich 

Ihr wahrer Freund 

Heyne. « 

Die Folge des Briefes war Verstimmung auf Seite des Empfängers, 
der in der freimüthigen Mahnung eines Freundes nur die Bitterkeit 
und Unzufriedenheit eines Sittenrichters sah und gebieterisches, be- 
leidigendes Wesen in den wohlgemeinten Rathschlägen zu erkennen 
glaubte. Wie ernst es Haspe mit seiner Liebe meinte, beweisen seine 
Briefe, ebenso unzweideutig ersieht man daraus, daß die Neigung 
eine einseitige war d. h. auf Elisabeths Seite nicht erwidert wurde. 
Zwei Tage nach einem Ausflug, der am 10. Mai in Gesellschaft der 
Schwester Baspe's und einiger anderen Damen nach Herrenhausen ge- 
macht wurde, erfolgte eine offene Erklärung an Elisabeth; sie möge 
auszugsweise mitgetheilt sein. 

My dearest Life! 

True friendship and the purest Love are the natural duties fo 
Viriue, Talents, Yovth and Beauiy; and wheti I repeat You that I 
bear them to You in the Jiighest degree, and when I teil You that all 
my attentions owe their oriyin to them ahne, I hope You will consider 
the aknotßledgement as well as the above mentioned sentiments as an 
offering, worthy the accepting and giving of every honest and generous 
heart. So it isy and so You may account for my troubles and inquie- 
tudes; than I ought to be and to appear to all the world and to my- 
seif a most unworthy ungefierous man could I bear patiently and 
tamely the mortifying distance You keep toith me, and see vnth insen- 
sihility how carefully You refuse whatever comes from nie, how coldly 
You receive my addresses, how Yow avoid them to listen with compla- 
cency to whatever other people may teil You. Ah sweetest creature! 
give me leave to say that such an undeserved rigour puts me to low. 
Every body knows that I was Your first acquaintance here. I am 
conscious to have behaved as every honest man ought to do. And what 
must people think that see me avoided so carefully by her, that lovnng 
Virtue and honour must love gratitude toot 

.... ludge by Your seif how You wrong me in exposing me to 
such an undeserved blemish; when I protest and am convinced that 
no body can love and esteem You, Your talents and Your honour, unth 
purer sentiments as Your most obedient humble servant 

JR. E. It€tspe. 



log . Call Scherer, 



Konnte sich Baspe schon jetzt über Undankbarkeit beklagen, 
so sollte er und mit ihm seine Freunde bald noch weitere Erfahrungen 
machen. Elisabeth verließ Hannover ohne jeglichen Abschied, ohne 
Wissen der Bekannten, um sich über Celle nach Hamburg zu wenden. 
Saspe erfuhr es erst durch einen gewissen Werckmeister, aber er 
beeilte sich trotzdem, der Sängerin in Celle einen günstigen Empfang 
zu sichern, indem er schleunigst ein empfehlendes Schreiben für jene 
an Barte von Schwicheldt, die Tochter seines Gönners, nachschickte. ^ 
Wenn auch Letzere zu spät nach dort kam, als daß sie etwas zu 
Gunsten der Schmeling hätte thun können, so hatte doch Raspe 
wenigstens die Freude, alsbald von ihr zu hören, daß Elisabeth nach 
aller Urtheil in Celle großen Beifall gefunden habe.^ Ein weiterer 
Brief folgte nach Hamburg, wohin sich die Entwichene am 31. Mai 
gewendet hatte. Bereits hatte Raspe nach Verabredung wieder ein 
neues Konzert, das nach der Rückkunft von Hamburg stattfinden 
sollte, eingeleitet, nur mußte er sich Gewißheit verschaffen, ob Eli- 
sabeth zurückkehren würde. Er zürnt, daß sie zu stolz gewesen sei, 
von ihm Adressen nach Hamburg sich geben zu lassen, nun wisse 
er nicht einmal, wo sie dort zu finden sei, noch viel weniger, ob und 
wann sie Hannover wieder besuche; diese Unschlüssigkeit sei der 
Grund, warum die Subskription so langsam nur fortschreite. »Pray 
what can I say when asked about You? Invite every one to the Sub- 
scription, assuring thcU certainly You wile come back, at leastfor some 
days when going to Pirmonta,^ Der Aufenthalt in Hamburg war 
übrigens nicht von langer Dauer. Die Schmeling spricht sich in ihrer 
Biographie zwar dahin aus, daß es ihr am dortigen Platze gefallen 
habe, und daß sie im Verkehr mit den vielen Engländern wieder an 
ihre glückliche Jugendzeit in England erinnert worden sei, ^ bemer* 
kenswerth ist es aber demgegenüber doch sicherlich, wenn Andrea 
am 19. Juli von Hamburg aus schreibt: »Es schadet uns freilich, und 
vielleicht Ihr Selbst nicht, daß Ihr Hamburg nicht gefallen 
hat. Es hätte Ihr aber beßer gefallen können, wenn Sie nicht so 
stillschweigend von Hannover dahin geeilet wäre, ich getraue mir 
zu sagen, daß Ihr eine Adreße von mir sehr vorteilhaft gewesen sein 
würde«. Bereits am 25. Juni war die Sängerin wieder durch Hannover 
durchgereist, um sich nach Pyrmont zu begeben, wo sich Prinz Carl 
von Mecklenburg eben aufhielt. Das Konzert in Hannover war mitt- 
lerweile so weit gesichert, daß die Ankündigung für Montag den 

1 Raspe an Elisabeth. (Entw.) Hannover 10. Juni 1766. 

2 Barte von Schwicheldt an Raspe. Weyhe 10. Juni 1766. 

3 Schreiben Yom 10. Juni 1766 nach Hamburg gerichtet (Entwurf). 
< a. a. O. Sp. 529. 



Gertrud Elisab. SchmeUng u. ihre Beziehgn. zu Rud. Erich Haspe usw. | QQ 



30. Juni im Stolzischen Hause erfolgen konnte.^ Zuvor aber war 
schon ein neuer Plan, der zweifellos Raspe verdankt und in Gemein- 
schaft mit anderen besprochen wurde, aufgetaucht und in Gang ge- 
bracht ; es handelte sich darum, die Schmeling dauernd für Hannover 
zu gewinnen. Raspe war in der Lage, schon bei der Durchreise 
nach Pyrmont sie und ihren Vater mit dem Entwurf bekannt zu 
machen. ^ Elisabeth sollte sich entschließen, den Winter in Hannover 
zuzubringen und dort eine Reihe von Konzerten zu geben ; während 
der übrigen Zeit des Jahres sollte sie jedoch in keiner Weise gebunden 
sein. Dafür wiirde ihr eine feste Pension zugesichert, die erst auf jähr- 
lich 600 Rthlr. festgesetzt war, in Anbetracht des Ausfalles der Som- 
mermonate aber und mit Hinsicht darauf, daß gute Gelegenheit zum 
Ertheilen von Stunden vorhanden sei, dementsprechend um etwa 150 
Rthlr. gekürzt wurde. »Ich bin sicher«, so betheuerte Raspe, »die 
Mittel werden uns nicht fehlen, es zu bewilligen und zu geben«, wo- 
hei er vor allem auf die Bemühungen des Generals von Wallmoden 
haute. Andrea äußerte seine große Freude über das Unternehmen: 
> Wer siehet und höret die artige Nachtigall nicht gerne 1 und dann 
glaube ich auch noch immer, daß Sie bei uns beßer, als sonst irgendwo 
au%ehoben ist. Und wohl aufgehoben zu sein verdienet sie doch.« 
Zugleich aber betont er die Anwendung der nöthigen Vorsicht, n Hüten 
Sie sich zu Viel auf die Entreegelder zu rechnen: und komt, unter 
dieser Vorsicht, dan eine hinlängliche Subscription zu Stande, so, 
denke ich, fordern wir die unterschriebenen Gelder doch insgesamt 
und auf das ganze Jar erst ein, ehe das Concert eröfnet wird. Sonst 
laufen wir Gefar, selbst zuschießen zu müßen, und uns durch Mah- 
nen Feinde zu machen.«^ Auch in Göttingen nahm man an dem 
Zustandekommen lebhaften Antheil: Heyne erklärte mit Recht das 
Gelingen »als für das Schicksal der Miß unstreitig entscheidend.«^ 
Vater Schmeling und Tochter gingen auf das Anerbieten ein und 
erklärten sich bereit, gegen eine Pension von 450 Thlr. den Winter 
in Hannover Aufenthalt zu nehmen, falls das Projekt zu Stande 
käme. Es blieb nun nur übrig, den Gedanken in Wirklichkeit um- 
zusetzen. Raspe hat zweifellos keine Mühe und Arbeit gescheut, nicht 
nur in Hannover selbst Freunde zu werben, sondern auch solche 



^ Gedruckte Nachricht. 1 Ex. liegt dem Briefwechsel bei. 

2 Es sollte ursprQnglich schriftlich geschehen, wie die beiden in Reinschrift 
vorhandenen und mit Adresse nach Pyrmont gerichteten Briefe Raspe's an Vater 
und Tochter vom 25. Juni beweisen; der eine trägt indeß den Vermerk: »mündlich 
ausgerichtet bei ihrer Durchreise nach Pyrmont.« 

3 Andrea an Raspe. Hamb. 19. Juli 1766. 
« Heyne an Raspe. Gott. 3. Juli 1766. 



110 . Carl Scherer» 



Familien zu gewinnen, die gerade die Winter monate in Hannover zu- 
zubringen pflegten, wie wir denn wissen, daß Barte von Schwicheldt 
zu Anfang August den Subskriptionsplan in Flachstöckheim hatte. 
Daß Baspe dabei in gewissem Maße egoistisch handelte, ist ersicht- 
lich, er glaubte noch immer damals in den Gesinnungen der Freundin 
den erwünschten Umschwung herbeifuhren zu können, noch war sie 
seine i^fairest Itosebud<i,^ die er liebte, auch wenn sie erst nach 
Hamburg entwichen und nun nach ihrer Rückkehr von Pyrmont, 
wo der Prinz Carl von Mecklenburg sie sehr ausgezeichnet hatte,- 
alsbald fort nach Braunschweig gezogen war, noch brauchte Heyne 
nicht zu mahnen, daß man seiner Schönen getreu bleiben müsse.' 
Raspe empfand thatsächlich die Entfernung seiner Freundin tief und 
schmerzlich; Unthätigkeit, Gleichgültigkeit und Entmuthigung, zum 
Theil sicher verursacht durch den schlechten Fortgang des Unter- 
nehmens, überkamen ihn und traten an Stelle der bisherigen Leiden- 
schaft. Heyne begann zu furchten. »Nichts als Bewegung und 
Beschäftigung kan Sie davon losreisen und ich dächte, Sie liesen 
alles stehen und liegen und nähmen eine Reise vor. Kommen Sie 
nur einmal wieder zu einem Gegenstand, der Ihre Aufmerksam- 
keit auf sich ziehet, so hoffe ich, daß Ihre Seele und Blut wieder 
in Gang kommen werden. Kömmt der Winter heran und es stellt 
sich Jemand zum Konzert ein, so wird alsdann die Leere ohnedem 
ausgefüllt seyn.«^ 

Die Schmeling war unterdessen in Braunschweig mit hohen 
Ehren gefeiert worden; man brachte die Zeit der Messe dort zu und 
besuchte wieder fleißig das Theater.^ Es erfolgte eine Einladung, 
bei Hofe zu singen; Elisabeth trug auf Verlangen 4 Arien vor, was 
nach Aussage der »Capellisten« noch keine Sängerin gethan hatte. 
Herzog Carl, der kunstsinnige Schwager des großen Königs, suchte 
die Künstlerin für Braunschweig zu gewinnen. Die Antwort war: 
»in Hannover engagirt.« Am Hofe zu Bernburg, der auf der Weiter* 
reise nach Leipzig besucht wurde, wiederholte sich das gleiche Schau- 
spiel. Mitte August etwa langte man in Leipzig an^, wohin Raspe 



1 Raspe an Eliflab. 25. Juni 1766. 

2 Elisabeth an Raspe. Leipzig 28. Jan. 1767. 

3 Heyne an Raspe. Gott. 4. Aug. 1766. 
« Heyne an Raspe. Oött. 21. Aug. 1766. 

3 8. Selbstbiogr. Sp. 530. Die Wohnung befand sich während der Zeit »im 
gülten arm in der Oerlinger stras. « s. Briefe des alten Schm. an R. Braunschweig 
30. Juli 1766 und Leipzig 30. August 

Das Absteigequartier war im »gulten Hud« in der Reichsstraße. Brief des 
alten Schm. t. 30. Juli 1766. 



Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Besiehfirn, zu Bud. Erich Raspe usw. \\\ 



Empfehlungen mitzugeben veiaprochen hatte. Zu derselben Zeit traf 
eine Mittheilung von des letzteren Hand dort ein, die das Zustande- 
kommen der Konzerte in Hannover zweifelhaft erscheinen ließ. Erst 
unter dem Eindruck dieses Schreibens wurde, wie wir jetzt mit Be- 
stimmtheit folgern müssen, der Vertrag mit Zehmisch abgeschlossen. 
Am 30. August schreibt der Vater Schmeling hierüber an Raspe: 

y> Hoch Edel gebohmer 
Hoch ge Ehrter Herr 

Dero ab gelaßenes Schreiben haben wir mit großer Ver wun- 
derung er halten, und darauB er sehen, daß wir wegen der Sup- 
scription unß keine sichere Hoffnung können Ver sprechen, wie auch 
eben fals auß Herr Weis seinen Brieff, und der Herbst so nahe Vor 
der Hand, da die beste Zeit zu Reisen Vor bey ist, hir durch wurte 
also genötiget, unß in Leipzig in H. Zehmisch sein Concert, auf 
Ein Jahr vor selben acort zu angagiren, bis auf weider orter, Es were 
unB hertzlich freute geweßen, die winder Zeit, bey Ihnen in Hannover 
zu seyn, allein Vors un gewiße Muß man daß ge wiße wehlen, solte 
es künfftig sicher zu stände kommen, so er bieden wir unß, auf Ver 
langen zu dienen. In deßen dancken wir M. Hgb. H. Raspe, Vor dero 
er zeigte Liebe, Ehre, gutigkeit und freuntschafft, bis künfftig wieder 
sehen, ... in er Wartung einer baltigen antwort hirauf werden sie 
sämtl. Von unß 1000 sentfeltig ge grüset. Ver bleiben dero freunte 
und Diener 

J. Schmeling.« 

Raspe's Antwort ging bereits am 4. September ab; er mußte 
unter diesen Umständen den Plan mit Miß Betty aufgeben, aber er 
nahm ihn in veränderter Gestalt wieder auf. Hegewisch, der sich 
zu der Zeit in Hamburg aufhielt, scheint es gewesen zu sein, der 
auf Mad. Schulze, die sich unter der Ackermann'schen Truppe befand, 
zuerst aufmerksam machte. »Lindanea, meinte er, »wird uns Miß 
Betty ersetzen.«^ Mitte September waren die Unterhandlungen 
bereits im Gange, die sich indessen zerschlugen, weil die Schulze vor 
Fasten aus dem Verbände der Gesellschaft nicht loskommen zu können 
erklarte. * 

Ob Raspe sich zu jener Zeit überhaupt noch um Elisabeth be- 
kümmert hat, ist fraglich ; die Empfehlungen für Leipzig, die nach Braun- 
schweig nacherbeten wurden, und die Raspe an Männer wie Clodius, 



1 Hegewiflch an Kaspe. Hamb. 16. Sept. 1766. 
s Derselbe an Raspe. Hamb. 23. Sept. 1766. 



112 ^"^ Scherer, 



Oeser und Weiße, die im Leipziger Kunstleben ihre Rolle spielten, 
hätte geben können, blieben vielleicht ganz aus. Der Gekränkte, 
der sich eben durch eine kleine Reise zu Familie von Schwicheldt 
nach Flachstöckheim zu zerstreuen suchte, erhielt von Leipzig kei- 
nerlei Nachrichten mehr und so hüllte auch er sich in Schweigen. 
DDaß Sie die liebe Betty haben entlassen können«, schrieb Heyne 
am 29. September, »ist etwas, was mich in Erstaunen setzt. Ich be- 
wundere Ihre edelmüthige Entschlossenheit mehr als ich sagen kann.« 
Und unterm 12. November wußte er Raspe als Neuigkeit mitzutheilen, 
daß Miß B. den Herrn Direktor des Konzertes gar herzlich gefesselt 
habe, und daß man sie dem Vernehmen nach »im comischen mehr 
goutire als im ernsthaften.« Raspe hatte bereits vergessen; Elisabeth 
Schmeling war verblaßt vor einem neuen Stern, der ihm in einem 
Mitgliede der Leppert'schen Gesellschaft aufgegangen war, vor Jean- 
nette Lucius. So mochte er selbst zumeist überrascht sein, als im 
Dezember ein Schreiben von Elisabeth ankam. Sie schrieb unterm 
16. Dezember: 

Sir 

Tko I know it is a great liberty in a lady to Rite to a Getleman (so!) 
who is offended at her, yet Fll venture to take hold of my pen — poor 
Mr. Raspe — tohat you are angry withme — well — / dont know how to 
make it up again tho I Card Say hut you have had a good deal of 
patience yet I did not think it toolTd have been gone all at onece, but 
how ever if you wear Determind to be angry you Shoul ^d have let 
me know be fore hand, that I tnight have prepare W my Seif for it. 
but what did I Say — you to be angry — no I that Can never be, Such a 
Gentleman as Mr, Raspe Does not onece know what it is to be angry^ 
no! I Dare Say it hos been for nothing but for want of time that toe 
did not hear from you, I Suppose your Business wolVd not attow you 
tho think of us. So I beg pardon for the mistake Fve made, and in 
hopes of your for giving me 

I Remain Sir yours 

E Schmeling 
My Papa Gives his Compliment to you and I beg mine to your Sister.^ 

Raspe verzieh und nahm die Beziehungen sofort wieder auf; 
am 25. Dezember bereits hatte Elisabeth seinen G^enbrief in den 



1 Zum Schluß bittet die Schreiberin, in Hannover nachzufragen, ob Briefe 
für sie dort lägen, und, wenn es der Fall sei, sie ihr nach Leipzig an Heim 
Winckler in der Fleischer-Straße zu schicken. 



Gertrud Elisab. Sohmeling u. ihre Beziehgn. su Rud. Erich Raspe usw. 113 



Händen, dem einige Liedchen beigefügt waren, die mit freudigem 
Danke aufgenommen wurden. ^ Seitdem herrscht wieder ein regerer 
Verkehr zwischen den Versöhnten, dessen Vermittelung aufs eifrigste 
geführt wird von einem Leipziger Studenten, Carl Matthaei. Die 
Persönlichkeit des Genannten ist, wie es scheint, eine recht unbe- 
kannte; nur wenige erwähnen ihn, kein Lexikon hat den Namen in 
seine Spalten aufgenommen und so dem Gedächtnifi erhalten. Matthaei, 
der aus Nürnberg stammte ^ und sich bereits geraume Zeit auf der 
sächsischen Hochschule angehalten hatte, wo er mit Männern wie 
Geliert, Weisse, Oeser u. a. bekannt wurde, war zu An£Eing des Jahres 
1767 gelegentlich eines Besuches in Hannover von Raspe in dessen 
bekannter liebenswürdiger und zuvorkommender Weise angenommen 
worden. Seitdem vereinigt ein enges Freundschaftsband, gefestigt 
und erhalten durch die warme Anhänglichkeit des Jüngeren an den 
Alteren, die beiden Männer. Der Gedankenaustausch brachte einen 
lebhaften Briefwechsel ^ mit sich, der um so interessanter ist, als die 
Briefe Matthaei^s, der ein guter Beobachter und eifriger Liebhaber 
von Kunst und Theater ist, uns zum Theil in dieselbe Leipziger Zeit 
fuhren, in die auch Goethe's Aufenthalt dort fällt. Matthaei gehörte 
bis Frühjahr 1768 der Hochschule an und hatte auch später wieder 
nach vorübergehendem Aufenthalte auswärts Gelegenheit, das Leipziger 
Leben aus unmittelbarer Nähe zu beobachten, als er im Herbst 1768 
als Erzieher des jungen Freiherrn von Friesen nach Rötha bei Leipzig 
übergesiedelt war. 

Matthaei ist eine offene, heitere, liebenswürdige und lebenslustige 
Natur, kein Verstandesmensch, sondern ein Gemüthsmensch, dessen 
Herz vielleicht in verliebter Laune wohl den Kopf beherrschen mag; 
ungefärbt und ungeschminkt gibt er sich in seinen Briefen; er ist 
wahr durch und durch, er bemäntelt nichts und verschweigt nichts; 
um so schätzbarer werden für uns seine Nachrichten. Matthaei 
schreibt über vieles, was in Leipzig zugeht, aber den Kernpunkt und 
Mittelpunkt bildet doch, seitdem er sie kennen gelernt hat, Miß Betty« 
Raspe hatte den jungen Freund zum Überbringer seines Antwort- 
schreibens auf Elisabeths Brief vom 28. Januar gemacht. So be- 
richtet dieser denn am 4. März über seine Eindrücke beim ersten 
Besuch der Sängerin in begeisterten Worten : 

1 Elisabeth an Baspe. Leipzig 28. Jan. 1767. 

2 Körte, der einiges wenige über ihn mittheilt, sagt, daß man von Matthaei's 
Herkunft nichts gewußt habe. s. Hoffmann von Fallersleben,', Findlinge. Bd. I 
S. 418 Anm. 2. 

3 Erhalten sind 48 Briefe Matthaei's aus den Jahren 1 767 — 75. Haspels Briefe 
sind verloren. 

1893. 8 



114 OariSck 



erer. 



»Aber itzo moegen mich die Musen mit ihrem heiligen Feuer be- 
seelen, denn ich rede von einem liebenswürdigen Gegenstande, nicht 
schoen doch reizend, keine Grrazie aber doch eine Hebe angenehm und 
gefaellig; Wer kann Sie einmähl sprechen und den Wunsch nicht 
aeusem, Sie ofte recht ofte zu besuchen. Von wem konnte ich dieses 
Urtheil anders in Leipzig faellen, als von Miß Betty? O Sie haben, 
liebster Freund, Sie haben Unheil angerichtet, daß Sie mich zu dem 
Boten ihres Briefes ernannten, jedoch thun Sie es nur oefter, ich 
will gerne ihr Correspondent seyn. 

Gott! wie hüpfte ich nicht zu der unschuldigen Miß hin, so 
bald ich wieder ausgehen konnte; ich fand mehr als ich suchte; 
viele Freundschaft im Umgange, viele Gefaelligkeit; wie las sie nicht 
mit heiterer Miene ihr Schreiben indem sie bald laechelte, bald gafte; 
mich nach allem was in Hannover ist fragte, ihre Lebens Art in 
England erzaehlte und auf diese Weise mich von II uhr Nachmittags 
bis VI uhr Abends unterhielt. Wer war froher als ich, wer war 
mit sich selbst vergnügter, ich bat sie um einen Brief Einschlus, sie 
versprach es mir, und uebermorgen gehe ich hin den Brief abzuholen: 
Stunden! die ihr den morgenden Tag bringt 

Stunden beflügelt euch! 
Eilt, und bringt mir den Tag, welcher der Freude mich 
Neugebohren entgegen fährt! 

Nun liebster bester Freund, nun unterstützen Sie diese Bekannt- 
schaft, helfen Sie mir fort daß ich oefters sie besuchen darf, daß 
ich sie auf ihrer Cithare hoere und den englischen Ton ihrer Stimme 
einathmen kann; daß ich oefters bey ihr sein darf um mit ihr eng- 
lisch zu schwazen. O schreiben Sie mir ofte und tragen Sie mir 
Bestellungen an Sie auf, schicken Sie ihr durch mich ihre Grüße 
ihre Briefe ihre Marly und alles was Sie wissen; schreiben Sie ihr, 
daß ich wünschte von Herzen wünschte Sie ofte zu besuchen^ daß 
ich ein junger aber furchtsamer Freund sey, daß ich schmachte ihre 

Stimme zu hoeren und ihre Cithare zu hoeren doch dies habe 

ich ja schon alles geschrieben! Wohlan dann stehen Sie mir bey und 
befestigen das gute Werk welches. Sie bereits angefangen haben!!« 

Zwei Tage läßt Matthaei den angefangenen Brief liegen, dann 
eilt er wieder zu seiner Miß, um das versprochene Schreiben abzu* 
holen und sich von neuem an ihrer Liebenswürdigkeit zu berauschen. 
Er fährt fort: 

»d. 4. Merz 

Eben komme ich von Mis Betty; liebster Freund wie voll ist 
meine Seele von diesen lieben Maedgen; sie sang mir einige Eng- 
lische liedergens vor, mit solcher Anmuth, mit solcher ungezwungenen 



Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Beziehgn. zu Rud. Erich Haspe usw. 115 



Art, 80 licht und himmliscli daß mir der Gesang noch in den Ohren 
toent. Endlich sprach ich viel von England mit ihr, und alles was 
sie sprach war WoUaut. . . . Also, bester liebster, unterlassen Sie ja 
nicht alle Briefe die an ihr abgehen^ alles was Sie ihr schicken sollen, 
mir jederzeit zu zu schicken, damit ich es ihr ueberbringen kann, 
und bitten Sie in ihren Namen mir ihre fernere Gunst zu schenken, 
and mir zu erlauben daß ich sie oefbers besuchen kann, um in der 
Englischen Sprache von ihr zu geniesen. . . . Lieben Sie mich noch 
femer. Das gewiseste Zeichen hirvon wird ihre baldige Antwort und 
der Einschlua an die good sweet Betty sein : 

ich bin from all my heart 
ganz der ihrige 

Carl Matthaei.c 

Das Schreiben bedarf, was seinen Verfasser anlangt, keiner Er- 
läuterung; der «kleine Faunci hatte tüchtig Feuer gefangen, der 
Strom des Herzens ergießt sich in die Feder. Wichtig aber und 
nicht unnöthig erscheint es, darauf hinzuweisen, wie wir auch von 
dieser Seite eine Bestätigung der liebenswürdigen und einnehmenden 
Eigenschafben erhalten, die, um seine Heldin Corona Schröter ihr 
gegenüber um so höher zu heben, der Schmeling abzustreiten und 
abzusprechen, sich Keil einst angelegen sein ließ. ^ Chrysander hat 
demgegenüber schon sofort nach Erscheinen des Keil'schen Werkes 
mit Kecht diese Entstellungen zurückgewiesen durch den Hinweis 
auf Gerber, 3 der gleichzeitig in Leipzig lebte und uns in allen 
Stücken das günstigste und beste Bild von der jugendlichen Sängerin 
zeichnet, die ihm »einem bloßen Studenten], der keine Empfehlung 
weiter haben konnte als die Gewogenheit des Herrn Kapellmeisters 
Hillers, und eine brennende Begierde zur Musik« in der gefälligsten 
und freundlichsten Weise Zutritt zu ihrer Person und zu ihrer Kunst 
gestattete. Gerber's Angaben aber decken sich vöUig mit dem, was 
Matthaei zu berichten weiß. 

übrigens machte Letzterer von der ihm nun einmal gebotenen 
Gelegenheit, sich Elisabeth öfters zu nähern »der Englischen Sprache 

1 So nennt Kretschmann, der Matthaei später in Zittau kennen lernte und 
durch ihn mit Raspe bekannt wurde, Jenen in einem Briefe an Letzteren. Zittau 
15. Aug. 1768. Danach ist in dem Kretschmann'schen Hochzeitslied auf Raspe 
(Ahnanaeh der deutschen Musen auf das Jahr 1772 S. 56) das »Und M***, den 
Faunen« auf Matthaei zu beziehen. 

> Vor hundert Jahren. Mittheilungen aber Weimar, Qoethe und Corona 
Schröter ... von Rob. Keil. Bd. 11 S. 35 ff. 

3 s. Chrysander, Corona Schröter. In der Allgem. Musik. Zeitung. 1875 Nr. 41 
bes. Sp. 644 ff. und Gerber, Histor.-biogr. Lexikon der Tonkflnstler . . . Th. I 
Sp. 858. 

8* 



1 1 6 Carl Scherer, 



wegen a fleißigen Gebrauch; er wartete nicht, bis ihm ein Brief aus 
Hannover erst einen passenden Vorwand bot. Am 13. März, wo er 
ihr eine Baspe'sche Romanze, die mit großem Vergnügen gelesen 
wurde, zum Andenken überreichte, schreibt er an den Freund: 
»Vorhero da ich Miß Betty blos als Saengerin kannte, schaezte ich 
sie so wie ich alle Kunst schaeze; aber izo da ich sie als Maedgen 
kennen lernte, als das unschuldigste gefülvolste naiveste Maedgen 
izo wünsche ich alle Tage bei ihr zu sein, ist mir die Stunde glück- 
lich da ich sie sprechen kann; da ich ihren Silberton hoere, und 
ihr flaterhaftes Gespreche, und ihren muntren Schertz . . . Schreiben 
Sie ihr doch, daß sie mir es zu gute halten soU, wenn ich oefters 
zu ihr kaeme, schreiben Sie ihr, daß ich der Englischen Sprache 
wegen es thaete .... dann der Alte Vater lauert wie ein Satan, ^ 
ein besofener Mann der ohnmoeglich der Vater dieser Hebe sein 
kann.« Raspe mochte der leidenschaftliche Stil des Freundes be- 
denklich erscheinen, er fürchtete bei fortgesetztem näheren Verkehr 
mit Elisabeth für die Ruhe des »kleinen feurigen Jünglings« und 
hielt nicht mit seinen Warnungen zurück. Fast wie eine Recht- 
fertigung gegen eine falsche Unterstellung klingt es aus Matthaei's 
Antwort heraus:^ 

»Mein Herz«, so verwahrt er sich, »ist für alles empfindungsvoll 
was edel und gut scheinet; wenn ich eine gute Handlung erzaelen 
hoere steigt mir das Blut in die Wange, sehe ich eine Miß in ihrer 
Unschuld schwezen, hoere ich ihre Toene die die Nachtigall beschae- 
men, so klopft mir das Herz, so wünsche ich von Herzen ihr zu 
zeigen daß ich sie so rechtschaffen schaeze, als es je möglich ist; 
aber kein Lovelace wird mir meine Begierden anfeuern, nie wird 
eine seiner Handlungen mich von meinem Wege abführen um auf 
Neben Wege zu kommen . . . Hoeren Sie hier mein redliches Ge- 
staendnis von der Miß: 

Wann jemals eine andere als gerechte als platonische Empfin- 
dung in meine Seele kam, da ich sie sähe; wann jemals ein anderer 
Wunsch mir entfloh als dieser, konnte ich ihr doch zeigen wie voll 
Achtung meine Seele gegen ihre Unschuld ist, konnte ich ihr doch 
Merkmahle geben wie eifrig ich ihre Kimst schaeze; so moege mir 
der erste Schritt in ihre Wohnung zum Falle gereichen, und mein 
Gewissen mich quaelen, so oft ich sie oder ihren Namen sehe!« 

Zu jener Zeit war der Briefwechsel zwischen Elisabeth und 
Raspe übrigens in gutem Gange. Wieder trafen »Englische Versgen« 



1 Man vergl. damit die Selbstbiogr. a. a. O. Sp. 515. 
'^ Matthaei an Raspe. Leipzig 2. April 1767. 



Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Beziehgn. su Kud. Erich Raspe usw. ( [ 7 



ein wie einst in Hannover; noch bewahrte die Besungene deren eine 
Anzahl aus der früheren Zeit auf, die sie hervorsuchte und wohl 
auch dem bittenden Matthaei zu lesen gab, wenn ein neu ankom- 
mender Brief Raspe's ihr aUe vergnügten Stunden in die Erinnerung 
Eurückrief, die sie gemeinsam mit ihm in Hannover und im neuen 
Hause dort verlebt hatte. »Wie oft«, so konnte Matthaei immer von 
neuem wieder dem Freunde zu dessen Genugthuung mittheilen, 
«spricht dieser kleine Engel von ihnen, fragt ob ich keine Briefe er- 
halten, ob Sie nach England reisen, ob Sie nicht vorher herüber 
kommen woUen, warum Sie nicht schreiben ?ai usw. 

Es war die Zeit, wo Elisabeth sich auf der Bahn des Ruhmes 
emporrang; Anfang April waren die Proben für die »Sancta Helena« ^ 
im Grange, in der ihr die Rolle der Eustasia zufiel, in der Char- 
woche Mitte April erfolgte die erste Aufführung; nsie hat sich selbst 
übertroffen und sich jedermanns Liebe zugezogen« schrieb der be- 
geisterte Matthaei. Mitte Mai folgte ein Konzert, das ihr den 
lauten Jubel der Versammelten eintrug, sie war wohl schon daran 
gewöhnt; denn sie, des Beifalls gewis, sähe ganz ruhig aus, und 
laechelte.« Zachariae aus Braunschweig und Nicolai aus Berlin, die 
sich während der Messe in Leipzig aufhielten und durch Hiller mit 
der Schmeling bekannt gemacht wurden, waren ihres Lobes voll. 
Eben damals dachte diese daran in Familienangelegenheiten nach 
Cassel zu gehen und damit einen Abstecher nach Hannover zu ver- 
binden. ^ Der alte Schmeling, der noch wegen seiner dort zurück- 
gelassenen Sachen mit Raspe in Verhandlungen stand, setzte Letzteren 
von der Absicht am 27. April in Kenntniß: 

»Der Musicus Schröder, solte diese ostem mit tochter und söhn, 
Vom Concert ab gehen, weil aber daß Vor haben ist, diesen sommer 
ein opra auf zu führen, so scheints als ob sie noch werden bleiben, 
durch dieses könde es geschehen, daß wir ein Monat oder 2 eine 
'Reis auf Cassell möchten, und in der Redür auf Hannover gingen, 
al wo wir mit allem Dank Vor'^dero gehabtes Be mühen, uns dankbar 



^ Matthaei an Raspe. Leipzig 20. Mai 1767. 

' Es ist das Hasse'sche Oratorium, das der Sängerin die oft wiederholten 
Verse Ooethe's »Klarster Stimme, froh an Sinn« usw. einbrachte. Löper, G. W. 
(Hempel) Th. lU S. 363 Anm. meint, daß Qoethe einer Auffuhrung des Oratoriums 
im Desember 1767 beigewohnt und danach die Schmeling besungen habe. Kürschner 
in der Allgem. Deutschen Biogr. Bd. XX S. 287 nimmt 1768 als Auffdhrungsjahr 
der »Elena« an. Nach dem Briefe Matthaei's, der die erste Aufführung festlegt, 
könnte Goethe bereits diese besucht haben, s. Matthaei's Briefe Yom 2. April, 
21. April und 20. Mai 1767 sowie Goethe-Jahrbuch, IV S. 194—95. 

3 Matthaei, der die Absicht einer Gasseier Reise bestätigte, meinte, für einen 
guten Freund lägen ja Cassel und Hannover nahe aneinander? 



I \ $ Carl Scherer. 



er zeigen weiden , Man will hoffiiung haben Mein Herrn Raspe künf- 
tige Messe hir zu sehen, wolt-gott es möchte geschehene. 

Die Reise, die auf die Zeit nach Johannis verschoben war, kam 
nicht zur Ausfuhrung. Elisabeth sah ihre Heimat in diesem^ Jahre 
nicht, dagegen hatte mittlerweile Raspe eine seinen Wünschen ent- 
sprechende Anstellung dort gefunden; er war unterm 29. Mai 1767 
zum Inspektor der Casseler Antikensammlung mit dem Charakter 
als Rath ernannt worden. Elisabeth beglückwünschte den Freund 
alsbald mit herzlichen Worten: i^Haveing heardt so schreibt sie »o^ 
your establishement in Cassel I take the opportunity of Congratulal'- 
eing you and Wishing you all the happiness that I tcaul 'd wish my 
selfa. Matthaei, der den Brief mit seinem eigenen Glückwunsch- 
schreiben am 21. Juli absandte, verfehlte nicht, seine neusten Ge- 
dichte auf die Angebetete seines Herzens bei dieser Gelegenheit 
mitzutheilen. Sie lauten: 

»Auf die Veilchen. 

Von allen Blumen auf der Flur 
Sing ich euch holde Veilchen nur 
Die ihr in dunkles Laub verhült 
Mit Wohlgeruch die Lüfte fült! 
Nicht stolz auf euren Vorzug, wie 
Die pralerische Rose, die 
Auf ihren Domentron erhoeht, 
Sich jedes Beifall heischend, dreht; 
Seid ihr, in stiller Sitsamkeit 
Wenn ihr des Menschen Herz erfreut, 
Zufrieden, daß es niemand sieht, 
Wie ihr dem Lenz zur Ehre blüht'; 
Zufrieden, wenn euch niemand dankt, 
Und euch die Tulpe, die nur prangt, 
Vorzieht; gros müthig, nicht erfült 
Vom Neide; kurz — Mis Bettys Bild! 

Dies war eine Anwandlung der poetischen Wuth der ich nicht 
wiederstehen konnte; aber es ist auch ein impromptu; man wird 
dem Verfasser Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Aber hier ist noch 
eines, ich kann dem Trieb nicht wiederstehen; jedoch ich bitte um 
ihre freye Beurtheilung. 

Was fühlt ich, als zum erstenmahle 

Miß Bettys goetlicher Gesang 

Viel süßer als das Lied der Nachtigall im Thale 

Mein Ohr, stets heißer dürstend, trank? 

Ist hier Elysien? Die Lieder 

Des Orpheus, hoeret die mein Ohr 

Singt er Euridicen — nichts trennt von ihr ihn wieder — 

Izt seine ewge Liebe vor? 



Gertrud Elisab. Schmeling lu ihre Besiehgn. su Rud. Ehrieh Raspe usw. \\^ 



Ists der Gesang der Aoniden? 

Hoer ich die Goettin Harmonie? 

Kehrt sie zurück und bringt dem Erdball ewgen Frieden? 

Wie glücklich war er einst durch Sie? 

Nein, Es ist Betty ! frohe Taenie 

Ziehn um sie her die Graiien 

Die Muse des Gesangs flieht ihre Lorbeerkraenze 

Beschaemt ums Haupt der Sterblichen. 

Und aller Menschen Beyfall theilet 

Lautschallend ringsumher die Luft 

Und aller Goetter die sich lange hier verweilet 

Und mehr als süßer Weirauohduft. 

Miß Bettys Lieder schenen 

Beseheiden, Amor! lauschest Du! 

Der Musen Brust, darf nicht Dein Pfeil verlesen 

Stoert er gleich aller Wesen Kuh. 

»Ihr Goetter I wie entzükend süße 

»Ist ihrer Stimme Harmonie! 

» Doch noch viel reisender für uns, viel mehr noch süße 

»Ist ihres Lebens Harmonie! 

»Wie glaenzt die Unschuld ihrer Jugend 

»Die ihr bescheiden Auge spricht; 

»Erhaben trotzet sie an Deiner Hand, o tugend! 

» Dem Laster, das ihr Neze flicht ! 

So sprach sie, welche Deine schoene 

Ihr stets geweihte Seele, so 

Von Jugend auf geformt, die goetliche Athene ! 

O Betty ! küßte Dich und floh ! 

Man wird mir«, so schließt Matthaei, i» vergeben, daß ich mich 
dahin reisen lasse, aber mein Blut lauft geschwinder, und alle meine 
Sinne sind Gefühl, wenn ich bey ihr bin; und doch spielt sie die 
Laute nicht mehr, und singt keine englischen Liedgens mehr dazu; 
was würde ich sonsten fühlen?« 

Raspe beantwortete die Zeilen Elisabeths am 21. August von 
Cassel aus, wohin er etwa Mitte des Monats übergesiedelt sein muß. 
Er hatte zu derselben Zeit zwei junge Engländer, Dr. Houlston und 
Hopson, die nach Leipzig reisten, mit Empfehlungen an Matthaei 
▼ersehen; dieser vermittelte ihnen die Bekanntschaft mit der Stadt, 
ihren Gelehrten, ihrem Theater und vor allem mit seinem »kleinen 
Engel«, der dem ^kleinen Engländera so wohl gefiel, daß er ihm 
ein Liedchen widmete. Der Brief vom 1. September (geschlossen 
6. Sept.), dem wir diese Mittheilungen verdanken, ist noch in anderer 
Hinsicht bemerkenswerth. 

Neben Elisabeth Schmeling war damals, an demselben Konzert- 
unternehmen wie jene, als zweite Sängerin ihre große Nebenbuhlerin 



\ 20 Carl Scherer, 



Corona Schröter angestellt. Wir wissen, daß das Leipziger kunst- 
sinnige Publikum sich in zwei Parteien schied, deren stärkere und 
größere der Fahne der Corona folgte, während die kleinere Schaar 
treu zu Elisabeth hielt. Als ergebenster, eifrigster Anhänger der 
Erstgenannten galt bisher allgemein Schiebeier, der übrigens als 
seine erste Göttin die seit März 1767 am Leipziger Theater wirkende 
Schauspielerin Karoline Schulze verehrte. ^ Jetzt ersehen wir aus 
dem Briefe Matthaei's an Raspe, daß Schiebeier wenigstens nicht so 
fanatisch gegen die Schmeling eingenommen war, daß er nicht 
sogar Anwandlungen gehabt hätte, sich auf ihre Seite zu schlagen. 
»Ich lege hier ein Gedichtgen«, so schreibt M., »von H. Schübeier 
bey;'^ er ist seit einiger Zeit, ohngefere seit 3 Wochen, so platonisch 
in Betty yerliebt, daß er von nichts anders singt und girrt, als von 
ihr. Es ist auf dieses Gedichtgen eine Parodie herausgekommen, 
welche, ob sie gleich witzig, dennoch so boshaft und ungerecht ist, 
daß ich sie nicht abschreiben will. Z. E. 

Durchstroemt von allen Haeßlichkeiten 
Rühmst Du die Schoenheit, singest sie; 
O Schabler schweig, dann Deine Saiten 
Sind leer, wie* Du, von Melodie. 

Verfertige Opern, mache Lieder 
Brauch Deinen Witz, den Gott Dir gab, 
Und horchend neigen Deine Brüder 
Die Esel, sich zu Dir herab. 

Ist das nicht Malice? Der Verfasser ist unbekannte. 

Gewinnt so die Stellung Schiebeler's zu Elisabeth eine etwas 
andere Beleuchtung, so ist derselbe Brief fernerhin nicht uninteressant 
zur Verdeutlichung des Verhältnisses zwischen Vater und Tochter. 
Letztere hat in ihrer Biographie Jenen als einen einfachen, braven 
alten Mann dargestellt und charakterisirt und nur eine pietätvolle 
Kindespflicht erfüllt, wenn sie dabei Fehler und Schwächen ihres 
Vaters verschwieg. Wir müssen uns, denke ich, bei Beurtheilung 
seines Charakters mehr auf das ZeugniB derer stützen, die durch 
keine Rücksichtnahme auf verwandtschaftliche Bande beengt, vor- 
urtheilsfrei den Eindruck des Alten auf sich wirken ließen. Wenn 



1 Man yergl. für die angedeuteten Leipziger Verhältnisse Keil a. a. O. Bd. II 
8. 37 ff.; Biedermann, Goethe und Leipzig. Th. I S. 157—159, Th. II S. 56—50 und 
die Biographien der Mara. Für die Stellung Schiebeler's zur Schulze sind Tor 
allem Matthaei's Briefe beweisend. S. auch ihre von Uhde herausgegebene Selbst- 
biographie im Historischen Taschenbuch. 5. Folge. , 3. Jhrg. S. 394 und 402. 

2 Leider ist es nicht mehr vorhanden. 



Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Beziehgn. zu Rud. Erich Raspe usw. 1 2 1 



Heyne über den alten Schmeling sich dahin äußert, ^ daß er der 
Tochter »keine große Empfehlung mache« , so ist dies ja kein Vor- 
wurf, der den Charakter trifft, vergißt doch der Schreiber selbst 
nicht hinzuzufügen, daß der Vater »ein gutes ehrliches Stück Mann 
sei«; bedenklich aber klingt es, wenn Matthaei aus seiner Erfahrung 
heraus ihn einen »besofnen Manne nennt ;^ und jetzt berichtet, daß 
der Vater die Tochter Jisehr grob und ungeschliffen traktire«, sie 
nicht als Kind sondern als Sklavin behandele. Seit einigen Wochen 
führe sie ein sehr verdrießliches Leben, »es ist zu bedauren wie sie 
aussieht, sie weint mehr als sie laechelt, ... oft wünscht Betty in 
Cassel bei ihnen zu seyn, und ich wünsche es mit«. Was immer 
die Veranlassung des Zwistes, der damals zwischen Vater und 
Tochter ausgebrochen, aber schon am 1. Oktober wieder beigelegt 
war, gewesen sein mag, Matthaei's Äußerungen sind für den Alten 
belastend. 

Es tritt nun leider in dem Briefwechsel, veranlaßt durch Raspe's 
Schuld, eine längere Pause ein. Matthaei hatte Leipzig im Frühjahr 
1 768 verlassen und durch Geliert's Verwendung eine Hofmeisterstelle 
bei einem Kaufmann in Zittau erhalten. Von dort knüpft er am 
6. März 1768 die unterbrochenen Beziehimgen mit Raspe wieder an. 
Worte des herzlichsten Dankes sind es, die er dem Freunde zollt 
für alles, was er durch seine Vermittelung in Leipzig angenehmes 
genossen habe. » Wann das Leben heist, wo man in einer Ruhe und 
Glückseligkeit sich und die Welt zufrieden betrachten, und ungestoert 
genießen kann, so habe ich nicht laenger als ein einziges Jahr gelebt, 
und dieses ist der Anfang da ich Mis Betty kennen lernte. er Er 
rühmt an ihr den Gewinn an Lebensart und Bildung, den sie als 
Frucht aus dem Leipziger Aufenthalt gezogen habe, er erwähnt ihre 
Vervollkommnung am Dresdener Hofe, sie sei der Liebling der ganzen 
Stadt, und er sei glückselig gewesen sie zur Freundin — gehabt zu 
haben. Also auch Matthaei hat entsagt. Wehmüthig klingt es aus : 
«Doch dieser Sommer-Nachts-Traum ist vorbeyl Gerürt gebe ich 
ihnen den Dank zurüke für dieses Glüke, welches ich vieleicht — 
Gott weiß es — niemals oder nicht so volkommen in meinem Leben 
gemessen werde 1« Ja, Matthei kommt noch weiter in seiner Er- 
kenntniß ; er gelangt zu einer gewissen Erniichterung, die zum Theil 
wohl erweckt und geiuLhrt wird durch die Öde und Leere der lang- 
weiligen Stadt, in der er nun lebt, und durch die Unzufriedenheit 
mit seinem Wirkungskreise. »Der Taumelkelch«, äußert er mit Bezug 



1 Heyne an Raspe. Göttingen 27. April 1766. 
• Matthaei an Kaspe. Leipzig 13. M&rs 1767. 



.4- 



122 • Carl Scherer, 



auf seine Schwärmerei für die Schmeling am 7. April 1768, »hatte 
mich so benebelt, daß ich berauj»cht nicht zu mir wieder selbst kommen 
konnte, biß ich endlich und endlich — aber o wie spaet erwacht 
die traurige Vernunft sähe daß bey derjenigen Betty, wo ich nichts 
fand als: Grace in her steps, Heavn in her eye, in every gesture 
dignity and lowe, ich mich endlich gezwungen fand zu sagen: 

oh! tchy did God 

Creator wise^ that peopled highess. Heaven 
With Spirits masculine creaie at last 
That novelty on earth, this fair defect 
of Naturefv. 

Schon im Mai gab Matthaei seine Thät^keit in Zittau auf; nach 
kurzem Aufenthalt in Dresden, wo er ein ihm Ton Hagedorn ange- 
tragenes Ämtchen als Unteraufseher am Kupferstichkabinet ablehnte 
mit Rücksicht auf eine ihm von Raspe angebotene HofmeistersteUe 
bei Herrn von Busche zu Bruche im Osnabrückischen, wandte er 
sich, weil das Pflaster in der sächsischen Residenz zu theuer war, 
nach Annabei^ zu seinem alten Freunde, dem Rektor Gotleber. 
Auf der Fahrt nach Osnabrück sollte ein Aufenthalt bei Raspe ge- 
nommen werden. Der Besuch in Cassel, das dem Reisenden sehr 
mißfiel wegen der dortigen gesellschaftlichen Zustände, wurde aus- 
geführt, die Weiterreise aber unterblieb, weil für Matthaei sich mitt- 
lerweile bessere Aussichten auf eine Beschäftigung im Friesen'schen 
Hause als Hofineister des jungen Freiheirn eröffnet hatten. Matthaei 
nahm seinen Weg über Leipzig, wo Raspe's Briefe an Betty und 
Weisse abgegeben wurden, und stellte sich dem Oheim seines Zög- 
lings Grafen Werthem in Kreynitz vor;^ Mitte Oktober wurde nach 
einem Abstecher nach Dresden Rötha, der alte Friesen'sche Stamm- 
sitz, erreicht, » 3 Stunden von Leipzig . . . Ein kurzer Weg, oefters 
Leipzig oder Betty zu besuchen. « Noch war die Messe nicht vor- 
über, einige Tage der letzten Woche wurden in Leipzig verbracht; 
wieder führte wie vormals täglich der Weg zu der Miß; gemeinsam 
mit ihr wurde Abends zum Ärger des neidischen Zehmisch die Komödie 
besucht. Schon am 19. konnte Matthaei an Raspe die ersten Grüße 
übermitteln und hinzufugen »sie wird taeglich angenehmer, taeglich 
liebenswürdiger, so wie der Haufe ihrer Anbeter taeglich sich auf- 
haeuft und zerstiebt«.^ Von neuem rühmt Matthaei ihre Vervoll- 
kommnung im Umgänge; ihre fortgeschrittene Bildung, ihre Muntei- 
keit im Gespräche, ihre Gefälligkeit; Kauf- und Handelsleute, 



1 Matthaei*8 Briefe vom 9. Juni 1768 — 9. Oktober 1768. 
* Matthaerg Briefe vom 27. Okt. 1768 u. 7. Febr. 1769. 



Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre Besiehgn. zu Rud. Erich Raspe usw. "I 23 



Studenten, Ladendiener, Schreiber, Duncen, Bauchhändlei und Fedei- 
hüter umschwärmen sie wie Bienen. Unter den Liebhabern schmelzen c, 
so scherzt Matthaei, »noch immer Junge Herren mit ihren Hofmeistem« ; 
auch die Presse beeifert sich mit Buhmeserhebungen, Herr Hirsch- 
feld, der eine Wochenschrift, den Winter betitelt, drucken ließ, 
brachte in dessen 10. Stück Lobeserhebungen auf die »fürtreffliche 
Schmel. mit ausgedruckten Namen in Schwobacher Schrift.« 

Die Nachrichten über Elisabeth werden von jetzt ab spärlich; 
der litterarische Streit mit Klotz, geführt von Lessing, Raspe, Nicolai 
u. a. nimmt eines Theils den größeren Inhalt der Briefe ein, ander- 
seits liegt der Grund darin, daß Matthaei in der Begel nur noch 
zur Meßzeit nach Leipzig kommt. AuffaUend ist es, daß in den 
Briefen immer die zunehmende Bildung der Freundin betont wird; 
man wird gewiß hieraus einen negativen Schluß für die frühere Zeit 
machen dürfen und das »Kleinparis« als ihre beste geistige Bildnerin 
betrachten müssen. Sie war in der großen Stadt eine Andere geworden. 
»Ihr Auge«, dünkt Matthaei, j» blickt nicht mehr die goettergleiche 
Vnschuld, die ich 1766 sah, aber noch ist sie ein Engel und verdient 
je eine Person glücklich zu sein, verdieut je eine unsere frommen 
Wünsche, so ist sie es gewiß.« ^ Mit wie ganz anderen Augen Matthaei 
aber seine Heldin jetzt ansieht, zeigt sein eifriger Wunsch, daß Raspe 
nach Leipzig kommen möge, um wenigstens die Schrötern zu sehen; 
sie sei ganz für ihn geschaffen, sie allein wäre schon die lohnendste 
Vergütung für die Mühen einer Reise, Herr Tischbein könne ihm 
als bester Grewährsmann einen Kommentar hierüber geben. ^ 

Raspe's Stellung zu Elisabeth hatte sich mittlerweilen auch wieder 
geändert. Der Briefwechsel stockte; man hoffte, sich bald persönlich zu 
sehen. Erst wartete Raspe das Eintreffen jener in Cassel ab, das 
für 1767 und wieder für 1768 in Aussicht [genommen war, dann 
kündigte dieser selbst einen persönlichen Besuch in Leipzig an, der 
hinterher nicht zur Ausfuhrung gelangte. Zumeist aber fehlte es 
doch, nachdem Matthaei sich von der Schmeling mehr zurückgezogen 
hatte, an einer Mittelsperson, die in gleich eifriger Weise wie einst- 
mals jener den Verkehr aufrecht erhalten hätte. Ein Brief Elisabeths 
möge noch hier seine Stelle finden, weil er für lange Zeit dann die 
Beziehungen schließt. Er lautet: 

Leipzig 18, August 1768, 
Sir, 

I must beg Pardon for not answering Your letter sooner, which. 
I would not kave faild to have done^ had it not been for the hopes 



i Matthaei an Raspe. 8. Mai 1769. 
^ Derselbe an Raspe. 13. Juli 1769. 



t24 ^^^^ Seherer, 



of seiitff Yau my seif this Summer in Oassel^ tchich now I must give 
up, for there is no likelyhood of my coming this Year. Thus I must 
Comfort myself wiih the hopes of having that Pleasure next Summer, 
I am very much JRejoiced to hear that all my friends are well, and 
that Fm StiU in their Kind Remembrens. Pray make my Complimenf 
to them allj and teil them hoto much I loos being depreiv*d of their 
Company, Likeunse I rejoice very much to hear, that You are so happy 
establishedy and I toihs you may like that Toum better than You did 
Hannover. IVhen You Rite to Your Sister make my Compliment to 
heTy and Recomend me to her Kind Rememberence and friendship and 
teil her how much I toish to have the Pleasure to See her ones more, 
and if ever I ShuTd come to Braun — Schweig I whuld not faü to wait 
upon her, My Papa presents his Compliment to You, and wihses 
You all the contentment You can wish Yourself As does liketaise 

Your 
most humble Servt and friend 
E. Schmeling. 

Ab und zu kommt auch später noch eine Mittheilung Ton Rötha 
her, aber die Tonart Matthaei's ist eine andere geworden als früher, 
sie klingt kühl, sie ist ärgerlich. »Unsere Miß Betty «, so schreibt 
er beispielsweise am 24. Mai 1770, »ist ganz Leipziger Stadt und 
Ehren Dame, das Wort doch jederzeit in dem besten Verstände ge« 
nommen; aber verteufelt geziert, ein bisgen coquet, und kann ant- 
worten wie man will, soupirt, besucht Baelle und Comoedien, nimmt 
Besuche an und spricht franzoesisch. Nun mein lieber Raspe, was 
wollen Sie mehr, was wollen Sie mehr?« 

Im Dezember 1770 verließ Matthaei mit seinem Zögling Rötha ; 
der Besuch des Carolinums in Braunschweig war zunächst nach dem 
Erziehungsplane vorgesehen, das Weihnachtsfest wurde bereits an dem 
neuen Wohnort, der für den bildungsdurstigen Geist des Hofmeisters 
in Folge seiner Bekanntschaft mit Ebert, Zachariae, Gärtner, Jerusalem 
u. a. besonders erwünscht und angenehm erscheinen mußte, zuge- 
bracht. Im Frühjahr 1771 löste Elisabeth Schmeling ihren Leipziger 
Vertrag und kehrte der Stadt, der sie so ungemein viel zu danken 
hatte, den Rücken. Wenige Monate später war sie als erste Sängerin 
des Königs von Preußen in Berlin angestellt. Ebert, der im Herbst 
des Jahres dorthin reiste und die »kleine Betty Schmeling« hörte, 
»war mitten durch das Herz geschossen und seufzte«, als er nach 
Braunschweig zurückkehrte. »Ernsthaft«, fügt Matthaei hinzu, jssie 
soll in Berlin mit Ehre, Lob und allen Guten so ueberhaeuft sein. 



Gtertrud Elisab. Schmeling u. ihre Beziehgn. cu Rud. Erich Raspe usw. |25 



daB man fürchtet, es werde das Zu viele Gute ihr eben nicht dienlich 
seyn; sie soll bereits eine ziemliche Dosis Buhlerey und Eitelkeit 
haben und im Begriffe stehen sie zu verfeinern und voUkomner zu 
machen. « 

Raspe war kurz zuvor, ehe die Schmeling nach dort kam, in 
Berlin einige Wochen gewesen; er hatte am 9. April die Tochter eines 
Dr. Lange, Babette, mit der er sich im Herbst zuvor verlobt hatte, 
als Crattin heimgeführt. 2 Jahre später that Elisabeth den gleichen 
Schritt, indem sie dem Violoncellisten Mara die Hand reichte. Raspe, 
der im eifrigen Briefwechsel mit einflußreichen Berliner Persönlich- 
keiten schon vorher gestanden hatte und weiter noch stand, der gerade 
jener Zeit nichts mehr betrieb, als einen Ruf an die Königliche Aka- 
demie zu erhalten, ist doch nicht eher als im Herbst 1774 wieder 
nach der Preußischen Hauptstadt gekommen. Daß er damals noch 
einmal die Jugendgeliebte gesehen und gesprochen hat, ist nicht eben 
unwahrscheinlich, hatte er sich doch noch kurz zuvor ihr, der Hoch- 
gefeierten, in Erinnerung zu bringen gesucht, wie folgendes Schreiben, 
dessen Entwurf sich im Nachlaß erhalten hat, beweist: 

A Madame Mara 

nee Smeling ä Berlin, 

Cassell 27, March 1774. 
Madame 

Supposing that neither the dazzKng lustre of glory You live in 
nor time and vidssitudes of Life can have cancelVd out of Your good- 
naturd tnind Your sincerest friends abroad I venture to remind me 
to Your remembrance by heartfelt congratulations and wishes, Tis 
no courtiers bon paid to beauty and talents in highest favour, No 
Tis friendship gladden'd by Your happiness and the greatest mans 
Uving flattering applause; fis friendship sharing Your satisfaction in 
every respect and evensdting in benevolence to You even toith the law- 
reltd Hero at Sans-Soucy and the man You likemost, Theydid You 
justice. I hope and unsh they will do So for ever^ and You not only 
JSindly receive these mine and my ladies sentiments but likeunse allow 
fne to be and order me to shew when occasions offer how much and 
since rely I am 

Madame 

Your 

most obedient humble Servant 

Raspe, 



126 - ^'^^ Soherer, 



Als die Mara zum eisten Male wieder seit 1766 im Jahre 1777 
nach Cassel kam, ^ um sich vor ihren Landsleuten als Meisterin des 
Gesanges hören zu lassen, traf sie den Jugendfreund nicht mehr dort 
an. Der Untersuchung und Strafe, die ihn wegen schwerer Ver- 
untreuung; begangen in seinem Amte als Aufseher der Antiken treffen 
sollte, hatte sich Raspe im März 1775 durch die Flucht entzogen; 
steckbrieflich verfolgt, war es ihm gleichwohl geglückt, nach England 
zu entkommen, wo er als Verbrecher und Verbannter seine letzten 
Lebensjahre verbracht hat, die der deutschen Litteratur den » Münch- 
hausen « zuführten. Während Elisabeth Schmeling unablässig empor- 
strebend die steilsten Huhmeshöhen erstieg, war Rudolf Erich Raspe 
hinabgestürzt in den tiefen Abgrund selbstverschuldeter Unehre und 
Schande. Matthaei blieb dem Freunde treu bis zu dessen Katastrophe; 
der letzte Brief an ihn ist in Wittenberg, wohin der junge Friesen 



1 Die Mara gibt in ihrer Selbstbiographie Sp. 564 das Jahr 1777 als dasjenige 
ihrer Heise nach Leipzig, Frankfurt, Cassel und Spa an, während sie in das Jahr 
1778 einen Aufenthalt in Straßburg setzt. Grosheim, Das Leben der Künstlerin 
Mara. S. 23 ff., läßt gleichfalls das erste Casseler Konzert 1777 stattfinden und 
die Sängerin während der Pfingstzeit, also Ende Mai, in ihrer Heimath weilen. 
Dagegen hat in dem von ihm gebrauchten Handkalender [im Besitz der Casseler 
Landesbibliothek] Landgraf Friedrich II. eigenhändig zum 22. September 1778 
vermerkt : AU^ a Cassel [näml. von Weißen stein, wo er residirte.] V Apres dind 
pour un Grand Concert sur Le grand Theaire donne par M, ^ Mara, Daß diese 
Angabe zuverläßig ist, mithin thatsächlich die Mara damals konzertirt hat, unter- 
liegt keinem Zweifel. Es bleiben zwei Möglichkeiten, die Sch¥rierigkeit zu lösen ; 
entweder, es sind 2 Konzerte gegeben, das eine 1777, das andere 1778, oder 
es hat nur eins stattgefunden und zwar 1778. Im ersten Falle bleibt es auf- 
fallend, daß der Landgraf, der doch gerade beim ersten Auftreten der Mara nach 
ihrer langen Abwesenheit Yon Cassel zugegen gewesen ist und dabei letztere so sehr 
auszeichnete, den Eintrag dieses Ereignisses in seinen 1777er Kalender yergessen 
haben sollte; auch würde Grosheim, der in Cassel damals lebte, sicher von einem 
zweimaligen Auftreten uns berichtet haben. Hat die Mara aber thatsächlich nur 
einmal im Jahre 1778 gesungen, — bemerkenswerth ist dabei, daß mit des Land* 
grafen Angabe, wonach das Konzert im Theater stattfand, auch die Berichte, die 
ersteres in das Jahr 1777 setzen, übereinstimmen — so muß man den Biographien 
eine Ungenauigkeit Yorwerfen. Grosheim, der als 13 jähriger Knabe dem Kon- 
zert beiwohnte, kann sich wohl in seiner Erinnerung getäuscht haben, die Mara 
selbst aber, die, wie wir wissen, sich im allgemeinen bei Abfassung ihrer Biogra- 
phie auf ihr Gedächtniß verließ, hat möglicher Weise den zeitlichen Ansatz 1777 
erst Grosheim's 1823 erschienenem Werkchen entnommen. Die beiden Casseler 
Zeitungen aus jener Zeit gedenken leider des Auftretens der Mara mit keiner 
Silbe, sonst würde die Frage unschwer zu lösen sein. — Ergänzend sei hinzuge- 
fügt, daß in Weimar im Jahre 1778 2 Konzerte von der Mara gegeben sein müssen. 
Sie sang am 8. Oktober auf der Bückreise Yon Straßburg (s. Keil a. a. O. Bd. I 
S. 165 und Bd. II S. 152) und hatte, wie die Weimarer Fourierbücher (s. Qoethe- 
Jahrbuch. VI S. 154) ausweisen, gemeinsam mit ihrem Manne auch am 21. Juli 
desselben Jahres konzertirt. 



Gertrud Elisab. Schmeling u. ihre BesiehgD. zu Rud. Erich Haspe usw. f 27 



mitsememEizieherim Frühsommer 1773 gegangen war, am 15. Jan. 1775 
geschrieben. Goethe's » Götz « ist damals der Gegenstand ihrer Unter- 
haltung; er hatte auf beide die gleiche gewaltige Wirkung ausgeübt.^ 
Matthaei hatte später Gelegenheit, Goethe, dem er als Student in 
Leipzig unseres Wissens nicht naher trat, persönlich noch mehrfach zu 
begegnen ; die Bekanntschaft, die vielleicht von Hannover aus durch 
die Familie Kestner vermittelt war, wurde erneuert bei Goethe's 
Besuche in Lausanne 1779^ und noch in den 80er Jahren erinnert 
sich der Dichter in seinen Briefen an Lavater und die Marquise 
Branconi des »guten Mattei«, der im Hause der schönen Frau seit 
1777 als Hofmeister ihres Sohnes, des Grafen Forstenburg, weilte. 
Matthaei starb am 19. Juli 1830 zu Neustrelitz als Mecklenburgischer 
Titular-Legationsrath im 90. Lebensjahre. ^ 



^ Briefe Matthaei's 5. Okt. 1773 und 15. Jan. 1775 und Höpfner an Raspe. 
Gießen 23. April 1774 im Weimar. Jahrbuch. Jhrg. UI S. 68. 

< Die verstreuten Notizen über Matthaei werden an anderer Stelle vereinigt 
werden. Über seinen Todestag s. Neuer Nekrolog der Deutschen. Jahrg. VIII (1830^ 
Th. II S. 966. 



Die Entstehnngszeit der Oavertnre zn Leonore Nr. 1 

Op. 138, 

mit anschließenden kritischen Bemerkungen 
zu Nottebohm's Beethoveniana. 



Von 

Albert Leyinsohn. 



I. 

Einleitung. 

Es gilt heute als ausgemacht, dass die noch immer als Nr. 1 
bezeichnete Ouvertüre Op. 138 der Entstehung nach nicht, wie 
man früher annahm, die erste, sondern die dritte der vier Ouvertüren 
zu Leonore-FideUo ist. Diese Änderung der chronologischen Be- 
stimmung geht aus von Nottebohm's in der »Allg. mus. Ztg.« und 
bald darauf in seinen Beethoveniana veröfTentlichten Aufsatze, und 
sie ist durch seine Autorität zu allgemeiner Geltung gelangt. Eine 
Würdigung der Argumente und ein auf Grund davon erhobener 
Widerspruch ist enthalten in meinem Aufsatz in Nr. 50 der »Allg. 
mus. Ztg.« von 1882, zum Theil veranlaßt durch das 1880 von Notte- 
bohm herausgegebene Skizzenbuch von 1803, durch welches ein aus 
der Entstehungszeit der (7 moU- Symphonie zu entnehmendes Argu- 
ment entkräftet wurde. Daß meine Ausführungen irgend welche 
Beachtung gefunden haben, ist mir nicht bekannt geworden (Notte- 
bohm war gerade gestorben), und da die Frage ein nicht blos chrono- 
logisches, sondern ein immerhin erhebliches musikalisches Interesse 
hat, so möchte ich nochmals die Aufmerksamkeit auf sie lenken 
durch eine ausfuhrliche Untersuchung mit Berücksichtigung der aus 
dem Nachlaß erschienenen zweiten Beethoveniana Nottebohm's 
(1887). 

Es wird wohl Niemand leugnen, daß bei Vergleichung der drei 
Ouvertüren in Cdur es sich als eine sehr natürlich scheinende 



Die Entfltehungsseit der Ouyerture zu Leonore Nr. 1. i29 



Annahme ergibt, daB Nr. 1 zuerst komponirt ist, und daß es bei 
lediglich musikalischer Betrachtung eine gewisse Überwindung kostet, 
zu glauben, sie sei erst nach den anderen beiden entstanden. Mit 
diesen dreien, sowie mit der Oper, hat die 1814 komponirte Ouver- 
türe in Ednx keinen Zusammenhang. Anders bei Nr. 1. Mit der 
Oper verbindet sie der darin angenommene Anfang der Florestan- 
Arie; eben das hat sie auch mit Nr. 2 und 3 gemein. Fernere 
Ähnlichkeiten sind die TonaVt, die Einleitung, in der die Haupt* 
tonart des Allegros noch nicht festgestellt wird, ein gewisser Charakter 
des ufl/Ze^o-Themas, die Art der Einfährung oder Wiedereinführung 
des Themas durch allmähliches Emporsteigen. Nr. 2 und 3 bieten aber 
eine viel großartigere Ausführung dieser Ideen, und das Motiv der 
Florestan-Arie, welches in Nr. 1 als Zwischenstück enthalten ist, ist 
in jenen als zweites Thema zu einem organischen Bestandttheil des 
AUegros geworden. Es erscheint durchaus verständlich, daß, was 
man firüher für wahr hielt, Beethoven diese Ouvertüre als für den 
Inhalt der Oper nicht großartig genug verworfen hat, und Thayer 
hat sehr Unrecht, wenn er mit Berufung auf Nottebohm meint, die 
vielen beredten Betrachtungen über die erstaunliche Fortentwicklung 
von Beethoven's Schöpferkraft, wie sie sich in dem Fortschreiten von 
Nr. 1 zu Nr. 3 zeige, seien mit einem Schlage der Thorheit und 
Lächerlichkeit verfallen. Diese Betrachtungen waren vielmehr wohl^ 
begründet, und würden sich auch dann nicht als lächerlich erweisen, 
wenn sie aufgegeben werden müßten. Sie sind sogar so gut be- 
gründet, daß nur die unzweifelhaftesten Beweise uns nöthigen dürften 
sie auftugeben. 

Schlüsse auf die Handlungen der Menschen zu machen, ist und 
bleibt eine unsichere Sache, und lächerlich wäre es, die Unmöglichkeit 
behaupten zu wollen, daß sich Beethoven nach der Komposition der 
großen Ouvertüren habe entschließen können, sich auf den beschränk- 
teren Standpunkt von Nr. 1 zurückzuversetzen. Die aus der musi- 
kalischen Vergleichung genommenen Prämissen ergeben höchstens 
eine sehr wahrscheinliche Folgerung. Dazu aber, um diese »mit 
einem Schlage « als unrichtig zu erweisen, gehört auch wirklich etwas 
Schlagendes, eine sichere Thatsache. Statt dessen finden wir ein 
etwas künstliches Gebäude von Schlußfolgerungen, bei denen einige 
Skizzen und ihr chronologisches Verhältniß eine Hauptrolle spielen. 
Dadurch erhält die Frage außer dem musikalischen Interesse noch 
ein anderes; sie giebt Anlaß zur Prüfung, in wie weit solche Skizzen 
überhaupt einen sicheren Anhalt zu chronologischen Feststellungen 
bieten. Obschon bereits Andere, namentlich Jahn und Thayer, Skizzen 
Beethoven's musikalisch und chronologisch benutzt haben, so 

1893. 9 



]30 Albert Levinsobn. 



verdanken wir doch die Kenntniß eines großen Theils und die Erleich- 
terung ihrer Yerwerthung ganz besondere den mit umfassender 
Kenntniß und philologischer Sorgfalt unternommenen Veröffentlichun- 
gen Nottebohm's. Das Verdienst dieser mühevollen Arbeiten hat 
noch bei weitem nicht genügende Anerkennung gefunden. Es be- 
steht nicht nur in der chronologischen Ausbeute, sondern vor Allem 
in 'der Auswahl, Zusammenstellung und Interpretation von Skizzen, 
wodurch uns ein lebendiges Bild de/ merkwürdigen Entwicklung 
der größten Werke aus kleinsten Ansätzen und oft wunderlich 
tastenden Versuchen gegeben wird. Auf dieses Verdienst geziemt es 
mir hier hinzuweisen, weil ich als ein Opponent gegen manche 
mehr oder weniger wichtige Einzelheiten auftrete; daß das nur ge- 
schieht, indem ich auf dem vom Meister gebahnten Wege weitergehe, 
spreche ich hiermit zum Beginn gern aus. 

Die andauernde Beschäftigung mit einem wenig oder gar nicht 
benutzten Material fuhrt aber leicht zur Einseitigkeit und XJber- 
Schätzung, und davon ist Nottebohm nicht frei geblieben. Die 
Bedeutung der gelehrten Forschung erscheint dann am größten, 
wenn sie eine Annahme, welche bislang allgemein als eine natürliche 
gegolten hat, als falsch erweist. Das befördert leicht die Neigung, 
sich mit solchen Annahmen in Widerspruch zu setzen,, und in seiner 
Wirkung führt es einen Cirkel herbei. Auf Grund des Ansehens der 
gelehrten Forschung und der Autorität eines in einem gewissen Ge* 
biet besonders Thätigen wird das Ergebniß anerkannt, und diese 
Anerkennung wiederum dient zur Stärkung der Autorität, um so 
mehr, je allgemeiner und scheinbar sicherer die umgestoßene Ansicht 
in Geltung gewesen ist. 

II. 

Daten zur Geschichte der Ouvertüre Op. 138. 

Nachdem ich mich durch Erinnerung an das an die Frage ge- 
knüpfte Interesse und durch kurze Übersiebt über die Sachlage der 
unparteiischen Aufmerksamkeit des Lesers versichert habe, gehe ich 
zunächst an die Betrachtung der über die Ouvertüre Op. 138 vor- 
liegenden Mittheilungen. 

In der »Leipziger Allg. Mus. Ztg.« von 1828 wird (s. Nottebohm, 
Beethoveniana S. 60) berichtet, daß Tobias Haslinger auf der Auktion 
von Beethoven's Nachlaß unter Anderem für einen Spottpreis ein 
Päckchen Tänze, Märsche u. dgl. erstand und darin die Partitur 
nebst ausgezogenen Orchesterstimmen einher ganz unbekannten, großen, 
charakteristischen Ouvertüre fand, welche der Meister, wie sich 



Die Entstehungszeit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1 . ] 3 1 



Schuppanzigb erinnerte, wohl Tor einigen Jahren probiren ließ, was 
auch die eigenhändig mit Rothstift verbesserten Schreibfehler be- 
zeugen. Die Partitur ist eine Abschrift; über das Autograph ist 
nichts bekannt. In der Stimme der ersten Violine sind von Beetho- 
ven die Worte »Charakteristische Ouvertüre« hinzugefügt. Sie wurde 
1828 in zwei Konzerten aufgeführt, worüber mehrere Zeitungsbe- 
richte vorliegen, nach denen zu urtheilen, seltsamerweise der Anfang 
der Florestan-Arie und damit die Bestipimung der Ouvertüre nicht 
gleich erkannt worden ist. In den bekannten gefälschten Studien 
Beethoven's von Seyfried, welche 1832 erschienen, findet sich die 
Mittheilung, es sei eine für die Prager Bühne entworfene minder 
schwierige Ouvertüre zu Fidelio, und der Verleger Hashnger macht 
dasu die Anmerkung, sie werde noch im Laufe des Jahres erscheinen, 
Sie erschien aber mit der Angabe »komponirt im Jahre 1805 zur Oper 
Leonore«, womit Seyfiried's Angabe übergangen war, da die Oper zum 
ersten Male am 20. November 1805 aufgeführt worden ist, und 
etwaige Unterhandlungen mit der Prager Bühne 1805 nicht statt- 
gefunden haben können. 

Nottebohm nun findet es unerklärlich, wie HasUnger zu dieser 
abweichenden Datirung kommen konnte, und man hat darin ein Bei- 
spiel für seine gel^entlich einseitige Betrachtungsweise. Denn unerklär- 
lich ist es nur, wenn man die nächstliegende Erklärung abweist, näm- 
lich daß er inzwischen andere Mittheilungen erhalten hatte, die er für 
suverlässiger hielt. Geschäftliche Interessen können nicht mitge- 
spielt haben. Daß Haslinger und Andere aus der musikalischen 
Beschaffenheit der Ouvertüre auf eine frühere Entstehungszeit ge- 
fichlossen haben, ist möglich, daß das allein der Grund gewesen 
sein soll, von Seyfried's Angabe abzuweichen, nicht gerade wahr- 
scheinlich. Selbstverständlich hat man sich damals in Wien über 
die Ouvertüre besprochen, und da noch genug Musiker und nahe 
Freunde Beethoven's lebten, welche die ersten Aufführungen mit- 
erlebt hatten , so mochte wohl Einer oder der Andere sich einer 
beiseite gelegten Ouvertüre erinnern. Schindler erzählt in der ersten 
Auflage seiner Biographie, ohne Berücksichtigung der Angabe Sey- 
fried's und der Geschichte von der zufälligen Auffindung: »Der 
Komponist hatte selbst kein rechtes Vertrauen dazu, war daher ein- 
verstanden, daß sie vorerst von einem kleinen Orchester bei Fürst 
Liehnowsky versucht werde. Dort wurde sie von einer Kennerschar 
einstimmig für zu leicht, und den Lihalt des Werkes zu wenig be- 
zeichnend gefunden, folglich beiseite gelegt, und kam bei Lebzeiteii 
Beethoven's nimmermehr zum Vorschein«. In den späteren Auflagen 
hat er das, nach seiner leidigen Manier, theatralisch ausgeschmückt^ 

9» 



1*32 Albert Lerinsohn, 



und spricht von einem zu Gericht sitzenden Areopag. Nottebohm 
greift das, als seinem Zweck, die Erzählung unwahr erscheinen za 
lassen, dienlich auf und schreibt: «Da kann man doch fragen: Wer 
hatte den musikalischen Gerichtshof eingesetzt, dem sich Beethoven 
zu fügen hatte?« Es ist eine bedenkliche Art von Kritik, die sich 
an diese Ausdrucksweise anschließt. G^gen den Inhalt der Erzäh- 
lung ist nichts zu sagen; er erscheint ganz glaubhaft, und ob nun 
das ürtheil seiner Freunde^ mehr oder weniger zu dem Entschloß 
beigetragen hat, so wird man ihn jedenfalls ganz begreiflich finden. 
Nicht nur an der Oper gemessen, sondern auch gegen die voran- 
gegangene zweite und dritte Symphonie gehalten, erscheint sie klein- 
lich, und steht dem Standpunkt der ersten Symphonie näher; Marx^ 
abweichendes ürtheil beruht auf seiner Marotte, immer den ersten 
Wurf für den richtigen zu halten. Schumann schrieb über sie: »Sie 
ist bis auf eine matte Stelle ein schönes frisches Musikstück und 
BeethoTcn's gar wohl würdig. Einleitung, Übergang in's AüegrOy 
das erste Thema, die Erinnerung an Florestan's Arie, das Crescendo 
am Schluß — das reiche Gemüth des Meisters blickt aus allem 
diesen«. Mehr wußte auch er nicht zu sagen. 

Woher nun Schindler seine KenntniB hat, ist eben so wenig 
bekannt, wie von HasUnger. Daß er nicht gerade allzu zuyerläßig 
in seinen Mittheilungen ist, das ist genugsam bekannt. Dennoch ist 
kein Grund, ohne Weiteres seine Angabe als &lsch, und die Has- 
linger's als unerklärlich zu erklären, nur deshalb, weil man nicht 
ihre Quelle kennt. Nottebohm bringt in Betreff des letzteren eine 
sehr künstliche und unwahrscheinliche Vermathung vor. Er be- 
hauptet, in jenem Jahre habe man von der Existenz der Ouvertüre 
No. 2 nichts gewußt, sondern nur Nr. 3 und 4 gekannt. Das will 
er durch einige Musikberichte aus den Jahren 1831 und 1832 be* 
weisen, in dem Nr. 3 erwähnt wird, und nun meint er, Haslinger 
oder sein Gewährsmann habe sich eingeredet, die Ouvertüre Op. 138 
sei 1805 bei der ersten Auffuhrung gespielt worden. Die Verfasser 
der Berichte mögen von der Existenz der Ouvertüre Nr. 2 nichts 
gewußt haben ; aber daß man von Nr. 2 damals keine KenntniB hatte, 
ist eine in ihrer Allgemeinheit falsche Behauptung. Schindler hatte 
die Partitur von Beethoven kurz vor seinem Tode zum Geschenk 
erhalten, und Seyfried konnte sich der zur Umarbeitung der Oper 
gehörenden Umarbeitung der Ouvertüre auch noch vielleicht erinnern, 
ebenso wie andere alte Bekannte Beethoven's. Jedenfalls aber mußte 
er, der als Kapellmeister am Theater an der Wien an Aea Proben 
und Aufführungen betheiligt war, wissen, daß nicht eine verhältnis- 
mäßig zahme Ouvertüre, wie Op. 138, bei der ersten Aufifuhrung 



Die Entfltehungsseit des Ouvertüre su Leonore Nr. 1. {33 

gespielt worden war, sondern eine viel gewaltigere, welche durch 
ihre Ausdehnung, ihren Charakter, durch das Trompetensignal, und 
das Unisono der Geigen Aufsehen erregte. Eben darum ging ja auch 
seine Meinung dahin, es sei eine nachkomponirte Ouvertüre. Wenn 
nun dennoch Haslinger die Ouvertüre mit der Jahreszahl 1805 er- 
scheinen ließ, so findet das seine ganz natürliche Erklärung darin, 
daB er es besser zu wissen glaubte. 

Andererseits ist aber auch Seyfried's Meinung nicht grundlos 
gewesen. In dem in Weimar erschienenen Journal des Luxus und 
der Moden aus dem Januar 1808 findet sich ein Auszug aus einem 
Wiener Briefe mit der Mittheilung, Fidelio solle nächstens in Prag 
mit einer neuen Ouvertüre aufgeführt werden, und Nottebohm sieht 
darin ein besonders wichtiges Beweisstück. Genauer als er gibt 
Thayer (Bd. Hl, S. 24) die Mittheilung wieder: »Mit dem größten 
Verzügen gebe ich Ihnen die Nachricht, daß unser Beethoven so- 
eben eine außerordentlich schöne, ganz seiner würdige Messe voll- 
endet hat, welche am Feste Maria bei dem Fürsten Esterhazy auf- 
geführt werden soll (d. h. im September 1807). — Beethoven's Oper 
Fidelio, welche trotz aller Widerrede große Schönheiten enthält, soll 
nächstens in Frag aufgeführt werden mit einer neuen Ouvertüre, --r 
Die vierte Sinfonie von ihm ist im Stiche« etc. — »Dabei fängt er 
bereits an einer zweiten Messe ano. Ebensowenig nun wie aus der 
zweiten Messe etwas wurde, nicht einmal Anfänge sind bekannt 
(Nottebohm hat ihre Erwähnung fortgelassen), ebensowenig wie aus 
der Prager Aufführung damals etwas wurde (von Verhandlungen aus 
damaliger Zeit ist keine Spur), ebensowenig braucht aus der neuen 
Ouvertüre etwas geworden zu sein. Hätte er voreilig, was bei ihm, der 
meistens mit bestellten Arbeiten im Rückstande war, schon sehr 
merkwürdig wäre, die Ouvertüre geschrieben, warum ist sie dann 
später, z. B. als die Oper 1810 in Prag aii%eflihrt wurde, nicht ge- 
spielt worden? Von einem Projekt konnte Seyfried, ebenso wie jener 
Korrespondent, gehört haben, und ich halte es fär höchst wahr* 
scheinlich, daß beide eine Person sind, da Seyfried viel für Zeitungen 
schrieb. Beethoven konnte sehr wohl unter der neuen Ouvertüre 
die alte nicht bekannt gewordene verstehen. Er nahm es darin nicht 
genau. Zu seiner Benefizvorstellung der dritten Umarbeitung 1814 
zeigte er zwei neue Arien an; die eine war die Arie Rocco's, welche 
1805 gesungen, aber später fortgelassen wurde. Noch etwas Anderes 
ist möglich. Beethoven konnte eine Umarbeitung der Ouvertüre be- 
absichtigen, wie er sie, nach von Nottebohm mitgetheilten Skizzen 
1814 in £dur versucht hat. Es würde das über einen bisher nicht 
beachteten Umstand aufklären. 



^34 Albert Levinsohn, 



Beethoven war eifrig bestrebt, alle Kompositionen, auch die 
unbedeutendsteD, zu^verwerthen. Waram ist das mit der Ouvertüre, 
die ein fertiges und seiner durchaus würdiges, für Verlegerzwecke 
höchst brauchbares Werk war, nicht geschehen? Bis zum Jahre 1814 
kann das seine Erklärung in der Absicht einer Umarbeitung finden. 
Was hat nun Beethoven nachher mit ihr gemachte Nach Schuppanzigh 
soll er sie später einmal haben durchspielen lassen. DaB sie überhaupt 
einmal probirt worden ist, darauf deuten die eigenhändig mit Roth* 
Stift gemachten Korrekturen. Die erste Violinstimme war ursprüng- 
lich überschrieben: 

Ouvertura 
Violino I"*>. 

Durch Beethoven's eigenhändige Zusätze sieht sie jetzt so aus: 

Ouvertura in C 
Charakteristische 
Overture 
Violino 1°^ 

So nach Nottebohm; nach Thayer (Chronologisches Verzeichnis 
S. 64) vielmehr: 

Ouvertura in C |J, 

wobei das C mit Rothstift, das übrige Hinzugefugte mit Bleistift 
geschrieben ist. Die Partitur scheint nicht besonders bezeichnet zu 
sein. Es sind in ihr Änderungen vorgenommen, zum Theil nur an- 
gedeutet, zum Theil sehr eingreifend (s. Nottenbohm, S. 77). 

Daß Beethoven an eine Verwerthung dachte, geht daraus deut- 
lich hervor. Nun fügte Schindler seiner Erzählung schon in der 
ersten Auflage hinzu: »Herr Tob. Haslinger in Wien, welcher auch 
diese Ouvertüre von seinem Vorgänger (Steiner & Co. ; früher Theil- 
haber, wurde er 1826 alleiniger Inhaber) übernahm, ließ sie erst vor 
wenig Jahren mit der Opuszahl 138 öffentlich erscheinende, und weiter- 
hin berichtet er noch Genaueres darüber. Im Jahre 1823 wollte die 
Firma Steiner & Co« Beethoven verlocken mit dem Antrage einer 
Gesammtausgabe seiner Werke und der Annahme aller zukünftigen 
Werke gegen einen festzustellenden Tarif, wenn er sich verpflichtete, 
keins einem anderen Verleger zu überlassen. Als Pressionsmittel 
brauchte die Firma ein große Forderung, welche sie an ihn in Folge 
gemachter Vorschüsse hatte. Auf Anrathen seiner Freunde ging er 
auf diese Vorschläge nicht ein und befreite sich von der Forderung 
durch Verkauf einer Bankaktie. Vorher hatte er versucht, durch 
seinen Anwalt Dr. Bach mit einer Gegenforderung aufzutreten, 



Die Entstellungszeit der Ouvertüre £u Leonore Nr. 1. 135 



nämlich, die seit lange sich in Besitz der Firma befindlichen Manu- 
skripte: die erste Ouvertüre zu Fidelio, die Kantate: J)Der glorreiche 
Augenblick t und mehrere andere noch sogleich zu publiziren. Nette- 
bohm thut diese Mittheilung kurz ab: »Wie konnte BeethoTcn die 
Herausgabe eines nicht druckfertigen Werkes fordern«? Dieser Ein* 
wurf erledigt sich, abgesehen davon, daB die Änderungsversuche 
nachträgliche sind und sich in den Stimmen nicht finden, schon 
dadurch, dafi Beethoven eben nur die auf ihn ausgeübte Fression 
vergelten wollte. Femer soll, nach Nottebohm, in dem 1815 mit 
Steiner abgeschloßenen Vertrage die Ouvertüre Op. 138 nicht 
enthalten sein. Ein Vertrag ezistirt aber nicht (s. Tbayer in, 33S), 
und hat vielleicht nicht existirt. Vorhanden ist nur die nicht unter- 
schriebene Abschrift einer Quittung Beethoven's über verschiedene 
Werke vom 29. April 1815. Es sind später noch verschiedene, dort 
nicht angeführte Kompositionen bei Steiner erschienen. Aus einem 
Briefe an Haslinger vom 12. September 1822 theilt Thayer (Chr. Verz. 
8. 89 und 120) die Stelle mit: «Anbelangend den Marsch (nämlich 
aus den Ruinen von Athen) — so ist mir von selben die letzte Kor- 
rektur zu schicken — ebenfalls von der Ouvertüre in Es (zu König 
Stephan) — das Terzett (nämlich Tremaie empi), die Elegie (Elegi- 
scher Gesang »Sanft wie du lebtest«), die Kantate (der glorreiche 
Augenblick) — die Oper — heraus damit, sonst mache ich wenig 
umstände damit, da eure Rechte schon verschollen sind, nur meine 
GroBmuth gibt euch größeres Honorar dafür als ihr mir.a Femer 
steht in dem bekannten Konversationsbuche von 1823, bevor Schind- 
1er auf den Grafen Gallenberg und die Gräfin Julia zu sprechen 
kommt: »Was sind Sie denn in BetreflF der Werke bei Steiner ge- 
sonnen zu thun? — Noch längeres Stillschweigen? — Dr. Bach 
fragte mich letzthin noch deshalb.« 

Von der Ouvertüre ist keine Rede, und doch ist ein bloBer 
Irrthum Schindler's nicht möglich, entweder hat er von ihrer Exi- 
stenz gewußt, oder er hat seine Angaben einfach erfunden, um nicht 
merken zu lassen, daß er von ihr nichts gewußt hat. In der spä- 
teren Auflage beschuldigt er Haslinger geradezu der Lüge: »Es war 
kaum zu bezweifeln, daß die Spekulation auf Beethoven's Ableben 
gerechnet, um alsdann noch mit einer Reibe neuer Werke von ihm 
hervortreten zu können. Somit erklärt sich die letzte Opuszahl 
138 auf der großen Ouvertüre zu Leonore Fidelio.cr Li Betreff der 
angeblichen Auffindung derselben sagt er: »Zur Zerstörung dieses 
weit ausgebreiteten Lügengewebes wird eine von des Meisters Hand 
im Monat Februar 1823 gemachte Kalender-Notiz — die vorliegt — 
behiilflich sein. Diese bezeugt: Steiner haben die Sachen alle von 



136 Albert Levinsohn, 



1B14 — 1816.(r Damit ist gar nichts bewiesen, und jedenfiüls hat sicli 
Schindler durch seine Feindschaft gegen Haslinger su Anschuldigun- 
gen hinreißen lassen, welche bloB auf Kombinationen beruhen. DaA 
die Partitur nebst den Stimmen sich wirklich im Nachlaß befunden 
hat, kann nach ihrer Beschaffenheit yernünftigerweise nicht bezweifelt 
werden. Falls etwa Haslinger darin ein ihm bereits gehöriges Werk 
erkannt hätte, hätte er allerdings durch Gründe der Geschäftsspeku- 
lation bewogen werden können, die Wahrheit zu verschweigen. Noch 
zwei Bemerkungen sind zu machen. Erstens ist Op. 138 das einzige, 
aus dem Nachlaß stammende, noch unbekannte Werk, das für einen 
Verleger einen erheblichen Werth hatte. Wenn es in einem für 
einen Spottpreis erstandenen Päckchen Tänze und Märsche gefunden 
wurde, so konnte der Erwerber dadurch nicht rechtmäßiger Eigen- 
thümer geworden sein. Wozu denn sonst die genaue Katalogisirung 
des Nachlasses und Schätzung jeder einzelnen Nummer? Zweitens 
ist es merkwürdig, daß sich eine ganze Partitur nebst Stimmen Ter* 
krochen hat, während doch die gerichtliche Aufnahme des Nachlasses 
und der Auktionskatalog unter Mitwirkung von Czerny, Hadinger 
und Artaria au& Genaueste und Vorsichtigste gemacht worden ist 
(s. Thayer, Chr. Verz. S. 173 ff.). In der Rubrik: Ausgeschriebene 
Stimmen zu Beethoven'schen Werken steht unter 199: Zu einer 
Sinfonie, Tänze, Marsch, verkauft für 40 kr., unter der Rubrik: 
Geschriebene Musikalien verschiedener Kompositeurs: 

212 Fidelio im Partitur 

213 Ouvertüre in Partitur — 3- und 4 stimmige Gesänge 
von Haydn, nebst 17 verschiedenen Stücken verkauft für 
2 fl. 10 kr. 

,214 Klavierkonzert von Beethoven in Partitur. 
Vielleicht befand sich Op. 138 in 199 und 213. 

III. 

Die Ouvertüre Op. 138, die C moll- Symphonie und die 

Cellosonate Op. 69. 

Die Geschichte der Ouvertüre Op. 138 stellt sich nach Allem als 
eine wenig gesicherte dar. Die Angaben von Schindler und Haslinger 
sind nicht derart, daß sie als unbedingt zuverlässig zu betrachten 
sind; ob es die aus einigen Skizzen gezogenen SchlüBe mehr sind, 
ist nun zu untersuchen. 

In dem Auktionskatalog sind 50 Nummern Notirbücher, Noti- 
rungen und Notirbücher, Notirungen und Skizzen aufgeführt, wo- 



Die EntBtehungSEeit der Ouvertore su Loonore Nr. 1. |3Y 

nach die Untencheidung und Zusammenstellung gemacht worden 
ist, ist nicht ersichtlich. Diese sind nun durch die Auktion in die 
Welt Terstreut worden, und haben mannigfache Schicksale erlebt. 
Einige Skizzenbücher sind vollständig erhalten und anscheinend von 
Beethoven leei so in Gebrauch genommen worden, wie sie jetzt noch 
sind« In ihnen sind Seiten üst oder ganz leer geblieben und so 
können auch während des Gebrauchs viele leer geblieben, und erst 
nachträglich benutzt worden sein. Es gibt auch Bücher, die zugleich 
vom und hinten angefangen sind (s. Nottebohm, zweite Beeth. S. 171). 
Also schon bei diesen Büchern können erhebliche Zweifel über die 
chronologische Folge der Skizzen entstehen. Andere Skizzenbücher 
sind unvollständig, es sind Blätter herausgerissen, andere Bücher 
oder Stücke von solchen, oder einzelne Lagen und Blätter hinzuge- 
bunden, ohne daß immer sicher zu sagen wäre, in welcher Verfassung 
sie Beethoven gebraucht und hinterlassen hat. Andere bestehen aus 
verschiedenen Lagen, welche Beethoven, t(i8 sie bereits zum Theil 
benutzt waren, hat zusammenbinden lassen. Femer finden sich 
Eonvolute von Blättern, die Beethoven zum Zweck der Aufbewah- 
rung zusammengelegt hat; endlich einzelne Bogen und Blätter. Es 
liegt auf der Hand, daß ein solches Material, welches noch dazu von 
Jemandem herrührt, der das Gegentheil von Ordnungssinn besaß, in 
vielen Fällen nur einen höchst unsicheren Anhalt für chronologische 
Feststellungen bieten und zu allen möglichen Vermuthungen Anlaß 
geben kann. Am allermeisten aber ist das natürlich der Fall bei 
einzelnen Blättern, und solche sind das Material, mit dem die Ent- 
stehung der Ouvertüre im Jahre 1807 bewiesen werden soll. 

Nottebohm theilt einige kurze Skizzen zur Cmoll- Symphonie 
mit, in deren Nachbarschaft solche zu der Ouvertüre vorkommen, 
desgleichen ein zum ersten Satz der Cello-Sonate Op. 69 gehöriges 
Stück, und dann sagt er: »Aus der Stellung und Beschaffenheit der 
erwähnten und mitgetheilten Skizzen geht hervor, daß die Ouvertüre 
begonnen wurde, als die Symphonie ihrem Abschluß ziemlich nahe 
war, und daß sie im Entwurf fertig da stand, als die Sonate noch 
im Entstehen begriffen war.cr Nun ist die vierte Symphonie 1806 
vollendet worden, die fünfte frühestens 1807, die Sonate 1808. Wenn 
nun auch jene Skizzen als ungefähr gleichzeitig geschrieben anzu- 
sehen sind, so steht doch nichts im Wege, daß das 1805 geschehen 
sein kann, und wenn wirklich nach den Skizzen die Symphonie dem 
Abschluß nahe war, so mußte sie eben zurückstehen g^en die dringen- 
dere Arbeit. Als Beethoven mit der Oper fertig war, da machte sich 
eine Umarbeitung nothwendig, dann warteten seiner die von Rasou- 
mowsky bestellten Quartette; noch vorher beendigte er für seinen 



1 3S Albert Levinsohn, 



eigenen Konzertgebrauch das Gdur-Konzert, schrieb für seinen Freund 
Clement zu dessen Konzert das Violinkonzert; föhrte zunächst die 
vierte Symphonie aus, obgleich sie später als die fünfte begonnea 
sein muB, schrieb die Coriolan-Ouverture, welche er mit der Sym- 
phonie und dem Klavierkonzert im Anfang 1807 in einem Konzert 
ausführte, schrieb dann die von Esterhazy bestellte Messe, welche 
im September fertig sein mußte u. s. w. Eine Symphonie, die im 
Entwurf fertig ist, ist doch keine Naturgewalt, die in gesetzmäßigem 
Verlauf der Endwirkung zustrebt, sondern eine von der Person ab- 
hängige Schöpfung, die man nach Belieben, nach Umständen, wie 
Dringlichkeit anderer Arbeiten, weiterführt oder zurückschiebt. Selbst 
wenn die Skizzen die Arbeit in einem vo^eschrittenen Stadium 
zeigen, so ist doch von ihnen bis zum Abschluß noch ein weiter 
Abstand. 

Die vorliegenden Skizzen geben überhaupt nur kurze Brocken. 
Ein loses Blatt (wo es sich befindet, sagt Nottebohm nicht) enthält 
auf der einen Seite folgende Skizzen: 

1. 16 Takte vom Ende des Trios ^nd 3 Anfangstakte des Scfaersos. 

2. 15 andeutende Takte aus dem Adagio. 

3. 15 fernere Takte aus dem Adagio. 

4. 16 Takte des Scherzos anscheinend vom Schluß. 

5. 4 Takte aus der Mitte des l'rios (das Thema). 

6. 8 Takte vom Schluß des Trios. 

Auf der anderen Seite oben steht 

7. ein rhythmischer Versuch der Überleitung zum Finale. 

worauf Skizzen zur Ouvertüre folgen. Auf vier zusammengehörenden 
Bogen (im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde im Wienj steht 
auf der ersten Seite unter Anderem 

8. ein fernerer Versuch der Überleitung zum Finale mit den 3 Anfangs- 
takten desselben. 

worauf 12 Seiten Skizzen zur Ouvertüre folgen, und hierauf eine zur 
Cello-Sonate gehörige (ob sonst noch etwas auf den Bogen steht, ist 
aus Nottebohm nicht zu ersehen). 

Von allen diesen Stellen ist nur Nr. 5 (das Thema des Trios in 
der Flöte) in der Partitur enthalten. Nr. 2 und 3 scheinen für das 
Ende des Adagios bestimmt gewesen zu sein ; in der Partitur ist aber 
von Nr. 2 gar nichts, von Nr. 3 nur ein gewisser, durch den thema- 
tischen Zusammenhang bedingter Anklang enthalten. Nr. 4 gehört 
zum Ende des Scherzos, vielleicht vor dem Finale. Auf dem liegen- 
den as des Basses tritt das Thema ein ; aber der BaB verläßt das as 
wieder. Die Versuche zur Überleitung in den */4~Takt des Finales 
lassen von der endgültigen Fassung nichts ahnen. Nr. 1, 5 und 6 
gehören zum Ende des Trios; dasselbe sollte danach in Cdur ab- 



Die EntBtehungszeit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. 139 



• ■ 

schließen, und das Scherzo ohne Überleitung folgen. Mit der Par- 
titur haben sie nur den durch das Thema bedingten Zusammenhang. 
Die in Nr. 6 angedeutete Engfuhrung kommt in dieser Weise nir- 
gends vor. 

Faßt man das Wenige zusammen, worüber diese Skizzen Aus- 
kunft geben, so kann man nicht sagen, die Symphonie sei ihrem 
Abschluß nahe gewesen. Die kürzeste und einfachste Form, das 
Scherzo und das Trio, stehen danach in wichtigen Theilen nicht fest. 
Über das Adagio geben die beiden Skizzen keine nähere Aufklärung, 
der erste Satz wird gar nicht berührt, und es wäre Willkür, daraus 
zu schließen, er sei fertig gewesen. Denn Beethoven hat an den 
▼erschiedenen Sätzen eines Werkes meistens durcheinander skizzirt. 
So sehr man sich auch hüten muß, blos aus inneren Gründen, auf 
den Angaben von Haslinger und Schindler mit eigensinniger Zuver- 
sicht zu bestehen, so sind doch diese Skizzen nicht der Art, um die 
Unmöglichkeit ihrer Niederschrift im Jahre 1805 zu erweisen. Das 
Stückchen der Cello-Sonate ist von noch geringerer Bedeutung. 
Später mitgetheilte Skizzen zum letzten Satz derselben (s. Nottebohm, 
Zweite Beeth. S. 533) stehen auf zwei zusammenhängenden Bogen 
(wo, wird nicht gesagt), auf welchen der gedruckten Form nahe- 
kommende Entwürfe zum zweiten Satz der Cmoll- Symphonie 
vorkommen sollen. Nottebohm theilt nur die ersten Takte des 
Themas mit, welches im Haßschlüssel steht und statt Sechzehntel 
und Zweiunddreißigstel gleiche Sechzehntel enthält. Daneben theilt 
er noch zwei Anfänge zum Scherzo der Sonate mit (S. 534), die auf 
anderen Blättern ohne nähere Angabe vorkommen sollen. 

IV. 

Die Cmoll-Symphonie, das Klavierkonzert in Gdur und 

die Oper. 

Schon vor dem Aufsatz über die Ouvertüre Op. 138 hatte Notte- 
bohm einige Skizzen zur C moU-Symphonie besprochen (vorher schon 
von Thayer, Chron. Verz. S. 75 mitgetheilt) , welche die Idee der- 
selben in ihrem allerersten Stadium zeigen. Der erste Satz erscheint 
in embryonalem Zustande; kaum mehr als die ersten Anfangstöne 
(ohne Fermate) und der Rhythmus ist festgestellt. Auf derselben 
Seite steht ein Anfang zum zweiten Satz, überschrieben Andante quasi 
Menuetto, dem die marschartige, sich jetzt unmittelbar an das Thema 
anschließende Melodie folgt mit der Überschrift quasi Trio. Der 
Anfang 



140 



Albert Levinsohn, 



Andante quasi Menuetto. 



^ 




gehört zu den merkwürdigen Dokumenten, welche uns über die all- 
mähliche Entstehung der schönsten Beethoven'schen Melodien aus gans 
unscheinbaren, fast trivialen Anfängen belehren. Es folgt ein ultimo 
pezzo überschriebener Anfang scu einem Finale in Moll und Vs Takt. 
Auf der nebenstehenden Seite beginnt ein Entwurf zum ersten Satz 
des O dur-Konzerts, und Nottebohm weist mit Recht auf den rhyth- 
mischen Zusammenhang des Themas mit dem des ersten Satzes der 
Symphonie hin. Er stellt aber die Sache so hin, als wiese das 
Nebeneinanderstehen darauf hin, daß der Entwurf zum Konzert als 
eine Folge des vorangegangenen zur Symphonie entstanden sei. Das 
ist aber nachweislich nicht der Fall, und es liegt damit ein deut- 
liches Beispiel vor, wie leicht man mit Schlüssen aus den Skizzen 
irre gehen kann. 

Der erste Keim des Themas des Konzerts findet sich nändich 
in dem von Nottebohm (1880) veröfientlichten Skizzenbuche von 
1803, und zwar zwischen Skizzen zu den ersten Stücken der Oper. 
Es sind die ersten fünf Takte, aber mit einem lahmen Abschluß auf 
der Tonika, während jene längere Skizze in diesen Takten mit der 
späteren Fassung nahezu übereinstimmt, und in dem gleich eintreten- 
den Tutti die spätere Fassung vorbereitet ist. 

Cimcerto. 




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Concert [tempo moderaio). 




Zu erwähnen ist noch, daß von den zwei Skizzen zum ersten 
Satz der Symphonie die voranstehende kurze irgend einer mittleren 
Partie angehört, die folgende, bei der bemerkt ist: Sinfonia presto 
AIP I*'^, den Anfang zu geben scheint, obgleich sie, scheinbar in 
(7moll beginnend, sich doch eigentlich mehr in j^^dur bewegt. Da 



Die EntstehungSEeit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. ]4} 



konnte man nun hin und herrathen, welche Skizze die früher ge* 
schriebene ist, ob nach inneren Gründen die zweite, nach äuBeren 
die erste. 

Es folgt dann ein Entwurf zum Finale des Konzerts, interessant 
dadurch, daB es mit der Figur anfangen sollte, welche jetzt zur Be* 
gleitung des Chors der Gefangenen gehört Auf der folgenden Seite 
steht eine Stelle aus dem Terzett der Oper (»Gebt euch die Hand 
und schlieBt das Hand in süBen Freuden -Thränen.t) Nottebohm 
schloB daraus, daB die Toranstehenden Skizzen in der ersten Hälfte 
des Jahres 1805 geschrieben seien, weil die Oper frühestens gegen 
Ende 1804 begonnen wurde. In Folge des erwähnten Skizzenbuchs, 
dessen Hauptinhalt die dritte Symphonie betrifft, hat er seine Mei- 
nung geändert, und verlegt den Beginn der Oper in das Jahr 1803 
oder spätestens Anfang 1804, und in Folge dessen auch die erste Idee 
zur Symphonie und zum Konzert. Bedenken, welche er etwa gehabt 
haben mag, daB der Abstand zwischen den allerersten Au£seichnun- 
gen zur Symphonie und den schon Torgeschrittenen, welche neben 
denen zur Ouvertüre Op. 138 vorkommen, zu groB ist, als daB sie sich 
zeitlich so nahe stehen können, hat er selbst dadurch beseitigt. Es 
finden sich in dem erwähnten Skizzenbuche Skizzen zur CmoU- 
Symphonie zwischen solchen zu den ersten Stücken der Oper. Diese 
stehen zeitlich zwischen jenen ersten und den weiter vorgeschrittenen, 
und die ersten werden dadurch weiter zurückgerückt. Jene Bedenken 
sind also unter allen Umständen unerheblich; es wird dadurch, gleich* 
viel ob die Oper erst Ende 1804 begonnen worden ist, die erste 
Idee zur Symphonie als diesem Beginn vorausgehend festgestellt, und 
jene auf den einzelnen Blättern stehenden, von Nottebohm im Zu- 
sammenhang betrachteten Skizzen werden zeitlich auseinandergerückt. 
Die Stelle aus dem Terzett ist zu irgend einer späteren Zeit ge- 
schrieben, als die erste Skizze zur Symphonie. 

Es sind nach Nottebohm einige zusammengehörende Blätter, 
welche auf acht beschriebenen Seiten verschiedene Skizzen enthalten. 
Die mitgetheilten Skizzen zur Symphonie stehen auf der zweiten 
Seite, auf der dritten und vierten die zum Konzert, auf der fünften 
die Stelle aus dem Terzett; was sonst noch etwa da steht, und wo 
sich die Blätter befinden, giebt Nottebohm nicht an. Zufällig ersieht 
man aus Thayer (HS. 115 und Chron. Verz. S. 75), daB sie sich 
vom in einem Skizzenbuch befinden, welches früher Fetter in Wien 
gehörte. Es enthält nach Thayer zu Anfang Skizzen zur Phantasie 
mit Chor, die erst 1808 geschrieben wurde, auf Seite 6 die zur Sym- 
phonie, auf Seite 9 die Terzett-Stelle und von Seite 15 bis zu Ende 
(Seite 56) Skizzen zu den Quartetten Op. 18 und anderen Werken 



] 42 Albert Levinsohn, 



aus dem Jahre 1800. Es sind also einzelne BUltter, welche durch 
einen Zufall vom hineingebunden worden sind^ und sie geben ein 
Beispiel von der Unsicherheit des Materials. 

Daß die Skizzen zur Symphonie keineswegs in ungefähr der- 
selben Zeit geschrieben sind, wie die nur zwei Seiten von ihr ent- 
fernte Terzett-Stelle, ergiebt sich deutlich aus dem Skizzenbuche von 
1803 — 1804. Von Skizzen, welche dort von Seite 146 {wo die Skiizen 
zur Oper beginnen) bis 157 stehen, fuhrt Nottebohm Folgendes an: 

S. 146 und 147 Marcellinen-Arie, S. 148 Anfangs-Duett und 
die ersten Takte des 6r dur-Konzerts , S. 150 — 152 Marcellinen-Arie, 
S. 154 Duett, S. 155 das später gestrichene komische Terzett (s. Jahn's 
Klavierauszug] und eine Skizze zum Scherzo der CmoU-Symphonie, 
welche sich über S. 156 fortsetzt, und der eine Skizze zum Anfang 
des ersten Satzes folgt, wonach dann noch Skizzen zu den genannten 
Stücken der Oper, zum Quartett-Kanon und zur Rocco-Arie kommen 
bis S. 171). Die Skizzen zum ersten Satz der Symphonie zeigen 
einen bedeutenden Fortschritt gegen jene embryonalen Keime auf 
den einzelnen Blättern. Die ersten 20 Takte stimmen nahezu mit 
der Partitur. Die Fermate tritt aber nicht auf dem abschlieBenden 
g ein, sondern nach einer zweitaktigen thematischen Verlängerung 
mit einer Wendung nach der Dominante von Es dur, worauf dann 
sofort das jetzige zweite Thema erscheint. Vom Scherzo bringt die 
Skizze eine mittlere Partie, wonach die wichtigsten Ideen des Satzes 
feststanden; der Keim zum Trio ist gegeben in einer Baßfigur in 
Achteln. Bezeichnen wir das Skizzenbuch, von dem Nottebohm nur 
die Seiten 5 — 9 betrachtet, mit A, das andere mit B, so folgen sich 
die Aufzeichnungen der Zeit nach so: 

Zuerst, mindestens einige Zeit vor Beginn der Oper S. 6 A 
(Symphonie), dann S. 148 B (Thema des Konzerts), dann S. 155 
— 157 B (Symphonie) und S. 7 u. 8 A (Konzert), endlich S. 9 
(Terzett), und so sieht man ein, wie wenig Zusammenhang zwischen 
S. 6 und S. 9 ist, und es ist ein lehrreiches Beispiel für die Be- 
nutzung der Skizzen. 

V. 

Die von Schikaneder bestellte Oper, die Klavier-Sonaten 
Op. 53, 54, 57, das Tripelkonzert und die Kompositionszeit 

der Leonore. 

Nach Treitschke, dem Regisseur und Theaterdichter der Hofoper, 
dem Bearbeiter des Fidelio-Textes von 1814, erhielt Beethoven Ende 
1804 den Auftrag eine Oper für das Theater an der Wien zu schreiben. 



Die Entstehungsseit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. j[43 



Nottebohm behauptet, seine Angabe sei nicht zuverlässig, und könne 
ea nicht sein, weil er durch seine Stellung an einem anderen Theater 
von den Unternehmungen des Theaters an dei Wien fern gehalten wor- 
den sei, und mit dem, was dort vorging, nicht genau bekannt gewesen 
adn könnte. Diese Bemerkung ist schon dadurch hinfällig, daß seit 
dem Februai 1804 beide Theater, nachdem sie sich längere Zeit Kon- 
kurrenz gemacht hatten, unter der einheitlichen Leitung des Baron 
Braun standen, und SonnleHhner, der Bearbeiter der Leonore, als 
Hoftheater-Sekretär nächster Kollege von Treitschke, und bis zum 
August sogar Direktor des Theaters an der Wien war. Auch wurde 
am 10. November eine Oper von Treitschke mit Musik von Salieri 
am Theater an der Wien aufgeführt (s. Thayei II, S. 378). 

Femer berichtet Treitschke, daß Beethoven kontraktlich freie 
Wohnung im Theatergebäude hatte. Nun ist, nach Nottebohm, durch 
Briefe zu belegen, daß er 1803 dort wohnte, nicht aber ebenso für 
1804. Auch beruft er sich auf Ries und Sejrfried. Dieser sagt: 
»Beethoven erhielt daselbst eine freie Wohnung«; Kies: »Als er 
Leonore komponirte, hatte er für ein Jahr freie Wohnung im Wie- 
dener Theater ; da diese aber nach dem Hofe zulag, behagte sie ihm 
nicht. Er miethete sich also zu gleicher Zeit ein Logis im rothen 
Hause an der Alserkaserne.« 

Daß er in der Theaterwohnung die Leonore komponirt hat, geht 
gar nicht daraus hervor; höchstens hat er die Wohnung gelegentlich 
benutzt. Daß sie ihm in der That gehörte, beweist das Adreßbuch 
für 1805 (s. Thayer II, 218). Allerdings aber hat er dort 1803 ge- 
wohnt, in Folge seines Kontraktes mit dem damaligen Besitzer des 
Theaters, Schikaneder, für den er eine von ihm verfaßte Oper schrei- 
ben sollte, wobei er freie Wohnung im Theatergebäude erhielt 
(s. Thayer n, S. 225); übereinstimmend damit ist seine Adresse an- 
gegeben (s. Thayer II, S. 233j. Es sind also die gegen Treitschke 
gemachten Bedenken hinfällig. 

In Beethoven's Nachlaß hat sich ein größeres, nicht vollständig 
fertig instrumentirtes Gesangsstück für vier Personen gefunden, aus 
dem Nottebohm (Beethoveniana S. 82 ff.) das Schlußquartett mitge- 
theilt hat, welches bekanntlich die Grundlage für das Duett von 
Leonore und Florestan geworden ist. Es gehörte unzweifelhaft zu 
der Schikaneder'schen Oper, welche nach den Namen zu urtheilen, 
darunter Porus, Alexander in Indien behandelt haben wird. Skizzen 
zu diesem Stück, sowie zu einer wahrscheinlich daran anschließenden 
Arie finden sich in dem vorhin mit B bezeichneten Skizzenbuche auf 
S. 96 — 120, bald nach den Skizzen zur dritten Symphonie. In einem 
Briefe an Macco vom 21, November 1803 schreibt Beethoven: » — weil 



144 Albert Levinsohn, 



ich jetzt erst an meiner Oper anfange.« DaB er ernstlich an der Oper 
gearbeitet hat, ist offenbar. Vielleicht wurde die Arbeit, zu der er 
doch kontraktlich yerpflichtet war, durch den Wechsel des Eigen- 
thümers unterbrochen. Dadurch, daß das Theater im Februar 1804 
in den Besitz des Hoftheater*Unternehmers Baron Braun überging, 
kam Beethoven in Berührung mit Sonnleithner. DaB dieser ihm 
vorher einen Text für ein in erbitterter Weise konkurrirendes Theater 
geschrieben haben soll, ist ganz unglaublich. So findet sich auch in 
dem VerzeichniB der von 1 754 an aufgeführten Novitäten Treitschke's 
Name als Textdichter erst nach dem Besitzwechsel (& Thayer II, 
S. 375 ff). Im Frühjahr zog Beethoven aus dem Theater aus. Am 
24. Juli 1804 schreibt er aus Baden an Ries: i»Ich hätte mein Leben 
nicht geglaubt, daß ich so faul sein könnte, wie ich hier bin. Wenn 
darauf ein Ausbruch des Fleißes folgt, so kann wirklich etwas Rechtes 
zu Stande kommen.« Er hatte danach keine dringende Arbeit. In 
einem Briefe vom 6. Juli (s. Thayer II, 8. 346) schreibt er an Wiede- 
bein: »Wäre es jedoch gewiß, daß ich meinen Aufenthalt hier be- 
hielte, so wollt ich Sie auf Glück hierher kommen lassen, da ich 
aber wahrscheinlich den künftigen Winter schon von hier reise« u.8.w. 
Nach allen diesen Umständen muß man annehmen, daß Treitschke 
ungefähr richtig berichtet hat. Die Paer'sche Leonore wurde am 
3. Oktober 1804 in Dresden zuerst angeführt, und Faer reiste darauf 
über Wien nach Italien. Ob man bei der Wahl desselben zu Grunde 
gelegten französischen Textes schon von der Existenz der Faer'schen 
Oper wußte, oder wie vielleicht wahrscheinlicher ist, nicht wußte, 
muß dahin gestellt bleiben. Die Faer' sehe Leonore wurde 1809 in 
in Wien aufgeführt. Die geschriebene Fartitur ist in Beethoven^s 
Nachlaß verzeichnet. 

Es ist einzig die einseitige Verwerthung von Skizzen, die Notte* 
bohm dazu gebracht, die Angaben von Treitschke zu bezweifeln und 
es für undenkbar zu erklären, daß Beethoven die Oper in weniger 
als einem Jahre vollendet haben könne. Auf Seite 120 des Skizzenbuchs 
B folgen auf die Skizzen zu der Schikaneder'schen Oper sehr ausge* 
dehnte, ununterbrochene Skizzen zur Klaviersonate in Cdur Op. 53 bis 
Seite 145. Auf Seite 145 beginnen zwischen den letzten Skizzen zum 
Rondo Skizzen zu einem AUegretto für Klavier in Cdur (zum ersten 
Mal gedruckt in dem Nachtragsbande der Ausgabe von Breitkopf & 
Härtel), die bis S. 155 reichen, also zwischen die ersten Skizzen sar 
Oper, welche Seite 146 beginnen, fallen. Nottebohm schließt daraus, 
daß die Sonate in den Skizzen fertig war, und aus der Kreuzung mit 
dem AUegretto, daß zwischen ihr und dem Beginn der Marcellinen- 
Arie nur kurze Zeit liegt. Nun ist die Sonate im Mai 1805 er- 



Die EntstehuDgflzeit der Ouvertuire zu Leonore Nr. 1. ^145 



^(flt 



schienen, und somit stimmt Alles aufs Beste und weist wieder auf 
das Jahr 1804. Nottebohm aber behauptet noch, daß Skizzenbuch 
er^be, daß die Skizzen zur Leonore höchstens ein Vierteljahr später 
als die zur Schikaneder'schen Oper fallen, und daß deswegen die 
Komposition der Leonore wahrscheinlich zwischen Mai und Oktober 
1803, sicher nicht später als Februar 1804 begonnen sei. Dabei 
fuhrt er selbst den Zeitungsbericht aus dem Sommer über die fiir 
Schikander zu schreibende Oper an; trotzdem soll Beethoven nach 
dem Briefe an Macco Tom November schon den Text zur Leonore 
in Händen gehabt haben, und das Alles nur, weil durchaus die in 
dem Skizzenbuch vorkommenden Stücke hinter einander geschriebeü 
sein sollen, während es in der That sich von Anfang 1803 bis gegen 
Ende 1804 erstreckt. Nachdem die Oper bei Seite gelegt war, be- 
Bchaftigte sich Beethoven mit der Beendigung der dritten Symphonie 
gab ein großes Konzert (Christus am Olberg) und legte sich im 
Sommer zueist auf die faule Haut. Bis zum Beginn der Oper hat 
er dann die Sonate Op. 53 wahrscheinlich ziemlich beendet, die Klavier- 
sonate Op. 54 angefangen (erschienen April 1806) und ebenso die 
Sonate in jPmoIl Op. 57 (erschienen im Februar 1807), sowie an dem 
Tripelkonzert Op. 56 (erschienen im Juli 1807) gearbeitet, von dem 
sich Skizzen zum ersten Satze auf den letzten Seiten des mit B be- 
^ebneten Skizzenbuches befinden. In diese Zeit fallen vermuthlich 
die ersten Gedanken zur fünften Symphonie. Über die vierte ist bis 
jetzt wenig bekannt; nach Thayer (U, S. 320) sollen Skizzen zu ihr 
in unmittelbarem Zusammenhange mit solchen zur Oper vorkommen. 

VI. 

Das große Leonore-Skizzenbuch und die Klaviersonate 
Op. 54 und 57, sowie das Tripelkonzert. 

Skizzen zu Op. 54, 56, 57 stehen in dem großen Leonore-Skizzen- 
buch, das von Thayer (H, S. 278 und 393 ff.) beschrieben und von 
Nottebohm (Zweite Beethoven., S« 499 ff.) als Skizzenbuch aus dem 
Jahre 1804 eingehend besprochen worden ist. Das Buch ist so, wie 
es jetzt ist, nicht von Beethoven in Gebrauch genommen worden. 
Das geht aus den Mittheilungen deutlich hervor. »Es ist durch 
seinen Inhalt, seinen Einband und seine große Ausdehnung von ann 
deren unterschiedene (Thayer). Es hat 346 Seiten, die doppelte Zah* 
der übrigen größeren Skizzenbücher. Im Auktionskatalog ist ein 
»großes Notirbucha angegeben; mc^licherweise ist es dieses, und dann 
hätte Beethoven das Durcheinander der Skizzen veranlaßt, indem er, 

1893. 10 



146 Albert Lerinsolm, 



Vielleicht als er im Frühjahr nach Hetaendorf sog, die yerschiedenen 
zerstreuten Skizzen zu bequemerer Aufbewahrung binden lieB. Nottebohm 
behauptet, es seien beim Binden Blätter verbunden worden und andere 
hineingebunden, die nicht dazu gehören. Er ist aber dazu veranlaftt 
worden offenbar einzig deswegen, weil sich Skizzen zum i^dur-Quartett 
Op. 59 darin finden, welche nicht in das Jahr 1804 hineinpassen. 
Auf Seite 182, 187—198 und 203 stehen Skizzen zur i^oU-Sonate; 
die Seiten 183 — 186 enthalten Skizzen zum Quartett (was man erst 
durch Vergleichung von Thayer 11, S. 398 und Nottebohm a. a. O. 
S. 81, 409, 437 herausbringt). AuBer diesen letzteren wirft Notte- 
bohm noch die Seiten 199 — 202 hinaus; was dort steht, wird nicht 
mitgetheilt. Nur eine Stelle zum Adagio des Tripelkonzerts ' wird 
(s. S. 41^j erwähnt. Skizzen zu diesem, sowie zu den anderen Sätzen 
sind durch das ganze Ruch verstreut, so daB also diese Blätter eben- 
so gut hinein gehören können. Die Skizzen zu anderen Instrumental- 
werken kommen zusammenhängend vor, zum Finale der Sonate Op. 54 
und zum Konzert S. 8 — 20, zum Konzert (nach Thayer) S. 136 — 143, 
zur Sonate Op. 57 und zum Quartett S. 182 — 203» Diese gröBeren 
Gruppen sind nicht von Skizzen zur Oper unterbrochen, und man 
kann sich darüber, wie sie in das Buch hineingekommen sind, die 
verschiedensten Vorstellungen machen. 

Nach Thayer ist die Sonate Op. 57 erst 1806 entstanden; er 
beruft sich auf Schindler, der sagt, Beethoven habe sie 1806 während 
einer kurzen Hast bei dem Grafen Brunswick, dem sie gewidmet ist, 
in einem Zuge niedergeschrieben. Dann müBte das Buch erst später 
auf Veranlassung seines Besitzers gebunden worden sein. Auf S. 188, 
also bei den Skizzen zur FmoU-Sonate steht mit groBen Buchstaben 
geschrieben: Nel Terzetto gegen das Ende immer mehr pianissimo. 
Diese Bemerkung kann ebenso gut früher, als später wie die be- 
nachbarten Skizzen geschrieben sein. Seite 94 — 97 sind (nach Thayer) 
fast leer, Seite 132 — 135 sind leer, ausgenommen drei Takte mit den 
dem Worte »sterbe«; hätte Beethoven nachträglich diese Seiten be- 
nutzt, so könnte man nun auch herumrathen. 

Nottebohm beruft sich auf die Erzählung von Bies über die 
Entstehung des Finales der Sonate, weil sie in das Jahr 1804 fallen 
muB. In Wahrheit liegt aber darin nicht der geringste Beweis, daB 
Beethoven damals die Arbeit an der Oper längst begonnen hatte. 
Andererseits hat Thayer Unrecht, die Erzählung von Ries zu be- 
zweifeln und zu meinen, er habe Op. 57 mit Op. 53 oder 54 ver- 
wechselt. Nach Ries hat Beethoven auf einem von Dobling aus 
(wo er im Spätsommer 1803 wohnte) mit ihm gemachten langen 
Spaziergang immer herauf und herunter geheult und auf eine Frage 



Die Entstehungsseit der OuTorture zu Leonore Nr. 1. 147 

■ -■ - ■* 

gesagt: »Da ist mir ein Thema zum letzten Allegio der Sonate ein-' 
gefallena; zu Hause angekommen lief er, ohne den Hut abzunehmen, 
an's Klavier »und tobte wenigstens eine Stunde lang über das nun 
so schön dastehende Finale V. Das Erlebniß war ein zu denkwürdiges, 
Ries ein zu bedeutender Musiker, als daß er sich geirrt haben sollte. 
1806 warSies nicht mehr in Wien; im Sommer 1805 war er längere 
Zeit verreist. Auch wollte Beethoven in Folge eines übel au%e-* 
nommenen Scherzes mit dem ursprünglich zu Op. 53 gehörigen An- 
dante in jPdur seine neuen Kompositionen nicht mehr in seiner 
Gregenwart spielen ^ so daß Ries das Zimmer verlassen mußte, als 
^Beethoven Freunden aus der Oper vorspielen sollte. Übrigens kann 
auch Schindler Recht haben; seine Angabe bezieht sich eben dann 
nur auf die Niederschrift. 

Übrigens betreffen die erwähnten Skizzen zur Sonate nicht den. 
letzten Satz selbst^ sondern nur die Überleitung nebst dem Hauptmotiv.* 
Vor, zwischen und nach diesen Skizzen stehen solche zum ersten 
Satz, von denen nach Nottebohm die auf Seite 190 später als die 
auf Seite 192 stehenden geschrieben sein sollen. Dazwischen stehen 
Skizzen zu den Variationen des zweiten Satzes ohne das Thema. Auf 
Seite 191 oben steht eine kurze Skizze, überschrieben ultimo pezzo^ 
die Nottebohm für einen verworfenen Anfang hält. Wenn man aber,, 
statt lediglich auf die Überschrift, auf den Inhalt sieht, so wird man 
dem schwerlich beistimmen können; sicherlich ist es kein Anfang. 
Darunter stehen durcheinander Skizzen zum zweiten Satz und zur 
Uberleitiung zum Finale. So sieht das Material aus, das zu chrono- 
logischen Schlüssen benutzt werden soll. Nottebohm folgend müßte man 
auch von der Sonate sagen, sie sei bereits 1804 »ihrem Abschluß 
nahe gewesen«, und doch ist sie eist 1806 niedergeschrieben worden. 
Um so weniger darf man sich wundern, wenn es mit der Cmoll- 
Symphonie ähnlich gegangen ist. 

VIT. 

Die Beendigungszeit der Oper, die Leonoien- Arie de 
ersten, zweiten und dritten Bearbeitung, die Ouvertüre 
zu Leonore Nr. 2 und das Motiv aus der Florestan - Arie 
in seinen verschiedenen Gestaltungen. 

Auf Seite 26t des erwähnten großen Skizzenbuches findet sich 

ein Anfang in £«dur, überschrieben »Overturir, auf Seite 291 bei Skizzen 

zum Schlußehor die Bemerkung : vam 2. Juni — Finale immer simpler 

alle Klaviermusik ebenfallst u. s. w. Nach Nottebohm soll der Juni 1804 

10* 



\4tS Albert Levinsohn. 



gemeint sein: nDie Ouvertuie war noch nicht angefangen, die Arbeit 
zum Finale kaum über ihr erstes Stadium hinaus, andere Stücke des 
zweiten Aktes waren noch nicht vollendet, als die Bemerkung ge- 
schrieben wurde«. Jene Bemerkung nun steht, wie zufallig aus 
Thayer (11, S. 278) zu ersehen, in der oberen äußeren Ecke, kann 
also zu irgend einer Zeit geschrieben sein, und es ist, wie ich denke, 
am wahrscheinlichsten, daß dies geschah, nicht als die Skizzen ge- 
schrieben wurden, sondern als das Finale ausgearbeitet wurde. Damit 
würde stimmen, was Treitschke sagt, Mitte 1805 sei die Oper ziem- 
lich beendet gewesen. 

Die letzten Blätter des Buches geben zu mancherlei Betrach- 
tungen Anlaß. Die letzten vier, S. 339 — 346, sind nach Nottebohm 
einzelne, nicht zusammenhängende, in keiner chronologischen Fol^e 
stehende, und sollen ursprünglich nicht dazu gehören. Sie be- 
ziehen sich, nach ihm, auf Änderungen nach der ersten Aufführung, 
ferner auf den zweiten und dritten Satz des Tripelkonzerts und auf 
die Ouvertüre Nr. 2, Seite 345 — 346. Auf Seite 338 stehen aber 
ebenfalls Skizzen zur Ouvertüre, dies scheint auch ein einzelnes 
Blatt zu sein (s. Nottebohm, a. a. O. S. 452), und so sieht man wieder 
nicht ein, warum gerade die letzten Blätter nicht hinein gehören 
sollen. Zufällig ersieht man wieder aus Thayer, daß Seite 341 — 346 
verkehrt gebimden sind, und so können die Skizzen zur Ouvertüre 
keine Auskunft geben über das chronologische Verhältniß zu Nr. 1, 
und schon gar nicht, wenn die daneben, z. B. auch auf Seite 346 
vorkommenden Skizzen und Bemerkungen zur Oper sich auf die 
Umarbeitung beziehen. Übrigens ist das sehr zweifelhaft, und es 
können ebensogut Änderungen vor dem Abschluß der Arbeit sein. 
Z. B. theilt Nottebohm ein Ende des Duetts zwischen Leonore und 
Bocco im Kerker mit, welches keiner erhaltenen Bearbeitung entspricht, 
und nach Jahn ist das Duett überhaupt nicht umgearbeitet worden. 

Von den Skizzen zur Ouvertüre sagt Nottebohm, es lasse sich 
kein zusammenhängendes Bild aus ihnen gewinnen ; viele verworfene 
Skizzen kämen vor. Von dem Thema des Allegro erwähnt er nichts, 
nichts von der Einleitung. Florestan's Melodie sollte in £dur ange- 
bracht werden, wie in Nr. 2; das Trompetensignal ist in ^dur, wie 
in der ersten Bearbeitung, angedeutet. Femer kommt eine aus der 
Florestan- Melodie abgeleitete Schlußstelle vor, die mit Weglassung 
der ersten Noten später angebracht ist, so daß man ihren Ursprung 
nicht erkennt. Auf Seite 345 und 346 soll die Arbeit etwas vorge- 
rückt sein. Nottebohm theilt die Florestan-Melodie in ^J^'T9kX Cdur 
mit und einen anschließenden Versuch der Überleitung zu der Violin- 
passage, wie sie Nr. 2 ähnlich zeigt. Weil die schöne Melodie infdur 



Die Entstehungszeit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. 1A9 



nack dem Trompetensignal, sowohl angehörig der Oper, wie der Ouver- 
türe Nr. 3, in Nr. 2 nicht vorkommt, und ebenso nicht in dem Skizzen- 
buch, so schließt Nottebohm, daß sie erst nach der Komposition von 
Nr. 2 eingelegt wordmi ist. Nach Jahn ist aber die originale Partitur 
nebst Abschrift von der ersten Bearbeitung des Quartetts vorhanden 
kenntlich an dem ursprünglichen Trompetensignal in Triolen, wie in, 
der Ouvertüre Nr. 2. Auch findet sich in Nr. 2 in der kurzen 
Überleitung vom Trompetensignal zum Adcigio mit der Florestan- 
Melodie dasselbe rhythmische Begleitungsmotiv, wie in Nr. 3 zu der 
Melodie in jBdur. Das ist vermuthlich ein Überbleibsel der Idee 
diese Melodie auch schon in Nr. 2 anzubringen. Wegen der großen 
Länge des vorangehenden Durchführungstheils hat Beethoven darauf 
verzichtet, und ist bei der Umarbeitung darauf zurückgekommen. 
Es ist hier ein Beispiel von der einseitigen Ausnutzung der Skizzen- 
bücher durch Nottebohm« Beethoven hat eben neben jenem Skizzen- 
buche noch andere Bücher oder Blätter während der Komposition 
benutzt. Es betrifft; nur einen Theil der Oper, von einigen Stücken 
finden sich nur einige Andeutungen, und die umfangreichen Skizzen 
zu anderen sind noch in sehr unfertigem Zustande. Es sieht fast so 
aus, als habe Beethoven selbst die während des Winters theils viel- 
leicht in kleinen Heften, theils auf einzelne Bogen geschriebenen 
Skizzen zur Oper, sowie zu den Instrumentalwerken zusammenbinden 
lassen, wobei denn noch viele Seiten leer gewesen sein mögen; so 
erklärt sich das seltsame Durcheinander der Skizzen. 

Erst nach dem SchluBchor auf Seite 333 — 337 kommt die Arie 
der Leonore vor. Seite 331 und 332 hängen mit Seite 335 und 336 
zusammen (s. Nottebohm, a. a. O. S. 452); Seite 333 und 334 ist also 
ein einzelnes Blatt, was wieder auf die Entstehung des Buches hin- 
deutet. Der erste Versuch an der Arie ist in Z>moll und JPdur. 
Nun wird in einem Bericht über die erste Aufführung eine Sopran- 
Arie in jPdur mit drei obligaten Hörnern und Fagott erwähnt, und 
so hat schon Jahn vermuthet, daß es wirklich eine solche Arie ge- 
geben hat, und Nottebohm hält das bun durch das Skizzenbuch für 
erwiesen. Warum aber nicht das Einfachste annehmen, daß F ein 
Druckfehler für E ist? 

Die Texte von 1805 und 1806 stimmen allerdings nicht über- 
ein, worauf sich Nottebohm auch beruft; der Text von 1805 soll der 
verlorengegangenen Arie angehören. Er enthält zwei gleiche Strophen 
von acht Versen, von denen die vier letzten sich wie ein Refrain 
nahezu gleichen. Nun benutzte Beethoven die ersten vier Verse zum 
Becitativ j»Ach brich noch nicht« etc. (das jetzige Recitativ gehört 
erst der dritten Bearbeitung an), und zwar zuerst in Z>moll, und 



j[50 Albert LeTinsohn, 



dann in anderen Tonarten, welche auf den EbtuptsatE in £dur hin- 
deuten. Auf seinen Wunsch vermuthlich sind dann zum Zwecke 
des beabsichtigten Adoffios vier Verse hinzugedichtet und so ist der 
Bau der Strophen zerstört worden. Aus Nachlässigkeit oder weil es 
zu spät war, enthält der Text von 1805 diese Verse nicht Es ist 
eine überflüssige Vermuthung, dafi es eine Arie in 2^dur gegeben 
haben soll, die ebenfalls mit drei obligaten Hörnern und Fagott be- 
gleitet gewesen sein soll. Die Sängerin, später als Blilder- Haupt- 
mann berühmt, würde sich wohl dessen erinnert haben. Sie erzahlte 
aber Jahn nur, daß sie vergebens Kämpfe mit Beethoven wegßxk der 
ünsangbarkeit der Passagen gehabt habe; erst 1814 habe sie Ände- 
rungen durchgesetzt. Die jetzige, im Adagio bedeutend vereinfachte 
Arie mit dem neuen Recitativ ist zuerst bei Beethoven's Benefiz- 
vorstellung am 18. Juli 1814 gesungen worden, und war mit der 
Arie Bocco's als neues Musikstück angezeigt, Sie war bei den ersten 
Aufführungen noch nicht fertig. Ein Berichterstatter schreibt: »Schön 
und von vielem Kunstwerthe war die Arie in JEsdur (?) mit vier 
obligaten Waldhörnern (?). Doch dünkt es Ref. als verlöre nun der 
Akt am raschen Fortschreiten«. Treitschke, der drittte Bearbeiter 
des Textes, sagt, sie sei später wieder fortgeblieben. Seltsamer Weise 
findet sich (s. Nottebohm, a. a. O. S. 303] in dem bei den ersten Auf- 
führungen gebrauchten, handschriftlichen Textbuche ein Text der 
Arie mit acht Veisen Recitativ, wovon nur die vier ersten mit dem 
jetzigen längeren Texte übereinstimmen, während der Text des Ada- 
gios: «Komm, Hoffnung« fehlt. Jener Text ist jedenfalls von 
Treitschke. Hat es nun etwa wieder eine andere Arie (in EsAxxri) 
gegeben, die verschollen ist? Thayer ist schwankend.. Nottebohm 
entscheidet sich, auf Grund von Skizzen, dafür, daß es nicht der Fall 
ist. So wird es sich auch mit der angeblichen Arie in 2^dur verhal- 
ten, und zwar trotz der Skizzen. Ist nun 1814 in den ersten Vor- 
stellungen die alte Arie von 1806 gesungen worden, wie Nottebohm 
meint? Ich glaube, nein ; denn sonst wäre an der neuen nichts neu 
gewesen als das Recitativ. Entweder es ist gar keine gesungen 
worden , oder es ist aus der früheren das Adagio , dessen Figuren 
die unsangbarsten sind, fortgelassen worden. 

Während der Komposition der Oper ist von den Instrumental- 
werken, mit denen sich Beethoven gelegentlich beschäftigt hat, nur 
die Sonate Op. 54 fertig geworden. Es ist durchaus nicht unglaub- 
lich, daß er in nicht ganz einem Jahre die Oper vollendet haben, 
soll; es ist sogar zu vermuthen, daß ihm kontraktlich keine längere 
gewährt war. Der giöBere Theil dei in dem Skizzenbuch enthaltenen 
Skizzen wird während des Winters geschrieben sein, und einige 



Die EntotehuDgsseit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. 



151 



Stacke mögen schon imFrühjahi fertig vorgel^en haben. Die Skizzen 
suz OuTerture Nr« 2 können erst entstanden sein, nachdem die Melo- 
die der Florestan-Arie ihre endgültige Fassung bekommen hatte. In 
dem Skiaenbuche ist das, so yiel aus Nottebohm und Thayer's An- 
gaben SU ersehen ist, noch nicht geschehen. Trotz einer Menge der 
verschiedensten Anfänge und Versuche wird doch nur eine Melodie 
erreicht, welche ungefähr die Grundlage der spateren bildet. Gerade 
der charakteristische chromatische Schritt, den die Arie in der früheren 
Bearbeitung hat, und übereinstimmend die Ouvertüre Mr. 2 und 3, 
fehlt in den Skizzen zur Arie, während er in denen zur Ouvertüre 
bereits vorhanden ist. Diese können sehr wohl geschrieben sein, als 
die Ouvertüre Op. 138 bereits fertig war. Alle bisher bekannten 
Skizzen reichen nicht aus, um die Unrichtigkeit dieser Annahme zu 
beweisen. Von Interesse ist schließlich noch folgende Zusammen- 
stellung der verschiedenen Fassungen des Anfangs der Florestan- 
Melodie: 

1) Skizse zur Arie* 




2) Skiszezum iwei-lts^ 
tan Thema des Alle- ^^ 
^o«l.OuTertureNr.2zrz3 



3) Skiue zum Ada- 
gio vor dem Schluß 
derOuvertureNr. 2. 



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4) Einleitunff der 
OuTeituie Ifr. 2. 



5) Adagio vor dem 

Schluß der Ouyei^ 

ture Nr. 2. 




V.J^.1^ I 



^^nr ^ "^ff 




6) Arie der zweiten Z 
Bearbeitung. 



7} Einleitung der 
OuTerture m. 3 
(zweite Bearbeitung). 

8) Adagio in der 
Ouvertüre Nr. 1 

(Op. 138). 

9) Arie in der dritten 

Bearbeitung. 



TTj-fn 




fe* 



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p f. t f, f, I fr ji J.J^ 



« 

] 52 Albert Lerinsohn, 



Die Arie der ersten Bearbeitung fehlt. Da Nr. 6 und 7 über* 
einstimmen, so könnte man vermuthen, daß die Arie der ersten Be- 
arbeitung mit Nr. 2, 3, 4, 5 übereingestimmt haben kann, und da 
nun Nr. 8 nicht mit diesen, sondern mit der zweiten Bearbeitung 
übereinstimmt, könnte man femer vermuthen, Op. 138 sei erst nach 
dieser komponirt. Allein bei den vielen Wandlungen, welche die 
Melodie durchgemacht hat, ist das sehr unsicher; sie kann in der 
Arie so gewesen sein, wie in der Ouvertüre Nr. 1, und nachher, 
vielleicht durch Einfluß des instrumentalen Gedankens in Nr. 2 ge- 
ändert worden sein. Der chromatische Schritt, der in der Skine 
zur Arie noch nicht vorhanden ist, ist im Fidelio endlich wieder ent* 
fernt worden, und so die früheste Fassung wieder au^enommen 
worden; in Folge dessen fehlt jetzt zwischen Fidelio und Nr. 2 und 
3 die Übereinstimmung; sie passen nicht dazu. 



VIII. 

Die Klaviersonate in £dur Op. 14, die Violinsonate in .^dur 
Op. 12, die Klavierkonzerte in jBdur und Cdur. 

Die Veröffentlichung eines zerstreuten und nicht leicht zugäng- 
lichen Materials sollte so geschehen, daß die Benutzung erleichtert 
wird. Dazu ist vor Allem nöthig die Angabe, wo es sich befunden 
hat. Es ist seltsam, daß Nottebohm das öfters verschweigt, 
wie schon gelegentlich bemerkt, und daß man oft nicht einmal er- 
kennen kann, ob die Skizzen für sich allein oder in Verbindung mit 
anderen, und mit welchen, vorkommen. Dies im Zusammenhang mit 
der Unterlassung der Angabe mancher anderer wichtiger Umstände, 
sowie mit der Art der Behandlung erweckt das Gefühl, daß dem 
Leser eine Meinung nahe gelegt werden soll, statt daß ihm Material 
und Gründe zu eigener Prüfung geboten werden. Daneben macht 
sich die Neigung bemerkbar, die Überlieferungen der Zeitgenossen 
gegen besonders auf Skizzen beruhende Kombinationen von manch- 
mal künstlicher Art zurückzudrängen. Einige solche nicht nur in 
chronologischer Hinsicht interessante Fälle sollen im Folgenden noch 
besprochen werden. 

Auf der ersten Seite von zwei zusammengehörenden Bogen 
(j)die an der königl. Bibliothek zu Berlin aufbewahrt werden«, 
wonach man einzelne Bogen vermuthen würde, während sie nach 
Nottebohm's Ausdrucksweise in irgend einem Skizzenbuche vor- 
kommen werden, das er nicht angiebt) steht eine größere Skizze 



* Die Entstehungszeit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. J 53 



mit dem Thema des ersten Satzes der Klayiersonate in £dur Op. 14 
(erschienen Ende 1799), auf d6n folgenden Seiten Skizzen zur 
Yiolinsonate in ^dur Op. 12 (erschienen Ende 1798). Nach Notte- 
boliin ist es fraglich, ob sie für Klavier oder mehrere Instru- 
mente gedacht ist. Mir scheint das letztere unzweifelhaft. Umfang- 
reiche und weit vorschreitende Skizzen zu den drei Sätzen der 
.£dur -Sonate finden sich auf der letzten Seite eines Bogens, der 
auf den vorhergehenden Seiten Skizzen zum zweiten und dritten 
Satz des jBdur-Konzerts enthält. Das Thema des Rondos des Kon- 
zerts hat den Rhythmus #^ I J /^ J statt ^ J ^ J I ; sonst ist es 
wie jetzt (s. Nottebohm, a. a. O. S. 45, 69). Ein anderer Bogen ent- 
hält auf allen vier Seiten Skizzen zum Konzert, von denen Notte- 
bohm nur wenige Noten mittheilt. Auf der dritten Seite stehen 
oben Nachahmungssätze, welche dem Unterricht bei Albrechtsberger 
angehören. Da nun das Konzert nach Nottebohm im März 1795 
gespielt worden ist, so schließt er, daß die Klaviersonate in JS dux 
und die Violinsonate in ^dur auch bereits dieser Zeit angehören. 
Noch andere, auf einzelnen Blättern vorkommende Skizzen zum 
Konzert erwähnt er, fuhrt aber nur einen Anfang zum Rondo an, 
der bereits den jetzigen Rhythmus hat. 

Die Blätter mit den Skizzen zum Konzert befinden sich 
zwischen allen möglichen in Unordnung zusammengehäuften aus der 
Bonner Zeit bis an das Ende des Jahrhunderts reichenden Papieren, 
welche zu chronologischen Feststellungen wenig geeignet sind. 
Warum Beethoven den angefangenen Bogen nicht beiseite gelegt, 
und gelegentlich als einen leeren zur Hand genommen haben soll, 
ist nicht einzusehen. Nun hat Beethoven das Konzert später um- 
gearbeitet, wahrscheinlich 1798 (s. Nottebohm, a. a. O. S. 73) und die 
Skizzen könnten sich darauf beziehen, und somit wäre alles in bester 
Ordnung. Zu dieser Umarbeitung finden sich Skizzen in einem 
Skizzenbuch von 1798 (s. Nottebohm, a. a. O. S. 479). Sie betreffen 
fast ausschließlich den ersten Satz ; worauf die Umarbeitung gerichtet 
war, läßt sich nach Nottebohm nicht sagen. Aus dem zweiten Satz wird 
nur an einer kleinen Stelle gearbeitet, und vom dritten Satz sind 
nur wenige Takte aus der Mitte da. Jene anderen Skizzen aber 
befassen sich hauptsächlich mit dem letzten Satz. Es ist also leicht 
möglich, daß sie derselben Zeit angehören. Vielleicht ist das Rondo 
an Stelle eines anderen hinzukomponirt worden; im Nachlaß hat 
sich ein Rondo in J9dur gefunden, welches vielleicht ursprüng- 
Uch dazugehörte. Wie dem auch sein mag, jedenfalls können 
uns die angeführten Skizzen nicht zwingen, die Komposition der 



] 54 Albert Leiinfohii, 



Klaviersonate in £dur und der Yiolinsonate in ^dur so froh und 
80 lange vor ihrem Eischeinen anzusetzen. 

Nach Nottebohm hätte Beethoven bis 1800 in Wien nur das jBdur- 
Konzert gespielt, obschon er bereits 1798 in Prag das (7dur-Konzert 
gespielt hat. Das ist nicht glaublich, widerspricht auch dem Bericht 
▼on Wegeier, dem aber Nottebohm keinen Glauben schenkt. Bs 
ist festgestellt, daß Beethoven am 29. März und 18. Dezember 1795, 
am 8. Januar 1796, am 27. Oktober 1798 und am 2. April 1800 
ein Konzert gespielt hat; Wegeier, der bis Mitte 1796 in Wiai war, 
kann also das Cdur-Konzert sehr wohl gehört haben, von dem Beet- 
hoven selbst sagt, daB es das später komponirte sei. In der An- 
kündigung des ersten Konzerts heifit es: ein neues Konzert, und 
Nottebohm behauptet, erst 1800 habe er wieder ein neues Konzert 
voi^etragen. Aber in der Ankündigung steht das nicht, nur in einem 
Bericht, und also kann er auch früher, worüber Berichte nicht vor- 
liegen, ein neues gespielt haben. Das 1800 gespielte könnte das in 
CmoU gewesen sein. Das Manuskript hat die Jahreszahl 1800 und 
nach Anspielungen in einem Brief an Hofmeister vom Dezember 1800 
kann es zum Konzerte wohl fertig gewesen sein. Nach Wegeier 
schrieb Beethoven das Rondo zum Cdur- Konzert drei Tage vor der 
Auffuhrung unter Kolikschmerzen, gegen die er ihm Mittel eingab. 
Am nächsten Tage, als in Beethoven's Zimmer Probe abgehalten 
wurde, stand das Klavier für die Blasinstrumente einen halben Ton 
zu tief, weswegen er nach b stimmen ließ und seine Partie aus eis 
spielte. Nottebohm behauptet, es könne nur das Konzert in jBdur ge- 
wesen sein. Es ließe sich nicht beweisen (?), daß das in C damals 
fertig war. Das in B habe keine Trompeten und Pauken und darum 
sei bei ihm eine Probe im Zimmer wahrscheinlicher. Eistens war 
es eine erste Probe, mit vielleicht nicht vollständigem Orchester» 
zweitens wohnte Beethoven damals zeitweilig beim Fürsten Lichnowsky. 
Wegeier nennt sich in der Vorrede bescheidener Weise in Hinsicht 
auf Musik nur einen schwachen Dilletanten. Das nutzt Nottebohm 
gegen ihn aus, um sein Zeugniß 7u entwerthen, sogar die Ver- 
wechslung von Leonore und Fidelio, die nicht ihm sondern Brenning 
zur Last fällt, benutzt er dazu. Eine solche Kritik ist nicht ge- 
eignet, VVegeler's Erinnerung an ein Ereigniß, welches sich ihm 
als denkwürdig eingeprägt hatte, als unzuverlässig bei Seite zu 
schieben. 



Die Entstehungflseit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. ^[gg 



IX. 
Der Trauermarsch der Klaviersonate in .^^dur Op. 26. 

Nottebohm schreibt: 

»Ferdinand Ries sagt: Der Trauermarsch in ^moU entstand 
aus den großen Lobsprüchen ^ womit der Trauermarsch Paer's in 
dessen Oper Achüleus von d^i Freunden Beethoven's aufgenommen 
wurde. (Von anderer Seite [von wem?] wird hinzugefugt, Beethoven 
sei durch einen in Paefs Marsch vorkommenden Faukenwirbel zur 
Nachbildung angeregt worden.) Diese Mittheilung kann nicht wahr 
sein, weil Beethoven's Trauermarsch schon vor Mitte 1800 angefangen 
war, und Paer's Achilleus erst am 6. Juli 1801 zum ersten Male in 
Wien angeführt voirde.« Es soll das wieder aus Skizzen nachge- 
wiesen werden. Nun sagt aber auch Czerny (was Nottebohm nicht 
anführt): i»Die Marda Funebre wurde bei Gelegenheit eines damals 
sehr beliebten Trauermarsches von Paer geschrieben und der Sonate 
Op. 26 beigefügte. Es sind also zwei unabhängige sehr gute Zeugnisse 
da. Das Skizzenbuch , auf das sich Nottebohm (a. a. O. S. 230 ff.) 
beruft, enthält nach Skizzen zur Sonate solche zur Prometheus- 
Musik, welche am 21. März 1801 zuerst au%efuhrt wurde. Vielleicht 
war jener Marsch nicht aus Achilleus, was ja auch Czerny nicht 
sagt, oder er konnte, da Paer in Wien lebte, bereits vorher bekannt 
sein. Man muß doch bedenken, daß Ries, als die Sonate im März 
1802 erschien, bereits in Wien und Beethoven's Schüler war. 

In den Skizzenbüchem aber geht es oft seltsam zu, und das 
Vertrauen, die Folge der Skizzen als chronologische Folge zu be- 
trachten, ist nur unter Umständen . gerechtfertigt. Erst auf Seite 73 
des Skizzenbuchs fangen die Skizzen zum Prometheus an und er- 
strecken sich mit vielen Unterbrechungen bis zum Ende des Buchs 
(S. 186). Im Anfang des Buches stehen Skizzen zu den Violinsonaten 
Op. 23 und 24; die zu der letzteren kommen fast bis zu Ende des 
Buches vor. Auf Seite 1 steht die »Rondo« überschriebene Melodie des 
Bondos der Fdur-Sonate Op. 24, mit vier Kreuzen, trotzdem wohl in 
2%dur zu lesen; femer vier Takte aus dem i^dur-Quartett Op. 18, 
und weil nun dieses Quartett nach einer keineswegs sicheren Ver- 
muthung im Sommer 1800 fertig war, so schließt Nottebohm ohne 
Weiteres, daß auch alles Folgende bereits 1800 geschrieben ist. Er- 
schienen sind die Violinsonaten im Oktober 1801. 

Nun bedenke man aber Folgendes: Von Seite 44 an stehen 
ziemlich weit vorrückende Skizzen zum ersten Satz der zweiten 



1 56 Albert LeTinsohn, 



Symphonie (welche Seiten sie einnehmen, ist nicht genau angegeben) . 
Mitten zwischen ihnen stehen auf den oberen Zeilen einei Seite in 
Reinschrift die ersten vier Takte der Sonate pathetiquey was Notte- 
bohm mit den Worten abthut, ein ErgebniS sei daraus nicht 2u 
ziehen. Die Sonate ist im Dezember 1799 erschienen. Da nun Beet- 
hoven wohl nicht die Absicht haben konnte, die Sonate nochmals 
in einem Skizzenbuche aufiEuschreiben , so bleibt kaum eine andere 
Erklärung übrig, als daB er zum Theil bereits beschriebene Blätter 
hat zusammenbinden lassen, wodurch denn eine chronologisclie 
Yerwerthung in Frage gestellt sein würde. 

Schon auf Seite 2 t findet sich ein Stück zum Finale der ^sdur- 
Sonate; es sollte wohl der Mitte angehören, da die Stelle das Thema 
Torauflsetzt, indem es in einer anderen Lage erscheint und dann eine 
Yarürung im Triolen angefangen wird. Auf Seite 54 steht dann eine 
im An&ng mit dem Druck übereinstimmende Skizze; die von Notte- 
bohm mitgetheilte, auf Seite 159 stehende ist ebenso beschaffen. Nun 
steht auf Seite 56 eine Skizze zum Trio des Trauermarsches und eine 
zum Thema der Variationen mit der Bemerkung : eariee tutt a fatto - 
poi Menuetto o qualche aliro pezzo charactertstica come p. JE. una Marcia 
in as moll e poi questo, worauf ein Anfang im V4-Takt folgt, den Notte- 
bohm für die Idee eines Finales hält, was richtig zu sein scheint. 
Auf Seite 57 steht dann die erste Skizze zum Marsch, auf Seite 132 
eine andere; über fernere Skizzen sagt Nottebohm nichts. 

Dieser Zustand des Buches läßt wieder verschiedene Erklärungen 
zu. Daß aber die Skizzen zum Marsche bereits Mitte 1800 ge- 
schrieben sein müssen, ist viel zu viel gesagt. Beethoven kann das 
Buch, wenn er es wirklich leer in Gebrauch genommen hat, vom 
und in der Mitte (S. 73) ungefähr gleichzeitig beschrieben und nach- 
her leere Plätze ausgefällt haben. Wieviel leere Stellen noch vor- 
handen sind, sagt Nottebohm nicht. Irgend etwas muß doch an 
den Angaben von Ries und Czemy wahr sein, und wenn Nottebohm 
Recht hätte ; so müßte Beethoven zufällig einen Trauermarsch ge- 
schrieben haben, bevor ein anderer von Paer bekannt wurde, und 
aus später angestellten Vergleichen müßte der Irrthum jener ent- 
standen sein. Ich bleibe vorläufig bei der Überlieferung. 

X. 

Die Phantasie für Klavier mit Chor und Orchester und 

das Klavierkonzert in Esdui, 

Auf Seite 255 a. a. O. behandelt Nottebohm ein Convolut von 
24 Bogen imd zwei einzelnen Bogen, ferner einen früher bei Petter 
in Wien befindlichen Bogen, indem er die Seiten ohne Weiteres 



Die Entstehungflsseit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. j[57 



durchnumeriit, und 27 in einander liegende Bc^en als ein Skizzen* 
buch ansiebt. Wie abei die einzelnen Bogen eingerechnet sind, muß man 
eist errathen. Der letztgenannte Bogen wird derjenige sein, der sich 
nach Thayer (11, S. 115) zu Anfang jenes schon erwähnten Buches 
findet, das ganz vom Skizzen zur Phantasie -mit Chor und danach 
die allerersten Ideen zur CmoU-Symphonie enthält (s. oben S. 141). 

Man liest leicht über diese seltsame Benutzung des Materials hin- 
w^. Damit aber soll nun durch das Vorkommen von Skizzen zur Ein- 
leitung der Phantasie mit Chor zugleich mit solchen zu Kompositionen, 
die sEum Theil sicher dem Jahre 1809 angehören, bewiesen werden, 
daß diese Skizzen nach der Auffuhrung der Phantasie im Dezember 
1808 geschrieben seien, dafi also die jetzige Einleitung damals nicht 
existirt habe. Zwischen Skizzen zur Phantasie für Klavier Op. 77 
sollen solche zur Phantasie mit Chor vorkommen, und nach Angabe 
des Erzherzogs Rudolf soll Op. 77 im Oktober 1809 komponirt sein. 
Daran ist nur so viel wahr, daß in der abschriftlichen Sammlung, 
welche sich der Erzherzog anlegte^ die Phantasie vom Oktober datirt 
ist, was sich auf das Datum der Übereichung bezieht. 

Im Original-Artikel (Musik. Wchbl. VII, S. 511 ff.), wo die zwei 
Bogen noch nicht als zu den 24 zugehörig gerechnet werden, sind 
Skizzen zu Op. 77 nicht bei den letzteren erwähnt; sie sollen jetzt 
auf Seite 103 — 108 vorkommen; dies und andere Gründe lassen er- 
rathen, daß Nottebohm die drei Bogen, wie um die anderen herum- 
gelegt, gerechnet hat. Die 24 Bogen beginnen, nach dem Original- 
Artikel, mit Skizzen zum jEsdur- Konzert; auf den zwei einzelnen 
Bogen kommen (s. ebenda) Skizzen zum zweiten und dritten Satz 
vor. Eine Brie&telle kommt auf Seite 7 der 24 Bogen vor, jetzt 
offenbar auf Seite 13 (s. Nottebohm, a. a. O. S. 261), und ein nach 
dem Original-Artikel früheres Blatt mit einer ähnUchen Briefstelle 
wird jetzt als vorangehendes gerechnet 

Nim scheint ziemlich sicher zu sein (s. Nottebohm, a. a. O. 
S. 500 ff.), daß Beethoven während der Arbeit an der Phantasie mit 
Chor gleichzeitig am £«dur-Konzert skizzirte. Mit der Y ermuthung, 
der Anfang des ersten Satzes mit dem Klavier- Solo sei durch die 
Einleitung der Phantasie hervorgerufen, hat Nottebohm gewiß Recht* 
In dem von ihm (a. a. O. S. 455 ff.) besprochenen Skizzenbuche von 
1808, das mit Skizzen zur Phantasie beginnt, findet sich auf Seite 53 
ein Versuch der Einleitung für ELlavier, auf Seite 75 ein anderer: 




(u. g. w.) , 



j[58 Albert Levinsohn, 



in CmoU zu lesen, dessen Anfang in anderen Tonarten wiederkehrt. 
Darauf folgen dann Skizzen znm ersten Satz des Konzerts. Die Ar- 
beit an der Phantasie ist dann anderwärts fortgesetzt worden (Notte- 
bohm, a. a. O. S. 500), und daB sich daneben Skizzen zum Konsiert 
auf solchen BUttem finden können, ist sehr natürlich. 

Die angefahrte Skizze hat mit der jetzigen Einleitung nichts 
gemein, wohl aber mit dem Thema des Finales des Esint-KonzeTta, 
was Nottebohm nicht bemerkt zu haben scheint. Auf Seite 1 1 des 
Skizzenbuches findet sich Folgendes: 

Yielleicht mit einem Quartett anfangen — 
Finale welches sich mit einem Quartett in Eit anfängt — 

Anfang. 




wo die Beziehung zum Konzert, und zu dem vorhin angeführten 
Anfang unverkennbar ist. Es scheint, als dachte Beethoven daran, 
der Phantasie ein Finale in ^dur zu geben, welches sich selbst 
oder in seiner Einleitung thematisch an das Klavier-Solo anschließen 
sollte. Nottebohm interpretirt diese Stelle so, als wenn die Phan- 
tasie damit beginnen sollte, obschon doch j» Finale a dasteht, und die 
auf Seite 53 vorkommende Skizze 



^^^^3^ 


^hißf f- 


Anfang der 
Phantasie. # ^ 




!• S^ 


k 





-f-F 


:t=r- 



(u. 8. w« achttaktige Periode, ngt Fermate 
auf g, worauf die marschartige Überleitung 

beginnt). 



hält er für die Idee eines Anfiings. Da nun jene andere Stelle erst 
S. 75 vorkommt, so will er dadurch beweisen, daß Beethoven auf 
den Gedanken, das Werk mit einer längeren Einleitung beginnen 
zu lassen, erst später gekommen ist. Mir kommt das nur wie ein 
unnöthiger kritischer Gewaltstreich auf Grund eines dürftigen Mate- 
rials vor, und ich lasse mir dadurch nicht ausreden, daB gerade die 
Einleitung durch eine Klavier -Phantasie, das Hinzutreten des Or- 
chesters, und dann des Chors, was die eigenthümliche Grundidee des 
Werkes ist, es auch von vornherein gewesen ist. Beethoven hat ein- 
fach zuerst die Orchester-Partie vorgenommen, und die Einleitui^, die 
nur in ihrer allgemeinen Idee feststand, bis zuletzt gelassen. Daß die 
angeführten 8 Takte wirklich den Anfang des Werkes bilden sollten, 
ist auf keine Weise glaublich. 



Die Entstehungsseit der OuTerture zu Leonore Nr. 1. I59 

Skizzen zor jetzigen Einleitung der Phantasie finden sich auf 
Seite 92 der 27 Bogen, also zu den 24 Bogen gehörig, und auf den 
hinsugefiigten Bogen, und die betreffenden Bogen scheinen auf den 
firüher liegenden Seiten Skizzen zum Konzert zu haben. Ob nun 
überhaupt, und auf welche Weise diese Bogen einmal zusammen 
gelegen haben, das läßt sich nicht sagen; Nottebohm beschreibt auch 
noch andere 8 und 2 Bogen mit Skizzen zum Konzert. Er beschreibt 
ferner (a. a. O. S. 38) ein Skizzenheft zu den Ruinen von Athen: 
»Die Bl&tter, Bogen und Lagen, aus denen das Heft besteht, sind 
erst nach dem Gebrauch zusammengefadelt worden und liegen nicht 
durchweg in der Ordnung, in der sie beschrieben w^irden.« Das 
laBt sich hier, wo es sich nur um ein und dasselbe Werk handelt, leicht 
feststellen. Wo die Skizzen verschiedene Kompositionen betreffen und 
auf losen Bogen Torkommen, sollte man denn doch noch mifitrau* 
ischer sein. 

XI. 

Die Violinsonate in G^dur Op. 96 und das Allegretto der 

achten Symphonie. 

In einem Skizzenbuch, dessen Beginn Thayer in das Jahr 1809, 
dessen Fortsetzung er in das Jahr 1811 setzt, steht eine Posthorn- 
FanfiEire und daneben: Fostillon von Karlsbad, wozu er bemerkt: es 
müsse bei Beethoven's Ankunft in Teplitz, als die Erinnerung noch 
frisch war, geschrieben sein. Ob ei meint, Beethoven müsse die Reise 
über Karlsbad gemacht haben, ist unklar, jedenfalls kann die Notiz bei 
Gelegenheit seines Aufenthalts in Teplitz 1811 geschrieben sein. Notte- 
bohm nimmt die Sache sehr ernst, und behauptet, es müsse 1812 in 
Karlsbad geschehen sein; sonst hätte Beethoven nicht schreiben können: 
1 Fostillon von Karlsbad«, sondern er hätte anders schreiben müssen, 
etwa: Fostillon aus Karlsbad od. dgl. (s. Orig.-Art. im Mus. Wchbl. X, 
S. 214, in den zweiten Beethv. nur angedeutet, S. 290). Ich führe 
das nur an als Beispiel, wie durch allzu tüftelnde Ausnutzung solchen 
Materials vortrefi^liche Leute Gefahr laufen, in's Komische zu ver- 
fallen. 

Die chronologische Frage in Betreff des Skizzenbuches hat aber 
in der That ein besonderes Interesse. Auf dem vorletzten Bogen stehen 
auf drei Seiten Skizzen zum dritten und vierten Satz der achten Sym- 
phonie, auf der vierten Seite und dem letzten Bogen Skizzen zurViolin- 
sonate Op. 96. Da die Sonate im Dezember 1812 beiAnwesenheitBode's 
in Wien beendigt worden ist, so meint Thayer, Beethoven habe die 
Skizzen 1811 zurückgelegt. Nottebohm aber weist mit Recht auf den 



160 



Albert Levinsohn, 



auch Yon Thayer citirten Brief an den Enhenso^ Rudolf hin, aus 
dem hervorgeht, daB Beethoven das Finale mit Rücksicht auf Rode's 
Wünsche geschrieben hat. Aus einem Briefe vom I.Juli 1816 geht 
aher sogar hervor, daß er die Sonate auf Veranlassung des Erzhenogs 
geschrieben hat, der sie mit Rode in einem Privat -Konzert vortrug. 
Beethoven schreibt: »Ich darf wohl von Ihrer Gnade hoffen, daß Sie 
der mir etwas freventlich (jedoch blos um der Überraschung willen) 
erlaubten hier beigefügten Dedikation sonst keine Absicht beilegen. 
Das Werk war für I. K. H. geschrieben, oder vielmehr hat es Ihnen 
sein Dasein zu danken, v Die Sonate ist im Juli erschienen. (Das 
dem Erzherzog gewidmete Trio Op. 97 erschien erst etwas später.) 

In diesem Skizzenbuche nun, dessen Ende sicher an das Ende 
des Jahres 1812 gehört, kommen Skizzen zum Allegretto der achten 
Symphonie vor, dessen Thema aus dem auf Mälzel, den Erfinder des 
Metronoms, geschriebenen Kanon stammen soll. Nottebohm sagt: 
» Das Skizzenbuch widerspricht dieser Angabe nicht. Die vorkommen- 
den Skizzen sind nirgends auf die Bildung jenes Themas, sondern 
auf die Weiterführung jenes Themas und der darin enthaltenen 
Motive gerichtet, lassen also eine frühere Entstehung des Themas 
wohl annehmen.« Dazu theilt er eine Skizze mit, deren Anfang ist: 

l)hema. 




r.f f f " f 




h^Lbf^i^ 




jjy'ji 



^t '1^ f if r-1^ 



(U. 8. ▼.) 



Man wird diese Skizze sehr wenig zu Nottebohm' s Worten stim- 
mend finden, und vielmehr überrascht sein, sie noch so fern von 
dem daraus entstandenen Allegretto zu finden, während dessen An- 



I)ie Entstehungflzeit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1 . 



161 



fang genau dem Kanon entspricht. Es scheinen nach den ausfuhr- 
lichen Angahen des Original -Artikels nur sehr wenig Skizzen zu 
diesem Satz in dem Buche vorzukommen, und Nottehohm wird doch 
sicherlich die «einem Zwecke noch am hesten dienliche ausgesucht 
haben. Es überrascht in ihr vor Allem, daß der Rhythmus der gleich- 
mäßigen Sechzehntel; der in dem AUegretto eine so wichtige Rolle 
spielt und das Entstehen aus den Taktschlägen des Metronoms so 
glaubhaft macht, hier nur im Anfang als Begleitung angedeutet ist 
und gar nicht im Zusammenhang mit dem Thema selbst steht, wie 
auch der Fortgang mit ihm gar keinen Zusammenhang hat, daher 
auch nicht mit dem AUegretto. Man vergleiche dagegen den Anfang 
des Kanons: 




ta ta ta ta ta ta ta ia ta ta ta ta ta ta ta 




u. s. w. 



lie - her, lie - ber Mäl-zel, ta ta ta ta ta ta ta ta ta 

Hier ist vollständige rhythmische und melodische Übereinstim- 
mung. Besonders zu beachten ist, daß im Unterschied von der Skizze, 
das melodische Motiv auf den zweiten Takttheil schließt. Ich halte 
es danach für kaum möglich, daß die Skizze nach dem Kanon ge- 
schrieben sein soll, und während man sich denken kann, daß der 
Kanon oder das AUegretto aus dem Taktschlage des Metronoms her- 
vorgegangen ist, ist das bei der Skizze nicht glaublich. 

Diesmal bleibt Nottehohm bei der ÜberUeferung und beruft sich 
auf Schindler's Erzählung, der Kanon sei 1812 bei einem Abschieds- 
mahle improvisirt worden und daraus das AUegretto entstanden; hin- 
gegen ist es Thayer, der die Richtigkeit bestreitet. Daß Schindler 
als Ohren- und Augenzeuge berichten soU, darin hat Nottehohm sein 
Gedächtniß getäuscht ; Schindler's erste flüchtige Bekanntschaft mit 
Beethoven datirt erst von 18 14, sein näherer Umgang mit ihm von 1816. 
Schindler nennt unter den bei jener Gelegenheit Anwesenden den 
Ghrafen Brunswick, und da Thayer (III, S. 221, 235) aus dem Ver- 
zeichniß der in Wien Angekommenen glaubt nachweisen zu können, 
daß dieser von Februar 1809 — 1813 nicht in Wien war, so soll die 
Improvisation 1813 im Frühjahr stattgefunden haben. Zu dieser Zeit 
aber war die Symphonie bereits fertig (s. Brief an Varena vom 27. Mai 
1813). Dennoch hält Thayer es für richtig, daß das Thema des Alle* 
gretto durch das Metronom hervorgerufen worden ist; aus dem AUe- 



1893. 



11 



\Q2 Albert Levinsohn, 



gretto soll dann der Kanon hervorgegangen sein. Dann wäre die 
Entstehungsweise verwickelt. Denn das Thema ist ersichtlich nicht 
aus dem tatata hervorgegangen, sondern dieses ist ihm nachträglich 
vorgesetzt. Daß das durch Erinnerung an das Metronom, bevor Beet- 
hoven an den Kanon dachte, geschehen sein soll, halte ich für wenig 
glaublich. Entweder hat er nachträglich eine Ähnlichkeit mit den 
Taktschlägen herausgefunden und ist in Folge dessen auf den Kanon 
gekommen, oder, da ihm gerade das Allegretto im Kopfe war, ist er 
auf den Kanon gekommen, und erst so hat das Allegretto den An- 
fang bekommen, der für das ganze Stück bestimmend geworden ist, 
nämlich das Zwischentreten des ta ta ta zwischen dem Abschluß des 
melodischen Motivs in BAvlt und dessen Wiederholung in GmolL 
Gerade das Fehlen dieser Wiederholung des charakteristischen An- 
fangs in der Skizze macht es sehr unwahrscheinlich, daB sie aus dem 
Kanon, oder selbst auch nur aus den Taktschlägen des Metronoms 
entstanden ist. 

Zwei Konversationsbücher von 1820 und 1824 enthalten folgende 
Äußerungen von Schindler: »Der Kanon, Motiv zum 2. Satz der 
8. Symphonie. — Ich kann das Original nicht finden. Sie werden 
wohl die Güte haben und ihn noch einmal aufschreiben.« — ferner: 
»Ich bin eben im 2. Satz der 8. Symphonie — ta ta ta ta — der 
Kanon auf Mälzel — Es war doch ein sehr lustiger Abend, als wir 
diesen Kanon im Kamehl sangen. — Mälzel der Baß — Damals sang 
ich noch Sopran — Ich glaube, daß es Ende December 1817 war.c 
Hier ist nun nicht deutlich gesagt, daß das Allegretto aus dem Kanon 
hervorgegangen ist; da aber Schindler, wie hierdurch bewiesen, sich 
über das Allegretto wiederholt mit Beethoven unterhalten hat, iind 
da er ferner die Sache so darstellt, so wird das auch wohl richtig 
sein. Dann aber hat die Improvisation des Kanon im Frühjahr 1812 
stattgefunden (daß Brunswick dabei gewesen sein soll, wird eben ein 
Irrthum sein), und die Skizzen zur 8. Symphonie sind nicht, wie 
Nottebohm meint, im Sommer, sondern spätestens schon während 
des Winters und Frühjahrs geschrieben, und die vorangehenden Skixzen 
zur 7. Symphonie fallen dann noch in das Jahr 1811. Das Skizzen- 
buch spricht durchaus nicht dagegen. Es findet sich ein einzelnes 
Blatt (S. 17 und 18) mit Skizzen zu den Ruinen von Athen, welche 
im Sommer 1811 geschrieben sein müssen. Nottebohm behauptet 
deswegen, es gehöre ursprünglich nicht zum Buche ; nach seiner An- 
gabe, in welchem Zustande sich das Buch früher befunden hat (s. d. 
Orig.-Art.), sind solche Behauptungen von der allerunsichersten Art, 
und nicht mehr, wie das Posthornstückchen (das z. B. auch später 
hineingeschrieben sein kann) geeignet, für die Chronologie der achten 



Die Entatehungueit der Ouvertüre zu Leonore Nr. 1. ( g3 

Symphonie und insbesondere des Allegrettos als Quelle zu dienen. 
Möglicherweise könnten die vonNottebohm nicht mitgetheilten Skizzen, 
sowie etwa noch au&ufindende über dessen Entwicklung mehr Aus- 
kunft geben. 

XII. 
Die Klaviersonate in ^dur Op. 101. 

Das Autograph der Klaviersonate in ^dur Op. 101 hat die 
Überschrift: »Neue Sonate für Harn ... 1816 im Monat November.« 
Beethoven war, wie sich aus Briefen, welche in diese Zeit fallen, er- 
giebt, über die richtige Verdeutschung nicht klar. Aus dem Auto- 
graph sowie aus dem Datum des Erscheinens (23. Febr. 1817) soll 
sich nach Nottebohm ergeben, daß Schindler und mit ihm Thayer 
darin irren, daB die Sonate im Februar 1816 in Wien öffentlich ge- 
spielt und das gedruckte Widmungsexemplar am 23. Februar 1816 
versandt worden sei. Die Übersendung des Widmungsexemplars an 
Frau von Ertmann ergiebt sich aus dem begleitenden Briefe vom 
23. Februar 1816. Diese Datirung muB aber irrthümlich sein. DaB 
es sich nicht etwa um eine Abschrift handelt , geht aus Briefen an 
Haslinger hervor (s. Thayer III, S. 500 ff.), wo Beethoven nachträglich, 
während die Sonate schon im Druck ist, den neuen Titel der Sonate 
mit der Widmung mittheilt imd der Überraschung wegen um Still- 
schweigen darüber bittet. Nach Briefen an Haslinger (Thayer m, 
S. 494, 496) ist die Sonate Ende 1816 zum Stich gegeben, und es 
ist jener Brief ein Beispiel, wie wenig zuverlässig Beethoven's Da- 
tirungen sind. 

Damit, sowie mit dem Autograph ist aber die Sache keineswegs 
entschieden. Schindler berichtet, es sei die einzige Sonate gewesen, 
welche zu Lebzeiten Beethoven's öffentlich gespielt worden sei; Beet- 
hoven habe sie dem Spieler selbst einstudirt. Thayer giebt das Da- 
tum des Konzerts als den 15. (?) 1816 (III, S. 328) an^ ohne nähere 
Auakunfit. Ob sich nun Schindler in der Sonate, oder was wahr- 
scheinlicher, im Jahre geirrt hat, ist ohne Weiteres nicht zu entscheiden. 
In einem Briefe an Haslinger (Thayer III, 496) schreibt Beethoven: 
»besonders giebt es Menschen, die mich wegen der schwer zu exe- 
quirenden Sonate plagen v, woraus man eine zusichere Yermuthung 
entnehmen könnte, die Sonate sei bekannt gewesen (nicht wegen 
jenes Beiworts; denn das ist eine Beethoven'sche Anspielung auf 
den Ausdruck eines Recensenten) . In einem anderen Briefe (Thayer III, 
S. 494), in dem er die neue Sonate anbietet, schreibt er: »Ich habe 

II» 



f g4 Albert Lerinsohn, 



auch Variationen im Sinne, welche auf einen besonderen Festtag 
passeui und dann sogleich da sein könnten.« In einem Skizzenheft, 
das fast ausschließlich das Finale der Sonate betrifft, finden sich da- 
zwischen ein paar Takte mit den Worten : Christ ist erstanden Varia- 
tionen (s. Nottebohm, Zw. Beethv. S. 555). Das sind die in dem 
Briefe gemeinten (nicht die Variationen Op. 121a über den Schneider 
Kakadu, wie Thayer sonderbarer Weise vermuthet). Auf den ersten 
Seiten dieses Skizzenhefts stehen Skizzen überschrieben : Marsch .... 
für die . . . . ; Nottebohm meint wieder, diese Blätter hätten ursprüng- 
lich nicht dazu gehört, wahrscheinlich, weil er die Skizzen in Zu- 
sammenhang bringt mit der Aufforderung, 1815 einen Marsch für 
die bürgerliche Artillerie zu schreiben. Skizzen zu einem Marsch 
finden sich in einem Heft aus dem Jahre 1815 (s. Nottebohm, a. a. O. 
S. 315j; an diese oberflächlich sich anschließende, welche im Juni 
1816 als Marsch zur großen Wachtparade ausgeführt wurden, stehen 
am Ende eines Skizzenbuches, das Skizzen zum 2. Satz der Sonate 
und den ersten Keim des Finales enthält. Dieses Buch reicht nach 
Nottebohm von etwa Mitte 1815 bis spätestens Mitte 1816, in Wahr- 
heit aber bis gegen Ende 1816. Es findet sich eine mit Bleistift 
geschriebene Stelle: «Ich nahm die Wohnung indem ich dachte, daß 
Ew. K. Hoheit mir einen kleinen Theil erstatten würden ohne dieses 
hätte ich sie nicht genommen«. Nun enthält ein Tagebuch aus dem 
Herbst die Worte: »Beeilung mit dem Trio an Seine K. H. Wegen 
400 fl. * — alles eiligst — im Nothfalle schießt er auch vor«, und in 
dem Briefe, mit dem er das Trio Op. 97 mit der Widmung über- 
schickt, heißt es: »Übrigens denken Sie an keine Absicht dabei von 
mir. Da aber die großen Herren schon gewohnt sind, irgend bei 
dergleichen Eigennutz zu vermuthen, so will ich diesesmal auch 
dieses Vorurtheil von mir scheinen lassen, indem ich mir nächstens 
von I. K. H. eine Gnade zu erbitten habe, deren gegründete Ursachen 
Sie wahrscheinlich einsehen und mir selbe gnädigst gewähren wer- 
den.« Dieser Brief ist aus dem November 1816 (s. Nohl, Neue Briefe 
Beethoven's, S. 115). Jene Bemerkung steht auf S. 95 des Skizzen- 
buchs, die Skizzen zum Marsch, dessen Autograph vom 3. Juni datirt 
ist, stehen S. 108 — 112. Bei der Beschaffenheit des Skizzenbuches 
und dem Umstände, daß es sich über eine lange Zeit erstreckt, kann 
wieder nichts Sicheres aus dem Vorkommen der Skizzen geschloßen 
werden, und obschon ich vorläufig die Entstehung der Sonate im 
Jahre IS 16 für wahrscheinlicher halte, so wäre es doch auch möglich, 
daß sie bereits 1815 skizzirt und Anfang 1816 beendigt worden ist. 

Zum Schluß noch ein Beispiel, welches das Mißtrauen gegen die 
aus Skizzenbüchem gezogenen Schlüsse evident rechtfertigt. Notte- 



Die £iitstehunf?szeit der Ouvertüre su Leonore Nr. 1. |ß5 



bohm beschreibt (a. a. O. S. 463) ein kleines beschriebenes Heft^ in 
welchem vom (S. 13} einige Skizzen und den Titel betreffende Be- 
merkungen zur Schlacht bei Yittoria stehen, also zu einem 1813 ge- 
schriebenen und 1816 veröffentlichten Werk, während der folgende 
Inhalt viel spätere Kompositionen, die große Messe und die Klavier- 
sonate in AsAnx Op. 110 betrifft, und zwar stehen auf S. 14. also 
auf demselben Blatt, das auf der vorderen Seite jene Skizzen ent- 
hält, Skizzen zum Agnus Dei der Messe. Nur zufällig sind wir hier 
durch unsere Kenntnisse davor bewahrt, total falsche Schlüsse wegen 
der Kachbarschaft von Skizzen zu machen, welche in Wahrheit viele 
Jahre auseinander liegen. Lägen sich die betreffenden Werke näher, 
so könnten die Schlüsse ganz plausibel erscheinen, und dennoch 
gänzlich verkehrt sein. Es scheint überhaupt, als wenn Beethoven 
gar nicht oder sehr selten hübsch ordentlich ein frisch eingebundenes 
leeres Heft oder Buch zur Hand genommen hat, sondern zunächst 
Blätter und Bogen beschrieben, sie dann zusammengelegt, und je 
nach Umständen hat einbinden lassen, wobei dann später die vielen 
leeren Seiten und Stellen nach Zufall benutzt worden sind. Es ist 
wohl nicht zu läugnen, daB ein einziger Fall, wie der erwähnte hin- 
reicht, um die Schlüsse, welche aus den auf losen Blättern und 
Bogen stehenden Skizzen zur Ouvertüre Op. 138 und zur (7moll- 
Symphonie gezogen worden sind, als nicht im Geringsten zwingende 
erscheinen zu lassen. 



Fälschnngen in Schubert' s Liedern. 

Von 

Max Friedlaender. 



Das Mißgeschick y das Franz Schubert, diesen an Geld und äuße- 
ren Erfolgen ärmsten unter unseren Meistern, sein ganzes Leben 
hindurch verfolgte, ist ihm bis über den Tod hinaus treu geblieben. 
Keines anderen neueren Tonkiinstlers Werke sind in so fragwürdiger 
Gestalt verbreitet worden, wie viele der bedeutendsten Lieder Schu- 
bert's, und es hat ihrer ganzen leuchtenden Schönheit bedurft, um 
trotz der VerbaUhomung ihren Werth erkennen zu lassen. — Wenn 
Mosel in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts HändeVs Samson, 
Jephta, Salomo eigenmächtig umgestaltete, so hatte er doch wenig- 
stens den Muth, die Schlimmbesserung mit seinem Namen zu ver- 
treten. Anders verfuhren die Schubert- Bearbeiter; sie blieben in der 
Anonymität und bürdeten dadurch dem Komponisten selbst die Ver- 
antwortlichkeit für die gefälschten Lesarten auf. 

In der deutscheu Litteratur haben wir ein ganz ähnliches Bei- 
spiel von starker Willkür Seitens des berufenen Herausgebers erlebt: 
die Umarbeitung und Stilisirung der Hölty' sehen Oden durch 
Johann Heinrich Voss. Ein volles Säculum verging, ehe die richtige 
Form von Hölty's Dichtungen zur Wiederherstellung kam; nicht ganz 
so lange Zeit, aber immerhin mehr als fun&ig Jahre dauerte es, 
bis in Gesängen wie Schuberts Müllerliedern, der Winterreise, dem 
Erlkönig u. v. a. grobe Fehler erkannt und ausgemerzt wurden. 
Bei beiden Bevisionsarbeiten hatten die Neuherausgeber die Freude, 
zu sehen, wie die restitutio in integrum in allen Fällen mit einer 
Verschönerung gleichbedeutend war. 

An den Fälschungen der Schubert'schen Lieder trugen Schuld: 
die sogenannten Revisoren, die »Verbesserungen« in der Sing- 
stimme und in den Harmoniefolgen vornahmen, und die Sänger» 
die die Melodien durch »embellissemenfsd zu verzieren glaubten. 



Ffilschungen in SofauberU Liedern. 



167 



Die Ersteren waieu giammatikfeste Musiker vom Schlage der 
Hiittenbienner und Diabelli. Sie konnten der Verlockung nicht 
widerstehen, Schubert von der Fülle ihres Wissens profitiren zu lassen, 
sie tilgten aus Rücksicht auf vermeintliche Parallelstellen manche 
schönen Nuancen^ und wandelten eine Reihe von kühnen, echt 
Schubert'schen Akkordverbindungen in die gewohnten schulgemäfien 

Noch viel freier schalteten die Sänger, unter ihnen besonders 
der um Schubert sonst hochverdiente Baritonist Michael Vogl. 
In der Schule des italienischen Gesangs angewachsen, hielt er sich 
für berechtigt, die Liederweisen mit allerlei schmückendem Beiwerk 
SU versehen; von bösem Willen war dabei nicht etwa die Rede, im 
G^entheile glaubte er, seinem Freunde dadurch einen Dienst zu 
leisten, und der Erfolg beim Publikum schien ihm auch Recht zu 
geben. Indem Vogl femer längere Melodiephrasen durch kühne 

1 Unter vielen Stellen sei hier nur die eine aus dem berClhmten Liede Du 
bist die Kuh (op. 59 Nr. 3) erwähnt. Schubert führte hier die Melodie eu den 
"Worten: »Dies Augenzelt« beim ersten Male: 



m 



cresc. 



=SfF 



Dies Au - gen - zeit, von dei - nem Glanz al - lein er - hellt — 



dagegen bei der Wiederholung ein wenig anders 



cresc. 




Dies Au - g^n - zeit, von dei -nem Qlanz al - lein er - hellt — 

Die Absieht ist ganz klar: zuerst wollte er: »von deinem Glanz erhellt« 
betont haben, das zweite Mal aber: »Ton deinem GLinz.a Vor dem Eifer der 
Berisoren halfen aber weder die ausdrücklich hingeschriebenen /es, noch die 
Zurückrüekung des ereac, noch das Auflösungszeichen vor dem folgenden/ — der 
Bparalldstelle« wurde die Nuance geopfert, und bis zum Jahre 1884 gab es keine 
einzige Schubert-Ausgabe, in der der ursprünglichen Lesart zu ihrem Rechte ver- 
hoifen worden war. 

' Es liegt sehr nahe, hier an eine ganz ähnliche Verplattung zu denken, 
welche nach Goethe' s Tode im Egmont vorgenommen wurde. In Clärehen's Lied: 
»Freudvoll und leidvoU« hatten die Herausgeber die ausdrucksvolle Lesart: 

Langen und bangen in schwebender Pein 
in die gewöhnlichere: 

Hangen und bangen 
geftndert, und diese »Verbesserung« blieb dann l&nger als drei Jahrzehnte hindurch 
in sftmmtlichen Goethe-Ausgaben stehen. 



}ßg Max Friedlaender, 



Einschnitte einfach kürzte, ging er etwas egoistisch vor, da ihm sein 
höheres Alter ^ beim Athmen Schwierigkeiten bereitete. Schubert, der 
in äußerlich bescheidenster Stellung lebte, vermochte nicht, dem ge* 
feierten Künstler in diesen Willkürlichkeiten entgegenzutreten; er 
tröstete sich mit dem Gredanken^ daß der von ihm selbst besorgte 
erste Druck der Lieder von fremden Zuthaten zumeist frei geblie- 
ben war. 

Nach Schubert's Tode hatten aber die Verleger den unglück- 
lichen Gedanken, die neuen Auflagen einiger Werke so zu drucken, 
wie Vogl, Tietze und andere Sänger sie sich für ihren persönlichen 
Gebrauch zugestutzt hatten. So wurden die fremden Ausschmückun- 
gen zu einem integrirenden Bestandtheil der Lieder selbst. Wären 
sie noch mit Geschmack angebracht, so würde der Schaden nicht 
groß gewesen sein. Aber die Zuthaten zeugen fast ausnahmslos 
von einem solchen Mangel an Stilgefühl, ja sie sind zum Theil 
so lächerlich, daß es uns unbegreiflich erscheint, wie die Fälschung 
viele Decennien hindurch unbemerkt bleiben konnte. Li den keu- 
schen, innigen Melodien Schubert's wirken jene selbstgefälligen 
Schleifer und Doppelschläge und Trillerchen und Bouladen etwa 
wie Schönheitspflästerchen auf einer klassischen Statue.^ 

Ich erwähnte vorhin , daß die von Schubert selbst besorgten 
ersten Ausgaben der Lieder (in op. 1 — 108 enthalten) von fremder 



1 Er war 29 Jahre vor Schubert geboren. 

2 Ein vollständiges Bild der hauptsftchlichen Fälschungen habe ich unter 
Gegenüberstellung der ursprünglichen Lesarten im Supplement der kritisch 
revidirten Ausgabe von Schubert's Liedern, Edition Peters Nr. 2173, su geben 
versucht. 

Den ersten Schritt zu einer Keinigung hat Anfang der 60er Jahre J. B. 
Slandhartinger in Wien mit seiner Ausgabe der Müllerlieder (Wien, Spina) 
unternommen — eine in der Anlage sehr verdienstvolle, in der Ausführung leider 
ungenaue Arbeit. — Eine »revidirte Ausgabe« sämmtlicher s. Z. gedruckter Lieder 
ist in den 70er Jahren von Julius Rietz besorgt worden (Leipzig, SeniF). Es 
wird mir nicht leicht, über einen so angesehenen Musiker wie Rietz etwa? Ungün- 
stiges zu äußern, aber es muß doch einmal ausgesprochen werden, daß seine 
Schubert- Ausgabe zu den unzuverlässigsten gehört, die wir besitzen. Nicht nur 
hat Rietz alle Yogl-DiabeUi'schen Fälschungen belassen, sondern er hat noch eine 
Reihe neuer eigenmächtiger Änderungen hinzugefügt. Daß ein Mann von Riets' 
Bedeutung keines der zahlreichen und zum Theil leicht zugänglichen Manuskripte, 
ja nicht einmal eine wirkliche Original- Ausgabe benutzte (er legte seinem Druck 
vielmehr die neuen Diabelli'schen Ausgaben zu Grunde), ist voUig imbegreiflicb. 
Auch Rietz' Revision der sieben letzten Mozart'schen Opern mußte bekanntlich 
in sehr vielen wichtigen Punkten ergänzt und verbessert werden — siehe darüber 
Wüllner's Bericht im Supplement der Gesammtau sgabe — aber sein Mozartwerk 
erscheint noch als Philologenarbeit verglichen mit der von Fehlem winunelnden 
Schubert- Ausgabe. 



Fälschungen in Sohubert's Liedern. 



169 



Zuthat zumeist frei geblieben sind. Alle leider nicht. Ich darf 
hier feststellen, daß bei den allbekannten Gesängen : 

Wer sich der Einsamkeit ergiebt, op. 13 Nr. 1, 
und Der Einsame (Wenn meine Grillen schwirren), op. 41, 

schon der vom Komponisten besorgte erste Druck durch Vogl's Ände- 
rungeii verunstaltet ist. So finden wir in dem obenerwähnten Ge- 
sang des Harfhers: 



statt der Lesarten des 
Manuskripts : 



schon im ersten Druck die noch 
jetzt übliche Form: 
NB NB 




ein je-dei lebt, ein je - der liebt 



f-C' I r f^ I f r ^ = 



und Iftflst ihn sei - ner Pein 



ein je - der lebt, ein je - der liebt 

(NB!) 

M NB 

t 




und l&sst ihn sei - ner Pein 



S> '' 1 1 ^' ' 



fc 



^ 



es schleicht ein Lie - ben - der 




es schleicht ein Lie - ben - der 



j. r/ 1 r- fr I f r ^ = 



Freun-din al - lein 




^ 



Freun - din al - lein 



l r r r r P 



Ein - sa - men die Qual 



^ 






Ein - sa - men 



die 



Ä 



Qual 



j, j:5ij. j- i j' ^^ 



ein - sam im Gra-be sein 




ein - sam im Gra 



be sein 



An diesen Sängerzuthaten, die das schöne Lied leider von Be* 
ginn an entstellen, ist Schubert, wie ich überzeugt bin, ebenso 



'1 70 ^^^ Friedlaender, 



unschuldig, wie an der trivialen Ausschmückung im Einsame 
(op. 41)': 



bin ich nicht srans a^^^ 1 



bin ich nicht ganz 

Es scheint, daß der Komponist bei der Veröffentlichung dieser 
beiden Lieder besondeie persönliche Rücksichten hat walten lassen 
müssen. Uebiigens giebt der Vergleich der gedruckten Form mit dem 
Manuskript des Harfnerliedes einerseits und VogPs Singexemplar anderer- 
seits zugleich den Beweis, daß Schubert hier, wo er sich Vogl fugen 
mußte, wenigstens die ärgsten Stilwidrigkeiten auszumerzen und die 
Zuthaten auf ein geringeres Maß zu reduciren sich bemühte. Es hat 
etwas Rührendes, den Kampf des Komponisten gegen den übermäch- 
tigen Einfluß des Virtuosen, der zugleich sein Freund und Wohlthäter 
war, zu beobachten. 

Nach Schubert's Tode konnten die Sänger und Verleger natürlich 
viel freier schalten, und wir würden die meisten Lieder in völlig 
verballhornter Form besitzen, wenn nicht erfreulicherweise schließlich 
das Trägheitsmoment überwogen und die Barbarenhände der Revisoren 
von weiteren » Verbesserungen a abgehalten hätte. Wohin wir sonst 
gekommen wären, zeigen Michael VogVs Singexemplare. ^ Das Ständ- 
chen aus dem Schwanengesange hatte sich Vogl z. &. folgender- 
maßen eingerichtet: 



1 Zu Nottabohm' 8 Schubert-Katalog ist noch nachsatragen, daß das Lied su- 
erst als Beilage der Wiener Zeitschrift für Kunst, Litteratur, Theater und Mode 
vom 12. März 1825 erschienen ist. Schon in dieser ersten Fassung enthält es 
jene entstellende Figur. 

Aach das Lied: Der blinde Knabe, op. 101, war in hohem Grade den 
Verbesserungsgelüsten der Sänger ausgesetit, glücklicherweise aber erst in der 
E weiten Auflage. 

2 Es sind dies dieselben Singexemplare, nach welchen um das Jahr 1830 Idder 
jener Diabelli'sche Neudruck der Müll erlie der hergestellt wurde, der für viele 
JTahraehnte hindurch allein maßgebend blieb. Die Fälschungen bei den MÜUer- 
liedem sind noch erheblich sahlreicher und eingreifender, als bei den obenerwähn- 
ten Gesängen. — Mir persönlich war es eine lehrreiche Erfahrung, daß drei der 
bekanntesten und angesehensten deutschen Musiker noch vor ganz kuner Zeit die 
»alten« Vogl'schen Lesarten den wiederhergestellten » neuen a yon Schubert Tor- 
zogen; sie waren eben von Jugend auf an die Fälschungen gewöhnt und konnten 
sich an die einfachere, klassische Form nicht leicht gewöhnen. 

Vogl^s Singexemplare werden zum Theil in der Wiener Gesellschaft der Musik- 
freunde aufbewahrt; einige besitze ich selbst. 



Fftlschungen in Sohubert's Liedern. 



171 



I 






NB. 



NB. 



^^ 



-tf'^ 



de 



Flü-Bternd schlanke Wi - pfel rau - sehen in des Mon - des Licht, 
Sie yer-stehn des Bu-sens Seh - nen, ken - nen . Lie - besschmers, 

NB. 



^^ 



Htftf 



in des Mon 
ken-nen Lie 



des Licht 
bes-schmerz 



ferner: 




kunathmig .^ 



g^- B J ^^ 



P^ 



komm , be - glü-cke mich 
NB. 



komm, be - glü-cke mich 



-^ 




:i;^ 



be- glü-cke 



^^ 



statt: 



t 



ä 



■iS^ 



mich 



* 



be - glQ - cke mich 



In Jägers Abendlied (op. 3) wollte Vogl drucken lassen 



MüL^ I ,v f, ri ^pg^^^jP ; 



da schwebt so licht dein lie - bes Bild 



statt 



t 



^T^=^^ 



da schwebt so licht dein lie - bes Bild 



ferner : 



jA^ i r H'im 



dein sü - ßes Bild mir vor 



m 



^m 



^m 



statt 



stellt sich's dir nicht ein-mal 



i^OcJi-Ti^ 



t 



weiß nicht, wie mir geschehn ^ 



Z^J^TJTfjim 



dein sQ - ßes Bild mir vor 
stellt sich's dir nicht ein - mal 
weiß nicht, wie mir ge-scheh*n 



i72 



Max Friedlaender, 



im Fischer (op. 5): 



fen^' I ) i i'^^^ 



fein feuch-tes Weib, ein feucb-tes Weib her - vor 



statt 



g1^ ' g rt^4 ^ 




ein feuch-tes Weib — her - vor 

und im Wanderer (op. 4) : 

NB. 



NB. 



i 



=3; 



iHTT-XI 



etc. 



und im - mer fragt der Seufser 



NB. 



NB. 





ich bin ein Fremd - ling ü - ber - all 

NB. 



P 



r J 7 i^- 



^=F=t 



t 



■^ 



i 



ü 



NB. 



mein ge - lieb - tes Land 
NB. 



i 



f=^=^ 



-^ 



und nie, nie ge - kannt 

Diese Beispiele ließen sich leicht um hundert andere vermehren. 
Freuen wir uns, daß YogFs Attentate schließlich an der Indolenz 
des Verlegers scheiterten. Ohnedies ist des Schlimmen wahrlich genug 
geschehen. Schon die Auswahl der nachgelassenen Gesänge (von 
den ungefähr 550 Schubert'schen Liedern war zu Lebzeiten des Kom- 
ponisten kaum ein Dritttheil gedruckt) giebt zu starken Bedenken 
Anlaß, denn die Herausgeber haben u. a. ganz unbedeutende Jugend- 
lieder aus Schubert's fünfzehntem und sechzehntem Lebensjahre auf- 
genommen, während sie wahre Perlen unbeachtet gelassen haben. ^ 
Am Bedauerlichsten erscheint mir aber eine Thatsache, die bisher 
ebenfalls^ noch nicht bekannt geworden ist: daß nämlich eine 
große Anzahl Schubert'scher Lieder durch Eingangsritor- 
nelle gefälscht worden ist. 



^ Vor Kurzem konnte Schreiber dieses eine Ansahl von ihnen im Schubert- 
Album Vn veröffentlichen. 



I Fälschungen in Schubert's Liedern. 



173 



Schon vor langer Zeit war es mir aufgefallen, daß die ersten 
Takte vieler Schubert'schen Lieder einen völlig unschubertischen 
Charakter zeigen, und ich hatte seitdem die Genugthuung, zu finden, 
dafi kein einziges Autograph und keine einzige authentische Kopie jene 
verdächtigen Takte enthält ^- mit Ausnahme von zwei Handschriftei), 
die gerade den untrüglichsten Beweis für die Fälschung bringen: 
Originalmanuskripte Schubert's, in die eine fremde 
Hand die später gedruckten Bitornelle eingeschrieben 
bat. Diese fremde Schrift konnte ich durch Yergleichung mit 
authentischen Manuskripten Anton Diabelli's als unzweifelhaft von 
Diabelli herrührend feststellen. Dieser war der Herausgeber und 
Yerleger des weitaus größten Theils von Schubert's Nachlaß. Er 
hatte den Wunsch, die in seinem Verlage erscheinenden Vokal- 
kompositionen in allen Fällen den Sängern bequem zu gestalten. Nun 
fand er unter Schubert's Liedern eine ganze Anzahl, die ohne eine 
Instrumentaleinleitung sofort mit der Singstimme einsetzten. Um auch 
bei diesen den Sängern die Intonation der ersten Worte zu erleichtem, 
komponirte Diabelli frisch und fröhlich selbst einige Eingangstakte, 
die er dann beim Druck ohne Weiteres in die Lieder einschmuggelte. ^ 

Welcher Art sind aber diese Diabelli'schen Eingangstakte? Nehmen 
wir die Musik zu Goethe's herrlichem Liede: An den Mond. Der 
achtzehnjährige Schubert hat es zweimal komponirt, das erste Mal als 
Strophenlied: 



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Fal - lest wie - der Busch und Thal still mit Ne - bei - glänz 
— eine einfache, innige Melodie, die bei der Stelle: 




Brei-test ü - ber mein. 



Oe - fild lindernd dei-nen Blick. 



das unvergleichlich Milde und Sehnsüchtige, das Froh -Trübe der 
Verse beinahe erreicht. 

Wenn wir dieses Lied im ersten Druck oder irgend einer jetzt 
existirenden Schubertausgabe au&chlagen, so finden wir es in folgen- 
der Form: 



^ Es darf hier wohl daran erinnert werden, daß Diabelli auch vor einer Fäl- 
schung Beethoven's, und swar des op. 120, nicht zurückgeschreckt ist. Vgl. dai^- 
über-Nottebohm's Beethoveniana I, 47. 



174 



Max Friedlae&der, 



An den Mond. 



Ziemlich langsam. 



Frans Schubert, Nachlaß, Lieferung 47 



fP Füllest wiedei 



Füllest wieder etc. 



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H-^t. fiy-^ i ^iA ^y-^-i^ 



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Es würde sehr begreiflich sein, wenn Jemand nach diesem ent- 
setzlich trivialen Eingang die Geduld verlieren und das Lied in dem 
Gedanken überschlagen würde, es sei ein unbedeutendes Jugendwerk, 
das nicht hätte veröffentlicht werden sollen. Nirgends steht ja an- 
gedeutet, dafi Schubert mit diesen ersten vier Takten nicht das Ge- 
ringste zu thun hat. Sieht man sie sich im Einzelnen an, so über- 
kommt einen die Scham, daß eine so triviale italienische Leierkasten- 
weise in Schubert'sche Lieder eingeschwärzt werden und bis jetzt 
unbemerkt bleiben konnte. 

Nicht anders steht es mit den Eingangstakten zu Schuberts 
Komposition von Groethe's Nachtgesang (Nachlaß, L%. 47): 

„O gieb vom weichen Pfühle 
Träumend ein halb Gehör"; 



fg^ ^ t: t ^t 




(man denke: solche Noten zu solchen Worten!) 
ferner zu Goethe's Rattenfänger (Nachlaß, Lfg: 47): 

„Ich bin der wohlbekannte Sänger" 



Fälschungen in Sehubert's Liedern. 



175 



XU Goethe's Goldschmiedgesell (Nachlaß, Lfg. 48) 



ts: 




und mit dem verhältnißmäßig harmloseren Eingangstakt zu Goethe's 
Trost in Thiänen! »Wie kommt's, daß du so traurig bist« (Nach- 
laß, Lieferung 25). Aus diesen Ritornellen blickt uns nicht Schubert's 
Poetenauge entgegen, vielmehr haben wir in ihnen das getreue Bild 
des begabten Geschäftsmannes Anton Diabelli, der mit leichter Hand 
je nach dem Tagesbedürfniß heute Lieder und Klavierstücke (darunter 
übrigens sehr wohlklingende Sonatinen), morgen Messen und Offer- 
torien, übermorgen Potpourris und banalste Tanzmusik aufs Papier 
warf. Von einem Musiker dieses Schlages war nicht zu erwarten, 
daß sich in ihm etwas wie philologisches Gewissen regen und ihn 
von Eingriffen in fremdes geistiges Eigenthum abhalten würde. So 
fälschte er weiter Schubert's Frohsinn (Nachlaß, Lfg. 45) durch 
folgende nicht gerade vornehme Einleitung: 




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Ich bin von lo - ckc-rem Schla - ge eto. 



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176 



Max Friedlaender, 



ferner das Erntelied 



(Nachlaß, Lfg. 48) 




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Si - cheln schal - len etc. 



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(Wie charakteristisch ist das aforzato!) 



weiter : 



Klage an den Mond. 



(Nachlaß, Lfg. 48.} 



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3^ 



Dein Sil - ber schien durch Ei-chengrOn 

etc. 




etc. 




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F&lschungen in Schabert's Liedern. 



177 



Daß Tischleilied (L%. 48) 




Haimloser, aber ebenso unecht ist der Eingangsakkord in Fax 
Tobiscum (Nachlaß; Lfg. 10) und der erste Takt in Ossian^s Lied 
(L%. 4). ' 

Daß das schöne Lied: Loda's Gespenst (aus Ossian's Gesän- 
gen, Lfg. 4) durch die Herausgeber mit einem Schluß von 46 Takten 
versehen worden ist, der zwar von Schubert herrührt, aber zu Schiller's 
Punschlied gehört, ist bereits in der Leipziger AUg. Musikalischen 
Zeitung vom 30. Januar 1867 au%edeckt ivorden.^ Nicht erwähnt 
steht dort aber, daß die Eingangstakte dieses Schlusses: 




auch in Schuberts Punschliede — es ist noch ms^ — nicht vor- 
kommen. Ohne Frage stammen auch diese Takte von Diabelli her. 
Man vergleiche sie einmal mit den von Schubert komponirten Ein- 
gangstakten zu Loda's Gespenst: 



^^^^m^^f^m 




um den ganzen Unterschied zu erkennen. 



^ Durch den »Keumüthiges Bekenntniß« überschriebenen Aufsatz Leopdlds 
▼OD Sonnleithner. ^ Im Beiits Ton Nikolaus Dumba in Wien. 



1S93. 



12 



178 



Max Friedlaender. 



Die beiden Schiibert'schen Manuskripte nun, in denen ich von 
Diabelli's eigener Hand die im ersten Druck vorkommenden Ritor- 
nelle eingetragen fand, enthalten die Lieder: 

Die frühen Gräber (Nachlaß, Lfg. 28), bei Schubert ^ beginnend : 




Willkommen, o silberner Mond, schöner stiller Oe - fähr 



te^erNaeht 




^\-^ I f U | f^ 



und mit diesen Eingangstakten Diabelli's versehen: 



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und Ins stille Land (Nachlaß, L%. 39), bei Schubert ^ beginnend: 




1 Autograph beim Oralen Victor Wimpffen in Kainberg. — Das Lied ist nicht 
gerade bedeutend und hält keinen Vergleich mit Oluck's herrlicher Komposition 
der Ode aus; durch Diabelli's Zusats wird es aber geradezu trivial. 

2 Autograph in der KönigL Bibliothek in Berlin. 



Fälschungen in Sehubert's Liedern. 



179 



and von Diabelli mit folgenden Eingangstakten veiselien: 




1 ^^ 



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^trtflt^^ 




Sehr lehrreich ist ein Vergleich dieser Takte mit Sehubert's 
Einleitung zu dem bekannten Mignonliede, das mit: Jilns stille Lande 
grofie Ähnlichkeit hat: 








Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich lei - de, 






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Auch die Eingangstakte der Lieder: 

Das Finden, 

Cora an die Sonne, 

Grrablied, 
(sämmtlich aus Lieferung 42 des Schubert'schen Nachlasses) halte ich 
aus inneren Gründen für unecht. Aus äußeren Gründen bezweifle 
ich femer die Authenticität zweier Ritomelle, die an sich durchaus 

12» 



180 



Max FriedUtender, 



nicht unschubertisch 1 klingen, aber in den Originalmanuskripten 
und allen alten Kopien fehlen: e8 sind die Einleitungen zu: 

Das Rosenband (Im Frühlingsschatten fand ich sie) Nachlaß, L%»^8. 

•Die Forelle (In einem Bächlein helle) op. 32. ^ 
Sicher gefälscht ist der Eingangsakkord zu: 

Wonne der Wehmuth, op. 115 Nr. 2, 
der selbst in Nottebohm^s sonst so treuem Kataloge steht, obgleich 
er im ersten Drucke fehlt. — Suspekt sind meiner Ansicht nach 
auch die Eingangstakte von 

Hektor's Abschied, op. 58 Nr. 1 (der erste Takt), 

Sprache der Liebe, op. 115 Nr. 3. 

Lob des Tokaiers, op. 118 Nr. 4, 

Ein Fräulein, op. 126, 

Die Laube, op. 172 Nr. 2, 

Die erste Liebe, Nachlaß, L%. 35, 

Trinklied, Nachlaß, Lfg. 45 (wahrscheinlich gekürzt), 

Die vier ersten Lieder sind allerdings nicht bei Diabelli erschienen, 
sondern in T. WeigFs, M. J. LeidesdorfiTs und Joseph Ccemy's Ver- 
lag, sodaß diese Letzteren die Verantwortlichkeit für die Zusätze 
tragen würden. 

Echt Diabelirsch ist aber wieder die Herausgabe eines andern Schm- 
berfschen nachgelassenen Liedes, nämlich des Naturgenuß. Nach 
einem arpeggirten Eingangsakkord beginnt die Melodie:^ 




^^^=3 



Im A - bend - Bohim - mer wallt der Quell durch Wie - aen- 
Der Pap - pel - irei - de wechselnd Ghrün weht ru - he- 




m 



blu - men pur - pur - hell, 
lis - pelnd drü - Der hin. 



^ Sehr Terd&chtig sind nur die brutalen aforzaii am Schluß. Diabelli liebte 
im Allgemeinen starke Einleitungen, die mit einem Tusch enden. 

' Nicht enthalten ist das Eingangsritomell der Forelle in den beiden Auto- 
graphen des Liedes (bei Nik. Dumba in Wien und C. Meinerti Dessau), in der 
a. d. J. 1817 stammenden Kopie von Schubert's Freund Stadler (in meinem Besiti), 
im ersten Drucke (in der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und 
Mode 1820) und im Einzeldruck von Ant Diabelli & Co. v. J. 1825. Erst in 
Diabelli's Sammlung: Philomele steht das RitomelL Übrigens ist es von allen 
das am wenigsten anfechtbare, da es nur eine Vorausnahme des Sohubett'schen 
Sohlußritornells bringt. 

s Sie mag durch Beethoven's £8 dur Sonate op. 7 (erster Sats, Takt 59 fT.) 
etwas beeinflußt sein. 



Ffilsehunfi^n in Sebubert's Liedern. 



181 



Man sieht, es ist Schuberts bekanntei ^ Trauerwalzer « (op. 9 Nr. 2, 
Origiaal in As), dem Ton DiabeUi die Matthisson'schen Verse, so gut 
und schlecht es eben ging, untergelegt worden sind. Daß aber 
mit dieser süBen, wehmüthig-schwärmerischen Melodie jemals eine 
Pappelweide in Verbindung gebracht werden würde , hat sich 
Schubert wohl nicht träumen lassen. — Auch den zweiten Theil des 
Walsers benutzte Diabelli: 








etc. 



Im Lens - hauch weht der Geist des Herrn 



und da der Matthisson' sehen Strophen gar zu viele waren, nahm er 
achlieBlich noch einen andern Schubert'schen Walzer (op. 9 Nr. 14, 
Original in Des) dazu: 



ji^^ j I r 



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etc. 



Ich bli - oke her — und bH - oke hin 
Nur Tand sind Pracht und Herr - Hoh-keit etc. 

Nach diesem As dur brauchte Diabelli einen Übergang nach dem 
Es dur des Anfangs ; kurz entschlossen komponirte er folgende distia- 
guirte Überleitung: 




^!w^ i I ^rjfi 



und endete mit einer Bepetition der ersten Strophe, in der wir dann 
nochmals der Pappelweide zu b^egnen die Freude haben. DiabeUi 
nahm das Lied in seine »Immortellen« betitelte »Sammlung der 
beliebtesten Schubert^schen Gresänge« auf, durch welche es ungemein 
lasch verbreitet wurde. DaB Schubert Matthisson's »NaturgenuBt 
zweimal selbst komponirt hatte — als Männerquartett (op. 16) und als 
Lied (noch ungedruckt) — störte Diabelli natürlich nicht im Geringsten. 
Immerhin sind bei dem eben behandelten Liede die Ehupt- 
melodieen von unserm Komponisten. Völlig imeoht ist dagegen das 
Lied Adieu: 



182 



Max Friedlaender, 



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.. \ Vai - ei rin-stani »u - prS 

de ? ^^®'- ^^<>Q naht, um uns zu schei 

^ ®." I o^®' • Schon naht der To - des - en 

riexxen:| ^^^^, ^^^^i O - sten geht, nach O - 



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' gen - blick. 

- ne Hand. 

- 1er Flug. 



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etc. 



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welches noch immer in sämmtlichen französischen, russischen und 
italienischen Schubert- Sammlungen und leider auch in vielen eng- 
lischen und deutschen Ausgaben steht. In Frau Viardot-Garcia*s 
Auswahl nimmt es sogar die erste Stelle ein. Keine Geringeren als 
Franz Liszt und Stephen HeUer haben es mit dem Erlkönig etc. zu- 
sammen fiir Klavier transskribirt; Theodor Döhler war ihnen hierin 
vorangegangen, Th. Oesten, W. Kühe, Fritz Spindler u. A. sind nach- 
gefolgt. So wird die Melodie voraussichtlich noch manche Jahre als 
Schubertisch verbreitet werden. Der Komponist des Liedes ist aber 
keineswegs Schubert, sondern der Dorpater Musiker und Dichter 
August Heinrich von Weyrauch (geb. 1788 in Riga), der es 
unter seinem Namen zuerst 1824 im Selbstverlage, später 1846 bei 
C. A. Challier in Berlin herausgab. — Wie bei »Bach's« Willst du 
dein Herz mir schenken, »Mozart*s«r Wiegenlied, »Beethoven's« 
Sehnsuchtswalzer, »Weber's«r Letztem Gedanken, so finden wir auch 
hier die Erfahrung bestätigt, daß berühmte Namen förmlich polypen- 
artig allerlei fremdes Gut zu sich heranziehen und diesem zu einer 
ungeahnten Verbreitung verhelfen. 



Fälschungen in Sehubert's Liedern. ISS 



Ich brauche wohl nicht eist erwähnen, daß es nur ein kleiner 
Theil aller Fälschungen ist, der hier besprochen werden konnte. 
Zu den beliebtesten Eigenmächtigkeiten der Herausgeber gehörte es 
noch, daß sie die Kompositionen nicht in der Originaltonart, sondern 
schon im ersten Druck transponirt yeröffentlichten. Bei den 
ELlayierwerken wurden dann leichter zu spielende Tonarten gewählt, 
s. B. Gr- und D-dur statt Ges- und Des-dur, bei Liedern eine 9 be- 
quemere« Gesangslage — alles natürlich unbekümmert um den Cha- 
rakter des Tonstücks. Aber auch abgesehen von diesen willkürlichen 
Veränderungen waren bei den Liedern viele Druckfehler stereotyp 
geworden, darunter wichtige Notenfehler in Melodie und Harmonie, 
ferner entstellende Versehen in den dynamischen Zeichen, den Liga- 
turen, den Taktbezeichnungen (z. B. fast immer Y4 Takt statt ^//a 
breve), — Zu einer wahren Specialität haben die Schubert-Herausgeber 
und Korrektoren die Verballhomungen der Texte ausgebildet. Um 
nur bekannte Lieder zu erwähnen, so sind im Irrlicht (Winterreise) 
die Worte: «Liegt nicht schwer in meinem Sinna in ihr gerades 
Gegentheil geändert worden: »liegt noch schwer in meinem Sinna, 
in: Der Tod und das Mädchen die Worte: »geh, Lieber!« in 
»geh' lieber«, im Frühlingsglauben »sie säuseln und webena in: 
iwehen«, ja die pedantischen B^visoren haben »der Mai ist kom- 
men« in den Trocknen Blumen in: »ist gekommen«, j»hab' 
ich funden« in: Jig'funden«, im Lindenbaum: »Da hab' ich 
noch im Dunkel« den Dativ »korrekt« in: »im Dunkeln« ver- 
wandelt. — Noch schlimmer ist es begreiflicherweise den weniger 
bekannten Gesängen ergangen. In dem schönen Liede Fahrt zum 
Hades z. B. (Nachlaß, Lfg. 18] standen in sämmtlichen Ausgaben 
die unverständlichen Worte: 

Vergessen, wenn ich zwiefach sterben. 

Was ich mit höchster Kraft gewann, 

Verlieren, wieder es erwerben, 

Wann enden diese Qualen, wann? 
Eine authentische alte Kopie ^ brachte hier des Räthsek Lösung : 
Schubert schrieb im ersten Verse: 

Vei^essen nenn ich zwiefach Sterben! 
Ähnliche Beispiele ließen sich in Menge geben. — Bei andern 
Liedern mußten die Originaldrucke der Gedichte aushelfen, um Fehler 
zu erkennen und zu verbessern. So heißt es z. B. in Fellingefs 
Erster Liebe (Nachlaß, Lfg. 35) nicht, wie in allen Schubert-Drucken 
steht: 



^ Von Albert Stadler. Das Manuskript fehlt leider. 



\ g4 Max Friedlaender. 



Da wacht es auf, das Vorgefühl des Schönen, 

Du schaust die Gattin in dem Lichtgewande etc. 

sondern: die Göttin in dem Lichtgewande ^; in Craigher's Todten- 
grähers Heimweh (Schubert, Nachlaß, Lfg. 24) nicht: 

»und starre mit schnödem Blick hinab ins Grab«, 
sondern: »mit sehnendem Blick«^ u. s. w., u. s. w., u. s. w. Zur 
Entschuldigung der Herausgeber kann allerdings angeführt werden» 
daß es nicht ganz leicht ist, sich die Werke der Schubert-Dichter zu 
verschaffen ; sie sind nur zum Theil gedruckt, einige der ungedruckten 
aber glücklicherweise in handschriftlichen Sammlungen vorhanden, 
die in den Nachlässen v.on Schubertfreunden noch gefunden werden 
können. Bei sehr vielen Liedern sind die Dichternamen unrichtig 
angegeben, sei es von Schubert selbst oder den Herausgebern. — 
Man sieht, der Fehler sind gar viele, und im Ganzen dürfte die Be- 
hauptung gerechtfertigt sein, dafi manche der weniger bekannten 
Schubert'schen Lieder nur deshalb nicht die verdiente Belichtung 
gefunden haben, weil sie nicht in ihrer echten, ursprünglichen Ge- 
stalt vorlagen. 

Nicht in die Kategorie von Fälschungen, sondern harmloser Ver- 
sehen fallt es, daß öfters Kompositionen eines Dresdener YioUnisten 
Namens Franz Schubert [geb. 1808, gest. 1878) mit denen seines 
berühmten Namensvetters verwechselt werden. Besonders ist es ein 
vielverbreitetes Salonstück des Dresdener Schubert: Habeille^ das nicht 
selten irrthümlicherweise in das Prc^amm von wirklichen Schubert- 
Abenden eingefügt wird. Die beiden Schubert sind nicht mit ein- 
ander verwandt. Der Vater des Dresdener Seh., ebenfalls Franz 
Schubert mit Namen, hielt sich aber s. Z. für das bedauemswerthe 
Opfer einer Verwechslung mit unserm Wiener Meister. Einen cha- 
rakteristischen Brief von ihm über diese Angelegenheit drucke ich 
hier zum Schlüsse ab ; gehört er doch auch zum Kapitel der » Schubert- 
Fälschungen «. Vorher bemerke ich noch, daß der eben erwähnte 
Franz Schubert sen. 1768 geboren wurde, als Kontrabassist, später 
als Kapellmeister der ital. Oper, endlich als Königl. Kirchen-Com- 
positeur in Dresden wirkte, wo er 1824 starb. Seine Kompositionen 

1 Von dem Dichter des Liedes sind, wie ich nebenbei bemerke, auch die 
bekannten Verse: 

Wo man singet, laß dich ruhig nieder etc. 

^ Den Text fand ich in: »Poetische Betrachtungen in freyen Stunden toh 
Nicolaut. Mit einer Vonede etc. begleitet Ton Friedrieh Ton Sohlegel.« VTieft 
1828. Nieolaus ist ein Pseudonym für Jacob Nicolaus Craigher, von dem auch die 
Dichtung der Jungen Nonne herrührt. 



Fälschungen in Schubert't Liedern. \g^ 



zeichnen sich, soweit ich sie einsehen konnte, durch ganz außer- 
ordentliche Trockenheit aus. 

Nun zu dem Schriftstück, das ich der Güte der Herren Breit- 
kopf & EQLrtel in Leipzig verdanke. Gottfried Christoph Härtel mag i. J. 
1817 an den Dresdener Schubert geschrieben haben, er wisse mit dem 
Briefe eines gewissen Franz Schubert in Wien nichts Rechtes zu 
beginnen, in dem dieser ihn eine Komposition des Erlkönigs in 
Verlag zu ndimen ersuche. Härtel fügt das Manuskript bei, um zu 
hören, ob sein Dresdener Freund trotz der Verschiedenheit des Wohn- 
orts und der Schrift doch vielleicht der Autor sei. Darauf antwortet 
der alte Herr in Dresden mit einem Briefe, der uns jetzt ungemein 
drollig anmuthet: 

Werthgeschätzter Freund 
.... Noch muß ich Ihnen melden, daß ich vor ongefahr 10 
Tagen einen von Ihnen mir schätzbaren Brief erhalten, wo mir 
Dieselben ein von mir sein sollendes Manuscript den Erlkönig 
von Göthe überschickten, zu meinem größten Erstaunen melde 
ich, daß diese Kantate niemahls von mir componirt worden ; ich 
werde selbige in meiner Verwahrung behalten um etwan zu er- 
fahren, wer dergleichen Machwerk an Ihnen auf so eine un- 
höfliche Art übersendet hat, und um auch den Padron zu ent- 
decken, der meinen Nahmen so gemißbraucht. Übrigens 
bin ich Ihnen für dero gütige Übersendung freundschaftlich ver- 
bunden und verbleibe mit der vollkomsten Hochachtung 

dero verbindlichster Freund und Bdr!l! 

Franz Schubert, 
iKönigl. Eörchen-Compositeur. 
Dresden den 16. Apnl 1817. 

Der würdige Mann hat in seiner Entrüstung wohl nicht geahnt, 
daß es spiteT Niemandem mehr in den Sinn kommen werde, ihn mit 
dem Komponisten des «Erlkönig« zu verwechseln. 



Ein anonymer Mnsiktraktat des elften bis zwölften 

Jahrhunderts. 



Von 

Johannes Wolf. 



Will man sich von der abendländischen Musik der ersten Jahr- 
hunderte christlicher Zeitrechnung ein Bild machen, so führe man 
sich jene Stelle Eoetius Inst. Mus. I, 34, Tor Augen: Is eatmuaicus^ 
cui ödest faculi(i8 secundum speculationem raiionenwe proposüam ac 
musioae convenientem de tnodis ac rhythmis deque generibus amtüena- 
mm ac de permixtionibus ac de omnibus, de quibus posterius es^licanr- 
dum est (nämUch de numeris ac proporthnibus) ac de poetarum 
carminibus iudtcandi. Nicht der ausübende Künstler, sondern der 
Kritiker führt also allein mit vollem Rechte den Namen musicus; 
nicht das Gefühl, sondern der Verstand ist maßgebend. Was mit 
demselben nicht erfaßt werden kann, wird yerworfen. Anstatt die 
Theorie aus der Praxis zu ziehen, wird letztere von der ersteren ab- 
hängig gemacht. Der Gelehrte beherrscht die Musik des frühen 
Mittelalters. Von einer ausübenden Tonkunst vernehmen wir fast 
gar nichts. Nur hin imd wieder wird nebenbei der Spielleute (scurrae, 
mimt, ioculatores), der wahrscheinlichen Träger echter Volksmusik, 
Erwähnung gethan. Diese ist ganz zurückgedrängt worden. Ver- 
schwunden ist sie indeß niemals. Ab und zu blinkt ihr freundlicher 
Dur-Charakter durch das starre System der Kirche. 

Der Grund des Zurückdrängens der Volksmusik ist leicht ein- 
zusehen. Diese war voll heidnischer Elemente und mtißte daher 
der Kirche für die Verbreitung des Christenthums gefahrlich erschei- 
nen. Was bot dieselbe aber als Ersatz? Ein entlehntes, zum Theil 
mißverstandenes System. Boetius ward ihr Gewährsmann, seine 
dem Griechenthum entlehnte Musiklehre für einige Jahrhunderte die 
maßgebende. Mit seinem Werke j>De institutione musicaa fand 
unfruchtbare Spekulation und trockener Pythagoricismus Eingang in 



Ein anonymer Musiktraktat de« elften bis zwölften Jahrhunderts. ]g7 



die Musiktheorie des christlichen Abendlandes. Eine mehr mathe- 
matisclie Auffassung der Musik macht sich geltend. Die Töne 
werden in Zahlen umgesetzt, die Konsonanz oder Dissonanz Ton 
Zahlenverhältnissen abhängig gemacht und die minutiösesten Mono- 
chordtheilungen und komplicirtesten Tonberechnungen angestellt. 
Will man aber Segeln über Gesang oder Melodiebildung finden, 
wird man vergeblich suchen. 

Dies ist der Standpunkt der Theorie bis zum achten Jahr- 
hundert. Die Musikschriftsteller fußen auf Boetius und geben seine 
Lehre in nur wenig veränderter Form wieder. Unvermittelt taucht 
plötzlich bei Alcuin^, dem berühmten angelsächsischen Gelehrten 
am Hofe Karls des Großen, die Lehre von vier authentischen Ton- 
arten protus^ deuteruSj trituSj tetrarchim (?) und vier plagalen auf.^ 
Woher diese gekommen und wie diese sich entwickelt haben, ist 
noch nicht genügend aufgeklärt. Verschiedene Umstände, wie auch 
die Namen, deuten darauf hin, daß sich byzantinische Einflüsse 
geltend gemacht haben müssen. Mit dieser Lehre hebt eine neue 
Epoche der Theorie an. Bei Hucbald, den Oddonen, dem Verfasser 
der Mttsica enchiriadiSj Guido, sehen wir eine selbständige mittel- 
alterliche Theorie sich herausentwickeln, die nach einer gewissen 
Seite hin durch die Reichenauer Schule zu voller Blüthe gelangt. 
Die beiden Häupter dieser Schule sind Bemo^ und Hermannus 
Contractus.^ Ihre Lehre sei in ihrem wichtigsten Theile, der von 
den Konsonanzen handelt, in Kurzem klar gelegt. 

1 Alcuin lebte von 735—804. 

' Nach der Tradition soll der heilige Gregor die vier Kirehentonarten ein- 
geführt und de in authentische und plagale getheilt haben. Vergl. den Hinweis 
Reimann's, daß Gregor 4 Jahre päpstlicher Gesandter in Konstantinopel war. 
(Vierteljahrsschrift f. M. V. Heft 2, 332). 

3 Bemo (Bern), welcher sich 999 im Benediktinerkloster zu Fleury und dann 
SU Prüm bei Trier aufhielt, wurde im Jahre 1008 vom Kaiser Heinrich an Stelle 
des rohen Abtes Immo als 29ter Abt nach der Reichenau berufen. Dort wirkte 
er 40 Jahre und starb »uff den sibenden tag brauchotts 1048a. VergL über ihn 
Gallus Oheims Chronik t. Beichenau, herausg. y. Barack. Stuttgart 1866 und 
Neugart. Episc. Const. sowie Chroniean Matuui, Hirsaugiensü, 

^ Hermannus Contractus (Herimann der Lahme) entstammte einem reichbegü- 
terten oberschwäbischen Graf engeschlechte von Aishausen (später Ton Veringen) 
und war geboren am 18. Juli 1013. Er war an allen Gliedern gelähmt und wurde 
schon als siebenjähriger Knabe dem Kloster Keichenau übergeben. Hier bildete 
er sich heran zu einem der gelehrtesten Männer der damaligen Zeit. Er starb 
1054. Seine Schrift Munea kann wegen der darin enthaltenen Polemik gegen 
Bemo erst nach 1048 bekannt geworden sein. Über sein Leben und seine Werke 
Ycrgleiehe die Monographie v. Heinrich Hansjakob: Herimann der Lahme Ton der 
Keichenau, Mains, Kirchheim 1875 und Schönhuth, Chronik des Klosters Reiche- 
nau. Freiburg L B. 1836. (§. 22). 



1 gS Johanes Wolf, 



Beide legen ihiem System die Doppeloktave von A — a zu Grunde. 



Dieselbe zerlegt Berno in 4 Tetrachorde A D | D G | a d | 

Indem er der in der Schrift: Cita et vera menauratio manochordi^ 
welche, wie Brambach^ wahrscheinlich gemacht hat, nicht von 
Bernelinus^ herrührt, gegebenen Lehre über Quarten- und Quinten- 
gattungen folgt, nimmt er 3 Quartengattungen DG, Ea, 6c an, 
aus welchen er die Quintengattungen hervorbringt, dadurch, daB er 
für die beiden ersten Quintengattungen den beiden ersten Quarten- 
gattungen oben, für die dritte und vierte Quintengattung der dritten 
und (formalen) ersten Quartengattung unten einen Ganzton hinsu- 
fügt. Oktavengattungen hat er sieben, denen er aber noch keinen 
bestimmten Aui^angspunkt giebt. Bei ihm tritt zum ersten Male 
das Bestreben auf, die drei Hauptkonsonanzen ihren Gattungen nach 
in Beziehung zu bringen. So besteht 

prot aut, aus I. Quint — h !• Quartgattung 

deut. aut. ,, IL ,, + IL ,, 

trit, aut. „ in. „ -f-in. „ 

tetr. aut, „ IV. ,, 4- I. ,, 

prot, plag, aus I. Quart — |- I. Quintgattung 

deut, plag, „ 11. „ + IL „ 

trit. plag, „ lH. ,, +111. ,, 

tetr, pl<ig. „ L „ + IV. „ 

Auf diesem Wege, die Theorie in ein klares und übersichtliches 
System zu bringen, schreitet sein Schüler Hermannus Contractus 

fort. Er zerlegt die Areihe in die 4 Tetrachorde AD|DG|adjdg 

a 
und die vox superacuta a. 

Anknüpfend an die biformitas des D (d), welches zugleich quarta 

gravium (superiorum) und prima finaliutn (excellenttutn) ist, nimmt 

er eine vierte Quartengattung (in poeitione prima) D G an und kon- 

struirt die Quarten in den Tetrachorden gravium und finalium^ die 

Quinten in denjenigen finalium und superiorum. Damit entspricht 

die Zahl der Gattung der Stellung der Grenztöne der Konsonanswu 

innerhalb der Tetrachorde, und es besteht z. B. die erste Quartgattung 

aus erster gravis und erster finalisy die erste Quintgattung aus erster 

finalis und erster superior und die erste Oktavgattung aus erster 

gravis und erster superior. Im Unterschiede von Berno nämlich 

giebt Hermannus den Oktavengattungen einen üesten Ausgangspunkt 



^ VergL Brambach, Die Keichenauer Sängersehule, Leipzig, Haiassowits 1888. 
2 Vergl. Gerbert, Scriptores I. 



Em anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. ( gQ 



A UBd nimmt deren 2X4 an, denn nach seiner Lehre sind die 
Oktaven A— a und D— d u. s. w. derselben Gttttung, da sie aus 
Konsonanzen derselben Gattung bestehen. Sie unterscheiden sich 
nur dadurch, daB bei der einen die Quarte unten, bei der andern 
oben liegt. Wie Bemo hat Hermann 9 modij scheidet aber den 
triionus aus und setzt dafür den unisonus ein. Die Neuerungen des 
großen Reichenauer Gelehrten bestanden also yomehmlich in der 
Annahme einer vierten Quartgattung und 2X4 Oktavgattungen. 

Diese mußten die Theoretiker anfangs stutzig machen. Es waren 
doch die Gattungen durch die Stellung des Halbtons bedingt , und 
dieee brachte nur 3 Quartgattungen und 7 Oktavengattungen hervor. 
Wir müssen durchaus nicht glauben, daß die Theoretiker sogleich 
der Lehre Hermann's zufielen. Im Gegentheil mögen sich viele 
konservativ und ablehnend verhalten haben. Einige fühlten sich 
durch die Klarheit des Systems sogleich angezogen, andere dagegen 
erkannten den Werth der alten und neuen Lehre an und nahmen 
eine vermittelnde Stellung ein. Ein Beispiel hierfür bietet uns ein 
Anonymus, dessen Traktat sich in dem Codex Darmstadtiensis 1988 
befindet. Diesen einer näheren Betrachtimg zu unterziehen, sei die 
Aufgabe vorliegender Arbeit. 

I. 

Der Codex Darmstadt., No. 1988,^) GroBoktav auf Pergament, 
entstammt der Bibliothek des ehemaligen Benediktinerklosters St. Jakob 
in Lüttich und gelangte durch die Sammlung des Barons von Hüpsch 
nach Darmstadt. Er enthält eine Reihe von Handschriften aus dem 
11. und beginnenden 12. Jahrhundert meist musikalischen Inhalts, 
welche ursprünglich drei selbständigen Codices angehörten. Dies ist 
«o8 der Inhaltsangabe zu ersehen, -welche sich bei jedem ursprüng- 
üehen Codex befindet. Das Generalverzeichniß, ein einzelnes, später 
hinzugefugtes Pergamentblatt, welches die Schriftzüge des 15. Jahr- 
hunderts aufweist, giebt uns damit die Zeit an, in welcher die drei 
Codices zu dem jetzigen Bande vereinigt wurden. Derselbe enthält 
neben den Schriften Guido's xmd Bemo's eine Abhandlung Qua^stianM 
in Mtmca^) und eine Reihe kleinerer Traktate, welche zum Theil 
Abschnitte aus den Werken bekannter Theoretiker (Boetius, Aribo), 
nun Theil aber die Arbeiten unbekannter Verfasser sind. Unter 
ihnen interessirt vor allem der Traktat auf Fol. 1S2' — 189^, der uns 



1 Vergleiche das Referat v. Roth, Vierteljahrschrift 1887, III 488 über den 
Inhalt des Codex. 

* Der Verfasser ist unbekannt. 



][90 Johannes Wolf, 



ein in sich geschlossenes Bild der Theorie des 1 1. Jahrhunderts giebt. 
Derselbe muB gegen das Ende des 11. Jahrhunderts geschrieben 
worden sein. 

Die Schrifizüge sind unbedeutend eckig, die einzelnen Buch- 
staben stehen deutlich unterscheidbar neben einander. Charakteristisch, 
sind die Minuskeln a, b^ d, p, r, s. Die Buchstaben b, 1, d sind 
oben etwas verdickt und schräg abgeschnitten; der Seitenstrich von 
h geht noch nicht unter die Linie; n und u, t und c sind deutlich 
von einander zu unterscheiden; i hat noch keinen Accent und ist 
auch nicht durch einen solchen von dem folgenden Vokal getrennt. 
Für M findet sich am Ende der Wörter häufig die Unciale und fiir 
nt die unciale Ligatur JV^, welche Wattenbach ^ bis 1106 hat ver- 
folgen können. Die Minuskel f ist die gewöhnliche, nur selten 
findet sich am Schluß eines Wortes die Majuskel s, welche noch 
über der Linie schwebt. 

Die Handschrift ist mit vielen Abküizungen und ohne Absatz 
geschrieben. Die Schriftzüge sind deutlich, tragen aber Kennzeichen 
der Flüchtigkeit an sich. Initialen und Tonbuchstaben sowie XJber- 
schriften sind weggelassen, um später farbig von dem Schreiber aus- 
geführt zu werden. Die zur Ausschmückung angewandten Farben 
sind roth und grün. Zeichen der sorglosen Anfertigung der Hand- 
schrift sind die vielen Schreibfehler und verschiedenen Schreibweisen 
einiger Wörter. Nebeneinander finden sich 

ypate — ipate 
parypate — paripate 
diapason — dypason 
diatessaron — dyatessaron 
ptolemeus ^ phtolemeus 
yperboleon — iperholeon u. s. w. 

Daraus, daß der Text zuweilen auf der Mitte der Zeile unter- 
brochen und erst innerhalb der nächsten fortgesetzt ist, läßt sich 
erstens schließen, daß hier eine Kapitelüberschnft Platz finden sollte, 
(in der Handschrift sind mehrere Beispiele, wo die Überschrift 
mitten in einem Satze steht) und zweitens, daß der Schreiber 
eine Vorlage gehabt haben muß, unsere Handschrift also nicht 
Original ist. 

Der Verfasser des Traktats ist nicht bekannt. Roth hat in 
seinem Referat die Vermuthung ausgesprochen, daß dieser Traktat 
vielleicht ein unbekanntes Werk Hermanni Contracti sei. Diese 
erweist sich aus mehreren Gründen nicht haltbar. Vor allem nimmt 



VergL Wattenbach, Lateinische Pal&ographie. Leipiig, Hiizel, 1886. Seite 63. 



Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. JQl 



man wegen des Anfangs AnstoB, das Werk jenem berühmten 
Reiclienauer Gelehrten zuzuschreiben. 

Schon zwei Jahrhunderte vor Hermann verstand man in der 
Reichenau Griechisch, was aus dem Verkehr mit dem Kloster Fulda 
hervorgeht, wo Hrabanus Maurus ein gefeierter Hellenist war. Das 
Studium des Griechischen wurde noch dadurch gehoben, daß in der 
ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts griechische Mönche einwanderten 
und bleibenden Aufenthalt in der Reichenau nahmen. Es steht 
femer fest, daß man den Aristoteles in diesem ELloster zur^ Zeit 
ELermaim's in der Ursprache zu lesen verstand.^ Hält man hiermit 
die in dem Anfang gegebenen Etymologien griechischer Wörter zu- 
sammen, wird man nur zu einem negativen Resultat kommen können. 
Gesetzt aber, diese seien durch einen unkundigen Schreiber hinein- 
gekommen, muß dem Hermann aus inneren Gründen die Autorschaft 
abgesprochen werden. Man lese, mit welcher Schroffheit er über 
Berno urtheilt, da er die Quartengattungen im Tetrachord det finales 
konstruirt^, und vei^leiche damit die ParalleUsirung der bemo- 
nischen und hermannischen Quartentheorie in unserem Traktate. 
Eine derartige Würdigung, wie sie den bemonischen Quarten zu 
Theil wird, hätte Hermaimus Contractus nie ausgesprochen. Es läßt 
sich ja allerdings nicht leugnen, daß der Stil mit seiner Knappheit 
und ELlarheit den Gedanken an die Autorschaft Hermann's wohl 
wachrufen kann, zumal auch ein kleiner Theil seiner Musiklehre in 
unserem Traktate niedergelegt ist. 

Wer der YerfEtsser ist, wissen wir nicht. Jedenfalls war es ein 
feiner Kopf, begabt mit kritischem Verstände und ausgerüstet mit 
einer für die damalige Zeit guten Kenntniß der lateinischen Sprache. 
Durch kleine Umstellungen und geringe Änderungen vermag er 
entlehnten SteUen schöneren Fluß zu geben und die Gedanken 
klarer hervortreten zu lassen. 

Von Nationalität muß er ein Allemanne gewesen sein; denn er 
sagt in dem Kapitel über die Romanusbuchstaben bei k: apud nos 
ailemannos. Dem könnte entgegengehalten werden, daß in dem 
Briefe Notker's an Lantpert auch nos Allemannos steht und dies ein- 
&ch abgeschrieben sei. Vergleicht man aber, wie unser Verfasser 
Stellen benutzt, wie er sorgfältig alles ausmerzt, was nicht in den 
Zusammenhang hineinpaßt , so wird man ihm ein derartiges ober-- 
flächliches Abschreiben nicht zutrauen. 



* VergL Heinrich Hansjakob, Herimann der Lahme. 

* Vergl. HermannuB ContractuB ed. Brambach. Leipzig, Teubner 1884. 
pag. 1, 41 ff. 



192 Johannes Wolf, 



Wollte man einen geeigneten Verfassei des Traktats suchen, so 
könnte die Vermuthung nur den Hirschauer Mönch Conradus treffen. 
Über diesen schreibt Trithemius in seinem Chronicon insigne Monasierü 
Hiraaugtensia (Basüeae, 1559): daruü iiedem quoque temparibus in 
hoc monasterio Hirsaugiensi , sub abbate Gebhardo^ ei quibusdam sue^ 
cessoribus eitts, monachtM quidam doctiesifnus nomine Conradus y qui 
scieniia et erudithne sua admirabili, famam consecutus est immortalem, 
Fuit enim non solum in divinis scripturis Studiosus et doctus, verum 
in secularibus quoque litteris eruditissimuSy Phtlosopbus, Shetor, Mttsicus 
et poeia omnium sui temporis in Allemannia celeberrimus. Multa in- 
genii sui praeclara Volumina posteris legenda omatissimo sermone cam^ 
posuitf in quibus notnen suum ex humilitate, sub Peregrini vocabuloj 
abscondit. In Ais praecellit opus illud darissimum^ quod de saneta 
virginitate, sub nominibus Peregrini presbyteri et Theodorae sanctin 
monialis, in dialogi modum per libros octo, distinguens, speculum vir- 
ginum appeüavit: opus sane tarn utile et necessarium Christi virgimbue^ 
ut satis laiudari ab homine mortalinon valeat. In Evangelia quoquCy quae 
per anni circühum ad missam leguntur, magwum volumen pulchra varietate 
composuit De vita, spiritu et fructu fnortis edidit librum unum et alium, 
quem Matrictdariumpraenotavit^ itemalium, quempraetitulavit Didascalon: 
de miusica et differentia tonorum librum unum: metrieum quoque opusculumde 
laudibus S. patris nostri Benedicti: Sermones etiam plures et homilias 
mtdtas elegantissimasque composuit. Sed et carmina plura et epiffram- 
mata dioersa^ varii generis omatu scripsit, quae veterum negligentia 
partim in oblivionem deducta sunt. Nemo cum ista legerit, arbitreiur 
declamatorem ülum^ qui ex eorum ordine, quos mendicantes voeant^ 
^mergens^ sub peregrini nomine sermones ad popuhim dcatricosos instar 
modemorum humili composuit dictione, aut nostrum fuisse peregrinrnn^ 
out ei comparare aliquatenus posse. Hle enim more declamatorum 
huitcs temporis^ scholastico sermone depressus incedens^ creberrimas m- 
troducit quotationes scripturarum. Iste autem noster peregrinus 
Tüllianam secutus eloquentiam, veterum more sine aUegationibus super- 
ßuis bicidctm, sanam et integram orationem continuat. 

Wir finden bei diesem Mönche alles, was wir nach dem Traktate 
an unserem Verfasser suchen: Feine Bildung, kritischen Verstand, 
gewandte Rede, bescheidenen Charakter^ kurze und klare Ausdrucks* 
weise, die sich frei von jeder Spekulation hält. Auch das Lehrhafte 
seiner Werke (man vei^leiche den Titel didascalon und das in Dia- 
logform geschriebene speculum vir ginum) zeigt sich in unserem Traktate. 
Er ist gleichfalls Allemanne, musiats und hat eine musica verfaßt. 



1 1091—1106. 



Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. j; 93 



Wir keimen keine solche eines Konrad. Könnte es da nicht die 
Toiliegende sein, zumal in ihi auch die Differenzen der Töne be- 
handelt sind? Die Zeit, das letzte Jahrzehnt des elften Jahrhunderts 
stimmt sehr wohl für die Abfassung des Traktats und auch der Ort 
erfüllt alle Vorbedingungen. Wir können mit Sicherheit annehmen, 
daB die Schriften, welche unserer Musiklehre zu Grunde liegen, in 
dem Erlöster vorhanden waren. Denn dort hatte sich schon seit 
einer Reihe von Jahren ein reiches Musikleben entfaltet. Man er- 
innere sich nur, daß Wilhelm dort von 1069 — 91 als Abt wirkte. 
Überzeugende Beweise sind nicht beizubringen, doch hat die Annahme 
groBe Wahrscheinlichkeit. 

Behufs Abschrift mag der Traktat nach der Liitticher Abtei 
St. Jacobi gekommen sein, in der sich vom 11. bis 15. Jahrhundert 
ein reges Interesse für Musik zeigt. ^ Diese Yermuthung gründet 
sich darauf, dafi die Bemo-Handschrift, welche sich auch in dem 
Codex 1988 befindet, demselben Jahrhundert entstammt und dasselbe 
Format und dieselbe refftäa aufweist (was auf einen gemeinsamen 
Entstehungsort schließen läßt), sich schon früh in dem ELloster nach- 
weisen läßt. Ein Mönch der Lütticher Abtei St. Laurentii sagt 
nämlich in einer Bandbemerkung der zu Brüssel befindlichen Bemo- 
Handschrift (10162 — 66) auf Fol. 48: Si hie est defectus, nescio, quia 
in libro^ ex quo scripsi (de S. Jacobojf cuiAuc nuigis est spatium dere- 
lictum. 

Der Verfasser verfolgt mit dem Traktate einen lehrhaften Zweck. 
Man yergleiche die Stellen: Quod (die Lehre von den Bomanus- 
buchstaben] hie ponere mihi quidem non pigrum, studiosis cnitem 
fartassis non erit ingratum. — Sed ne quis dubitationis scrupulus 
obsistere debeat, legentibus easdem reponamus^ si videtur apertias. — 
Sufficiant igiiur haec de tetrachordorum speculatione utcumque digesta, 
quae fortasse diligentioribus ad maiora causa sint investiganda. — 
Der ganze Stil tragt den Charakter der Unterweisung. DemgenulB 
ist auch die Anlage des Traktats wohlgeeignet, einen Schüler in die 
Musiklehre einzuführen. Methodisch geht der Verfasser vor und 
vermag, indem er sich von jeder Spekulation frei hält, uns auf 
wenigen Seiten ein klares Bild der damaligen Theorie zu geben. 



1 Vergl. Foulhn, Hisioria Leodiensis ed. alt. 1655 Leodii. 

1014 Consilio Joannis Epiaeopi ItaU a Baldrico inchoatur Monasterium 
D. Jacohi Leodii pro expiaiione caesorum in hello Hugardienei. 

Nach Trithemius ist es 1010 gegründet worden ; doch ist wohl der obigen 
Nachrieht mehr Glauben zu schenken. 

1893. 13 






194 



Johannes Wolf, 



n. 

Tractatus cuiusdam Monachi de Musica. 
Fol. 182 r. 

[De dispositione monochordi.y 

Qmndecim chardae ^ hähentur in 
monochordo secundum Boeiium. In 
his constderandum est diatonicum 
ffentiSj quod ideo dicitur diatonicum, 
quia duo toni per totum habentur 
ernte semitonium. ^ In his etiam 
chordis duo considerantur diapason; 
sed utrumque diapason continet in 
se duas compositivas specieSy idest 
diatessaron et diapente. [Pason 
graece, latine octo, dia dtu)^"] In 
diapason duae chordae sindles in 
proffressione cantus habentur, in dia- 
tessaron et diapente similiter. Quat- 
tuor tetrachorda regularia habentur 
in XV chordis. Unum gravium^, 
quia sonum reddit graeissimum, se- 
cundum ßnalium, quia omnis meto- 
dia regulariter in eofiniiur, tertium 
superiorum, eo quod duobus inferi- 
oribus constitutum est superius, quar- 
tum excellentium, quia omnia in 
meto suo excellit alia. Quintum te- 



Bemo, Prologus in 
(Gerbert II, 63): eoquod sii wfra 
ßnalium et reddat sonum omnium 
gravissimum. Tetrachordum ßna- 
lium, eoquod in eo finis sit omnium 
tonorum legitime currentium. Si^ 
periorum, quod sit stq>erius consti-- 
tutum. ExceUentium, quia excetUt 
sonos trium aliorum. 



^ Die Kapitelaberschrift fehlt. Aus dem freigelassenen Räume ist aber 
sichtlich, daß der Schreiber denselben nachträglich und zwar farbig ausführen wollte. 

2 Das durch ßoetius dem Mittelalter überlieferte Z weioktavensystem der Griechen 

a 
von A-a war von den Keichenauer Theoretikern wieder angenommen und ihrer 
Lehre zu Grunde gelegt worden; chorda ist gleich vox, sonus zu fassen. 

3 Die Etymologie des Wortes diatonicus ist wohl den mangelhaften griechischen 
Sprachkenntnissen der damaligen Zeit zuzuschreiben. Vielleicht war auch, wie 
sich aus »duo toni per totum habentur unte semitonium •■ vermuthen Ifisst, für den 
Verfasser der Gedanke an eine in der Volksmusik bestehende Durskala, für deren 
Vorhandensein viele Anzeichen in der mittelalterlichen Theorie sprechen, leitend 
gewesen. 

^ Dieser Satz mag durch einen unwissenden Abschreiber hineingekommen 
sein ; denn er steht in zu schroffem Gegensatz zu der wohlüberlegten Schreibweise 
unseres Verfassers. Wäre nämlich die gegebene Etymologie richtig, so würde ja 
diapason die Doppeloktave sein. 

5 Die Tetraohordnamen graves, finales^ superiores, exceUentes finden sich zuerst 
bei Notker. 



Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 195 



cf, Musica Hermanni Contracti 

Gerbert II, 149 f. 



iracJwrdum ^ quod dicitur synemme- 
nony istia quatuor tetrachordis^ ap- 
panüur^ propter cantum tncompo- 
situnt.^ Novem etiam modi debent 
in tnelo intittdarij qui diversa po- 
Miane a compJuribus^ denotantur, 
sed hoc termino nunc temporis a 
valentioribus intelliguntur, 

[Versiis Hermanni ad discemen- 

dum cantum.Y 
Ter tria tunctorum suni intervalla 

tonorum 
lam nunc unisonot ezequat vocula 

ptongos 
Nunc prope con&imilem discemit 

limma^ canorem 
Nunc tonus affxni tribuit discrimina 

voci 
Nee non assidue coniunctim limma 

tonusque 
JEtduo saepe tonipartter sibi conti- 

nuati 
Sepeque dulcisonas moderans dia- 

tessaron odas 
Et crebro grate mulcens aures dia- 

pente 

* Das ietrcuihordum synemmenon ist aus der ^iechischen Musik (Boetius) durch 
Hucbald in die mittelalterliche Theorie hineingetragen. Diese Übertragung bedingte 
den folgenreichen Schritt der Einführung eines h. rotundum neben (} gtuidratum. 
Die selbständige mittelalterliche Musiktheorie (Hermannus Contractus) verwirft das 
tetraehordum synemmenon. 

2 In der Handschrift steht chordis. 

3 Ein cantus tncompositw kann nichts anderes sein, als ein Gesang, welcher 
aus verbundenen Tetrachorden besteht. Der Ausdruck kommt sonst nicht vor. 
Bei Boetius Inst, Mtis, I 23 bezeichnet incomposüus die Unzerlegbarkeit eines Inter« 
valles. So ist z. B. das trihemitanium im chromatischen Geschlecht incompoaitum, non 
incompositum aber im diatonischen, da es hier aus tonus und semitonium besteht. 

^ Auch Hucbald und Bemo hatten 9 modi. Diese Theoretiker werden wahr- 
scheinlich mit den complurea gemeint sein. Modus ist übrigens nicht Zusammen- 
klang, sondern melodisches Intervall. 

^ In der Handschrift ist Raum zur Überschrift freigelassen. Die Verse finden 
sich in Handschriften von Wien, Leipzig, Ottobeuren, St. Blasien, St. Gallen und 
sind als Hermannisch verbürgt. 

* Limma oder diesis (Philolaus) ist der diatonische Halbton der Griechen, dessen 
Lehre durch Boetius dem Mittelalter überliefert wurde. Er hat das Verhältniß 
243:256, welches man erhält, indem man die, pythagorische Terz 64:81 von der 
Quarte 3:4 abzieht. 

13* 



196 



Johannes Wolf, 



Interdumque toni bino cum limmate ^ 

temi 
Ac quandoque tonis connezum limma 

quaternis 
Haec si voce notisque sitnul dis- 

cernere novis 
Quemtis distinctum potes his mox 

pangere cantum 
Discemendo thesin * sine praecentore 

vel arsin. 
Fol 182. V. 

6 voces Unisonos aequat, 

S semitonii distantiam signaty 

T toni differentiam tonat, 

i s cum t semiditonum statuit, 

I t duplicata ditonum titulat. 

D diaiessaron sünphoniam denvtat, 
A Delta diapente consonantiam dis- 

criminat, 

c 

2\ delta cum s hina cum tritono lim- 

mata docet 
^ delta cum t quatemos cum lim- 
mate tonos, nuiximum videlicet in 
cantilenis nostris phtongorum^, inter- 
vallum determinat, Sed hae notae 
cum punctis ^ remissas, sine punctis 
intensas vocum differentias discer- 
nunt praetexatas. 

Diapason habet VII species. 
Prima species diapason incipit in 
proslambanomenos et pertingit in 



cf, Musica Hermanni Contracti 
Gerbert Scriptores IL 



1 Der unkorrekte Ausdruck hino cum limmate ist wohl nur des Verses wegen 
gewählt. 

3 ihesis =i depositio \ 
arsta ^i eleüatto ) 

^ Der Verfasser der quaeatumea in musiea definirt: Phtongi autem non qui- 
cunque dicuniur soni, aed gut Ugüimis ab invicem spaiiis mdo 9wü aptu Junge ergo 
duoa phUmgoa qwui duas lüteraa et fit vel tomu vel eemitomum. Diese Definition 
stimmt mit der des Bemo im Prologus in tonarium überein : Oraeei vocant phtongoe 
eertoe et determinatoa Bonos quasi a simüüudine loquendi. cf. ferner Huobald De 
härm, inetit. Gerbert I, 107 und Boet. Inst, M. 1, 8. 

* Nicht unmöglich wäre es, daß der Punkt seine Bedeutung aus der Neumen^ 
Schrift erhalten hätte. 



Ein anonymer Musiktraktat des elften bis iwOlften Jahrhunderts. j[97 



mese a, secunda in hypate hypaton 
et ascendit in paramese ^. Et ita 
procedendo ultima incipit in lichanos 
mesan O et ascendit in paranete 
hyperboleon g. 

De speciebus diapente et diätes- 

saron. 

Diapente habet IV specieSf dia- 
tessaron tree. ^ Prima species dia-- 
tessaron^ constans ex tano, semitonio 
et tano, incipit in lichanoe hypaton 
D et pertingit in lichanoe meson O. 
Sed prima species diapente canstat 
ex prima specie diatessaraUj assu- 
mens unum tonum superius a licha- 
nos meson in mese. Secunda species 
diatessaran constat ex semitonio duo- 
busque tonis ab hypate meson E in 
mese a. Sed secunda species dia- 
pente unum tonum assumit^ superius 
ex adiutorio diatessaron a mese a 
in paramese |||. ' Tertia species dia- 
tessaron constat duobus tonis et se- 
mitonio a lichanos meson G in trite 
diezeugmenon c. Sed tertia species 
diapente perßdtur ex eadem specie 
diatessaron unum tonum inferius as- 
sumendo a Uchanos meson G in par- 
hypate meson F. Quarta species 
diapente constat ex prima specie dia^ 
tessaron superius a mese a in para- 
nete diezeugmenon d, idest tono, 
semitonio et tono, et assumit unum 
tonum inferius a mese a in lichanos 
meson G. 



I 



^ Die hier entwickelte Lehre von den Quart- und Quintgattungen ist weder 
Eigenthum Bemo^s (Prolog, in Ton. 5 Oerbert ü, 67, 1), noch kann sie Hucbald 
(De härm, instit. Oerbert I 122) oder Bemelinus (Gerbert I, 313, 1) zugeschrieben 
werden. Ihr Verfasser ist unbekannt und muß es schon 2u Berno's Zeit gewesen 
sein, da dieser ihn sonst genannt hätte. 

2 In der Handschrift steht aastunst, 

3 Die Handschrift hat ab hypate meson E in parameeon ^ » welches zu verbessern 
war, da doch der hinzugenommene Grenzton näher bestimmt werden solL 



198 



Johannes Wolf, 



^Modülatio^ profi et eins disci- 
ptUi in suo diapente:^ Principium 
ego 8um etfinis, deuteri et eius 
discipulisic: duo caritatis prae^ 
cepta sunt, tritt et eiua discipulisic: 
Tria sunt munera preciosa,^ 
tetrardi et eius disciptdi sie: No- 
men domini tetragrammaton,^ 

Inceptio auteniorum et eorum di~ 
scipulorum sie dinoscitur. Omnis 
autenticus regulariter potest incipi 
in sua finali, vel per magistratum 
ßncdis usque ad suum diapente, sed 
inferius regulariter tantum protendi- 
tur ad unum tanum. 

Discipuli autem eandem regtdam 
hahent in diapente quam et magistri, 
sed inferius pertingunt per incep- 
tionem ad diatessaron sive diapente. 



1 Die Verknüpfung der Theile ist hier sehr lose, da wohl von den tpeeiet 
diapasoHf nicht aber von den tropi oder tont geredet worden ist. 

2 modulatio ist die natürliche Folge der Töne. 

9 Die Handschrift hat diapason. Der Fehler wie auch der Sinn der Stelle wird klar 
durch Bemo (Gerbert Script. 11, 79,t): Nunc igitur ponanuu singuhrum diapente, 
unitucuitMque a proprio ßncdi incipientes et per quinae eyüabae, connumeratis quae 
in medio sunt vocibus, aecendamus ; itemque per iUiae quinae in usque ßnalee simiH 
modo deecendamus. Es finden sich bei Bemo dieselben Beispiele. Diese sind mit 
Ausnahme von tria sunt munera precioea keine AntiphonenanfiSnge sondern 
Memorialverse. 

* Es gab eine Antiphone proti plagalis : Tria sunt munera ( Guido AreUnut 
de modorum formulis, Coueeemaker IE 88); die Melodie, die ich in mehreren alten 
Antiphonarien (Neumen auf Linien; ungefähr saec XU) gefunden habe, ist eher 
authentisch zu nennen. 



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-^- 



-tffc. 



JZ 



^ rj 



le-runt ma - gi do '- mi 
divina mysteria. 



^ Of s^ 



no 



u. B. w. 



in die iUa et habent in te 



^ Zur Erklärung des Wortes tetragrammaton yergleiohe Aureliani Meom, 
Mue» JDiecipL cap, VIII (Gterbert I, 40, 1). Tetra enim apud Qraeeo» quatuer 
dieuntur, unde et nomen Dei tetragrammaton^ eoquod quatuor liUeris eeribitur. 



Ein anon}rmer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts, J99 



De temUnationibus secuhrum 

amen.^ 
Qui voluerit dücernere terminum 
sectdamm amen autenticorum et eo- 
rutn discipulorum, tali inceptione 
considerabtt. Terminus euouae proti 
et lateralis deuteri et subiugalis tritt 
in chorda incipitur^ quae mese idest 
medial didtur.^ Deuteri tritt et 
discipuli tetrardi in irite diezeug- 
menon^ idest iuxta tertiam disiunc- 
tarn. Tetrardi in paranete diezeug- 
tnenon idestiuxta ultimam disiunctam. 
Omne melum compositum, si in 
suajindli velper magistratumßnalis 
inctpitur et suum diapente^ non 
transgreditury inferius autemfinali ad 
unam chordam protenditur^ quia dia- 
penteamborum, idest domini et serm, 
est commune, etiam melum erit com- 
mune verbi gratia: Biduovivens,^ 



BernOj Prologus in Ton. (Ger- 
bert II, 72 Spalte 2J. Si vero ad 
diapente quidem pervenü etnecsupra 
infra diatessaron habet, quia 



nee 



diapente amborum commune est, can- 
tus quoque communis sit [ita tarnen 
ut eorum alteri tribuatur, cuius et 



^ Dem Schlüsse eines Gesanges pflegten die Worte: Oloria.patri et ßlto et 
spiriiui sancto, sicut erat in principio et nunc et semper et in secuta aeetdorum amen 
hinzugefügt zu werden. Dieser Satz wurde gewöhnlich auf sectdorum amen yer- 
kürzt und noch dadurch vereinfacht, dass man aus diesen beiden Worten nur die 
Vokale herauszog. Jeder modus hatte mehrere %eculorum amen. 

2 In der Handschrift steht medium, wie auch im folgenden iuxta tertium 
disiundum und iuxta ultimum disiunctum. Doch ist wohl hier chorda zu ergänzen 
und daher die weibliche Form zu wählen. 

3 Die Anfangstöne des secuhrum amen werden auch tenores genannt, cf . Gotto XI. 
(Gerbert 11). 

* Die Handschrift hat diapaeon. 

^ Die Antiphone JBiduo vivens muß, wie aus Coussemaker, I, 422 ersichtlich 
ist und es uns C. 184 [Domni Guidonis Abbatis in Caroli loeo JtegtUae de arte musiea) 
berichtet wird, von manchen dem zweiten Tone zugerechnet worden sein. Dort heißt 
es: Mirorergo, quare iUa antiphona i> JBiduo vivens« dicatur esse secundi modi, quia 
et frequenter tangit quartam et in ea moratur et propriam habet compositionem 
prtmi autenti idest primi tont. — Folgendes ist die Antiphone 



-©- 




^Eö 




Bi-du - o vi'Vens pen-de bat in cruce pro Chri^sti no-mi -ne be - a ' tus 




An-dre - as et do-ce- batpo-pu-lum 
Aevia sind die Vokale aus Alleluia. 



a ' e - Vi " a 



E'U - O'U" a -e. 



200 



Johannes Wolf, 



Lux orta est^ ei aliae quam 
plurimae. quae proto aptantur ex 

consuetudine. Hos vero quae 
simili modo incipiunt et in eundem 
locum ascendunt et descendunt, tdest : 
O dofhine salvum,^ Oblatus 
esi^ et alias mbiugali adaptamzcs, 
quia ha>s frequentier illicontulit usus. 

Sedmelum quod non pertingit ad 

diapente, sive inferiusdiatessaronha- 

buerit sive non^ pro imperfectione sui 

plagi adaptabitur ut subscriptae te- 

stanturantiphonae: Benedicatnos^j 



frequentier usus habetur. JEcce kas 
antiphonasvel his similes] idest: Bi- 
duo vivens Lux orta est ad 
protum canimus. Has vero quae 
simili modo incipiunt, in eundem 
locum ascendunt ac descendunt in 
eundem^ idest ant, domine sal- 
vum ant. oblatus est ad subiuga- 
lern eius canimus. [s. obige Klammer.] 

Berno Prol. i. T. G. II. 72, 2. 

Si quis cantus a finali suo ad 
diapente non pertingit, nee diätes- 
saron inferius habet pro sui brevi- 
tate vel imperfectione solemus cum 
subingali designare; exempli causa 




Lttx or -ta est su-per nos qui - a ho-di - e na-tus est sal- 




va - tor 



a- e - vi - a E- u- o - u - a - e. 




O do-mi-ne sairvitmmefac o do-mi-ns be~ne pro-spe-ra-re. 




Ob-la-tus est qui-a ipse vo-ki ~ it et pec-ca-ta no-stra ip-sepor-ta-vit. 

^ Die Antiphone Benedicat nos habe ich in ihrem ganzen Wortlaut nicht 
feststellen können. Coussemaker giebt in dem Intonarium des Abtes Oddo den An- 
fang folgendermaßen: 




Be-ne-di'cat nos. 

Dieser stimmt aber nicht ganz mit der Neumirung über ein, die uns der Vrf. 
der Qumesttones in Musica giebt, welcher die Stelle von Sed melum — iudicandus 

wörtlich aufweist Benedicat nos deus deus noster = 




Be-ne-di-cat nos de -us de- us no - ster. 



Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 201 



In omnemterram,^ Beata ma" 
ier y^ Ju sie et pie. ^ 



Si quis autetn cantus non legi- 
time inceperüy vel in processu sie 
se variaverit, ut ad debitum finem 
reffulariter occurrere non potuerit, 
ita ut alio tono indpiat et alio 
/Iniatur, 

Fol. 183 V. 

hie inquam cantus nothiis est indi- 
citndus. 

Prius autem Auius modi cantus 
däigenter debet considd^rari^ si vel 



inter protum et eius subingalem: 
Benedicat nos deus deus no- 
ster, Beatamater, Ceti celo- 
rum. In omnetn terram. Juste 
et pie. Juste iudicate. 

Berno P. L T. G. H 77, Cete- 
rum si quis cantus contra legem 
finaUum ortus inceperit, vel aliter 
contra regulam in processti varia- 
verit, nee debito fivi occurrerit, ita 
ut ab uno tono ordiatur, et in alio 
terminetur, hie ialis magis nothus 
quam legitimus est iudicandus. 




^ ^♦«* I ^ 



In ofn~nem 



ier- räm ex- % - vit so - nus « - o - rum 




ei in ß-nes cr^is ter-rae ver 



ba 



e ' o - rum. 



Beaüglieh des Tonumfanges stimmt diese Antiphone mit dem oben gesagten 
überein, nicht aber bezüglich des modus. Im Intonarium des Oddo ist der Anfang 
folgendermaßen gegeben: 



Dies entspricht ungefähr dem neumirten Beispiel in den Q. i. M»: In omnem 
terruim «* 




2 Die Ant. Beata maier ist mir nicht gelungen festzustellen. 
3 




Juste et pi - e vi - va-mue exper-tan-te» be-a-tam spem et ad- 




ven - tum do- mi-ni E ~u- o -u-a- e, 
cf. das neumirte Beispiel in den Q. i, M, Juste et pie. 



202 



Johannes Wolf, 



in transpositis ^ vel transformatispos- 
sit cantari, Unusquisque enim tonus 
transformatos habet modulos vel 
transpositoSj ut siquis cantus inmem- 
bris ßnalium propier deficientia ibi- 
dem semitania nonpossit decurrere, 
in transpositis vel transformatis de- 
centerpossitprocedere, quodstudiostis 
cantor diligenter debet attendere. Ad 
quod comprobandum licet praesto sint 
plurima^ duo tarnen suffteere viden- 
tur exempla, ut ex similibus colligan- 

tur similia. Turba multa,^ quae 
si in membris ßnalium cantetur^ in 

eo loco tn nomine domtm in mi 
scilicet syllaba defectum patietur. 



^ Das vel-vel zu Anfang scheint auf Verschiedenheit von transpositus und 
trafisformatus hinzudeuten. Dem widersprechen aber die nächsten S&tze. Eine Er- 
klärung der Bedeutung giebt Engelbert IV, 38 (G. 11, 365): Cum propter mutaUm 
aliqttam consonanttam per occurmm semtUmii transpositi campeUimur cantum aUcmm 
toni non in loeo 8%bi proprio et naturali incipere out finire, sed in consimili [Qtiarte 
oder Quinte), tunc dieitur cantus sive tonus tranaformatus 9ive trcmspoaitus. IHeitur 
auiem transpo^iius, quia sua inceptio et tenninatio transponitur a eua aede naturdU 
ad consimilem; et dieitur transformatus, guta ex tunc, cum est transpositus, non de- 
cantatur in naturalihus speciebus diatessaron et diapente et diapason iilius toni, sed 
in consimüihus seeundum formean, et aliis secundwn locum et sedem fiaturalem. 

Einige Theoritiker haben indessen die beiden Ausdrücke auch unterschieden. 
cf, Q.i, M,: Transformatus modus dieitur qui transformam propriae qualiUUisinformam 
convertitur alterius proprietatis , ita ut melodia plerumque magis videatur eius esse 
modi, cuius non est, quam eius, cuius est. Quae vitiosa transformatio maxime fit 
per h motte et frequentius in septnno et oetavo tono, quando scilicet cantiiena per 
sf/nemmenon decurrit tetrackordum, ut G sonst protum. Transpositus modus dieitur, 
qui a proprio sede in socialem chordam cantandus transponitur. Differt auiem a trans- 
formato, quod ille fit vitio, iste regulariter et necessario. 




Turba mtil-ta quae con-ve-ne-rat ad di- em fe-stum cla-ma - bat 




do ' mi'^^: Be~ne-dic-tus qui ve ~nit inno-mi -ne do-mi - ni 



l 



o-san^na 




in ex-cel'Sis E-U'0~u-a- e. 



Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 203 



Item: Domine gut operatt in 

eo locotntabemaculo tuo,^ Ceterum 
fnuUa sunt vitiata in cantionibus 
tarn noctumis quam diumis, maxime 
in aniiphoniSf qiuie ex psalmis com- 
positae sunt^ cantorum vel inscitia 
t>el incuriGf quiiefacHe possent cor- 
rigi, si inolita consueiudo ab ore 
cantantium posset evelli. Qua prop- 
ter, ut iam praefati sumus, peritus 
cantoT caute debet inspicere, utrumr- 



(ne) cantus regülari a stia ßnali 
incipiat ordine, si legitime currat, 
ne quid naturali vitiata qualitate ab- 
sonum Jiat, si rata tonorum semito- 
niorumquedimensione beneconveniat, 
ne extra metam inferius superius- 



Bemo. P. i. T. Gerb. 11. 73, 1. 
Quamquam haec reguia partim can- 
torum insdtia, partim longo usu 
inveterato constat omnino in multis 
viticUa, tum in quotidianis anti- 
phonis, quae inveniuntur compositae 
ex psalmis, tum etiam in äliis plu- 
rimis cantionibus^ in noctumis mde- 
licet ac diumis, Quod quidem ad 
regülam aliqtcatenus posset corrigi, 
si inolita consuetudo ab ore cantanr- 
tium potuisset ullo modo evelli. — 
Gerbert 11 74, 1. Propter huius modi 
aliosque devios errorum anfractus 
debet peritus cantor caute inspicere, 
utrum cantus regülari a suo ßnali 
incipiat ordine, an legitime currat, 
ne quid naturali vitiata qualitate 
absonum ßat, si rata tonorum semi- 
toniorumque dimensione consonantiae 
bene conveniantj ne extra metam in- 



^ Die Antiphone war nicht festzustellen, die Neumirung ergab folgendes: 





Do-mi-ne qui o-pe-ra-ti in ta-ber-na- cu-lo tu - o 

Über diese Antiphone spricht Oddo: Dicdogua de Musica, cap. VI. (Gerbert I, 
256, 2) In antiphona: »Dotnine qui operati sunt« haec diligerUius prohari poteris: 
nam si eam incipias in sexto modo, ut muÜi probant, in F littera, non discrepabU ah 
eo modo usque ad semitonium, quod est »in tahemaculo tuo« in una syUaba, Sed 
quia in usu ita est et bene sonat, emendari non debet. Sed inquiramus, anforsitan 
in aiio tono incipiatur totaque in eo modo consona inveniatur eamque emendari 
opus non sit. 

Incipe itaque eam in G littera, hoc est, in odavo modo et regulariter in eo 
sütre probabis. Unde quidam incipiunt Domine sicut: Amen {amodofj dico vobis. 
Ex quo comprehendituTf quia imperitus musicus est, qui fadU ae praesumptuose 
pJwres cantus emendaty nisi prius'per omnes modos investigaverit, si forsitan in 
aUquo stare possit; nee magnopere de simüitudine aiiorum eantuum, sed de regülari 
veritate curet. Quod si ntdlo tono placet, secundum eum tonum emendetur, in quo 
minus dissonat. Atque hoc observari debet, ut emendatus cantus aut decentius sonst, 
out a priori svmüitudine parum discrepet. Läßt man demgemäß die Antiphone auf 
G anfangen, so fiäüt das synemmenon fort: 



204 



Johannes Wolf, 



gue canendi exo9'dium sumaty st ad 

finalem recto legis tramite recurrat, 

qui finales illius et illius cantilenae 

existanL Haec est autem regtda ad 
quodlibet melum inchoandum^ ut nee 
supra quintum superiorem, nee infra 
quintum inferiorem locum aliquando 
incipiat, sed intra novem ülos modos 
superius dictos inceptiones stias co- 
hibeat. ^ 

Considerandum quoque est quod 
sicut grammaticae ita insunt vitia 
musicae, quae peritus cantor tanto 
magis vitare debet, quanto haec ars 
caeteras liberales artes antecellit. 
Nam ut illud appellam de caritate,'^ 
etiam de hac inferam. Aliarum scienr^ 
tia destruetur, haec nuryquam excidet. 

Fol. 184 r. 

Etenim cum psalmista prae- 

mitteret: Psallite deo nostro, 

psallitCj psallite regi nostro, 

psallite — ad postremum inttdit 

— psallite sapienter,^ 

Quemadmodum igitur in sgllabis 
aiiae producuntur, aliae corripiun- 
tur, ita et in melodiis aliae cursim, 
aliae morose^ aliae perfecta sursumj 
aliae retractim^ aliae graviter, aliae 
mansuete et vario modo, prout se 
habet cantilenae dignitas, promendae 
sunt. Unde et in cantionum libris 
tam nociumis quam diumis* in- 



ferius aut superius canendi ezor- 
dium sumatj si ad finalem suum 
recto legis tramite recurrat, qtd fi- 
nales* illius et illius existant .... 
... — Et haec est eorum regula 
ad quodlibet melum inchoandum, ut 
nee supra quintum superiorem ^ nee 
infra quintum inferiorem locum cdi- 
quando incipiant, sed inter eas octo 
voces vel aliqwndo novem initia 
sua cohibeant. 



1 Die Ausdrucksweise unseres Verfassers ist klarer, als die des Bemo. Unter 
dessen 8 oder 9 voces sind offenbar die Töne zu verstehen, welche sich aus der 
Summation der oberen Quinte und unteren Quarte oder Quinte ergeben. 

3 Caritas ist nicht als Stoff aufzufassen, über welchen er gehandelt hat. 



3 



jooe. 



ps. 




.' . • . . . . 

Ps(d-li-ie de-o nostro psal-li - te psal-li-te re-gi nostro psallite sa-pi-enter. 



^ Um bequemer gebraucht werden|zu können, scheinen die Antiphonarien in zwei 
Theile zerlegt worden zu sein, in einen für die kanonischen Stunden der Nacht und 
einen für die des Tages. 



Ein anon3niier Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhundert«. 205 



veniuntur notulae ex alphabeio neu^ 
fnis appositcte^ qtioe idipsum signi- 
Jlcentf * verbi gnUia a. c. g. l, m, 
s. t. Inveni praeterea cuiusdam inr- 
dustrii adtnodum mtmci, mm am- 
temnendum huiua tnodi exemplar, per 
omnes ordinatim alphabeti lüteras 
cum stgmßcationibim suis. Quod hie 
ponere mihi quidem non pigrum, 
Btudiosis autem fortassis non erit 
ingratum: a ut altius elevetur ad- 
monet, b ut bene gravetur sive teneor- 



tur, c ut cito dicatur, d ut deprima- 
tur, e ut equaliter sonetur, fut cum 



fragore feriatuTy g ut in gutture 

garruletur gradatim ; h ut sicut ipsa 
in scriptura aspirat, ita et in nota 
idipsum fadat; i inferius insinuat; 

k licet apud latinos parum vel nihil 
valeatj apud nos tarnen allemannos 

klenke ue.clange signißcat; l levare 
neumam, m mediocriter moderari 
melodiam; notare n significat; o 
figuram sui in ore cantantis ordinat, 
p preesionem vel perfectionem si- 
gnificat; q in signtficationibus nota- 



Nother Balbulus in dem Brief 
an Lantpert (cf. Geibert I, 95) a 
ut altius elevetur, admonet, b secun" 
dum litteras quibus adiungitur, ut 
bene, multttmextollatur, vel gravetur 
sive teneaturj belgicat; c ut cito 
vel celeriter dicatur, certificat; d 
ut deprimatur demonstrat; e ut 
equaliter sonetur eloquitur ; / ut 
cum fragore seu frendore feria- 
tur , ßagitat ; g ut in gutture 
gradatim garruletur, genuine gra^ 
tulatur] h ut tantum in scriptura 
aspirat ita et in nota idipsum habi- 
tat; i iustem vel inferius insinuat 
gratitudinemque pro g interdum 
indicat; h licet apud latinos nihil 
valeatj apud nos tarnen allemannos 
pro X graeca positum chlenche idest 
clange clamimt;l levare laetatur; m 
mediocriter melodiam moderari men- 
dicando memorat; n notare, hoc est 
noscitare notißcat\ o figuram sui in 
ore cantantis ordinat; p pressionem 
vel prensionem praedicat ; q in signi- 
ficationibus notarum cur quaeratur, 
cum etiam in verbis ad nihil aliud 



1 Aus dem Conjunctiv signißeent läßt steh ein gewisser Zweifel an der Rich- 
tigkeit der Notkerischen Erklärung herauslesen. Dieser Zweifel ist ganz be- 
rechtigt, denn nach Notker's Ausdeutung sagen die Buchstaben uns nichts anderes, 
als was die Neumen schon ausdrücken. Qans richtig sagt Joh. Cotto XXI (Qerbertlly 
259): 8ed etat eis (sei. litierüj trtbuatur aliqua certa significiUto, non tarnen per 
hoc exstirpaiur amnts dubitatio, dum cantor adhuc manet ineertus de modo inten- 
nonis et remissionis. cf. die versuchte Deutung der Buchstaben bei Riemann, 
Studien sur Geschichte der Notenschrift, Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1878. 

Vergleiche femer: P. A. Schubiger^ Die Sänger schule von St. Gallen, Ein- 
siedel und New^York, 1858. 



206 Johannes Wolf, 



scribaiur, nisi ut sequens v vim suam 
rum non invenitur; r rectitudinem amittere quaeritur; r rectitudinetn 



vel criapationem sign^cat; 8 sur- 
sum scandere; t trahere. 



Quae reliquae sunt littertte in 
significationibus notarum nihil va- 
lent,^ 

Accidii, etiam ut per cola^ et 
cammata toiitts cantilenae periodus 
texatur, ut per singtdas sensus cae- 
suras ad finalem suum recurrat. 
Qui modus cantandi pulcherrimus 
et rectissimus, ut in illa antiphona : 
a progenie in progenies.^ 
Item: fecit misericordiam 
dominus j ita et per singtdas 
senstis caesuras usque ad finem, 
Similiter in illa: Gau de et 



vel rasuram non aholitioms sed cri-- 
spationis rogitaU; s susum vel sur- 
sum scandere sibüat; t trahere vel 
tenere debere testatur etc. 



^ Der Verfasser der Quaestiones in Musica, welcher die Lehre von den 
Bomanusbuchstaben dem vorliegenden Traktate entlehnt hat, schließt folgender- 
maiSen : Q et reliquae litterae in 8ignißc4Xti<m%bu8 notarum probaniur nihil valere, Sed 
et exsuprascriptis omnibtMhas tantum in noetris antiphonariia frequentari repperimus. 
a. c. e, h. t. m, s. t Haec ut praediximus in eanendo fuit antiquie cantoribus 
consideratio, quae iamdtid^m obiit, immo seputta est. Zieht man nun in Betracht, 
wie wenige Schriftsteller des Uten und 12ten Jahrhundert überhaupt nur eine 
Kenntniß der Romanusbuchstaben ahnen lassen und die meisten Ton ihnen die- 
selben nur oberflächlich berühren, so scheint mir die Behauptung Schubiger's, 
daß die Kenntniß der Komanusbuchstaben im Uten und 12ten Jahrhundert yon 
großer Ausdehnung gewesen sei, mit obiger Stelle zusammengehalten, siemlich 
hinfällig. 

^ Die Ausdrücke Colone comma, periodus sind der Grammatik entlehnt Nach 
der Musica enckiriadis ist eolon es 2 oder mehr commata. Ein comma besteht 
aus elevatio und depositio. Der Abstand Tom höchsten und tiefsten Ton eines 
comma heißt diastema. Mehrere cola bilden eine Periode (periodus). Ootto scheint 
die Begriffe eolon und comma mit einander vertauscht zuhaben. Cotto X: Inprosa 
quippe quando suspensive legitur^ eolon vocatur, quando per legitimum punctum sen- 
tentia divididur, comma ; quando sententia adßnem dedttcitur, periodus est; Verbi gratia 
Anno XV imperii Tiberii Caesaris, hie in omnibiM punctis eolon est, deinde ubi 
subditur, sub principibus sacerdotum Anna et Caipha^ comma est; in ßne autem 
versus ubi est Zachariae ßlium in deserto, periodic est. Similiter cum eantus in 
quarta vel quinta a ßnali voce per suspensionem pausat, eolon est, cum in medio 
ad ßnalem reducitur, comma est, cum in fine ad finalem pervenit, periodus est. 

3 Die Antiphone A progenie in progenies war nicht festzustellen. 



Ein anonymer Musiktraktat den elften bis zwölften Jahrhunderts. 207 



laetare^ et in alüs quam phir- 
rimis qtias longum est enumerare. 

De finaübus autenticorum et dir- 
sdpulomm. 

fol. 184 V. 
Hü breviter praelibatiSf quae 
ratio m compositione cantus debeat 
observari, diligenter a nobis debet 
cansiderari. Et primum quidem de 
Jindlibus sin^orum dicamua, quia 
de inceptiombus superius succincte 
notammus, 

Cantus iffitur primi magistri 
eius^ue discipuli* in lichanos hypa" 
tan tdest in D^finitur^ secundi eius- 
ffue discipuli in hypate meson^ idest 
in E, tertii eiusque discipuli in 
parhypate meson, tdest in Fy quarti 
ei eius discipuli in lichanos meson, 
idest in G terminatur, Primus 
iffitur magister protus appellatur, 
eiusque discipulus plagis proti nomi- 
natur. Secundus magister dicitur 
deuterus, eiusque discipulus lateralis 
illiuSf tertius tritus, subiugalis sub~ 
ditus eius, quartus tetrardus; di- 
scipulus eius habetur octavus. — 
Quordam inceptiones, nomina etfina- 
les eorum diximus, intensionis et 



Anonym. I (Oerbert I, 336). Can- 
tus igitur primi magistri eiusque 
discipuli D finitur, secundi eiusque 
discipuli Ej tertii eiusque discipuli 
F, quarti 

eiusque discipuli O. 



Anonym. I (Gerbert I 336, 2). 
Sed quoniam nomina etßnales eo- 
rum diximus, intensionis et remis- 



^ In vigilia nattvitiUis Domini 




Qaude et lae-ta - re Je-ru - 9a - Um ec-ce rex tu- U8 ve-nit de quo 




pro-phe " tae prae-ci - ne-runt, quem ange 'U ad - o - ra - ve- runt, quem ehe" 




ru 'hin et se-ra-phin eanc-tue sane-tus sane-tue pro - cla-mant, 

2 Die Ausdracke magister, discipulus sind der Reiehenauer Schule eigenthümlich. 

3 Die Tonbuchstaben fehlen in der Handschrift. Aus dem freigelassenen 
Baume geht hervor, daß der Schreiber sie nachträglich farbig hinzufügen woUte. 



208 



Johannes Wolf, 



remissionis Itmites aperiamus. Sed 
quoniam regüla intensionis et re- 
missionis antiquorum dliquantulum 
discrepat a sententia iuniarum, po- 
namus sententias singuhrum^ prius 
tarnen antiquorum, 

Antiquorum intensionis et remis- 
sionis reffula.^ 

Primus igitur magister ascendit, 
ab ipsaßnali ad nete diezeugmenon, 
idest e litteram et descendit ad pros- 
lambanomenos , idest A; eius vero 
discipulus intenditur admese^ idest 
a, vel paramese, quae est t], et re- 
miititur ad eandem, ad quam et 
magister. Secundus magister inten- 
ditur ad trite hgperbolean, idest f^ 
et remittitur ad hypate hypaton, 
quae est B; eius vero discipulus in- 
tenditur ad trite diezeugmenon, idest 
c, et remittitur ad eandem, ad quam 
et magister eius. Tertius magister 
ascendit ad paranete hgperboleon, 
quae est g, et descendit ad hypate 
hypaton, idest B; eius vero disci- 
pulus intenditur ad paranete die- 
zeugmenon^ quae est d, et remittitur 
ad eandem, ad quam et magister 
eius. 

Quartus magister ascendit ad 

nete hyperboleon, quae est a, et 
descendit ad lichanos hypaton, quae 
est D; cuius discipulus intenditur 
ad nete diezeugmenon ^ qtuie est 
Cy et remittitur item ad lichanos 
hypaton, quae est D. Haec antiqua 



sionis limites aperiamus. 



Anonym. I (Oerbert I, 336, s). 
Primus magister ascendit ad Ple'Pet 
descendit ad A. [A\ 

eius vero discipulus intenditur 
ad H [a] vel M[jg^]et remittitur ad 
idem A, [A] 

Secundus magister ascendit ad 
Q[f]et descendit ad B [B]] 

eius discipulus intenditur ad N^ 
[c] et remittitur ad idem B. [B] 

Tertius magister ascendit ad 
B[g]et remittitur ad C [C] ; 

cuius discipulus intenditur ad 
0[d\et descendit ad idem C. [C\ 



Quartus magister intenditur ad 
S [a] et descendit ad D [D]; 

cuius discipulus intenditur ad 
0[d]et descendit ad idem C. [O] 

Haec est enim intensionis eorum 



1 Der Kaum für die Überschrift ist nicht ausgefüllt, die Tonbuchstaben sind 
nach den griechischen Tonnamen von mir hinaugefügt worden. Die AuBdrQcke 
iniensio und remissio sind vom Anspannen und Nachlassen der Saite gewonnen 
und sind gleichbedeutend mit elevtUio und depowtio. 

2 Anonymus I bedient sich zur Beseichnung der Töne der Buchstabenreihe 
A-8 mit Ausschluß von I-L. Das A ist aber hier im Gegensats zu Boetius wirk- 
lich der Pro9lambanomenos A. 

3 Oerbert hat : intenditur ad Q. Dann wfire aber sowohl die elevatio als auch 
die depositio deuteri autentiei und plagalis gleich. 



Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 209 



est antiquorum intensionis et remis- 

sionis reguia *, guod veris assertto- 

nibus in quibusdam prohari poterit 

cantionibus. Sed iuniares subtilius 

et cumiius considerantes et certius 

leffoKusque discriminantes^ non ex 

toto consentiuntj non ex toto dis- 

sentiunt Aiunt enim inter modos 

esse certas oportere differentias^ ut, 

cuniscunque sint, cognoscere possi- 

tnus cantilenas, Si enim primus 

modus a nete diezeugmenon [e] re- 

tnittatur ad proslambanomenos [A], 

secundtis vero a paramese [tj] ad 

eandem proslambanomenos [A], si 

inter mese [a] et proslambanomenos 

[^ cantus non excedens componatur 

et in lichanos hypaton [D] utrius- 

que ßnaii regulariter terminetur, 

incertum [est],^ cui poiius deputetur.* 

Pari modo si tertius a trite hy- 

perboleon [f] ad hypate hypaton 

\B] deponatur, qtiarttif vero a trite 

diezeugmenon [c] ad eandem hypate 

hypaton [B] remittatur, cantus, qui 

inter paramese [b] et hypate hypaton 

[B] compositus in hypate meson 

utriusque ßncdi finitur, cuius potius 

siij incertum habetur. Idem con- 

tingit in caeteris. Ad hanc ergo 

incertitudinem propulsandam, iuni- 

orum comprobamus regulam. Cuius, 

quoniam est probabilior, tractatus 

ßat diligentior. Finales, uti prae- 

diximus , serventur , intensiones 

et remissiones aliquantulum va- 

rientur. 



antiqua reguia et remissionis, quod 
probari potest in multis cantUenis 

Sed iuniares subtilius et 

acutius diiudicantes et certius lega- 
liusque discriminantes non ex toto 
consentiunt nee ex toto dissentiunt, 
Aiunt enim inter modos esse 
certas oportere differentias, ut, cuius- 
cunque sint, cognoscere possimus can- 
tilenas. Sed si primus modus re- 
mitiatur ad A [A] 

secundus vero ab M [Ij] ad idem 

descendit A [A\, si inter H [a] et 

A [A] 

cantus non excedens componatur et 

in D [D]ßnali utriusque regulariter 

ierminetur, incertum est, cui potius 

deputetur. 

Pari modo si tertius a Q [/] 
deponatur ad B [B], quartus vero 
ab N [c] ad idem remittatur B [B]y 
cantus qui intra 

M [ij] et B \B\ compositus est, 

ßnitur, cuius potius duorum sit, in- 
certum habetur. Idem contingit in 
caeteris, ad quam incertitudinem 
propulsandam iuniorum comproba- 
mus regulam^ cuius, 
quoniam est probabilior, tractatus 
ßat diligentior. Finales, uti prae- 
diximus , serventur , intensiones 
vero et remissiones aliquanttdum va- 
rientur. 



1 Bei der älteren Regel unterscheiden sich also magister und disciptUus nur 
dadiurch, daß ersterer bis zur None, letzterer bis zur Sexte aufsteigt. Der Abstieg 
ist bei beiden derselbe. 

' Der Ausdruck iuniares suhtilitu et acutius considerantes et certius Ugaliusque 
discriminantes ist im Uten und 12Jten Jahrhundert typisch. 

^ Nach Anonymus I ist wohl est zu ergänzen. 

^ Die Worte von iuniores — deputeiur finden sich auch in der eingeschobenen 
Stelle bei Berno Prologus (Gerbert 11, 71). 

1893. U 



2t0 



JohAnnes W6ki, 



Regula inteiisums et remissioms 
secundum mmores.^ 

Primus modus intenditur ad pa- 
raneie diezeugmenon^ quae est d, 
aliquando vero ad nete diezeup^ 
menon idest e^ remittitur autem ad 
parhypate kypaton, idest (7, conti- 
nens quartam inter lichanos kt/pa- 
ton et paranete diezeugmenon dia- 
pason formam^ supra vero et infra 
diapason chordam. Secundus modus 
ascendit ad mese, idest a, aliquando 
ad trite diezeugmenon, idest c, de^ 
scendit ad proslambanomenos, idest 
A, possidens inter hanc et mese 
primam^ diapason spedem [supra 
vero vocem].^ TerHus modus in- 
tenditur ad nete diezeugmenon, idest 
Sj aliquando ad trite hyperboleon, 
quae est f, remittitur vero ad li- 
chanos hypaton^ idest D, possidens 
quiniam inter hypate meson et nete 
diezeugmenon diapason^eciemySupra 
vero et infra vocem. Quartus modus 
ascendit ad paramese, quae est |;|, 
aliquando ad trite diezeugmenon quae 
[vel id]est c, descendit ad hypate 
hypaton, quae est B, continens se- 
cundam inter hanc et paramese dion 
pason formam^ supra diapason vero 
chordam, Quintus modus ^ intenditur 



Anonym. I (Qerbert I, 337). 

Ptimus modus intenditur ad O 
[{fj, raro autem ad P(e), descendit 
ad C (C)y continens quartam inter 
D et O diapason formam, supra 
vero et infra chordam. 



Secundus modus ascendit ad 
H[a]y raro autem ad M (6 1;) vel 
I {?)y remittitur ad A, possidens 
primam inter A et H diapason spe- 
ciem, supra vero rarenter vocem; 
et hi sunt primus magister emaque 
discipulus, Tertius modus intenditur 
ad P (e), raro autem ad Q (f) 



descendit ad D [D) . . . possidens 
quintam inter JE et P diapason epe- 
dem, supra "vero et infra vocem. 

Quartus modus ascendit ad M 
({7, li)), raro autem ad N(c)y demit- 
titur ^ ad B {B) , continens secundam 
inter B et M diapason formam^ 
supra vero chordam. 



Quintus modus intenditur ab Ead 



^ Diese Regula findet sieh auch in der eingeschobenen Stelle bei Bemo 
(Qerbert ü, 70, g). Sie stimmt fast wörtlich mit Ammym, überein, hat aber anstatt 
der Tonbezeichnung durch die Buchstabenreihe des Alphabets die griechischen 
sowie die seit Oddo gebräuchlichen Tonnamen. 

* forma = species. 

^ primam fehlt in der Handschrift. 

^ Die eingeklammerten Worte siud analog den anderen modi hinzugefügt 

^ Bei Bemo: descendit. 

^ Bei Bemo heißt die Stelle : Quintus modus intenditur ad f,' quae est trite hyper- 
boleon, raro autem ad g et remittitur ad £, hoc est hypate meson, continens inter Fetf 
sextam diapason spedem supra vero et inßra vocem, Sextus modus ascendit ad c, 
quae est trite diezeugmenon^ raro autem ad d, hoc est ad paranete dieteugmenon et 
descendit ad C, quae est hypate hypaton^ possidens inter C ete tertiam diapason formam, 
supra vero aliquando chordam. Der Wortlaut des siebenten modus entspricht dem 
des fünften, der des achten dem des sechsten. 



Ein anonjmer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 211 



ad irite hyperboleon, qucie est fy 
Fol. 185 V. 

remittiiur autem <ui parhypate 
mesofiy quae est Fj continens sextam 
inter hone et trite hyperboleon dia- 
ptisan formamy supra vero, quia ad 
paranete hyperboleon, quae est g, 
ascendit chordam, 

Seztus modtAS intenditur ad trite 
diezeuffmenon, quae est c, remittitur 
vero ad parhypate hypaton^ idest C, 
poMsidens inier hbnc et trite diezeug- 
menon tertiam diapason speciem, 
supra diapason vero vocem, Septimus 
modus intenditur ad paranete hyper- 
boleon^ quae estg, remittitur autem ad 
parhypate meson, idest F, continens 
septimam inter lichanos meson, quae 
est Gy et paranete hyperboleon, 
idest g, diapason speciem, Octavus 
modus ascendit ad paranete diezeug- 
menon, quae est d, [aliquando autem 
ad e], 1 descendit vero ad parhypate 
hypaton, idest C, continens secun- 
dum primum magistrum diapason 
speciem, supra vero et infra vocem. 

Hufic enim tonum ut Boetius 
refert Ptolemaeus apposuit, ^ et quia 
diapason octava caret specie, quar- 
iam utprimus obtinuit Qui quam- 
f>is eandem teneat speciem, diversam 
tarnen habet ßnalem, sed eandem ad 
parhypate hypaton, idest C, remis- 
sionemj licet raro proveniat 

J)e cantuum inceptUmibus? 

His de intensione et remissione ?nagi- 
strorum et discipulorum succincte 
praenotatis, considerandum videtur, 



ö \f)i ^örro autem ad R {g), con- 
tinens sextam inter F et Q diapch- 
son speciem, supra vero et infra 
vocem. 



Sextus modus ascendit a C ad 
N {c) , rarenier vero ad O (d), possi- 
dens tertiam inter C et N diapason 
formam, supra vero chordam, 

Septimus modus intenditur ab 
F ad R {g), rarenter autem ad S 

[aj, continens septimam inter G et 
R diapason speciem, supra vero et 
infra vocem. 

Octavus modus ascendit ad O 
[d) , raro autem ad P, possidens 
qua?' tarn aD adO secundum primum 
magistrum diapason formam, supra 
vero chordam.^ 

Hunc enim PtolemaetAS annexuit 
et quia diapason octava specie ca- 
ret, quartam ut primus obtinuit. 
Qui quamvis eandem teneat ^ speciem, 
diversam habet finalem et non ean- 
dem ad C remtssionem. 



^ Die eingeklammeiten Worte fehlen in der Handschrift; sind aber aus supra 
vero vocem 2u ergänzen* 

2 Auch bei Berno findet sich nur ein Abstieg bis D. 

' Den Fehler, daß Ptolemaeus den achten modus (tonua hypermixoJydiue) hinzu- 
gefügt habe, hat Boetius in die mittelalterliche Musik hineingetragen, cf. Boetigis 
de inst. mus. IV, 17 ed. Friedlein pag. 348^. 

^ Berno h«t habeaif stimmt sonst aber vollständig mit Anonymus überein. 

3 Die Überschrift ist Ton mir hinzugelägt. 

14* 



212 



Johannes Wolf, 



quibus chardarum sedibus magi- 
strorum et disctpulorum inchoentur 
regulariter cantus, 

Cantus primi magistri incipii 
qiiatuor chordis C D F a,^ Can- 
tus discipuli quatuor habet principia 
sicut et magistri A C D F, Cantus 
secundi magistri tribus chordarum 
iiicipit sedibus E G c, Subiugalis 
deuteri idest secundi magistri in sex 
chordas suas distendit incipientias 
C D E F G a, Omnis cantus triti 
i. e, tertii magistri tribus chordarum 
sedibus suas terminat incipientias 
Fj a, c, Discipulus^ vero duo sor- 
titur principia F D. 

Quartus magister quatuor cantus 
habet initia G t^ c d. Discipulus 
tetrardi, idest quarti magistri^ spa- 
tiosior reliquis invenitur [fore'^] 
discipulis, initia sui cantus sex chor- 
darum protelat sedibus C D F g a c, 
Fol. 186 r. 

De consonantianim speciehus} 

ConsideratiSj utcumque in cantu 
inveniuntur, tonorum inceptionibtis^ 
nunc ad consonantiarum species 
veniamus, ut, quibus numerorum pro- 
portionibus unaquaeque consietj vi- 
deamus. Et primo quidem, quid 
sit consonantia, dicamus; dehinc 
species et numerorum proportiones 
pro captu ingenii aperiamus, 

Consonantia est diversarum vo- 
cum concentus suaviter et unifor- 
miter accidens auribus;^ veluti si 
in aliquo musico instrumento, dili- 



Anonymus I, (Gerbert I, 333). 

Consonantia est diversarum vo- 
cum concentus suaviter et umfor- 
miter accidens avribus^ ut siin lyra 
vel alio aliquo instrumento düigenter 



1 Die Anfänge sind nach dem Verfasser der Quawtionea in munea erg&nÄt, 
der die Lehre über dieselben unserem Traktate entlehnt hat. 

2 Nach Handschrift discipuli. * _^ i ..^« 

3 Fore paßt nicht in die Konstruktion des Satzes. Besser ist» es fortiulassen 

oder durch esse zu ersetzen. 

* Die Überschrift ist hinzugefügt, . ^ . -4 

5 Vergl. Boetius, Inst. Mus. I, 8: Consonantia est aeuti sont grävtsque mtxtura 

sfMviter uniformiterque auribus accidens. 



Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 213 



genier intensis nervisj primam et 
guartam, primam et quintam^ pri- 
mam et octavam simtdteiigerie cnor- 
dam^. Inter species igiiur con- 
sonantiarum diatessaron ponitur 
pHnuM, quae habetur et minima, 
diapente secunda diatessaron una 
superans chorda, qtme tonus exstat 
proportione sesquioctava ; ex his 
duabus camposita diapason consti- 
tuitur tertia, diapason et diapente 
quartay bis diapason ponitur quinta, 
His quinque speciebus, si diapason 
et diatessaron adicias, sex habebis 
consanantias. Quam Pythagoras^ 
quidem praetermisit, sed Ptolemaetis 
rationabili iudicio apposuit.^ 

Quod si quis hanc neget esse 
y^eciem, cum generis sui subiaceat 
difflnitioni, facülime convincipoterit 
raüone, Si enim homo est sub- 
stantia animata, rationabilis, sensi- 
bilis, procul dubio speciebus inter e- 
rit animalis. Si autem diapason 
et diatessaron est diversarum vocum 
concentus suaviter et uniformiter 
accidens auribus, iure interponetur 
consonantiae speciebus, Sed hoc 
eaim esse nemo est,^ qui possit in- 
ficere,^ si rei veritatem studeatper- 
pendere, 

Igitur speciebus immo ipsis inr- 
tererit consonantns. Prima igitur, 
quae diatessaron dicitur, sesquitertia 



tensis et remissis nervis primam et 
quartam, seu primam et quintam 
vel primam et octavam simul ferias 



vocem; quarum prima, quae et mi- 
nima, diatessaron dicitur, secunda 

diapente tono maior, tertia ex his 
duabus compacta diapason, quarta 
diapason et diapente, quinta bis 
diapason, vel disdiapason, Quibus 
si secundum Ptolemaei rationabüe 
iudicium diapason et diatessaron 
adicias, sex habebis consonantias. . , 



Nam si equus est 
substantia animata, sensibtlis, pro 
certo speciebus intererit animalis; 
quod si diapason et diatessaron est 
diversarum vocum concentus sua- 
viter et uniformiter accidens auri- 
bus, iure interponetur consonantiae 
speciebus, Sed eam hoc esse nemo 
negare poterit; igitur consonantiis 
intererit. 



Prima ergo quam diatessaron 
diximt^s, in sesquitertia proportione 



^ Aus den Worten der Parallelstelle diligenter tensis et remissis nervis scheint 
hervorzugehen I dass ein Instrument mit gleichlangen Saiten gemeint ist. Dann 
kann es wohl nur das psaUeriutn decachordutn sein. 

^ Das Wort Pythagoras fehlt in der Handschrift, lAsst sich aber aus den 
Quaesiianes in Musica ergänzen, welche die Stelle von Inter species bis intererit 
consonantiis fast wörtlich wiedergeben. Nach der Lehre des Pythagoras bilden nur 
multiplex und superparticülare Verhältnisse Konsonanzen. Da nun das Verhältniß 
von diapason et diatessaron superbipartiens ist, so ist es nach ihm keine Konsonanz. 

3 cl Boetius Inst. Mus. V, 9. »Demonstratio secundum Ptolemaeum diapason 
et diatessaron consonantiam esse.« 

* Das est ist aus den Quaestiones in Musica ergänzt. 

^ infieere mittelalterlich für inßtiari. 



2t4 



Johannes Wolf, 



conatat proportione, veluti s% qua- 
temarius conferatnr temario, dia- 
pente vero sesqualiera, ut si qua- 
temario conferatur senarius, Dia- 
pason in dupkiy ut si praedicto 
temario idem conferatur senarius, 
diapason et diatessaron in duplici 
sesquitertia , ut si eidem senario 
sedecim conferantur in nutnero; 
diapason et diapente in tripla, ut 
ad saepe dictum Fol. 186 ▼. sena- 
riuntj si decem conferantur et 
octo. Bis diap<ison in quadrupla, 
ut ad senarium XXIV. Nemo 
autem ezistimet idem esse dia- 
tessaron, quod sesquitertium, dia- 
pente quod sesqualterum, diapason 
quod duplum, Nam quod in arith- 
metica^ sesquitertium vocatur, in 
musica diatessaron appellatur , eo 
quod sub IV voculis talis proportio 
contineatur; diapente, quod sonat 
de quinque, quod suh totidem vocu- 
lis constituatur. Diapason vero, 
quod dici potest de omnibus, hoc 
ideo nomen accepit, quod harum 
duarum^ omnes voces contineat, vel 
quod melius puto, omnium in se 
vocum discrimina concludat. Sep- 
tem namque sunt vocum* distantiae, 
quae consiituunt tres species sym- 
pkoniae: diapente scilicet et dia- 
tessaron, quas utrasque, ut dictum 
est, concludit in se diapason. 

Quarum species et spatia licet 
superius manifeste sint dicta, 
cuiusdam^ tarnen versus easdem 
species et spatia declarantes hie 
inserere dignwn duximus, qui sie se 
habent. 



consistit, ut si temario conferatur 
quatemarius. Diapente vero in 
sesqualtera, ut si quatemario con- 
feratur senarius. Diapason indupla, 
ut si praedicto temario idem se- 
narius, Diapason et diatessaron 
in duplici sesquitertia, ut si eidem 

senario sedecim.^ 

Diapason et diapente in tripla, ut 

si saepe dicto senario decem et octo. 

Bis diapason in quadrupla, ui 
si eidem senario contuleris XXIV, 
Nemo autem ezistimet idem esse 
diatessaron quod sesquitertium, dk^ 
pente quod sesqualterum, diapason 
quod duplum. Nam quod aritk- 
metici sesquitertium dicunt, musici 
diatessaron, quod sonat de quahtor, 
quod sub quatemis voculis talis 
proportio contineatur; diapente^ de 
quinque, quod sub totidem conti- 
neatur. Diapason de omnibus, vel 
quod harum duarum omnes voces 
contineat, vel, quod melius puto, 
omnium vocum discrimina in se eon- 
cludat. 

Nam Septem dumtaxat sunt vo- 
cum distantiae, videlicet AB G D 
E F G; [quodsi octavum, quae est 
H, teUgeris, eandem invenies primae]. 



^ Bei Oerbert fftlsehlich quatuardeeim. 

3 Handschrift hat arimeiica. 

3 8cl. consonanttarum diapente et diattssaron. 

^ Die Stelle klingt an Vergil. VI, 646, an: Septem diserimüut vocuni, 

^ Den Verfasser der Verse habe ich nicht feststellen können. 



EiD anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 215 



Septem sunt voces, quaeformant 

symphonias tres : 
Quinae distinctae quadris spa- 

tiis (üapente, 
Bü binae %pat%o dtatessaron at 

iriplicatOj 
Octonae prima diapaaon candu- 

plicata. 
Tot spedes ipsum quoque per-- 

ßciunt diapasan. 
Tres aiapente toni ac semis 

specie quadriformij 
Ditanus at trimode diatessaron 

hemitonusque. 
limma modos harum discemit 

symphaniarum, 
Post out ante tonunty prope 

ßnem sive supremum, 
Duobus praeterea versibus de^ 
ciarat f^ quae spedes proto, quae 
deuteroj quae tritOj quae tetrardo 
conceniat. 

Prima proto spedes aptatur, 

deutera deutro, 
Tertia nam tritum sortitur, 

quarta tetrardum. 

Septem ergoj ut dictum estj dia- 
pason habet spedes j una minus 
quam voces. Septem quoque secun-- 
dum diapason spedes modos sive 
tonos Juisse, sed Ptolomaeum octa* 
vum addidisse, Boetium novimus 
in musicis tradidisse.^ Sed quia 
diapason octava spedes de^uit^ 
gratia primi locum societatts in 
specie obtinuit. Ilhid quoque con- 
siderandumy quod cum in uno dia- 
pason Septem diversae voces non 
nisi duo tetracAorda^ efftdant, sep- 
tenarius vero^ ut cunctis liquet unam 



Anonymus I. (Gerbert I, 335). Sic 
ergo diapason Septem habet spedes^ 
unam minus quam voces (, . . J 

Septem tantum secun- 
dum diapason spedes modos fuisse, 
sed Ptolomaeum octavum superad- 
didisse, Boetium in musicis tradi- 
diese novimus. 



Hermannus Contr actus, :Bram- 
bach pag. 5, 27—33). Hlud quoque 
sdendum^ quod 

unam, ut cunctis liquet medietatem. 



* Nämlich auet&r verntum. 

' c£ BoetiuB Inst Mut. IV, 17. Der Plural musicis erklärt neh daraus, da0> 
das Werk des Boetius aus 5 Büchern besteht. 

3 Hermannus gebraucht für tetrachordum den Ausdruck quadrichordum. 



216 



Johannes Wolf, 



medietatem possideat, necesse est 
duo tetrachorda ipsa una medietate 
continuari, quam Graeci sinaphen, 
no8 coniunctionem possumus dicere, 
ut mdelicet sit prioris quarta et 
acutissima, posterioris vero prima 
et gravissima. Quam medietatis 
rationem exsequendampro litterarum 
posttione sorte videtur obtinere, 

Adhuc et illud in ietrachordorum 
speculatione considerandum est, quod 
cum in multis communiay in hoc 
privata possident offida, quod pri- 
mum et quartum sibi in eztremi- 
tatibus opposita, alterum nesessario 
ffravissimum melodiae descensum, 
alterum altissimum ascensum, duo- 
rum vero mediorum alterum conti- 
lenae exitum, alterum initia om- 
nium excepta una in seculorum 
amen continet differentiarum, Ubi 
illud non praetereundum videtur, 
quod, quemadmodum discipulus non 
est super magistrum, ita nulla sub- 
iugalium differentia vel super ma- 
gistrum^ vel cum ipso, sed semper 
infetius locum accipit. Omnis autem 
autentus, praeter deuterum, quinto 
a finali loco, idest in suo diapente, 
dijferentiam seculorum amen collo- 
cat, omnis vero subiugalis subtus 
in secunda vel tertia chorda incep- 
tionem seculorum amen terminal. 
Idem autem, quod de differentiis 
seculorum amen posuimus, de diffe- 
rentiis tonorum^ dicere possumus. 



tU videlicet superioris sit quarta 

quam medietatis rationem pro lit- 
terarum positione solum D sorte 
ordinis exequendam obtinutt. 

H. C. 6, 12—21. Adhuc et illud 

in quadrichordorum speculatione 

scire oportet, quod . . . 

private et propria 



exttum, alterum una excepta om- 
nium continet initia differentiarum. 



Omnis etiim autentus quinto a 
finali loco ...... 



^ Besser w&re super magiatri differentiam vel cum ipsa. 

2 Unter differentiae tanarum sind jene Grundmelodien zu den Worten Naeane, 
Nonnanoeane, noeagis etc. [adverbia laetantis secundum Cotionem] zu verstehen, 
welche bei Vergleichung mit andern Gesängen durch besonders hervortretende 
Töne (Keperkussionstöne) eine Erkennung des modus des Gesanges ermöglichen. 
Folgendes sind z. 6. nach Hucbald's Commemoratio hrevis die Differenzen des 
ersten und zweiten Tones. 



^ : ^ r^ ^=V^^-5r^ ^ ^^ ^^_^^^ ^ g ^-^r^ 



^ ^ c^ '^ zan^ 



No-a no - e^a - ne 




Ein anonymer Musiktraktat des elften bis iwölften Jahrhundert». 217 



Omnis quippe autentus ad dia~ 
pente suas in cantibus eztendit 
differentuUy nee huius regukte Ufni- 
tem in differentuxrum inceptionibus 
quisquam ülorum transgreditur, 
nisi in tnembris socialium vel trans- 
ponatur vel transformetur, praeter 
deuteruniy gui pro quinta^ ad quam 
naturaliter per diapente intendi 
debuity tASualiter ad vocem sextam 
elegit. Cum enim in ^ suum sit 
diapente j hanc contra naturam tränst- 
lit et in sexta^ quae est c, diffe- 
rentias tarn seculorum amen quam 
cantuum ponit, Ceterum subiuga- 
lium differentiae aspirare non au- 
dent ad diapente, sed infra ipsum 
suas inceptiones cohibere sunt con- 
tentae. Omnis autem autentus sub 
finali ad unam vel duas chordas 
suas deponit differentias. 

De qtiattuyr tetrachordis, 

Solet^ a nonnullis inquiri, quae 
ratio constituat, ut, cum quatuor 
tantum sint tetrachorda, unusquis- 
que tarn subiugalium quam autenti- 
corum tria possideat, Cfüitis in- 
quisitionis fadlis patet responsio, 
si et monochordi dispositio et ipso- 
rum processionis consideretur ratio. 
Nam cum omnis autentus a proprio 
ßnali incipiens et propria diapason 
specie per superiores in suam ex~ 
cellentem transiens^ omnis quoque 
subiugalis a sua gravi per finales 
in suam superiorem ascendens, ne- 
cesse est, ut semel duo numerentur 
extrema, bis vero duo media ^ quia 



H. C. pag. 6, 22—32. 

QtMeritur etiam, quare^ cum 
quatuor tantum sint quadrichorda, 
tarn subiugales, quam autentici tria 
possideant. 

Quod fädle considerata pro- 
cessionis eorum ratione solvitur. 



Nam cum 



(et) 



excellentem. 



%n suam transeat 



ascendat supeHorem, 

ut duo extremasemely duo vero media, 

quia dupliciter sunt pervia, bis 



^^ .y r^ . r^ , . ^^ ' ^L^^jg^ c^^ ^ ^ ^^ r^ ^ 



^^ 



zso;^zsL 



1Z. 



•2ZZUZ. 



- Q ' g >- 



-^ 



-Ä>- 



is: 



22: 



No 



a-gu 



^ Die Stelle von solet bis habentur superiores findet sich auch in den Quae- 
stiones in musica (fol. 113y;. 



218 



Johannes Wolf, 



duplicüer sunt pervia. Qua ex re 
quoqtie coHigitur^ quod graoes ei 
auperiores includunt subiugales^ fina- 
les et ezceUentes eatnplectuntur 
auieniicos, stmtqtie subiugalium ex-- 
tremitates graves et superioreSj me- 
diae vero finales, auienticorum ex- 
tremitates finales et exceUenteSy 
tnediae vero habentur stg>eriores, 
Quae autem principdlium,^ ßnalium^ 
superiorum, excellentium stnt officia^ 
in proximo supra puto manifeste 
sat dicta, Sufficiant igitur kaec 
de tetrachoraorum speculatione ut- 
cumqtie digesta, quae fortasse diH" 
gentioribus ad maiora causa sint 
investiganda. Nunc cansiderandum 
videtur attentius, qualiter tarn ordo 
quam proprietas omnium tetrachar- 
dorum idest diatessaron specierum ex 
eo^ oriatur, quod principale diximus. 

De principaUs^ tetrachardi con- 

structione. 

Prima species diatessaron con- 
stat ex prima gravi et ex prima 
finalif A videlicet et 1>, idest tono^ 
semitonio, tono; secunda ex secunda 
gravi B et ex secunda finali jB, 
idest semitonio duobusque tonis; 
tertia ex tertia gravi C et ex tertia 
finali F, idest tono, tono, semitonio; 
quarta ex qtuirta gravi D et ex 
quaria finali G, locum societatis 
toni, semitoniiy toni sortüa ex pri- 
mae speciei gratia. Deest namque 



numerentur. 

(includunt) 

exceüentes includunt autenticos, 



finales mediae, 
vero extremitates 
stjq>eriores mediae. 

officiay iam diximus et adhuc diee^ 
mus H. C. pag. 7, 3; 

Sufficiat igitur haec nos de um^ 
forfnä>us vel tropieis quadrichordis 
dixisse, quae fortasse dUigentiori-- 
bus ad maiora investiganda viam 
fecerunt.^ Nunc quaUter ex eo, 
quod principale diximus , omnium 
quadrichordorum, idest diatessaron 
specierum, tarn ordo quam proprie- 
tas oriatur, dUigenter inquiramus. 



H. C. pag. 7, 11—18. 



i principahs «s graves cf, S, C. pag. 5, 10 — 1 1 . Hoc autem (sd qtuidriehordum) 
quod alii pro qudlitaie vocum grave, nos pro muUimoda effeeius eius vi ae poimUia 
primum vel principale nominamus. Der Ausdruck principale mag sich aus dem 
frühen Mittelalter erhalten haben, denn Boetius Inst. Mus. I, 26 berichtet uns, 
dass Albinus die griechischen Tetrachordnamen, hypaton, meson^ synemmenon, die- 
teugmenon, hyperboleon mit principalium, mediarmn, comundarum, disiunetarum 
und excellentium übersetzte. 

' sei, teirachordo. 

3 besser /ocftm^. 

* Handschrift hat principali. 



Ein anonymer Muaiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 219 



quarta species diatessaron, nisi ex 
ffratia primae tribuatur ei sicut ei 
octava diapason. Quod quare^ sie 
evenerit, superiar regula minime 
taeuit. Nunc igiiur quüibet Stu- 
diosus perpendere poteritj qualiter 
principalis tetrachordi constitutio, 
omnes^ diatessaron species propriis 
comprehensas litteris generet, nihil- 
que desit nihilque exubereL^ Quod 
si quem forte moveat in animoy 
guod^ haec dicUessaron specierum 
constitutio quasi videatur esse di- 
versa ab ea, quae est in superiori- 
bus posita, utriusque positionem 
düigenter consideret et hunc non 
diversam, sed eandem esse constitutio- 
nem inveniet, nisi quia haec a gra- 
vibus in finales^ illa a finalibus 
pertingit %n superiores. 

Sed hoc reor in his specierum 
constitutionibus considerandum, quod 
haec quidem formam principalitatis, 
illa summam obtinet nobilitatisy dum 
unaquaewe earum ex sese suum 
format aiapente vel stipra se tonum 
assumendo vel sub se, quod dia- 
tessaron in gravibus non potest 
eontingere. Nam si quis diapente 
species in gravibus ex diatessaron 
formare voluerit speciebus, mox in 
secunda specie diapente, quae exinde 
confusio nascatur, poterit perpen- 
dere.^ Cum enim omnis species 
diapente unum tantum possideat 
limmay haec contra naturam, si con- 
stituatur, duo recipit semitonia, 
Quod quam sit absurdum , quivis 



H. C. 7, 19^20. Videsne quaeso, 
ut principalis quadrichordi gemtura 
omnes diatessaron species propriis 
comprehensas litteris prooreet, ni^ 
hilque desit, nihil exuberet. 



^ Wegen der bifonniias des D. 
' Nach der Handschrift omnü, 

^ nihilque duU, nihil •xuberei boetianische Phrase, cf. Boet. Inst^ Mus. I, 4. 
^ quod fehlt in der Handschrift. 

s Vergl. H. C. 17, 28. lietn possum inUndere diatessaron B E, sed non poseum 
intendere diapente B F, quia semiionio obeietenie differentia deßeU, 



220 



Johannes Wolf, 



poterit considerare, si naturam mo- 
nochordi sttcduerit investigare. Nunc 
ad spederum constitutiones redea- 
mus et, quae diversttas vel pernio- 
dica eis possit inessej pro nosse 
nostro dtcamus. Si dioersitatis 
aliqua in Im consideraiur ratio, 
illam procul dubio hoc suo servi- 
tutis exhihebit officio, ut illa qui- 
dem in superiores pertingens a 
finalibua in progressione cantus 
communis sit autentis et subiugali- 
buSj Jiaec vero a principalibus per- 
tingens in finales tantum redpiat 
subiugales, nisi forte, quod fieri 
licet ^ autentica elevatio et plagalis 
evenerit depositio,^ 

De spedebus diapente} 

De spedebus diapente et dia^ 
pason superius quidem strictim et 
veluti per transitum mentionem fo- 
dmus, Sed ne qtsis dubitationis 
scrupulus obsistere debeat legenti- 
bus, easdem reponamus, si mdetur 
apertius. Igitur prima spedes dia- 
peilte ex prima finali, quae est D 
et ex prima perfidtvr superiori, 
idest a, concludens apte speciem dia- 
tessaron in se. Secunda nihilomi- 
nus ex secunda finali, idest E et 
ex secunda formatur superiori, 
idest ls[, eodem, quo prima, ordine^ 
sed non eadem podtione, reddens 
diatessaron ex se. Hinc tertia spe- 
des diapente constat ex tertia fi- 
nali F et ex tertia superiori c ne- 
que eodem ordine neque eadem 
positione diatessaron Valens ex se 
reddere, Quarta dehinc spedes 



I H. C. pag. 7, 17—28. 



^ Dies ist der Fall im cantus mixtus, 

^ Aus dem freigelassenen Kaum in der Handschrift ist ersichtlich, daß eine 
Überschrift beabsichtigt war. 

3 ordo besieht sich auf die Hinwegnahme des Gbmztons, ob oben oder unten, 
positio auf die Folge yon Ganz- und Halbton. 



Ein anonymer' Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 221 



diapente ex quarta finali G et ex 
quarta surffit superiori d, eadem, 
qua prwia, positione, sed mm eodem 
diatessaron ex se reddens ordine, 
Hae si ad graves vicissim trans- 
panantur specieSj confusio nascitur 
non modica, dum ex quarta specie 
düq>ente redditur prima sicque spe- 
cierum constitutio confunditur et 
natura.^ 

De spedebus diapason. 

Nunc de spedebus diapason vi- 
deamus et in quantum nobis nasse 
contifferitj quae visa fuerint, bre- 
viter aperiamus. Bis Septem vocum 
discrimina quatuor ex se reddunt 
teirachorda, quae amnia secundum 
simplicem vocum positionem viden- 
iur aequalia, secundum specierum 
vero diapente et diatessaron consti- 
tutionem aliquantulum disparia^ ita 
ut primum tertio, secundum aequale 
videatur esse quarto. Ex qua re 
coUiffitur, quia superiores octavae 
sunt ffravium, excellentes vero eo- 
dem ordine finalium^ quatuor dia- 
pason species inceptas a gravibus 
terminari in superioribus , easdem 
repetitas a finaJibus finiri in ex- 
cethntibus. JSrit igitur prima conr- 
stans ex prima gravi A et ex prima 
superiori a, secunda quoque ex se- 
cunda gravi B et ex secunda 
superiori Cf, tertia nihilominus ex 
tertia gravi C et ex tertia superiori 
c; quarta dehinc surgit ex quarta 
gravi D et ex quarta superiori d, 

Fol. 189 T. 

£cce quatuor diapason species 
ex quatuor gravibus et ex quatuor 
constitutas superioribus, Quatuor , 
quae videntur adhuc residual a 



Nunc etiam de diapason spe- 
ciebus videamus, Superius dictum 

est, quod duo septena vocum dis- 
crimina quatuor reddunt quadri- 
chorda, quae omnia secundum uni- 
formem troporum successionem sunt 
aequalia , secundum institutionem 
vero specierum diapente et dia- 
tessaron primum tertio, secundum 
aequale est quarto. Unde necesse 
est, ut, cum superiores gravium, 
excellentes octavae sunt finalium, 
quatuor diapason species, inceptae 
a gravibus, finiantur in superiori- 
bus, eaedemque repetitae a finalibus 
terminentur in exceüentibus. Erit 
igitur prima A a ex prima gravi 
et ex prima superiori, secunda B t) 
ex secunda gravi et ex secunda 
superiori, tertia C c ex tertia gravi 
et ex tertia superiori, quarta D d 
ex quarta gravi et ex quarta su- 
periori. 



1 Das Wort natura besieht sich darauf, daß die Zahl der Gattung mit der 
Zahl der Buchstaben innerhalb der Tetrachorde übereinstimmt. 



222 



Johannes Wolf, 



finalibus incipientes pertinguntin ex- 
cellentes, Itaque non dicatur quinta 
sed prima species diapason constat 
ex prima finali D et ex prima ex- 
cellenti d, secunda ex secuTida finali 
E ei ex secunda excellenti e^ tertia 
ex tertia finali F et ex tertia ex- 
cellenti f, quarta ex quarta finali 
G ei ex quarta excellenti g. 



a 



De ultima littera a. 

Adhuc in parte suprema vox 
tma cemitur residua, qtcae secun- 
dum monochordi dispositionem talem 
creditur habere rationem, quodpri- 
mus videlicet quatemorum paesuum 
finiiur in Ula,^ sicui secundtds in a 
media, Ai secundum litterartmi 
disiributionem, cum omnis autentw 
in proximam supra diapason eocem 
potenter^ ascendaty hone teirardus 
iure potestatis obtinety quoniam 
supra diapason ipsit4s pronmum 
locum possidet, Quod si quis in 
hac parte Ptolomaei sententiam 
approbando velit accipere, ut quarta 
sübiugaliy idest octavo tono, quem 
ipse^ apposuit, octavam speciem dia- 
pason a prima superiori, idest a, 



Item prima propter praedietam 
commumonis causam D d ex prima 
finali et prima excellenti^ secunda 
E e ex secunda finali et ex secunda 
excellenti, tertia Ff ex tertiafinaK 
et ex tertia excellenti, quarta G g 
ex quarta finali et ex quarta ex-- 
cellenti, 

H. C. pag. 10, 38—42. 

Hestat, ut supra dictum est, vox 
una, idest a superacuia, cuius haec 
secundum mensuram est ratio, quod 
in ea primus qtuxdrupli passus, si- 
cut in media a .secundus fimtur. 
Secundum distributionem vero liit^^ 
rarum, cum omnis tropus supra 

diapason aliquam voeem ücentia 

accipiat, etiam et ipsam, idest o, 
tetrardus, qui ei proximus est, iure 
licentiae obtinebit. 



ad ultimam excellentem^ a attribuat, 
sicut idem disposuit, quod inconve- 
niens exinde prosequatur, hac ra- 
tione perpendere poterit. Cum om- 
nis subiugalis suam diapason spe- 
ciem a gravibus incipiens et per 
finales gradiere non ultra procedat 

1 Zu Grunde liegt die Yiertheilung des Monochords von rechts nach links; 
vergl. H. C. 5, 12. 

2 Gewöhnlich wurde hier der Ausdruck UeBntiaUter, lieentia oder per Uesntiam 
angewendet. 

3 Ptolemseus soll doch nach Boetius den achten Ton [tonua hypermixolydüut) 

hinzugefügt haben. 
a 
^ a ist nach Bemo die letzte der exceUentea. Nach der Theorie des Hermann 
liegt sie aber außerhalb des Tetrachords der exceüentea und wird a superacuia ge- 
nannt (ein Überrest der guidonischen Eintheilung der Töne). 



Ein anonymer Mufdktraktit des dften bis zwölften Jahrhunderts. 223 



^uam ad ^uperioreSj onmis autem 
auUntm a proprio finaU miam äia- 
pason speeiem incipiem per superio- 
res trafueat m excellentes, hie soJus, 
^preia imceptione gravium et fina- 
üumy a prima superieri^ idest a, in- 

a 

cipit et ad ultimam excellentem a 
perveniens etiam sui magistri epeciem 
9ua specie transilit. Quod ßtsam 
sit absurdissimum f ut disctpulus 
^uperpenatur magistrOj cuiusvis dis- 
cemere poterit tudiciurn. Ergo 
quia se ultra exiulit, quam lex vel 
natura diacipuUs concesserit, non 
sohim ius^ quod supra magistri spe- 

Fol. 189 ▼. 
dem sibi usurpaoit, amisit, sed 
etiam societatem magistri specie 
perdidii. Itaque magistro supposi-- 
tus cum suis eonstituatur aequaUbus, 
et ex primi gratia eandem infinar- 
libus et superioribus diapason spe- 
dem redpiat, quam in superioribus 
et excellentibus amiserat. Detur 
itaque d tdtima gradum et ultima 
superiorum, idest D et dy pro dia- 
pason spede, quae pro coniunctione 
spederum diatessaron et diapente 
dupUd potestate praefulgens tarn 
subiugaiem tetrardi quam protum 
üiformare consuedt,^ 

De consommtiaTum proportio- 

nibus} 
Quoniam ad cognoscendas spe- 
des diapason, diapente et diatessar- 
on quae dicta sunt ddentur suffi- 
cere, restat, ut de toni quaUtate 
siudeamus perspicere. Ad quem 
substituendum, quoniam ipsius auxi- 
lioy ut posdnt subsisterOj omnes 



H. C. 11, 24—25 quia super ma- 

gistrum esse voluisti, tam tuum, 
quam magistri tus perdidisti. 



H. C. pag. 4, 4—11. 

Ubi primum nobis quaedam ad- 
mirmtio de toni quaUtate oceurrit, 
Ipse emm eonsonantjis non indiget; 
consonantiae vero ipso oonstitutae 
ddentur spadorum raritate quod 
quadam vasUtate sesqualterae, 
Nunc interim ut eum ad 



1 Ve^leiche su der gaasen Stelle von Qwotf 8% qms in hae parte bis eonsu&di 
H. C. pag. 10, 42^11, 26. 

3 OberBchrift fehlt. Das ganae Kapitel findet siob wM gani geringen Ab- 
weidinngen in den Quamtifmes in Mtmem* 



224 



Johannes Wolf, 



effent consonantiae species^ stuis, 
ut substituatur y dent singulae par- 
tes, Igüur diapason duplum^ dia- 
pente sesqualterum, diatessaron da- 
bit sesquitertium j quae collectae in 
unttm seaquioctava proporttone con- 
stituunt tonum. Quod si diligentius 
hü numeroram partibus velimus 
intendere, numeros ex his, quos 
Pythagoras in quatuor malleorum 
ponderibtts ^ repperit , ^ poterimtss 
producere, Ouius productionis^ ut 
procedat ratiOj ipsorum numerorum 
accedat multiplicatio idest, ut bina- 
rius temarium multiplicet et qua- 
temarium, temarius se ipsum simul 
et quatemarium, Dicatur ergo: 
Bis tema^ sunt sex, bis quatema 
sunt octo; ecce sesqudltera propor- 
tio, idest diapente, Ter terna sunt 
novem. 

Ecce sesquioctava propartio ad 
octanarium, idest tonus. Ter qua- 
tema sunt XII. Ecce sesqualtera 
propartio ad octonarium, sesquiter- 
tia ad novenarium, duplaris collatio 
adsenarium, quod, ut clarius pateat, 
figura^ quadrangulata ponatur, quae 
hoc idem contineat. (Figur 1.) 

\Quod si rursus numerorum isto- 
rum altius velimus perscrutari h^bi- 
tudines, sicut ex prioribus simplices, 
ita ex istis compositas simul et sim- 
plices consonantiae producemus spe- 
cies. Quod sine dubio tunc con- 
venienter perficietur, si non ad se 
invicem sicut priores , sedper binor- 
rium unusquisque ipsorum multi- 
plicetur. Ponitur itaque prius 
ipsius multiplicationis ratio ; dehinc 
etiamfigura talis constituatur, quae 



suum hiatum complendum valeant 
corrigere, omnes suas mensurabäes 
partes , tU eum efficiant, praeparent 
comportare. Ergo diapason duas, 
diapente treSj diatessaron partes 
exhibet quatuor, Itaque Ily III, IV 
in unum collectae IX atque ideo 
tonum sesquioctava proportione fa- 
ciunt. 

cf. H. C. 4, 20—25. Quos (sei. 
numeros) hoc modo, quasi ex silice 
ignem, excudemus, si primus mul- 
tiplicator, idest binarius, temarium, 
temarius quatemarium, rursus bina^ 
rius quatemarium, temarius vero se 
ipsum multiplicet. 



1 Ponderibw ist ergänzt 'worden cf. H. C. 84, 22. 

2 Vergl. Boetius Inst. Mus. I, 10. 

3 Nach der Handschrift h\B ter, bis quatuor, ter temi. 

* Die Figur ist aus den Quaestiones in Musiea ergänzt. 



Ein anonymer Musiktraktat des eilten bis iwölften Jahrhunderts. 225 



Figur 1. 




sesoTciY 




DIATCSSAR 



positarum videatur esse demonstratio. 
In cuius ponatur senarius medietate, 
cunctis numerorum proportionibus 
excellentior dignitatey ad quem solum 
recurrat cetera multitudo proportio- 
num. Cum enim omnes proportio- 
nes numerorum aut toto super abun- 
dent partibus aut partibus toto, hie 
Salus nee toto superabundat partibus 
nee partibus toto. Sed partes in 
toto et partibus includitur totum. 
lam de multiplicandi ratione, 
ut proposuimus, prosequamur. Bis 
sex sunt XII. Ecce diapason in 
dupla proportione. Bis octo sunt 
XVL Ecce diapason cum dia- 
tessaron in dupla et sesquitertia 
proportione. Bis novem sunt XVIII. 
Ecce triplaj sive magis placet, dupla 
cum sesqualtera. Idest, diapason 
cumdiapente. Bis XII sunt XXIV. 
Ecce bis diapason in quadrupla pro^ 
portione. Haec si videntur in äli- 
quid obscura , haec praesens clari- 
fieet figura. (Figur 2.) 

1893. 



15 



226 



Johannes Wolf, 



Figur 2. 



XII 



CO 
CO 

< 
H 

:d 
o 



villi 



CO 



o 
o 




DVPLA 



DIAPASON 



\ 






s^' 



SeSQVALT£RA | Vi | TRIPLA- 



l^— r\i/i 






\ 






XXlill 




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c^ 
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o 



> 
< 
> 



VitI 



DVPLA 



DIAPASON 



Nj 



XVI 



III. 

Wie aus dem vorhergehenden Abschnitte zu ersehen ist, liegen 
unserem Traktate Anonymus I, der Prohgus in Tonarium des Bemo 
und die musikalischen Schriften Hermanni Contracti zu Grunde, 
welche theils wörtlich theils frei benutzt worden sind. Etwa ein 
Viertel der Schrift ist in der Fassung original. 

Nachdem der Verfasser das System klargelegt, die Konsonanzen 
mit ihren Gattungen erörtert und die Hermannische Art der Notirung 
gelehrt hat, geht er auf die Töne genauer ein und giebt allgemeine 
Hegeln für Anfang, SchluB und ambitus. Hierdurch kommt er ganz 
natürlich auf die verschiedenen Arten des Gesanges zu sprechen. 
Er unterscheidet einen canttis autenitis, plagalisy communis^ not Aus j 
transpositus und transformatus. In der Definition des caniua com- 
munis lehnt er sich frei an Berno an. Seine Fassung bildet wiederum 
die Grundlage für den Verfasser der Quaestiones in Musica^ der in- 
sofern hierbei in Frage kommt, als die angeführten Beispiele bei 
ihm neumirt und uns somit theils Quelle der Melodie sind, theils 
aber bei den noch vorhandenen Melodien zur Vergleichung heran- 
gezogen werden müssen. Einen Beweis für die Schwierigkeit der 
festen Bestimmung der termini technici der mittelalterlichen Musik- 
theorie geben die Ausdrücke cantus transpositus und transformatus. 
Ursprünglich mögen sie so unterschieden worden sein, wie es uns 
der Verfasser der Quaestiones in Musica überliefert. Ist doch schon 



Ein ftnonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhundeits. 227 



durch das Wort transformatus ausgedrückt, daB einer der Töne um- 
gewandelt wird. Mehrdeutig war aber nur b, daher konnte sich die 
transfarmatio nur auf diesen Ton beadehen. Ein canUis transforma-- 
hts endigte in den ßnales, nicht aber der transpositus. Bei ihm 
wurde eine Versetzung meist in die confinales vorgenommen. All- 
mählich yerschmolzen beide Bedeutungen und die Ausdrücke wur- 
den pramiscue und gleichbedeutend gebraucht. 

Die nun folgenden Regeln über den Anfang giebt ei fast wört- 
lich nach Bemo und schließt nach einem kurzen Vergleich des 
Gesanges mit der Grammatik die Notker'sche Erklärung der B^manus- 
buchstaben daran. Dabei enthält er sich aber der Wortspielereien, 
in denen Notker sich gefällt, und gewinnt dadurch an Deutlichkeit. 
Nichtsdestoweniger bleibt uns immer noch der Zweifel an der 
Richtigkeit der Notker'schen Erklärung. Riemann glaubt in den 
Buchstaben Anlehnungen an die griechische Notation zu erkennen 
Die am häufigsten vorkommenden seien c, p, m, i, welche den grie- 
chischen C P M I entsprechen und die Töne E F G a ergeben. Da- 
durch, daB an gewissen Stellen die Tonhöhe des neumirten Gesanges 
angegeben ist, wäre in der That ein genaueres Singen nach Neumen 
ermöglicht. Vielleicht haben auch noch andere Buchstaben Be- 
ziehung zu Tönen. Bis jetzt gewinnt es den Anschein, als ob ein 
Theil derselben feste Tonbestimmungen, ein anderer Theil aber Vor- 
tragsbezeichniingen und Merkzeichen für die Sänger seien. ^ Der 
Text unseres Verfassers ist wörtlich in die Quaestiones hinüberge- 
nommen. Interessant ist uns dort die Bemerkung, daB in den Anti- 
phonarien nur die Buchstaben a, c, e, h, i, m, s, t häufigere An- 
wendung gefunden hätten. Von diesen ließen sich c, e, h, i, m auf 
griechische Tonbuchstaben zurückführen [CEHIM] und würden 
dadurch die Töne E, t| |^ (1) a, G bezeichnet. 

Bis zum 12. Jahrhundert wurde der Gesang nicht mensurirt. 
Von der Länge oder Kürze der gesungenen Silbe hing die Quantität 
des Tones ab« Ganz natürlich muBte sich eine Melodie so zergUe- 
dem wie der zugehörige Satz. Nicht zu verwundem ist es daher, 
daß auch die grammatischen Ausdrücke colon, comma und periodus 
auf die Melodie Anwendung fiinden und in die Musikterminologie 
übergingen. 

In der Angabe der Finaltöne stimmt unser Verfasser mit Ano- 
nymus I (Gerbert, Scriptores I) fast wörtlich überein. Wer Quelle 



i of. Riemann, Studien sur Geschichte der Notenschrift, Leipsig, Breitkopf 
1878 und P. A. Schubiger, Die'S&ngerschule Ton St. Qallen. EinsiedeLn und New- 
York 1858. 

15* 



228 Johannes Wolf, 



ist, läßt sich nicht sicher entscheiden, doch scheint der Traktat des 
Anonymus früher entstanden zu sein. Bei der Behandlung der modi 
sehen wir aus stilistischen Gründen auf wenige Zeilen fast alle Aus- 
drücke zusammengedrängt, welche für die plagalen Tonarten ge- 
bräuchlich waren — discipulus, subdüus^ ploffis, lateralis ^ subiugalü. 
Um den Ausdruck zu erschöpfen, fehlten nur noch sermiSj pütgalis 
und collateralis. 

Eingehend behandelt ist die Frage, wie weit sich ein regel- 
mäßiger Gesang nach oben und unten ausdehnen könne. Hierbei 
unterscheidet er die regula antiquorum und iumartitn. Erstere hat 
er mit Anonymus I gemeinsam, der zur Bezeichnung der Töne die 
Buchstabenreihe von A — S gebraucht.^ Nach der regula antiquorum 
unterschieden sich die autentischen und plagalen Töne nur durch 
die elevatio. Durchlief nun ein autentischer Gesang nicht die ganze 
Tonreihe, welche ihm nach oben hin zu Gebote steht, so konnten 
Zweifel entstehen, ob er nicht dem plagalischen zuertheilt werden 
müsse. Dies machte sich in der Praxis fühlbar, und die iuniores sub- 
tilius et acutius considerantes et certius legaiiusque discriminanies — 
ein Ausdruck, der im 11. und 12. Jahrhundert typisch ist — stellten 
auf Grundlage der alten eine neue regula auf, welche die depoeiOo 
der autentid beschränkte. Die regula iuniorum findet sich in der 
Schrift des Anonymus I (C) und in der in Bemo eingeschobenen 
Stelle Gerbert II pag. 70 — 72 (B) in ziemlicher Übereinstimmung mit 
der Stelle in unserem Traktate (A) . Die Kollation dieser drei Texte 
ei^ebt eine enge Verwandtschaft von B und C und A und C. Gre- 
wisse übereinstimmende Abweichungen der Texte A und B von C 
lassen vermuthen, daß entweder eine sorgfaltigere Fassung von C 
oder eine Handschrift X vorhanden gewesen sei, auf welche alle drei 
zurück gehen. Am strengsten giebt A die Lehre der iuniores \ B 
hat schon einige Licenzen; C leidet an Verunstaltungen, welche aber 
durch B und A leicht richtig gestellt werden können. Differenzen 
ergaben sich bezüglich des fünften und achten modus. Im Gegen- 
satze zu den beiden andern läßt unser Verfasser im fünften modus 
eine depositio per licentiam nach E nicht zu und giebt dem achten 
einen Abstieg bis C. während B und C die Stimme nur bis JX' 
herabsinken lassen. Diese Verschiedenheiten werden wahrschein- 
lich aus der Beobachtung der Praxis hervorgegangen sein. Die 
depositio bis C ändert ja auch nicht die AufßEissung des modus. Das 
Entscheidende ist doch, welcher Ton Theilton ist, ob G oder a. 

1 Diese Buchstabenreihe unterscheidet sich von der des Boetius dadurch, 
daß A 'wirklich den Ton A beaeichnet. Die Buchstaben I K L werden über- 
sprungen. 



Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 229 



Bei der Lehre von den Anfängen ist die Zalil derselben für 
jeden modus wohl angegeben, der Kaum für die Tonbuchstaben aber 
imausgefüllt geblieben. Glücklicherweise findet sich diese Stelle in 
den Quaestiones mit Angabe der Töne wieder, sodaß das Fehlende 
leicht ergänzt werden kann. Im Gegensatze zu dem starren Fest- 
halten an dem einmal Gegebenen, das sich in der Theorie des frühen 
Mittelalters erkennen läßt, hat die Lehre von den Anfängen viele 
Umwandlungen erfahren. Stellt man sich eine Tabelle derselben 
nach den Schriften der einzelnen Theoretiker auf, so lassen sich aus 

gewissen Übereinstimmungen chronologische Schlüsse ziehen. [Tabelle 
auf folg. Seite.] 

Man erkennt zum Beispiel, daß unser Verfasser, Carthusiensis 
Monachus, Anonymus IX und Theogerus ungefähr dieselbe Lehre 
haben. Nun haben wir für Letzteren das feste Datum, daß er 1090 
zum Abt des Klosters Sankt Georg im Schwarz walde erwählt wurde, 
was uns zu dem Schluß führt, daß obige Theoretiker etwa um diese 
Zeit gewirkt haben müssen. Dieses Resultat stimmt auch mit dem 
überein, welches wir aus paläographischen Eigenthümlichkeiten der 
Handschrift gezogen haben. 

Die nun folgende Konsonanzenlehre giebt der Traktat theils 
frei, theils wörtlich nach Anonymus I (Gerbertl, 333 Spalte 2); er 
selbst ist Quelle für die Quaestiones in Musica, Die Textabweichun- 
gen sind von keinem Einfluß auf den Sinn. Wir finden auch hier 
jene Frage behandelt, welche sich von den Griechen (Pythagoras, 
Ptolemaeus) über Boetius^ bis in das späte Mittelalter hinzieht, ob 
die Undecime (diapason et diatessaron) ein Konsonanz sei.^ Einige 
Theoretiker, wie Isidor von Sevilla und Regino von Prüm treten 
auf die Seite des Pythagoras, der Konsonanzen nur aus rationes 
multiplices und superparticulares entstehen läßt; die Mehrzahl bekennt 
sich dagegen zur Meinung des Ptolemaeus und nimmt die Undecime 
ebenso gut wie die Quarte als Konsonanz an. Während Ptolemaeus 
den Beweis mit der Zahl X führt, bringt unser Verfasser in An- 
lehnung an Anonymus I einen neuen mit der substantia animata. 
Wie vorsichtig und bewußt er entlehnte Stellen ändert, zeigt auch 
hier der Text. Anonymus hat si equus est substantia animata sensi- 
büis. Für equus setzt unser Verfasser homo ein, fugt aber demgemäß 
als Attribut rationalis hinzu. 

Wiewohl es nicht ausgesprochen ist, scheinen in dem Traktate 
die Konsonanzen in einfache und zusammengesetzte getheilt zu sein ; 



1 Boetius (ed. Friedlein), Inst Mus. II, 27 u. V, 9. 

2 Ptolemaeus. Hormon, liher I eap. 6, 



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Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhanderta. 2S1 

denn während er anfangs nur von 6 Konsonanzen spricht, führt er 
jetzt 3 tymphoniae an. 

Wer der Verfasser der von diesen handelnden Verse ist, ist 
unbekannt. Läfit man aber den Hirschauer Mönch Konrad, der 
aucli als Dichter einen Buf hatte, als Urheber des Werkes gelten, 
80 liegt die Vermuthung nahe, daß er selbst die Verse gemacht und 
seine Autorschaft nur aus Bescheidenheit verschwiegen habe. Die- 
selben geben ein Gemisch bemonischer und hermannischer Lehre. 

Während der Verfasser in der ersten Hälfte des Traktats Ano- 
nymus I und Bemo stark benutzt hat, lehnt er sich in der zweiten 
ausschlieBlich an Hermannus Contractus an. Dadurch gewinnt der 
Traktat an Bedeutung. Denn, da nur eine Handschrift der Musica 
Hermanns yorhanden ist, so ist bei den vielen darin enthaltenen 
Fehlem jede wörtliche Anlehnung anderer Theoretiker mit Freuden 
m begrüßen, in so fem als sie vielleicht zur Wiederherstellung ver- 
derbter Stellen dienen könnte. Und in der That erhalten einige 
dunkle Stellen durch Vergleichung mit unserem Traktate Auf- 
klärung. 

So heißt es bei Hermannus Contractus (ed. Brambach) 5,31 über 
die caniunctio: out videlicet superioris sit quarta et acuOssima, poate- 
rioris vero prima et graviasima. Dieses euperior weist fälschlich auf 
das höhere Tetrachord und steht in gar keinem Gegensatze zu 
posterior. Durch unsere Schrift erweist sich, daß superioris ver- 
schrieben ist aus sit priaris. Damit ist der Gegensatz hergestellt 
und jeder Zweifel über den Sinn gehoben. Das tiefere Tetrachord 
ist beim Aufstieg zeitlich prius, das höhere posterius. 

Bei der Besprechung der Funktionen dieser Tetrachorde kommt 
er auf die Anfange der Differenzen (euouae) zu sprechen. Die Aus- 
gabe Brambach's weicht hier etwas von unserm Verfasser ab. Erstere 

hat: Omnis enim autentus quinto a finali loco differentiam 

eollocatj letzterer schiebt nach omnis enim autentuSj praeter deute^ 
rum ein. Da diese Ausnahme durch H. C. 10, 10 und 11, 43 als 
hermannisch verbürgt ist, so können wir, zimial der Text sonst 
v^örtlich wiedergegeben ist, wohl annehmen, daß dies in einer 
unbekannten Handschrift des Hermann stand, die unser Verfasser 
benutzt hat. 

Im Anschluß hieran behandelt er ziemlich ausgedehnt die di^e- 
rentiae tonorum. Man versteht darunter die Töne, welche in der 
Melodie eines modus häufiger erklingen und dadurch ein Erkennen 
desselben ermöglichen. 

Ganz hermannisch klingt, wiewohl sie von dem gewöhnlichen 
Text erheblich abweicht, die Stelle: SoUt a nonmdlis inquiri^ quae 



232 Johannes Wolf. 



ratio constüuatf ut, cum qitattwr tantum sint tetracharda, unusqtiisque 
tarn subiugaiium quam autenticorum tria possideaL Cuius inquigitioms 
facilis patet responsiOy si et monochordi dispositio et ipsorum processio- 
nis consideretur ratio. 

Sie giebt ein gutes Beispiel, wie unser Verfasser nach einer 
klaren Ausdrucksweise strebt. Wo der Gedanke ihm allzu kurz 
scheint, greift er erweiternd ein, hält sich aber streng an der Ter- 
minologie des Schriftstellers. 

Höchst interessant und unserm Verfasser eigenthümlich ist ein 
Vergleich der bemonischen und hermannischen Quartentheorie. Wir 
sehen ihn eine Mittelstellung zwischen beiden Theoretikern ein- 
nehmen und beiden gerecht werden. An der bemonischen Quarten- 
theorie gefällt ihm namentlich, daß die Quarte innerhalb desselben 
Tetrachordes die Quinte hervorbringt, und daher erkennt er ihr auch 
die summa nobilitas zu. Sein Traktat bietet uns ein Bild der Zeit, 
die sich noch nicht fest für den einen oder den anderen Theoretiker 
entschieden hat. 

Bei der folgenden Erörterung der Quintgattungen sehen wir ihn 
ganz originell die Quarten aus den Quinten entwickeln. Ist auch 
dies im wesentlichen nichts anderes als eine Umkehrung des bemo- 
nischen Verfahrens, so ist der Gedanke doch neu. 

Betrachtet man die Stelle : Superius dictum est^ quod duo septena 
vocum discrimina quatuor reddunt quadrichorda, quae omnia secundum 
uniformem troporum stcccessionem sunt aequaHa, secundum institutionem 
vero specierum diapente et diatessaron primum tertio secundum aequale 
est quarto in H. C. 8, 41 — 45 genauer, so fällt stilistisch der mangelnde 
Gegensatz zu sunt aequalia auf, auf den hin der Satz doch angelegt 
zu sein scheint, und den sich ein feinfühliger Schriftsteller kaum 
hätte entgehen lassen. Derselbe ist bei unserm Verfasser heraus 
gearbeitet. Alsdann fällt der Ausdruck institutio specierum> auf, wo 
doch Hermann sonst ^ constitutio gebraucht. Auch hier giebt unser 
Traktat das richtige Wort. Will man nicht die ganze Stelle, welche 
stilistisch feiner als die sonst überlieferte ist, als hermannisch an- 
nehmen, so ist doch jedenfalls der Terminus institutio specierum in 
constitutio zu berichtigen. 

Interessant wäre es gewesen, hätte der Anonymus wie bei den 
Quarten, so auch bei den Oktaven einen Vergleich der hermanni- 
schen mit der alten Theorie gegeben. Jedenfalls ist ihm der wunde 
Punkt der Oktaventheorie Hermanns nicht aufgefallen. Es ist ja 
doch die Oktave erster Gattung zwischen den graves und st^eriares 



1 Vergl. H. C. ed. Brambach. 5,42, 7,14, 7,37. 7,45, 8,38 u. 8. w. 



Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts. 233 



nicht gleich der ersten Gattung zwischen finales und excellentes. 
Wenn sie auch beide aus Quarten und Quinten derselben Gattung 
bestehen, so ist doch die Anordnung von Ganz- und Halbton ver- 
scbieden, wodurch gerade eine Gattung bedingt ist. 

In der Lehre über den letzten Buchstaben a lehnt sich der 
Verfasser frei an H. C. 10, 38 — 1 1, 27 an. Da er seiner Musiklehre das 

bemonische System zu Grunde legt, so ist a ultima exceUens, Bei 
ELermannus liegt dieser Ton außerhalb der Tetrachorde, und er be- 
zeichnet ihn als vox superacuta, ein Rest der guidonischen Ein- 

theilung der Töne des Monochords. Durch dieses a kommt er auf 
den tontis hypermixolydius zu sprechen, welchen nach Boetius Inst. 
Mus, IVy 17 Ptolomaeus eingeführt haben soll. Boetius scheint aber 
entweder diesen Schriftsteller nicht gelesen oder nicht verstanden zu 
liaben ; denn er tadelt ja gerade jene, welche, indem sie noch einen 
Ton überflüssig hinzufügten, zu 8 Tönen fortschritten.^ Im übrigen 
wissen wir ja auch, daß schon vor Ptolemaeus die Hyper-Tonarten 
in Gebrauch waren. Mit einer Darstellung der Zahlenverhaltnisse 
der einfachen Konsonanzen schließt der Traktat. 

Wiewohl das explicit am Ende fehlt, können wir doch annehmen, 
daß die Schrift uns vollständig überliefert ist; denn alle Punkte, 
die bei der damaligen Musiktheorie in Frage kommen, sind in Kürze 
behandelt worden. Bei dem Verfasser der Quaestiones in Musica, 
welcher die Darlegung der Zahlen Verhältnisse entlehnt hat, findet 
sich als Fortsetzung in demselben Stile eine Erörterung der Zahlen- 
verhältnisse der zusammengesetzten Konsonanzen. Obwohl ich nicht 
glaube, daß diese Stelle zu unserm Traktate gehört hat, theilte ich 
dieselbe doch am Schluß der Vollständigkeit halber mit. 

Der Traktat entstammt einer Zeit, welche arm ist an selbstän- 
digen Arbeiten. Werke Anderer werden ohne Kritik ab- und aus- 
geschrieben und die entlehnten Stellen nicht selten unverbunden 
nebeneinandergesetzt. Vortheilhaft hebt sich unser Verfasser durch 
seinen Stil heraus, und dadurch, daß er alles zu einem wohl- 
gerundeten Ganzen zusammenfügt. Und würde er auch gar nichts 
Neues bieten, so wäre er doch werth gewesen, mitgetheilt zu werden, 
da er uns in Kürze ein klares Bild der Theorie des 1 1 . Jahrhunderts 
giebt. Aber auch einige neue Züge treten durch seine Darstellung 
zu Tage. Wir sehen hermannische und bemonische Theorie in 
manchen Punkten mit einander verschmolzen, die Lehre von den 



1 Vergl. Wallis^ Claudii Ftolemaei harmonicorum libri ires. Ox<m%% 1682 U, 10. 



234 Johannes Wolf. 



Anfangen präcisirt und eine neue Entwickelung der Quarten aus 
den Quinten gegeben. An Bedeutung gewinnt das Werk noch da- 
durch, dafi es einige Stellen der Masica des Hermannus Contractus 
aufklärte. Einen direkten Einfluß auf die spätere Süeit können wir 
ihm nicht nachweisen, einen indirekten aber insofern, als er vom 
Yerhaaei der Quaestiones in Mtuica wörtlich benutzt worden ist, 
dessen Werk noch im 14. Jahrhundert bekannt war und bei Johannes 
de Muris in hohem Ansehn stand, wie die Worte zeigen: Factor 
quaesiumum in tnusica, qui sine dubio Valens ftdt musicusj ut suwn 
probat opu8.€ 



Kritiken nnd Beferate. 



Edtoard Dannreuther^ Musical Ornamentation (Part I.] London, 
NoYello, Ewei and Co. (1892). 

Dies Werk von Dannreuther ist bei Weitem das Beste und Vollstftndigste, 
was bis jetzt über musikalische Ornamentik gedruckt yorliegt. Der Verfasser be- 
sebrinkt sich nicht auf eine Zeit und nicht auf ein Instrument, er faßt vielmehr 
alles susammen, was in der Musik bis J. S. Bach filr Gesang, fflr die Laute, die 
Geige und klaTierte Instrumente an Zierformen auftritt, reiht es in historischer 
Folge an, und sucht nachzuweisen, wie die Ornamente der verschiedenen Klang- 
körper und verschiedenen Zeiten und Volker sich unter einander beeinflußt haben. 

Er beginnt am Ende des 16. Jahrhunderts mit Diruta. Es mag gut sein, 
daß er nicht noch weitn hinabgestiegen ist, denn das würde am letzten Ende tief 
in den gregorianischen Gesang hineingeführt haben, in Gebiete also, die noch ihrer 
gründlichen Aufhellung entgegensehen. Für künftige Arbeiten nach dieser Rich- 
tung werden übrigens die Kolorirschulen aus dem Anfang und der Mitte des 
16. Jahrhunderts eingehender Berücksichtigung bedürfen, insbesondere die Flöten- 
sdiule von Silvestro dal Fontego, die höchst interessant ist wegen der hohen Aus- 
bildung, auf der wir dort die Instrumentalkoloratur bereits antreffen, und wegen 
der vielen, sonst in der Litteratur des 16. Jahrhunderts nicht gebrftuchlichen Fach- 
ausdrucke für diese Verzierungsarten, Ausdrücke, die also wohl dem Jargon der 
venetianischen Pfeifersunft angehört haben. In Diruta's Tran»üvano finden sich 
zuerst systematische Angaben über die Verzierungen auf Tasteninstrumenten. Was 
Dannreuther daraus anführt, genügt vollkonmien, um ein Bild von dem Wesen 
derselben zu gewinnen. Zur Verbesserung kleiner Unrichtigkeiten in den histo- 
rischen Angaben und den Notenbeispielen darf ich wohl auf meine eigene Arbeit 
über Diruta hinweisen (Vierteljahrsschr. 1892, ni). Hier nur wenige Bemerkungen. 
Dannreuther druckt Ammerbach's »Mordant« so ab, wie er ihn in der »Orgel- und 
Instrument-Tabulatur« gefunden hat, wo eine Zweiviertelnote in ein Viertel und 
zwei Achtel aufgelöst wird. Ich habe schon früher (a. a. O. S. 368) die Vermuthung 
ausgesprochen, an Stelle der Achtel sollten wohl Sechzehntel stehen, und ich bin 
jetzt ganz überzeugt, daß es so sein muß, denn ich habe in der Musik des 16. 
Jahrhunderts kein Beispiel finden können, daß der gerade Takt bei der Kolorirung 
in den ungeraden verwandelt würde. Es wird sich also bei Ammerbach um ein 
Versehen handeln. S. 9 zeiht der Verfasser Diruta der Inkonsequenz bei Aus- 
führung der Tremoli und Groppi. Trotzdem nach seiner Anweisung der Tremolo 



236 



Kritiken und Referate. 



mit der oberen und der Groppo mit der unteren Hülfsnote gespielt werden solle, 
fänden sie sich in den Beispielen bisweilen umgekehrt ausgeschrieben. Nun 
wimmeln die Ausgaben des Transilvano so von Fehlem, daß man dergleichen 
Widersprüche getrost auf die Bechnung von Druckfehlern setzen darf. Den zweiten 
Theil des Transilvano hat Dannreuther nicht gekannt. Er bedauert, daß Diruta 
über die Accenti und das öftere Wiederanschlagen der Taste keine näheren An- 
gaben macht. Die Accenti sind im 11. Theil (S. 12) in Noten ausgeschrieben, und 
die Reperkussion erklärt sich nach der Stelle in Th. I, S. 12 von selbst. Zur 
praktischen lUustrirung des von Diruta theoretisch Erörterten werden Beispiele 
verzierter Stellen aus den Werken von Andrea und Giovanni Gabrieli, Claudio 
Merulo und Sweelinck abgedruckt. 

Dann folgen die englischen Künstler Byrde< Bull und Gibbons, von denen 
VirginalstÜcke in der Parthenia vereinigt sind. Den durch Rimbault besorgten 
Neudruck dieser Sammlung in den » Publications of the Musical Antiquarian So- 
ciety« kritisirt Dannreuther lakonisch mit den Worten »vefy slovenlyrequires red- 
süm from heginning io end: Wer sich einmal die Mühe genommen hat, das der 
Ausgabe vorangestellte Facsimile mit seiner Übertragung zu vergleichen, wird 
diesem harten Urtheil nur beistimmen können. Ein revidirter Neudruck thut 
dringend noth, und — um es hier gleich auszusprechen — endlich auch einmal 
eine Herausgabe der übrigen englischen Virginalmusik. Sollte sich in dem reichen 
England nicht ein Verleger finden, der das doch wahrlich nicht große Opfer für 
die Hebung der Schätze altnationaler Musik brächte, die bedeutendsten Virginal- 
bücher in Neudrucken der Musikwissenschaft zugänglich zu machen? Vorerst ein- 
mal Queens Elizabeth und Lady Nevils Virginal Book, andere könnten später 
folgen. Dannreuther mit seiner intimen Kenntniß der Musiklitteratur dieser Zeit 
und mit] seinem kritischen Scharfblick wäre wohl der geeignete Mann für die 
Leitung solches Unternehmens. Vorläufig wollen wir die Verbesserungen zu Rim- 
bault's Ausgabe, die er hier beibringt, dankbar annehmen. Die Erklärung der 
verschiedenen in der Parthenia aufstoßenden Verzierungen an der Hand gleich- 
zeitig und später vorkommender Agremente in der Klavier- und Lautenmusik 
scheint mir recht glücklich, wenn sich auch nicht läugnen läßt, daß bei der 
modernen Umschreibung, die Dannreuther mit Byrde's Pavana ^The Earle of Salü- 
buryn vornimmt, dem Zeichen ^ die Bedeutung zukommen würde »mache es Jeder 
wie es ihm beliebt«. 

Bei Behandlung der italienischen Vokalmusik um das Jahr 1600 ist der Stoff 
nicht vollkommen ausgeschöpft. Für die Gesangskunst des 16. Jahrhunderts hätte 
wohl vor allem Zacconi berücksichtigt werden müssen. Unter den aus Caccini's 
Werken angezogenen Ausschmückungen vermißt man die verschiedenen Arten der 
Esclamatione: kmguida, piü viva, spiritosa etc. Femer hätten aus Emilio del Cava- 
lieri's •JRappresentationen folgende eigenthümlich benannte Ornamente aufgeführt 
werden können: 



Momtchina, 



Groppolo, 



Zitnbelo. 




Letzterer fällt mit Caccini's »ribattuta dt golan zusammen. Die Bemerkungen über 
das iempo rttbaio der älteren Zeit sind gut und treffend. Gerade weil man heute 
ujiter rubaio etwas anderes versteht, nämlich ein ungebundenes Sehalten mit dem 



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Eduard Dannreuther, Musical Omamentation. 237 



Tempo überhaupt, ist es nOthig, darauf hinEuweisen, daß im Tempo rubato des 
1^ — 18. Jahrhdts. die ursprüngHehe Bewegung im Baß streng festgehalten wurde, 
isrfihrend die melodieführende Stimme abweichend von der Art, wie sie aufge- 
seichnet war, etwas yorwärts dr&ngte oder surüokblieb. Daneben war auch ein 
f^taa freier Vortrag üblich, den s. B. Frescobaldi für seine Toccaten vorschreibt, 
aber gute Qesanglehrer wie Zacconi, Bovicelli, Tosi warnen ausdrücklich davor 
und fordern einen gleichmftßig fortlaufenden Takt. Zur Erklfirung des Ausdrucks 
sieht Dannreuther eine Anmerkung Agricola's in seiner Übersetzung von Tosi's 
Oesangschule herbei : »Tempo rubare bedeutet einer Note einen Theil ihres Werthes 
'wegndimen, um einer andern ebensoviel suzusetsen, und vice versa«. Wenn Dann- 
reuther von Caceini's Trillo sag^, daß er »represenis ihe vihrato of bUenista and 
ffioUats^f so wftre dem entgegenzuhalten, daß vielmehr das Vihrato der genannten 
Instrumente vom Gesang herübergenommen ist, um durch das leise Beben den 
warmen Klang der Menschenstimme nachzuahmen. Das Orgelregister vox humana^ 
das wohl schon im 16. Jahrhundert existirte, sicher aber zu Anfang des 17. (durch 
Banehieri bezeugt) und bei dem ein Zittern des Tons durch mechanische Mittel 
herbeigeführt wurde, weist deutlich auf den vokalen Ursprung dieses Vortrags- 
effekts zurück. 

Yortrefflich sind Dannreuther's Ausführungen über eine eigenthümliche Ver- 
lierungsmanier, die bei Frescobaldi vorkommt und auch zum iempo rubato gehört. 
Frescobaldi giebt in der Vorrede zu seinen Toccaten die Anweisung, wenn in der 
einen Hand Achtel- und in der anderen Sechzehntelnoten zusanmien vorkftmen, so 

solle man das zweite Sechzehntel immer punktiren, also statt M j [ so spielen: 

. Dazu stellt Dannreuther eine Stelle aus Couperin's Pikees de Clavecin 




und seiner Art de toueher le Clavecin in Parallele, wo dieselbe Spielmanier an- 
gegeben wird, und spricht die Vermuthung aus, es möchte das mit dem alten 
Fingersatz zusammenhängen, der die zweite Ausführungsart leichter als die erste 
gestattete. Die Ausdrücke »ditev und »note htumeti und ^»cattive* deuten darauf 
hin, daß die Fhrasirung wohl die Wahl der Finger beeinflußt hat, und umgekehrt. 
»Ghite« und »schlechte Noten« kommen auch bei Quantz vor (Versuch etc. XI. § 12), 
der die umgekehrte Regel giebt: im Adagio solle man auf der guten Note ein 
wenig l&nger verweilen und die schlechte verkürzen. Dannreuther konmit zu dem 
Schluß: laAU dlong, Ühen, ftom hefore Frescobaldi to Bach and later, the notation 
of certain preludes, toceataa and the like eeems to represent rigid time, but in pradice 
there was tenipo rubato, and more -thofi tJiatv. 

Über Mersenne, Denis Gaultier, Christopher Simpson, der bereits nicht 
weniger als zwölf verschiedene Agremente kennt, werden wir zu Locke, Froberger 
und Henry Purcell geführt. Pauer's Ausgabe von des letzteren »Lessons for the 
Harpsichordn wäre, so urtheilt Dannreuther, korrekt in Bezug auf den Notentext, 
hätte aber in den Verzierungen eine Bevision nöthig. Interessant sind hier die 
Angaben, wie die verschiedenen Komponisten das Tempo bestimmten: nach dem 
Herzschlag, durch mäßig schnelles Zählen, nach der Bewegung eines Uhrpendels etc. 

Nach Purcell, im Verlauf des 18. Jahrhunderts, steigt die Verschiedenheit 
der Verzierungsbezeichnungen in erschreckender Weise. Diese Verschiedenheit 
zeigt sich nicht nur von einer Nation zur andern, sondern innerhalb desselben 
Landes; es kommt schließlich dahin, daß alle allgemeinen Kegeln aufhören und 
daß jeder Komponist und Lehrer sich seine eigenen Zeichen und Ausführungen 
surecht macht. Unter meinen Kollektaneen befindet sich eine ganze Reihe von 



238 Kritiken und Referate. 



Auslugen aus englischen Schulen für das »Harpsiehord«. Das erste Werk aus 
dem Anfang des 18. Jahrhunderts, 2^ Harpsiehord Master (1722), seigt noch eine 
Tollstftndige Übereinstimmung der Spielmanieren und Bezeichnungen mit Purcell's 
Lessofu. Bereits die folgenden: The Harpsiehord lüustrated and Improved (1733) 
und H^ eompleie Tutor for the Harpsiehord weichen davon ab, und je weiter 
man ins 18. Jahrhundert hinein kommt, desto größer wird die Verschiedenheit 
der einzelnen Werke unter sich. Nicht zwei stimmen am Ende ganz überein. 
Hier auf jedes Detail einzugehen, war auch für Dannreuther unmöglieh ; es würde 
den Umfang des Buchs auf das Doppelte haben anwachsen lassen. Doch ist die 
Auswahl eine so große, daß die Verftnderung^n, welche die musikalische Oma- 
mentstenographie nach und nach erfahren hat, wenigstens in ihren Hauptphasen 
fixirt werden. Überall weiß der Verfasser durch Ausführungen aUgemeinerer Natur 
seinem scheinbar so beschränkten Gegenstand eine weitere Perspektive zu geben. 
Bei Couperin z. B. macht er die gute Anmerkung : »In the seventeenth and eighteenih 
centurieSf the hahit of Freneh and Oerman vioUsis, players of wind instruments, 
cembaltsts, and organists, to form a group or a series eonsisting of an indefinite 
nwnber of pieees of similar or diversant ehar acter, in the same key, was derived 
flrom the practice of earlier or eontemporary IwtenistSf with whom it was an adcan- 
tage to he able to play a suecession of pieees wOhout having to re-tune the open 
bass strings.K Das ist sehr wohl möglich, und bis jetzt, soweit mir bekannt, 
noch nicht ausgesprochen worden. 

Die Abhandlung Ober das Verzierungswesen bei J. S. Bach, die den Sehluß 
dieses Bandes bildet, nimmt den breitesten Baum ein (50 Seiten) und gehört zu 
den werthvoUsten Abschnitten des Buchs, das kaum Jemand lesen wird, ohne nach 
irgend einer Richtung hin Anregung oder Belehrung zu finden. Der ausübende 
Musiker empfängt praktische Fingerzeige für die Auffassung und den Vortrag der 
älteren Violin-, Klavier- und Orgelmusik, und dem Musikhistoriker wird ein un- 
gemein reiches Vergleichsmaterial in die Hand gegeben, das er sonst mit großem 
Zeitaufwand aus den verschiedenen nicht immer leicht zugänglichen Werken zu- 
sammensuchen müßte. 

Vollkommen ist kein Menschenwerk, und die UnvoUkonmuenheiten, die Dann- 
reuther's Werk anhaften, sind so gering, daß sie keine Erwähnung verdienen. 
Einige kleine Lässigkeiten wird jeder Leser leicht selbst verbessern. Hier möchte 
ich nur auf ein Versehen hinweisen, das nicht so leicht in die Augen springt. 
Durch einen Druckfehler verführt hat Dannreuther eine Stelle aus der Vorrede zu 
Frescobaldi's Toccaten mißverstanden. Es heißt dort: »Li comminciamenti deüe 
toeeate sieno fatii adagio, et arpeggiando ete. . • per non laseiar voto (nicht »noto*; 
modern ital. : vuoto) ristromento: il quäl baUimento arpiglierassi ä bono placito di 
ehi suona,» Also: »Der Anfang der Toccaten soll arpeggirt werden etc. . . damit 
es auf dem Instrument nicht leer klingt. « Dieselbe Vorschrift giebt Lorenzo Penna 
[Li primi alhori musicali S. 198): »IVoeuri d'arpeggiare per non laseiar vuoto fln- 
strumento.n Dannreuther zieht den Satz »per non laseiar etc.« zum Folgenden und 
überträgt: »but in order to make the best of the instrument, the beat must be left 
to the good taste of the executant^ 

Berlin. Carl KrebB. 



Dr. Karl Hagen, Über die Musik einiger Naturvölker. 239 



Dr. Karl Hagen, Über die Musik einiger Naturvölker (Australier, 
Melanesier, Polynesier). Jenaer Inaugural-Dissertation. Hamburg 
1892. 80. 1). 

Der jugendliclie Verfasser des yorliegenden Aufsatzes hat sich vorgenonunen, 
das äußerst serstreute und mitunter geradezu versteckte Notenmaterial cur Er- 
forschung des Musiktreibens der sogenannten Naturvölker susammenzubringen, 
und macht damit den Anfang auf Grundlage (zwar nur eines Theiles) der Litteratur 
aber den ftußersten Süd-Osten unserer Hemisph&re. Sein Unternehmen ist, wie er 
mit Recht betont, falls es ihm gelingt, es richtig zu Ende zu führen, nicht nur 
fiir die vergleichende Ethnologie, sondern auch für die Musikgeschichte ein überaus 
vrichtigesy ja unerläßliches. Bevor wir die Ursprünge der uns zunächst berühren- 
den, stetig fortschreitenden Konst zu ermitteln versuchen, bedarf es einer sichern 
Kunde der Vorbedingungen zu ihrem Entstehen, welche in der leiblichen und 
seelischen Menschennatur anzunehmen sind. Durch den Einfluß der Rultur vieler 
Jahrhunderte sind wir selber den Anschauungen und Verhältnissen unserer noch 



1 Aus dem »Internationalen Archiv für Ethnographie« Bd. V. 1892 (Leyden, 
F. W. M. Trap), jedoch durch Zusätze des Verfassers vermehrt. 

Bemerkungen der Redaktion des Int. Arch. Wenn Dr. Hagen von 
Bauten der Malayen früherer Tage spricht, die noch heute unsere gerechte Bewunderung 
erregen, so dürfte der Hinweis angebracht sein, daß jene Bauten, soweit solche im eigent- 
lichen malayischen Archipel in Betracht kommen, Überreste alter Hindu-Kultur sind. 

Der Behauptung; (pg. 8), daß die Chinesen in der Musik »bis jetzt nicht über 
die ersten Anfänge hinausgekommen«, wird wohl Niemand zustimmen, der sich auch 
nur oberflächlich mit der Ethnographie China's beschäftigt hat. Wir gestatten 
uns, Dr. H. anheim zu geben, den Artikel »Muziek« in Prof. Schlegels »Neder- 
landsch-Chineesch Woordenboek« UI pg. 1016 ff. nachzulesen und sind sicher 
überzeugt, sein Urtheil wird alsdann anders lauten. 

In der Litteratur wäre noch manch einschlägiges Material zu finden gewesen, 
das als wichtiger Beitrat für die anregende und bis jetzt so vereinzelt dastehende 
Untersuchung Dr. H.'s nätte dienen können. So u. A: 

V. Schmidt Ernsthausen: Über die Musik der Eingeborenen von Deutsch 
Neu-Guinea (Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft VI [1891] pg. 268 ff.), Hugo 
2^1Ier: »Deutsch Neu-Ouinea« j)g. 11; Prof. A. C. Haddon: The ethnography of 
the westem tribes of Torresstraits (Joum. of the Anthrop. Inst, of Gr. Brit. & Irel. 
XIX [1890] pg. 297 ff.); wo an allen drei Stellen Notenbeispiele gegeben sind. 

Was Dr. H. in so bestimmter Weise betreffs näherer Handelsbeziehungen der 
Chinesen mit den Papua's sagt, ist uns vollkommen neu ; eine nähere Angabe seiner 
Quelle wäre uns um so erwünschter gewesen, als selbst ein so ausgezeichneter 
Sinologe wie Prof. Schlegel uns darüber nichts mitzutheilen wußte. 

Das Vorkommen der i>Skengn genannten Mundorgel auf Borneo dQrfte durch 
die längeren Beziehungen der.,Chinesen zu dieser Insel genügend erklärt werden; 
was der Verfasser über die Ähnlichkeit des Namens {wiiw-gaing) der Tänze der 
Eingebornen von Neu-Britannien etc. mit dem, durch die Engländer der Theater- 
etc. Musik der Chinesen gegebenen Namen (nngsong) sagt, wäre besser unterblie- 
ben; die Erklärung für beide Benennungen ist eine zu natürliche. 

Auch für die Andamanen wäre Man's Monographie der Ethnographie dieser 
Insel im Joum. of the Anthron. Inst. O. B. & I. sicher noch eine nutzbringende 
Fundgrube gewesen; Bambus kommt wenigstens auf den melanesischen Gruppen 
der Südsee-Inseln sicher vor ; die Beeinflussung der Samoaner durch die Vitier 
ist eine bekannte Thatsache; (siehe für beides letztere: »Die anthrop. ethnogr. 
Abth. des Museum Godeffiroy«); das Schlagbrett kommt in Mdlanesien (Neu-Bri- 
tannien) vor (siehe Dr. O. finseh, Ethnolog. Erfahrungen und Belegstücke). 



240 Kritiken und Referate. 



ungebildeten Vorfahren soweit entfremdet worden, daß RückBchlaese aus dem, 
uns ohne weiteres Umschauen als das Natürlichste erscheint, mindesten bedenklich 
werden. Da wir die wirklichen Anfänge unserer Musik nicht mehr urkundlich 
belegen können, bietet sich zur Aushülfe fast nur die Beobachtung der Kinderwelt 
und der, dieser ziemlieh nahestehenden niederen Kulturstufen dar. 

Freilich erheben sich dabei bedeutende Schwierigkeiten. Die wenigsten unter 
den Sammlern an Ort und Stelle sind soweit zu solcher Aufgabe vorgebildet, daß 
sie das Gehörte rein aufzufassen vermögen, statt es unwillkürlich nach modern- 
europäischen Schablonen zurechtzulegen. Man müßte die Zeit und die Fähigkeit 
haben, um sich in die fremde Musikübung ganz einzuleben und sie ohne Rücksicht 
auf das anderswo Erlernte als selbständiges Gebilde zu begreifen. Vor allem 
kommt das Verständniß der Tonleiter in Betracht, denn bekanntlich ist die An- 
zahl der überhaupt möglichen Intervalle zwischen den Tonhöhen unendlich groß, 
und kann die Auswahl daraus zum musikalischen Gebrauch nach sehr verschiedenen 
Principien getroffen sein. Wo wir z. B. die gebräuchliche Tonreihe zunächst naeh 
Oktaven eintheilen, ist für Andere die Quarte das größte Maß. Es empfiehlt sieh 
daher, sieh vor Allem nach wohlerhaltenen Instrumenten mit festen Tönen umzusehen, 
und diese Töne physikalisch genau zu bestimmen, was z. B. wieder bei den Flöten 
weniger als bei metallenen Klangstäben gelingt. Auch unsere Notenschrift, welche 
bloß auf unsere eigenen Scalen eingerichtet ist, sollte nie ohne die jedesmal 
nöthigen Korrekturen und Verwarnungen angewendet werden. In den meisten 
Fällen wird es jedoch an dergleichen Instrumenten oder Gelegenheit zu ihrer 
exakten Untersuchung fehlen, und da bleibt nur übrig, daß der Reisende sich 
selber zum Musikanten im Sinne des betreffenden Volksstammes ausbildet, und 
gleich nach der Rückkehr die erworbene Praxis einem kompetenten Forscher etwa 
durch Gesang oder Violinspiel übermittelt. Vielleicht wird in Zukunft der ver- 
besserte Phonograph uns diese schwierige Aufgabe bedeutend erleichtem. Mit 
dem Rhythmus wird der Beobachter schon eher fertig, besonders wenn er ein 
Metronom, Pendel oder Ahnliches zur Hand hat; doch giebt es auch hier Ge- 
fährlichkeiten, wie wenn der Javane den Accent auf die letzte, statt wie wir auf 
die erste iNote des Zeitabschnitts legt, und vollends dort, wo eine verwickelte 
Metrik wie jene der altgriechischen Chöre sich gebildet haben sollte. Ein voll- 
ständig ausgerüsteter Musikforscher außerhalb unserer Kulturländer sollte eigent- 
lich nicht bloß musikalisch, sondern auch mathematisch - physikalisch , und dazu 
in der Technik der Musikinstrumente hinreichend erfahren sein, und allerlei 
Apparate zur sofortigen genauen Ton- und Zeitmessung zur Verfügung haben. 
Ohne das, abgesehen noch von linguistischen und historischen Kenntnissen, wird 
an^der Zuverlässigkeit und annähernden Vollständigkeit der Resultate immer 
Manches fehlen. 

Unter solchen Umständen wird das relative Verdienst solcher ungleichwerthigen 
Berichte, wie der Herr Verfasser sie zu sammeln angefangen, keineswegs ge- 
schmälert, aber doch auf die große Vorsicht hingewiesen 'werden dürfen, mit der sie 
jedenfalls zu benutzen sind, und gegen voreilige Verallgemeinerungen Einsprache 
erhoben. 

Bei der Untersuchung javanischer Musik, wo Ref. in besonders g^stiger 
Lage war, hat sich schon gezeigt, wie wenig Gewicht auf das bisherige Material 
(wie das von Herrn Hagen S. 16 angeführte holländischer Beamten unter Raffles 
und Crawfurd) zu legen sei. Jetzt wieder bietet ein messingenes Schlaginstrument 
von der Insel Bali, unter Bestätigung eines unabhängig davon entstandenen 
hölzernen, welches ebendaher erhalten wurde, dem europäischen Ohr die uner- 
wartete Tonreihe: gr. Terz, Quarte, Quinte, gr. Septime, Oktave, mit Wiederholung 



Dr. Karl Hagen, Über die Muaik einiger Naturvölker. 241 

in der n&ohst höheren Oktave i; es ist also der Halbton dem Balinesen bei der 
Konstruktion der Leiter nicht zu klein, um unterschieden zu werden; doch ist die 
Frage, was die noch vorzunehmende objektive Tomnessung schließlich ergeben wird. 

Vorläufig w&re auch dringend zu warnen vor Betrachtung der fremden Leitern, 
als ob sie nur unvollkommene Ansätze zu unseren Tonarten wären. Sogar die 
Sirchentöne sind ja, bei aller Annäherung an unser Dur und Moll, nach anderen 
Orundsätzen gedacht, und die Werke älterer Meister, sowie die Volkslieder aus 
ihrer Zeit, nur daraus verständlich; und es versteht sich nicht ohne Weiteres, daß 
unser theüweise zweifellos künstliches Tonsystem die allgemeine natürliche Form bil- 
det, wobei es sieh nur darum handeln würde, ob es da oder dort mehr oder weniger 
T^ollkommen zur Geltung gelangt wäre. Von F dur oder E moll bei Völkern ohne 
europäische Beeinflussung soUte in wissenschaftlichen Schriften noch weniger die 
Hede sein als etwa bei Messen von Palestrina oder calvinistisohen Psalmweisen. 

Leider verschwinden die bescheidenen Kulturgebilde, die hier zu untersuchen 
sind, von Jahr zu Jahr, bevor wir unser Beobachtungsverfahren ausreichend ver- 
bessert haben können, und was noch vorhanden, wird immer mehr durch europäische 
Einwirkungen entstellt^. Hauptsache bleibt demnach, so wie so baldigst einzu- 
heimsen, was noch zu retten ist, um von dem unvollkommenen Material doch soviel 
wie möglieh zur Vergleichung zu bekonunen, in der Hoffnung, daß manches Ver- 
sehen ein anderes nahezu ausgleichen wird. Dann aber bleibt noch die umsichtige 
kritische Behandlung des Gesammelten ; eine Aufgabe, welche unser Vf. hoffentlich 
anderen Kräften überlassen wird. 

Übrigens erwarte man nicht, daß mit solchen Untersuchungen der Urquell 
sofort aufgedeckt sein würde. Alter als alles, was bei den Völkern einfachster Ge- 
sittung schon als fester Brauch gilt, ist jedenfalls die mehrseitige Äußerung er- 
regter Gefühle, wie wir sie bei unsern sehr jungen Kindern wiederfinden, durch 
Wort, Melodie und Geberde zu gleicher Zeit. Bei erhöhter Lebensempfindung 
kommt der unerzogene Mensch als Ganzes in Bewegung; Rede wird Gesang, Gang 
und Körperhaltung vrird Tanz; es mischt sich darunter dramatische Darstellung 
des Gegenstandes, der gerade das Bewußtsein erfüllt, sowie Begleitung mit irgend 
welchen schallenden Geräthen; das alles wird zusammengehalten von dem natür- 
lichen Trachten nach Regelmaß und geschlossener Form. Allseitiger Genuss wird 
aber dem Menschen bald des Guten zuviel, und so wird von der anfänglichen Ge- 
sammtkunst wechselweise das eine oder das andere Element fallen gelassen und 



^ Vorläufig möchte ich die javanische verkürzte Pelog-Scale Namens Bem ab 
Vorbild vermuthen. L, 

^ Wie weit es damit gekommen, zeifft der interessante Aufsatz des Herrn 
Prof. Dr. W. Joest in Bd. V des Lit. Arch. f. £thn. : Malayische Lieder und 
Tänze aus Ambon und den Uliase (Molukken). Malavisch ist darin 
nichts als die unterlegten Liedertexte im Dialekt der Hafenstadt Ambon, welcher 
selbst erst durch den Seeverkehr und die Fremdherrschaft dort üblich geworden 
sein kann, denn die Urbevölkerung in den Molukken redet ganz andere Sprachen. 
Die Meloaien sind durchaus europäisch, oft sehr bekannte Gesangs- und Tanz- 
weisen, nur hin und wieder so entstellt, daß man an Reminisoenzen aus alter ein- 
heimischer Musikübunff denken dürfte. Von Ambon aus verbreitet sich diese Art 
Musik über die benachbarten Inseln. Eben hat noch Herr Pro! Martin aus dem 
Linem von Buru die Abbildung einer Geige mitgebracht, welche dort unter dem 
portugiesichen Namen vihola als Erbstück aufbewahrt, aber längst nicht mehr 
oespiät wird. Man sollte bei diesen Studien immer das wirklich Einheimische und 
das durch Schiffer, Soldaten u. s. w. weiterhin Eingeführte genau zu unterscheiden 
suchen. X. 

1893. 16 



242 Kritiken und Referate. 



das Übrige mit Vorliebe gepflegt; so entfaltet sieh denn hier das Kecitativ mit 
Geberden, dort das Tanslied, weiterhin der Gesang in Ruhestellung, das gesprochene 
Gedicht, der Tans nach Instrumenten, u. s. w. Ob die Musik überhaupt wesent- 
lich Ausdrucksmittel oder formelles Gebilde sei, ist eine müssige Frage; je nach- 
dem ist sie das eine oder das andere, oder auch beides zugleich; es fragt sich 
nur, welche Bedürfhisse sich im Augenblick vorwiegend geltend machen. Es wird 
also bei jedem Naturvolk insbesondere untersucht werden müssen, wie weit und 
in welchen Richtungen die anfängliche kindliche Oesammtkunst der Empfindunga- 
äußening sich dort differensirt und ihre Bestandtheile sich entwickelt haben; so 
wird nachgerade ein umfSassendes Bild entstehen von dem, was darin von Menschen 
geleistet worden ist, und hieraus erschlossen, was etwa bei den Urv&tem der dvili- 
sirten Tonkunst und ihren Verwandten vorausgesetit werden dürfte. 

Der neueste Betrieb der historischen Wissenschaften setst sich öfters dem 
Vorwurf aus, daß er im Widerwillen gegen bloß abstraktes Gerede vom Wesen 
des Staats, der Sprache, der Kunst u. s. w. sich einem planlosen Anhftufen von 
bloßen Thatsachen, bedeutenden und nichtssagenden hingebe. Auf die Dauer kann 
der vernünftige Mensch eines solchen Geschäfts nur überdrüssig werden und läuft 
dann Gefahr, auf wissenschaftliche Forschung gans zu versichten. Wenn aber 
scharfe Beobachthng von klarer Fragestellung imd verständiger Sichtung des Ge- 
gebenen fortwährend geleitet wird, dann, aber auch nur dann, werden Arbeiten, 
wie sie unser Verfasser angefangen, ihm selbst cum dauernden Genuas und unserer 
Erkenntniß der Wirklichkeit, in der wir leben, cur bleibenden Förderung. 

Leyden. J. F. TX. Ijand. 



6r. Engel, Die Bedeutung der Zahlenverhältnisse für die Ton- 
empfindung. Dresden, B. Bertling. 1892. 59 S. 8.^ 

Bekanntlich ist der Begriff des musikalischen »Intervalls« nicht identisch 
mit dem eines Höhenunterschieds zwischen zwei Tönen. Ein Intervall ist gegeben 
durch einen bestimmten Grad der Konsonanz ; und es ist sehr wohl denkbar, daß 
z. B. der Konsonanzgrad, durch welchen das Quintenintervall charakterisirt ist, in 
verschiedenen Tonregionen einen ungleichen Höhenunterschied (Abstand, Distanz) 
der bezüglichen Töne darstellte, d. h. daß die beiden Töne in der reinen Em- 
pfindung, wenn man also alle Nebenvorstellungen absondert, im einen Fall ein- 
ander ähnlicher erscheinen als im anderen Fall. 

Die Meinungen über die thatsächliche Beschaffenheit unsrer Tonempfindungen 
in dieser Beziehung gehen aber auseinander. Manchen erscheint thatsächlich, ob- 
schon sie die logische Denkbarkeit des gegentheiligen Verhaltens zugeben, das 
gleiche Intervall überall auch eine gleiche Distanz zu sein; und sie schließen 
hieraus, daß die Mitte zwischen zwei Tönen allgemein gegeben sei durch den- 
jenigen Ton, welcher der geometrischen Mitte der Schwingungszahlen entspricht, 
z. B. die Mitte zwischen den Tönen 100 und 400 durch den Ton 200. Andere 
halten für die Mitte den Ton, welcher der arithmetischen Mitte der Schwingungs- 
zahlen entspricht; im genannten Beispiel also den Ton 250. Wieder Anderen 
scheint die Wahrheit in der Mitte beider Mitten zu liegen. 



1 Aus der »Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane« 
1892, Bd. IV (Hamburg und Leipzig, Leopold Voss), jedoch vom Verfasser ftlr 
die V. f. M. umgestaltet. 



G. Engel, Die Bedeutung der ZahlenverhSltnisse fOr die Tonempfindung. 243 

An den experimentellen Studien und theoretischen Streitigkeiten hierüber 
hat sieh Verf. obiger Sehrift bereits früher betheiligt. Er fügt jetst seine in der 
Zeitschr. f. Psychologie u. Physiologie der Sinnesorgane II 361 f. mitgetheilten 
Beobachtungen über Tondistanzen in einen größeren, dort nur angedeuteten, theo- 
retischen Zusammenhang ein. Ihm erscheint bereits vom Standpunkt der »Zahlen- 
logik« die geometrische» nicht die arithmetische, Tonmitte als die wahre. Obschon 
er bei seinen Versuchen an yorzüglichen Musikern gefunden, daß eine Neigung 
vorbanden ist, die Mitte etwas über der geometrischen anzunehmen, und obschon 
er selbst sie bei größeren Distanzen nach seiner Empfindung um 1 — 3 Halbtöne 
höher legt, möchte er aus apriorischen Erwägungen dieses Ergebniß immer noch 
einer Trübung des Urtheils durch gewisse Nebenumst&nde, namentlich durch die 
(bis zur 3-gestrichenen Oktave) zunehmende Unterschiedsempfindlichkeit, zu- 
schreiben. Wenn es indessen richtig ist, daß die Unterschiedsempfindliekkeit und 
die Distanzsehätzung integrirend zusammenhängen, bezw. die letzte von der ersten 
abhängt (s. m. Tonpaychol. I 60 f., 130, 250), so haben wir es hier vielmehr mit 
einem maßgebenden Hauptumstand zu thun, von dem das Urtheil nicht gestört 
wird, sondern auf dem es beruht. Ich möchte daher dem Beobachtungsergebniß 
des Verfassers mehr reelle Bedeutung zuschreiben als er selbst. 

Dagegen in den apriorischen Deduktionen werden wir dem Verfasser nicht 
folgen können. Ihm gegenüber möchte ich sagen: Zahlen beweisen nicht. Rein 
zahlenmäßig giebt es noch andere Mittelwerthe, z. B. den harmonischen oder den 
quadratischen. Aber die Empfindimgsmitte, die, wie die Empfindung selbst, das 
reale Produkt sehr komplizierter physiologischer Faktoren ist, hat keine Verpflich- 
tung, mit irgend einem noch so hochwohlgeborenen Produkt der Zahlenlogik zu- 
sammenzufallen. Solche Koinzidenz wäre vielmehr a priori eher unwahrscheinlich. 
Wohl können wir unter Umständen aus deduktiven Erwägungen vermuthen, daß 
ein Sinnesurtheil, das anscheinend nur auf den bezüglichen Empfindungen gründet, 
falsch und zwar subjektiv &lsch sei, daß es nicht den Empfindungen entspreche. 
Gerade die Musik bietet vielfältige Gelegenheit, dieses Verhältniß von »Sinn und 
Vernunft«, dem bereits Ptolemacus in der Harmonik eingehende Betrachtungen 
widmete, an interessanten Beispielen zu verfolgen. Aber die deduktiven Erwägungen 
müssen dann aus der sonst bekannten Natur des Sinnes hergenommen sein oder 
doch auf irgend eine Weise einen durchsichtigen Zusanmienhang zwischen den 
Prämissen und dem Schlußsatz aufweisen, den ich in diesem Falle, offen gesagt, 
nicht finden kann. 

In der Kritik der Lorenz'schen Versuche schließt sich Engel meinen Aus- 
stellungen an und führt sie in einzelnen Punkten weiter aus. Positiv wünscht 
auch er ein musikalisch geschultes Gehör der Beobachter, Verwendung einfacher 
Töne, Mitberücksichtigung größerer Tondistanzen, und bei den kleineren eine 
feinere Veränderlichkeit des Mitteltons durch abstimmbare Gabeln. Nur auf einen 
Punkt legt er meines Eraohtens noch zu wenig Gewicht, obschon er ihn erwähnt. 
Der Beobachter muß auch psychologisch ad hoc eingeübt sein (obige Zsch. I 
457). So sieht auch ein sonst sehr geübtes Auge an mikroskopischen Präparaten 
doch nicht sogleich das, worauf es ankommt. Daraus folgt, daß gelegentliche 
Aussagen feinhöriger Musiker in dieser Sache doch nicht ohne weiteres ent- 
scheiden. 

Zur Erläuterung hierfür diene sogleich die Behauptung von EngeVs Musikern, 
daß die Distanz e — d entschieden größer sei als d — «. Ich habe bereits in früheren 
Jahren öfters Musikern die Frage vorgelegt und die umgekehrte Antwort erhalten 
(vgL das. I 461). Lorenz und seine Mitarbeiter endlich fanden die beiden Distanzen 

Ifi* 



244 Kritiken und Referate. 



gleich (das. 334 — 5, dp). Woher nun die drei verschiedenen und alle drei unge- 
wöhnlich bestimmt abgegebenen Antworten? 

Meiner Meinung nach ist keine von ihnen Ausdruck eines reinen Distanx- 
urtheils. Obschon natürlich eine darunter wahr sein muß, dürfte sie doch nur zu- 
fällig wahr sein. Die Distanzen gleich zu schätzen, liegt denen am nächsten, die 
ohne feinere musikalische Bildung einfach durch den aus dem Leben jedem be- 
kannten musikalisch-mittleren Ton bestimmt werden. Unter den Musikern werden 
solche, die in keiner Weise durch ein musik-theoretisches Wissen beeinflußt sind, 
geneigt sein, den Schritt d — e, der zum charakteristischen Ton der Leiter führt, 
als den für das Gefühl wichtigeren auch für den größeren zu halten ; schon der 
Kontrast mit der MoUterz drängt zu solcher Überschätzung. Solche aber, die Tom 
»großen imd kleinen Ganzton« (so genannt wegen der Zahlenverhältnisse 8:9 und 
9 : 10) vieles gehört und vielleicht sogar darüber zu dozieren haben, werden leicht 
durch diese Assoziation bestimmt werden, d^-e kleiner zu schätzen. In allen drei 
Fällen sind dann aber nur eben Assoziationen maßgebend. Und gerade darum 
kann in einem so schwierigen Fall ein so bestimmtes Urtheil abgegeben werden. 
Denn bei so kleinen Distanzen müssen ja auch die Unterschiede der wahren und 
der scheinbaren Mitte so gering sein, daß das reine Distanzurtheil sich nicht so 
leicht festsetzen würde. 

Engel handelt in einem 2. Theil der Schrift über die Begründung der Musik- 
theorie. Er schreibt, wie schon in früheren Arbeiten, den Schwebungen (die er 
mit 128 in der Sekunde noch sehr kräftig findet) eine nur untergeordnete Bedeu- 
tung zu, und führt die Bedeutung der Obertöne darauf zurück, daß sie mit den 
einfachsten Schwingungsverhältnissen zusammentreffen, welche letzteren Engel 
(Euler und Hauptmann verbindend) für direkt maßgebend ansieht. Die Schwin- 
gungsrhythmen sollen sich beim Zusammenklang in unserem Bewußtsein geltend 
machen. Wie dies geschehen kann, ist mir mit Heknholtz nicht verständlich. Daß 
übrigens das Prinzip der geometrischen Mitte auch hierbei, in der Leiterkon- 
struktion, trotz seiner apriorischen Vortrefflichkeit nicht durchführbar ist, hebt 
Engel selbst hervor. Fällt ja schon die erste Abtheilung innerhalb der Oktave, 
die Quinte, nicht in die geometrische Mitte (die zwischen fis und ges l^e), son- 
dern gerade in die arithmetische. Aber das heißt nun auch wieder nicht so viel, 
als daß dieses Intervall durch ein Distanzurtheil gefunden würde, worin gleiche 
Unterschiede der Schwingungszahlen als gleiche Tondistanzen geschätzt würden 
(sonst ließe sich ja das Intervall auch nicht auf die nächst höhere oder tiefere 
Oktave übertragen). Vielmehr hat das bloße Distanzurtheil für die Feststellung 
der Grundintervalle offenbar gar keine Bedeutung, mag es übrigens mit der arith- 
metischen oder geometrischen oder sonst ii^end einer beliebigen Zahlenmitte zu- 
sammenfallen. 

Für lehrreiche Einzelbemerkungen haben wir Engel, wie immer, auch hier 
zu danken; so namentlich für die Bemerkungen Über Intonation. 

München. C. Stumpf. 



Notizen. 



Das Echiquier, In einem Aufsatz über besaitete Klavierinstrumente (Viertel- 
jahrsschrift 1892, S. 93 ff.) hatte ich auch das Echiquier (exaquir, Schachbrett etc.) 
herbeigezogen und die Vermuthung ausgesprochen, es könnte wohl eine Anfangs- 
form des Clavichords oder Clavicymbalums sein. Vander Straeten, der um die 
Musikwissenschaft so hochverdiente Sammler und Erklärer alter Dokumente, hat 
zuerst die Aufinerksamkeit auf das Wort und seine muthmaßliche Bedeutung ge- 
lenkt. In einem kleinen Artikel einer belgischen Kunstzeitschrift [La FidSration 
artistiqve. 1892 Nr. 33) kommt er noch einmal auf das räthselhafte Instrument zu- 
rück und versucht ein Citat aus Jacquot's ^Hisioire musiealeti zu kommentiren, 
das folgendermaßen lautet: »A Loya HodiUij arganiste, la somme de irente escuz 
d'ar Moleilt que Monseigneur le duc a ordannd pour Vachast d'un instrumerU que 
Monaeigneur a prins de luy, faisant archiqtüer, orgues, espinettea et ßuttesa, (Aus 
den Bechnungsregistem des Lothringischen Hofes von 1511.) Vander Straeten 
wirft die Frage auf, ob man es in »archiquierv mit einer orthographischen Variante 
von Echiquier oder mit einer Zusammenziehung aus archi'4chiquier zu thun habe, 
ohne daß er es zu einer vollkommenen Lösung brächte. Der Vermuthung blieb 
der weiteste Spielraum gelassen. Ein glücklicher Zufall hat jetzt, wie ich glaube, 
die endgültige Erklärung herbeigeführt. 

Als ich im Sommer 1892 zum Besuch der Musik- und Theater-Ausstellung 
in Wien war, machte mich Herr Dr. O. Fleischer, dem ich für diesen Hinweis zu 
großem Dank verpflichtet bin, auf ein eigenthümliches, in der Ambraser Sammlung 
befindliches Schachbrett aufmerksam. Der Direktor der Sammlung, Herr Regierungs- 
rath Hg, ermöglichte mir freundlichst eine eingehende Untersuchung des Möbels, 
so daß ich in der Lage bin, es hier genau zu beschreiben. 

Es ist ein großes Schachbrett von 45 cm ins Geviert und entsprechender 
Höhe, aus hellem Holz gefertigt und reich mit dunkeln Intarsien von ausgesucht 
schöner Arbeit geschmückt. In geschlossenem Zustand unterscheidet es sich in 
nichts von einem gewöhnlichen Schachbrett, klappt man es aber auf, so sieht man, 
daß das Puffbrett innen auf beiden Seiten nicht ganz an den vorderen Band der 
Umfassung stößt. Das schmale Brettchen, welches den Abschluß nach vom bildet, 
läßt sieh heraus ziehen. Dadurch wird auf jeder Seite eine kleine Klaviatur frei- 
gelegt, die den hohlen Kaum zwischen dem vorderen abschließenden Brett und 
dem Puffspiel ausfüllt. Jede hat einen Umfang von zwei Oktaven und einer Terz 
chromatisch [f—a.). In der tiefsten Oktave ist nur h Untertaste, in der obersten 



246 KotiBen. 



fehlt gis. Die eine gehört su einem kleinen Regal, dessen Bfilge unter dem oberen 

Brett des Puffspiels liegen und leicht von dem Spieler selbst oder einer anderen 

Person in Bewegung gesetzt werden können. Die andere l&ßt ein einehöriges 

Spinettchen erklingen. Hier ist das Deckbrett mit dem Puffspiel aufiiuklappen 

und hochzustellen wie der Deckel eines Flügels. Auf der Querleiste über den 

Docken stehen die Worte t»8%c transii Oloria IfunJ»*«!; die dünne Leiste über der 

Klaviatur trägt die Jahreszahl MDXXXU. Im Resonanzboden befindet sich eine 

mit feinem Maßwerk gefüllte Rosette, offenbar von italienischer Arbeit, wie das 

ganze Stück. Die ursprüngliche Stimmung ist natürlich nicht mehr mit Sicheriieit 

festzustellen. Nach der Saitenlftnge zu schließen war das tiefste / des Spinetts f^, 

so daß der Umfang bis a ^ reichte. Das Regal stand vielleicht eine Oktave tiefer 
von/~fl2. 

Da hätten wir also ein Instrument vfaiaant (trchiquier, orgues, espinsttes* (die 
Flöten fehlen) und das "tistrument semblant tTorguene, qui sana ab eordes*, daz exa- 
quir Johanns I. von Aragonien. Ich zweifle nicht daran, daß durch diesen Fund 
die Frage nach dem Wesen des unbekannten] Instruments »Schachbrett« beant- 
wortet ist. 

Berlin. Carl Kreba. 



Zu den Kampositionen über die Horazischen Metren. (Vgl. Jahrgang 
3 dieser Zeitschrift (1887) S. 26 L; auch Jahrg. 5 (1889) & 291 f. und Jahrg. 6 (1890) 
S. 310 f.) 

Laurentius Stiphelius, Kantor in Naumburg, gab 1607 bei Weidner in Jena 
einen LibeUus Seholastieus pro aenatoriae Nutnburgensium Sckolae pueri» heraus, 
der, wenn gleich zunächst für die musikalische Büdung seines Sehülerehores, so 
doch zugleich für den kirchlich gottesdienstlichen Gebrauch bestinunt war. Das 
Buch enthält in 5 Abschnitten 

1. eine Sammlung geistlicher Hymnen, Lieder, Responsorien und Antiphonen, 
geordnet nach den Kirchenzeiten von Advent bis Trinitatis. Die Oesänge werden 
theils choraliier mit den gregorianischen Melodien, theils ßguraliter in 4stimmigem 
Satz gegeben, je nach ihrem kirchlichen Zweck. 

2. Eine Sammlung der damals in Naumburg gebräuchlichen Begräbnißlieder. 

3. Weitere Oesänge für Kirche, Schule und Haus. 

4. Harmoniae ad omnes Odaa, quibw Horatius Flaccua in suis quaiuor cor- 
minum lihris ^ in suo Epodon lihro usus est, aeeomodaiae, 

5. Ein Manuale eantoris, d. h. ein nach Sonn- und Festtagen geordnetes 
Verzeichniß von Liedern, Introiten, Messen und Motetten für das ganze Kirchenjahr. 

Indem ich mir vorbehalte, auf den übrigen lehrreichen Inhalt dieses Werkes 
in anderem Zusammenhang zurückzukommen, möchte ich hier nur zur Ergänzung 
früherer Mittheilungen auf die unter Nr. 4 aufgeführten Horazischen Oden auf- 
merksam machen. Sie lehren uns, daß diese Art der Odenkompositionen weder 
mit den Senfl'schen und Hof haimer'schen noch auch mit den Olthof sehen zu Ende 
ging, sondern daß sie also bis ins 17. Jahrhundert fortdauerte. Melodie und Satz 
der von Stiphelius mitgetheilten sind andere, als die bisher bekannten des 16. Jahr- 
hunderts, aber ganz im selben StiL Zur Ftobe theile ich eine Ode hier mit: 



Notisen. 



247 



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Da Stiphelius keinen anderen Verfasser nennt, wird man kaum irre geben, 
wenn man ihn selbst dafür ansieht. Hatte doch Qlare'an im Dodekachord bei 
der Lehre aber »die Erfindung der Tenore« (Buch 2, Kap. 39) eben diese Hora- 
sischen Oden als Unterlage seiner Übungsbeispiele benutzt So könnte also auch 
Stiphelius sehr wohl seine Studien an diesen Melodien und Sätzen im graden 
Kontrapunkt gemacht haben, wie er sie wieder bei seinen' Schülern verwendet. Sie 
sind in der That ein ganz vortreffliches Unterrichtsmittel; möchten doch auch 
unsere Gymnasien sich das gesagt sein lassen! Denn indem sie, musikalisch be- 
trachtet, eine ausgezeichnete Vorschule für den vierstimmigen Gesang bilden, 
machen sie die Schüler zugleich mit den antiken Metren praktisch vertraut und 
beleben das Bild des alten römischen Dichters. Wer sich etwa an den Härten 
der alten Harmonik stößt, der kann ja den Melodien leicht ein weicheres Mäntel- 
chen umhängen, nur daß er sich hüte, die Strenge des Kontrapunkts an sich dabei 
zu verwischen. Denn grade in den Dreiklängen liegt für das musikalische Gehör 
das Bildende. 



Schleswig. 



B. V. Idliencron. 



Berlehtigiuig« 

S. 486, Anmerkung 1 des vorigen Jahrgangs wolle man statt »Sopran und Alt« lesen: 
»Alt und Tenor«. 



Adressen der Heransgeber: 

Professor Dr. Spitta, d. Z. geschäftsfahrender Herausgeber, Berlin, W. Burg- 
grafenstraße 10; Dr. Friedrich Chrysander, Bergedorf bei Hamburg; Professor 
Dr. Guido Adler, Prag Weinberge, CelakoTskygasse 15. 



Lodovico Zacconi 

als Lehrer des Kunstgesanges. 

Von 

Friedrich Chrysander. 



II*) 

Über Gesang, und Sänger im Verhältniß zu den Komponisten 
und Kompositionen der damaligen wie der früheren Zeit. 
Die Ausbildung und geschichtliche Entwicklung der Musik. 
Vergleichung der Musik der Niederländer mit derjenigen 
Palestrina's und seiner Zeitgenossen. Notenkunde und Lehr- 
methode für Gesangschüler. Aufgaben, Pflichten und Frei- 
heiten des vortragenden Sängers. 

Das Kapitel über die »Gorgia«, welches im ersten Abschnitt ge- 
druckt ist, bietet eine ausfuhrliche/ zusammenhängende Darstellung 
über den kunstmäßigen Vortrag des Sängers und mußte deßhalb 
voran gestellt werden. Was Zacconi außerdem noch über Stimme, 
Gesangunterricht und Sängerkunst vorträgt, sowie über viele andere 
damit verbundene Materien, lasse ich hier in einem zweiten Ab- 
schnitte folgen. Seine Mittheilungen sind wichtig genug, um in 
ihrer Gesammtheit gekannt zu werden, denn sie enthalten das Voll- 
ständigste und in ihrer Vielseitigkeit auch WerthvoUste , was uns 
von einem Autor aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts über 
den Kunstgesang seiner Zeit überliefert ist. 

Für unsern Zweck kommt nur das erste Buch des ersten Bandes 
der »Pratticaa in Betracht. In verschiedenen Kapiteln desselben sind 
die Materialien unmethodisch verstreut. Den Autor möglichst selbst 
zu Worte kommen zu lassen , mußte der Hauptzweck dieser Arbeit 
sein, und weil damit eine sachlich geordnete Darstellung nicht zu 
vereinigen war, so blieb nur übrig, Zacconi auf dem von ihm ein- 
geschlagenen Wege zu folgen und den Inhalt seiner Kapitel der 



•) S. Abschnitt I: Vierteljahrgschrift 1891 Bd. VII S. 337—396. 
1893. 17 



250 Friedrich Chrysander, 



Eeiheufolge nach mitzutheilen. Dies ist nun so geschehen, daß die 
wichtigeren und längeren wörtlichen Anführungen durch eine kleine 
Einriickung und einen Nebenstrich kenntlich gemacht sind, während 
das XJbrige in meinen Bericht verwebt ist. Durch Zusätze in [ ] 
Klammem habe ich Zacconi's Worte, wenn sie der Kürze oder des 
mangelhaften Ausdrucks wegen unklar waren, deutlicher gemacht 
und damit viele umständliche Anmerkungen erspart. Auf diese Weise 
war es möglich, bei einem mäßigen Umfange doch annähernd eine 
sachliche Vollständigkeit " zu erreichen und die Leser nicht allzu- 
sehr unter der Weitschweifigkeit des Autors leiden zu lassen. 



Xihvo Ißvimo. 

Kapitel 4. 

Was die Bezeichnungen Theoretiker, Praktiker, Musiker und Sänger bedeuten. 
[Che cosa sia Theorica, Prattica, Musico, et Cantore, et cht iintenda per Theorico, 

Frattico, Musico, et Cantore.) 

» . . . Man nennt Musiker den Komponisten, um ihn zu unter- 
scheiden sowohl von dem einfachen Sänger wie auch von dem 
Praktiker y welcher nicht singt, sondern bloß die Noten zum Singen 
aufsetzt. Also: Wenn der Komponist komponirt und nicht singt, 
d. h. sich nicht zu Zeiten bei beliebiger Gelegenheit zum Singen 
herbei läßt, dann heißt er Praktiker, weil er von seinem Wissen 
einen [praktischen] Beweis gegeben hat. Aber wenn er gelegent- 
lich beim Singen sich zum Gesänge schickt und mit Sängern ver- 
eint singt, dann muß man ihn Musiker nennen. Ich sage: dann, 
wenn er bei Gelegenheit mit Andern singt — um diejenigen 
Komponisten darunter zu verstehen, welche eine gute oder aus- 
gezeichnete Stimme haben und sich hinsichtlich der Stimme nicht 
zu scheuen brauchen, zu singen. Also, um Alles in Einem zu- 
sammen zu fassen: Theorica ist die einfache Wissenschaft, welche 
diejenigen besitzen, die nicht vermöge musikalischer Noten, sondern 
vermöge der Proportionalität der Zahlen alle harmonischen An- 
ordnungen verstehen. Prattica ist diejenige Wissenschaft, welche 
die proportionirten Zahlen auf musikalische Noten zurück fuhrt. 
Musico ist der, welcher die so zurück geführten [in Musik gebrachten] 
Verhältnisse versteht und nachdem sie zurück geführt [komponirt] 
sind, sie mit Andern singt oder sich als ein Sänger zum Gesänge 
herbei läßt«. (Fol. 4). 

Obige Definitionen bewegen sich noch ganz in den alten Vor- 
stellungen von der abstrakten Zahlentheorie und der konkreten 



LodoTico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 251 



Bethätigung derselben als Komposition, die selbstverständlich bloß 
als eine gesangliche angesehen wird, wobei nur derjenige Komponist, 
der zugleich gesangsfähig ist, den Ehrennamen »Musikers erhält. 
Hierin offenbart sich uns wieder der ganze uralte Sängerstolz. 

Einige dieser Bezeichnungen haben später eine veränderte Be- 
deutung erhalten: so war >Musico« seit dem vorigen Jahrhundert 
gleichbedeutend mit Kastrat. Der Ausdruck »Prattica« für Kompo- 
sition blieb noch längere Zeit im Gebrauch ; in diesem Sinne recht- 
fertigt Monteverde seine neue Art zu komponiren als »seconda prattica«. 

Kapitel 5. 

Warum der Autor den Titel »Prattica di Musica» gewählt hat. 

». . . . Nachdem ich also viel erörtert und überlegt und das beste 
gewählt hatte, habe ich gegenwärtigen Titel »Prattica di Musica« 
gebildet, denn es schien mir, daß sich mit diesem Namen meine 
volle Absicht am besten darstellen müsse, da es sich um nichts 
andres handelt, als zu sehen, nicht bloß ob die aufgestellten Kanti- 
lenen ihre zukömmlichen Zeichen und Notenwerthe haben, sondern 
auch, wie diejenigen, welche mit andern als den gewöhnlichen 
Zeichen gesetzt sind, gesungen werden müssen .... Unter dem 
Namen Prattica di Musica werden wir also allmählig und auf 
anmuthige Art alle Eigenthümlichkeiten und das wesentliche Zu- 
behör (essentiali accidenti) der Melodien durchgehen«. (Fol. 4^). 

Kapitel 6. 

Wie hoch Musik, Musiker und Sänger geehrt werden. 

». . . . Ich rede hier nicht von den Künstlern und Handwerkern, 
welche sich Tag und Nacht abmühen, um ihren kargen Lebens- 
unterhalt zu gewinnen. Nur der Musiker mit dem Sänger ver- 
dient sich sein Brot mit Vergnügen, Lust und Annehmlichkeit. 
(Solo il Musico col cantore, st guadagna il pane coti piacere, solazzo, 
et dolcezza.) Und er lebt unter den Geehrten geehrt und sorgt 
nicht oder hat Furcht, hinaus gejagt zu werden oder zu irgend 
einer geehrten und anständigen Gesellschaft keinen Zutritt zu 
haben. Vielmehr lebt er in solcher Achtung und Schätzung, daß, 
wo er nicht ist, er hingerufen und daselbst mit offenen Armen 
empfangen wird. Jeder liebt ihn, jeder schmeichelt ihm, jeder 
sucht ihm gefällig zu sein : so schätzt man die Kunst und deren 
Lehrer hoch. Ich für mein Theil würde nicht im Stande sein 
noch das Vermögen oder die Zunge haben, zu sagen, in welcher 
Werthschätzung und Achtung ein Sänger steht; denn wieviel man 

17* 



252 Friedrich Chrysander. 



auch bezahlt, so daß er bei den Großen als einer der Kleinsten 
und Untersten oder wenigstens nur als Lohnarbeiter angesehen 
wird, — nimmt man ihm dafür doch nicht den Platz und die 
Ehre, die ihm als Virtuosen zukommen. Er gelangt mit seiner 
Kunst als Ehrenperson allenthalben hin wie eine würdige Persön- 
lichkeit, von Jedermann gut angenommen und begünstigt, geehrt 
durch Tüchtigkeit und verdiente Gunst {cotne omato di virtü, et 
meritevol di favore). Zu jeder Zeit und Stunde ist er gerüstet 
zum Dienst, und sein Dienst macht nicht müde. Er [der Sänger] 
hat keine Sorge, Instrumente mit sich herum zu schleppen, noch 
hat er Werkstätten und Häuser nöthig, um seine Kunst üben zu 
können. Wo er auch geht, trägt er alle seine Instrumente mit 
sich, kein Räuber kann sie ihm nehmen. Wenn nun schon ein 
einfacher Sänger so geehrt und geachtet wird, wieviel mehr wird 
ein wahrer Musiker und ein guter Komponist geehrt und geachtet 
sein: denn wenn man den Schüler so ehrt, wie viel mehr wird 
man den Lehrer ehren! Sicherlich, es giebt keine Sprache, die 
den Vortheil, welchen die Musik bringt, genügend ausdrücken 
könnte, noch eine rechte Vorstellung davon. Nicht allein heitert 
die Musik uns auf und bringt der Seele, die durch körperliche 
Leiden betrübt und belästigt ist, neue Belebung, sondern sie ist 
Vielen auch behülflich, daß sie durch ihre Kraft ein geehrtes 
Leben fuhren«. (Fol. 5.) 

Kapitel 9. 

Welche Musiker man unter den Alten versteht, und welches die Melodien sind, 
die man heutzutage alt nennt. [Quali Musici s'iniendino per antichi^ ei quäle ateno 

quelle cantilene ch'oggi giorno si chiamano antiche.) 

Auf die lebhafte Schilderung von der glänzenden Stellung der 
Sänger und Sänger-Komponisten seiner Tage läßt Zacconi im 9. Ka- 
pitel einen kleinen geschichtlichen Excurs folgen, der hier nicht nur 
in den bezeichnendsten Stellen, wie die meisten übrigen Kapitel, 
sondern vollständig mitgetheilt wird, da er für den Autor charakte- 
ristisch, auch in verschiedener Hinsicht werthvoU und dabei nicht 
ohne humoristischen Reiz ist; denn seine »antiken« Komponisten 
und Kompositionen kommen so ziemlich auf das hinaus, was jung 
war, als noch der Großvater lebte. 

»Damit die Untersuchungen, welche über die musikalischen 
Dinge anzustellen sind, jene Klarheit und Durchsichtigkeit erlan- 
gen, die alle an sich schwierigen und zu ordnenden Dinge haben 
müssen, so will ich, bevor wir weiter gehen, erklären, welche 



Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 253 



Musiker man unter den »Alten« versteht und was die »alten« 
Kantilenen und Kompositionen sind. 

Was die antiken Musiker betriäl, so finden wir davon zwei 
Klassen. Die erste Klasse bilden jene Philosophen, welche in 
erhabener Weise von der Wissenschaft der Musik geschrieben 
haben, wie Pythagoras, Plato, Macrobius, Amphion, Diodor, Boetius, 
St. Augustin und viele Andere. Diese nannten sich seinerzeit 
Musiker, weil sie nach den Hegeln der Wissenschaft die Zahlen- 
verhältnisse und die wahren Konsonanzen kannten. Femer wur- 
den noch die [damaligen] Dichter für solche [Musiker] gehalten 
wegen der guten und ausgezeichneten Ordnung ihrer Verse. 

Die zweite Klasse bilden jene Komponisten, welche vermit- 
telst der musikalischen Notenzeichen so viele Kantilenen setzten, 
als wir heute noch erhalten sehen. Die Namen derselben sind : 
Jusquino, Gio. Mottone [Mouton], TOchghen [Ockenheim] , Bru- 
mello [Brumel], Heinrich Isaac, Ludw. Senfel und viele Andere, 
welche ich mit Stillschweigen übergehe, da ich nicht die Pflicht 
übernommen habe, Alle zu nennen. Weil nun ein anderes ist, 
die Musik hinsichtlich des Tones zu betrachten, und ein anderes, 
sie nach ihren Notenzeichen zu setzen: so werde ich, wenn ich 
von jenen Musikern rede, welche den Klang durch Spekulation 
untersuchten und ihn in so und so viele numeri sonori, misti und 
dissonori schieden, sie immer mit ihren Eigennamen nennen und 
sagen Diodor, Amphion, Boetius, Macrobius, St. Augustin u. a. ; 
aber wenn ich von denen zu sprechen habe, welche die Zahlen 
in Noten umsetzten, so werde ich immer sagen »die Alten [antichi.a^ 
und wünsche, daß man zu diesen Alten rechne: Jusquino, Gio. 
Mottone, Brumello u. a., welche die tönenden Zahlen [i numeri 
sonarCj unter musikalische Noten ordneten, und dieselben nicht 
verwechsle mit Denjenigen, welche die Gesänge so setzten, wie 
wir sie heutzutage zu singen pflegen, noch darunter Jene ver- 
stehen, welche den Ton bloß theoretisch untersuchten und ihn 
nicht auf genannte Art in Noten brachten. 

In ähnlicher Weise machen wir noch eine Unterscheidung 
zwischen Denen, welche die tönenden Zahlen als Schriftzeichen 
und Noten ordneten, und Jenen, welche sie [bloß] als Zahlen 
ordneten, indem sie allein im Auge hatten, auf wie viele Weise 
der Ton sich theilen läßt. Dadurch wissen wir, welche Kantilenen 
bei uns als alt zu gelten haben; denn von jenen Kantilenen, die 
in musikalischen Noten aufgezeichnet sind und zum Singen die- 
nen, werden wir sagen, daß alle diejenigen alt sind, welche von 
den oben genannten und andern ungenannt gebliebenen Autoren 



254 Friedrich Chrysander, 



komponirt wurden. Und ferner hat man, wenn ich vom Alten 
rede, immer diejenigen Männer und Kompositionen zu verstehen, 
welche zu jener Zeit vorhanden waren, als unsere Musik in Bliithe 
stand, und das war zur Zeit der oben genannten Männer (£ pero 
sempre cKio dirb antichi^ et compositione antiche s^hanno da inten- 
dere colorOj et quelle compositioni che furono a quel tempo che la 
Musica nostra fioriua che fu al tempo de quegt huomini, che sono 
descriiti qui dt sopra). Und man braucht sich darüber nicht 
zu wundern, daß ich diese Unterscheidung mache. Denn wenn 
ich bei Abhandlung der Musik jene Philosophen und Dichter, 
welche schon vor langer Zeit für Musiker gehalten wurden, unter 
den »Alten« verstanden wissen wollte, so würde ich die Kompo- 
nisten von musikalischen Noten mit demjenigen verwechseln, wel- 
cher Poesien und Reime verfaßte, oder mit dem andern, der den 
Ton nur in Bezug auf sein Verhältniß betrachtete und darüber 
geschrieben hat. . . [Zacconi unterscheidet nun die ganz alten Kompo- 
nisten des fünfzehnten und beginnenden sechzehnten Jahrhunderts 
von den älteren Tonsetzern seiner Zeit, und will die ersteren 
Anficht j die letzteren aber Vecchi genannt wissen.] . . . Also : die 
antiken Komponisten werden alle jene sein, die schon vor langer 
Zeit lebten und von denen man jetzt nur noch Spuren oder Ab- 
schriften ihrer Werke findet; die » Alten c( aber werden solche sein 
wie Adriano Vuilarth (Willaert], Morales, Ciprian [de] Rore, Zer- 
lino [Zarlinoj, Palestina [Palestrina] u. a., die später und zu unsem 
Zeiten lebten und die wir nicht anders nennen können, als Vecchi. 
Ebenso muß man nach ihrem Namen einen Unterschied machen 
(denn das ist nothwendig) zwischen den alten Kantilenen und den 
modernen, welch letztere die frischeren und neueren sind, deren 
Autoren noch heute leben oder die, sollten sie schon gestorben sein, 
doch [als Komponisten] jung geblieben sind trotz ihres Greisen- 
alters. Mit diesen Unterscheidungen werden wir sicherer vorgehen: 
denn beim Anführen der Antiken, der Alten und der Modernen, 
wissen wir dann gleich, was darunter zu verstehen ist«. (Fol. 7). 

Kapitel 10. 

Wodurch die Alten ihre musikalischen Effekte hervorbrachten. [Di donde eattauano 

gli antichi gli effetti suoi Musicali.) 

Die etwas schwerfällige Auseinandersetzung in dem vorigen 
Kapitel mußte nicht bloß deßhalb gegeben werden, um den Grad 
des Lichtes erkennen zu lassen, der unserm Autor die musikalischen 
Zeitalter erhellte, sondern namentlich auch wegen der in diesem 
Kapitel folgenden Mittheilungen, die sich daran schließen. Daß 



LodoTico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 255 



Zacconi von dem eigentlichen frühen Mittelalter und damit von der 
^wirklichen Ausbildung der heutigen Tonkunst ebenso wenig Ge- 
naueres weiß, wie von der Musikübung des Alterthums, wird jeder 
Leser bemerken. Er war hierin nicht klüger als seine Zeit. 

«Da sich Zustände und Zeiten ändern, wie wir sie fortwährend 
wechseln sehen, so müssen sich nothwendigerweise auch alle die 
Dinge ändern, welche in diesen Zeiten gemacht sind. Das zeigen 
uns so recht ihre Formen, welche sehr häufig schlechter werden, 
wenn nicht ganz, so doch zum Theil. Untersuchen wir nun, woher 
die Uralten (antichi) ihre musikalischen Effekte bezogen haben, 
so dürfen wir uns nicht wundern, daß sie mannigfach von denen 
der Modernen verschieden sind; denn die musikalischen Noten 
dieser Antiken waren auf andere Weise gesetzt, da sie nur ver- 
mittelst der Konsonanzen und harmonischen Zahlenverhältnisse 
fortschritten. Daher findet man eine sehr große Abweichung 
zwischen den Betrachtungen der Musik, wie sie Boetius, Amphion 
und Macrobius anstellten, und den harmonischen Dispositionen, 
welche Josquino und die andern Antiken machten; ebenso wie 
sich eine sehr große Abweichung findet zwischen den in alter 
Zeit gemachten harmonischen Dispositionen und den modernen. 
Denn obwohl im Allgemeinen dieselben Begeln und Konsonanzen 
zu Grunde liegen, sagt man trotzdem (weil nämlich die modernen 
Konsonanzen anders als die antiken disponirt sind), daß die Ur- 
alten ihre musikalischen Effekte hervor brachten vermittelst Fugen 
und anderer Hülfsmittel, welche sie immer nach ein und dem- 
selben Stile disponirten. Das zeigen uns ihre Werke, bei deren 
Singen wir stets dieselbe Art der Harmonie hören und die Em- 
pfindung haben, als gingen sie immer wieder dieselben Wege. 
Und das kommt nur daher, weil sie das Augenmerk allein auf 
die Inventiouen und die Verschiedenheiten der Fugen richteten, 
nicht sowohl um sie zu erfinden, als um sie geschickt zu weben 
und auszubreiten, nämlich durch die Verbindung von mehreren 
zusammen (wie man es in den Motetten von Gombert sieht), um 
ihre große Kunstfertigkeit in der Behandlung der tönenden Zahlen 
und Konsonanzen zu zeigen. Aber durch Adrian Willaert und 
Ciprian de ßore, jene so klugen und gelehrten Alten [veccht) in 
der Kunst, begann man allmählig andere und schöne Effekte zu 
erfinden. (Freilich waren ihre Werke nicht von Anfang an so 
bekannt und geschätzt.) Solcher Gestalt lernten die Modernen 
durch den Stil unserer Alten, so daß sie nun Musik setzten mit 
ziemlich von den Antiken verschiedenen Effekten. Denn außer 
den Inventionen wurden Verzierungen erfunden, die zu jener Zeit 



256 Friedrieh Chrysander, 



noch nicht entdeckt waren, und wenn bereits einige wenige ent- 
deckt wurden, doch noch nicht allgemein bekannt waren. Denn 
die Absicht dieser Uralten zielte auf nichts anderes, als auf Fugen 
und Tonverbindungen ; man fand Vergnügen daran, einen Einfall 
bis zu Ende auszuspinnen ohne weiter auf Verzierungen und Ver- 
schönerungen Bücksicht zu nehmen. In der That habe ich mit 
alten Musikern Rücksprache genommen, welche in ihrer Jugend 
berühmte Sänger und bedeutende Komponisten gekannt haben, 
die damals die Kantilenen sangen, wie sie in den Büchern ge- 
schrieben standen, ohne ihnen auch nur den kleinsten Accent zu 
verleihen oder irgend eine Verzierung beizufügen. Denn sie waren 
auf nichts anderes gerichtet, und nichts anderes beabsichtigten sie, 
als reine und einfache Modulation, aus welcher nichts als der 
einfache und reine harmonikale Effekt entstehen konnte, erzeugt 
durch gute, auf verschiedene Art angeordnete Konsonanzen, ob- 
gleich sie im Anordnen derselben nicht jene vollkommenen Regeln 
hatten, wie wir heutzutage. Und deßhalb können wir sagen, daß 
die Antiken ihre musikalischen Effekte nur durch ihre reinen 
und einfachen Inventionen hervor brachten. (Ma poi col tetnpo 
per opera (TAdriano Vuilarthj et di Ciprian Rore, che furono quei 
Vecchi nella professione si intelligentij et dotti, s'incomincid a ri- 
trouarsi altri nuoui, et vaghi effetti: (se bene Vopere loro non 
furono cosl da principio conosciute ^ et stimate;) talche hceuendo 
imparato i modemi dallo stile de nostri vecchi campongano hora 
Mtcsiche con effetti assai dissimili da gVantichi: perche oltra Fin- 
uentioniy si sono ritrouate vaghezzCy che a quel tempOj non erano 
scope7'te, et se pur erano qualche poco scoperte non erano conosciute : 
perche la mira loro non tendeua in altro, che ne gToblighi, nelle 
fughe, et nelle osseruationi: pigliandosi piacere di condurre un Ca- 
priccio sin al fincy non hauendo rispetto piu che tanto alle vaghezze^ 
et dolcezze. Anzi che io mi son trouato a ragionare con Musid 
vecchi, i quali in sua giotientü hanno conosciuto famosi cantori di 
quel fefnpoy et compositori d^importanza, che cantauano le cantilene 
come le siauano scritte sopra de libri, senza porgerli pur un minimo 
arcento, d darli qualche poco di vaghezza: perche non erano intenti 
ad altrOy ne ad altro attendeuano che alla pura, et semplice modu- 
laiione: dalla quäle non ne poteua riuscir altro che il semplice^ et 
puro effetto harmoniale: catutto per via di consonanze huone diuer- 
samente disposte, se bene nel desporle^ non haueano quelle perfette 
regole, et osseruanze che hora habbiamo noi; e perd possiamo dire 
che gTa7itichi non cauassero gleffetti Musicali suoi se non dalle 
piirCj et semplice loro inuentioni.Jvi (Fol. 7^.) 



LodoTico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 257 



Auch dieses kleine Kapitel habe ich ganz mitgetheilt, da es zu 
den historisch merkwürdigsten und gewissermaßen auch wichtigsten 
gehört. Von dem griechisch-römischen Alterthum absehend, theilt 
Zacconi die geschichtliche Entwicklung seiner Kunst nur in drei 
Perioden. Die erste Periode füllt er mit den » Antiken ((. Dies waren 
jene ehrwürdigen Meister um 1500, welche die spekulativen Zahlen 
der Griechen nach seiner Ansicht in d tönende Zahlen« und damit 
in wirkliche Noten brachten. Von ihren Werken hatte sich noch 
eine ansehnliche Menge erhalten^ aber für die Praxis waren sie 
so gut wie todt; Zacconi, ausschließlich ein Mann der Praxis seiner 
Tage, kannte sie fast nur noch von Hörensagen oder aus Büchern. 
Hinsichtlich ihres Vortrages glaubte er das, was ältere Zeitgenossen 
ihm erzählten. Diese Periode wurde seit und durch Willaert abge- 
löst von einer zweiten, die in einem neuen Frühling einen ganz 
anderen Flor der Musik zu Wege brachte, freilich damals auch schon 
größtentheils der dritten oder eigentlich modernen Periode hatte 
weichen müssen, aber doch noch in vielen großen Werken lebendig 
geblieben war. Zacconi's moderne Periode unterscheidet sich von 
dieser mittleren nicht im Wesen, sondern lediglich durch das zeit- 
gemäß Gefälligere, und würde von ihm wohl kaum besonders hervor 
gehoben worden sein, wenn er als Virtuose nicht so ganz und gar in 
ihr aufgegangen wäre. Dagegen ist seine Scheidung der ersten und 
zweiten Periode in »Antike« und »Altea geschichtlich so richtig, 
daß sie mehr als bisher beachtet zu werden verdient. In solchen 
Gruppirungen trifflt der jüngere Zeitgenosse gewöhnlich das Rechte, 
weil ihm diejenige Einsicht, welche wir uns erst durch Studium 
erwerben müssen, traditionell übermittelt ist. 

Dieselbe Tradition, die in der Entwicklung der musikalischen 
Formen das Richtige sehen läßt, verleitet aber erfahrungsmäßig zu 
Irrthümern, sobald es sich um die musikalische Praxis handelt. Ein 
solcher Fall liegt auch hier vor, und zwar ein sehr merkwürdiger 
und verfänglicher. Den Praktikern der jeweiligen Gegenwart wird 
die Musikübung einer um fünfzig Jahre zurück liegenden Zeit mehr 
und mehr unbekannt; handelt es sich aber gar um eine Entfernung 
von hundert und mehr Jahren, so beginnen die Formen völlig zu 
erstarren, so sehr, daß es als stilgerecht angesehen w^ird, die Werke 
in dieser Starrheit zu Gehör zu bringen, falls sie einmal aufgeführt 
werden. Zacconi würde nicht wenig verwundert sein, wenn er er- 
fahren könnte, welche Vorstellungen wir uns heute von dem ganzen 
Gebiete machen, auf dem er lebenslang wirksam war; wie wir es 
insgesammt als Palestrina - Stil ansehen und den Vortrag der be- 
treffenden Kompositionen als a capella-Gesang. Er würde ausrufen : 



258 Friedrich Chrysander, 



»Was Ihr da singt, das haben wir zu unserer Zeit niemals von -wirk- 
lichen Sängern vernommen, sondern nur von Stümpern; so hat der 
Komponist sein Werk nicht gemeint, auch nicht gehört, denn ein 
wahrer Sänger mußte bei uns noch etwas anderes können, als bloB 
die geschriebenen Noten singen«. Und derselbe Mann, der so ge- 
sprochen hätte, will uns hinsichtlich eines ihm fremden Gebietes 
denselben Irrthum einreden ! Er hat sich sagen lassen, daß die Musik 
vor Willaert so aufgeführt wurde, wie sie zu Buche stand, da die 
Ausschmückungen der Sänger noch nicht erfunden oder, wenn er- 
funden, doch nicht allgemein bekannt waren. Zacconi muß aber 
niemals daran gedacht haben, sich die Frage vorzulegen, was denn 
eigentlich an diesen Künsten zu erfinden gewesen wäre, wer sie 
erfand und wann es geschah: sonst würde er bemerkt haben, daß 
es auf diese Frage keine Antwort gab, da es sich in allen Perioden 
lediglich um neue, der veränderten Zeit und Kunst entsprechende 
Modifikationen einer uralten Praxis handelte. 

Von seinen Mittheilungen ist aber soviel richtig, daß die Kompo- 
sitionen der von ihm geschilderten ersten Periode, die wir jetzt die 
Zeit der früheren Niederländer nennen, von allen am wenigsten auf 
Sänger-Ornamente berechnet waren, weßhalb sie auch zu dem, was 
die Sänger freischaffend hinzu thun konnten, nur eine verhältniß- 
mäßig geringe Veranlassung boten. Dies wird der sachliche Grund 
gewesen sein, an den sich dann mit der Zeit jene irrthümliche Mei- 
nung heftete. 

Zu den inneren Gründen von der Un Wahrscheinlichkeit, ja Un- 
möglichkeit, daß die Kunst der freien musikalischen Ornamentik 
erst später im Dienst einer Zeitmode beliebig » erfunden a sein könnte, 
gesellt sich in diesem Falle noch der äußere Beweis durch Lehr- 
bücher, die sechzig Jahre vor Zacconi's »Pratticaa geschrieben sind, 
allen erwünschten Aufschluß gewähren und die Behauptungen unsers 
alten Sangmeisters recht drastisch widerlegen. 

Den schmucklosen korrekten Vortrag aufgezeichneter Kontra- 
punkte, welchen Zacconi seinen Antiken zuschreibt und worauf er 
in dem folgenden zwölften Kapitel zurück kommt, wollte Pietro della 
Valle im Jahr 1640 auch schon in Palestrina's Zeitalter, also bei 
Zacconi selber, entdeckt haben, und um 1800 fing man bereits an, 
sich ähnliche Vorstellungen hinsichtlich eines »würdigen« Vortrages 
der Händerschen Gesänge einzureden. Wie alle Dinge in der Welt, 
so drehen sich auch die Mißverständnisse im Kreise und lassen uns 
von Zeit zu Zeit immer wieder dasselbe Gesicht erblicken. 

Übrigens verweise ich auf Kapitel 34 (s. unten S. 266 — 68), wo 



Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 259 



Zacconi sich über die Stellung des Sängers zu den Kompositionen 
der Alt'Niedeiländei weit unbefangener und richtiger ausdrückt. 

Kapitel 12. 

Ob die modernen musikalischen Effekte dieselbe Kraft besitzen, welche die antiken 
hatten. {Se i moderni effetti Musicali hanno quella forza luiueano gli antichi.) 

»Jedermann kann sich selber vorstellen, nicht bloß aus täglicher 
Erfahrung von den Veränderungen der Dinge, sondern auch durch 
die eigenthümliche Wirkung der Musikstücke von einer Zeit auf 
die andere (um nicht zu sagen : von einer Stunde auf die andere) , 
daß die modernen musikalischen Effekte von den antiken ziemlich 
verschieden sind, sei es bezüglich der Kompositionen an sich 
selber, welche heutzutage in einem geschmückteren Stil abgefaßt 
werden, oder sei es bezüglich der graziösen Accente, welche ihnen 
die Sänger geben. Und um so verschiedener heben sich die moder- 
nen E^ekte von den antiken ab, als die Stücke von Irrthümern und 
Unreinheiten freier und in besserer Ordnung komponirt sind, da ja 
diese modernen Kompositionen mit größtem Fleiße und angestreng- 
tester Aufmerksamkeit auf die Wirkung, welche die Kantilenen 
auf den Hörer ausüben, nach den Regeln der Alten (veccki) auf- 
gesetzt werden. Wenn gute Sänger sie hervorbringen und mit 
großer Erfahrung ausführen, so zeigt es sich, daß die Wirkung 
der modernen Musikstücke die der antiken übertrifft, da man sie 
mit mehr Schmuck und Annehmlichkeit singt. (. . . per esser stato 
% moderni con le regole de Vecchi con grandissima dilegema^ et fissa 
attentione ad ascoltaf'e che effetto faccino le modulate canttlene; 
qtiando che da buoni cantori sono cantate^ etfattone di motte esperienze 
st tiene che gli effetti de le Musiche moderne superano gli antichi, 
perche sono con piu vaghezza, et dilettatione cantati.) . . . Vergleichen 
wir also die Wirkungen, die aus unsern heutigen Kompositionen 
resultiren, mit denen der antiken, so sage ich, daß die modernen 
viel anziehender sind, als die antiken, sowohl hinsichtlich der gut 
geordneten Konsonanzen wie auch hinsichtlich der guten Sänger, 
die sie vortragen. Man kann dabei noch die besondere Erfahrung 
machen, daß, wenn man eine Kantilene aus der Hand mittelmäßiger 
Sänger in die Hand berühmter und guter Sänger legt, diese Kompo- 
sition eine andere wird und nicht mehr dieselbe zu sein scheint. 

Hieraus können wir ohne weiteres folgenden Schluß machen: 
Voraus gesetzt, daß solche Sänger da sind, die bei guten Musik- 
werken die Wirkung verdoppeln, und voraus gesetzt, daß die mo- 
dernen Kompositionen nach vorzüglichen Kegeln gesetzt und von 
vorzüglichen Sängern, welche die zierlichen Accente und graziösen 



260 Friedrich Chiysander, 



Manieren beherrschen, vorgetragen werden — so haben diese 
modernen Kompositionen viel mehr Kraft, als die antiken, da ja 
die Sänger der früheren Zeit nur darauf Acht hatten, ihre Kanti- 
lenen gut zu singen und [in den vorgeschriebenen Noten] keinen 
Fehler zu machen, denn darin bestand ihre ganze Ehre und ihr 
Ruhm, während doch heutigen Tages der Ruhm und die Ehre 
eines guten Sängers nicht bloß darin erblickt wird, sicher zu sein, 
sondern auch mit Grazie und Accent zu singen. [Per che ü possi- 
amo senz^ altro concltiderej che essendo i cantori quellt i quali con 
Ig buone Musiche raddoppiano gVeffetti^ che essendo le Mtisiche mo- 
derne fatte con buonissime reg oh ^ et cantate da buonissimi cantori, 
patroni de gli accenti vagh% et delle grattose maniere, che le habbiano 
molto piu forza che non haueano Pantiche giä che i cantori di quel 
tempo, non attendeuano ad altro che a cantar bene le loro cantHene, 
et a non fallarle: perche in quello consisteua tutto il loro honore, 
et a lor gloria: come anco oggi giomo la gloria, et Thonore di vn 
buon cantore non solo consiste nelV esser sicuro cantante: ma anco 
nel cantar con gratia, et accentuatamente,)« (Fol. 8.) 

Der Gegensatz, welcher hinsichtlich der Ausfuhrung zwischen 
dem »Antiken« und »Modernen <( bestand, wird von Zacconi über- 
trieben, wie wir bereits wissen. Aber selbst nachdem dieses in Abzug 
gebracht ist, bleibt von seinen Darlegungen genügend übrig, um eine 
große Bedeutung beanspruchen und belehrend auf uns wirken zu 
können. Seine Schätzung der beiden, von ihm als antik und modern 
bezeichneten Gebiete ist im Ganzen auch die unsere, denn das Zeit- 
alter Palestrina's steht uns so hoch über dem Josquin's, daß letzteres 
fiir unser Kunstleben kaum etwas bedeutet und nur als historische 
Vorstufe gilt. Aber in der Abschätzung dessen, was den Hauptwerth 
der gepriesenen Kunst der zwei letzten Drittel des 16. Jahrhunderts 
ausmacht, stimmen die heutigen Ansichten mit denen des Zacconi 
schlechterdings nicht überein. Entweder also war der alte Sang- 
meister in Nebendinge verliebt, durch Äußerlichkeiten geblendet, 
oder wir befinden uns auf einem argen Holzwege. Die erstaunliche 
Gründlichkeit in allen Zweigen der musikalischen Kunst, welche 
Zacconi kund giebt, schützte ihn wohl hinreichend gegen Verflachung. 
Aber wer solches nicht als genügend beweiskräftig ansehen sollte, 
der bedenke, daß er nicht der einzige Tonlehrer war, welcher die 
Musik seiner Zeit in dieser Weise erklärte, daß andere musikalische 
Zeitgenossen von gleicher Gründlichkeit und gleichem Gewicht das- 
selbe lehren und zwar, was sehr bemerkenswerth ist, durchaus unab- 
hängig von einander in verschiedenen Orten und Schulen. Dieses 
einfach abzuweisen, ist unmöglich ; es kann sich nur darum handeln. 



LodoYico Zaeconi als Lehrer des Kunstgesanges. 261 



vor einer Erscheinung, die uns jetzt völlig neu ist, nicht die Äugen 
zu verschließen ; sondern den Sachverhalt genau zu erkennen und 
das Erkannte sodann praktisch zu verwerthen. 

Kapitel 23. 

Von dem Alter der Musik und ihren Erfindern. (Della anticküä deüa Mustca et 

suoi intientori.) 

In diesem Kapitel faßt Zaeconi das zusammen, was er hin und 
wieder über das Alter und die Entwicklung der Musik äußert. Er 
ist auch hier Praktiker, der sich an das Handgreifliche hält, denkt 
daher sehr gering und sehr nüchtern über die musikalischen Wunder- 
dinge, welche aus dem Alterthum berichtet werden. Wer dem Jubal 
sowie der langen und glänzenden Reihe griechisch-römischer Musiker, 
Dichter und Philosophen die Erfindung der Musik zuschreibe, der, 
meint er, solle sich doch nicht bei den bloßen Namen begnügen, 
sondern auch einige ihrer Musikstücke zu sehen verlangen. 

4 Spricht man nun aber mit den Lehrern, welche heute leben, 
so wissen sie als älteste Beispiele und Proben von Musik nichts 
anderes aufzuweisen, als die Werke von Jusquino, Giovan Mottone 
und den Andern, welche zu jenen Zeiten lebten, d. h. in Summa 
innerhalb der letzten hundert Jahre. Das ist doch höchst wunder- 
bar und merkwürdig. Da uns der Ruf und das Andenken von 
Plato, Aristoteles, Anaxagoras, Socrates, Homer, Ovid, Yirgil und 
hundert Andern, welche an Profession verschieden waren, erhalten 
geblieben ist und erhalten bleiben wird, warum haben wir nicht 
auch ein Andenken sei es auch nur an einen einzigen Musiker 
jener Zeiten, wenn doch damals, wie man schreibt, auch Poeten 
waren? Erwähnt man doch sonst niemals die Wissenschaft, ohne 
einen hervor ragenden Lehrer aus ihr zu nennen; umgekehrt er- 
wähnt man niemals einen hervor ragenden Lehrer, ohne irgend ein 
beweisendes Beispiel seiner so großen Wissenschaft vorzuzeigen 
oder wenigstens zu erwähnen. 

Noch mehr. Wenn uns in den Werken und Schriften jener 
fähigen MUnner auch die Poesien derjenigen, welche Musiker ge- 
wesen sein sollen, aufbewahrt sind, warum erblicken wir in den- 
selben nicht auch ihre Musik noch? Wenn unsere jetzige Musik 
schon in jener Zeit vorhanden war, warum wissen wir nichts von 
ihrem Stil oder welcher der berühmteste und erlesenste gewesen 
ist ? Dieses Nichtfinden beweist deutlich, daß die Musik jener Zeit 
nur darin bestand, die Gedichte abzusingen, oder, wenn doch die 
Stimmen in 2, 3, 4 sich gruppirten, daß sie dann zu einer Konso- 
nanz vereinigt wurden nur durch natürliche, nicht durch künstliche 



262 



Friedrich Chrysander, 



Thätigkeit. Man sieht das noch sehr gut im Sommer an den 
Schnittern auf dem Felde, oder bei Andern in andern Beschäf- 
tigungen, welche nicht wissen, was Musik und harmonisches Singen 
ist und dennoch harmonisch singen, einen lieblichen Zusammen- 
klang zu Stande bringen und eine anmuthige Harmonie erzeugen. 
Ebenso auch, wenn eine Menschenmenge das Lob ihrer Götter 
oder irgend einer heroischen Person sang, mußte sie ohne Kunst 
und Kenntniß der Wissenschaft sich in einer Konsonanz vereinigen. 
Denn es scheint mir das bedeutungsToU, daß man zwar allerwärts 
die Werke des genannten Jusquino, Giovan Mottone u. a. antrifft, 
aber nirgends eine Abschrift oder Probe, sei es auch nur zum 
Gedächtniß oder gewissermaßen als Reliquie, von den alten Sachen, 
die doch wenigstens um 50 oder 100 Jahre früher waren. Die 
da aber sagen, daß Mercur. Macrobius, Lucianus, Diodor, Boetius 
und St. Augustin mit all den Andern über diese Musik geschrieben 
hätten, täuschen sich gewaltig und nehmen einen großen Irrthum 
für Wahrheit. Denn wenn Einer einzig und allein jene Werke 
zehn Jahre lang studiren wollte, würde er doch niemals komponiren 
lernen .... Will man komponiren, so muß man einen anderen 
Weg einschlagen und andere Pfade wandeln; kein Komponist, sei 
er auch noch so gelehrt [und bewandert in diesen alten Schriften] , 
wird behaupten können, durch ihr Studium die Fähigkeit des 
Komponirens erlangt zu haben. Denn all ihr Reden in arith- 
metischen Dingen und Ausdrücken mit ihren Divisionen, Ver- 
gleichen, Vervielfältigungen, Vereinfachungen, Dissonanzen, Ein- 
heiten u. s. w. hat so viel Ähnlichkeit unter einander, daß sie 
immer wieder dasselbe zu sagen scheinen. Wer das aber nun in 
[musikalische] That umsetzen will, der findet in all jenen Bänden 
keine Andeutung, wie man die Partien im Baß [grave] , Tenor 
[naturale) und Sopran [acuto) zu setzen hat, oder welches die Musik- 
noten sind, oder welches ihr Werth im Gemeinsamen oder Beson- 
deren ist, nebst allen übrigen Dingen, die man zum Komponiren 
nöthig hat. In diesem Sinne können wir sagen, daß die heutige 
Musik zu jenen Zeiten noch nicht vorhanden war, wenn man 
anders vermittelst des Gehörs (per raffion cPudtto) unterrichtete und 
begriff. Wir müssen glauben, daß es nun unter ihnen Einen gab, 
der das mehrstimmige Verssingen geordnet hat und es harmonisch 
ertönen ließ, und zwar nicht in unserer Ordnung, sondern in der 
einfachen Ordnung des Accordsingens ; und daß mit der Zeit 
Jemand angetreten ist, welcher, um die noch Ungeschickten und 
Plumpen singen zu lassen, die Erfindung machte, mit Schrift- 
zeichen zu unterrichten, und daß das menschliche ürtheil allmählig 



LodoYico Zacconi ala Lehrer des Kunstgesanges. 263 

gewissermaßen aus Nichts zu diesem Zustande empor gebracht 
wurde und zu dem jetzigen Wesen. Soll ich nun aber sagen, wer 
der Erfinder dieser Musik, die wir gegenwärtig haben, gewesen 
ist, und finde keine andere Erklärung als wie ich sie oben gegeben 
habe, so sehe ich mich schon gezwungen zu erklären, daß man es 
nicht weiß — wenn ich nicht auch, wie die Andern, auf poetische 
Fabeln verfallen will. Wir müssen also nach meinem Erachten 
glauben, daß die Alten, wenn sie ihre Verse sangen, mangels einer 
bestimmten Kenntniß beim Singen und Musiciren nichts anderes 
thaten, als die Sänger bloß vermittelst des Gehörs in die Konso- 
nanzen einfuhren, und daß mit der Zeit irgend Einer auftrat, 
welcher sie mit neuen Ordnungen und Kegeln lenkte, bis daß sie 
zu einem guten Ziele gelangten. 

Wenn mir also Dieser oder Jener auf Grund der alten 
Schriften sagen wollte, daß Boetius, Diodor, Anfion und di& Andern 
Musiker gewesen seien, so wird er mir doch niemals beweisen, daß 
sie Musiker von derjenigen Art waren, wie wir sie heute haben. 
Denn wenn Einer Verse und Keime zur Zither, zur Laute oder 
einem ähnlichen Instrument ohne Kenntniß des musikalischen 
Gesanges vorträgt, so können sich doch solche Leute nicht mit 
den Musikern der heutigen Zeit vergleichen. Ich meine also, daß 
jene Art Musiker zu ihrer Zeit einfach die Dichter waren oder 
solche, die ihre Reime sangen, wie wir ähnlich sagen könnten, daß 
Dante, Petrarcha und Ariosti sich zu den Musikern rechnen müßten, 
weil sie Keime und Gedichte machten. Aber der eigentliche Sinn 
dieser Bezeichnung erstreckt sich heutzutage nicht mehr so weit, 
daß man unter Musik etwas anderes verstehen müßte, als jene 
Harmonie, welche die Stimmen erzeugen, wenn sie nach den 
musikalischen Gesetzen und Kegeln diese und jene Werke der 
Komponisten singen (cantano queste, et quelle compositioni da com-' 
positori composte). 

Und Diejenigen, welche sagen, daß unsere heutige Musik 
schon die möglichste Vollendung erreicht habe, täuschen sich und 
begehen in der Täuschung einen großen Irrthum. Denn wollen wir 
etwa glauben, daß die Zeitgenossen von Ockenheim , dem Lehrer des 
Jusquino, und die Zeitgenossen von Josquin selbst, Gio. Mottone und 
die andern berühmten Musiker, im Hinblick auf die erreichte Stufe 
und Vollendung nicht auch hätten sagen müssen, daß es unmöglich 
wäre, die Musik zu noch größerer Vollkommenheit zu bringen? 
Und dennoch scheint uns die moderne Musik viel schöner und lieb- 
licher zu sein, als die ihrige. So werden denn auch mit der Zeit 
Andere noch wieder andere Mittel finden können, durch die neuen 



264 Friedrieh Ohrysander, 



Veränderungen und Verschönerungen, die sich von Zeit zu Zeit ein- 
stellen ; und auch sie werden dann [von ihrer Zeit] behaupten, was 
wir jetzt [von der unsrigen] sagen. Das kommt doch bloß daher, 
daß, wenn wir die Musik noch mehr zu verschönern wüßten, wir sie 
auch verschönem würden, um sie zu vervollkommnen; aber weil 
wir neue Mittel dazu nicht sehen, scheint es uns, als ob man es über- 
haupt nicht machen könnte. Trotzdem ist es nicht unmöglich, da 
es ja auch uns nicht unmöglich gewesen ist, die Musik so zu ge- 
stalten, wie sie sich jetzt vorfindet. (Ei quellt che dicano che questa 
nostra Musica sia ridotta a tutta quella perfettione che si pud mai 
ridurre: assai sHngannano^ et nelF triff anno commettono tutto Terrore: 
perche vogliamo not credere che coloro cKerano al tempo dt Giouan 
Ogkechem che fu maestro di JtMquino, et al tempo d'esso Jtisqnino^ 
Giouafi Moitone e gli aliri famosi Musici vedendola esaer ridotta 
a quel termtJie, et perfettione^ ancor loro non douessero dire che non 
fosse possibilc di poterla ridurre a miglior perfettione? et nondimeno 
la Musica moderna ci pare molto piu vaga, et molto piu soave che 
non € la loro, Cosi col tempo potranno altri, altre piu vaghe vie 
trotuire, per le nuoue varietäj et vaghezze che di tempo in tempo si 
ritrouanOf et ancK essi dire qtAello che hora diciamo noi; e questo 
non per altro solo perche se noi conoscessimo di poterla piu inuaghire, 
piu T inuaghiressimo per renderla piu perfetta ; ma non vedendoci 
altra via, ci pare che non vi si possi far^ altro, pur non e impossibile, 
si come a noi non e stato impossibile di farla tale quäl hora la se 
ritroua essere.)« (Fol. 12^—13^.) 

Die AeuBerungen in diesem ganzen Kapitel sind höchst beachtens- 
werth und wichtig, aber das in dem letzten Absätze Gesagte über- 
trifft alles Vorhergehende. Die ersichtliche Vorliebe, mit welcher 
Zacconi der Kunst seiner Zeit ergeben war, hinderte ihn also nicht, 
den freiesten Standpunkt einzunehmen und die Entwicklung seiner 
Kunst weitblickend zu überschauen. Solches geschah von ihm nicht 
im Charakter jener schwankenden Geister, denen es leicht wird, aus 
einer Zeit und Richtung in die andere hinüber zu schweben, weil 
sie nirgends einen festen Halt besitzen: sondern eben als fest ge- 
wurzelt in der Kunstpraxis der damaligen Zeit bildete er sich diese 
Ansichten, und das verleiht seiner Anschauung erst ihr eigentliches 
Gewicht. Er steht deßhalb vor uns als eine abgeschlossene Gestalt 
ohne Einseitigkeit — eine ebenso seltene wie werth volle Erscheinung. 
Lag ihm nun fern, der Zukunft die Thore zu versperren, so war 
es doch andererseits für ihn unmöglich, den nächsten selbständigen 
Schritten der Musik lebhaft zu folgen oder sie überhaupt nur zu be- 
merken. Dies ergab sich in nothwendiger Folge aus der Stellung, 



Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 265 



welche er als Künstler einnahm. Man würde Unrecht thun, solches 
Einseitigkeit zu nennen, denn einseitig ist nur, wer das, was vom 
Eignen abweicht, hemmt und bedrückt, und so etwas hat Zacconi 
nie gethan. Aber bei der für ihn charakteristischen, aus seinem 
Künstlerthum sich ergebenden Nüchternheit, mit welcher er auf das 
Alterthum blickte, war von selber ausgeschlossen, daß er der Schaar 
jener Schwärmer beitreten konnte, die eben damals mit vollem Feuer 
am Werk waren, die altgriechische poetisch -musikalische Kunst 
wieder zu erneuern. Denn das Alterthum der musikalischen Kunst 
Zacconi's lag nicht in Hellas und Rom, sondern in den Komposi- 
tionen des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts, und diese waren 
ihm keineswegs das höchste zu erreichende Ideal, sondern nur ein 
geglückter richtiger Anfang und eine rühmliche Vorstufe auf dem 
fortschreitenden Wege zur Vollkommenheit. 

Kapitel 34 
bespricht die acht Notenzeichen, welche bei der Niederschrift der 

Kompositionen im Gebrauch waren: ö cj ti ^ J J / #^. 
Die Alten bedienten sich durchweg der größeren Notenfiguren. 
Aber es kamen im Vortrage noch kleinere Zeitwerthe zum Vor- 
schein, als auf dem Papier standen. 

»Obwohl man jetzt das Zweiunddreißigstel findet, gebildet als 
Hälfte des Sechzehntel, um dieses zu theilen, und obwohl* es noch 
wieder seine Untertheilung hat, so ist das kein Zufall, noch durch- 
bricht es die Ordnung oder untergräbt die Regel, daß es nur acht 
Noten giebt. Denn dieses Zweiunddreißigstel ist für den Gebrauch 
des Spielers erfunden worden und den Noten angefügt, da er mit 
den Händen auf den Instrumenten bedeutend mehr Noten der 
gewöhnlichen Sorte in einem Takte ausfuhren kann, als ein Sänger 
mit der Stimme. Die Noten andererseits waren zum Gebrauch der 
Stimme erfunden, so viel man sieht, und man muß glauben, daß 
sie mit Hülfe der Stimme dann bei den Instrumenten Anwendung 
fanden. (. . . . attento che questa Bischroma e stata ritrouata per 
U80 del sonatore, et alle figure aggionta, potendo egli con le mani 
SU gtinstrumenti assai piu ßgure delP ordinarie in vfi tatto condurre 
che non pud far con la voce vn cantore : et le ßgure furono trouate in 
seruitio della voce a quel che si vede: et si deue credere che per mezzo 
della voce si sieno poi ritrouati [da] grinstrumenti,) Denn während 
ihr Erfinder noch glaubte, daß die Töne bis zum Sechzehntel ge- 
theilt und gebrochen werden könnten, legten sie ihm doch eine 
Grenze auf, so daß man, wie man sieht, sagen kann, daß die letzten 
1893. 18 



266 



Friedrich Chrysander, 



[und schnellsten] erst vor kurzem erfunden worden sind. Denn 
jene Alten gebrauchten nur vier. Diese vier Noten, die ich meine» 
sind die sogenannten größeren Noten, und man begann sie zu 
theilen, weil sie wegen der langen Zeitdauer, die sie in sich hielten 
und aushielten, den Ausführenden wie den Zuhörern Langeweile 
und Überdruß erregten. Als man also merkte , wie viel Vergnügen 
ihre Untertheilung darbot, schied man sie in so viele Theile, als 
für die menschliche Stimme hinreichend waren. Daher müssen 
wir glauben, daß man die durch die Theilung der Hauptnoten ge- 
botene Gelegenheit aufgriff und . . . theilte, bis die Sänger ver- 
anlaßten, die Theilung bei den Sechzehnteln zu endigen. Trotzdem 
— wenn auch heute, wohl zum Glück für gute Sänger, die größeren 
Noten von den Kompositionen und Kantilenen fast ausgeschlossen 
sind — will ich doch nicht unterlassen , auf ihren Werth hinzu- 
weisen; denn wenn man auch glücklicherweise jene vier letzten 
Noten, die sogenannten gebrochenen, kleineren und getheilten, 
singt, soll man doch auch die vier ersten sogenannten Haupt- oder 
größeren Noten noch ohne Furcht singen können .... (Fol. 22**.) 
Jene beiden Noten, Sechzehntel und Zweiunddreißigstel, wer- 
den in den Gesangs-Kompositionen nicht gesetzt aus Rücksicht auf 
die Schwerfälligkeit träger Sänger , weil es der menschlichen Stimme 
wegen des Athemholens schwer fällt, sie unter einem Takte zusammen 
zu fassen. Dennoch giebt es Sänger, welche durch die Kraft ihrer 
glücklich beanlagten Kehlen sie mit Leichtigkeit singen kdnnen. 
Aber besser ist es, sich ihrer nur als Verzierung der Kantilenen statt 
als wesentliche Noten zu bedienen. Denn wenn man die Leichtigkeit 
bezüglich des Sängers [d. i. den Grad seiner Befähigung für den Vor- 
trag der Kompositionen] kennte, würde man sie bequem anwenden 
können je nach Belieben ebenso wie die andern, die leicht sind; 
aber da das nicht der Fall ist, muß man sie auslassen. Auf leichte 
Ausführung achteten die Alten sehr wohl, damit ihre Kompositionen 
den Sängern bequem seien. Und in demselben Maße, wie sie 
sich der Hauptnoten mehr als der kleineren Noten bedienten, weil 
sie [damals im Vortrage überhaupt] schneller waren, achteten sie 
auch wieder vorzugsweise auf die Lieblichkeit und Süßigkeit der 
Konsonanzen mehr als auf die Ausschmückung und Verzierung der 
Kompositionen. Denn sie wurden angeregt entweder durch die 
Vorlagen der Choralgesänge, der sogenannten Canti fermi, oder 
durch sonstige besondere Vorwürfe [oder musikalische Themen], 
wie ihre Werke solches deutlich zeigen. [Queste due figure Semi-- 
chromay et Bischroma non si pongano nelle compositioni da cantare, 
per rispetto della inhabilitä del pigro cantore; per docke lo stringerle 



Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 267 



sotlo dt vn tattOj alla voce humana e difficile^ per causa delV aspira- 
tione del fiato\ nondimeno et sono anco de cantanti che per vigore 
delle loro felice gorgie con facilitä le potrian cantare: ma meglio e 
dl seruirsene per ornatnento delle cantilene che per ßgure essentiali: 
perche se st conoscesse facilitä rispetto al ca?Uante , le se potriano 
adoperare commodamente, et a piacere come si adoperano Valtre che 
li sono fädle: ma non essendo y si dehbano lasciar stare, Alla cui 
facilitä assai mirauano gVantichi, accioche le compositioni loro fossero 
commode a i ca?itori. Et piu si seruiuano delle ßgure principali che 
deir altre inferiori^ per causa che erano piu intenti, et piu rimirauanOy 
alla soauitäy et dolcezza delle cofisofianze , cKalla vaghezza^ et oima- 
tnento delle Musiche: perche d cK* erano mossi da gVinuiti de canti 
Chorali detti canti fermi; ouero da subietti particolari come Vopere 
loro chiaramente ne lo dimostra,)^ (Fol. 23*.) 

Im zwölften Kapitel des zweiten Buches widmet Zacconi diesem 
Gegenstande abermaJs einige treflFende Worte, indem er sagt: Wenn 
nun die Tonsetzer auch kleinere Noten als Achtel in ihren Kompo- 
sitionen nicht ausschrieben, so würden solche doch von den Instru- 
mentisten und kolorirenden Sängern [i sonatori et i gorgheggianti) 
gebraucht, und man könne sie nicht aus dem Bereiche der Noten- 
zeichen verbannen, sondern müsse sie konserviren zur Erhaltung der 
Freiheit für die musikalische Wissenschaft, die sie alle wie eine 
Mutter umarme und für jede passende Gelegenheit bereit halte [per 
conservatione della libertä della scienza Musicale, la quäle Tabbraccia 
iutte come madre et le conserua per ogni sorte di occasione, necessitä, 
et bisogno). (Fol. 94 ^) 

Was Zacconi S. 266 als Ursache angiebt, warum die kleinsten 
Noten nicht in die Komposition eingetragen, sondern dem freien 
Vortrage überlassen wurden, ist richtig, nur nicht ganz ausreichend. 
Man würde auch diese kleinen Noten aufschreiben können, meint er, 
wenn die Fähigkeit des betreffenden Sängers zu errathen wäre. Aber 
ich führe seinen Gedanken nur weiter aus, wenn ich hinzu setze, 
daß es unmöglich ist, diese Fähigkeiten im voraus zu kennen, ein- 
mal, weil es sich hier nicht nur um einen einzigen Sänger handelt, 
sondern um zahllose Virtuosen aller Orten und Zeiten, und sodann, 
weil der einzelne Sänger sich nicht immer gleich bleibt, sondern in 
verschiedenen Lagen und Stimmungen ein anderer ist, stets aber das 
Recht besitzt, den individuellen Moment in seinem Vortrage auszu- 
prägen. Darin ist es hauptsächlich begründet, daß der ornamentale 
Schmuck der Musik nicht von den Tonsetzern ein für allemal gültig 
aufgezeichnet werden kann. 

Hieran schließt er eine Bemerkung über die gesangliche 

18* 



2 (58 Friedrich Ghrysander, 



Einrichtung der Kompositionen um 1500, welche geeignet ist, seine 
zu weit gehenden Behauptungen über denselben Gegenstand Seite 256 
zu ergänzen und einzuschränken. Behauptete er dort, jene o Alten« 
hätten ihre Musik ganz ohne freie Verzierungen singen lassen, so 
drückt er sich hier weit besonnener und richtiger aus; denn daß sie 
die Ornamente der Sänger weniger in Betracht zogen und denselben 
einen bescheideneren Spielraum gewährten, als die Späteren, habe ich 
bereits oben S. 258 angedeutet. Zur Erklärung der Fassung, welche 
die Alten ihren Kompositionen gaben, weist Zacconi auf die An- 
regungen hin, die sie von bekannten geistlichen und weltlichen 
Melodien empfingen. Man kann noch hinzufügen, daß ihre in 
schnellerem Tempo vorgetragenen Kontrapunkte bereits viele Gänge 
und Manieren ausgeschrieben enthalten, welche später die Sänger frei 
zu machen pflegten. Weiter können wir uns an diesem Orte auf 
jene Gesangsweise der Alt-Niederländer nicht einlassen. 

Kapitel 45 

bespricht denselben Gegenstand insofern noch etwas weiter, als hier 
angegeben wird, wie bei den geschwärzten Noten, seien sie nun mit 
den weißen in Ligaturen verbunden oder frei stehend, die Sänger 
den Werth erkennen und sich zurecht finden können. Bei Noten wie 




^ j J' f-^^ ^ ^>-^-4 



wissen gar Manche nicht, sagt er, wie viel jene geschwärzte Brevis 
gilt, wenn sie nicht vorher die Takte berechnet haben, und doch 
kommt sie bei alten und neuen Tonsetzern nicht selten vor; z. B. 
Morales gebraucht sie in der ganzen Messe Quem dicunt homines so, 
wie im obigen Beispiel, von vier Achteln gefolgt, woraus man denn 
auch leicht ersehen kann, daß sie nichts anderes als eine punktirte 
Semibrevis [<^') ist. In diesen geschwärzten Longen und Breven 
steckt viel Irreführendes fiir den Sänger. Der größte Theil der Liga- 
turen war aber damals schon aufgegeben, um eine leichtere Beweg- 
lichkeit zu erzielen und auf jeder kleinen Silbe eine beliebig große 
Anzahl von Noten singen zu können. Die einstmals so wichtigen 
Ligaturen sind in der Musik doch auch nicht die Hauptsache. 
)>Denn die Kunst der Komposition besteht nicht in den Ligaturen 
und noch weniger in der Verschiedenheit der [schwarzen oder weißen] 
Noten, sondern in der Verschiedenheit der Gedanken, in der Erfin- 
dung der Fugen, in der Begleitung der Theile [oder Ordnung der 



Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 269 



Stimmen] und in der Fähigkeit, immer die eigentlichen und natür- 
lichen Stellen der Kadenzen zu finden.« (Fol. 33*.) 

Kapitel 49. 

»Alle Thiere haben das von Natur, daß sie, wenn sie sich in 
schlechter Lage befinden, es mit der Stimme anzeigen und zu ver- 
stehen geben können; auch wenn sie erzürnt oder fröhlich sind, 
thun sie es kund. Denn wenn es ihnen schlecht geht, hört man 
eine rauhe, schmerzliche Stimme bei der Angst und den Leiden 
des Herzens, worauf jeder Schmerz sich bezieht; und wenn sie 
fröhlich oder zornig sind, so zeigen sie es durch eine heitere oder 
geräuschvolle Stimme an. 

Ebenso haben auch die Menschen, wenn sie krank und 
schwach sind, eine ganz andere Stimme, als wenn sie gesund sind. 
. Von diesen Verschiedenheiten der Stimme, glaube ich, haben die 
Musiker den Modus genommen, die Kantilenen süß, munter oder 
traurig zu setzen, in Nachahmung eines Menschen, der wehklagt 
oder scherzt oder fröhlich ist, und sie haben dann mit Aufmerksam- 
keit der Wirkung des bmolle und des bquadro gelauscht. Und 
vermittelst dieses b quadro und b moUe haben sie die Gesänge bald 
süß , bald rauh gesetzt. Denn überall , wo b moUe steht , werden 
die Gesänge so süß und zart, daß Alles uns mitleidig und weich 
stimmt; und wo bquadro steht, da werden die Gesänge so rauh, 
daß ihre Rauheit uns gewissermaßen quält. — Das b quadro dient 
den Gesängen von Natur, und das bmolle als Accidens oder zum 
Transponiren«. . . . (Fol. 36*.) 
Die folgenden ausführlichen Belehrungen über das Hexachord, den 
Gegensatz von Natural und Accidental sowie den Grund und Ort 
des Halbtons fdiesisj übergehen wir, da sie uns zu weit vom Wege 
abfahren würden. Dieselben verdienen aber eine gesonderte Be- 
trachtung. 

Kapitel 54. 

Einige schwierige und wenig gebräuchliche Gänge. 

Von solchen Raritäten führt er sieben Beispiele an, deren Noten 
hier ohne seine erklärenden Worte folgen. Die großen Sprünge in 
den letzten dieser Beispiele waren damals sehr ungewöhnlich und 
jenem Stil auch wenig angemessen. 



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270 



Friedrich Chrysander, 



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(Jac. Obiecht: Messa Atc regina, im Agii\i8 Dei.) 



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(Josquin: Messa La sol fa re mi, im Credo.) 

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(Jaces Worth: Madrigal Solo pensoso.) 



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(Fol. 43.) 

Kapitel 57. 

In wie vielen Weisen kann man eine einzige Komposition singen? 

»Diejenigen Dinge, welche die intimsten, geheimsten und ver- 
borgensten sind, erscheinen bei ihrer Aufdeckung auch am wunder- 
barsten und erstaunenswerthesten. 

Wenn wir nun reiflich untersuchen, so werden wir wenige 
Dinge finden, welche in sich nicht irgend ein besonders verborgenes 
Geheimniß haben, und finden wir nun wenige Dinge von Geheim- 
nissen frei, so müssen wir noch viel mehr glauben, daß die Musik 
nicht frei davon, sondern sehr damit angefüllt und belastet sei. 
Schon bisher haben wir viele aufgedeckt, und noch weiterhin ist 
bei passender Gelegenheit zu erwähnen, daß in der Musik, wie wir 
sie täglich singen, Geheimnisse sind, die nicht von Allen genügend 
gekannt, Terstanden und gesehen werden. Denn der Sänger, der 
nur Obacht auf den [mitwirkenden] Sänger hat, kümmert sich 
nicht darum oder glaubt es vielleicht nicht einmal, daß unter den 



Lodoyico Zacconi als Lehrer des Runstgesanges. 



271 



Dingen die ihm vor Augen oder in den Händen sind, ein Ge- 
heimniß steckt, welches man ohne die Kunst und Kenntniß des 
Komponirens verstehen und enträthseln kann. Ich spreche nicht 
von den Geheimnissen heim Studium derjenigen Gesänge, welche 
man in verschiedenen Taktarten aufgezeichnet hat, noch weniger 
von denen, die unter den Bezeichnungen der Modi und Prolationen 
gesetzt sind; denn obwohl diese Art Gesänge oft genug die Stirn 
auch manches guten Sängers schwitzen macht, so haben doch die 
Kantilenen in sich keinerlei verborgene Geheimnisse, da jede Note 
imter bestimmten Regeln aufgestellt wird und diese Regeln öffent- 
lich und allgemein bekannt sind. Die Gesänge sind also auch 
öffentlich und offenbar. 

Kann man also nicht sagen, daß genannte Zeichen, Zahlen 
und Modi Geheimnisse sind, so finden sich doch in der Musik 
genug Geheimnisse ohn^ irgend ein [äußeres] Anzeichen. Die Ge- 
heimnisse, die ich meine, sind zweierlei Art: eine, welche der 
Komponist bei seiner Thätigkeit an verschiedenen Stellen, so zu 
sagen, verborgen hat, wenn er einen Theil von vorn, den andern 
umgekehrt vom Ende aus singen läßt, oder wenn ein Theil singt 
wie geschrieben steht und der andere nur die Noten unter Weg- 
lassung der Pausen, oder wenn er alle Noten von verdoppeltem 
Tempo wegnehmen und nur die andern von dem Takt der Media 
übrig läßt. Die andere Art [der Geheimnisse] ist diejenige, welche 
von Natur in den Partien [der Ausführenden] liegt nach dem Wil- 
len und Belieben jedes scharfsinnigen und spekulativen Sängers. 
Die erste Art gehört den Meistern der Kunst und den Musikern 
von Profession, die zweite allen Liebhabern des Gesanges. 

Ferner muß man wissen, daß jeder Sänger jede beliebige 
Komposition variiren kann, ohne den Werth der Noten zu ändern, 
nicht in einerlei Art, sondern, wenn er will, in verschiedener Weise. 
Das geschieht jedes Mal, wenn die Kantilenen, welche man [sonst] 
in richtiger Folge singt, verkehrt gesungen werden, d. h. wenn 
die aufsteigenden Noten der genannten Kantilenen dann umgekehrt 
absteigen , oder wenn die absteigenden aufsteigen : nicht anders, 
als ob das Buch, aus welchem gesungen wird, umgedreht wäre 
oder derjenige, der das Singebuch in der Hand hält, es verkehrt 
hätte, so daß die Stimme, wenn die Noten in die Höhe gehen, 
sinkt, und dagegen sich erhebt, wenn sie abwärts gehen. So können 
die Sänger mit geringen Mitteln den Zuhörern einen neuen Ge- 
sang vortragen und die Harmoniefolge ändern. Aber man muß 
darin Meister sein und die kleinen und kurzen Regeln befolgen, 
daß man bei solcher Umkehrung la singt statt ut, und sol statt re. 



272 



Friedrich Chrysander, 



und mi statt fa^ indem man [zugleich] von den Außenstimmen eine 
mit der andern vertauscht, d. h. das, was der Baß singt, dem 
Sopran giebt, und umgekehrt die Baßstimme singen läßt, ^vras 
im Sopran steht, und dabei Tenor in Alt oder Alt in Tenor um- 
setzt. So wird man eine bewundernswürdige Wirkung erzielen 
und vollkommene Befriedigung daran finden.« 

Freilich nicht bei allen Gesängen, setzt er hinzu, sei dieser 
Efiekt der Umkehrung möglich, solche Versuche könnten daher auch 
oft nicht anders als unschön und mißklingend ausfallen. Zacconi 
giebt dann von dieser Sänger- Geschicklichkeit ein hübsches und kurzes 
Beispiel, welches ich hier mittheile. 



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Lodovico Zacconl als I^ehrer des Kunstgesanges. 



273 



Die Umkehrung dieses Gesanges erhält nach den obigen Regeln 
folgende Gestalt. 



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(Fol. 47— 48^) 



Aber auch noch auf andere Weise, sagt er, kann man eine und 
dieselbe Kantilene verändert vortragen und dadurch verschiedenartige 
Zusammenklänge erzeugen. Namentlich könne man jede Kantilene, 
so schwer sie auch sei, vom zweitheiligen auf das dreitheilige Maß 
übertragen, »und dies — setzt er hinzu — ist meine hauptsächliche 
Absicht bei Abfassung des gegenwärtigen Kapitels gewesen.« Auf 
die Auseinandersetzung und die ausführlichen Beispiele, mit welchen 
er dieselbe erläutert, können wir hier aber nicht weiter eingehen. 



274 Friedrich Chrysander, 



Kapitel 58. 

Lehrt uns die Natur singen, oder die Kunst? {Se la Natura h VArte c*%ruegn4X a 

cantar di Musica.) 

»So sehr ist es dem Menschen eigenthümlich , zu singen, da.ß 
man es fast unter die unausbleiblichen Ereignisse rechnen kann. 
Bei einer häufigen Betrachtung der menschlichen Natur gerade 
nach dieser Richtung hin nimmt es mich wunder, wie doch die 
Natur so anmuthig zum Singen neigt. Denn es giebt keinen 
Menschen, der, von einem natürlichen Verlangen getrieben, nicht 
einmal sänge oder gesangsähnliche Töne von sich gäbe. Das 
kommt nur daher, daß er bei der Sprachfähigkeit im Sprechen 
merkt, daß sein Sprechen klingt; und wenn dieser Klang ertönt, 
ist er nicht dem Klange der Glocken ähnlich, der von seiner Ton- 
höhe niemals abweicht, einem beweglichen und dehnbaren Klange, 
welcher sich hebt und wieder senkt, zum Forte aufsteigt und dann 
sich wieder mäßigt, rauher oder sanfter und süßer wird? Auf 
diese Weise ordnet die Rede ihn nach Klangstufen und, unter- 
schieden von der Rede, wird er zum Gesang übergeführt, so daB, 
um es kurz zu sagen, die Natur diejenige ist, welche uns singen 
lehrt, indem sie die Stimme in anderer Weise, als beim Sprechen, 
sich erheben läßt. Aber durch bloße Ueberleitung der Stimme 
zjim Gesang lehrt sie uns noch nicht Musik singen, denn die Musik 
ist eine Wissenschaft und Kunst, die man sich nur durch Übung 
erwirbt und uns keineswegs schon von Natur eingepflanzt ist. 
Dabei sieht man, wie groß der Unterschied ist zwischen Gesang 
und Musik, denn der allgemeine Name des Gesanges umfaßt 
sämmtliche harmonische Musik, aber unter der Bezeichnung Musik 
sind keineswegs alle vorhandenen Gesänge zu verstehen, da es 
deren viele giebt, welche keinerlei Harmonieform haben, wie das, 
was die Kinder zuweilen bei ihren Belustigungen in kindischer 
Weise nach Natureingebung singen. 

So müssen wir bei der Frage, ob die Natur oder die Kunst 
uns Musik singen lehrt, wissen, daß die Natur uns den Gesang 
gewährt, aber die Kunst es ist, welche, eine ähnliche Ordnung 
einhaltend, uns den Weg weist, den Gesang in die Form der 
Harmonie zu bringen, — nicht mehr und nicht weniger, als wenn 
einer zum Sprechenlernen keinen Lehrer hätte, denn so groß er 
auch wäre, wüßte er doch nicht einmal Brod zu fordern oder an- 
dere Dinge von noch größerer Bedeutung, trotz einer freien Zunge 
und zum Wortbilden geschickten Stimme. Denn wenn unser 
Sprechen nicht von der Kunst käme und erworben wäre, würden 
wir alle [Völker] verstehen und es bestände kein Unterschied zwi- 



Lodovico Zacconi als Lehrer des Runstgesanges. 275 



sehen dem französischen, spanischen, englischen, italienischen, 
polnischen und deutschen Sprechen; aber da es durch Kunst er- 
'werben wird, so versteht man nur was erlernt ist. Aehnlich ver- 
hält es sich mit [unserer] Kunst; wer es nicht lernt, kann auch 
nicht harmonisch singen a. . . . (Fol. 50^.) 
Hierauf macht Zacconi den Unterschied zwischen Canto di Musica 
als einfachem, einstimmigem Gesänge, und Musica oder Mehrstimmig- 
keit. Einige Menschen, sagt er, sind voil der Natur so begünstigt, 
daß sie bei ihrem Vortrage für Sänger gehalten werden, obwohl sie 
nicht eine Note lesen können. Diese sollten erst recht singen lernen, 
um das Höchste zu erreichen. 

Kapitel 59. 

Von der neuen und zeitgem&ßen Methode, Gesang zu lehren. [Del nouo ei 

modemo modo dinsegnare a cantare.) 

Dem Anfänger im Gesänge wurden damals die ersten Schritte 
so schwer gemacht, weil man ihn mit allen Minutien der guidonischen 
Hand belud, die doch nur dem Kontrapunk tisten nöthig waren. 
DeBhalb räth Zacconi, den Kontrapunkt-Schülern die Lehre von der 
Mutation zu überlassen und sich einfach zu merken, daß besagte 
»Hand ff die sieben Buchstaben ABCDEFG drei Mal enthält, also 
den ganzen Umfang der vier Stimmen Baß, Tenor, Alt und Sopran 
in drei Oktaven. Diesen von den Praktikern eingeschlagenen Weg 
nennt er nun die moderne kurze Methode. Einige aber, sagt er, 
pflegen dabei nicht von A^ sondern »vom Buchstaben C anzufangen, 
und zwar deß wegen, weil der größte Theil der Stimmen im tiefen 
oder hohen C zusammen kommt. Beide Wege sind gut, denn Die- 
jenigen, welche auf dem Wege der ersten Buchstaben gehen, die 
sich in der Hand finden , stützen sich auf die Reihenfolge dieser 
Buchstaben AB CD u. s. w., und die Andern gehen auf dem Wege 
der Natur. Und obwohl man nun ohne weiteres vom Princip der 
Natur beginnen muß, hat man dennoch wegen der Leichtigkeit der 
Buchstaben und um sie nicht zu verwechseln, vom Anfange dieser 
Buchstaben zu beginnen, da ja auch der Lehrer nicht wissen kann, 
welche der beiden Reihenfolgen dem Schüler die dienlichere sei. 
Denn beide stehen zu Gebote. Hiernach zeige er ihm, daß man 
unter dem Buchstaben C versteht das Singen per natura, unter F 
das b molle, und unter G das b quadro.« Durch diese drei Wege oder 
Tonlagen, in denen das Hexachord zu singen war, prägte sich dem 
Schüler der Sitz des Halbtones ein; er wußte dann, wo er vorkom- 
menden Falls mi oder fa zu singen hatte und kam damit ziemlich 
leicht über eine Schwierigkeit hinweg, die unter der Herrschaft des 



276 Friedrieh Ghrysander, 



Hexachord-Systems bei der herkömmlicheu mangelhaften Aufzeicli- 
nung viele Mühe veruisachte. Schon in damaliger Zeit gingen 
Einige noch weiter, um mit Sicherheit erkennen zu lassen, ob b 
(b moUe) oder h (b quadro) zu singen war. So erzählte Orlando Lasso 
unserm Autor, der Don Anselmo Fiamengo, ein Mitglied der Miin- 
ebener Kapelle, habe für die siebente Stufe die Silben si und ho ge- 
wählt, also,«^ re mi fa sol la \ j^ gesungen und damit die Oktave 

erreicht, und Andere versuchten zur selben Zeit anderes ^ Aber über 
solche Versuche äußerte schon Kepler^ mit Recht, wenn man zur 
Oktave wolle, warum man sich dann nicht lieber an die sieben Buch- 
staben aic u. s. w. halte. Das kommt mit Zacconi's Meinung überein. 
Erst später, als die Bedeutung des Grundbasses vollständig zur Gel- 
tung gekommen war, wurden auch Namen für sämmtliche Stufen der 
Oktave nothwendig. Daß man aber dabei das Hexachord oder die 
Solmisation festhielt und in sachkundigen Kreisen immer festhalten 
wird, ist als eine gesangliche Noth wendigkeit zu bezeichnen. 

Vier Hauptstimmen giebt es nur, sagt Zacconi, unter denen der 
damalige Tenor ^unser Baryton) deßhalb naturale genannt ward, »weil 
fast alle Menschen von Natur in dieser Stimmlage zusammen kommen.« 
Da sich alle vorhandenen Stimmen diesen vier Hauptgattungen ein- 
ordnen, ))ist es gut, die oben genannten sieben Buchstaben zu nehmen 
und mit ihnen den Gesangsunterricht zu beginnen.« Wenn er dann 
sagt: j}die menschlichen Stimmen gehen nicht über acht Stufen 
hinaus«, also nicht über eine Oktave, und übersteigen einander, so 
will er dadurch offenbar nur andeuten, daß die Eigentöne jeder 
Stimme im Bereich einer Oktave liegen, ohne damit den wirklichen 
Tonumfang derselben zu beschränken. Bei derartigen Tonlagen, fugt 
er hinzu, »verbietet man den hohen Stimmen die Buchstaben des 
Basses zu erlernen, und umgekehrt, denn das wäre Zeitvergeudung 
und zweckloses Abmühen. a Das wäre es in der That, weil es den 
Schüler anfangs nur verwirrt haben würde, denn die Namen der 
Töne waren im Hexachord nach den Stimmlagen gänzlich verschieden. 
Der Baß hatte für seine Oktave aufsteigend die Namen A re, B mi, 
C fa utj D sol re, E la mtj Ffa ut, G sol re ut^ A la mi re; «die natür- 
liche oder Tenorlage« reichte von Cfaut bis Csolfaut; die Altlage 
von A la mi re, dem Endtone des Basses, bis zum zweiten A la mi re; 
der Sopran von Csolfaut, dem Eudtone des Tenors, bis hinauf zu 
C sol fa. »Und obgleich diese Lagen zum Theil eine die andere 

1 Zacco7iif Prattica, parte II, p. 10. 

2 Harmonices mundi, lib. III cap. 10: De Tetrachordis et usu syllabarum: 
Ut, Re, Mi, Fa, Sol, La. 



Lodoyico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 277 



decken, darf man doch nicht von einer zur andern übergehen, denn 
geschähe das, so würde man alle Anfangsstudien im Unterricht ver- 
wirren und von einer durchsichtigen und klaren Ordnung zu einer 
konfusen und überstürzten gelangen. . . . Auf diese Weise haben wir 
die tiefen, natürlichen, hohen und überhohen Stimmen geschieden.« 

Diese vier Stimmen berücksichtigen sämmtlich nur den Umfang 
männlicher Kehlen, wie man bemerken wird. Solche Scheidungen 
betrachtet er gleichsam als »die Häuser, wo die Anfänge und Ein- 
leitungen der Scalen per natura und per bmoUe niedergelegt sind.« 
Er räth nun, mit neuen Schülern den oben gezeigten Weg der sieben 
Buchstaben der guidonischen Hand zu gehen je nach den vier 
Stimmlagen, setzt aber hinzu: »Sollte der unterrichtende Lehrer 
wissen, daß es gut sei, diese Scalen in anderer Weise aufzufassen, 
um sie für den Schüler bequemer zu machen, so verschließe man 
ihm den Weg nicht und hindere ihn nicht, davon Gebrauch zu 
machen. Denn diese Lehrordnung ist im Allgemeinen gegeben, ohne 
dem Besonderen schaden zu wollen.« (Fol. 51.) 

Sind nun auch Zacconi's Anweisungen — denen überall die An- 
schauung zu Grunde liegt, daß die Sängerkunst seiner Zeit jener der 
früheren Perioden überlegen war — im Einzelnen nicht immer so 
klar formulirt, wie zu wünschen wäre, so ist doch an der Liberalität, 
mit welcher er sein Lehramt bethätigt, sicherlich nichts auszusetzen. 
Er bleibt in jedem einzelnen Falle dem Charakter treu, welchen er 
in seinem ganzen Werke offenbart, wobei nur zu bedauern ist, daß 
er in dieser * Hinsicht so wenige ^Nachfolger gefunden hat. Denn 
niiberalität gegen anders unterrichtende Kollegen war immer ein 
besonderes Kennzeichen der Gesanglehrer bis in die neueste Zeit. 
Die kleinen Modifikationen, welche der Einzelne von ihnen heraus 
findet und dann als »seine ff allein richtige Methode herum trägt, 
haben meistens nur den Werth von Verkaufsmarken und sind auch 
gewöhnlich zu einem solchen Zwecke entstanden. An derartigen 
Industriellen wird es schon in Zacconi^s Zeit nicht gefehlt haben, 
denn nicht umsonst zieht er im Anfange dieses Kapitels heftig gegen 
die habisüchtigen, geldgierigen Gesanglel^er zu Felde. 

Eapitel 60 

ist als eine Fortsetzung des unmittelbar Vorhergehenden anzusehen, 
da es die Anweisung enthält, bei wem der Gesangschüler Unterricht 
nehmen und was er zuerst lernen soll. (Da cht st ha da cercar 
cTimparare a cantare, et quäl cosa vn scolare habhia da imparar prima.) 
Weil aber ein fester methodischer Lehrgang nicht Zacconi's Sache 



278 



Friedrich Chrysander, 



war, hängen seine Kapitel wenig zusammen. DeBhalb widerspricht 
sich auch Manches anscheinend oder wirklich, und fast bei jedem 
Kapitel fängt er durch eine allgemeine Betrachtung den Gegenstand 
gleichsam von vorne an. Eine solche Einleitung bekommen ivir 
auch hier, und zwar eine sehr hübsche. Wissen und Können, sagt 
er, läßt sich nicht vererben ; alles muß selbstthätig erlernt und durch 
saure Mühe erworben werden. »Es ist klar, daß [selbst] die klügsten 
Virtuosen, die es auf der Welt jemals gab, weder ihren Söhnen, noch 
ihren Freunden oder ihren Erben beim Tode ihre Kunst hinterlassen 
konnten : eine Thatsache von großer Bedeutung, denn jene so klugen 
und von Gelehrsamkeit vollen Köpfe, welche wegen ihrer einzigen 
Kunst und der schönen und seltenen Eigenschaften von aller Welt 
geschätzt und geehrt wurden — sie starben, und mit ihnen war all 
ihr Wissen erloschen. Es ist also unerläßlich nothwendig, daß der- 
jenige, welcher irgend etwas lernen will, es sich im Schweiße seiner 
Arbeit aneignen muß; und wer durch natürliche Anlage darin ge- 
nügend unterstützt wird, der lobe Gott wegen eines so großen Ge- 
schenkes a und suche es aufs beste zu verwerthen. 

Zunächst läßt Zacconi nun die Hand oder die Scalen der ver- 
schiedenen Stimmen durch zehn Töne erlernen, auf- und absteigend 
in sieben verschiedenen Lagen und Schlüsseln: 




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denen dann auch die mit Vorzeichnung eines b folgen. Hierbei wird 
es wieder recht deutlich, wie wenig er es auf eine methodische Sing- 
schule angelegt hatte, sonÄ würde er diese üebungen mit denen der 
vier Hauptstimmen des vorigen Kapitels verbunden, sodann auch 
das für jede dieser Stimmen Geeignete zusammen gefaßt und damit 
Konfusion und Mißverständnisse vermieden haben. Aber in seinem 
gedruckten Buche kam es ihm offenbar nur darauf an, über alle 
Fragen der praktischen Musik seine Ansichten und Grundsätze dar- 
zulegen; das Einzelne des Lehrganges überließ er der mündlichen 
Unterweisung. 



Lodoyico ZaccoDi als Lehrer des KunstgesaDges. 279 



einen dieser Grundsätze giebt er kund in der Warnung, bei den 
Uebungen nicht zu stark zu singen: 

»Man achte auch noch darauf, sich nicht jener von allen Tüch- 
tigen getadelten Unart hinzugeben, nämlich so stark als man nur 
kann zu singen. Ein Solcher meint vielleicht, ein guter Gesang 
bestehe im Schreien und merkt nicht, daß er dadurch die Stimme 
ohne Nutzen ermüdet und Nachbarn und Vorübergehende lachen 
macht. Wenn der Schüler nicht ohne Schreien singen lernen 
könnte, dann freilich würde ich sagen, daß man Recht hätte zu 
schreien; aber es ist ersichtlich, daß man es auch mit Leisesingen lernt. 
Denn wie alle Handlungen Maß und Ziel erfordern — Ziel um 
sie schön, Mäßigung um sie ausdauernd zu machen — , so muß 
auch der Lehrer danach handeln, sich selber mäßigen im Schreien 
und das Endziel im Auge behalten, um nicht dem schwächlich 
nachzugeben, der den Unterricht nimmt. In solcher Angelegenheit 
genügt es, wenn nur die Stimme soweit gehört wird, daß man beim 
Intoniren der Töne keine Fehler vernimmt. Wenn dann der 
Schüler, nachdem allmählich ein Sänger aus ihm geworden ist, 
dahin gelangt, in der Camera zu singen, dann singt er wirklich 
so, daß er von dem Kapellmeister niemals zurück gewiesen wird, 
während bei etwaiger Gewohnheit, stark zu singen, es für ihn 
schwer sein würde, sich dort zu mäßigen. Wer aber sagt, daß 
durch lautes Schreien die Stimmen sich heraus bilden, der irrt 
sich doppelt, erstens, weil Viele durch Leisesingen und Vortrag in 
den Häusern (wo man das Schreien verabscheut) singen lernen, 
und sodann, weil viele Andere nicht gezwungen sind, wie besol- 
dete Sänger in Kirchen oder Kapellen zu singen, nämlich die Edel- 
leute und ähnliche, welche nicht nöthig haben, auf solche Weise 
sich ihr Brod zu verdienen.« 

Gegen das Starksingen würde er schwerlich so geeifert haben, 
wenn es nicht bei den vielen Gesanglehrern, welche zugleich Kirchen- 
sänger waren, ziemlich allgemein üblich gewesen wäre. Auch Theater- 
sänger halten das Fortesingen bei den Uebungen für nützlich; 
Lablache zum Beispiel empfiehlt es ausdrücklich. Was Zacconi sagt, 
wird nicht anzufechten sein; seine Gründe betreffen aber zum Theil 
doch nur Nebensachen und erschöpfen die Sache keineswegs. 

Das Schreien will er dem Sänger nur einmal im Leben gestatten, 
nämlich merkwürdiger Weise gerade unter Umständen, wo man her- 
kömmlich alles Singen zu untersagen pflegt: bei der Mutation. Er 
sagt: »Beim Stimmwechsel will sich die Stimme festigen, und wird 
sie durch Schreien auch nicht stärker, als sie von Natur ist, so 
schreie er doch so viel er schreien kann. (Et poi perche si stabilis- 



280 Friedrich Chrysander, 



cano le uoci solamenie qtiando le st mutano ; et cht da ftatura non Tha 
forte per gridar non Fingrandisce mai; gridi pur qaanto sä gridare.)^ 
Wenn die Schüler gelernt haben, die Pausen zu zählen, sa^ 
Zacconi hierauf, dann möge man ihnen niemals erlauben, solches 
beim Singen laut zu thun, denn außer der Störung, die es den An- 
dern bei ihrem vor- und rückwärts Zählen verursacht, offenbart es 
auch die geringe Sorgfalt, welche ihre Lehrer beim Unterrichten an- 
gewendet haben. (Fol. 51*» — 53*.) 

Kapitel 61 und 62 

geben weitere Anweisungen darüber, wer und wie der Sänger sein 
und welche Qualitäten er besitzen muß. Vieles davon gehört in's 
Komplimentirbuch und handelt über gute Lebensart. Bemerkens- 
werth ist das Gewicht, welches er auf die äußere Haltung und 
Erscheinung des Sängers legt. Derselbe muß feine Manieren haben, 
jung und hübsch sein, »und die das nicht sind, geht mein Reden 
nichts an.ff Dabei soll er nicht versäumen, seinen natürlichen Men- 
schen vortheilhaft heraus zu putzen, denn ein Sänger muß sich ge- 
schickt und geschmackvoll mit Kleidern zieren. Pater Zacconi wird, 
als er dies schrieb, sicherlich selber noch ein schmuckes, anmuthiges 
Kerlchen gewesen sein. 

Was aber am meisten zu vermeiden ist, das sind die schlechten 
Gesten, welche der Sänger beim Vortrage macht, ohne daß er es 
selber gewahr wird, die Bewegungen mit dem Leibe, die Verzerrungen 
der Gesichtszüge, das Verdrehen der Augen wie ein Schwärmer, und 
dergleichen. Da nun die Ausübung der Musik mehr, als manche 
andere Thätigkeit, zu derartigen ungraziösen Manieren verleitet, 
namentlich bei Blaseinstrumenten, »deßhalb verbieten Viele den Edel- 
leuten, Instrumente wie Trompeten, Zinken, Pfeifen u. a. zu spielen, 
weil man mit diesen leicht sein Gesicht verderben und seine Schön- 
heit entstellen kann.« Die harmlose Flöte in späterer Vollkommen- 
heit war für die vornehme Welt des sechzehnten Jahrhunderts noch 
nicht vorhanden. 

Auch »mögen die Sänger darauf achten, nicht in einen Fehler 
zu verfallen, den Viele machen. Nämlich um beim Tremolo die 
Töne mit der Stimme bequemer heraus zu bringen, bewegen sie dabei 
den Kopf, wie wenn jener Triller aus dem Kopfe käme. Und doch 
hat er mit dem Kopfe gar nichts zu thun . . . Der Triller ist in 
der Musik nicht nothwendig: aber wenn man ihn macht, verschönert 
er die Kantilene, außer daß er von Sicherheit und Kühnheit zeugt. 
Aber verständig da zu stehen mit Haupt, Augen und Körper, ist fast 



Lodovico Zaoconi als Lehrer des Kunstgesanges. 281 



eine unerläßliche Nothwendigkeit beim Vortrag der Gesänge. (II 
iremolo nella JUusica non e necessario; ma facendolo oltra che dimostra 
sinceritä, et ardire; ahellisce le cantilene : ma lo star savio col capo, 
con ffPocchi, e con la vüa, e quasi una fiecessitä ne i canti^ inseparabile.Jti 
Zacconi will hiermit natürlich nur sagen, daß die Gesammthaltung 
des Sängers für seine Wirkung auf die Hörer von größerer Bedeutung 
und daher auch noth wendiger ist, als seine gesangliche Ausführung 
im Einzelnen. Aber man hat hier wieder ein Beispiel, wie er durch 
solche unmethodische, beiläufige Erwähnung wichtiger Materien in 
verschiedenen Kapiteln leicht Mißverständnisse veranlassen kann und 
mit sich selber in Widerspruch zu gerathen scheint. 

Noch Vielerlei wird in diesen beiden Kapiteln berührt, was an 
sich interessant, aber für die Sache entbehrlich ist. Zacconi ist un- 
ermüdlich in der Ermahnung, der Sänger möge sich so halten, j»daß 
ihn Jedermann während seines Gesanges gern anschaut.« Aber Alles 
in geziemenden Grenzen ; denn »diejenigen Sänger, welche zwei oder 
drei Noten aus dem Buch und vier oder sechs mit den nach andern 
Richtungen hin gewendeten Augen singen, um zu kokettiren und 
sich zu zeigen bei ihrem Gesänge, thun übel daran. a (Fol. 53^ — 55^.) 

Kapitel 63. 

Wie man die Musiknoten mit Grazie singen kann. [In che modo 8i possano le 

figwre Musicali cantar con graiia.) 

»Bei allen menschlichen Handlungen, seien sie welcher Art 
sie wollen, oder worauf sie sich auch beziehen mögen, strebt man 
nach Grazie und guter Haltung. Ich meine mit Grazie nicht 
diejenige Grazie, welche die Hofleute vor Königen und Kaisern 
kund geben, sondern die, welche die Menschen haben, wenn sie bei 
einer Handlung zeigen, daß sie dieselbe ohne Anstrengung voll- 
bringen und mit der Behendigkeit auch die Anmuth und die Ge- 
fälligkeit zu verbinden wissen. (, . , et alt agilitä aggiungano le 
vaghezze e^l garbo.) 

In dieser Beziehung erkennt man den großen Unterschied, 
wenn ein Kavalier oder Kapitän reitet, oder ein Ackers- und 
Dienstmann, und mit wie viel größerer Anmuth ein erfahrener und 
tüchtiger Fahnenträger die Standarte in der Hand hält, entfaltet 
und schwenkt, als wenn man sie in der Hand eines Schusters 
sieht, denn bei letzterem gewahrt man nicht nur, daß er sie nicht 
zu entfalten und zu schwenken weiß, sondern auch, daß er sie 
nicht einmal in der Hand zu halten versteht. Von dieser An- 
muth und Schönheit hat uns einiges die Natur gerade so gelehrt, 
wie das Nahrungsuchen, das Gehen, das Kleidertragen u. s. w. 

1893« 19 



232 Friedrich ChiyBander, 



einiges andre kommt femer von dem gemeinschaftliclien Verkehr 
wie durch die Beobachtung der vielen und verschiedenen gegen- 
seitigen Handlungen, durch welche wir uns Diesem oder Jenem 
gefällig erweisen. Denn viele Freunde werden erworben durch die 
Hülfsmittel der Grazie und schönen Handlung. Auch giebt es 
Viele, welche, ohne vorher gesehen oder bekannt zu sein, sich be- 
liebt machen durch anmuthige Bewegungen und hübsche Zierlich.— 
keit, die sie bei Erledigung ihrer Angelegenheiten zeigen. Femer 
bemerkt man öfters bei öffentlichen Spielen, wie Tanz und Ball, 
daß die Umstehenden eine größere Vorliebe für den Einen, als für 
den Andern haben, ohne daß man sich von dem Grunde dessen 
Rechenschaft zu geben vermag: offenbar nur, weil jener Bevor- 
zugte mit Grazie und Anmuth dem Takte des Tanzes folgt. In 
ähnlicher' Weise verweilen bei den schönen Aufführungen eines 
Kavaliers im Turnieren die Zuschauer gefesselt und hingerissen. 

Es dürfite also auch am Platze sein, dem Sänger, der sich 
doch häufig unter verschiedenen Menschen bewegen und eine 
öffentliche Aufführung machen mu£, zu zeigen, wie man so etwas 
mit Anmuth in's Werk setzt. Denn nicht genügt es, korrekt zu 
sein und wählerisch in allen solchen Dingen, welche ihn verun- 
stalten können, sondern man verlangt auch, daß seine Aufführungen 
und Handlungen anmuthig und gefällig seien. 

Das Singen begleitet nun die Aktion mit Grazie, wenn der 
Sänger außer den Dingen, die im vorigen Kapitel weit und breit 
behandelt worden sind, die Töne mit lieblichen Accenten aus- 
stattet. Doch sei vorher noch besonders darauf hingewiesen, daß 
man die Worte rein, verständlich und klar ausspreche, damit ein 
jeder sie leicht verstehen könne und dem Sänger nicht die Hälfte 
des Textes zwischen den Zähnen hängen bleibe, weil es dann, so- 
weit das Verständniß der Worte in Frage kommt, keine angenehme 
Sache ist, solche Musik anzuhören. Und wer an einem Orte singt, 
wo er glaubt schreien zu müssen, möge [nur lieber] die Noten 
richtig, leicht und mit einer weder forcirten noch matten Stimme, 
sondern so vortragen, wie es die Natur ihm verliehen hat. Denn 
wie eine überschriene Stimme immer fehlerhaft ist, wirkt sie auch 
immer unangenehm und vereinigt sich niemals mit andern. Wenn 
aber zufällig die Kantilenen so hoch gehen, daß die Sänger nicht 
bequem hinauf kommen können, dann mögen sie sich nicht zwingen 
und, um dort anzukommen, einen Schrei ausstoßen, wie ihn Ver- 
rückte oder Verzückte von sich geben. Sie mögen sie [die Töne] 
lieber fahren lassen, als sie dem Ohre so seltsam und unangemessen 
zu bieten. In ähnlicher Weise muß man beim Piano-Singen in 



Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 



283 



der Höhe verfehren, wenn man es nicht bequem erreichen kann, 
denn die Töne zu verschweigen, ist besser, als sie schlecht hervor 
zu bringen. Und da die [Töne in den] Kompositionen nicht 
immer stufenweise gehen, sondern zuweilen um eine Terz, Quart, 
Quinte, Oktav u. s. w. von einander abstehen, so wird es gut sein, 
T^enn die Singenden, um sich das Wohlwollen der Zuhörer zu erwer- 
ben, darauf bedacht sind, einige schöne Accente den Noten beizu- 
fügen. Denn der Komponist, welcher sie verfertigt, hat 
sich nur befleißigt, diese Noten gemäß den Forderun- 
gen der harmonischen Regeln zu setzen: aber der Sän- 
ger ist bei deren Ausführung verpflichtet, sie mit der 
Stimme [ausdrucksvoll] zu begleiten und sie der Natur und 
Eigenthümlichkeit der Worte gemäß ertönen zu lassen. 
fJEt perche le compositiont non caminano sempre di grado in grado : 
tna alle uolte sono distante una dal altra una terza, una quarta, una 
qtnntay una ottava etc. per queato serä bene per acquistarse beneuoli 
gV Mcoltanti che procurino di dar qualche vago accento alle figure : 
perche il compositore che le compose ad altro non attese che alT or^ 
dinar esse figure ^ secando la conuenienza delT harmonice dispositioni : 
ma il cantore nel sumministrarle d obligato d'accompagnarle con la 
voce, et farle rissonar secondo la natura j et la proprietä delle parolej 
Doch muß er wissen, daß die genannten Noten mit sol- 
chen Accenten zu begleiten sind, welche vom Retardiren und 
Anhalten der Stimme erzeugt werden, und daß man sie hervor 
bringen muß, indem man ein Theilchen der einen Note der 
andern zulegt. Und um nun zu zeigen, in welcher Weise sie 
am besten gelingen, bemerke ich, daß, wenn man eine Note ge- 
sungen hat und die nächst zu singende ist von jener um eine 
Terz entfernt, man dann auf der ersten ein wenig verweilen muß — 
eine Verzögerung, die nicht größer zu sein braucht als eine Viertel- 
note. Doch muß man dieses Viertel nicht bloß von 'der zweiten 
Note abziehen und es der andern geben, sondern im Verweilen 
und beim Aufsteigen zur Nachbarnote läßt man auch noch während 
des Ton wechseis ungefähr ein Sechzehntel hören; wobei bemerkt 
werden soll, daß man diese Verzierung nur machen darf auf re-fa; 
mi-sol; far-la] sol-fa, vorzugsweise bfei Terzenspriiugen , wie man 
hier sieht: 



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284 



Friedlieh Ohrysander, 



Es ist ein punktirtes Achtel mit Sechzehntel gesetzt, damit die 
Sänger sehen, wie man aufsteigt. Denn es giebt Einige, die, weil 
diese Verzierungen fast wie natürliche erscheinen, sie beim Singen, 
so langsam und zögernd ausfuhren, daß sie wegen der SchlaflTheit 
eine ganz schlechte Wirkung machen und nichts von schöner Be- 
friedigung dem Ohre gewähren. Das sind Dinge, die mit noch so 
großer Mühe doch schwer zum richtigen Yerstandniß gebracht und 
demonstrirt werden können; der kluge und fleißige Sänger muß 
da suchen, sich in der Weise zurecht zu finden, daß sein eignes 
Gehör ihm sagt, ob er sie gut oder schlecht singt. Denn da diese 
Art zu singen höchst ergötzlich und süß ist, und Süßigkeit (ob- 
wohl sie der Natur zusagt) sättigt und zuweilen Ekel und Über- 
druß erweckt, deßhalb ist es nicht lobenswerth^ sie stets anzuwen- 
den, um den Zuhörern keinen Widerwillen zu erregen. ^ 

Auf ähnliche Weise kann man diese Verzierung noch ge- 
brauchen beim Sekundenschritt, d. h. bei den Noten, die. stufen- 
weise auf oder ab steigen, indem man dabei denselben Gang wie 
beim Terzensprung ausführt. Nur kann diese Tonfigur bei mi und 
ut, nämlich im Absteigen von fa zu mi und von re zu ut, keinen 

— - I nicht, weil seine 



Stützpunkt finden: das eine 1 z. B 



[z.B^ 



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mi 



1 Zacconi müht sich ab, mit Worten deutlich zu machen, was er in den Noten 
nur unvollkommen aufgeseichnet hat. Bei seinen sämmtlichen Beispielen S. 283 — 286 
ist die letzte Note um ein Viertel zu lang. Die wirkliche Ausführung lautet an- 



nähernd so 



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etc. Und später, 8. 286: 



• ■ "gl: ^ --f — Fz?- \ ^ T M^ ^ ' ^^^^ ^®' Ausführung noch genauer 



entsprechend : 



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«>i. 



Während hier bei der 



ersten Note die Stimme retardirend nachhängt und dadurch eine größere Austdnung 
erzeugt, schlägt die Silhe der letzten Note den vorauf gehenden Ton (oder auch 
zwei Töne] vor und bewirkt damit eine geschmeidigere und zugleich kräftigere 
Vocalitat. Alles das dient lediglich den Zwecken eines schönen und ausdrucks- 
vollen Gesanges, gehörte auch zum festen Besitz der alten Sängerschulen. 

Mehreres aus diesem 63. Kapitel Zacconi*s ist unlängst bereits von Dr. Carl 
Krebs zur Sprache gebracht in seiner Abhandlung über »Qirolamo Diruta's Tran- 
silvano« (in der Vierteljahrsschrift 1892 S. 307 — 388). Derartige unbefangene und 
sachkundige Besprechungen eines immerhin schwierigen Gegenstandes lassen hoffen, 
daß wir auch im Gebiete des Kunstgesanges in nicht ferner Zeit von alten Vor- 
urtheilen befreit sein werden. 



LodoTico Zacconi als Lehrer des Slunstgesanges. 



285 



Natui nicht sehr süß ist, und das andere Iz. B. ^ ä. f (^* 1 



re ut 



nicht, weil unter ihr [d. i. unter der Note ut] keine weitere Note 
folgt. Denn alle Noten stützen sich auf diese Tonfigur, da sie es 
ist, welche sie leitet, aufrecht hält und führt, wie man hier sieht: 



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iF^TH l '^n^m 



Beim Singen der Quarte und Quinte muß man einen andern 
Stil einhalten. Denn das Sechzehntel, das inmitten der stufen- 
weise zu nehmenden Terz läuft, würde hier die Terz im Sprunge 
anlaufen müssen, und weil ein Sprung der menschlichen Stimme 
schwer fällt und der Süßigkeit entbehrt, deßhalb singt man das 
genannte punktierte Achtel und das Sechzehntel immer auf der 
ersten Note, doch mit der Bieobachtung, daß man stets von der 
zweiten dieser Noten jenes ganze Zeitmaaß, welches man vor sich 
hat, nimmt und es auf der [Stufe der] ersten singt, in der Weise, 
daß beide Noten von Anfang bis zu Ende nicht mehr Zeitwerth 
haben, als den, der ihnen von Natur zukommt. Doch muß man 
dabei in der Mitte mit der Stimme jene Verzierungen gut aus- 
drücken, ohne sie durch [un verbundene] Noten ertönen zu lassen 
(ma bene nel mezzo pronuntiarli con la uoce quelle vaghezze senza 
farle rissonar per ßgure).^ Um erkennen zu lassen, wie derartige 
Verzierungen zu behandeln sind, bilde ich folgendes Beispiel, da- 
mit sich Jeder danach richten und sie beherrschen lernen kann. 



^J? .f^ ^"L. j: j "^^"I j'?js:f^j^ ^ijy^^ ^ 



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1 Der Sinn dieser etwas su gedrängten und dadurch unklaren Worte dürfte 
sein: Man soll die Stoßfigur ^« m ^^ , die man hier bloß rhythmisch statt 

melodisch, d. h. auf einer einsigen Tonhöhe hervor bringt, nicht ansehen als aus 
mehreren Noten bestehend, sondern als aus einem einzigen Tone durch verschiedene 



Stärke erwachsend, daher auch ohne abzusetzen ausführen, also nicht 
sondern 



2z: 



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klären. 



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Die dunkle Stelle ist aber schwerlich vollständig zu er* 



286 



Friedrieh Chrysander, 



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Aber weil diese DingS; wie ich schon sagte, schwer ohne das 
Vorbild der [ausführenden] Stimme zum rechten Yerständniß ge- 
bracht werden können, so will ich, ohne mich um Vielerlei, was 
hier noch gesagt werden könnte, weiter zu kümmern, nur das Eine 
sagen: Wie man sich, wenn man auf dem Wege Gold, Silber 
oder irgend etwas WerthvoUes findet, gerne bückt, um es aufzu- 
heben, so muß der Sänger auch, wenn er die Verzierungen von 
einem andern hört — (ich meine hier nicht die Gorgie und jene 
Passagen, welche man nicht so auf den ersten Zug fassen kann) — , 
sie nachzuahmen suchen so weit es ihm möglich ist, damit er das 
Vergnügen, welches er von Andern hatte, selber an Andere weiter- 
gebe. Diesbezüglich soll der Sänger darauf hingewiesen werden, 
daß, wenn er manche Arten von Fugen oder Phantasien singt, er 
keine einzige Note verlangsame; um nicht deren schöne imitirende 
Tonfolge zu unterbrechen und zu vernichten; sondern er muß sie 
gleichmäßig singen ohne irgend eine Verzierung, nur nach ihrem 
Notenwerthe, damit jene Fugen ihre Wirkung thun. (Deue un 
cantante m questo easer auertitOy che cantandosi älcune sorte dtjughe^ 
ouero f antaste per non rompere et ffuastar quei bei ordini d^immt- 
tatione di non ritardar veruna ßgura: ma cantarle eqttale, secondo 
che voffliano senza veruno adomamento; accioche esse fughe habbino 
il suo dotiere.) Auch giebt es noch andere Noten, die ihren Worten 
nach keineswegs Accente benöthigen, sondern an ihrer eignen 
natürlichen und lebendigen Kraft Genüge haben: zum Beispiel, 
wenn man Intonuit de Coelo Domintis — Clamatit — Fuor fuori — 
Cavalieri uscite — AI arme al arme und viele andere zu singen 
hätte, wobei der diskrete Sänger von feinem Geschmacke nach 
seinem eignen Urtheil verfährt. Sodann aber giebt es auch andere, 
welche von selber die Verzierungen und schönen Accente fordem, 
wie z. B. Dolorem meum — Misericordia mea — Affanni e morte: diese 
deuten dem Sänger ohne weiteres an, in welcher Weise er sie zu 
singen hat. Man pflegt auch noch gewisse Noten mit einiger 
Heiftigkeit und Kraft zu brechen, was in der Musik eine sehr große 
und schöne Wirkung thut. In der Absicht, davon einige Notiz 
zu geben, bilde ich folgende Beispiele. 



LodoYico Zaeconi als Lehrer des Kunstgesanges. 



287 



1. 



3. 



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32: 



4. 



5. 



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6. 



7. 



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8. 



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9. 




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An diesen wenigen Beispielen möge man für viele andere 
einen Wegweiser haben und Licht auf den Weg; denn ich hätte 
ziemlich viel zu thun, wollte ich sie hier allesammt in einem Epilog 
sammeln. Und man braucht sich nicht zu wundem, wenn ich mich 
nach diesen hier gebückt habe (sie aufzuheben] , um Beispiele auf- 
zustellen für jene Dinge, welche die Natur fast von selber 
lehrt und darbietet. Es mag den Anschein haben, daß ich es in 
diesem Falle mache wie Einer, der, um den Ignoranten zu zeigen, 
daß er etwas weiß, den Gelehrten das Abc in die Hand drückt. Aber 
da ich aus den modernen Schulen einige Schüler ohne diese Aus- 
schmückungen und Accente habe hervorgehen sehen, so faßte ich 
den Entschluß, diese wenigen Sächelchen zu Papier zu bringen, 
welche man nun denjenigen überlassen möge, die keinen Geschmack 
oder keine gute Singart besitzen. Merke übrigens, daß diese 
letzten höheren Accente hier nicht gesetzt werden, weil 
sie so in der aufgeschriebenen Komposition stehen 
könnten, sondern nur, damit man der Stimme die Mög- 
lichkeit andeutet, die Noten zu accentuiren. {Jßi nota 
che questi vltimi superiori accenti non st pongano perche cosi in 
scrittura possino stare: ma solamente per quelle che si concede dUa 
voce per accenttMr le ßgure.) 



288 Friedrich Cfarysander, 



ttss 



Zum Schluß habe ich noch dieses zu bemerken, daß die Meister 
beim Unterweisen in solchen Accenten und Schmucksachen dem 
Schüler zur Pflicht machen sollen, Maß zu halten, damit er sie 
nicht zu häufig und fast immerwährend anbringt; denn wie zu 
viel Süßigkeit die schmackhaftesten und kostbarsten Gerichte Ter- 
dirbt, so erregen auch überreiche Ausschmückungen und Zierlich- 
keiten Überdruß und Langeweile. Wendet man doch so viele 
Dissonanzen in der Musik aus keinem andern Grunde an, als bloß, 
um damit die Süßigkeit der Konsonanzen zu verdoppeln. c (Fol. 

55b_57a) 

Das vorstehend mitgetheilte Kapitel ist nächst dem 66sten über 
die Gorgia das bedeutendste von allen, was die praktische Aus- 
führung des Gesanges betrifiPt. Zacconi deutet freilich an, daß es 
mit jenem nicht zu vergleichen sei, insofern es Sängerkünste und 
-Feinheiten bespricht, die Einer dem Andern beim Vortrage ablauern 
und sodann nachmachen kann, während das große Kapitel über die 
Gorgia Sachen behandelt, die nicht so im Fluge zu erschnappen 
sind, sondern in harter Studienarbeit erlernt sein wollen. Aber für 
uns heute sind beide Kapitel gleich wichtig, gleich instruktiv. 

Die Grazien sind also hauptsächlich zweierlei Art, was meistens 
von den Intervallen abhängt, welche sie zu verbinden haben: sie 
bewegen sich stufenweise oder sprungweise. Der stufenweise Gung, 
durch welchen sie namentlich Terzen verbinden, ist als ihre haupt- 
sächliche und ursprüngliche Au%abe anzusehen, gleichsam als ihre 
Quelle, denn Tonsprünge bilden Tonlücken und sind für die mensch- 
liche Stimme, wenn diese rein auf sich selbst gestellt ist, etwas Un- 
natürliches, was sie deßhalb zu überwinden strebt. Das Mittel, wo- 
durch solches geschieht, bewirkt nun zugleich Tonverstärkung und 
damit Schwung, Kraft, lebhafteren Ausdruck, und durch alles dieses 
zugleich einen größeren Tonreiz. Zacconi legt das alleinige Gewicht 
auf diesen Beiz und diese Anmuth, was bei der Art seiner Betrach- 
tung erklärlich ist; denn in den Gegenstand noch weiter einzu- 
dringen, als die Tagespraxis gerade erforderte, war seine Sache nicht. 

Mit deutlichen Worten wird uns gesagt, daß die Komponisten 
derartige Grazien nicht in Noten vorschrieben, aber als selbstver- 
ständlich ansahen. Weil nun diese Grazien überall zum Hausbe- 
darf der praktischen Musik gehörten, waren sie auch aller Willkür 
entkleidet und hatten in der damaligen Tonordnung ihre feste ge- 
setzmäßige Stellung. Das betraf hauptsächlich Viererlei. 

Zunächst mußte man sich hüten, durch irgend welche Zusätze 
die Textworte undeutlich oder unverständlich werden zu lassen. So- 
dann sollte man die verzierten Stellen nicht retardiren, sondern streng 



Lodoyico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 289 



im Takt ausfuhren. Beide Regeln unsers Altmeisters Zacconi kehren 
zu allen Zeiten wieder bei allen Autoren, die den Beruf hatten, über 
den Gegenstand zu schreiben. 

Drittens waren die Schmucknoten nur bei gewissen Tönen der 
Skala anzuwenden. Als Skala gilt hier selbstredend nicht unsere 
Oktave, sondern das Hexachord der Guidonischen Hand, dessen 
Grundton (ut) unantastbar ist. Die sprungweisen Bewegungen, welche 
hier in Betracht kommen, gehen nicht über die Quinte hinaus. 
Sextensprünge sind zwar in der damaligen mehrstimmigen Musik 
nicht selten und unter diesen auch solche der großen Sexte, die also 
das ganze Hexachord umspannen, wie man an den barocken Beispielen 
3, 4 und 7 auf Seite 270 sieht; aber die letzteren Gänge galten für un- 
schön oder unbeholfen und wurden im besten Falle angesehen als aus 
zwei Tönen bestehend, die isolirt bleiben müssen. Seit 1600, wo dieses 
Intervall im Sext- oder Quartsext-Akkorde eine feste harmonische 
Unterlage erlangte, hatte dasselbe damit auch in der Melodie das 
Bürgerrecht gewonnen, und diese Teränderte Stellung verschaffte dem 
vortragenden Sänger für seine Ausschmückungen einen Spielraum, 
welcher ihm früher verschlossen war. 

Ebenso wurde Viertens eine Begrenzung angegeben hinsichtlich 
der Tonstücke oder gewisser Stellen in denselben, wo der graziöse 
freie Schmuck anzubringen war. Was ohne denselben besser klang, 
sollte ungeschmückt bleiben. Dies bezog sich namentlich auf jene 
»Fugen oder Phantasien«, oder auf Theile derselben, deren Gewebe 
nicht zuließ, daß die Noten anders als in vorgeschriebener Weise 
ausgeführt wurden. Um solches in einem kleinen Beispiele zu 
zeigen, betrachte man den Takt auf Seite 285. Will man hier 



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nach Zacconi's Angabe so vortragen 




dann kann dies doch nur unter der Voraussetzung geschehen, daß 
die übrigen Stimmen eine derartige Theilung der letzten Note ge- 
statten. 

Hält man diese Vorschriften zusammen, so läßt sich leicht be- 
merken, daß dadurch all und jeder Willkür ein Riegel vorgeschoben, 
aber auch dem Sänger eine Aufgabe zuertheilt war, welche eine voll- 
ständige Durchdringung der vorzutragenden Komposition nach allen 
Seiten hin voraus setzte. Solche Lehrvorschriften dürften daher am 
meisten geeignet sein, uns mit Bewunderung zu erfüllen über den 
Höhenstand der damaligen Virtuosität. 



290 Friedrich Chrytander, 



Kapitel 64 

bespricht die passende Art, die Worte oder den Text zu den Noten 
zu singen. Zwar möchte Belehrung hierüber unnöthig scheinen, meint 
er, da es genüge zu wissen, daß die Worte so gesungen werden 
müssen, wie sie unter den Noten stehen. Aber es sei doch mancherlei 
zu beachten: verständliche und deutliche Aussprache, Befolgung der 
Wiederholungszeichen, auch Vermeidung aller willkürlichen Zer- 
stückelung der Wörter. »Die Komponisten, wenn sie die Wörter 
zerstückeln wollen, um ihren Sinn in den Tönen nachzuahmen, 
wissen sehr wohl den richtigen Weg zu finden, z. B. wenn sie einen 
Seufzer auszudrücken haben, unterbrechen sie die Wörter so gut ver- 
mittelst stummer Noten-Pausen, daß es in der That scheint, als ob 
man seufze.« Gleichfalls soll man sich hüten, Ende und Anfang 
verschiedener Wörter in einander zu schleifen. »Alles das vermeide 
man auf's möglichste; denn unter all den guten Dingen, die man 
an einem Sänger während seines Vortrages beachtet, ist auch das, 
ob er die Worte deutlich ausspricht und überhaupt ohne Mängel und 
Fehler hören läßt.t (Fol. 57».) 

Kapitel 65 

behandelt, gleichsam als Ergänzung des vorigen, die Yortheile, von 
welchen der den Noten hinzu gefügte Funkt, die sogenannte Augmen- 
tation, für die deutliche und sinngemäße Aussprache der gesungenen 
Worte gewesen ist. »Denn wenn dieser Punkt nicht im Gesänge 
vorhanden wäre, so müßte man viele Worte barbarisch und gegen 
alle grammatikalische Rlangrichtigkeit aussprechen.« 

Was uns heute durch eine lange Gewöhnung als eine Kleinig- 
keit erscheint, die kaum noch beachtet zu werden braucht und schon 
beim ersten Notenunterricht erledigt wird, war in jener Zeit, wo der 
Funkt zuerst in die musikalische Komposition eingeführt wurde, von 
größter Wichtigkeit, denn er gehörte zu den Regulatoren, welche 
die neue mehrstimmige Figuralmusik für wirklichen Gesang geeignet 
machten. Deßhalb schilt Zacconi auch jene Komponisten, die sich 
diese bequeme Gelegenheit, sinnvoll und deutlich zu singen, nicht 
zu nutze machen, sondern wie Barbaren ihre Texte behandeln, was 
um so mehr eine Schande sei, J»a1s heutigen Tages unsere Ohren so 
gereinigt sind, daß auch der kleinste Fehler beleidigt«, nicht bloß 
bei lateinischen, sondern auch bei italienischen Wörtern. Denn er 
möchte sich »erkühnen zu behaupten, daß der Erfinder des Augmen- 
tations-Funktes ihn nicht bloß erfand und sodann in die Musik ein- 
führte, um eine Note um den Werth der nächsten Note zu ver- 



LodoTico Zaoeoni als Lehrer des Kunstgesanges. 291 

• 

mehren, sondern auch, um die Worte hurtig aussprechen zu lassen, 
und das letztere war yielleicht seine eigentliche Absicht. Denn wenn 
wir diesen Augmentations-Punkt recht betrachten, so kommt er nach 
seiner eigentlichen Bedeutung bloB in den zweitheiligen Kantilenen 
(cantüene hinarie) oder der imperfekten [d. i. geraden] Zeit vor, und 
nur nebensächlich behufs der Deutlichkeit im dreitheiUgen Zeitmaß.« 
Die Deutlichkeit der Aussprache beim Gesänge einzuprägen, 
verursachte damals große Mühe, weil die Figuralmusik noch so jung 
und die Notenschrift unentwickelt war. Aber unaufhörlich richtete 
man das Augenmerk darauf, durch sinnvolle Notentheilung das Wort 
so deutlich und verständlich zu machen, »daß es ebenso gut klingt 
und nicht weniger leicht verstanden wird, als wenn es gesprochen 
wäre.« Dabei muß man sich an die Noten von mittlerem Werth 
halten, sagt Zacconi, denn bei den sehr lang ausgehaltenen Tönen 
verschwindet das Wort, und bei den ganz kurzen sind überhaupt 
keine Silben mehr anzubringen. (Fol. 57*» — 58"^.) 

Kapitel 67 

schärft dem Kapellmeister, der zugleich immer Komponist war, das 
Gewissen und erinnert daran, daß «deßhalb ein Werk mehr gefällt 
als das andere, weil sein Komponist beim Schaffen einige neue und 
zugleich leichte Verzierungen einflocht, von denen dagegen, wenn 
sie schwer wären, niemand reden noch sie verlangen oder schätzen 
würde.« Denn »man sieht in den Bibliotheken neuere Kompositionen, 
die schon veraltet sind, ohne dem Komponisten Ehre und dem Ver- 
leger Gewinn gebracht zu haben, weil sie ohne Lieblichkeit und 
Melodie und dabei doch sehr schwer sind.<r Diese Tonsetzer »glauben 
vielleicht, daß sie, wenn sie ihre Musik recht schwierig setzen, damit 
Neues an Melodie und harmonischer Erfindung produciit haben, 
sehen aber nicht, daß die Sänger solche Musik unberücksichtigt 
lassen, oder aber beim Singen jene Abänderung der Noten vor- 
nehmen, deren Verwirrung ich oben getadelt habe.« (Fol. 76* — 77*.) 

Kapitel 68. 

Welche Art von Stimmen man zu wählen hat, tun eine gute Musik zu machen. 
(Di quäl sorte dt voci s% dehbe far eüetione per far huona Musica.) 

»Wer insgeheim sich mit irgend einem besonderen Studium 
beschäftigt, ohne daß ein Anderer weiß, was er im Sinne hat, der 
wird immer aus der Meinung Anderer dasjenige heraus suchen, 
was unter den verschiedenen Ansichten überein stimmt, um sich 
bei Gelegenheit dessen bedienen und zu seiner Rechtfertigung 
Diesem oder Jenem die gemeinsame Ansicht vorhalten zu können. 



292 



Friedrich Chrysander, 



So habe auch ich gethan, indem ich mit ganzem FleiB und Streben, 
ohne daß man je meine Absicht gemerkt hätte, die Yerschiedeneii 
Meinungen Anderer über die menschlichen Stimmen sammelte , 
denn beim Singen pflegt doch eine Stimme mehr zu ergötzen als 
die andere, und thatsächlich gefallt dem Einen die eine und dem 
Andern eine andere Art von Stimmen. Aber bei den vielen und 
verschiedenen Meinungen habe ich durch Beobachtung gefunden, 
daß von den Kopf- und den Bruststimmen nach gemeinsamer An- 
sicht die Bruststimmen am besten sind. 

Indessen, weil unter den Bruststimmen sich einige finden, 
die man stumpfe Stimmen nennt, so will ich zur Unterscheidung^ 
sagen, daß die Stimmen entweder nur Kopf- oder nur Bruststinimen 
oder nur stumpfe Stimmen sind: und zwar sage ich »nur« (mera- 
mente) deßhalb. weil sich einige finden, die halb Kopf-, halb Brust- 
stimme sind. 

Die bloßen Kopfstimmen (voci di testa) sind die, welche mit 
einer klaren und durchdringenden Schärfe ohne Anstrengung seitens 
des Singenden heraus kommen. Sie treffen vermöge ihrer scharfen 
Höhe so fröhlich an unser Ohr, daß sie andern Stimmen, obgleich 
diese größer und fröhlicher sind, doch überlegen scheinen. 

Die bloßen Bruststimmen (voci di petto) sind solche, die beim 
Intoniren — welches sie im Ausstoßen aus der Kehle bewirken — 
durch die Kraft der Brust heraus getrieben zu werden scheinen. 
Sie pflegen erheblich mehr Vergnügen zu bereiten, als die Kopf- 
stimmen, und sie haben die Wirkung, daß man ihrer niemals 
überdrüssig wird, während andere [Stimmen] nicht bloß UeberdruB 
und Langeweile, sondern in kurzer Zeit auch Widerwillen und 
Ekel erregen. 

Die letzten, die bloß stumpfen Stimmen (voci ohtuse d. i. 
ottuse) sind die, welche für gewöhnlich stumme genannt werden. 
Unter den andern — munter wie diese sind oder wenigstens sein 
können — vernimmt man sie nicht, sondern sie sind da zwischen 
so gut wie gar nicht vorhanden. 

Unter diesen drei Arten findet man einige mittlere oder halbe 
Stimmen, die nämlich theils Kopf-, theils Bruststimmen sind; und 
wieder andere, die theils Bruststimmen und theils stumpfe Stimmen 
sind. Sie werden so genannt wegen der von ihnen zu vernehmenden 
Wirkung, weil sie halb zu der einen und halb zu der andern Art 
gehören. 

Diese Mittelstimmen anlangend, sagt man, daß, wenn sie mehr 
von der Brust- als von der Kopfstimme besitzen, sie immer mehr 
Vergnügen bereiten, als die [bloßen] Bruststimmen imd die stumpfen 



LodoTico Zacooni als Lehrer des Kunstgesanges. 293 



Stimmen. Denn die Brechung [der Töne], welche die Stimme in 
jener starken Röhre [der Kehle] hervor bringt — man nennt es 
Mordent — ist bei einiger Mäßigung so angenehm und ergötzlich, 
daß die Ohren yoU befriedigt sind, mehr als von jenen andern, 
die bei dem Mangel dieses Mordentes großentheils stumm bleiben 
und jene Annehmlichkeit nicht darbieten. (Perche il frarigere che 
fa la voce in quella tuba forte ^ si chiama mordente et i per la 
temperanza so grata et diletteuole^ che Vorrechte restano sodisfatte 
et consolate, piu che non fanno di queV altre che per esser spogliate 
di questo mordente ^ restano in gran parte mute^ et non porgano 
quella delettatione,) 

Wollen wir aber ein wenig eingehender die wahre Natur der 
Stimme erforschen, so werden wir finden, daß die Bruststimme die 
eigentliche und natürlichste ist, nicht allein weil die Brust sie 
hervor bringt, indem diese die Instrumente [d. h. Lungen] dazu 
in sich enthält, sondern auch, weil die Bruststimme immer als die 
[musikalisch oder tonlich] richtigste befunden wird. Denn man 
wird niemals bemerken, daß die Bruststimme falsch ist, wie die 
Kopfstimme und die stumpfe Stimme, die man selten ohne jenen 
besonderen Mangel, falsch zu sein, antreifen kann. 

Nun hat man unter allen Stimmen immer die Bruststimmen 
zu wählen, um von einer guten Komposition den besten Eindruck 
zu erhalten, und besonders die [mittleren], welche jenen genannten 
angenehmen Mordent haben, der wohl gebrochen aber nicht schlecht 
klingt; und man hat unberücksichtigt zu lassen alle stumpfen 
Stimmen und auch die bloßen Kopfstimmen, .denn die ersteren 
hört man zwischen den andern nicht, und die Kopfstimmen über- 
wiegen zu sehr (superano troppo). 

Wenn man [aber] unter den Stimmen, die zuweilen falsch 
sind, die Wahl hat zwischen denen, die beim Singen schwächer wer- 
den und solchen, die stärker werden^ so hat man lieber die stärker 
werdenden zu nehmen, als die schwächeren; denn dieser Mangel ist 
[bei den stärker werdenden Stimmen] seiner Natur nach erträglicher. 
Auch soll bemerkt werden, daß, wenn hier von falschen Stimmen 
die Rede ist, die ganz falschen ausgeschlossen sind, damit diese auf 
keinen Fall bei der Wahl in Betracht kommen. Denn wenn der 
Mangel gering ist, so nehmen wir gern den übrigen [besseren und 
größeren] Theil an; ist er aber zu groß, so wird es unerträglich. 

Bei der Auswahl gut das aber nicht sowohl für die Stimmen, 
welche stark zu singen haben, als vielmehr für diejenigen, welche 
piano zu singen haben, da [hier] der Fehler, falsch und Kopfstimme 
zu sein, auf jeden Fall zu Gehör kommt und beleidigt. Wenn 



294 Friedrich Chrysander, 



Sänger mit jenen einzigen und vollendeten Stimmen, von denen 
ich sagte, daB man sie zur Ausfiihning einer guten Musik wählen 
müsse, nicht vorhanden sind, so wird man das Singen darum doch 
nicht einstellen. Es giebt ja noch andere Arten von Sängern, 
welche immerhin nicht die traurigsten und schlechtesten sind, die 
man findet. Denn man weiß ja wohl, daß hier auf Erden nur 
wenige Stimmen denen der Engel und den göttlichen ähnlich sind. 
Es wird genügen, wenn man mittelmäßige oder annähernd gute 
findet. Aber weil auch die stumpfen Stimmen ihren Dienst zu 
thun haben und man sie nicht gänzlich bei Seite schieben kann, 
so wird man von ihnen die, welche am meisten klar sind, mit den 
andern einführen, und man wird Acht haben, daß sie groBentheils 
richtig und nicht ganz und gar mangelhaft seien, so daß sie einen 
guten musikalischen Körper abgeben von gleichmäßiger Harmonie. 

Ich sage nun nichts von jenen Stimmen, welche zu keinerlei 
Vollendung gelangen und als ganz unvollkommen unter den andern 
rangiren, denn über diese vermag Jeder zu urtheilen: sondern 
ich will nur von den Stimmen reden, die zwar nicht so [voll- 
kommen] gut sind, aber eine sehr hübsche Manier zu singen 
haben, und die man zum Theil nicht unberücksichtigt lassen darf. 
Denn die seltenen Reize (vaghezze) und ergötzenden Accente sind 
es, welche mehr gefallen und in diesem Falle alle Mängel ver- 
decken, besonders wenn genannte Accente gut heraus kommen und 
gut begleitet werden. Das kommt von dem großen Vergnügen, 
welches das Publikum empfindet beim Anhören dieser schönen 
Brechungen und getheilten Noten, die man so nicht von Allen 
hört, denn keineswegs besitzen AUe die Geschicklichkeit, sie so 
zu theilen und zu brechen. 

Wenn also diejenigen Stimmen, welche ganz besonders mangel- 
haft und zum Theil unerträglich sind, nicht etwas an sich haben, 
was sie andrerseits würzt und ergötzlich macht, so muß man sie 
bei Seite lassen, außer in absonderlichen Fällen der Noth und des 
Zwanges; und von solchen [Stimmen], die mit Recht den Namen 
der berufenen verdienen, aber dabei nicht ganz Bruststimmen sind, 
hat man diejenigen, welche ein wenig von jener gemäßigten 
Brechung haben, für besser zu halten, als andere, die taub oder 
fast stumm klingen. Denn, wie ich oben gesagt habe, es sind 
wenige Stimmen völlig vollendet: und wenn man die Wahl hat 
zwischen Stimmen, die beim Aufsteigen und solchen, die beim Ab- 
steigen UnvoUkommenheiten haben, so werden die aufsteigenden 
die besseren sein und zwar deßhalb, weil es für die richtigen und 
guten Stimmen (wenn letztere überhaupt wegen der mangelhaften 



Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 295 



[Begleii]- Stimme sich von ihrem guten Tone weg zu begehen 
haben) leichter ist, mit diesen aufzusteigen, als mit jenen andern 
abzusteigen. Wenn man nun keine [geschulten] Sänger hat, so 
sollen die Stimmen, obgleich sie nicht allesammt gut sind, eine 
die andere umarmen [,sich gegenseitig haltend,] und so gut es an- 
geht dahin fließen.« (Fol. 77»— 78».) 

Kapitel 69 

zeigt die Weise, wie man damals beim Beginn des Gesanges den 
einzelnen Stimmen den Ton angab. 

Die Kenntniß der verschiedenen Tonarten wurde dabei voraus 
gesetzt; dann war die Intonations- Kegel für den 1. und 9. Ton 
re-fa-la^ für den 2. Ton sol-re und re-la^ für den 3. tni-mij u. s. w. 
Den gewöhnlichen Praktikern war dieses aber zu schwierig, weil 
eine genauere Kenntniß der zahlreichen alten Tonarten bei ihnen 
meistens nicht mehr vorhanden war. Wem das also zu schwer ist, 
sagt Zacconi, »der habe folgende vier Regeln im Gedächtniß: Re-la 
dient zur Intonation für den 1., 2., 9. und 10. Ton, mi-tni für den 
3. und 4., fa-fa für den 5. und 6., und ut-sol für den 7., 8., 11. 
und 12., so daß er auf diese Weise nicht irren kann.« 

Auch in diesem Kapitel kommt der Autor darauf zurück, daß 
in Kirchen laut zu singen war, der Sängerchor daher auch ent- 
sprechend stark und heftig zu intöniren hatte, während im Kammer- 
gesange das Piano herrschte, denn hier hatte man sich nicht fiir 
neugierige Nachbaren hören zu lassen. (Fol. 78.) 

Kapitel 70 und 71 

besprechen hierauf die Zeichen, welche das Ende der Gesänge an- 
geben. 

Nachdem er Anfang und Mitte der Kompositionen behandelt 
habe, sagt Zacconi, halte er es für gleich wichtig, auch über die Be- 
endigung derselben zu sprechen, denn wie beim Anfang um Modus 
und Kunst, in der Mitte um Schmuck und Vortrag, so handle es sich 
bei dem Ende um Vortrag, Ausschmückung, Kunst und den ent- 
sprechenden Modus, also um alles Vorhergehende zusammen. 

Von den hier erwähnten fünf Einzelheiten führe ich nur den 
ersten Fall an, wo eine andere (gewöhnlich eine mittlere) Stimme 
mit dem Basse gleichzeitig zur Finalis absteigt, wie es in den vier- bis 
acht-stimmigen Kompositionen am Ende und auch in der Mitte der 
Stücke vorkommt. An solchen Stellen muß der Sänger der oberen 



296 



Friedrich Chrysander, 



Stimme den Ton vorschlagen, um Oktaven mit dem Basse zu ver- 
meiden, zum Beispiel 



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singen. Auf 



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ähnliche Weise hat man sich bei Quinten und in andern Fällen ku 
helfen. 

Die Hauptsache bei den Final-Bewegungen bleibt immer das 
einträchtige Zusammengehen aller Hetheiligten, was Zacconi bei jeder 
Gelegenheit den Sängern einzuschärfen sucht. Um einen solchen 
Endzweck zu erreichen, soll man willkürliches Bitardiren vermeiden 
und unbedenklich »den überflüssigen Luxus an Verzierungen und 
Koloraturen bei Seite lassen. Denn die Verlangsamung der einen 
Stimme macht, daß man ein liebliches und delikates Ende nicht gut 
hört. Und das ist erklärlich, weil Einige beim Ende der Kantilenen 
mit den Koloraturen (gorgie) eine Stunde lang aushalten und dadurch 
bewirken, daß alle andern Gefährten dastehen und auf ihn [den 
kolorirenden Sänger] warten, zuweilen auch wohl, nachdem sie eine 
lange Zeit gewartet haben, ihren Gesang plötzlich abbrechen [und 
ihn im Stiche lassen]. Den Sängern sollen die Verzierungen, die 
Fassagen oder Gorgien nicht verwehrt werden, aber man verbietet 
ihnen das Zuviel und die Verschleppung ihrer Partie. Denn in der 
Mitte liegt der wahre Werth, wie ich oben und anderwärts gesagt 
habe. Auch die Knaben, die noch nicht schwimmen können, stehen 
im Wasser mehr am Ufer und spielen: aber der kühne und perfekte 
Schwimmer zieht beim Schwimmen eben dahin, wo es am tiefsten 
ist, denn dort hat er Freude an seiner Sicherheit.« (Fol. 78^ — 80*). 

Ueber die Endnote der Stücke sagt dann Kap. 7 1 das Bekannte, 
daß sie meistens sehr lang und nicht an ein bestimmtes Zeitmaß 
gebunden ist, sondern den Sängern zu beliebiger Austönung über- 
lassen bleibt, »weil das Ende eine Sammlung aller Thätigkeiten ist, 
in welcher sie ausruhen, und weil in der Musik alle Lieblichkeiten 
und Süßigkeiten wie in einem abschließenden Epilog sich vereinigen.« 
(Fol. 80.) 

Kapitel 25 mid 75 

gehören inhaltlich zusammen, denn im 75. Kapitel, wo »die haupt- 
sächlichen Pflichten des Sängers« aufgezählt werden (Fol. 82), 



Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 297 

wiederholt Zacconi nur das, was bereits gesagt war, besonders in 
Kapitel 25, auf welches er auch ausdrücklich verweist. Hier sieht 
man aufs neue, wie er bei enormen Kenntnissen und Einsichten so 
gar wenig darauf Bedacht nahm, den Lehrstoff methodisch zu ordnen. 
Kapitel 25 enthält auf kaum zwei Seiten bereits die gesammte Unter- 
weisungy von den ersten Elementen einer musikalischen Fibel an bis 
zu den höchsten Erfordernissen einer freien Sängerkunst, und außer- 
dem noch als Einleitung eine allgemeine Betrachtung über Natur 
und Kunst, Gutes und Böses, Untersuchimg der Principien, Streben 
nach Vollkommenheit, und anderes mehr. Als musikalische Sermone 
sind seine in sich abgerundeten Kapitel angenehm, gehaltreich und 
neu in ihrer Art, aber sehr unpraktisch als Lehrbuch. 

Bei Aufzählung der Gesetze und Normen, welche ein Sänger 
sich einzuprägen hat, betont er im 25. Kapitel wieder den weit 
höheren Werth des mehrstimmigen Gesanges im Vergleich zum Solo- 
gesänge. Dieses Urtheil war durchaus im Einklänge mit der Kunst- 
übung seiner Zeit, in welcher selbst der vollkommenste virtuose 
Künstler bei allem persönlichen Hervortreten doch niemals ein wirk- 
lich freier Solosänger wurde, sondern immer Gesammtsänger blieb. 
Zacconi sagt: 

»Alle diese [vorhin einzeln aufgeführten] Dinge zusammen 
machen die Musik aus : denn wenn die Stimmen durch Harmonie 
begleitet werden, so erhält man dabei jenen süßen Zusammenklang, 
der heutzutage von Allen Musik genannt wird. Und obgleich 
man von einer allein singenden Stimme, geschehe es nun ver- 
mittelst der Kunstregeln oder in der Art improvisirter Lieder, würde 
sagen können, daß sie musikalisch singt, so sagt man doch, daß 
eine solche [Stimme zwar] singt, aber nicht Musik singt, da sie 
ja nicht jenen Zusammenklang hervor bringt, wie es mehrere Stim- 
men thun, wenn sie vermittelst genannter Regeln vereinigt und 
[von einander] begleitet werden. Denn würde man sagen, daß er 
[der Solosänger] Musik singt, so verfiele man so recht in jene 
Meinung, der fast alle Schriftsteller huldigen, welche glauben, daß, 
wenn die Alten beim Lobe der Götter ihre Verse mit tönender 
und erbaulicher Stimme absangen, diese [unsere heutige akkord- 
liche] Musik schon zu jenen Zeiten existirt habe. Also : die Musik 
wird von allen oben aufgezählten Faktoren gebildet, in der Art 
und Weise wie es den Komponisten gut dünkt, und zwar so, daß 
er die Noten auf genannten Saiten [oder Liniensystemen] ordnet 
und vertheilt, wie es ihm am besten paßt und seinen Absichten 
zu entsprechen scheint; denn dazu und dafür sind sie erfunden 
worden. Alle andern Sachen nun, wie die Affekte beim Singen, 

1893. 20 



298 Friedrich Chrysander, 



die guten Stimmen, die ausschmückenden Accente, die schone 
Aussprache und die Yenderungen sind [zu notiren] nicht nothiren- 
dig, denn ohne sie bleibt Musik [als Komposition] Musik. Aber 
mit ihnen erscheint sie erheblich schöner und giebt mehr Ver- 
gnügen und Ergötzen. (Valtre cose pai come gTaffetti nel cantare, 
le btione voci, i vaghi accenti^ le belle profwncie, e gVomametUij non 
sono necessarij perche senza dt loro la Musica riman Mtisica: tna 
bene con esst assai meglio la comparisce, et ne rende maggiar dilettOy 
et piacereJ) Jedeij der sich mit Singen ve^nügt, muß studiren 
und bemüht sein, seine Sache gut zu machen, weil diese Verzie- 
rungen und schmückenden Accente nicht bloß die Musikstücke 
verschönern, sondern auch dem Sänger Ehre eintragen. Denn 
auf diese Weise bringt man es zu Ehre und Achtung und Ansehen, 
und man wird bei jeder Gelegenheit zum Gesang gerufen und da- 
für herzlich bedankt.« (Fol. 15^) 

Bei aller Umständlichkeit der Wortfügung, wie wir sie von 
Zacconi gewohnt sind, enthalten obige Sätze doch eine ganz piäcise 
Darlegung des richtigen Verhältnisses von Tonsatz und Ausführung. 
Der Nachdruck, mit welchem überall der verschönernde Einfluß des 
Vortragenden auf die Komposition betont wird, könnte sehr leicht 
dazu verleiten, nun diese Komposition an sich für etwas Unfertiges 
zu halten, für eine bloße Skizze, die der Sänger nicht nur zu ver- 
schönem, sondern durch seine Verschönerung auch zu verbessern 
und damit erst vollständig zu machen hätte. Aber eine solche An- 
sicht wäre ebenso irrig wie nachtheiUg. Alles was der Tonsetzer 
mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufzeichnen konnte, hat 
er vollständig aufgezeichnet; sein Werk ist fertig. Die Kritik mag 
daran rütteln und es vielleicht vernichten; aber ein Bessermacher 
soll seine Hand davon lassen, es sei denn, daß er ein eignes Gebilde 
von größerem Werth daraus zu gestalten vermag. Was noch hinzu 
kommen muß, um das Tonbild an das Ohr des Hörers zu tragen, 
ist nicht mehr Sache des Komponisten, sondern des ausführenden 
Sängers, oder des Komponisten nur dann, wenn er zugleich Sänger 
ist. Das war die anerkannte Stellung der beiden musikalischen 
Thätigkeiten von Alters her, bis auf Palestrina's Zeit und noch zwei 
Jahrhunderte nach derselben. 

In 

Kapitel 76 

wird vor einem Irrthum gewarnt, in den «sowohl ein sicherer wie 
ein furchtsamer Sänger leicht gerathen kann«, indem er die Kegel, 
nach welcher »alle einfachen und gewöhnlichen Kadenzen ihrem 



Lodovioo Zaoeoni als Lehrer des Kunstgesanges. 



299 



eigenüichen Wesen nach von der Diesis [dem Unterhalbton] gestützt 
sind und damit Halt und Stütze in der vorletzten Note haben« (wie 

+ 

gezeigt ist], nun auch bei den 



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Schlüssen in der diatonischen i?-Leiter anwendet: 

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Hier auf der vorletzten Note dis 



zu nehmen statt d, lag dem unvorsichtigen Sänger um so näher, weil 
die Stimme an sich zum chromatischen Gesänge neigt und in einem 
solchen auch durch uralte Praxis geübt war. (Fol. 82^.} 

Kapitel 77. 

Was in den graiiösen Verzierungen und schönen Accenten der gewöhnlichen und 

gemeinen Kantilenen sehr zu vermeiden ist. 

Selten pflegt es zu geschehen, sagt Zacconi in der unvermeid- 
lichen Einleitung, daB ein Mensch in seiner bestimmten Thätigkeit 
nicht irgend etwas Verkehrtes oder Schlechtes t}iut. Das soll hier 
aber nicht in aller Breite und Vollständigkeit aufgezählt werden; 
sondern 
»Ich will in meinem gegenwärtigen Vorhaben . . . nur das Eine 
beabsichtigen, dem Sänger zu zeigen, was er beim Singen vermeiden 
muß. Wenn wir alle die anmuthigen Bewegungen und reizenden 
Accente, die von dem Sänger auf dieser oder jener Note gemacht 
werden, betrachten, so sage ich : alle sind schön und gut, wenn 
man sie von Unsauberkeit gereinigt und geläutert hat ; aber immer 
pflegt doch eine mehr als die andere zu gefallen und zu ergötzen, 
da eben eine mehr als die andere gut und passend ist. 

Nun wissen wir, wie schon gesagt, daß die einfachen Accente 
wie auch die einfachen Passagen der Kehle [gorgia) in den Kanti- 
lenen diejenigen Dinge sind, welche am meisten Genuß und Ge- 
uugthuung gewähren. Doch wird Einiges davon durch Manche 
schlecht heraus gebracht. Um solches dem Sänger bemerklich zu 
machen und um ihn zu reinigen, sage ich, daß man oft etwas hört, 
was abscheulich ist. Zum Beispiel, bei Passagen machen Einige 
diese widerlichen Arten von Ritornellen: 




indem sie solche wiederholte Verdoppelungen von Noten länger 
fortfuhren, als es sein kann, und nicht gewahr werden, wie 

20* 



300 Friedrich Chrysander, 



langweilig und widerwärtig derartige Schritte sind. Denn in diesem 
wie in jedem andern Falle hat der Sänger niemals seine Gor^en 
oder Passagen zu wiederholen, wenn seine Passagen oder Goi^en 
nicht andere [verschiedenartige] Brechungen haben. Denn jene 
ähnlichen [oder gleichen] Brechungen sind nur gut am Ende der 
Kadenzen, auf der vorletzten Note, wenn man schließen will. Uncl 
um so weniger sprechen sie [anderswo] an, als derjenige, welcher 
sie gebraucht, sie nicht klar hinstellt und nicht vollkommen gut 
macht. 

Dabei will ich noch bemerken, daß ähnliche Kadenzschritte 
nach allgemeiner Annahme immer besser sind, wenn die [von oben 
ausgehende] Bewegung sich wieder nach oben erhebt, wie ich ina 
66. Kapitel bei jenem besonderen Schritte von la fa la gezeigt 
habe^, und nicht so, wie man es hier [in dem angeführten Bei- 
spiele] sieht, von unten. Denn er gelingt besser von oben, als 
von unten, und man hat auch einen besseren Eindruck davon. 

In ähnlicher Weise findet sich auch Anderes, was man durch 
Beobachtung an Andern von selbst zu vermeiden lernen kann. 
Denn wer nur ein wenig Beruf hat, der lernt das Gute und 
Schlechte unterscheiden, wenn er es von Andern hört. 

Dieses Wenige, glaube ich, wird genügen, denn dem Ver- 
ständigen genügt ein bloßer Wink, wo dem Ignoranten nicht ein- 
mal das Zehnfache von Unterrichtsstunden genug ist. Und wünscht 
der Intelligente noch weitere Belehrungen, so möge er Andere 
beim Singen beobachten, nicht allein das [beachtend] was ihm, 
sondern auch was verschiedenen und den meisten Menschen ge- 
fällt. Denn bei solchen Beobachtungen wird er sich das Gute 
auswählen und andererseits das Schlechte fahren lassen. a (FoL 
82^—83».) 

Kapitel 78. 

Ob alle Verschönerungen und Singmanieren, die sich in einer Stimme gut aus- 
nehmen, auch in einer andern gestattet sind. \Se tutte le vaghezze et moniere dt 
cantare che stanno bene ä una parte si concede aÜ* aUra.) 

«Um dem großen Mißbrauche abzuhelfen, den die Sänger oft 
beim Singen begehen und hören lassen, habe ich mich entschlossen, 
über dieses besondere Thema gegenwärtige Bemerkungen kund zu 
geben, damit ein großer Theil von berühmten Sängern den Irrthum 
erkennt, der ziemlich häufig und ohne Absicht begangen wird, im 
Glauben das gut zu machen, was man vielmehr schlecht macht 



i Man sehe den 1. Abschnitt, Vierteljahrsschrift 1891. S. 356—357. 



Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 301 



Jeder Sänger soll wissen^ daß viele Accente und Ausschmückungen 
im Sopran erlaubt sind, die man jeder andern Stimme verbietet; 
und viele von ihnen, die man sowohl dem Sopran wie den andern 
Stimmen erlaubt, sind dem Basse nicht gestattet. Denn so oft die 
genannten Verzierungen und Accente gewisse beifolgende und ge- 
wöhnliche Begleitungen [oder gewohnte harmonische Gänge] haben, 
sd erlaubt man sie meistens allen Stimmen, außer der des Basses; 
denn der Baß, als tiefe Stimme und auf entgegen-gesetzte Gesetze 
gebaut, hat andere Manieren, als die übrigen Stimmen. Ich sage 
entgegen-gesetzte Gesetze [contrari; ordini), denn seine Stimm- 
führung ist um so schöner und besser, je mehr seine Bewegungen 
sprunghaft sind und weit von einander liegen. 

Es werden also dem Basse viele Schritte wohl anstehen, die 
den andern Stimmen nicht zukommen. So z. B. kann man wohl 
sagen, daß es sein Vorrecht ist, diesen Oktavschritt 



; _ ^f p a y # m 



zu nehmen, der einer andern Stimme nicht so erlaubt ist. Obgleich 
es nun gut scheinen möchte, wenn der Tenor die Möglichkeit 
hätte, ihn [den Oktavenschritt auch] zu nehmen, besonders wenn 
der Tenor den andern Stimmen als Grundstimme dient, so ist es 
doch ein Fehler, ihn zu machen, und zwar ein um so größerer, 
wenn besagter Tenor stark singt. Denn oft hört man [die anderen 
Stimmen] bei diesen Stellen, wo er herab steigt, um jenen Oktav* 
schritt zu machen, garnicht, und das ruft dann eine befremdende 
und häßliche Wirkung hervor. Man möge also diejenigen tadeln, 
welche bei der Ausführung jene Note, von der sie dann die Oktave 
nehmen wollen, mit allzu großer Heftigkeit singen. 

Noch will ich bemerken, daß man dem Basse [den obigen 
Oktavenschritt] erlaubt, wenn der, welcher ihn singt, alles geschickt 
und kräftig genug ausführt. Aber wenn er dazu nicht fähig ist 
und nicht die Stimme hat, die es zur Zufriedenheit heraus bringt, 
soll er es lieber sein lassen. Übrigens, wenn die Finalis in den 
gewöhnlichen Saiten [oder tieferen Tönen] liegt, muß man beim 
Fortesingen auf keinen Fall die Oktave bilden. Denn wenn man 
sie bildet und die Stimme im Baß ist nicht genügend leistungs- 
fähig und kräftig, so bleibt die Musik jener Stimme leer [weil man 
nichts hört]. 

Deßwegen sei bemerkt, daß jeder Sänger diese besondere 
Überlegung anstellen muß, daß, wenn er forte singt, er die Noten 
singen muß wie der Komponist sie gesetzt hat. Wenn er aber 



302 Friedrich Chrysander, 



piano singt) so kann ei die Oktaven machen, falls ei sicher ist, 
daß sie da gut angebracht sind. Und nun mag er wissen, daß 
man sie dann für gut angebracht hält, wenn sie deutlich hörbar 
und so beschaffen sind, daß Jeder sie ohne Beleidigung [des Ohres] 
anhören und vernehmen kann. 

Die Oktavenschritte sind also allen über dem Basse liegenden 
Stimmen verboten, und auch der Baß darf sie nicht machen, \fenn 
er nicht sicher ist, sie auf das trefflichste und gut machen zu 
können. Denn macht man sie schlecht, dann mißfallt es so, daß 
kaum etwas widerwärtiger sein und mehr das Ohr beleidigen kann. 
Trotzdem wollen aber Viele nicht [zugeben], daß es gut sei, wenn 
sie [nämlich die Noten bei A in dem folgenden Beispiele] nicht 




so [wie bei B und C] oder durch andere Formeln [accompagnamenti] 
ähnlicher Natur begleitet [und damit verändert vorgetragen] werden, 
obgleich sie doch nicht so schlicht und einfach sind, daß man sie 
als nackt und bloß anerkennen [oder bezeichnen] könnte.^ 

Hierbei gilt denn mehr der Geschmack, als die schriftliche 
Lektion, da man in der Schrift gewisse Beispiele nicht nieder- 
legen kann, die sich bei der Besprechung mit der Stimme angeben 
lassen. Die Unterstützung durch die Feder kann indeß als ge- 
nügend angesehen werden, wenn sie mit ihrer Schrift zeigt und 
aufweist, was die Absicht des Schreibers ist. 

Hier sieht man nun, daß meine Absicht ist, einige Thorheiten 
von Sängern nachzuweisen, die leider gebräuchlich sind. Wenn 
ich diese [Fehler] nicht mit der Stimme vormache, so kann der- 
jenige, welcher das oben Gesagte nicht recht überlegt, es leider 
nicht verstehen. 



^ Die Ausdrücke accompagnare und aceompagnafnento bei Zacconi sind durch 
»begleiten« und »Begleitung« nicht yöUig wieder zu geben, weil sie damals eine 
weitere Bedeutung hatten, als jetzt, indem sie sich auch auf das mehrstimmige 
Zusammensingen bezogen und gleichfalls (wie in dem obigen Absätze) auf variirt 
vorgetragene Stellen. 



Lodovieo Zaoconi als Lehrer des Kunstgesanges. 303 



Indeß, nachdem ich nun das alles, was eines Schriftstellers 
Pflicht ist. abgethan habe, stelle ich Jedem das Verständniß und 
die Einsicht anheim, in der Überzeugung, daß, wenn nicht Alle, 
so doch Manche von ihnen so fleißig und scharfsinnig sein werden, 
vermittelst meiner Worte das, was ich sagen will, zu erfassen.« 
(Fol. 83.) 

Dieser Überzeugung oder Hoflnung unsers trefflichen Zacconi 
schließe ich mich ebenfalls an hinsichtlich dessen, was ich zur Er- 
läuterung der obigen Auszüge beigebracht habe. 



304 Friedrich Chrysander, 



Über die Komposition der Villanellen. 

Als letzte Mittheilung aus dem ersten Bande Zacconi's lasse ich hier 
zwei Kapitel folgen, welche ebenfalls mit gesanglichen Verhältnissen zu- 
sammen hängen, was die Überschrift freilich nicht vermuthen läßt. Die 
Abweichung des Notensatzes der Villanellen und ähnlicher Singsachen 
von den Motetten und Madrigalen war mitunter eine so vollständige 
und zugleich in ihrer Komposition eine scheinbar so widersinnige, 
daß die Erklärung dafür gesucht werden muß, wie Komponisten, 
welche in Motetten, Madrigalen und andern Zweigen des höheren 
Tonsatzes ihre Meisterschaft hinreichend bewiesen hatten, dazu kommen 
konnten, in den Villanellen oft Harmoniefolgen hin zu schreiben, die 
wie eine absichtliche Verspottung der Regeln des musikalischen Satzes 
aussehen. Zacconi ist, so viel ich weiß, der einzige alte Schriftsteller, 
welcher uns diese Erklärung gegeben hat, die aber, wie fast alles 
von ihm Geschriebene, bisher gänzlich unbeachtet geblieben ist. 

Anknüpfend an das, was im 71. Kapitel (S. 295) über die Ton- 
schlüsse gesagt wird, belehrt Zacconi uns nun in 

Kapitel 72. 

darüber, daß man bei Villanellen und Kanzonetten anders zu ver- 
fahren pflegt, als bei Motetten und Madrigalen, wodurch der ganze 
Tonsatz und damit auch der Schluß desselben abweichend sich ge- 
staltet. Man bildet bei diesen leichteren und einfacheren Gesängen 
musikalische Abschnitte, die wiederholt werden, giebt solches auch 
durch Zeichen an und folgt dabei den Zeilen und Strophen des Textes, 
woraus sich also liedförmige Gesänge ergeben. (Fol. 80^ — 81^). 

Nachdem diese mehr elementaren Sachen erledigt sind, läßt der 
Autor eine weitere und noch gründlichere Besprechung der Villanellen 
in dem nächsten Kapitel folgen, welches ich seiner Bedeutung w^en 
hier vollständig mittheile. 

Kapitel 73. 

Auf welche Weise die Villanellen und andere Schnurren den musUcalisehen 
Kegeln widersprechen können und ihnen nicht unterworfen sind. [In che modo 
le ViUanelle et aÜre Barzelette possano contradire et non esaer aoggette aüe regoU 

MtMxcali.) 

»Es giebt Manche, die sich gar sehr wundern und nach dem 
Grunde suchen, wie es kommt, daß die Villanellen und die anderen 



Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 305 

kleinen ähnlichen Sachen ohne Rücksicht auf die principiellen Ver- 
bote in 2, 3 odei 4 Quinten, einer nach der andern, unvermittelt 
durch Dissonanzen oder unvollkommene Konsonanzen, gesetzt werden. 
Diese müssen wissen, daß (gemäß dem Sprichwort) jede Kegel Aus- 
nahme erleidet. Aber diese Ausnahme hier läßt als Schluß und 
Antwort auch noch das zu, daß man es [durchaus] nicht für un- 
passend zu halten hat, wenn bei ähnlichen Arten von Gesängen 
sich zwei, drei oder mehr Quinten finden, in Anbetracht, daß es 
Kantilenen sind in Nachahmung jener Arien [Aeri), bei denen sich 
oline Kenntniß der Musik mehrere Stimmen vereinigen und nun 
in natürlichen Konsonanzen zusammen singen: wie wir das alle 
Alten von Personen thun sehen, die ein und denselben Vers singen 
wollen, den ein Anderer singt, und dabei nun [nach der Lage ihrer 
Stimme] die Töne und richtigen Klänge suchen, um ihren Sing- 
sang einem wirklich musikalischen Gesänge ähnlich zu machen. 
Wir können also annehmen, daß die Musiker, als sie diese Veran- 
staltungen sahen, die [ohne musikalische Schulung] nur vermittelst 
des Gehörs und der Natur zu Stande kamen, ihrerseits dieselben 
auf diese Form gebracht haben. 

Denn obwohl man sieht, daß diese Villanellen und die andern 
Sächelchen nicht bloße Volksgesänge {aeri) sind, sondern etwas 
Musikalisches darstellen und nach musikalischen Regeln gebildet 
wurden, so imitirt man bei ihnen, die ich aeri-artig nenne, doch 
jene hübschen [ländlichen] Lieder. 

Und dabei läßt sich die sonderbare Bemerkung machen, daß 
Diejenigen, welche von Musik nichts verstehen und die genannten 
Aeri in der Weise von Villanellen singen, keine Acht darauf haben, 
nicht bloß zwei oder mehrere Quinten, sondern auch zwei oder 
mehrere Oktaven zu machen, weil sie es nicht besser wissen; daß 
aber die Musiker, die da wissen, wie häßlich zwei Oktaven hinter 
einander wirken, sich darauf beschränken, lediglich die Quinten- 
folgen nachzuahmen, weil diese Konsonanzen mehr verdeckt sind 
als die der Oktaven. 

Und femer ist wahrzunehmen, daß man sich ihrer niemals in 
den Kompositionen zu zwei oder zu vier Stimmen, sondern allein 
in den dreistimmigen bedient, und zwar in diesen auch, wenn die 
Stimmen stufenweise fortschreiten, in Nachahmung der genannten 
Stimmen, die sich in ähnlichen Konsonanzen bewegen, aber in den 
engen Schritten sonst nicht zu bewegen wüßten, weil sie sich [nur 
auf diese Weise von einander] gut begleitet zu sein wissen. 

Deßhalb werden wir uns nicht wundern dürfen, wenn die 
Musiker bei der Nachahmung jener Gesänge oder Kantilenen in 



306 Friedrieh Chiysander, 



den stufen weisen Bewegungen zwei odei mehrere Quinten einfuhren ; 
sonst könnten sie dieselben überhaupt nicht imitiren. Und wer 
mich fragen sollte, weBhalb man sie Villanellen nannte, dem würde 
ich antworten, daß man vielleicht gewisse junge Mädchen zusammen 
ihre ergötzlichen Verse singen gehört hat mit jenen musikalischen 
Accenten, die sie den Versen zu geben pflegen, besonders wenn 
sie bei der Arbeit singen: und so hielt man es für das beste, sie 
Villanellen zu nennen. Vielleicht auch [kommt der Name daher] , 
daß man die Villanellen singen hörte, wenn die Leute auf den 
Feldern bei der Arbeit stehen. 

Dies ist also der Grund, warum die Musiker beim Verfertigen 
von gewissen Villanellen sich nicht vor Quintengängen scheuen; 
denn dann ahmen sie nicht den Gesang der Musiker nach, sondern 
verfahren wie diejenigen, welche ohne irgend eine musikalische 
Kenntniß singen und nur mittelst der durch das Gehör gefundenen 
Konsonanzen zusammen stimmen. Aber in den Villanellen zu zwei 
oder zu vier Stimmen gebraucht man sie nicht; denn in den vier- 
stimmigen ist es nöthig, Oktaven zu vermeiden, weil sie allzu offene 
Konsonanzen sind, und in den zweistimmigen, weil es da die 
[Quinte ohne die] Terz ist.««) (Fol. 81.) 

Die Villanellen, welche einen so bedeutenden Theil der musikalischen 
Literatur des 16. Jahrh. bilden, erhalten hierdurch eine Erklärung, 
die man erst dann recht willkommen heißen wird, wenn man sich die 
wegwerfenden Urtheile vergegenwärtigt, mit denen diese Gattung bisher 
bedacht ist. Selbst ernste und gewissenhafte Forscher machen darin 
keine Ausnahme; jeder schneidet den armen Villanellen im Vorbei- 
gehen ein unfreundliches Gesicht. Eine gediegene Arbeit von Herrn 
Bud. Schwartz über sDie Frottole im 15. Jahrhunderte erschien 1886 
in der »Vierteljahrsschrift«^). Gegen Ende dieser Abhandlung be- 
rührt der Verfasser auch die Villanellen und sagt: »Vl^ahre Kunstr 
werke sind aber die Frottolen im Vergleich zu den späteren Villa- 
nellen alla Napolitana, Diese Machwerke entsprechen genau den 
Anforderungen, die Cerone an die Frottolen gestellt hat. Gewöhnlich 
dreistimmig, hin und wieder auch vierstimmig, bewegen sie sich in dem 
primitivsten Kontrapunkt in ganz gewöhnlichen Quintparallelen «. Jede 
Vergleichung von Villanell und Frottole, meint er S. 462, werde »so- 
fort den Unterschied zwischen der Satzweise der norditalienischen 
Frottolisten und der Süditaliener «c erkennen lassen. 



^ »0< neüa a dua perche ei h la ierza» steht bei Zacconi, wobei die Worte 
welche ich in Klammer gesetzt habe, ausgelassen sein werden. 
» Bd. 2, S. 427—466. 



Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 307 

Es ist zunächst der in der angeführten Beuitheilung aufgerichtete 
Gegensatz von Nord und Süd, den wir beanstanden möchten. Nicht 
daß den Yillanellen ihr süditalienisches Naturell aberkannt werden 
sollte, wohl aber, daß sie maßgebend sein könnten für die Abschätzung 
der musikalischen Kunst hüben und drüben. Wer komponirte die 
Yillanellen? Waren es solche Stümper, wie man aus den gering- 
schätzigen Urtheilen schließen muß? Keineswegs waren sie das, sie 
whlten vielmehr zu den anerkannten Tonsetzern. Herr Schwartz 
fuhrt von Giovanni Damenico da Nola einige abschreckende Beispiele 
an. Nun war aber dieser Nola Kirchenkapellmeister in Neapel und 
komponirte geistliche Werke, von denen das erste Buch fünf- und 
sechstimmiger Motetten 1575 in Venedig gedruckt wurde. Auch im 
Gebiete weltlicher Kunstmusik muß er mit Erfolg thätig gewesen sein, 
denn nicht nur publicirte er seit 1545 mehrere Bücher vier- und 
fünftimmiger Madrigale, welche, wie jetzt aus Dr. VogeFs Verzeich- 
niß zu ersehen ist*], noch erhalten sind, sondern seine Gesänge 
wurden auch aufgenommen in viele Madrigal-Sammlungen jener Zeit 
und damit ausdrücklich den Erzeugnissen der ausgezeichnetsten Meister 
(di diversi excellentissimi mtisici) beigezählt. Und alles das kam nicht 
in einem süditalienischen Winkel an's Licht, sondern in Rom und 
besonders in Venedig, dem Centrum der damaligen Musik-Publikation. 
Auch Nola's Yillanellen erschienen in Venedig und müssen mit 
außerordentlichem Beifall aufgenommen worden sein. Die dreistim- 
migen »Canzoni Villaneschea, welche 1541 als seine erste jugendliche 
Veröffentlichung heraus kamen, wurden 1545 von einem andern 
Verleger zweimal nachgedruckt. Noch mehr scheint die 1567 publi- 
cirte Villanellen-Sammlung zu drei und vier Stimmen gefallen zu 
haben, denn von dieser brachte der Verleger schon 1569 eine neue 
Auflage, die ein Konkurrent dann sofort nachdruckte. Jener vene- 
tianische Verleger war aber nicht ein obskurer Geschäftsmann, son- 
dern einer der ersten Tonsetzer des Jahrhunderts, nämlich der große 
Claudio Merulo da Correggio, ein in seiner Bedeutung noch viel zu 
wenig erkannter Mann, welcher damals einen eignen Musikverlag 
etablirte und auf dem Titel des Nola'schen Werkes ausdrücklich be- 
zeugte, daß er es selber korrigirt habe [nuouamente date in luce, et 
correUe da Claudio da Corregio), sowie bei der zweiten Auflage, daß 
dieses Büchlein von ihm mit aller Sorgfalt neu aufgelegt sei (con 
ogni diligentia ristampate). Wäre hinsichtlich des Tonsatzes etwas 
Anstößiges darin gewesen, so war Claudio Merulo sicherlich mehr 



1 Bibliothek der gedruckten weltlichen Vocalmusik Italiens aus den Jahren 
1500—1700 von Dr. Emil Vogel. Band U, S. 22 ff. 



308 



Friedrieh Chrysander, 



befähigt, als wir heute, solches zu bemerken, und auch in der Lage, 
es entfernen zu können. 

Wir dürfen also Nola mit Recht den beliebtesten Komponisten 
jener Zeit beizählen. In dem kleinen lustigen Fache der Villanell- 
Kanzone war er offenbar zeitweilig ein tonangebender Meister und 
Bahnbrecher. Herr Schwartz konnte daher für seine Proben keinen 
besseren finden, als den genannten Autor. Von seinem ersten Bei- 
spiel aus Nola's Sammlung lautet der hierher gehörende Vordersatz 
(bei welchem ich den u4 moU-SchluBakkord des Druckes in Adnr ver- 
wandelt habe): 



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Auch der Anfangs- und Schlußakkord des zweiten Beispiels ist in 
Moll gedruckt, muß aber ebenfalls in Dur stehen: 




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Beide Sätzchen sind im Rhythmus wie auch meistens in der harmoni- 
schen Bewegung gleich. Wie man sieht, hat Nola hier an Quinten 
etwas Ordentliches ausgeschüttet. Dieselben bewegen sich stets in 
vollen Dreiklängen und diese müssen durchweg Dur-Dreiklänge sein, 
aus den weiterhin angeführten Gründen. 

Nola's Villanellen stimmen zu Zacconi's Beschreibung: sie sind 
dreistimmig, gestatten sich Quintengänge, vermeiden aber Oktaven. Durch 
solche Mittel brachten die Komponisten des sechzehnten Jahrhunderts 
den sicherlich uralten ergötzlichen Singsang des rohen Volkes in eine 
musikalische Form, wie sie gebildeten Ohren noch erträglich war. 

Bei den niedlichen Feldgesängen oder Volksgesängen müssen wir 
aber eine derartige musikalische Vorsicht nicht suchen. Diesen 



Lodovico Zacconi als Lehrer des Kunstgesanges. 309 



Sängern waren künstlerische Rücksichten unbekannt, sie konnten 
sich daher auch nur denjenigen Beschränkungen unterwerfen, die in 
ihren Tonmitteln und der vorhandenen Situation lagen. Oktaven 
wurden hier nicht vermieden , diese mußten ihnen sogar die Haupt- 
sache sein. Der Grund und Anfang ihres Singens war eben Ok- 
taven-Gesang von Frauen und Männern, denn nur hierdurch konnten 
sie die Hauptsache bei allem kunstlosen Zusammensingen erreichen, 
nämlich den Vortrag derselben Melodie von sämmtlichen betheiligten 
Stimmen, so daß alle mit einander Schritt hielten und in ihren Ton- 
folgen sich nachahmend begleiteten; zugleich erzielte man damit die 
einfachste, klarste und sicherste Harmonie oder die vollkommenste 
Konsonanz, wie die Alten es nannten. Aber wie kam man dann zu der 
weiteren Harmonie von Quinten und Terzen? Auf demselben Wege 
wie die Oktaven-Harmonie erlangt war, durch Nachahmung der Me- 
lodie. Man kann solches schon aus den obigen Beispielen lernen, 
die auch noch dadurch bezeichnend sind, daß sie Melodien enthalten, 
welche als typische Tonreihen vom Umfange der Terz und der Quarte 
in alten Zeiten am meisten gesungen wurden. Der erste von Nola's 



zur 



Sätzen hat JL = , der andere JL 

Melodie. So lange in sämmtlichen Stimmen diese Gänge nachge- 
macht werden, entstehen Dreiklang-Folgen und zwar in Dur, weßhalb 
die obigen Akkorde auch überall mit dem Dur -Zeichen versehen 
werden mußten. Der gebildete Komponist setzte diese Folgen nur 
soweit fort, wie die musikalische Wohlanständigkeit gestattete, und 
gab dabei der Harmonie zuliebe mitunter die genaue Nachahmung 
der Melodie preis, was wir an der Mittelstimme des zweiten Beispiels 
sehen, die ßs ff a b singt statt ^« g ah. Aber die ungeschulten Volks- 
haufen konnten keine andere Rücksicht kennen, als nur die, in allen 
Stimmen gleichzeitig genau dieselbe Melodie anzubringen, da sie mit 
dem Verlassen der Melodie ihren einzigen Halt verloren hätten. 
Hierbei sang Jeder nach seinem Schnabel. Die tiefen Bässe bewegten 
sich eine Oktave unter den oberen, so daß die Oktave in drei Stufen 
erklang; die höheren männlichen und die tieferen weiblichen Stim- 
men fanden sich in den Kegionen der Tenore imd Alte zurecht; 
durch die Oktaven -Harmonie der Bässe und Soprane wurde dabei 
das Ganze beherrscht. Betrachtet man jeden Dur-Akkord für sich, 
gleichsam als eine unbewegliche Tonsäule, so ergeben sich Terz und 
Quinte desselben fast von selbst, weil sie beide, ohne direkt intonirt 
zu sein, bereits in der Natur -Harmonie mittönen. Aber in diesen 
Mittelstimmen die Melodie halten zu können gegen die stärkeren 



3t0 Friedrich Chrysander. 



Oktaven oben und unten, erfordert eine Tonstärke von ungewöhn- 
licher Kraft und Sicherheit, und die hierin wahrnehmbare Selbständig- 
keit des Tonsinnes ist das eigentlich Bemerkenswerthe in dem übrigens 
so rohen und wilden Experiment. Denn eine solche Fähigkeit war 
nicht von heute auf morgen zu erwerben. Sie deutet auf lange Übung. 
Zacconi bekundet daher, trotz seiner ungenügenden Kenntnifi des 
Alterthums, historischen Scharfblick, wenn er oben im 23. Kapitel 
(S. 261) die Mehrstimmigkeit der antiken Musik überhaupt auf eine der- 
artige »natürliche, nicht künstliche« und doch )»anmuthige Harmonie« 
beschränkt. Als Bodensatz einer alten Kultur angesehen, dürfte es 
für diese Singweise bezeichnend sein, daß sie besonders in jenen 
süditalischen Gegenden heimisch war, wo das Griechenthum am 
längsten gewirkt hatte und auf seinem Grunde ein neues und eigen- 
artiges Volksleben erblühte. Dieses ländliche Singen war nur unbe- 
wußt harmonisch, beharrte starr auf der Grundstufe der Harmonie, 
konnte daher in dieser Hinsicht auch keiner Entwickelung fähig sein : 
der Kern desselben und der alleinige Leiter für die singende Schaar 
war und blieb die Melodie. Das ist aber noch ganz der antike 
Standpunkt. 

Auch ohne sachlichen Anhalt im Einzelnen, lediglich in Berück- 
sichtigung der Eigenart dieses Volkes und seiner uralten Weise der 
Fröhlichkeit, würde es der Phantasie ein Leichtes sein, sich auszu- 
malen, wie die beschriebene Kurzweil in Wirklichkeit gestaltet war. 
Ohne Zweifel kümmerte man sich dabei um die Regeln des guten 
Anstandes nicht mehr, als um die der musikalischen Fortschreitung, 
und das Singen war in Wirklichkeit ein tolles Durcheinander von 
Gesang, Tanz, Rede und Gesten: aber alles höchst ergötzlich. Es 
ließ sich erwarten, daß die Musiker des Landes einen solchen SpaB 
sich nicht würden entgehen lassen, gehörten sie doch zu den Haupt- 
lieferanten für die jährliche Faschings-Tollheit. Aber auch in der 
übrigen nüchternen Zeit mußten sie, besonders als musikalisches 
Kollegium unter sich, um so mehr die Neigung verspüren, alles 
Regelwerk durch Abschüttelung zu verspotten, je. stärker sie da- 
mals durch den musikalischen Tagesdienst an dasselbe gefesselt 
waren. Der Anregung folgend, die wir Zacconi verdanken, können 
wir daher wohl verstehen, wie die Musiker des sechzehnten Jahr- 
hunderts dazu kamen, diese Quelle der Narrheit in ihr Bette zu 
leiten und damit gleichsam über die eigne Kunst sich lustig zu 
machen. »Machwerke« waren diese ihre Villanellen- Kompositionen 
allerdings, aber Machwerke musikalischer Spaßmacher. 



Der Orgelspieler nnd Mnsikgelebrte Johann Valentin 

Eckelt, 1673—1732, 

nebst Angaben über Beruf und Stellung eines Organisten 

zu Wernigerode. 

Von 

Eduard Jacobs. 



Auf J. Val. Eckelt als Meister der Tonkunst und musikalischen 
Schriftsteller hat zuerst E. L. Gerber in seinem Lexikon der Ton- 
künstler I, Sp. 372 — 374, Leipzig 1790, hingewiesen, und was G. W. 
Fink (Ersch und Gruber I, 30, 455, Leipzig 1837), FetiSj Biogr. uni- 
ters, Illf 113 f., Paris 1868 f. und Mendel-Reißmann, Mus. Convers.- 
Lex. 3, 320, Berlin 1880, bringen, geht darauf zurück, bringt wenig- 
stens nichts neues hinzu. Nun ist aber Gerber's Auskunft nicht nur 
eine unzulängliche, sondern seine Angaben bedürfen auch mehrfach 
der Berichtigung. Eckelt's musikgeschichtliche Bedeutung ist aber 
groß genug, um einige nähere Nachricht über ihn nicht unnütz 
erscheinen zu lassen. Freilich vermögen wir auch nur das zu bieten, 
was sich aus wemigerödischen Quellen und einigen auswärtigen Er- 
kundigungen gewinnen ließ. 

Die Eckelt stammen aus dem sangesreichen Thüringerlande. 
Ein Jeremias Eckelt war in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts 
Bürgermeister in Ohrdruff. Als Eckelt und Eckholt finden wir den 
Familiennamen in demselben Jahrhundert auch in Gera und Leipzig 
vertreten^. Aber Joh. Valentins unmittelbare Vorfahren saßen wohl 
schon im 16. Jahrhundert^ in dem alten zur Grafschaft Gleichen 



1 Vgl. yersehiedene Leichpredigten von 1646 an auf derFürsÜ. Bibl. zu Wem. 
Die Leipziger Eckolts stammen freilich, wenigstens theilweise, aus dem Öster- 
reichischen: Steier, Wels u. s. f. 

3 In dem großen Sterbejahre 1638 stirbt am 8. Sept. eine Catharina Eckelten 
in Wemingshansen nach dem dortigen Kirchenbuche, fast bey 70 Jahren. 



312 Eduard Jacobs, 



gehörigen, in Folge eines Vergleichs von 1621 zehn Jahre später an 
die Grafen von Hohenlohe gelangten Dorfe Wemingshausen bei 
Erfurt, das als ein abgesprengtes Stückchen Land unter Sachsen- 
Gotha'scher Hoheit steht. 

Von dem urdeutschen Rufnamen Agiovald (7. Jahrh.), Eggiold 
abgeleitet erscheint nicht nur im Werningshäuser Kirchenbuch vor- 
herrschend, sondern vereinzelt auch noch in Wernigeröder Quellen 
der Familienname als Eckolt^ Des Musikers Voreltern mütterlicher- 
seits, die Caps, waren in gleicher Weise eine schon lange im Dorfe 
gesessene Familie 2. 

Geistig geweckt und an ihrem Orte angesehen müssen die Eckelts 
gewesen sein. Georg Ludwig Eckelt, der im Jahre 1676 verstarb, 
vermuthlich Joh. Valentins Oheim, war Vogt oder Amtsverwalter, 
das heißt Vertreter der damaligen Landesherren in Gerichtssachen, 
zu Werningshausen 5, der Vater aber, Johann Eckelt, von 1667 — 1675 
Schulmeister daselbst. Ihm wurde nun anfangs Mai des Jahres 1673 
von seiner Ehefrau Elisabeth der uns hier beschäftigende Sohn ge- 
boren und am 8. d. M. getauft, wobei er nach zwei Pathen die 
Namen Johann und Valentin beigelegt erhielt*. Da er schon als 
Kind im zweiten Lebensjahre am 19. Januar 1675 seinen Vater verlor 
und dem neunjährigen am 2 1 . Juni 1682 auch die Mutter durch den Tod 
entrissen wurde ^, so konnte nur die letztere seine früheste schulmäßige 
Unterweisung leiten, während nachher Vormünder und Gönner der 
Eltern Stelle vertreten mußten. Wir dürfen nun aber aus dem Um- 
stände, daß der früh Verwaiste sich eine gründliche Schulbildung 
aneignete, auch einen Rückschluß auf sein kräftiges geistiges Streben 
thun. Da Gerber, dem umfangreiche Aufzeichnungen von Eckelt's 
Hand zu Gebote standen, ausdrücklich sagt, derselbe habe in seiner 
Jugend zuerst die Schule zu Gotha besucht, wo er sowohl die Wissen- 
schaften überhaupt, als im besonderen Musik getrieben und diese 
Studien darauf in Erfurt fortgesetzt habe, so müssen wir, bis auf 



1 Joh. Eckolt und Elisabeth Caps, getraut den 6. Okt. 1669, Auszug aus 
dem Kirchenbuch, gleich den übrigen gütigst mitgetheilt von Herrn Pfarrer E. 
Lachmann, Wemingshausen 26. Okt. 1891. 

2 In dem erwähnten großen Sterbejahre wurde auch am 1. Juni »Martha 
Capsen, an die 80 Jahre alt« dahingerafft. 

3 Nach gütiger Mittheilung des Herrn Pfarrers Lachmann. 

* Hans Valentin, Johann Eckelts, Schulmeisters Sohn. Die Pathen: Herr 
Valentin Fröschel, Hans Schwartznau, Anna Margarethe, Herrn Voigts (etwa des 
Vogts Georg Ludw. E. ?) Tochter, den 8. May 1673. — Gerber Sp. 373 läßt ihn 
gegen Ende des 17. Jahrh., Fink a. a. O. kurz nach dem Jahre 1680, F6tis gegen 
1690, geboren werden. 

^ Nach dem Kirchenbuch. 



Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt 3|3 



weiteren Nachweis an dieser Reihenfolge festhalten, obwohl dem 
Knaben und Jünglinge die letztere Stadt nicht nur näher lag, son- 
dern auch Gotha es ist, wo wir später dem vierundzwanzigjährigen 
begegnen. 

Damals, das heißt gegen den Mai 1697, hatte Joh. Yal. nicht 
nur seine gute wissenschaftliche Vorbildung bereits hinter sich, er 
war auch schon ein die Bewunderung von Fachmännern erregender 
Meister in der Kunst des Orgelspiels. Aber er hatte sich auch be- 
reits als Tonsetzer versucht, denn einen Monat später bezeichnet er 
sich selbst als componista^. Jene Meisterschaft im Orgelspiel läßt 
bestimmt voraussetzen, daß er sich darin von Kindesbeinen geübt 
und Liebe und Verständniß dafür schon aus seinem Heimatsdorfe 
mitgebracht hatte. Dürfen wir die Nachricht, daß seit 1661 eine 
O^el im Gebrauche war^, so verstehen, daß sie erst damals eingeführt 
wurde, was auch an und für sich sehr wahrscheinlich ist, so ist auch 
anzunehmen, daß in jener älteren Zeit Joh. Valentins Vater als Lehrer 
zugleich die Orgel zu spielen hatte. So erklärte sich's denn um so 
mehr, wie des Lehrers Sohn durch lange Uebung zum Meister wurde. 

Im Besitze dieser Meisterschaft, nicht als Lehrling oder Geselle, 
begab sich J. Val. im Frühling des genannten Jahres auf die Wan- 
derschaft. Seine Absicht soll dabei gewesen sein, sich und seine 
Talente bekannt zu machen 3. Das mag ihn mit bewogen haben, 
aber aus seiner eigenhändigen Angabe können wir noch auf einen 
anderen in der Zeit liegenden idealeren Zweck seines Unternehmens 
schließen. Nach seiner eigenen Angabe trat er im April oder Mai 
1697 eine für damalige Verhältnisse nicht ganz kleine Reise von 
Gotha nach Hamburg an^. Bekanntlich war nun aber die alte 
Hansestadt damals, dank den Bemühungen des rechtskundigen Sena* 
tors Gerh. Schott, der Sitz eines außerordentlich regen musikalischen 
Lebens. Und während sich hier ein weltberühmtes Operninstitut 
befand, wirkte in der nicht weit entfernten Schwesterstadt Lübeck 
der gefeierte Buxtehude, der erste Meister im Orgelspiel. So ist es 
denn bei Eckelt ebenso wie acht Jahre später bei seinem jüngeren 
Zeitgenossen und Landsmann Joh. Seb. Bach eine Kunstreise zur 
Erweiterung seiner musikalischen Kenntnisse und Erfahrungen, zu 
der er sich aufmacht. 



1 Wernigerode, 9. Juni 1697 Jean Val. Eckelt, org. et comp. Vgl. Organisten- 
Bestall. in der Stadt Wern. B. 46, 2. Fürstl. H.-Arch. 

2 Sim. Schlierbach (s. 1826 Lehrer in Wemingshausen), Geschichtliche Nach- 
richten über Wem. 32 S. 80, Erfurt (1841) S. 25. 

3 Gerber Sp. 373. 

* Wernigerode, den 9. Juni 1697. F. H,-Arch. B. 46, 2. 

1893. 21 



314 Eduard Jacobs, 



Da erhält er unterwegs die Nachricht, dafi zu Wernigerode, wo 
seit einem Jahre der durch seine musikalischen Kenntnisse und Be- 
strebungen berufene Dr. Heinr. Greorg Neuß an der Spitze des 
Kirchenwesens stand, eine Organistenstelle erledigt sei. Das ver- 
anlaßte ihn, sich bei Neuß zu melden. Dieser wies ihn an den Mag. 
Joh. Bodinus, Pastor der verbundenen Kirchengemeinden zu Unser 
Lieben Frauen und S. Theobaldi, bei denen eben die durch des Orga- 
nisten Oswald Bodinus, Sohnes des Pastors, Ableben frei gewordene 
Stelle zu besetzen war. Nächst dem Pastor hatte er die Kirchväter 
der Gemeinde, endlich den regierenden Büi^ermeister aufzusuchend 

Bei allen diesen Besuchen scheint Eckelt einen guten Eindruck 
gemacht zu haben, und so wurde er alsbald auf den 21. Mai zur 
Ablegung einer Probe seiner Kunst in der Hauptkirche beschieden 2. 
Diesen Ausweis über seine Kunst hatte er aber nicht allein beizu- 
bringen, sondern in der kurzen Frist seit des vorigen Organisten 
Ableben hatten sich mehrere Mitbewerber eingefunden. Der eine 
war ein völlig gleichaltriger Heinrich Genzel, der sich nicht bloß auf 
seine Kunst, sondern daneben so sehr als geborner Nöschenröder auf 
den Nativismus seiner Landsleute verließ, daß er seine Organisten- 
stelle in Zilly au%egeben und nun bereits vier Wochen, ohne amtlich 
dazu aufgefordert zu sein, den Organistendienst zu U. L. Fr. versehen 
hatte. An Tüchtigkeit übertraf ihn ein geborener Derenburger 
Heßling. Dazu kamen noch zwei weitere Bewerber aus Braunschweig 
und Blankenburg. 

Der genaue Bericht, den der Superintendent Neuß dem Grafen 
Ernst zu Stolberg über diese Organistenprobe abstattete, verdient es 
wohl, daß wir das Wesentliche daraus wörtlich mittheilen. NeuO 
schreibt : 

»Als nun der Tag zur Proba angestellet war, ging ich nebst 
Hern Mag. Bodino zur Kirchen, nahm auch den Hern Capellan mit, 
als einen erfahrnen Musicum^. Der Herr Cantor^ nebst dem Or- 
ganisten SS. Sylv. und Georgij^ waren auch da, sammt den sym- 



1 Wernigerode, den 9. Juni 1697. F. H.-Arch. B. 46, 2. 

*^ Da am 28. Mai 1697 Geschworene, Kirchenvorsteher und Gemeinde zu 
Nöschenrode in einem Schreiben an den Grafen Ernst von der Hauptkirche reden, 
so scheint es, als müsse man an die U. L. Frauenkirche der Nebenkirche zu S. 
llieobaldi gegenüber denken. In einem Aktenstück A» conaist., wegen der Anstel- 
lung der Organisten zu Wern. F. H.-Arch. B. 46, 2 wird aber die Oberpfarr- 
kirche (um 1738) als die Hauptkiiche bezeichnet 

8 Chr. Friedr. Gutjahr. 

* Andr. Mart. Bötticher. 

^ Just. Christoph Sumburg. 



Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin £ekelt. 315 



phoniacis^; auch hatten sich aus dem Noschenrode und der Lieb 
Frauen Pfarre unterschiedlich aufmerker mit eingefunden. Senatus 
aber hatte zweene deputirte geschikket. Als nun Ich mit Hern M. 
Bodino kam, hatte der gedachte Gänzel bereits die Organisten-Bank 
Yon selbst eingenommen, ohne meine anordnung. Ob vielleicht 
deputati vom rath ihn darzu bevollmächtiget, weiß nicht. Ich 
ließ es aber also geschehen und machte die Anstalt, daß ein jeder 
sich solte hören laßen 1. in einem praeambulo, 2. Mit einem Teut- 
sehen alten liede, welches einem jeglichen angesagt wurde, 3. in 
dem General-Basse, 4. In einem Themate* oder Fuge, welches ihnen 
von mir vorgeleget ward. Der gedachte Gänzel machte sein praeam" 
hulum und das teutsche Lied populariter hin. Als aber der General- 
Baß vorgeleget ward, der doch gar leicht war, mußte ihm vom Hern 
Cantore vielfaltig eingeholfen werden; so machte er auch keine 
einige Signatur mit, sondern machte es aufs allerschlechteste. Von 
dem Themate aber zuletzt konnte er fast gar nichts ins geschikke 
bringen. Drauf wurde der Gotische ^ gerufen; der machte sein prae- 
amhulum nach künstlich-gebrochner Art sehr wol. Das alte Lied: 
O Herre Gott begnade mich, war ihm anselbst unbekand. Drauf 
wurde ihm die Tabulatur vorgeleget; welche er nicht ohne Verwun- 
derung machte. Den General-Baß tractirte er aufs netteste, alle 
Signaturen exprimirte er aufs deutlichste, verfehlete nicht des aller- 
geringsten punctes, daß ihm nicht mit dem geringsten dorfiPte einge- 
holfen werden, ob das Stük zimlich schwer war. Das vorgeschriebene 
Thema resolvirte der Mensch so wol und promt, daß je länger er 
spielte, je lebendiger alles ward, so daß sie sich alle verwunderten 
und höchst content waren, absonderlich die Musicverständige. Nach 
diesem ward der von Braunschweig gefedert, welcher aber sehr 
schlecht war. Endlich ward gerufen Heßling aus Derenburg, welcher, 
wie ich meine, derzeit zu Drübek sich aufhält; der war auch ziem- 
lich fertig, übertraff den Gänzel in allen stükken ziemlich weit, aber 
an den Gotischen langete er bey weiten nicht; der von Blankenburg, 
weil er noch zu jung, ward nicht mitgeruffen zur probe.a 

Nach diesem musikalischen Wettkampf traten Neuß und Bodinus 
mit den Abgeordneten des Raths auf dem Schülerchore zusammen. 
Neuß gab seine Meinung dahin ab, daß Eckelt die andern bei weitem 
übertreffe, daß nächst ihm Heßling der beste sei; auf diesen folgten 
Genzel und der Braunschweiger. «Ich gebe also«, erklärte Neuß 



^ Die vier Stadtmusikanten Job. Dietr. Eggerding, Joh. Balth. Hintse, Joh. 
Kiß und Alb. Hintse. Hanzeitsehr. 24. S. 3S0 Anm. 5. 
2 Eokelt. 



21 



• 



31 ß Eduard Jacobs, 



gegen den Grafen, »mein votum deme, der der beste wäre, damit 
man rechte Leute ins Land brächte.« Bodinus war durchaus mit 
ihm einverstanden und äußerte, daß er des Superintendenten Spruch 
als sehr wahr erkenne. Auch -die Vertreter des Raths stimmten zu, 
berichteten in diesem Sinne, und der Bath blieb bei dieser Meinung. 
So wurde denn Eckelt schon tags darauf in sein Amt eingeführt und 
versah dasselbe während der pfingstlichen Feiertage ^ 

So schien alles in bester Ordnung, der neue Organist war von 
der obersten kirchlichen, den Grafen vertretenden, wie von der 
städtischen Oberbehörde anerkannt und in sein Amt eingewiesen, 
das durch ihn an einen der tüchtigsten gelangt war, die es je be- 
kleideten. Aber es war bei der Prüfung das Herkommen nicht genau 
beobachtet. Zwar entsprach es demselben, daß der Superintendent 
mit dem Pfarrer und Vertretern des Raths dabei betheiligt waren. 
Ebenso war die Herbeiziehung von Sachverständigen, insbesondere 
der Stadtmusikanten, so natürlich als gebräuchlich 2. Endlich hatten sich 
auch interessirte aufmerksame Zuhörer aus der Gemeinde nach 
Wunsch betheiligen können und auch wirklich eingefunden. Aber 
es war Herkommen, so beispielsweise 1635 bei der Bestellung des 
Organisten in der Neustadt, daß erst auf die Wahl des Geistlichen 
und der ELirchväter der Organist angenommen und vom Magistrat 
bestätigt wurde ^. Auf diese Betheiligung der Kirchväter bei der 
Kür oder Wahl war nicht die gebührende Rücksicht genommen ; 
besonders wies daher auch der Kanzleidirektor Martini darauf hin, 
daß die Nöschenröder Gemeindevertretung, weil der Organist zu U. 
L. Frauen auch von dieser einen Zuschuß erhalte und in der S. 
Theobaldikirche zu spielen habe, ordentlich habe eingeladen werden 
müssen und daß diese Pflicht zunächst dem Pastor der verbundenen 
Gemeinden, Mag. Bodinus obgelegen habe^. 

Aber dieser Formfehler hätte nicht viel zu bedeuten gehabt, 
wären damals nicht schon seit einer Reihe von Jahren die Gemüther 
in Wernigerode so aufgeregt gewesen. Immer aufs Neue gab es 
damals gegenseitige Klagen zwischen der Stadtverwaltung und den 
Bürgern, die so weit gediehen, daß der Kurfürst von Brandenburg 
einmal den ganzen Rath absetzte und einen neuen erhob, dann dem 



1 Neuß an Gr. Ernst 2u St. Wem. 1. Juni 1697. Bestall, des Organ, lu 
U. L. Fr., B. 46, 2. 

^ "Wie die Organisten die Probe geschlagen, sind von Baths wegen die 
Musicanten dazu gebeten; so sind verzehrt 3 Gld. 12 Gr. E.. Rechn. Vgl. auch 
Delius, Marienkirche. Wem. IntelL-Bl. 1832, S. 152. 

3 Vgl. z. B. bei der unten abgedruckten Dienstanweisung am Schluß. 

* Wem. 5. Juni 1697 B. 46, 2. 



Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt .317 



ersteren wieder feierlich Genugthuung geben ließ. Und was die 
Aufregung dauernd noch erhielt^ war der Umstand, daß über diesen 
Streitigkeiten der Kurfürst das wichtigste Besitzstück der Stadt, 
Hasserode, im Jahre 1694 erst unter sein Sequester gestellt, dann 
aber ihr abgenommen hatte. 

Als nun Unzufriedene aus der Liebfrauengemeinde die Bestätigung 
Eckelt's zum Organisten in rücksichtsloser Weise dem Bathe als Ge- 
walttbat, Anmaßung und »Obtrudirung« vorrückten, blieb dieser seine 
Antwort in der gleichen Tonart nicht schuldig. Und indem er auf 
das anspielt, was die Stadt durch diese Angriffe auf die eigene 
ordentliche Obrigkeit erst kürzlich verloren hatte, erinnert er die 
trotzigen Beschwerdeführenden daran, es sei vielmehr ihre Pflicht 
gewesen, des Baths Becht und Gerechtigkeit, das schon von andern 
genug gekränkt sei, gegen andere zu vertreten, statt sie anzutasten. 
>Eure von alters hergebrachte gerühmte^ befugnisse ist eine eitele 
Einbildung, liebkosung und schmeicheley, würdet auch, wenn die 
schnöden affecten Euch nicht verblendet, wohl davon stille geschwiegen, 
zurücke gelaßen und deßen gar nicht erwehnet haben.« Den Klägern 
wird aus dem Bechte gründlich heimgeleuchtet und ihnen ernstlich 
anbefohlen, sich ihrer Anschuldigungen zu enthalten und das » Zu- 
sammenlaufen <r einzustellen, über des Baths wohlerwogenes Verfahren 
nicht zu klügeln oder gewärtig zu sein, daß man solch Exempel 
statuiren werde, daß sich andere daran spiegeln sollen. »Habt euch 
hiemach zu achten und vor Schimpf zu hüten v. Hatten sich hier 
Bürger aus der Liebfrauengemeinde bei ihrem Bathe beschwert, so 
thaten es am 28. Mai Geschworene, Kirchen Vorsteher und sämmtliche 
Gemeinde zu Nöschenroda beim Grafen Ernst und klagten, daß 
Superintendent und Bath Eckelt zum Organisten bestellt und ihm 
beide Kirchen zu U. L. Frauen und S. Theobaldi anvertraut hätten, 
während von ihnen, den Nöschenrödern, ihr Bürgerssohn Genzel ge- 
wählt sei. Die Wahl Eckelt's bestehe nicht zu Becht, da beiden 
Gemeinden die Kür des Organisten zustehe. Sie behaupten sogar, 
der candidatus (Eckelt) habe nicht ^prcestanda preestirü und sei daher 
zu der Bedienung nicht fähig ; keine Gemeine sei mit ihm zufrieden ; 
sie hätten Dr. Neuß gebeten, sie bei ihren Bechten zu lassen und 
beim Bath Verwahrung eingelegt. Der Graf solle die Sache ans 
Consistorium verweisen, auch den Bath nach Befinden vorfordern. 
Es sollten die Kandidaten nochmals zur Probe vorgefordert werden 
und sollen dann der Bath und die Gemeinden ihre Stimmen abgeben. 



statt hergebrachtes gerühmtes. 



3J[g Eduard Jacobs, 



Sie könnten die Oigel zu S. Theobaldi, die der Gemeinde viel ge- 
kostet, nicht duich einen »Unverständigen yerderben lassenc^ 

Tags darauf beauftragte der Kanzleidirektor den Pastor Bodinus, 
darüber zu berichten, wie es früher bei der Annahme eines Organisten 
gehalten sei. Hodinus spielte hierbei keine vortheilhafte Rolle. Bei 
der Probe hatte er Eckelt unbedingt seine Stimme gegeben. Hin- 
terher übernahm er, wie NeuB einigermaßen entschuldigend dem 
Grafen erklärt — )»dazu forciretc die Führung der Unzufriedenen. 
Den früheren Brauch bei den Organistenwahlen berichtet er dem 
Kanzleidirektor im Allgemeinen richtig. Wenn er aber dabei wieder- 
holt hervorhebt, die früheren Organisten seien nicht aufs Rathhaus 
citirt, so versichert Neuß dem Grafen der Wahrheit gemäß, daß dies 
auch bei Eckelt nicht geschehen sei. 

Wie sehr es das wilde Parteiwesen war, das bei der Wahl Eckelt's 
zum Vorschein kam, und daß der Rath nicht umsonst den Protesti- 
renden anbefohlen hatte, sich des «Zusammenlaufens« zu enthalten, 
erfuhr Martini aus dem Munde des Nöschenröder Geschworenen, den 
er zu sich beschieden hatte. Dieser berichtete : die Kirchenväter und 
Sechsmannen in der Stadt trieben sie an, wider den Organisten 
(Eckelt) zu sein. Sie, die Nöschenröder, wollten es aber der gnädigen 
Herrschaft überlassen. Die Sechsmannen berichteten ganz entgegen 
dem Superintendenten, daß der neue Organist soUte »ein teuschs lied 
spielen können«. Wegen Eckelt^s Befähigung befragte Martini den 
Organisten der Oberpfarrkirche auf sein Gewissen, worauf dieser ver- 
sicherte, der angenommene Organist habe am besten bestanden^. 

Eine kurze Zeit blieben die Nöschenröder bei ihrem Widerstand. 
Sie hatten vorübergehend die Absicht, ihrem Landsmann Genzel allein 
den Dienst an der Theobaldiorgel zu übertragen und solle er daneben 
noch eine Schule anfangen. Daraus konnte freilich kaum etwas 
werden, weil sich aus einem Briefe, den dieser am 23. Mai an NeuB 
richtete, ergab, daß es mit seiner Rechtschreibung, Stil und Ge- 
dankenverbindung sehr übel bestellt war. Am 9. Juni — achtzehn 
Tage nach seiner Bestallung — klagt Eckelt, die Nöschenröder Orgel 
sei ihm verschlossen geblieben. Ohne seine Schuld habe er dieser- 
halb verschiedenes dulden müssen. Man möge die Nöschenröder 
anhalten, ihm die Orgel zu öffnen und ihn für ihren Kirchendiener 
anzunehmen und zu lohnen. 



1 Wern. 27. Mai 1697 Bargerm, und Kath H. Bodinen, Christoff Reselem, 
Andres Runde, Christoff Bode, H. Hans Wilh. Randolff, Andres Hildebrand, Hana 
Müller. B. 46, 2. 

2 Martini 5. Juni 1697. 



Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin EckeU- 319 



Dieser Widerstand der Nöschenröder dauerte aber jedenfalls 
nicht lange. Des unbeabsichtigten Formfehlers wegen kam man 
den Widerstrebenden soweit entgegen — wenigstens empfahl dies 
der Kanzleidirektor unterm 5. Juni — daß dem Rath und Superin- 
tendenten angedeutet wurde, bei künftigen Organistenwahlen auch 
die Vertreter der Gemeinden zur Prüfung und Wahl dem Herkommen 
gemäfi einzuladen. 

So widerwärtig aber auch die Verhältnisse sein mochten, unter 
denen Eckelt sein Amt in Wernigerode antrat, so besserten sie sich 
doch bald und schlugen zu- seiner großen Befriedigung in das Gegen- 
theil um. War doch er selbst ganz unschuldig an dem Hader zwi- 
schen Rath und Gemeinden, der vielmehr in den angedeuteten Ver- 
hältnissen der Verwilderung des damaligen Geschlechts seinen Grund 
hatte, nicht zuletzt auch in der Abneigung gegen Eckelt's Gönner^ 
den erst im Jahre yor seiner Bestallung nach Wernigerode berufenen 
» Pietisten c Neuß. 

Für seine musikalische Kunst fehlte es Eckelt nicht an mannig- 
facher Anregung. Jede der drei städtischen Pfarrkirchen hatte ihren 
besonderen Organisten und als Leiter des kirchlichen Gesanges je 
einen Lehrer der Latein- und Oberschule, zu S. Silvestri den Kantor 
Andr. Mart. Bötticher, zu U. L. Frauen den Konrektor. Für ihre 
Kirchenmusik und besonders für ihre Orgel haben die Wemigeröder 
seit der Kirchenemeuerung manches Opfer gebracht. Auch die zu 
Eckelt' s e^entlichen Studien gehörenden Fragen nach der Stimmung 
der Instrumente und den Tonintervallen beschäftigten damals die 
Musikfreunde in Wernigerode und Nachbarschaft. Zwar war Christoph 
Albert Sinn, ein Schriftsteller auf diesem Gebiete, noch bei jüngeren 
Jahren, aber Neuß selbst war bei dieser Frage sehr interessirt. In 
dem benachbarten Halberstadt wirkte einer der größten Meister im 
Orgelspiel, Andreas Werkmeister, und drei Glieder dieser Familie, 
von denen eins Küster zu U. L. Frauen wurde, zogen ziemlich 
gleichzeitig mit Eckelt in Wernigerode ein^ Neben dem Superin- 
tendenten war der Diakonus an der Oberpfarrkirche Chr. Friedr. 
Gutjahr ein Freund und Kenner der Musik. Die Stadtmusikanten, 
die zur Erhöhung des kirchlich-musikalischen Gottesdienstes heran- 
gezogen wurden, erfreuten sich in außerordentlicher Weise der Gunst 



* Sam. Wolfg. W. aus Quedlinb., der 1693 Bürger wurde, war Advokat, ein 
Amt, das öfter mit dem des Organisten verbunden war. Im Jahre 1701 nehmen 
in der Gemeinde, bei der E. wirkte, folgende 3 Mitglieder der Fam. Werkmeister 
am h. Abendmahle theil: Joh. Diederich W. 23. Janaar; Samuel Wolf W. und 
Frau 20. Febr., David Christian W. 27. M&rz. Von 1704—1724 war letzterer 
Küster an der Eirche. 



320 Eduard Jacobs, 



des Hüters der kirchlichen Angelegenheiten. Denn kaum läßt sich 
in unseren Quellen ein zweites Beispiel dafür beibringen, daß sich, 
wie Neuß es zu Eckelt's Zeit that, der Superintendent dieser 
Leute warm annahm und sich für sie beim Grafen verwandte^. 
Eckelt's nähere Beziehungen zu den Musikanten sehen wir beispiels- 
weise darin angedeutet, daß er bereits am 15. März 1698 dem ersten 
derselben Joh. Dietr. Eggerding eine Tochter aus der Taufe hebt 2. 
Wenn zu jener Zeit ohne des Superintendenten Zustimmung der 
Rath die Gurrende vermehrte^, so zeigt sich darin zwar eine Rück- 
sichtslosigkeit gegen den Oberhirten ; wir erkennen aber doch daran 
zugleich, daß kirchliche wie geistliche Spitzen in der Stadt an Gesang 
und Spiel der Instrumente ein lebhaftes Interesse offenbarten. 

An keinem fand Eckelt aber doch mehr Anhalt, keiner zeigte 
für Eckelt's Kunst ein solches Verständniß, wie sein Gönner NeuB. 
Dieser war bekanntlich nicht nur ein Dichter, sondern auch Sänger 
geistlicher Lieder und Tonsetzer. Für die Orgel interessirte er sich 
aber mehr, als für irgend ein anderes Instrument und ließ sich selbst 
eine Hausorgel bauen. Wie innig sich aber auch Eckelt seinem 
Beförderer und Strebensgenossen zu Danke yerbunden fühlte, bewies 
er beispielsweise durch die zarte Aufmerksamkeit, daß er zu einem 
Besuche von Neußens Schwiegervater dem Braunschweiger Superin- 
tendenten Dr. Ermisch im August d. J. 1700 eine Bewillkommnungs- 
musik komponirte und mit den Stadtmusikanten ausführte^. 

Wenn nun so der innigste Bund zwischen dem Organisten, den 
Stadtmusikanten und Kantor und dem kirchlichen Gesänge stattfand 
und dieser Bund eine solche Frucht zeitigte, daß damals Wernige- 
rode durch seinen kirchlichen Gesang andern Gemeinden weit und 
breit vorleuchtete, so ist das in doppelter Hinsicht bemerkenswerth, 
erstlich insofern wir an diesem Beispiele sehen, daß die Pflege der 
kirchlichen Instrumentalmusik, und zwar innerhalb der Kirche, 
keineswegs die Blüthe des kirchlichen Gesangs ausschließt, daß sie 
vielmehr Hand in Hand gehen können und sollen, sodann aber weil 
wir daran sehen, daß nicht der Pietismus als solcher, besonders nicht 
der Spenersche, die Verkümmerung der Kirchenmusik zur Folge 
haben mußte, sondern nur eine einseitige Richtung in demselben. 
Neuß war ein' echter und treuer Vertreter der kirchlichen Neu- 
belebung im Sinne seines Freundes Spener. 

1 VergL Harzzeitachrift 24, S. 380. 

2 Kirchenbuch zu U. L. Frauen. 

8 Gravamina des Superint Neuß wider den Rath 1697 f. B. 62, 9. F. H.- 
Ar eh. 

* HarzzeitBchr. 24. S. 381. 



Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt. 321 



Sehen wir auf die äußere Stellung Eckelf s, so war es zwar ge- 
schichtlich begründet, daß in Wernigerode wie anderswo der Orga- 
nist unter dem Kantor stand, aber es kam gerade bei ihm viel auf 
die einzelne Person an. Verschiedene wernigerödische Organisten 
waren studirte Leute, so Eckelt's Vorgänger Bodinus; sie waren 
mehrfach Notare. Das Gehalt wurde wenigstens bei seinem Mitbe- 
werber und Nachfolger Heßling 1717 auf 47 Thlr. 22 Gr. berechnet. 
Davon zahlten die Kirchenväter zu U. L. Frauen 28 Thlr., 1 Thlr. 
4 Gr. Holzgeld, 8 Gr. für den in Wegfall gekommenen Kirchen- 
schmaus. Aus der Rathskämmerei erhielt er 12 Thlr. 18 Gr., aus 
der S. Theobaldikirche 1 Thlr. 4 Gr., aus der Nöschenröder Gemeinde 
4 Thlr. 12 Gr. Dazu kommen noch 15 Malter Holz, die sich der 
Organist selbst musste anfahren lassen.^ 

Da ein solches Gehalt, zumal wenn der Organist eine Familie 
zu ernähren hatte, für den Lebensunterhalt nicht zulangen wollte, so 
wurde verschiedener Nebenverdienst gesucht. Und da eine Thätigkeit 
als Advokat nur von den studirten Juristen geübt werden konnte, 
so erwarb man sich durch Tafelmusik etwas zu. Auch hatte der 
Oi^anist bei Hochzeiten, zumal Brauerhochzeiten, seine bestimmte, 
durch freiwillige Geschenke wohl gemehrte Einnahme. Eckelt's Vor- 
gänger Andr. Homung (1644 — 1687) verdiente sich — wie sehr ge- 
wöhnlich die damaligen Organisten — etwas durch das Schreiben 
von Hochzeits- oder Brautbriefen, 1 Groschen für das Stück. 

Wenn aber bereits erwähnt wurde, daß die Wemigeröder sich 
von der Reformationszeit an ihre Orgeln viel kosten ließen, so wandte 
sich naturgemäß auch ihrem Organisten das Interesse der Gemein- 
den zu. Es ist schon von anderer Seite daran erinnert worden, daß 
Eckelt's Gemeinde für ihren Organisten mehr ausgab, als für jeden 
andern kirchlichen Beamten, die Geistlichen nicht ausgenommen. ^ 
Es kommen auch Stiftungen für Orgel und Oi^anisten vor, so zu 
U. L. Frauen von dem um 1585 verstorbenen Bürgermeister Hans 
Ebbrecht, der 100 Gulden Hauptgeld und 5 Gulden Zins dazu aussetzte.^ 

E. hatte zwei Kirchenorgeln zu bedienen. Die in der Haupt- 
kirche zu U. L. Frauen reichte bis in's 16. Jahrh. zurück^, war aber 



^ Ada eonsistf Dqt Organisten zu Wem. Anstellung und Gehalt B. 46, 2. 
F. Arch., Vgl. auch Delius, Marienkirche S. 66 — 68. 

2 Daselbst. S. 63. 

8 Ebendas. S. 66. 

^ Weffen des Untergangs der älteren Kirchenrechnungen wissen wir über die 
frühesten Orgeln u. Organisten zu U. L. Frauen wenig. Der erste uns bekannte 
Organist ist hier 1583 Thom. Ulrich. Delius, Marienkirche S. 68. 



322 Eduard Jacobs, 



in den Jahren 1605 und 1606 durch Beschaffung eines neuen Rück- 
positivs von 9 Stimmen und 6 neuen Blasebälgen fast vollständig 
erneuert worden. Ihr Meister war Nikolaus von Nordhausen. Die 
Kosten betrugen rund 549 Gulden. Schon im Jahre 1619 war eine 
Besserung nöthig geworden; 1650 musste eine größere vorgenommen 
werden, wobei wieder über 208 Gulden aufzubringen waren. 

Die andere Oigel, auf der E. bei den Nebengottesdiensten zu 
spielen hatte, war die zu S. Theobaldi. Es war die erste in diesem 
Gotteshause. Zwar hatten die Nöschenröder, die eines solchen In- 
struments beim Gottesdienste nicht gern entrathen mochten, sich im 
Jahre 1596 wegen Beschaffung eines Positivs an den Grafen Wolf 
Ernst gewandt ; es scheint aber der Wunsch damals nicht in Erfüllung 
gegangen zu sein. Zwischen 1650 und 1652 erreichte man aber durch 
ansehnliche willige Opfer das gewünschte Ziel. Samuel Herold 
lieferte das Werk, das, vielfach gebessert, noch heute vorhanden ist 
und auf welches bei seiner Beschaffung in ziemlich kümmerlicher 
Zeit, abgesehen von der Verpflegung von Meister und Gesellen, über 
278 Thaler verwandt wurden. Im Jahre 1671 wurde eine nöthig 
gewordene Verbesserung daran vorgenommen.^ 

Über die Anforderungen, die man an einen Organisten zu Wer- 
nigerode und speziell zu U. L. Frauen zu Eckelt's Zeit stellte, läßt 
uns die mit ihm und seinen Mitbewerbern angestellte Prüfung ein 
gewisses Urtheil gewinnen. Im Allgemeinen belehrt uns darüber in 
etwas früherer Zeit die unten abgedruckte Dienstanweisung. Dazu 
kommt noch das, was Paul Veckenstedt — von 1567 bis 1578 Kon- 
rektor, dann bis 1591 Diakon zu S. Silvestri, darnach bis 1626 Pastor 
zu U. L. Frauen, über diesen Gegenstand sagt. Er fordert von dem 
Organisten, daß er seine Kunst verstehe und recht gut gelernt habe, 
beides im Choral und Figural, seines Dienstes mit getreuem Fleiß 
abwarte, sich bestrebe, das ihm anbefohlene Orgelwerk wohl in Acht 
zu nehmen und sein Schlagwerk — das heißt das Orgelspiel — also 
anstelle, daß er den conrectorem nicht perturbire, auch keine welt- 
lichen Possen auf die Orgel bringe und sich deren im Schlagen ver- 
nehmen lasse. Da Veckenstedt von 1567 an gegen zwölf Jahre selbst 
an der Kirche der Leitung des Gesanges hatte warten müssen, so 
redete er offenbar aus Erfahrung, wenn er von der Störung sprach, 
die der kirchliche Gesang durch das ungeschickte Orgelspiel zu 
befahren hatte. Nur ist hierbei nicht an die Leitung des Gemeinde- 
gesangs oder Chorals, sondern des Chorgesangs zu denken, weil von 



1 Vgl. Delius, S. Theob. Kirche. Wem. Int. Bl. S. 183. 

2 Delius, Marienkirche S. 63 f. 



Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt. 323 

einer Begleitung des Gemeindegesangs durch die Orgel zu Vecken- 
stedt's Zeit noch nicht die Rede sein kann.^ Von kundiger Seite ist 
aus Neußens Vorrede zu seinem Wernigeröder Gesangbuch von 1712 
geschlossen worden, daß diese nun seit etwa anderthalb Jahrhundert 
übliche Begleitung auch zu Eckelt' s Zeit in Wernigerode noch nicht 
gebräuchlich war.^ Aber unsere Quellen scheinen doch darauf hin- 
zuweisen, daß damals der gemeine Mann auf die Geschicklichkeit des 
O^anisten im Spielen .eines deutschen Liedes, d. h. eines Chorals, 
einen besonderen Werth legte. Nicht nur muß sich der Organist 
nach dem Vortrag eines Vorspiels bei der am 21. Mai 1697 ange- 
stellten Probe an zweiter Stelle hinsichtlich seines Geschicks hierin 
ausweisen, sondern die Nöschenröder haben es gerade an dem neuen 
Organisten auszusetzen, daß dieser kein deutsches Lied spielen könne. 
Das war allerdings ein Mißverständniß, das dadurch entstanden war, 
daß Eckelt gerade das ihm aufgetragene Lied ,0 Herre Gott begnade 
mich^ nicht kannte, also auch nicht aus dem Kopfe spielen konnte.^ 
NeuB sah davon ab, ihn ein anderes bekanntes spielen zu lassen, 
weil ihm für den Ausweis seiner Meisterschaft anderweitige Gelegen- 
heit genug geboten war. Und wenn Genzel Vorspiel und deutsches 
Lied ^populariter' d. h. schlicht und volksthümlich hinspielte, so be- 
weist dies, daß er zu einem kunstgemäßen Spiel nicht geschickt, 
den Nöschenrödem aber und der bis dahin von ihm bedienten Ge- 
meinde zu Siilly mit seinem schlichten Vor- und Choralspiel genehm 
und genügend gewesen war. Und doch war Genzel noch nicht der 
ungeübteste der Bewerber um die Wernigeröder Stelle. 

Ehe wir jedoch noch ein Wort von Eckelt als Meister des Orgel- 
spiels sagen, haben wir auf seine persönlichen Verhältnisse einen 
Blick zu werfen. Während der ersten drei Jahre seiner wernigerö- 
dischen Amtsthätigkeit hatte er keine Veranlassung, die dortige 
Bürgerschaft zu erwerben. Das geschah erst im Frühjahr 1701, als 
er die Hand einer Wernigeröderin erhalten hatte und daran dachte, 
einen häuslichen Herd zu gründen. Seine Erkorene war Maria 
(Katharina), die Tochter Meister Matthias Reinecke's, also eines Hand- 
werkers, dessen Vater um die Mitte des 17. Jahrh. aus Groningen 



1 Vgl. die wichtige und sorgfältige Darlegung von D. Qeorg Bietschel, Die 
Aufgabe der Orgel im Gottesdienste bis in das 18. Jahrhundert Leipzig 1892. 

s Daselbst S. 69. 

3 Es ist der von dem tüchtigen Musiker am Dom zu Straßburg Matthaeus 
Greiter (20. Dez. 1550) gesungene weniger bekannte Psalm, den wir zuerst in 
den 1610 zu Straßburg bei Theod. Rihel gedruckten Psalmen, Geistl. Liedern und 
Lobes&ngen D. M. Luth. Bl. GXXIIIb>— CXXVIb aufgenommen finden. 



324 Eduard Jacobs, 



nach Wernigerode gezogen war.* Kurz bevor die Braut ihrem Ver- 
lobten angetraut wurde, ging der Schwiegervater mit letzterem zu 
Rathhause. Hier schwur Joh. Val. seinen Eid und wurde gegen 
die Leistung des halben Bürgergeldes — die andere Hälfte erfreite 
er mit seiner Braut — als Bürger angenommen. Diese Hälfte be- 
trug etwas über 11 Thaler. Hiervon zahlte er zunächst 5 Thaler; 
für die übrigen 6 verbürgte sich der Schwiegervater. Sie wurden 
mit je 3 Thaler im Mai 1706 und am 3. März 1713 abbezahlt. ^ Am 
7. Trinitatissonntage, den 10. Juli 1701 hielt der Bräutigam seinen 
damals noch sehr feierlich begangenen ersten gemeinsamen Gang 
zum heil. Abendmahl mit seiner Braut, ,Maria' Reinecken.^ Zwei 
Tage darauf, am 12. Juli, fand die Trauung statt.^ 

Nicht lange nach dieser sommerlichen Hochzeitsfeier vertauschte 
Eckelt seine Stelle im Sachsenlande mit einer Anstellung im hei- 
mischen Thüringen und zog mit seiner Neuvermählten als Organist 
an der Dreifaltigkeitskirche nach Sondershausen, wo der im Jahre 
1697 in den Reichsfürstenstand erhobene Christian Wilhelm Hof 
hielt. Auf diesen folgte von 1721 an dessen musikliebender Sohn 
Günther der 41. 

Mit großer Befriedigung konnte E. auf seine vierjährige wer- 
nigerödische Wirksamkeit zurückblicken. Gerber, der die reichhaltigen 
eigenen Aufzeichnungen des Künstlers benutzte, bezeugt, daß E. sein 
Amt daselbst mit Beifall bekleidet habe. Er zog aber auch die Auf- 
merksamkeit Auswärtiger auf sich, die, um ihn zu hören, nach Wer- 
nigerode kamen.^ 

Es fehlt auch nicht an bestimmten Andeutungen über die Früchte 
seiner Wirksamkeit in Wernigerode. 

Daß er in der Orgelkunst Schüler herangebildet habe, sehen 
wir an einem Matthias Reinecke, der zweimal die Oi^anistenkunst 
erlernt, aber aus Noth etliche Jahre sein Brod auf andere Weise ver- 
dient hatte und sich im Jahre 1731 nach dem Ableben des Orga- 
nisten Burmeister zu S. Silvestri in Wernigerode um dessen Stelle 
bewarb.^ Da er ein wernigerödisches Landes- und Bürgerskind war 



^ Andres Keineke aus Groningen wird 1651 Bürger in Wem.; Matth. R., 
Eckelt's Schwiegervater, des Andreas S., leistet am 29. Dez. 1682 den Bürgereid. 
2. Wem. Bürgerbuch v. 1624—1682 im Stadtarchiv. 

« Drittes Bürgerbuch von 1683—1742 S. 172. Hier erscheint der Familien- 
name noch einmal in der Gestalt Eckolt. 

3 Beichtregister der U. L. Frauengemeinde. 

* Kirchenbuch der U. L. Frauengemeinde von 1666 ff 

ö Gerber a. a. O. Sp. 373. 

^ Wemigerode, 9. Mai 1731 und M. R. an Gutjahr. Er wohnte damals lu 
Nordhausen am Petersberge in der Webergasse. Orgelbestall, zu S. Silv. in Wem.B. 46,2. 



Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt. 325 



und den Vor- und Zunamen von Eckelt's Schwiegervatei trug, so 
werden wir ihn für E's Schwager ansehen dürfen. 

Aber wichtiger als diese Spur eines Schülers ist eine andere 
Beobachtung, daß wir nämlich keine Zeit kennen, in der man so 
viel Opfer für neue Orgeln in den wernigerödischen Gemeinden 
darbrachte, als unmittelbar oder doch in der nächsten Zeit nach 
Eckelt's Abgang. Zunächst sei erwähnt, daß gleich im Jahre 1702 
der Wernigeröder Bodinus als Pastor in Silstedt für die dortige Kirche 
eine erste kleine Orgel oder Positiv beschaffte.^ Sodann aber wurden 
beide Orgeln, welche Eckelt bedient hatte, entweder mit großen 
Kosten gebessert oder erneuert. Die Hauptorgel in der Liebfraueu* 
kirche wurde im Jahr 1705 bis 1707 durch eine neue ersetzt, wofür 
der Meister, Christoph Concius oder Kuntze aus Halberstadt, abge- 
sehen von dem Unterhalt für sich und seine Gesellen und außer 
dem ihm überlassenen alten Werke, 820 Thaler erhielt. ^ 

Aber auch die Nöschenröder , die sich bei Eckelt's Bestellung 
anfanglich so schwierig gezeigt hatten, ließen sich ihr Orgelwerk 
etwas kosten. Schon ein Jahr vor der städtischen Liebfrauenge- 
meinde, 1704, ließen sie dasselbe fast ganz erneuern, wofiir der 
Meister, abgesehen von seiner und seines Gesellen Verpflegung, 
185 Thaler erhielt.* Wieder etwas früher, im Jahre 1703, begannen 
bedeutende Arbeiten an der Orgel der Oberpfarrkirche, wobei auch 
Christoph Kuntze thätig war.* Während diese Arbeiten bis 1712 
dauerten, der Superintendent NeuB sich selbst, wie erwähnt, eine 
kleine Handorgel bauen ließ^, ist noch zu erwähnen, daß zu S. Sil- 
vestri von 1719 bis 1722 schon wieder ein bedeutender Orgelbau 
unternommen wurde. ^ Wenn wir zu S. Johannis in der Neustadt 
damals von keinem solchen Orgelbau zu berichten wissen, so ist zu 
bemerken, daß von 1666 bis 1667, also dreißig Jahre vor Eckelt's 
Amtsantritt, hier eine gründliche Herstellung der Orgel durch Meister 
Friedr. Besser in Braunschweig stattgefunden hatte. Im Jahre 1718 



1 Aufseiehnungea in einem Quartbande in der Kirchenregistratur za Silstedt. 

^ Delius, Marienkirche S. 20 f. 

8 DeliuB, S. Theobaldikirche, Wem. Intell.-Bl. 1831, S. 183. 

* Vergl. diese Viertel jahrsschrift. V (1889) S. 577. 

^ So erklärt sich's, daß damals der Orgelmacher Job. Christoph Kunschius 
aus Halle (!) sich zunächst als Witwensitz für seine Frau ein Haus bei der Ober- 
pfarrkirche zu Wernigerode zwischen dem kleinen Gadenstedtschen Hause und der 
Stadtmauer erwerben konnte, das er am 30. Mai 1716 wieder an den gräfl. Kammer- 
diener Hirschfeld für 322 Thaler veräußerte. B. 47, 1. Fürstl. H.-Archiv. 

« Vierteljahrsschr. V, S. 577. 



326 Eduard Jacobs, 



wurde dann mit Meistei Aug. Friedr. Rüdigei ein Vertrag -wegen 
neuer Bemalung der Orgel für 45 Thaler geschlossen.^ 

Zwar können wir dieses lebhafte Interesse der Wernigeroder für 
ihre Orgeln nicht allein auf Eckelt zurückführen, sondern neben ihm 
gebührt dem Superintendenten NeuQ und Männern wie Gutjahr und 
Sinn hieran ein Verdienst; aber als Meister der Orgelkunst und des 
koloristisch reichen Spiels kommt doch gewiß der Schützling des 
Superintendenten in erster Reihe mit seiner unmittelbaren Wirkung 
in Betracht. 

Eckelt^s unmittelbarer Nachfolger als Organist bei der Liebfrauen- 
kirche wurde noch im Jahre 1701^, sein Mitbewerber, der vollständig 
gleichaltrige Nöschenröder Joh. Heinrich Genzel, der aber schon am 
8. April 1702, erst 29 Jahr alt, verstarb^, worauf dann diese Stelle 
dem nächsttüchtigen Theilnehmer an der Organistenprobe im Mai 
1697, dem Andreas Heßling aus Derenburg, zufiel.^ 

Noch einmal machte Eckelt den Versuch, ein Organistenamt in 
Wernigerode zu erlangen. Als nämlich im Jahre 1718 wegen Un- 
vermögens des alten Organisten Just. Christoph Sumburg die Er- 
ledigung von dessen Stelle zu S. Silvestri in naher Aussicht stand, 
suchte er diese zu erlangen. Ihn bestimmten dabei verschiedene 
äußere Rücksichten. Durch das im Jahre 1714 erfolgte Ableben 
seines Schwiegervaters'^ war ihm ein kleines Vermögen zugefallen. Da 
nun nach den damaligen Rechtsverhältnissen von allem nach auswärts 
gehenden Vermögen eine überaus große, lästige Steuer oder Abzugs- 
geld (Drittepfennig) gezahlt werden mußte, so suchte E., der ja wer- 
nigerödischer Bürger geblieben war, sein , Bißchen ErbtheiV unver- 
kürzt zu erhalten. Dazu kam, daß seine Frau, als echte Harzerin und 
Wernigeröderin , bei dem Wasser von Sondershaujsen nicht gesund 
werden konnte und sich nach dem wernigerödischen zurücksehnte 
und nach ihrem , Vaterlande' verlangte.^ Sein und seiner Frau Wunsch 
ging jedoch nicht in Erfüllung und Christoph Joach. Burmeister, i 
bisheriger Organist in der Neustadt, rückte in jene Stelle ein. 



1 Acta, Orgelbau und Glocken zu S. Joh. in der Neustadt 1666 — 1789 betr. 
in der Pfarr-Registratur. 

2 Nicht erst 1703, -wie Gerber a. a. O. Sp. 373 sagt, ging £. nach Sonders- 
hausen. 

3 Delius, Marienkirche S. 68. 

* Ebendas. Heßling verstarb 1723. 

^ Er starb 62 J. 11 Wochen 3 T. alt und wurde durch das ganze Ministerium 
begraben. 

^ Joh. Val. E. Sondershausen d. 19. Aug. 1718 an den Superint. Gutjahr. 
Wem. B. 46, 2 Organisten-Besetzung in der Stadt. 



r 



Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt 327 



So blieb denn £. in Sondershausen bis an sein Lebensende, das 
am 18. Dezember 1732 erfolgte. Wie das Kirchenbuch der Drei- 
faltigkeitsgemeinde sagt, verstarb Herr J. V. E., wohlbestallter Stadt- 
organisty in seinem Heilande und Erlöser sanft und selig. Eine 
Leichenpredigt wurde auf ihn nicht gehalten, dagegen wurde er als 
Kirchendiener mit der ganzen Schule und Musik kostenfrei zur Erde 
bestattet.^ 

Die amtliche Hinweisung auf sein frommes christliches Ende ist 
köine leere Form und Redensart, vielmehr war E. in seinem Dichten 
und Trachten eine sinnige beschauliche Natur. Er übte seine Kunst 
nicht etwa bloB zufällig in der Kirche, sie war vielmehr ganz dem 
Heiligen und Göttlichen geweiht. Die größte musikwissenschaftliche 
Arbeit seines Lebens, die ihn lange beschäftigte und von der im 
Jahre 1724 schon ein hoher Stoß geschriebener Hefte vorlag, war 
seine Musiklehre. Er sagt mit Bezug darauf gelegentlich selbst: i»Ein 
mehreres wird in meinem Traktat vorfallen de Mtmca, welcher durch 
das Licht der Gnade Gottes in der Vereinbarung der musikalischen 
Proportion erscheinet und durch die heilige Schrift bekräftiget wird.«^ 
Ein bestimmtes Urteil vermögen wir über dieses Werk nicht zu geben, 
da. die Handschrift verloren ging, aber nach dem, was wir darüber 
hören oder aus seinen eigenen Worten schließen können, suchte E. 
den Gedanken von einer heiligen Harmonie der Töne und Tonver* 
hältnisse, die sich schon bei Pythagoras angedeutet findet*, in sinniger 
Weise durch die ganze heilige Schrift alten und neuen Testaments 
durchzuführen. ^ 

Vor allen Dingen war E. aber praktischer Musiker als Meister 
des Orgelspiels und suchte mit verschiedenen Zeitgenossen die Mängel 
dieses königlichen Instruments zu verbessern. Wie wir sehen, war er 
aber auch seit jungen Jahren Tonsetzer, doch ist durch die Ungunst 
der Umstände davon nichts an die Öffentlichkeit gelangt. Druckfertig 
hinterließ er außer verschiedenen Orgel- und anderen Instrumental- 
stücken eine vollstimmige Passion und eine Sammlung von geistUchen 
Arien oder Liedern mit Begleitung zweier Violinen. Von theoretischen 
Schriften vollendete er: 1) Experimenta musicae geometrica 1715, 2) 
Unterricht eine Fuge zu formiren 1722, 3] Unterricht, was ein Orga- 
nist wissen soll. Wenn Gerber bemerkt, daß Zeit und Ort ihn ver- 
hindert hätten, diese Werke gedruckt zu sehen ^, so soll dem zwar 



1 Hen P. F. Apfelstedt in Sondershausen, 3. Nov. 1891 aus dem Kirchen- 
buche. 

« Gerber Sp. 373. 

s Vgl. auch Gerber Sp. 374. 

« Gerber Sp. 373. 



328 Eduard Jacobg, 



nicht widersprochen werden, doch iBt zu bemerken, daB es zu seiner 
Zeit sowohl in Wernigerode als in Sondershausen bereits Druckereien 
gab; sie waren aber für musikalischen Notendruck nicht einge- 
richtet. Für die Musikgeschichte wurde Eckelt's litterarische Thätig- 
keit noch lange nach seinem Tode dadurch von Bedeutung, dafi 
fünfundfUnfzig Jahre später der Hoforganist Ernst Ludwig Crerber 
seine musikalische Büchersammlung, die, wie dieser meint, für die 
damalige Zeit als vollständig gelten konnte, von den Erben erwarb 
und nun die in jedem Bande derselben fleißig beigeschriebenen An- 
merkungen, die von seiner Aufmerksamkeit und seiner Einsicht 
zeugten, für das äußerst schätzbare 2>Hi8tor.-Biogr. Lexikon der Ton- 
künstler « verwerthete. 



Dienstanweisung für den Oi^nisten an der Stadtkirche 
zu Unser Lieben Frauen in Wernigerode 

1618. 

Commendari Beckero futuro nostro organico, 

1. Pietatem in Deum, quo cuUtis divinus omnis et ipse chrtsiia- 
nismus, 

2. Observantiam atque ohedientiam erga^ utrumqtse magtstniium 
polüicum^ et ecclesiasticum cum in genere tum in specie ut et in cives 
huius loci, 

3. Modestiam publice et privatim decentem servienti templo. 

4. Diligentiam in officij partibus prestandis, quo cura justa exer- 
citij musici, non Itßdendi operis organici, describendi cantiones corales 
et ßgundes usitatas et arte compositas, prout anm tempus poscit. 

5. üt sit contentus salario nostri templij ut antecessores /uere. 
Dabei ist nachträglich bemerkt: Specißcetur 12 fl. idle 4tal, 

15 fl. zu rathause. 

6. Ut vitet omnem scurrilitatem^, clamores, tumultus noctumos^ 
petulantiam etc.j sodalitia effera^ impia atque scelerata. 

7. Servitus ipsius sit annua et nobis mutabilis, mutanda quoties 
hisce legibus non iniquis studuerit esse exproposito contrarius reftun- 
ciabimus, 

Rathshandelsbuch vom Jahre 1598 ff. im Stadtarchiv zu Wernige- 
rode Bl. 83^ mit einem lose beiliegenden Blatte. 



1 So statt ergo der Handschr. 

^ So statt politium. 

3 Darüber steht : quamiibet (?) ynd wildigkeit. 



l)er Orgelspieler und Musikgelehrte Jobann Valentin Eckelt. 329 



Puncten welche der Organist bei seiner annehmung zusagen vndt 

vnterschreiben mueß. 
(1626). 

1. Daß er sich eines Christlichen Gottsehligen Lebens vndt 
wandelß befleißigen vndt also ein Kirchendiener, welche andere (!) 
billigk mit einem gueten Exempell vorgehen sollen, erzeigen wolle. 

2. Daß gegen seinem vorgesatztem Pfarhern vndt deßen Collegen, 
so woU auch gegen die Herren E. Ehmvesten Rahts sich ererbietigk 
vndt gehorsamblich zu iederzeit erweisen. 

3. Daß wan der Pfarher irgents nach gelegenheit der Zeit einen 
oder den andern hymnum, gesangk vndt Psalm zu singen oder sonst 
die Ceremonien im singen vndt schlagen abzukurtzen befehlen wurde, 
demselben also nachzukommen. 

4. Mit dem Domino Cantore auch iederzeit in gueter Correspon- 
dentz zueleben vndt alle Son : vndt Festage zuvor sich mit demselben 
grundtlich zu bereden, waß er an JResponsorio, Introitu, htmnis, 
Psalmen, Tonis, Muteten ^ Mißen oder derogleichen singen weiten, 
eß [sei]* Choralis oder Fiffuralis Cantus'^, waß er nicht habe, solches 
zeitig genug zuvor absetzen vndt solche muehe des absetzens sich im 
geringsten nicht verdrießen laßen, damit also ein fein harmonia vndt 
gleichstimmigkeit zwischen der Orgeln vndt dem Chor erhalten vndt 
der liebe Gottesdienst mit desto mehrer Zier vndt andacht verrichtet 
werde. 

5. Daß er im gebrauch der stimmen im schlagen zue iederzeit 
abwechseln vndt dem heraußgegebenen verzeichnuß nach deß Oi^el- 
machers sich gemeß verhalten. 

6. Weill die Schnarwerke vndt Broststimmen sich leicht ver- 
stimmen, daß er alle Sonnabendt, sonderlich wen es vnbestendigk 
gewitter ist, vmb ein vhr neben seinem Calcanten für der vesper in 
die Kirchen kommen, solche durchlauffen vndt reinlich wieder zurecht 
stimmen. 

7. Daß er ohne vorbewußt vndt vrlaub des Pastoris keinen Sonn- 
abendt oder Sontagk verreisen oder abwehsent sein soll, damit vff 
den begebenden nohtfal im verreisen oder sonsten man sich darnach 
zu richten wiße. 

8. Soll auch in seinem abwesen keinen anderen frembden vndt 
zue Zeiten vngeubten Organisten ohne vorbewust des Hern Pfarhers 
aufstellen, sintemahl daß Orgellwerck dießer Kirchen vndt gemeine 



1 sei fehlt in der Hdschr. 

2 Hdschr. Caniur. 

1893. 22 



330 Eduard Jacobs, 



ein großes kostet vndt durch einen ynerfahrnen leicht verderbet wer- 
den köndte. 

9. Da er auch kunfftigk disctpulos haben wurde , dieselbe nicht 
jhres gefallens auff der Orgell allein gebahren laßen, sondern ieder- 
zeit dabei sein, damit durch deroselben Verwahrlosung der Or^g^ln 
kein schade zugezogen werde. 

10. Zue Winters Zeit soll er auff daß Feur, Lichtt vndt Rohleii 
fleißig achtung geben, damit wen der Gottesdienst auß ist, daß feuer 
nicht stehen bleibe, vndt weill es an allen ohrten holtzwerck vndt 
bretter sein, dadurch schade entstehen, sondern dem Calcanti be- 
fehlen, das er die Feurpfanne iederzeit in deß Aeditui hauB tragen 
vndt daselbst wieder holen muste. 

1 1 . Dem Calcanti zue befehlen, daß er die Flugeil ahn der Orgell 
zu iederzeit an der Orgell nach geendigten Kirchen - C^emonten 
zuethue. 

12. Wan die copulation vndt treuw^ zueschlagen er gebehten 
wirdt, alßdan mit dem ienigen, alß 1 ohrtsthaler, so jhme gesetzt, 
zuefrieden sein vndt keinen vber sein vermuegen waß abfederen. Will 
aber einer auß guetem willen ein mehres thuen, daß soll dem Breuti- 
gamb freistehen. 

13. Weill auch dem Orgellmacher gebühret, bei liefferung deB 
wercks in gantzer versamblung E. Ernvest. Wolw. Rahts vndt derer 
von der Kirchen außgesagt; daß dadurch den Orgellwerken nicht 
geringe vngelegenheit vndt schade zugetzogen wurde, weill iederzeit 
viele Leuthe hinauff lauffen, von dem staube, dreck vndt andren, so 
sich darauf destomehr heuffen, alß soll er die thuer an der Orgell 
verschloßen zuehalten, auch nicht ohne unterscheit iederman hinauff- 
laßen, wie dan heutiges fast Schuester, Schneider vndt andere hinauf 
lauffen; welche aber der Musiken zugethan sein und den Chorum 
helffen zieren, mit denen hat es ein ander gelegenheit. Damit auch 
die thuer desto fleißiger zugehalten werden könne, soll dem Domino^ 
Cantori auch ein schlußell zu der Orgell zugestellet werden, daß er 
könne auff vndt abkommen, wen er wolle, vndt wieder zueschließen. 

14. Auf die wohnung deß Organisten soll er auch fleißigk ach- 
tung geben, daß durch nachleßigkeit vndt verseumbniß oder durch 
sein vndt der seinen verwarlosung deroselben kein schade zugezc^en 
wurde, so etwaß daran zu bauwen oder beßem, soll er solches den 
Bauhem von E. E. Kaht anzeigen, ^e werden woU anordnung davon 
zu thune wißen. 



1 wohl statt trauw. 

2 Hdschr. Dnö. 



Der Orgelspieler und Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt. 33 1 



15. Da er auch 4igenis die wohnung selber nicht bewohnen 
wurde, soll er ohne vorbewust des Pfarhem vndt E. E. Rahts nie- 
mandt hineinsetzen, sondern soll mit deren willen geschehen, damit 
durch solche heußlinge daß hauß vndt gahrten nicht auBgewohnet 
vndt verwüstet vndt also hernach vnnötige bawkosten dem Raht- 
hauße zugezogen werde. Do auch der Organist daß hauß nicht selber 
bewohnen wurde, sollen Prediger, der Schueldiener Witwen oder den 
(!) Schuldienem selbst für andern auf den erstfall den vorzugk haben 
in solchem hauße zu wohnen, doch daß dem Organisten ein billiger 
haußzinß darvon gegeben werde. 

16. So soll er mit der alten besoldung content vndt friedtlich sein. 

17. Dafem ehr auch zue guetten leuten gefordert werden solte, 
soll ehr sich gueter descretion gebrauchen, außwertigk bezeigen, sich 
auch in sothanen Convivüs alles kartenspiels enthalten L 

18. Wofern Sie dießem nicht also geleben wurden, wollen Rahtt, 
pastam vndt Kirchväter alle jehrliches dieselben abzuesetzen befugt 
sein etc. 

Dieße puncten getrewlichen zuehalten vndt in acht zu nehmen 
soll der Organist bei seiner annehmung mit handt vndt mundt zue- 
sagen, darzue jhme auch Gott der her Gluck, Segen und bestendige 
gesundt verleihe. 

Anno etc. 

Die Jahr- und Tagzeichnung ist nicht ausgeführt, aber es heißt 
in der Aufzeichnung weiter: iDen 13. Decembris Anno 1626 ist Johan 
Becker von Hm. M. Lyborio Heylio, Pfarhem in der Neustadt, an- 
geben vndt vermeldet worden, daß er von Ihn, den Kirchvetem vndt 
hem in der Neustadt zu einem Organisten in Johan Rosenthals 
stelle, so thots verblichen, wieder angenommen, mit pitte, denselben 
Rahtswegen zu conßrmiren; seindt Ihme darauf dieße vorgesatzte 
puncta vorgelesen, die er steiff, vehst vndt vnverbruchlich zuehalten 
angelobet, vndt darnach zue solchem Dienst confirmiret worden, vndt 
pro salario zugesaget Sechzigk fl. von der Kirchen zue S. Johannis^ 
alle Quartall 15, dan vom Rahthauße Michaelis 10 fl. vndt holtzgelde 
gleichfals vff Michaelis 3 fl. Dan werden Ihme gegeben 6 scheffell 
Rogken von Waßerlehr; dazu will Ihme H. M, Lyborius Heylius 
etzliche Morgeu ackers einthuen, solche vermachnuß aber mit ab- 
leiben deß herren pastoris vndt Organisten zugleich mit erloschen 
sein soll. 



1 Punkt 17 ist nachträglich von anderer Hand eingeschoben. 

22* 



n 



332 Eduard Jacobs. 



Inßdem subscripsü Johannes Becker mpjK 

Eines Erb. vndt wolweisen Radtts beider Städte Wemingeroda 
Priuattsachen vndtt Handelung 1598 ff. Bl. 89 ff. im Stadtarchiv 
zu Wernigerode. 

Johann Becker, von 1617 oder 1618 bis 1626 Organist an der 
Stadtkirche zu Unser Lieben Frauen, war darauf von 1626 bis 1635 
Organist zu S. Johannis in der Neustadt. Während demselben nun 
die letzteren deutsch abgefaßten »Punkte er bestimmt am 13. Dezember 
1626 vorgelegt wurden, so dürfte ihm die vorhergehende lateinische 
Dienstanweisung vor seiner Annahme als Organist zu U. L. Frauen 
übergeben und er auf dieselbe verpflichtet worden sein. 



Kritiken und Referate. 



Wüh. Bäumker, Das katholische deutsche Kirchenlied in seinen 
Singweisen. Freiburg i. Br. Bd. I 1886. Bd. II 1883. Bd. III 1891. 

Ueber dem deutschen Kirchenlied hat seit einem halben Jahrhundert ein 
guter Stern gewaltet, sowohl nach der Seite seines Lebens in der Kirchei wie nach 
der seiner wissenschaftlichen Erkenntniß. Beides ist natürlich aufs engste ver- 
bunden und geht Hand in Hand miteinander. Angesichts einer so heryorragenden 
wissenschaftlichen Leistung, wie wir sie in dem oben genannten Werke vor uns 
haben, ist es von Interesse, sich die Wege zu yergegenw&rtigen, welche dahin 
geführt haben. Freilich lassen sich dabei hier nur die obersten Momente der 
Entwickelung andeuten und nur die wenigen hervorragendsten Arbeiten herausheben. 

Wenn man auf die Zustände lurackblickt, in denen die auf diesem Gebiete 
jedenfalls arg verwüstende Periode des älteren Bationalismus das Kirchenlied hinter 
sich zurückließ, wie in Auswahl und Textgestaltung so in musikalischer Behand- 
lung der Lieder, so muß man sich gestehen, daß es damals recht fraglich erscheinen 
konnte, ob es überhaupt noch möglich sein werde, das Kirchenlied aus solcher Ver- 
kommenheit wieder zu heben, oder ob es sich um den unaufhaltsamen Verfall 
einer einst so herrlichen und an Qeistesfrüchten so reich gesegneten Erscheinung 
handle. Wie in der evangelischen Kirche, so fand das Gleiche auch in der 
katholischen statt, obwohl man sich innerhalb ihrer selbst der täuschenden Vor- 
stellung hingab, durch deutsche Singmessen und neugebackene Liedersammlungen 
dem deutschen Gemeindegesang vielmehr einen ganz neuen und höheren Auf- 
schwung zu geben. Der dritte Band von Bäumker's Buch wird Gelegenheit bieten, 
hierauf noch zurückzukommen. 

Daß gegen solche Verflachung ein Bückschlag eintrat, ist natürlich an erster 
und oberster Stelle dem allgemeinen Umschwung zuzuschreiben, der seit den ersten 
Jahrzehnten unseres Jahrhunderts in dem religiösen Empfinden eines immer größeren 
Theiles der Nation eintrat. Eine religiöse Stimmung der Gemüther, aus deren 
Gluth und Erhebung heraus fromme Sänger wie Arndt und Novalis ihre Lieder 
erschallen ließen, mußte erst die Kirche erfaßt und durchglüht haben, ehe die 
Strahlen dieses heiligen Feuers auch die verkümmerte Pflanze des Kirchenliedes 
zu jungen Trieben und zu neuem Leben erwecken konnten. Aber die Triebe 
sollten doch nur langsam erstarken und die Früchte der anhebenden Bewegung 
ließen noch lange auf sich warten. Wohin jedoch die Blicke, die nach der Er- 
leuchtung in diesen Dingen suchten, sich richteten, das erkennt man zuerst in den 
Arbeiten des jüngsten der Hamburger Rambaoh, August Jakob, der sich, getrieben 
von dem allgemeinen Geist der Zeit und auf der andern Seite durch den eigenen 
milden Geist von dem sich erhebenden heftigen Streit der kirchlichen Richtungen 
femgehalten, schon früh hymnologischen Forschungen und Sammlungen zuwandte, 



334 Kritiken und Referate. 



deren bedeutendstea 'wissenschaftliehes Ergebniß seine »Anthologie cbrigtlicher 
Gesänge aus allen Jahrhunderten der K-irehe« ist (6 Bfinde, 1817—33). Die zwar 
noch mit ungenügenden Mitteln ausgeführte aber sehr tüchtige Arbeit trug reiche 
Frucht. Das Wichtigste dabei war die Erkenntniß, daß der Geist des echten 
evangelischen Kirchenliedes nur da zu finden und zu fassen sei, wo es frisch aus 
der Quelle hervorsprudeltf zur Zeit der Reformation, im 16. Jahrhundert, und daß 
es durchaus nöthig sei, diesen Geist erst wieder richtig zu erkennen, ehe man sich 
an die Verbesserung der Lieder unter den Gesichtspunkten des modernen Ge- 
schmackes und augenblicklich herrschender kirchlicher Strömungen heranwage. 

Die Texte bildeten ja aber nur die eine Seite des Liedes: daneben standen 
die Melodien und ihre musikalische Behandlung. Daß auch hier die Gtedanken 
einzelner Einsichtiger sich gleichfalls alsbald der älteren Zeit zuwandten, das zeigt 
sich m. W. am frühesten an Becker und Billroth's »Sammlung von Chorälen aus 
dem 16. und 17. Jahrhundert a (1831). Zu den ersten Quellen stiegen aber sie doch 
nicht wieder hinauf, sondern es sind hauptsächlich 4 stimmige Liedersätze von Seth 
Calvisius und Hermann Schein, also schon der Zeit um 1600 angehörend, welche 
hier mitgetheilt werden. An dieser Seite der Sache sah es aber fast noch schlimmer 
aus, als an der der Texte, denn um 1830 herrschte über die Beschaffenheit der 
Musik im 16. Jahrhundert, von der doch hierbei ausgegangen werden mußte, noch 
ein fast völliges Dunkel bei unseren Musikern. Doch nahm beides gleichseitig 
einen stetigen und glücklichen Fortgang. Um was es sich in Betreff der Texte 
zunächst vor Allem handelte, das war Einsicht in das Wesen des Volksliedes und 
des Volksthümlichen oder, wie man sagen möchte, ein Einblick in das wahre Leben 
der Volksseele. Nicht ohne Ergötzen liest man in den Vorreden mancher katlio- 
lischer Gesangbücher des 18. Jahrhunderts, welche Bäumker in der Einleitung zu 
seinem 3. Bande mittheilt, wie vergebens und unter wie falschen und beschränkten 
Gesichtspunkten die Verfasser sich bemühen, festzustellen, was volksthümlioh sei 
und wie darum das kirchliche Volkslied beschaffen sein müsse. Franz Berg, der 
Verfasser von »Liedern zum katholischen Gottesdienste« (1781, 1. c. S. 129f.) meint 
bei Untersuchung der Forderung der »Deutlichkeit«, die man stets als eine Haupt- 
forderung für das volksthümliche Kirchenlied aufstelle, man komme schließlich 
zur Einsicht, daß der mangelhaft gebildete Verstand des » Publikums a auch für 
das deutlichste Lied noch nicht ausreiche und daß man daher damit anfangen 
müsse, die Köpfe vorher durch bessere Einrichtung der häuslichen und öffentlichen 
Erziehung empfänglich zu machen, ehe man dem Publikum bessere Lieder gebe. 
— Seit Herder begannen aber die Begriffe sich zu klären. Die Grimm's führten 
uns zu den altdeutschen Wäldern zurück, in denen wir die längst entschwundenen 
Jahrhunderte heimlich belauschen konnten. »Des Knaben Wunderhom« erschloß 
im schlichten Liede des Volkes eine ungeahnte, ja überwältigende Fülle der Poesie, 
die gleich einem verjüngenden Lebenselixir die Adern der poetisch Sehaffenden 
wie poetisch Genießenden durchdrang. Manch andres folgte als neue Stoffsamm- 
lung nach, aber erst Uhland's Meisterwerk führte zu voller Klärung und Erkenntniß. 
Die beiden Bände seiner Volkslieder erschienen 1844 und 1845; sie bilden das 
Ergebniß einer tief in das Wesen und in die Geschichte des Volksliedes ein- 
dringenden Untersuchung. Uhland machte es aber in seiner wortkargen Art (seine 
erläuternden Anmerkungen wurden erst mehr als 20 Jahre später gedruckt) selbst 
den Forschern nicht leicht, die Resultate seiner Studien im Einzelnen zu erkennen. 
Gleichwohl erreichten sie dies vielleicht um so sicherer, weil es nur durch nach- 
forschende Arbeit möglich war. Es stand nun klar vor Augen, in welchem Sinne 
in Deutschland das 15. und 16. Jahrhundert den letzten Höhepunkt des älteren 
Volksliedes bildete und worin auf diesem Höhepunkt die charakteristischen Merk- 



'Wüh. Bftumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 335 



male des Volksliedes bestanden. Das war aber eben auch für das ELirchenlied um 
ao irichtiger, weil Luther das ältere geistliche Lied, an welches er anknüpfte, vom 
15. Jahrhundert überkam und weil er selbst, indem er das geistliche Lied zu seinem 
Kirchenlied erhob, sich dabei an das in ihm selbst lebende Volkslied des 16. Jahr- 
hunderts anschloß. Jetzt also vermochte die Forschung auch weiter zu erkennen, 
worin und wie weit das neue eyangelische Kirchenlied sich über die Natur des 
Volksliedes, aus dem es erwuchs, als eine yeredelte und höhere Art erhob. Dieser 
Forschung und der dafür unentbehrlichen Stoffsammlung in kritischer und ge- 
schichtlicher Durcharbeitung galten Philipp WackemageVs an umfassendem Fleiß 
und peinlichster Sorgfalt des Einzelnen unübertroffene Werke: »Das deutsche 
Kirchenlied von M. Luther bis auf Nie. Hermann und Ambros. Blarer« (1841), die 
»Bibliographie zur Geschichte des deutschen Kirchenliedes im XVI. Jahrhundert« 
(1855) und abschließend: »Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu 
Anfang des XVII. Jahrhunderts« (5 Bände, 1864—77). Dem zur Seite entwickelte 
sieh in drei Auflagen (1847, 1852—53 und 1866—77) E. £. Koch's höchst schätzens- 
werthe »Geschichte des Kirchenlieds und Kirch engesan^s der christlichen, insbe- 
sondere der deutschen evangelischen Kirche« von seinen ursprünglichen 2 zu 
8 Banden und A. F. W. Fischer ließ (1878—79) als nützliches Naohschlagebuch 
sein »Kirchenlieder-Lexikon« über ca. 4500 Lieder folgen. So lag nun auf diesem 
Felde nicht nur der Forschung ein ausgezeichnetes Material vor, sondern es waren 
damit vor Allem auch der praktischen Besserung der herrschenden Zustände 
die Wege gebahnt Schon 1832 hatte in Hamburg der durch Kambach gegebene 
Anstoß zu der unter seinem Vorsitz ausgeführten Abfassung eines neuen Gesang- 
buches geführt, welches 1842 eingeführt wurde, wohl das erste, in welchem mit 
Bewußtsein, wenn auch noch in zaghafter Weise, die neu gewonnenen Gesichts- 
punkte zur Anwendung kamen. Vorangegangen war man übrigens schon in Berlin 
und an anderen Orten mit der Beseitigung der rationalistischen Gesangbücher und es 
begann nun eine Reform der Gesangbücher, die in immer mehr bewußter Weise, 
hier mehr, dort minder radikal — ein bestimmtes Ziel verfolgt und welche bis 
heute ihren Abschluß für das ganze evangelische Deutschland noch nicht gefunden 
hat. Eine Beihe trefflicher Forscher und Männer griffen in sie ein : Göring, 
Layritz, Cuntz, Tucher, Wiener, Stier, Grüneisen, Geffcken, Victor Strauß u. A. 
Seit 1854 stand in der Mitte dieser Bewegung das in diesem Jahre von der »Evan- 
gelischen Kirchenkonferenz zu Eisenacha herausgegebene, also unter amtlicher 
Empfehlung erscheinende »Deutsche evangelische Kirchen-Gesangbuch in 150 Kern- 
liedem«, die als der allen Gesangbüchern gemeinsam zu machende Grundstock 
gedacht waren. Zuerst schlag diesen Weg im engen Anschluß an die Kernlieder 
das treffliche bairische Gesangbuch ein, gedruckt schon im gleichen Jahre 1854. 
Andere folgten, doch ist bisher der Erfolg hinter der Absicht leider noch immer 
weit zurückgeblieben. 

In genauer Parallele hierzu entwickelte sich die musikalische Seite der Sache. 
Für die vorhin ausgesprochene Behauptung, daß unseren Musikern um 1840 im 
Allgemeinen noch jede Vorstellung von der Musik des 16. Jahrhunderts und jedes 
Interesse für sie gefehlt habe (nur die Münchner Aiblinger und Ett machen hier- 
von eine rühmliche Ausnahme), ist es ganz bezeichnend, daß nicht durch Musiker, 
sondern durch zwei Juristen und einen Geistlichen die Bahn ins gelobte Land der 
Palestrina, Senfl, Lasso und des ersten evangelischen Kirchengesanges gebrochen 
werden mußte, von Winterfeld, dessen großes Werk : » Der evangelische Eirchen- 
gesang und sein Verhältniß zur Kunst des Tonsatzes « 1843 — 47 erschien; Fr. 
Layritz mit seinem »Kern des deutschen Kirchenlieds von Luther bis Geliert« (1844) 
und Frhr. von Tucher mit seinem »Schatz des evangelischen Kirchengesangs im 



336 Kritiken und Referate. 



ersten Jahrhundert der Reformation« (dem ein Probeheft mit 42 Liedern schon 
1840 vorangegangen war). Die erste praktische Wirkung war die, daß in Baiem 
(wo Tucher wie Layritz su Hause waren) das Konsistorium sich su dem Versuch 
der Wiedereinführung rhythmischen Gesanges entschloß. Johannes Zahn, der schon 
seit 1846, damals noch auf dem Predigerseminar zu München, an den Arbeiten 
Tucher's u. A. teilgenommen hatte, ward 1847 mit den Vorarbeiten und Einlei- 
tungen dazu betraut Ueberraschend schnell und leicht, wenn auch nicht ganz 
ohne leidenschaftlichen Widerspruch, gelangen die Versuche, und schon 1854 konnte 
das von Zahn bearbeitete »Vierstimmige Melodienbuch« zum neuen bairischen Ge- 
sangbuch erscheinen. Auch die Eisenacher Kirchenkonferenz nahm sich aber der 
Sache an und ließ den 150 Kernliedem das »Melodienbuch des deutschen evan- 
gelischen Kirchen-Gesangbuches für Orgel und Chorgesang« bearbeitet von Tucher, 
Faißt und Zahn folgen (1855). — Inzwischen war auch die Musikwissenschaft der 
Bewegung nachgekommen; Bellermann erschloß in seinen theoretischen Arbeiten, 
welche hauptsächlich dem 16. Jahrhundert galten, die Schätze der alten Musik und 
erzog eine Schaar musikalisch wie wissenschaftlich wohlgeschulter Jünger. Auf 
den Chören der katholischen Kirchen, hie und da auch durch evangelische Kirchen- 
chöre und in den Koncertsfilen lebten die alten Meister wieder auf und es ver- 
breitete sich eine klarere Anschauung von der wirklichen Beschaffenheit der alten 
Melodien und ihrer harmonischen Behandlung durch die Meister des alten Styles. 
Auch dem Volksliede des 15. und 16. Jahrhunderts in seinen Melodien und ihrer 
kontrapunktischen Verarbeitung wandte die Forschung sich mehrfach mit Vor- 
liebe zu. 

Ueberblicken wir nun aber diese Reihe eifriger und fruchtbarer Arbeit, so 
werden wir gewahr, daß unter denjenigen Vorarbeiten, deren es mit Nothwendigkeit 
als festen Fundamentes bedarf, immer noch eine und zwar eine überaus wichtige 
auf sich warten ließ: nämlich eine nach Möglichkeit und nach den Umständen 
vollständige Sammlung der Melodien des Kirchenliedes, aus denen die älteste ur- 
kundliche Form und die weitere Geschichte der einzelnen Melodien, ihre Erfinder, 
ihr Auftauchen und Verschwinden oder ihre Wandlungen bis auf die Gegenwart 
zu ersehen waren. Die bisher genannten Sammlungen enthalten unbeschadet ihrer 
sonstigen Vortrfflichkeit doch stets nur eine Auswahl von Melodien und fassen auch 
für diese beschränkte Zahl nur einzelne Seiten der angedeuteten Aufgabe ins Auge. 
Merkwürdiger Weise griff nun grade hier die katholische Kirche zuerst ein, welche 
zwar von der bisherigen Bewegung in der Gesangbuchfrage nicht ganz unberührt 
geblieben war, aber ohne in bedeutenden Arbeiten daran theilzunehmen. Im Jahre 
1862 erschien der erste Band eines Werkes von Karl Severin Meister : »Das katholische 
deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen von den frühesten Zeiten bis gegen Ende des 
17. Jahrhunderts«, welches für diese wichtige Periode des katholischen deutschen Kir- 
chenliedes die Aufgabe zu lösen unternahm. Indem der Verfasser sich der herkömm- 
lichen Eintheilung der katholischen Ritualbücher in das de tempore et de eanctis 
anschließt, bringt er in den 311 Nummern dieses ersten Theiles das sogenannte 
de tempore, die Festlieder von Advent bis Trinitatis nebst dem Fronleichnamsfest 
und Altarssacrament mit einer ausführlichen und gehaltreichen Einleitung, der es 
nur zum Schaden gereicht, daß der Verfasser in der Frage ijiach Luther^s Ver- 
diensten um das Kirchenlied in einer thörichten Polemik befangen ist Wenn ihn 
dabei die richtigen Gesichtspunkte entgehen, so muß man allerdings gerechter 
Weise anerkennen, daß es der älteren herkömmlichen Auffassung der Hergänge 
auf unserer Seite nicht besser ging und daß ihre Irrthümer die Katholiken wohl 
in die entgegengesetzten hineintreiben konnten. Denn wenn bei uns die populäre 
Ansicht sich ungefähr dahin zusammenfassen ließ: Luther habe das Kirchenlied 



Wilh. Bäumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singveisen. 337 



erdacht und gemacht und seit 1524 haben seine Gemeinden es gesungen, so geht 
das an den entscheidenden Punkten der Frage eben so blindlings vorbei, wie wenn 
der Katholik darauf entgegnete : das geistliche deutsche Lied wurde seit alter Zeit 
▼om Volke gesungen, Luther fand es in Menge vor, auch im kirchlichen Gebrauch 
war 68 zugelassen und Luther that nichts, als es nach seinem Kopfe umiumodeln. 
Der Streit darf wohl durch die in voller Sachkunde und mit einem durch Partei- 
lichkeit nicht mehr getrübten Blicke geschriebenen Einleitungen des Bäumker'schen 
Werkes auch für die katholische Seite für abgethan gelten und der Evangelische 
wird nur gegen Einselheiten der Bäumker'schen Aufstellungen Einwendungen zu 
erheben haben. Darauf einzugehen ist hier nicht der Ort; wohl aber ist es ange- 
seigty den eigentlichen Kernpunkt der ganzen Sache einen Augenblick ins Auge 
EU fassen, denn es hängen wichtige Fragen damit zusammen, und er ist vielfach 
auch auf unserer Seite nicht in seiner eigentlichen Bedeutung erkannt, während 
Bäumker ihn richtig andeutet i, indem er darauf hinweist, daß Luther das geist- 
liche deutsche Lied zum Bestand th eil der Liturgie und erst dadurch im 
Sinne unserer Kirche zum Kirchenlied machte. 

Alleiniges Subjekt der Messe, des Hauptgottesdienstes, ist in der katholischen 
Kirche der Priester. Der Gottesdienst besteht in einer von der Priesterschaft, die 
dabei theilweise vom Chor vertreten wird, vollzogenen Handlung. An die Stelle 
dieser Ordung wieder die der Urkirche zu setzen, vermöge deren vielmehr die 
Gemeinde, zum Theil vom Priester als ihrem Wortführer vertreten, das Subjekt 
der gottesdienstlichen Handlung ist, das war der leitende Grundgedanke Luther's. 
Die Form, in der sieh diese gottesdienstliche Handlung vollzieht, ist nun aber 
die Liturgie. Daraus folgt, daß die Gemeinde, wenn sie sich fortan wieder als den 
Träger dieser Handlung fühlen und erweisen sollte, auch einen Antheil an der 
Ausführung der Liturgie haben mußte, wobei nun auch sie sich, so weit es an- 
gemessen schien, vom Chor vertreten lassen konnte. Luther wollte zu solchem 
Zweck nicht neue Bestandtheile in die Liturgie einflechten, sondern nur die dazu 
geeigneten Stücke der Liturgie in solche Form bringen, daß sie der Gemeinde, 
also dem Volk, zum ächten Ausdruck des eigenen Wesens dienen könnten. Die 
Quelle, aus der er eine solche Form abzuleiten habe, erkannte er in dem älteren, 
namentlich auch im 15. Jahrhundert in reicher Blüthe stehenden geistlichen deut- 
sehen Volksliede, welches ja in einzelnen Fällen und an einzelnen Orten schon 
Einlaß in die Kirchenthüren gefunden hatte, nicht zwar als Bestandtheil der 
Liturgie, sondern als bescheidener Begleiter bestimmter liturgischer Gesänge, des 
Grates nunc omnes zu Weihnacht, des Victimae paachali zu Ostern, des Vent sancte 
Spiritus zu Pfingsten u. a. (vgl. Bäumker, Bd. II, S. 11 f.) Auch diese Sitte 
eines begleitenden deutschen Parallelgesanges ließ Luther nicht nur zu, sondern 
verallgemeinerte sie für diejenigen Kirchen, in denen der lateinische Chorgesang 



1 »Wenn demnach Wackemagel, der gründlichste Forscher auf dem Gebiete 
des deutschen Kirchenliedes, meint, in der Zeit vor der Keformation könne von 
einem deutschen Kirchenliede in dem Sinne, welchen wir seit der Reformation mit 
diesem Worte verbinden, nicht die Bede sein, so hat er vollständig recht, wenn 
er damit sagen will, daß erst seit Luther das deutsche Kirchenlied allmählich zum 
officiellen liturgischen Gesang der protestantischen Kirche erhoben wurde.« 
Nur gegen das »allmählich« ist doch zu bemerken, daß die Durchführung dieser 
Einrichtung allerdings erst sehr allmählich vor sich ging, auch nur gehen konnte, 
theils weil es an den nöthigen Liedern noch fehlte, theils weil die Erziehung der 
Gemeinden zum Gesänge der Lieder nur langsam, d. h. erst im Verlaufe fast eines 
Jahrhunderts durchgeführt werden konnte; daß aber Luther's That grade in der 
grundsätzlichen Einfügung der Lieder in die liturgische Ordnung bestand. 



338 Kritiken und Referate. 



bestehen blieb. Im Übrigen aber setzte er das deutsche Gemeindelied als gleich - 
werthigen Bestandtheil an Stelle des betreffenden lateinischen Textes und dies 
bildet fortan den Antheil der Gemeinde an der Ausführung der Liturgie als der 
Form, in der die gottesdienstliche Handlung, vor allem die Messe, sich vollzieht. 

Daß das infolge des großen Eindruckes des lutherischen Liedersingens auf 
die Gemüther nun alsbald auch eifriger gepflegte katholische Kirchenlied niemals 
die gleiche gottesdienstliche Stellung eingenommen hat, braucht kaum gesagt zu 
werden. Wer von dem, was in dieser Hinsicht geworden ist und besteht, keine 
Kunde hat, kann sich in der ersten besten katholischen Kirche, in der überhaupt 
während der Messe das deutsche Gemeindelied gesungen wird, von dem Sachver- 
halt überzeugen: das Lied greift in die Handlung nicht ein, sondern steht einfach 
daneben : während des Eingangsliedes liest (» betet a) der Priester den lateinischen 
Introitus mit deu ihm voraufgehenden liturgischen Stücken ; während des Glaubens- 
liedes liest jener das lateinische Credo \ während der Priester das lateinische Evan- 
gelium liest, singt die Gemeinde ein Sonntagslied u. s. w. Das Lied hat hier 
immer nur die Aufgabe, die passive Theilnahme der Gemeinde an der priester- 
lichen Handlung zu beleben, mehr als etwa das stille Lesen in einem Gebetbuch 
es thut und ihr zugleich durch den Inhalt des Liedes einigen Anhalt für den In- 
halt der Liturgie zu geben. In dem ältesten katholischen Gesangbuch, dem Vehe- 
schen von 1537 (s. Bäumker, B. 1, S. 65, 124, 187) erscheint übrigens das Lied aus- 
schließlich als Predig^ed, avor und nach der Predigt« gesungen. Die Predigt 
aber steht ganz außerhalb der Liturgie. In älteren Zeiten wurde sie sogar vor- 
zugsweise außerhalb der Kirchen gehalten. Ihre Einschiebung in den kirchlichen 
Gottesdienst fand in der katholischen wie in den Reformationskirchen und findet 
in den katholischen noch heute auf die verschiedenste Weise statt. Bald bildet 
sie einen ganz außerhalb der sonstigen Liturgien stehenden Predigtgottesdienst, 
so z. B. auch auf unserer Seite in den Predigtämtem der Nürnberger SLirchen (vgl. 
Herold, Alt-Nürnberg in seinen Gottesdiensten z. B. S. 141, hier freilich mit einem 
kurzen liturgischen Officium ante concionem ausgestattet; der Hauptgottesdienst 
folgt dann post concionem als »Tag-Amt« nach), so heute z. B. in München und 
vieler Orten ; bald wird sie nach der (liturgischen) Vorlesung des Evangeliums, bei 
uns fast überall zwischen Credo (bei ausfallendem Offertorium) und Präfation in 
die Liturgie eingeschoben. Stand sie allein, so war eine Einrahmung durch Lieder 
um so natürlicher; wird sie eingeschoben, so kann man eben sowohl auch die sie 
einrahmenden Lieder mit einschieben. Bäumker glaubt (Bd. H, S. 12 f.), diese 
Sitte sei schon vorreformatorisch. Die beiden von ihm angeführten Beispiele be- 
ziehen sich doch nur auf das einzelne Lied »Christ ist erstanden«, welches man 
hier und da vor der Predigt anstimmte, und wenn die Salzburger Provinzialsynode 
von 1569 das Singen vor und nach der Predigt eine alte Gewohnheit nennt, so 
waren seit dem Erscheinen von Vehe's Gesangbuch damals schon 32 Jahre ins 
Land gegangen. Andere Belege dafür sind mir nirgends begegnet, falls man nicht, 
was doch nicht wohl geht, etwa den Umstand dafür anführen wollte, daß grade 
schon älteste Lutherische Kirchenordnungen solche Predigtlieder anordnen. Es 
kommt übrigens herzlich wenig darauf an, wem hier die Priorität gebührt und ich 
selbst sehe in der That keinen Grund, wenn Bruder Bertold aus der Linde herab 
predigte, warum die vielen Tausende, die ihm von Begeisterung bis zum Fanatis- 
mus erfüllt zuhörten, nicht hier so gut gesungen haben sollten, wie sie es sonst 
bei Bittgängen u. s. w. thaten. 

K. S. Meister ist es nicht vergönnt gewesen, die Beendigung seines dankena- 
werthen Buches zu erleben: er starb vor der Fertigstellung des zweiten Bandes 
1881. Der thätige um die katholische Li tteratur in hervorragender Weise verdiente 



Wilh. Bfiumker, Das kathoL deutsehe Kirchenlied in seinen Singweisen. 339 



Verleger (Uerder'sche Verlagsbuchhandlung in Freiburg i. Br.) gewann in Wilh. 
B&umker, damals Kaplan in Niederkrüohten im Rg.-B. Aachen, jetzt Pfarrer in Rurich, 
einen ausgezeichneten Nachfolger für den Verstorbenen ; ein Schüler yon Crecelius 
und durch ihn insbesondere auch mit dem Volkslied und seiner Litteratur vertraut, 
xugleioh neben seiner praktischen Vertrautheit mit dem liturgischen Gesang der 
katholischen Kirche ein durchgebildeter Kenner der alten Musik. Daß es den 
darüber gepflogenen Unterhandlungen nicht gelang, ihm den Meister'schen Nach- 
laß susuführen, gereichte der Sache zum VortheiL Gezwungen, sich ganz auf eigene 
Füße zu stellen, wußte B. in Kurzem das Material nicht nur im Umfange des 
ersten Bandes, sondern in noch erweitertem Maaße zu beschaffen. Überhaupt stand 
er im Vergleich zu seinem Vorgänger auf einem weiter vorgeschrittenen Stand- 
punkt der Forschung. Die Folge davon war, daß der schon 1883 gedruckte zweite 
Band nun den ersten an wissenschaftlicher Durcharbeitung merklich überragte. Er 
fügte dem Meister'schen Plan gemäß, der sich selbstverständlich jetzt nicht mehr 
findem ließ, den Festliedern des de tempore, die Lieder de eanctis u. s. w. hinzu, 
alles bis »gegen Ende« des 17. Jahrhunderts. Das allgemeine Bedauern darüber, 
daß nun der erste Band so entschieden hinter seiner Fortführung zurückstehe, 
führte den muthigen Verleger, den dabei das laue Interesse, welches die eigene 
Kirche an der doch so wichtigen Sache zeigte, keinesweges ermuthigen konnte, 
zu dem Beschluß, Bäumker zu einer neuen selbständigen Bearbeitung des im 
Meister'schen ersten Band enthaltenen Stoffes zu veranlassen. Schon 1886 konnte 
dieser neue erste Band dem voraufgegangenen zweiten nachfolgen und das ganze 
Werk wurde von der Kritik als eine höchst werthvoUe Bereicherung und Er- 
weiterung der hymnologischen Litteratur und eine wahrhaft mustergültige Arbeit 
aufgenommen. Es war neben Anderen der berufenste aller Beurtheiler auf evan- 
gelischer Seite, Johannes Zahn, der oben genannte Mitarbeiter Tucher's, der sich 
mit höchster Anerkennung in Nr. 6 der Siona von 1886 darüber aussprach. 

Die Einleitungen der beiden Bände erörtern in vollster Sachkunde die all- 
gemeinen geschichtlichen Hergänge bei der Entstehung des deutschen Kirchen- 
liedes: das geistliche Lied (so sollte es hier doch richtiger heißen, als »Kirchen- 
lied«) vor der Reformation, Luther und das Kirchenlied, das katholische Lied nach 
der Reformation. Es folgt eine reichhaltige Litteratur und Bibliographie, die ge- 
naue Beschreibung der wichtigsten katholischen Gesangbücher und Auszüge aus 
ihren Vorreden, höchst lehrreich für die weitere Geschichte des katholischen Liedes. 
Der erste Band enthält der Melodien 421, der zweite 441. »Die einzelnen Melo- 
dien sind genau nach den benützten Quellen notiert, über jeder ist nicht bloß 
das älteste kathol. Gb. angegeben, in welchem sie erstmals erscheint, sondern 
auch die wichtigsten sp&teren, in welche sie aufgenommen worden ist. Nach jeder 
Melodie folgen werth volle Bemerkungen Über die bedeutendsten Veränderungen, 
welche sie erfahren hat, und über die Texte, zu denen sie benutzt worden ist; bei 
mancher sind auch verschiedene Formen mitgetheilt, in welchen sie auftritt, femer 
finden sich Bemerkungen über das Alter und den Ursprung der Liedertexte, endlich 
auch über die Verwendung der Melodien von Seiten der evangelischen Kirche und 
über die Lieder, für welche sie hier gebraucht worden sind. Unter jeder Melodie 
ist die erste Strophe des Liedes beigesetzt und bezüglich der übrigen Strophen 
wird auf die Werke von Kehrein und Wackernagel verwiesen« (Zahn a. a. O.). 
Man sieht, es ist im Wesentlichen das gleiche Verfahren, welches Zahn bald nach- 
her selbst befolgte, und man sieht zugleich, ein wie reicher, aufs sorgsamste vor- 
bereiteter Stoff dem Forscher hier vorliegt, der klassische Melodienschatz des 
kathoUsch-deutschen Kirchenliedes. 

Aber die ganze Aufgabe war doch damit noch nicht zu Ende geführt. Schon 



340 Kritiken und Referate. 



Zahn sprach in seiner Anzeige den Wunsch aus, der Verfasser möge in einer Fort- 
setzung nun auch in gleich wissenschaftlicher und sorgMtiger Weise die seit 1700 
in der katholischen Kirche gebrauchten Melodien mittheilen und dieser Wunsch 
ward von vielen Seiten wiederholt. Gleichwohl stieß die Ausführung auf Schwierig- 
keiten; nicht etwa wegen des zu beschaffenden Materials; dies Hindemiß wußte 
der unermüdliche Verfasser, der wohl die Anerkennung fand, daß ihn die Bres- 
lauer theol. Fakultät honoris causa zum Docior theologias ernannte, im Übrigen aber 
auf seiner abgelegenen Pfarre, mit Amtsgeschäften beladen sitzen blieb, zu über- 
winden. Aber die Theilnamlosigkeit des katholischen Publikums, die sieh nui auz 
Mangel an Verständniß für die Bedeutung des Gegenstandes erklären läßt, drohte 
dem Verleger und nicht minder dem Verfasser zu große Opfer. Eine Subskription 
auf den geplanten dritten Band und die »hervorragende Betheiligung des preus- 
sifichen Kultusministeriums an der Subskription« (Bd. 3, S. 8) mußte hinzukommen, 
um die Arbeit zu ermöglichen. 

Inzwischen erwuchs aber dem Verfasser für den Theil seiner Aufgabe, in dem 
sie sich mit dem protestantischen Kirchenliede berührt, ihm wohl gleich überraschend 
wie der ganzen evangelischen Kirche, ein neues Hülfsmittel von unvergleichlicher 
Vortrefilichkeit. Als ich 1886 in den Beilagen zu Nr. 186—187 der (damals noch 
Augsburger} Allgem. Zeitung das Bäumker'sche Buch besprach, schrieb ich: »Die 
katholische Kirche besitzt nun für ihre Melodien bis zum Ausgang des 17. Jahrh. ein 
grundlegendes Werk, wie sich eines gleichen die evangelische Kirche nicht rühmen 
kann«; ein Eingestand niß, welches angesichts des sonst so unleugbar behaupteten 
Vorsprunges der evangelischen Seite auf dem Gebiete der Hymnologie doppelt be- 
schämend wirken mußte. Dieser Mangel wurde in der That keineswegs etwa nur 
innerhalb der wissenschaftlichen sondern weit mehr noch fortwährend bei der prak- 
tischen Arbeit unserer ELirche für die Verbesserung des Gesangbuchwesens em- 
pfunden, bei der es immer und immer wieder an einem wirklich ausreichenden 
und sichernden Fundament fehlte. So schloß denn damals auch Zahn seine Anzeige 
des Bäumker'schen Buches mit den Worten: »Es wäre nur zu wünschen, daß auch 
der Melodienschatz der protestantischen Kirche, welcher an innerem Werth dem 
der katholischen Kirche nicht nachsteht, an Formenreichthum denselben weit über- 
trifft, mit gleicher Sorgfalt und Gründlichkeit bearbeitet und veröffentlich würde«. 
So schrieb Zahn noch 1886, und schon 1889 lag der erste von den 6 Bänden, in 
denen er selbst, man mag wohl hinzufügen, wirklich er allein diese Riesenau%abe 
gelöst hat, fertig vor; heute, nur 4 Jahre weiter, fehlt dem großen Werke nur 
noch die zweite Hälfte des letzten sechsten Bandes mit dem Quellenverzeichniß. 
Es sind der Melodien im Ganzen 8806, mit allem zu einer kritischen Ausgabe ge- 
hörenden Apparat, ein Werk, vor dem die Kritik ehrfurchtsvoll verstummt, weil 
sie nur zu lernen hat. Seit 1891 liegt denn auch der dritte Band des Bäumker'schen 
Werkes, der die Geschichte des katholischen Liedes durch das 18. Jahrhundert fort- 
setzt, vor, mit gleicher Umsicht entworfen, in gleicher Vortrefflichkeit ausgeführt, 
wie die beiden ersten Theile; es sind in den 3 Theilen der Melodien zusammen 1113. 
Ich meine, daß ich, von hier aus zurückblickend, wohl an das Wort erinnern darf, 
mit dem ich diese Zeilen begann, daß über dem deutschen Kirchenliede in letzter 
Periode ein guter Geist gewaltet habe. Beide Forscher haben sich in unver- 
gänglicher Weise den Dank des deutschen Volkes und der deutschen Kirche er- 
worben. 

Zahn hat die Melodien nach den Strophenbauten geordnet, d. h. nach der 
Zahl der Zeilen und der Sylben der Zeilen; bei gleichem Metrum chronologisch 
nach dem ersten Auftreten der Melodie in einem Gesangbuch. Es war, auch vor 
dem Erscheinen des fünften Bandes, wohl möglich, die Lieder danach aufzufinden, 



Wilh. Baumker, Das kathoL deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 341 



wenn auch mitunter nicht ohne Zeitverlust. Jetzt Oberhebt das Verzeichniß im 
fünften Bande den Nachschlagenden jeder Mühe und die Anordnung der Lieder 
nach ihren Metren gewährt der Forschung manche Vortheile. Bäumker war an die 
Anordnung gebunden, welche sein Vorgänger Meister dem eisten Bande gegeben 
hatte. Sie war durch die Anordnung, welche im Allgemeinen in den katholischen 
Gesangbüchern von Anfang an beobachtet und bis heute beibehalten ist, nahege- 
legt. Es beruht diese Anordnung auf den katholischen Ritualbüchem, die in ihrem 
ersten Theil neben dem sogenannten Ordinarium der Qottesdienste, d. h. den sich 
in jedem Gottesdienste wiederholenden und gleichbleibenden liturgischen Bestand- 
theilen, die Liturgien der Sonn- und Festtage des Kirchenjahres, im zweiten Theil 
dann die Liturgien der Marien-, Engel-, Märtyrer- und Heiligenfeste nach ihrem 
Auftreten im Laufe des Kirchenjahres geordnet geben, an die sich einiges Allgemeine 
wie die Todtenmesse u.s. w. anschließt. Der erste Theil wird als de tempore, der zweite 
als de sanetis bezeichnet. Dem de tempore entspricht der erste Theil von Bäumker's 
Werk, indem er nach dem Gange des Kirchenjahres die Lieder für die Festzeiten 
von Advent bis Fronleichnam giebt; sie erweitem sich z. T. zu allgemeineren 
Rubriken, indem an Mariae - Lichtmeß die Krippen- \ind Wiegenlieder sich an- 
schließen, die Sonntage von da bis Ostern nur im Allgemeinen durch die Fasten- 
und Passionslieder vertreten sind, in die Bittwoche 30 Bittgesänge und zu Fron- 
leichnam die Altarssakramentslieder überhaupt gestellt werden. Ln Ganzen sind 
es der Lieder 421. Der zweite Theil bringt dann das de sanetis: die Marienlieder 
(91 Nummern), die Lieder von den Engeln, Johannes dem Täufer, Joseph und den 
Aposteln (21), von den Heiligen (65) und fOr Prozessionen und WaUfahrten (8). 
Daran reihen sich dann einige allgemeine Rubriken: Katechismus-, Predigt- und 
Evangeliumslieder (46), Morgen-, Abend- und Tischlieder (24), Büß- und Bet- 
lieder (15), Bitt-, Dank- und Loblieder (39), von der Kirche und wider die Feinde 
der Christenheit (17), Sterbelieder, von den letzten Dingen (32), Psalmenlieder 
(32), Litaneien und Rufe (51). Im Anhang folgen noch einige vierstimmige Sätze 
zur Charakteristik dieser Behandlungsart, die am Kirchenliede in der kathol. 
Kirche zuerst 1628 in einem Bamberger Gesangbuch von Joh. Degen erscheint. Doch 
finden sich Ulenberg'sche Psalmenlieder schon 1589 durch Hagius vierstimmig ge- 
setzt, nach dem Vorbild der Goudimel'schen Psalmen von 1565. Aus allen drei 
Werken theilt Bäumker Proben mit. In den Degen'schen Liedern ist, was der 
Titel noch besonders hervorhebt, die Melodie in die Oberstinune gelegt. Die 
protestantische Kirche hatte bekanntlich diesen Weg schon seit Lucas Osiander's 
Vorgang (1586) eingeschlagen. — Ich habe oben die Anzahl der Lieder in den 
einzelnen Abtheilungen bemerkt, denn obwohl es sich ja hierbei nur um die Melo- 
dien, nicht um die Texte handelt, so dürften sich doch auch für die Texte im 
Ganzen richtige Prozentsätze daraus ergeben, was zur Charakteristik des katho- 
lischen Liedes nicht unwichtig ist. 

Da Meister's Werk nur auf die Zeit bis 1700 als die klassische Periode des 
katholischen Kirchenliedes angelegt war, so mußten im dritten Bande, der nun das 
18. Jahrhundert hinzufügen sollte, die angeführten Abtheilungen noch einmal wieder- 
holt werden, wobei zwei neue eigenthümliche hinzugekommen sind, nämlich die 
»Lieder von Jesus, Maria, Joseph«, deren Aufkommen und Verbreitung Bäumker 
von der Verbreitung der »Bruderschaft von der christlichen Lehre«, welche sich 
mit diesen drei Namen bezeichnet, herleitet, und sodann die »Singmesse«, deren 
am weitesten verbreitete und noch heute in den Gesangbüchern fortlebende der 
Josephinischen Periode angehört. 

Die Benutzung des Bäumker'schen Buches wird dadurch, daß man statt eines 
Registers für das Ganze stets mit dreien zu rechnen hat, etwas erschwert-, dafür 



342 Kritiken und Referate. 



trägt aber nicht der Verfasser die Schuld, sondern die Entstehungsgeschichte des 
Werkes. Dem Verfasser muß aber das Lob gezollt werden, daß die Register, so- 
wie die höchst werthyoUen und lehrreichen bibliographischen und sonstigen Hilfs- 
mittel der Einleitungen der 3 Bände mit großer Sorgfalt und Umsicht gearbeitet sind. 

Diese Bibliographien nebst den Mittheilungen aus den Vorreden der wich- 
tigsten Gesangbücher ermöglichen uns, einen klaren Oberblick über die ganse Ge- 
schichte des katholischen Kirchenliedes bis sum Jahre 1800 zu gewinnen. Die 
Arbeit erweitert sich hierdtirch über die Melodien hinaus zu einer Entwicklungs- 
geschichte des katholischen Kirchenliedes überhaupt 

Es sei gestattet, den Gang der Entwickelung, wie er im Bäumker^sehen Werk 
erscheint, in seinen allgemeinsten Zügen zu zeichnen. 

1537 erschien das erste katholische Gesangbuch, dessen Lieder »in und außer 
der Kirche, vor und nach der Fredigt, auch zur Zeit der allgemeinen Bittfahrten 
und zu andern heiligen Gezeiten« gesungen werden mochten. Es ist dies die sieh 
nun stehend wiederholende Formel, nur daß namentlich noch der Gebrauch der 
Lieder unter dem Amt der Messe hinzukam. Michael Vehe, Fredigermönch und 
Fropst der Stiftskirche zu Halle a. d. Saale, der Verfasser dieses Gesangbuches, 
dachte also, was die gottesdienstliche Verwendung der Lieder betrifft , nur an 
einen Gesang vor und nach der Fredigt; das zeigt seine »Ordnung vom Gebrauch 
der Fsalmen und Lieder «r, und zwar am festfreien Sonntag, zu Weihnacht und 
Neujahr, zu Ostern, Himmelfahrt, Ffingsten und Fronleichnam. Für jeden dieser 
Tage werden bestimmte Lieder (also als de iempore-lAedeT) bezeichnet. Dann 
folgen Gruppen von Frozessionsliedern für Fronleichnam und für die Kreuswoehe, 
sodann wieder vor und nach der Fredigt auf die Marienfeste, Johannis, Apostel- 
tage und Aller Heiligen-, oder einzelner Heiligen Tage. Man sieht also hier die 
Grundlinien der später stets beibehaltenen Anordnung, wie sie sich eben an die 
altkirchlich katholischen Ritualbücher am Einfachsten anschließt Volle Durch- 
bildung würde sie allerdings nur dann erhalten haben, wenn sie sich allmählich 
bis zu vorgeschriebenen de tempore-lÄedem fQr alle einzelnen Sonntage erweitert 
hätte. Das ist aber nie erfolgt, ja es sind sogar die protestantischen Gesangbücher 
zeit- und theilweise solchem Ausbau näher gekommen, als die katholischen, was 
freilich sonderbarer Weise von unseren Hymnologen bisher kaum beachtet und 
noch weniger in seiner großen Bedeutung gewürdigt worden ist „Daß Vehe durch 
die Einwirkung der seit reichlich 12 Jahren rund um ihn her in Übung stehenden 
protestantischen Gesangbücher und der rasch wachsenden Neigung für den deut- 
schen Gesang in der Kirche zur Abfassung seines Gesangbuches und zu dem Ver- 
such einer festem Ordnung des liiedersingens auch in der katholischen Kirche ge- 
führt wurde, das geht deutlich genug aus seiner Vorrede hervor und wird weiter 
bestätigt durch den Umstand, daß er die Texte der »von den Alten gemachten« 
(also vorreformatorischen) Lieder gleich wol nicht dem lebendigen geistlichen Ge- 
sang oder vorreformatorischen Quellen entnahm, wie Luther und seine Genossen 
es thaten, sondern eben den Lutherischen Gesangbüchern. Er giebt solcher Lieder 
21, dazu 25 vom HaUer Rathsmeister Caspar Querhammer, 5 von G. Wicel und 
1 von Seb. Brant gedichtetes Lied. Letzteres ist eine dem Ende des 15. Jahr- 
hunderts angehörende Nachdichtung der Sequenz Ave praeclara maria Heüa. Daß 
Druck xmd Einführung katholischer Gesangbücher zur Abwehr des gefürchteten 
Eindringens der protestantischen Lieder gefördert wurden, ist ein noch lange wieder- 
kehrender Zug. So versichert es selbst z. B. das Leisentrit'sche Gesangbuch von 
1567, das Dillinger von 1576, das Münchener von 1586, das Andemaeher von 1608 
(sollte speziell dem Vordringen des Bonner Gesangbuchs, 1561 f., entgegenwirken), 
das Osnabrücker von 1626, sogar noch das Münstersche von 1677. Merkwürdiger 



Wilh. Bäumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 343 



Weise yeinuchten zwei verbreitete von den Jesuiten besorgte Gesangbücher des 
17. Jahrhunderts umgekehrt, durch Lieder den Protestanten den Übertritt in die 
katholische Kirche zu erleichtem, nämlich die Wiener Davidische Harmonie von 
1659 und das sogenannte Rheinfelsische Gesangbuch von 1666, ein bedeutend 
▼ermehrter Nachdruck der Davidischen Harmonie, zun&oht für St. Goar bestimmt. 
Hier ist zu dem angedeuteten Zweck eine große Masse von Liedern aus prote- 
stantischen Gesangbüchern aufgenommen; in der Davidischen Harmonie unter 115 
Ijiedem 74, zu denen im Rheinfelsischen Gesangbuch noch 20 hinzukommen! — 
Die beständig wiederholte Betonung der Abwehr »ketzerischer« Lieder zeigt wenig- 
stetis, daß die Legalisirung und Ordnung des deutschen geistlichen Liedes bei der 
katholischen Kirche des 16. und 17. Jahrhunderts nicht in erster Linie aus Liebe 
dafür bei der Geistlichkeit, wohl aber beim Volk hervorging, welches die Kirche 
in eine Art von Nothstand versetzte (man vgl. z. B. die Vorrede zu Leisentrit 
1567 bei Bäumker IS. 188 f.). Ulenberg erinnert in der Vorrede zu seinem Psalter 
(Bfiumker I S. 204} daran, daß schon die alte Kirche gegen die ketzerischen Lieder 
der Arianer, Syrer u. A. zu kämpfen gehabt habe, was dann im Corner' sehen 
und anderen späteren Gesangbüchern wiederholt und weiter ausgesponnen wird. 
Ich würde sagen, auch die in den Vorreden so oft wiederholten Rechtfertigungen 
und Anpreisungen des Singens deutscher Lieder überhaupt lassen erkennen, wie 
wenig fest sich bei den deutschen Katholiken der Oemeindegesang eingebürgert 
habe. Das wäre aber doch nicht begründet, denn auch in den Vorreden prote- 
stantischer Gesangbücher und Liedersammlungen des 17. Jahrhunderts gehört diese 
Anpreisung des Gesanges unter Berufung auf die Beispiele des alten und neuen 
Testamentes zu einem herkömmlichen pedantischen Zierrath. 

Es dauerte ganze 30 Jahre, ehe auch nur (zu Mainz) ein Nachdruck des 
Vehe'schen Gesangbuchs erschien. Dem gleichen Jahre gehört dann auch das zweite 
katholische Gesangbuch an. Vorher aber sind noch einige Werke zu nennen, 
deren Inhalt für den katholischen Gesang wichtig ist, indem er später vielfach 
für die Gesangbücher benutzt ward, nämlich 1545 — 46 Wicel's Verdeutschungen 
der H}rmnen für die Vespern, sowie der Prosen und Sequenzen für die Messen 
und 1550 sein PioUer ecclesiastictis ) 1555 das Gesangbuch Triller's, der zwar ein 
Anhänger der Beformation aber ein Gegner Luther's war. Sein Gesangbuch enthält 
zum großem Theil altkirchlische Hymnen, Antiphonen, Sequenzen und dazu 35 
vorreformatorische Lieder. Im gleichen Jahre erschienen Leonhart Kethner's ver- 
deutschte «Aymitt öder geistlichen Lobgeseng, wie man die in der Cystercienser 
Orden durchs gantz Jar singet«, denen ich als nächste wichtige Quellen für das 
katholische Gesangbuch gleich hier des Rutger Edingius »gantz Psalter Davids« 
1574, die noch mehr benutzten »Psalmen Dauids in allerlei Teutsche gesangreimen 
bracht« von Caspar Ulenberg 1589, und die geistlichen Lieder des Johann Haym 
V. Themar, die in 4 Werken 1581 — 90 gedruckt wurden, anschließe. 

Inzwischen aber waren als zweites Gesangbuch 1567 in 2 Theilen des Johann 
Leisentrit, Domdechanten zu Bautzen »Lieder vnd Psalmen« erschienen; der erste 
Theil ausdrücklich als de tempore, der zweite als de aanciis bezeichnet. Unter den 
Liedern sind 27 lateinisch, 47 aus Vehe, 8 aus Wicel's Werken, 25 von Hecyrus 
(von dem sogleich], 39 aus Triller und 27 aus protestantischen Quellen (darunter 
14 Lutherische Lieder), 1 aus Edingius und 1 Lied von Böschenstein. Eine zweite 
vermehrte Auflage erschien 1573, eine dritte 1584, diese um 97 Texte vermehrt, 
darunter 10 protestantische Lieder. Leisentrit will die Lieder nicht nur, wie Vehe, 
vor und nach der Predigt gesungen sehen, sondern auch bei der Messe unter dem 
Offertorium und der Kommunion. Dem zweiten Theil sind auch Unterweisungs- 
(d. h. also Katechismus-)Lieder beigefügt. 



344 Kritiken und Referate. 



Der eben genannte Hecyrus, mit seinem deutschen Namen Christoph Schweher 
(vgl. AUg. D. Biogr. ßd. 33 S. 329) war lange Schulrektor in Budweis, dann 
Pfarrer zu Caden in Böhmen. Nachdem er, wie er erw&hnt, 25 seiner Lieder dem 
Leisentrit schon 1567 mitgetheilt hatte, gab er selbst seine » Christliche Gebet vnd 
Gesang auff die heilige zeit vnd fayertage vber das gantie Jahr« 1581 heraus, 
und zwar cum consensu . . . archiepiscopi Pragensisj wodurch sie für die kirchliche 
Verwendung zugelassen waren, als Gesangbuch für die Frager Diöcese. Es sind 
52 meistens Ton Hecyrus selbst gedichtete und ds tempore geordnete Lieder. Das 
älteste eigentliche Diöcesangesangbuch war aber schon 1575 zu DilUngen für die 
Bamberger Diöcese »auff fürstbischöfl. Befehl« gedruckt; ein Auszug aus Leisentrit, 
62 Lieder, de tempore geordnet. Andere Gesänge soUen forthin abgeschafft sein. 
Vor der Fredigt, mag sie nun je nach örtlicher Gewohnheit vor, innerhalb oder 
nach der Messe gehalten werden, soll ein Lied gesungen werden. Das zweite nach 
dem Exordium der Fredigt und vor dem darauf folgenden Vaterunser (ein auch 
bei den Protestanten verbreiteter Gebrauch), das dritte nach der Predigt und endlieh 
nach der Vesper das vierte. Es seien nicht jedem Sonn- und Festtag seine be- 
sonderen Lieder zugetheilt, sondern manches Lied auf mehre Sonn- und Feiertage 
verordnet, damit die Gemeinden sie um so leichter lernten. Der Schulmeister soUe 
sie den Kindern beibringen, alsdann mit ihnen in der Kirche singen und so die 
Gemeinde zum Mitsingen heranziehen. Neue Auflagen und Umarbeitungen folgten 
1576, 1638, 1670, 1691. In Dillingen erschienen noch andere Gesangbücher 1589 
und 1624. — Zunächst folgte »mit obrigkeitlicher Bewilligung« 1586 ein Münche- 
ner Gesangbuch, 56 Lieder aus Vehe, Leisentrit, Ulenberg, aus einem von Walas- 
scr in Tegemsee 1574 herausgegebenen Gesangbuch, das einen besonders volks- 
thümlichen Charakter trägt, u. s. w. VTiederholungen und andere Gesangbücher 
folgten in München 1597, 1598, 1613, 1621, 1627, 1631, 1666, 1667, 1685. Mögen 
zunächst (nach dem Erscheinen des je ältesten der Gesangbücher dieser Gattung, 
die man als kirchlich autorisirte zu betrachten hat, geordnet) die Jahreszahlen 
selbst eine Art Statistik geben: 

Innsbruck: 1587, 1588. — Würzburg: 1591, 1625,1627,1628,1630. 1631, 
1649, 1656, 1669, 1671, 1693.— Ingolstadt: 1594, 1598.— Co n stanz: 1597, 1600.— 
Köln: Seraph. Lustgarten 1635; GB. bei Quentel 1599, 1600, 1619, 1621, 1625; 
bei Brachel 1619, 1623, 1625, 1628, 1631, 1634 u. s. w.; Geistl. Psalter 1638. — 
Speier: 1599, 1613, 1617 u. ö. — Mainz: Cantual 1605,1625, 1627, 1661, 1664, 
1679, 1699; Himml. Harmonie 1628; Allgem. Gesangb. 1697 (4. Aufl.) — An- 
dernach (für Bonn): 1608. — Hildesheim: 1619, 1625. — Braunsberg: 
1624, 1639. — Neiße (für Bresku) : 1625, 1663, 1675, 1680. 1688. —Osnabrück: 
1628, nur eine neue Ausgabe von Köln, Brachel 1619. — Paderborn: 1609, 
1616, 1617, 1628, 1665, 1696. — Mol s heim (für linksrhein. Diöcesen): 1629, 1659. 

— Heidelberg: 1629 (Abdruck eines älteren GB.) —Münster, niederd. 1629; 
hochd.: 1674 (2 verschiedene), 1677, 1678, 1688, 1700.— Frag: 1655, 1676. — Wien: 
Davidische Harmonie (s. o.) 1659. — Rheinfels (s.o.): 1666. — Erfurt: 1666. 

— Hannover: 1675. — Corvey: 1675. — Eger: £cho hymnodiae eoelestu 1675. 

— Duder Stadt (für das damals Mainzische Eichsfeld) : 1688, 1690. — Trier: 
1695 (Nachdruck von Köbi, Quentel 1625.) — Fulda: 1673, 1695. — Straß- 
bürg: 1682, 1697. 

Dazwischen erschienen mehrere Gesangbücher von zunächst mehr privatem 
Charakter, die aber Hauptquellen für die späteren Diöcesan-Gesangbücher wurden, 
namentlich folgende: Nicol. Beut tn er. Katholisches Gesangbuch, Graz, cum 
licentia superiorum, 1602; 7. Aufl. 1660. Benutzt hat er Vehe, Leisentrit, Haym 
von Themar, die GB. München 1586, Köln 1599, auch verschiedene protestantische; 



^ilh. B&umker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 345 



im Ganzen 141 deutsche Lieder mit 86 Melodien. Die neuen Auflagen scheinen 
unveränderte Abdrücke zu sein. — "Wichtiger noch ward des P. Gregor Corner's, 
Priors su Göttweih »Groß Catholisch Gesangbuch«, 1625, 1631, 1649, 1568, 1671, 
1674, 1676 ; eine der hinfort am meisten benutzten Quellen. £r selbst nennt als seine 
Quellen Leisentrit, Ulenberg, femer die Gesangbücher Speier 1599 u. s., w. Köln 
(Brachel) 1619, 1623, Mainz 1628, Würzburg 1628, Heidelberg 1629 u. a. Er hat aber 
nach Bäumker's genauer Untersuchung auch Beuttner benutzt. Die Ausgabe von 
1631 hat neben 76 lateinischen 470 deutsche Texte mit zusammen 276 Melodien. 
Das Buch enth&lt den bis dahin erwachsenen Kern des Liederschatzes. 42 der 
Lieder stammen aus nicht katholischen Quellen, 8 lateinische und 53 deutsche 
Texte erscheinen hier zuerst. Aus der sehr lehrreichen langen Vorrede dieses 
Gesangbuches (Bäumker I S. 216 — 28) kann ich mir nicht yersagen, im Vorüber- 
gehen die folgende kleine Erzählung hier mitzutheilen, welche einen beachtens- 
werthen Wink dafür giebt, wie sehr damals noch auf protestantischer Seite die 
Verwendung des Liedes de tempore nach festgeregeltem Herkommen im Volke lebte : 
»Mir ist nicht vnbewußt^ das vberwitzige Ketzer gefunden werden, welche allen 
Tnterwshied, sowol der Festtag als des singens gern wolten durch einander buttern, 
wie ich denn einsmals selbs in einer Lutherischen Kirchen ein heimblich Calvini- 
sehen Praedicanten am dritten Advent Sontag hab hören auff der Gantzel anheben 
zu singen: Christ ist erstanden, aber seine damalen noch Lutherischen Zuhörer 
(welche der Gatholischen Andacht vmb ein gutes näher verwand zuseyn vermeynen 
als die Calvinischen) lachten jhn selbst au(3, vnd waren jhrer sehr wenig die dem 
Praedicanten begehrten nachzusingen. Als aber nach der Predig der Schulmeister 
anfieng zusingen: Nun komt der Heyden Heyland, sang alles Volck fleißig mit, 
denn diß war de tempore^ jenes nicht.« Endlich ist noch des Kapuziners Martin 
V. Cochen »Allgemeines Gesang-Buch aus denen Mayntsischen, Trierischen, Cöll- 
nisehen, Würtzburgisohen und Speyrischen Gesangbüchern zusammengestellt« her- 
vorzuheben, welches 1568 in erster, 1700 in elfter Ausgabe erschien. 

Das erwähnte Köln-Quentelsche GB., welches auf Befehl des Bischofs für 
die Speirer Diöcese gedruckt ward, zeigt insofern eine kleine Abweichung in der 
Anordnung, als es auf Bl. 1 — 20 die Katechismuslieder voranstellt. Es ruht 
übrigens mit seinen 42 lateinischen und 132 deutschen Liedern (112 Melodien) 
hauptsächlich auf Vehe, Leisentrit, Ulenberg und dem Münchener GB. 

Das Mainzer Cantual von 1605 giebt zum ersten Mal eine ausdrückliche 
Anweisung, »Wie die Pastores vnd Custodes oder Kirchner« die Gesänge ge- 
brauchen mögen. In der gesungenen Messe wird gestattet, statt des Graduales 
oder Tractus, auch statt des Alleluja, doch mit Ausnahme der hohen Feste, ein 
deutsches Lied zu singen. Doch mag auch an Festen unter dem Choralgesang 
des Alleluja und der Sequenz ein Lied gesungen werden. Dann mag femer unter 
dem Offertorium ein Lied gesungen werden (!) ebenso stets nach der Elevation; 
außer an hohen Festen auch statt des Agnus ein Sakramentslied und nach dem 
Deo gratia» ein kurzes Beschlußlied. — Wenn dagegen die Messe nur gelesen 
wird, dann mag der Küster mit der Gemeinde vom Introitus bis zum Beginn des 
Evangeliums (also auch während der Epistellesung) vom Oflertorium bis an die 
Elevation, von der Elevation bis an den Segen und zum Beschluß deutsche Lieder 
singen. In der Vesper an den Festen darf nur nach dem Schluß der lateinischen 
Liturgie deutsch gesungen werden. 

Das Andemacher GB. 1608 fügt allen deutschen Liedern lateinische Bear- 
beitungen bei. Das gleiche that auf protestantischer Seite z. B. schon 1583 das 
»Neuw Gesangbuch Teutsch v. Lateinisch« von Wolfg. Ammon (Exempl. in der 
Dresdener kgl. Bibliothek). Das Andernacher GB. gestattet das deutsche Singen 

1893. 23 



346 Kritiken und Referate. 



übrigens wieder nur Yor und nach der Predigt und bei ProseBsionen, nicht unto- 
der Messe. 

Das Bamberger GB. 1628 giebt, wie schon erwähnt, die Melodieen zum ersten 
Mal in 4 stimmigen Sätzen; es ist also auf die Mitwirkung des Chores beim Ge- 
sang der Lieder berechnet und zwar, wie die Verlegung der Melodie in die Ober- 
stimme beweist, zur Begleitung des Gemeindegesanges, entsprechend dem in der 
evangelischen Kirche seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts aufgekcMnmenen 
Style. Joh. Degen, der Setzer dieser Gesänge und Herausgeber des Gesangbuches 
war Kaplan und Organist an der St. Martinspfarrkirche zu Bamberg. 

Das Osnabrüoker Gesangbuch 1628 verbietet strenge den Gebrauch aller 
anderen Liederbücher neben diesem offiziell eingeführten. Dabei ein kultur- 
geschichtlich interessantes Kuriosum. Unter denen, denen dies Verbot eingeschärft 
wird, sind auch die bischöflichen Thurmbläser und Spielleute ; sie sollen Morgens, 
Abends und Mittags von den Thürmen nichts abblasen und spielen, als was in 
diesem GB. »mit sicherer Ordnung und Designation « vorgeschrieben wird, d. h. 
zu allen Zeiten des Kirchenjahres nur die richtigen de tempore-JjiedeT. Ohne 
Frage ist das eine ganz allgemein verbreitete Sitte gewesen. Auf protestantischer 
Seite weiß ich nur außerhalb Deutschlands ein Beispiel nachzuweisen. In Kopen- 
hagen wurde am Hofe Christian's IV. 1649 ein Thurmbläser angestellt; in seiner 
Bestallung wird ihm auferlegt: allnächtlich beim Schlag der vollen Stunden und 
nach dem Wächterruf auf dem Thurm der Frauenkirche eine Strophe eines geist- 
lichen Liedes zu blasen, welches nach Maaßgabe der Zeit in den Kirchen gesungen 
wird. (VgL Angul Hammerich, Musiken ved Christian den i^erdes Hof. Kjebenh. 
1892 S. 155). Auch hier wieder ein Beleg für die feste Einbürgerung des de 
tempore auch beim deutschen Liede. 

Unter den Kölnischen (Bracherschen) Gesangbüchern hat der Seraphisch Lust- 
garten von 1635 eine abweichende Ordnung, nämlich nach dem Direktorium des 
Franziskanerordens: er folgt dem Jahr vom 1. Januar bis 28. Dezember und schaltet 
alle Feste in die betreffenden Monate ein. Dann folgen Wallfahrtslieder u. a. 
Eigenthümlich sind ihm auch die »Gesprächslieder«, den um diese Zeit auch in 
der protestantischen Kirche üblichen Dialogen entsprechend. 

Während bis hierher die alte Tradition in den Gesangbüchern wenigstens 
im Charakter auch der neu hinzukommenden Lieder ununterbrochen fortlebt, tritt, 
so viel ich sehe, zuerst im Kölner »Geistlichen Psalter« von 1638 ein Liederdichter 
ganz neuen Geistes auf: es erscheint hier eine Anzahl Spee'scher Lieder, die sich 
später in der bekanntlich erst nach des Dichters Tode 1649 gedruckten Trutz- 
nachtigall wiederfinden. An Spee schließt sich dem Geiste nach Angelus 
Silesius an, dessen Heilige Seelenlust zuerst 1657 erschien, 123 Lieder mit Melo- 
dien von Georg Josephus, einem Musiker im Dienste des Fürstbischofs von Breslau. 
Es läge hier die Versuchung nahe, im Anschluß an diese beiden Dichter von so 
hervorragender dichterischer Bedeutung auf die Frage einzugehen, auf welchen 
Gründen der thatsächlich vorhandene große Unterschied zwischen dem katholischen 
und protestantischen Kirchenliede trotz ihrer nahezu gleichen ja in vielen Stücken 
geradezu gemeinsamen Ausgänge beruht. Wenn man die heutigen Gesangbücher 
beider Seiten zusammenhält, so fällt der Vergleich zu Ungunsten der katholischen 
aus. Die redlichen Freunde des deutschen Kirchenliedes unter den Katholiken 
dürfen die Augen vor dieser Thatsache nicht verschließen, um die Frage, welche 
Wege zur Hebung ihres Kirchenliedes einzuschlagen sind, in diesem Lichte zu 
prüfen. Hier aber ist nicht der Ort, hierauf einzugehen; schon der Baum würde 
es nicht gestatten. Auch gilt ja Bäumker's Werk- zunächst nur der andern Seite, 
den Melodien. Nur eine kurze Bemerkung scheint doch hier zur Sache zu ge- 



Wüh. B&umker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 347 



hören. Spee's und Scheffler's Eingreifen in die Liederdichtung um die Mitte des 
17. Jahrhunderts hat auf den katholischen Gesang nicht in der Weise eingewirkt, 
daß viele ihrer Lieder dauernd im kirchlichen Gebrauch geblieben wären, wenn 
ich nicht irre, von Spee gar keine, so wenig wie bei uns Protestanten, Ton Schefiler 
weniger, als bei uns. Aber der Charakter ihrer Dichtung hat auf die Folgezeit 
und auf ein Jahrhundert hinaus stark auf die Liederdichtung und daher mittelbar 
auch auf die Gesangbücher eingewirkt. Ich glaube indeß nicht zu irren, wenn 
ich meine, daß Scheffler auch in dieser Hinsicht auf die protestantische Lieder- 
dichtung ungleich stärker eingewirkt hat, als auf die katholische. Dabei darf 
man eben nicht vergessen, daß er selbst auf dem Boden des protestantischen 
Liedes gestanden hat, ehe er zur katholischen Kirche übertrat. Der Geist seiner 
Dichtung steht daher auch der protestantischen Seite näher. Es ist freilich gewiß 
genug, daß auch seine schönsten Lieder, etwa das herrliche »Ich will dich lieben, 
meine Stärke«, welches sich ja bis heute in katholischen wie protestantischen Ge- 
sangbüchern findet, in ihrer Empfindungsweise und Empfindsamkeit außerhalb der 
Grenzlinien des eigentlich kirchlichen stehen; diese wußten seine protestantischen 
Zeitgenossen Paul Gerhard, Rist u. a. sicherer zu erkennen und zu wahren und 
ohne die pietistische Strömung würde auch Scheffler auf unserer Seite nicht so 
stark eingewirkt haben. Neben Spee und Scheffler erscheinen dann noch Andere, 
die für das katholische Kirchenlied bedeutend wurden: Johannes Kuen oder 
Khün, an der Münchener Peterskirche, gest. 1675, ein Freund Balde's; der Jesuit 
und kurkölnische Hof prediger Wilhelm Nacatenus, gest. 1682 und gegen Ende des 
17. Jahrhunderts der Pater Laurentius von Schnüffis, erst fahrender Sänger und 
Schauspieler, dann Priester und Kapuziner, gest. 1702. 

Eine eigentümliche Erscheinung bilden noch die 1653 zu Würzburg erschie- 
nenen »Catholische Sonn- vnd Feyertägliche Evangelia, vnd darauß gezogene 
Lehrstück«. Hier wird über jedes Sonn- und Festtags-Evangelium ein Lied und 
ein zweites über die darin enthaltene Lehre gegeben, immer beide auf dieselbe 
Melodie. Eine zweite Ausgabe, um die ebenso behandelten Episteln vermehrt, 
erschien 1656. Viele dieser Lieder gingen in das Mainzer Gesangbuch von 1661, 
1665 über, sind aber aus dem von 1679 wieder fortgelassen. In der protestantischen 
Kirche beginnen bekanntlich die Evangelienlieder mit Nie. Hermann's Sonntags- 
evangelien von 1560, die zahlreiche Nachahmungen fanden. Kurz vor den Würz- 
burger Evangelien, nämlich 1651 war Rist's Sabbathische Seelenlust, »Das ist Lehr- 
Trost- Vermahnung- und Warnungsreiche Lieder über all Sontäglichen Evangelien 
deß gantzen Jahres« erschienen, angeregt durch Opitz' 1624 erschienene Lieder über 
die Episteln. Kist selbst las diese Lieder auf der Kanzel, nachdem er über das 
betreffende Evangelium gepredigt hatte und ermahnte die Hörer, das Lied nachher 
zu Hause zu singen. Auf protestantischer Seite steht die Sache in einem gewissen 
Zusammenhang mit der Entstehung der Kirchenkantate, was ich an anderer Stelle 
nachweisen werde. In der katholischen Kirche scheint sie nicht weiter nachgewirkt 
zu haben; doch erschien noch 1725 zu Schweidnitz eine ähnliche Sammlung von 
Epistel- und Evangelienliedem «mit der Lehre«. 

Das 18. Jahrhundert, dem nun der dritte Band des Bäumker'schen Werkes 
gilt, nach gleicher Anordnung des Stoffes dargestellt, hielt in seiner ersten Hälfte 
an der Überlieferung des 16. und 17. Jahrhunderts fest. Die Hauptgesangbücher 
erscheinen in immer neuen zum Theil vermehrten Auflagen. So das Beuttnerische 
OB., das Mainzer Cantual 1715, 1724, an dessen Stelle dann neue Ausgaben des 
Mainzer GB. von Martm v. Cochem treten (1705, 1312, 1733, 1737, 1762, 1772, 1774). 
Das Kölner Jesuiten-Psälterlein (1701, 1718, 1734, 1741, 1147), die Gesangbücher von 
WüTzburg, Bamberg, St. Gallen, Straßburg, Münster, Paderborn, Osnabrück, Hildes- 

23* 



348 Kritikeii und Referate. 



heim, Eichsfeldi Erfurt, Breslau u. s. w. Neu hinzu tritt, gleichfalls die alten F&den 
-weiter spinnend, besonders das stark verbreitete Potsdamer GB. des P. Raymundus 
Bruns (1738, 1742, 1745, 1754, 1764, 1785, Nachdrucke Augsburg 1740, Münster 1744, 
Liegnitz 1745, Köln 1748.) Die Lieder ScheffWs und seiner Nachfolger finden um 
diese Zeit größere Beachtung, als im 17. Jahrhundert. Ein Breslauer GB. von 1727 
enthält 63 Scheffler'sche Lieder, neben nur 13 weiteren Ton katholischen Dichtem. 
Auch die Heranziehung protestantischer Lieder bleibt fClrerst noch unangefochten ; 
dasselbe Breslauer GB. hat ihrer 151 ; ein Dansiger von 1732 unter 202 Liedern 100; 
dies GB. wurde dann allerdings in einer Aufl. von 1 750 als unkatholisch yerboten. 
Sogar das ausdrücklich gegenreformatorische Prager GB. von 1715 enthält unter 
104 Liedern noch 25 protestantische. Unter den Liederdichtem, die weitere Be- 
achtung fanden, ist Pet. Keyenberg zu nennen, dessen Neuvermehrte hinunlische 
Nachtigal, Köln 1701, seiner eigenen Lieder 85 enthält (die erste Ausgabe war 
1673 erschienen). 

In dem stark vermehrten Bamberger GB. von 1732 macht sich zuerst ein 
Eindringen des Deutschen Liedes in die Liturgie selbst bemerkbar. Während 
sonst, wenn das deutsche Lied unter der Messe zugelassen wird, stets vorausge- 
setzt ist oder ausdrücklich befohlen wird, daß darüber von dem lateinishcen Text 
der Liturgie nichts ausfallen dürfe, wird hier angeordnet, daß statt des Hymnus 
Fange lingua die (chorsingenden} Schüler das Lied: »Mein Zung erkling« singen 
sollen; beim Begräbniß statt des Müerere: »O Gott in meinem höchsten Leid«, 
statt des Libera: »Mitten wir im Leben sinda. Es mehren sich zugleich die Lieder, 
welche bestimmt sind, unter den einzelnen Abschnitten der Messe gesungen zu 
werden, nach der Einrichtung, welche man — meines Wissens erst etwas später 
— als deutsche Singmessen bezeichnet hat. Die Sache ist uns ja schon vorhin im 
17. Jahrhundert im Münster* sehen Gesangbuch 1877 begegnet. Solche Singmesse 
gibt z. B. das Hildesh. GB. 1739. Die hierfür gedichteten Lieder sollen dann den 
einzelnen Theilen der Messe, dem Gloria, Gradual, Credo, Offeriorium u. s. w. 
entsprechen. Es ist freilich ein trauriger Ersatz, wenn in der am meisten ver- 
breiteten Singmesse von 1797 statt der mächtigen Worte des Credo gesungen wird: 

Allmächtiger, vor dir im Staube 
bekennt dich deine Greatur, 
o Gott und Vater, ja ich glaube 
an dich du Schöpfer der Natur: 
auch an den Sohn, der ausgegangen 
von dir, geboren ewig war 
und den vom heiigen Geist empfangen 
die reinste Jungfrau uns gebar. 

Auf gleicher Höhe steht alles Andere, was mir von diesen Singmessen zu Gesieht 
gekommen ist; es gehört zu den dürftigsten Erzeugnissen der kathol. kirchlichen 
Dichtung. 

Gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts beginnt eine ganz neue moderne 
Strömung in der Gesangbuchlitteratur zu Tage zu treten. Die alten Lieder fangen 
an, altfränkisch nach Sprache, dem Zeitgeist zuwiderlaufend in ihrem Inhalt und 
in der Form ruh zu erscheinen. Was die Sprache betrifft, so ist es allerdings 
bedenklich, daß man seit dem Anfang des Jahrhunderts (vgl. z. B. das Würzb. 
GB. von 1705) auf den Titeln so oft und zwar in den verschiedensten Gegenden 
den mundartlichen Plural; » Gesänger «, sogar auch »Gebeter« liest Das scheint 
eine kleinliche Äußerlichkeit, hängt aber doch mit dem Einfluß zusammen, den 
diejenigen Bestandtheile des katholischen Gesangbuches, — sie nehmen einen 



Wilh. Bäumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 349 



recht erheblichen Baum ein — welche Yermöge ihr ganzen Fassung nur für das 
»Volk« d. h. seine unteren Schichten bestimmt sind, auf das Ganze ausüben. 
Träger des Liedes ist in der protestantischen Kirche nicht das Volk, weder in 
diesem Sinne des unteren Volkes, noch im Sinne seiner Gesanmitheit, sondern die 
Gemeinde, wie sie in der Reformationskirche Überhaupt wieder zum Subjekt 
der heiligen Handlung gemacht wurde. Im 16. Jahrhundert deckten sich hierbei 
noch beide Begriffe, Gemeinde und Volk. Die erst gegen Ende des Jahrhunderts 
im Kulturleben der Nation deutlicher heraustretende Kluft zwischen den wissen- 
schaftlich Gebildeten und dem »Volk« in der modernen Bedeutung war in der 
Geburtsstunde des Lutherischen Kirchenliedes noch nicht vorhanden. Gerade dies 
hat diesem Liede die Eigenart eingeprägt, vermöge deren es das kirchliche Em- 
pfinden und Denken der die Gemeinde bildenden Gesammtheit der geistig höher 
oder minder Gebildeten ganz gleichmäßig zum Ausdruck bringt. Das protestan- 
tische Kirchenlied hat sich von dieser Eigenart zwar mannigfach abirrend verloren, 
bald nach Seiten unvolksmäßiger Verkünstelung, bald und zwar hauptsächlich 
nach Seiten zu subjektiver Gefühlsdichtung. Es hat aber jene eigenthümliche mitt- 
lere Linie wenigstens niemals aus dem Gesicht verloren und sucht sie stets, in unse- 
rer Periode so gut wie in den früheren, wiederzugewinnen. In der katholischen 
Kirche ist es nach wie vor nicht die Gemeinde, welche als solche einen Antheil 
an der heiligen Handlung hat, sondern eben das Volk der verschiedenen Klassen, 
welches ihr mit religiöser Antheilnahme beiwohnt. Darum ließ man hier auch 
stets dem »Volk« nach seinen verschiedenen Klassen das Wort und wir finden in 
den Gesangbüchern eine Menge von Liedern, die, weU sie eben geistliche Volks- 
lieder geblieben sind, ohne dem edleren Stamme des Kirchenliedes eingeimpft zu 
werden, in einem protestantischen Gesangbuch, wie manche andere Abirrungen 
vom rechten Wege es' sonst auch enthalten möge, gänzlich unmöglich wären. 
Hier in Schleswig, wo von unseren Katholiken das Münstersche Gesangbuch ge- 
braucht wird, singt man z. B. nach diesem Gesangbuch noch das zuerst im Köln- 
Brachel'schen Gesangbuch von 1623 erscheinende Lied: 

1. Als ich bei meinen Schafen wacht, 
ward frohe Botschaft mir gebracht. 
Des bin ich froh, bin ich froh, 
froh, froh, froh, o, o, o! 
Benedicamus domino, 

2. Ein Engel sprach: geboren ist 

das Heil der Welt, Herr Jesus Christ. 
Des bin ich u. s. w. 

(Bäumker I Nr. 162; bei Böhme, Altdeutsches Liederbuch S. 632 mit Beeht 
unter die Volkslieder aufgenommen.) Im selben Gesangbuch findet sich (Nr. 67) 
das zuerst 1767 erscheinende von Bäumker als beliebtes Sakramentslied bezeich- 
nete, an sich sehr anmuthige Volksliedchen : 

1. Himmelsau, licht und blau, 
Wie viel zählst du Stemlein? 
Ohne Zahl, so viel Mal 

sei gelobt das Sacrament. 

2. Gottes Welt, wohlbestellt, 
wie viel zählst du Stäublein? 
Ohne Zahl u. s. w. 



350 Kritiken und Referate. 



(Bäumker III Nr. 67). Ursprünglich lautete der Eingang: »Himmelblau, 
dich beschau«. Diese Beispiele genügen zur Beleuchtung des Gesagten. So wenig 
wie solche Lieder dem geistigen Wesen der einen Hälfte der Gemeinde entsprechen» 
so fremdartig muß es freilich die andere anmuthen, wenn sie (Nr. 31 desselben 
Gesangbuches) in Distichen singt: 

Lob und Ehre sei dir, o Christe, Gott und Erlöser, 
Dem der Hosannagesang jauchzender Kinder erscholl 

oder in biederen Alexandrinern (Nr. 62). 

In Demuth bet ich dich, verdeckte Gottheit an, 

die zwar mein leiblich Aug hier nicht entdecken kann 



Es täuschen sich an dir Geschmack, Gefühl, Gesicht, 
nur sicher glaubt man dem Gehör, dies trüget nicht. 

Bei dieser Ton einem » Gebildeten « für »das Volk« hergerichteten »Deutlichkeit« 
kommen freilich beide Theile gleichmäßig zu kurz. 

Einerseits sind es nun eben diese zum wahren Kirchenlied nicht erhobenen 
Volkslieder, mehr aber noch andererseits gerade der beste Kern der alten Lie- 
der, gegen den sich, wie gesagt, gegen Mitte des 18. Jahrhunderts der Zeitgeist 
erhob. Gleich ein hierbei vorangehendes privates Liederbuch »Neues Gott und 
dem Lamm geheiligtes Kirchen- und Hauß- Gesang« von H. Lindenbom, Köln 
1741, welches unter dem Namen »Tochter Sion« große Verbreitung fand, schüttet 
frischweg das Kind mit dem Bade aus. Jedes ungeblendete Gemüth, meint der 
Verfasser, werde bekennen müssen, daß es trotz der vielen Gesangbücher doch 
gar keines oder nur wenige gebe, welche »ein allgemeines Teutsches Gesangbuch 
in reiner Teutscher Sprach« darstelle. Er dichtet daher eines mit 199 deutschen 
Liedern und läßt, damit doch auch die Musik nicht in ihrer bisherigen Niedrig- 
keit verharre, von den bewährtesten KapcUmeistem und Musikverständigen ganz 
neue Melodien anfertigen. Noch unter diesem Buch steht durch Nüchternheit 
und Plattheit Barmann's Gesangbuch, Augsburg 1760, welches ebenfalls lauter 
neue Lieder mit Melodien in »anmuthigem Figuralstyl« enthält. Auch Hausen 
wollte in seinem »Singenden Christ«, DilÜngen 1762, eigentlich lauter neue Lieder 
geben, ließ aber doch einigen alten auf mannigfache Fürbitte noch Gnade wieder- 
fahren, doch nicht ohne sie zu »verändern, verbessern und abzukürzen«. Auch 
versah er seine Lieder mit »angenehmen Arien«. Die größte Verbreitung und den 
weitesten Einfluß als Grundlage vieler anderer Gesangbücher gewann aber Kohl- 
brenner's »Der heilige Gesang zum Gottesdienste in der römisch katholischen 
Kirche«, Landshut 1777, weil es so recht der Bichtung des Josephinismus und dem 
nüchternen Geiste der Aufklärung entsprach. An der Poesie , meint er, werde 
man zwar viel zu tadeln haben, es sei aber mehr für das Herz als für das Ohr 
gemeint. Das gemeine Volk verlange Deutlichkeit, man müsse sich zu dessen 
»leichtem Begriffe« herablassen. Nebst seinen eigenen Liedern nahm er Lieder 
des Wiener Denis und EiedeUs auf; die Melodien machte Hauner. Eine in 
musikalischer Hinsicht verbesserte 2. Auflage von 1790 besorgte Michael Haydn. 
Von Hauner wird denn auch die Komposition der (aus diesem Buche eben stam- 
menden) oben erwähnten deutschen Singmesse sein, die bis heute lebt und ver^ 
breitet ist Wenigstens entspricht seiner sonstigen Art (nur daß sie sich öfters: 
ganz in banalen Volkston herabläßt) z. B. folgendes Litroitus- (oder Kyrie-?) lied 



Wilh. Bäumker, Das kathol. deutsclie Kirchenlied in seinen Singweisen. 351 



1 



Sehr langsam. 




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Hier liegt vor dei - ner Ma-je-stät im Staub die Chri-sten- 



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schar; das Herz su dir, o Gott! er -höht, die Au - gen zum AI- 



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tar. Schenk uns, o Va - ter, dei - ne Huld, ver-gieb uns un-sre 



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stoß uns ar - me Sün 



der nicht! ver - stoß uns 



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nicht! Ter - stoß uns Sün - der nicht! 



Der Text ging übrigens auch in den evangelischen Gesang über ; er findet 
sich bei Zahn Nr. 5606 mit einer Melodie von Schicht. 

Andere wandten sich in gleichem Modemisierungstrieb gegen die alten Melo- 
dien. Das sehr stark verbreitete Gesangbuch vonitud. Deutgen, Osnabrück 1781, 
giebt z. B. neben jeder alten Melodie eine neue. Wer sich aber sei es für Text 
oder Melodie nicht gleich gerüstet fand, dem Zeitgeschmack mit lauter Neuem 
zu dienen (Ign. Franz sagt in seinem gleichfalls stark verbreiteten Gesangbuch, 
Breslau 1778, er habe lieber gleich lauter neue Lieder gemacht, weil ihm dies 
veniger Mühe gemacht habe, als wenn er alle Fehler der alten hätte verbessern 
wollen; die Fehler seiner Lieder müsse man damit entschuldigen, daß er sich erst 
seit 12 Jahren mit Liederdichten beschäftigt habe!), der modernisierte wenigstens 
die alten Lieder. So vollzog sich nun in rascher Folge in allen Diöcesen und 
Gesangbüchern ein mehr oder minder vollständiger Bruch mit der Überlieferung. 
Die Art wie und die mancherlei Gesichtspunkte, unter denen dies sich vollzog, 
legt Bäumker in der Einleitung des dritten Bandes und der sich daran anschlie- 
ßenden Bibliographie auf höchst anziehende und lehrreiche Weise dar. Man lese es 
dort in ganzer Ausführung; es ist weit über seinen nächsten Stoff, die Melodien, 
hinaus von Interesse. Dem Musikkundigen wird es aber kein geringeres Interesse 
gewähren, sich auch die 351 Melodien dieses dritten Bandes auf diese ihre 
Geschichte hin anzusehen. Auch findet sich, so wenig kirchlich sie im Großen 



352 Kritiken und Referate. 



und Gänsen sind, doeh eine Anxahl schöner Melodien darunter. Man betrachte 
c. B. die schönen alten Melodien Nr. 5 mit ihrem Bhythmenwechsel, Nr. 6 (Es 
ist einRos* entsprungen, aber eine andere, als die bekannte Melodie), Nr. 12; die 
schönen Volkslieder Nr. 22, Nr. 40 u. s. w. 

Was ich vorhin andeutend über das rein Yolksmäßige im Text der katholi- 
schen Kirchenlieder sagte, das findet ja auch auf die Melodien seine Anwendung 
und zwar nicht nur auf die des 3. Bandes und des 18. Jahrhunderts. Ich möchte 
mir darüber in aller Kürze noch ein allgemeines Wort gestatten. An ihrem Aus- 
gangspunkte im 16. Jahrhundert stehen die Lieder beider Kirchen auch in ihren 
Melodien ganz auf gleichem Boden ; stellte sich doch Luther mit seinen Freunden 
von Anfang an z. Th. grade auf den Boden des altkirchliohen geistlichen Volks- 
gesanges. So sind denn auch die Melodien alle in gleicher Weise volksthümlieh. 
Dabei aber, das darf man nicht vergessen, handelt es sich um eine Musikperiode, 
in der überhaupt das geistliche Lied in seinem Charakter von dem weltlichen nicht 
wesentlich verschieden war. Wie hätten auch sonst so manche Melodien welt- 
licher, oft im bedenklichsten Sinne weltlicher Lieder einfach auf kirchliche Texte 
übertragen werden können? Erst gegen Ende des Jahrhunderts mit dem Ueber- 
handnehmen der italienischen Liedformen schieden sich die Wasser. Ghrade zur 
selben Zeit wurde aber dem protestantischen Kirchenlied die Gunst einer eigen- 
thümlichen Entwicklung zu Theil. Von Anfang an hatte ja in der evangelischen 
Kirche in den Gesang des Gemeindeliedes der Chor mit eingegriffen, wie dies 
schon das Walther'sche Chorgesangbuch in seinen wiederholten Auflagen beweist 
Hier geschah es, wie das nicht anders sein konnte, in der figurirenden Poly- 
phonie des damaligen Kunstgesanges. Zeigt sich indessen schon bei Walther etwas 
von dem Bestreben, hierbei nicht zu kunstvoll schwierig zu setzen, so nimmt in 
der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts die Vereinfachung des Satzes immer merklicher 
zu. Ich glaube nicht, daß man ursprünglich dabei das Mehr oder Minder des 
Kirchlichen oder auch nur leichtere Faßbarkeit der 4 stimmigen Sätze im 
Auge gehabt hat, sondern vielmehr nur ihre leichtere Ausführbarkeit. Der 
Kreis ihrer kirchlichen Verwendbarkeit verengerte sich ja in eben dem Maße, in dem 
man höhere Anforderungen an die Gesangstechnik des Chores stellte. Das war um 
so bedenklicher, weil der Chor damals ganz allgemein als das eigentliche Organ 
betrachtet wurde, durch das die Lieder in den Gemeindegesang übertragen werden 
konnten. Nicht einmal die Orgel kam damals hierfür in Betracht. Das Bedürfniß 
steigerte sich aber noch, weil in der 2. Hälfte des Jahrhunderts ein gewisses Nach- 
lassen und Erlahmen des Gemeindesanges eintrat, woran die mannigfachen Klagen 
keinen Zweifel lassen. Unter solchen Eindrücken hatte man allen Anlaß, dem 
Chor der Singenden wie dem Ohr der Hörenden die Sache möglichst zu erleichtern. 
So bildete sich als eine kunstvolle und schöne Mitte zwischen dem Figuralstyl und 
dem Note gegen Note kontrapunktirenden FaUo bordone, wie er beim Psalmodiren 
üblich war, jener ältere protestantische Choralstyl, in dem die zur Melodie hinzu- 
tretenden Stimmen, während sie sich im allgemeinen zu Harmonien aceordisch 
zusammenreihen, doch von der Bewegung des Figuralstyls grade so viel beibe- 
halten, um sich flüssig in imtergeordneter Selbständigkeit zu bewegen. Vollendet 
wurde dieser Styl durch den entscheidenden Schritt, die Melodie aus dem Tenor 
in den Cantus zu verlegen. Nun folgte bekanntlich in wenig Jahrzehnten eine 
Durcharbeitung des ganzen protestantischen Melodiensohatzes in dieser Form durch 
die größten Tonmeister der Zeit. Da ist es denn auch, wo sich der dauernde Styl 
und Geist des protestantischen Kirchenliedes nach der musikalischen Seite hin 
festgestellt hat. Zunächst Übertrug sich dieser Styl des vierstimmigen Liedes auch 
gleich auf die Orgel und gab damit dem gesammten Orgelspiel unserer Kirche sein 



Wilh. Bäumker, Das kathol. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. 353 



unterscheidendes Gepräge. Von alle dem aber wurden nun auch die Melodien, 
sobald es sich um die Erfindung neuer Melodien handelte, in sehr wesentlichem 
Maaße mit berührt. Denn es bedurfte gewisser Eigenthümlichkeiten der Melodien, 
um sie zu geeigneten Trägern solchen Satzes zu machen; sie mußten im Geiste 
solcher Behandlung erfunden werden. Dadurch waren sie aber von dem sich da- 
neben in mancherlei neuen Formen entwickelnden Volks- und weltlichem Kunst- 
Hede wenigstens soweit geschieden, daß diese nicht mehr unmittelbar, oder im 
Wesen unyerändert in den kirchlichen Gesang Übergehen konnten. Die kirchlichen 
Sänger haben sich zwar namentlich im 17. Jahrhundert oft genug durch moderne 
Neigungen auf Abwege in ihren Melodien locken lassen, das besserte und berich- 
tigte sich auch immer wieder, und zu derselben Zeit, wo uns Bäumker's 3. Band 
das katholische Lied so weit auf die Seite des Volksliedes hinabgeglitten zeigt, 
sehen wir das protestantische Kirchenlied in Bach's Chorälen auf einem ganz 
idealen Höhepunkte. Die katholische Kirche hat jene kurz geschilderte £nt- 
wiekelung nicht selbst mit durchgemacht, wenn sie gleich von ihren Folgen stark 
beeinflußt worden ist, wie eine Menge ihrer Melodien zeigen und wie es auch 
schon wegen der tief eingreifenden musikalischen Bedeutung der Sache gar nicht 
anders sein konnte. 

Ist denn Bäumker's ausgezeichnete Arbeit wirklich mit diesem dritten Bande 
geschlossen? Warum wird so besorglich betont, daß dies der Schluß band sei? 
Wer den reichen Inhalt der vorliegenden Bände mit dem regen Antheil, den er 
▼erdient, an sich vorüberziehen ließ, der wird das Buch nicht aus der Hand legen 
ohne den lebhaften Wunsch, nun auch zu erfahren, wie denn an das 18. Jahrhun- 
dert das 19. sich angereiht hat, um daraus zugleich deutlicher, als etwa einige 
Gesangbücher es ihm leisten können, zu erkennen, wie also der heutige Bestand 
und Zustand des Liedersingens in der deutschen katholischen Kirche ist. Hoffent- 
lich wird man auf katholischer Seite nicht auf die Dauer verkennen, einen wie 
großen Schatz man der unermüdlichen Liebe des Verfassers zur Sache verdankt, 
und nicht da gleichgültig bleiben, wo das größte kirchliche Interesse vielmehr zu 
emsig fördernder Theilnahme treiben sollte I Das zwar haben die Katholiken allein 
mit sich selbst auszumachen. Die hymnologische Wissenschaft aber * wird sich 
dadurch nicht in dem Danke beirren lassen, den sie dem trefflichen Werke und 
seinem Verfasser schuldet 

Schleswig. B. v. Iiiliencron. 



Johannes Zahn, Altkirchliche Introitus (Eingangspsalmen) zu den 
Festen und Sonntagen des Kirchenjahres, deutschen Texten angepaßt 
und für den Kirchenchor vierstimmig gesetzt. 1. Heft: Advent, 
Weihnachten, Epiphanias. 2. Heft: Septuagesima bis Pfingsten. 
Gütersloh. Druck u. Verlag von C. Bertelsmann. 1893. 

Es ist eine noch immer sehr verbreitete irrige Meinung, die altkirchliche 
Einrichtung, yermöge deren die Liturgie eines jeden Sonn- und Festtages ihren 
eigenen Introitus hatte, sei in der Lutherischen Kirche gleich oder doch sehr bald 
zwar nicht ganz abgeschafft, aber doch dahin beschränkt, daß nur die Festzeiten 
Advent, Weihnachten, Epiphanias u. s. w. ihre eigenen Introiten behalten hätten. 
So hat man es auch in neuerer Zeit da, wo Überhaupt die Liturgie wieder reicher 



354 Kritiken und Referate. 



ausgestattet worden ist, z. B. in der Bairischen Ootteadienstordnung, gemacht. 
Abge8cha£ft ist in der ^älteren Kirche der Introitus überhaupt nicht, sondern nur 
in den Kirchen, die keinen Chor hatten, durch ein Eingangslied ersetzt. Wo da- 
gegen ein Chor war, sang er auch stets die sämmtlichen altkirchlichen Introiten 
zu ihren altkirchlichen Chorälen. Das lehren schon die Psalmodia des Lucas 
Loßius Ton 1553, 1579, 1595 und KeuchenthaVs Kirchen-Oesänge von 1573. Wo 
der Chor dann später überhaupt noch lateinisch sang, da blieb bis ins 18. Jahr- 
hundert auch der Qesang der sämmtlichen Introiten bestehen. Leider ist, so viel 
ich habe finden können, niemals in älterer Zeit der Versuch gemacht und durch- 
geführt worden, die schönen altehrwürdigen Melodien den deutschen Worten der 
Lutherbibel anzupassen: daher ist denn auch im 18. Jahrhundert mit dem letzten 
Rest des lateinischen Chorgesanges der Qesang der Introiten in Abgang gekommen 
und man versuchte auf allerlei andere Arten, das de tempore der einzelnen Sonn- 
und Festtage im Anschluß an das Evangelium des Tages auszuprägen. Man verlor 
aber darüber vielmehr nur das gottesdienstlich so bedeutungsvolle Ziel gänzlich 
aus dem Auge und meinte schließlich mit Eingangs- und Predigdied sei AUes 
gethan. Die Uebertragung der alten Choräle auf die deutschen Texte war aller- 
dings keineswegs eine leichte Aufgabe, denn es handelt sich darum, die Gänge 
der Melodietöne und besonders auch die Ligaturen den Accenten der deutschen 
Worte und dem sinngemäßen Vortrag der Sätze anzupassen. Die Choräle müssen 
also mit sicherer Erkenntniß ihres charakteristischen Wesens ziemlich frei behandelt 
werden, damit diejenigen musikalischen Wendungen und Accente, auf denen die 
Bedeutsamkeit der Deklamation beruht, wieder auf die richtigen Silben fallen. In 
bewundernswürdiger Weise hat der Verfasser der oben genannten 2 Hefte von In- 
troiten, denen wohl das 3. mit den Introiten der Trinitatissonntage bald folgen 
wird, diese Aufgabe gelöst. Es ist Johrnnes Zahn, der hochverdiente Schöpfer des 
großen Werkes über die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder. Er 
giebt also hier die sämmtlichen altkirchlichen Introiten der Sonn- und Festtage, 
wie sie bei Loßius und Keuchenthai aus der Urzeit der Reformationskirche über- 
liefert sind. Sie stimmen nicht nur, soweit sie hier vorliegen, sondern, wie ich aus 
eigener Untersuchung weiß, überhaupt mit den noch heute in der katholischen Kirche 
gebräuchlichen bis auf wenig unwesentliche Abweichungen überein. Aus denselben 
beiden Quellen hat Zahn auch, wie er mir freundlichst mittheilte, die Choräle für 
diese seine Bearbeitung genommen. Loßius und Keuchenthai sind die beiden 
Hauptwerke, aus denen auch Schöberlein, Kade u. a. bei ihren Arbeiten vornehmlich 
geschöpft haben. Ich möchte mir erlauben, dawider eine kleine Einwendung zu 
erheben. Es hat bekanntlich in Folge der Verhandlungen des Tridentiner Concils 
in der Erkenntniß, daß die Choräle der Ritualbücher vielfach verderbt seien, eine 
kritische Revision stattgefunden, deren erstes Ergebniß das revidirte Brevier und 
Missale Papst PiusV. (1572—85) war (Bulle Quoda nobis). Unter Paul V. (1621—1623) 
erfolgte eine nochmalige Revision. Seitdem ist die Congregaiio rituum in Rom 
stets eifrig bemüht gewesen, die möglichste Reinheit der Melodien zu erhalten und 
zu fördern. Die cura et auctoritate sacrorum rituum congregationie redigirten 
römischen Ritualbücher, welche überall ohne Mühe zu haben sind (für Deutsch- 
land z. B. bei Pustet in Regensburg) bieten daher die sicherste Gewähr dafür, daß 
man die möglichst echte und reine Ueberlieferung vor sich hat. Von einer Art 
protestantischer Tradition zu sprechen, welche sich in der Uebereinstimmung zwi- 
schen Loßius, Keuchenthai und anderen zeige, scheint mir eigentlich in keiner 
Weise gerechtfertigt. Ihre Abweichungen von den römischen Texten beruhen nur 
auf damaligen lokalen Gewohnheiten und haben keinerlei wirkliche Beglaubigung. 
Ich meine daher, wir sollten uns nicht besinnen, in Betre£f der gregorianischen 



Joh. Zahn, Altkirchl. Introitus zu den Festen u. Sonntagen des Kirchenjahres. 355 



Chorfile, wo wir auf sie zurückgreifen wollen, die FrQchte der gewissenhaften 
römischen Forschung auch für uns gewachsen sein zu lassen. 

Zahn hat die Melodien in die Oberstimme gelegt und indem er sie zu diesem 
Zweek mensurirt, zu 4 stimmigen Sätzen erweitert im Style, wie er etwa um den 
Ausgang des 16. Jahrhunderts in der protestantischen Kirche herrschte. Ohne 
fingstliche Scheu vor den Gewöhnungen des modernen Ohres hat er dabei die alten 
Tonarten strenge eingehalten. Vieles klingt wohl aufs erste Hören nicht nur sehr 
überraschend, sondern auch hart. Ich glaube aber, bei richtiger gesanglicher Aus- 
führung wird gleichwohl ,der Eindruck dieser Musik ein sehr großer und grade 
durch die Fremdartigkeit vieler harmonischer Wendungen packender sein. Die 
richtige Ausführung erfordert freilich nicht nur überhaupt einen durchgebildeten 
Chor, sondern auch einen Leiter, der mit der eigenthümlich recitierenden Vor- 
tragsweise, die dabei gefordert werden muß, vertraut ist. 

Grade an diesem Orte ist es übrigens wohl angezeigt, darauf hinzuweisen, ein 
wie herrlicher Stoff der musikalischen Komposition damit zuwächst, wenn die In- 
troiten wieder eingeführt werden. Sobald dies geschieht und die Texte dann, wie 
es sich gebührt und wie es z. B. bei den Introiten für die Festzeiten in Baiem 
der Fall ist, im liturgischen Anhang des Gesangbuches stehen, ist natürlich auch 
jede der von Alters her zulässigen Weisen der Ausführung gestattet Wo über- 
haupt ein Gesang nicht möglich ist, hat der Geistliche den Introitus als Elngangs- 
Bpnich zu lesen. Er kann ihn; aber auch allein oder mit der Gemeinde liturgisch 
singen. Wo ein Chor ist, singt er ihn im gewöhnlichen Gottesdienst einstimmigi 
* choraliter«; oder er singt den Choral in mehrstimmigem Satz, wie in den vorliegen- 
den Zahn'schen Kompositionen. Endlich aber steht es dem Musiker auch frei, den 
Text namentlich für Festgottesdienste in freier Komposition zu behandeln. Wie 
bedeutende musikalische Aufgaben sind das nicht! Man denke sich z. B. den 
Introitus des 1. Advent mit seiner Feststimmung der seligen Erwartung: »Mein 
Gott, ich hoffe auf dich — denn keiner wird zu Schanden, der deiner harret!« 
wenn man dann etwa das alte de iempore-lA&d dieses Sonntags »Nun komm der 
Heiden Heiland a als canius ßnnus eingreifen ließe. Seine dem alten Hymnus Veni, 
rtdemptor gentium entstandene Melodie beginnt noch dazu zufällig mit denselben 
Tönen (d c f d), die sich im Eingang des Introitus wieder erkennen (vgl. Zahn, Nr. 1), 
sich also von selbst als Hauptmotiv bieten. 

Möchten die kleinen Hefte vor allem bei den Kirchenchören die Beachtung 
finden, welche sie in hohem Maße verdienen, und möchten sie alleitig dazu anregen, 
auf dem hier betretenen Pfade im Interesse unserer evangelischen Gottesdienste 
rüstig fortzuschreiten ! Darin wird der hochverehrte Verfasser den schönsten Lohn 
für seine Arbeit erkennen. 

Schleswig. B« v. Iiilienoron. 



Robert Schumann^ Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. 
Bd. 1 u. 2. Vierte Auflage, mit Nachträgen und Erläuterungen von 
F, Gustav Jansen, Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1891. 

Man kann noch heute gute Kenner und begeisterte Verehrer Robert Schu- 
mann's finden, denen es fast unbekannt ist, daß der herrliche Tondichter zugleich 
einer unserer besten musikalischen Schriftsteller war ; nur wenige wissen aus eigener 
Lektüre, wie er es war, welcher zu einer treffenden, gewissermaßen nachschaffen- 
den musikalischen Kritik gegenüber der trockenen Zergliederung früherer Zeit die 



356 Kritiken und Referate. 



Wege gewieseo hat. Und doch liegen seit 40 Jahren die von Schumann selbst ge- 
sammelten Aufs&tse in Tier Bänden dem Publikum vor. Nicht gAuz so viele Jahre 
sind verflossen, seit der Meister selbst nicht mehr unter uns weilt In dieser Zeit 
hat sich die Erkenntniß seiner künstlerischen Größe vollzogen und die anfängliche 
Zurückhaltung vieler ist einer Popularität im besten Sinne gewichen; der Wider- 
spruch der Meinungen, dessen sich Aeltere auch aus den 50er Jahren noch er- 
innern werden, besteht nicht mehr, und auch die allmähliche Entwicklung bis inr 
Höhe liegt objektiv vor uns. War für Schumann selbst, als er seine Aufsätie 
sammelte, jene Zeit des Stürmens und Drängens, in der er auch durch das Wort 
die ersehnte neue Zeit vorzubereiten strebte, noch ganz mit seiner Persönlichkeit 
verwachsen, so daB er nicht zu scheiden brauchte, wo er allgemein Gültiges aus- 
gesprochen und wo er liebevoller Hoffnung in weitgehendem Maße Raum ge- 
geben; wir übersehen jene Periode, wir können jene Scheidung machen, ohne unser 
Urtheil davon beeinflussen zu lassen; im Gegentheil, wir gewinnen dabei den 
Menschen und den Künstler um so lieber. 

Es ist daher mit Freude zu begrüßen, daß uns Schumann's Schriften in neuem 
Gewände von berufener Hand wieder vorgelegt werden. Gustav Jansen hat 
sich in seinen bisherigen Veröffentlichungen, der Sammlung Schumann'scber Briefe 
(1886) und dem trefflichen Buche »die Davidsbündler« als gründlichen Kenner nicht 
blos von Schumann's Leben und Schaffen, sondern des musikalischen Lebens über- 
haupt in der Zeit, in welche jenes fällt, bewährt; er war vor allem berufen, uns 
Schumann's schriftstellerische Thätigkeit von neuem vor Augen zu führen. Durch 
genaues Studium nicht nur der von Schumann geleiteten Neuen Zeitschrift, sondern 
auch der übrigen Litteratur, durch vielfache schriftliche und mündliche Traditionen 
ist er für seine Arbeit ausgestattet. Seine musikalische Kenntniß ist umfassend; 
er wäre der Mann, die ausführliche Biographie Schumann's, die uns noch fehlt, zu 
schreiben. 

Wir haben hier nicht über Schumann's Schriften selbst zu sprechen. Der 
Verfasser dieser Zeilen hat vor ziemlich langer Zeit diese Thätigkeit Schumann's, 
ebenfalls unter Zuziehung der Neuen Zeitschrift selbst, zu behandeln versucht^ 
und glaubt noch jetzt auf diesen Aufsatz Bezug nehmen zu dürfen. 

Neuerdings hat Ph. Spitta^ die Natur von Schumann's kritischer Thätigkeit 
behandelt und ihre Beziehungen zu der früheren Weise kritischer Besprechung 
und zu Schumann's menschlicher und künstlerischer Persönlichkeit klar gelegt; wir 
rathen dringend, bei der Lektüre der Schriften diesen Aufsatz nicht ungelesen zu 
lassen. An dieser Stelle haben wir es aber nur mit dem Verfahren des neuen 
Herausgebers zu thun. 

Nach dem Titel der neuen Ausgabe, welche in Folge räumlicher Zusammen- 
drängung in zwei Bänden erscheint, will Jansen nicht ein neues Sanmielwerk bieten, 
sondern nur die von Schumann selbst besorgte Sammlung neu erscheinen lassen. 
Auf dem äußeren Titel wird sie als »Neue kritische Ausgabe« bezeichnet Er 
druckt Schumann's Einleitung wieder ab, er giebt Abweichungen von der ersten 
Fassung, wie sie in der Zeitschrift steht, in der Anmerkung; also kurz, er will 
Schumann's Schriften neu herausgeben. Wir müssen das betonen, um unseren 
Standpunkt seiner Arbeit gegenüber festzustellen. Der Herausgeber eines älteren 



1 Allg. Mus. Ztg. 1865 No. 47 — 19. Rec. bemerkt, daß er die im Folgenden 
vorkommenden Anführungen aus der Zeitschrift seinen Notizen entnonunen hat; da 
ihm beim Niederschreiben dieser Besprechung die Zeitschrift nicht zur Hand ist 

^ Ueber Robert Schumann's Scliriften, Deutsche Rundschau 19. Jahrg. H. 3. 



Bobert Schumann, Oesammelte Schriften über Musik und Musiker. 357 



Werkes steht unter bestimmten wissenschaftlichen Vorschriften, und wir stellen uns 
nicht gegen das Verdienst des Buches, wenn wir an jene erinnern. 

Schon in der Vorrede wird der Standpunkt des Herausgebers verlassen, indem 
Jansen erklärt, nicht blos geben zu wollen, was in die Schriften aufgenommen ist, 
sondern möglichst alles zusammenzubringen, was Schumann von Aufsätzen und An- 
zeigen hat drucken lassen. So ist denn — da der Herausgeber sich keine Mühe 
des Suchens hat verdrießen lassen — sowohl aus der Zeitschrift selbst wie aus an- 
deren Journalen (Herloßsohn's Komet, Leipziger Tageblatt u. s. w.) beigebracht, was 
an Schumann'schen Aufsätzen zu finden war. Es ist sicherlich höchst dankens- 
werth, daß wir auch dies alles vereinigt erhalten; denn der ephemeren Bedeutung 
ist entrückt, was irgendwie mit einem großen Manne zusammenhängt und zu seinem 
Bilde beiträgt. Aber dazu gehört doch auch der Plan, den er bei seiner Aus- 
wahl verfolgt hat. Schumann hat zwar, wie der Verfasser hervorhebt, den Druck 
seines Werkes nicht mehr selbst überwachen können ; die Zusammenstellung selbst 
aber hat er mit gesunden Kräften vorgenommen und hat wohlbedacht ausgeschie- 
den, was ihm sei es wegen seiner Geringfügigkeit, oder weil er vielleicht seine An- 
sicht geändert hatte, oder weil er auf Lebende Rücksicht nahm, für die Aufnahme 
nicht geeignet schien. Wer also Schumann's Werk neu ediren wollte, mußte wohl 
auch diese Weglassungen respektiren und mußte um so vorsichtiger sein, als ja 
manche der jetzt hinzugefügten Aufsätze (z. B. Bd. I. S. 49 »Zeitgenossen«, S. 124 
Abschiedskonzert von Livia Gerhardt, S. 125 Lipinski [2 Artikel], 11. S. 93 Eine 
Vision, 8. 468 Mose von Marx) nur durch Vermuthung, wenn auch zum Theil sehr 
wahrscheinliche, Schumann zugeschrieben werden. Jansen hat die zugefügten Auf- 
sätze durch einen Stern kenntlich gemacht^; er hatte aber ein einfacheres Mittel, 
um die Schumann'sche Arbeit zu konserviren und doch dem Leser nichts Schu- 
mann'sches vorzuenthalten: er mußte einen Anhang bilden und konnte in dem- 
selben alles aufnehmen, was früher gefehlt hatte, auch das nicht völlig Erwiesene. 
In diesen konnte dann noch manches kommen, was, unzweifelhaft Schumann an- 
gehörig, jetzt in den Anmerkungen steht. Manches bleibt auch zweifelhaft; wenn 
Schumann (I. S. 162 fg.) zwei der »Schwärmbriefe« nicht aufgenommen hatte, so 
bleibt unsicher, ob sie von ihm herrühren. Andererseits könnte man erinnern, 
wenn man sich einmal auf denselben Standpunkt stellen will, daß doch noch ein- 
zelnes fehlt. So stehen z. B. in der Zeitschrift [Bd. V. S. 88 fg.) Anzeigen über 



1 Wir verzeichnen hier kurz die Aufsätze, welche in der neuen Ausgabe hin- 
zugefügt sind : Bd. I. S. 6 Keminiscenzen aus Clara Wieck's letzten Konzerten, aus 
dem Kometen. S. 10. Die Davidsbündler, desgl. S. 41. Prospekt der neuen Zeit- 
schrift. S. 49. Zeitgenossen. Anna von Belleville. S. 52. Malibran, engl. Matrosen- 
lied. Hero, von Brandt. S. 55. An die Leser der N. Z. S. 67. Dorn. S. 90. Zeit- 
genossen. Cherubini. S. 91. Field, Notturno. S. 101. Pr . . tzsch, Freudvoll und 
Leidvoll. S. 103. Bommer, Sonaten. 6. 117 über L. Schunke. S. 121. Hiller, 
Keveries. Schum. Papillons. S. 124. Livia Gerhardt. Soir6e bei der Gräfin. S. 125. 
Lipinski. S. 129. Berlioz. S. 155. Löwe. S. 157. Konzert von Clara Wieck. S. 162, 
Chiara an Eusebius. S. 168. Serpentin an Chiara. S. 183. Manuscripte. S. 206. 
Hiller, Konzert. Bd. U. S. 7. Decker, Sonate. S. 15. Schumann's Uoncert sans 
Orchestre. S. 93. Eine Vision. S. 131. Richter, Scherzo. S. 153. Ole Bull. S. 201. 
Anger, 6 Stücke. S. 251. Die Euterpe - Konzerte. S. 255. Herzberg, Scherzos. 
S. 264. Fr. Schubert. S. 331. Montag, drei Melodieen. S. 333. Markuli, Charakter- 
stücke, und einiges andere. S. 351. Wolff, Preistrio. S. 353. Wittmann, Etüden. 
S. 375. Hartmann, Lieder. S. 377. Banok, Marienlieder. S. 393. Die Verschwörung 
der Heller. S. 420. Möhring S. 451. Marxsen, Variationen. S. 452. Walther v. 
Oöthe u. s. w. S. 468. Marx, Mose. S. 469. Evers, Sonate. S. 471. Etaff, Heller, 
Wichmann. S. 484. Neue Bahnen (Brahms). 



358 Kritiken und Referate. 



musikalische Schriften von Hirsch, Pohle u. a.» untereeichnet 12, also von Sehu- 
mann. Bd. VII S. 35 der N. Ztschr. werden Lieder aus Beethoven's Nachlaß Ton 
22 (Schumann) kurz angezeigt Bd. X. S. 10 und 37 finden sich Mittheilungen 
Schumann's aus Wien [über die Originalpartitur von Mozart's Requiem u. s. w.). 
Und wenn der Prospekt der Neuen Zeitschrift aufgenommen wurde, so Terdiente 
dies wohl auch die Erklärung wegen vorläufiger und definitiver Niederlegung der 
Redaktion, welche in Bd. XX (1844) enthalten ist.^ 

Während sonst in Wiedergabe des Inhalts der gesammelten Schriften die 
größte Genauigkeit geübt wird, ist uns aufgefallen, daß in der Besprechung neuer 
Symphonieen (Bd. IL S. 180 fg.) die Erwähnung einer kleinen Symphonie von Ray- 
mond unterdrückt ist (vgl. Alte Ausg. III. S. 341), ohne daß der Leser erföbrt, 
warum dies geschehen. 

Noch in einem anderen wichtigen Punkte ist Jansen von dem Original, welches 
er neu herausgeben wollte, abgewichen; er hat es unternommen, die Aufsätze in 
eine streng chronologische Form zu bringen. Diese festzustellen, hat er den em- 
sigsten Fleiß angewendet und nicht nur die Zeitschrift selbst, sondern auch die 
sonstige Litteratur zur Lösung der zuweilen verwickelten Frage zu Rathe gezogen ; 
denn auch hier mußte mehrfach Vermuthung zu Hülfe genommen werden. Nun 
hat freilich auch Schumann im Prinzip eine chronologische Folge geben wollen, 
aber nicht im einzelnen, sondern in größeren Gruppen nach Jahren, und es ist auch 
in diesen mehrfach von der ursprünglichen Zeitfolge abgewichen, in der Absicht 
Gleichartiges zu gruppiren, z. B. Werke gleicher Gattung, oder verwandter Meister, 
oder Berichte von ganzen Reihen von Aufführungen u. s. w. Diese Zusammen- 
hänge sind durch die streng chronologische Anordnung vielfach zerrissen. Dieser 
Zwang führt sogar einmal zu einer Textesänderung, Bd. I. S. 248, wo Schumann ge- 
sagt hatte (Alte Ausg. IL S. 175) i>über die ausführlicher auf Seite 49 f. gesprochen 
wurde«, und wo es jetzt heisst: »über die ausführlicher in einer zukünftigen Va- 
riationenschau « (falls dies nicht etwa schon in der Zeitschrift gestanden hatte). Aus 
dem, von Schumann bewußt zusammengestellten »Denk- und Dichtbüchlein« (Alte 
Ausg. I. 50 fg., Jansen I. 25 fg.) sind drei Artikel (Berlioz IL 137, G. Wedel I 
137, Musikverein zu £3rritz IL 219) herausgenommen und an spätere Stellen gesetzt 
Die chronologische Reihe möglichst festgestellt zu haben, ist ein zweifelloses Ver- 
dienst Jansen's ; ob es aber zur Mittheilung des Ergebnisses seiner Untersuchung 
nicht eine andere Form gab, etwa durch genaue Zeitangabe unter dem Text, oder 
Anhängung eines Verzeichnisses, ist wohl nicht so zweifellos. Da die Absicht 
Schumann's hier feststand und von derselben bewußt abgewichen wird, kann die 
neue Ausgabe nach streng philologischem Grundsatz nicht als eine solche des 
Schumann'schen Werkes mehr gelten, sondern erhält den Charakter eines neuen. 

Die Ueberschriften der kritischen Aufsätze sind fast überall geändert, indem 
Jansen an die Stelle der von Schumann gewählten freieren Fassung die wirklichen 
Titel der recensirten Werke einsetzt. Auch hier wird niemand den Bienenfleiß des 
des Verfassers in Ermittlung der wirklichen Aufschriften verkennen ; wollte er aber 



^ »Während einer längeren Abwesenheit von hier wird Herr Oswald Lorenz 
thätigen Antheil an der Redaction dieser Zeitschrift nehmen. Ich ersuche alle meine 
Freunde, ihr Wohlwollen für mich auf ihn zu übertragen. Alle an mich direkt 
gerichtete Einsendungen gelangen durch Herrn R. Friese richtig in meine Hände. 

Leipzig, den 6. Januar 1844. R. Schumann.« 

Am 24. Juni erklärt er dann, daß er wegen » Privatverhältnissen « die Redaktion 
vom 1. Juli ab niederlege und O. Lorenz sie von da ab übernehme. 



Robert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. 359 



Schumann ediren, so mußten auch die Ueberschriften stehen bleiben, wie dieser 
sie gewShlt hatte. 

Was den Text selbst angeht, so hat den Unterzeichneten eine genaue Ver- 
gleichung gelehrt, daß der Herausgeber mit der größten Sorgfalt verfahren ist. 
Fehler in der Wiedergabe, welche auf ungenauer Vergleichung beruhten, finden 
sich so Bu sagen gar nicht, und man erhält die Schumann'schen Aufätze nach 
dieser Richtung in getreuer und suverläßiger Gestalt wieder. Wer die frühere 
Ausgabe nicht kennt oder nicht yergleicht, kann sich auch in der neuen dem Ein- 
drucke des Schumann'schen Geistes voll und ganz hingeben. Es geschieht nur aus 
dem Standpunkte der Forderungen der Kritik, wenn wir erwähnen, daß auch hier 
Abweichungen von der früheren Fassung, nicht etwa durch ungenaue Kontrolle, 
sondern absichtliche, sich finden. Der Herausgeber erklärt, daß er bei Verschieden- 
heit der Lesart in der Zeitschrift und in den Schriften sich mehrfach für erstere 
entschieden habe. Das ist unzweifelhaft gerechtfertigt, wo bei der Redaktion Schu- 
mann's ein deutlich erkennbares Versehen begangen worden ist , nicht aber, wo die 
Aenderung eine absichtliche und ihr Grund ersichtlich ist. Ferner erklärt er, in 
der Rechtschreibung beim Schwanken Einheit durchführen zu wollen; gut. Aber 
wenn er weiter geht und nach eigener Meinung eine Rechtschreibung durchführt, 
welche Ton der Schumann'schen abweicht, so ist das doch bedenklich. Er nennt 
ja seine Ausgabe eine kritische und muß daher erwarten, daß der Kritiker seine 
Methode verfolgt und zusieht, ob er darauf bedacht gewesen ist, das von Schumann 
Geschriebene und Gewollte zu ermitteln und festzustellen, oder ob er daneben Schu- 
mann selbst verbessern will; letzteres geht über die Aufgabe des Kritikers hinaus. 
Wir wollen ihm einräumen, da wo Schumann selbst schwankte, eine Schreibung durch- 
zuführen; aber dem Leser an Stellen, wo Schumann eine eigenartige Schreibung 
befolgte, jeden Anstoß wegzuräumen, ist nicht Sache des kritischen Herausgebers ; 
auch dazu können Anmerkungen dienen. Beispiele für das Gesagte würden wir 
aus dem ganzen Werke zusammenstellen können; wir müssen uns hier beschränken. 
Da sind z. B. die großen Anfangsbuchstaben. Jansen schreibt Jemand, Andere, 
Einer, Alle u. s. w., wo Schumann (richtig) jemand u. s. w. hat. Dann aber, wo 
das Neutrum steht, hat Jansen alles, manches, einiges, vieles, Schumann Alles 
u. 8. w. Hier sind, wie man sieht, wenn wir an das jetzt Geltende denken, Beide 
inkonsequent; Jansen aber in höherem Grade, wenn er daneben wieder schreibt: 
vor Allem, vor Kurzem, ohne Weiteres, bei Weitem, im Einzelnen, wo Schumann 
ganz richtig kleine Buchstaben hatte. Hier hätte es also genügt, die Inkonse- 
quenzen Schumann's, welcher meist das Richtige schrieb, zu beseitigen. In der 
Interpunktion ändert Jansen vielfach durch Zufügung und Weglassung des Komma's 
u. s. w., mitunter sogar mit leiser Nuance des Sinnes; wir haben kaum eine Stelle 
gefunden, wo wir die Aenderung als durchaus nöthig bezeichnen könnten. Doch 
dies könnte nebensächlich scheinen ; andere Aenderungen sind eingreifender. Manche 
derselben können wir als zutreffende Konjekturen bezeichnen, auf die Schumann 
vielleicht, wenn er den Druck noch hätte beaufsichtigen können, selbst verfallen 
wäre. So wenn er I. S. 29 schwebend in schwebt ändert, S. 149 das »wird« an 
seine richtige Stelle setzt, S. 166 »der letzteren« statt des letzteren, S. 167 statt 
Heiligen Arien »Heiling- Arien« schreibt, S. 236 ein »sind« zusetzt, U. S. 57 Quar- 
tett statt Trio schreibt, S. 57 ein »die« zusetzt, S. 98 statt Empfindungsschwäche Er- 
findungsschwäche schreibt, S. 101 ein »wenig«, S. 127 und 135 ein »sie«, S. 409 
ein »sich« streicht, S. 277 ein »nicht« zusetzt, S. 445 vierstimmigen in vielstimmigen 
ändert, wenn er endlich die Notenbeispiele mehrfach berichtigt, so sind das Ver- 
besserungen, denen wohl auch Schumann zugestimmt haben würde. Auch Ver- 
besserungen von Eigennamen, wie Kuhnau (Schum. Konau), Lvoff (Schum. Lwoff), 



3ß0 Kritiken und Referate. 



Verden (Schum. Förthen) laßen wir gelten. Qut ist die Konjektur »bewegen« statt 
abhalten, die er in den Text setzen durfte (ü. S. 357), nicht nöthig dagegen » ärm- 
liches a statt ähnliches 11. S. 136. Sprachlich nöthig ist das beigesetzte »[vielmehr;« 
U. S. 378; auch hier wäre Schumann einverstanden gewesen. An vielen andern 
Stellen aber sind wir abweichender Meinung. Schumann bildet gern den Dativ der 
Eigennamen mit angehängtem n oder en : Zeltern, Liszten, Schuberten, Marschnem ; 
das mag man provinzialistisch nennen ; es entsprach sicherlich Schumann's Sprech- 
und Schreibweise und giebt der Darstellung eine individuelle Färbung. Jansen 
streicht überall die Endung und verbessert so ohne Recht Schumann selbst. I. S. 39 
schreibt er statt »schwerlich zu glauben« schwer zu glauben, S. 51 »dich — 
heißen« statt dir heißen, S. 57 fügt er »Durschluß« hinzu (vielleicht nach der 
Zeitschrift), schreibt auf derselben Seite herunter statt hinunter, S. 73 singend 
statt siegend (vielleicht Druckfehler), S. 78 fügt er (Z. 3. v. u.) ein »als« hinzu (ganz 
unnöthig), S. 104 schreibt er während des Adagio (Schum. Adagio's), S. 148 »ein 
weibliches Wesen, das alles« (Schum. die Alles), S. 156 »manchen von Mendels- 
sohn» (Schum. Mendelssohn'schen), S. 238 Gapricen (Schum. Capriccio's), S. 239 
jeder Nerv (Schum. jede Nerve) und ein kleines Beispiel (Schum. ein klein 
Beispiel), läßt S.281 ein »und« weg, schreibt S. 283 »Was sie aber im Uebrigen be- 
trifft« (Schum. Was aber im übrigen; hier hat J. seine Konjektur durch Klammem 
kenntlich gemacht), S. 285 »über ein Thema — leicht hinfaseln« (Schum. leichthin 
faseln), »Mehreres« (Schum. Mehres, wie öfter), S. 299 »Mozart, eine Elfen- 
seele , sammelte« (Schum. Mozart sammelte, eine Elfenseele ), S. 303 

»anstaunen« (Schum. erstaunen, in transitivem Sinne, also wenn auch sprachlich 
bedenklich, doch mit ganz anderem Gedanken), S. 306 »dem Ergreifendsten« (Schum. 
das Ergreifendste), II. S. 17 »Manuskripte weniger Gekannter« /Schum. Manu- 
scripte, weniger Gekanntes ; also eine unberechtigte Aenderung), S. 23 »Körper und 
Geister hebender Walzer« (Schum. Körper und Geisterhebender Walzer; die Ver- 
besserung also unrichtig), S. 35 Adagisaimo (Schum. Adagtosissimo] , S. 67 »Großer 
Achtung dürfte ich mich sicher erfreuen, wenn« (Seh. Großer Achtung, dürfte ich 
mich ihrer erfreuen, wenn^), setzt S. 86 »wissen« zu, schreibt S. 107 »über dem 
einen Werk ^waltet mehr Segen als über dem andern« (Schum. über das eine — 
das andere), S. 150 »kurz vorher« (Schum. kurz; J. hat [vorher] eingeklanunert)^ 
läßt S. 208, 312 ein »und« weg, S. 225 das Wort »dasige« (Konservatorium), sehreibt 
S. 230 »waren« (Seh. war) S. 266 »und in diesem Sinne war auch alles« (Schum. 
und war auch alles in diesem Sinne), »den einen Chor« (Schum. das eine Chor), 
S. 299 »die Aufgabe« (Schum. seine Aufgabe), »er hat sich in das — geschickt« 
(Schum. angeschickt), »den Ausruf Spohr« (Schum. den Laut Sp.), S. 318 Trauer- 
marsch (Schum. Marcia funehre!) ^ S. 332 »Kunstgriffe« (Schum. Kraftgriffe, 
zweifellos richtig), S. 340 »Claviermusikepoche« (Schum. Ciaviermusikerepoche), 
S. 384 »Kärrner« (Schum. Krämer), setzt S. 408 »vierhändigen« (Diversions) hin- 
zu, u. s. v. 

Es ist ja klar, daß viele der Verbesserungen sprachlich richtig und stilistisch 
angemessen sind; manche andre Änderungen sind aber nicht nöthig gewesen; und 
überhaupt bleibt für uns die Forderung bestehen, daß bei Edition eines Schrift- 
werks mit dem Text nicht willkürlich verfahren werden darf, und daß vom Stand- 



^ Die Konj. des Herausgebers ist glücklich, das ursprüngliche sprachlich 
unmöglich; aber es ist nicht, wie J. in der Anmerkung sagt, ein bloßes Druek- 
versehen, da es außer in der Ztschr. auch in den Schriften II. S. 94 steht 

*^ Auf derselben Seite Z. 2 ist ein Druckfehler Composition (statt des Plui.) 
stehen geblieben. 



Robert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. 361 



punkte der Kritik es prinzipiell als unerlaubt bezeichnet werden muß, den Schrift- 
steller selbst zu korrigiren. 

Diese Neigung zu ändern hat Jansen sogar auf den von Schumann bereits auf- 
genommenen Aufsatz von Gottschalk Wedel (I. S. 299) ausgedehnt, indem er die von 
diesen erfim denen, sonderbaren, aber an dieser Stelle charakteristischen Ver- 
deutschungen musikalischer Ausdrücke wieder durch die gewöhnlichen ersetzte. 
Selbst Zusätze aus den Schriften läßt er weg, z. B. 11. S. 254 »ein Miniaturstück, 
das gleichfalls schon gedruckt ist« (Sehr. III. S. 292), oder S. 429 außer 
den bei Mompour in Bonn gestochenen Stimmen; lagen hier Irrthümer Schu- 
mann's vor, so waren sie in der Anmerkung zu berichtigen. Auch der in den 
letzten Partieen öfter gewählte Sperrdruck, abweichend von den Schriften, fällt auf. 
In den »Musikalischen Haus- und Lebensregeln«, welche Schumann selbst mehr- 
mals herausgegeben, hätte u. £. überhaupt kein Buchstabe geändert werden 
dürfen. 

Sieinere Aenderungen sind z. B., daß er bei Angaben von Tonarten oder an- 
deren musikalischen Bezeichnungen lateinische Lettern setzt, statt der von Schu- 
mann gewählten deutschen, daß er Zahlen bei Schumann meist in Buchstaben 
ausdrückt u. s. w. Man könnte uns der Kleinmeisterei zeihen, wenn wir hier 
noch weiter gehen wollten; es kam uns nur darauf an, das Prinzip der kritischen 
Behandlung festzustellen und zu begründen. — 

Mehrfach hat Schumann in den Schriften Sätze aus der ersten Fassung der 
Zeitschrift weggelassen, andere abgeändert; es ist von Interesse und dankenswerth, 
daß der Herausgeber mehrfach in den Anmerkungen die erste Fassung zur Ver- 
gleichung heranzieht und Zusätze beifügt. Es lässt uns das in die Eeflexionen 
hineinblicken, welche den Meister bei der Herausgabe beschäftigten, und der Her- 
ausgeber durfte hier, wo es sich nicht um den Text, sondern um Erläuterung des- 
selben handelt, kühn noch weiter gehen. So hätte z. B. gleich in dem ersten Auf- 
satze über Chopin's Variationen, S. 4 Z. 1, die Lesart des Originals angeführt 
werden können : »es ist, als wenn der frische Geist [Schriften: die Begeisterung] 
des Augenblicks die Finger über ihre Mechanik [Sehr.: über das gewöhnliche 
Maß ihres Könnens] hinaushebt«, weil sie zeigt, wie Schumann bei der Redaktion 
den Ausdruck feiner und präciser zu gestalten strebte. So hat gerade dieser 
Aufsatz noch mehrere Verbesserungen von Schumann erfahren; interessant ist auch 
der Schluß, der in der ersten Fassung lautete: »so beug' ich doch mein Haupt 
seinem Genius, seinem festen Streben, seinem Fleiße und seiner Fantasie«, wo 
Schumann später schrieb »solchem Genius, solchem Streben, solcher Meisterschaft«. 
8.61 hatte Schumann den Worten: »Heiterkeit, ^Buhe, Grazie« noch hinzugefügt 
und später gestrichen: »Idealität, Objektivität«. S. 64 stand bei den Worten »dem 
Sohn Emanuel« [Bach] im Original: »dem fantastischen Jüngling unter Schlafmützen«, 
was ihm später nicht mehr zutreffend scheinen mochte. S. 138 hieß es nach den 
Worten »und von diesem Augenblick an wird sie die erste aller schönen Künste 
sein« noch: »SoUte dieser Augenblick mit der Symphonie von Berlioz beginnen«? 
S. 141 Z. 8 setzt Jansen zu den Worten »So ist der Bau des ganzen ersten Ge- 
sanges durchaus« (mit Bez. aufs Vorherige) hinzu: »rein und edel«, was Schumann 
gewiß absichtlich gestrichen hatte, wie er auch S. 143 Z. 4 aus dem ursprünglichen: 
kontrapunktirt er »wie ein Meister« gemacht hatte »sehr schön«; man sieht, daß er 
später nicht mehr so viel Lob auf Berlioz häufen mochte. S. 178 waren die be- 
geisterten Worte über Schubert etwas weitläufiger; es hieß: »der, ohne Beachtung 
scharfer mathematischer Formen, ohne Anwendung kontrapunktischer Hülfsmittel, 
Todfeind aller Philisterei« u. s. w., und nach dem Satze war noch beigefügt »Sein 
ganze« Wesen ist ein ewiges Singen, eine selige Melodie, durch Rhythmus 

1893. 24 



362 Kritiken und Referate. 



gefestet, durch Harmonie verschönt und geadelt durch den Gedankenj«. Vor der 
Besprechung der Trios (S. 257) stand ursprünglich noch ein »Gruß von dem Gipfel 
des Jahres 1836«, welcher wegen der sp&ter von Schumann gewählten Anordnung 
wegfallen mußte. Den Schluß der Besprechung von Ouvertüren (II. S. 91) bildet 
Anzeige einer Ouvertüre von Gerke, was immerhin erwähnt werden konnte. Bei 
dem Gedichte »Traumbild« (II. S. 133) konnten die Varianten am Schluß: »das 
Engelskind aber bestürzt und leicht zurück in seine Heimath entweicht« aus 
dem Original erwähnt werden. S. 142 stand bei »Bevorzugung jüngerer Talente« 
im Original: »deren ausgezeichnetste man wohl auch Romantiker nennen hört«; 
Schumann wollte bekanntlich von dieser Bezeichnung nichts wissen. IL S. 344 
konnte noch ein Zusatz über Liederbearbeitungen, in Nachahmung der Liszt'schen, 
in der Anmerkung Erwähnung finden. Darin heißt es (Ztschr. Bd. XV. S. 142) am 
Schlüsse: »Aus einem Lied ein Bravourstück machen zu wollen, bleibt immer etwas 
Verkehrtes. Will man aber Lieder ohne Worte, so nehme man doch die echten 
Mendelsohnischen. « 

Mit vorstehenden Aeußerungen sagen wir dem Herausgeber jedenfalls nichts 
neues, und wir möchten nicht, daß über unsere Anerkennung des Verdienstes, 
welches sich Jansen durch seine sorgfältige Forschung um Schumann erworben hat, 
irgend ein Zweifel bliebe. Schumann's schriftstellerische Anlage und Thätigkeit 
liegt uns, wenn wir die Einleitung, die neu hinzugefügten Aufsätze und viele 
Aeußerungen in den Anmerkungen zusammennehmen, weit vollständiger wie bisher 
▼or; zum Verständnisse seiner Persönlichkeit hat Jansen durch emsige Unter- 
suchungen und feines Nachempfinden mehr geleistet wie irgend einer vor ihm. Be- 
sonders wohlthuend berührt ^e warme Pietät für den Meister, welche das ganze 
Buch durchdringt, im erfreulichen Gegensatze zu der ersten Biographie Schumann's. 
Wir erwähnten die Einleitung: hier wird Schumann's geistige Entwicklung von der 
Schulzeit her dargelegt und in's rechte Licht gestellt, wir erkennen die reiche 
poetische Anlage, welche zeitweise sogar die musikalische zu überflügeln schien, 
wir lernen wie er zuerst an's Schriftstellern über Musik kam und in verschiedenen 
Zeitschriften Aufsätze niederlegte, bis er die Neue Zeitschrift gründete. Die Ge- 
schichte derselben wird bis an's Ende von Schumann's Thätigkeit fortgeführt, zu- 
gleich über die Entstehung der Sammlung Bericht gegeben. Auch die kurze Wiener 
Zeit Schumann's enthält (im Anschlüsse an den Aufsatz von Kalbeck) neues Licht 
Außerdem hat der Herausgeber nicht nur den Text mit Anmerkungen begleitet, 
sondern im Anhang beider Bände eine große Zahl von Erläuterungen gegeben, und 
in beiden eine solche Fülle von Ergebnissen niedergelegt, daß man wohl sagen 
darf: es ist nichts in Schumann's Schriften unerklärt geblieben. Die Anmerkungen 
unter dem Texte enthalten, außer den bereits erwähnten Zusätzen aus dem Original: 
Feststellung der Tage von Konzerten, Namen von Künstlern, die Schumann nur 
andeutet, genauere Angaben von Citaten, litterarische Nach Weisungen, Erklärung 
Schumann scher Anspielungen, hier und da auch Berichtigung Schumann'scher An- 
gaben; man ist überall dankbar für schnelle Aufklärung und ahnt doch kaum die 
Mühe, welche der Herausgeber auf diese Erläuterungen verwandt hat. Von höchstem 
und bleibendem Werthe sind die Erläuterungen, welche im Anhange gegeben sind. 
Man wird hier mitten in die Zeit versetzt, in welcher Schumann wirkte und zur 
Anerkennung empordrang, mitten in die Umgebungen, in welchen er lebte; seine 
geniale, liebenswürdige, hochsinnige, ernste und wahre Persönlichkeit tritt uns, wie 
es in Janeen's »Davidsbündlern« schon der Fall war, warm und individuell ent- 
gegen. Dem Herausgeber kommt hier eine umfassende, auf eigener Forschung be- 
ruhende Personen- und Litteraturkenntniß zu Hülfe, welche er durch lange und 
liebevolle Versenkung in den Stoff sich und andern zu klarem Bilde gestaltet. So 



Bobert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. 363 



kommen denn auch Schumann's Freunde und die Künstler, mit denen er zusammen- 
kam, uns in kurzen, lebensvollen Bildern nahe. Man lese z. B. die Anm. 4 (Bd. I) 
über die muthmaßlichcn Urbilder des Davidsbundes (wobei das über Fr. Wieck 
und dessen Verhältniß zur Zeitschrift Gesagte von besonderem Interesse ist), Anm. 8 
über Wenzel, Anm. 58 über Julie Baroni-Cavalcabo, Anm. 66 über Job. A. Hiller 
und seine Schülerinnen, die Schwestern Podlesky, IE. Anm. 1 über Stemdale Bennett, 
Anm. 11 und 12 über Ad. Henselt, Anm. 13 über Stephan Heller, Anm. 45 über 
Schumann's mißgünstigen Yerkleinerer C. Banck, und so manche andere, um zu er- 
kennen, welche Sorgfalt der Herausgeber angewandt hat, um die Leser über be- 
merkenswerthe Gestalten der Zeit zu unterrichten. Von besonderer Wichtigkeit 
sind weiter I. Anm 8, wo die Notizen über einen früh komponirten Symphoniesatz 
von Schumann gut zusammen gestellt werden; Anm. 17 über Fink und dessen Ver- 
h&ltniß zu Schumann's Bestrebungen, Anm. 33 über gleichzeitige Beurtheilungen 
Schnmann'scher Werke und sein Verhältniß zu gleichzeitigen Kritikern, Bellstab, 
Gottfr. Weber, Castelli; die verschiedenen Artikel über Berlioz (I. Anm. 37. 58. 
n. Anm. 29), Urtheile über ihn und Nachrichten über seine Aufnahme in Deutsch- 
land; die Abnahme von Schumann's Begeisterung für den französischen Tonsetzer 
tritt schon sehr hervor. Bd. II. Anm. 10 wird die Aufnahme von Meyerbeer*8 
Hugenotten und Schumann's Stellung zu dem Komponisten weiter behandelt; der 
Anhang dieses Artikels, welcher die eigene Anmerkung Schumann's zu seinem Auf- 
satze über Hugenotten und Paulus (H. S. 59 fg.] enthält, hätte unseres Erachtens 
bei dem Texte bleiben müssen, bei dem er ja in den Schriften (II. S. 229) steht. 
Ueber die der Zeitschrift angehängten Beilagen handelt Anm. 14, über Schumann 
in Wien Anm. 31, über den Ausdruck »Teufelsromantiker« Anm. 33, über Liszt 
und Schumann's Zusammensein mit ihm Anm. 48 bis 50, über Schilling Anm. 63, 
über den schönen kritischen Versuch Schumann's, verdorbene musikalische Texte 
bei Bach, Mozart, Beethoven zu verbessern (II. S. 344 fg.) Anm. 61; hier hätte 
vielleicht die Antwort von Beethoven's Freund K. Holz Erwähnung verdient, 
welcher in der Zeitschrift Bd. XV. N. 42 die Vermuthung Schumann's bezüglich 
der Pastoralsymphonie als richtig bestätigte. Das »Theaterbüchlein« wird durch 
weitere Aussprüche über Opern aus dem Feuilleton der Zeitschrift (Anm. 66) er- 
läutert. 

Wir haben hier nur Beispiele angeführt; alle Anmerkungen sind werthvoll 
nicht nur als willkommene Erläuterungen des Textes, sondern für sich als Beiträge 
zur Kenntniß der musikalischen Zeitströmung und als Bausteine zu einer den be- 
rechtigten Wünschen und Forderungen entsprechenden Biographie Schumann's. Ja 
auch über diesen hinaus ragt des Verfassers Interesse; man beachte, was er über 
Beethoven'sche Werke, z. B. die Leonorenouverturen, die Adur-Smphonie (I. Anm. 48) 
beibringt, um zu erkennen, daß er auch in diesen Dingen zu Hause ist. 

Selbst in dem Inhaltsverzeichniß, welches sehr sorgfältig gearbeitet ist, giebt 
er mehr als man erwartet, indem er den in demselben angeführten Künstlernamen, 
soweit es nöthig und möglich war, kurze biographische Notizen beigiebt. 

Wir schließen mit aufrichtigstem Danke gegen den Herausgeber und mit der 
Hoffnung, daß durch seine Bemühung die Schumann'schen Schriften eine recht 
weite Verbreitung finden und daß Schumann' sehe Denk- und Empfindungsweise 
über musikalische Kunst mehr wie bisher eindringen und zur Gesundung des 
musikalischen Geschmacks das ihrige beitragen möge, was unserer Zeit sehr 
Noth thut. 

Goblenz. Hermann Deiters. 



Adressen der Herausgeber: 

Professor Dr. Spitta, d. Z. geschäftsführender Herausgeber, Berlin, W.Burg, 
Hafenstraße 10; Dr. Friedrich Ghrysanderi Bergedorf bei Hamburg; Professor 
Dr. Guido Adler, Prag Weinberge, Gelakovskygasse 15. 



Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen 

Dingen. 



Von 

Engelbert Bontgen« 



Helmholtz sagt am Schlüsse seines Buches »Die Lehre von den 
Tonempfindungen « : 

»Nach diesen Erfahrungen, glaube ich, kann kein Zweifel 
darüber bleiben, wenn noch einer da war, daß die theoretisch 
bestimmten Intervalle, welche ich in dem vorliegenden Buche 
die natürlichen genannt habe, wirklich die natiirlichen für das 
unverdorbene Ohr sind . . . « 

Nach den langjährigen Erfahrungen und Beobachtungen, die ich 
in meiner musikalischen Praxis gemacht habe, bin ich zu der Über- 
zeugung gelangt, daß diejenigen Intervalle, die ein musikalisch be- 
gabter Sänger oder Spieler intonirt, in vielen Fällen von den theo- 
retisch bestimmten Intervallen abweichen, und daß die letzteren 
nicht immer das Ohr eines musikalisch empfindenden Hörers be- 
friedigen. Obgleich es nun leicht ist, durch direkte Beispiele aus 
der Praxis nachzuweisen, daß solche Abweichungen in der That vor- 
handen sind, so ist es, nach meinen Erfahrungen, unmöglich, dem 
Helmholtz'schen Systeme irgendwie ein anderes entgegen zu stellen. 
Man kann eine große Menge von einzelnen Fällen anführen, in 
welchen eine meßbare Verschiedenheit der betreffenden Intervalle 
vorhanden ist; diese Fälle sind aber in der Mehrzahl nur jeder für 
sich und für den Augenblick von Gültigkeit und erweisen sich unter 
veränderten Umständen nicht als stichhaltig. Es sind deshalb immer 
veränderliche Größen, mit denen man zu rechnen hat, und aus solchen 
läßt sich ein System nicht errichten. 

Diese Veränderlichkeit beruht erstens auf dem Unterschiede 
zwischen der harmonischen und der melodischen Verwendung der 
Intervalle und zweitens auf den Schwankungen in der Tonhöhe der 

1893. 25 



366 



Engelbert Röntgen, 



alterirten Intervalle ^. Diese Schwankungen sind von dem Charakter 
des Kunstwerks und von der Auffassung und der Ausführung des 
ausübenden Künstlers abhängig, denn in dem ausdrucksvollen und 
belebten Gesang oder Spiel ausgezeichneter Künstler oder Künstle- 
rinnen ist eine größere Alterirung der Intervalle bemerkbar als iu 
den Leistungen geringer befähigter und weniger erregbarer Musiker. 
Ohne Zweifel aber wird jeder musikalische Hörer beim Anhören 
eines Kunstwerkes in einer vollendeten Ausführung, trotz der Ab- 
weichungen von den theoretischen Intervallen oder vielleicht gerade 
in Folge derselben, die größte Befriedigung empfinden. 

Die folgenden Beispiele sind das Resultat meiner Untersuchungen 
auf einem nach Helmhol tz'schem Prinzip in natürlichen Intervallen 
gestimmten Harmonium und der Beobachtungen, die ich mit ge- 
spanntester Aufmerksamkeit und mit einem durch Übung geschärften 
Ohr während der Leistungen vorzüglicher Künstler und Künstlerinnen 
gemacht habe. 

I. 

Der Durakkord. 

Dieser Akkord ist der einzige unter allen aus theoretisch reinen 
Intervallen gebildeten Akkorden, welcher in der Praxis unverändert 
vorkommt, jedoch nur dann, wenn derselbe in harmonischer Ver- 
wendung und im Zustande der Ruhe auftritt. Das Wort »Ruhe« 
bezieht sich selbstverständlich nicht auf die Zeitdauer, sondern auf 
die Beharrungsfähigkeit des Akkords. Es sind also hauptsächlich 
der tonische Dreiklang und die Unterdominante, die hier in Betracht 
kommen können, da die Oberdominante in den meisten Fällen keinen 
beharrungsfähigen Charakter hat 

Kein Sänger oder Spieler wird zum Beispiel hier im zweiten 
Takt eine theoretisch reine Terz intoniren: 






p 



-Ä^ 



■ ^ . '*■ 



^^-fff ] 



f 



I I 



jO. 



1 Unter »Alterirung« verstehe ich hier die Erhöhung oder Erniedrigung eines 
Intervalles innerhalb eines Halbton-Schrittes, im Gegensatz zu der in der Harmo- 
nielehre Qblichen Bedeutung des Wortes zur Bezeichnung chromatisch-veränderter 
Töne. 



i 



Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen Dingen. 



367 



weil die Entfernung von dem Leitton bis zu dem Tone (7, der ihm 
schon im Sinne liegt, eine zu große sein würde, der Hörer aber wird 
nur dann von dieser harmonischen Fortschreitung befriedigt sein, 
wenn er einen erhöhten Leitton zu hören bekommt. 

Man kann jedoch auch zuweilen im Oberdominantakkord eine 
reine Terz zu hören bekommen, wenn dieser Akkord z. B. im Halb- 
schluB und also vorübergehend im Zustande der Buhe erscheint: 



i 



^ 



1^ 



i 



• 



J, 



» r nn 



p 



In melodischer Verwendung findet eine merkliche Alterirung des 
Terztones statt, größer oder kleiner, entsprechend dem Charakter 
des Tonstücks und der Ausdrucksfähigkeit des Ausführenden. 

Ich machte einen Versuch mit einer Klavierspielerin, einer sehr 
begabten musikalischen Dame, und hatte von vorn herein die Be- 
fürchtung, daß sie durch die jahrelangen Übungen auf ihrem im gleich- 
schwebend temperirten System gestimmten Instrument verwöhnt und 
beeinflußt sein könne. Dies war jedoch nicht im Geringsten der 
Fall. Ich spielte auf dem Harmonium die Töne G und Z>* und 
ließ sie dazu die große Terz singen; das h stimmte vollkommen mit 
der natürlichen Terz, ^, des Harmoniums überein. Auch bei Um- 
kehrungen und in erweiterten Lagen sang sie immer die natürliche große 
Terz. Dann machte ich den nämlichen Versuch mit einem vorzüglichen 
Violinspieler. Er spielte ebenfalls theoretisch reine Terzen und war 
darüber nicht einen Augenblick im Zweifel. Darauf ließ ich mir 
von Beiden, von einem gegebenen Grundton aus, die Durtonleitec 
vorsingen und -spielen. Um möglichst genaue Messungen anstellen 
zu können, hatte ich das Griffbrett der Violine in Grade eingetheilt ; 
es ließ sich selbstverständlich dadurch keine absolut genaue Messung 
erreichen, jedoch annähernd die Tonhöhe der Intervalle bestimmen. 
Es stellte sich nun unstreitig heraus, daß Beide, die Singende und 
der Spielende, ganz in gleichem Maße alterirte, keine theoretischen 
Terzen und Sexten hervorbrachten. Diese Intervalle waren ungefähr 



1 Ich schreibe die Quinttöne mit großen, die Terztöne mit kleinen Buch- 
staben; für die Erhöhung oder Erniedrigung um ein Komma gebrauche ich den 
üblichen Strich über, bez. unter dem Buchstaben. 

25* 



368 



Engelbert Köntgen, 



um die Hälfte eines Kommas höher als die entsprechenden 
Töne des Harmoniums. Der Leitton ^ wurde aber noch schärfer 
genommen und der Unterschied mit dem Ton des Harmoniums konnte 
ohne Weiteres auf ein Komma geschätzt werden. 

Einige Beispiele aus der Praxis mögen als Beweis dienen, daß 
in melodischer Verwendung in der That alterirte große Terzen und 
Sexten gespielt und gesungen werden. Im zweiten Satz des Beethoven- 
sehen Violinkonzertes: 



i 



-^- 



t 



n^ctii 




spielt Herr Professor Joachim keine natürlichen, sondern um ein 
halbes Komma erhöhte Terzen und Sexten (h und e). 
Im ersten Satz des Brahms'schen Konzertes: 



i 



I 



eT* 



Si'— r 



.£E i 



-I — ; 



t=t=t: 



t 



ebenfalls ein in gleicher Weise eihöhtes^« und h. 

Einige Takte aus der Bach'schen Matthäus-Passion sind mir 
besonders in der Erinnerung geblieben. Der ausgezeichnete Sänger 
Herr Messchaert singt in der Abendmahlseinsetzung: 




»=^ 



t 






Ich sa - ge euch : Ich wer - de von nun an nicht mehr . . . 

die Terzen bedeutend alterirt. 

In dem letzten Satz der Sinfonia eroica von Beethoven nimmt 
der erste Oboist im Leipziger Gewandhausorchester an dieser Stelle: 

Poco Andante. 

eine sehr hohe Terz, die nahe an die pytha- 
goreische {\ • f J) grenzt. 

Wenn nun zuweilen eingewendet wird, daß alle neueren Musiker 
durch die Klaviere an zu hohe Terzen gewöhnt sind, so muß ich 




* Über die 7. Stufe der Tonleiter siehe weiter unten. 



Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen Dingen. 



369 



dem entgegenhalten, daß, nach meiner Erfahrung, kein wirklich 
musikalisch begabter Mensch, weder durch die unabänderlich unreinen 
Intervalle des gleichschwebend temperirten Systems, noch durch 
irgend ein Anderes, sich beeinflussen läßt^ Unbewußt folgt er 
seinem natürlichen , musikalischen Empfinden , das ihm stets den 
rechten Weg zu der Intonation weist, die ihn selbst und zugleich 
den verständigen Hörer befriedigt. 

Einen schlagenden Beweis liefern die Beobachtungen, die ich 
an dem Gesänge der unteren Schichten des Volkes gemacht habe. 
Junge Männer und Mädchen, die nie irgend welche musikalische 
Bildung genossen, vielleicht nie oder nur höchst selten ein Klavier 
zu hören bekamen, singen ihre Melodien mit den nämlichen Terzen 
und Sexten, die ich von Joachim hörte. Ich führe nur einige 
Beispiele an. wie man sie täglich beobachten kann: 



X X 




pT7^ [ ]sjim 





II. 
Der Mollakkord. 

In auffallender Weise gehen hier Theorie und Praxis auseinander. 
Der theoretisch reine Mollakkord klingt in Folge der hohen kleinen 
Terz ziemlich herb und unangenehm und erweckt, wie etwa ein 
Durakkord mit pythagoreischer Terz, die Empfindung von Spannung 
und Unruhe. 

Obgleich bei einem Versuch auf dem Harmonium die Reinheit 
und der Wohlklang des Mollakkords durch die sehr deutlich hervor- 
tretenden Kombinationstöne beeinträchtigt werden, so giebt es doch 
in Vokal- und Instrumentalleistungen sehr viele Fälle, in welchen 

^ Es gehört zu den schwierigsten Aufgaben für einen Violinspieler, eine Ton- 
leiter in gleichschwebend temperirten Intervallen zu spielen. Mir ist es bis jetzt 
nicht gelungen, diese Aufgabe mit einiger Sicherheit zu lösen. 



370 Engelbert Röntgen, 



diese Töne sich dem Gehör entaiehen. Der Akkord behält aber 
trotzdem den oben beschriebenen Charakter. 

Auf dem Harmonium ist es vorzugsweise der tiefste Kombina- 
tionston, der, namentlich in höheren Akkordlagen, sehr stark her- 
vortritt: 



Primäre Töne 



Kombinations- 
töne I. Ordnung 



I 



k 



öt 




S 



^ r-g 



Diese Kombinationstöne, mögen sie nun mehr oder weniger 
deutlich gehört werden, stellen dem Mollakkord, nach meiner Ansicht 
gewissermaßen ein Ursprungsseugniß aus, in welchem der Grund für 
die Zweideutigkeit und Unklarheit des Akkords zu suchen ist. 

Ein weiteres Eingehen auf diesen Gegenstand gehört nicht 
hierher. 

Ich will jetzt versuchen durch Beispiele darzuthun, daß die in 
der Praxis gebräuchliche kleine Terz bedeutend von der theoretisch 
bestimmten abweicht. 



Ich ließ auf dem Harmonium die Töne im # aushalten und 




spielte dazu auf der Violine, anstatt der natürlichen kleinen Ten, 
nach und nach tiefere Terzen; die Messung auf dem graduirten 
Griffbrett der Violine ergab nun, daß der Akkord am ruhigsten 
klang mit einer Terz, die ungefähr um ein Komma tiefer als 
die natürliche war. 

Es ist nicht zu leugnen, daß der Akkord in dieser Abstimmung 
auf dem Harmonium, jedoch nur in höheren Lagen, ziemlich rauh 
klingt; aber der theoretisch reine Akkord klingt auf diesem Instru- 
ment, in höheren Lagen, ebenfalls schärfer und gespannter als in 
tieferen. 

Eine sehr günstige Gelegenheit zur Beobachtung des Akkords 
im ruhenden Zustande bietet sich in dem Terzett mit Chor aus dem 
ersten Akt des »Freischütz«: 



1 Die weißen und schwarzen Noten dienen zur Bezeiohnung fCtr Quint- und 
Terztöne. 



Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen Dingen. 



371 



Adagio, 



Tenor solo. 



^ 



^ 



i9- 



^m 



1 1 « 



Wff^ 



?i 



t 




P^=i- 



■^^ 



Der Chor singt den Grundton und die Quinte und allein der 
Solotenor singt die kleine Terz; man hört also den Akkord in die- 



i 



ser Lage: < 



^ 



^ 



-^■ 



321 



31 



In vielen Aufführungen dieser Oper habe ich die Beobachtung 
gemacht, daß jeder Tenorist eine tiefe kleine Terz singt, und daß 
die Klangwirkung des Akkords eine höchst befriedigende ist. — 

In melodischer Fortschreitung werden ebenfalls nur erniedrigte 
Terzen und Sexten intonirt, und man kann die Größe der Alterirung, 
unter Vorbehalt der erwähnten Schwankungen, auf \ • ff schätzen. 
Es sind also um ein Komma erniedrigte natürliche kleine Terzen. 

Man spiele auf dem Harmonium die Tonfolge: 




und jeder, sogar derjenige, der »auf des Meisters Worte schwört«, 
wird eingestehen müssen, daß eine solche melodische Fortschreitung 
unleidlich verstimmt klingt. Es ist eine unwiderlegliche Thatsache, 
daß allgemein c und f, nicht C und F gespielt und gesungen wird. 
In der ersten Strophe der Choralmelodie: 




singt man in amoU nicht (7, sondern c. 

Im zweiten Satz des Cdur- Streichquartetts von Beethoven: 






5 




pg 



^ 




^ 



-r-n spielt der Violinspieler 



372 



Engelbert Röntgen, 



in a moll nicht C und F, sondern c und /; ebenfalls in dem Adagio 
der Sinfonia eroica von Beethoven: 



r^ Ru /jpü^ 




in cmoll nicht Es, sondern es. 

Ich hörte von der Sängerin Fräulein Leisinger, deren Gesang 
sich durch große Reinheit der Intonation und Schönheit des Vortrags 
auszeichnet, ein Lied von Schubert : »Auf dem Wasser zu singen». 
Das Lied hat ^«dur-Yorzeichnung, fängt aber in Moll an: 




Mit-ten. im Schimmer der spie-geln- den Wellen . . . 




Sie sang keine natürlichen, sondern um ein Komma erniedrigte Terzen. 
In den Anfangstakten der Arie mit Solovioline in der B ach- 
schen Matthäus-Passion: 




spiele ich in Amol! d und ff\ die Theorie aber verlangt D und G. 
Ich bin fest überzeugt, daß der unbefangene Hörer in allen den 
bisher angeführten Fällen das Spiel und den Gesang der Künstler 
als unrein bezeichnen würde, wenn dieselben, anstatt der alterirten 
Intervalle, theoretisch reine spielen oder singen würden. 



III. 
Der Dominantseptimenakkord. 

Ich habe oft in Wort und Schrift die Bemerkung gehört, daß 
dieser Akkord in Folge der zu hohen Septime unangenehm und hart 
klingt. Als praktischer Musiker möchte ich dem entgegenhalten, 
daß mir der Akkord in dieser Gestalt ebenfalls nicht behagt, daß 



Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen Dingen. 373 

aber nicht die zu hohe Septime» sondern der füi mein Gefühl zu 
tiefe Leitton daran Schuld ist. Ich verlange, mit Hinblick auf seine 
Auflösung, einen kräftig dissonirenden Akkord, einen Akkord, dessen 
strebender Charakter scharf ausgeprägt ist, und dies kann nur durch 
einen erhöhten Leitton erreicht werden. 

Man kann allerdings den Akkord G — h — D — i^ viel milder machen, 
wenn man die theoretische Septime um ein Komma erniedrigt und 
in y verwandelt ^ Hierdurch werden dann nicht allein die verhält- 
niBmäßig milde Septime G — F^ sondern zugleich die ziemlich rauhen 
Dissonanzen h — F und D — F erheblich gemildert. Dieser Akkord 
steht aber an der Grenze der konsonirenden Akkorde und hat kaum 
noch den Charakter einer Dissonanz. Für die Praxis ist der Akkord 
nur von untergeordneter Bedeutung. 

Ich ließ auf dem Harmonium einen reinen 6rdur* Akkord aus- 
halten und spielte dazu auf der Violine abwechselnd die verschiede- 
nen Septimen. Für den isolirten Akkord war das / entschieden 
wohllautender als -F, jedoch waren die anwesenden Musiker mit mir 
einverstanden, daß der Akkord G — h — D — f in Folge der zu großen 
Weichheit nicht befriedigte, dagegen mit einer um ein halbes 
Komma erniedrigten theoretischen Septime eine bessere Wirkung 
machte. Aber der auflösende Akkord, den ich dann folgen ließ, be- 
wies unwiderleglich, daß der Akkord G — h — D—f als strebender 
Akkord für die Praxis unbrauchbar ist. Man entschied sich ein- 
stimmig für den Dominantseptimenakkord G — H — D—F, 

Hieraus geht hervor, daß, streng genommen, von der absoluten 
Klangwirkung eines isolirten Akkords nicht die Bede sein kann, 
denn Dissonanz und Auflösung ist eine veränderliche, sich gegen- 
seitig bedingende Erscheinung. Erst der auflösende Akkord recht- 
fertigt und bedingt die Spannung des dissonirenden Akkords, und 
das spannungsbedürftige Intervall ist stets der Leitton, der das 
Bestreben hat, sich eng an den Auflösungston anzuschließen. 
Der Leitton ist das hervorleuchtende Intervall des Akkords und 
stellt die abwärts fortschreitende Septime gewissermaßen in den 
Schatten, so daß die größere oder geringere Entfernung der Septime 
von ihrem Auflösungston, im Zusammenklang des Akkords, weniger 
ins Gewicht fallt. — 

In melodischer Beziehung wird die vierte Stufe der Tonleiter, 
sei es als Septime im Dominantakkord oder als Durchgangsnote, stets 



1 Die Septime / grenzt nahe an die natürliche Septime, ^, doch ist jene noch 
am das Interrall |{^ größer als die natürliche Septime, der siebente Fartialton des 
6r-Klange8. 



374 Engelbert Röntgen, 



im natürlichen Zustande verwendet. Wenn das Intervall um einen 
halben Ton abwärts fortschreitet, so ergiebt sich die hier erwünschte 
Annäherung an den tieferen Ton aus der bereits oben erwähnten 
Erhöhung des letzteren. 

IV. 

Die siebente Stufe der Dur- und Molltonleiter. 

Dieses Intervall ist von besonderer Bedeutung für diese Unter- 
suchungen, in sofern die in der Praxis stattfindende Alterirung des- 
selben sich auf alle Akkorde erstreckt, in welchen dieser Ton als 
Leitton oder im Charakter eines solchen vorhanden ist. Es sind dies, 
außer der Oberdominante und dem Dominantseptimenakkord, der 
verminderte Dreiklang, der übermäßige Dreiklang, der verminderte 
Septimenakkord und sämmtliche Akkordgebilde, welche übergreifende 
oder chromatisch- veränderte Töne enthalten*. 

Wir sahen bereits, daß dieses Intervall als Terz der Oberdominante 
und des Dominantseptimenakkords in der Praxis einer Erhöhung 
bedurfte, um sich eng an den Auflösungston anschließen zu können. 
Da nun das Intervall, welches den natürlichen Leitton von seiner 
Auflösung trennt, stets einen großen Halbton, -j-f , beträgt, und jeder 
musikalische Mensch die Empfindung hat, daß diese Entfernung zu 
groß und unnatürlich ist, so wird der Leitton in der Praxis stets um 
etwa ein Komma erhöht, wodurch der Halbton von ^ auf einen 
kleineren von f^ • f ^ = f$ (annähernd) herabgeht. 

In sämmtlichen hier beispielsweise angeführten Akkordverbin- 
dungen ^ klingen die dissonirenden Akkorde in ihrer regelmäßigen 
Fortschreitung auf einem in reinen Intervallen gestimmten Harmonium 
unbefriedigend, bald zu weich, bald zu hart. Durch die Alterirung 
des Leittons, wie dies in der Praxis in der That der Fall ist, werden 
die mit x bezeichneten Akkorde den musikalischen Anforderungen in 
befriedigender Weise angepaßt. 

In der Theorie. In der Praxis. 
X - ^ X 



In Cdur /^ i g (^ T=SL 




^ H. Yon Herzogenberg, Tonalität (Vierteljahrsschrift f. Musikwissensch. 
Jahrg. 1890). 

2 Die um ein Komma erhöhten Quinttöne werden durch eine größere weiße 
Note, die um ein Komma erniedrigten Terztöne durch eine durchstrichene 
schwarze Note bezeichnet. 



EiniKes über llieorie und Praxis in musikalischen Dinaren. 



375 



In amoll 





In amoll 





Der reine yerminderte Septimen akkord ist eine Dissonanz, die, 
wie Helmholtz sagt, »fast an die Grenze des Uneiträglichen stieifta. 
Dies mag wohl der Grund sein, warum man diesen Akkord in der 
Praxis nie in der theoretisch reinen Zusammenstellung hört. 

In der Bach'schen Matthäus-Passion würde das bekannte 




Ba - rab-bam I 



theoretisch folgende Intervalle enthalten: 



stets 





gesungen. 



; es wird aber 



In dem Becitativ zu der Arie der Gräfin »£ Susanna non yien?« 

X. vioi. 

(Figaro's Hochzeit) findet sich Folgendes: 



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lt^=4=fl 



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Sämmtliche Geiger in unserm Leipziger Orchester intoniren 
j r j nicht w Tt w*^-^^^^^ . Ich würde wohl schwerlich Glauben 




finden, wenn ich ihnen sagen wollte, daß sie Alle (theoretisch!) un- 
rein spielen. 



376 Engelbert Röntgen, 



Übergreifende und chromatisch-veränderte Töne. 
In der Theorie. In der Praxis. 



In Cdur 





,„ »„u. is ^ ^V r i hv ^=ti 



gp ^tf> — ^ — 1 — ^T"-^^ ^^. -| — 

Es erklärt sich hierdurch, weshalb der SäDger und der Spieler 
Halbtöne intoniren, die von den theoretischen verschieden sind. Ein 
Blick auf die letzten Beispiele wird dies veranschaulichen. In der 
Theorie sind die Halbtöne F-ßs^^ D-dis, e-eis und e-JEs (links) 
kleiner als die in der Praxis gebräuchlichen (rechts). Jeder Sänger 
und Spieler intonirt F-Fis^ D-dis^ e-eis und e-Es. Hingegen sind 
die Halbtöne ^5-G 2, dis-e , eis-ßs und Es-D (links) größer als in 
der Praxis; hier wird jFVs-G, dis-e, eis-ßs und J&ä-Z) (rechts' intonirt. 
Der Unterschied beträgt jedesmal ein Komma. 

In dem übermäßigen Quintsextakkord (vorletztes Beispiel) findet 
man einen anschaulichen Beweis für die oben gemachte Bemerkung, 
daß Dissonanz und Auflösung in innerstem Zusammenhang stehen 
und daß in Folge dessen der dissonirende Akkord an und für sich 
keinen bestimmten Charakter haben kann. Ich spielte auf dem 

Harmonium folgende Akkordfolge: yp ^ — ^ g ö^ . Der dritte 

Akkord wurde in Folge der hohen kleinen Septime als hart und 
unangenehm bezeichnet. Dann spielte ich ? m^ tf j t f ^ ^ ^^ \ - » 



wohlverstanden, mit der alterirten übermäßigen Sexte (eis anstatt««). 
Hier wurde die Klangwirkung des dritten Akkords j> vollständig be- 






Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen Dingen. 



377 



friedigenda genannt. Nun enthalten aber beide Akkorde. G-h-D-^F 
und G'h-D-eis die nämlichen Bestandtheile, denn eis ist nur um das 
Intervall |f^ höher als jF und kann folglich diesem Tone gleich 
gestellt werden. Wir sehen daraus, daß in diesem Falle der disso- 
nirende Akkord zwei verschiedene Klangwirkungen hervorbringt 
und daß diese Verschiedenheit nur auf dem Prozeß der Auflösung 
beruht. — 

Man könnte nun glauben, daß die Alteiirung der 7. Stufe nur 
durch das Bestreben, sich eng an den Auflösungston anzuschließen, 
hervorgerufen wird. Indessen ist das nicht der Fall, denn es lassen 
sich durch Beispiele aus der Praxis Beweise dafür beibringen, daß, 
so paradox es scheinen mag, dieses Intervall, sowohl in harmonischer 
als in melodischer Verwendung, in abwärts gewendeter Richtung als 
durchgehende Septime oder als Vorhalt, in gleicher Weise erhöht 
wird wie der aufsteigende Leitton. Im Zusammenklang eines Akkords 
entsteht hierdurch eine sehr scharfe, aber für das musikalische Ge- 
fühl durchaus unentbehrliche Dissonanz. Durch ein Experiment auf 
dem Harmonium kann man sich auch in diesem Falle von der Un- 
zulänglichkeit des reinen Intervalls überzeugen. 



Arie mit Chor »O Isis und Osiris« (Zauberflöte}. Chor der Priester. 

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Nehmt sie in eu - ren Wohnsitz auf. 



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Wohnsitz auf. 

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Alle Sänger und Spieler nehmen hier unbewußt eine sehr hohe 
durchgehende Septime. Wie ausdrucksvoll klingt das £, wie matt 
und verstimmt würde dagegen das theoretische Intervall klingen! 



378 



Engelbert Böntgen, 



Im Österreichischen Volkslied, mag man es vom Volke gesungen 
oder wie und wo sonst hören, wird an dieser Stelle 




immer Fis, nicht ^ä gesungen. 

Ich hörte einmal von einem ausgeaeichneten Violinspieler ein 

Konzert in Ddur von Mozart spielen, der zweite Satz. Andante 

Viol.solo. 



cantabile, fangt an: 



tfi-^rr i tM-na s 



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Im ersten Takt spielte derselbe eine sehr hohe durchgehende Septime. 
Der zweite und vierte Takt führen uns schließlich zu der Be- 
trachtung der: 



V. 
Wechselnoten. 

Wir haben es hier mit denjenigen Wechselnoten zu thun, die 
als Halbton tmterhalb der harmonischen Note, entweder als melodisch 
vorbereitete oder frei eintretende Töne auftreten. Unter »melodisch 
vorbereitet« verstehe ich eine Wechselnote, die von einer harmonischen 
Note ausgeht und zu derselben zurückkehrt. In beiden Fällen sind 
diese Intervalle als leitereigene, übergreifende oder chromatisch-ver- 
änderte Töne zu betrachten; ihre Entfernung von der harmonischen 
Note beträgt daher stets einen theoretischen großen Halbton, -j-f . 

Wohl nirgends ist das Bedürfniß nach Erhöhung in der Praxis 
dringender als bei dieser Wechselnote; in unzähligen Fällen habe 
ich diese Beobachtung gemacht. 

In dem zweiten und vierten Takt des vorhin besprochenen Bei- 
spiels wird anstatt dis-E und his-cis^ Dis-E und his-cis gespielt. 

Ich erinnere femer an »f/e, Eli^ latnay lama asabthanid aus der 
Matthäus-Passion : 



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L,j' 84^-1 



la^ma a - sab^tha-nil 



hast du mich ver-las-Benl 



Einiges über Theorie und Praxis in musikalischen Dingen. 



379 



Beide, der Bassist und der Tenorist^ singen eine äußerst scharfe 
Wechselnote. 

In dem Terzett aus der AZauberflöte^c »Seid uns zum zweiten mal 
willkommen« enthält die erste Violine in der Begleitung durchweg 
fast nur Wechselnoten: 




j.T II J^ < >g j 



Hier werden ebenfalls anstatt der theoretischen, nur kleine Halbtöne, 
H» gespielt. 

In der Cdur-Messe von Beethoven, im ersten Satz, zu den 
Worten »miserere nobisu heißt die Orchesterbegleitung: 



Oboe. 



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350 Engelbert Röntgen, Einiges über Theorie und Praxis in musikal. Dingen. 



In einer Aufführung dieses Werkes wurde ich überrascht durch 
die genaue Übereinstimmung der beiden Bläser (Oboe und Fagott). 
Vollständig unbewußt und ohne sich irgendwie gegenseitig darüber 
verständigt zu haben, spielten sie Beide den bewußten Ton in ganz 
gleicher Alterirung. Das äußerst scharfe Fis war von ergreifender 
Wirkung. 

Was diese Künstler einmüthig zu solcher Ausdrucksweise bewegt, 
kann nur » innigste Empfindung« genannt werden. Für diese lassen 
sich aber weder Maße noch Zahlen finden. 



Ein Weümachts-Gesang des Heinrich Baryphonus. 

Mitgetheilt Ton 

PUUpp Spltta. 



■ • 

Über Familie, Leben und Wirken des Baryphonus haben die in 
dieser Zeitschrift veröffentlichten Forschungen von Eduard Jacobs 
Licht verbreitet. Eine Würdigung seiner Verdienste als Theoretiker 
hat Hermann Gehrmann gegeben (ebenhier, Jahrg. 1891, S; 479 f.). 
Von seinen Compositionen war bisher nichts bekannt; da aber un- 
längst eine solche zum Vorschein gekommen ist, erscheint es geboten, 
daß wir von ihr Notiz nehmen und den begabten Mann nunmehr 
auch als Tonsetzer betrachten. Die Composition befindet sich auf 
der Stadtbibliothek zu Hamburg und bildet jetzt einen Bestandtheil 
eines Sammelbandes (Realkatalog ND. VI. Nr. 990). Der Titel ist: 
r^Meloa Genethliacvm \ Oder | Weihenacht Gesang | Mit 6. Stimmen 
gesatzt, vnd dem | Newgebomen Jesulein aus schuldiger Danck- | bar- 
keit zur Newen Jahrs Ga- | be verehret | Von | Henrico Baryphono 
Wemi- I gerodano Cherusco der Quedelburgischen | Schulen Musico. \ 
O lesu MIserICorDIa, \ Gedruckt zu Magdeburgk, Im Jahr, 1609 c. 
Als Jahreszahl stand ursprünglich 1608 gedruckt, was handschriftlich 
in 1609 geändert ist. Das Chronostichon stimmt aber weder mit 
dieser noch jener; es ergiebt nur MDCIIII (1604). Herr Archivrath 
Jacobs in Wernigerode, dem ich die Bekanntschaft mit der Compo- 
sition überhaupt verdanke, vermuthet, der Drucker habe aus Ver- 
sehen unterlassen, das u in lesu groß zu drucken [leaV), Dann 
^vürde die Zahl MDCVIKI (1609) herauskommen. Den Titel um- 
giebt eine breite, mit sinnbildlichen Gestalten reich ausgestattete 
Randverzierung; in der oberen Leiste liest man die von einem Kranz 
umgebenen Worte des 65. Psalms: Benedices coronae anni benignitatis 
iuae. Es sind im Ganzen sechs Stimmenblätter in Kleinquart; der 
Titel steht auf der Vorderseite der Bass-Stimme. Von besonderem 
Interesse ist, daß das Exemplar Worte in des Componisten eigner 
Handschrift trägt. Zwischen den beiden letzten Zeilen hat er 

1893. 26 



382 Pl^PP Spitta, 



eingeschiieben (ich löse die Abkürzungen auf) : Amplissimo et consul- 
tissimo Domino Matthiae Lutrodio illustrium Comttum Stolobergensium 
quaestori ßdelissimo dono dat autor, Lutrodius ist, wie mich Herr 
Archivrath Jacobs belehrt, Lutterott; eine Familie dieses Namens war 
in Wernigerode zwischen 1515 und 1665 ansässig, der obige Matthias 
Lutterott bekleidete das Amt eines gräflichen Amtschössers von 1601 
bis 1616. Des Baryphonus eigne Hand macht sich auch in mehr- 
fachen Correcturen des Notentextes bemerklich. ' Nicht autograph 
ist aber eine Notiz auf der inneren Seite der Bass-Stimme: «Ist ab- 
gesetzt in Lit: C, No, 50«. d Absetzen a heißt in dieser Zeit »in 
deutsche Tabulatur bring,en« zum Zweck der Begleitung auf der 
Orgel. Sammlungen solcher arrangirter Gesangstücke sind ziemlich 
zahlreich erhalten, und eine derartige ist mit Littera C offenbar 
gemeint. 

In der Fassung des Titels läBt sich ein unschuldiger Humor 
nicht verkennen. Kirchen- und Schulbeamte pflegten zu Neujähr 
ihren Vorgesetzten und Gönnern zu gratuliren und rechneten dabei 
auf eine klingende Gegenleistung. Baryphonus, der in äußerst be- 
,scheidenen Verhältnissen lebte, wendet sich in den üblichen Rede- 
formen gleich an das Christkind selbst. Daß er für sein Geschenk 
auf Erkenntlichkeit hofft, ist mit anmuthiger Laune in dem Beisatz: 
O Jesu^ Misericordia angedeutet. Wie weit das Christkind Mitleiden 
mit dem armen Cantor bewiesen hat, wissen wir nicht. Jedenfalls 
hat dieser es für angezeigt gehalten, auch noch einen irdischen Gön- 
ner mit seinem Gesänge anzugehen. Das wird eben zu Neujahr 
1609 geschehen sein, während das Stück für das vorhergehende 
Weihnachtsfest componirt und an ihm zuerst aufgeführt sein dürfte. 
So erklärt sich, warum auf dem Titel 1 608 gedruckt und (vom Ver- 
fasser] in 1609 geändert worden ist. 



Ein Weihnaelitt-Geuing des Heinrieh Baryphonus. 



383 



Melos genethliacum. 




Ein Engel schonyons Hirn*. 



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384 



Philipp SpitU, 



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^ bei derNachtdies froh, lieh Bot.schaft bracht: Freu.eteuch, freu, et 



Ein Weihnaehto-Gesaiig des Heinridh BaiyphonoB. 



385 




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im Krip.pe.lein, zu 



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fröh- 



.lieh all, froh 



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all. 



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froh 



lieh 



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all, froh . 



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froh . lieh all, , froh . lieh all. 



fröh- 



.lich aU, froh . 




.lieh all, froh 

i 




aU, froh. 



. lieh all, froh . 




^ 




lieh, froh. 




lieh all, da SS ea 



lieh, froh . lieh aU,dass es, 

i r 't r- 



.lieh, dass es er. 




fröh-lirh all. 



fröh.lich all, dass es 



in WeOmsehts-GeBang des Heinrieh Baryphonus. 



389 





■diallfdass es erschall, dass 



es 



er . schall. 



,dass es erschall, dass es er . sdiall, dass es erschall. 




schall. 



I4-^-^ 



^^ 



3£ 



3i: 



5 



schall, dass es erschall, dass es 



er. 



. schall 



1^ 

I schall 




' t i it ' f 



dass es erschall, dass es 



m 



er. 



.schall. 



390 P*»iliPP Spitta, 



Der Originaldruck enthält einige Fehler. S. 385, System 2 lauteten 
die Noten für die beiden Abschnitte des Cantus II anfänglich so: 



^m 



c -— j — p f» r - / 



I Mi 



t 



Hernach sind die Köpfe der ersten beiden Noten mittelst Tinte ge- 
füllt worden und die Cauda der fünften Note ist gestrichen. Nun 
aber will sich der Text nicht recht unterfiigen; es ginge nur so: 




freu-eteuch 



aber daß nach vorhergehender Fusa auf die erste Note dieser Ton- 
reihe eine Silbe hat gelegt werden sollen, ist wenig wahrscheinlich. 
Ich habe deshalb die beiden Semimmtmae in eine Minima zusammen- 
gezogen. S. 387, Syst. 2, Abschn. 2 ist der ersten Note des Altus 
handschriftlich, und sicherlich vom Componisten selbst, das 4| vor- 
gesetzt: eine sehr willkommene Correctur, da sonst auch f nicht 
unmöglich wäre. Die Textworte »fröhlich all« werden vom Tenor I 
im Originaldruck überhaupt nicht gebracht; er hat immer nur »singet 
feiner zu singen. Dies ist gewiß ein Druckversehen und ich habe 
demgemäß von S. 387, Syst. 3, Abschn. 1 an geändert. 

Nicht zu den Fehlern, aber zu den ünbehiilflichkeiten des Drucks 

gehört es, daß bei den Semifusae {^) die beiden Fähnchen stets 
handschriftlich haben hergestellt werden müssen. Auch Virgulae 
(Bindebogen) scheint der Setzer nicht haben leisten zu können: so- 
wohl S. 383, Syst. 2—3, als S. 384, Syst. 1, Abschn. 2—3 steht die 
anzubindende kürzere Note einfach neben der längeren, ohne irgend 
ein Zeichen ihrer Beziehung zueinander, und doch ist die Aus- 
führung nicht anders denkbar, als so wie sie in der Partitur ge- 
geben ist. 

Der Tripel- Rhythmus auf S. 384 ist im Originaldruck nur durch 
Schwärzung ausgedrückt, ohne Anwendung eines neuen Mensurzeichens. 
Das Verhältniß ist dies, daß drei Minimae jetzt denselben Zeitwerth 
haben, wie vorher zwei. Das Maß ist also dasjenige unserer Triole, 
konnte aber in der Partitur bequemer durch Vorzeichnung der Pro- 
portion \ angezeigt werden. Das Notirungsmittel der Ligatur kommt 
im Original nur an einer Stelle vor, S. 386, Syst. 1, Abschn. 2 — 3 im 



Ein Weihnachts-Gesang des Heinrich Baryphonus. 391 



Tenor I, und hier in Verbindung mit der Imperfection : -^ — t* ♦ 



was im 17. Jahihundert bald selten zu werden anfängt. Die Acci- 
dentien gelten in der Partitur für den ganzen Abschnitt, in dem sie 
vorkommen; i und t? heben sich gegenseitig auf. Die übergeschrie- 
benen Accidentien stehen nicht im Original, auch die Abtheilungs- 
striche sind natürlich von mir hinzugesetzt. Eigenthümlich ist hier 
und da der Punkt verwendet, nicht zur Augmentation oder Alteration, 
sondern wie ein Punctum divisionisj besser noch Punctum demonstra- 
tionis nach der Art, wie sie Philipp von Vitry beschreibt. Der Punkt 
findet sich zwischen Text und Liniensystem an gewissen Stellen, die 
der Aufmerksamkeit der Sänger besonders empfohlen sein sollen. 
So S. 383 zwischen Abschnitt 4 und 5 in allen vier oberen Stimmen, 
wie um darauf vorzubereiten, daß nunmehr auch die beiden tiefsten 
Stimmen hinzutreten; ferner vor dem Beginn der Tripelmensur in 
allen sechs Stimmen und beim Wiedereintritt des Tempus imper- 
fectum diminutum in allen Stimmen außer der des Basses, wo er 
aber wohl nur aus Versehen fehlt. Auf S. 384, Syst. 2 zu 3 steht 
der Punkt in den drei oberen Stimmen, während er sich im Tenor 1 
schon Syst. 2, Abschnitt 3 vor der ersten Note der wiedereintretenden 
Stimme findet, und in den beiden tiefsten Stimmen überhaupt fehlt. 
Hier ist wohl durch Schuld des Setzers die Absicht des Componisten 
gestört: wahrscheinlich sollte der Punkt in allen Stimmen dort stehen, 
wo der Satz sechsstimmig wird. Bei einer Notirungsart, die unserer 
Taktstriche entbehrt, war ein solches Mittel, durch das die Sänger 
sich bei gewissen Stellen immer leicht zusammenfinden konnten, so- 
wohl für Einübung wie Aufführung von Werth. In einzelnen Stimmen 
ist der Demonstrations-Punkt noch angewendet: S. 385, Syst. 2, Ab- 
schnitt 1 vor der ersten Note der Bass-Stimme, S. 387, Syst. 2, Ab- 
schnitt 2 unter der vorletzten Note der Alt-Stimme ; im letzteren Fall 
ist sein Zweck nicht recht ersichtlich und vielleicht steht er da nicht 
an richtiger Stelle. 

Der Text gehört zur Gattung jener zahlreichen kleinen Weih- 
nachtslieder, die in lateinischer und deutscher Sprache die Vorgänge 
in der Christnacht kurz andeutend verfolgen : die Herniederkunft des 
Engels, die Verkündigung der Geburt, den Gesang der Hirten an 
der Krippe. Die Phraseologie und Keimart dieser Lieder ist, bei 
kleinen Abweichungen im Einzelnen, im Ganzen immer ziemlich 
gleich. Ob der von Baryphonus componirte Text auch sonst noch 
vorkommt, weiß ich nicht ; es ist sehr wohl möglich, daß er ihn sich 
in dieser Form selbst zusammengestellt hat. Das Wort »sausen« 
(= sich in Schlaf singen lassen) gehört ebenfalls zu dem sprachlichen 



392 Plulipp Spitta, Eiu Weihnachts-Oesang des Heinrich Baiyphonus. 

Gemeingut dieser Lieder. In der schönsten und ausführlichsten 
Eatwicklung des Stoffes , in Luther's »Vom BLimmel hoch da komm 
ich her«, soll «das rechte Susannine« (Wiegenliedchen] gesungen 
werden. 

Die CompositioD, welche Baryphonus mit 27 Jahren schrieb, 
zeugt — bei einigen Freiheiten in der Stimmführung — im allge- 
meinen von bedeutender contrapunctischer Gewandtheit, von Sinn 
für wirksame Gruppirung und Wohlklang und von lebendiger musi- 
kalischer Empfindung. 



Die Privatkapellen des Herzogs von Alba. 

Von 

Carl Krebiä. 



Die Herzogin Ton Berwick und Alba hat im Jahre 1891 eine 
Anzahl von Dokumenten aus den Archiven der Albas veröffentlicht \ 
Es befindet sich Einiges darin, was auch für die Musikgeschichte 
Interesse hat, und da die Originalpublikation nicht im Buchhandel 
erschienen, also jedenfalls schwer zugänglich ist, so mag das auf 
die Musik bezügliche hier mitgetheilt werden. Es handelt sich um 
zwei Mitgliederlisten der Privatkapellen des Herzogs Alba, die eine 
aus Neapel, die andere aus Brüssel. Beide Listen sind zugleich 
Zahlungsanweisungen des Herzogs resp. der Herzogin und Gehalts- 
quittungen der Angestellten. Es finden sich dort ferner — und das 
ist von besonderem Werth — zwei Hymnen des Kapellmeisters 
Du Hotz abgedruckt, die Domenico Scarlatti in Partitur gesetzt hat, 
nebst einem Brief Scarlatti's an einen Herzog von Alba, einen Nach- 
kommen des Don Fernando Alvarez von Toledo. 

Das erste Dokument aus Neapel lautet ^: 

»Mein Diener Juan Lopez^ ich befehle euch, 
daß ihr von dem Geld eures Etats an meine 
Kapellsänger das für den verflossenen Februar 
fällige Gehalt auszahlt, jedem wie es hier unten 
festgesetzt ist, folgendermaßen: 

An Diego Ortiz, Kapellmeister, 16 Ducados 
6 Carlines und 6 Granos 6 d.' 6 c^ 6 gr." 

Diego Ortiz, (Autograph wie die folgen- 
den Namen). 
An Francisco de Xaca 1 Ducado 1. 

Fran,^^ de Jacca. 



^ Documentos escogidos del Archivo de la Casa de Alba. Los pubUea la Dtp- 
quesa de Berwiek y Alba, Condesa de Siruela. Madrid 1891. 

^ Die Originale aller hier wiedergegebenen Dokumente sind spanisch abgefaßt, 
nur der Brief Scarlatti's ist in italienischer Sprache geschrieben. 



394 ^^^^ Krebs, 



An Francisco de Bustamante 4 Ducados 4. 

Fran.^^ de Bustamante. 
An Francisco de Loscos 4 Ducados 1 Carlin 
und 5 Granos 4. 1. 5. 

An Pedro de Talavera 2 Ducados 2. 

Diego Ortiz, 
An Peramato, 6 Ducados 6. 

Peramato, 
An Francisco Cortes, 2 Ducados 2. 

Fran,^^ de Cortes. 
An Francisco Cornelio, 1 Ducado 1. 

Cornelio Francot. 
An Carrasco, 8 Ducados 3 Carlinos 3 Granos 8. 3. 3. 

Hieronymo Car,^^ 
An Paulo Giraldo, 4 Ducados 4. 

Paulo Oeräldo. 
An Cornelio Celso, 8 Ducados 3 Carlines 
3 Granos Cornelio Zelso 8. 3. 3. 

An Perianez, 3 Ducados 3. 

Piafiez (!) 
An Francisco Salinas, Organisten, 4 Ducados 4. 
und an Emando, Sopran, 3 Ducados für einen 3. 
Monat Diego Ortiz. ' 



6ü- 4. 7. 
Für den Senor Fran.^® de Salinas 

Grauiel Olivier. 
Die Summe die ihr besagter Juan Lopez an 
die besagten Sänger meiner Kapelle für den be- 
sagten Monat Februar zu zahlen habt, belauft 
sich also auf 69 Ducados, 4 Carlines und 7 Granos, 
deren Empfang durch Unterschrift zu bescheinigen 
ist etc.i 

Gegeben in Neapel am ... . 1558 ^ 

Die Herzogin, Marquise.ff 

Auf der Rückseite: Rechnung vom Februar 1558. Kapelle, 
69 Ducados, 4 Carlines 7 Granos. 

Es scheint, daß Herzog Alba sich die Kapelle nicht für seinen 
persönlichen Bedarf zusammengestellt hat, sondern daß sie überhaupt 
zum Hofhalt des Vicekönigs von Neapel gehörte, wenigstens wird 
Ortiz schon in dem Privileg des Papstes Julius HI., das dem 

1 Brüche ün Papier haben hier Auslassungen zur Folge gehabt. 



Die Piivatkapellen des Herzogs von Alba. 395 

i^Tratiado de glosas sobre Clausulds 1563«, voransteht, %Proregi8 Na- 
politan. Capelle Magistet^t genannt. Über die Funktionen der ein- 
zelnen Mitglieder habe ich nichts ermitteln können; hier wird nur 
•Emando als Sopran, Salinas als Organist und Ortiz als Kapellmeister 
genannt. Francesco Bustamante und Peramato müssen Sänger gewesen 
sein, denn sie traten später in die sixtinische Kapelle ein, wie aus 
Adami da Bolsena's Verzeichuiß hervorgeht ^ Beide werden auch von 
Arteaga unter den Spaniern angeführt, die sich um die Pflege der 
Musik in Italien Verdienste erworben habend. Daß Salinas Angestellter 
der viceköniglichen Kapelle war, ist bisher nicht bekannt gewesen und 
bietet einen kleinen Beitrag zu seiner Biographie. Aus der Vorrede zu 
seinem Werk nDe Musica libri VII, 1577 v, dem wir alle Nachrichten 
über sein Leben verdanken, geht nur hervor, daß er mit einem Vice- 
könig von Neapel — wohl dem Herzog Ferdinand von Gonzaga — eng 
befreundet war und durch seinen Tod schwer betrübt wurde. Auffallen 
muß für einen Mann von seiner Bedeutung ein so geringes monat- 
liches Gehalt, denn 4 Ducados betragen nach unserem Gelde noch nicht 
ganz 14 Mark (1 Ducado = 3,441 Mk.; l Carlino = 0,344 Mk.; 
1 Grano = 4,25 Pf.). Hingegen erscheint die Besoldung von Ortiz 
ganz stattlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Lassus in München 
400 Gulden jährlich bezog, also nicht wesentlich mehr. 

Die zweite Liste aus Brüssel hat folgenden Wortlaut: 

Goncalo Cano, mein Schatzmeister, zahlt von dem Geld 
eures Etats an die unten Genannten, die in meiner Kapelle 
bedienstet sind, dreitausend siebenhundert vierundachtzig 
Escudos und zwei Placas, jeden Escudo zu vierzig Placas, die 
sie als Besoldung für 23 Monate zu bekommen haben, vom 
1. Januar 1572 bis zum 30. November 1573. 

An Pedro de Hotz, Kapellmeister, als Besoldung vom 
1. Januar 1572 bis 30. November 1573, also für 699 Tage, 
den Tag 14 Placas, zusammen neuntausend siebenhundert 
sechsundachtzig Placas 9786. 

Er hat ferner zu bekommen für sechs Knaben, die er 
zur Bedienung der Kapelle hält, fünf Placas ^ fiir jeden täg- 
lich, während derselben Zeit, zusammen zwanzigtausend 
neunhundert siebzig Placas 20970. 



^ Osservazioni per ben regolare ü Coro deUa Capeüa Pontißcia, 1711. S. 166 u. 167. 

2 Le JRipobizioni del Tealro mtuicale iialiano. 1785. I, S. 205. 

3 In einer Gehaltsrechnung der herzoglichen Kapelle, die Pierre du Hotz 
1576 einreicht, ist der tägliche Zuschuß für jeden Knaben nur mit 4 Placas an- 
gesetzt, »e« qtC est bien peu« wie Du Hotz freimüthig dazu bemerkt Vander 
Straeten, La-Mtmque aux Paye-Bas B. UI, S. 320. 



396 ^^'^ Krebs, 



Er hat feiner zu bekommen für Schuhe^ Strümpfe und 
andere Kleinigkeiten der besagten Knaben drei Escudos 
monatlich, zusammen für die besagten 23 Monate zwei- 
tausend siebenhundert sechzig Placas 2760. 

Ich, Pedro de Hotz, bescheinige hiermit, von dem Schatz- 
meister Gon^alo Cano die besagten dreiunddieißigtausend 
fünfhundert Sechsundsechzig Placas empfangen zu haben. 
Pedro de Hotz (Autograph, wie die übrigen Unter- 
schriften). 

An »miceru Adriano Hayos für besagte 23 Monate, 
also 699 Tage, neun Placas täglich, zusammen sechstausend 
zweihundert einundneunzig Placas 6291. 

Ich, micer Adriano Hayos, bescheinige hiermit, von 
Gon9alo Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Adriano des Hayois. 

An »Sire« Jan Spinoit, Kapellan, für dieselbe Zeit die- 
selbe Summe 6291. 

Ich, Sire Jan Spinoit, bescheinige hiermit, von Gon^alo 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. Jan Spinoit. 

An Sire Jan Xodemart, Kapellan, für dieselbe Zeit die- 
selbe Summe 6291. 

Ich, Sire Jan Xodemart, bescheinige hiermit, von 
Gon^alo Cano besagte Summe erhalten zu haben. 

Joannes Chodemart 

An Jain le Pontre, Sänger, für dieselbe Zeit dieselbe 
Summe 6291. 

Ich, Jain Lepontre, bescheinige hiermit von Gon9alo 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Jekan le Poinctre, - 

An »cire« Jan Dupontre, dasselbe 6291. 

Ich, Jan Dupontre, bescheinige hiermit, von Gon^alo 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. Jan Dupont. 

An Giles Crocart für dieselbe Zeit dieselbe Summe 6291. 

Ich, Giles Crocart, bescheinige hiermit, von Gon^alo Cano 
besagte Summe empfangen zu haben. Gielis Crocaert. 

An Jaques Pelers, für dieselbe Zeit dieselbe Summe 6291. 

Ich, Jaques Pelers, bescheinige hiermit, von Gon^alo 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Jacques Pelers. 

An Sire Paul Fratisart für dieselbe Zeit dieselbe Summe 6291. 

Ich, Paul Fratisart, bescheinige hiermit, von Gon^ala 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. P. Fratissart. 



Die Privatkapellen des Herzogs von Alba. 397 



An Teodoro Risten für dieselbe Zeit dieselbe Summe 6291. 
Ich, Teodoro Risten, bescheinige hiermit, von Gon^alo 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Teodoro Rixter, 
An Estefan de Noter für dieselbe Zeit dieselbe Summe 6291. 
Ich, Estefan de Noter, bescheinige hiermit, von Gon^alo 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Esteuan de notere, 
f An Miguel Frans für dieselbe Zeit dieselbe Summe 6291. 

Ich, Miguel Frans, bescheinige hiermit, von Gongalo 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Machiel Frans. 
An Fransois Corneta, der als Violinspieler dient, die- 
selbe Summe 6291. 

Ich, Fransois Cometa, bescheinige hiermit, von Gon- 
calo Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Fransois Cometa. 
An Sir Guerart, für 6 Monate Gehalt, vom 1. Januar 1571 
bis Ende Juni desselben Jahres, wo man ihm den Abschied 
gab; also 182 Tage zu 9 Placas. 1638. 

Ich, Sir Guerart, bescheinige hiermit, von Gon^alo Cano 
besagte Summe empfangen zu haben. C, Gerard mol. 

An Bastian Du Mulin, für dieselbe Zeit dieselbe Summe 1638. 
Ich, Bastian Du Mulin, bescheinige hiermit, von Gon- 
^alo Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Bastian du molin. 
An sire Martin Clote für dieselbe Zeit dieselbe Summe 1638. 
Ich, sire Martin Clote, bescheinige hiermit, von Gon^alo 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Maest. Martin Clost. 
An Gaspar Payan, der vom 1. Januar 1571 bis zum 
26. Mai desselben Jahres angestellt war, also 146 Tage zu 
9 Placas den Tag, zusammen 1314. 

Ich, Gaspar Payan, bescheinige hiermit, von Gon^alo 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Frangois Comet cot. execute. 
An Peralta, Sopran (tiple), der vom 1. Juli 1572 bis 
Ende November 1573 angestellt war, also 518 Tage zu 
9 Placas den Tag, zusammen 4652. 

Ich, Peralta, Sopran, bescheinige hiermit^ von Gon^alo 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Baltassar de Peralta. 
1893. 27 



398 ^'i ^"-ö^«' 



An Maestre BolifaciO; der an Stelle von Bastian de Moli 
am 22. Juli 1572 eintrat und bis zum 30. November be- 
dienstet war, also 495 Tage zu 9 Placas den Tag 4455. 

Ich, Maestro Bolifacio, bescheinige hiermit, von Gon- 
9alo Cano besagte Summe erhalten zu haben. 

Boniface Hubert. 

An Juan de Somayn, Tenor, der am 25. Juli 1572 an Stelle 
des verstorbenen GasparPayan eintrat und bis zum 30. Novem- 
ber 1573 Dienste that, also 408 Tage zu 9 Placas den Tag 4432. 

Ich, Juan de Somayn, bescheinige hiermit, von Gon9alo 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. Jan Sommain. 

An Antonio Dalu, tiefen Bass, der an Stelle des aus- 
geschiedenen Sir Xerart Mole vom 1. August 1572 bis zum 
30. November 1573 Dienste that, also 487 Tage zu 9 Placas 
den Tag 4383. 

Ich, Antonio Dalu, bescheinige hiermit, von Gon9alo 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Anthoni Dalldux. 

An Sire Piere Movuesin, der als Contraalt an Stelle 
von Martin Clote vom l. November 1572 bis zum 30. No- 
vember 1573 in Dienst war, also 369 Tage zu 9 Placas 3555. 

Ich, Sire Piere Movuesin, bescheinige hiermit, von 
Gon^alo Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Sire Piere Monuaisin. 

An mestre Luis Breme, Organisten, für besagte 23 Mo- 
nate, also 699 Tage zu 3 Placas den Tag 2097. 

Ich, Maestre Luis Breme, bescheinige hiermit, von 
Gon^alo Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Loys Brumen, 

An Fedrique Hans, Hülfsorganisten, für dieselbe Zeit, 
zu 6 Placas den Tag 4194. 

Ich, Fedrique Hans, bescheinige hiermit, von Gon^alo 
Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Frederich de Harns. 

An Maestre Miquel de Memorasi, der als Stimmer in 
Dienst steht, dieselbe Summe 4194. 

Ich, Maestre Miquel de Memorasi, bescheinige hiermit, 
von Gon9alo Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Michiel de Memorefisi. 

An Jan Jilos, der als Sakristan vom 1. Januar 1572 bis 
zum 30. September desselben Jahres in Dienst stand und 
dann entlassen wurde, also 273 Tage, zu 6 Placas den Tag 1638. 



Die Privatkapellen des Herzogs von Alba. 399 



Ich, Jan Gilos, bescheinige hiermit, von Gon^alo Cano 
besagte Summe empfangen zu haben. Jan Oillo, 

An Juan de Garitta, Sakristan, der an Stelle von Juan 
Gilo am 15. Oktober 1572 eintrat und bis zum 30. Novem- 
ber 1573 in Dienst war, also 411 Tage zu 6 Placas den Tag, 2466. 

151426. 
Ich, Juan de Garita, Sakristan, bescheinige hiermit, von 
Gon^alo Cano besagte Summe empfangen zu haben. 

Jan Garitta, 
Das macht zusammen die besagten dreitausend sieben- 
hundert vierundachtzig Escudos und zwei Placas, wie oben 
erklärt ist, die ihr gegen Quittung auszuzahlen habt etc. 

Gegeben in Brüssel am 30. November 1573 

Der Herzog von Alba. 

Verifizirt: Albornoz [Sekretär des Herzogs]. Auf der Rückseite des 
Dokuments findet sich die Bemerkung, daß am 31. Dezember 1573 an 
den Kapellmeister P.^ de Hot die Summe von 3784 Escudos ausge- 
zahlt wurde. 

Hier läßt sich über die Personalien der Mitglieder schon mehr 
in Erfahrung bringen. Vander Straeten hat mit großem Fleiß Details 
über die Kapellen des spanischen Hofs zusammengetragen. Ich werde 
das, was sich in den acht Bänden seiner ^Mustque aux Pays-Basv 
zerstreut findet, in den Hauptsachen übersichtlich aneinanderreihen. 

Pierre Du Hotz taucht zuerst auf in einer Liste der Kapellmit- 
glieder Karls V. von 1556, und zwar als einfacher Sänger, was er bis 
zum 1. April 1559 blieb. Mit diesem Tage tritt er als Kapellmeister 
in die Dienste der Regentin der Niederlande, Margarethe von Parma. 
Gleich nach seinem Amtsantritt bewarb er sich um die Praebende von 
Conde, die durch den Tod Roberts de la Porte frei geworden war, 
und erhielt sie auch. 1564 fuhrt er in der königlichen Kapelle in 
Brüssel eine Trauermusik auf den Tod des Kaisers Ferdinand auf, 
wofür er mit 24 Livres entschädigt wird. Aus den Jahren 1564, 
1575, 1577 sind Dokumente vorhanden über die Sendung von Sängern 
nach Spanien, deren Anwerbung Du Hotz vermittelt hatte. In einem 
Schreiben vom Jahre 1596 an den Generalgouvemeur der Nieder- 
lande sagt Jean Tournhout, daß er seit zehn Jahren, also seit 1586, 
die Funktionen eines Kapellmeisters in Brüssel versehe. Ob Du 
Hotz in diesem Jahr gestorben ist und Jean Tournhout an seine 
Stelle trat, ist bis jetzt nicht ermittelt worden. 

Von Kompositionen Du Hotz' weiß Vander Straeten nur eine 
Sammlung anzuführen, die er bei Becker, »Die Ton werke, des 

27* 



400 ^^'^ Krebs, 



XVI. und XVII. Jahrhunde rtstt, S. 121 notirt gefunden hat: »Preces 
speciales a Petro de Hoto collectae et per J. de Kerle ad ßguras et 
modos musicos accommodatae cum quatuor vodbtts. Venetüs^ apttd 
A, Gardanum, 1062.9 Und vielleicht enthält diese Sammlung nicht 
einmal eigene Kompositionen Du Hotz\ sondern ist nur von ihm 
zusammengetragen, wie man aus dem Titel fast schließen möchte. 
Die beiden fünf und sechsstimmigen Hymnen, die in den »Docu- 
mentos« abgedruckt sind, bilden also eine schätzbare Bereicherung 
unserer Kenntniß von der tonkünstlerischen Thätigkeit Du Hotz', 
so daß die Wiedergabe wenigstens einer von ihnen an dieser 
Stelle wohl gerechtfertigt ist. Der Umschlag des Manuskripts 
trägt folgende Bemerkung eines Archivars aus dem 18. Jahrhundert: 
»Die Kompositionen dieses Bandes sind Originale; dabei befinden 
sich ihre Kopieen, deren Spartirung von Scarlatti herrührt, dem 
berühmten Komponisten seiner Majestät des Königs Ferdinand VI. 
Sie wurden zu Ehren des Großherzogs von Alba, D. Fernando Alvarez 
de Toledo y Pimentel, und seines Sohnes, des Groß-Priors von S. Juan, 
Don Fernando de Toledo, gesungen. Wo und wann, ist ungewiß. 
Aber man glaubt, daß es in Brüssel geschah, in der Kathedrale der 
heiligen Gudula, wovon es lateiiusch heißt: »In Aede Divae Gvldtdae: 
et oratione ßnita Deo Chorus laudes concinit. Galero et ense ab Epi- 
scopo Dux pitcs mduitur, Omnia Umdatissima celebratione peracta.^ Den 
Helm und den Degen brachte Karl von Eboli, Kämmerer seiner 
Heiligkeit Pius V., nach Brüssel, zusammen mit der Gnaden* und 
Vergebungsbulle für seine Excellenz (die sich nicht im Archiv be- 
findet), ausgefertigt in Bom am 21. Mai 1569. Heute werden diese 
Kleinodien nebst der geweihten Böse, die seine Heiligkeit an die 
Frau Herzogin sandte, in St. Stephan zu Salamanca aufbewahrt. ^ 

Die Überreichung der spartirten Hymnen an den Hersog von 
Alba hat Scarlatti mit einem Brief begleitet, der wie folgt lautet: 

Durchlauchtigster Herr, 

Es schien mir gut, Eure glückliche Bückkehr nach hier ab- 
zuwarten, um Euch meine Ergebenheit auszudrücken, nicht nur 
durch die Übersendung der beifolgenden Blätter, sondern durch die 
Versicherung meiner Bereitwilligkeit für jeden anderen Auftrag, mit 
dem Ihr mich beehren werdet. Das Aussetzen der Worte, die zwar 
lateinisch, aber in gothischen Abbr^iaturen geschrieben siad, hat 
mehr Mühe gemacht, als alles Andere, wie Ew. Excellenz beio^erken 
wollen; ebenso die alten Stimmen, die ich in Partitur gesetzt habe, 
nicht allein, um das Lob eines so großen Todten zu feiern, sondern 
auch, damit viele moderne Opernkomponisten [teatristi campositori] 



Die Privatkapellea des Herzogs von Alba. ^Q\ 



daran die wahre Art und die wahren Regeln der kontrapunktiechen 
Schreibweise beobachten und erlernen können — das heißt , wenn 
sie wollen — , was heut zu Tage nur bei wenigen zu finden ist. 

Ich kann nicht ausgehen. Eure Excellenz sind stark, hoch- 
herzig und gnädig. Warum kommen Sie also nicht, mich durch 
Ihren Anblick zu trösten? Vielleicht, weil ich dessen nicht werth 
bin? Es ist wahr^ aber wo hat die Tugend ihren Sit^, wenn nicht 
im Herzen der Großen? 

Hiermit schließe ich. Ich bitte Gott, daß er Ihre und meine 
Wünsche unterstütze und segne. Amen. 

Scarlatti. [Autograph . ] 

Ohne allen Zweifel handelt es sich hier um Domenico Scarlatti. 
Es ließe sich schon daraus schließen, daß Domenico einen großen 
Theil seines Lebens in lissabon und Madrid zugebracht hat^ während 
Alessandro, soweit bekannt, keine Beziehungen zu Spanien 'hatte. 
Und es geht zur Evidenz hervor aus jener Bemerkung des Archivars, 
die ihn als Komponisten Ferdinands VI. bezeichnet. Der Brief ist 
nicht datirt. Er mag in die Zeit fallen, wo Scarlatti schon anfing, 
an Altersschwäche zu leiden, weil er schreibt, er könne nicht aus- 
gehen. 1754 kehrte er kränkelnd nach Neapel zurück, nahe an das 
Jahr 1754 kann also vielleicht auch die Abfassungszeit des Briefes 
gerückt werden. 

Über die Mitglieder, die außer Du Hotz angeführt sind, werden 
einige kurze Bemerkungen genügen. 

Jean Lepoinctre, Gerart Mole und Antoine Dalleu (wie er 1576 
geschrieben wird) waren tiefe Bässe. 

Der Tenor war vertreten durch Giles Crokaert, Jacques Peler 
und Gaspar Payen. Payen war unter Karl V. Violinspieler gewesen 
(musico de vihuela d'Arco) und hatte ihn auf zahlreichen Reisen be- 
gleitet. In der Kapelle Philipps II. spielte er ebenfalls Geige, sang 
aber auch bisweilen, und beim Herzog von Alba ist er nur Sänger. 
Im Jahre 1572 starb er^ wie aus obenstehendet Liste hervorgeht, 
und Jean Sommain trat an seine Stelle. 

' Paul Fratissart war Altist, ebenso Bastian du Moulin. Letzterer 
begleitete schon Marie von Ungarn nach Spanien, ging nach ihrem 
Tode wieder nach den Niederlanden, und trat als Altist in die Kapelle 
Margarethas von Parma ein. Nach Übernahme der Regentschaft 
durch Alba scheint er in der Kapelle geblieben zu sein. . Vom 
22. Juli 1572 an nahm seine Stelle Boniface Hubert ein, der dem- 
nach hier Alt sang. Auch er war schon in der Kapelle Margarethas 
von Parma thätig gewesen, und zwar als Sopran. Später trat er in 
die Dienste Philipps IL Martin Clote, ebenfalls Altist, wird unter 



402 



Carl Krebs, 



den Sängern Philipps 11. genannt. 1562 war er noch in der Madrider 
Kapelle, wird aber im letzten Drittel dieses Jahres nicht mehr auf- 
geführt. Er ist also voraussichtlich damals nach den Niederlanden 
zurückgekehrt und in Albas Dienste getreten. Am ersten November 
1572 wurde er durch Pierre Monvoisin ersetzt. 

Als Sopranist wird nur Baltassar de Peralta genannt. 

Teodor Rixter (Rixtel, Risten) war Posaunist, Esteban de Noter 
Zinkenist, ebenso Miquel Frans. 

Francois Comet war Violinspieler in der Kapelle Karls V., der 
ihm bei der Übergabe der Regierung an Philipp IT. eine jährliche 
Pension von 50 Livres aussetzte. Unter Philipp II. behielt Cornet 
seine SteUung als Yiolinspieler bei. 1573 finden wir ihn in demselben 
Eigenschaft in der Kapelle des Herzogs Alba, aber 1576 wird er nur 
noch als Kapelldiener aufgeführt. 

Adriane Hayois nennt eine Liste von 1576 nchapelain des haulies 
messest j Spinoit und Chodemart als Kapellane, ebenso Jean Dupont, 
der 1559 die Praebende von Cond^ ausschlägt, die ihm vom Madrider 
Hof angeboten wird, und die Du Hotz nachher bekam. Ein Organist, 
ein Hülfsorganist, ein Otgelstimmer und ein Sakristan vervollständigen 
das Kapellpersonal. 

Was die spanisch->>niederländischen Münzsorten »Escudot und 
»Placaa anbetrifft, so hat Herr Th. M. Roest, Direktor des Univer- 
sitäts-Münzkabinets in Leyden, die Freundlichkeit gehabt, mir mitzu- 
theilen, daß der Escudo oder Phillppus-Thaler nach unserem Geld etwa 
fünf Mark gilt; di^ Placa hat also einen Werth von ungefähr 12V2 
Pfennigen. Danach lassen sich die Umrechnungen leicht vornehmen. 

Es möge nun der Hymnus von Du Hotz auf den Herzog Alba 
folgen. Das Original ist in hohen Chiavette mit der Schlüsselstellung 



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notirt. Ich habe das Stück hier auf die normale Tonhöhe gebracht, 
und al» Einheit die Brevis genommen, während Scarlatti nach 
Semibreven abtheilt, was der Komposition ein zu zerstückeltes An- 
sehen giebt. An einzelnen Stellen habe ich Änderungen vornehmen 
müssen, weil das, was da stand, keinen musikalischen Sinn gab und 
offenbar auf fehlerhafter Überlieferung beruhte. 

S. 405, Syst. 2 lauten der 3. und 4. Abschnitt des Alt so: . 



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S. 405, Syst. 3. Abschnitt 1 und 2, Alt: 



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Die PriTatkapellen des Herzogs von Alba. 



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S. 405, Syst. 3, Abschn. 5, Alt: P=^^=^ 



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2. Tenor: 



S. 406, Syst. 2, Abschn. 1 ist stark korrumpirt, es steht dort im 



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und im Bass: 



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letzten Note hat der moderne Herausgeber offenbar zwei flüchtig ge- 
schriebene Semibrevis-Pausen für Yerlängerungspunkte genommen. 

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S. 406, Syst. 2, Abschn. 2, zweiter Tenor: 



S. 406, Syst. 2, Abschn. 4, Bass: 

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S. 406, Syst. 3, Abschn. 5, erster Tenor: 



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S. 407, Syst. 1, Abschn. 1, Alt: 

S. 407, Syst. 2, Abschn. 1 hatte Scarlatti vor das d des Alt ein 
4 gesetzt, das natürlich fehlen muß. 

Andere anstößige Dinge (z. B. die offenen Quinten S. 405, 
Syst. 2 — 3] und Ungeschicklichkeiten zu ändern, habe ich mich nicht 
für befugt gehalten, denn es konnte ja nur meine Au%abe sein, die 
Komposition in ihrer ursprünglichen Gestalt möglichst wieder herzu- 
stellen, nicht, sie durch Retouchen zu verbessern. Auch die keines- 
wegs mustergiltige Unterlegung der Worte durch Scarlatti habe ich 
nicht angetastet : ist sie doch bezeichnend dafür, wie fremd selbst die 
großen Meister des 18. Jahrhunderts der älteren Musik gegenüber- 
standen. Nur eine Stelle, wo auf die Silbe m eine lange Notenreihe 
gesungen werden sollte, ist geändert worden. Der Text lautet im 
Zusammenhang : 

Heroi canimiu Ducis Albani genus amplunif 
Summis omatum virtutibiu atqae heatum, 
Strenua pro sancto quod gessit praeUa Jesu, 
Dmx Ferdinandus de Toledo honus Heros 
Effulget eelebris, quo Belgis iustior alter 
Nee pietate fuit, nee hello maior et armis^ 
Adversam toties fortunam fortiter aequo 
Qui vincens animö Beigas in paee gubemat. 

Das Epitheton -aversos latinos ele.gantes^, mit dem der bereits 
oben erwähnte Archivar des 18. Jahrhunderts diese Hexameter be- 
denkt, wird man nicht minder zweifelnd aufnehmen als das über- 
schwängliche Lob, das dem Herzog Alba und seiner » friedlichen <r 
Regierung der Niederlande darin gespendet wird. 



404 



Carl Krebs, 



Heroicum Panegiricum in laudem Illustrissimi et 
Excellentissimi D. Ferdinandi de Toledo, Ducis ab Alba. 

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eis Al.ba . ni ge . nus am .plum,8um.mis or.na. .tum Tir.tu. ti. 



Die PriTatkapellen des Herzogs von Alba. 



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Die PriT*tk«p«Uen in» Honogt Ton Alb*. 



407 




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Anonymi cujusdam Codex Basiliensis. 

Von 

Johannes Wolf. 



In der Baseler Universitätsbibliothek befindet sich unter der 
Signatur F. IX, 54 eine Minuskelhandschrift aus dem Anfange des 
14. Jahrhunderts, welche über die Musiktheorie des Mittelalters 
handelt. Sie ist eine Abschrift, was sich aus mehreren Anzeichen 
ergiebt. Die Lücken innerhalb des Textes gegen Ende der Hand- 
schrift lassen erkennen, daß hier theils Überschriften, theils Initialen 
und Abschnittszeichen fehlen, welche der Schreiber später farbig 
hinzusetzen wollte. Außerdem zeugen dafür mannigfache Ver- 
schreibungen und der Umstand, daß ganze Stellen sich doppelt 
finden. Die Handschrift ist nicht vollständig, dies geht schon reia 
äußerlich aus dem fehlenden explicit hervor. Sie ist auf Pei^ament 
geschrieben und besteht aus acht Blättern, klein Oktav, welche in 
zwei Spalten zu je 34 Linien getheilt sind; durch starkes Beschneiden 
haben namentlich die Figuren auf Fol. Ir. und Fol. 4v. gelitten. 
Den Inhalt bilden zwei Musiktraktate über den Cantus planus. 
Voran steht eine Kreisdarstellung der Tonarten, welche mit der 
bei Johannes de Muris ^ einige Ähnlichkeit hat. Während sich aber 
letztere auf Herzählung der Namen und Angabe des Amhitus der Töne 
beschränkt, ist erstere spekulativ weiter ausgeführt. Die authentischen 
Töne sind mit den vier Temperamenten Sanguis, Cholera, Phlegma, 
Melancholia^ verglichen, ohne daß jedoch damit gesagt werden soll, 
daß der Dorius der Modus der Sanguiniker sei etc., da der Charakter 
der einzelnen Tonarten in dem nächsten Kreise ganz anders ausge- 
deutet wird. Wieviel man hiervon im 16. Jahrhundert hielt, das 
zeigt der Ausspruch des Glarean^: Profecto qtcae in eo Franchino 
libro sunt extra Boetium, vei*ba sunt ex varits commentariis sedula lectione 
coacervatUy sed rem nihil adiuvantia. Quemadmodum comparatio xUa 

quatuor modorum ad quatuor complexiones, colores Mit 

den Piagalen werden die vier virtutes: Justitia^ temperantia, pru- 

^ Coussemaker, Scriptores II , 264. 

2 Vergl. Joh. de Muris XIV. Gerbert III, 217: Homo consiat ex quatuor hu- 
moribus: cholera, aanguine, phlegmate et melancholia. 
' Qlarean, Dodekachordon. Liber I, Cap. XXI. 



Anonymi oujuBdam Codex Basiliensis. 



409 



dentia, /ortiiudoy welche die musica in anima ausmachen, zusammen- 
gestellt. Es darf aber hier nicht übergangen werden, daß nicht allein 
die Modi, sondern auch gewisse Zahlen mit einzelnen Tugenden 
verglichen wurden. So lesen wir bei Bemo^: Quemadmodum Uli 
octo toni semper bini et bifd ad unam ex quatuor finalium chordis 
quadam dictante iustitia velut ad parentem redeunt ühde pulchre 
eundem octonarium antiqui iustitiam eocaveruntf no7i solum ob supradictam 
harmonicae rationis catisam, verum etiam^ quia primus omnium ita sohitur 
in numeros aeque pariter pareSy idest in quatuor: ut nihilondnus in 
numeros aeque pariter pareSy idest, duo et duo ipsa divisio solvatur. 

Nicht klar ist, wie sich der Verfasser die Beziehung von melan- 
cholia und justitia zur musica in voce gedacht hat ^. 

Der äußerste Kreis giebt den Charakter der Tonarten an. Der- 
selbe war, wie die untenstehende Tabelle zeigen mag, durchaus nicht 
feststehend, und mit Recht konnte Johannes de Muris hierauf den 
Ausspruch des Terenz anwenden: Quot capita^ tot sententiae; suus 
cuique mos est. 





Der Charakter der Tonarten nach 
Guido H. ContractOf Job. Cottd"»^ Job. de Muris Cod. Basil. 


Primus 
modus 


inmodohisto- 
riae recio et 

tranquiUo 
feratur cursu 


gravis vel 
nobilis 


morosa ei cu- 
rialis vagaiio 

« 


morosa et 

terminalis 

vagatio 


ad iocundos 


Secundus 
modus 


• 


suavis 


rauca gravi- 
tos 


praeceps ei 

obscura gra- 

viias 


ad senes 


Tertius 
modus 


anfractk sah- 

twus delecte- 

tur 


incüaius vel 
saltans 


severa ei qua- 
si indignans 
persuliatio 


■severa ei in- 
dignans per' 
sultatto 


ad severos 


Quartus 
modus 


• 


inodestus vel 
morosus 


adulatorius 


mtdcens ei 
adidaiorius 


ad blandos 


Quintus 
modus 


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voluptuosus 


modesta pe- 
tuiantia 


petulans 
lascivia 


(fehlt) 


Seactus 
tnodus 


voluptuosus 


lamentahilis 


lacrimosus 


dulcis queri- 

monia anum- 

iium 


ad tristes 


Septimus 
m,odus 


garrulus 


» 
garrulus 


mimicos sal- 
tus faciens 


liberos sal- 

ius iocundi 

faciens 


ad versuios 


Octavus 
modus 


suavü 


iocundus vel 
exultans 


decens et qua- 
si inionalis 


seriosus 


ad honesios 



^ Berno, Prolog, in Tonariumy Gerbert II, 66, Spalte 2. 
2 Vielleicbt bat er bei mekmcholia an melos gedacbt und will iustitia 
tigkeit gefaßt wissen. 



Rieb- 



410 



Johannes Wolf, 



Was den Amiüus der Töne anbetrifft, so weichen unser Verfasser 
und Job. de Muris recht erbeblich von einander ab. Besonders 
auffällig ist dies beim sechsten und achten Modus. 



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Cod. Bas. 



Joh. de Maris 



Sextus modus 
OctaviM modus 






B—c 

C—d 



Keiner der bekannten Theoretiker stimmt in Bezug auf Umfang 
der Modi mit der Figur überein. Doch läßt sich aus einer Zu- 
sammenstellung der Schluß ziehen, daß dieselbe der Zeit zwischen 
Walter Odington und Johannes de Muris angehört. 

Da die Figur, wie wir gesehen haben, manches Interessante bietet, 
sei sie hier wiedergegeben. 



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Anonymi cujusdam Codex Basiliensis. 411 



Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß nach Rückgang 
der Reichenauer Theoretikerschule, welche sich von Spekulation fast 
ganz frei gemacht hatte, die Bedeutung der spekulativen Musik- 
theoretiker des frühen Mittelalters: Boetius, Cassiodor und Isidor 
und die des Guido zunimmt und bis zum 15. Jahrhundert zu unge- 
ahnter Größe heranwächst. Boetius und Guido sind die, auf welche 
sich alle berufen, und alles Bedeutende wird ihnen zugeschrieben. 
Die Solmisation gelangt zur Herrschaft; die Systemisirung nach 
Tetrachorden bleibt nicht die allein herrschende. Neben sie tritt 
gleichberechtigt, ja manchmal überragend die guidonische nach Ok- 
taven. Diese charakteristischen Merkmale finden sich auch in unse- 
rem Codex. Wir können also behaupten, daß sein Inhalt vor 1100 
nicht entstanden ist. 

Der Figur folgt ein Gedicht über die vier Modi, welches sich 
auch bei Joh. de Muris^ findet. Bei letzterem ist es aber so schlecht 
wiedergegeben und so umgestellt, daß es kaum zu verstehen ist. Ist 
nun zwar der Text im Cod. Basil. auch nicht fehlerfrei, so lassen 
sich durch Yergleichung doch viele Schäden beseitigen und ein ein- 
heitlicher Text schaffen. Das Gedicht lautet: 

Quatuor eece tropi natura matre creaii 

QuatiMr ut reges intra sua regna sedentes, 

Hinc pi'othus, ac deuirtts, trüus tropicttsque tetrardus 

Suh dicione aua eohihent modulamina cuncia. 

Quas tarn prudenter disiinxit musica matery 

Tarn statuit certaa vocum discrimina metas, 

Alter ut aUerius non usurpet aibi cantus 

Vindice natura vel cedat in altera iura, 

A gravitate quidem nimium distabat acumen 
Et gravitas neumis non conveniebat aeutis. 
Sic ex consilio divisis quatuor octo 
[Late diffusus tenet eccleeiaaticus usus.] 
Ergo suum comitern dux sede recepit eadem, 
Commodus et patiens et amice foedera iungens. 
Omnibus hospitium ßnalium dat tetrachordum: 
Primaque D primos'^ habet, E que secundos 
Obtinet aequivocos F tertia, quartaque quartos. 
Hos tonus et semis sequitur, semis, toniu istos^; 
Ditonus et semis superantes propedit illos. 



» Joh.de Muri«, Buch VII, Cap. LVI (Cousa. II, 282). 

2 Nämlich den ersten authentischen und ersten plagalen Ton etc. 

3 Bei den ersten Tönen (auth. und plag.) folgt zu Anfang Qanzton, Halbton, 
bei den zweiten Halbton, Ganzton. Bei den dritten und vierten ist nicht ganz 
klar, wie sich Verf. das gedacht hat, da dort authentisch und plagal nicht so ent- 
sprechen. 



412 Johannes Wolf, 



Sie cum semitonis serie$ ducreia iotwrum 

Discernit nobiejinem quorumqU€ tropontm. 

Quaerere nunc ratio rationis et exigit ordo, 

Quid teneant proprium, quae sint eommunia, quae non, 

Quomodo queinque tropum 9ua constituiU diapason, 

Aut uhi eoneordent, tibi discordando repugnent, 

Alter ab dUerius de/endens iure suum ius. 

Ei nunc quisque modus duplici modulamine fretus 
AuUntum, plagam eeJem eomponit in unam, 

Ut dux authentuit eonies ut sit plaga eoeatus, 
Alter ei minor est, praeceUit digtiior alter, 
Quod cum natura dictavit philosopliia, 

Vocibus ut voces liquidis apte graviores 

Et gravibue liquidae resonent infraque supraque. 

Quae quasi confuse coneordabant nimis mite. 

Condieione iamen^ qui so sciat inferiorem 
Seu graves sortitur metaSy comes egrediaiur. 
At cui non liceat voces attingere, quaei'at, 
Sui alias captum dux fortior auf erat tllum. 
Et totus cantus sub nomine transeat huius. 

Primus ab A plagalis in a firmat sua castra, 

Alterius B tj cursum distinguit utrumque, 

Extendit de C tentoria tertius in c, 

Nam D d quartum certo sub limite claudunt. 

Hos D cingit et E mediis ius legis et F, G, 

Quae diapente supra reddunt, diatessaron infra. 

Authenius primus inter D d spaeiatur. 

At sua tendit in e tentoria deuterus ex E. 

Ex F in f magni distingue palatia triti. 

Ex O g summi disponitur aula tetrardi. 

His <z, b, c, d mediatrices liquet esse. 

His diapente subest, gressus diatessaron effert. 

Sed quoniam veluti promit senttntia flati (f) 
Segnius irritant animos dimissa per aures, 
Quam quae sunt oculis subiecta ßdelibus, Ecee! 
Ordine dispositis eompingo castra ßguris, 
Quae tam mirißce natura struxit et arte 
Distribuitque tropis se musica matre creatis. 
Hie ades, expugna^ quisquis potes, haec mea castra. 
[Quae situ superes, capias ut victor et intres, 
Invenies in eis thesauros totius artis.]^ 

Was die nun folgenden Traktate anbelangt, so sind sie zu wenig 
originell, um im Wortlaut mitgetheilt zu werden. Den ersten, 
welcher Ars musica überschrieben ist, habe ich bis auf einige unbe- 
deutende Fetzen in Macrobius, Boetius, Herno, Cotto, Hieronymus de 



^ Die beiden eingeklammerten Verse fehlen im Cod. Basil. 



Anonymi cujusdam Codex Basiliensis. 413 

Moravia und Johannes de Muris wiedergefunden. Im Anfange des- 
selben wird in ausführlichster Weise über die Etymologie des Wortes 
musica und die Wirkung der Musik gesprochen. Während die 
Theoretiker sich bisher einer Auslegung des Wortes musica enthielten 
oder die Herleitung von den Musen als allgemeingültig hinstellten, 
tritt im 13. und 14. Jahrhundert die Ableitung von moys in den 
Vordergrund, und wird von einigen Theoretikern, wie Marchettus von 
Padua, sogar als die einzige angeführt. Bemerkenswerth ist bei den 
Einzelnen die Motivirung dieser Etymologie: 

Job. Aegid. Zamorensis: Musica a moys, quod est aqua, quia 
in aquis repertam asserunt, solis nervis et arteriis ab ossibus et carni- 
hus in aquis per aquarum defluxum exutis; quibus tactis m so?ium 
harmonicum eruperunt, Vel ideo sit dicta^ quia vox sine humore palati 
et linguae non ßt, 

Marchettus von Padua, Lucidarium I, 6, Gerbert III, 67: 

Musica dicitur a moys, quod est aqua, eo quod iuxta aquas inventa 
fuit, ut liemigius refert : quia, sicut aqua non potest tangi, quod non 
moveatur^ sie nee musica, quod non audiatur. Inquit enim ipse, moys 
genus est, quod aquam signi/icat ; multum enim iuvat aqua sonum musicum, 
ut probabilitei' apparet in ßstulis organalibus, quae implentur aqua, ut 
sonum reddant, 

Job. de Muris, Gerbert III, 193: Quidam dicunt, quod musica 
dicitur quasi moysica a moys, quod est aqua, eo qaad aqua plutialis 
f>el quaecumque alia, dum cadit super div er sam materiam, nunc super 
tecta, nunc super lapides, nunc super terram, nunc super aquam, nunc 
super vasa vacua, nu?ic super arborum folia, so?ios diverses reddere 
videatur, a quibus ad invicem comparatis antiqui dicuntur musicam 
invenisse. 

Philipp de Vitry, Airs nova, Coussemaker III, 17: 

Musica dicitur a moys, quod est aqua, et ycos scientia, quia in- 
venta fuit iuxta aqua^, 

Anonymi fragmenta musica, ed. De laFage (Paris 1853), S. 36: 

Musica nomen graecum est et dicitur a moys, quae est aqua et 
sica, quae est scientia sumpta de aqua, quia a Pytiiagora philosopho 
iuxta aquas inve?ita fuit. 

Tunstede VÜ, Coussemaker IV, 203: 

Musica .... dicitur a moys graece , quod est aqua latine, quasi 
scientia iuxta aquam inventa, quia sine humoris beneßcio nulla canü- 
lenae vel vocis delectatio subsistit. 

Das, was der Verfasser über die Wirkung der Musik bringt, ist 
Koetius, Berno und Cotto entlehnt. Nach Boetius theilt er die 
Musik in mundana, humana und instrumentalis, unterscheidet drei 

1893. 2S 



414 Johannes Wolf, 



Tongeschlechtei: das diatonische, chromatische und enharmonische, und 
drei genera musicorum: quod carmina fingitj quod instrumentia agitury 
quod instrumentorum opus carmenque ditudtcat. Originell und ganz 
modern klingt die Definition von Konsonanz und Intervall. 

Tunc dicuntur consonanttae, quando superior voz ab uno et inferior 
ab alio tanguntur. Sed quando unus diapente, diatessaron vel diapason 
et sie de aliis cantatity intervalla vocantur. Die beiden Begriffe 
consonantia und intervallum müssen demnach bei ihm zweideutig ge- 
wesen sein, da er nachher von sechs Konsonanzen, welche sich in 

simplices und compositae 

diatessaron j> diatessaron et diapason 

diapente » diapente et diapason 

diapason » disdiapason 

theilen, und zwei Intervallen 

semitonium cum diapente 
tonus cum diapente 
spricht. 

Der Traktat schließt mit der Konstruktion der Tonarten aus 
Oktaven, Quarten und Quinten gleicher Gattung nach hermannischer 
Lehre, indem bei den authentischen Tonarten die Quinte, bei den 
plagalen die Quarte unten liegt. 

Zu erwähnen ist noch eine seltsame Bemerkung, die jeder 
historischen Begründung entbehrt : quod Julianus Apostata et imperator 
semitonium cum diapente adiecit. 

Am Ende des Traktats finden sich Figuren, die den Ambitus 
der einzelnen Töne erläutern. Auch diese sind nicht originell, son- 
dern mit einigen Abweichungen bei Aribo Scholasticus ^ und Joh. 
de Muris^ nachzuweisen. Es sind je zwei sich schneidende Kreise, 
deren gemeinsames Segment di^ dem authentischen und zugehörigen 
plagalen Tone gemeinsame Quinte, deren nicht gemeinsame Seg- 
mente die dem plagalen und authentischen eigenthümliche untere 
und obere Quarte umfassen. 

Den zweiten ungleich interessanteren Traktat hier wiederzugeben, 
scheint ebenfalls unnöthig, da er zum größten Theile, wenn auch 
recht mangelhaft, von Coussemaker im 2. Bande der Scriptores 
Seite 4S5 nach einer Lütticher Handschrift der Abtei St. Jakob 
herausgegeben ist. Mit Recht setzt Coussemaker die Entstehungszeit 
desselben auf das 12. Jahrhundert fest. Der Verfasser ist unbekannt. 



1 Gerbert II, 205. 

2 Coussemaker II, 275—276. 



Anonymi cujusdam Codex Basiliensis. 415 

Coussemaker vermuthet, daß es ein Mönch obengenannter Abtei ge- 
wesen sei. Im Cod, BasiL findet sich nach einer selbständigen Ein- 
leitung nur der erste Theil dieser Schrift, der über die Musica plana 
handelt, und ist Ars musicae harmonicae überschrieben. Die Defi- 
nition von mtcsica harmonica giebt uns Jsidorus Hispalensis : ^ Musica 
harmonica est, quae ex vocum cantibus constat .... et quae decemit 
in sonis acutum et gravem. 

Interessant ist im Anfang die Stelle über eineViertheilung der Töne 
in simplices adsimplices, compositae ad compositas, simplices ad composiiaSy 
compositae ad simplices^ welche von gewissen Theoretikern zu Gunsten 
der Dreitheilung in graves, acutae, superßuae verworfen worden sei. 
Nicht ganz klar ist, was der Verfasser mit der ersten Theilung meint. 
Voces simplices sind Ganz- und Halbton, compositae die aus jenen 
zusammengesetzten Konsonanzen. Und zwar Ovaren vielleicht die 
beiden Terzen simplices ad simplices, da der dazwischen liegende Ton 
nach beiden Seiten hin einfache Töne ergiebt, die Quarten und Quinten 
simplices ad compositas, da z. B. von C zu D eine vox simplex und 
von D bis F oder G eine vox composita ist, die beiden Sexten 

(■7. , { semitonio\ .. t . ,. j j« tt j • 

diapente cum l . > compositae ad stmphces und die Undecime 

[diapason et diatessaron] , Duodecime [diapason et diapente), Doppel- 
oktave [disdipason) composita-e ad compositas. 

In der Systemisirung folgt der Verfasser dem Boetius und Cassio- 
dor. Er theilt die Musik in musica mundana, humana und instrumen- 
talis. Letztere kommt zum Ausdruck theils auf natürlichen [naturali- 
bus)j theils auf künstlichen [artificialibus) Instrumenten. Erstere sind 
Zunge, Zähne, Gaumen etc., letztere, quibus tonus per doctrinam et 
industriam elicitur, ut lyra et timpanum etc., quae humano exercitio 
sunt inventa. Die musica instrumefitalis wird untergetheilt in melica, 
metrica, rhythmica. Aus der Definition von melica: quae cantibus 
discemendis et cognoscendis proportionaliter est atiributa, erkennen wir, 
daß dies nichts wesentlich Anderes als die musica harmonica ist, und 
daß wir hier das Kassiodorische System vor uns haben. 

Aus der Buchstabennotation folgert er, daß, da das F ein grie- 
chischer Buchstabe und gleichsam der Ursprung und die Grundlage 
der folgenden Töne ist. die Musik von den Griechen erfunden, von 
den Lateinern (die lateinischen Buchstaben) aber vervollkomnet sei. 
[Haec ars a Graecis i7u:enta, a Latinis vero consummatä]. In origineller 
Weise erzählt er hierauf, wie Pythagoras aus dem Zusammenklang der 
vier Hämmer die Musik herausgelockt habe. Nach dessen Tode sei die 



1 Etymologiae III. Gerbert I, 21. 

28 



416 Johanne« Wolf, 



Musik wieder vemachlässigt worden ; und Boetius und Guido gebühre 
das Verdienst^ diese Kunst wieder zu Ansehen gebracht zu haben. 

Er nimmt das guidonische System von F — , an, theilt also die 

Tonreihe in graves, acutae^ superacutae oder superezcellenies. Hin- 
sichtlich der Notirung zerfällt die Tonreihe in loca linealia und 
spacialta. Linealia sind die graves F, B^ Z>, F, die acuiae a, c, e, g 

und die st^eracutae ^ ^7, spacialia die übrigen. Daneben theilt er die 

ganze Tonreihe nach Duihexachorden und wendet auf die Töne des 
Hexachords die Solmisatignssilben : ut, re^ mij fa^ sol^ la^ an. Den 
Unterschied der Hexachorde nennt er proprxetas. Es giebt deren 
drei: b durum, b molle und propria nota. Das Hexachord mit 6 c&rum 
setzt auf r, G oder g ein , das mit b molle auf F (f) und das mit 
der pi'opria nota auf C (c). Die Namen der Hexachorde sind 

hexachordum durum 
» molle 

» naturale. 

Wie oberflächlich Coussemaker Handschrifiten bearbeitet hat, zeigt 
die Stelle : Sic aliquo modo debile iudicatur propria nota tertia pro- 
piHetas dicitur quia proprio^ voces vindicat ab utraqtie praedictarum 
proprietate separatas. Hier zieht er ganz widersinnig propria nota 
zum Vorhergehenden, das über b molle handelt, und beginnt erst mit 
tertia proprietär einen neuen Abschnitt, da doch die dritte proprietxts 
gerade die propria nota ist. 

Durch die Verschränkung der Hexachorde fallen auf einige Töne 
zwei und drei Silben. Bei diesen finden mutationes statt. Muiatio 
est progressio ab alia proprietate in aliam. Die Töne mit zwei Silben 
haben zwei mutatio7ieSj die mit drei deren sechs, z. B. y« ut hat die 
7nutatione8 fa-ut, ut-fa und sol re ut folgende : sol-re, re-solj sol-^^ 
nt-solj re-ut, ut-re. Diese Mutationslehre tritt wegen einiger augen- 
scheinlichen Auslassungen im Cod. Bas. nicht deutlich hervor, wird 
aber durch den Vergleich mit der Handschrift bei Coussemaker klar 
gestellt. In der darauf folgenden Lehre über die Modi ist ee eigen- 
thümlich, daß er alle Beziehungen zweier Töne auf einander mit 
consonajitia bezeichnet. Der Begriff ist alsdann wohl so zu fassen, 
wie er im ersten Traktate definirt wurde. Er unterscheidet elf species 
co7ison.antiarum, von denen er drei (diatessaro?iy diapente, diapason) als 
principales consonantiae hinstellt. Diese species sind: UnisonuSj tonus, 
semito7iium^ ditonuSy semiditonus^ diatessaron, tritonus, diapente, diapenie 
cum to?iOj diapefite cum semitonio, diapason. Diese geht er einzeln 



Anonymi cujusdam Codex Basiliensis. 417 



durch. Mit besonderem Nachdruck betont er, daß nicht beliebige 
fünf Töne die diapente ergeben, sondern B F und E 7 sowie ihre 
Wiederholungen davon auszunehmen sind. Mit dem Nachweise, daß 
die Oktave aus acht und nicht aus neun Tönen bestehe, obwohl die 
Quarte und Quinte, aus denen sich die Oktave zusammensetzt, vier 
und fünf Töne hat, schließt die Handschrift. Das explicit fehlt, 
wie schon gesagt. Es ist also nicht unmöglich, daß der Theil, der 
über die Musica organica handelt, noch folgen sollte, zumal in der 
Handschrift noch Raum frei geblieben ist. 



Die natürliclie Stimmung in der modernen 

Vokalmusik. 

Von 

Max Planck. 



I. 

Die Frage, ob der natürlichen Stimmung in der modernen Musik 
irgend eine praktische Bedeutung zukommt, trifft gegenwärtig in 
Musikerkreisen, soweit sich dieselben überhaupt mit ihr beschäftigen, 
noch auf sehr verschiedenartige Beurtheilung. Wohl die überwiegende 
Mehrzahl hält daran fest, daß es sich hier um geringfügige Unter- 
schiede von mehr theoretischem Interesse handelt und daß in der 
praktischen Ausübung der Kunst weder heute noch auch in Zukunft 
sich irgend eine Veranlassung ergeben wird, eine andere als die nun 
schon durch mehr als zwei Jahrhunderte mit so glänzendem Erfolge 
bewährte temperirte Stimmung zu berücksichtigen. Daneben zeigen 
sich allerdings einzelne widersprechende Erscheinungen : so wird von 
aufmerksamen Geigenspielern ziemlich allgemein zugegeben, daß es 
gewisse Falle giebt, wo ein Doppelgriff besser klingt, wenn er nicht 
genau im temperirten Intervall, sondern etwas abweichend davon 
genommen wird, und erfahrene Chordirigenten wissen, daß beim 
a cappella -Gesang in einem piano ausgehaltenen Durdreiklang die 
Terz leicht etwas zu tief genommen wird. Andere betrachten da- 
gegen diese Erscheinungen nicht als sekundär, sondern gerade als 
die normalen: ich habe öfters von sachkundiger Seite die Ansicht 
aussprechen und sogar als ziemlich selbstverständlich hinstellen hören, 
daß das Streichquartett und der mehrstimmige Gesang sich immer 
nach der natürlichen Stimmung richte.* Einige Theoretiker gehen 
sogar so weit, der temperirten Stimmung überhaupt jede Berechtigung 
abzusprechen, da sie sich von den natürlichen Verhältnissen entferne 
und sozusagen dem Ohr etwas vorlüge — ein Standpunkt, der sich 
allerdings Angesichts der thatsachlichen Leistungen der temperirten 
Stimmung von selber richtet. 



Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 419 



Versucht man, in den Gegenstand der beregten Meinungsver- 
schiedenheiten tiefer einzudringen, so erhellt sogleich, daß es sich 
hier um zwei von einander gänzlich verschiedene Untersuchungen 
handelt: die eine betrifft die Frage, welche Stimmung in der Musik 
jetzt oder in Zukunft die größte Berechtigung hat, die andere die, 
welche Stimmung in der Musik, so wie wir sie gegenwärtig etwa in 
Konzerten und Theatern zu hören bekommen, thatsächlich zur An- 
wendung kommt. Die Beantwortung der ersten Frage ist ungleich 
schwieriger und überhaupt nur bis zu einer gewissen Grenze mög- 
lich, da sie jedenfalls auch ein Eingehen auf die dem Wechsel der 
2*eit in hohem Grade unterworfenen ästhetischen Wirkungen des 
Zusammenklangs erfordert; sie hat überdies die Beantwortung der 
zweiten Frage zur nothwendigen Voraussetzung; denn es ist nicht 
denkbar, daß man im Stande sein sollte, Vorschriften über die Aus- 
übung der Kunst zu machen, wenn man sich nicht vollkommen klar 
darüber ist, auf welche thatsächlich bestehenden Verhältnisse diese 
Vorschriften angewendet werden sollen, und welche Veränderungen 
daher ihre Befolgung hervorrufen wird. Vielleicht ist auch der Um- 
stand, daß sich die bisherigen Untersuchungen auf diesem Gebiete 
vorwiegender mit der Frage beschäftigt haben, was sein soll, als mit 
der, was wirklich ist, mit ein Grund dafür, daß sie auf die prak- 
tische Musik bisher keinen merklichen Einfluß ausgeübt haben. 

Im Folgenden werde ich mich hauptsächlich mit der Unter- 
suchung der Thatsachen, aliso mit der in der Musik gegenwärtig zur 
Anwendung kommenden Stimmung beschäftigen. Daß eine solche 
Untersuchung nicht überflüssig ist, zeigt das diametrale Auseinander- 
gehen der im Eingang erwähnten Ansichten; eher ließe sich gegen 
sie einwenden, daß sie zu komplicirt ist, um überhaupt ein be- 
stimmtes Kesultat zu versprechen. Denn der einzige Weg zur voll- 
ständigen Lösung der gestellten Aufgabe wäre offenbar der, daß man 
von Ort zu Ort ginge und überall die Leistungen von Chören und 
Orchestern in der Wiedergabe möglichst verschiedenartiger Kompo- 
sitionen nach einer zuverlässigen Methode prüfte und zusammenstellte, 
und es ist keinesfalls zu erwarten, daß die Resultate überall ganz 
übereinstimmend lauten würden, schon wegen der Verschiedenwerthig- 
keit des Materials und der Vorführungen. Aber es wäre doch schon 
viel gewonnen, wenn es gelänge, etwa in bestimmten Fällen und bei 
den besten Leistungen, irgend ein allgemeines Gesetz in Bezug auf 
die zur Anwendung kommende Stimmung aufzustellen; und selbst 
wenn dies sich als unmöglich herausstellen sollte, wenn also die 
musikalische Praxis gänzlich regellos schwanken würde zwischen der 
natürlichen, der temperirten, der pythagoreischen und anderen 



420 ^^^ Planck, 



Stimmungen, so wäre die Erkenntniß dieser Thatsache an sich wohl 
schon einer derartigen Untersuchung werth, und zwar nicht nur aus 
wissenschaftlichen, sondern auch aus rein künstlerischen Gründen. 
Denn wenn man bedenkt, daß jeder Fortschritt und jede Verfeinerung 
in den Leistungen einer Kunst nach allen unseren Erfahrungen aufs 
engste verbunden ist mit der Vermehrung und Vervollkommnung 
ihrer technischen Ausdrucksmittel — dies Wort im allgemeinsten 
Sinn genommen — , so erhellt sowohl für den schaffenden als auch 
für den reproducirenden Künstler die Wichtigkeit der Aufgabe, »ich 
der Existenz und des Wirkungsbereiches dieser Ausdrucksmittel, zu 
denen die Musik in vorderster Linie die Stimmung zählt, bewußt zu 
werden; denn nur dann wird er sie in wirklich wirksamer, und 
nicht blos in eingebildeter Weise verwenden können. 

Ich habe nun die angedeutete Untersuchung, allerdings in sehr 
beschränktem Rahmen, begonnen und bin dabei zu gewissen Resul- 
taten gekommen, die ich unten mittheile und deren Bestätigung in 
weiterem Umfange bez. Einschränkung ich anderen Untersuchungen 
anheimstellen muß. Da es sich um die Prüfung von veränderlichen 
Intervallen handelt, so sind Instrumente mit festen Tönen, deren 
Stimmung ja unmittelbar bekannt ist, von ihr ausgeschlossen, und 
es bleiben übrig die Streichinstrumente und die menschliche Stimme. 
Von diesen habe ich nur die letztere untersucht, weil bei ihr eine 
Verschiedenheit der Stimmung im Allgemeinen jedenfalls eine noch 
größere Rolle spielen muß, als in der Streichmusik, deren leichtere 
Beweglichkeit den praktischen Einfluß der Genauigkeit der Inter- 
valle häufig mehr zurücktreten läßt. Es kommt also im Folgenden 
auf die Messung gesungener Intervalle an, und zwar nicht im Labo- 
ratorium, sondern im Konzertsaal, durch welchen Umstand die Unter- 
suchung einigermaßen erschwert wird, da man hier die Versuchs- 
bedingungen nicht willkürlich variiren kann; als einzig ausführbare 
Messungsmethode erscheint die direkte Beurtheilung durch das Ohr. 
Allerdings muß das Gehör für derartige Beobachtungen zuvor be- 
sonders geschult werden, da es unter gewöhnlichen Umständen zu 
wenig empfindlich und zudem durch allerlei Einwirkungen mancherlei 
Täuschungen ausgesetzt ist. Zur Vermeidung derselben ist eine sorg- 
fältige Vorbereitung nothwendig, und diese Vorbereitung bildet den 
schwierigsten, sowie auch ihre Besprechung den umfangreichsten 
Theil der ganzen Arbeit. 

Vor allen Dingen muß das Ohr auch andere Intervalle als die 
temperirten des Klaviers und der Orgel kennen lernen, und zwar 
keine zufälligen Abweichungen, wie sie bei unreiner Musik vor- 
kommen, sondern wohldefinirte Unterschiede, wie sie die natürliche 



Die natürliche Stimmunj? in der modernen Vokalmusik. 421 



oder die pythagoreische Stimmung liefern. Für diesen Zweck stand 
mir als vorzüglich geeignet zur Verfügung ein großes Harmonium 
in natürlicher Stimmung, welches von dem Lehrer Carl Eitz in Eis- 
leben erfunden und konstruirt und im Auftrag der preußischen 
Staatsregierung von der Pianofortefabrik Schiedmayer in Stuttgart 
erbaut worden ist. Die Tastatur dieses Instruments^ welchem ich 
auch die Anregung zu der gegenwärtigen Untersuchung verdanke, 
habe ich in den Verhandlungen der Physikalischen Gesellschaft zu 
Berlin 'Sitzung vom 20. Januar 1S93) beschrieben;' hier will ich 
nur anführen, daß dasselbe 4V2 Oktaven, und in jeder Oktave 104 
verschieden hohe Töne enthält, nämlich 8 verschiedene Quinten- 
reiben, eine jede zu 13 Tönen (z. B. as-es-b-f-c-g-d-a-e'-h-^S'cis'gis) . 
Dabei sind je 2 benachbarte Quintenreihen um ein syntonisches Komma 
von einander verschieden. Man kann also auf diesem Instrument, was 
bisher noch in keiner derartigen Konstruktion erreicht wurde, 8 um 
natürliche Terzen von einander abstehende Töne angeben (z. B. deses- 
fes-as-c^e-gis-his-disis)^ ebenso die übrigen natürlichen und die pytha- 
goreischen Intervalle. Aber auch jedes temperirte, sowie überhaupt 
jedes ganz beliebig gedachte Intervall kann man auf dem Instrument 
in festen Tönen angeben, da man die in so großer Anzahl verfüg- 
baren Intervalle stets durch passende Kombination zu einem Intervall 
zusammensetzen kann, dessen Abweichung von dem gesuchten für 
das feinste Ohr unmerklich ist. So z. B. erhält man die temperirte 
große Terz bis auf den 68. Theil eines syntonischen Kommas genau 
durch Zusammensetzung von 9 reinen Quinten in aufsteigender Rich- 
tung und 6 natürlichen großen Terzen und 3 Oktaven in absteigender 
Richtung. — Die Reinheit und Haltbarkeit der Stimmung des In- 
struments ist ganz befriedigend, die Spielart in Anbetracht der zahl- 
reichen Tasten verhältnißmäßig bequem; ein gemsser Mangel liegt 
darin, daß nebeneinanderliegende Töne häufig an Stärke und Klang- 
farbe mehr von einander abweichen, als es wünschenswerth ist, wenn 
man eben nur ihre Tonhöhen vergleichen will. Namentlich gehört 
einige "Übung dazu, sich nicht von der Klangfarbe beeinflussen zu 
lassen, da man gewöhnlich geneigt ist, einen schärferen Ton für 
höher zu halten als einen gleichhohen weicheren. Diese Fehlerquelle 
muß also noch besonders berücksichtigt werden, sie läßt sich immer 
dadurch vermeiden, daß man jeden Versuch auch in andere Ton- 
lagen transponirt. 

Ich gehe nun zunächst zur Besprechung einer Reihe von Er- 
scheinungen über, die sich auf die musikalische Wirkung gewisser 



^ W^iedemann's Annalen der Physik und Chemie, 48. Band, 1893. 



422 ^*^ Planck, 



Mehrklänge und Tonfolgen beziehen und die mir beim Spielen des 
Instruments besonders auffielen. Das Wesentliche derselben ist längst 
bekannt; doch müssen sie hier mit Kücksicht auf die später zu 
machenden Anwendungen noch etwas weiter ins Praktisch-Musika- 



lische verfolgt werden. 



II 

Wenn man, mit vollständig ausgeruhtem Gehörorgan, die Töne 
eines Durdreiklangs, etwa mit temperirter Terz, aber ein wenig ver- 
stimmter Quinte, gleichzeitig angiebt und sich, ohne kritisch zu 
analysiren^ der Gesammtwirkung des Klanges hingiebt, so hat man 
vollständig den Eindruck des konsonanten Dreiklangs, wenn auch 
vielleicht mit einem gewissen Beigeschmack, trotzdem das Ohr bei 
entsprechender Aufmerksamkeit und besonders beim Vergleich mit 
reineren Intervallen sehr wohl im Stande wäre, die Verstimmung 
der Quinte wahrzunehmen. Schon Chladni^ bemerkt hierüber: 4 Es 
ist ein unzweifelhafter Erfahrungssatz, daß, wenn man ein Intervall 
hört, welches nur äußerst wenig von einem durch einfachere Zahlen 
auszudrückenden Intervall abweicht, man das einfachere zu hören 
glaubt, und daß diese Täuschung desto vollkommener ist, je weniger 
die Abweichung beträgt. Daß eine solche Täuschung des Gehörs 
stattfindet, ist auch sehr wohlthätig für uns, weil außerdem schlechter- 
dings keine brauchbare Musik existiren könnte.« Diese Fähigkeit 
des Gehörs, mit einem verstimmten Intervall vorlieb zu nehmen, 
sich ihm gewissermaßen zu akkommodiren, welche etwa der Fähig- 
keit des Gesichtssinnes vergleichbar ist, eine mit merklichen per- 
spektivischen Fehlem behaftete Zeichnung dennoch mit dem richtigen 
räumlichen Eindruck wirken zu lassen, erstreckt sich übrigens nicht 
blos auf sehr kleine Verstimmungen, sondern unter Umständen, wenn 
die Tonhöhe nicht sehr ausgesprochen ist, z. B. bei der Pauke, so- 
gar auf Halbtöne und mehr. ^ Individuell scheint sie, auch bei 
Musikern, sehr verschieden zu sein, und wechselt auch bei einer 
und derselben Person je nach den Umständen. Ich selber erinnere 
mich sehr deutlich, daß es mir als Knabe viel weniger gut als jetzt 
gelang, einen etwas verstimmten Dreiklang, so wie er auch bei 
besseren Orchestern, besonders in den Bläsern durch Temperatur- 
einflüsse, oder auch auf der Bühne in einem a cappellaSs,tze leicht 
einmal vorkommen kann, als rein in die Empfindung aufzunehmen. 



i Akustik, 1830. § 36. 

-^ Vgl. Stumpf, Tonpsychologie, IL Band, 1890. p. 400. 



Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 423 

Die Töne wollten dann nicht miteinander verschmelzen und ich 
hörte immer nur jeden einzeln; auch ist kein Grund zu der An- 
nahme vorhanden, daß vor 25 Jahren weniger reine Musik gemacht 
wurde als heutzutage. Allerdings kommt hierbei auch die allgemeine 
Thatsache mit in Betracht, daß Kinder immer mehr auf das Detail 
achten und es erst mit der Zeit lernen müssen, das Ganze als eine 
Einheit zu erfassen. 

Aber auch in jedem Augenblick ist die Fähigkeit, sich einem 
verstimmten Intervall zu akkommodiren, den Umständen und bis zu 
einem gewissen Grade auch der Willkür unterworfen. Man kann 
sein Gehör geradezu einstellen auf einen höheren oder geringeren 
Grad von Akkommodationsvermögen. Das Ohr des Konzertbesuchers 
ist, bei gespanntester Aufmerksamkeit im Übrigen, akkommodations- 
fähiger, wenn er als Genießender, wie wenn er als Kritiker erscheint. 
In besonders hohem Maße muß es der Dirigent verstehen, seinem 
Ohr das Akkommodiren, das bei ganz geringen Verstimmungen immer 
unmllkürlich erfolgt, zu verbieten, und auch der Sänger wird seinen 
Ton um so reiner einsetzen und aushalten, je weniger er von der 
Akkommodationsfähigkeit seines Ohres Gebrauch macht. In jedem 
Falle muß natürlich, wenn Musik erträglich rein wirken soll, die 
Akkommodationsfähigkeit des Zuhörers noch weiter gehen als die 
der Ausführenden. 

Es wäre nun aber sehr verkehrt, wenn man daraus den Schluß 
ziehen wollte, daß, im Falle nur die nöthige Akkommodation statt- 
findet, der Grad der Keinheit im Übrigen von geringem oder gar 
verschwindendem Werth sei, und daß demnach die auf die Erzielung 
größtmöglicher Reinheit gerichteten Bemühungen von da ab keine 
praktische Bedeutung mehr hätten. Denn wenn die Akkommodation 
thatsächlich vollständig und auch vollkommen unwillkürlich von 
Seiten des Hörers erfolgt, so geht daraus noch keineswegs hervor, 
daß sie ohne begleitende Nebenerscheinungen bleibt, die auf die 
künstlerische Wirkung der Musik Einfluß haben können. Es wird 
sich vielmehr direkt zeigen, daß jede Akkommodation, auch die 
unwillkürliche, immer gewisse Begleiterscheinungen, darunter Eigen- 
thümlichkeiten in der Klangfarbe, vor Allem aber ein gewisses Ge- 
fühl der Spannung bedingt, welches schnellere Ermüdung des Hörers 
bewirken kann. Die Mühe und Sorgfalt, welche die ausübenden 
Künstler auf die Keinheit der Stimmung verwenden, kommt also 
doch dem Hörer zu Gute, sie hat den Zweck, diesem die Arbeit 
des Akkommodirens, die er sonst zu leisten hätte, abzunehmen und 
ihn so zu freierer Entfaltung seiner Phantasie in der von der Kom- 
position gewollten Richtung zu befähigen. 



424 ^^^ Planck, 



Eine direkte Untersuchung der mit dem Vorgang der Akkom- 
modation verbundenen Erscheinungen ist nur dadurch möglich, daß 
der Grad der Verstimmung verändert, sei es erhöht oder verringert 
Avird. Denn so lange in der nämlichen Verstimmung weiter musicirt 
wird, fehlt ein deutliches Vergleichungsohjekt. So kann unter Um- 
ständen, wenn man längere Zeit hindurch keine Musik gehört hat, 
ein verstimmtes Klavier oder ein gleichmäßig unreiner Gesang, bei 
dem die Fehler unterhalb einer gewissen Grenze bleiben, ziemlich 
leidlich und unauffällig wirken; sobald aber daneben reinere Musik 
zu hören ist, werden die Unterschiede deutlich genug hervortreten. 
Um also nun die fraglichen Wirkungen an einem verstimmten Inter- 
vall, etwa einer Quinte, zu studiren, kann man z. B. den Grundton 
festhalten und die Tonhöhe der Quinte mit der Zeit verändern. Da- 
bei muß jedoch eine Vorsichtsmaßregel eingehalten werden, deren 
Nichtbeachtung die zu untersuchende Erscheinung stören, ja sogar 
ins Gegentheil verkehren könnte. Die Änderung des betreffenden 
Tones darf durchaus nicht sprungweise, sondern muß sehr langsam 
und allmählich vorgenommen werden. Jeder plötzliche Sprung in 
der Tonhöhe erzeugt nämlich eine besondere Wirkung, die daher 
rührt, daß der frühere Ton sich in der Erinnerung mit dem späteren 
vermischt; diese wird im nächsten Abschnitt zu besprechen sein. 
Hier haben wir es nur mit der Wirkung gleichzeitiger reeller Töne 
zu thun, und können diese nur dadurch sicher erhalten, daß wir 
immer nur allmähliche und langsame Übergänge vornehmen. Auf 
dem Harmonium läßt sich eine solche stetige Änderung der Ton- 
höhe sehr bequem dadurch hervorbringen, daß man die Taste nicht 
fest andrückt, sondern etwas hebt oder senkt. Dadurch wird der 
Windzufluß zur Zunge verringert bez. vergrößert und der Ton in 
Folge dessen etwas tiefer bez. höher. Die Unterschiede gehen bis 
zu etwa einem Komma. 

Läßt man nun in dieser Weise eine etwas zu hohe Quinte, der 
man sich zuvor vollständig akkommodirt hat, langsam kleiner werden, 
so nimmt der Klang, zugleich mit der Verringerung der Häufigkeit 
der Schwebungen, etwas Kuhigeres. Gleichmäßigeres und Weicheres 
an,^ und zugleich verspürt man deutlich die Abnahme eines gewissen 
Spaimungsgefühls. Dabei ist charakteristisch, daß man sich der 
Existenz dieses Spannungsgefühls erst eben durch die Abnahme des- 
selben bewußt wird, sowie man etwa den Druck einer gewohnten 
Bürde erst durch die Erleichterung bemerkt, welche eintritt, wenn die- 
selbe weggenommen wird. Besonders interessant ist der Augenblick, 



1 Vgl. Helmholtz, Ton emp findungen, 1877, p. 299 ff. 



Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 425 



wo das natürliche Inteivall sich herstellt und die Schwebuagen sich 
ganz verlieren. Für mich ist dieser Übergangspunkt geradezu eine 
Quelle künstlerischen Genusses: es ist^ als ob ein gewisser letzter 
Erdenrest verschwände und zugleich sich ein Schleier lüfte, welcher 
der Phantasie den Einblick in eine neue, bis in unendliche Fernen 
reichende Welt eröffnet. Selbstverständlich erfordern diese Versuche 
die konzentrirteste Aufmerksamkeit und lassen sich daher in Gegen- 
wart eines Auditoriums leider nicht mit sicherem Erfolg ausführen. 

Überschreitet man weiterhin die reine Quinte, indem man das 
Intervall noch kleiner nimmt, so stellen sich die Schwebungen wieder 
ein, und mit ihnen das Gefühl der Anspannung, wenn auch in anderer 
Weise; zugleich macht der Klang den Eindruck des Matten, Faden, 
der sich immer mehr steigert. Schließlich kommt dann ein Punkt, 
wo die Akkommodation des Hörers nicht mehr folgen kann und das 
Intervall nicht mehr als rein, sondern als verminderte Quinte bez. 
als übermäßige Quarte aufgefaßt wird. Ganz entsprechend sind die 
Eindrücke, die man auf dem umgekehrten Wege: beim allmählichen 
Größerwerden des Intervalls empfängt. Nach der Überschreitung 
des natürlichen Intervalls wird die Spannung immer stärker, die 
Klangfarbe immer schärfer, bis auch auf dieser Seite die Akkommo- 
dation schließlich ein Ende nimmt. 

Ahnliche Erscheinungen wie bei der Quinte, und ihrer Um- 
kehrung: der Quarte, lassen sich bei anderen Intervallen beobachten, 
so bei der Oktave, der großen Terz, auch bei der kleinen Septime, 
deren Klang im natürlichen Intervall (4 : 7) ganz besonders weich 
und schön ist. Dabei gilt die Regel, daß die Akkommodation um 
so leichter erfolgt und sich um so weiter treiben läßt, je weniger 
konsonant das Intervall ist. Eine Oktave verträgt lange nicht den 
Grad der Verstimmung wie die Quinte, und diese wieder lange nicht 
den der Terz. Bei der großen Terz ist übrigens der Akkommodations- 
bereich von der natürlichen Terz aufwärts gerechnet, merklich größer 
als der von ihr abwärts gerechnet, d. h. eine große Terz, die über 
der natürlichen liegt, wird viel eher für richtig gehalten, als eine, 
die um ebensoviel unter der natürlichen liegt. Hier zeigt sich deut- 
lich die Gewöhnung unseres Ohrs an die temperirte Stimmung. 

Auch in der Praxis läßt sich das Walten der besprochenen Vor- 
gänge nachweisen. Der Leitton zur Tonika, die große Terz der 
Dominante, wird bekanntlich, besonders in leichterer, z. B. Operetten- 
musik, gern sehr hoch genommen. Wenn nun, wie es in Schluß- 
kadenzen gelegentlich vorkommt, auf dem Dominantseptimenakkord 
eine Fermate liegt, und der Sänger darin jenen Leitton auszuhalten 
hat, so steigert er nicht selten, um seiner Stimme einen schärferen 



426 ^** Planck, 



Ausdruck zu geben, noch während des Haltens allmählich die Ton- 
höhe und liefert so gerade die Bedingungen zu dem oben beschriebenen 
Versuch. Es ist auffallend, wieviel hierbei oft der Akkommodations- 
fähigkeit der Hörer zugemuthet wird, von denen gewiß oft schon 
ein großer Theil die Spannung nicht mehr ertragen kann und die 
Akkommodation längst aufgegeben hat, wenn der Sänger noch mitten 
in seiner Fermate ist. Kommt dann schließlich der erlösende Halb- 
tonschritt zur Tonika, so führt er sehr häufig dementsprechend zu 
hoch hinauf, und die Kadenz endigt in einen Mißklang. 

HI. 

Läßt man auf dem Harmonium einen natürlichen Dreiklang 
einige Zeit lang ertönen, und giebt unmittelbar darauf einen anderen 
reinen natürlichen Dreiklang an, der um ein Komma höher oder 
tiefer liegt, so ist die Wirkung abscheulich. Man glaubt im ersten 
Augenblick den ärgsten Mißklang zu hören und oft erst, wenn er 
mehrere Sekunden lang ausgehalten ist, bricht sich die Gewißheit 
Bahn, daß man es doch mit nichts Anderem als wieder mit einem 
rein gestimmten natürlichen Dreiklang zu thun hat. Dann ist aber 
die Rückkehr zu dem vorigen mit derselben unangenehmen Em- 
pfindung verbunden. Die Ursache dieser Erscheinung ist offenbar 
der Umstand, daß nach dem vollständigen Erlöschen eines physischen 
Klanges eine gewisse psychische Nachwirkung zurückbleibt, die eine 
Zeit lang ziemlich kräftig ist und erst allmählich sich verliert. In 
dem besprochenen Beispiel wirken also außer den aktuellen Tönen 
des neuen Dreiklangs auch die verklungenen Töne des alten in der 
Erinnerung nach und geben einen ähnlichen beleidigenden Effekt, 
als wenn man die beiden Akkorde gleichzeitig zu hören bekommen 
hätte. 

Dagegen kann der Übergang von dem einen Dreiklang zum 
andern frei von jeder unangenehmen Empfindung ausgeführt werden, 
wenn man ihn nicht unvermittelt vornimmt, sondern eine Reihe 
anderer Akkorde dazwischen schiebt, von denen jeder sowohl mit 
dem vorhergehenden als auch mit dem folgenden verwandt ist. Hier- 
auf beruht die Sitte, bei kurz aufeinanderfolgenden Vortragsstücken 
entweder verwandte Tonarten zu wählen, oder, wenn das nicht an- 
gängig ist, ein kurz hinüberleitendes Präludium einzuschieben, um 
so das Ohr des Zuhörers wie auch des Vortragenden erst an die 
neue Tonart zu gewöhnen. Diese psychische Nachwirkung bedingt 
überhaupt einen großen Theil aller musikalischen Effekte. Der Ein- 
druck, den ein bestimmter Akkord auf uns macht, hängt nicht allein 
von seiner eigenen Beschaffenheit ab, sondern sehr wesentlich auch 



Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 427 



von der Art, wie das Ohr auf ihn vorbereitet worden ist. So kann 
ein und derselbe Akkord unter Umständen wie eine himmlische Offen- 
barung, unter anderen Umständen nichtssagend und trivial wirken* 

Was von Akkorden gilt, gilt auch von einzelnen Tönen. Das 
lebendige Bewußtsein einer Tonika und das Bedürfniß, zu ihr zu- 
rückzukehren, beruht auf der Erinnerung, die sie in uns vom Be- 
ginn des Stückes an zurückläßt. Überhaupt ist ja diese Erinnerung 
schon Vorbedingung für die Möglichkeit, zwei um ein bestimmtes 
Intervall diflferirende Töne nacheinander zu singen^ wobei dann der 
erste Ton im Gedächtniß nachwirkt, während der zweite gesungen 
wird. Der Schritt von einem Ton zu einem andern hat daher in 
der Wirkung immer etwas von dem Zusammenklang beider Töne ; 
so wirkt z. B. ein kommatischer Schritt an und für sich immer 
häßlich, und läßt sich deshalb im Allgemeinen für die praktische 
Musik nicht ohne Weiteres rechtfertigen. 

In einer Generalpause bildet die psychische Nachwirkung die 
Brücke, welche von dem letzten Akkord zum nächsten hinüberführt. 
Nicht nur der Spieler und Sänger behält während dessen den Ein- 
druck der letztverklungenen Töne, auch der Zuhörer läßt seine 
Einbildungskraft an dem begonnenen Faden in derselben Richtung 
weiterspinnen. Beweis dafür ist der üble Effekt, den der leiseste 
fremde Ton, z. B. einer aus Unachtsamkeit berührten leeren Saite, 
während einer solchen Pause hervorbringt. Wie mit einem Messer 
ist der Faden durchschnitten und dadurch oft die ganze Wirkung 
verdorben. Ein indifferentes Geräusch, wie z. B. das Rücken eines 
Stuhles, des Umwenden eines Notenblattes, kann dagegen weit stärker 
sein, und doch viel unschädlicher verlaufen. Fügt es aber ein glücklicher 
Zufall, daß die leere Saite mit einem charakteristischen Ton des letzten 
Akkordes übereinstiinmt, so vermag die Einbildungskraft gelegentlich 
sich diesen Ton noch zu assimiliren und mit ihm weiter zu wirken. 

Bei der Intonation eines a cappella-GestLUges wird die Fähigkeit 
der Sänger in Anspruch genommen, den vom Dirigenten angegebenen 
Ton bis zum Beginn des Stückes genau festzuhalten. Es kann dies 
entweder durch angespannte Vorstellung des betreffenden Tones ge- 
schehen, wozu nur einige Übung: gehört, oder auch dadurch, daß 
die Sänger den Ton sich durch Nachsummen deutlicher einzuprägen 
suchen. Gegen das letztere, in unseren Saal- und Kirchenkonzerten 
öfters zu beobachtende Verfahren, möchte ich mich bei dieser Ge^ 
legenheit mit einigen Worten wenden. Zuverlässiger ist dasselbe 
keineswegs immer; denn daduich, daß der Ton noch besonders nach- 
gesungen wird, schaltet sich zwischen den ursprünglich markirten 



428 ^^^ Planck, 



und den später öffentlich gesungenen Ton noch ein Zwischenglied 
und somit auch eine Fehlerquelle ein, zumal das Summen des an- 
gegebenen Tones unter erschwerenden Umständen stattfindet. Ent- 
scheidender jedoch fällt ins Gewicht die nachtheilige Wirkung, 
welche dieser Blick hinter die Coulissen auf das Publikum ausübt. 
Überraschend und geheimnißvoU, wie aus einem Zauberfiillhorn aus- 
strömend, müssen die ersten Klänge anheben, wenn sie ihren besten 
Eindruck auf den Zuhörer hervorbringen sollen. Das Einstimmen 
der Instrumente beim Orchester läßt sich hiermit nicht vergleichen, 
weil es indifferent ist. Was würde man aber sagen, wenn in einem 
Streichquartett die Spieler den Beginn des ersten Satzes vorher leise 
markiren wollten? Nach meinem Dafürhalten sollte ein Chordirigent 
aufs strengste darauf halten, daß, sobald er, zum Chore gewendet, 
den Anfangston markirt hat, auch nicht durch den feinsten Laut 
ein einziger Ton, geschweige denn die Tonart des Stückes dem 
Publikum im Voraus verrathen wird. 

Die Frage, wie lange eine Spur der Nachwirkung eines Tones 
bei dem Einzelnen anhält, läßt sich dadurch prüfen, daß man die 
betreffende Person veranlaßt, einen angegebenen Ton nach kürzerer oder 
längerer Pause nachzusingen. Dabei macht es natürlich einen bedeutenden 
Unterschied, ob in der Zwischenzeit die Vorstellung auf diesen Ton 
konzentrirt wird oder ob sie inzwischen andere Bahnen einschlägt. Hier 
kommt also wieder ebenso, wie oben bei der Akkommodation, auch 
die Willkür mit ins Spiel. Wenn Jemand im Stande ist, zu jeder 
beliebigen Zeit einen bestimmten Ton immer wieder richtig anzu- 
geben, so besitzt er das sog. absolute Tongefühl, und zwar in voll- 
ständigerem Sinn als Jemand, der einen ihm angegebenen Ton nur 
richtig zu benennen vermag. Über das absolute Tongefühl sind schon 
manche Erfahrungen gesammelt worden; ich beschränke mich hier 
auf die Betonung seines engen Zusammenhangs mit der psychischen 
Nachwirkung, den ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. So 
lange ich als Kind nur mit einem einzigen Instrument, einem Klavier, 
vertraut war, besaß ich ein sehr ausgesprochenes absolutes Ton- 
gefühl, derart daß ich einst, aufgefordert einen mir sehr wohl im 
Gedächtniß bekannten Marsch auf einem fremden, etwas tiefer ge- 
stimmten Klavier zu spielen , nach den ersten Tönen abbrechen 
mußte, weil ich sogleich vollständig verwirrt wurde und nicht die 
Fertigkeit besaß, in der Eile die doppelte Transposition zu machen: 
einmal im Kopfe in eine tiefere Tonart, und dann wieder auf den 
Tasten zurück in die frühere Tonart. Heutzutage, wo ich vielerlei 
Musik in vielerlei Stimmungen gehört habe, ist mein Tongefiihl 
lange nicht mehr so sicher; es gelingt mir mit Aufwand einiger 



Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 429 

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Mühe ganz gut, den Ton c bis zu einem halben Ton höher oder 
tiefer mir vorzustellen. 

Die hohe Bedeutung der Nachwirkung für die Beurtheilung des 
Wohlklanges von Akkorden in verschiedenen Stimmungen liegt auf 
der Hand. Wenn man zwei Intervalle oder Akkorde, die nur 
kommatische Unterschiede aufweisen, wie z. B. denselben Akkord 
in temperirter und in natürlicher Stimmung, in Bezug auf ihren 
Wohlklang miteinander vergleichen will, so genügt es nicht, die 
beiden Akkorde etwa auf dem Harmonium irgendwie hintereinander 
anzugeben und auf das Gehör wirken zu lassen. Es macht vielmehr 
einen sehr bedeutenden Unterschied, welcher der beiden Akkorde 
zuerst angegeben wird, und wie lange jeder ausgehalten wird. Der 
erste Akkord hat immer einen Vorzug vor dem andern voraus, an 
ihn gewöhnt sich das Ohr zunächst, er nimmt gewissermaßen von 
der Vorstellung Besitz und läßt sich nicht so leicht daraus ver- 
drängen. So finde ich bei der Vergleichung des Molldreiklangs in 
temperirter und in natürlicher Stimmung, daß dieser Dreiklang 
immer in derjenigen Stimmung besser klingt, in welcher er zuerst 
angegeben und lange genug ausgehalten wird. Beginnt jnan mit 
dem temperirten, so klingt nachher die kleine Terz des natürlichen 
zu hoch und scharf, und beginnt man mit dem natürlichen, so 
klingt die Terz des temperirten zu tief und matt. Selbstverständlich 
ist damit nicht gesagt, daß in allen Fällen der vorangehende Akkord 
besser klingt als der folgende, sondern nur, daß der vorangehende 
etwas vor dem folgenden voraus hat, was erst wieder durch ander- 
weitige besondere Vorzüge des folgenden ausgeglichen werden muß, 
wenn dieser einen guten Eindruck machen soll. 

Der besprochene Einfluß geht aber noch viel weiter, als ich 
Anfangs für möglich hielt, er äußert seine Wirkung, wie ich zu 
meinem Erstaunen bemerkte, sogar bei der Vergleichung des Dur- 
dreiklangs in pythagoreischer und in natürlicher Stimmung. Wenn 
ich den pythagoreischen Durdreiklang lange Zeit aushalte, vielleicht 
auch dazwischen einige einfache Modulationen in pythagoreischer 
Stimmung einschalte, und mich so möglichst in seinen Klang ver- 
denke, dann klingt unmittelbar darauf der natürliche Dreiklang im 
ersten Augenblick gamicht wie eine Erlösung, sondern matt und 
ausdruckslos. Dabei beflndet sich das Ohr in einem eigenthümlichen 
Zwiespalt: auf der einen Seite die Terz in der vom Ohre gewöhnten 
und begehrten frischen Höhe, zugleich mit den hämmernden Schwe- 
bungen, auf der anderen Seite die Terz in Kühe, aber doch für das 
augenblickliche Bedürfhiß zu tief. Allerdings hält dieser Eindruck 
immer nur ganz kurz an; sehr bald hat das Ohr herau^efunden 

1893. 29 



430 ^" Planck, 



daB die Töne des natürliclien Dreiklangs doch besser zusammen- 
passen, und dann ist bei der Rückkehr zur pythagoreischen Terz 
der Abstand im Wohlklang sehr viel größer als bei dem umgekehrten 
XJbergange. Nimmt man statt der pythagoreischen Terz die temperirte, 
so gelingt der Versuch noch sicherer. Wesentlich ist aber immer 
dabei, daß der Übergang nicht allmählich, sondern sprungweise 
erfolgt. (Vgl. S. 424.) 

Diese Erscheinungen zeigen, daß das Ohr sich nicht nur einem 
dargebotenen Intervall akkommodirt, sondern daß es sich auch an 
die Akkommodation gewöhnt und daran festhält. Ich kann mir sehr 
wohl den Fall vorstellen, daß Jemand, der eine bestimmte Stelle in 
einem Musikstück immer nur in einer bestimmten Art gelinder Ver- 
stimmung gehört hat, schließlich diese Art der Ausführung geradezu 
verlangt oder wenigstens, wenn er einmal die richtige hört, fremd- 
artig berührt wird. Der Schluß auf den Einfluß der temperirten 
Stimmung, mit der wir aufgewachsen sind, auf unser ganzes musi- 
kalisches Fühlen liegt nahe. Es ist die Gewohnheit, die hier ihre, 
wie in allen Sphären des Lebens, so auch in der Kunst mächtige, 
aber unajuffällige und deshalb häufig unbeachtete Rolle spielt. Selbst- 
verständlich ist ihr Einfluß nicht unbegrenzt; es geht hier so wie 
auch bei anderen abnormen Reizen, daß man sich entweder an sie 
gewöhnt und sie dann vermißt, wenn sie einmal ausbleiben, oder 
daß sie andrerseits jedesmal unangenehmer wirken, bis zur Steigerung 
ins Unerträgliche. Welcher von beiden Fällen thatsächlich eintritt, 
muß jedesmal besonders untersucht werden. 

IV. 

Während ich die oben beschriebenen Studien an dem Eitz'schen 
Harmonium anstellte, überzeugte ich mich zugleich durch besondere 
Versuche, daß mein Gehör bei frei ang^ebenen Mehrklängen und 
einzelnen Tonschritten in den mittleren Oktaven zwischen der natür- 
lichen und der temperirten Stimmung unterscheiden kann, am 
schärfsten und ohne jegliches Besinnen im Durdreiklang, ziemlich 
sicher auch im Molldreiklang, weniger gut, aber mit einigem Nach- 
denken gewöhnlich auch in dissonanten Intervallen, wobei jedoch 
immer bald Ermüdung eintritt. So vorbereitet, benutzte ich jede Ge- 
legenheit, die sich ja in Berlin reichlich findet, um die Frage nach 
der in unserer Vokalmusik thatsächlich zur Anwendung kommenden 
Stimmung in Konzerten und Proben direkt zu prüfen. Dabei wandte 
ich meine hauptsächlichste Aufmerksamkeit den Durdreiklängen zu, 
nicht nur, weil ich dieselben besser zu analysiren verstand, sondern weil 



Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 431 



es keinem Zweifel unterliegt, daß bei diesen der Einfluß der natiirliclien 
Stimmung, falls er überhaupt vorhanden ist, am ehesten zur Geltung 
kommen muß. Die Resultate, welche ich an verschiedenen a cappella- 
Chören gewann, lauten übereinstimmender, als ich erwartet hatte: 
in allen von mir geprüften FäDen, einzelne Ausnahmen abgerechnet, 
auf die ich weiter unten zurückkomme, wurde unzweideutig temperirt 
gesungen. Die charakteristischen gespannten temperirten Terzen sind 
bei einiger Übung so deutlich herauszuhören und so augenblicklich 
wiederzuerkennen, daß eine Täuschung darüber ausgeschlossen er- 
scheint. Daß die temperirte Terz im Durdreiklang erträglich ist und 
sogar von dem Ohr, das an sie gewöhnt ist, gefordert werden kann, 
haben wir in dem vorigen Abschnitt gesehen; daß sie aber wirklich 
gefordert wird, zeigen diese letzten Beobachtungen. Es ist also die 
Macht der Gewohnheit, in erster Linie offenbar bedingt durch die 
häufige Benützung des Klaviers, welche dem Sänger die temperirte 
Stimmung in Fleisch und Blut hat übergehen lassen; er kennt nur 
seine 12 Halbtöne in der Oktave, sie isind ihm das gemeinsame 
Maß fiir alle übrigen Intervalle. ' Wenn er den Schritt c — d zu 
machen ha^ fragt er nicht erst, ob er sich in C7dur oder in £dur 
befindet; er hat weder eine Vorstellung von einem Unterschied, 
noch ein Bedürfhiß, einen solchen zu machen, und in Überein- 
stimmung damit ist es ja auch die Theorie und nicht die Praxis 
gewesen, die das Problem der natürlichen Stimmung wieder hat 
aufleben lassen. 

Nach meiner Erfahrung nimmt ein geübter Sänger auch die 
Tonleiter nicht in natürlicher, sondern in temperirter Stimmung, 
ebenso wie letztere, wenn sie vorgespielt wird, ihm besser klingt als 
jene. Er nimmt sie aber auch nicht in pythagoreischer Stimmung, 
wie ich hier deshalb hervorheben möchte, weil kürzlich in einer 
sonst vielfach verdienstlichen Schrift von J. Steiner^ die Ansicht 
angestellt worden ist, daß die Melodik sich der pythagoreischen 
Stimmung bediene. Ich habe bei meinen Beobachtungen auch nicht 
die Spur von einer Anwendung der pythagoreischen Stimmung ge- 
funden, und kann auch keinen der hierfür angeführten Belege als 
beweiskräftig anerkennen. Daß das jPt^moU im 6. Takte des Vor- 
spiels zu »Lohengrina einem erlesenen Areqpag von Musikern in pytha- 
goreischer Stimmung besser geklungen hat als in natürlicher, glaube 
ich gern ; aber noch viel fester bin ich überzeugt, daß dieser Akkord 
in temperirter Stimmung noch besser geklungen hätte als in pytha- 
goreischer. 



^ Grundzage einer neuen Musiktheorie, Wien 1891. 

29* 



432 ^^^^ Planck, 



Ist somit das derzeitige entschiedene Übergewicht der temperirten 
Stimmung, auch im reinen Vokalgesang, als direkt erwiesen zu be- 
trachten, so drängt sich doch sogleich eine Überlegung anderer Art 
auf. Die temperirte Stimmung ist bekanntlich unkonsequent, sie 
steht mit sich selber im Widerspruch. Denn sie verlangt reine Ok- 
taven, temperirte Quinten (die sehr nahe rein sind) und temperirte 
Terzen. Diese drei Forderungen lassen sich aber gamicht gleichzeitig 
erfüllen; denn jede temperirte Terz ergiebt durch die Obertöne und 
Kombinationstöne, welche ebenso reell, wenn auch schwächer sind 
als die Haupttöne, merklich unreine Quinten und Oktaven. Hierauf 
beruht, wie Ilelmholtz zuerst nachgewiesen hat, die physiologische 
und daher auch die künstlerische Schwäche der temperirten Stimmung. 
Es ist also nur eine Frage der Praxis, ob die genannten Nebentöne 
beim Vokalgesang unter Umständen stark genug hervortreten können, 
um jenen in der temperirten Stimmung begründeten inneren Wider- 
spruch zu Gehör zu bringen. In einem solchen Falle ist zu erwarten, 
daß die Sänger, die Unreinheit fühlend, dieselbe, wenn auch un- 
willkürlich, dadurch auszugleichen suchen, daß sie aus der tem- 
perirten in die natürliche Stimmung übergehen. Ich habe mich daher 
zunächst bemüht, die Bedingungen aufzusuchen, die für das Zustande- 
kommen derartiger Erscheinungen möglichst günstig sind. 

Vor allen Dingen müssen die verschiedenen Stimmen gut auf- 
einander hören und sich nach einander richten — Bedingungen, 
die ohnedies als die ersten Kennzeichen eines tüchtigen Chors an- 
gesehen werden. Doch ist mir immer aufgefallen, wie verschieden 
diese Bedingungen von einem und demselben Chor unter verschie- 
deneu Umständen erfüllt werden. Ein Chor, der für gewöhnlich 
tadellos rein singt, kann unter ungünstigen Verhältnissen, z. B. bei 
Müdigkeit, Hitze, Langeweile, zu einer tüchtigen Leistung unfähig 
sein. Gewöhnlich äußert sich eine derartige Mißstimmung in der 
Unmöglichkeit, die Töne auf konstanter Höhe zu halten ; mehr oder 
weniger merklich sinkt die Stimmung dann herab, und jeder Versuch 
in der hier beabsichtigten Richtung würde natürlich resultatlos ver- 
laufen müssen. Unter allen musikalischen Instrumenten ist ja keines 
nach seiner ganzen Leistungsfähigkeit so innig an die augenblick- 
liche körperliche und geistige Verfassung des Spielers gebunden, 
wie die menschliche Stimme. Daher weiß ein erfahrener Dirigent 
die Mitglieder seines Chors nicht allein durch technisch-musikalische, 
sondern gelegentlich auch durch anderartige, oft selbst persönliche 
Mittel immer wach und rege zu halten und zu den höchsten Lei- 
stungen anzuspornen. Dann besteht das Aushalten eines Tones oder 
Akkordes nicht in einem passiven Verharren jeder Stimme auf ihrem 




Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 433 

einmal eingenommenen Standpunkt, sondern in einem lebendigen, 
fortwährenden Neuerzeugen des Tones, woran sich alle Stimmen 
aktiv betheiligen. Jeder Sänger lauscht dabei mit gespanntester 
Aufmerksamkeit gleichzeitig auf alle Töne, die sein Ohr treffen, und 
vergleicht fortwährend seinen eigenen mit den übrigen. Wenn sich 
in einer Stimme, vielleicht in Folge einer Aufforderung des Diri- 
genten, die geringste Änderung zeigt, müssen, wie durch eine feste, 
wenn auch unsichtbare, Übertragung, sofort alle anderen Stimmen 
darauf reagiren. Diese absolut nothwendige Wachsamkeit, ja Auf- 
regung wird in Aufführungen und auch in Hauptproben durch das 
Bewußtsein von der Bedeutung des Augenblicks gefordert, weshalb 
dann auch in der Regel reiner gesungen wird. 

Allerdings ist eine solche Anspannung der Sinne anstrengend 
und ermüdend, jedoch die Mühe belohnt sich unmittelbar, wenn die 
Feinheit der erzielten Wirkung ihr entspricht, aber auch nur in 
diesem Falle. Daher kommt so Viel auf die Reinheit des allerersten 
Einsatzes an, ja von ihr hängt oft das Gelingen des ganzen Stückes 
ab. Wenn durch irgend einen Fehler die Stimmen nicht rein ein- 
setzen, wenn z. B. der Chor sich in zwei Parteien spaltet, von denen 
jede unter sich rein singt, die aber nicht miteinander harmoniren, 
so giebt es eine Art von Kampf, der sich, besonders in Konzerten, 
wo nicht abgeklopft werden kann, mitunter Takte lang verfolgen 
läßt. Nun giebt es aber für den Sänger kein peinlicheres Gefühl, 
als wenn er in die Lage versetzt ist, zu einem ihm unrein ange- 
gebenen Intervall einen dritten Ton , anzugeben, z. B. zu einer un- 
reinen Quinte die Terz zu singen. Das Resultat ist dann immer, 
daß er sein Akkommodationsvermögen so stark in Anspruch nimmt, 
als er irgend vermag. Damit ist aber der Kampf aufgegeben, eine 
gew^isse Gleichgültigkeit eingetreten, und das Stück nicht mehr zu 
retten. 

Eine weitere wichtige Bedingung, die das Aufeinanderhören der 
Stimmen begünstigt, ist ferner, daß die Töne jeder Stimme bequem, 
namentlich nicht zu hoch liegen, und daß mit dem Athem nicht ge- 
spart werden muß. Denn je bequemer die Tonbildung erfolgt, um 
so mehr kann sich die Aufmerksamkeit des Sängers auf die Tonhöhe 
konzentriren. Daher ist auch für diese Versuche der Chorgesang 
besser geeignet als der Sologesang, weil im Chor bei lang gehaltenen 
Tönen der Athem unregelmäßig und ganz nach dem Belieben des 
Einzelnen erneuert wird. Ferner ist günstig, daß nicht forie^ son- 
dern pianissimo gesungen wird, da man um so weniger auf die Um- 
gebung zu hören pflegt, je stärker man selber singt. Endlich müssen 
es möglichst konsonante Akkorde sein, und zwar in sehr langsamem 



434 



Max Planck, 



Wechsel, am besten Durdreiklänge in den wohlklingendsten Lagen, 
weil hier am deutlichsten die Bedingungen der Konsonanz aus- 
gesprochen sind, also auch die Vorzüge der natürlichen Stimmung 
gegenüber der temperirten am ehesten zum Vorschein kommen müssen. 

Es ist mir nun in der That gelungen, durch gelegentliche, 
unter den angegebenen Umständen angestellte Beobachtungen die 
gesuchten Erscheinungen in der praktischen Musik in einzelnen, fllr 
ihr Zustandekommen besonders günstigen Fällen aufzufinden. An- 
statt mehrere Beispiele kürzer zu berühren, will ich lieber einen 
einzigen derartigen Fall, der an sich allein schon beweiskräftig ist, 
ausführlich beschreiben. 

Der a cappella^Chor der königlichen Hochschule für Musik in 
Berlin, der von seinem Begründer und derzeitigen Dirigenten, Prof. 
Adolf Schulze, zu ausgezeichneten Leistungen herangebildet worden 
ist, führte im Winterhalbjahr 1892/93 einige geistliche Gesänge von 
Heinrich Schütz^ auf, darunter einen fünfstimmigen Chor, in dem 
sich folgende pianissimo genommene Stelle befindet: 




§1 



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So schlaf ich ein 



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so schlaf ich 



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32: 



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Bei der ersten Probe pausirte das begleitende Klavier nach dem 
Beginn dieser Stelle, oder wurde wenigstens so schwach, daß man 
es nicht hörte; als es dann am Schluß wieder einsetzte, war der 
Chor inzwischen so gesunken, daß der Dirigent abklopfte und die 



1 Sämintliche Werke, herausgeg. von Philipp Spitta. VIII. Band. 1889. 



i 



Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 



435 



Stelle mit Klavier wiederholen ließ. Dabei war der Gesang aber 
keineswegs unrein gewesen, im Gegentheil hatten die konsonanten 
Dreiklänge in dem zarten pianissimo ganz besonders gut geklungen. 
Diese Erscheinung zeigte sich nicht ein einziges Mal, sondern wieder- 
holte sich in der Folge jedesmal wieder, so daß keine Einzige Probe 
vorüberging, ohne daß der Tenor daran erinnert wurde, das e im 
ersten und das h im vierten Takt recht hoch zu nehmen. Denn 
offenbar liegt es an der großen Terz des Tenors, der sich später der 
zweite (bez. der erste) Sopran anschließt, und die nachher zur Quinte 
wird, daß die natürliche Stimmung hier den ganzen Chor um ein 
Komma hinunterzwingt. 

Zur systematischen Untersuchung derselben Frage habe ich nun 
eine Reihe von Akkordfo^en zusammengestellt, wie sie einzeln leicht 
einmal in einer Komposition vorkommen können, und welche eine 
auffällige Wirkung hervorbringen müssen, wenn sie in natürlicher 
Stimmung gesungen werden. Die folgenden 21 Takte enthalten 
lauter Durdreiklänge, mit dem Grundton im Bass, je zwei aufeinander- 
folgende durch einen gemeinsamen Halteton verbunden. Sie beginnen 
mit C-Dur und endigen in c-Diu:, ohne daß dazwischen irgend eine 
enharmonische Yertauschung vorgenommen wird. Der an die tempe- 
rirte Stimmung gewöhnte Musiker wird also darin keinen Grund zu 
einer Abweichung nach der einen oder der andern Seite finden. 

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Dennoch sind die Akkordfolgen so eingerichtet, daß, wenn die 
Haltetöne auf ihrer Höhe ausgehalten und die Dreiklänge durchweg 



436 ^^^ Planck, 



in natürlicher Stimmung genommen werden, das Schlufi~c um 5 syn- 
tonische Komma, also über einen temperirten Halbton, tiefer ist als 
das Anfangs-o. Dabei sind die Umstände für die Verstärkung dieses 
Einflusses möglichst günstig gewählt: Konsonante Intervalle, sehr lang- 
sames Tempo, wobei ganz nach Belieben und mitten im Takt ge- 
athmet werden muß, nicht hohe Lagen, geringe Tonstärke. Hiermit 
hat also jeder Dirigent ein einfaches Mittel, um sich von dem prak- 
tischen Einfluß der natürlichen Stimmung auf den Gresang seines 
Chors zu überzeugen, und ich möchte hier an alle Diejenigen, welche 
sich für diese Frage interessiren, die Bitte richten, den beschriebenen 
Versuch anzustellen; eine Mittheilung des Ergebnisses, wie es auch 
lauten möge, würde mich jederzeit zu Dank verpflichten. Es würde 
ja nur nöthig sein, die Stimmen ausschreiben und sie in einer be- 
liebigen Probe (auf irgend einen Vokal oder Silbe) singen zu lassen. 
Der Anfangsakkord wird auf dem Klavier angegeben, und der Schluß- 
akkord wieder am Klavier kontroUirt. Dabei sind natürlich alle 
oben beschriebenen Maßregeln zu beobachten, ferner ist auch darauf 
zu halten, daß der Satz öfters durchgesungen wird, damit die Stimmen 
im Treffen der Töne keine Schwierigkeit mehr finden. Denn so lange 
man damit beschäftigt ist, die Gegend seines eigenen Tones zu suchen, 
kommt man nicht dazu, den feineren Nuancen seine Aufmersamkeit 
zuzuwenden. Diese letzteren muß aber der Dirigent den Sängern 
selbstverständlich ganz überlassen, am Besten wohl, indem er vorher 
überhaupt kein Wort darüber verliert. Wenn dann am Schluß der 
Chor wieder auf dem Ausgangs-^ anlangen sollte, so wäre das ein 
zwingender Beweis dafür, daß fdr ihn die natürliche Stimmung auch 
nicht die geringste praktische Bedeutung hat. Dann wäre es, vom 
Standpunkt der modernen Kunst betrachtet, lediglich müßige Speku- 
lation, sich noch einen Augenblick länger mit der Theorie der natür- 
lichen Stimmung zu beschäftigen. Aber ich habe nach den oben 
mitgetheilten Beobachtungen allen Grund zu der Annahme, daß dies 
meistens nicht der Fall sein wird. Zudem hatten einige mir be- 
freundete musikalische Damen und Herren, denen ich auch an dieser 
Stelle hierfür meinen herzlichen Dank sage, die Güte, mir die 21 Takte 
mehrmals vorzusingen, und das Ergebniß war jedesmal ein Sinken um 
etwa einen halben Ton. Ob dieses Kesultat aber ein ganz allgemeines 
ist, müssen weitere Versuche lehren. 

Auch die Gegenprobe habe ich versucht, indem ich die obige 
Akkordfolge gerade umkehrte, wie in den folgenden 21 Takten dar- 
gestellt ist. 



Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 



437 



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In natürlicher Stimmung gesungen, führen diese 21 Takte vom 
Anfangs-c bis zum SchluB-c um 5 syntonische Komma hinauf. Die 
Ausführung erwies sieh aber als schwieriger, da die entscheidenden 
Stellen (besonders im 9., 12. und 13. Takt) zuerst auch nicht an- 
nähernd richtig getroffen und erst nach mehrmaligem Üben einiger- 
maßen wohlklingend erhalten wurden. Das schließliche Resultat er- 
gab kein Sinken, aber auch nicht das erwartete Steigen der Tonhöhe. 
Ohne meine Ansicht hierüber als endgültig hinstellen zu wollen, 
möchte ich die Ursache dieser Erscheinung in dem Umstände suchen, 
daß der Sänger, nachdem er, wie gewöhnlich, im temperirten Intervall 
eingesetzt hat, beim Aushalten des Tones immer eher geneigt ist, 
etwas in der Tonhöhe nachzulassen, als hinaufzugehen, und daher 
die dem ersten Verfahren günstigen Chancen leichter benützt. Hier- 
über müssen aber noch weitere Erfahrungen gesammelt werden. 

Immerhin kann nach allem Bisherigen als feststehend betrachtet 
werden, daß es in der reinen Vokalmusik Fälle giebt, in denen ein 



438 ^** Planck, 



Chor zum Sinken gebracht wird, nicht durch Unreinsingen, was ja 
auch sehr häufig vorkommt, sondern gerade im Gegentheil durch 
Reinsingen, nämlich durch die instinktive Berücksichtigung der natür- 
lichen Stimmung. Diese Fälle beweisen, daß die Differenzen der 
natürlichen und der temperirten Stimmung die in der praktischen 
Musik zulässigen Schwankungen der Intervalle unter Umstanden 
merklich überschreiten, und stellen daher jeden Dirigenten vor die 
Aufgabe, sich darüber ein ürtheil zu bilden. Denn durch Ignoriren 
würde er einmal von den Leistungen seines Chores einen ganz falschen 
Begriff bekommen, und außerdem, da er sich der wahren Ursache 
derartiger Erscheinungen nicht bewußt wäre, auch nicht die richtigen 
Mittel finden können, dieselben abzustellen bez. in richtiger Weise 
zu verwerthen. 

Damit kommen wir nun zu einer Frage, die zwar streng ge- 
nommen außerhalb des Rahmens dieser Untersuchung liegt, aber im 
Zusammenhang dennoch mit einigen Worten berührt werden soll: 
Wie ist in derartigen Fällen, wie z. B. in der oben citirten Kompo- 
sition von Schütz zu verfahren? Soll man, um die absolute Tonhöhe 
nicht aufzugeben, den Chor veranlassen, die Terz im Durdreiklang 
nicht natürlich, wie das musikalische Gehör es ihm eingiebt, sondern 
temperirt zu nehmen? oder soll man, jenem nachgebend, auf die 
konstante Tonika Verzicht leisten? oder soll man endlich, ,um die 
Forderungen der natürlichen Stimmung, mit dem Festhalten der Tonika 
zu vereinigen, das Quint-^ im a-Dur-Akkord ein Komma höher 
nehmen lassen als das Terz-e im c-Dur- Akkord? 

Zu allererst müßte in einer solchen Frage der Komponist vernommen 
werden: er allein, der durch das Tonstück zu uns redet, hätte das ent- 
scheidende Wort zusprechen. Wenn aber, wie in dem vorliegenden Falle, 
diese Instanz nicht mehr zugänglich ist, so müssen andere Erwägungen 
eintreten, und hier kann nicht genug betont werden, daß die letzte, 
oberste Entscheidung einzig und allein von der Rücksicht auf die 
künstlerische Wirkung ausgehen darf. Denn die Kunst findet ihre 
Begründung in sich selbst, und kein theoretisches System der Musik, 
wäre es noch so logisch begründet und konsequent durchgeführt, ist 
im Stande, alle Forderungen def zugleich mit dem menschlichen 
Geiste ewig wechselnden Kunst ein für alle Mal zu fixiren. In dieser 
Beziehung hat das natürliche System durchaus keinen Vorzug vor 
dem temperirten, und es ist daher auch durch Nichts gerechtfertigt, 
bekannte Kompositionen ohne Weiteres in natürliche Stimmung zu 
übertragen. 

Damit wird allerdings die Möglichkeit einer allgemeinen Beant- 
wortung der aufgeworfenen Frage aufgehoben; aber in speciellen 



Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 439 



Fällen, so in dem vorliegenden, wird doch eine bestimmte Antwort 
gefunden werden können. Zunächst dürfte sich die dritte der ge- 
nannten Möglichkeiten, das Quint-^ anders zu nehmen als das Terz-6^ 
aus dem Grunde verbieten, weil eine kommatische Verschiebung an 
und für sich immer auffallend und im Sinne einer Dissonanz wirkt 
(vgl. S. 427) und der Komponist einen solchen Effekt an dieser har- 
monischen Stelle ganz gewiß nicht beabsichtigt hat. Aber auch die 
temperirte Terz würde nach meiner Auffassung im Widerspruch 
stehen mit dem Eindruck der himmlischen Ruhe und Harmonie, 
welchen die Komposition offenbar gerade hier zum Ausdruck bringen 
will, entsprechend den Textesworten: »So schlaf ich ein und ruhe 
feino. Man sollte hier auch den Umstand nicht unterschätz|3n, daß 
der Chor, ganz sich selbst überlassen, wie oben geschildert wurde, 
thatsächlich zur natürlichen Terz herabsinkt, seiner anerzogenen Ge- 
wohnheit zum Trotz, und dadurch gerade den Beweis liefert, daß 
dem unbefangenen musikalischen Gefühl, das ebenso auch beim 
Hörer vorhanden sein wird, ein Nachlassen der Spannung; ein sanftes 
Hinabgleiten in eine neue Welt von Tönen, hier am besten zusagt. 
Allerdings überschreitet eine solche Modulation die Grenzen der 
schulmäßig zulässigen Intervalle; aber was liegt daran? Die Schule 
muß sich doch nach der Kunst richten, nicht umgekehrt. Es handelt 
sich eben hier um etwas Neues, um eine Bereicherung der für ge- 
wöhnlich gebräuchlichen Ausdrucksmittel. Für denjenigen, der das 
Bedürfniß nach der Rückkehr zur absoluten Tonika hat, bietet sich 
an irgend einer der folgenden Stellen, namentlich bei Dissonanzen, 
leicht einmal eine Gelegenheit, wieder in diq Höhe zu steigen. Aber 
gerade an dieser Stelle wäre das nivellirende Festhalten an der tempe- 
rirten Stimmung eine Yerflachung des Ausdrucks. Die Hauptwirkung 
des ganzen Stückes beruht auf dem Gegensatz zwischen der geschil- 
derten seligen Ruhe und den folgenden bewegten Kampfesstellen: »es 
ist ja doch kein Andrer nicht, der für uns könnte streiten«. Wenn 
der natürlichen Stimmung öfters nachgesagt wird, sie sei farblos, leer, 
nichtssagend, so ist an dieser Komposition zu ersehen, daß unter 
Umständen gerade sie, durch den Gegensatz der Konsonanzen und 
Dissonanzen, charakteristischer wirkt als die temperirte Stimmung, 
bei der dieser Gegensatz von geringerer Bedeutung ist. 

V. 

Zum Schlüsse mögen die Hauptergebnisse der vorliegenden Unter- 
suchung noch einmal kurz zusammengefaßt werden. 

Die moderne Vokalmusik bedient sich fast durchweg, auch in 
konsonanten Durdreiklängen, der temperirten Stimmung. Ermöglicht 



440 ^^^^ Planck, Die natflriiche Stimmung in der modernen Vokalmusik. 



wird dieser Umstand durch das Akkommodationsvermögeii, zur Wirk- 
lichkeit wird er durch die Gewöhnung unseres Gehörs an die tempe- 
rirten Intervalle. 

Dagegen giebt es einige bestimmt charakterisirte Fälle, in denen 
ein praktischer Einfluß der natürlichen Stimmung thatsächlich nach- 
weisbar ist. Jedem Dirigenten eines a cappella-Chors ist ein einfaches 
Mittel gegeben, um sich von dem Grad dieses Einflusses bei seinem 
eigenen Chor zu überzeugen. In jedem solchen Falle entsteht die 
praktische Frage, welche Stimmung in der Aufführung der Kompo- 
sition zur Anwendung kommen soll. Hat der Komponist selber 
darüber keine Vorschrift erlassen, so kann die Frage nur vom ästhe- 
tischen Standpunkt aus entschieden werden. 

Ob die natürliche Stimmung künftig einmal eine bedeutendere 
Rolle in der Musik zu spielen berufen ist, als jetzt, vermag heute 
Niemand zu sagen. Sicher ist nur das Eine, daß dies nur dann ge- 
schehen wird, wenn ein Genius ersteht, der in der Sprache der 
natürlichen Stimmung mehr zu sagen weiß, als in irgend einer 
anderen; ihm würde gewiß kein principielles Bedenken Stand halten. 

Berlin, Oktober 1893. 



Kritiken und Referate. 



Johann Ev, Engl, Festschrift zur Mozart- Centenarfeier in Salz- 
burg am 15., 16. und 17. Juli 1891. Salzburg, Dieter. 1891. 8. 123 S. 

Adolf Buff^ Mozart's Augsburger Vorfahren. Zum 5. Dezember 
1891. Sonderabdruck aus der Zeitschrift des Historischen Vereins 
für Schwaben und Neuburg. XVIII. Jahrgang. 1891. 8. 36 S. 

Otto Jahn^ W. A. Mozart. Dritte Auflage. Bearbeitet und er- 
gänzt von Hermann Deiters. Erster Theil. 1889. XLTV imd 
853 S. Mit drei Bildnissen und vier Facsimiles. Zweiter Theil. 1891. 
XI und 888 S. Mit zwei Bildnissen und 10 Notenbeilagen, gr. 8. 
Leipzig, Breitkopf und Härtel. 

Rudolf Freiherr Prochäzka^ Mozart in Prag. Zum hundertjährigen 
Gedächtniß seines Todes. Prag, Dominicus. 1892. VI und 236 S. 8. 

Die Mozart-Centenarfeier hat die Herausgabe einer Anzahl großer und kleiner 
Bücher und Abhandlungen Teranlaßt, aus welcher die obengenannten hier einer 
kurzen Besprechung unterzogen werden sollen. Sie kommt verspätet aber nicht 
zu spät» da der Inhalt jener Schriften dauernden Werth hat, oder doch haben 
möchte. 

Jahn's Biographie erschien zuerst 1856 — 1859 in vier Bänden, die zweite Auf- 
lage, die der Verfasser noch selbst besorgen konnte, 1867 in zwei Bänden. Nach 
zwanzig Jahren zeigte sich die Nothwendigkeit, eine dritte Auflage zu yeranstalten. 
Indem diese yor zwei Jahren zur Vollendung gebracht worden ist, schließen die 
Jahre 1856 und 1891 — jenes die hundertjährige Wiederkehr des Oeburtsjahres, 
dieses des Todesjahres Mozart's bezeichnend — die bisherigen Schicksale des 
Jahn'schen Werkes ein, von dem wir alle wissen, was es der Musikwissenschaft 
unseres Jahrhunderts bedeutet. 

Ob es räthlich ist, eine wissenschaftliche Leistung, die zugleich den Werth 
eines Kunstwerks beanspruchen darf, fremder Hand zur Nachbesserung zu über- 
lassen, ist eine Frage, die nicht grundsätzlich, sondern nur yon Fall zu Fall be- 
antwortet werden kann. Ich werfe sie nicht auf, weil ich im geringsten zweifelhaft 
wäre, daß sie Jahn's »Mozart« gegenüber zu bejahen war, sondern weil sich da- 
durch, daß sie überhaupt gestellt werden kann, am einfachsten das Verhältniß 
enthüllt, dem es gilt, gerecht zu werden. Thatsächliche Berichtigungen haben auch 
Änderungen in der Darstellung zur Folge, und durch sie kann der Charakter des 
Ganzen Beeinträchtigung erleiden. Das Beethoven-Buch yon Marx, dessen Werth 
man mit Unrecht gering schätzt, hat in seinen späteren, durch Gustav Behncke 
besorgten Auflagen solche Berichtigungen in weitem Umfange erfahren. Es ist 



442 Kritiken und Referate. 



dadurch mit dem jeweiligen Stande der fortBchreitenden Beethoven-Forschung in 
Einklang gebracht worden. Aber um sich über Thatsachen aus BeethoTen*s Leben 
Belehrung zu holen, wird jetzt ebenso wenig wie früher jemand nach dem Buche 
greifen, und Zweck und Anlage desselben ist durch die nöthig erachtete stärkere 
Betonung des Thatsftchlichen verdunkelt und verändert worden. Einfacher Abdruck 
der zweiten Auflage wäre hier vorzuziehen gewesen. Was nun aber der Mozart- 
Biographie von Jahn ihren hohen Rang in der Musik-Litteratur anweist, ist zu- 
meist die vollkommene Harmonie, in welche die Ergebnisse umfassender und ein- 
dringender biographischer Forschung mit der verständnißtiefen Würdigung von 
Mozart's Werken und Künstlerthum gebracht sind. Dies Buch ist Kunstwerk 
und Nachschlagebuch zugleich. Nach allen Seiten des Wissens hin gewährt es 
die vollständigste Auskunft. Es ist Pflicht, ihm diesen Vorzug dauernd zu er- 
halten. Da es aber in seiner Totalität schon etwas abschließendes und nicht zu 
übertreffendes ist, nachdem Jahn selbst noch in der zweiten Auflage die erforder- 
lichen theilweisen Umformungen hatte eintreten lassen, kann sich, was nach zwanzig 
Jahren etwa nachzubessern war, auch immer nur auf Einzelheiten beziehen. 

Damit wird nicht gemeint, daß die Arbeit des neuen Herausgebers nun eine 
leichte gewesen wäre. Sie erforderte, sollte sie die Leser befriedigen, Durch- 
arbeitung der gesammten neueren Mozart -Litteratur, Beherrschung des Stoffes, 
innige Vertrautheit mit Jahn's Buche und Jahn's wissenschaftlicher und schrift- 
stellerischer Eigenart. Sie erforderte vor allem Entsagung und uneigennützige 
Liebe zur Sache. In keinem Punkte konnte der Herausgeber sich selbst geltend 
machen, überall mußte er vielmehr suchen, hinter dem Original zu verschwinden. 
An die Lösung einer solchen Aufgabe jahrelange Arbeit zu setzen, wiU etwas 
heißen, und ist sie zweokgemäß zu Ende gebracht, so verdient der Herausgeber 
doppelten Dank. Diesen Dank an Hermann Deiters gelangen zu lassen, ihm aus- 
zusprechen, daß unseres Erachtens keiner gefunden werden konnte, dessen Qe- 
wissenhaftigkeit und Begabung sich an diesem härtesten Prüfstein glänzender zu 
bewähren vermochte, ist der einzige Zweck dieser Anzeige. Auf Einzelheiten gehe 
ich nicht ein; wo die ganze Arbeit im Zusammentragen und Einarbeiten von 
Einzelheiten besteht, hat der Beurtheiler viel mehr die Pflicht, ihren Gesammt- 
werth hervorzuheben. 

Die Schriften von Engl und Buff konnte Deiters noch benutzen, und damit 
dürfte ihr Hauptzweck erfüllt sein. Große Ausbeute gewähren sie nicht. Engl 
behandelt in drei Abschnitten: Die Mozart-Familien in Augsburg, Salzburg und 
Wien, Drei bis 1890 ungedruckt gebliebene Briefe W. A. Mozart's aus der letzten 
Lebenszeit, Das Requiem und die Requiemfrage. Aber der geringste Theil seiner 
Mittheilungen ist neu oder originaL Betreffs der Augsburger Mozarte stützt er 
sich auf die Forschungen Buffs; dieser hat sie aber etwas später in der obenge- 
nannten Abhandlung mit dankenswerther archivarischer Genauigkeit in berichtigter 
und erweiterter Form selbst vorgelegt und dadurch Engl überflüssig gemacht. Die 
angeblich unveröffentlichen drei Briefe stehen seit 1880 in Nottebohm's >Mozartiana« 
auf S. 42, 31 und 72 zu lesen. Solche Unkenntniß überschreitet doch das Maß 
des Verzeihlichen. Überhaupt wimmelt Engl's Buch von kleinen und groben 
Fehlem, von Flüchtigkeiten und Lässigkeiten aller Art. Man liest z. B. S. 42 
Folgendes: »Den Anfang sollten die Klavierconcerte in Gmoll undEsdur (Op. 478 
und 779) im Juli und 16. Oktober 1785 machen«. Es wird nicht leicht sein, mehr 
Verkehrtheiten in einen einzigen mangelhaft stilisirten Satz zusammenzuhäufen. 
Daß es ein Gmoll- Klavierconcert von Mozart nicht giebt, sollte jeder wissen, 
der über Mozart schreibt. Es muß also 1} statt »Klavierconcerte« heißen: >Klavier- 
quartette« ; 2) ist Niemand berechtigt, die fortlaufenden Nummern des Kdehel'schan 



Mozartschriften . 443 



XLatalogs als Mozart'sche Opuszahlen aufzufassen; 3) muß statt 779 stehen 493; 
4) können die saloppen Datirungen »im Juli und 16. Oktober 1785« in obigem 
Zusammenhange entweder so verstanden werden, daß sie die Publikationstermine 
Hoüneister'Sy oder daß sie die Entstehungszeit der Kompositionen bedeuten. Hat 
der Leser sich für letzteres entschieden, so wird er nicht anders meinen, als daß 
das erstere Datum auf das GmoU-, das letztere auf das Es dur-Quartett gehen 
soll; sie sind aber beide auf das Gmoll-Quartett zu beziehen und von Engl mit 
unbegreiflicher Flüchtigkeit aus Köchel abgeschrieben. Der dritte der Briefe ist 
an zwei auf einander folgenden Tagen verfaßt, und den zweiten dieser Tage hat 
Mozart selbst als »Samstag den 8.« bezeichnet; natürlich ist Oktober 1791 ge- 
meint, da es sich um eine der ersten »Zauberflöten «-Aufführungen handelt. Wenn 
nun der 8. Oktober ein Samstag gewesen ist, so muß der 16. Oktober ein Sonntag 
und der 14. ein Freitag gewesen sein. Dennoch verlegt Engl S. 56 einen »Sams- 
tag«-Brief Mozart's auf den 16. Oktober, und korrigirt S. 51 Mozart's eigne An- 
gabe, der am 14. Oktober schreibt: »Gestern Donnerstag den 13.« in »Freitag 
den 13.«. Aber es ist gegenüber der Beschaffenheit der ganzen Arbeit zwecklos, 
sich bei einzelnen Fällen aufzuhalten. Fassen wir unsere Ausstellungen in den 
Wunsch zusammen, daß derartige Festschriften nicht wieder geschrieben werden 
möchten. Über die Kequiemfrage sollte jetzt keiner mehr das Wort nehmen, der 
nicht ganz neue Aufschlüsse zu geben hat. Gustav Pressel glaubte dazu im Stande 
zu sein, und seinen gründlichen Untersuchungen sind wir ihrer Zeit mit Interesse 
gefolgt. Diese aber ohne Kritik zum zweiten Male zum Abdruck zu bringen, wie 
Engl in seinem dritten Abschnitte thut, ist überflüssig. Deiters verhält sich ihnen 
gegenüber vorsichtig zurückhaltend und stellt eine ausführliche Prüfung der Er- 
gebnisse Pressel's in Aussicht. Möchte er uns damit nicht zu lange warten lassen ! 

Das Buch Proch&zka's ist nach der Ausgabe des zweiten Bandes der Jahn- 
schen Biographie erschienen. Deiters konnte von ihm keinen Gebrauch mehr 
machen; umgekehrt hat Proch&zka vorsichtig gewartet, um jene Publikation noch 
für seine Zwecke zu nutzen. Der Eindruck, den wir beim Lesen des Buches 
hatten, war anfänglich kein günstiger. Außer den vielen Druckfehlem, Austria- 
cismen und andern stilistischen Unreinheiten störte uns jene stark auftragende 
Feuilleton-Phrase, die Mißtrauen gegen die sachliche Zuverlässigkeit der Forschung 
erregt. Allmählich aber trat dieser erste Eindruck zurück, als wir ims von der 
Sorgfalt und Liebe überzeugten, mit welcher der Verfasser alles zuhauf getragen 
hat, was mit Mozart's Beziehungen zu Prag zusammenhängt. Wäre allein dies 
schon löblich, so wächst die Anerkennung, wenn man gewahr wird, wie vielerlei 
Neues das Buch bringt. Freilich ist dieses dem Verfasser großentheils durch die 
ergiebige Beihülfe Schebek's dargeboten worden. Aber er hat sich die eigne Arbeit 
deshalb nicht leicht gemacht, sondern nach allen Seiten hin selbst geforscht und 
seine Quellen auf ihren Werth gewissenhaft geprüft. Daß das Buch eine starke 
lokalpatriotische Färbung hat, ist ganz in der Ordnung: Prag kann in der That 
stolz darauf sein, Mozart in seiner vollen Größe zuerst erkannt und hierin Wien 
weit hinter sich gelassen zu haben. Um Mozart's willen folgen wir auch dem Ver- 
fasser gern in weitläufige Einzeluntersuchungen, wie z. B., ob sich die Geschichte 
von der späten Vollendung der »Don Juan «-Ouvertüre und deren praktischen Folgen 
auf die Generalprobe bezieht, oder die Aufführung selbst, ob das für den Harfe- 
nisten Häusler komponirte Stückchen in das Frühjahr 1787 oder den Sommer 1791 
zu setzen seL Die Schilderung von Mozart's Beziehungen zu Franz und Josepha 
Duschek ist werthvoll, und die Bemühung, Josepha's Bild von den Flecken zu 
reinigen, mit denen es der allezeit geschäftige Klatsch bespritzt hat, anerkennens- 
werth. Hätte der Verfasser diesem nur nicht neue Nahrung gegeben durch seine 



444 Kritiken und Referate. 



Untersuchungen über den Grad der Intimität, die zwischen Mozart and Josepha 
bestanden habe. Solche Dinge, über die man — vollends nach hundert Jahren — 
gamichts sicheres wissen kann, sollten alle ernsthaften Schriftsteller in still- 
schweigender Übereinkunft auf sich beruhen lassen. Lebhaft wird man Ton der 
Beschreibung der »Bertramka«, des Duschek'schen Landhauses, angezogen; die 
Genauigkeit, mit der wir die Ortlichkeit kennen lernen, wo Mozart den größten 
Theil des »Don Juan« schrieb, sein Wohnzimmer, den Garten, den Ruheplatz am 
Brunnen, weckt ein anheimelndes Gefühl, dem man sich gern überläßt. Hübsehe 
Zinkdrucke vervoUständigen die Anschaulichkeit. 

Ich möchte die kleine Anzeige nicht ohne einen bescheidenen Beitrag von 
meiner Seite schließen. In einem besonderen Kapitel behandelt Prochazka die 
»zweite Handschrift« der »Don Juan «-Partitur, d. h. die im Jahre 1787 in Frag vom 
Autograph genommene Abschrift, nach welcher Mozart, wenn auch wohl nicht die 
ersten Aufführungen der Oper, so doch die am 2. September 1791 veranstaltete 
dirigirt haben wird. Ein Brief Dionys Weber's vom 18. April 1829 wird mitge- 
theilt, der sich auf diese Partitur bezieht. Der ungenannte Adressat hatte ge- 
wünscht, sie kennen zu lernen, und erhält durch Weber's Vermittlung unter 
obigem Datum den ersten Akt. Als er nun unter dem 29. April das Manuskript 
zurücksendet, merkt er dies auf dem Briefe an und fügt die Chiffire »Dr. Fst.« 
hinzu. Wer unter ihr verborgen sei, hat Prochdzka nicht gewußt. Es ist ein 
Dr. Feuerstein aus Pirna, seiner Zeit ein eifriger Autographensanmüer, der auch 
in der Geschichte der Manuskripte Seb. Bach's eine gewisse Rolle spielt (J. S. 
Bach U, S. 822). Wie er mit Pölchau in Verbindung stand, so hatte er auch wohl 
zu Mozart's Wittwe Beziehungen angeknüpft, um durch sie ein Autograph Mozart's 
für seine Sammlung zu erhalten. Durch seine Vermittlung scheint es alsdann ge- 
schehen zu sein, daß Constanze dem Dionys Weber ein Exemplar des »Don Juan« — 
vielleicht , einen in Mozart's Händen gewesenen Klavierauszug — zum Geschenk 
machte. So versuche ich mir den letzten Satz des Briefes zu deuten. 

Berlin. Philipp Spitta. 



Ferdinand Praeger, Wagner, wie ich ihn kannte. Aus dem 
Englischen übersetzt vom Verfasser. Leipzig, Breitkopf und Härtel, 
1892. 8. 366 S. 

Wer den in den letzten beiden Jahren besonders reichlich ausgefallenen Zu- 
wachs der Wagnerlitteratur überblickt, wird mit Genugthuung bemerken, daß auf 
diesem Gebiet ein ruhigerer Ton Platz zu greifen beginnt und daß sich Leistungen 
von wissenschaftlichem Werthe einfinden. In erster Linie verdient die gründliche 
und groß angelegte Darstellung diese Anerkennung, welche Hugo Dinger von 
»Wagner's geistiger Entwicklung« gegeben hat Ihr darf man Chamberlain's Studie 
über »Das Drama Rieh. Wagner's« anschließen, mit gewissen Einschränkungen 
auch die kleine Biographie des Künstlers, welche Franz Muncker als 26. Band da- 
Bayerischen Bibliothek veröffentlicht hat. Aus einem anderen Grunde muß den 
beachtenswerthen Stücken der neusten Wagnerlitteratur auch die hier angeseigte 
Schrift Praeger's beigezählt werden. 

F. Praeger (geb. 1815 zu Leipzig, gest. 1891 zu London) ist eid alter Mit- 
arbeiter von Schumann's »Neuer Zeitschrift f. M.« Er vertrat dort mit Theodor 
Hagen in den vierziger Jahren als Korrespondent jene pessimistische, zuerst nur 
mit der Kunst, dann mit der ganzen Kultur, mit der Gesellschaftsordnung, mit 
Gott und Welt zerfallene und hadernde Minderheit der deutschen Musiker, deren 



Praeger, Wagner, wie ich ihn kannte. • 445 



Geist und Ziele später den vollständigsten Ausdruck in Bich. Wagner's »Kunst 
und Revolation« * fanden. Praeger gewann unter den wohlthätig ernüchternden 
Einflüssen des englischen Lebens zur rechten Zeit das innere Gleichgewicht wieder, 
erlangte in London, wohin er schon im Jahre 1834 Terzogen war, eine behäbige 
Existenz als Musiklehrer, machte sich als Komponist (»Praegeralbum«) bekannt 
und als Schriftsteller um die sogenannte »Zukunftsmusik« verdient. 

Seine Hauptleistung in letzter Eigenschaft ist das vorliegende Buch über 
»Wagner, wie ich ihn kannte«. Aus persönlichem Umgang geschöpfte Mittheilungen 
über Wagner besitzen wir verhältnißmäßig nicht viele. Es muß daher jedes 
Werk willkommen geheißen werden, das nach dieser Seite hin ergänzend eintritt. 
Wir haben dabei als Muster für solche Veröffentlichungen H. v. Wolzogen's 
»Erinnerungen an Wagner« im Auge. Praeger versuchte mehr zu geben, nichts 
Geringeres als eine ganze Biographie. Wahrscheinlich kam ihm dazu der Antrieb 
von außen. Einzelne Kapitel seines Buches tragen den Stempel ihrer Entstehung 
als Zeitungsaufsätze an der Stirn; Widersprüche, Wiederholungen und Flüchtig- 
keiten zeigen die Eile, mit der der Verfasser zuweilen schrieb. Mit der Disposition 
machte er es sich sehr leicht. Er folgte einfach der bekannten Wagnerbiographie 
Glasenapp's aus dem Jahre 1876. Folgte ist zu wenig gesagt: er schrieb ruhig 
ab — leider ohne seinen Autor zu nennen — und ergänzte und korrigirte an den 
Punkten, wo er selbst besser unterrichtet war oder zu sein glaubte. Ohne Arg 
übernahm er so auch eine Menge erstaunlicher Mittheilungen Glasenapp's, die einer 
strengen Nachprüfung bedürfen. So z. B. die (allerdings von einem Briefe Wagner's 
an Nietzsche abgeleitete) Behauptung, daß Wagner auf der Kreuzschule in Dresden 
tief in die Sprache und die Litteratur der Griechen eingedrungen sei, daß sich an 
der in dieser Anstalt herrschenden Begeisterung für den ehemaligen Kreuzschüler 
Theodor Körner sein deutsch nationaler Sinn entzündet habe. Aber nicht bloß 
die Thatsachen erzählt Praeger seiner Vorlage nach, sondern er macht auch die 
Begründungen und die geistreichen Verknüpfungen Glasenapp's zu seinen eigenen. 
Dabei geräth dann oft ein im Original sinniger Gedanke an eine ganz falsche 
Stelle. Wie in aller Welt, fragt sich der Leser, kommt die vielbesprochene 
Sinfonie Wagner's aus dem Jahre 1833 in einen Zusammenhang mit der französischen 
Julirevolution? Rein durch das Ungeschick des Kompilators, der vorher von dem 
Text Glasenapp's abgewichen war, aber sich das Fettauge, mit dem das Kapitel 
schließt, nicht entgehen lassen wollte. 

Viel bedenklicher ist es, daß in dem Buche Stellen vorkommen, die die 
Glaubwürdigkeit des Verfassers überhaupt in Frage stellen. Bei seiner Umwandlung 
aus dem deutschen Stürmer und Nebelkopf in den praktischen Engländer hat 
Praeger auch eine ungesunde Neigung sich aufzuspielen in sich aufgenommen. Er 
flunkert und ändert Daten, die inzwischen durch den Briefwechsel Wagner's mit 
Liszt und Uhlig festgestellt sind, um sich selbst in Positur zu stellen. Praeger's 
Eitelkeit geht so weit, daß er seinen Vater, der unter Bondini und Küstner in Leipzig 
Musikdirektor am Theater war, zum »Dirigenten der berühmten Gewandhau skonzerte« 
und zum Vorgänger Mendelssohn's macht. In einem solchen Falle ist die Annahme 
eines bloßen Irrthums ausgeschlossen. Das weiß doch ein Sohn gewiß, was sein 
Vater gewesen ist. Aus derselben Großthuerei Praeger's erklärt es sich auch, daß 
er eine bestimmte Angabe über den Beginn seiner persönlichen Bekanntschaft mit 
Wagner umgeht. Dieser Punkt ist absichtlich und künstlich ins Dunkel gehüllt. 
Mehr noch: aus der Einleitung werden die meisten Leser den Eindruck gewinnen, 
daß es sich um eine Freundschaft zwischen den beiden Männern handelt, die bis 
in die Kinderjahre zurückreicht. 

Sie waren allerdings beide geborene Leipziger und nur zwei Jahre 

1893. 30 



446 E.ritiken und Referate. 



anseinander. Aber allem Anschein nach haben sie sich erst im Jahre 1855 persönlich 
kennen gelernt, als Wagner nach London kam, um die Konzerte der Philharmonischea 
Gesellschaft su dirigiren. Wagnerianer war allerdings Praeger von vomherein 
seinem gansen Naturell nach. Bereits 1843 trat er in Zeitungsartikeln für die 
Werke des damaligen Dresdner Kapellmeisters ein und dafür» daß er ein leiden- 
schaftlicher Parteigänger wurde, sorgte der unglückliche August Bdckel durch 
fleißige Briefe nach London. Diese Köckel'schen Briefe bilden einen Haupttheü 
des Praeger'sohen Buches. Sie haben Glasenapp augenscheinlich nicht sur Verfijgung 
gestanden. Aus ihnen und aus mündlichen Mittheilungen von Röckel's Freunden 
und Verwandten hat Praeger eine Reihe von Zügen geschöpft , die Wagnei^a 
Verhältnisse in der Dresdner Zeit schärfer beleuchten. Aber daß auch hier Vor- 
sicht und Kritik geboten ist, beweist der Abschnitt, in welchem Pr aeger Wagner's 
Theilnahme am Maiaufstand auf Orund dieser Röckel'schen Mittheilungen darstellt. 
Diese Darstellung ist inzwischen bereits widerlegt, nämlich von Hugo Dinger in 
dem vorhin genannten Werke. Durch seine aktenmäßigen Untersuchungen ist 
diese Frage endgültig erledigt und zwar in einer Weise, die zwischen der Schön- 
färberei Qlasenapp's und der Schwarsfärberei von Röckel und Praeger die Mitte 
hält. Am stärksten tritt aus den RöckeVschen Briefen die Thatsache hervor, daß 
Wagner in Dresden von Freunden umgeben war, die beständig Ol ms Feuer gosaen 
und den hitzigen Künstler nahezu in einen Verfolgungswahn trieben, in dem er 
ringsum nur egoistisch interessierte Gegner und Verschwörungen erblickte. Auch 
einer Künstlernatur wie Felix Mendelssohn wurde in diesem eingebildeten Litri- 
gantentreiben eine leitende Rolle zugewiesen. Und Praeger hat dieser Zumuthung 
gegenüber kein Wort des Erstaunens oder Bedauerns I 

Da Praeger bei der Schilderung von Wagner's Dresdner Zeit getreu nach 
Glasenapp die Wagner'sche Aufführung von Beethoven's neunter Sinfonie zu einem 
geschichtlichen Ereigniß macht, so sei bei dieser Gelegenheit einmal auf Otto 
Nicolais eben veröffentliohte Tagebücher verwiesen. Da schreibt S. 132 der Kom- 
ponist der »Lustigen Weiber« von einer Wiener Aufführung der »Neunten«, 
die ziemlich gleichzeitig mit der Dresdner stattgefunden haben muß und ihr an 
Sorgfalt der Vorbereitung nicht nachgestanden zu haben scheint. Nicolai hielt 
dreizehn Proben dazu. Wagner's Verdienste um die ELlassiker in allen Ehren — 
aber es haben jederzeit hinter den Bergen auch Leute gewohnt. Die Unwissenheit, 
die das Heil der deutschen Kunst auf zwei Augen setzen will, werden wir wohl 
niemals ganz los. Heute schreien sie »Wagner«, [morgen »Bülow«. Schlimm ist's 
nur, wenn diese lärmende, einseitige Banausenschaft zur Führung in den öffentlichen 
Kunstangelegenheiten gelangt. 

Den Zeitpunkt, von dem an zwischen Wagner und Praeger ein unmittelbarer 
Verkehr nachweisbar wird, bildet das Jahr 1855. Während seines Londoner Aufent- 
haltes war Wagner der Gast Praeger's, der das Engagement an der PhUhannonie 
Society — nach seiner Aussage — hauptsächlich vermittelt hatte. Nach der Rück- 
kehr in die Schweiz schreibt Wagner seinem Londoner Wirth häufig Briefe, im 
nächsten Jahre sucht ihn Praeger in Zürich auf, später folgt er Einladungen nach 
Paris, München, Luzem. Diese Besuche und die dazwischen fallenden Briefe des 
Dichterkomponisten bilden den Inhalt der letzten sechs Kapitel und geben dem 
Buche Berechtigung und einen gewissen Werth. Glasenapp wird von da an ent- 
behrlich; es genügen wenige verbindende Worte. 

Was nun Praeger in diesen persönlichen Erinnerungen vorzulegen hat, sind 
Beobachtungen und Ergebnisse, in denen die Kunst Wagner*s eine untergeordnete 
Rolle spielt, die aber den Menschen in Wagner und die Eigenart seiner Natur 
Vielen näher zu bringen geeignet sind. So wie er sich hier im ungezwungenen 



Friedrich Ghrysander, Kleine Mittheilungen. 447 



Verkehr, in der Häuslichkeit, im Freundeskreise, im trauten Gespräch dem Verfasser 
gezeigt hat, so haben ihn schon Glasenapp, Wolzogen und Andere geschildert. 
Aber Praeger besiist den den englischen Biographen eignen Sinn für das Anek- 
dotische und Pragmatische und das Talent, das Beobachtete in lebensvollen Skizzen 
wiederzugeben. Praeger's Wagnerporträt gleicht dem Händelbilde des Mainwaring 
darin, daß das Genie vor dem BOxgersmann zurücktritt Die Originalität der 
ganzen Persönlichkeit, die Kühnheit seiner Natur, die Bücksichtslosigkeit und 
Heftigkeit seines Charakters, die den Wagner der Öffentlichkeit kennzeichnen, 
erfahren eine liebenswürdige Ergänzung durch Züge aus der Intimität, Züge von 
Herzensgüte und naiver Kindlichkeit, die manche Femstehende überraschen werden. 

Das Hauptverdienst, das sich Praeger um die Biographie Wagner's erworben 
hat, ist, daß er der ersten Gattin des Dichterkomponisten Gerechtigkeit wider- 
fahren läßt. Daß eine Frau, die Jahrzehnte der Entbehrung und der bittersten 
Noth mit ihrem Manne getheilt hat, nicht so unbedeutend sein kann, wie sie uns 
von einzelnen Biographen geschildert worden ist, mußte man sich von vornherein 
sagen. Um so erfreulicher ist es, dies von einem Augenzeugen ins Einzelne be- 
stätigt und nachgewiesen zu sehen. Das dämonische Element, das dennoch zur 
Trennung des Ehepaars führte, verfolgt Praeger nicht, wie es überhaupt nicht 
seine Sache ist, in die Tiefe zu gehen. Wir wiederholen aber nochmals, daß das 
Buch trotzdem Beachtung verdient. 

Leipzig. Hermann Kretssohmar. 

Nachschrift. Diese Anzeige war gedruckt, als die Bayreuther Blätter (im 
7. Stück) eine 39 Seiten lange Kritik des Praeger'sohen Buches brachten, die 
seine schon hier stark bemängelten Seiten, Glaubwürdigkeit und Methode, noch 
viel weiter bloßstellt. Ihr Verfasser, H. S. Chamberlain, weist auf Grund ein- 
gehender Vergleiche zwischen der englischen und der deutschen Ausgabe des 
Buches nach, daß Praeger mit den Originalbriefen Wagner's mindestens sehr frei 
umgegangen ist und glaubt, daß Briefe Röckels an P. überhaupt nicht existirt 
haben. Diese zweite schwere Beschuldigung ist nicht ganz einwandsfrei* Aber 
selbst wenn sie das wäre, würden wir doch das Gesammturtheil der vorstehenden 
Anzeige gegen Chamberlain aufrecht halten müssen, der das Praeger' sehe Buch für 
schlechterdings werthlos und für rein scandalös erklärt. Ch. irrt, wenn er Praeger 
für einen Feind Wagner's hält. Das verbieten die Antecedentien des Mannes 
ebenso wie der Ton seines Buches und dessen ganz zweifellos wohlgemeinte 
Absicht. Praeger hat ja nicht für Bayreuth, sondern für das große englische 
Publicum seiner Zeit geschrieben. Es kommt hinzu, daß nach allen Abzügen, die 
wir an Praeger's Wahrhaftigkeit, Charakter, Begabung und Bildung machen müssen , 
noch eine Summe von anekdotischen Mittheilungen übrig bleibt, die nur aus per- 
sönlicher Bekanntschaft und aus intimen Quellen . geschöpft sein können. 

H. K. 



Kleine Mittheilnngen. 
1. 

Besuch eines Engländers bei J. S, Bach im Jahie 1749. 

Sir John Hawkins widmet in seiner Geschichte der Musik Bach nur wenige, 
aber durchaus anerkennende Zeilen und beschließt dieselben mit einem Bach'schen 
Tonsatz, bestehend aus Aria und zwei Variationen. Hawkins sagt dabei nur: 
»Die folgende Komposition ist unter seinen Klavierstücken.« Solches ist auch der 

30* 



448 Kritiken und Referate. 



Fall; die »Ana« bildet das Thema im 4. Theil der Klavier-Übung, und die beiden 
Variationen nehmen in der Reihe der 30 Veränderungen, die Bach über dieses 
Thema schrieb, die neunte und zehnte Stelle ein. Auch findet .man bei Hawkins 
einen genauen Abdruck der von Bach yeranstalteten Ausgabe, einige Vorschläge 
und Manieren abgerechnet. Man wird hiemach glauben müssen, Hawkins habe 
diese drei Stücke aus Baoh's Drucke zusammen gestellt. Aber solches war nicht 
der Fall; ein Freund übergab ihm die drei Sätze, so wie er sie gedruckt hat. 

In einem Katalog antiquarischer Musik von W. Reeyes in London, 1893, 
wird ausgeboten: 

»Bach (J. S.)i An Aria with 2 Var. for the Harpsichord or Organ, 3 pages. 

10 B. 6 d.« 
Auf der Vorderseite dieses Manuskripts (wird dabei bemerkt) stehen folgende 
Nachrichten : 

»An exact Copy of a Composition of the leamed Professor of Muaic 

J. S. Bach, with which he presented me in his own writing in the year 

1749 on my going from Vienna to Leipzig, professedly to hear his 

astonishing Performance on the Organ.« 

»As a token of respect J. H. has for Mr. Ölen, he begs his acceptance 

of this copy« etc. 

»N. B. — My long intimacy with the late Sir John Hawkins, induced 

me to give him a copy to insert in his History of Music.« 
Hawkins hat also im 5. Bande seiner Oeschichte S. 256—258 nur gedruckt, 
was ihm yon einem Freunde mitgetheilt wurde. Ob dieser Freund jener »J. H.c 
war, der ein Jahr Tor Bach's Tode von Wien nach licipzig reiste, um den Alt- 
meister auf der Orgel spielen zu hören, oder ob »Mr. Ölen« die Kopie an Haw- 
kins gab, läßt sich aus der Notiz des Katalogs nicht ersehen. Es wäre interessant 
zu erfahren, wer dieser J. H. war und ob das Autograph, welches er von Leipzig 
heim trug, noch erhalten ist. Man würde dann auch ersehen können, ob Bach ihm 
drei Blätter aus seinem großen Variationen -Werk übergab, oder ob er ihm die 
genannten drei Sätze auf einem Bogen zusammen neu ausschrieb. 

2. 

Dr. Cr off 8 Gesänge fiir das Theater. 

Li dem Aufsatze »Der Bestand der königl. Privatmusik und Kirchenkapelle 
in London yon 1710 bis 1755« (Vierteljahrschr. 1892 S. 514-^531) habe ich über 
Leben und Wirken des Kirchen-Kapellmeisters Dr. Wm, Oroft Mittheilungen ge- 
macht und dabei S. 521 geäußert, er sei niemals über den Kreis dieser kirchlichen 
Kapelle hinaus getreten. Diese Behauptung muß eingeschränkt und dahin be- 
richtigt werden, daß Groft (der sich Anfangs Crofts schrieb) in seiner Jugend 
ebenfalls den Versuch gemacht hat, für die Londoner Theater zu arbeiten. Wir 
ersehen dies aus einer Annonce, welche ich unlängst in einer Londoner Zeitung 
fand. 

Ende December 1703 zeigen die Musikyerleger Walsh u. Hare u. a. an: 

»Mr. Crofts new Musick in 4 parts, performed in the Comedy called 
The Lying Lover, price 1 s. 6 d. the set.« Post-Man. 21/23. Dec. 1703. 
Aus dem Preise ist zu schließen, daß es nur eine sehr kleine Sammlung vier- 
stimmiger Lieder gewesen sein kann. Groft stand damals im 27. Lebensjahre 
Seit 1700 habe ich weiter keine Komposition weltlicher Musik von ihm angezeigt 
gefunden. Chr. 



Musikalische Bibliographie 



von 



Prof. Dr. F. Ascherson^ 

Bibliothekar und erstem Gustos der königlichen Unirersit&ts - Bibliothek zu Berlin. 



I. Qesohiehte der Musik« 

Annuaire du Conservatoire Royal de Musique de BmXeUes. Dix-sepiteme annee. 

Avec le porirait de Henry WarnoU, Gandj librairie Hoste. Bruxelles, librairie 

Ramlot 1893. 241 S. 8. 
After f J. M., Andreas Kaselius Ambergensis, sein Leben und seine Werke. Eine 

Studie. (Beilage zu den Monatsheften für Musikgeschichte.) VII, 48 S. gr. S 

mit 1 Tafel. Leipzig, Breitkopf und Härtel. n. 1 uff 50 «^. 
JBarilU, Anton Giulio, Gittseppe Verdi, Vita e opere. 2. edtz. Genova, Donath, 

1892, 156 S. 8, 
JSensaWj Oskare Richard Wagner säsom akapare af musikdrama, Del IV. 38 S. 8 

Stockholm, JBlaedel u. X. kr. 0,75, 
, Alla 4 delame samt: Wagner, R., Ludwig van Beethoven i eit band kr. 4,50: 

inb, kr, 6. 
ßemaySf M., Prolog zu Mozarts Requiem. 10 S. gr. 8. Leipzig, Breitkopf und 

Härte], n. 10 ^. 
Blographieen schweizerischer Tonkünstler. Das Künstlerpaar August und Anna 

Walter- Strauss. Ein biographisch -kritischer Essay yon A. Niggli. 56 S. 

gr. 8 mit Bildniß - Tafel. Zürich, Gebrüder Hug. n. 50 ^. 
Blmbanniy Ed., Jüdische Musiker am Hofe von Mantua. Wien, Waizner und 

Sohn. 1893. 35 S. und 2 Musikbeilagen. 
Bock, A., Goethe und Spontini. . (Berliner Tageblatt 1993, Nr. 475.) 
BoU's musikalischer Haus- und Familienkalender 1894. Mit biographischen, 

noyellistischen und musikal. Beiträgen von L. Fulda, H. Heiberg, A. Kohut 

u. A. m. 111 S. 40 mit Illustrationen u. Kunstbeilage. n. 1 uff ; geb. n. 1 uff 50 «^. 
Bolte, Johannes, Die Singspiele der englischen Komödianten und ihrer Nachfolger 

in Deutschland, Holland und Skandinavien. Hamburg und Leipzig, Leop. 

Voß. 1893. 194 S. gr. 8. 
Bmiy, Louis, Uhe ezcursion dans Vorgue. Paris , Fischbacher. 1892. 95 S. 8. 
de JBremontf The world of music. 3 vols. London. Gibbings. 10 sh. 6 d, 
JBrenetf Jean de Ockeghem. Paris. 1893. 
Buffen, F. F., Musical celebrities. 2d series, 4^. London, Chapman and Hall. 

21 sh. [S. ob. Bd VI S. 590.] 
Chopy M, (M. Charles), Vademecum für Wagnerfreunde. Führer durch Richard 

Wagner's Tondramen (mit über 40 Notenbeispielen). VII, 494 S. gr. 8. Leipzig, 



450 Musikalische Bibliographie. 



Koßberg'sche Hof buchhandlung, n. 8 Jl\ geb. n. 10 ulf; in 7 einzelnen Heften 

n. 9 uT 80 ^. 1. Der fliegende Holländer. VH, 36 S. n. 1 uT. — 2. Tannhäuser. 

ni, 43 S. n. 1 ur 20^. — 3, Lohengrin. HI, 35 S. n. 1 uT. — 4. Die Meistersinger 

von Nürnberg. HI, 62 S. n, 1 uT 20 ^. — 5. Tristan und Isolde. III, 61 S. 

n. 1 UT 20 ^. — 6. Der Ring des Nibelungen. HI, 193 S. n. 3 uT. — 7. Par- 

sifal. m, 62 S. n. 1 uT 20 ^. 
Conserratorlnniy das königliche, der Musik zu Leipzig. 1843—1893. YII, 144 S. 
Lex. 8. Leipzig, Breitkopf &: HärteL n. 2 jU, 
CatUagne, H. , ha drames musicaux de Ridua-d Wagner. 16. Paris , G, FUeh' 

hacher. 3 fr. 50 c. 
, Oaspard Duiffoproucart et les luthiers lyonnais du XVI. stiele. Etüde histo- 

rique accompagnie de pieces jttstißeatives et d*un portrait en hiliogravure. 

Paris, Fischbacher. 1893. 79 S. gr. 8. 
Curzan, de, Henri, Musiciens du temps passi. Les demikres annSes de Weber, 

Mozart et le Mozarteum de Salzbourg, Mihul, Hoffniann musicien. Paris, 

Fiselibacher. 1893. 3 fr. 60 c. 8. 
Destranges, Etienne, Voeuvre ih4ätral de Meyerbeer. Etüde critique. Paris, 

Fischbacher. 1893. 8. 2 fr, 
DonizetH, Lettere inedite di Gaetano I>onizettif con note di Füippo Mardtetti 

e AUssandro Parisotti e prefazione di JESugenio Checchi* Roma, Unione 

cooperativa editrice. 1892. XXXIII und 149 S. 8. 
DreyeSy O. M., Aurelius Ambrosius, »der Vater des Kirchengesanges«. Eine 

hymnologische Studie (Stimmen aus Maria- Laach. Ergänzungsheft 58.) M^I, 

146 S. gr. 8. Freiburg i. B., Herder'sche Verlagsh. n. 2Jf. 

Ehrlieli^ A., Berühmte Geiger der Vergangenheit und Qegeni^art. Eine Sammlung 
Ton 87 Biographien und Portraits. XI, 312 S. gr. 8. Leipzig, A. H. Payne. 
Oeb. bar n. 5 Jf. 

Ehrlich, H., Dreißig Jahre Künstlerleben. 416 u. VIII S. 8. Berlin, Hugo 
Steinitz, Verlag, n. 6 UST, geb. n. 7 UJT 50 3^. 

Engl, J. E., Studien über W. A. Mozart. [Aus XI. Jahresbericht des Mozarteums.] 

23 S. gr. 8. Salzburg, Herrn. Kerber. Bar n. 50 ^. 
Ernst, A., L'art de Richard Wagner. Voeuvre poetique 18. Paris, E. Plön, 

Nourrit et de. 3 fr. 50 c. 
Esehmann, J. C, Wegweiser durch die Clayier-Litteratur. 4. Aufl. t. A. Buthardt. 

XX, 282 S. 8. Leipzig, Gebrüder Hug und Co. Verlags-Conto. n. 1 uT 50 ^. 
Eymieu, H., Etudes et biographies musicales. Suivies cCwi aperpi sur les origines 

et rhannonisation du piain- chant par E. I>e8brau8ses et H. Efgtnieu. 

Avec une priface par Auguste DorcFiain* XI, 181 p. 16. Paris, Savine. 2 fr. 
Fazy, E., Louis IL et Richard Wagner. D' apres de documents irMits. Avee 

une Version nouvelle sur la mort de Louis II. 18. Paris, Perrin et Cie. 

3 fr. 60 c. 
Finckf H. T., Wagfier and his xcorks, the story of his life. 8. London, Grevet 

and Ca. 21 sh. 
FletchePf Alice C, A Study of Omaha Jndian Musie. Cambridge Mass., Peabody 

Museum of American Archaeology and Ethnology. 1893. 152 S. gr. 8. 
Gade, Niels W., Aufzeichnungen und Briefe, herausgegeben Ton Dagmar Gade. 

Autorisirte Übersetzung aus dem Dänischen. Mit 3 Portraits und 2 Facsimiles. 

Basel, A. Geering. 1894. 279 S. 8. 
Mtidatv, W. H., Studies in modern tnusic: Hector Berlioz, Robert Schumann, 

Richard Wagner. 8. London^ Seeley and Co. 7 sh. 6 d. 



Musikalisehe Bibliographie. 451 



Manifnericfif Angul, KjehenTuwns Muaikkonservatorium gründet af P. TV. Molden- 
hauer. 1867— 1S92, Kjehenhavn. 1892. 98 S, S. 

HaHdbveh der musikalisehen Literatur oder Yerzeichniß der im deutschen Reiche 
und in den angrenzenden Ländern erschienenen Musikalien, auch musikalischen 
Schriften, Abbildungen und .'plastischen Darstellungen mit Anzeige der Verleger 
und Preise. In alphabetischer Ordnung mit systematisch geordneter Über- 
sicht. 10. Bd oder 7. Ergänzungsband. Die von Anfang 1886 bis Ende 1891 
neu erschienenen und neu aufgelegten musikalischen Werke enthaltend. VIII, 
CGLII, 947 S. gr. 40. Leipzig, Friedrich Hofmeister, n. 82 uT. [S. ob. 
Bd IV, S. 552.] 

JEEiMtherly, S, G,y A treatise of Byzantine Musie. London, Alexander Oardner. 
1892, IIL u. 162 S, 4. 

Jakrbueh des k. k. Hof-Opemtheaters in Wien. Herausg. zu Neujahr 1893 von 
F. Hirt. IV, 76 S. 8. Leipzig, Litterar. Anstalt, Aug. Schulze. Bar n 
1 ufr 60 ^. 

Joacliimy O., Von Rossini bis Mascagni. Ein Bild der italienischen Oper im 
19. Jahrhundert (An der Tagesordnung, Beiträge zur Klärung der öffentlichen 
Meinung. Heft 4.) 32 S. gr. 8. Berlin, Richard Lesser, Verlagsbuchhandlung, 
n. 50 ^. . 

Kade^ Otto, Die ältere Passionskomposition bis zum Jahre J631. 2. — 4. Lieferung. 
S. 81—346. Qatersloh, Bertelsmann. 1891—1893. 8. [S. ob. Bd. VII, S. 684.] 

Kalischer^ A. Ch., Ignaz Moscheies' Verkehr mit Beethoven. L, II. Sonntags- 
Beilage der Voßischen Ztg. 1893. Nr. 15 und 16. 

Katschthaler^ J., Kurze Geschichte der KirchenmusilL. (Aus »Eirchenmusikalische 
Vierteljahrsschrift«.) III, 416 S. gr. 8. Regensburg» A. Coppenrath, Verlag, 
n. 5 uT. ' • 

Köhler^ J., Zur Charakteristik Richard Wagners. 16 S. 12, Mannheim, J. Bens- 
heimers Buchhandlung, n. 80 ^. 

Krebs» C, Bernhard Klein, in der Sonntags -Beilage der Voßischen Ztg. 1893. 
. Nr. 10, 11. 

, Otto Nicolai in Italien. I., H. Sonntags - Beilage der Voßischen Zeitung. 

Nr. 35, 36. 

Mufferath, Maurice, Le theatre de R. Wagner de Tannhaeuser ä Parsifal, Par~ 

sifal. Deuxihne edition, Paris, Fischbacher. 1893, 299 S. 8, 
Kflmmerley S., Encyklopädie der eyangelischen Kirchenmusik. Lief. 27 und 28. 

29 und 30. 3..Bd S. 401—720. gr. 8. Gütersloh, C. Bertelsmann, ä Doppelliet 

n. 2 ur. [S. ob. Bd. VIU, S. 548.] 
JLatvrence, J. T., A dictionary of mttsical Biograph/.' comprising short accounts 

of 270 eminent musicians. With an appendix and a classißced index of the 

principal names chronologicaüy arranged, 130 p, 8. London, Heywood, 3 sh, 
Frhr* y* LUleneroiij R., Liturgisch -musikalische Geschichte der evangelischen 

Gottesdienste von 1523 bis 1700. 71 S. gr. 8. Schleswig, JuL Bergas. n. 3 uff. 
Liszt's, F., Briefe. Gesammelt und herausgegeben von La Mara. 2 Bde. XII, 

,399 und XII, 421 S. gr. 8 mit Bildniß in Heliogravüre. Leipzig, Breitkopf 

und Härtel. n. 12 JC, Band 1. Von Paris bis Rom. Band 2. Von Rom bis 

Ende. 
Meinardugy L., Mozart, ein sittlich erziehliches Vorbild deutscher Jugend und 

ihrer Pfleger. Charakter - Studie. (Sanmilung pädagogischer Vorträge. Herausg. 

von W. Meyer -Markau. V. Bd. 6. Heft.) 24 S. gr. 8. Bielefeld, A. Helmichs 

Buohh. (H. Anders), n. 60 3jf. 



452 Musikalische Bibliographie. 



Mllitftr-llaslky die deutsche, auf der intematioDalen Ausstellung fdr Musik- und 
Theaterwesen Wien 1892. Mit Bildern', 16 Lichtdruck -Tafeln mit 16 S. Er- 
klärungen. 12. Berlin, Emil Prager's Buchhandlung. In Leinwand -Decke 
n. 2 M, 

Monats beriebt 9 musikalisch- litterarisoher, über neue Musikalien, musikalische 
Schriften und Abbildungen für das Jahr 1893. Als Fortsetzung des Hand- 
buchs der musikalischen Litteratur. 65. Jahrgang. 12 Nrn. gr. 8. (Nr. 1.) Leipzig, 
Friedrich Hofmeister, n. 13 ulT, auf Schreibpapier n. 15 •#. Ausg. für das 
Publicum n. 1 Ulf. 

Musiker -Kalender, allgemeiner deutscher, für 1893. Ked. t. B. Wolff. 15. Jahrg. 
XVI, 503 S. 16. Berlin, Raabe und Plothow (Max Eaabe). Geb. in Leinw. 
n. 2 M. 

MnBlk-Tascbenbncb* H. Kiemann: Erklärung der musikalischen Kunstausdrücke. 
Kurzgefaßte Harmonielehre. Anleitung zum Studium der technischen Übungen. 
Tabellen zur Musikgeschichte. O. Schwalm : Katechismus der Musik. Notiz- 
blätter und Stundenconto. Führer durch die Edition Steingräber. 5. Aufl. 
352 und XXXn S. 16. Leipzig, Steingräber Verlag. In Leinw. kart. n. 1 M. 

Neijabrsblatt, 81., der allgemeinen Musikgesellschaft in Zürich. 1893. 40. Zürich, 
Höhr und Fäsi. nn. 2 uf^ 20 «^. Hector Berlioz. Ein Pionier der Tonkunst. 
Von O. Lüning. 26 S. mit Bildnis in Holzschnitt. 

Nlcolal's O., Tagebücher nebst biographischen Ergänzungen. Herausg. Ton B. 
Schröder. VU, 166 S. gr. 8. Leipzig, Breitkopf und Härtel. n. 3 uT, geb. n. 4ur. 

Nietzsche, F., Le caa Waffner, Un prohleme mtmeal. Traduit par 2). HaUvy 
et B. R. Dreyfw. 79 S. 8. Leipzig, C» G. Naumann, n. 1 Jf 60 Sjf, 

OpltZy Paul, Kurze Geschichte des königlichen Domchors in Berlin. Zum fünfzig- 
jährigen Jubiläum, Ostern 1893. Berlin, Druck von Hermann Blanke. 18. S. 8. 

TarsifaZ. Pohne de Richard Wagner. Traduction de Judith Gautier» Paris. 

Armand Colin 8f de. 8. 4 fr. 

T« d. Pfordten^ H., Frhr., Handlung und Dichtung der Bühnenwerke Richard 
Wagner* s nach ihren Grundlagen in Sage und Geschichte dargestellt. -VH, 
394 S. 8. Berlin, Trowitzsch und Sohn. n. 5 Jf; geb. in Leinw. n. 6 Jf. 

, a piain handbook io Richard Wagner's Ring of the Nibelung. Prelude, The 

Reingold from the German by F. Speed, 34 S. 12, Berlin, Trowitzsch und 
Sohn. n. 60 ^. 

, dasselbe First day, The Valkyrc, From the German by F. Speed. S. 35 — 80, 

12. Ebenda, n. 60^. 

Pierre, Cotistant, Les Facteurs d* instruments de mttsique, les luthiers et la facture 
instrumentale. Pr^cis historique. Paris, Sagot. 1893. XIII und 439 S. 8. 

Piggothf F. T., The music and musical instruments of Japati. 4^. London, 
BaUford, 42 sh. 

^Madouoßf J, Th,, Henri Vieuxtemps, Sa vie, ses oeuvres. Avec 14 portr., autogr. 
et grav. Grand in 8, Paris, G. Fischbacher. 4 fr. 

Biemann, H., Musik-Lexikon. 4. Aufl. (In 20 Lieferungen.) XI u. 1210 S. 8. 
Leipzig, M. Hesse's Verlag. 10 •#. 

, Opern-Handbuch. Repertorium der dramatisch-musikalischen Litteratur (Opern 

Operetten, Ballette, Melodramen, Pantomimen, Oratorien, dramat. Kantaten etc.) 
Ein notwendiges Supplement zu jedem Musiklexikon. IL Suppl. unter Mit- 
wirkung von F. Stieger. S. 747—662, gr. 8. Leipzig, C. A. Koch's Verlags- 
handlung ;J. Sengbusch), n. 2 •#. . . 



Musikalische Bibliographie. 453 



Ritter^ H., Studien und Skizien aus Musik- und Kulturgeschichte, sowie Musik- 
ästhetik« 2. Aufl. 186 S. gr. 8. Dresden, Oskar Damm, Verlag, n. 3 jU. 

Mowbothafn, J. F., The private life of the great eompoaers. 8. Londony Isbiater 
and Co. 7 ah. 6 d, 

Bubinsteüiy Anton, Erinnerungen aus 50 Jahren. 1839 — 1889. Aus dem Kussi- 
schen von K Kretschmann. Berichtigte und TervoUständigte Ausgabe. V, 
124 S. mit 5 Abbildungen und Bildnissen und 1 Faksimile. Leipzig, Bartholf 
Senif. Bar n. 3 JK, geb. in Leinwand nn. 4 J^. 

Schauerte^ BL, Die Akte der heiligen Musik. 31 S. 8. Paderborn, Junfermann's 
Buchhandl. 60 ^. 

Scherer^ C. , Gertrud Elisabeth Schmeling und ihre Beziehungen zu Rud. Erich 
Raspe und Karl Matthaei. Ein Beitrag zur Lebensgeschichte der Künstlerin 
in den Jahren 1766—1774. (Aus: »Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft«.) 
29 S. gr. 8. Cassel, Beyschmidt's Hofbuchh. [S. ob. S. 99—127.] 

Scubies, Albert j Fricie de V hütoire de la Mueique russe. Paris, Fiechbacher, 
1893. 202 S. XL 8. 

Spltta^ Ph., Die Passionsmusiken von Sebastian Bach und Heinrich Schütz. (Samm- 
lung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, herausgegeben von 
R. Virchow und W. Wattenbach. Neue Folge. 176. Heft) 40 S. gr. 8. Ham- 
burg, Verlagsanstalt und Druckerei, Actien-Gtesellschaft. n. 80 ^. 

, Über Robert Schumann's Schriften. In: Deutsche Rundschau, 19. Jahrgang, 

Heft 3. S. 382—392. 

, Ballade. In: Deutsche Rundschau, 19. Jahrgang, Heft 6, S. 420— 436 und 

Heft 7, S. 30—47. 

, Denkmäler deutscher Tonkunst. In: Grenzboten. II, 1893, S. 16 — 27. 

Steliiy A., (H. Nietschmann) , Aus dem Reiche der Töne. Bilder aus dem Leben 
unserer grossen Meister. VH, 204 S. gr. 8. Halle a. S., Buchhandlung des 
Waisenhauses. 2 Jf AO 3^, geb. in Leinw. n. 3 ulf 10 ^. 

Stiehl 9 G. , Katalog der Musik - Sammlung auf der Stadtbibliothek zu Lübeck. 
Lübeck, Druck von Qebt. Borchers. 60 S. 4. 

Sroboda^ A., Illustrirte Musikgeschichte mit Abbildungen von M. Frhm. v. Branco. 
IL Bd. (In 10 Lieferungen.) Lief. 1, 2, 3, 4, 5. S. 1*-160. gr. 8. Stuttgart, 
Carl Grüninger. k n. 50 4^. [S. ob. Bd. VHI, S. 550. ] 

Unlyersal- Bibliothek für Musiklitteratur, begründet von J. Laurencic. Nr. 1 — 3. 
8. Leipzig, Ernst Hedrich in Comm. n. 1 uff 20 ^. 1—3. Die 150jährige Ge- 
schichte der Leipziger Gewandhau s-Koncerte 1743 — 1893. Von E. Kneschke. 
4. Tausend. 160 S. mit Illustrationen. 

Unter^teiner, A., Storia della musica. 8. Mailand^ U. Hoepli. 3 X. 

Van der Siraetenj E.. Nos Periodiqitee musieaux. Oand, Zibrairie VayUteke, 
1893. 84 S. 8. 

YeneiehniSS der im Jahre 1892 erschienenen Musikalien und musikalischen Schriften 
und Abbildungen mit Anzeige der Verleger und Preise. In alphabetischer 
Ordnung nebst systematisch geordneter Übersicht. 41. Jahrg. oder 7. Reihe 
1. Jahrg. Vn, CXLI, 424 S. gr. 8. Leipzig, Friedrich Hofmeister, bar n. 
16 u(^, auf Schreibpapier n. 18 M. 

Vie <fun compositeur moderne (Louis Niedermeyer) 1802 — 1861. Avec wie introd. 
par C. de Saint- SaShe. Avec 2 portr.yun autogr. et 4 hiliograv. Petit in 4f^. 
Paris, G. Fischbacher. 6 fr. 

Waffner, Richard, La Walhfre. Expliquie par Charies GJellerup» Edition 
francaise par M» 8. GoumovUch. Paris, H. L. Sondier. 1893. 2. Aufl. 
1 fr. 50 e. 



454 Musikalisehe Bibliographie. 



WaUaschekf R., Primitive muaic. An Inquiry into tke origin and development 
of Music, Songa, Instruments j Dances and Pant&minss of savage raees. S. 
London, Lcngmans u. Co. 12 sh, 6 d. 

T* Wartenegg 9 W. , Mozart. Festspiel zur lOOjährigen Todtenfeier. 28 S. 8. 
Wien, Carl Konegen. n. 60 ^, 

T« Waglelewskjy W. J., Carl Reinecke. Sein Leben, Wirken und Schaffen. Ein 
Künstlerbild. VII, 164 S. gr. 8 mit Bildniß. Leipzig, JuL Heinr. Zimmer- 
mann, n. 3 Jf; geb. in Leinw. n. 4 Jf, 

T« Weber, C. M., Ausgewählte Schriften. Herausg. von R. K.leinecke. (Universal- 
Bibliothek Nr. 2981 , 2982.) 206 S. gr. 8. Leipzig, Ph. Reclam jun. Bar a 
n. 20 ^. 

Welt) Fromme's musikalische. Notiz-Kalender für das Jahr 1893. 18. Jahrg. Bed. 
Ton Th. Helm. VIII, 365 S. 16. Geb. in Leinwand n. 3 uT 20 ^, Brieftaschen- 
Ausgabe bar n. 4 •# 40 ^. 

Wefltphal) K., Aristoxenos von Tarent. Melik und Rhythmik des classischen 
Hellenenthums. IL Band. Berichtigter Originaltext nebst Prolegomena. Heraus- 
gegeben von F. Saran. Leipzig, Ambr. Abel. 1893. 16, CCXL, 31 und 
110 S. gr. 8. 

WiUeby, C, Frederick Francois Chopin, 8. London, Low and Co. 10 sh, 6 d, 

, Masters of English music. 8. London, Osgood and Co. 5 sh. 

Zabel 9 E. , Anton Rubinstein. Ein Künstlerleben. 288 S. 8 mit Heliogravüre. 

Leipzig, Bartholf Senff, n. 6 Jf; geb. in Leinwand nn. 7 Jf. 
Zabii) J., Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder, aus den QueUen 

geschöpft und mitgetheilt. Heft 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46 (Schluss . 

5. Bd. S. 397 — 556. 6. Bd. 1—578. gr. 8. Gütersloh, C. Bertelsmana. 

a Doppellieferung n. 2 uT. [S. ob. Bd. VIII, S. 551.] 
Zelle^ F., Joh. Ph. Pörtsch, 3. Beitrag zur Geschichte der ältesten deutschen Oper. 

Programm. 24 S. 4. Berlin, R. Gärtner's Verlag [H. Heyfelden). n. 1 Jf. 

(S. ob. Bd. VII, S. 687.] 
Zelter, Karl Friedrich, Einige Aufsätze. Mitgetheilt von Ernst Friediänder. 

Sonntags-Beilage z. Voss.. Zeitung. 1893. Nr. 26, 27, 28. 

n. Theorie. 

Amelnng, W., Das genau temperirte Klavier. Praktische Anleitung zum Klavier- 
stimmen nach anerkannter, auf den Regeln der Akustik beruhender Methode. 
24 S. gr. 8. Langensalza, Hermann Beyer und Söhne, n. 40 «^. 

AppuBil, A., Ein natürliches Harmoniesystem, mit besonderer Rflcksicht auf An- 
wendung in der musikalischen Praxis, verbunden mit einer Anleitung zur Be- 
handlung eines neu konstruirten Instrumentes und reiner Stimmung, ebne 
Abänderung der gewöhnlichen Klaviatur. (Aus »Bericht der Wetterauiachen 
Gesellschaft für die gesammte Naturkunde in Hanau. 1893.«) 32 S. gr. 8 
mit Musikbeilage, 6 S. Leipzig, Gustav Fock, Verlags -Conto. Bar n. 

Bayer, Ed., Metodo per Cetra. Parte la. 49. Trier. P. Ed. Hoenes. 2 l. 50 c. 

Böttcher^ E., Populäre Harmonielehre in Unterrichtsbriefen. VI, 210 S. 8. Leip- 
zig, C. A. Koch's Verlagshandlung (J. Sengbusch), n. 1 uff 80 S^. 

Bnsfller^ L., Praktische Harmonielehre in 54 Aufgaben mit zahlreichen ausschließ- 
lich in den Text gedruckten Muster-, Übungs- und Erläuterungs- Beispielen, 
sowie Anführungen aus den Meisterwerken der Tonkunst für den Unterricht 



Musikalische Bibliographie. 455 



an öffentlichen Lehranstalten, den Privat- und Selbstunterricht systematisch- 
methodisch dargestellt. 3. Aufl. X, 228 S. gr. 8. Berlin, Carl Habel. n. 4 Jl\ 
geb. in Schulband n. 4 uT 50 ^; in Halbfrzbd nn. 5 uT 50 ^. 

Klayler und Klayiersplely das, sowie Mittheilungen und Vorschläge far Ankauf 
und Instandhaltung der Klavierinstrumente. Entnommen aus Mittheilungen 
Fachkundiger und eigenen Erfahrungen des Verfassers. 50 S. 12. Dresden, 
Oskar Damm, Verlag, nn. 1 M. 

Eitz^ C, Hundert geistliche Liedireisen in Tonsilben gesetzt. Eisleben, Selbst- 
verlag. 1893. Nebst Flugblatt »Erläuterungen zu den Tonsilben von Carl 
Eitz«. 24 und 4 S. 8. 

Emsty E. , Die Gymnastik der Hand oder Vorschnle der Musik und der ver- 
schiedenen Künste und Gewerbe. Ein nützliches Handbuch für Eltern , Er- 
zieher, Musiklehrer, sowie eine Anleitung zur Behandlung des Händezitterns, 
Schreibkrampfs und anderer HandübeL 2. Aufl. Xu, 53 S. 16. VHI, 203 S. 
Leipzig, J. J. Weber, n. 1 M, 

CterylnaSy Victorie, Naturgemäße Ausbildung in Gesang und Klavierspiel mit be- 
sonderer Rücksicht auf gemeinschaftlichen Unterricht nebst einer Harmonie- 
lehre und einer Sammlung von Liedern und Klavierstücken. Sonderabdruck: 
Lieder. Fol. Leipzig, Breitkopf und HärteL n. 2 Jl, 

Olrsehner^ O. , Allgemeine Musiklehre mit Rückblicken in die Geschichte der 
Musik. Für Kunstjünger und gebildete Musikfreunde verfasst. 1. Theil ent- 
haltend die Lehre von den allerersten Elementen der Musik und die Elementar- 
formenlehre. Vlil, 133 S. gr. 8. Hannover, Louis Oertel, Musik -Verlag, 
nn. 1 ufT 50 ^. 

HAberly F. X., Magister choralis. Theoretisch -praktische Anweisung zum Ver- 
ständnis und Vortrag des authentischen römischen Choralgesanges. 10. Aufl. 
VI, 252 S. 8. Regensburg, Friedrich Pustet. Kart n. 1 uT 40 ^. 

Helm, J., Die Formen der musikalischen Komposition in ihren Grundzügen syste- 
matisch und leichtfaßlich dargestellt. 3. Aufl. VI, 128 S. gr. 8. Leipzig, 
Andreas Deichert's Verlagsbuchh. Nachfolger (Georg Böhme), n. 4 •# 50 «^. 

Herold) G., Die Kunst des Notenschreibens. Kurse praktische Anleitung richtig 
und schön Noten schreiben zu lernen. Mit zahlreichen Notenbeispielen. 48 S. 
4. Leipzig, Carl Merseburger. n. 1 uff. 

^€i,das80hnf S.y Tratte cTharmonie. Traduit de TaUefnand par JE. Brahy. X, 
278 S, gr. 8. Leipzig, Breitkopf und HärteL n, 4 M; geb. n. 5 Jf W Sjf. 

Kadeii) R., Wie stüdirt man Musik? Nebst Anhang: Bericht über die pädago- 
gische Musikschule. 26 S. gr. 8. Dresden , Conrad Weiske's Buchhandl. (Gg. 
Schmidt), n. 40 ^. 

Krause 9 £., Didaktisches für junge Musiker und Musikfreunde. Vermischte 
Aufsätze. VII, 159 S. Lex.- 8. Hamburg, C. Boysen, Verlag, n. 3 jU, 

KrosSy £., Die Kunst der Bogenführung. Praktisch -theoretische Anleitung zur 
Ausbildung der Bogentechnik und zur Erlangung eines schönen Tons. Op. 40. 
59 S. gr. 4. Heilbronn, C. F. Schmidt bar 4 uT 50 ^. 

Lobe^ J. C, Katechismus der Musik. 20. Aufl. (Weber's illustrirte Katechismen 
Nr. 4.) Vm, 144 S. 12. Leipzig, J. J. Weber. Geb. in Leinw. n. 1 uT 50 ^. 

Piel) P., Harmonie-Lehre. Unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen 
für das kirchliche Orgelspiel, zunächst für Lehrer ^Seminare bearbeitet und 
herausgegeben. 3. Aufl. Op. 64. X, 338 S. gr. 8. Düsseldorf, L. Schwann. 
Kart n. 3 uT 50 ^\ geb. nn. 4 uT. 

Quinet, JE., Ce que dit la musique. 18, Paris, C. Levy, 3 fr, 60 e. 



456 Musikalische Bibliographie. 



Rambadiy A. , System einer Musik- Stenographie. 90 S. gr. 8. Zürich, Artist. 
Institut, OreU Füssli, Verlag, n. 4 uT. 

Richter, £. F. , Die praktischen Studien zur Theorie der Musik. 2. Bd. gr. 8. 
Leipzig, Breitkopf und Härtel. n. 4 uT 50 ^; geb. n. 5 uT 70 ^; in Schulbd. 
nn. 5 jK. 2. Lehrbuch des einfachen und doppelten Kontrapunkts. Praktische 
Anleitung zu dem Studium desselben, zunächst für das Konservatorium der 
Musik zu Leipzig. 8. Aufl. , bedeutend erweitert, vermehrt und ergänzt von 
A. Richter. X, 241 S. [S. Bd. Vm, 8. 553.] 

, Traiti complet de contrepoint. Traduit de V aüemand sur la 6. idtt. par 

G. SandrS, VI, 230 S. gr. 8. Leipzig, Breitkopf und Härtel n. 4 M 80 ^. 

, Tratado de annonia teörico y practica . Vertido al espanol por F. Pedreü. 

La presente edicion contiene, adeftids, los ejercicios complementarios para el 
estudio de la armonia practica, eacritos par el mistno. autar. VII, 246 S. gr. 8. 
Leipzig, Breitkap/ und Härtel. n. 6 JK. 

Riechers, A., Die Geige und ihr Bau. 36 S. gr. 8 mit 4 lith. Tafeln. Göttingen, 
Frans Wunder. Kart. n. 2 JK. 

MameUf J., I>art du pianiste. 18. Paris, J, Hetzel et de. 4 fr. 

Sachs, W., Über die Klavierbegleitung zu Schtmiann's Frauenliebe und Leben. 

(Op. 42.) Eine Yortragsanalyse. 15 S. 12. Straßburg, Ernst Ackermann in 

Komm. 30 ^. 
Sehneeberger, F., Kurse Stimmbildungslehre. 16 S. 8. Biel, F. Schneeberger. 

n. 80 ^. 
Scholz, R., Die Vortragskunst in der Musik, nebst specieller Berücksichtigung des 

Violinvortrages. Katechismus für Lehrende und Lernende. III, 35 S. gr. 8. 

Hannover, Louis Oertel, Musik -Verlag, nn. 1 Jf 2b ^. 
Sebnbert, F. L., Die Violine. Ihr Wesen, ihre Bedeutung und Behandlung als 

Solo- und Orchester- Instrument. 4. Aufl., vollständig umgearbeitet und mit 

einem Litteratur- Anhange versehen von R. Hofmann. 124 S. 12. Leipzig, 

Carl Merseburger. 90 ^. 
Stolz, J., Allgemeine Musiklehre. (Mit besonderer Berücksichtigung für Klavier- 
spieler.) IV, 113 autogr. S. kl. 4 mit 1 Tab. Graz, Hans Wagner in Komm. 

n. 1 uT 20 ^. 
, Die Verzierungsarten der Musik. 21 autogr. S. gr. 4. Graz , Hans Wagner 

in Komm. n. 2 Jg. 

Taylor, F., Die Elemente des Klavierspiels. Deutsche Ausgabe von M. Stegmayer. 

2. Aufl. (Weber*8 illustrirte Katechismen Nr. 99.) 151 S. 12. Leipzig, J. J. 

Weber. Geb. in Leinw. n. 2 JK. 
Theory af ihe Nelo Keyboard tcith the Cooperation of Mr. Walter BradUy Keeier 

edited by Emil K. Winkler* (In use at the Paul von Janko Consercatory of 

Music, New York.) Fol Leipzig, Breitkopf and Härtel. 1 Jf. 
Thürllngs, A., Der Musikdruck mit beweglichen Metalltypen im 16. Jahrhundert 

und die Musikdrucke des Mathias Apiarius in Strassburg und Bern. 32 S. 

gr. 8 mit Facsimiles. Leipzig, Breitkopf und Härtel. n. 1 Jf. (S. Vierteljahrs- 
schrift für Musikw., Jahrg. 1892, S. 389 ff. 
T. WaslelewBki, W. J., Die Violine und ihre Meister. 3. Ausg., XU, 581 S. gr. 8 

mit Abbildungen, n. 9 JK; geb. in Leinw. n. 10 Uff 50 ^. 
Widmanii, B. , Generalbass- Übungen nebst kurzen Erläuterungen. Eine Zugabe 

zu jeder Harmonielehre, systematisch geordnet. 5. Aufl., VI, 91 S. Lex. -8. 

Leipzig, C. Merseburger. 2 Uf 25 ^. 



Musikalische Bibliographie. 457 



Zellner^ L. A., Vorträge über Orgelbau. Gehalten am Conservatorium der Ge- 
sellschaft der Musikfreunde su Wien. 'Mit 65 Abbildungen im Texte, 2 
Notenbeispielen und 3 Beilagen. VII, 14S S. gr. 8. Wien, A. Hartleben's 
Verlag, n. 4 UT; geb. n. 5 uT 40 ^. 

Zlminery F., Elementar -Musiklehre. Enthaltend das Wissensnötige fOr jeden 
Musiktreibenden. III. Heft gr. 8. Quedlinburg, Chr. Friedr. Vieweg's Buchh. 
n. 1 Uff 50 «^. Organik, musikalische Formenlehre und Abriß der geschicht- 
lichen Entwickelung der abendländischen Musik', insonderheit des evange- 
lisohen Kirehengesanges. 8. Aufl., IV, 126 S. mit Hokschn. [S. ob. Bd. VII, 
S. 689.] 

, Orgelschule. Theoretisch-praktische Anleitung ssur Erlernung des kirchlichen 

Orgelspiels. 1. Theil. Unterstufe. 4. Aufl. 4®. Quedlinburg, Chr. Friedr. 
Vieweg's Buchh. 1 Jf bO £^. 

m. Ästhetik. Physikalisohes. 

CombarieUf Jules, Lee rapports de la musique et de la poesie, cofisiderdes au 
point de vue de Texpression, Paris, Felix Alcan. 1893. XXVII und 523 S. 8. 

QottkMy F., Das Wesen der Musik. 54 S. gr. 8. Bonn, Friedrich Cohen, 
n. 1 tJf, 

JETugonnet, P., La musique et la pantomime. Avec ill. et facsimüi, 16. Parts, 
E. Kolb. 4 fr. 

Lonls^ R., Der Widerspruch in der Musik. Bausteine su einer Ästhetik der Ton- 
kunst auf real-dialektischer Grundlage. VIII, 115 S. gr. S. Leipsig, Breitkopf 
und Härtel. n. 2 uT 50 Sjf, 

Schauerte f jET., De musices sacrae justitia. 44 S, gr. 8. Paderborn, Junf er- 
mannte Buchh. n. 60 ^. 

, Wesen der heiligen Musik. 22 S. 8. Paderborn, Junfermann's Buchhandl. 

n. 50 ^. 

Schimmelbascliy £. W., Im Geiste Richard Wagner's. Studien und E.ritiken zur 
Ethik und Ästhetik deutscher Gegenwart. II , gr. 8. Würsburg, Ballhom 
und Cramer, Verlagsbuchhandlung, n. 1 Jf. II. Dichter und Dichtung des 
Musikdramas £.unihild. Studien und Kritiken von G. Beck, H. Ritter, 
B. Wörnhecke und dem Herausg. 63 S. 

Seliinltz^ A. A., Die CV^moU-Sonate ^quasi una Fantasiaa, Op. 27, Nr. 2 Yon L. v. 
Beethoven. Ein Tongemälde oder Tongedicht, erklärt. 31 und 6 S. Musik- 
beilage gr. 8. Remscheid, Gottl. Schmidt in Komm. n. 1 .^ 75 ^. 

Thlbaut) A. F. J., Über Reinheit der Tonkunst. 7. Ausg. Mit dem Vorwort von 
K. Ch. W. F. Bahr zur 3. Ausg., XV, 100 S. gr. 8. Freiburg i. B., J. C. B. 
Mohr (Paul Siebeck), n. 1 Jf; Einbd. n. 80 ^. 

IV. Ausgaben von Tonwerken. 

Bach) J. S., Werke. Jahrgang XL. Gesammelte Choralvorspiele imd Choralvariati- 
onen. FoL Leipzig, Breitkopf und Härtel. [S. ob. Bd. VIII, S. 555.] 

, Werke für Gesang. Gesammtau sgabe für den praktischen Gebrauch. Voll- 
ständiger Klavierauszug, gr. 8. I. Kirchen-Kantaten. Lief. 71, 72, 73, 74, 
75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82—89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 
101, 102. Leipzig, Breitkopf und Härtel. ä n. 1 uT 50 ^. [S. ob. Bd. VIH, 
8. 555.] 



458 Musikalische Bibliographie. 



Bacli) J. S., Werke für Gesang. IL Motetten. Nr. 1. Singet dem Herrn ein 
neues Lied. 1 uT 50 ^. Nr. 2. Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf. 
1 M 50^. Nr. 3. Jesu, meine Freude. 1 uT 50 ^. Nr. 4. Fürchte dich 
nicht, ich bin bei dir. 1 uff 50 ^. 

^ Werke fürs Orchester. Nr. 3. Ouvertüre Ddur. 10 Stimmenhefte je 30 3jf. 

3 uSr. Nr. 4. Ouvertüre i)dur. 12 Stimmenhefte je 30 ^. 3 uT 60 ^. Nr. 6. 
Concert i^dur. 10 Stimmenhefte je 30 ^. 3 Jl, Nr. 7. Concert in &dur 
10 Stimmenhefte je 30 ^. 3 ulf. Nr. 8. Concert in 6^dur. 9 Stimmenhefte 
je 30 ^. 2 UT 70 ^. Nr. 9. Concert in J^dur. 6 Stimmenhefte je 30 ^. 
1 ur 80 ^. [S. ob. Bd. Vm, S. 555.] 

CoUecHofn complite des Oeuvres de Gri^try^ publie pttr le Gouvernement beige. 
Livr. XIIL Zemire ei Azar, Comedie Ballet en quatres actes. FoL Leipsig, 
Breitkopf und Härtel. 16 Jg, [S. ob. Bd. VIII, S. 555.] 

Erky L., Deutscher Liederhort. Auswahl der vorzüglicheren deutschen Volkslieder 
nach Wort und Weise aus der Vorzeit und Gegenwart gesaxmnelt und er- 
läutert. Im Auftrag und mit Unterstützung der königl. preuss. Regierung 
nach Erk's handschriftlichem Nachlass und auf Grund eigener Sammlungen neu- 
bearbeitet und fortgesetzt von F. M. B5]ime* (In 3 Bdn.J Lief. 1, 2, 3. (Bd. U 
S. 1—192.) gr. 8. Leipzig, Breitkopf und Härtel. k n. 1 Jf. 

Militärmftrseke 9 Altpreußische, aus dem Musikarchiv der königlichen Haus- 
bibliothek in Berlin. Ausgabe für Klavier von G. ThaureU FöL Leipzig, 
Breitkopf und Härtel. 3 Jf. 

Mozart's Werke. Kritische Gesammtausgabe. Serie XXIV. (Supplement Nr. 5S. 
Zwölf Duette für 2 Bassethömer. Nr. 59. Skizze zum Quintett für Pianoforte, 
Oboe, Klarinette, Hörn und Fagott. Nr. 60. Sonate für 2 Klaviere. Fragment. 

Palestrina's Werke. Kritisch durchgesehene Gesammtausgabe. Partitur. Bd.XXXlL 
3. Nachtrag zur Gesammtausgabe. Fol. Leipzig, Breitkopf und HärteL Ib Jf, 
[S. ob. Bd. vm, S. 556.] 

Pnblikatloii älterer, praktischer und theoretischer Musikwerke, vorzugsweise des 
XV. und XVI. Jahrhunderts. Herausgegeben von der Gesellschaft für Musik- 
forschung. Jahrgang XXI, Band XVIH. 2. Hälfte. Die Oper. 5. Theil. 
R. K eiser, Der lächerliche Prinz Jodelet. 2. und 3. Handlung. FoL Leip- 
zig, Breitkopf und Härtel. 15 uJf. [S. ob. Bd. VIH, S. 556.] 

Sl^erhoniy P. , Universal -Choralbuch. Enthaltend die Melodien in der vom 
königl. Konsistorium der Provinz Brandenburg festgesetzten Form in mehr- 
facher Bearbeitung, nebst 3000 Strophenzwischenspielen und 700 Orgelpunkten. 
H, 328 S. qu. gr. 40. Berlin, Carl Ulrich und Co. Verlag, in Komm. nn. 15 JK. 

Schubert's Werke. Kritische Gesammtausgabe. Serie XVI. Für Männerchor. 
Partitur. Einzelausgabe a) mit Begleitung von Streich- oder Blas-Instrumenten. 
Fol. Leipzig, Breitkopf und Härtel. Nr. 1. Nachtgesang im Walde. Op. 139. 
n. 1 uir 5 ^. Nr. 2. Hymne. Op. 154. n. 1 uT 20 ^. Nr. 3. Gesang der 
Geister über den Wassern. Op. 167. 1 uT 50 ^. [S. ob. Bd. VIII, S. 556.] 
Nr. 4. Das Dörfchen. Op. 11, Nr. 1. n. 90 ^. Nr. 5. Die Nachtigall. Op. 11, 
Nr. 2. n. 90 £^. Nr. 6. Geist der Liebe. Op. 11. Nr. 3. nn. 70 ^. Nr. 7. 
FrühHngsgesang. Op. 16, Nr. 1. n. 1 JK b ^. Nr. 8. Naturgenuß. Op. 16, 
Nr. 2. n. 75 £^. Nr. 9. Der Gondelfahrer. Op. 28. 75 S^. Nr. 10. Boot- 
gesang. Op. 52, Nr. 3. 30 ^. Nr. 11. Zur guten Nacht. Op. 81, Nr. 3. 
30 ^. Nr. 12. Widerspruch. Op. 106, Nr. 1. 60 ^. 



Musikalische Bibliographie. 459 



Sehabert's Werke. Serie XVI. b) Ohne Begleitung. Nr. 20—23. Vier Gesänge. 
Op. 17. 60 ^. Nr. 24 — 26. Drei Gesänge. Op. 64. 1 uT 20 3^. Nr. 27. 
Mondenschein. Op. 102. 60 ^. Nr. 28. Schlaehtlied. Op. 151. 75 ^. Nr. 29. 
Trinklied. Op. 155. 45 ^. Nr. 30. Nachtmusik. Op. 156. 45 ^. Nr. 31. 
FrQhlingsgesang. 60 3jl, Nr. 32. Der Geistertanz. 30 Sjf. Nr. 33. Gesang der 
Geister über den Wassern. 60 3jf. Nr. 34. Lied im Freien. 60 3^. Nr. 35. 
Sehnsucht 30 ^. Nr. 36. Ruhe, schönstes Glück der Erde. 45 3jl. Nr. 37. 
Wein und Liebe. 45 3jf, Nr. 38. Der Entfernten. 30 3jl, Nr. 39. Die Ein- 
siedelei. 30 3jf. Nr. 40. An den Frühling. 30 Sjf, Nr. 41. Grab und Mond. 
30 3jf, Nr. 42. Hymne: Komm, heil'ger Geist. 75 ^. 

, Serie XVU. Für gemischten Chor. Vollständige Partitur. 3 Bde. n. 19 •#• 

Dramatische Musik: 

, Serie XV. Band V. Alfonso u. Estrella. Part. n. 40 Jl. 

, Band VU. 32 UT. 

, Einselne Ouvertüren in Partitur. Der yierjährige Posten. Singspiel 2 uff 

10 ^. Die beiden Freunde von Salamanka. Singspiel. 2 •# 10 ^. Die 

beiden Zwillingsbrüder. Singspiel. 1 uff 35 ^. Musik zum Zauberspiel: Die 

Zauberharfe. 4 ulf 80 ^. Musik lum Schauspiel: Bosamunde. 2 Uf 70 ^. 

Claudine von ViUa Bella. SingspieL 1 uT 95 ^. 
, Serie V. Quartette für Streichinstrumente. Einzelausgabe. Partitur. Nr. 1. 

Quartett. 1 uT 5 ^. Nr. 2. Cdur. 90 ^. Nr. 3. Jdur. 1 uT 65 ^. Nr. 4. 

Cdur. 1 ufT 50 ^. Nr. 5. J?dur. 1 Uf 65 ^. Nr. 6. -Ddur. 1 uT 95 ^Jr. 

Nr. 7. Ddur. 1 Uf 50 ^. Nr. 8. J?dur. Op. 168. 1 uT 80 ^. Nr. 9. ÖmoU. 

1 uT 65 ^. Nr. 10. Quartette. Op. 125, Nr. 1. 1 uT 65. Nr. 11. Quartett -B. 

Op. 125, Nr. 2. 1 uT 65 ^. Nr. 12. Quartett CmoU. 90 Sjl. Nr. 13. Quartett 

^molL Op. 29. 2 uT 10 ^. Nr. 14. Quartett Dmoll. 3 Jf. Nr. 15. Quartett G. 

Op. 161. 3 Jf. 
, Revisionsbericht. Serie X. Sonaten für Pianoforte, herausg. von J.Epstein 

und E. Mandyssewski. Gr. 8. 1 Uf 50 Sjf. 
Schlitz^ Heinrich, Sämmtliche Werke. Herausgegeben von Philipp Spitta- 

Band XHI, XIV, XV. Gesammelte Motetten, Concerte, Madrigale und Arien- 

2., 3. und 4. Abtheilung. Fol. Leipzig, Breitkopf und HärteL [S. ob. Band 

Vm, S. 557.] 
Werke^ musikalische, der Kaiser Ferdinand IH. , Leopold I. und Joseph L , her. 

ausgegeben von G. Adler. Band 2. Gesänge aus Oratorien und Opern. 

Instrumentalkompositionen. FoL Leipzig, Breitkopf und HärteL 10 •#. 

[S. ob. Band VHI, S. 567.] 
WUlloery F., Chorübungen der Münchner Musikschule. Neue Folge. Muster- 
sammlung 5- bis 16 stimmiger Gesänge aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert. 

Partitur. 137 S. 40. München, Theodor Ackermann, Verlagsconto. n. 6 uff. 
, dasselbe, 4 Stimmen, hoch40. Bar ä 1 uT 50 Sjf, Sopran I und II, 40 S. 

— Alt I und II, 40 S. — Tenor I und 11, 13 S. — Basso I und II, 39 S. 



Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie von 1893. 

(S. Jahrg. VIII, S. 559.) 



Antiquarische Kataloge. 

Ackermann, Theod., Manchen, Promenadeplats 10. — Kat. Nc 397. Enthalt 
862 literarische Werke aus allen Fächern der Musik meist neuerer Zeit. 

Baer & Co.» Frankfurt a. M., Kossmarkt 18. — Nr. 317. Die klassische Periode 
der deutschen Literatur mit einem Anhange: Die Romantiker. 

BertUng, B., Dresden-A.» Victoriastrasse 6. — Katalog Nr. 21. Seltene Drucke 
aus dem 16., 17., 18. Jahrhundert. 

Qilliofer & BauBOhburg, Wien I, Bognergasse 2. — Anzeiger Nr. 25 (III. Serie 
Nr. 1) des antiquarischen Bücherladens. — Katalog Nr. 42. Curiosa. Kultur- 
geschichte. Kunst. Literatur. 

G. Hess & Co., München, Arcostr. 1. — Katalog Nr. VI, enthaltend ein Hjmnen- 
buch etc. 

Kirohhoff & Wigand, Leipzig, Marienstrasse 19. — Musikwissenschaft. Katalog 
Nr. 915. 

IiOBser, Heinrich, Breslau, Neue Tas chenstrasse 21. — Katalog Nr. 253. Theater, 
Musik. 

lilpmannsBohn, Leo, Antiquariat Berlin W., Charlottenstrasse 63. — Katalog Nr. 101. 
Musikliteratur nebst Vokal- und Instrumentalmusik. — Katalog Nr. 102. 
Musiker- Autographen. — Nr. 98. 185 Werke aus allen Fächern der Musik 
und Schriftstellerei. — Nr. 99. Autographen aus allen Fächern. — Nr. 100. 
Werke zur Geschichte und Theorie der Musik, nebst einigen seltenen alten 
Musikdrucken. — Nr. 103. Musikliteratur nebst Vokal- und Instrumentalmusik. 

liissa, Georg, Buchhandlung und Antiquariat. Berlin W., Kronenstrasse 64. — 
13. Lager-Katalog. Seltene und interessante Bücher aus allen Fächern. 

liiet & Franke, Leipzig, Universitätsstrasse 13. — Nr. 248. Verzeiehniss einer 
werthyoUen Sammlung theoretischer Werke über Musik, nebst einem Anbange 
von Schriften über das Theater. — Nr. 245. Biographien, Memoiren, Brief- 
wechsel 1893. 

Mirauer & Salinger, Antiquariats- und Sortiments-Buchhandlung. Berlin NW 6, 
Charit^str. 3. — Antiquariats-Katalog Nr. 22. Deutsche Sprache und Literatur. 
Illustrierte Werke. Musik. 

Vyt, Camille. Gent. Catalogue de la hibliotheque de feu M. K. L. 216 meist 
niederländische Werke. 



Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie. 461 



Grössere Kritiken ersohienen in Musikseitungen vom Oktober 1898 bis 

Besember 1898 über folgende Werke: 

(Die römischen Ziffern bedeuten den Jahrgang der Zeitschrift, 

die arabischen die Nummer.) 

Bdhmey E. E. H., Die Geschichte der Musik. (Schweizerische Musik^eitung 
XXXni, 1.) 

Boltey Johannes, Die Singspiele der englischen Komedianten und ihrer Nachfolger 
in Deutschland, Holland und Skandinavien. (Signale LI, 53.) 

Chamberlaliiy Houston Stewart, Das Drama R. Wagner's. (Neue Zeitschrift für 
Musik LX, 8. 9.) 

Ehrlich, Heinrich, »30 Jahre Künstlerleben «. (Neue Berliner Musikzeitung XLVII, 
10; Neue Musikzeitung XIV, 6.) 

Ehrlich, A., Berühmte Geiger der Vergangenheit und Gegenwart. (Musikalisches 
Wochenblatt XXIV, 19; Signale LI, 16; Schweizerische Musikzeitung XXXIU, 
10; Musikalische Rundschau VIII, 2; Zeitschrift für Instrumentenbau XIII, 11.) 

Engelke, Leopold, Neues System der Musik-Schrift. (Signale LI, 41; Schweizerische 
Musikzeitung XXXIU, 14; Neue Musikzeitung XIV, 13.) 

Gade, Dagmar, Niels W. Gade. (Musikalische Rundschau XIII, 19.) 

€K)ldsch]iiidt, Hugo, Der Vokalismus des neuhochdeutschen Kunstgesanges und 
der Bühnensprache. (Allgemeine Musikzeitung XX, 14.) 

HinterBteiner, Jacques, Physiologische Gesangschule. (Musikalisches Wochen- 
blatt XXIV, 1.) 

Jadassohn, S., Allgemeine Musiklehre. (Neue Zeitschrift für Musik LX, 29.) 

Klauwell, Otto, Musikalische Gesichtspunkte. (Neue Musikzeitung XIV, 3.) 

Kneschke, Emil, Hundertfünfzigjährige Geschichte der Leipziger Gewandhaus- 
konzerte 1743 — 1893. (Allgemeine Musikzeitung XX, 36; Signale LI, 47; 
Schweizerische Musikzeitung XXXm, 18; Neue Zeitschrift für Musik LX, 42.) 

Kretschmann, Eduard, Anton Rubinstein's Erinnerungen. (Signale LI, 18; Musi- 
kalische Rundschau VIH, 8.) 

La Mara, Musikerbriefe aus fünf Jahrhunderten. (Musikalisches Wochenblatt 
XXIV, 41.) 

, Franz Liszt's Briefe, (Neue Zeitschrift für Musik LX, 37.) 

Merten, Friedrich, Harmonische Klangbildung nach dem Grundakkord gebildet 
und erklärt. (Neue Zeitschrift für Musik LX, 4.) 

Mlchalitschke , Ein Monochord mit spiralförmigem Stäge zur Darstellung der 
pythagoräischen, der physikalischen und der gleichschwebend-tempärirten Ton- 
intervalle. (Allgemeine Musikzeitung XX, 45.) 

ICeltzel, Otto, Der Führer durch die Oper des Theaters der Gegenwart. (Signale 
LI, 42; Musikalische Rundschau XIII, 20.) 

Ifeitzel u. Chop, Zwei neue Wagnerführer. (Allgemeine Musikzeitung XX, 34/35 ; 
Schweizerische Musikzeitung XXXIU, 16; Musikalische Rundschau VIH, 18; 
Gazetta musicale XL VIH, Nr. 29.) 

Pfohl, Ferd., Höllenbreughel als Erzieher. (Musikalisches Wochenblatt XXIV, 15.) 

Praeger, Ferdinand, Wagner, wie ich ihn kannte. (Musikalisches Wochenblatt 
XXIV, 22; Schweizerische Musikzeitung XXXIU, 8.) 

Puder, Heinrich, Wiedergeburt in der Musik! (Schweizerische Musikzeitung 
XXXIII, 1; Neue Zeitschrift für Musik LX, 14.) 

Bieehers, August, Die Geige und ihr Bau. (Zeitschrift für Musikinstrumenten- 
bau XIII, 29.) 

Budolf, Louis, Der Widerspruch in der Musik. (Signale LI, 28.) 

1893. 31 



4Q2 Nachtrag zur Mu^kalischen Bibliographie. 



Sehmitty Hans, Eine neue Notenschrift (Musikalische Bundschau VIII, 11. 12.} 

SchrSder^ B., Otto Nicolai's Tagebücher. (Allgemeine Musikzeitung XX, 25; 
Signale II, 11 ; Schweizerische Musikzeitung XXXIII, 7.) 

SehlltZf Alfred, Die Geheimnisse der Tonkunst. (Neue Zeitschrift fQr Musik 
LX, 10.) 

Schnmamiy Robert, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. (Neue Zeit- 
schrift für Musik LX, 2.) 

Seldly Arthur, Über musikalische Erziehung. (Allgemeine Musikzeitung XX, 21/22; 
Musikalische Kundschau VIII, 19.) 

Souhies et Malherbe, HUtoire de fOp^a comique^ (Signale LI, 10.) 

Thibanty Anton Fr. Just., Über die Reinheit der Tonkunst (Musikalische Rund- 
schau Vin. 9.) 

Waslelewskiy W. Jos. vod, Geschichte der Instrumentalmusik im XVI. Jahrhundert 
(Zeitschrift für Instrumentenbau XUI, 16.) 

Zabel) Eugen, Anton Rubinstein. (Signale LI, 16.) 

Zellner, L. A., Vorträge über Orgelbau. (Signale LI, 36.) 



Auszüge aus MuBikzzeitungen. 

Allgemeine Musik -Zeitung. Red. O. Lessmann. Charlottenburg -Berlin. — 
XX. Nr. 1. Zum fünfzigsten Jahrestage der ersten Aufführung des »Fliegenden 
Holländers« von Richard Wagner. Von Albert Heintz. (Schluss in Nr. 2). — 
Nr. 3. Borodin's II. Sinfonie. Von Felix Weingartner. — »Die Hexe« von 
Aug. Enna. Von O. Lessmann. — Nr. 4. Berliner Theaterbauten. Von 
O. Bie. (Schluss in Nr. 5.) — Nr. 6. Ein bisher ungedrucktes Stückchen 
»Lohengrin«. Von A. Naubert. — Richard Wagner 's Mutter und sein Stiefvater 
Ludwig Geyer. Von A. Heintz. — Nr. 7. »Franciscus« von Edgar Tinel. 
Von S. Ochs. — Nr. 8. Wie soll der Trauermarsch aus der »Götterdämmerung« 
im Konzertsaal beginnen? Von A. Heintz. — Beethoven's »Wasserträger«. 
Von A. Kopfermann. — Nr. 9. »Romeo und Julie« von H. Berlioz. Von 
F. Weingartner. — »Die Rantzau«. Oper von P. Mascagni. Von H. Reimann. — 
Nr. 10. Wegweiser durch die Motivenwelt der Musik zu Richard Wagner's 
Tetralogie: »Der Ring des Nibelungen« IV. Von A. Heintz. (Mit Fortsetzungen 
bis Nr. 46.) — König Ludwig II. von Bayern und Richard Wagner. — 
Nr. 14. Zweiter Beitrag zur Lukas-Passions-Forschung. Von B. Ziehn. (Mit 
Fortsetzungen bis Nr. 18.) — Die kgl. Sammlung alter Musik-Instrumente zu 

^ Berlin und ihre Bedeutung für die deutsche Instrumentenindustrie. Von M. 
Seiffert. — Neue Kompositionen von Eugen d' Albert. Von H. Reimann 
(Schluss in Nr. 15.) — Nr. 17. »Unter Räubern«. Oper. »Die Rebe« Ballet 
von Rubinstein. Von O. Lessmann. — Nr. 18. Die kgl. Musikinstrumenten- 
sammlung in Berlin. Von O. Bie. (Mit Fortsetzungen bis Nr. 22.) — Musik 
in Paris. Von Max Seiffert. (Fortsetzungen Nr. 20—23.) — Nr. 20. Wagner- 
Vorträge in Berlin. — Nr. 21/22. Francesca da Rimini. Von H. Reimann. — 
Wanderers Sturmlied von Richard Strauss. Von S. Ochs. — Ein Jugend- 
porträt Franz Liszt's. Von O. Lessmann. — Franz Liszt's sinfonische Dich- 
tungen. Von A. Hahn. — Zur XXIX Tonkünstler-Versammlung in München. 
Von O. Lessmann. (Fortsetzungen bis Nr. 24.) — Nr. 23. »Falstaff« von Verdi. — 
»Die Kinder der Halde« von Rubinstein. Von 0. Lessmann. — Nr. 24. »Die 
Perlenfischer« von Georges Bizet. Von O. Lessmann. — Nr. 25. Klassische 



Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie. 463 



Konzerte zu Rom 1892—93. Von R. Wichmann. — Nr. 26. Friedrich Sme- 
tana und seine Oper: »Die verkaufte Braut«. Von H. Dütschke. — »Der 
Zigeuner«. Oper von Richard Stiebitz. Von O. Lessmann. — Nr. 30/31. 
Musikinstrumente aus deutscher Urzeit Von Oskar Fleischer. (Schluss in 
Nr. 32, 33.) Richard Wagner's Briefe an Anton Apt. Von R. Batka. (Mit 
Fortsetzungen.) — Ein neues Buch Hausegger's. Von O. Bie. (Schluss in 
Nr. 32/33.) — Denkmäler deutscher Tonkunst, 1. Band. Samuel Scheidt, 
Tabulatura Nova 1624. Von M. Seiffert. — Nr. 32/33. Richard Wagner 
und die 48 er Revolution. Von O. Bie. (Schluss in Nr. 34/35.) — Die Fest- 
aufführungen in Gotha. — »Der Schmied von Gretna-Green«. Oper von Johannes 
Doebber. Von M. Seiffert. — Nr. 34/35. Die Wagner- Aufführungen in 
München. Von O. Lessmann. — Nr. 36. Der evangelische Kirchenrath und 
die liturgische Forschung. Von M. Seiffert. — Nr. 37. Eine »klassische« 
Liedfälschung. Von H. Reimann. — Liszt und Friedrich Smetana. Von 
O. Payer. — Nr. 38. München und Wagner früher und jetzt. — William 
George Cusins. — Nr. 39. Dr. Shohe Tanaka's syntonisch reingestimmte Orgel. 
Von M. Seiffert. — »Mataswintha«, Oper von X. Scharwenka. Von H. Dütschke. 
— Nr. 40. Zum Kapitel von den »Entlehnungen«. Von H. Reimann. (Forts, 
bis Nr. 42.) — Nr. 42. »Der Rubin«. Musikalisches Märchen von Eugen d' 
Albert. — Nr. 43. »Hagbart und Signer<. Musikdrama von Richard Metzdorff. 
Von R. Sahla. — Charles Gounod. — Das Haus Schott. Von M. Seiffert. — 
Nr. 45. Das 40 jährige Jubiläum der Pianoforte-Fabrik von Julius Blüthner 
in Leipzig. — Nr. 47. Berlioz's » Harold in Italien «. — Nr. 49. C. Loewe's 
»Der Neck«. Von A. U. Harzen-Müller. (Mit Forts.) 

Der Chorgesang. Herausg. A. Gottsohalg, Leipzig. — IX. Nr. 1. Beethoven 
über die Ausführungen von Klaviermusik. Von Max Arend. (Schluss in 
Nr. 2.) — Nr. 2. Josef Diem. — Nr. 3. E. Kremser. — Nr. 4. Carl Rorich. — 
Wie man den Verfall der Gesangskunst verhindern könnte. Von Lamperti. 
(Schluss in Nr. 5.) — Nr. 5. W. L. Blumenschein. Von A. Kapell. — 

Deutsohe Kunst- und Musik - Zeitung. Adolf Eobitschek. Wien. XX. 
Nr. 1. Ellen Forster -Brandt. Von O. Keller. — üngedruckte Briefe von 
Franz Liszt. Von R. Heuberger. (Schluss in Nr. 2.) — Nr. 2. »Die Rantzau«, 
Oper von P. Mascagni. — »Fürstin Ninetta«, Operette von J. Strauss. — 
Nr. 3. Neue Beethovenstudien. Von Th. v. Frimmel. (Schluss in Nr. 6.) — 
Nr. 4. Die Gesangs -Phrasirungsausgaben von Dr. Hugo Riemann. — Nr. 7. 
Haydn's Wohn- und Sterbehaus in Wien. — Nr, 8. »Die (verkaufte Braut«. 
Oper von Smetana. — Nr. 9. » Der Cid «, Lyrisches Drama von Peter Cor- 
nelius. (Forts. 10, 11.) — Nr. 10. Johannes Brahms. — Nr. 11. »Cornill 
Schyt«. Oper von Smareglia. Von Fanta. — »Falstaff« von G. Verdi. — 
Nr. 12. Die italienische Stagione im Theater a. d. Wien. (Schluss in Nr. 14.) — 
Nr. 13. Ein Brief von Moritz Hauptmann an Schnyder von Wartensee. — Nr. 14. 
Josef Forster, — Herzog Ernst IL von Sachsen-Coburg-Gotha. Von Keller. — 
Nr. 18. August Labitzky. — Verdi's, »Falstaff«. — Die Enthüllungsfeier des 
ersten Denkmales für Franz Liszt in Ödenburg. — Nr. 22. Peter v. Tschai- 
kowsky. Von O. Keller. — 

Qazetta musioale di Milane. Ricordi. XLVIII. Nr. i. »Cristoforo Colomboytn 
di Alberto Franchetti, Di C. RicordL — Prospetto deüe Opere nuove italiane 
rapressentate neW anno 189'J, Di Q. Albinati. — Nr, 3. ^La Loreley^ di Ca- 
taktni, — Nr. 4. H conto corale neue scuole. Di Mantovani, — Nr. ö. Wagner 
e la psichiatria. Di A. G. Biahchi. (Continuaz. e fine Nr. lO.J — Nr. 6. 
Manon Lescaut di G. Puccini. Di Soffredini. — H Goldoni e la mttsica. — 

31* 



4g4 Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie. 



Nr. 7. i^FdUtaffvi di G. Verdi, — Giovanni Strauss e la musica da hallo. Di 
A. Untersteiner, (Fine Nr, 8.) — Nr, 9, La Wally di Alfredo Catalant ad 
Amhurgo. -r- Nr, 10, II fenomeno psicologico di Verdi. — Nr. 11, Psicologia 
deUa danza. Di L, A, Villanis, (Fine Nr. 16,) — Nr, 12, II destino deüa 
musiea. Di G. Mogavero, — Frederieo Hegar. Di P. Florinda. — Nr, 13. 
Musica Chinese in San Fraficisco, Di B, A, Look. — Nr, 14, La musica 
italiana alT estero,' — Nr, lö. «11 Falstaff« di Verdi. — La musica a Firenze. 

— Nr. 16. »II piccolo Haydn«^ di Soffredini, — Nr. 17^ L*arte degli organi 
in Venezia. D. F, Molmenti, — Nr, 18, Lettere di Germania. Di A. JJnier' 
steiner. — Ricordo di amicizia aüa memoria di Giovanni Bimboni. — Nr. 19. 
Giuseppe Zarlino. Di G. Tebaldini. — Nr. 22. Tartini. Di P. Molmenti, — 
Nr. 23. La ßlosoßa di Mazzini. Di V. Fedeli, (Coniinuaz, Nr, 31,) — 
Egmont e Ruine di Atene di Beethoven. Di I, Valetta. — Nr. 24. — 
Nr. 26. L'epistolario di Francesco Liszt, Di A. Unter steiner, — Nr. 26, 
L America in Milano, — Lopera huffa napolettafia. Di M, Virgilio, (Con- 
tin. Nr. 27, 29.) — I musicisti bresdani, Di P, Molmenti. — Nr. 27, Goethe e 
Boito, Di G. Mogavero. — Origini delP Opera in Francia. {Fine Nr. 29.) — 
Gretry. — Nr. 28. Tre letture sopra il uFalstaff^ di Verdi, A. C. Macken- 
zie. (line Nr. 36.) — Nr. 29. R. Conservatorio di musica in Milano, — Nr, 30. 
F. Fo7itana, Di A. Ghislanzoni. — A commemorazione di S. GolineUi. — Ar. 32. 
Apollo Geloso. Di C. Ricci. — A Proposito delT estetica del libretto musicale. 
Di C, Albertini, — Nr. 33. Alfredo Catalani. Di Soffredini. — A proposito 
del concorso per la canzone piemontese. Di L. A. Villanis. — Nr. 37. Note 
piü o meno wagneriane. Di P. Florida. — Nr. 36, GH ambasciatori stranieri 
nei teatri veneziani. Di P. Molmenti. — Nr. 37, Süll 'antica scuola veneia. 
Di G, Tebaldi7ii. (Fine Nr. 38.) — Nr. 38. La messa a 6 voci di Edgar Tinel. 
Di G. Tebaldini, — Nr, 39. Arte democratica, Di S. Morelli. — / teairi 
veneziani. Di P, Molmenti. — Nr, 40. Per Varte democratica. Di L. A, 
Villanis, — Nr. 41, La musica nel Romanzo. — DR, Conservatorio di 
Palermo. Di E. Gasperoni. — II paradosso delT interpretaziofie. Di L. 
A. Villanis. — Nr. 42, Questione sull- insegnamento del conto corcUe. Di 

T. Piccoli. — Nr. 43. Per la riforma della mtisica sacra. — Carlo PedroUi. — 
Nr. 44. Lettere di Germania. Di A, Untersteiner. — Gounod. Di Ach, de 
Lausieres. — Gounod a Roma, Di I. Valetta. — Nr, 46. Carlo Bignami e 
e Nicolb Paganini. Di A. Mandeli. (Continuaz. Nr, 46 ^ 48.) — I festivaks 
inglesi a proposito del Festival di Norwich. Di P. Mazzoni. (Contin. Nr. 46 — 
48,) — Arte defnocratica. Di Morelli. — Spontini a Berlino, Di A, Unter- 
steiner, (Fine Nr, 47,) — Nr, 46, I Medici di R, Leoncavallo. — Nr. 47 Iste- 
rismo wagneriano. — Pietro Tschaikowsky. Di A. Untersteiner. — Nr. 48, Vita 
artistica palermitana. Di E. Gasperoni. — Nr. 49. Una inchiesta sugli effetti 
psichici della musica di Cesare e Paolo Lombroso (Contin.). H regio ducal teatro 
di Milano nel secolo X VIII. Di A. Pagliacd Brozzi. (Contin.) — Nr, 60, 
Poetaj cofnpositorCf esecutore e critico, Di E, Pirani. — 

Qregoriusblatt. Herausg. H. Böckeier in Aachen. Düsseldorf, Schwann. XVIII. 
Nr. 1. Die Missa in honorem B. M. V. de Lourdes von Edgar Tinel. Fort- 
setzung vom Jahrg. 1892. (Schluss in Nr. 2.) — M. Haller's Kompositionslehre. 
Von Franz Nekes. (Schluss in Nr. 4.) — Über das Vorurtheil. Von B. Widmann. 

— Nr. 2. Das Taktiren in der Mensuralmusik. Von B. Widmann. — Nr. 3. 
Dominantseptime und Dominantdreiklang in Dur. Von Jos. Moonen. — 
Das Konservatorium in Köln. Von H. Böckeier. — Über die Moral der Kom- 

- ponisten im 16. Jahrhundert. Von B. Widmann. — Nr. 4. Die Wiedereröff- 



Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie. 465 



Dung der Abteikirche in Maria-Laach. — Nr. 5. Über den Einflusa des 
lateinischen tonischen Accentes und des Cursus auf die melodische und rhyth- 
mische Struktur der gregorianischen Phrase. Von F. Bohn. (Schluss in Nr. 6.) — 
Nr. 7. Die pneumatische Windlade. — Heinrich Bone f. — Nr. 8. Aurelius 
Ambrosius. (Schluss in Nr. 10.) — Meisterwerke kirchlicher Tonkunst (u. Nr. 10.) 

— Nr. 9. Eine pneumatische Orgel. — Nr. 10. Der erste Organistentag in 
Köln. — Nr. 11. Die ältesten Lieder zu Ehren der hl. Cäcilia. — Die Melodien 
des Gesangbuches der Erzdiöcese Köln. — 

Iie Guide Musical, P. Schott 8,- Cie, Paris, XXXIX. Nr, 1. Z'oeuvre tUdtrah 
de Meyerheer. Par JE, Destranges. (Suite Nr. 2, 3, 4, ö , 6, 7.) — Nr, 2, Pierre 
Tschaikotüsky. — Nr. 4. Jules Massenet, Par H. Lnbert. — »^er^Acr«, drame 
lyrique de Massenet. Par M. R4my. — Nr. 5. Massenet a Bruxelles. — Nr. 6. 
Moland de Lassus. — Nr. 8. Melodrams et drame lyrique. Par JET. Mauhel. — 
Louis II et Richard Wagner, lettres inSdites. Par M. Kufferath. — Nr, 9. 
»Lattaque du moulin.n Par Van Santen Kolff, — nP^cheur d' Island«, drame 
de Guy Ropartz. Par M. Remy. — Nr. 10. Hans Richter et Richard Wagner. — 
Za Maladetta, ballet de Vidal. Par H. Imhert — Nr. 11. Richard Wagner 
et le Faust de Goethe. Par M. Kufferath, — Musique et aquareüe, Par H» 
Inibert. — Nr. 12. Le lutiste R. Ballard, Par M, Brenet. — Nr, 13, Tristan 
et Yseult, Par M. Kufferath. (Suites.J — Les Matitudes de Cesar Franck, Par 
G, Services. — Orphee, trag^die de Gluck. — Nr. 15. La premihre francaise 
de Tristan et Yseult. — Les chanteurs de Saint^ Gervais. Par M, Brenet. — 
Nr. 19/20. La musique dans la litterature, — Lidylle de Siegfried. — Nr. 21/22, 
La Walkyrie, — Le wagnerisme ä Paris. Par E. EvenepoeL — La WaUcyrie 
et la presse. — Nr. 23/24, Phryne^ opSra de C. Saint-Saens. Par H, Imhert. — 
Nr. 25/26. CmniUe Saint-Saäns. Par G. Services. (Fin Nr. 36.) — Nr. 29/30, 
Taffanel. Par H. Imhert, — Nr. 37, Lomamentation musicale. (Fin Nr, 36.) 
Par M. Brenet. — Nr. 38. Bonn et Beethoven. Par H. Imhert, — Nr. 39, 
Society Chorales. — Diidamie, op4ra de Mar^chal, Par H. Itnbert. — Henri 
Marechal, Par H. Imhert. — Nr. 40. Poete ou musicien. Par Kufferath. (Fin 
Nr. 41.) — Nr. 41. Richard Wagner et Jf»»« Mettemich, lettres inedites 

— Nr. 42. Le tomheau de Robert Schumann ä Bonn. \Par H, Imhert. — 
Nr. 43. Charles Gounod, Par H. Imhert. — Nr. 44. Richard Wagner et Charles 
Gounod. Par M. Kufferath, — Loeuvre de Gounod, Par Ren4 de Remy. — 
Meilief, piece villageoise de P, Benoit, — Nr, 45. Georges Onslow, lettre in^dite. 
Par M. Brenet. — Eugene Gand, Par C, Pierre. — Nr. 46. Pierre TschaX- 
koujsky. Par M, Kufferath, — Billet, lettres etc. ^Hector Berlioz, Par Van 
Santen Kolff. (Suite Nr. 47, 48.) — Nr. 47. J. Joachim et son quatuor. — 
Nr. 48. Alfred Bruneau. Par H. Imhert. — »Antigone musique«, de Saint-Saens. 
Par H. Imhert. — Nr. 49. Le ?nanuscrits des Maitres chanteurs, (Contin.) — 
Nr, 50. Lattaque du moulin. Drame lyrique de A, Bruneau. Par H. Imhert. 

— Nr, 51. Hugo Heermann. Par H. Imbert. — 

Harmonie. Herausg. Louis Oertel. Hannover. Nr. 66. Zu Richard Wagner's 
10. Todestag. Von Wuthmann. — Ein musikalischer Humorist. Von C. Hof- 
mann. — Nr. 67. Das goldene Jubiläum des königlichen Oonservatoriums der 
Musik zu Leipzig. Von Wuthmann. — Nr. 69. Raoul Koczalski. Von C. Krohn. 

— Nr. 70. W. A. Mozart als Klavier-, Gesang- und Kompositionslehrer. Von 
H. Kling. (Schluß Nr. 74.J — Nr. 72. MusikaUscher Schlendrian. 
Von L. Wuthmann. — Nr. 73. Oscar Jüttner. Von H. Kling. — Ein Wort 
zu Gunsten der Harmonielehre nach reiner Stimmung. — »Tristan und Isolde.« 
Von O. Mörike. — Nr. 74. August Ludwig. — 



^gg Nachtrag cur Musikalischen Bibliographie. 



Iie M6neBtrel. Henri Heugel, Paris. ZIX. Nr. 1. Histoire de la seconde saBe 
Favart Par A, Soubies et CA. Maiherbe. (Fin Nr. 17.) — »Yolande», drame 
en nmsique de A. Magnat d. Par Zucien Solvay. — Ftude &ur la FltUe 
etichanUe. Par J. Tiersot. (contin.J — Nr. 2. Enseignement du piano, Par M. 
Jaeü. — Nr, 4. Werther. Par H. Moreno. — Nr. S. Lettres inSdOes de Mozarts 
Par J. Tiersot. (Suite.) — Nr, 9. La maladetta, ballet de Oaühard — Vidal. Par 
A. Pougin. — Nr. 10. JBroceliande, opera de L. Lambert. — La vSritd sur 
le role de Wagner pendant la revolution de 1849. Par Edmond Neuk&mm. 
(Suite Nr. 11.) — Nr. 11. L'impot sur les pianos. — Nr. 12. Marihe le Rodiois. 
Par A. Pougin. (Suite Nr. 13, 15, 16.J — Nr. 13. »Kassya«, opSra de Leo DeUbes. 
Par H. Moreno. — Nr. 16. La setnaine sainte a Saint- Gervais. Par J'. Tiersot. 

— Du beau dans la tnusique. Par Ch. Grandmougin. — Nr. 17. Cantaies 
francaises du XVIII* sihcle. Par J. Tiersot. (Suite Nr. 18, 20, 21, 22, 23, 24.) — 
Nr. 18. Marie Malibran. Par Arthur Pougin. (Fin Nr. 48.) — Nr. 19. GusUa>e 
Nadaud. Par O. Comettant. — Nr. 20. La WaÜcyrie de Riehard Wagner, Par 
H. Moreno. — La musique et le thedtre au scUon des Champs-ElysSes. Par 
CamiUe le Senne. (Suite Nr. 21, 22, 23, 24.) — Nr, 21. La Walkyrie et les 
wagnSriens. Par H. Moreno. — Nr. 22. Phryn^ de Saint-SaSns. Par H. Moreno. 

— Nr. 25. Monsigny et »le Deserteur«i, Par A. Pougin, — La mueique et le 
thedtre au salon du Champs-de-Mars. Par CamiUe le Senne. (Suite Nr. 26.) 

— Nr, 26. »Les deux avares«, opSra de GrHry; »le Deserteur t^, opera de Mon- 
signy. Par Arthur Pougin. — Nr. 27. Les ßceües dramatiques. Par Emest 
Legouv4. (Fin Nr. 28.) — Les fastes du chaUau de Gaillon. Par Edmond Neu- 
komm. (Suite Nr. 28, 29, 30, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39,) — Nr, 33. Le mois 
d'aoüt au thedtre. Par A, Pougin. — Nr. 36. Sonneries de trotnpettes. Par 
E. Neukomm. — Nr. 36. Le centetiaire du conservatoire. Par A. Pougin, — 
Nr. 37. Les domestiques au thedtre. Par E. Logouve. (Suites Nr, 38, 39, 40.) — 
Nr. 38. DSidamie , opSra de H. Mar4chal. Par H. Moreno. — Nr, 41. La 
police ä la ComMe-Italienne. Par Paul d'Estree. (Suite 42, 43, 44.) — Nr. 43, 

Cltarles Gounod. Par A. Pougin. — Nr. 44. Funerailles de Charles Gounod, — 
Nr. 46. La messe Douce memoire de Roland de Lassus. Par J. Tiersot. — 
Nr. 46. Les fites de la revolution. Par J. Tiersot. (Suite Nr. 47, 48.) — Nr. 48. 
»Lattaque du moulina, opSra de Bruneau. Par H. Morefio. — Nr. 49. Les 
fHes de la revolution francaise. Par J. Tiersot. (Contin:). — Les choeurs 
d'Antigone de M. C. Saint-Sat'ns. Par J. Tiersot. — Nr. 61. Maliers et Etienne 
Molinier en 1662. Par A. Baluffe. — 
Monatshefte für MuBik-aesohichte. Kobert Eitner, Templin (U.-M.). XXV. 
Nr. 1. Aktenmaterial aus dem städtischen Archiv au Augsburg. Schluß Nr. 2. 

— Zwickau er Musik-Katalog. (Forts.) — Nr. 2. Nachträge und Berichtigungen 
zur Todtenliste von 1S91. — Nr. 3. Eine Choralsammlung des Jakob Prätorius. 
Von J. Bolte. — Aus älteren Musikdrucken. Von F. W. E. Roth. — Cavalli 
als dramatischer Komponist. Von H. Goldschmidt. (Forts.) — Nr. 7. Eine 
Symphonie von Gluck. Von H. Pardall. — Philipp Friedrich Böddecker. — 
Nr. 8. Johann Friedrich Doles. — Johann Seb. Bach's Aufenthalt in Kassel 
Von C. Scherer. — Todtenliste des Jahres 1892. (Forts.) — Nr. 9. Das alte 
deutsche mehrstimmige Lied und seine Meister. Von R. Eitner. (Forts. 

The Musical Times. London. Novello, Eu:er 8f Co. Nr. 599. Cambridge Musical 
Degrees. — Christmas Carol. (From my study, See Nr. 100.) — Beethovens 
sketch books. By S. Shedlock. (Conclus: 2. book Nr. 607.) — Cowens opera 
ii Signa«. — Nr. 600. Music in public tvorship. By H C. Shuttlencorth. — 
Hubert Parry on expression and design in music. (See Nr. 601,) — Nr. 601. 



Nachtrag zur Musikaliachen Bibliographie. 467 



y^Falstafftt and the land of miMic. (See Nr. 602, 603, 604, 605.) — Bizefs 
-»Bjamüekn. — Nr, 602. Franz Liszfs lettera. — The mtMtc of negation. — 
Wagner and Richter. — Nr. 603. Some old programmes. An album of auto- 
graph lettera (from my study). (See Nr. 606.) — Thomas Wingham. By L. N. 
Parker. — Nr. 604. Müsic at the Chicago exhibiiion. — Whitmati» poems. 
Northufnberiand household Book. (Im From my study.) — Nr. 605. Mustc in 
the Cathedrdl of Reims. — Weber in London. — Nr. 606. »Of the Mastersingers 
gracious Arti (Wagenseü). (Cont. Nr. 607,608.) — British Bcdlads (from my 
study). — Schuhertiana. — Nr. 607. Norwich festival Novelties. — Welsh 
Choral singing. — London street music and the county Council. — Musical 
Degrees. — Nr. 608. Augustus Harris on the opera in England. — A new 
American composer (JS. W. Parker), — Nr. 609. (JharUs Gounod. (See Nr. 610.) 
— Savage music and its lessons (according WaüascheJds »Primitive Music«), — : 
Folk'Songs in Symphonies (according H. Reimann). — Nr. 610. Peter Tschai- 
kowsky. — The Berlioz Cycle at Carlsruhe. — CowerCs »Signati. — 

Musioa Sacra. Regensbuig, Pustet. XXVI. Nr. 1. Bischof Dr. M. Marty über 
Kirchenmusik. Von Fr. X. Habeil. — Nr. 3. Kirchenmusikalischer Bericht 
aus den deutschen Kolonien in Südrussland. Von £. Schmid. — Nr. 4. Lehr- 
kurse über Kirchenmusik. — Praktische Bemerkungen Aber das deutsche 
Kirchenlied. — Nr. 5. »Eine goldene Brücke«. Von Walter. (Schluß in Nr. 6.) — 
Modulation durch kurze Motiye. — Nr. 6. Der Mechanismus der Böhren- 
pneumatik. — Nr. 7. Über musikalische Erziehung. Von A. Walter. — 
Gedanken über moderne Kirchenmusik. — Nr. 10. Kirchenmusikalische Lehr- 
kurse und Versammlungen. Von F. X. Haberl. (Schluß Nr. 11.) — Nr. 11. Über 
Orgel-Dispositionen, Bauten und Neuerungen. Von F. X. Haberl. 

Musikalisohe Bundschau. Josef Graf, Wien VIII. Nr. 2. Musikergehalte an 
der Wiener Hofoper in alter Zeit. Von F. Leutner. — Analyse der 8. Sym- 
phonie von Anton Brückner. Von M. Graf. — Nr. 5. G. Verdi und die Wiener 
Oper vor 50 Jahren. Von F. Leutner — Nr. 7. Anton Rubinstein als Dirigent. — 
Nr. 11. Cornil Schut. Oper von A. Smareglia. — Hans Sommer. VonL. Gerhard. — 
Nr. 12. Das Rieh. Wagner-Museum. Von A. Seidl. — (Schluß in Nr. 13.) — Inge- 
borg v.Bronsart. Von L.Gerhard. — Nr. 13. Carl Löwe. Von L. Gerhard. — Nr. 16. 
Gefühlsverständnis. Von A. Seidl. (Forts. Nr. 17. 18.)— Nr. 17. Eine Dichtung 
des deutschen Kirchenliedes. Von M. Graf. — Nr. 18. Der Friedrich Smetana- 
Cyclus in Prag. Von V. Joss. (Schluß Nr. 19.) — Nr. 21. Ch. Gounod. — Robert 
Schumann als Prophet. — Nr. 22. Peter Cornelius und sein Cid. — Niels 
W. Gade und Mendelssohn. (Forts.) 

Musikalisches Wochenblatt. Red. E. W. Fritzsch, Leipzig. XXIV. — Nr. 1. 
Erinnerungen an Robert Franz. Von A. Seidl. (Forts, bis Nr. 7.) — Heinrich 
Zöllner. (Forts, in Nr. 3. 4. 6.) — Nr. 3. »Frauenlob«, Oper in 3 Aufzügen von 
Reinhold Becker. Von H. Dinger. — Nr. 8. Ortrud. Von Paul Schubring. 
(Forts. Nr. 9. 10. 12.)~ Nr. 10. Hugo Becker. — Nr. 11. Zum fünfzigjährigen 
Jubiläum des k. Konservatoriums der Musik zu Leipzig. — Anton Brückner, 
Psalm 150. Von H. Schenker. — Nr. 14. Die neue Ausgabe von Rob. Schu- 
mann's Gesammelten Schriften und einige ungedruckte Briefe von demselben. 
Von Fr. Müller (bis Nr. 18.) — Isidor Seiss. Von O. Klauwell (Schluß in Nr. 15.) — 
Nr. 19. Direktor und Lehrpersonal des k. Konservatoriums der Musik zu 
Leipzig bei dessen 50jährigem Bestände. — Nr. 22. Richard Wagners Be- 
ziehungen zu den bildenden Künsten. Von A. N. Harzen-Müller. (Forts, in 
Nr. 23. 24. 25. 29. 30.) — Nr. 27. Der Ton und die Tonreihe. Von Willy Pastor. 
(Schluß in Nr. 28.) -- Nr. 29. Gelehrte und Künstler. Von H. Riemann. — 



4g g Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie. 



Nr. 31/32. Aus den neueren Forschungen über die ältere Notenschrift. Von 
P. Wagner. (Forts, bis Nr. 34.)— Cyrill Kistler. Von Hermann Ritter. {Schluß 
in Nr. 33.) — Nr. 33. Ein Bericht über Pariser Opernverhältnisse um die Mitte des 
Jahrhunderts. Von R. Schlösser. — Nr. 35. Ein Mahnwort an unsere jungen Kom- 
ponisten. Von Friedrich v. Hau segger. (Forts, bis Nr. 39.) — Nr. 39. Zwei Briefe Yon 
Richard Wagner. — Nr. 40. Beethoven als Klavierpädagog. Von H. Riemann. 
(Forts, bis Nr. 43.) — Gustav KogeL — Einige Betrachtungen über das Konzert- 
agenturwesen. — Nr. 42. Zwei Briefe von Richard Wagner. — Nr. 44. Die Pflege 
der allgemeinen Geistesbildung des Musikers. Von R. Kaden. (Schluß in Nr. 45.) 
Nr. 46. »Das Nachthom«, Von Peter DrufTeL (Forts.) — Zum 40jähTigen 
Jubiläum der k. sächsischen Hofpianofortefabrik v. Julius Blüthner. — Nr. 49. 
Hermann Tiete. 

Neue Berliner MusikBeitimg, Red. Dr. Richard Stern. Berlin, Stern & OUen- 
dorff. XL VII. Nr. 1. Franz Liszt. (Forts, bis Nr. 3.) — j» Du meine Seele, du 
mein Herz.« Von W. Tappert. — Nr. 2. Lydia Müller. — Die Interpretation 
einer Sonate. Von F. Hörn. — Nr. 3. Streng oder frech? Von J. van 
Santen Kolff. (Schluss in Nr. 4.) — Nr. 4. Heinrich Hoffmann. — Nr. 5. Die 
Frauen in der Musik. — Der Klavierteufel. Von F. Hom. — Nr. 6. Hans 
V. Bronsart. (Schluss in Nr. 7.) — »Mireiliea, Oper in 3 Akten von Ch. 
Gounod. — Die Überschwemmung auf dem deutschen Musikalienmarkte. — 
Nr. 7, Adalbert von Goldschmidt. — Auf R. Wagner's Tod. Von Ernst v. 
Wildenbruch. — Richard Wagner. Von W. Tappert — Nr. 8. Edgar Tinel. — 
Der Volksgesang im Kaisermarsch. Von W. Tappert. — »Die Geier- Wally«, 
Oper in 4 Akten von A. CatalanL Von J. Sittard. — Nr. 9. Hermine Spies. 
Von Adolph Kohut. — »Die Rantzau«, Oper in 4 Akten von Mascagni. 
Von A. Kleffel. — König Ludwig 11. und R. Wagner. — Nr. 10. Zur Er- 
innerung an Hermine Spies. Von Otto Dorn. — Alice am Kreuz. Von W. 
Tappert. — Die Mascagni- Woche. Von E. Zabel. (Schluss in Nr. 11.) — Nr. 11. 
Hans V. Bülow's Wiederauftreten. Von A. Kleffel. — Nr. 12. Albert Becker. 

— Die Zukunft der philharmonischen Gesellschaft in Berlin. Von Sittard. — 
Der königliche Domchor in Berlin. (Schluss in Nr. 13.) — Schleudere! im Musi- 
kalienhandel. — Nr. 13. Die Zukunftsoper. — Nr. 14. Franz Betz. — Carl 
Seydelmann in seinen Urtheilen über Musik und Musiker. Von A. von 
Winterfeld. — Nr. 15. Spott und Hohn in der Musik. Von J. van Santen 
Kolff. (Schluss in Nr. 16.) — Zur Lage des Musikalienhandels. — Nr. 16. Die 
Thätigkeit und künstlerischen Resultate der königlichen Oper zu Berlin im 
Jahre 1892. — Zur Geschichte des königlichen Domchors zu Berlin. Von 
P. Einbeck. (Schluss in Nr. 17.) — Nr. 17, Raimund von Zur-Mühlen. — Richard 
Wagner und Heinrich Hübler. Von A. Kohut. — Nr, 18/19. Woldemar 
Bargiel. Von A. Kleffel. (Schluss in Nr. 20.) — Johannes Brahms. — Prof. 
Joseph Giehrl. — Nr. 20. Richard Wagner's buddhistischer Drama-Gedanke. 
Von I. van Santen Kolff. [Schluss in Nr. 21.) — Die Beethovenfei er in Bonn. 
Von Carl Wolff. (Schluss in Nr. 21.) — Nr. 21. Hector Berlioz. Von Richard 
Pohl. (Forts, in Nr. 24, 27.) — Nr. 22. Robert Kahn. — Vom Niederrheinischen 
Pfingst- Musikfest. Von C. Wolff. (Schluss in Nr. 23.) — Nr. 23. Die 
29. Tonkünstler- Versammlung su München. (Schluss in Nr. 24.) — »Die Kinder 
der Haide.« Oper von A. Rubinstein. Von A. K. — Nr. 24. Garten-Konzerte. 
Von W. Tappert. — »Die Perlenfischer.« Oper von G. Bizet. — Deutscher 
Lieder kränz in New- York. Von Schaezler. — Nr. 27. »Die verkaufte Braut.« 
Oper von Smetana. -— Über Musikunterricht und Musiklehre. (Schluss in Nr. 28.) 

— Nr. 28. Hessisch - pfälzisches Musikfest in Worms. — Moritz Nabich. — 



Nachtrag sur Musikalischen Bibliographie. 469 



Nr. 29. »Josef und seine Brüder« und seine Erstaufführung an der komischen 
Oper zu Paris. Von Carl Fr. Wittmann. (Forts. Nr. 30, 31, 32, 33, 34.) — 
Nr. 30. Ein Besuch bei Marcella Sembrich. Von Josef Lewinsky. — 
Nr. 31/32. Die Bühnen-Festspiele in Gotha. Von W. Tappert — Erinnerungen 
an Georg Heine. Von A. Eleffel. — Ergänzendes über Berlioe. Von I. van 
Santen Kolff. — Das Stralsunder Hohnblasen am 24. Juli. Von G. Schubert. 

— Nr. 33. W. A. Mozart* s Schädel. (Schluss in Nr. 34.) — Nr. 34. Mozart und 
Wieland. Von A. v. Winterfeld. — »Manon Lescaut«, Oper von G. Puccini. — 
Nr. 35. Richard Schmidt. — Beethoven's Frauenkreis. Von Chr. Kalischer. 
(Forts.) — Nr. 36. Leipziger Musikbrief. Von H. Chevalley. — E^chard 
Wagner in München. — Nr. 37. Marie Schmidt-K.öhne. — Wie Gounod 
Musiker wurde. — Nr. 38. Zwei Briefe Eichard Wagner's. *— Nr. 39. 
Alfred Sormann. — Der erste königlich preussische Generalmusikdirektor. 
(Forts, bis Nr. 49.) — Nr. 40. Woldemar Meyer. — Allerlei Musikalisches 
aus Zola's Roman- Cyclus. Von I. van Santen Kolff. — (Forts. 42, 43.) — 
Richard Wagner und Pauline Metternich. (Schluss Nr. 41.) — Die Pianoforte- 
Fabrik von Ed. Seiler in Liegnitz. — Nr. 41 . Georg Ritter. — Nr. 42. Fer- 
dinand Hummel. — »Der Kuss.« Oper von Smetana. Von A. Chevalley. — 
Nr. 43. Ch. Gounod. (Schluss in Nr. 44.) — Nr. 44. Prof. Gustav Engel. — 
Josef Hellmesberger sen. f. — Nr. 45. Heinrich Grahl. — Liszt und die 
Fürstin Wittgenstein. Von La Mara. — (Schluss in Nr. 46.) — Nr. 46. Peter 
Tschaikowsky. Von J. Sittard. (Schluss in Nr. 47.) — Der Karlsruher Berlioz- 
Cyclus L Von H. ChevaUey. (Forts, in Nr. 47.) — Nr. 47. Adelina Herms. — 
»Manon Lescaut«, Oper von Puccini. Von J. Sittard. — Nr. 48. Sonzogno, 
Leoncavallo und Mascagni. — Nr. 49. Über Programm-Musik.- Von August 
Ludwig. (Forts.) — 

TSfeue Musikzeitiing. Red. Dr. A. Svobada, Stuttgart, Grüninger. XIV. — Nr. 1. 
Rosa Hochmann. — Nr. 2. Paul Geisler. — Zelia Trebelli-Bettini. — ürtheile 
des Malers Cornelius über Musik und Musiker. Von B. Horwitz. — Die 
Musikanten-Ordnung des alten Butzbacher Konservatoriums. Von H. Becker. 
(Schluß in Nr. 3.)- Die Volkspoesie der Litauer. Von C. Gerhard. (Schluß in Nr. 3.) 

— Nr. 3. Marie Wolff-Kauner. Von Emil Krause. — Die Tontaubheit. — 
Nr. 7. W. F. G. Nicolai. Von Arnold SpölL — Der Gesang als erstes Mittel 
der Musikerziehung. (Schluß in Nr. 5.) — Eine Erinnerung an Vincenz Lachner. 
Von G. Hermann. — Musikgeschichtliches von W. H. Riehl. (Schluß in Nr. 5.) 
Eine Erinnerung an Niels W. Gade. — Nr. 5. Bertha Pierson. Von O. Linke. 
Aus dem Leben Vincenz Lachner's. Von F. Schweikert. (Schluß in Nr. 6.) — 
Briefe König Ludwigs II. von Bayern an Richard Wagner. — Nr. 6. Ruggiero 
Leoncavallo. Von B. Vogel. — Nr. 7, Richard Wagner*s Festspielgedanke. Von 
O. Merz. — Über das Lärmende in Rieh. Wagner*s Werken. Von R. Heuberger. — 

— Ed. Hanslick's erste Begegnung mit Rieh. Wagner. Von G. Zernin — Die 
gebräuchlichsten Stricharten der Violintechnik. Von A. Eccarius-Sieber. (Schluß 
in Nr. 8.) — Die beiden ersten Hörselbergscenen in der ersten Lesart des »Tann- 
häuser« und in der »Pariser Bearbeitung«. Von B. Vogel. — Nr. 8. Therese 
Rothauser. — Die Grenzen der Tonkunst. Von Jörgen Mailing. (Forts Nr. 9. 10.) 

— Lebenserinnerungen eines berühmten Tonkünstlers. — Ein Brief R. Wagner's 
an Ed. Hanslick. Von A. von Winterfeld. — Nr. 9. Dr. Otto Eiben und der 
volksthümliche deutsche Männergesang. — Gottfried Keller über Gesangsfeste. 

— Nr. 10. Gemma Bellincioni. Von R. Freiherr Proch&zka. — Deutsch- 
böhmische Komponisten der Gegenwart (Forts. Nr. 11. 12.) — Giovanni Battista 
Lully. Von E. Kreowski. (Schluß in Nr. 11.) — Nr. 11. Genari von Karganoff. — 



470 Nachtrag but Musikalischen Bibliographie. 



Über das Dirigieren. Von A. SchulUe (Schluß in Nr. 12.) — Nr. 12. Suzanne 
Lavalle. — Das 70. niederrheinische Musikfest. Von E. Heuser. — XXIX. 
Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen deutschen Musikvereines. Von 
O. Merz. — Franz Schubert — Nr. 13. Sophie Fritsch. Von Fr. Schweickert. 

— Robert Schumann und Richard Wagner. Von Otto Michaeli. (Forts. Nr. 14. 
15. 16. 17.) — Einige Handschriftliche Bemerkungen Jenny Lind's zum Ge- 
sänge. Von P. V. Lind. — Christian Fr. Hölderlin und die Musik. Von Leo 
von Husen. (Forts. Nr. 14.) — Robert Volkmann's Hausmusik. Von B. Vogel. 
(Forts. 14. 15. 16.) — Musikalische Seelenwanderung. Von H. Fritsch. (Fort«. 
Nr. 14.) — Franz Liszt und die Frauen. (Forts. Nr. 14. 16. 17.) — Hans M. 
Schletterer. Von Schäfer. Nr. 14, Sibyl Sanderson. Von Maris. — Frana 
Erkel. * Von H. Klein. — Nr. 15. Josef Forster. — Josef Giehrl. Von 
O. Merz. — Mozart als Komponist von Tanzstücken. — Zur Geschichte der 
Geige. (Schluß inNr. 16.)— Nr. 16. Charlotte Huhn. — Nr. 17. Hedwig Bernhardt. 
Von O. Wilda. — Alfredo Catalani. Von A. Untersteiner. — Jacques Offen- 
bach. — Nr. 18. Andreas Dippel. Von O. Wilda. — Verdi's »Falstaff« in Stutt- 
gart. — Carlo Broschi-Farinelli. Von E. Kreowski. — Nr. 19. Katharina Rosen. 
Von O. Wilda. —Modulation. Von Jörgen Mailing (Forts. Nr. 20. 21 . 22. 23.) — 
Alt-Weimars Musik- und Theaterleben. Von E. Greiner. — Ein Stadtpfeifer- 
geselle. Von O. Jöcker. (Forts. Nr. 20. 21.)— Die Enthüllung des ersten Liait- 
Denkmales. Von O. Linke. — Hans Richter als Kopist bei R. Wagner. — 
Dichter und Musiker. Von M. Hamann. (Forts. Nr. 20. 21. 22.)— Nr. 20. Hans 
Huber. Von A. Niggli. — Allerhand über Marschner. Von R. Batka. — 
Liszt und Friedrich Smetana. Von O. Payer. — Warum ist Franz Schubert 
kein Opemschöpfer geworden ? Von Aug. Ludwig. — Nr. 21 . Robert Steuer. 

— Charles Fran9ois Gounod. — Erinnerungen an Jenny Lind. Von Fr. von 
Hohenhausen. — Nr. 22. Irene von Chavanne. — Alter Musikschatz in Heil- 
bronn a. N. — Musikhistorische Bilder aus Alt-Wien. (Forts. 23.) Fanny Mendels- 
sohn und Gounod, Von L. Erbach. — Nr. 23. Lili Dreszler. — Aus dem Leben 
Paganini's. — Nr. 24. Richard Sahla. — Die Anfänge der Operette. Von J. Clauwell. 

Neue Zeitschrift fär Musik. Red. Paul Simon, Leipzig. LX. Nr. 1. Louis 
Spohr und die deutsche Geigenschule. — Das Partitur Studium. Von E. Krause. 
(Forts, bis Nr. 4.) — Nr. 5. Die Prager Don- Juan-Partitur v. J. 1787. Von 
F. Bischoff. — Nr. 7. Robert Schumann's Briefe an L. Spohr. Von 
Schletterer. (Schluß in Nr. 8.) — Nr. 11. Raoul Koczalski. Von Camilla 
Krohm. — Nr. 13. Aus Friedr. Schneider's Leben. — Eine Symphonie von 
Gluck. Von H. Pardall. — Nr. 15. »Durch welche Rhythmen oder melodische 
und harmonische Wendungen läßt sich die eigenartige Schreibweise von Bach, 
Haydn, Mozart, Weber, Mendelssohn u. A. unverkennbar nachweisen?« Von 
Böhme. (Schluß in Nr. 16.) — Nr. 17. Karl August Fischer. Von O. Türke. 

— Nr. 18. Ludwig van Beethoven und Karl Maria von Weber. Von K. 
Plato. (Schluß in Nr. 19.) — Nr. 20/21. Peter Cornelius in München. Von 
P. Simon. — Die erste Aufführung des Barbier von Bagdad. Von R. Pohl. — 
Die XXIX. Tonkünstlerversammlung in München. — Nr. 22. Franz Liszt's 
XIII. Psalm. Von J. Schucht. — Die 29. Tonkünstlerversammlung in Mün- 
chen. (Forts. Nr. 24, 25.) — Nr. 23. Das 70. niederrheinische Musikfest zu 
Düsseldorf 1893. — Nr. 26. Die Künste in ihrer Bedeutung als Kulturmächte. 
Von A. Reißmann. (Schluß in Nr. 27.) — Klavierkonzert von Kaufimann. 
Von B. Vogel. — Nr. 29. Neues praktisches Tonmaterial. Von Yourij von 
Arnold. (Schluss in Nr. 30.) — Nr. 32. Josephine Gerwing. Von C. Krohm. 

— Nr. 35. Beethoven's »Beichtvater«. Von Kalischer. (Forts. Nr. 36, 37, 38, 



Nachtrag zur Musikalischen Bibliographie. 4tll 



39, 40.) — Nr. 40. Sachsens gewaltigste Orgel. Von O. Türke. — Nr. 41. 
Kunstgesang und Konzert- Bepertoire der S&nger und Sängerinnen. Von E. 
Krause. (Schluß in Nr. 42.) — Die Enthüllung des Liszt-Denkmales in 
Oedenburg. Von'O. Keller. — Nr. 43. Ein musikalisches Autographen-Album. 
Von A. Kohut. (Schluß in Nr. 45.) — War Liszt ein Plagiator? Von Korn el 
Abranyi sen. — Nr. 46. Soldatenpoesie im Dienste des sächsischen Signal- 
wesens. Von K. Naefe. (Schluss in Nr. 47.) — Nr. 48. Das Individualisieren 
der Phrasen. Von Richard Kaden. — Akustik von Yourij von Arnold. — 
Nr. 50. Qluck als Symphoniker. Von La Mara. — 

Schweizerisohe Musikzeitung. Gebr. Hug. Zürich. XXXIII. Nr. 1. , Das 
Künstlerpaar August und Anna Walter-Strauss, Von A. Niggli. (Fortsetzung 
bis Nr. 9.) — Die Festspielwoche in Bayreuth. Von A« Beetschen. (Forts. 
Nr. 3.) — Nr. 4. Das Quartett der Thiere. (Schluß Nr. 5.) Von I. Mähly. — 
Nr. 5. K. Wagner's »Fliegender Holländer« im neuen Züricher Stadttheater. — 
Nr. 6. Qesangsdirektor GotÜieb Brandenberger. Von Ul. Kollbrunner. — 
Nr. 8. Johannes Brahms. Von A. Niggli. — Nr. 9. Eidgenössisches Sänger- 
fest in Basel — Nr. 10. Briefe von Hob. Franz an S. Bagge. — Nr. 12. 
Musik und Architektur. Von B. Widmann. — Schweizerischer Stipendienfond 
für Musikstudien. — Nr. 13. Das 19. eidgenössische Sängerfest zu Basel vom 
8.— 10. Juli 1893. (Schluß in Nr. 14.) — Nr. 15. Ein lyrisches National- 
Theater in der Schweiz. Von C. H. Kichter (11). — [Silhouetten namhafter 
Genfer Musiker. Von H. Kling. (Forts.) — Nr. 1 7. Otto Nicolai und Erminia 
Frezzolini. Von A. Niggli. — Nr. 18. Musik und MalereL Von B. Widmann. — 

Signale für die inusikaliBche Welt. Leipzig, Bartholf Senff. LI. Nr. 1. ^Kück- 
blick auf das Musikjahr 1892. — Nr. 3. St. Petersburger Musikleben. (Nr. 13, 18, 
47, 64.) — Nr. 7. Zu Elise Polko's 70. Geburtstag. Von M. Steuer. — Nr. 12. 
Djamileh, Oper von G. Bizet. Von E. Bemsdorf. — Peter Hertel. — Nr. 14. 
Richard Gen6e. — Nr. 15. Franz Liszt's Briefe. — Nr. 17. Das königliche 
Konservatorium der Musik in Leipzig. (Forts. Nr. 19, 20, 22.) — Nr. 31. Julius 
Stockhausen's Volks -Konzerte in Frankfurt a. M. — Golter mann -Jubiläum. 
— Nr. 32. Musikleben in Kussland. (s. Nr. 65.) — Nr. 40. Mattia Battistini. — 
Nr. 42. Gustav Schirmer. — Nr. 46. Gounod's Bekenntnisse. — Nr. 50. »Der 
Kuß«. Oper von F. Smetana. Von E. Bernsdorf. — Nr. 53. Charles Oounod. 
(s. Nr. 55.) — Nr. 57. Erinnerungen an Paganini. — Nr. 58. Peter Tschai- 
kowsky. — 

Zeitschrift für Instrument enbau. Ked. Paul de Wit. Leipzig. XIII. 
Nr. 1. Internationale Ausstellung für Musik und Theaterwesen Wien 1892. 
Von Kurka. (Forts, bis Nr. 8.j — Zur rein pneumatischen Windlade. Von A. 
Feith. — Nr. 2. Eine werthvolle Verbesserung am Geigenbogen. *— Nr. 3. Der 
Empire-Styl und der Instrumentenbau. Von Böttcher. — Über die Verbesse- 
rung des Fagotts. (Schluss in Nr. 5.) — Nr. 4. Die Gründung des Vereines 
deutscher Pianoforte-Fabrikanten. — Nr. 5. Wilh. Heokel's neue Klarinette 
mit dem patentirten » Keform-Mundstück.« Von Altenburg. — Nr. 6. Einige 
Worte über russische Jagdhorn-Musik. — Nr. 7. Die Ausstattung der Pianos, 
insbesondere im Barock- und Kokokostyl. Von Böttcher. (Schluss in Nr. 8.) — 
Nr. 9. Paul Apian-Bennewitz. — Der Stegstift. Von J. Friedrichs-Gummers- 
bach. (Forts. Nr. 10.) — Die reine pneumatische Windlade. V. Allihn. — 
(Forts. Nr. 10, 11.) — Nr. 10. Die Eingangszölle auf Erzeugnisse der Musik- 
instrumenten-Industrie in den verschiedenen Ländern. (Forts.) — Nr. 12. Ab- 
zahlungsgeschäfte und Kamschbazare unter Berücksichtigung der Musik- 
instrumentenbranche. — Nr. 13. Ein Vorschlag betreffend die hohen Aufleimer 



472 Nachtrag zur Musikalisehen Bibliographie. 



auf der Klaviatur. — Nr. 14. Musikalisches aus Tirol. Von Eichhorn. (Ergän- 
zung in Nr. 17.) — Nr. 15. Ein Klavier- Violoncello. — Nr. 16. Zum Kapitel 
»Schäden im Pianohandel. Von J. Friedrichs. (Schluss in Nr. 18.) — Nr. 17. 
König Albert von Sachsen im musikhistorischen Museum von Paul de Wit in 
Leipzig. — Nr. 18. C. Mahillon's patentirte Verbesserungen indem Klappensystem 
der Klarinette. Von W. Altenburg. (s. Nr. 28,) — Die Orgel zu'Valle di PonpeL 
Von Allihn. — Nr. 19. Johann Christian Gottlieb Temler. — Nr. 20. Der 
englische Stil. Von Böttcher. — Nr. 21. Nicolas Lupot. — Nr. 22. Deutsch- 
land's Musikinstrumenten - Industrie. — Geigen* Zettel aus der klassischen 
Periode des Geigenbaues. (Forts. Nr. 24, 26.) — Nr. 24. Die Ausstellnng 
von Wohnungseinrichtungen im Gewerbehause zu Dresden und die Be- 
theiligung der Instrumenten -Industrie. Von Böttcher. (Forts. Nr. 28.) — 
Nr. 27. Dekorationsstücke für Instrumenten - Magazine. — Die Orgel des 
Strassburger Münsters. Von Allihn. — Nr. 29. Die Musikinstrumenten-Industrie 
des sächsischen Vogtlandes im Jahre 1892. — Nr. 30. Zum 50 jährigen Jubi- 
läum der Firma Carl Thieme in Leipzig. — Chicago und die amerikanische 
Klavierindustrie. Von Schiedmayer. — Nr. 31. Charles Victor Mahillon. Von 
W. Altenburg. — Die Musikinstrumentenbranche auf der Tiroler Landes- 
ausstellung. Von Eichhorn. — Nr. 32. Gasparo da Salo und die Erfindung 
der Violine. Von Giovanni Livi. (Forts. Nr. 34, 36.) — Die Zwölf zahl in der 
Tonwelt. Von H. Vincent. — Nr. 33. Henry Fowler Broadwood. — Reise- 
beobachtungen über Amerika. Von A. Perterson. — Nr. 37. Joh. Jos. Held. — 
Nr. 35. Deutsche. Pianos auf der Weltausstellung zu Chicago. Von C. von 
Hartmann. . — Nr. 36. Über das Bleichen vei^lbten^Elfenbeins an Klaviertasten. 
Von Arnold Hiller. — XIV. Nr. 2. Deutsche Musikinstrumente auf der Welt- 
Ausstellung von Chicago. Von C. von Hartmann. — Ein kurfürstlich säch- 
sischer Erlass gegen das unbefugte Trompeten-Blasen und Heerpauken- 
Sohlagen. — Nr. 3, Die Ritter'sche Viola -Alta. Von E. Simontre. — 
Können Frauen Klavi erstimmerinnpn werden? Von C. F. Witte. — Nr. 4. 
Zum 40jährigen Jubiläum der kgl. sächs. Hof-Pianofortefabrik von Julius 
Blüthner in Leipzig. — Mechaniken mit Ober- oder Unterdämpfung. — 
Nr. 5. Frankreichs Ausstellung von Musikinstrumenten auf der Weltausstellung 
von Chicago. Von C. von Hartmann. — Nr. 6. Die Vervollkommnung des 
Blechinstrumentenbaues durch die Firma C. Mahillon. Von W. Altenburg. — 
Ein Wort über pneumatische Windladen. Von R. KeiteL — Nr. 7. Gaspar 
Duiffopruggar und die Entstehung der Geige. Von A. Payne. — Musik- 
instrumente auf der Weltausstellung zu Chicago. Von C. v. Hartmann. (S. 
Nr. 8.) — Die Entwicklung des deutschen Musikinstrumenten-Gewerbes. Von 
O. Behre. (Forts.) — Nr. 8. Ein physikalisches Mittel zur Erleichterung des 
Klavierstimmen 8. Von A. Hiller. — 



Inhaltsverzeichniss. 

Zusammengestellt von Max Selffertt 



A. Abhandlungen, Kritiken, Referate, Notizen. 



Bäumker, Wllh^ »Das katholische deutsche 
Kirchenlied in seinen Singweisen«; s. 
K. y. Liliencron. 

Buflfy Adolf, »Mozart's Augsburger Vor- 
fahren«; R. Phil. Spitta. 

Chrysander, Frledr., »LodoTico Zacconi als 
Lehrer des Kunstgesanges. IL Ab- 
schnitt« 249. 

»Besuch eines Engländers bei J. S. 

Bach im Jahre 1749« 447. 

»Dr. Croft's Gesänge fOr das Thea- 



ter« 448. 

Dannenreufher, »Musical Omamentation«; 
8. C. Krebs. 

Deiters, Herrn«, Kritik über »die 4. Auf- 
lage von K. Schumann's Gesammelten 
Schriften über Musik und Musiker, 
besorgt von F. G. Jansen« 355. 

»3. Auflage von Otto Jahn's Mozart- 
Biographie«; s. Ph. Spitta. 

Elling, Catharinus, »Die Musik am Hofe 
Christian's IV. von Dänemark« (Nach 
Angul Hammerich) 62. 

Engel, G., »Die Bedeutung der Zahlen- 
verhältnisse für die Tonempfindung«; 
s. C. Stumpf. 

Engl, Johann Ev., »Festschrift zur Mozart- 
Centenarfeier«; s. Ph. Spitta. 

Friedlaender, Max, »Fälschungen in Schu- 
bert's Liedern« 166. 

Hagen, Dr. Karl, »Dissertation über die 
Musik einiger Naturvölker«; s. J. P. 
N. Land. 

Hammerich, Angul, »Die Musik am Hofe 
Christian's IV. von Dänemark«; s. Elling. 

Jacobs, Eduard, »Der Orgelspieler und 
Musikgelehrte Johann Valentin Eckelt 
(1673—1732)« 311. 



Jansen, F. Gustav, »4. Aufl. von R. Schu- 
mann's Gesammelten Schriften«; s. H. 
Deiters. 

Krebs, Carl, Kritik über »Edward Dannen- 
reuther, Musical Omamentation« 235. 

»Das Echiquier« 245. 

»Die Privatkapellen des Herzogs 

von Alba« 39:^. 

Kretzschmar, Herrn., Kritik über »Ferd. 
Praeger, Wagner, wie ich ihn kannte« 
444. 

Land, J. P. N., Kritik über »Dr. Karl Haeen, 
über die Musik einiger Naturvölker 
(Australier, Melanesier^Polynesier)« 239. 

Levlnsohn, Albert, »Die Entstehungszeit der 
Ouvertüre zu Leonore Nr. 1, op. 138, 
mit anschliessenden kritischen Bemer- 
kungen zu Nottebohm's Beethoveniana« 
128. 

Liliencron, R. von, »Zu den Kompositionen 
über die Horazischen Metren« 246. 

Kritik über »Wilh. Bäumker, Das 

katholische deutsche Kirchenlied in 
seinen Singweisen « 333. 

Kritik über »Joh. Zahn, Altkirch- 



liche Introitus zu den Festen und Sonn- 
tagen des Kirchenjahres, deutschen 
Texten angepasst und für den Kirchen- 
chor vierstimmig gesetzte 353. 

Planck, Max, »Die natürliche Stimmung 
in der modernen Vokalmusik« 418. 

Praeger, Ferd^ »Wagner, wie ich ihn 
kannte«; s. H. Kretzschmar. 

Prochizka, »Mozart in Prag«; s. Ph. Spitta. 

Röntgen, Engelbert, »Einiges über Theorie 
und Praxis in musikalischen Dingen« 
365. 



474 



Namen- und Sachregister. 



Scherer, Carl, »Qertrud Elisabeth Schme- 
ling und ihre Beziehungen zu Rud. 
Erich Raspe und Carl Matthaei. Ein 
Beitrag zur Lebensgeschichte der Künst- 
lerin in den Jahren 1766—1774« 99. 

Schwartz, Rudolf, »Hans Leo Hassler unter 
dem Einfluss der italienischen Madri- 
galisten« 1. 

Spitta, Philipp, »Ein Weihnachts -Gesang 
des Heinrich Baryphonus« 381. 

Kritik über »Joh. Ev. Engl, Fest- 
schrift zur Mozart-Centenarfeier in Salz- 
burg 1 891 ; Adolf Buff, Mozarf s Augs- 
burger Vorfahren; H. Deiter's 3. Auflage 
von O. Jahn's Mozart-Biographie; Rud. 
Freiherr Frochdzka, Mozart in Prag« 
441. 



Stumpf, Carl, Kritik über » O. Engel, Die 
Bedeutung der ZahlenverhSltnisse für 
die Tonempfindung« 242. 

Wolf, Johannes, »Ein anonymerMusiktraktat 
des elften bis zwölften Jahrhunderts« 
186. 

»Anonymi cujusdam codex Basilien- 



sis« 408. 

Zahn, Joh., »Altkirchliche Introitus, deut- 
schen Texten angepasst und für den 
Kirchenchor vierstimmig gesetzt«; s. 
R. y. Lilienoron. 



Ascherson, F., »Musikalische Bibliogra- 
phie« 449. 



B. Namen- und Sachregister. 



Absolutes TongefDhI 428. 

Aegidlus, Joh. Zamorensls, mittelalterlicher 
Theoretiker 413. 

Agricola, Ornamente im Gesang 237. 

Alba, Herzog v, seine Privatkapellen 393 ff. 

Alblnus latinisirte die griechischen Tetra- 
chord-Namen 218 Anm. 1. ^ 

AIculn, mittelalterlicher Theoretiker 187. 

Amen, Job., Instrumentist aus Thom, ver- 
kauft Christian IV. Instrumente 70. 

Ammerbach, Koloraturen 235. 

Ammon, Woifg., Gesangbuch (1583) 348. 

Andernacher Gesangbuch 342, 344 f. 

Anonymus 1 bei Gerbert 207—215, 226— 
231. 

Anonymus IX bei Gerbert 229 f. 

Anonymi über die Musik des 11. und 12. 
Jahrhunderts 194 ff. (s. Conradus), 408 ff. 

Arlbo Scholasticus, mittelalterlicher Theo- 
retiker 189, 414. 

Arrebo, Anders, Psalter 77. 

Augsburger Gesangbuch 348. 



Bach, Joh. Seb., Verzierungen 238 — 
Besuch eines Engländers bei ihm (1749} 
447 f. 

Bachrogge, Hans, Sänger und Madrigal- 
Komponist 77, 94. 

Baiern, Gesangbuch-Reform 335 f. 

Bamberger Gesangbuch 344, 346—348. 

Barmann, Gesangbuch (1760) 350. 

Bartholutzlus, VIncenz, Organist in Kopen- 
hagen 75. 

Baryphonus, s. Pipegrop. 



Bftumker, Wllh., Verdienst um das deutsche 
Kirchenlied 339 ff. 

Becker, Joh^ Organist in Wernigerode^ 
seine Dienstanweisung 328, 331 f. 

Becker, C. F., Verdienst um das deutsche 
Kirchenlied 334. 

Beethoven, Daten zur Geschichte der Leo- 
noren-Ouverture (Op. 138, Nr. 1) 130 — 
Ouvertüre, CmoU-Sinfonie und Cello- 
sonate (Op. 69) 136~Gmoll-Sinfonie, 
Klavierkonzert Gdur und die Oper, 
139— Die Oper für Sehikaneder, Kla- 
viersonaten (Op. 53, 54, 57), Tripel- 
konzert, Kompositionszeit der Leonore, 
1 42 — Großes Leonore - Skizzenbuch , 
Klaviersonaten (Op. 64, 57), Tripel- 
konzert, 145 — Beendigung der Oper, 
Leonoren-Arie in 1 . 2. 3. Bearbeitung, 
Ouvertüre zu Leonore II, Motiv der 
Florestan - Arie , 147 — Klaviersonate 
(Op. 14), Violinsonate (Op. 12), Klavier- 
konzerte in B und C, 152 — Trauer- 
marsch der Kiaviersonate (Op. 26j 155 
— Klavier - Phantasie mit Chor und 
Orchester, Klavierkonzert in Es, 156 — 
Violinsonate (Op. 96), Allegretto der 
8. Sinfonie, 159— Klaviersonate (Op. 101) 
163. 

Berlin, Keform der Gesangbücher, 335— 
Auftreten der Sängerin Schmeling-Mara 
124. 

Bernburg, Auftreten der Sängerin Schme- 
ling-Mara 110. 

Bernellnus, mittelalterlicher Theoretiker 
188, 197 Anm. 1. 



Namen- und Sachregister. 



475 



Berno, mittelalterlicher Theoretiker 187 — 
18», 191, 193 f., 195 Anm. 4, 196 Anm. 3, 
197 Anm. 1, 198 Anm. 3. 199-201, 203 f., 
209 Anm. 4, 210 Anm. 1. 5. 6, 211 Anm. 
2. 4, 222 Anm. 4, 226—228, 231 f., 409, 
412 f. 

Besser, Friedr., Orgelbauer in Braun- 
schweig 325. 

Beuttner, Nik., Gesangbuch (1602) 344f., 347. 

Billroih, Verdienst um das deutsche Kir- 
chenlied 334. 

Bodlnus, Oswald, f 1697 als Organist in 
Wernigerode 314, 321. 

Boeiius, mittelalterlicher Theoretiker 186, 
189, 194 Anm. 2, 195 Anm. 1. 3. 6, 196 
Anm. 3, 208 Anm. 2, 211 Anm. 3, 212 
Anm. 5, 213 Anm. 3, 215 Anm. 2, 218 
Anm. 1, 219 Anm. 3, 224 Anm. 2, 228 
Anm., 229, 233, 411-413, 415 f. 

Bonner Gesangbuch 342, 344. 

Borchgrevinck, Bonaventura, Kapellmeister 
in Kopenhagen 65. 

Borchgrevinck, Melchior, Schaler Gio. 
Gabrieli's, Organist, Kapellmeister, 
Madrigalkomponist in Kopenhagen 69 f., 
72, 74 f., 81, 94. 

Bottegari, Cosimo, Komponist für 'die 
Laute, 2 — Kanzonen 56 f., 59. 

Bttiticher, Andr. Hart., Kantor in Werni- 
gerode 314, 319. 

Bovicelli, Ornamente 237. 

Brade, William, Instrumentist in Kopen- 
hagen 78. 

Braunsberger Gesangbuch 344. 

Braunschwelg, Auftreten der Sängerin 
Schmeling-Mara 110. 

Breme, Luis, s. Brumen. 

Breslauer Gesangbücher 344, 348. 

Brumel, Ant., von Zacconi erwähnt 253. 

Brumen, Loys, Organist des Herzogs v. 
Alba 39S. 

Bruns, P. Raymund, Gesangbuch (1738) 348. 

Brüssel, Kapelle des Herzogs v. Alba 
(1573) 395 ff. 

Bull, Dr. John, Koloraturen 236. 

Burmeister, Christoph Joach., i 1731 als 
Organist in Wernigerode 324, 326. 

Bustamante, Franc, da, Sänger des Herzogs 
V. Alba, 394 f. 

Byrde, Will., Koloraturen 236. 

Caccini, Giulio. Lautenarrangements, 2 
Anm. — Gesangsverzierun^en 236 f. 

Canzonetten von Zacconi mit Madrigalen 
verglichen 304 ff. 

Carrasco, Hieronym., Sänger des Herzogs 
V. Alba 394. 



Carthusiensis Monachus, mittelalterlicher 
Theoretiker 229 f. 

Casslodor , mittelalterlicher Theoretiker 
411, 415. 

Cavallerl, Emil, del, Ornamente 236. 

Celle, Auftreten der Schmeling-Mara 108. 

Celso, Cornel., Sänger des Herzogs v. Alba 
394. 

Chodemari, Joannes, Kapellmitglied des 
Herzogs v. Alba 396, 402. 

Chor, Mitiivirkung beim Gesang der Kir- 
chenlieder 346. 

Choral, Blasen vom Thurm herab in Osna- 
brück und Kopenhagen 346. 

Christian IV. v. Dänemark als Förderer der 
Musik 62 ff. 

Chromatik in der italienischen Gesangs- 
musik des 16. Jahrhunderts 48. 

Clpriano, s. Rore. 

Clost [Clote] Martin, Altist des Herzogs v. 
Alba 397, 401 f. 

Cochem, Martin v., Gesangbuch (1568) 345, 
347. 

Compenius, Esaias, Erbauer der Fredrik- 
borger ISchlosskirchenorgel 79. 

Conradus, Reichenauer Mönch, muthmass- 
licher Verfasser eines musiktheore- 
tischen Traktats 192, 230 f. 

Constanzer Gesangbücher 344. 

Contractus, s. Hermannus C. 

Conversi, Giroi., Lauten-Arrangements, 2 
Anm. 

Cornelio, Franc. Sänger des Herzogs v. 
Alba 394. 

Corner, P. Gregor, Gesangbuch (1625) 345. 

Corneta, Fran^ois, Violinist des Herzogs 
V. Alba 397, 402. 

Cortes, Franc, Sänger des Herzogs von 
Alba 394. 

Corvey, Gesangbuch 344. 

Corvinus, Joh. Mich., s. Ravn. 

Costanzo, Angeio di, Madrigal-Dichter 53. 

Cotto, Joh., mittelalterlicher Theoretiker 
199 Anm. 3, 205 Anm., 206 Anm. 2, 
216 Anm. 2, 412 f. 

Couperln, Verzierungen 237. 

Cracowit, Mich., Organist in Kopenhagen 81. 

Crocaert [Crokaeri] GÜes, Tenorist des 
Herzogs v. Alba 396, 401. 

Croft, Dr. Will., Sammlung vierstimmiger 
Lieder für das Theater 448. 

Currende in Wernigerode um 1700, 320. 

Daildux [Dalleu, Dalu] Anthoni, Bassist des 

Herzogs v. Alba 398, 401. 
Danziger Gesangbuch 348. 
Dascanio, Josquin, Frottolen 8. 






476 



Namen- und Sachregister. 



Degen, Joh., Gesangbuch (1628) 346. 

Deiters. Herrn., Würdigung seiner Neu- 
ausgabe y. Jahn's Mozartbiographie 442. 

Demant, Christoph, Lieder 20. 

Denis, Dichter geistlicher Lieder 350. 

Dentlci, Fabrizio, Lauten -Arrangements, 
2 Anm. 

Deutgen, Rud. Gesangbuch (1781) 351. 

Dlabelll als Schubert- Herausgeber 168 Anm. 
2, 170 Anm. 2, 173 ff. 

Dillinger Gesangbuch 342, 344. 

Dlruta, Girol., Verzierungen 235 f. 

Dowland, John, Lautenist in Kopenhagen 
70—72. 

Duderstadter Gesangbuch 344. 

Dupont [Dupontre] Jan. Kapellmitglied des 
Herzog v.Alba 396. 

Duschelc, Franz und Josepha, Ihre Be- 
ziehungen zu Mozart 443 f. 

Eccard, Joh., Einfluss in Dänemark 77. 

Echiquier, Klavierinstrument, Erklärung 
des Namens 245 f. 

Echo in der italienischen Vokalmusik des 
16. Jahrhunderts 32 f. 

Eclcelt, Joh. Val., Orgelspieler und Theo- 
riker. Herkunft seiner Familie 311 — 
Geburtsdatum 312 — Ausbildung 
312 f. — Organistenprobe in Wernige- 
rode 314 ff. — Dienstliche Funktionen 
321 ff. — Organist in Sondershausen 
324 — Tod 327 — Kompositionen und 
Schriften 313, 320, 327. 

Edingius, Rutger, Psalter (1574) 343. 

Eger'sche Gesangbuch 344. 

Eggerding, Joh. DIetr., Stadtmusikant in 
Wernigerode 315, 320. 

Elchsffelder Gesangbuch 344, 348. 

Eltz, Kari, Harmonium in natürlicher 
Stimmung 421. 

Engelbert, mittelalterlicher Theoretiker 202 
Anm. 1. 

Erfurter Gesangbuch 344, 348. 

Ernando, Sopranist des Herzogs y. Alba 394. 

Faucart, Jac, Violinist in Kopenhagen 97. 

Ferretti, Gio., Lautenarrangements, 2 Anm. 

Festa, Cost., Madrigale 8. 

Flamengo, Anseimo, musikalische Silben 
276. 

Fischer, A. F. W., Verdienst um das deutsche 
Kirchenlied 335. 

Fontana, Agostino, Altist und Kapell- 
meister in Kopenhagen 93. 

Fontego, s. Silvestro dal F. 

Fonteio, Gio., s. Nielsen. 

Frans, Miquel, Zinkenist des Herzogs y. 
Alba 397. 



Franz, Ign., Gesangbuch (1778) 351. 
Fratlssart [Fratitart] Paul, Altist des 

Herzogs v. Alba 396, 401. 
Frescobaldi, Ornamente 237 f. 
Friderici, Dan., Gesangsverzierungen, 12 

Anm. 
Froberger, Koloraturen 237. 
Frottola, Musikalische Form 2 f., 6. 
Fulda'sche Gesangbuch 344. 
FUllsack, Zach, und Hildebrand, Christ, 

Tanzsammlung 72, 76. 



Gabrlell, Andr., Madrigale 4 f., 11, 14 f., 
17, 22 f., 30, 35, 38, 47 Anm., 48 f., 
58 f. — Koloraturen 236. 

Gabriel!, Gio., Seine Werke und sein Un- 
terricht in Kopenhagen sehr geschätzt 
64, 74. — Koloraturen 236. 

Gaffurlus über Quintenfolgen 14. 

Gagliano, Marco da, Werke in Kopenhagen 
beliebt 92. 

St. Gallener Gesangbuch 347. 

Gastoldl, Gio., Madrigale 5, 27—29, 42. 

Gautier, Denis, Verzierungen 237. 

Gemeinde, Erklärung des protestantischen 
und katholischen Begriffes 349. 

Gemeindegesang bei Protestanten und 
Katholiken 336f., 343 — in Wernigerode 
323 f., s. auch Kirchenlied. 

Genzel, Heinr., Organist in Zilly, bewirbt 
sich um eine Stelle in Wernigerode 
314 f., 317 f., 323, 326. 

Geraldo, s. Giraldo. 

Gerlandia, s. Hugo de G. 

Gesang zu Zacouni's Zeit 259 — einige 
schwierige Gänge 269 — die damals 
moderne Kunst 275 — musikalische 
Silben 276 — das Leisesingen 279 — 
das Starksingen bei der Mutation 279 — 
äussere Haltung beim Singen 280 — 
innere Grazie, Ausschmücken durch 
Accente 282 ff. — Aussprache des Textes 
290 — Register der Stimme 291 — 
übertriebene Auszierungen 299. 

Gesangbuch-Reform in unserm Jahrhun- 
dert 335, 8. auch Andernach, Augsburg, 
Baiem, Bamberg, Berlin, Bonn, Brauns- 
berg, Breslau, Constanz, Corvey, Danzig, 
Dillingen, Duderstadt, £ger, Eichsfeldt, 
Erfurt, Fulda, Gallen, Graz, Hamburg, 
Heidelberg, Hildesheim, Ingolstadt, 
Innsbruck, Köln, Liegnitz, Mainz, Mols- 
heim, München, Münster, Neisse, 
Osnabrück, Paderborn, Potsdam, Prag, 
Rheinfels, Schweidnitz, Speier, Stras- 
burg, Tegernsee, Trier, Wien, Würzbarg. 



Namen- und Sachregister. 



477 



Giacobbi, Werke in Kopenhagen geschätzt 
92. 

QlbbonSy Koloraturen 236. 

QiraldOy Paulo, Sänger des Herzogs von 
Alba 394. 

Glnstow [Gistou], Nicol., Altist in Kopen- 
hagen 72, 75. 

filarean, Dodekachord 247/ 408. 

Gomberi, von Zacconi erwähnt 255. 

Grazer Gesangbuch 344. 

Greifer, Matth., Komponist des Chorals 
»O Herre Gott, begnade mich« 323. 

GuarinI, Madrigaldichter 51. 

Guido abbas in Caroli loco, mittelalter- 
licher Theoretiker 199 Anm.. 5, 

Guido Yon Arezxo, Theoretiker 187, 189. 
198 Anm. 4, 230, 233, 411,-416. 

Gumpeitzheiffler, Sacri concentus 47 Anm. 

Günther, Ambros., Trompeter in Dresden, 
zur Krönung nach Kopenhagen 66« 

Gutjahr, Chr. Friedr., Kapellan in Werni- 
gerode, »erfahrener Musikus« 314, 319, 
324 Anm. 6, 326 Anm. 6. 

Hamburger Gesangbuch, durch Eambach 

reformirt 335. 
Hains, Frederich de, Organist des Herzogs 

von Alba 398. 
Hannover, Auftreten der Schmeling-Mara 

102 ff., 108 ff. — Gesangbuch 344. 
Hans, Fredrique, s. Hams. 
Hasse, »Sancta Helena« in Leipzig auf- 
geführt 117. 
Hassler, Casp., »Sacrae symphoniae« 58. 
Kassier, H. L, Seine Werke unter dem 

Einfluss der italienischen Madrigalisten; 

musikalisch 21 ff., textlich 51 ff. 
Hauner, Komponist geistlicher Lieder 350. 
Hausen, Geistliches Liederbuch (1762) 350. 
Haussmann, Val., Deutsche Lieder 55. 
Haydn, Mich., Herausp;eber von Kohlbren- 

ner's geistlichem Liederbuch (1790) 350. 
Haym, Joh. v. Themar, Geistliche Lieder 

(1581) 343 f. 
Hayois [Hayos] Adrian des, Kapellmitglied 

des Herzogs von Alba 396, 402. 
Hecyrus, s. Schweher. 
Heidelberger Gesangbuch 344 f. 
Hermann, Nie, Evangelien-Lieder 347. 
Hermannus Contractus, mittelalterlicher 

Theoretiker 187—191, 195 f., 215—224, 

231—234. 
Herold, Sam^ Orgelbauer 322. 
Hessling, Orgelspieler, bewirbt sich um 

eine Stelle in Wernigerode, Nachfolger 

J. V. Eckelt's 314 f., 321, 326. 
HIeronymus de Moravia, s. MoraVia^ 

1893. 



Hlidebrand, s. Füllsack. 

Hildesheimer Gesangbücher 344, 347 f. 

Hintze, Aib.j Stadtmusikant in Wernigerode 

315. 
Hintze, Joh. Balth., ebenfalls 315. 
Hornung, Andr., Oi^anist in Wernigerode, 

Vorgänger J. V. Eckelt's 321. 
Hotz, Pedro du, Kapellmeister des Herzogs 

V. Alba 393, 395 f., 399 f., 402 ff. 
Howet, Gregorlus, Lautenist, beliebt in 

■Kopenhagen 74. 
Hubert, ' Boniface, Altist des Herzogs v. 

Alba 398, 401. 
Hucbald, Theoretiker 187, 195 Anm. 1. 4, 

196 Anm. 3, 197 Anm. 1, 216 Anm. 2, 

226. 
Hugo de Gerlandia, Theoretiker 230. 



Jacca, Francisco, Sänger des Herzogs v. 

Alba 393. 
Jahn's Mozart-Biographie gewürdigt 441 f. 
Ingolsiadter Gesangbücher 344. 
Innsbrucicer Gesangbuch 344. 
Introitus in der protestantischen Kirche 

353 ff. 
Joachim, Prof. J., Sein Spiel 368 f. 
Josephus , Georg , Breslauer Komponist 

geistlicher Lieder 346. 
Josquin Dascanio, s. Dascanio. 
Josquin de Pris, von Zacconi erwähnt 253, 

255, 262 f., 270. 
Isaac, Heinr., von Zacconi erwähnt 253. 
Isidor V. Sevilla, Theoretiker 229, 411, 

415. 

Kapellen des Herzogs v. Alba 393. ff. -r. 

Christian's IV. in Kopenhagen 62 ff. — 

in Lübeck 64. 
Kassel, Auftreten der Schmeling -«Mara 

100 f., 126. 
Katholisch, , Das k. deyt^che. Kirchenlied, 

in seiner geschichtlichen' EntWickelung' 

333 ff. ^ ^ . 

Keplers Urthetl über dSe musikalischen 

Silben 276. 
Kerle, ' J. de, Kompositionen 400..' . 
Kethner, Leonh^ Gesangbuch (155&) -343. 
Keyenberg, Pet., Dichter geistlicher Lieder 

348. 
KhUn, Joh., s. Kuen. 
Kirchenmusiic - in Wernigerode um 1700, 

320, 322 f.,' 328 ff. — 's.; auch" Katholisch. 
KIss, Joh;, Stadünusikant'in Wernigerode 

315.: 
Koch, JL ^, Verdienst um das deutsche 

Kirchenlied 335. 

32 



478 



Namen- und Sachregister. 



Kohlbrenner, Geistliches Liederbuch (1777) 
350. 

KVIner Qe^angbücher 344—348. 

Kopenhagen, Pflege der Musik am Hofe 
Christian's IV. 62 ff. — Blasen der 
Choräle vom Thurme 346. 

Kortenberji holt silberne Posaunen von 
Nürnberg nach Kopenhaffen 66. 

Kraft, Joh., Lektor der Musik an der 
Universität Kopenhagen, Schriften 95. 

V. KOckeison, Vertasser eines Ballets 87. 

Kuen, Joh., Dichter geistlicher Lieder 347. 

Kunize, Christ, Orgelbauer in Halber- 
stadt 325. 

Lablache, Urtheil über das Starksingen 
279 (yergL Zaceoni). 

Lasso, Orl., von Zaceoni erwähnt 276 — 
Lautenarrangements, 2 Anm. — deutsche 
Lieder 19 f — in Kopenhagen be- 
liebt 64. 

Lauromberg, Job., Verfasser von Schau- 
spielen 88. 

Layriiz, Fr., Verdienst um das deutsche 
Kirchenlied 335. 

Lechner, Leonh., Deutsche Lieder 20. 

Leipzig, Auftreten der Schmeling-Mara 
117, 120. 

Loiseniriii, Gesangbuch (1567) 342-345. 

Leisinger, Opemsängerin, ihr Vortrag 372. 

LoonI, Leone, Werke in Kopenhagen ge- 
schätzt 75, 92. 

Lepoinciro [Lepontre] Jaln, Bassist des 
Herzogs y. Alba 396, 401. 

Leverentz, Alex., Violinist in Kopenhagen 
97. 

Liegniizer Gesangbuch 348. 

Lindenborn, H., Geistliches Liederbuch 
(1741) 350. 

Locke, Verzierungen 237. 

Lorenz, Job., Orgelbauer in Kopenhagen 
79. 

Loringhoff, Eitel Friedrich, Bassist in 
Kopenhagen 80 f. 

Loscos, Franc, do, Sänger des Herzogs 
von Alba 394. 

LQbeclc, Rathsinstrumentisten (1595) 64. 

Lucius, Jeannette, Mitglied 4^r Leppert'- 
schen Gesellschaft 112. 

Maas, Nicolai, Orgelbauer in Kopenhagen 
79. 

Madrigal, seine musikalische Form 3 ff., 
7, 11 f. — mit den Villanellen ver- 
glichen von Zaceoni 304 ff. ~ bei H. 
L. Haßler 1 ff. 

Mainzer Gesangbücher 344 f., 347. 



Mara, s. Schmeling. 

Marchettus v. Padua, Theoretiker 413. 

Marenzio, Luca, Madrigale. 10 Anm., 11 

13—15, 18, 2Ö, 37 f, 40 f., 49, 60 — 

in Kopenhagen beliebt 64. 
Massak, Hans, Mitglied der Kopenhagener 

Kantorei 63. 
Medici, isabolla, Großhersogin von Tos- 

cana, Lauten-Arrangements 2 Anm. 
Meister, Karl Sov., Verdienst um das 

deutsche Kirchenlied 336. 
Momoronsl [Memorasl], Miquoi do, Stimmer 

beim Herzog v. Alba 398. 
Morils, JaCv Violinist in Kopenhagen 75. 
Morsenno, Verzierungen 237. 
Moruio, Ci., Verzierungen 236 — odirt 

Nola^a Villanellen 307. 
Mosschaori, Konzertsänger, sein Vortrag 

368. 

Mourslus, Job., sen., Musikj^elehrter 96. 

Monrsius, Job., jun., gleichfolls 96. 

Micha, Frottolen 8. 

MIttolaltorlicho Musiktheorie, s. Theo- 
retiker, Musiktheorie. 

Molo, C. Gerard, Kapellmitglied des Her- 
zogs V. Alba 397. 

Moiin, Bastian do, Altist des ^erzog8 v. 
Alba 397, 401. 

Molshoimor Gesangbacher 344. 

Monachus, s. Carthusiensis M. 

Monteverdi, CI., Madrigale 75. 

Monvoisin, Pioro, Kontra -Altist des Her- 
zogs V. Alba 398, 402. 

Moralos von Zaceoni erwähnt 254. 

Moravia, Hioronymus do, Theoretiker 412 L 

Moroni, Sänger in Kassel. Urtheil über 
die Schmeling-Mara 100. 

Mototto von Zaceoni mit den Villanellen 
verglichen 304 ff. 

Mouiin, Bast, do, s. Molin. 

Mouton, Bio., von Zaceoni erwähnt 253, 
262 f. 

Movuosin, s. Monvoisin. 

Mozart, W. A., Beziehungen zu Franz und 
Josepha Duschek 443. 

Muiin, Bast de, s. Molin. 

MDnchonor Gesangbuch 342, 344 f. 

Münster'sche Gesangbücher 342, 344, 
347—350. 

Muris, Joh. do, Theoretiker 234, 408 Anm. 
2, 409—414. 

Musica onchiriadls, 187, 206 Anm. 2. 

MusilK der Naturvölker, Werth ihrer Er- 
forschung für d. Kulturgeschichte 239 ff. 
— Definition der Musik bei Zaceoni 
250 ff. — niederländische Musik, siehe 
Niederländisch. 



Namen- und Sachregister. 



479 



Musiker im Unterschiede Ton den Theo- 
retikern und Praktikern (nach Zacconi) 
250 ff. 

Musiktheorie des H. und 12. Jahrhunderts 
nach anonymen Traktaten 168 ff., 408 ff. 

Nacaienus, Wilh., Dichter geistlicher 
Lieder 347. 

Neapel» Privatkapelle des Herzogs von 
Alba (1558) 393 ff. 

Neisse'sche Gesangbuch 344. 

Neuss, Dr., Heinr. Georg,» Superintendent 
Dichter und Komponist ^istUcher liie- 
der, Beförderer der musikalischen Be- 
strebungen in Wernigerode 314 ff. 

Nlederllndische Musik, ihre Ausführung 
nach Zacconi 255 ff., 2Ö6 ff. 

Nielsen, Hans, Schüler Gio. Gabrieli's 
74!:, 79. 

Nikolaus, Orgelbauer aus Nordhausen 
322- 

Nola, Gio. Domenico da, Komponist von 
Viilan eilen 307 ff., — Lauten- Arrange- 
ments 2. Anm. 

Notengattungen bei Zacconi 265 ff., — ge- 
schwärzte Noten 268. 

Noter, Estefan de, Zinkenist des Herzogs 
von Alba 397, 402. 

Notker Balbulus, Theoretiker 191, 194 
Anm. 5, 205 f.^ 227. 

Nottebohm's Beethoven-Kritik 128 ff. 

Obreclit, Jac, von Zacconi erwähnt 270. 

Ockenhelm, gleichfalls, 253, 263. 

Oddo, Theoretiker 187, 200 Anm. 4, 201 

Anm. 1, 203 Anm. 1, 210 Anm. 1. 230. 
Odington, Walther, Theoretiker 230, 410. 
Olivier, Qraulel, Kapellmitglied d. Herzogs 

von Alba 394. 
Opitz, Mart., Geistliche u. weltliche Lieder 

89, 347. 
Organisten, ihr Beruf und ihre Stellung 

in Wernigerode um 1700, 311 ff., 328 ff. 
Orgeln in Wernigerode 313, 321 f., 325 f. 

in Kopenhagen 79. 
Ornlthoparchus, Schrift von Dowland 

übersetzt 71. 
Ortiz, Diego, Kapellmeister des Herzogs 

von Alba 393—395. 
Osnabrück, Blasen des Chorals vom Thurm 

346 — Gesangbücher 342, 344, 346 f. 

Paderborner Gesangbücher 344, 347. 

Palestrina, Lauten-Arrangements 2 Anm. 
— Madrigale 4, 8—11, 18, 29, 33, 39— 
41, 43 f., 46, 48, 55 f., 59 — in Kopen- 
hagen geschätzt 64 — von Zacconi er- 
wähnt 254. 



Pauer's Edition von Purcell 237. 

Payan [Payen , Gaspar, Tenorist d. Herzogs 

V. Alba 397, 401. 
PedersVn, Mogens, Schüler Gio. Gabrieii's, 

Musiker in Kopenhagen 74, 76—78, 95. 
Pelers, Jacques, Tenorist des Herzogs v. 

Alba 396, 401. 
Peralta, Baltasar de, Sopranist d. Herzogs 

V. Alba 397, 402, 
Peramato, Sänger des Herzogs V. Alba 394 f. 
PeriaSez, ebenfalls 394. 
Petrarca, Dichtungen für Madrigale 54. 
Petrucci, Lautenbuch (1507) 2. 
Pickerow, Adam, Instrumentenmacher in 

Kopenhairen 70, 96. 
PIpegrop, Heinr^ ein Weihnachtsgesang 

besprochen und in Noten mitgetheilt 

381 ff. 
Pontre, Jaln le, s. Lepoinctre. 
Porta, Cost., Madrigale 31, 37, 52. 
Potsdamer Gesangbuch 348. 
Praetorlus, Jac, Organist in Hamburg, 

bei Christian IV. in gutem Ansehen 94. 
Praetorlus, Mich., Besiehungen zu Christian 

IV. 94 f. 
Prager Gesangbuch 344, 348. 
Praxis, ihre Abweichung von der Theorie : 

Durakkord 366 — Mollakkord 369 — 

Dominant- Septimenakkord 372 — 7. 

Stufe der Dur- und MolUeiter 374 — 

Wechselnoten 378 — s. auch Stimmung. 
Prüm, s. Regino v. P. 
Purcell, Verzierungen 237 f. 
Pyrmont, Auftreten des Sohmeling-Mara 

110. 

Quanz, Verzierungen 237. 

Qulntenffoigen in Madrigalen 14 — inVil- 

lanellen und Canzonetten von Zacconi 

erklärt 304 ff. 

Rambach, A. J., Verdienste um das deutsche 
Kirchenlied 333 f. 

Randhartinger als Schubert-Herausgeber 
169 Anm. 2. 

Ravn, Hans Mikkelsen, Theoretische Schrift 

• 95. 

Regino v. Prüm, Theoretiker 229. 

Regnart, Jac, Deutsche Lieder 20. 

Reinecke, Matth., Schüler J. V. Eckelt's, 
bewirbt sich um eine Stelle in Wernige- 
rode 324 f. 

Rheinffelsische Gesangbuch 343 f. 

Riedel, Dichter geistücher Lieder 350. 

RIetz, Jul. als Schubert-Herausgeber 168 
Anm. 2. 

32* 



480 



Namen- und Sachregister. 



RImbaulfs Ausgabe der „Parthenia'' 226. 

Rist, Joh., Evangeiienlieder 347. 

Rixter [Risten, RIxtel], Teodoro, Posaunist 

des Herzogs v. Alba 397, 402. 
Rore, Clpriano de, von Zacconi erwähnt 

254 f. — Lautenarrangements 2 Anm. — 

Madrigale 3, 33, 47 Anm. 
Rosenthal, Joh., f 1626 als Organist in 

Wernigerode 331. 
Rossl, L, ,,Orfeo" 53 Anm. 



Salinas, Franc, Organist des Herzogs t. 
Alba 394 f. 

Scarlatti, Dom., Brief an Herzog v. Alba, 
Partitur eines Stückes von du Hotz 
393, 400 ff. 

Scheffler, Dichter geistlicher Lieder 347 f. 

Schildt, Melch., Organist in Kopenhagen 
80, 94. 

Schmeling, Gertr. Ells., Biographische und 
künstlerische Nachrichten über sie, ihre 
Beziehungen zu Rud. Erich Haspe jun. 
und C. Mätthaei 1 00 ff. 

SchnUflfis, Laur. v.. Dichter geistlicher 
Lieder 347. 

Scholasticus, s. Aribo. 

Sdiop, Joh., Violönist in Kopenhagen 76, 94. 

Schröter, Corona, Sängerin in Leipzig, 

' Nebenbuhlerin der Schmeling-Mara 120, 
123: 

Schubert, Franz, Dresdner Musiker, Brief 
an Breitkopf & Härtel über den „Erl- 
könig*' 184 f. 

Schubert, Franz, Beispiele für die Verun- 
zierung seiner Lieder durch Sänger und 
Revisoren 166 ff. 

Schulze, Mme., Mitglied d.Ackermann'schen 
Truppe 111. 

Schumann, Rob., Kritische Behandlung 
seiner Schriften über Musik und Musiker 
durch J.'G. Jansen 355. 

Schutz, Heinr., Kapellmeister in Kopen- 
hagen 82— 93. 

Schwirzung der .Noten bei Zacconi 268. 

Schweher, Christ., Geistliche Lieder 344. 

Schweidnitzer Gesangbuch .347. 

Scrivano, Jo., Frottolen 41. 

Senfl, Ludw., von Zacconi erwähnt 253 — 
Deutsche Lieder 16 ff. 

Silben, musikalische-, Zacconi's und Kep- 
ler's Urtheil über. sie 276. 

Sllesius. Angelus, Geistliche Lieder 346. 

Siivestro dar Fontego, Koloraturen 235. 

Simpson, Christopher, Verzierungen 237. 

Simpson, Thom., Instrumentist in Kopen- 
hagen 78. 



Sommaln [Somayn], Jan de, Tenorist des 
Herzogs v. Alba 398, 401. 

Spee, Geistliche Lieder 346. 

Speier' sehe Gesangbücher 344 f. 

$plnolt,.Jan., K9.pellmitglied des Herzogs 
V. Alba 396, 402. 

Stephanus; Job. sen., Theoretiker -95. • 

Stimmung, natürliche, in modemer 'Vokal- 
musik 418 ff. 

Stiphellus, Laur., Kantor in Naumburg, 
Komponist v. Oden, Hymnen, Liedern,' 

246 f: 

Stolie, Phil., Instrumentist in Kopenhagen 
97. 

Strassburger Gesangbücher 344, 347.- 

Striggio, Aiess., Lauten-Arrangements -2 
Anm. 

Sumburg, Just. Christ, Organist in Werni- 
gerode 314, 326. 

Sweelinck, Koloraturen 236. 

Talavera, Pedro de, Sänger des -Herzogs 
V. Alba 394. 

Tegernsee'er Gesangbuch .344. 

Themar, Joh. Haym. v., s. Haym. 

Theogerus, Theoretiker 229 f. 

Theoretiker, s. Aegidius, Alcuin, Ano- 
nymus, Aribo, Bemelinus, Bemo, 
Boetius, Oarthusiensis,' Gassiodor, Ck>n- 
radus, Cotto,^. Engelbert, Gafurius, 
Glarean, Guido, Hermannus, Hucbald, 
Hugo, Isidor, Kraft, Marchettus, Meur- 
sius, Moravia, Muris, Mus. ench., 
Notker, Oddo, Odineton, Omithoparch, 
Rayn, Begino, Stephanus, Theogerus, 
Tunstede, Vitry, Zacconi^ Zarlino. 

Theorie, s. MusiKtheorie — ihre Abwei- 
chung von der Praxis, s. Praxis. — 
Unterschied von der Praxis nach Zac- 
coni 250 ff. 

Thide, Andr., Hoforganist in Kopenhagen 
69. 

Thurmbiasen in Osnabrück und Kopen- 
hagen 346. 

Tollius [Thollus], Joh., SSnger in Kopen- 
hagen 73. 

TongeffOhi, absolutes 428. 

Tos i, Ornamente 237. 

Tournhout, Jean, Kapellmeister in Brüssel 
399. 

Trehou, Greg., Kapellmeister in Kopen- 
hagen, Nachfolger Borchgrevinck's 65. 

Trierer Gesangbucn 344 f. 

Trilier's Gesangbuch (1555) 343. 

Tromboncino, Bartol., Frottolen 10. 

Tromboncino, Ippol., Lauten-Arrangements 
2 Anm. 



Namen- und Sachregister. 



481 



Tücher, Freih. t., Verdienst um das deut- 
sche Kirchenlied 335. 
Tunstede, Theoretiker 413. 

Ulenberg, Casp., Psalter (1589) 343--345. 
Uirich, Thom., Organist in Wernigerode 
321. 

Vaile, P. della, Urtheil über Palestrina's 
Zeitalter 258. 

Vecchl, Orazio, Madrigale 4 f., 15 Anm., 
46, 48, 52, 58 f. — in Kopenhagen ge- 
schätzt 64, 94. 

Veckenstedt, Paul, Leiter der Kirchen- 
musik in Wernigerode 322. 

Vehe, Mich., erstes katholisches Gesang- 
buch 342—345. 

Venosa, principe da, Madrigale 11, 20, 46. 

Verdelot, Bearbeitung der Madrigale durch 
Willaert 2. 

Verso, Antonio II, Madrigale 52. 

Villanellen, Ihre Erklärung und ästhe- 
tische Bechtfertigung durch Zacconi 
304 ff. 

Vinci, Pietro^ Lauten- Arrangements 2 Anm. 

Vitry, Phii. de, Theoretiker 413. 

Vogl, Mich., Urheber vieler Verunzierungen 
in Schubert's Liedern 167—170. 

Voigtlinder, Gabr., Trompeter in Kopen- 
hagen, Liedersammlung 97. 

Voltaimusilc, moderne, und die natürliche 
Stimmung 418 ff. 

Waciternagel, Phil., Verdienst um das 
deutsche Kirchenlied 335. 

Walasser, Gesangbuch (1574) 344. 

Walther, Chorgesangbuch 352. 

Weckmann, INatth., Organist in Kopen- 
hagen 97 f. 

Weimar, Auftreten der Schmeling-Mara 
126 Anm. 

Wericmeister, Mitglieder der Familie in 
Wernigerode 319. 

Werner, Friedr., Instrumentist in Kopen- 
hagen 97. 

Wernigerode, Kirchenmusik um 1700, 320, 
322 f., 328 ff. — Orgeln daselbst 313, 



321 f., 325 f. — Familie Werkmeister 

319 — Gurrende 320. 
Wert, Giacb. de, Lauten- Arrangements 

2 Anm. — von Zacconi erwähnt 270. 
Weyrauch, Aug. Heinr. v., Komponist des 

Fr. Schubert zugeschriebenen »Voici 

l'instant« 182. 
Wicei, Gesangbuch (1545) 343. 
Wiener Gesangbuch 343 f. 
Willaert, Adr., von Zacconi erwähnt 254 f., 

257 — bearbeitet Verdelot's Madrigale 2. 
Winterfeld, C. v., Verdienst um das deut- 
sche Kirchenlied 335. 
Würzburger Gesangbücher 344 f., 347 f. 

Xaca, s. Jacca. 
Xodemart, s. Chodemart. 

Zacconi, Lodov., Unterschied zwischen 
Theoretiker, Praktiker, Musiker, Sänger 
250, 297 — Urtheü über alte und moderne 
Kunst 252 — alte Stil 254 — neue Stil 
259 — Alter der Musik und ihre Er- 
finder 261 — gebräuchliche Noten- 
gattungen 265 — geschwärzte Noten 
268 — einige schwierige Gänge 269 — 
moderne Gesangskunst 275 — musika- 
lische Silben 276 — Leisesingen 279 — 
Starksingen bei der Mutation 279 — 
äußere Haltung beim Singen 280 — 
innere Grazie, Ausschmücken xlurch 
Accente 282 — Textaussprache 290 — 
Stimmregister 291 — Kadenz im Phry- 
gischen 298 -^ übertriebene Aus- 
zierungen 299 — Villanellen 304 ff. 
— Ornamente 236 f. 

Zahlenverhiltnisse, ihre Bedeutung für 
die Tonempfindungen 242 ff. 

Zahn, Joh., Verdienst um das deutsche 
Kirchenlied 336, 340. 

Zamorensis, s. Aegidius. 

Zangius, NIkol., Beziehungen zu Christian 
IV. 71 Anm. 

Zarlino, von Zacconi erwähnt 254 — Ein- 
fluß als Theoretiker 95. 

Zelso, s. Celso. 



Adressen der Heraasgeber: 

Professor Dr. Spitta, d. Z. geschäftsführender Herausgeber, Berlin, W. Burg, 
Hafenstraße 10; Dr. Friedrich Chrysander, Bergedorf bei Hamburg; Professor 
Dr. Guido Adler, Prag Weinberge, Gelakovskygasse 15. 



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