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Full text of "Vierteljahrsschrift Für Zahnheilkunde. 38.1922"

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THE LIBRARY 

OF THE 



CLASS 3617.605 

BOOK K7 


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VIERTELJAHRSSCHRIPT \ 

FÜR 

ZAHN HEILKUNDE'f 

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SCHR IFTLEITUNG: 

DR. MED. DENT. H. C., DR. MED. H. C. ET PHIL. 

OTTO WALKHOFF 

O. Ö. UNIVERS.- PROFESSOR UND DIREKTOR 
DES ZAHNÄRZTLICHEN LINIVERS.- INSTITUTS IN WURZRURG 

* 

ACHTUNDDREISSIGSTER JAHRGANG 1922 

BEGRÜNDET VON JULIUS WEISS IN WIEN) 

* 

MIT 11 TAFELN 

UND VIELEN ABBILDUNGEN IM TEXT 



BERLIN 

VERLAG VON HERMANN MEUSSER 
19 2 2 


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INHALTSVERZEICHNIS 

* 


ORIGINALARBEITEN 

Seite 

Baiters, W., Der Funktionsabdruck..64 

Balte rs, W., Gelenklose Artikulatoren mit Schlottergelenk oder Artikulatoren mit 

festen Drehpunkten? Ein Beitrag zum Artikulationsproblem.470 

Becker, Erich, Die Mitwirkung des Zahnarztes bei der Radiumbestrahlung bös¬ 
artiger Tumoren in der Mundhöhle und deren Umgebung.459 

B o d 6, Josef, Die Ätiologie der Alveolarpyorrhoe.30 

Brasch, Hugo, Eine röntgenologische Prüfung der konservierenden Behandlung der 

chronischen Periodontitis.369 

Broberg, Ragnar, Beitrag zur Frage über die Behandlung der Alveolarpyorrhoe . 507 
D j e r a s s i, Die Verästelung des apikalen \Vurzelkanals nebst Folgerungen, die sich daraus 

ergeben.29 7 

Fehr, C. U., Eine einfache Methode, am Gritman- oder Bonwill-Artikulator die Ben- 

netsche Transversalbewegung zu berücksichtigen.108 

Feiler, Erich, Die Wahl des Füllungsmaterials.352 

Gott lieb, B., Die Paradentalpyorrhoe der Rattenmolaren.273 

Grawinkel, C. }., Die Fournierkrone.197 

Haderup, Ernst, Universaler Fixationsapparat für lose Zähne 500 

Hauenstein, K., Beiträge zum Kapitel der Zahncysten.337 

Hofer, O., Zwei Fälle von schiefem Biß.332 

Kneschaurek,H., Ein Wort zu den Ansichten über die Pathogenese der Zahnwurzel- 

granulome und Zysten unter Berücksichtigung röntgenolog scher Erfahrungen ... 46 
Köhler, Ludwig, und O. Riechei mann. Der heutige Stand des Artikulations¬ 
problems.148 

Lejeune, Fritz, Bedürfen wir in der Zahnheilkunde historischen Unterrichts? .... 383 

Löffler, C., Über die relative Mundimmunität und die Mundhöhlensepsis.201 

Loos, Anton, Temporäre partielle Facialislähmung nach operativen Eingriffen in der 

Mundhöhle.178 

Müller, E., Nervenleiden und Zahnkrankheiten.445 

Neu mann, R., Beiträge zur dentalen Kieferchirurgie. 1. Kritische Betrachtungen zur 

radikal-chirurgischen Behandlung der sogenannten Alveolar-Pyorrhoe.129 

Ottesen, 1mm., Die akute Zahnwurzelhautentzündung und ihre Behandlung .... 136 
Reinmöller, Matthäus, Über einen Todesfall nach Mandibularis-Anästhesie . -517 

Rosenstein, Paul, Das Schicksal der Zähne nach Wurzelspitzenrcsektion.324 

Rumpel, Carl, Die Ausschaltung der schädlichen Kaudruckkomponenten bei der 

Konstruktion der zahnärztlichen Prothese.374 

Schröder, Hermann, Beitrag zur Behandlung der traumatischen Perforationen . . 292 
Sch uchart, Th., Kritischer Beitrag zur Frage: Welches ist das günstigste Kindes¬ 
alter zur Durchführung einer kieferorthopädischen Behandlung?.187 

Solbrig, Gußverfahren.*.81 









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Seite 

Stitzel, W., Experimentelle und histologische Untersuchungen zur Frage der Total¬ 
exstirpation der Pulpa mit besonderer Berücksichtigung des Verhaltens der peri- 


apikalen Gewebe zum Wurzelkanalinhalr.401 

Steinberg, B., Feste, abnehmbare und bewegliche Brücken.73 

Thieß, Kurt, Ein Beitrag zur Pulpaamputation.513 

T ü r k h e i m, H., Die Ernährung und physikalische Chemie des Schmelzes.486 

W eißenfels,Gustav, Über maligne Adamantiome und zentrale Epithelgeschwülste 

der Kiefer. 55 

Weski, O., 1. Röntgenolrgisch-anatombche Studien aus dem Gebiete der Kieferpatho- 
logie. II. Die chronischen marginalen Entzündungen des Alveolarfortsatzes mit 
besonderer Berücksichtigung der Alveolar-Pyorrhoe,• 2 . Der Zahnfleischsaum .... 1 


* 


BUCHBESPRECHUNGEN 


Seite 

Black, Konservierende Zahnheilkunde.267 

Blessing, Diagnostisch-therapeutisches Vademecum für die zahnärztliche Praxis . . . 113 
Böttner, Das sezernierende Epitheliom (die sogenannte Mischgeschwulst) derMund- 

speicheldrüsen.536 

Eiander, Die Behandlung infizierter Wurzelkanäle. 120 

Feiler, Leitfaden der Wurzelbehandlung.117 

Festschrift zur Feier des 25 jährigen Jubiläums des zahnärztlichen Universitäts-Instituts 

Zürich. 1896—1921 . 123 

Frangenheim, Gesammelte Auszüge der Dissertationen an der medizinischen Fakul¬ 
tät Köln 1921 . 393 

Gra winkel. Die Technik des Goldgusses und seine Anwendung zur Fiersteilung von 

Einlagefüllungen, Kronen, Brücken und Plattenersatz.il 8 

Greve, Diagnostisch-therapeutisches Taschenbuch für Zahnärzte.119 

Jung, Laboratoriumskunde des Zahnarztes. 120 

Koneffke, Rezeptierbuch für Zahnärzte.118 

Krummacher, Grundriß der Physiologie der Zahnheilkunde.392 

Ließ, Die standespolitischen und wirtschaftlichen Grundlagen der zahnärztlichen Praxis 533 

Lipschitz, Diagnostik und Therapie der Pulpakrankh»iten. 120 

Preiswerk, Lehrbuch und Atlas der konservierenden Zahnheilkundt. 121 

Römer, Eine neue Kariestheorie.114 

Simon, Grundzüge einer systematischen Diagnostik der Gebißanomalien. Nebst Dar¬ 
bietung einer neuen Einteilung auf Grund der gnathostatischen Llntersuchungs- 

methoden.387 

- Tylkowski, Disquisitio physica ostenti duorum puerorum quorum unus cum denie 

aureo alter cum capite Gyganteo Vilnae. 534 

&Wal khoff, Lehrbuch der konservierenden Zahnheilkunde.390 



* 

ZEITSCHRIFTENSCHAU 


*£ Seite 

x.Bargetzi, Über leukämische Veränderungen in der Mundhöhle. 394 

^Chactas-Hulin, Experimentelle Studie über Allgemeinerscheinungen ausgehend 

von Zahninfektionen..127 

,, Courtois-Suffit und Bourgeois, Todesfall in Chloräthylnarkose.125 

| Fave, Beitrag zur Über- und Unterzahl im menschlichen Gebiß.398 

Freibusch, Zur Frage der sogenannten Diflfusionsvorgängc im harten Zahngewebe 540 

Furrer, Die Verkalkungszonen bei der Dentinkaries.398 

Geißler, Über Prothesengewichte.269 



860496 




f 

.. 


































Seite 


Gott lieb. Histologische Untersuchung einer geheilten Zahnfraktur . 269 

Gräff, Zur Frage der Lamellen und Büschel des Zahnschmelzes . 538 

Gräff, Die Zahnpulpa bei Allgemeinerkrankungen . 538 

Grünig, Intraorale Veränderungen bei Anaemia progressive perniciosa. 271 

Gysi, Kautschuk «Vulkanisation . 396 

Hauer, Bericht über die Preglsche Jodlösung . 270 

Housset, Die periapikalen Infektionen und ihre Beziehungen zum Allgemeinzustand 

der Kranken . 126 

Loos, Sensibilitätsstörungen im Ausbreitungsgebiet des Nervus mentalis . 270 

Merz, Zur Frage der Verwendbarkeit des Formaldehyds und seiner Polymere in 

der konservierenden Zahnheilkunde .1. 537 

Müller, Über Asepsis in der konservierenden Zahnheilkunde. . . .. 399 

Pohle und Strebinger, Über die Wasserstoffionenkonzentration der menschlichen 

Mundflüssigkeit . 125 

Roh rer. Die bakteriologischen und biologischen Grundlagen für die Verwendung 

von Eukupin in der konservierenden Zahnheilkunde . . 540 

Rosenthal, Klinische Untersuchungen des Gebisses bei Tuberkuloseerkrankungen 271 
Schwarz, Veränderungen im Kiefergelenk der Neu«Caledonier und Loyalty-In« 

sulaner und ihre Bedeutung für die zahnärztliche Prothese und Orthodontie. . . 397 

Staub, Zur Frage der schädigenden Wirkung der Metalle auf Bakterien . 272 

Stern, Multiple weiche Warzen der Mundschleimhaut . 539 

Steurer, Über Beteiligung der Mundschleimhaut des Mundes und der Speiseröhre 

bei Epidermolysis bullöse hereditaria . 539 

Steinkamm, Die Strahlenbehandlung der Aktinomykose, zugleich einige Berner« 

kungen über die Strahlenbehandlung der Tridi. prof . 266 

Türk heim, Untersuchungen über das Empfindungsvermögen des Dentins . 265 

Winzenried, Klinisch«histologische Untersuchungen über die Wirkung von Silber« 

nitrat bei der Behandlung der Milchzahnkaries . 537 

Zilz, Das zahnärztliche Institut der Universität Bern . 394 



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AUS DEM INSTITUT DR. WESKI-BERLIN 


RÖNTGENOLOGISCH-ANATOMISCHE STUDIEN 
AUS DEM GEBIETE DER KIEFERPATHOLOGIE 

VON 

DR. MED. OSKAR WESKI 1 

II. DIE CHRONISCHEN MARGINALEN ENTZÜNDUNGEN 
DES ALVEOLARFORTSATZES MIT BESONDERER BERÜCK¬ 
SICHTIGUNG DER ALVEOLAR-PYORRHOE (erste Fortsetzung) 

2. Der Zahnfleischsaum 

Wir haben im Zahnfleischsaum nicht nur ein einfaches, dem Knochenrand 
aufsitzendes und ihn schützendes Bindegewebspolster zu sehen/ er repräsen¬ 
tiert vielmehr einen entwiddungsgeschichtlich präformierten Anteil der Zahn¬ 
umgebung, nämlich den supracervikalen — oberhalb des Zahnhalses ge¬ 
legenen —’ Abschnitt des Zahnsäckchens. Dieses erfährt im Bereich der Zahn¬ 
krone während der Zahnentwicklung mannigfachen Umbau seiner Textur. 
Zunächst bindegewebig angelegt (Fig. 2, Tafel 4>, umschließt es in späteren 

1 Mitteilung des Herausgebers: Von Herrn Prof. Hopewell-Smith, Philadelphia, 
ist folgendes Schreiben eingelaufen, das seinem Wunsche entsprechend hier Aufnahme fin¬ 
den soll: 

Philadelphia, 19. Dez. 1921. 

Histological Department. 

To the Editor of the ''Vierteljahresschrift für Zahnheilkunde". 

Dear Sir: 

My attention has been directed to a Statement in an article entitles "Die chronischen 
marginalen Entzündungen des Alveolarfortsatzes mit besonderer Berücksichtigung der Al¬ 
veolar-Pyorrhoe" in the Part 1 issue of the Vierteljahresschrift für Zahnheilkunde, 1921 
by Dr. med. Oskar Weski. According to the writer, he claims <page 18) to have 
been the first to deny the existence of the circular "dental ligament" in the alveolo- 
dental periosteum described by Stöhr in "A Text-book of Histology published in 1901. 
n my "Introduction to Dental Anatomy and Physiology: Descriptive and Applied" publish¬ 
ed in 1913, I wrote <page 260>: — "The latter <i. e. the periodontal membrane) is not 
held closely to the gingival and dental tissues by a so-called ligament — the circular den¬ 
tal ligament of Stöhr. In man it is non-existent." Further. ln my "Normal and Patho- 
logical Histology of the Mouth", second edition 1918, I state: — "The gingival porrion 

Vierteljahrsscfcrift für Zahnheilkunde. Heft 1 1 


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Oskar Weski 


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Stadien als Knodienkapsel die Zahnkrone <Fig. 2, Tafel 5, beim 6 Jahr- 
Molarkeim). Vor dem Durchbruch verfällt dann der oberhalb der Kaufläche 
liegende Knochen der Resorption, so daß die Krone in einer rein binde¬ 
gewebigen Hülle sich befindet. Diese schwindet in demselben Maße, als der 
Zahn in die Articulationsreihe emporsteigt in der oralen Randzone. Schlie߬ 
lich bleibt nur der supracervikale Abschnitt des Zahnsäckchens übrig. Die 
schon am retinierten Zahne sichtbare Anordnung seiner Faserzüge — in 
Fig. 3, Tafel 7, links unterhalb von a { sehen wir sie gegen das äußere Schmelz¬ 
epithel hinstrahlen — fügt sich dann dem Organisationsplan des fasrigen pa¬ 
radentalen Haltegerüsts ein durch Ausbildung longitudinaler und zirkulärer 
Gingivalfasern. So kommt es zur Ausbildung eines ringförmigen, den Limbus 
alveolaris saumartig bedeckenden Wulstes. Durch Zusammentreffen zweier 
Saumringe in den Interdentalräumen entsteht die Interdentalpapille. Ihre derbe 
Konsistenz verdankt sie den Fasern des stratum papillare mucosae und des 
stratum gingivale, die, wie bereits beschrieben, zusammenfließen und weiter 
in direktem Zusammenhang mit dem stratum periostale stehen. Es fehlt 
somit, wie überhaupt dem „Zahnfleisch", dem Zahnfleischsaum eine locker 
gefügte Submucosa. 

v. Ebner spricht in der in Fig. 3, Tafel 4 wiedergegebenen Figur die sub¬ 
epitheliale mit L bezeichnete Rundzellenanhäufung als „wirkliches adenoides 
Gewebe" an, „an welchem sich ein Retikulum, dessen Maschen von Lymph- 

of thc periosteum, according to Stöhr, is called thc "annular dentinal ligament" or the 
(igamentum circufare cfentis . This is intircly incorrect, howcver, there arc no tissues specially 
marked off from the others to form even a distinct resemblance to a ligament. No con- 
stricting bands of strong connective tissues fibres exist at the cervical regions of the tceth." 

I have been teaching the above-mentioned fact to dental students during the last nine 
years, and thus was thc first to point out Stöhr's error. 

Kindly insert this letter in your next issue. 

Yours truly 

gez. A. Hopewell-Smith Sc. D., L. R. C. P. M. R. C. S. 

Professor of Dental Hystology and Pathology etc. 

Herr Dr. Weski, dem wir obigen Brief zur Einsicht vorlegten, macht uns darauf auf¬ 
merksam, daß er auf Seite 18 in Nr. 1 dieser Zeitschrift nicht behauptet hat, „to have 
been the first to deny the existence of the circular dental ligament"/ er habe nur er¬ 
wähnt, daß er es bereits 1914 als notwendig bezeichnet habe, die Abgrenzung des Lig. 
circulare vom sonstigen paradentalen Halteapparat fallen zu lassen. Seinem Ersuchen 
gemäß bringen wir noch folgenden Passus seines Briefes an uns zum Abdruck: „Es ist 
naheliegend, daß, wenn Autoren gleiches Material mit gleichem Emst bearbeiten, sie zu 
denselben Anschauungen gelangen. Angesichts dessen erscheinen mir Prioritätsfragen von 
untergeordneter Bedeutung. Hätte ich aber Hopewell-Smiths „Introduction to Dental 
Anatomy and Physiology 1913"' gekannt, so würde ich ihm selbstverständlich die Priorität 
in diesem Punkte zuerkannt haben, was ich hiermit tue. Seine „Normal and pathological 
Histology of the mouth 1918"' ist mir leider auch nicht zugänglich/' 

Wir möchten im Anschluß daran auch an dieser Stelle die vom Verlage Meusser öfters 
gegebene Anregung eines Austausches der für die deutschen Autoren infolge des Valuta¬ 
standes nicht zu beschaffenden ausländischen Fachliteratur gegen die gleiche Qualität und 
Quantität deutscher Zeitschriften und Bücher nochmals wiederholen. Anders sind die deut¬ 
schen Autoren nicht in der Lage, die ausländischen Kollegen in einem ihnen gerecht wer¬ 
denden Umfange zu zitieren. 



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RöntgenologisA-anatomis&e Studien 


3 


zellen erfüllt sind, unterscheiden läßt, in das derbfaserige Bindegewebe ein¬ 
gelagert",• er will es nur „bisweilen" beobachtet haben. Schon dieses ge- 
legentliche Vorkommen spricht gegen das Vorhandensein eines präfomierten 
lymphoiden Organes, wie wir solche an anderen Darmabschnitten — Wal- 
deyerscher Schlundring, Peyersche Haufen — kennen. 

Wie diese fötal, so müßte das „wirkliche adenoide Gewebe" des Zahn- 
fleischsaumes bereits vor dem Durchbruch angelegt sein. Ich habe es aber an 
entsprechenden Präparaten, z. B. dem 6-Jahr-MoIarkeim Fig. 2, Tafel 5 oder 
am retinierten Eckzahn Fig. 3, Tafel 7, ebensowenig nach weisen können, wie 
es auch an eben durchgebrochenen Zähnen nicht vorhanden ist. Auch fehlt 
im Ebnerschen Bilde der für Solitärfollikel — und um solche müßte es sich 
doch handeln — typische Bau: rundliche Form, Keimzentrum und zarte 
Kapsel. Das Retikulum, das v. Ebner gesehen hat, dürfte wohl mit Resten 
fibrillärer Interzellularsubstanz identisch sein, die in ihrer Hauptmasse unter 
der Einwirkung eines chronischen Entzündungsreizes zugrunde gegangen ist 
<s. Fig. 1 und 3, Tafel 9 und bes. Fig. 3, Tafel 12>. 

Die vorhandene Rundzellenanhäufung ist daher nicht „wirkliches adenoides 
Gewebe", sondern eine entzündliche Gewebsreaktion. Trotzdem stehe ich 
nicht an, sie als eine normale Erscheinung zu bezeichnen, deswegen, weil der 
sie verursachende Reiz — die Bakterien der Mundhöhle — an dieser Stelle 
nicht fortzudenken ist. Es kann daher keinen Zahnfleischsaum eines längere 
Zeit durchgebrochenen Zahnes geben, dessen subepitheliales Gewebe nicht 
Rundzelleninfiltration aufwiese. 

Dafür daß der Zahnfleischsaum einen entwicklungsgeschichtlich vorgebildeten 
Organabschnitt — im Rahmen des Gesamtparadentiums — darstellt, scheinen 
mir die an ihm gelegentlich zu beobachtenden, nur durch Erbanlage zu er¬ 
klärenden geschwulstartigen Hyperplasien zu sprechen. In Fig. 1, Tafel 4 
habe ich die mächtig entwickelte labiale Partie des Zahnfleischsaumes eines 
Falles von Elephantiasis gingivae hereditaria von einem 18Jährigen 
stammend abgebildet. Die Erblichkeit dieser gutartigen Neubildung — bis 
zu welchen elefantiastischen Wucherungen es dabei kommen kann, zeigen die 
Fig. 3, 4, 5, 6 und 7 in der Arbeit meines Bruders, Dr. med. dent. Hans 
Weski (Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde 1920, Heft 12> — ver¬ 
rät ohne weiteres, daß hier eine in der Erbsubstanz des „Organes" be¬ 
gründete Anomalie vorliegt. Im gleichen Sinne zu bewerten sind wohl auch 
die symmetrischen Fibrome des harten Gaumens, wie sie Williger be¬ 
schrieben hat. Ich bilde ein solches in Fig. 1, Tafel 42 ab. Wie hier den 
Weisheitszahn überragte der stark gewulstete Zahnfleischsaum auch die 
anderen Molaren auf beiden Kieferhälften. 

Die nach dem Zahn sehende Seite des Zahnfleischsaumes ist von einem 
niedrigen, nach der Schmelzzementgrenze allmählich schmächtiger werdenden 
Pflasterepithel bekleidet <s. Fig. 3, Tafel 9>. Ich bezeichne es in der Folge 
als inneres Saumepithel (Innenepithel) oder primäres Saumepithel. 
Es grenzt glatt gegen seine bindegewebige Unterlage, da der Mukosa hier 
die Papillen fehlen. Das basale Epithelende liegt in gleicher Höhe mit dem 

1 * 


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Oskar Wcski 


Schmelzende und schiebt sich dort, wo das Zement in Form eines Limbus 
den Schmelz überragt, zwischen beide hinein. Der Übergang des äußeren 
Mundepithels, das ich, soweit es den Zahnfleischsaum deckt, als äußeres 
Saumepithel bezeichne, zum inneren Saumepithel ist ein allmählicher <s. 
Fig. 1, Tafel 4>. Wo wie in Fig. 3, Tafel 9 äußeres und inneres Saumepithel 
scharf gegeneinander abgegrenzt erscheinen, haben wir die in Kapitel I er- 
wähnte Gewebsschrumpfung dafür verantwortlich zu machen. Dem äußeren 
Saumepithel ist eine aktive, sonst nur unter pathologischen Bedingungen — 
bei der Karzinombildung — zu beobachtende Proliferationsfähigkeit eigen 
<s. Fig. 1, Tafel 4>. Das paradentale Epithel ist daher unter bestimmten pa¬ 
thologischen Bedingungen befähigt, den ihm normalerweise stets von seiten 
des Bindegewebes entgegengesetzten Widerstand zu überwinden, wodurch 
gewisse, die marginalen Entzündungen charakterisierende Verhältnisse ge¬ 
schaffen werden, mit denen wir uns später zu beschäftigen haben. Das innere 
Saumepithel liegt dem Zahnkörper dicht an und umschließt ihn wie ein 
elastisches Gummiband. Abgesehen davon, daß die Blutfülle der Zahnfleisch¬ 
papillen, unterstützt durch die Wirkung der straffen zirkulären Gingivalfasern, 
das Epithel fest gegen den Schmelz preßt — auch die basale Epithelschicht 
weist als Ausdruck dessen stark abgeplattete Zellen auf — besteht zwischen 
dem inneren Saumepithel und dem Schmelz ein innigeres Verhältnis als ein 
topographisches Nebeneinander: sie sind fest miteinander verbunden 
durch die Kronencuticula <s. Textfig. 9 und 10>. Es liegt hier also keine 
freie Epitheloberfläche vor, wie am äußeren Saumepithel. Als Kronencuti¬ 
cula bezeichne ich das anatomische Substrat des allgemein als „Schmelz¬ 
oberhäutchen" bezeichneten Gebildes. 

Da ihr Verhalten das Gesamtbild des Epithels im supraalveolären Para- 
dentium entscheidend bestimmt, so muß ich mich mit dem Schmelzoberhäut¬ 
chen näher beschäftigen, indem ich gleichzeitig auf die diesbezüglichen Unter¬ 
suchungen Gottliebs <G. III und „Ätiologie und Prophylaxe der Zahn- 
karies", Zeitschr. f. Stomat. 1921, Heft 3, G. IV> eingehe. 

Das Schmelzoberhäutchen wird in der zahnärztlichen Literatur „offiziell" 
unter Berufung auf Köllicker und Ebner mit dem Cuticularsaum der 
Ameloblasten identifiziert, d. h. mit jenem feinen nach dem Schmelz zu 
sehenden Protoplasmasaum, welcher, bereits während der Schmelzbildung 
entstanden, nach dessen Fertigstellung und nach Schwund der Ameloblasten 
übrigbleibt. Ebner bezeichnet das Schmelzoberhäutchen als eine „horn¬ 
artige, homogene" und „verkalkte" Membran. Nach einer andern auf 
Waldeyer zurückzuführenden Auffassung, der sich verschiedene namhafte 
Autoren angeschlossen haben, stellt die „Cuticula dentis" ein vom äußeren 
Schmelzepithel geliefertes Hornhäutchen dar, das keine Verkalkung erfährt. 
Das Resultat der Gottlieb sehen Untersuchungen über die Cuticula drückt 
sich in dem Satze aus <G. III): „Es stellt. . . normalerweise das ASE" ~ 
äußere Schmelzepithel — „durch Verhornung seiner oberflächlichen Schichten 
ein sekundäres' SOH" — Schmelzoberhäutchen — „bei, das zusammen 
mit dem ,primären', gebildet von den Ameloblasten, das SOH der Autoren 


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Röntgenologisdi-anatomiscbe Studien 


5 


darstellt." Gottlieb gelangt also zu einem Kompromißstandpunkt zwischen 
der Köllicker^Ebnerschen Auffassung einer^ und der Waldeyers 
andererseits. 

Ich kann die von Gott lieb gegebene Interpretierung nicht anerkennen, 
wenngleich ich seine Untersuchungsresultate in der Hauptsache bestätigt finde, 
sondern gelange auf Grund meines mikroskopischen Materials zu folgender 
Vorstellung: 

Daß die von den einzelnen Ameloblastenzellen gegenüber dem Schmelz 
produzierten Cuticularsäume im Sinne Ebners <Scheffs Handbuch 1909) 
zu einem „festen gleichmäßigen" Häutchen werden, „indem zuletzt die Zelle 
keine Tomesschen Fortsätze bzw. kein Prisma mehr bildet, sondern an ihrer 
ganzen inneren Endfläche gleichmäßig kutikularisiert", erscheint mir außer 
Frage. Gewissermaßen als Testobjekt für die Identifizierung dieses so ent^ 
standenen „Schmelzoberhäutchens" können uns die im Schnitt zapfen^ oder 


. Textfig. 1 

a b 



Mikrophotogramm eines ScbmelzsdiliflFs in H 2 0. a Luftblase/ b den Schmelz durchsetzende 
Lamellen,* unterhalb der Luftblasen zwei andere Streifen,* einerreicht in der Schliftebene nicht 
bis zu der durdi die dunkle Randpartie dargestellten durch Bakterienauflagerungen ver¬ 
dickten Cuticula. 

kolbenartig erscheinenden Insertionsstellen der Schmelzlamellen an der 
Cuticula bzw. die sich in ihr verankernden, den Schmelzraum durchziehenden 
Lamellen selbst dienen. Diese in den gebräuchlichsten Hand^ und Lehr^ 
büchern (Fischer, Port^Euler, Scheff, Wetzel) eigentümlicherweise 
völlig vernachlässigten protoplasmatischen Bänder sind durch Bödecker, 
Miller, sowie vor allem durch Morgensterns Arbeiten schon lange bekannt 
gegeben und neuerdings von Gottlieb in den Kreis des Interesses gezogen 
worden. Ich bilde sie in den Textfig. 1 ^—12 ab. 

In dem Schmelz noch nicht durchgebrochener Zähne, soweit er durch die 
Entkalkung nicht völlig geschwunden ist, heben sich die Schmelzlamellen zu^ 
weilen durch stärkere Imbibition mit Kernfarben besonders an ihrem nach 
den Schmelzzellen sehenden Ende ab,* stets tritt jedoch ihre Insertionsstelle 
an der Ameloblastencuticula als eine kolben- oder zapfenartige Verdickung 
deutlich hervor (Textfig. 6>. 

Wo wir diesen „Lamellenzapfen", wie ich sie der Kürze halber nennen 
will, daher in Schnittpräparaten bereits durchgebrochener Zähne begegnen. 


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6 


Oskar Weski 


Die Textfiguren 2, 3, 4 und 5 stellen Mikrophotogramme des in Textfig. 1 dargestellten 
Schliffes während der Entkalkung dar. a C0 2 -Blasen. b Streifen im Schmelz. c Schmelz. <1 von 
der Entkalkung noch nicht angegriffenes Dentin, e Schmelzlamelle. / Kronencuticula, y bereits 
entkalktes Dentin. /? organische Schmelzreste, i Inscrtionsstclle des Schmelzbandes im Dentin. 


Textfig. 2 

a 


/ / • 

' _> 



b d 


I. Phase der Entkalkung. Durch die Gas¬ 
blasenentwickelung wird die Cuticula hin 
und her geworfen/ daher ihre verschiedene 
Lage in den 3 Bildern. 


Textfig. 4 



g i d 

III. Phase der Entkalkung. Der Schmelz ist 
bis auf seine organischen Reste </?) ge¬ 
schwunden. e x ist die in den Fig. 2 und 3 
dargestellte Lamelle. Eine zweite (e 2 > hat den 
Kontakt mit der durch die C0 2 -Blasen 
emporgerissenen Cuticula verloren / man sieht 
an der Cuticula noch die Insertionsstelle. 


Textfig. 3 


«p 

f 



h d c 


II. Phase der Entkalkung, man beachte, daß 
die Schmelzlamelle <e) weiter aus dem gleich¬ 
zeitig mehr geschwundenen Schmelz (c) her¬ 
ausragt als in Fig. 2. Die Cuticula zeigt 
sich von der Seite, die Dicke des Schliffes dar¬ 
stellend,- ebenso erscheint die Insertionsstelle 
des Schmelzbandes. 


Textfig. 5 



b 


Die Stelle i aus Fig. 4 stärker vergrößert. 
a die Schmelzlamelle ragt in das Dentin < b > 
hinein, c organischer Schmelzrest. Da das 
Mikrophotogramm an dem in HN0 3 befind¬ 
lichen Schliff gemacht wurde, so gibt die starke 
Vergrößerung nur ein unscharfes Bild. 


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Röntgenologisch-anatomische Studien 


/ 


sind sie ein Beweis dafür, daß das ihnen anliegende Cuticulargebilde die 
Ameloblastencuticula ist. 

Nach Schwund der Ameloblasten und Verschmelzung der Reste der 
Schmelzpulpa mit dem äußeren Schmelzepithel zum „vereinigten Schmelz^ 
epithel" <Fischer> sehen wir mit letzterem die Ameloblastencuticula in 
innigstem Kontakt stehen <s. Textfig. 7>. 

Gottlieb <G. III) bezeichnet „die Verbindung zwischen SOH und ASE 
als eine organische.'' Das überaus dünne „vereinigte Schmelzepithel" soll 
nach demselben Autor <G. II) sich kurz vor dem Durchbruch in seinem Bau 
„seiner ursprünglichen Matrix, dem Mundepithel . . . wieder genähert" haben, 

Textfig. 6 


/ 

\ 

\ 



s d 


Schmelzkeim einer 6 Jahrmolaranlage, entnommen einem wegen Sarcom exartikulierten Unter¬ 
kiefer eines Dreijährigen. Haem. v. Gies. 210: 1. a Ameloblasten, b Ameloblastencuticula, 
c Lamellenzapfen, d Schmelzprismenreste, e vereinigtes Schmelzepithel, / Gefäßzone des 
Zahnsäckchens, g leerer Schmelzraum. (Zeichnung.) 

d. h. ein typisches Pflasterepithel mit verhornter Oberfläche geworden sein. 
Ich kann diese Angaben nicht bestätigen, soweit es sich um das Schmelz^ 
epithel gegenüber der Zahnspitze handelt. Ich fand vielmehr selbst an Zähnen, 
die —■ nach der Entfernung ihrer Spitze zur Schleimhaut zu urteilen — noch 
näher dem Durchbruch standen als der in Gottliebs Arbeit <G. II, Fig. 1 u. 2> 
abgebildete Zahn hier stets das Epithel sehr stark verjüngt, wie es in Text- 
hgur 7 abgebildet ist. Erst an den abhängigen Partien der Zahnkrone weist 
es eine größere Mehrschichtigkeit und Annäherung an den Typ des Pflaster^ 
epithels auf und ist hier außen von soliden Zeilsprossen besetzt,- „Verhornung" 
habe ich jedoch am noch nicht durchgebrochenen Zahne nie beobachten können. 
Die stark verdünnte Epithelpartie gerade im Durchbruchsbereich verfällt nach 
dem Anschluß an das Mundepithel, wie von Fischer beschrieben, zusammen 


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Original fro-m 

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8 


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Textfig. 7 



Aus einem Tangentialschnitt durch den 2. oberen kurz vor dem Durchbruch stehenden Prä- 
molaren eines Zehnjährigen (Kiefer 252 von Zahnarzt Ove Lund, Kopenhagen). Die abge¬ 
bildete Stelle liegt oberhalb eines Kronenhöckers Haem. v. Gies. 210:1. a „vereinigtes 
Schmelzepithel", b Ameloblastencuticula, c Lamellenzapfen, d Bindegewebe des Zahnsäck¬ 
chens, e leerer Schmelzraum. (Zeichnung.) 


s 


/r 


a 


Textfig. 8 

b 



\ 1 

\ 

c 


Radialschnitt durch den 6 Jahrmolaren eines Zehnjährigen. (Kiefer 252 von Zahnarzt Ove 
Lund, Kopenhagen.) Palatinaler Epithelansatz. Haem. v. Gies 210 : 1. (/^Dentin, b Fibrillen¬ 
zement, in einen scharfkantigen Limbus auslaufend, c Schmelzreste, d subepitheliales Binde¬ 
gewebe, e inneres Saumepithel, / Ameloblastencuticula. g Schmelzlamelle, den leeren Schmelz- 
raum h durchziehend und im Dentin verankert, i Lamellenzapfen. (Zeichnung.) 


Go igle 


Original frorn j 

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9 


Textfig. 9 Textfig. 10 


a 



e d 


Horizontalschnitt eines mittleren Schneide- 
zahnes (Kiefer 67) auf der Höhe des inneren 
Saumepithels. Eisenhämatoxylin van Gieson 
80:1. a inneres Saumepithel, b der durch 
Entkalkung leere Schmelzraum, c Schmelz¬ 
lamelle — straff gespannt, d Dentin, e Inser¬ 
tionsstelle des Schmelzbandes im Dentin. 



Die Schmelzlamelle aus Fig. 22 stärker ver¬ 
größert 210:1. a Cuticula, in die dem Epi¬ 
thel dicht anliegende Ameloblastencuticula 
kontinuierlich übergehend, b Epithelzelle des 
Saumepithels in der „Schmelzpore", c Schmelz¬ 
lamelle. d Insertionsstellc des Schmelzbandes. 


Textfig. 11 

Horizontalschnitt aus derselben Serie auf 
der Höhe des Taschengrundes. Haem. v. 

Gies. 50:1. a Ameloblastencuticula mit ihr 
anhaftenden Epithelzellen, b die strukturlose 
Cuticula von der Fläche gesehen, c die plas¬ 
matische Schmelzlamelle wellig verlaufend 
infolge Einsenkung der Cuticula nach der 
Schmelzentkalkung. Die dunklere Färbung, 
die das Schmelzband zeigt, rührt, wie aus 
einem gramgefärbten Schnitt ersichtlich, von Bakterien her,* sie lassen sich bis weit in das 
Dentin verfolgen. Man beachte den an einer Verankerungsstelle des Schmelzbandes hervor¬ 
tretenden Dentinspalt, der auch an analogen Stellen nicht infizierter Schmelzbänder sichtbar, 

also präformiert ist. 



Horizontalschnitt aus derselben 
Serie oralwärts desTaschengrundes. 
Haem. v. Gies. 50:1. a Amelo¬ 
blastencuticula, b abgestoßene 
Epithelien, c Detritus (Zahnbelag), 
d Dentin. 


Textfig. 12 


c b a c b 



d 


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10 


Oskar Weski 


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mit dem entsprechenden Anteil seiner bindegewebigen Unterlage dem 
Schwunde. Nach Durchstoßung der letzten trennenden Gewebsschicht be- 
steht nun nicht, wie Ebner annimmt, zwischen Epithel und Schmelz ein 
feiner Spalt/ das vereinigte Schmelzepithel bleibt vielmehr mit der gleich¬ 
zeitig am Schmelz haftenden Ameloblastencuticula verbunden und wird 
gegenüber den Seitenflächen der Krone, soweit es vorher sich verdickt hatte, 
zum inneren Saumepithel. Jetzt „muß sich das primäre SOH für das Bei¬ 
behalten der Verbindung nach der einen oder andern Seite entscheiden" 
<G. III>. Diese Situation löst sich so, daß es zu einem Riß im Verbände des 
Epithels kommt, indem die Hauptmasse der Zellen mit der Basalschicht im 
Zusammenhang bleibt, eine oder mehrere oberflächliche Zellagen dagegen 
ihre Kontinuität mit der Cuticula bewahren. Die damit etablierte Zahn¬ 
fleischtasche stellt somit einen intraepithelialen Spalt, eine reterocuticular 
gelegene Epithelfissur dar,* soweit sie besteht, wird das Saumepithel zum 
Taschenepithel. Mit fortschreitendem Emporsteigen des Zahnes vertieft 
sich der epitheliale Riß, bis er nach beendeter Einstellung des Zahnes in die 
Articulationsreihe die normale Tiefe von 1,5 mm erreicht. Der Taschen¬ 
boden ist durch den jeweilig tiefsten Punkt der Epithelfissur gekennzeichnet. 
Nach beendetem Durchbruch läßt sich an Längsschnitten auf der Oberfläche 
des inneren Saumepithels die Ameloblastencuticula als das 1 /c dicke Häut¬ 
chen verfolgen <s. Textfig. 8>, als welches es von Köllicker und Ebner 
beschrieben wurde. 

Es endet gleichzeitig mit dem Epithel am basalen Schmelzrand, indem es 
in den Spalt zwischen Zementlimbus und Dentin hineinragt. Von einem 
„sekundären SOH" ist hier ebensowenig etwas zu sehen wie im folgenden 
Präparat (Textfig. 9 und 10>. 

Hier läßt sich das alleinige Vorhandensein nur einer Cuticula, und zwar 
der Ameloblastencuticula dadurch einwandfrei beweisen, daß die „Schmelz¬ 
pore", die sich nach dem Saumepithel öffnet, von einer Epithelzelle aus¬ 
gefüllt ist,- gleichzeitig läßt sich eine Fortsetzung der Cuticula beiderseits 
die Schmelzpore begrenzend, von der Epitheloberfläche auf die Schmelz¬ 
lamelle verfolgen. Im Mikrophotogramm tritt sie nur bei a hervor/ im 
Schnitt jedoch ist sie auch auf der gegenüberliegenden Seite deutlich fest¬ 
zustellen. 

Unter bestimmten Bedingungen, die uns später beschäftigen werden, ver¬ 
läßt das Epithel den Ort seines basalen Endes, nachdem es vorher an Dicke 
zugenommen hat, und wuchert apikalwärts auf das Zement hinauf <Fig. 1, 
Tafel 46). Dabei läßt sich zuweilen, doch nicht konstant, eine homo¬ 
gene 4—6 ja dicke Cuticula auf der Oberfläche des Saumepithels beobachten, 
die sich im Bereich der Krone mit der Ameloblastencuticula so innig ver¬ 
bindet, daß sich ein Nebeneinander beider nicht feststellen läßt,- wenigstens 
ist es mir — im Gegensatz zu Gottlieb <G. IV> — trotz eifrigen Durch- 
suchens meiner Präparate, diesen Befund zu erheben nicht gelungen. Dort, 
wo es zur Entwicklung einer solchen „Epithelcuticula", die nichts anderes 
ist als Gottliebs „sekundäres" SOH, kommt, geht sie im gegebenen Mo- 



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11 


ment kontinuierlich vom Schmelz auf das Zement über <s. Fig. 4, Tafel 12 
und Tafel 47). ln der genannten Dicke ist sie jedoch stets nur für eine 
kurze Strecke nachweisbar. Am basalen am weitesten apikalwärts sehenden 
Epithel ist sie nie vorhanden,- hier grenzen die Epithelzellen stets direkt 
an die Hartsubstanz,- oralwärts hört die Epithelcuticula nach kurzem Ver¬ 
lauf plötzlich wie mit einem Messer abgeschnitten auf <s. Textfig. 13 bei x). 
Sie läßt sich hier in geringem Umfang in verjüngtem Zustand noch weiter 


Textfig. 13 



'9 

i 


Die Cuticula aus Kiefer 77 identisch mit der 
auf Tafel 47 wiedergegebenen bunten Zeich¬ 
nung (Spiegelbild dazu), a verdickte Epithel¬ 
cuticula im Bereich des in vivo anhaftenden 
Saumepithels, das hier infolge Gewebs- 
Schrumpfung nur in seiner oberflächlichsten 
Schicht haften geblieben ist. b künstlicher 
Spalt, c Fortsetzung der verjüngten Epithel- 
cuticula mit anhaftenden Epithelzellen, unter¬ 
halb c ist nur die Ameloblastencuticula sicht¬ 
bar. Man beachte den glasartigen Bruch der 
Epithelcuticula oberhalb a <s. auch Fig. 2, 
Tafel 46). 


oralwärts verfolgen, um dann ganz zu 
verschwinden. An anderen Stellen, wo 
sich der eben geschilderte Prozeß nicht an 
der Schmelzzementgrenze,sondern tiefer 
auf dem Zement selbst abspielt, schmilzt 
die Epithelcuticula schließlich zu einem 
gleichfalls 1 y. dicken Häutchen zusam¬ 
men, sobald sie von der Tasche erreicht 
wird. Erfährt unter pathologischen Be¬ 
dingungen das Saumepithel eine starke 



Horizontalschnitt aus der in den Textfiguren 
9—12 dargestellten Serie auf der Höhe der 
Schmelz-Zement-Grenze,- ein anderer Sek¬ 
tor der Zahnperipherie, in dem eine Taschen¬ 
vertiefung vorliegt. Haem. v. Gies. 50:1. 
a apikalwärts zwischen das Zement b x und b 2 
herunterreichender Schmelz mitAmeloblasten- 
Kronencuticula. c Dentin, (i Zahnstein¬ 
cuticula, plötzlich endend, e älterer Zahn¬ 
belag. / zelliger Detritus, g jüngerer Zahn¬ 
belag. h Epithel-Zementcuticula. 


h 


Rarefizierung <s. Fig. 2, Tafel 48), so erhält sich die Epithelcuticula trotzdem, 
da unterhalb des Taschenbodens gelegen, in der ursprünglichen Dicke. Inner¬ 
halb der Tasche dagegen reduziert sie sich zu dem 1 y. dideen Häutchen, das 
nunmehr neben dem Zement ebenso verläuft wie die Ameloblastencuticula am 
Schmelz <s. Textfig. 16 und Fig. 1, Tafel 23 bei g x ). Interessant ist der durch 
die Textfig. 14 und 15 dargestellte Befund. Wir befinden uns hier auf der 
Höhe der Schmelzzementgrenze bereits innerhalb der Tasche. Dabei besteht 
eine so innige Verschmelzung der Ameloblasten- mit der Epithelcuticula, daß 


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der kontinuierende Übergang der Kronen** in die Zementcuticula klar 
zutage liegt. 

Von besonderem Interesse ist an der hier abgebildeten Stelle der Nach¬ 
weis einer direkt vom Zement auf den Zahnstein sich fortsetzenden Epithel¬ 
cuticula, wie ihn auch die Textfig. 17 im Kronenbereich zeigt. 

Aus dem bisher skizzierten Verhalten des supraalveolären Epithels und 
der beiden Cuticulae läßt sich ohne weiteres das Bemühen des Organismus 
erkennen, das Aufkommen eines Spaltes zwischen Epithel und Hartsubstanz 
zu vermeiden. Diese Notwendigkeit ist gegeben durch die Tatsache, daß 
um den Zahn herum ein Epitheldefekt besteht. Fischer und Gottlieb 

Textfig. 15 

C. dg 



b a 


Die Stelle b x —a — e der Textfig. 14, Vergrößerung 250 : 1. a leerer Schmelzraum, entsprechend 
dem an dieser Stelle dünnen Schmelz nur von geringem Durchmesser, b kurze Schmelzlamelle, 
Cj Ameloblasten-Kronencuticula, r 2 dieselbe in dem Spalt zwischen Zementlimbus und 
Dentin hineinreichend, d EpitheUZementcuticula, c Epithel-Zahnsteincuticula, / älterer 
Zahnbelag, y jüngerer Zahnbelag, h Dentin, f Fibrillenzement. (Zeichnung.) 

<G. II) nehmen zwar an, daß beim Durchbruch des Mesenchyms durch die 
Hertwigsche Epithelscheide im Wurzelumfange das äußere Schmelzepithel 
an der Schmelzzementgrenze in das innere Schmelzepithel übergeht und so 
,,der intakte epitheliale Überzug des Organismus für keinen Augenblick eine 
Kontinuitätstrennung erfahren" hat <G. II). Das ist jedoch nicht der Fall,- 
sondern an der Durchbrechungsstelle <G. II, Fig. 36 x > enden beide Epithel¬ 
schichten blind, während trotz ihrer Zersprengung zu den Malassezschen 
Resten <G. II, Fig. 3 u. 4 E J) die Umschlagstelle beider Schmelzepithelien 
am apikalen Ende der HES <G. II, Fig. 4) deutlich erhalten bleibt. De facto 
haben wir also um den Zahn herum auf der Höhe der Schmelzzementgrenze 
ein Epithelloch vor uns, also sozusagen eine physiologische Wunde,- 


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—Original frum— • 

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13 


Epithel grenzt direkt an Hartsubstanz. 
Textfig. 16 



Die Stelle h aus Textfig.14.150: 1. a Dentin, b Fi¬ 
brillenzement. c Zementcuticula, d Zahnbelag. 


Textfig. 17 


k 


»—i 


fraglos ein Unikum im Tierkörper. Gleichzeitig besteht ein zweites sonst 
nicht zu beobachtendes Faktum: 

Diesem Phänomen sehen sich zu- 
erst die Ameloblasten nach Aus- 
bildung der ersten Schmelzlage 
gegenüber und beantworten es 
durch Bereitstellung ihres Cuticu- 
larsaumes, dem im Verlauf seiner 
Existenz verschiedene Aufgaben 
zufallen. Zunächst, während der 
Schmelzbildung befördert der Cuti- 
cularsaum als permeable Membran 
die Osmose und übt, wofern wir 

im Sinne der Mineralisation Andresens eine posteruptive Härtung des 
Schmelzes annehmen wollen, diese Funktion auch nach erfolgtem Durchbruch 
aus. Am fertigen Zahn stellt das nunmehrige Schmelzoberhäutchen vermöge 
seiner Widerstandsfähigkeit gegen bakterielle An- 
griffe und Säuren einen Schutz gegen die Insulten 
der Außenwelt dar. Drittens ist sie eine ideale 
Kittsubstanz zwischen Schmelz und Epithel und 
verhindert durch ihre starke Adhärenz zum Saum- 
epithel ein Bloßliegen des Körperinnern an dieser 
de facto nicht epithelbedeckten Körperstelle. Diese 
Schutzfunktion ist durch die Ameloblastencuticula 
allein so lange gewährleistet, als die Zahnfleisch^ 
tasche ihre normale Tiefe von 1,5 mm zeigt und 
das Saumepithel an der Schmelzzementgrenze endet. 

Sobald jedoch eine derartige Taschenvertiefung ein- 
tritt, daß die Epithelfissur bis zur derzeitigen 
Epithelbasis herunterzureichen droht und die Ge- 
fahr eines Bloßliegens des Bindegewebes naherückt, 
wuchert das Saumepithel den Zahnkörper stets band- 

1 * Ul L>pilllU 1111 VUL/dlHH Ulli 

artig umfassend apikalwärts auf das Zement. Dabei <j e m Bindegewebe. a 2 Epithel 
bekunden die Zellen eine auffallende Adhärenz an der Cuticula haftend von a x 
zur Hartsubstanz, auch daraus erkenntlich, daß abgelöst b Epithelcuticula 

bei der unvermeidlichen präparativen Schrumpfung \ 1 .' Zahnsteincuticula. < 3 
4 , v , . . f 1 n o f die iahnsteincuticula hört im 

der Weichteilgewebe es eher zu einem Riß in der 2ahnbeIag auf. d hier nicht 

Epitheldecke, als zu einer glatten Abhebung der differenzierbare aber im Prä- 
Epitheloberfläche vom Zement kommt. Man sieht parat erkennbare Amelobla- 
in solchen Fällen stets mehr oder weniger große sten-Kronencuticula. 
Epithelpartien dem Zement anhängen. Dort, wo 

es zur Ausbildung einer Epithelcuticula kommt, imponiert sie als eine das 
Epithel mit dem Zahne verbindende Kittsubstanz. Sie ist aber nicht immer 
als unterbrochene Membran vorhanden,- sie hört an einzelnen Stellen plötz¬ 
lich auf, um nach kurzer Unterbrechung sich fortzusetzen. Zuweilen erfolgt 


-—. a, 


^ a . 


d - - 





Aus Fig. 3, Tafel 9, 180: 1. 
Epithel im Verbände mit 


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Gck igle 


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14 


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ihre Ausbildung nicht als ein gleichmäßig dickes Häutchen, sondern in rund¬ 
lichen, bald größeren bald kleineren Kugeln und Schollen, welche der Membran 
aufgelagert sind. Im Schmelzbereich, wo sie der Ameloblastencuticula mit ihr 
immer völlig verschmelzend dicht aufliegt, dringt die Cuticularsubstanz in 
die oben erwähnten Insertionsstellen der Schmelzlämellen ein und füllt, wie im 
oben abgebildeten Falle die Zelle es tat, die Schmelzporen aus. 

Die Hpithelcuticula zeigt ebenso wie die Ameloblastencuticula stets 
ein homogenes glasartiges Aussehen. Nirgends ist in ihr eine Struktur er¬ 
kenntlich, selbst dort nicht, wo sie in größeren Klumpen produziert wird. 
Im reinen Hämatoxylinpräparat erscheint die Cuticula ungefärbt, bei 
Eosintinktion je nach der Differenzierung gelblich bis rot. Durch das van- 
Gieson-Gemisch wird sie bald gelblich, bald leuchtend rot zur Darstellung 
gebracht. 

Von den für Horn charakteristischen Färbemethoden habe ich Gram, 
Mallory und Thionin zur Anwendung gebracht. Im reinen Grampräparat 
zeigt die Epithelcuticula, während die positiven Bakterien dunkelblau 
erscheinen, niemals die für Horn charakteristische Blaufärbung, sondern kon¬ 
stant im Sinne einer Metachromasie einen roten Farbenton. Im Mallory- 
gemisch läßt sie die zu erwartende leuchtend rote Farbe vermissen und 
erscheint gelblich, während bei Thioninfärbung die für Horn typische Meta¬ 
chromasie stets ausbleibt. 

Mit Rücksicht darauf kann ich mich der Auffassung Gottliebs, daß es sich 
um fertige Hornsubstanz handelt, nicht anschließen. „Horn" ist letzten Endes 
ja nur der Ausdruck für ein epitheliales Protoplasmaprodukt, dessen nähere 
Konstitution wir nicht kennen. Auch die völlig homogene Struktur, die die 
Cuticula stets zeigt, ihr glasartiges Zerbrechen — wie es Gottlieb in seiner 
Arbeit G. IV abbildet — <siehe auch Fig. 2, Tafel 46>, ruft in mir den Ein¬ 
druck hervor, daß es sich nicht um eine Umwandlung der oberflächlichen 
Zellagen wie bei der Epidermis, sondern um eine cuticulare Ausscheidung 
der Zellen handelt, wie wir sie in der Wurzelscheide der Haare ja auch 
kennen. Angesichts der Tatsache jedoch, daß sie zweifelsohne von epider- 
moidalem Epithel abstammt, müssen wir die Epithelcuticula in immerhin 
nahe Beziehung zu Hornsubstanzen bringen. 

Gegenüber den Bakterien verhalten sich die Ameloblasten- und die Epithel¬ 
cuticula ganz verschieden. Die Epithelcuticula geht nämlich unter dem Ein¬ 
fluß der Bakterien, wie in Fig. 2, Tafel 14 ersichtlich, leicht zugrunde und 
ist jedenfalls nicht von der gleichen Konsistenz und Widerstandskraft den 
äußerlichen Schädlichkeiten gegenüber, wie sie der Ameloblastencuticula 
eigen ist. Ich möchte daher annehmen, daß die letztere während der Passage 
der Kalksalze eine Imprägnation mit diesen, also eine sekundäre Verkalkung, 
erfährt, die sie befähigt, während der ganzen Lebensdauer auch an Stellen, 
die der Berührung mit Antagonisten ausgesetzt sind, sich zu behaupten. 
Nur eben dort, wo eine sehr starke Abnutzung der Zähne vorliegt, wie 
auf den Kauflächen und an den approximalen Berührungspunkten, schleift 
sie sich im Laufe der Zeit ab. 



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Gegenüber diesen eben geschilderten Tatsachen will mir die Berechti¬ 
gung fraglich erscheinen, im Sinne Gottliebs von einem „primären" und 
„sekundären" Schmelzoberhäutchen zu sprechen. Das nicht konstante Auf¬ 
treten der Epithelcuticula, die häufige Unterbrechung ihrer Substanz, ihre 
starke Affinität zur Ameloblastencuticula bzw. zu den Hartsubstanzen, 
ferner die Tatsache, daß an noch nicht durchgebrochenen Zähnen eine 
Epithelcuticula überhaupt nicht zur Beobachtung kommt, zeigen, daß es sich 
um nichts weiter als eine Schutzmaßnahme des Körpers handelt, die zwar 
nicht regelmäßig auftritt, aber stets dort bereitgestellt wird, wo offenbar 
die Adhärenz der Epithelzellen zur Hartsubstanz allein keine genügende 
Gewähr für das Fernhalten bakterieller Reize bietet. Um für die Folge 
hier eine Verständigung zu ermöglichen, würde ich anstatt der Bezeichnung 
„primäres" und „sekundäres" SOH vorschlagen, wofern die genetischen 
Gesichtspunkte im Vordergrund stehen, von der „Ameloblasten"- und 
„Epithelcuticula" zu sprechen und nach ihrem topographischen Verhalten 
die „Kronen"-, „Zement"- und „Zahnsteincuticula" zu unter¬ 
scheiden. Das Schmelzoberhäutchen der Autoren, d. h. das bei der Ent¬ 
kalkung in der Flüssigkeit flottierende Häutchen <s. Fig. 5, Tafel 3>, ist in 
jedem Falle nur die durch Bakterienauflagerungen verdickte Ameloblasten¬ 
cuticula. 


3. Der periodontale Raum 

Zwischen Wurzeloberfläche und Alveoleninnenwand breitet sich der schmale 
alveolo-dentale Gelenkspalt aus,- die gelenkige Verbindung zwischen Zahn¬ 
körper und Knochen, die man als Einkeilung oder Gomphosis bezeichnet, 
wird durch die kollagenen Faserelemente des Periodontiums besorgt. Diese 
physiologische Aufgabe gibt der Wurzelhaut innerhalb des Paradentiums 
eine besondere Wichtigkeit. Jede mechanische Beanspruchung des Zahnkörpers 
wird durch sie auf den Knochen übertragen. Daher ist ihr anatomisches 
Verhalten nicht minder für den Bestand des Zahnkörpers von Bedeutung 
wie das des Knochens. Bei der Kompliziertheit der vorliegenden Verhält¬ 
nisse muß ich eine gestaffelte Darstellung vornehmen und berücksichtige zu¬ 
nächst den fibrösen Halteapparat. 

Der Zahn vermag in seinem „Gelenk" nur äußerst geringe Bewegungen 
auszuführen. Es ist nicht angängig, wie es fast allgemein geschieht, dieselben 
als Bewegungen eines Hebels anzusprechen. Der Zahn stellt vielmehr einen 
in einem elastischen System — Knochen plus Wurzelhautfasern — aufge¬ 
hängten Stab dar. Wir können das ganze Gebilde als ein „schwingen¬ 
des System" bezeichnen, das während des Kauaktes eine Folge sehr kom¬ 
plizierter Bewegungen vollführt. Erstens eine translatorische Bewegung, 
indem der Zahn in die Alveole gedrückt wird/ zweitens Rotationsbewegungen 
um seine Längsachse,- drittens zwei schwingende Bewegungen, und zwar um 
eine radiale Achse in der <mesio-distalen> Tangentialebene und um eine 
Tangentialachse in der Radialebene. Letztere ist bei geschlossener Zahnreihe 


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d. h. bei erhaltenem Approximalpunkt die stärkste/ neben ihr spielen die drei 
anderen Ausweichmöglidhkeiten nur eine untergeordnete Rolle/ beim isolierten 
Zahn gewinnt auch die mesio-distale Schwingung erhöhte Bedeutung. 

Bei jeder Kaubewegung wird der Zahn durch eine vertikale < P) und hori¬ 
zontale^) Druckkomponente gleichzeitig, d. h. also stets in der Richtung der 
Resultante beider belastet. Nur im ersten Moment der Berührung mit dem 
Antagonisten dürfte allein eine Vertikalbelastung vorliegen. Dabei ist während 
des Ablaufes einer Abbeiß- oder Mahlbewegung der kg-Wert von t^und M 


in dem Verhältnis 


V 

H 


kein konstanterer unterliegt vielmehr dauernden 


Schwankungen, und zwar um so mehr, je unregelmäßiger die Kauflächen der 
Antagonisten sind. Somit erfährt auch die Belastungsrichtung des Kaudrudxs 
als Resultante beider Druckkomponenten ständig eine Änderung. Aber ab¬ 
gesehen davon beeinflußt auch der Winkel, unter dem die unteren Antago¬ 
nisten auf die oberen treffen, die Richtung der Resultante/ daher schwingt 
sie bald mehr nach lingual <palatinal>, bald mehr nach bukkal <labial> — 
wenn wir nur die Hauptausweichbewegung der Zähne in radialer Richtung 
allein berücksichtigen — gegenüber der idealen Zahnachse und zwingt sie, d. h. 
den Zahn, zu einer entsprechenden Ortsänderung innerhalb der Alveole. 

Durch die den Zahnkörper belastenden Druckkräfte werden die jeweilig 
von ihnen direkt betroffenen Anteile des fibrösen Halteapparates auf Zug 
beansprucht und in eine für jede Querschnitthöhe der Zahnwurzel charak¬ 
teristische Zugrichtung gedrängt. Diese Einstellung des Fasergerüsts fehlr 
dem noch nicht durchgebrochenen Zahn,* so zeigt der retinierte Caninus des 
Kiefers 33 beim 16jährigen noch keine Spur einer bestimmten Faserrich¬ 
tung/ die Fasern liegen teils regellos, teils parallel zur Zahnachse — während 
im Periodontium des 2. Milchmolaren im Kiefer 85 beim 4jährigen bereits 
das charakteristische Gefüge vorhanden ist. Wir sind daher ohne Frage be¬ 
rechtigt, in dem Faserverlauf den Ausdruck der an dem einzelnen Wurzel¬ 
abschnitt tätigen Zugrichtung zu sehen, wie ich es bereits im ersten Abschnitt 
dieses Kapitels ausführte/ indem ich unter Vernachlässigung der Gingival¬ 
fasern das dort gegebene Schema des paradentalen Faserverlaufs durch Unter¬ 
teilung des Stratum apicale erweitere, gelange ich zu folgender Gruppen¬ 
aufstellung <s. Textfig. 18>: 

Faser-Gruppe A. 

Stratum supraalveolare periostale 

labiabe (bukkale) Ligamentum 

linguale (palatinale) circulare 

Faser-Gruppe B. 

a) Stratum supraalveolare periostale interdentale 

b) Stratum intraalveolare marginale. 

Faser-Gruppe C. 

Stratum intraalveolare intermedium. 


Faser-Gruppe D. 

Stratum intraalveolare apicale. 


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17 


Faser*Gruppe E. 

Stratum intraalveolarc infraapicale. 

Faser*Gruppe A und E sind ausgezeichnet durch schräg von außen*apikal 
nach innen*koronar gerichteten Verlauf ihrer Elemente. Die Fasern der Gruppen 
B und D strahlen senkrecht auf die Zahnachse ein, während die der Gruppe C 
von außen*koronar nach innen-apikat verlaufen. Außer dieser verschiedenen 
Winkelstellung zur Zahnachse zeigen alle Gruppen auch eine unterschied* 
liehe Einstrahlung auf die den einzelnen Abschnitten der Zahnperipherie zu* 
gehörigen Tangenten. Es überwiegt hier gleichfalls die schräge Insertion 


Textfig. 18 



Schema des paradentalen Faserverlaufes unter Fortlassung der Gingivalfasern. 

gegenüber der senkrechten. Gegenüber diesem — gewissermaßen als Quer-* 
summe aus einer großen Zahl von Einzelbefunden gewonnenen — Schema 
zeigen die einzelnen Fasergruppen Abweichungen in ihrem Verlauf/ an* 
gesichts dessen drängt sich die Frage auf, ob sich darin eine zufällige 
oder eine gesetzmäßig bedingte habituelle Funktionsphase ausspricht/ 
zufällig etwa in dem Sinne, daß sich in der Faserstruktur die Beanspruchung 
ausdrückt, die der Zahnkörper des noch Lebenden im Augenblick des Todes 
seinem Aufhängeapparat gegenüber ausgeübt hat. Ich möchte das nicht an* 
nehmen,* denn beim Sterbenden tritt eine Entspannung der Kaumuskulatur 
ein,* in der Agonie liegt der Patient mit offenem Munde. Das mikroskopische 
Präparat dürfte wohl den Zahn in seiner Ruhestellung zeigen. Dabei wird 
das ruhende Fasersystem nicht das Bild des idealisierten Schemas <s. Text* 
figur 18> wiedergeben, sondern uns den Zustand einer Funktionsbereitschaft 
zeigen, und zwar, wie es mir scheint, jene Einstellung, die die bei der ersten 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 1 2 


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Berührung mit dem Antagonisten eintretende Vertikalbelastung abzufangen 
imstande ist, in welche er aus jeder Anderslage dank der Elastizität seiner 
Umgebung bei der Aufhebung der Belastung zurückschnellt. 

Dadurch, daß der Zahn allseitig in einem elastischen System aufgehängt 
ist, ist er in der Lage, äußerst komplizierte Stellungsänderungen vorzunehmen. 
Ihr Zweck ist, den Zahn jeweilig in eine solche Stellung zum Kauobjekt 
zu bringen, daß der beabsichtigte Akt des Abbeißens oder Zermahlens 
mit dem gerade ausreichenden Kräfteaufwand und nicht mit mehr erfolgt. 
Wir können uns den ganzen Bewegungsvorgang aus einer kontinuierlichen 
Folge einzelner Momente bestehend vorstellen, deren jedes durch eine be¬ 
stimmte Einstellung des gesamten Fasersystems charakterisiert ist. Die An¬ 
ordnung der Fasern und ihre Verteilung über die ganze Wurzelperipherie, 
sowie der Kräfteansatz am oder nahe am koronaren Endpunkt des Zahnes hat 
zur Folge, daß der Zahn dabei nicht als Ganzes, sondern im Sinne einer Kipp¬ 
bewegung um einen Drehpunkt schwingt. Dieser hat jedoch nur für das einzelne 
Kippmoment Gültigkeit/ er ändert während der Gesamtbewegung dauernd 
seinen Ort/ der Drehpunkt wandert unter dem Einfluß der wechselnden Werte 
von V und H auf der schwingenden, rotierenden und translatorisch sich ver¬ 
schiebenden Zahnachse auf und nieder, indem er dabei bestimmte Anteile 
des Fasersystems zu seiner Feststellung beansprucht. Welche Faserabschnitte 
zur Drehpunktfixierung im jeweiligen Moment herangezogen werden, ergibt 
sich aus folgender Überlegung: Die Gruppen A und E werden bei ihrer 
koronarwärts gerichteten Schrägstellung zunächst eine Entspannung erfahren, 
während die Gruppe B sofort in Aktion tritt,* sie wirkt absteifend auf die 
horizontale Komponente, und zwar mit dem Fasersektor, der auf der Seite der 
Druckrichtung liegt,* in ihrer Wirkung wird sie unterstützt durch den gegen¬ 
überliegenden Sektor der Gruppe D. Die sofortige Behinderung der horizon¬ 
talen Bewegung des marginalen Zahnabschnittes in unmittelbarer Nähe des 
Kraftansatzes durch Gruppe B würde allein schon eine Kippbewegung aus- 
lösen. Ihr Drehpunkt läge im Bereich ihrer Faserinsertion. Da die Fasern der 
Gruppe C infolge ihrer apikalgerichteten Schrägstellung sich aber bei der Ab¬ 
steifung der Horizontalkomponente mitbeteiligen, so kommt es zur Verlegung 
des momentanen Drehpunktes weiter apikalwärts. Im apikalen Ende des 
kippenden Zahnes wirkt die Gruppe C mit ihrem entgegengesetzten Sektor 
nun gleichfalls hemmend, unterstützt durch die Fasern D. Schließlich werden 
die zunächst entspannten Gruppen A und E auch in entsprechender Richtung 
herangezogen. Die bei der Absteifung nicht beteiligten Sektoren der Grup¬ 
pen A und B einer- und D und E andrerseits werden während der Be¬ 
lastung ihres Gegenüber naturgemäß entspannt. Das trifft für die beiden 
Seiten der Gruppe C nicht zu. Denn auf ihnen liegt neben der Horizontal¬ 
komponente der ganze Vertikaldruck, der sie dauernd in Spannung hält. 
Sie werden lediglich oberhalb und unterhalb des Drehpunktes in den einander 
gegenüberliegenden Sektoren verschieden weit schwingen. Wir sehen also in 
der Fasergruppe C zunächst den Hauptträger des Kaudrucks, was sich auch 
in ihrem Massenverhältnis innerhalb der gesamten Fasermenge ausdrückt. 


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19 


Von der Fasermasse können wir uns eine ungefähre Vorstellung machen 
durch flächenhafte Darstellung ihrer Insertion am Zahnkörper. Die Textfig. 19 
kann sie für die Gruppen D und E nur ungenau wiedergeben, da die Wurzel 
kein spitzer Kegel ist/ doch zeigt die aufgerollt gedachte Oberfläche der 

Textfig. 19 

F — 


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Dieser schematischen Zeichnung sind die Maße eines oberen Caninus <in 3facher Vergröße¬ 
rung dargestellt) zugrunde gelegt. Länge der Krone 10 mm/ Länge der Wurzel 21mm/ 
radialer Durchmesser auf der Höhe des Zahnhalses 7,8 mm, mesiodistaler Durchmesser ebenda 
6,9 mm. Der Mittelwert der beiden letzten Zahlen ergibt für den Durchmesser eines kreis¬ 
förmig gedachten Wurzelquerschnittes auf der Höhe des Zahnhalses 6,8 mm, für die Peri¬ 
pherie selbst <2r.7> 21mm. Die Wurzel ist als spitzer Kegel gedacht/das stark ausgezogene 
(innere) Dreieck stellt einen axialen Längsschnitt, das punktierte (äußere) Dreieck die aufge¬ 
rollte Oberfläche des Wurzelkegels und damit den Insertionsbereich aller an der Wurzel in¬ 
serierenden Faserbündel dar. Wir gewinnen dadurch — ihre gleichmäßige Verteilung voraus¬ 
gesetzt — eine räumliche Vorstellung der gesamten paradentalen Fasermaße. A u. B, C, 
D, E die durch mikroskopische Messung gefundene Insertionsbreite der entsprechenden Faser¬ 
gruppen an der Wurzel. F der koronare G, der apikale Endpunkt des schwingenden Zahnes. 

idealisiert kegelförmigen Wurzel einen genügenden Überblick über den Anteil 
der einzelnen Fasergruppen am gesamten Halteapparat. Durdi Messung er* 
hielt ich die in der Textfig. 19 wiedergegebenen Zahlen der Insertionsbreite: 
für A und B gemeinsam 1 mm,* ebenso für D, während ich sie für E nur un¬ 
gefähr mit V 2 mm bestimmen konnte. Bei der Bedeutung der Gruppe C 

2 * 



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20 


Oskar Weski 


für die Fixierung des Drehpunktes dürfen wir wohl annehmen, daß seine 
Auf- und Niederbewegung innerhalb des Insertionsbereiches derselben er¬ 
folgt, und zwar wird er um so tiefer apikal liegen, je größer V in ^ ist. 


umgekehrt sieb mehr koronarwärts einstellen bei stärkerer Betonung von H. 

Im Augenblick der Beanspruchung des „schwingenden Systems" werden die 
Fasern aus ihrer Ruhelage in eine neue Stellung verschoben etwa wie Stäbe, 
die an beiden Enden gelenkig fixiert sind. Der den Zahnkörper treffende 
Kaudruck bedeutet aber gleichzeitig für die Fasern eine Beanspruchung 
auf Zug, wodurch sie eine Gestaltsveränderung erleiden. Diese äußere 
Kräfteeinwirkung beantwortet die Fasersubstanz durch Entwicklung innerer 


Textfig. 20 



a 


Aus einem Vertikalschnitt eines oberen Hundeincisivus Haern. v. Gies. 200 : 1. Stranghbrillen 
des Periodontiums in den Knochen als Sharpeysche Fasern einstrahlend/ an einzelnen 
Stellen sind diese verzweigt, a Osteoblasten in mehreren Schichten zwischen je 2 Strang» 

Fibrillen liegend. 


Kräfte, die wir als Elastizität im wissenschaftlichen Sinne oder 
„Steifigkeit" bezeichnen. Sie bedeutet das Bestreben eines Körpers, eine 
ihm aufgezwungene Gestaltveränderung wieder auszugleichen. Das elastische 
Verhalten eines Körpers wird ausgedrückt durch den Bruchteil seiner Länge, 
um den er — bei gedachtem Querschnitt von 1 qmm — sich durch Be¬ 
lastung mit 1 kg dehnt. Dieser „Elastizitätskoeffizient" beträgt z. B. für den 
Knochen — nach Triepel — V 2000 • Im gegensätzlichen Verhältnis zur 
Elastizität im wissenschaftlichen Sinne steht die „Dehnbarkeit" oder 
Elastizität im populären Sinne. Sie wird ausgedrückt durch den Ela¬ 
stizitätsmodul. Der Elastizitätsmodul gibt an, wieviel kg nötig wären, um 
eine Säule des Körpers von 1 qmm Querschnitt auf seine doppelte Länge 
auszudehnen. Es ist dabei gleichgültig, ob der Körper, ohne zu reißen, diese 
Belastung verträgt. Der Elastizitätsmodul des Knochens ist — nach demselben 
Autor — 2000, der des kollagenen Fasergewebes 25—100, dagegen der des 
„elastischen Gewebes" nur 0,02 —0,01. Die sogenannten elastischen Fasern 
lassen sich dementsprechend um 125% ihrer Länge dehnen,- dagegen verlängert 


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sich eine kollagene Faser von 1 qmm Querschnitt und 1 mm Länge bei Be- 
lastungmit 1 kg nur um 0,01 mm,* der Knochen ist entsprechend seinem hohen 
Elastizitätsmodul 20 mal weniger dehnbar als das Bindegewebe. Dabei ist 
die Verlängerung proportional der Länge des beanspruchten Körpers, d. h. 
eine kollagene Faser von 2 mm Länge und demselben Querschnitt würde 
bei gleicher Belastung sich um 0,02 mm dehnen. 

Betrachten wir auf dem Hintergrund der sich im alveolodentalen Gelenk 
abspielenden physikalischen Vorgänge die sonstigen anatomischen Merk* 
male des periodontalen Substrates, so fällt eine große Mannigfaltigkeit auf, 
die außer der Faserrichtung und ihrer Menge die Dicke, Länge und Straffung 
der einzelnen Faserbündel, ferner das Verhalten der zelligen Elemente und 
Blutgefäße betrifft. 

Die Faserbündel oder Faszikeln der Wurzelhaut haben einen unregel- 
mäßig viereckigen Querschnitt von 0,02—0,04 qmm Fläche,* teils durchqueren 
sie den periodontalen Raum isoliert, teils vereinen sie sich mit ihren Nach-* 
barn zu größeren Komplexen, wie es Fig. 2 auf Tafel 42 auf einem Flache 
schnitt zeigt. Dadurch wird die Verlängerung der Faserbündel geringer/ 
denn wie diese mit der Länge der Fasern zunimmt, so steht sie zum 
Querschnitt im umgekehrten Verhältnis. Die Faserbündel lassen zuweilen 
in der Mitte ihres Verlaufes eine Zusammensetzung aus feinsten 2—3 i* 
dicken Fibrillen erkennen, die ich als kollagene „Primitivfibrillen // bezeichnen 
möchte. Nahe dem Knochen und Zement vereinigen sich diese zu derberen 
„Strangfibrillen", als welche sie in den entsprechenden Hartsubstanzen zu 
verfolgen sind <s. Textfig. 20 und 21>,* doch strahlen auch die zarten Primitiv-* 
fibrillen in die Grundsubstanz von Knochen und Zement isoliert ein. Die 
Faserbündel weisen bezgl. ihrer Straffung ein unterschiedliches Verhalten auf. 
Teils sind sie straff gespannt, an andern Stellen dagegen zeigen sie welligen 
Verlauf, befinden sich also im Zustand der Entspannung. Dieser verschiedene 
Belastungszustand des Fasersystems muß bei der funktionellen Auswertung 
mikroskopischer Schnitte genügend Berücksichtigung finden. 

Die Länge der Periodontiumfasern hängt, abgesehen von der Breite des 
Periodontalraumes, von der Faserrichtung ab. Am kürzesten sind die senk» 
recht auf die gedachte Tangente und gleichzeitig horizontal verlaufenden 
Fasern der Gruppen Bb und D, am längsten die sowohl vertikal wie 
horizontal unter einem Winkel zu Knochen und Zement sich ausspannen¬ 
den Fasern. Die durchschnittliche Breite des Periodontalraumes beträgt im 
Oberkiefer 0,2—0,25 mm,* im Unterkiefer 0,15—0,22 mm. In ihr drückt 
sich wohl ein den normalen funktionellen Verhältnissen angepaßter Opti¬ 
malzustand aus. Diese Maße gelten nur für den intermediären Teil der 
Wurzelhaut. Schwankungen nach oben und unten sind häufig,* so habe ich 
Verengerung des Periodontalraumes bis auf 0,015 mm bei starker Anlage¬ 
rung von Knochenzement beobachten können. Im apikalen und marginalen 
Abschnitt der Alveole finden wir recht häufig auffallende Verbreiterun¬ 
gen des periodontalen Gelenkspaltes bis 0,8—1 mm. Es liegt nahe anzu¬ 
nehmen, daß die Länge der Periodontiumfasern — ausgedrückt durch den 


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senkrechten Abstand zwischen Zement und Knochen auf der Höhe ihres Ver¬ 
laufes — die Bewegungsfreiheit des Zahnkörpers in der Alveole beeinflußt. 
Sie spielt aber, wie weiter unten gezeigt werden wird, dabei keine Rolle. Da 
jedoch von vielen Autoren nächst dem Umfange der knöchernen Alveole die 
geringere oder größere Breite des Periodontiums für die Festigkeit bezw. Be¬ 
weglichkeit des Zahnes verantwortlich gemacht wird, so gehe ich zunächst auf 
diese beiden Punkte ein. Was die Knochenhöhe betrifft, so wissen wir ja, daß 
selbst Zähne, die nur über ein Viertel ihrer ursprünglichen Alveole, ja selbst 
noch weniger verfügen, völlig fest sein können. Es sind andere Verhält¬ 
nisse, und zwar das Gefüge der inneren Alveolenkortikalis hier von ma߬ 
gebendem Einfluß, worauf ich weiter unten zu sprechen komme. Bezüglich 
der Faserlänge möchte ich hervorheben, daß jene Auffassung keinesfalls zu- 


Textfig. 21 



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b 


Längsschnitt des Periodontiums des 1. Präm. von Kiefer 33 Haem. v. Gies. 160 : 1. a „Strang* 
fibrillen", deren Zusammensetzung aus „collagenen Primitivfibrillen" bes. bei b erkennbar, 
c Osteoblasten, mehrschichtig zwischen den in den Knochen einstrahlcnden Strangtibrillen 
angeordnet, d Osteoblasten in Howshipscher Lakune. 

treffend ist, die — gemäß den obigen Ausführungen über die Elastizität und 
Dehnbarkeit — mit zunehmender Verlängerung der Fasern deren größer 
gewordene Dehnbarkeit für ein stärkeres Ausweichen des Zahnes in verti¬ 
kaler Richtung verantwortlich machen möchte. Die minimalen Werte für die 
Faserlänge und -dicke sowie der geringe auf das einzelne Faserbündel ent¬ 
fallende kg-Anteil des gesamten Druckes haben selbst bei einer Verlängerung 
der Fasern um ein vielfaches nur ein geringfügiges Anwachsen ihrer Dehn¬ 
barkeit zur Folge. Der Zahn würde bestenfalls um einen unmeßbar kleinen 
Betrag tiefer in die Alveole oder näher an ihre Seitenwind gedrückt werden 
als in der Norm, zumal „elastische Fasern", also Elemente größerer Dehn¬ 
barkeit der Wurzelhaut fehlen. Die größere Faserlänge ließe sich nur inso¬ 
fern mit einer größeren Bewegungsfreiheit des Zahnes in Zusammenhang 
bringen, als die schräg auf ihn einstrahlenden Fasern in der erweiterten 
Alveole stärkere Exkursionen als in einer engen machen könnten. Wir 
werden sofort sehen, daß noch andere Kräfte dabei die ausschlaggebende 


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Rolle spielen. Zuvor möchte ich noch bezüglich der Verbreiterung des Perio* 
dontiums betonen, daß es nicht angängig ist, wie HopewelUSmith bei 
mehreren seiner Bilder es tut, von einer „hyperplasic periodontal membrane" 
zu sprechen, denn das Wort „Hyperplasie" bringt die mit der Periodontiums* 
verbreiterung vergesellschaftete Knochen* <Zement*> resorption nicht zum Aus* 
drudk. Unter einer Hyperplasie versteht man die Vermehrung eines Sub* 
strates, die naturgemäß immer nur unter Einschmelzung oder Verdrängung 
seiner Umgebung erfolgen kann. Wenn diese Umgebung nicht von Wichtig* 
keit ist, also weiter keiner Erwähnung bedarf, so ist die Bezeichnung „Hy* 
perplasie", indem sie die Aufmerksamkeit auf das hyperplastische Gewebe 
allein lenkt, berechtigt. Da wir aber das Periodontium in engster funktioneller 
Beziehung zu Knochen und Zement wissen, und jede periodontale Ver* 
breiterung eine Resorption von Hartgewebe zur Voraussetzung hat, so dürfte 
für die Bezeichnung „Hyperplasie des Periodontiums" in unserer Nomen* 
klatur kein Platz sein, solange darunter mit HopewelUSmith ein „increase 
in diameter" und nicht ausschließlich die „Hyperplasia of fibrous elements" 
<1. c. S. 403) verstanden werden soll. 

Um auf die Zahnfestigkeit zurückzukommen, so möchte ich die Aufmerk* 
samkeit auf einen Bestandteil des Periodontiums lenken, dem bisher nur ge* 
ringe Beachtung geschenkt wurde. Wir finden nämlich zwischen den Faser* 
bündeln um die größeren Blutgefäße angeordnet Interstitien <s. Fig. 1, 
Tafel 25>, die von einem weitmaschigen saftdurchtränkten Gewebe erfüllt sind,* 
es enthält neben regellos verlaufenden Primitivfibrillen vereinzelte rundliche 
und sternförmige Zellen, die sich als Fibroblasten und Plasmazellen erkennen 
lassen. Diese perivaskulären Lymphscheiden ■— wir dürfen sie tyohl als 
solche ansprechen — stehen untereinander in Verbindung. Man kann sie 
als interstitielles Stroma in Gegensatz zum Faserparenchym stellen. 
Ohne Frage kommt ihnen eine besondere Aufgabe zu,- denn der reichliche 
Gehalt an Blutgefäßen allein würde die Ernährung des Wurzelhautsub* 
strates sicherstellen. Einmal dienen sie der Erhaltung einer ungestörten 
Zirkulation,* denn ohne diese lymphatischen Schutzscheiden müßten die 
Gefäße bei jeder Anspannung der Fasern eine Kompression erfahren. 
Gleichzeitig wirken sie aber auch wie ein hydraulisches System/ damit 
tritt ein neues Moment in den Kreis unserer Betrachtungen, das die bisher 
gegebene psysikalisch*anatomischen Überlegungen in vielen Punkten korri* 
giert und erweitert. Unsere bisherige Darstellung des im paradentalen Faser* 
System sich auswirkenden Kräftespiels ließ das interstitielle Stroma völlig un* 
berücksichtigt. Seine Betonung giebt Veranlassung, uns den Inhalt der Alveole 
noch einmal vor Augen zu führen: der Zahn hängt an seinen Bändern befestigt 
in der konisch geformten Knochenhöhle/ sie zeigt — in der Norm — nur im 
Fundus und am Margo präformierte Gefäßlöcher größeren Kalibers <Tafel 1, 
Fig. 5b, b 2 und Fig. 8>, ist also, zumal sie marginal von dem dichten Gefüge des 
Stratum periostale abgedeckt wird, als geschlossener Raum zu denken. Zwischen 
den Fasern befindet sich ein kommunizierendes von Lymphflüssigkeit erfülltes 
Kanalsystem. Man kann also von einer durch ein Kapselband marginal ab* 


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geschlossenen und von intraarticulären Bändern durchzogenen „Gelenkhöhle" 
sprechen. Bei jeder Bewegung des Zahnes — der translatorischen, Torsions¬ 
und Kippbewegung — wird die interfaszikuläre Flüssigkeit hin und her be¬ 
wegt. Da sie jedoch sich nicht frei im Raume befindet, sondern in einem, 
wenn auch weitmaschigen Gewebe suspendiert ist, so ist ihre Bewegung 
träge,- sie gibt nur mit Widerstreben dem Druck des Zahnkörpers und der 
Fasern nach und vermag nur durch die Gefäßlöcher aus der „Gelenkhöhle" 
in die Markräume auszuströmen. Es muß daher bei jeder Belastung des 
Zahnes an einzelnen Stellen des Periodontiums zur Kompression der Flüssig¬ 
keit kommen. Wir sehen also dasselbe Prinzip hier tätig, das als hydrau¬ 
lische Bremse in der Rücklauflafette der Geschütze angebracht ist. Die 
komprimierte Flüssigkeitsmasse wirkt als Druckkörper entlastend der Zug¬ 
beanspruchung von Fasern, Knochen und Zement entgegen. Dadurch tritt 
eine Dämpfung der gesamten Zahnbewegungen ein. In diesem Moment 
haben wir also d§4i Angelpunkt für die Zahnfestigkeit zu suchen. 
Bei eintretender Entlastung, die ja den pulsierenden Kaudruck auszeichnet, 
findet Flüssigkeitsrücklauf statt, so daß der Zahn, wie ich oben ausfuhrte, 
in seine Ruhelage zurückschnellt. Die Exkursionsweite der beiden End¬ 
punkte des Zahnes ist daher von der normalen Funktion der hydraulischen 
Bremse abhängig. Solange ihre Vorbedingungen gegeben sind, d. h. eine 
„geschlossene Gelenkhöhle" vorliegt, wird auch die Bewegungsfreiheit des 
apikalen Endpunktes des Zahnes sich in den engen Grenzen bewegen, welche 
eine normale Funktion der Pulpagefäße und -nerven gewährleistet. Das ist, 
wofern nicht infektiös oder traumatisch entzündliche Prozesse eingreifen, so 
lange der Fall, als die Proportionalität zwischen den intraalveolären Zug- und 
Druckkräften einerseits und der Beschaffenheit des von ihnen beanspruchten 
Substrates, d. h. Maße und Gefüge von Fasern und Hartsubstanz anderer¬ 
seits nicht gestört wird. 

Diese kann aufgehoben werden einmal durch jede Mehrbelastung des 
Zahnes. Durch sie wird der Zahn plötzlich zu Ausweichbewegungen ge¬ 
zwungen, die in einer andern Kurve als der bisher giltigen ablaufen. Als 
Folge hiervon muß die Verschiebung der Gelenklymphe naturgemäß auch 
eine Umsteuerung erfahren. Das Gleiche kann eintreten, wenn sich durch 
allmähliche Ausbildung einer Bißänderung oder -Anomalie eine stärkere Be¬ 
tonung der Horizontalkomponente entwickelt. Dadurch werden Stellen bis¬ 
lang bestehender Proportionalität zu Orten von Überdruck. Je nach dessen 
Intensität erfährt das dort befindliche anatomische Substrat nach den Normen 
des Schulz-Arndtschen Gesetzes eine Umformung seiner Struktur: Bei 
geringerer Erhöhung des Druckes wird Gewebsaufbau, d. h. nach den 
Hartsubstanzen zu Bereitstellung von Cemento- und Osteoblasten, innerhalb 
der Fasern Vermehrung der Zellen und Abscheidung neuer Fasermaße die 
Folge sein. Bei Steigerung des Druckes über den anreizenden Wert hinaus 
wird dagegen der Ablauf der vegetativen Lebensfunktion in den betroffenen 
Substraten unterbunden,- an den Hartsubstanzen treten Osteo-Cementoklasten 
auf, während die kollagenen Faserbündel zunächst eine Zerklüftung und 


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Auflockerung schließlich eine völlige Auflösung erfahren. Wir begegnen dann 
in unsern Schnittreihen Bildern <Textfig. 22), in denen schon bei schwacher 
Vergrößerung eine Rarefizierung an Fasermasse auffällt. In demselben Maße, 
als das funktionelle Parenchym schwindet, nimmt das interstitielle Stroma 
zu,- durch Bereitstellung neuen Zellmaterialsund kollagenerZwischensubstanz 
kommt es dann zum Neuaufbau (progressive Phase). Wir haben dann 
Bilder vor uns wie in Fig. 3, Tafel 42, in denen die Fasern noch keine be- 
stimmte Zugrichtung erkennen lassen. Gegenüber dem Knochen kann der 
Überdruck sich derart äußern, daß es zunächst zur Erweiterung der prä- 
formierten größeren Gefäßlöcher bezw. Kanäle am margo und im fundus 


Textfig. 22 



Periodontium eines oberen Prämolaren (Kiefer 53) Haem. Eos 50:1. a Knocbenbälkchen, 
bi, b 2 Osteoklasten, C ruhendes Fettmark, d lf d 2 rarefizierte Fasern. Man beachte die starke 
Erweiterung der lymphatischen Interstitien um die Blutgefäße bes. auf der Höhe von b lf 
ebenda die Ausbuchtung der Knochenwand. 

alveolaris kommt,- bei längerem Anhalten des erhöhten Lymphdruckes breitet 
sich der Resorptionsprozeß auf die ganze Alveole im Sinne eines dentifugalen 
Knochenschwundes aus, so daß schließlich eine breite Eröffnung der Markräume 
nach der periodontalen Gelenkhöhle vorliegt und damit das Prinzip der hydrau- 
lischen Bremse gänzlich durchbrochen wird <s.Textfig.23, Tafel 1, Fig. 5a l a 2 ). 
Das ganze den Zahn treffende kg-Gewicht ruht dann auf den Fasern, deren 
Schwingungen nun nicht mehr gedämpft sind. Daraus resultiert eine Locke- 
rung des Zahnes,- es ist damit der Ausgangspunkt eines circulus vitiosus 
gegeben, der, unterstützt durch marginale Infektionsreize, schließlich die 
weiter unten zu behandelnden Krankheitsbilder zeitigt. Die im Obigen 
wiedergegebene Vorstellung von den die Zahnfestigkeit bestimmenden Mo- 


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Oskar Weski 


menten erklären auch in einfacher Weise den verschiedenen Perkussionsschall 
des festen und lockeren Zahnes. Bei intaktem hydraulischem System schwingt 
beim Perkutieren die „Gelenkflüssigkeit" und durch Fortpflanzung der Er¬ 
schütterung auf den elastischen Knochen dieser selbst mit. Trifft dagegen — 
beim gelockerten Zahn — das perkutierende Instrument nicht gleichzeitig 
auf eine pralle — elastische — zwischen den Fasern suspendierte Flüssig¬ 
keitssäule, so fehlen die physikalischen Vorbedingungen für die Fortleitung 
der Zahnerschütterungen auf den Knochen ,- es resultiert der bekannte dumpfe 
Perkussionsschall. Wie sich die vorher angedeuteten schweren, in den nächsten 
Abschnitten näher zu beschreibenden Umbauprozesse des Knochens und 
Cementes auf Druckschwankungen des hydraulischen Systems zurückführen 
lassen, die ihre Ursache in einer Andersbelastung des Zahnes besonders 
Betonung der Horizontalkomponente haben, so möchte ich den ständig vor 
sich gehenden Gewebsumbau geringeren Grades auf eine andere die normale 
Beanspruchung von Fasern, Hartsubstanz und Gelenkflüssigkeit begleitende 
physikalische Erscheinung zurückführen, nämlich auf die innere Reibung. 
Wird z. B. ein Lederriemen gedehnt und dann durch Entlastung wieder seinem 
Ausgangszustand zugeführt, so zeigt sich, daß die zur Dehnung aufgewandte 
Arbeit größer ist als die bei der Entlastung gewonnene. Der Überschuß an 
Energie wird in Wärme überführt. Wir können uns wohl vorstellen, daß 
die durch die Beanspruchung der Fasern, des Knochens und der Flüssigkeit 
freiwerdende Energie sich hier nicht in Wärme, sondern in Form eines bio¬ 
logischen Reizes auswirkt/ einmal in der Fasersubstanz und den Lymph- 
interstitien, besonders wohl aber an der Grenzscheide zwischen Hart- und 
Weichgewebe, d. h. dem Übergang zweier Substrate von verschiedenem 
Elastizitätsmodul ineinander. So wird der schwankende Gehalt der Fasern 
und Lymphspalten an zelligen Elementen sich erklären lassen,- desgleichen 
das vielfach zu beobachtende Bild von einander benachbarten bezw. gegen¬ 
überliegenden Osteoblasten- und Osteoklastenzonen. Wir stehen hier der 
äußerst interessanten Tatsache gegenüber, einen unmittelbaren Einblick in 
den physikalischen Mechanismus des biologischen Geschehens gewinnen zu 
können. Ich muß es mir versagen, hier noch weiter auf die physikalischen 
Verhältnisse einzugehen. Mir kam es nur darauf an, durch Betonung des 
interstitiellen Stromas als funktionellen Faktor die Gelenknatur der Zahn¬ 
bewegung in das rechte Licht zu setzen und für die Umbauprozesse des 
Paradentiums eine zwanglose Erklärung zu geben. 

Es erübrigt sich noch, auf die zelligen Elemente des Periodontiums sowie 
seine Gefäße näher einzugehen. Zwischen die Fasern des periodontalen 
Faserparenchyms eingestreut liegen Bindegewebszellen verschiedenen Aus¬ 
sehens. Die Form ihrer Kerne ist von der Straffheit der Fasern abhängig. 
Teils haben sie ein rundes oder zackiges Aussehen, teils sind sie zu schmalen 
länglichen Gebilden zusammengepreßt. Neben ihnen, die das Muttersubstrat 
der jeweiligen Fasermasse darstellen, heben sich am Knochen- wie Zement¬ 
rand andere Zellen ab, die mit ihrer Längsachse parallel zur Oberfläche der 
entsprechenden Hartsubstanz liegen. Sie geben das Material für die Osteo- 


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blasten <Cemento*> und Osteoklasten ab. Auf der Höhe ihrer aufbauenden 
Funktion können erstere derart gelagert sein, daß zwischen je zwei benach* 
barten Zellreihen — sie liegen in 2 bis 3 Schichten —■ eine der oben be* 
schriebenen Strangfibrillen ihren Weg zum Knochen bzw. Zement nimmt 
<s. Textfig. 20 bei a und 21 bei c >. Die Menge der Bindegewebszellen 
im Periodontium ist gleichfalls verschieden. Bei allgemeiner Zellarmut inner* 
halb der kollagenen Fasern sind auch Osteoblasten* bzw. Cementoblasten* 
säume nicht vorhanden, während umgekehrt reichlicher Zellinhalt zwischen 


Textfig. 23 



a. 


Längsschnitt durch das Periodontium eines oberen Inzisivus. <Kiefer ohne nähete Angaben) 
Haem. v. Gies. 27:1. a v a 2 , a 3 stark erweiterte, knäuelartig angeordnete Gefäße, b lf b* 
aseptische Molekularnekrose <s. den nächsten Abschnitt dieses Kapitels). Es besteht denti- 
fugale Knochenresorption und starke Erweiterung der Markräume nach der Alveole zu. 

der Interzellularsubstanz mit einer Vermehrung der randständigen Zellen 
vergesellschaftet ist. Das Verhalten der Osteoklasten wird im nächsten Ab* 
schnitt näher besprochen. Ausdrücklich sei betont, daß die Knochenbildner 
und *zerstörer nicht spezifische Zellformen sind, sondern daß jede Binde* 
gewebszelle unter dem Einfluß des spezifischen Reizes zum Osteoblast 
<Cemento*> bzw. Osteoklast werden kann, wenn sie zufällig am Orte des 
Reizes sich befindet. 

In unmittelbarer Nähe des Zements, nur zellbreit von ihm entfernt, liegen 
die Malassezschen Epithelreste. An Flachschnitten des Periodontiums ju* 
gendlicher Zähne lassen sie sich als Netzwerk zur Darstellung bringen. Doch 
vermag ich die Auffassung Fischers, daß ein strangartiger Zusammenhang 
auch bei älteren Zähnen gewahrt bleibt und die rundlichen Zellanhäufungen, 


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Oskar Weski 


die wir im Schnitt sehen, nur die Knotenpunkte des Netzwerks sind, nicht 
zu bestätigen. Bei älteren Zähnen ist offenbar die Zersprengung der ur^ 
sprünglichen Epitheldüte durch Umbau des fibrösen Gewebes so weit ge« 
diehen, daß nur einzelne Epithelperlen übrig bleiben. Sie liegen vorwiegend 
im Faserparenchym eingebettet und werden von einer zarten bindegewebigen 
Kapsel gegen dasselbe abgegrenzt. Man begegnet öfters der Auffassung, daß 
den Epithelresten ev. die Rolle einer endokrinen Drüse zugeschrieben werden 
könnte, ähnlich der der Parathyreoidalepithelien. Solange nicht experimentelle 
oder pathologische Belege dafür erbracht sind, müssen wir diese Deutung als 
Theorem bezeichnen. Tatsache ist nur, daß die Epithelreste den Zahn bei 
seinen physiologischen Ortsverschiebungen während des Durchbruchs und 
der Einstellung in die Artikulation begleiten, wie ich schon im 3. Kapitel 
betonte, und daß sie unter dem Einfluß entzündlicher Veränderungen ihrer 
Umgebung eine auffallende Proliferationskraft betätigen,- gleichsam als 
würden dadurch in ihnen schlummernde Wachstumskräfte embryonaler Intern* 
sität wachgerufen. 

Das Periodontium bezieht seine Blutgefäße dort, wo spongiöser Knochen 
in größerem Umfange ihm angrenzt, aus dem Knochenmark. An der labialen, 
dünnen Alveolenwand kann man häufiger den direkten Übergang eines 
Schleimhautgefäßes in das Periodontium beobachten. Die größeren Blutge« 
fäße treten besonders zahlreich im apikalen und marginalen Abschnitt in die 
Wurzelhaut durch präformierte Knochenkanäle ein. Doch begegnet man den« 
selben unter pathologischen Bedingungen auch im intermediären Bereich. 

Innerhalb des Periodontiums zeigen sie mehr eine Tendenz zur Längs« als 
zur zirkulären Ausbreitung. Sie machen, besonders an Flachschnitten, den 
Eindruck eines marginalwärts strebenden Rankenwerks <s. Fig. 2, Tafel 42>. 
Die den Gefäßen größeren und mittleren Kalibers eigentümlichen perivaskulären 
Lymphscheiden, fehlen den Kapillaren. Sie schlängeln sich als einfache 
Endothelrohre durch die Fasermasse. Am oralen Rande des Periodontiums 
treten die Gefäße — soweit man diese Verhältnisse an nicht injiziertem 
Material verfolgen kann — scheinbar ohne Abgabe von Seitenästen gerad« 
linig in das supraalveoläre Gebiet, sind dabei von mittlerer Stärke und 
endigen im subepithelialen Zwischengewebe des Zahnfleischsaumes. Ob sie 
hier mit den Gefäßen der Schleimhaut in kollaterale Beziehungen treten oder 
als Endgefäße aufhören, vermag ich nicht zu sagen. Tatsache ist, daß ein 
kollaterales System der Wurzelhaut zur Verfügung steht; doch könnte das« 
selbe auch zwischen Schleimhaut« und Knochengefäßen bestehen und auf 
diesem Wege das Periodontium erreichen. Unmittelbar nach einseitiger Unter« 
bindung der Arteria mandibularis beim Hunde und gleichzeitig vorgenommener 
intraalveolärer Verletzung des Periodontiums tritt die gleich starke Blutung 
auf der operierten wie an der nicht operierten Seite auf; auch läßt sich am 
peripheren Teil der durchgeschnittenen Arterie eine stärkere arterielle 
Blutung beobachten. 

Von diesem eben gekennzeichneten normalen Verhalten der periodontalen 
Blutgefäße weicht das des retinierten III im Kiefer 33 wesentlich ab. Man 


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Röntgenologisdi»anatomiscfie Studien 


29 


vermißt hier das rankenartige Flechtwerk/ auch zeigen selbst größere BluU 
gefäße nicht wie sonst die die Fasermaße zerklüftenden perivaskulären Schei¬ 
den. Die Gefäße grenzen direkt an die kollagenen Fasern an. In einem am* 
deren Sinne erfährt bei einzelnen Zähnen — wie beim abgebildeten Caninus 
des Kiefers 116 — die Gefäßanordnung eine Variation. Hier, wo außerdem 
eine stärkere Porosität des palatinalen Knochens im apikalen Alveolendrittel 
besteht, fällt eine lebhaftere Vermehrung der stark erweiterten Blutgefäße unter 
gleichzeitiger Aufknäuelung auf, ohne daß infektiöse Prozesse nachweisbar 
sind. Solche Gefäßknäuel sind von Wedl bereits in den 80er Jahren des vorigen 
Jahrhunderts beschrieben und ohne Berechtigung mit den Glomeruli der Niere 
verglichen worden. Bis zu welcher kolossalen Erweiterung der Gefäßlumina 
es dabei kommen kann, zeigt Textfig. 23. Auch hier fehlt in der Tiefe jede 
Entzündungserscheinung. Vergesellschaftet damit ist, wie auch in Kiefer 116, 
eine starke dentifugale Knochenresorption mit Erweiterung der Markräume, 
auf die ich im nächsten Abschnitt dieses Kapitels näher eingehen werde. 
Ohne Frage ist das Gefäßsystem für das funktionelle Verhalten des Pe^ 
riodontiums von größter Bedeutung auch in bezug auf den Turgor des 
hydraulischen Systems. 

(Fortsetzung folgt.) 


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DIE ÄTIOLOGIE DER ALVEOLARPyORRHOE 

VON 

DR. JOSEF BODO (BLUMENFELD), OLMÜTZ 1 

D ie Ätiologie der Alveolarpyorrhoe ist eine der umstrittensten und un- 
aufgeklärtesten Fragen der zahnärztlichen Wissenschaft. Eine ganze 
Bibliothek könnte man mit den Werken und Publikationen füllen, die der 
Klärung dieser Frage gewidmet sind. Eine stattliche Anzahl von Theorien 
ist entstanden, aber mit jeder neuen Theorie wird die Frage nur noch ver¬ 
worrener. Die Ursache dieser Verworrenheit liegt darin, weil keine der bis¬ 
herigen Theorien alle Fälle der Krankheit mit ein und demselben ätiologi¬ 
schen Momente zu erklären vermag,- auch können sich sämtliche bisherigen 
ätiologischen Momente einstellen, ohne daß gleichzeitig Pyorrhoe vorhanden 
wäre, und ebenso kann die Krankheit auch ohne die bisherigen ätiologischen 
Momente angetroffen werden. Eine Theorie ist aber nur dann existenz- 
berechtigt, wenn sie mit ein und demselben ätiologischen Moment alle Fälle 
der Krankheit zu erklären weiß, sonst ist sie unbedingt zu verwerfen,* denn 
es geht nicht an, für die verschiedenen Fälle einer und derselben Krankheit 
immer verschiedene Theorien anzuwenden, oder einer und derselben Theorie 
immer verschiedene Auslegungen zu geben. 

In dem erfolglosen Bestreben, das ätiologisdie Moment zu finden, wird 
der Name Pyorrhoe sogar als Sammelname für verschiedene Krankheiten 
der Zahnumgebung hingestellt, für welche verschiedenen Krankheiten dann 
die verschiedensten ätiologischen Momente, die man gerade vorfindet. An* 
Wendung finden können. 

Erwägen wir, wie muß das ätiologische Moment geartet sein, welche 
Eigenschaften muß es besitzen? 

Jeder, der von der Pyorrhoe Röntgenaufnahmen gesehen hat, wird ge¬ 
funden haben, daß in ein und demselben Munde die einzelnen Zähne ver¬ 
schiedene Grade der Pyorrhoe aufweisen können. Der eine Zahn hat seine 
Alveole schon ganz verloren, und gleich daneben kann der andere Zahn noch 
eine ganz intakte Alveole besitzen. Der eine Zahn hat noch die Hälfte seiner 

1 Nach einem, am 20. Februar und 1. März 1922 in der deutschen naturwissenschaft* 
lieben Gesellschaft zu Olmütz abgehaltenen Vortrage. 



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Die Ätiologie der Alvcolarpyorrhoe 


31 


Alveole, während sein Nachbar nur noch ein Viertel davon besitzt, ein Be- 
weis, daß die einzelnen Zähne die verschiedensten Grade der Krankheit 
haben können, obzwar die Krankheitsursache zur Zeit, als der von der Kranke 
heit am meisten betroffene Zahn erkrankte, im Munde schon vorhanden war. 

Daraus folgt: 

1. daß die Krankheitsursache nur in einem Moment gesucht werden kann, 
das die Eigenschaft besitzt, daß es, obzwar es schon im Munde vorhanden 
ist, sich bei einem Zahne bereits einstellte und denselben zur Erkrankung 
brachte, sich noch immer nicht bei jedem Zahne einzustellen braucht/ 

2. daß, falls die Krankheitsursache sich schon gleichzeitig und in gleichem 
Grade bei mehreren Zähnen einstellte und dieselben zur Erkrankung brachte, 
das Krankheitsbild noch immer nicht bei jedem Zahne dasselbe zu sein braucht. 

Die Aufgabe, die daher zu lösen ist, besteht darin, dasjenige ätiologische 
Moment zu ermitteln, das diese Eigenschaften besitzt, denn nur dieses ver- 
mag uns das gleichzeitige Vorhandensein so verschiedener Pyorrhoebilder in 
ein und demselben Munde zu erklären. Daß Pyorrhoe ohne gleichzeitiges 
Vorhandensein des ätiologischen Moments nicht existieren darf, ist eine 
selbstverständliche Bedingung. 

Wenn auch nach den erwähnten Prinzipien und Gründen sämtliche bis¬ 
herigen Theorien zu verwerfen sind, so muß ich mich dennoch mit einzelnen 
Theorien befassen, nachdem dieselben noch in allerletzter Zeit von berufener 
Seite verteidigt wurden. 

So schreibt Hille in seinem Aufsatze „Zur Kenntnis der Alveolarpyor¬ 
rhoe'' (Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, Heft 10, 1921): „Niemals 
sah ich diese Erscheinung bei normalgestellten, regulärem Biß dienstbaren 
Zähnen ohne Zahnstein oder Zahnbelag." 

Adloff sagt in seinem Artikel „Einige kritische Betrachtungen zu den 
Arbeiten Fleischmanns und Gottliebs über die Ätiologie der Alveolar¬ 
pyorrhoe", welcher erst vor einigen Wochen in der Vierteljahrschrift für 
Zahnheilkunde, Heft 2, 1921, publiziert wurde, folgendes: „Ich stimme also 
durchaus mit jenen Autoren überein, die eine Infektion vom Ligamentum 
circulare aus als die alleinige Ursache der Pyorrhoe betrachten." 

Wie sieht es nun mit diesen Theorien aus? 

1. Die Zahnsteintheorie. Wir wissen, daß Zahnstein vorhanden sein 
kann ohne Pyorrhoe und Pyorrhoe vorhanden sein kann, ohne daß man 
gleichzeitig Zahnstein vorfindet. 

2. Die Infektionstheorie. Diese besagt, daß jede Entzündung in der 
Umgebung des Zahnes zu Pyorrhoe führen kann, gleichviel aus welchem 
Grunde die Entzündung entstanden ist. Auch diese Theorie hält den Zahn¬ 
stein für die häufigste Ursache der Entzündung. Wir sehen aber, daß Zähne 
schon einen sehr hohen Grad von Pyorrhoe zeigen können, ohne daß in 
deren Umgebung Entzündungserscheinungen vorhanden wären. Anderer¬ 
seits kann eine ausgebreitete eitrige Zahnfleischentzündung vorhanden sein, 
bei der das Zahnfleisch geschwollen, gelockert ist, bei der der Eiter aus dem 
Zahnfleische förmlich fließt. Der Prozeß läuft ab, das Zahnfleisch bekommt 


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32 


Josef Bodo 


sein früheres Aussehen wieder, der Prozeß läßt gar keine Folgen zurück, 
weil es sich nicht um einen pyorrhoeischen Prozeß handelte. 

Was für Gegenargumente die Verfechter dieser zwei Theorien noch in 
der allerletzten Zeit Vorbringen, wenn man ihnen vorhält, daß die Pyorrhoe 
bestehen kann, ohne daß gleichzeitig ihr ätiologisches Moment vorhanden 
wäre, zeigen uns Adloffs folgende Bemerkungen: „Und wenn tatsächliche 
Fälle von Pyorrhoe Vorkommen, bei denen sich kein Zahnstein findet, so 
beweist das nicht, wie noch Greve ganz neuerdings behauptet, daß er die 
wesentliche Ursache nicht sein kann, sondern es geht hieraus nur hervor, daß 
er nicht die alleinige Ursache sein wird, wie ja auch in der Tat Fälle genug 
Vorkommen, in denen zwar Zahnstein, aber keine Pyorrhoe vorhanden ist. 
Die wahre Ursache ist eben die Infektion, die den verschiedenartigsten Schä¬ 
digungen am Zahnfleischrande folgen kann, aber nicht folgen muß. Wenn 
in einem Falle trotz sorgfältigster Pflege und größter Sauberkeit die Pyorrhoe 
auftritt, während in anderen Fällen Individuen, die den Begriff einer Zahn¬ 
pflege gar nicht kennen, von ihr verschont bleiben, so ist das im Hinblick 
auf die bekannten Tatsachen der Immunität nicht mehr zu verwundern als 
viele andere Erscheinungen dieser Art. Allerdings ist das letzte Wort hier¬ 
über vielleicht noch nicht gesprochen/' 

So sehen die Argumente der Verfechter dieser Theorien aus. Sie kommen 
zu dem Schlüsse, daß der Zahn deshalb pyorrhoisch wurde, weil er seine 
Immunität verloren hat, oder mit anderen Worten, es muß eine bis jetzt un¬ 
bekannte Ursache eintreten, die dem Zahne die Immunität nimmt und ihn 
pyorrhoeisch macht, und die wir als das eigentliche ätiologische Moment an¬ 
sprechen müssen. 

Hille sagt in seiner bereits erwähnten Publikation: „Aus den diagnostischen 
Beobachtungen lassen sich bis jetzt folgende Schlüsse ziehen: Die Krankheit 
tritt bei Individuen verschiedenster Körperverfassung auf. Erfahrungsgemäß 
geschieht es, sobald die Widerstandskraft der Gewebe, hier insbesondere die 
des Zahnfleisches, des Ligamentum circulare und des inneren Alveolar¬ 
periosts, nachläßt. Dazu wirken lokale wie allgemeine Ursachen, häufig beide 
kombiniert. Wie bei vielen anderen Erkrankungen, ist auch hier die Ab¬ 
nahme der Gewebsvitalität die Veranlassung, daß Reize krankheitserzeu¬ 
genden Einfluß gewinnen. So wird bei dem einen Individuum der Zahnstein 
oder die übermäßige Belastung oder ein anderes Moment ursächlich sein, 
das bei dem anderen ohne jede Bedeutung ist. In dem unbekannten X, das 
wir Disposition nennen, liegt das Geheimnis, das zu ergründen noch nie¬ 
mandem gelungen ist." 

Wir sehen, daß auch nach Hille dieses bisher unbekannte X das eigent¬ 
liche ätiologische Moment darstellt. Die einen nennen das unbekannte Etwas 
also Immunität, die anderen Disposition, und trotzdem läßt keiner von seiner 
Theorie aus dem einfachen Grunde, weil das richtige ätiologische Moment 
noch nicht gefunden wurde. 

Aber nicht nur in der Frage der Ätiologie der Pyorrhoe, sondern auch 
in der Beurteilung des Krankheitsverlaufes herrscht Verwirrung. So stellt 


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Die Ätiologie der Alveolarpyorrhoe 


33 


Hille zur sicheren Diagnose der Pyorrhoe als erstes Symptom die Eiterung 
auf, während sein Mitarbeiter Seitz in derselben Publikation sagt: „Die 
Eiterung allein kann uns keinen sicheren Gradmesser abgeben für die Dia- 
gnose, andererseits können wir ausgesprochenen Fällen von Pyorrhoe be- 
gegnen, die, entgegen dem zu erwartenden, so gut wie keinen Eiterfluß 
zeigen." 

Adloff behauptet sogar, daß eine Infektion vom Ligamentum circulare 
aus auch ohne Atrophie zu einer Alveolarpyorrhoe führen kann, daß es also 
auch ohne Atrophie eine Pyorrhoe geben kann. 

Wir sehen, welche Wichtigkeit die Verfechter dieser Theorien dem Liga- 
mentum circulare beimessen, das sie förmlich als Torwächter des Periodont 
talraumes hinstellen. Die histologischen Untersuchungen Weskis <Vierrel- 
jahrschrift für Zahnheilkunde, Heft 1, 1921) haben aber ergeben, daß dem 
Ligamentum circulare diese Wichtigkeit nicht zukommt, da die Sharpeyschen 
Fasern nicht blos am Eingänge, sondern entlang der ganzen Alveole vor- 
handen sind. Auch die hystologischen Untersuchungen Fleischmanns und 
Gottliebs <österr. Zeitschrift für Stomatologie, 1920, Heft 2> gehen diesen 
Theorien an den Lebensnerv, denn sie haben bewiesen, daß nicht die Ei¬ 
terung das Primäre in den Krankheitssymptomen ist, wie dies die Verfechter 
dieser Theorien zu deren Erklärung brauchen, sondern die Atrophie, der 
dann die Entzündungserscheinungen folgen. 

Und so sehen wir, daß diese Theorien auch den hystologischen Befunden 
widersprechen. 

3. Die konstitutionelle Theorie. Sie hält die verschiedensten kon¬ 
stitutionellen Krankheiten als die Ursache der Pyorrhoe: Blutarmut, Zucker¬ 
krankheit, Gicht, Lebererkrankung, sogar Herz- und Nervenkrankheiten. 
Wir wissen aber, daß Pyorrhoe ohne gleichzeitiges Vorhandensein einer 
dieser Krankheiten bestehen kann, und ebenso können diese Krankheiten be¬ 
stehen, ohne daß Pyorrhoe vorhanden wäre. Und wenn Leute, die Pyor¬ 
rhoe haben, gleichzeitig an einer dieser Krankheiten leiden, so ist die Pyor¬ 
rhoe gewiß nicht die Folge des Allgemeinleidens und steht damit nicht in ur¬ 
sächlichem Zusammenhänge/ sie kommen nur insoweit in Betracht, daß die 
Pyorrhoe dadurch einen schlimmeren Verlauf nehmen kann, wie wir dies 
speziell bei Zuckerkranken sehen. 

4. Die Karolyische Überlastungstheorie. Schon vor Karolyi und 
auch jetzt noch haben viele Autoren vermutet, daß die Funktion des Zahnes, 
seine Belastung, sowie Okklusionsfehler bei der Entstehung der Pyorrhoe 
irgendwelche Rolle spielen und daß daher das ätiologische Moment auf dyna¬ 
mischem Gebiete zu suchen sei. Aber bei allen diesen Autoren ist es immer 
nur bei der Vermutung geblieben. Karolyi war der Erste und der Einzige, 
der sich über diese Vermutung hinaus wagte und die Überlastungstheorie 
aufstellte. Diese Theorie rief im Anfang einen förmlichen Rummel hervor, 
aber sehr bald stellten sich ihre Widersprüche ein, die sie dann zu Falle brachten. 

Wir wissen, daß Überlastung vorhanden sein kann, ohne daß der Zahn 
an Pyorrhoe erkrankt, und ebenso kann Pyorrhoe bestehen, auch ohne Über- 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 1 3 


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Fig. 1 


lastung/ ja es kann sogar ohne jede Belastung des Zahnes durch seinen An- 
tagonisten Pyorrhoe auftreten. Das Bild <Fig. Nr. 1 mit seinem Röntgen¬ 
bilde Nr. 2> ist der sprechendste Beweis gegen diese Theorie. Wir sehen, 
daß der obere Prämolar trotz der starken Überlastung pyorrhoefrei ist, ob¬ 
zwar er mit seiner kleinen Wurzel keinen besonders großen Widerstand 

besitzt, lind so hat Karolyi mit seiner Theorie 
Schiffbruch gelitten, weil er nicht erklären konnte, 
wie Überlastung bestehen kann, ohne daß der 
Zahn pyorrhoeisch wird. 

Und doch ist es der Weg zur Dynamik, 
der betreten werden muß, damit diesem 
Chaos in der Ätiologie der Pyorrhoe ein 
Ende gemacht werde. 

Wir wissen, daß die Funktion der Zähne eine 
rein mechanische ist, und so darf man sich nicht 
wundern, wenn Fehler, die während dieser Ar¬ 
beitsleistung entstehen, ebenfalls in der Mechanik 
zu suchen sind. Die Zähne sind während ihrer 
Funktion dem Kaudrucke unterworfen. Sie kön¬ 
nen diese Funktion nur dadurch erfüllen, daß sie 
der auf sie einwirkenden Kaukraft eine Gegenkraft in der Form ihres Wider¬ 
standes entgegenstellen. Und wären die Zähne nicht in der Lage, diese 
Gegenkraft entgegenzustellen, so würden sie dem Kaudrucke ausweichen, wie 
eine in dem Griffe lockere Klinge eines Messers beim Schneiden ausweicht. 
Die Funktion der Zähne wird also dynamisch durch das Verhältnis der 

Kaukraft zum Widerstande des Zahnes 

in der Formel: F = ^ zum Ausdrucke ge¬ 
bracht, w obei F die Funktion, K die Kau¬ 
kraft und W den Widerstaud des Zahnes 
bezeichnet. Die Kaukraft w'ird verschieden 
groß angegeben, aber nur ein Teil der¬ 
selben wird zur Durchführung des Kau¬ 
aktes benötigt. Nach meinen Untersuchun¬ 
gen an mit Unterkiefer-Pseudarthrose be¬ 
hafteten Invaliden vermochten diese, wenn 
sie mit den Zähnen ein Gewicht von 7 — 9 kg halten konnten, selbst die 
härteste Brotrinde zu zerkauen. Der Widerstand der Zähne besteht in seinem 
durch das Zahnfleisch verstärkten Halt in der Alveole. 

Bevor ich mich über meine dynamische Theorie weiter verbreite, muß ich 
noch zwei Theorien erwähnen, die in den letzten Jahren aufgetreten sind 
und zwar: 

5. Die Spirochäten-Theorie, die während des Krieges entstand, 
und die in dem Spirochätenbazillus den spezifischen Erreger der Pyorrhoe 
gefunden zu haben glaubte. Sie vermochte sich nicht lange zu behaupten. 



Fig. 2 


Go igle 


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Die Ätiologie der Alveolarpyorrhoe 


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6. Die Gottliebsche Theorie. Mit dieser muß ich mich eingehender 
befassen. Sie wurde nach anatomisch-histologischen Untersuchungen Fleisch- 
man ns und Gottliebs von letzterem aufgestellt. <österr. Zeitschrift für 
Stomatologie, 1920, Heft 2>. 

Diese Untersuchungen galten eigentlich, wie die Autoren selbst zugeben, 
vor allem der Entscheidung der alten Streitfrage, ob die Atrophie das erste 
Krankheitssymptom ist oder die Entzündungserscheinungen, denen die Atro- 
phie folgt. Die Untersuchungen haben ergeben, daß die Atrophie das pri- 
märe ist, und diese Tatsache nimmt Gottlieb zum Anlaß, eine Theorie auf¬ 
zustellen, nach welcher die Atrophie der Alveole das ätiologische Moment 
der Pyorrhoe darstellt. 

Nach Gottlieb setzt bei der Alveole in dem Momente, wo sie fertig 
verkalkt ist, sofort die Resorption, der Knochenabbau, ein, d. h. die phy- 
siologische Atrophie, die durch eine gleichzeitig einsetzende Knochenneubil- 
düng, den Knochenanbau, wettgemacht wird. Bleibt dieser Anbau aus, so 
kommt die sonst physiologische Atrophie zum Vorschein und wird zu der 
bei Pyorrhoe vorhandenen pathologischen Atrophie. 

Gottlieb sagt: „Wir wissen, daß der Vorgang bei der Inaktivitätstheorie, 
z. B. der Röhrenknochen, allgemein so aufgefaßt wird, daß der als physio- 
logisch zu bezeichnende Abbau des fertig verkalkten Knochens normal vor 
sich geht, während der Anbau infolge Fehlens des funktionellen Reizes aus¬ 
bleibt. An dem fertig verkalkten Zement und dem Alveolarfortsatz treten 
nun die gleichen Verhältnisse ein, der Abbau beginnt." 

Nun ist bei den Zähnen die Sache insofern anders, als hier, trotz aus- 
geübter Funktion, der Anbau ausbleiben und Atrophie auftreten kann, und 
wir werden sehen, welche Schwierigkeiten Gottlieb hat, um den für den 
Anbau nötigen Reiz ausfindig zu machen und wie es ihm trotz zweier Hypo¬ 
thesen nicht gelingt, den Beweis zu erbringen, daß die Atrophie das ätiolo¬ 
gische Moment der Pyorrhoe darstellt. 

Folgen wir nun Gottliebs Gedankengang. Er sagt, wie der Zahnkeim 
durch den Wachstumsreiz auf den angrenzenden Knochen im Sinne der Bil¬ 
dung des Alveolarfortsatzes wirkt, so wäre per analogiam die Annahme am 
nächstliegendsten, daß die Funktion des fertiggebildeten Zahnes den Reiz 
für die Weitererhaltung der Alveole abgibt. Würde diese Annahme richtig 
sein, so dürfte bei ausgeübter Kautätigkeit keine Atrophie vorhanden sein, 
und bei Ausfall der Kautätigkeit müßte Atrophie auftreten/ aber beides ist 
nicht der Fall. Wir finden Zähne, sagt Gott lieb, wo trotz ausgeübter Kau¬ 
tätigkeit Atrophie besteht. Für diese Fälle ist zu der Annahme der Über¬ 
lastung gegriffen worden, und für diese Fälle wurde von Sicher eine Druck¬ 
atrophie angenommen. Dieser Annahme, sagt Gottlieb, steht vom ana¬ 
tomischen Standpunkte nichts im Wege. Nun gibt es aber Fälle, bei wel¬ 
chen keine Überlastung besteht, und bei welchen trotz ausgeübter Kautätig¬ 
keit doch Atrophie vorhanden ist, und so kommt Gottlieb zu dem Schlüsse: 
„Wir sehen also, daß die Funktion des Zahnes für den Alveolarknochen 
wohl zum Teile im Kauakt gesucht werden kann, daß aber eine Reihe von 

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Josef Bodo 


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schwerwiegenden Momenten uns zwingt, ihn nicht als die einzige, den 
Zustand des Alveolarfortsatzes bestimmende Funktion anzusehen. Hs 
zwingen uns vielmehr die klinischen Erfahrungen und histologischen Befunde, 
außer dem funktionellen Kaureiz noch ein anderes Moment zu postulieren, 
das das gegenseitige Verhältnis zwischen Zahn und Alveole bestimmt/' 

Nach Gottlieb tritt nicht nur in der Alveole, sondern auch im fertig 
verkalkten Wurzelzement Resorption ein, welche durch Zementneubildung, 
durch Sekundärzement, wettgemacht wird. Auch für die Zementneubildung 
kann Gottlieb den funktionellen Reiz nicht allein im Kauakte suchen, denn 
er sagt: „Vor allem bleibt die Hauptfrage unbeantwortet, warum an dem 
einen Gebiß sich reichlich Zement neu bildet, an dem anderen nicht. Wir 
sehen also, daß wir auch für die Zementhyperplasie nicht den Kauakt allein 
verantwortlich machen können. Wir sind daher gezwungen, diesen postu* 
lierten Reiz für die Neubildung von Sekundärzement auf dem Boden ab* 
gebauten Zementes in einer Regenerationskraft zu suchen, die bestimmten 
Gebißtypen von Haus aus als konstitutionelle Eigenschaft innewohnt, in 
einer Regenerationskraft, vermöge deren jeder Versuch des Organismus, die 
verkalkten Wurzelgewebe durch Resorption zu eliminieren, durch Zement* 
neubildung beantwortet wird. Wir haben uns also im ganzen und großen 
den Vorgang so vorzustellen, daß nach beendeter Entwickelung Resorption 
von Zement und Alveole einsetzt. Infolge einer angenommenen Lebens* 
fähigkeit tritt an gewissen Gebißtypen Neubildung von Sekundärzement ein, 
das einen funktionellen Reiz auf den Alveolarfortsatz ausübt und ihn zur 
Sistierung des Abbaues und Einsetzung von Anbau veranlaßt/' 

Gottlieb teilt die Gebisse in wehrfähige und in wehrlose ein,* ersterc 
sind regenerationsfähig, letztere nicht,- er hält die gutverkalkten Zähne für 
die wehrlosen. Aber selbst diese Annahme hilft ihm nicht vorwärts, denn 
er muß zugeben, das solche Gebißtypen nicht existieren, denn er sagt: „Der 
Grad der Reaktionsfähigkeit ist bei einzelnen Zähnen desselben Gebisses 
ungleich, ja so .ar bei den einzelnen Zementpartien des gleichen Zahnes, un* 
beschadet der Einteilung in reaktionslose und reaktionsfähige Gebisse." 

Mit anderen Worten: Es können also in einem wehrfähigen Gebisse 
wehrlose und in einem wehrlosen Gebisse wehrfähige Zähne vorhanden sein. 
Und selbst diese unglaublich klingende Annahme, wonach jeder Zahn auf 
konstitutioneller Basis eine andere Eigenschaft haben kann, muß er noch 
verwässern, indem er sagt, daß wehrfähige Zähne oder Gebisse ihre Re* 
aktionsfähigkeit im Laufe derZeit aus bisher noch unbekannten Grün* 
den verlieren können. Das heißt also: Wenn eine bisher noch unbe* 
kannte Ursache eintritt, so verliert der Zahn die Regenerations* 
fähigkeit, und die Atrophie tritt auf. Also auch hier ist diese bis* 
her unbekannte Ursache diejenige, die, wenn sie sich bei einem 
Zahne einstellt, Atrophie hervorruft und die als das eigentliche 
ätiologische Moment anzusprechen ist. 

Wir sehen auch, daß nicht die Unfähigkeit des Zahnes, Sekundärzement 
zu bilden, das ätiologische Moment ist, wie dies Adloff in seiner Kritik 



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Die Ätiologie der Alveolarpyorrhoe 


37 


sagt, sondern jene bisher unbekannte Ursache, welche dem Zahne 
die Regenerationsfähigkeit nimmt und ihn für die Zementneubildung eben 
unfähig macht. 

Es ist also Gott lieb trotz seiner kombinierten Theorie nicht gelungen, 
den Beweis zu erbringen, daß die Atrophie die Ursache der Pyorrhoe ist,- 
die Atrophie bleibt auch nach seiner Theorie das primäre Krankheitssym¬ 
ptom. Seine Theorie ist geradeso, wie die bisherigen, bei einer 
bisher unbekannten Ursache gelandet mit dem einzigen Unter¬ 
schiede, daß nach ihm diese bisher unbekannte Ursache den Zäh¬ 
nen die Regenerationsfähigkeit nimmt. 

Und so mußte die Gottliebsche Theorie von vornherein mißlingen, da 
ihre Grundlage falsch war. Denn daraus, daß die Atrophie unter den Krank¬ 
heitssymptomen das primäre darstellt, kann man doch nicht folgern, daß sie 
die Ursache der Krankheit ist. Die Theorie war also von Haus aus ein 
totgeborenes Kind. Fleischmann und Gottlieb knüpften an diese auf 
histologischer Basis aufgebaute Theorie weitgehende Hoffnungen, wie sich 
dies aus folgenden Ausführungen ergibt: „Es dürfte ein in der Geschichte 
der neueren Medizin wohl ohne Analogie dastehender Fall sein, daß eine 
ganze Reihe von Autoren, die sich mit der Erforschung der Alveolarpyor¬ 
rhoe beschäftigten, die pathologische Anatomie gar nicht oder nur ungenügend 
berücksichtigten und sich für berechtigt hielten, lediglich aus der klinischen 
Beobachtung heraus ihre Schlüsse zu ziehen. Ohne die Bedeutung der 
Klinik für die Erforschung eines Krankheitsbildes im mindesten zu verkennen, 
müssen wir doch betonen, daß die genaueste Berücksichtigung der patholo¬ 
gischen Anatomie eine so selbstverständliche und dringende Forderung ist, 
daß alle Autoren, die sie nicht restlos erfüllten, füglich ein Gebäude auf 
Sand errichtet haben.'" 

Wenn eine Theorie mit solchen Worten einsetzt und dann bei einer bis¬ 
her unbekannten Ursache landet, so muß ich als Antwort mit Horaz 
ausrufen: Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus! 

Die klinischen Befunde, unterstützt durch die Röntgenbilder, befähigen 
uns, an die Lösung der Pyorrhoefrage zu schreiten. Gewiß sind die histo¬ 
logischen Untersuchungen wichtig, und sie sind gewissermaßen die Kontrolle 
für die Richtigkeit einer Theorie. Eine Theorie ist nur dann richtig, wenn 
sie den histologischen Befunden nicht widerspricht, wenn sie durch dieselben 
vielmehr bestätigt wird. 

Während Gottlieb das dynamische Gebiet verließ und das konstitutio¬ 
nelle betrat, werde ich mich später bei der Beweisführung für die Richtigkeit 
meiner Theorie auf jene Tatsachen stützen, die er angegeben hat, aus denen 
er aber nicht die richtigen Schlüsse zog. 

Die Gesellschaft der schwedischen Zahnärzte in Stockholm hat Weski 
beauftragt, die Gottliebsche Theorie kritisch zu beurteilen. Weski kommt 
in der betreffenden Arbeit <Vierteljahrschrift für Zahnheilkunde, 1921, Heft 1> 
zu ganz entgegengesetzten Resultaten als Gottlieb, obzwar seine Unter¬ 
suchungen ebenfalls auf anatomisch-histologischer Basis geführt wurden. 


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Josef Bodo 


Nach Weski gibt es keine physiologische Atrophie. Er sagt, daß zur Bil¬ 
dung der Alveole der von Gottlieb angenommene Wachstumsreiz des 
Zahnkeimes gar nicht nötig ist. Schon in den ersten Stadien der Zahnent¬ 
wickelung differenziert sich um den Zahnkeim das fötale Mesenchymgewebe 
zum Zahnsäckchen, aus dem sich sodann das Paradentium (Alveolarfortsatz, 
Periost und Zahnfleisch) entwickelt. Weski sagt: „Das Schicksal des Zahn¬ 
säckchens ist, wie seine weitere Entwicklung lehrt, aufs innigste mit dem des 
Zahnkeimes verknüpft/ wie dieser nach vollendeter Entwicklung kein „tem¬ 
poräres Gebilde'' ist — wie es Gottlieb annimmt — so ist das aus dem 
Zahnsäckchen hervorgegangene Paradentium niemals einer physiologischen 
Atrophie verfallen. Es ist mit seinem Zahn jung und wird alt mit ihm 
und weicht nur höherer Gewalt." 

Nach Weski ist es die Funktion, die Belastung des Zahnes, die bei der 
Entstehung der Pyorrhoe den ätiologischen Faktor abgibt/ er fügt jedoch 
hinzu, sie nehme sich indes anders aus, alsKarolyi es sich dachte. Es ist also 
nicht die Überlastung die Ursache, sagt er/ welcher Art Belastung sie sei, 
darüber spricht er sich nicht aus. 

Wir sehen, daß während Gottlieb der Funktion der Zähne bei der 
Entstehung der Alveolarpyorrhoe ein regenerierendes Moment beimißt, 
mutet Weski ihr eine pathologische, die Krankheit direkt erzeugende Eigen¬ 
schaft bei. Und wenn Gottlieb zum Beweise seiner Ansicht sagen kann: 
Ziehe ich den Zahn, so schwindet die Alveole, so kann Weski sagen: Ziehe 
ich den Zahn, zo schwindet die Pyorrhoe. Beides ist Tatsache. Diese Wider¬ 
sprüche werden sich aufklären, sobald das richtige ätiologische Moment ge¬ 
funden ist. Aber auch nach Weskis Untersuchungen bleibt das ätiologische 
Moment ebenso unklar wie vordem. Es bleibt auch weiter unaufgeklärt, 
warum die Belastung des Zahnes einmal Pyorrhoe hervorruft, während ein 
anderes Mal Pyorrhoe selbst bei Überlastung des Zahnes nicht auftritt. 

Daß zwei auf gleicher histologischer Basis geführte Untersuchungen zu so 
entgegengesetzten Resultaten fuhren, ist gewiß geeignet, die Verwirrung, die 
in der Ätiologie der Pyorrhoe herrscht, noch bedeutend zu vermehren. 

Überblicken wir die bisherigen Theorien, so ergibt sich für 
alle das gemeinsame Moment, daß sie mit einer bisher unbe¬ 
kannten Entstehungsursache enden/ denn die einen sagen: Der 
Zahn hat die Regenerationsfähigkeit, die anderen wieder, er 
habe die Immunität aus einer bisher unbekannten Ursache ver¬ 
loren, oder der Zahn habe infolge dieser bisher unbekannten Ur¬ 
sache die Disposition für die Krankheit erlangt. 

Nach all dem gelangen wir zu der Erkenntnis, wie berechtigt im allge¬ 
meinen die Anforderung an eine Theorie ist, daß sie mit ein und demselben 
ätiologischen Momente alle Krankheitsfälle erklären muß. Sämtliche bis¬ 
herigen Theorien landeten bei einem bisher unbekannten X, weil sie eben 
diese Bedingung nicht zu erfüllen vermochten. Und im übrigen erscheinen 
mir Theorien, die sich auf Argumente wie: „Es kann, es braucht aber nicht 
zu folgen" stützen, nicht weiter erörterungsfähig. 


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Die Ätiologie der Alveolarpyorrhoe 


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Auffallend ist, daß diese Theorien noch immer Anhänger haben, während 
die dynamische Theorie Karolyis so gut wie abgetan erscheint. Die Ur¬ 
sache ist darauf zurückzuführen, daß sie einem jeden Zahne jene Eigen¬ 
schaft imputieren, die sie gerade zur Erklärung ihrer Behauptungen brauchen, 
die man glauben kann, die man aber nicht zu glauben braucht. Bei der dyna¬ 
mischen Theorie aber kann man nicht sagen, dieser Zahn hat diese Eigen¬ 
schaft und jener jene. Wenn hier das ätiologische Moment auch nur in einem 
einzigen Falle physikalisch nicht zu beweisen ist, fällt die Theorie. Ist jedoch 
das dynamische ätiologische Moment richtig, so muß es auch in jedem Falle 
physikalisch nachgewiesen werden können. 

Nun begebe ich mich auf Grund der von Gottlieb in seiner erwähnten 
Publikation angeführten Tatsachen auf die Suche nach dem richtigen ätiolo¬ 
gischen Moment der Alveolarpyorrhoe und werde mit meinen Ausführungen 
gleich dort einsetzen, wo Gottlieb das dynamische Gebiet verließ. 

Gottlieb sagt: „Ferner leiden die Frontzähne beim En-tete-Biß nie an 
erheblichem Alveolarschwund, während dies beim physiologischen Qberbiß 
nicht selten, beim pathologischen (nach dem Typus der Klasse II, Abt. II, 
Angle) oft der Fall ist." Ferner sagt Gottlieb: „Es ist uns weiters wohl- 
bekannt, daß vielfach Zähne locker werden und ausfallen, bei denen die 
Überlastung als Ursache in die Augen springend ist." Ich veranschauliche 
dies durch das Bild (Fig. 1 und 2> beim Eckzahn. „Andererseits sehen wir 
aber oft genug durch Extraktionen stark gelichtete Gebisse, die Jahre und 
Jahrzehnte die ganze Kautätigkeit mit einer verschwindenden Anzahl von 
Antagonistenpaaren besorgen und dauernd eine bewundernswerte Festig¬ 
keit behalten." Mein Bild (Fig. 1 und 2> veranschaulicht diesen Zustand beim 
oberen Prämolar. Gott lieb folgert weiter, „daß die Überlastung nicht in 
jedem Falle eine Alveolaratrophie verursacht, daß vielmehr eine primäre 
Atrophie auf der zu besprechenden Basis zugrunde liegen muß." Daß er 
diese Basis auf konstitutionellem Gebiete sucht, habe ich bereits hervorge¬ 
hoben. Wir wissen schon, daß das Bild (Fig. 1 und 2> die Karolyische 
Theorie zu Falle brachte, weil sie nicht zu erklären vermochte, weshalb beim 
überlasteten oberen Prämolar keine Pyorrhoe besteht. 

Auch Gottlieb findet für dieses Bild keine Erklärung. Auch er kann nicht 
erklären, warum bei diesem Prämolar die Überlastung keine Pyorrhoe er¬ 
zeugt, während der Eckzahn mit seinem bedeutend größeren Widerstande 
der Krankheit schon erlegen ist. 

Aber auch Weski vermochte nicht die Erklärung hierfür zu finden/ auch 
er kann nicht sagen, warum die Überlastung des Prämolaren (hier am Bilde, 
Fig. 1 und 2> keine Pyorrhoe hervorruft. Er meint zwar, wie ich schon er¬ 
wähnte, die Ursache der Pyorrhoe ist nicht die Überlastung, wie sich dies 
Karo ly i gedacht hat, aber welche Art der Belastung die Pyorrhoe hervor¬ 
ruft, vermag er nicht anzugeben. 

Das Bild zeigt auch, daß ein Okklusionsfehler für sich allein Pyorrhoe 
nicht hervorzurufen vermag, da der Prämolar, obzwar er einen Okklusions¬ 
fehler aufweist, trotzdem nicht pyorrhoeisch ist. 


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Josef Bo.lö 


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Und es ist interessant, daß ein eingefleischter Anhänger der Infektions* 
theorie, Prof. Adloff, an einer Stelle seiner erst vor drei Wochen erschien 
nenen Publikation sagt: „Ich stimme also durchaus mit jenen Autoren über* 
ein, die eine Infektion vom Ligamentum circulare aus als alleinige Ursache 
der Pyorrhoe betrachten", an einer anderen Stelle aber, wo er die Gott* 
lieb sehe Erklärung der Pyorrhoe als nicht annehmbar bezeichnet, zu dem 
Bekenntnis gezwungen ist: „Wir werden uns nach anderen Ursachen um* 
sehen müssen. Und da scheint mir in der Tat immer noch die Belastungs¬ 
theorie die größte Wahrscheinlichkeit zu besitzen, allerdings in etwas modi¬ 
fizierter Form." 

Schauen wir nun, worin diese Modifikation wohl liegen mag? Greifen 
wir auf Gottlieb zurück. Er führte unterschiedliche Bißarten an, bei wel¬ 
chen die Unterschiede nur in der verschiedenen Gegenüberstellung der Zähne 
<Dynamik> liegen. Nun beschreibt er bei diesen verschiedenen Bißarten ver¬ 
schiedene Befunde des Zustandes der Alveole, und anstatt diesem offensicht¬ 
lichen Zusammenhänge, der Dynamik der Zähne mit dem Zustande der 
Alveole, nachzugehen, verläßt er jetzt das dynamische Gebiet und sucht die 
Erklärung auf konstitutionellem Gebiete. 

Sind wir zur Erklärung des erwähnten Bildes und der vorerwähnten Un¬ 
terschiede in den Alveolarzuständen genötigt, das dynamische Gebiet zu 
verlassen? Ist es wirklich notwendig, sich vom dynamischen Gebiete zu ent¬ 
fernen, weil die Überlastung, also die Menge der Kraft, uns nicht die Er¬ 
klärung zu geben vermag? 

Bei Kräfteeinwirkungen hängt der Effekt nicht nur von der Menge der 
Kraft und von der Zeit der Einwirkung ab, sondern es spielt ganz beson¬ 
ders auch die Richtung der Kraft eine hervorragende Rolle. Ich kann z. B. 
den Tisch mit mehreren hunderten kg Gewicht belasten ohne jeden Effekt, 
hingegen kann ich ihn mit einer viel geringeren Kraft von der Seite her um- 
werfen. Erwägen wir, ob die Richtung der Kraft in jenem Falle, wo Pyor¬ 
rhoe besteht, dieselbe ist, wie in jenem, wo keine Pyorrhoe vorhanden ist. 
Wir sehen auf dem erwähnten Bilde, daß eine Verschiedenheit in der Rich¬ 
tung der Kraft besteht, ebenso finden wir diese Verschiedenheit der Kraft¬ 
richtung bei den erwähnten verschiedenen Bißarten. In jenem Falle, wo die 
Kaukraft vom Zahne in der Achsenrichtung erlitten wird, wie es beim Prä- 
molaren der Fall ist, finden wir keine Pyorrhoe, dagegen finden wir Pyor¬ 
rhoe in jenen Fällen, wo die Kaukraft vom Zahne, wie es beim Eckzahn 
der Fall ist, als seitlicher hebelwirkender Druck erlitten wird. Und 
nun sind wir beim ätiologischen Moment angelangt. 

Der seitliche, hebelwirkende Druck stellt das ätiologische Mo¬ 
ment der Alveolarpyorrhoe dar. Und mein dynamischer Grundsatz 
lautet deshalb: Keine Kraft, auch nicht die Überlastung, vermag 
Pyorrhoe hervorzurufen, wenn der Zahn sie nicht als seitlichen 
Druck erleidet, und es kann jede Kraft, auch die normale Be¬ 
lastung, Pyorrhoe erzeugen, wenn der Zahn diese Kraft als seit¬ 
lichen Druck erleidet. Und infolgedessen ist die Pyorrhoe der Effekt 



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Die Ätiologie der Alveolarpyorrhoe 


41 


eines Kräftespiels, welches durch das Verhältnis des erlittenen hebelwirken* 
den seitlichen Drucks zum Widerstande des Zahnes sich in der Formel 
H 

Py = ^ ausdrückt, wobei Py die Pyorrhoe, H den hebelwirkenden seitlichen 

Kaudruck und W den Widerstand des Zahnes bedeutet. 

Wir sehen also, daß nicht die Menge der Kraft, sondern ihre Wirkungs* 
art das ätiologische Moment der Pyorrhoe abgibt. Wie groß der Unter* 
schied in diesen zwei Begriffen ist, zeigt die Therapie. Wäre die Menge der 
Kraft, also die Überlastung, die Ursache der Pyorrhoe, so müßte die The* 
rapie in der Entlastung bestehen. Ist die schlechte Wirkungsart der ein wir* 
kenden Kraft die Ursache der Pyorrhoe, dann muß die Therapie in der rieh* 
tigen Belastung des Zahnes bestehen. 

Ich habe bereits im Jahre 1909, gelegentlich des fünften internationalen 
zahnärztlichen Kongresses in Berlin, in der Sektion IV, bei einer Diskussion 
über die Pyorrhoe, den seitlichen hebelwirkenden Druck als das 
ätiologische Moment der Pyorrhoe bezeichnet. Wie aus dem 
Kongreßberichte, Band I, Seite 415, hervorgeht, sagte ich u. a.: „Meiner 
Ansicht nach kommt hier nur die Frage in Betracht, wie diese Kauzähne 
aufeinanderbeißen." „Berühren sich aber diese Kauzähne beim Aufeinander* 
beißen derart, daß der Kaudruck sie seitlich trifft, so erleiden dieselben 
bei jedesmaligem Zubeißen einen seitlichen Druck, und es entsteht bei 
diesen Kauzähnen eine fortwährende Hebelwirkung. Diese Hebel wirkung 
ist diejenige Komponente, welche ich bei der Entstehung der 
Alveolarpyorrhoe als dispositionserzeugend betrachte und nicht 
die Überlastung, soweit die Überlastung keine Hebelwirkung be* 
wirkt. 

Ich habe in einem Falle von Alveolarpyorrhoe, rechts oben, wo der erste 
Molar nicht zu retten war, diesen extrahiert, den Prämolaren und den zweiten 
Molar als Brückenpfeiler benützt, und nachdem diese Zähne infolge der 
Brücke keinen seitlichen Druck mehr zu erleiden hatten, haben sich dieselben, 
trotzdem sie auch pyorrhoeisch erkrankt waren und jetzt sogar mehr belastet 
wurden als vorher, derart erholt, daß der Patient, der früher infolge Schmer* 
zen nicht zu essen vermochte, jetzt ganz gut kauen kann. Wieder ein Be* 
weis, daß die Überlastung allein, insofern sie keine Hebelwirkung 
bewirkt, nicht nur keine Pyorrhoe hervorrufen kann, sondern 
daß selbst pyorrhoeisch erkrankte Zähne, trotz einer Überlastung, 
sich erholen können, sobald sie von dieser, Hebelwirkung her* 
vorrufenden Okklusion befreit werden." 

Mit Recht könnte die Frage auftauchen, wie es kommen konnte, daß, wenn 
das von mir angeführte ätiologische Moment richtig ist, es im Kreise von 
engeren Berufskollegen, von Pyorrhoespezialisten, keinen Widerhall fand. 
Als Antwort führe ich aus Weskis erwähnter Publikation einen Satz an, 
der sich auf einen Fall bezieht, wo Weski die ein wirkende Kaukraft auf 
den Zahn, also die Dynamik des Zahnes, mit dem histologischen Befunde 
in Beziehung zu bringen versucht. Der betreffende Satz lautet: „In welcher 


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Josef Bodo 


Richtung die Druckkräfte auf den Zahn einwirken, darüber möchte idi an* 
gesichts unserer derzeitigen noch mangelnden Kenntnisse über den Hebel* 
mechanismus am Zahnkörper mich nicht äußern." 

Wenn dies irp Jahre 1921 gesagt werden konnte, kann man sich vorsteifen, 
wie es im Jahre 1909 um die Kenntnisse über die Dynamik des Mundes 
aussah. Zu dieser Zeit hatte die Karolyische Theorie noch viele Anhänger, 
und es entspann sich zwischen diesen und den Anhängern der Zahnstein* 
theorie ein heißer Kampf. Trotz meiner Ausführungen wurde ein vermit* 
telnder Antrag zur Fassung eines Resumes gestellt, dahin lautend, daß die 
Pyorrhoe eine Infektionskrankheit auf prädisponierter Basis ist, wobei die 
Überlastung als prädisponierendes Moment anzusehen sei. Der Antrag ge* 
langte jedoch nicht zur Annahme, vielmehr wurde die Entscheidung hierüber 
auf den nächsten Kongreß verschoben. 

Ich habe sodann für den VI. internationalen zahnärztlichen Kongreß in 
London <3. August 1914) einen Vortrag über die Ätiologie der Alveolar* 
pyorrhoe angemeldet. Auf dem Wege nach London ereilte mich jedoch die 
Kriegseinberufung und so unterblieb mein Vortrag. Ich wurde zwar im 
August 1914 von der Kongreßleitung aufgefordert, meinen Vortrag für den 
Kongreßbericht einzusenden. Ich tat dies nicht, da ich meinen Vortrag für 
den nächsten Kongreß reservieren wollte. Ich war der Ansicht, daß eine so 
verwickelte Frage, wie es die Alveolarpyorrhoe ist, nur dann geklärt werden 
kann, wenn man im Kreise von Pyorrhoespezialisten, was eben nur bei in* 
ternationalen zahnärztlichen Kongressen der Fall ist, sofort für alles Ge* 
sprochene Rede und Antwort stehen kann. Ich suchte hierzu noch einmal 
die Gelegenheit, indem ich vor mehr als Jahresfrist in London mich erbötig 
machte, meinen für 1914 bestimmt gewesenen Vortrag jetzt dort abzuhalten. 
Eine Antwort ist mir nicht zugekommen, ich bekam bloß den Kongreßbericht 
zugesendet. Weil auch heute ein internationaler zahnärztlicher Kongreß noch 
nicht in Aussicht steht, betrete ich nun den Weg der Publikation. Vielleicht 
gibt meine Publikation die Anregung zur Abhaltung eines zahnärztlichen 
Kongresses, wie bereits auf anderen wissenschaftlichen Gebieten internationale 
Kongresse wieder aufleben. 

Während des Krieges bildeten wieder jene Zahnlockerungen den Gegen* 
stand meines Studiums, die ich bei der Dauerversorgung der mit bleibenden 
Unterkieferpseudarthrosen behafteten Kieferinvaliden beobachtet habe und 
über die ich 1918 in der Gesellschaft der Ärzte in Wien in einem Demon* 
strationsvortrage berichtete. <Österr. Ungar. Vierteljahrschrift für Zahnheil* 
künde, 1918, Heft 3—4.) Auch diese Zahnlockerungen sind durch die seit* 
liehe hebelwirkende Kraft hervorgerufen worden, und ich werde diese Zahn* 
lockerungen in meinem zweiten Artikel dynamisch beleuchten. 

Ich habe bereits in meinem Wiener Vortrage auf die Wichtigkeit der 
Kräfteteilung einer seitlich auf den Zahn einwirkenden Kraft hingewiesen 
und einer Beobachtung Erwähnung getan, daß Leute während der Behänd* 
lung vielfach Zähne verloren haben, weil auf die Richtung der neu entstan* 
denen Kräftekomponente keine Rücksicht genommen wurde. 


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Die Ätiologie der Alveolarpyorrhoe 


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Auch hatte ich im Kriege als Leiter eines großen militärzahnärztlichen 
Ambulatoriums Gelegenheit, mehrere Zehntausende von Patienten auf ihr 
Gebiß zu untersuchen, wobei ich die Richtigkeit meines dynamischen ätiolo- 
gischen Moments prüfen konnte. In keinem einzigen Falle ließ mich meine 
Theorie im Stiche. Nie sah ich eine Pyorrhoe, die nicht auf den seitlichen 
Drude des Zahnes zurückzuführen gewesen wäre. Und wenn jemand be¬ 
hauptet, er findet Pyorrhoe vor, ohne daß gleichzeitig seitlicher Druck vor* 
handen wäre, so ist der seitliche Druck für den Betreffenden nur deshalb 
nicht existent, weil er ihn nicht zu finden vermochte. Die Stelle, wo der seit* 
liehe Druck entsteht, deckt sich eben nicht immer mit der Stelle, wo er sich 
auswirken kann, ähnlich wie die, auf dicht hintereinander aufgestellte Kegel 
anrollende Kugel den ersten Kegel zwar trifft, aber den letzten umwirft. 

Ich habe in der erwähnten Diskussion noch gesagt: „Bei den Fronte 
zähnen wird diese Hebelwirkung bei erster und dritter Bißart 
schon bei der kleinsten Bißsenkung hervorgerufen." Bei diesen 
Frontzähnen wird die vertikale Kraft, die die Zähne infolge ihrer physio* 
logischen Stellung seitlich trifft, immer als seitlicher Druck erlitten. Ein Kau* 
zahn dagegen braucht die vertikale Kraft, weil sie ihn seitlich trifft, nicht 
immer als seitlichen Druck zu erleiden. 

Welche Fälle es sind, wo auch die Kauzähne, — wie ich beim Kongresse 
demonstrierte — den seitlich empfangenen Kaudruck immer als seitlichen 
Druck erleiden, werde ich später zeigen. 

Bei Frontzähnen des En*tete*Bisses, wenn die Zähne vertikal zueinander 
stehen, wird die vertikale Kräfte nie als seitlicher Druck erlitten. Ein Kau* 
zahn kann, trotzdem er zu seinem Antagonisten vertikal steht, die vertikale 
Kraft noch immer als seitlichen Druck erleiden. 

Diese Exkursion in die noch zu erörternde Dynamik unternahm ich nur 
aus dem Grunde, um bei der Nachprüfung meines ätiologischen Moments 
vor voreiligen Schlüssen zu warnen, denn es ist nicht immer so augenfällig 
wie am besprochenen Bilde, wann ein Zahn unter seitlichem Drucke steht 
und wann nicht, und, um mich Gottliebs Vergleich mit dem Bauen auf Sand 
zu bedienen, muß ich feststellen, daß derjenige, der ohne Dynamik auf die 
Suche des ätiologischen Moments der Pyorrhoe ausgeht, sein Gebäude auf 
Sand errichtet,- er wird zwar histologisch Atrophie feststellen, den gleich* 
zeitig vorhandenen seitlichen Druck jedoch nicht finden. Und nur dann wird 
die Histologie die berechtigte Kontrolle für die Richtigkeit meiner dyna* 
mischen Theorie abgeben können, wenn sie mit voller Kenntnis der Dyna* 
mik unternommen wird. 

Schlüsse, wie sie Gottlieb gemacht hat, sind dynamisch unhaltbar. Denn 
aus folgendem Satze: „Ferner leiden beim En*tete*Biß die Frontzähne nie 
an erheblichem Alveolarschwund, während dies beim physiologischen Über¬ 
biß nicht selten, beim pathologischen <nach dem Typus der Klasse II, Abt. II, 
Angle) oft der Fall ist" kann man nicht die Folgerung ziehen : „Danach 
hätten wir uns also vorzustellen, daß eine normale Belastung durch die Kau¬ 
funktion mit der Erhaltung des Alveolarfortsatzes identisch ist." 


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Josef Bodu 


Diese falschen Schlußfolgerungen waren die Ursache, daß Gottlieb das 
dynamische Gebiet verlassen mußte. Hätte er richtig gefolgert, dann hätte 
er nach seiner Theorie den Schluß ziehen müssen, daß Zähne, die den Kau- 
druck nicht seitlich erleiden, die wehrfähigen, regenerationsfähigen sind, wäh- 
rend Zähne, die die Kaukraft als seitlichen, hebelwirkenden Druck erleiden, 
die wehrlosen, regenerationsunfähigen sind. Ziehen wir also jetzt den re¬ 
generationsfähigen Zahn, so wird die Alveole schwinden, ziehen wir jetzt 
den hebelwirkenden Zahn, entfernen wir die Ursache, so schwindet die Pyor¬ 
rhoe. So klärt sich der erwähnte Widerspruch zwischen Gottlieb und Weski 
auf. Auch hätte Gottlieb seine anfangs ausgesprochene, ganz richtige Be¬ 
hauptung, daß der fertig gebildete Zahn das Fortbestehen des Alveolar¬ 
fortsatzes bestimmt, nicht abändern müssen. 

Zurückgreifend auf das frühere ergibt sich noch folgendes: Ob die Atro¬ 
phie eine durch den seitlichen Druck direkt hervorgerufene Druckatrophie ist 
oder ob sie indirekt dadurch entsteht, daß der seitliche Druck dem Zahne 
die Regenerationsfähigkeit genommen hat, ist für den Effekt egal. In beiden 
Fällen bleibt die Atrophie das pathologische Produkt. Und für die Annahme, 
daß diese Atrophie eine Druckatrophie sei, steht nach Gottlieb anatomi- 
scherseits nichts im Wege. 

Und geradeso wie die Atrophie nicht die Ursache der Pyorrhoe ist, als 
was sie Gottlieb hinstellt, sondern das erste Krankheitssymptom, ebenso 
ist die Infektion nicht die Ursache der Pyorrhoe, wie sie AdIoff hinstellt, 
sondern das zweite Krankheitssymptom, die Entzündungserscheinungen mit 
akutem oder chronischem Verlaufe. Und wenn wir die Atrophie als das 
vorbereitende Stadium der Krankheit auffassen, müssen wir die Infektion 
als das eigentliche Krankheitsbild ansehen, wobei der seitliche Druck diejenige 
Komponente darstellt, die die Prädisposition des Periodontiums vorbereitet. 

Ich habe am Kongresse in der Diskussion weiter gesagt: „Ich betrachte 
die Alveolarpyorrhoe als eine durch die Infektion der Wurzelhaut hervor¬ 
gerufene Erkrankung, wobei die angeführte Hebelwirkung und nicht die 
einfache Überlastung als Disposition erzeugende Komponente aufzufassen 
wäre, was für die Therapie von besonderer Wichtigkeit erscheint, weil die¬ 
selbe in dieser Richtung eingeleitet werden muß." 

Auch sehen wir jetzt, welche Fälle es sind, wo, wie Adloff sagt, „die 
Infektion den verschiedenartigsten Schädigungen am Zahnfleischrande folgen 
kann, aber nicht folgen muß." Die Infektion kann nur in solchen 
Fällen folgen, wo sie einen durch das ätiologische Moment prä¬ 
disponierten Boden vorfindet, und sie kann nicht folgen, wo der 
prädisponierte Boden infolge des Nichtvorhandenseins des ätio¬ 
logischen Moments fehlt, mag auch in der Zahnumgebung eine 
Entzündung vorhanden sein. 

Bis die Entstehung und Entwicklung der Pyorrhoe von mir dynamisch 
beleuchtet sein wird, was ich für meinen zweiten Artikel Vorbehalte, werden 
wir sehen, daß das Problem der Alveolarpyorrhoe auf eine einheitliche 
Basis gebracht werden kann, wenn ihm das dynamische Moment zugrunde 


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Die Ätiologie der Alveolarpyorrhoe 45 

gelegt wird, und ebenso wird dann in die Behauptung Adloffs, daß die 
Pyorrhoe auch ohne Atrophie bestehen kann. Liebt gebracht werden. 

Weskis Behauptung, es gibt keine physiologische Atrophie, wird durch 
die Tatsache erhärtet, daß an vielen Zähnen nicht die geringste Atrophie zu 
finden ist, was nach der Gottliebschen Theorie nicht sein dürfte, weil ein 
Knochenanbau am Alveolarkamm, wie Gottlieb selbst zugibt, niemals 
stattfindet und infolgedessen jeder Zahn ausnahmslos eine Randatrophie 
haben müßte. 

Die physikalische Beweisführung, daß der seitliche hebelwirkende Drude 
jene Eigenschaften besitzt, die ich als Bedingung für das ätiologische Mo- 
ment aufstellte, sowie den Beweis für die Richtigkeit meiner Theorie vom 
Standpunkte der Biologie, behalte ich mir für den zweiten Artikel vor,- hier 
will ich nur in Kürze erwähnen, daß die Wichtigkeit des dynamischen ätio- 
logischen Moments in der Prophylaxe liegt, da wir in der Lage sind, das- 
selbe schon zu einer Zeit festzustellen, wo es noch zu keiner schädlichen Aus¬ 
wirkung gekommen ist und verhüten können, daß die Krankheit sich nicht 
bis zu jenem Grade entwickelt, der eine radikale chirurgische Behandlung er¬ 
forderlich macht. 

Die Ursache, weshalb sich die Alveolarpyorrhoe in dem Maße ausbreitete, 
daß man füglich schon von einer Volkskrankheit sprechen kann, liegt darin, 
weil ein großer Teil der Fälle, wie ich noch physikalisch beweisen werde, 
artefiziellen Ursprungs ist, indem sie durch zahntechnische Arbeiten hervor¬ 
gerufen werden. 


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EIN WORT ZU DEN ANSICHTEN ÜBER DIE PA¬ 
THOGENESE DER ZAHNWURZELGRANULOME 
UND ZYSTEN UNTER BERÜCKSICHTIGUNG 
RÖNTGENOLOGISCHER ERFAHRUNGEN 

VON 

DR. HERMANN KNESCHAUREK, GRAZ 

M it dem Fortschreiten der Strahlentherapie, die sich seit den letzten Jahren 
auch unseres Faches zu bemächtigen sucht, erscheint nun die Enu 
stehungsweise der Neugebilde, sowie die Art der sie aufbauenden Zellen — 
auch wenn es sich nicht um maligne handelt — mit Rücksicht auf die elektive 
Wirkungsweise der Röntgenstrahlung von ganz hervorragender Wichtigkeit. 
Ebenso wichtig, weil innig damit verknüpft, ist die Kenntnis des Zeitpunktes, 
an dem die ersten Anfänge der Proliferation der in Frage kommenden Ge~ 
webszellen und deren systematischer Aufbau zum Neugebilde einsetzt, da 
bekanntlich Zellen während ihrer Entstehung und im Jugendstadium weit 
leichter radiotherapeutisch beeinflußt werden können, als solche, die bereits in 
ihrer Entwicklung weiter vorgeschritten sind. 

Da außerdem die Bedeutung der granulierenden Periodontitis in ihren 
Wechselbeziehungen zu den Erkrankungen der Nachbargebilde bzw. als Ur* 
sache pathologischer Veränderungen in diesen Gebieten in immer steigendem 
Maße gewürdigt wird, so regt auch dieser Umstand zur Forschung über das 
vorliegende Thema an. 

Partsch lu * 2 , dem unstreitig das Verdienst zugesprochen werden muß, 
einen Großteil der Aufklärungsarbeit bzgl. der Entstehung der Kieferzysten 
geleistet zu haben und der, auf die Theorie sich folgerichtig stützend, im 
Jahre 1892 in genialer Weise die chirurgische Therapie der Aufklappung der 
Zysten mit sich daran anschließender Vereinigung der Mundschleimhaut und 
des Zystenepithels vorschlug 1 und zur Ausführung brachte, der später <im 
Jahre 1897) 3 diese Therapie modifizierte und in einer Weise vervollkommn 
nete, daß sie heute Allgemeingut der Mundchirurgen geworden ist, hat hier^ 
durch schlagend dargelegt, welcher Dienst der leidenden Menschheit durch 
richtiges Ineinandergreifen von Theorie und Praxis erwiesen werden kann. 

Partsch verdanken wir es ferner, daß, durch seine Arbeiten und Ver* 
öffentlichungen angeregt, eine große Zahl namhafter Autoren weitere, wert* 


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Über die Pathogenese der Zahnwurzelgranulome und Zysten 


47 


volle Beiträge zur Kenntnis der pathologischen Veränderungen in den peri- 
apikalen Geweben bei granulierender Periodontitis und Kieferzystenbildung 
lieferte. 

Da als Ausgangspunkt der im folgenden zu besprechenden Neugebilde bei¬ 
nahe ausschließlich die chronische Periodontitis anzusehen ist, so müssen auch 
unsere Betrachtungen hier einsetzen. 

Die auf diesem Gebiete vorliegenden Erfahrungen faßte Part sch zu¬ 
sammen, als er sagte 4 : „Ich glaube, daß jede Betrachtung der chronischen 
Periodontitis von der Tatsache ausgehen muß, daß jeder pulpalose Zahn, 
insofern sein Pulparaum der Mundhöhle gegenüber weit offen steht, bei 
offenem Wurzelloch allen Schädlichkeiten der Außenwelt freien Zutritt zu 
dem die Wurzelspitze umgebenden Gewebe verschafft. Dieses letztere muß, 
da es des Schutzes der epithelialen Decke entbehrt, in ganz ähnlicher Weise 
reagieren, wie jedes andere der Außenwelt frei, ohne Epithelschutz aus¬ 
gesetzte Gewebe. Beraubt man irgendeine Stelle der Oberfläche des Körpers 
des Schutzes der Epitheldedce, so wird diese zunächst Körperflüssigkeit aus¬ 
treten lassen und bald unter dem Reiz neu aufschießender Gefäßsprossen 
sogenanntes Granulationsgewebe bilden. Dieser Vorgang vollzieht sich, wenn 
besondere Empfindungsreize ausgeschaltet sind, so gut wie ganz schmerzlos, 
ohne alle subjektiven Beschwerden. Kommt es durch irgendeine Veranlassung 
nicht rasch zur Überhäutung, so verändert sich der Grund einer solchen Wund¬ 
fläche immer mehr, daß das ursprünglich junge, saftige, zellreiche Bindegewebe 
immer derber, straffer und fasriger wird. Ganz derselbe Vorgang entwickelt 
sich gesetzmäßig an der Spitze eines pulpalosen Zahnes. Auch hier kommt 
eine Granulationsbildung zustande, welche sich durch derbes Bindegewebe 
von der Umgebung abzugrenzen pflegt. Ihr Material entstammt dem Perio- 
dontium, soweit es sich überschlug auf die früher hier eintretenden Nerven 
und Gefäße, nach deren brandigem Zerfall die Absetzung sich gegenüber 
dem gesunden vollzogen hat. Es wird allerdings dabei vorausgesetzt, daß 
nicht, wie es auch Vorkommen kann, das Absterben des Zahnmarkes in 
ganzer Ausdehnung bis zum Wurzelloch erfolgt ist, sondern in dem unteren 
Abschnitt der Wurzel ein Stück Pulpa stehengeblieben ist, und sich in ähn¬ 
licher Weise mit Granulationen besetzt hat, wie es die durch einen Bruch 
des Zahnes freigelegte Pulpa zu tun pflegt. Es würden das jene Fälle sein, 
in welchen das Pulpakavum frei für die Sonde zugängig ist, aber bei tieferem 
Eindringen, bei mäßiger Empfindlichkeit auf blutendes Gewebe stößt. Schalten 
wir diese Fälle aus und betrachten das Schicksal der Zähne, bei denen durch 
das Wurzelloch flüssiger Inhalt der Mundhöhle auf das periapikale Gewebe 
wirken kann, so werden wir an der Wurzelspitze jene granulierende Ent¬ 
zündung nicht vermissen, welche eine notwendige Reaktion gegen den man¬ 
gelnden Epithelschutz darstellt. Auch sie pflegt schmerzlos, ohne besondere 
Symptome, ohne äußerlich erkennbare Merkmale sich um die Wurzelspitze 
zu entwickeln und stellt das sogenannte Granulom dar, das bei der Heraus¬ 
nahme solcher Wurzeln an der Spitze zu hängen pflegt, oder in der Tiefe 
zurückbleibt, je nachdem die Örtlichkeit die Auslösung aus der Tiefe be- 


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48 


Hermann Kneschaurek 


günstigt oder die entzündliche Neubildung zurückhält, je nachdem ferner der 
Mantel aus bereits fasrigem, festem Gewebe besteht, oder noch weidh und 
locker ist. Es scheint demnach diese aus Granulationsgewebe auf- 
gebaute Neubildung nicht so sehr das Produkt eines spezifischen 
Entzündungsprozesses, als vielmehr gesetzmäßig auftretender, 
dem Epithelverlust folgender Gewebsreaktion. 

Man muß sie sogar bei näherem Zusehen als eine heilsame Schutzvor- 
riditung auffassen, welche vom Inneren des Körpers Schädlichkeiten, welche 
durch Zersetzungserreger der schlimmsten Art ausgeübt werden können, fern¬ 
hält 

Zur Zeit, als die Röntgenapparatur noch nicht für unsere Zwecke ar¬ 
beitete, hielt man das Vorkommen der Granulome für viel seltener, als es 
tatsächlich der Fall ist*\ Man war sehr verwundert zu sehen, daß an jedem 
wurzelbehandelten Zahne derartige Veränderungen wahrzunehmen sind, ja 
daß diese auch dann auftreten, wenn der Zahn, ohne erkrankt gewesen zu sein 
<z. B. zum Zwecke der Aufnahme einer Goldkrone) devitalisiert und die Be¬ 
handlung sicher lege artis und mit bestem klinischen Erfolg durchgeführt wurde. 

Des weiteren gaben uns die röntgenologischen Beobachtungen auch Ge¬ 
legenheit, einwandfrei festzustellen, daß bei pulpakranken Zähnen, selbst 
wenn eine makroskopische Kommunikation zwischen dem Wurzelkanal und 
der durch die Karies geschaffenen Kavität im Zahne noch nicht besteht, be¬ 
reits Veränderungen der periapikalen Gewebe vor sich gehen können, die 
als pathologische Erscheinungen durch das Röntgenogramm nachzuweisen sind 
<s. z. B. 4j auf Fig. 7). 

Diese Erscheinungen treten oft schon gleichzeitig mit den subjektiven Be¬ 
schwerden des Patienten zutage, die ihn bewegen, ärztliche Behandlung in 
Anspruch zu nehmen, ja sie sind unter Umständen schon vorhanden, ehe 
der Patient Beschwerden empfindet und werden dann gewöhnlich gelegentlich 
einer, aus einem andern Grunde vorgenommenen Röntgenaufnahme als 
Nebenbefund aufgedeckt. 

Die Verschiedenheit des Auftretens dieser Erscheinungen im Vergleich 
mit dem Einsetzen der subjektiven Empfindungen ist wohl auf die Ver¬ 
schiedenheit der individuellen Empfindlichkeit zurückzuführen. Die patho¬ 
logischen Veränderungen um die Wurzelspitze treten jedenfalls konform mit 
den pathologischen Veränderungen der Pulpa auf,* während sich die sub¬ 
jektiven Sensationen bekanntlich verhältnismäßig spät bemerkbar machen 
können, wissen wir doch, daß es Fälle gibt, bei denen durch Karies tief zer¬ 
störte Zahnkronen, ja selbst durch Gangrän zerstörte Pulpen zu finden sind, 
deren Träger nie von Schmerzen belästigt waren. Es ergibt sich daraus, daß 
der Röntgenbefund ein sichereres Mittel zur Feststellung des jeweiligen Sta¬ 
diums der Erkrankung abgibt, als die vom Patienten erhobene Anamnese, 
oder eine Untersuchung, bei der man von Angaben des Patienten <Druck- 
empfindung u. a. m.) Gebrauch machen muß. Damit soll natürlich nicht ge¬ 
sagt sein, daß man die Anamnese oder die übrigen klinischen Untersuchungs¬ 
methoden vernachlässigen dürfte. 


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Über die Pathogenese der Zahnwurzelgranulome und Zysten 


49 


Bei pulpabehandelten und wurzelgefüllten Zähnen sind in der Regel, auch 
wenn eine Pulpaerkrankung der Devitalisation des betreffenden Zahnes nicht 
vorausgegangen ist, einige Wochen nach der Wurzelfüllung die Verände- 
rungen um die Wurzelspitze röntgenologisch nachweisbar 0 . 

Dauert eine Periodontitis längere Zeit, so finden wir am Röntgenbild außer 
dem verdickten Periodontium häufig am Negativ eine an dieses grenzende, 
mit ihm gleichlaufende, helle Linie oder breitere Zone, die als Ausdruck 
einer Ostitis anzusprechen ist, welche jedoch bzgl. der Lokalisation nicht an 
die periostalen Erscheinungen gebunden sein muß, sondern die wir des öf¬ 
teren parallel den aus dem Zahn austretenden bzw. in denselben eintreten¬ 
den nutritiven Elementen mehrere Millimeter weit in den Kiefer aufsteigen 
sehen <S. die Prämolaren auf Fig. 5). 

Was die Zahnwurzelzysten betrifft, herrschten durch lange Zeit in bezug 
auf die Abstammung des sie aufbauenden Materiales bzw. der sie aus¬ 
kleidenden Schleimhaut verschiedene Ansichten bzgl. ihrer Abstammung. 

Vor Malassez und Grawitz gab es überhaupt keine ausgesprochene 
Ansicht darüber, wieso das histologisch und entwicklungsgeschichtlich dem 
Aufbau des Alveolarfortsatzes gänzlich wesensfremde Epithelgewebe in 
diesem sich vorfinden und zur Entwicklung kommen könne. 

Erst die von dem Franzosen L. Malassez 7 entdeckten, von ihm als debris 
epitheliaux paradentaires bezeichneten Zellanhäufungen in der Wurzelhaut, 
die sich als versprengte embryonale Epithelreste erwiesen, konnten mit Recht 
als die Mutterzellen des der knöchernen und bindegewebigen Umgebung 
wesensfremden Elementes angesehen werden. 

Diese Erklärung bekämpfte allerdings Grawitz 8 und stellte ihr eine 
Theorie entgegen, nach der sich die Zahnwurzelzysten aus dem Gewebe der 
Mundschleimhaut aufbauen sollten, indem dieses durch Fistelgänge, die das 
vestibulum oris mit Zahnwurzelgranulomen häufig verbinden, sekundär in das 
Innere des Alveolarfortsatzes hinein wuchere und hier die Abszeßhöhlen auskleide. 

Die bekannte Tatsache jedoch, daß lange nicht alle Wurzelzysten durch 
Fistelgänge mit der Mundschleimhaut verbunden sind, stellt allein schon diese 
Theorie als unwahrscheinlich hin und Astachoff 9 widerlegt sie in einer ein¬ 
wandfreien Arbeit so, daß sie endgültig als erledigt bezeichnet werden muß. 
Die betreffende Publikation erschien 1909 unter Heranziehung des gesamten, 
bis dahin gesammelten Materiales, zu dem bis heute nichts wesentlich Neues 
hinzugekommen ist, und ist als grundlegende Arbeit über die Pathogenese 
der Zahnwurzelzysten einzuschätzen. 

Der Genannte sagt, daß man es dank den Arbeiten einer ganzen Reihe 
von Autoren als eine feststehende Tatsache betrachten kann, daß zwischen 
den Bindegewebsbündeln der Zahnwurzelhaut beim erwachsenen Menschen 
embryonale Epithelreste bestehen bleiben. Was ihn selbst anbetrifft:, so hatte 
er Gelegenheit, sich an der Hand des von ihm gesammelten Materiales davon 
zu überzeugen, daß in allen Präparaten ohne Ausnahme solche Epithel¬ 
reste vorhanden waren. 

Vierteljahrssdirift für Zahnhcilkunde, Heft 1 4 


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50 


Hermann Knesdiaurek 


Diese von Malassez entdeckten Zellanhäufungen nehmen manchmal die 
Form von ausgedehnten lumenfreien und an ihren Enden verästelten Zügen 
an. Die Zellen sind gleichsam schichtenweise angeordnet und liegen in den 
Zügen in etwa 2 — 3 Reihen. Astachoff schreibt: „Sie unterscheiden sich 
unzweifelhaft von den Bindegewebezellen sowohl durch die Gestalt ihres 
ovalen, ziemlich großen Kerns, als auch durch ihr Protoplasma und endlich 
durch das Fehlen von interstitiellem Bindegewebe zwischen den einzelnen 
Zellen. Die Färbung nach van Gieson unterscheidet sie ebenfalls von den 
Mesodermazellen und beweist ihre Verwandtschaft mit den Epithelzellen . . . 

Beim erwachsenen Menschen finden wir sie in der Zahnwurzelhaut bald in eini* 
gerEntfernungvomWurzelzement,bald ganz daneben,und besonders viele dieser 
embryonalen Epithelreste sind an der Spitze der Zahnwurzel vorhanden ... 

Solange die Zahnwurzelhaut vollkommen gesund ist, befinden sich die 
embryonalen Epithelreste in einem latenten „Schlummerzustand". Sobald aber 
in denselben irgendwelche Entzündungserscheinungen auftreten, welche zur 
Hyperplasie des Bindegewebes führen, gehen die Epithelreste nicht zugrunde, 
sondern beginnen eine Neigung zur Proliferation zu äußern. 

Daß dies sich wirklich so verhält, beweisen folgende Tatsachen, die vielfach in 
meinen Präparaten zu beobachten sind: es kommt gar nicht selten vor, daß der 
Entzündungsprozeß sich in der Zahnwurzelhaut am Apex der Wurzel <Perio- 
dontitis apicalis) konzentriert, und gerade zu der Zeit, wo um die Wurzelspitze 
eine Wucherung der Epithelreste unter Bildung von schlingen förmigen Zügen 
vor sich geht, behalten diese Reste im mittleren Teil der Zahnwurzel die Ge* 
statt von kugelförmigen Anhäufungen ohne Anzeichen einer Proliferation." 

Die Frage, die Partsch 10 <1897) im Anschluß an eine Besprechung der 
lichtvollen Ausführungen Witzels 11 über die Entstehung der Zahnwurzel- 
zysten als ungelöst bezeichnet, ist — trotzdem sie auch seither von vielen 
Autoren besprochen wurde — bis heute offen geblieben: warum bleiben 
in dem einen Teil die Epithelreste symptomlos im Periodontium 
liegen oder geraten selbst in Wucherung, ohne daß eine Zyste 
aus ihnen wird, während im anderen Teil der Fälle aus ihnen 
eine Zystenauskleidung entsteht, deren Struktur analog jener 
der Mundschleimhaut sich aufbaut?- 

Es ist nicht unbegreiflich, daß diese schwer zu beantwortende Frage dazu 
verleitet hat, die Beteiligung der versprengten Epithelreste an der Zysten¬ 
bildung überhaupt zu leugnen und die Mundschleimhaut dafür verantwort¬ 
lich zu machen. Da diese Theorie jedoch nach dem oben Angeführten in 
außerordentlich vielen Fällen von Zystenbildungen gänzlich unhaltbar er¬ 
scheint, erheischt die von Partsch aufgeworfene Frage heute energischer 
denn je eine Beantwortung. 

Röntgenologische Erfahrungen, die uns die Kenntnis der Bilder granu¬ 
lierender Periodontitis und der Anfangsstadien von Zystenbildungen an den 
Wurzelspitzen vermitteln, scheinen uns — wie ich im folgenden entwickeln 
will — auf einen Weg zu verweisen, der vielleicht zur Beantwortung dieser 
wichtigen Frage führt. 


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Über die Pathogenese der Zahnwurzelgranulome und Zysten 


51 


Die Erscheinungen, die ich soeben als Wegweiser bezeichnet habe, treten 
uns in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle als Nebenbefunde bei Röntgen¬ 
aufnahmen entgegen, die unbeobachtet bleiben würden, falls nicht akute 
Krankheitserscheinungen in einer benachbarten Gegend <Wurzelspitze eines 
Nachbarzahnes u. dgl.> die Röntgenuntersuchung veranlaßt hätten. 

Vor allem fiel mir in dieser Beziehung auf, daß schon die kleinsten Gra* 
nulome, die teilweise — wie erwähnt — ohne je subjektive Beschwerden 
verursacht zu haben, an den Spitzen pulpabehandelter Wurzeln sich vor* 
finden, zwei Typen darstellen, die morphologisch beinahe ebenso verschieden 
sind, wie das Bild einer großen ausgesprochenen Zyste und jenes eines 
strahlig in das Knochengebälke sich ausbreitenden Granuloms. 

Die Fig. 1 gibt den ersten Typus wieder, der dadurch charakterisiert 
ist, daß das Periodontium von der Wurzelspitze sich abzuheben scheint, 
und die Innenkompakte der Alveole in der apikalen Gegend ihren Zu* 
sammenhang, der sich auf dem Negativ als helle Linie markiert, nicht 
verliert, während bei der zweiten Form, durch Fig. 2 dargestellt, das 
Granulom, wenn es auch noch so klein ist, eine Unterbrechung der Kom* 
paktalinie entlang der Wurzelspitze verursacht. Zwischen diesen beiden ty* 
pischen Formen finden sich die verschiedensten Übergänge,- man wird jedoch 
zwanglos auch die meisten dieser Zwischenformen als mehr dem einen oder 
anderen Typ angehörig bezeichnen können. 

Seit der Zeit, in der die wichtigsten Studien über die Genese der Zahn* 
wurzelzysten angestellt wurden, sind uns die Kenntnisse über die Verzwei* 
gung der Wurzelkanäle in den Zahnwurzelspitzen — vorwiegend durch 
Baumgartner 12 — bekannt geworden. Es ist nun jedenfalls möglich, 
daß die Ursache der zwei verschiedenen Grundformen der Zahnwurzel* 
granulome durch folgende Überlegung zu erklären ist: hat eine Zahnwurzel 
nur ein Foramen apicale oder ist eines der Foramina im Gegensätze zu den 
anderen Ausfuhrungsgängen der baumartig verästelten Kanälchen in der 
Wurzelspitze von überwiegender Größe, was letzteres in der Mehrzahl der 
Fälle zutrifft, so steigt eine Infektion durch diesen Ausführungsgang aus der 
Zahnwurzel oft in eruptiver Weise direkt in den knöchernen Alveolarfort* 
satz und erst von diesem aus wird durch die Maschen des Knochengewebes 
der Angriff der Bakterien und ihrerToxine auf die Außenseite derWur* 
zelspitze erfolgen, wobei das Periodontium derselben an einzelnen Stellen 
in verschiedenem Maße zum Opfer fallen und dadurch morphologisch ein 
Bild analog der Fig. 2 entstehen wird. Suchen im andern Falle die In* 
fektionskeime bzw. die chemisch reizenden Toxine der Bakterien ziemlich 
gleichzeitig durch viele annähernd gleich kleine Foramina aus der Wurzel vor* 
zudringen, so wird dieser konzentrisch einsetzende gleichmäßige Angriff das 
Periodontium auf einer längeren Stredce <größeren Fläche) von Anfang an 
zu einer gleichmäßigen entzündlichen Verdickung veranlassen, wodurch 
eine der Konfiguration des Apex entsprechende, mehr oder weniger kugelige 
Abdrängung der Kompaktaschichte von der Wurzelspitze erfolgt und es ent* 
steht die Erscheinung, die wir durch Fig. 1 veranschaulicht haben. 

4* 


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52 


Hermann Knesdiaurek 



Fig 1 

|6, 7 Ausdruck der Periodontitis in Form 
leichter,besonders an den Wurzelspitzcn aus¬ 
geprägter Verdickung des Periodontiums mit 
Verstärkung derKompakta. ScharfeAbgren- 
zung der pathologischen Prozesse: Tvpus 1 



Fig. 2 

tT| An den Wurzelspitzen noch nicht voll¬ 
ständig ausgebildeter Zahn im kindlichen 
Kiefer, mit bis in die Pulpakammer rei¬ 
chender Amalgamfüllung in der Kaufläche. 
Granulombildung an den Spitzen, besonders 
stark ausgeprägt an der mesialen. Keine 
scharfe, geometrisch regelmäßige Begren¬ 
zung gegenüber der Spongiosa: Typus 2 



Fig. 3 

II. Durch Granulom eingeschlossener Fremdkörper <quer über der 
Turzelspitze liegendes, abgebrochenes Nervnadelstück). Periodon- 
tium des Zahnes etwas verdickt. Keine scharfe Begrenzung des 
Granuloms: Typus 2 



Fig. 4 


4|. Verdickung des Periodontiums, beson» 
clers in der Gegend der Wurzelspitzen, 
wo auch die Alvcolar-Innenkompakta et¬ 
was verstärkt erscheint. Scharf abgegrenz¬ 
tes Käppchen um diese: Typus 1 



Fig. 5 

2J. Dem zur Zystenbildung neigenden Ty¬ 
pus 1 angehörig, mit Verdickung der Al- 
veoleninnenkompakta und Verdichtung des 
Knochengebälkes in dcrVcrlaufsrichtung der 
seinerzeit zur Pulpa führenden Blutgefäße 
und Nerven 


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Über die Pathogenese der Zahnwurzelgranulome und Zysten 


53 



Fig. 6 

3J. Mit gut gelungener, dem Ideal 
nahe kommender Wurzelfüllung. 
Periodontium im ganzen Bereiche 
der Alveole dieses Zahnes, besonn 
ders in der Gegend der Wurzel» 
spitze etwas verdickt, zum Typus 1 
gehörig. Nach der gut durchgeführ» 
ten Wurzelbehandlung durch Weg¬ 
fall der Reizerscheinungen Still» 
stand des Prozesses 



Fig. 7 

[5^ In der Krone Amalgamfüllungcn 
und arge Zerstörung durch Karies. 
Wurzel unbehandelt. Starke Ver» 
dickung des Periodontiums beson» 
ders um die Wurzelspitze. Auffal» 
lend ausgeprägte Verdickung der 
Alveolar»Innenkompakta. Ähnliche 
pathologische Veränderungen auch 
am benachbarten J4_ u. |7. Die Al» 
veole des J5. erscheint Handschuh» 
fingerartig in das Antrum Highmori 
eingestülpt: Typus 1 


Fig. 8 

51. Zahn mit Goldkrone, Wurzel bis zur halben 
Höhe gefüllt. Kleines Granulom an der Spitze, 
unscharf in die rarifizierte Knochenspongiosa und 
das Periodontium übergehend. An derWurzelspitze 
des 4J ähnlicher größerer Prozeß: Typus 2 



Fig. 9 

|5_. In der Krone bis an den unbchandel» 
ten Wurzeikanal reichende Amalgamfül» 
lungen. Wurzclspitzc durch Zement» 
hypertrophic knollig verdickt. Kugelige 
Abhebung der Alveolar»Innenkompakta 
von der Wurzelspitze. Überschneidung 
derselben mit der unteren Begrcnzungs» 
linle des Antrum Highmori: Typus 2 



Fig. 10 


|2. In der abgehildcten Wurzel mächtiger 
Stift des seinerzeitigen Kronenersatzes. 
Wurzelkanal im Spitzcnanteil nicht nach» 
weisbar. Um die Wurzelspitze patholo» 
gische Gewebsveränderungen analog den 
früher beschriebenen und abgcbildeten, dem 
Typus 1 angchörigen, jedoch weiter vorge» 
schritten und schon als Zyste anzusprechen 


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54 


Hermann Kneschaurek 


Wie die Entstehungsweise des einen und des andern Typus aber auch 
erklärt werden mag, jedenfalls haben wir mit den beiden Formen zu rechnen, 
und ich glaube, daßderindenFig. 1,4, 9 abgebildete Typ diejenige 
Form darstellt, welche — wenn weiterhin Reize bestehen — den 
Malassezschen Epithelresten als Matrize dient, um sich zur ku¬ 
geligen Auskleidung einer Zyste anzuordnen. Im andern Falle 
werden sie durch den von außen her auf das Periodontium ein¬ 
dringenden septischen Eiter, durch Abgeschnittenwerden von 
den nutritiven Elementen entweder vernichtet, oder aber sic 
werden, wenn der Angriff nur als Reizerscheinung zu werten 
ist, in Wucherung geraten, mangels einer systemisierten, gegen¬ 
seitigen Verbindungsmöglichkeit jedoch nur in unregelmäßigen 
Zügen in der Fungosität sich vorfinden, ohne daß je eine Zyste 
aus ihnen wird. 

Ich glaube also den Schluß ziehen zu dürfen, daß die Anordnung der 
embryonalen Epithelreste zu einer Zystenauskleidung nicht sekundären 
Ursprungs ist, wie man bisher vielfach vermutete, sondern primärerfolgt, d. h. 
in dem Zeitpunkt ihren Beginn findet, in dem die ersten Reizerscheinungen 
das Periodontium an der Wurzelspitze in Entzündungszustand versetzen. 

Ast ach off 1 * faßt am Schlüsse seiner ausführlichen, streng wissenschaftlich 
gehaltenen Arbeit das Ergebnis derselben in 10 Punkten zusammen, deren 
erste vier lauten: 

„1. Als Quelle der Epithelauskleidung der Zahnwurzelzysten dienen in 
den meisten Fällen die Reste von embryonalem Epithel, die beständig in 
der Zahnwurzelhaut gefunden werden. 

2. Der Entwicklung der Zahnwurzelzysten geht das Auftreten eingekap¬ 
selter Granulome in der Zahnwurzelhaut voraus, welche von embryonalen 
Epithelzügen durchwachsen sind. 

3. Diese epithelhaltigen Wurzelgranulome sind die Folgeerscheinung einer 
chronischen hyperplastischen Periodontitis. Sie gehen leicht in Zysten über, 
am häufigsten infolge von eitriger Erweichung des Grundgewebes und zu¬ 
weilen infolge von degenerativen Veränderungen <schleimige Degeneration) 
der Zellen der Epithelzüge. 

4. Die Epithel enthaltenden Granulome kann man von diesem Stand¬ 
punkte kaum als Zysten betrachten, die ihre vollständige Entwicklung nicht 
erreicht haben. Es ist viel richtiger, sie als eigentümliche entzündliche Neu¬ 
bildung anzusehen, die leicht in Zysten übergehen." 

Teilweise lassen sich die zitierten Punkte ohne weiteres mit meinen Aus¬ 
führungen zur Deckung bringen, während ich den andern Teil nur mit der 
Einschränkung hinnehmen zu können glaube, als er sich in der Regel nur im 
Hinblick auf die kleinsten, im ersten Entwicklungsstadium befindlichen Gra¬ 
nulome halten läßt. 

Es ist ja vielleicht nicht ganz ausgeschlossen, daß aus einem größeren 
<älteren> Granulom, in dem die embryonalen Epithelreste bereits zu iiügen 
und Schlingen ausgewuchert sind, unter besonderen Umständen noch eine 


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Über die Pathogenese der Zahnwurzelgranulome und Zysten 


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Zyste entstehen kann. Daß aber solche Neubildungen noch „leicht in Zysten 
übergehen", glaube ich auf Grund meiner im Vorhergehenden niedergelegten 
Erfahrungen ausschließen zu dürfen. 

Die weiteren sechs Punkte der Astachoffschen Schlußfolgerungen, die 
ich, um nicht weitläufig zu werden, nicht zitierte, sind wieder tatsächliche Er- 
gebnisse seiner zweifellos bleibenden Wert besitzenden Arbeit. 

Bei den Übergangsformen der beiden vorerwähnten Typen der Granu¬ 
lome wird es sich darum handeln, ob genügend Kalotten vorhanden sind, 
um den wuchernden Epithelresten eine kugelige Anordnung zur Zyste zu 
ermöglichen. — Diese theoretische Überlegung stimmt auch mit den histo- 
logischen und Operationsbefunden überein, die oft Zysten nachweisen, deren 
Epithelauskleidung nicht geschlossen erfolgte. 

Das seltene Auftreten von Zysten an in Entwicklung begriffenen Zähnen 
der zweiten Dentition <z. B. Fig. 2> und an im Resorptionsstadium befind¬ 
lichen Wurzeln der Milchzähne läßt sich nach dem oben Gesagten, trotz des 
an ihnen verhältnismäßig häufig zu beobachtenden Auftretens der granu¬ 
lierenden, eitrigen Periodontitis unschwer durch Vorhandensein eines weit 
offenen Wurzelloches erklären. 

LITERATUR 

1. Partsch: Über Kieferzysten. Vortrag, geh. am 1. Sitzungstage des Zentral-Vereins 
Deutscher Zahnärzte 1892 in Hannover. D. M. f. Z. 1892, Heft 7. 

2. Derselbe: Über Zysten des Gesichtsskeletts. Vortrag in der chirurgischen Sektion 
der Naturforscherversammlung, 1904. 

3. Derselbe: Vierter Bericht der Poliklinik f. Zahn- und Mundkrankheiten des zahn- 
ärztl. Institutes der Univ. Breslau, D. M. f. Z., XVII. Jahrgang. 

4. Derselbe: Über chronische Periodontitis und ihre Folgezustände. Vortrag, geh. 
auf d. 1. Jahresversammlung d. Zentral-Verbandes österr. Stomatologen, 1903 in Wien, 
österr. Zeitschr. f. Stomatologie, 1904, Heft 1. 

5. P o r d e s: Zahnärztlich-röntgenologische Betrachtungen zur Wurzelbehandlungsfrage. 
österr. Zeitschr. f. Stomatologie 1919, XVII. Jahrg., Heft 9. 

6. Derselbe: Die Periodontitis im Röntgenbilde, österr. Zeitschrift f. Stomatologie 1920, 
XVIII. Jahrg., Heft 4. 

7. Malassez: Über die Existenz epithelialer Massen um die Wurzein der Zähne, 
ins Deutsche übertragen von Redard, Genf, 1890. Archives de physiologie 1885, vol. 5. 

8. Grawitz: Die epithelführenden Zysten der Zahnwurzel. Greifswald, 1906. 

9. Astachoff: Über die Pathogenese der Zahnwurzelzysten. D. M. f. Z., 1909, 
XXVII. Jahrgang, Heft 9 u. 10. 

10. Partsch: Dritter Bericht der Poliklinik f. Zahn- u. Mundkrankheiten des zahn- 
ärztl. Institutes d. Univ. Breslau. D. M. f. Z. XIV. u. XV. Jahrgang. 

11. Witzei: Über Zahnwurzelzysten, deren Entstehung, Ursache u. Behandlung. D. M. 
f. Z., 1896, pag. 305. 

12. Baumgartner: Histo-Pathologie des „Foramen apicaie" nach durchgeführter Wurzel¬ 
behandlung. österr. Zeitschr. f. Stomatologie, 1909, Heft 6. 

Weitere, als Grundlage der vorliegenden Veröffentlichung benützte Arbeiten (teilweise 
in Übersetzung, Auszug oder Referatform) stammen von: Albarran, Braitzcff, 
A. v. Brunn, G. Fischer, Haasfer, Lartschneider, Magitot, Perthes, PrölL 
Reymond, Robinson, Römer, C. Rose, Schuster, Venassier, Waldeyer, 
Weiser. 


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AUS DER ZAHNÄRZTLICHEN POLIKLINIK DER UNIVERSITÄT 

HEIDELBERG 

DIREKTOR: PROFESSOR DR. BLESSING 

ÜBER MALIGNE ADAMANTINOME UND ZEN¬ 
TRALE EPITHELGESCHWÜLSTE DER KIEFER 

VON 

DR. MED. GERHARD WEISSENFELS 

I n der zahnärztlichen Literatur werden unter dem Kapitel Adamantinome 
Geschwülste beschrieben, die sich genetisch vom Schmelzepithel des Zahn- 
keimes ableiten und klinisch einen durchaus gutartigen Charakter zeigen, ob¬ 
wohl ihr fast unbegrenztes Wachstum zu ganz erheblicher Größe fuhren 
kann. 

Ein im hiesigen Samariterhaus (Institut für Krebsforschung) beobachteter, 
bisher noch nicht beschriebener Fall eines Unterkiefertumors, der in seinem 
mikroskopischen Bilde sehr an ein Adamantinom erinnerte und klinisch durch 
die Ausbreitung auf zahlreiche Lymphdrüsen, vor allem aber durch den Be¬ 
fund multipler Lungenmetastasen unbedingt den Eindruck ausgesprochener 
Bösartigkeit hervorrief, gab mir Veranlassung, in der Literatur über die 
Adamantinome, namentlich hinsichtlich ihres klinischen Verlaufes, nachzu¬ 
forschen. 

Unter Adamantinoma solidum, Epithifioma adamantinum, zentrales so¬ 
lides Kieferepitheliom, versteht man heute seltene Geschwülste, fast aus¬ 
nahmslos im mittleren, auch höheren Lebensalter in Erscheinung tretend, die 
sich vorzugsweise im Unterkiefer, von einer Knochenschale umgeben, langsam 
wachsend entwickeln. Sie können, falls eine operative Entfernung nicht vor¬ 
genommen wird, eine geradezu exzessive Größe erreichen, so in dem von 
Chibret beschriebenen Falle Kindskopfgröße. Mikroskopisch linden sich in 
einem Stroma von derbem Bindegewebe zahlreiche epitheliale Stränge mit 
reichlichen dendritischen Verzweigungen, deren Zellen morphologisch und in 
ihrer Anordnung vielfach dem normalen embryonalen Schmelzorgane ent¬ 
sprechen. Die periphere Zellschicht erinnert an die Zylinderzellen der inneren 
Schmelzmembran,- ihr folgt die intermediäre Schicht aus indifferentem Epithel, 
und im Innern sieht man vielfach netzartig verzweigte, den Zellen der Schmelz¬ 
pulpa entsprechende Zellen. Zwischen den sternförmigen Zellen liegen kleinste 


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Über maligne Adamantinome und zentrale Epithelgeschwülste der Kiefer 57 


Alveolen, die konfluieren und zur Bildung kleinster Zystchen im Innern der 
Zellstränge führen können. Dieser Übergang der soliden Epithelstränge in 
die Alveolenbildung und weiter die Ausbildung größerer oder kleinerer 
Zysten wurde von Becker an einer Reihe von Fällen genauer beobachtet 
und führte dazu, die zystischen Vertreter dieser Geschwulstgruppe, die so¬ 
genannten multilokulären Zystome mit den soliden Adamantinomen onko- 
logisch zusammenzufassen (Perthes). Diese zystische Geschwulstform kann 
noch wesentlich größere Exemplare hervorbringen als die solide. So beschreibt 
Bryk ein multilokuläres Zystom, das bis zum 2. Rippenknorpel vom Unter¬ 
kiefer hinabreichte und ein Gewicht von 1 ! /s Kg hatte. Auch diese Ge¬ 
schwulstart, Polyzystom, Adamantinoma cysticum von einigen genannt, 
beginnt mit ihrem Wachstum zumeist im Pubertätsalter, führt aber die davon 
befallenen Patienten meist erst jenseits des 2. und 3. Lebensdezenniums dem 
Arzt zu. Das Wachstum ist meist langsam, sich über 1—3 Jahrzehnte oft 
erstreckend.. Der Sitz der Zystome ist fast ausnahmslos der Unterkiefer in 
der Gegend der Molaren und Prämolaren. Im Oberkiefer sind sie bisher 
kaum beschrieben. Das anatomische Bild zeigt zahlreiche kleinere und grö¬ 
ßere Zysten, die dem Ganzen ein schwamm- oder honigwabenartiges Aus¬ 
sehen verleihen und auf der Schnittfläche eine fadenziehende, meist gelbliche, 
oft cholestearinreiche Flüssigkeit austreten lassen. Die Zysteninnenfläche ist 
glatt, läßt aber öfters papillenartige Vorsprünge erkennen. Die Entwickelung 
geht ebenfalls im Kieferknochen vor sich, führt zur Auftreibung desselben und 
kann weiterhin Pergamentknittern des verdünnten Knochens oder Fluktua¬ 
tionsgefühl über größeren Hohlräumen bei vollständig geschwundener Knochen¬ 
substanz nachweisen lassen. Mikroskopisch finden sich auch hier wieder die 
geschilderten Epithelstränge aus indifferentem Epithel, außen eine Zylinder¬ 
zellenschicht, im Zentrum verzweigte Epithelien, durch deren Verflüssigung 
kleine und kleinste Zystchen entstehen und dann zu größeren Zysten kon¬ 
fluieren. Nebenher erfolgt noch eine Resorption des Epithels durch gefä߬ 
haltiges Bindegewebe (March and, Benneke), ähnlich wie bei der Vernich¬ 
tung des überflüssigen Schmelzkeimes. 

Eine Eigentümlichkeit scheinen beide Arten des Adamantinoms gemeinsam 
zu haben: sie bevorzugen beide, soweit sich die wenig zahlreichen, bisher 
beschriebenen Fälle statistisch in dieser Hinsicht verwerten lassen, das weib¬ 
liche Geschlecht. 

Hinsichtlich der Herkunft der Adamantinome wurde zuerst von Falkson 
1879 die Theorie aufgestellt, daß das Epithel des embryonalen Schmelz¬ 
organes den Ausgangspunkt bilde, eine Theorie, die den Namen Adaman- 
tiome begründeten. So führte man derartige Geschwülste auf einen ganzen 
überzähligen oder nicht überzähligen, jedenfalls aber entarteten Schmelzkeim 
zurück. 1885 gelangte dann Malassez auf Grund zahlreicher eingehender 
Untersuchungen zu der Annahme, daß die bekannten Epithelreste des 
Schmelzorganes, die er bei Erwachsenen in allen untersuchten Fällen fand 
und debris epitheliaux paradentaires nannte, als Muttergewebe dieser Ge¬ 
schwulstgruppe anzusehen seien. Diese Theorie fand bald lebhaften Beifall und 


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58 


Gerhard Weißenfels 


allgemeine Annahme. Nur von einigen Untersuchern wurde sic abgclehnt. 
So nahm Büchtemann das Epithel der Mundschleimhaut als Matrix an. 
Dasselbe schicke Fortsätze in die Tiefe, die kolbenartige Anschwellungen 
bilden, abgeschnürt werden und nun weiter wuchern. Auch Eve und Trze- 
bicky stellten ähnliche Theorien auf, die dann von Becker, der dfcm Platten¬ 
epithel der Mundschleimhaut die Fähigkeit, eine Geschwulst mit derartig 
komplizierter Struktur zu bilden, absprach, zurückgewiesen wurden. Die von 
Kolaczek 1877 geäußerte Ansicht, das Adamantinom stelle ein Adenom 
der Zahnfleischschleimdrüsen dar, ist allerdings wohl von keinem anderen 
geteilt worden. Sie konnte keine Anhängerschaft finden, da ja das Zahn¬ 
fleisch keine Drüsen enthält. Aber die Beziehungen des Mundschleimhaut¬ 
epithels zu den Adamantinomen sind doch nie ganz einhellig bestritten worden. 
Bakay stellte 1909 3 Fälle zusammen, in denen er den Zusammenhang 
von Mundschleimhautepithel und Adamantinom als erwiesen ansieht. Audi 
Kuru <1911> beschreibt einen ähnlichen Fall und zitiert noch je eine Beob¬ 
achtung von Nakayama und Mori. In einer ausführlichen Arbeit über 
diese Frage kommt Krompecker anläßlich der histologischen Schilderung 
zweier zystischer Adamantinome zu dem Schluß, daß beide Tumoren von 
dem Plattenepithel der Mundschleimhaut abzuleiten sind. Zum Beweis fuhrt 
er an, daß beide weithin von geschichtetem Plattenepithel der Mundschleim¬ 
haut überzogen sind und die epithelialen Stränge und Zysten an mehreren 
Stellen mit diesem vielfach verdickten Epithel Zusammenhängen. Dieser Zu¬ 
sammenhang sei ein so inniger, mit so allmählichem und fließendem Über¬ 
gang, daß an sekundäres Heran* bzw. Zusammenwachsen nicht zu denken 
sei. Auf diese Weise wäre dann eine enge Verwandtschaft wenigstens eines 
Teiles der Adamantinome mit den Basaliomen festgestellt. Diese Theorie 
wurde von Krompecher bereits 1906 aufgestellt. Eine große Stütze er¬ 
fuhr sie durch eine der Kuruschen Arbeit beigefügte Abbildung, die den 
engen Zusammenhang der Geschwulstzellen mit den Mundsdileimhautepi- 
thelien deutlich darstellt. 

Eine Geschwulst, die entwicklungsgeschichtlich sicher auf das Mundekto¬ 
derm zurückzuführen ist und den charakteristischen mikroskopischen Aufbau 
der Adamantinome zeigt, beschreibt Teutschlaender als Hypophysen¬ 
gangsadamantinom. Er leitet es von den aus dem Mundektoderm stam¬ 
menden Resten ab, die bei der Wanderung des Hypophysenvorderlappens 
gegen die Schädelhöhle und Rückbildung des diesen mit der Mundhöhle 
vorerst verbindenden Ganges Zurückbleiben. Hier bildet sich im Infundibu- 
lum oder im Hypophysenvorderlappen, wo Plattenepithelreste häufig Vor¬ 
kommen, die Gelegenheit zur Entwickelung derartiger Tumoren. 

Der von Teutschlaender beschriebene Fall zeigte ausgesprochene Ma¬ 
lignität, die sich durch destruierendes Wachstum pathologisch*anatomisdi 
kennzeichnete und aus diesem Grunde auch klinisch sehr bald schwere Sym¬ 
ptome zeitigte. 

Vielleicht können aber auch tatsächlich vom Ektoderm einer bestimmten 
Entwickelungsphase abstammende Zellreste Geschwülste hervorbringen, die 


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Über maligne Adamantinome und zentrale Epithelgesdiwülste der Kiefer 59 


morphologisch vollkommen den Bau des Schmelzorganes nachahmen und an 
Stellen aultreten, die nichts mit der Schmelzkeimanlage zu tun haben. So 
beschreibt B. Fischer ein „Adamantinom der Tibia" bei einem 38jährigen 
Manne, das l 1 2 Jahre nach einem Stoß gegen die vordere Tibiakante an 
der Grenze zwischen mittlerem und unterem Drittel der Tibia in Erschei¬ 
nung trat. Der Tumor zeigte mikroskopische völlige Übereinstimmung mit 
dem Kieferadamantinom und war nur als Primärtumor, nicht als Meta¬ 
stase aufzufassen. Fischer deutet diesen immerhin bisher einzig dastehenden 
Befund dahin, daß sich ein Schmelzepithelkeim im intrauterinen Leben an 
Ort und Stelle gebildet hat. Die Potenz zur Zahnleistenbildung käme in 
einem bestimmten Stadium der embryonalen Entwickelung nicht nur dem 
Epithel der Mundhöhle, sondern unter geeigneten Bedingungen allen Ekto¬ 
dermzellen des Körpers zu. 

In der zahnärztlichen Literatur werden, wie gesagt, die Kieferadaman- 
tinome als durchaus gutartig hingestellt. In der Tat ist ihr Wachstum fast 
stets außerordentlich langsam/ sie zeigen selbst bei Erreichung ansehnlicher 
Größenverhältnisse kaum die Tendenz, die Haut und Schleimhaut des Unter¬ 
kiefers zu ergreifen. Nur bei unvollständiger operativer Entfernung neigen 
sie zu Rezidivbildung. 

Nun finden sich jedoch in der pathologisch-anatomischen Literatur ver* 
einzelte Mitteilungen über einwandfrei festgestellte solide oder zystische 
Kieferadamantinome, die einen ausgesprochen bösartigen Charakter auf¬ 
weisen. Wenn nun auch diese Fälle immerhin recht selten sind, so sind sie 
doch geeignet, in der Beurteilung der Adamantinome als durchaus gutartige 
Geschwülste eine Einschränkung herbeizuführen. 

Der älteste hierher gehörende Fall wurde von Tapie 1890 als Carcinoma 
adamantinum in der Gazette med. hebdomaire <1890) bezeichnet. Leider war 
mir die Zeitschrift nicht zugänglich, so daß ich über den mikroskopischen Be¬ 
fund nichts ermitteln konnte. 

Ein weiterer Fall wurde als Adamantinoma solidum malignum 1896 von 
Pertikin der Festschrift für Navratic eingehend beschrieben. Krompecher 
hat, da die Publikation nur in ungarischer Sprache erfolgt war, die Mitteilung 
später deutsch wiedergegeben und so einem größeren Leserkreise zugänglich 
gemacht. 

Die Krankengeschichte war folgende: 

P. L., 13 Jahre alt, wurde am 3. 7. 1893 auf der chirurgischen Abteilung 
des Prof. Herczel wegen einer die linke Hälfte des Unterkiefers einneh¬ 
menden Geschwulst operiert. Da der Tumor die Haut perforiert und be¬ 
reits den Oberkiefer disloziert hatte, wurde die Hälfte des Unterkiefers re¬ 
seziert. Tod kurz nach erfolgter Operation infolge von Synkope. 

Die am 4. 7. 1893 erfolgte Sektion stellte lymphatische Konstitution und 
Tuberkulose der peribronchialen Lymphdrüsen sowie der Lungen fest. Die 
resezierte linke, 625 g schwere Unterkieferhälfte ist von einem mehrere Zen¬ 
timeter breiten Hautstreifen überzogen und letzterer durch die äußere Knochen¬ 
schale hindurch von einer Geschwulst durchbrochen, deren Durchmesser etwa 


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60 


Gerhard Weißenfels 


10 cm beträgt und welche 1—3 cm hoch pilzartig prominiert. Dieselbe be¬ 
steht aus einem homogenen grauweißen, sarkomähnlichen Gewebe und ist 
stellenweise kraterförmig zerfallen. Kieferknochen aufgeblasen, papierdünn. 

Mikroskopisch besteht der Tumor aus dünnen zierlichen Zapfen, welche sich 
vielfach verzweigen, aus indifferentem Epithel zusammengesetzt sind und an der 
Peripherie zumeist radiär gestellte Zylinderepithelien enthalten. Das Zentrum 
der Zapfen ist vielfach nach Art der Schmelzpulpa verflüssigt. Hier finden 
sich dann vakuolisierte verzweigte Epithelzellen. Das Bindegewebe, welches 
den Hauptteil der Geschwulst bildet, entspricht teils feinfaserigem Binde¬ 
gewebe, teils Schleimgewebe. Besonders hervorgehoben sei, daß insbesondere 
die an Epithelien ärmeren Teile des Tumors das ausgesprochene Bild eines 
Sarkoms zeigen, und zwar einzelne Teile das eines rundzelligen, andere das 
eines fibrösen Sarkoms. An Stellen, wo das Bindegewebe den Charakter 
embryonalen Bindegewebes trägt, ist der Polymorphismus der Zellen sehr 
ausgesprochen, und da stellenweise auch sehr kernreiche Riesenzellen ver¬ 
kommen, erhält man hier und da Bilder eines Riesenzellensarkoms. Petrik 
sieht die Malignität der Geschwulst darin, daß dieselbe die äußere Knochen¬ 
lamelle und die Haut perforierte und heterotopisch in einer handtellergroßen 
pilzartigen Form weiterwucherte. Nach dem mikroskopischen Bild enthielt 
der Tumor neben charakteristischen dem Schmelzkeim ähnelnden Bestand¬ 
teilen Stellen, die als kleinzelliges bzw. fibröses Sarkom aufzufassen sind. 
Letzteren Umstand erklärt das infiltrative Wachstum und führte zur Be¬ 
zeichnung Adamantinoma solidum malignum. 

Ein sarkomatoses Rezidiv, das nach Entfernung eines Adamantinoms auf¬ 
trat, beschreibt Heath. <Brit. med. Journal 1876.) Genauere Einzelheiten 
über den Fall anzuführen, ist mir nicht möglich, da mir die Originalarbeit 
nicht zugänglich ist. 

In diesen beiden Fällen war die Bösartigkeit der Geschwülste durch die 
sarkomatöse Entartung des bindegewebigen Anteils derselben gekennzeichnet. 
Aber auch ohne eine solche können die Adamantinome einen malignen Cha* 
rakter annehmen. 

So fand Hutchinson bei der Sektion einer am 8. Tage nach der Ope¬ 
ration eines multilokulären Zystoms an Bronchopneumonie verstorbenen 
60jährigen Frau in den Lymphdrüsen in der Nähe der Nebennieren Ge¬ 
schwulstmetastasen von demselben mikroskopischen Bau, wie der ursprüng¬ 
liche Tumor zeigte, also echte Metastasen. 

Von Eve und Parker wurden einmal bei einem Adamantinom Meta¬ 
stasen von epithelialen Zahnkeimzellen in den Lymphdrüsen der Brusthöhle 
beobachtet. 

Diesen in der Literatur mitgeteilten Fällen möchte ich nun die Kranken¬ 
geschichte eines im Heidelberger Samariterhaus behandelten Patienten an¬ 
fügen, die einen ähnlichen Tumor beschreibt, der durch ausgedehnte Meta¬ 
stasenbildung in beiden Lungen seine Bösartigkeit dokumentierte. 

Es handelte sich um einen 39jährigen Kranken F. K., bei dem die ersten 
Anzeichen einer Anschwellung des Kiefers im Jahre 1904 ein halbes fahr 


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Über maligne Adamantinome und zentrale Epithelgesdiwülste der Kiefer 61 


nach der Extraktion eines linken unteren Backzahnes beobachtet wurden. 
Vom Jahre 1913 an wuchs die Anschwellung, die etwas vor dem linken 
Unterkieferwinkel lag, unter hin und wieder auftretenden lebhaften Schmerzen 
stärker. Parotisgegend und Zahnfleisch über der Geschwulst zeigten keine 
Besonderheiten. 1914 wurde der Tumor im Garnisonlazarett 1 Metz ope* 
rativ entfernt. Bald darauf traten im Bereich der Operationswunde bereits 
wieder kleinere Knötchen und starke Schmerzen auf. Patient wurde wieder 
in das Lazarett aufgenommen. Dort lauteten seine Klagen: Husten, kein 
Auswurf, keine Nachtschweiße, große Mattigkeit/ Gewichtsabnahme im 
letzten Vierteljahr ungefähr 7 kg, Asthma, starkes Schwächegefuhl. Bei der 
Aufnahme wurde folgendes festgestellt: Größe 170 cm, Gewicht 56 kg/ 
schlechtgenährter Mann von blasser Gesichtsfarbe,* Muskulatur schwach ent* 
wickelt. Linker Mundwinkel nach rechts verzogen, Pfeifen nicht möglich. 
Mund kann nur schwer geöffnet werden. Stirnrunzeln rechts und links gut 
ausführbar. 

Auf der linken Unterkieferhälfte, etwas nach hinten vom Mundwinkel, 
eine walnußgroße, derbe, dem Knochen breit aufsitzende Geschwulst, die 
stellenweise mit der Haut verbacken erscheint und von kleinen Knötchen 
umgeben ist. Am vorderen Rande des M. stereocleidomastoideus perlschnur* 
artig aneinandergereihte, erbsengroße, sehr derbe Drüschen. Lungen: rechts 
voller Perkussionsschall, vesikuläres Atmen, spärliches mittelblasiges Rasseln 
vom Angulus inferior scapulae an abwärts,* links voller Schall, vesikuläres 
Atmen mit vereinzelten diffusen Rasselgeräuschen hinten. Bauchorgane o. B. 
Urin: klar, kein Eiweiß, kein Zucker, keine krankhaften Beimengungen. 
Sputum: spärlich, keine Tuberkelbazillen. Diagnose: Maligner Tumor des 
linken Unterkiefers <Rezidiv>. Katarrh beider Unterlappen. 

Am 15. 1. 17 wurde bereits von seiten des hinzugezogenen Chirurgen eine 
operative Entfernung des Tumors nicht mehr für möglich gehalten und Pa* 
tient zur kombinierten Bestrahlungskur <Radium*Röntgen> schließlich nach 
dem Samariterhaus Heidelberg verlegt. 

Hier wurde folgender Befund erhoben: Kachektisch aussehender, kurz* 
atmiger, blasser, magerer Mann von 39 Jahren, der eher einen älteren Ein* 
druck macht. Die linke Hälfte des Unterkiefers ist mit Ausnahme der Mittel* 
partie, von welcher ein kleiner Teil operativ entfernt wurde, sowohl gegen 
das Kinn wie gegen den Kieferwinkel zu stark verdickt. Ober den Kiefer* 
defekt zieht parallel zum unteren Kieferrand eine feine weißliche Narbe. 
Senkrecht zu dieser,* an der Übergangsstelle vom hinteren zum mittleren 
Drittel des horizontalen Unterkieferastes verläuft eine ebensolche Narbe nach 
unten zum M. sternocleidomastoideus. In der Umgebung des Kieferdefektes 
ist das Gewebe stark induriert, die Haut mit der Unterlage verwachsen, 
zeigt zahlreiche derbe, bis erbsengroße Knötchen. Ebensolche Knoten be* 
finden sich im Bereiche der Narbe. Gegen das Kinn zu zeigt der Unter* 
kiefer einen derben, unregelmäßig geformten, etwa walnußgroßen Auswuchs, 
der von der Innenseite des Unterkiefers abzugehen scheint. Im Bereiche der 
Halsnarbe besteht spontan und auf Druck große Schmerzempfindlichkeit. Die 


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62 


Gerhard Weiftenfels 


Parotisgegend ist nicht geschwollen. Es besteht eine Lähmung des linken 
unteren Fazialisastes. 

Patient klagt über Atemnot und starken Hustenreiz,- die geringste An- 
strengung erhöht seine Atembeschwerden und verursacht starkes Herzklopfen. 

Die Untersuchung der Lungen ergibt Rasseln über dem Hilur rechts hinten, 
links vorn Giemen. Die Symptome sind nicht immer nachweisbar,- sie wech- 
sein während der Untersuchung. 

Die Röntgenaufnahme <s. Abbildung) zeigt beide Lungen in ihrer ganzen 
Ausdehnung, besonders aber im Bereich der Unterlappen von scharf be- 
grenzten, bald dissenimierten, bald enger aneinanderstehenden und kon- 
fluierenden Schatten von Erbsen* und Walnußgroße und mehr bedeckt. 

Die Untersuchung der Mundhöhle wird erschwert durch eine hochgradige 
Kieferklemme, welche den Patienten zwingt, zu ihrer Bekämpfung den Mund¬ 
sperrer zu gebrauchen, ohne daß dadurch ein nennenswerter Erfolg erzielt 



wird. Die Palpation ergibt: sowohl unter der Wangenschleimhaut als auch 
unter dem Zahnfleisch vorspringende derbe Erhabenheiten bis zu Bohnen¬ 
größe, die sich allerdings nur auf die nächste Umgebung der Übergangsstelle 
vom Zahnfleisch zur Wangenschleimhaut beschränken. Die Untersuchung 
der eigentlichen Mundhöhle ist links überhaupt nicht möglich. Rechts Palpa¬ 
tion nur durch eine den unteren Prämolaren entsprechende Zahnlücke aus¬ 
führbar, ergibt hier nichts Besonderes. Die Zahnlücke wird auch zum Ein¬ 
führen der Nahrung benutzt. 

Innere Organe mit Ausnahme der Lungen <s. oben) ohne jeden patho¬ 
logischen Befund. 

Die mikroskopische LIntersuchung eines probeexzidierten Stückes ergab 
folgendes: In ein bindegewebiges Stroma eingebettet finden sich zahlreiche, 
zum Teil anastomosierende Pfropfe aus indifferenten Epithelien, die ohne 
Interzellularsubstanz dicht aneinandergedrängt liegen. Diese Zellpfröpfe ent¬ 
halten durch schleimige Umwandlung der Epithelien entstandene größere 


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Über maligne Adamantinome und zentrale Epithelgeschwülste der Kiefer 63 


oder kleinere Zysten, die zum Teil hyaline Massen im Zentrum einsdiließen. 
Peripherwärts zeigt sich eine Schicht zumeist radiär gestellter hoher Epithelzellen. 

Die Behandlung bestand in Röntgenbestrahlung bis zum 17. 4. 17 sowohl 
der Kiefergeschwulst als auch beider Lungenhälften. Daraufhin gingen die 
subjektiven Beschwerden zurück, und der Allgemeinzustand besserte sich. 
Auf eigenen Antrag wurde Patient schließlich Anfang Mai nach dem Re- 
servelazarett 3, Metz verlegt. Über sein weiteres Schicksal konnte kein Be- 
scheid erlangt werden, jedoch besteht über den Endausgang des Leidens 
wohl kein Zweifel. 

Der Tumor reiht sich nach seinem mikroskopischen Aussehen den vorher 
beschriebenen völlig an. Sein klinisches Verhalten war allerdings von auf* 
fallender Bösartigkeit. Letztere war charakterisiert durch das infiltrierende 
Wachstum der Geschwulst selbst, dann durch das Befallensein der regionären 
Lymphdrüsen. Endlich konnten die scharf begrenzten, über beide Lungen¬ 
hälften dicht verstreuten Schatten nur durch Geschwulstmetastasen hervor¬ 
gerufen sein. Da sorgfältigste klinische Untersuchung und Beobachtung 
keinen anderen Primärtumor nachweisen konnten, bleibt nur der Schluß übrig, 
daß es sich um einen, der Reihe der zentralen Kieferepitheliome zuzurech¬ 
nenden Unterkiefertumor gehandelt hat, der zu ausgedehnter Metastasierung 
in der Lunge geführt hat. 

LITERATURVERZEICHNIS 

1. All gay er: Über zentrale Epithelialgeschwülste des Unterkiefers. Bruns Beiträge 
zur klinischen Chirurgie 1885. 

2. v. Bakay: Über die Entstehung der zentralen Epithelialgeschwülste des Unter¬ 
kiefers. Berliner klinische Wochenschrift 1909. 

3. Becker: Zur Lehre von den gutartigen zentralen Epithelialgeschwülsten der Kiefer¬ 
knochen. Archiv f. klinische Chirurgie, Bd. 47, 1894. 

4. Benneke: Beitrag zur Kenntnis der zentralen epithelialen Kiefergeschwülste. Deutsche 
Zeitschrift für Chirurgie Bd. 42, 1896. 

5. Bryk: Zur Kasuistik der Geschwülste. Archiv für klinische Chirurgie, Bd. 25, 1880. 

6. Büchtemann: Zystom des Unterkiefers usw. Archiv für klinische Chirurgie, 
Bd. 26, 1881. 

7. Falkson: Zur Kenntnis der Kieferzysten. Virchows Archiv, Bd. 76, 1879. 

8. B. Fischer: Über ein primäres Adamantinom der Tibia. Frankfurter Zeitschrift 
f. Pathologie, Bd. XII, 1913. 

9. Kolaczek: Ein zystisches Adenom des Unterkiefers usw. Archiv f. klinische Chi¬ 
rurgie, Bd. 21, 1877. 

10. Krompecher: Zur Histogenese und Morphologie der Adamantinome und son¬ 
stiger Kiefergeschwülste. Zieglers Beitrage, Bd. 64, 1918. 

11. Kruse: Über die Entwickelung zystischer Geschwülste im Unterkiefer. Virchows 
Archiv, Bd. 124, 1891. 

12. Kuru: Über das Adamantinom. Zentralblatt f. allgemeine Pathologie u. patholog. 
Anatomie, Bd. XXII, 1911. 

13. Mikulicz-Kümmel: Die Krankheiten des Mundes, II. Auflage, 1904. 

14. Partsch: Über Kieferzysten. Deuische Monatsschrift f. Zahnheilkde. 1912. 

15- Perthes: Deutsche Chirurgie, Lieferg. 33 a » 1907. 

16. Pinc us: Das zentrale Kystadenom der Kiefer. Archiv f. klinische Chirurgie, Bd. 72,1904. 

17. Teutschlaender: Zwei seltenere turmorartige Bildungen der Gehirobasis. Vir¬ 
chows Archiv, Bd. 218, 1914. 


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AUS DEM ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUT DER UNIVERSITÄT BONN 

DIREKTOR: PROF. DR. KANTOROWICO 

DER FUNKTIONSABDRUCK 

EIN BEITRAG ZUM MODERNEREN ABDRUCKVERFAHREN 

VON 

DR. WILHELM BALTERS 

ASSISTENT DER KLINIK 

D urch die Einführung des Try fusschen Abdruckgerätes ist man in Deutsch* 
land wieder auf das Abdruckverfahren aufmerksam geworden, das schon 
seit dem Jahre 1864 bekannt (Schrott) ist, und später nach Green und 
Supp ly seinen Namen erhielt. Immer noch ist dieses Verfahren wenig ge* 
übt/ das mag seinen Grund darin haben, daß diese Methode vielmehr Zeit 
beansprucht als der Abdruck mit Gips oder Kompositionsmassen unter Zu* 
hilfenahme eines gewöhnlichen Abdruddöffels/ außerdem darin, daß der wenig 
Erfahrene Mißerfolge erzielen kann, die in Anbetracht des Zeitverlustes ent* 
mutigen und zur alten Methode mit Gips ihn zurückgreifen lassen. Man 
ging auch bisher zu wenig auf den Unterschied beider Abdrücke ein, be* 
zeichnete den nach dem Gr een sehen Verfahren als den besseren, anstatt beide 
scharf zu trennen und das Prinzip des letzteren genau zu erklären. Der Ab* 
druck, der die Form und den Bau von Wangen*, Kau*, Lippen- und Zungen* 
muskeln berücksichtigen soll, ebenso Muskelinsertionen sowie Lippen* und 
Zungenbändchen, die physiologischen Arbeitsbewegungen der Muskeln beim 
Kauen und beim Schlucken, die Veränderungen, die das Spiel der mimischen 
Gesichtsmuskulatur im Kieferbereich hervorruft bei abwechselnd offener und 
geschlossener Mundstellung (Tryfus, D. M. f. Z. 21), erscheint dem Nicht¬ 
eingeweihten zu schwierig, um sich damit einzulassen und trägt meines Er¬ 
achtens auch etwas Erzwungenes an sich, dem der erfahrene Praktiker ge* 
schickt durch Sauger und Besdileifen zu entgehen weiß. 

Aufgabe vorliegender Arbeit soll es sein, die Erklärung für das erstaun¬ 
lich feste Ansaugen ganzer nach diesem Verfahren gewonnener Prothesen 
zu geben und durch kurze Beschreibung der Methode das Abdruckverfahren 
weiterverbreiten zu helfen. 

Die Abdrücke, die nach dem bisher geübten Verfahren gewonnen wurden, 
möchte ich als Anatomische Abdrücke bezeichnen, da sie die zahn- 


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Der Funktionsabdruck 


65 


tragenden Kieferteile und deren Umgebung in sidi einsdiließen. Sie umfassen 
sämtliche erreichbaren beweglichen und unbeweglichen Partien des Unter» 
und Oberkiefers und können nur mit hochrandigen Löffeln gewonnen werden. 
Die daraus erzielten Ausgüsse werden als orthodomtische Modelle und als 
Gegenkiefer für Zahnersatz in einem Kiefer benutzt. 

Die Abdrücke, die nach dem Green sehen Verfahren gewonnen werden, 
möchte ich als Funktionsabdrücke bezeichnen, da sie sich auf den von 
der Prothese beanspruchten Raum beschränken. Sie umfassen nur die bei 
der Funktion der Mundorgane ruhenden unbewegten Teile der Kiefer¬ 
schleimhaut. Der Funktionsabdruck ist somit ein Teil des anatomischen Ab¬ 
druckes/ jedoch läßt sich die Grenze zwischen beiden auf dem anatomischen 
Abdruck nicht erkennen. 

Kann somit der anatomische Abdruck mit jedem einigermaßen passenden 
Löffel gewonnen werden, so erfordert der Funktionsabdruck einen indivi¬ 
duellen, am besten nach dem 
anatomischen Abdruck gestanz¬ 
ten Löffel, dessen Größe im 
Munde bestimmt wird. 

Die Prothesen nach bisher 


Feste Platte 




dagegen die gleiche Größe wie der Abdruck selbst. Der Vorteil ist der, daß 
die Begrenzung von vornherein die rechte ist, das lästige Abschleifen und 
Herausfinden der Druckstellen fortfällt, ferner daß bei ganzen Prothesen 
die größte Saugkraft gewonnen wird, die nur möglich ist. 

Wie sich nun das erstaunlich feste Anhaften und Ansaugen der Pro¬ 
thesen erklärt, soll im folgenden am Beispiel des allerseits bekannten Saugers 
dargestellt werden. 

Figur 1 stellt einen Sauger unter einer festen Platte dar,- wird er be¬ 
lastet <Fig. 2>, so zieht er sich, da er nachgiebig und elastisch ist, an der Stelle 
der Krafteinwirkung ein und reißt nach Überwindung des Luftdruckes ab, der 
um so mehr in Erscheinung tritt, je größer die von ihm belastete Fläche ist. 

Die Figur 3 stellt das gleiche Bild dar wie Fig. 1, nur hängt diesmal die 
harte Platte am Sauger. Er ist bei A. festgehalten. Die unnachgiebige Unter¬ 
lage ist durch ein Gewicht belastet und dellt den Sauger ein <Fig. 4>. Die 
Platte reißt ab, wenn die Saugkraft überwunden ist. Das Wesentliche in 
beiden Fällen Fig. 2 und Fig. 4 ist die Nachgiebigkeit der Randpartien, d. h. 

Vierteljahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 1 5 


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Original fro-m 

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Wilhelm Baltcrs 


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der vor dem Abreißen sich noch berührenden Teile, wie das in der Fig. 5 
dargestellt ist. Der schwarzgezeichnete Teil des Saugers darf starr sein, die 
Wirkung ist die gleiche. Die Belastung kann um so größer w r erden, je größer 
der Saugraum ist. Die beste Wirkung würde also erreicht sein, wenn der 
Saugraum den größten nur möglichen Teil des Kiefers umfaßt, anders ge- 
sagt so groß wie die Prothese selbst ist. Begreiflicherweise suchte man das 
bisher wegen der Unzulänglichkeit der Sauger sowohl durch Vergrößerung 
der Sauger also auch durch Vermehrung ihrer Anzahl zu erreichen. Daß 
dies nicht nötig ist, die Prothese, richtig der Kiefer selbst die Rolle des Sau- 
gers übernehmen kann, zeigt die Fig. 5 und Fig. 6. Der schwarze Teil ist der 
harte unbewegliche Gaumen, der schraffierte dessen Umgebung, die nach¬ 
giebig ist. Liegt also der Rand der Prothese im Weichen und Nachgiebigen, 
so muß sie saugen, ja sogar das Maximum der Saugfähigkeit zeigen, wie 
das der Versuch bestätigt. Die 
Grenze zwischen den beweg¬ 
lichen und unbeweglichen Teilen ^ Saus * r 

des Kiefers liegt überall im 



Weichen: vorne beim Übergang zur 
Lippenschleimhaut, seitlich beim Über¬ 
gang zur Wangenschleimhaut, hinten 
beim Übergang zum weichen Gaumen 
und zur Schleimhaut in der Gegend 
des Trig. retromolare. Diese Randlinie der Prothese darf an keiner Stelle 
unterbrochen sein, da sonst die Saugfähigkeit fortfällt. Die Größe der Platte 
hindert niemals, da sie ja nur die unbeweglichen Teile umfaßt. 

Die Kenntnis des Verlaufs der Randlinie ist wichtig, da nur 
sie den Erfolg verbürgt, d. h. nur bei Verfolgung dieser Linie die 
Saugekammer entstehen kann. 

Was die praktische Durchführung des Abdrucknehmens angeht, so sind 
die Autoren seit Schrott verschiedene Wege gegangen. Kantorowicz 
z. B. fertigt ähnlich Schrott einen Löffel nach dem Munde des Patienten 
an <Metall- oder Kautschukplatte), füllt ihn mit schwarzer Guttapercha aus 
und überläßt die Gestaltung des Abdruckes dem Patienten selbst, indem 
dieser alle im Bereich seiner Möglichkeit liegenden Zungen-, Lippen- und 
Wangenbewegungen ausführt und den Mund maximal öffnet. Nach diesem 
Abdruck wird das Modell unter besonderer Beachtung des Randes gearbeitet. 


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-OriginalJtörru 

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Der Funktionsabdruck 


67 


Mommc fertigt die Prothese nach einem 
anatomischen Abdruck an, fräst den 
Rand, erneuert ihn durch Wachs, läßt 
diesen noch weichen Wachsaufbau sich 
im Munde des Patienten formen und 
ersetzt dann das Wachs durch Kaut- 
schuk. Auch hat man die Prothese selbst 
nach gehöriger Verkleinerung mit Gutta- 
percha unterfuttert, im Munde des Pa- 



tienten sich formen lassen und diese Unterlage vulkanisiert, um die verschie- 
denen Eindrücke des Gaumens möglichst geichmäßig zu gestalten. All diese 
Verfahren nehmen mehr oder weniger Zeit in Anspruch, darum glaubte 
Tryfus durch die Einfuhr 
rung seines für den Funk¬ 
tionsabdruck bestimmten 
Abdruckgerätes aus dün¬ 
nem biegsamen Alumi¬ 
niumblech mit abnehm¬ 
barem Griff das Abdruck¬ 
nehmen zu erleichtern und 
die Zeit zu kürzen. 

Die Methodik des von 
mir geübten Verfahrens 
unterscheidet sich von den 
bisher geübten dadurch, 
daß ich nicht den Patienten 
den Abdruck formen lasse, 
sondern ihn selbst forme, 
indem ich mit den Weich¬ 
teilen des Mundes Maxi¬ 
malbewegungen ausfuhre 

— denn auf diese allein F'g <J 

5* 



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Wilhelm Baltcrs 


kommt es an — und nur die Begrenzung des inneren Teiles des unteren Ab^ 
druckes der Zunge des Patienten überlasse. Sie ist kurz folgende: Mit Gips, 



Fig. 10 

Aufträgen der erweichten Stentsmasse auf den Rand mittels Stents- 
stift. <Zum Stift ausgezogene Stentsmasse.) 


Stentsmasse oder Wachs wird ein unvollständiger anatom. Abdruck vom Kiefer 
gewonnen, nach diesem eine Platte aus Messing oder Aluminium gestanzt und 



I i&* ' - Fig. 13 

Eingeführter Löffel. Die erweichte Stenrsmasse reicht über Her.ibziehen der Oberlippe, gleichzeitig Seitwänsbewegung 
die Grenze lüg. 11 hinaus mit der herabgezogenen Lippe 


nach dem Munde des Patienten beschnitten, so daß sie bei keiner maximalen 
Verziehung der Weichteile auch nur im geringsten sich von der Stelle bewegt 
<Fig. 7). Im Oberkiefer schließt sie mit dem harten Gaumen ab <Fig. 8), 


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Der Funktionsabdruck 


69 


im Unterkiefer reicht sie so weit, als der Finger die Gingiva auf dem Unter» 
kieferknodien fühlt <Fig. 18>. Die Platte darf wohl kleiner sein, was die Be» 



Der nach dem Munde geformte Rand Abziehen der Wange 

der Prothese 


grenzung angeht, aber niemals größer. Der Löffel wird dann mit Stents» 
masse beschickt: ein bis zwei Millimeter dick <Kerrsdie Abdruckmasse ist 
wohl die beste, es genügt aber eine AWA-Dentoplastplatte ebenso) und 



f| Fi£. 16b 

Flg. 16a und b. Richtiger Abschluß der Prothese: Bei keiner Bewegung des weichen Gaumens steht die 

Prothese ab. 


erneut gegen den Kiefer gedrückt. Überschüssige Masse quillt an den Rän¬ 
dern hervor und wird gleich durch Maximalbewegungen der Weichteile durdi 
die Hand soweit als möglich verdrängt. Jetzt fertigt man aus erweichter 
Stentsmasse <wenig Masse) die Bißwälle an, indem man sie in der bisher 


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Wilhelm Balters 


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üblichen Weise gestaltet und an den Löffel anklebt <Fig. 9>. Nachdem der 
Biß festgestellt ist, fehlt noch der Rand. Dieser muß, weil bei einmaligem 
Aufträgen von Stentsmasse der Abdruck sich verziehen könnte und zudem 
das ganze Objekt nicht auf einmal zu übersehen ist, in mehreren Abschnitten 
gewonnen werden: Rechte Seite, linke Seite und hinterer Abschnitt und das 
oben und unten, oder für den weniger-Geübten die halbe linke Seite usw. 
Fig. 10 zeigt, wie die erweichte Masse in der Flamme aufgetragen wird. Der 
Löffel wird jedesmal gegen den Kiefer gedrückt und mit der freien Hand die 
Wange oder Lippe maximal herauf* bzw. herabgezogen <Fig. 11 —15>. Die 
Masse liegt dann dem Kiefer an und in einer Höhe, die seinem unbeweg¬ 
lichen Teile entspricht. Bespritzen der erhärtenden Partien, Abspülen des 
Abdruckes unter kaltem Wasser lassen natürlich das Hartwerden schneller 



Falscher Abschluß. Der Abdruck wurde ohne ßcrüdsid.tigung der Beweguiigs* 
möglichkcit des weichen Gaumens bei offenem Munde gemonnen 



Die Prothese steht bei Bewegungen des weichen Gaumens ab und veriir» 
sacht Würgereiz 

vor sich gehen und beugen einem Verziehen vor. Der hintere Teil der Ab¬ 
drücke bedarf besonderer Beachtung. Oberkiefer: Wie Fig. 8 zeigt, wird da, 
wo der weiche Gaumen beginnt, ein wenig Masse aufgelegt, der Löffel bei 
Beginn des Erhärtens eingeführt und bei möglichst geschlossenem Munde 
hochgedrückt. Dadurch trifft der Löffel den weichen Gaumen in schon er¬ 
hobener Stellung, die bereits erhärtende Masse drückt noch weiter hoch und 
formt sich, da sie ja noch nicht hart ist. Dadurch ist erreicht, daß bei jeder 
Stellung des Gaumens die Prothese fest anliegt, Luftabschluß vorhanden und 
außerdem der unangenehme Würgereiz aufgehoben ist <Fig. 16—17). Unter¬ 
kiefer: Im Munde wird die in der Fig. 18 angedeutete Stelle: Übergang 
zwischen der auf dem Unterkieferknochen festliegenden Gingiva und der 
aufsteigenden vor dem Trig. retromolare liegenden Schleimhaut, mit einem 
Blaustift angezeichnet und die Länge des gefertigten Abdruckes mit der er¬ 
forderlichen verglichen. Der fehlende Teil wird durch Aufträgen von Ab- 



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Der Funktionsabdruck 


71 


druckmasse ergänzt. Im Untere 
kiefer ist ferner noch eine Be- 
grenzung des inneren, zungen- 
wärts liegenden Teiles not- 
wendig, die durch Maximal- 
Bewegungen der Zunge erreicht 
wird, da mit der Zunge gleich- 
zeitigder Mundboden sich hebt. 
Diese Maximalbewegungen 
sind erstens: Hinausstrecken 
der Zunge bis, übertrieben ge- 
sagt, die Zunge das Kinn be¬ 
rührt, Bewegungen der Zunge 
in dieser Stellung von rechts 
nach links und umgekehrt,- 
zweitens: Überschlagen der 
Zunge über den Bißwall in die 
Backentasche <Fig. 19). Be¬ 
wegungen der Zunge in dieser 
Stellung und Versuch mit der 
Zunge, den mit einem Finger 
gehaltenen Abdruck zu heben. 

Nun prüft man die Festig- 
keit der Abdrücke. Bei jedem 
erneuten Einführen der Ab¬ 
drücke kann man beobachten, 
wie die Saugkraft eine größere 
wird, sowohl beim Abziehen 
der Abdrücke in der Richtung 
der Kiefer als auch senkrecht 



Fig. 19 

Überschlagen der Zunge über den Bißwall in die Badcentasche 



Fig. 20 

Partieller Abdruck des Unterkiefers. 



Fig. 21 

Derselbe Abdruck wie Fig. 20. Durch Überlegen von 
erweichter Stentsmasse über die Frontzähnc werden 
diese in den Abdruck einbezogen 


dazu. Der Abdruck ist dann als gut zu bezeichnen, wenn er sich nicht 
mehr abheben läßt und beim Zug nach vorn oben in der Schneidezahn* 
gegend hinten nicht abkippt. Der Abdruck bzw. später die Prothese läßt 


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Wilhelm Balters: Der Funktionsabdrudi 


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sich dadurch lösen, daß der Patient bei geschlossenem Mund Luft hinter 
die Prothese bläst. <Der Gaumen wird dadurch maximal gehoben und 
Luft zwischen Gaumen und Platte gepreßt.) Die Saugwirkung der unteren 
Prothese ist natürlich nicht so groß wie die der oberen, da die Fläche der 
unteren nur einen kleinen Teil der oberen ausmacht. Wird die Fläche der 
unteren Prothese dadurch größer, daß im Unterkiefer der Alveolarfortsatz 
sehr hoch ist, so erhöht sich auch die Saugfähigkeit. 

Nachdem dann der Bißwall des unteren Abdruckes oberflächlich erweicht 
ist, wird der Biß im Munde festgehalten, beide Abdrücke aus dem Munde 
entfernt und in dieser Stellung in den Artikulator eingebettet. Die Größe 
des Modelles nach Entfernung der Abdruckmasse durch Erweichen in war* 
mem Wasser ist zugleich die Größe der Prothese. Daran darf nichts ge* 
ändert werden. 

Die Anfertigung der partiellen Abdrücke ist die gleiche. Der Löffel ist so 
zu gestalten, daß er die Größe der abzudrückenden Teile umfaßt. Nachdem 
man den Abdruck gewonnen hat <Fig. 20), ebenso die Bißeindrücke, zieht 
man die bezahnten Teile noch mit ein, indem man etwas erwärmte Stents* 
masse über die Zähne legt <Fig. 21). Dieser letztaufgetragene Teil wird 
nach dem Ausgießen zuerst durch partielles Erwärmen abgehoben, die Ab* 
drücke zusammengesetzt in den Artikulator gebettet und dann die Basis mit 
dem Bißwall durch Erwärmen erweicht und abgehoben. — Ein Ansaugen 
der partiellen Abdrücke ist nicht zu erwarten, da ja der Rand der Prothese 
nicht überall im Weichen und Nachgiebigen liegen kann. Der Vorteil aber 
vor der bisherigen Anfertigung partieller Prothesen ist der, daß Druckstellen 
nicht auftreten und beim Einpassen der Prothesen man keinen Schwierigkeiten 
begegnet, da ja die Prothese so groß ist wie der Abdruck und der Abdruck 
sich leicht aus* und einfiihren ließ. 



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FESTE, ABNEHMBARE UND BEWEGLICHE 
BRÜCKENARTEN 

VON 

DR. B. STEINBERG IN KRAKAU 

VORTRAG IN DER „BERLINER ZAHNÄRZTLICHEN GESELLSCHAFT 1874" 

AM 6. MÄRZ 1922 


A lle Zahnersatzarten unterliegen im Munde beinahe denselben funktio- 
nellen Einflüssen und derer Schwankungen, wie die übriggebliebenen 
Zähne. Wir können nicht behaupten, daß uns die physiologischen Einflüsse, 
ihre Entstehung und dauernde Einwirkungskraft, deren Grad und Stetigkeit 
vollkommen geläufig sind. Wir suchen und immerwährend entstehen neue 
Probleme, neue Gedanken, um der vollkommenen Leistungsfähigkeit des Er¬ 
satzes gerecht zu werden, und nur langsam einigt man sich auf Grund sicherer, 
experimenteller Überzeugung, nach jahrelanger Erfahrung über das Bestehen 
einer unumstößlichen Tatsache. Die kann entweder positiver oder negativer 
Natur sein. Keine einzige Zahnersatzart entspricht allen physiologischen 
Anforderungen im Munde. Nach jahrelanger Erfahrung dürfen wir sagen, 
welche von den üblichen Ersatzarten von größerem Nutzen für die Dauer 
ist. Die zwei Hauptgruppen des Platten- und Brückenersatzes kämpfen heute, 
den neuen Strömungen gemäß, um das Vorrecht. Die Mehrheit der Fach¬ 
welt neigt noch immer dem Brüdcenersatze zu. Ich möchte in allerkürzester 
Weise, alle theoretischen Auseinandersetzungen möglichst unterlassend, die 
üblichen Brüdcenarten nachprüfen. 

Das Prinzip der festsitzenden Brückenarten besteht in der starren Zu¬ 
sammengehörigkeit aller Bestandteile zueinander. Die verschiedensten Modi¬ 
fikationen derselben sind allen bekannt. Ich erlaube mir an dieser Stelle die 
Aufmerksamkeit der verehrten Herren Kollegen auf eine feste Brückenart zu 
lenken, die ich am 2. März 1913 in Breslau vorzeigte. Diese, nur für Röhren¬ 
zähne passende Art zeichnet sich dadurch aus, daß die Goldkaufläche die 
Zähne trägt und deckt, indem die Röhrenzähne unter ihr, auf Goldstiften 
steckend, gegen den Kieferbogen hinunter- respektive hinaufragen. Die 
Brücke wird auf folgende Weise verfertigt: Der Röhrenzahn wird von oben 
und unten, schräg in lingualer Richtung zugeschliffen <Fig. 1>. Die obere 
Fläche des Zahnes muß so stark abgeschliffen werden, daß der Zwischen- 


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B. Steinberg 


raum zwischen der unteren und oberen Zahnreihe, von der lingualen Seite 
gesehen, mindestens 2 mm beträgt. Die so zugeschliffenen Zähne werden im 
Artikulator zwischen den Stützpfeilern aufgestellt, in unteren Brücken hängend, 
in oberen mit der bukkalen Seite kaum den Kieferbogen berührend. Hierauf 
wird die Bißfläche mit Wachs modelliert, wobei man nicht vergessen darf, 
daß der <Fig. 2> bukkale Rand der Wachsbißfläche um einen halben mm in 
schräger, lingualer Richtung den bukkalen Zahnrand überragen muß. Auf 
diese Weise wird der Zahn beim Kauakte vor jeder Berührung mit der 
oberen Zahnreihe geschützt. Dann wird die modellierte Bißfläche mit Stiften 



zum Gießen eingesetzt, und sobald der Guß gelungen ist, werden die Kronen 
mit der Bißfläche verlötet <Fig. 3> und die Zähne zugepaßt, worauf man 
dann dieselben aufzementiert <Fig. 4>. Sollte der Zahn durch einen Zufall 
springen, so nimmt man einen neuen, schleift ihn entsprechend zu, schneidet 
seine linguale Seite <Fig. 5) der Längsaxe nach durch und zementiert ihn ein. 
Diese Brückenart kann man sofort nach der Extraktion in Arbeit nehmen, 
denn nach Kontrahieren des Kieferbogens nach Monaten kann man die 
Zähne wieder ersetzen, ohne die Briidce aus dem Munde herauszunehmen. 

Einen Fortschritt in dem Aufbau vom Brückenersatz bilden die abnehm¬ 
baren Briidcen. Die Stützkronen werden einzeln auf die Stützzähne auf¬ 
zementiert, und die eigentliche Brücke wird auf verschiedene Art und Weise 


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Feste, abnehmbare und bewegliche Brückenarten 


75 


auf denselben verankert. Die Beschreibung der Art und Arbeitsweise ein- 
zelner Systeme abnehmbarer Brücken sind genügend in den Lehrbüchern ge¬ 
würdigt. Hiermit zeige ich den verehrten Herren Kollegen eine abschraubbare 
Brücke, wie ich sie herstelle. Bei dieser Brücke dienen drei Pfeiler als Stützen 
des Ganzen, nämlich der linke obere zweite Molar, der linke obere Edczahn 
und der rechte obere Eckzahn. An der lingualen Seite dieser drei Stützen 
werden drei, vertikal, zueinander parallel stehende, aus der Artikulations¬ 
fläche ausgeschaltete, mit tiefem Schraubgewinde versehene, nach der Kaufläche 
zu konisch zugefeilte, 4 — 7 mm lange und 2,5 mm dicke Hülsen angelötet. 
Die Stützpfeiler können divergierend, unterlaufend, gekippt und wackelig 
sein, trotz der verschiedensten Lage der Stützzähne lassen sich die Hülsen 
nach oben angeführten Grundsätzen anlöten. Sodann werden die fehlenden 
Zähne aufgeschliffen. Der Schraubenkopf hat die Form eines umgekehrten 



Kegels, somit entsteht nach Einsetzen der Schraube ein beträchtlicher Raum 
zwischen der Hülse und dem Schraubenkopfe. Nun steckt man die Schrauben 
in die Hülsen, und nach Einölung der in dem Mantel liegenden Ersatzteile 
und der Stützpfeiler wird die Brücke in Wachs so modelliert, daß die Hülsen 
ganz vom Wachse mitgedeckt werden. Wenn man nun die in Wachs mo¬ 
dellierte Brückenschablone vorsichtig heruntergenommen hat, merkt man, daß 
jede von den angelöteten Hülsen in einer Nische stedet, die eine Art Patrize 
für die Hülse bildet. Nach Anpassung des Gusses an die Stützpfeiler und 
Ersatzteile werden die Zähne aufzementiert und vernietet. Beim Einsetzen 
der Pfeiler wird jeder einzeln aufzementiert, indem jedesmal die ganze Briidce 
aufgesetzt und verschraubt werden muß, um die Parallelität der Hülsen bei- 
zubehalten. Bei großen Brücken gießt man dieselben in zwei Teilen so, daß 
die mesialen Enden der Gußstücke aufeinander zu liegen kommen. Der 
Hauptvorteil dieser Brüdcenart ist, daß man solche Briidce auf lodeeren 


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B. Steinberg 


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Zähnen aufstellen kann, die Brücke und Brückenpfeiler stehen fest. Hier 
wirken die Brückenpfeiler und die eigentliche Brücke reziprok gegeneinander. 
Der abnehmbare Teil spielt dabei die Rolle einer Befestigungsschiene, an der 
die wackeligen Zähne festgehalten werden. Wenn die Brückenpfeiler gute, 
gesunde Zähne sind, dann nähert sich die Brücke unseren Wünschen. Regel* 
recht ausgeführte, abnehmbare Brücken übertreffen in überwiegender Mehr* 
zahl die festsitzenden in ihrer Leistung. Man merkt bei diesen Brücken nach 
längerem Gebrauch ein minimales Nachlassen der Schrauben, was auf eine 
Beweglichkeit dieser Brückenart in der vertikalen Richtung schließen läßt. 
Diese Beweglichkeit in der vertikalen Richtung ist beinahe allen abschraub¬ 
baren Brückenkombinationen eigen. Einen weiteren Fortschritt in Bezug auf 
Beweglichkeit des Mittelstückes bedeuten die Arbeitsweisen Trosts und 
Ruhms, wobei das Mittelstück bloß einerseits nach einigen Richtungen hin 
beweglich sein kann. 

Nun will ich midi mit der kleinen Modifikation bei abnehmbaren, beweg¬ 
lichen Brücken befassen, die ich für ziemlich vorteilhaft bei partiellen Backen¬ 
zahnbrücken halte. Ich war und bin immer der Ansicht, daß Patienten, die 
nicht im Besitze von Backenzähnen sind, gewöhnlich ihre Frontzähne mit der 
Zeit verlieren. Wie alle einzelnen Bestandteile im Organismus ihre spezielle 
Bestimmung von Natur vorgeschrieben haben, die sie ausführen und aus¬ 
füllen müssen, so haben die Kiefer, beide zusammen genommen, jeder für 
sich, einzelne Partien derselben, jeder für sich, seine physiologische Funktion 
zu bestreiten. Diese scheinbar starren Körper werden in ihrer Funktion 
durch alle anderen Mundfaktoren, wie Muskeln, Nerven, Blutgefäße, Drüsen 
usw. beeinflußt, alle bilden ein Ganzes, und die gegenseitige Unterstützung 
und Abhängigkeit unterliegt keinem Zweifel. Wird ein Kettenteil aus diesem 
physiologischen Funktionsringe ausgeschaltet, so ändern sich die Verhältnisse 
im Munde. Die Veränderung kann entweder eine lokale sein, oder das 
ganze, physiologische Gefüge wird in Mitleidenschaft gezogen. Dabei ist 
auch das Alter des Individuums zu berücksichtigen. Wir wissen, daß bei 
demselben Individuum die physiologischen Erscheinungen in anderem Ver¬ 
hältnisse in jugendlichem Alter und anders im vorgeschrittenen Alter auf- 
treten. Wir können ruhig annehmen, daß diese Funktionen zwar stets durch 
dieselben, von Natur aus bestimmten Faktoren bedient werden, jedoch ändert 
sich die Art der physiologischen Arbeitsweise, die Energie, die Elastizität 
der einwirkenden Kräfte unterliegen einer Abänderung in fortdauerndem 
Kampfe mit der Außenwelt. Falls ein Individuum im ganzen Leben keinen 
einzigen Zahn eingebüßt hatte, ändern sich die physiologischen Eigenschaften 
jener Kräfte, die auf die Formierung des Zahnes, der Zähne, der Kiefer 
und des Kiefers einwirken. Selten zum Besseren. Wenn demnach ein In¬ 
dividuum einen Zahn einbüßt, so ist es doch von Wichtigkeit, welchen Zahn 
es verliert, in welchem Alter, welche Rolle dieser Zahn im Aufbau des 
Ganzen spielt und spielte, welche Belastungskraft er aushält, welche Knochen- 
und Zirkulationsentspannung er nach sich zieht. Wir wissen es gut, dank 
den Untersuchungen und Messungen der vielen Forscher auf diesem Gebiete, 



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Feste, abnehmbare und bewegliche Brückenarten 


77 


daß die Molaren und Bikuspidaten zu den wichtigeren Bestandteilen der 
Kiefer gehören. Ich will mich hier nicht auf die Details einlassen, welche 
allererste Bedeutung die Zähne in orthodontischer Beziehung, im Aufbau 
und Erhaltung des Schädels, der Kiefer, der Muskelstellung, in Beeinflussung 
des eingeatmeten Luftstromes und dessen Folgeerscheinungen für den ganzen 
menschlichen Körper haben. Das sind wichtige Fragen, die nicht hierher ge- 
hören. Der Kauakt und der Kaudruck sind zwei Faktoren von großer 
Wichtigkeit, die wir hier bei Besprechung der Modifikation der abnehmbaren 
Brücke im Auge behalten wollen. Wenn wir einen verloren gegangenen 
Zahn ersetzen wollen, so müssen wir dem Ersatzzahne <ich spreche vor allem 
den Backenzähnen das Wort) die von der Natur vorgeschriebene Funktions- 
möglichkeit des verloren gegangenen Zahnes womöglich verschaffen, damit 
er sich in dem Mundapparate gehörig dreinfindet. Ein Zahn besitzt nie in 
vollem Sinne des Wortes eine Ruhestellung. Eine einzelne Gewebszelle 
kennt keine Ruhe, immer und immer wieder spielen sich in ihr biochemische 



Prozesse ab. Vom kleinsten Körperbestandteil angefangen bewegt sich alles 
in den von Naturgesetzen vorgeschriebenen Grenzen. Wird die Grenze 
überschritten, so setzt sich der überlastete Teil zur Wehr, wird derselbe dauernd 
überanstrengt, treten pathologische Prozesse ein, um endlich dem Verderben 
zu verfallen. Dies stimmt auch für den Zahn,- je größere Aufgabe er zu ver- 
richten hat, von desto größerer Bedeutung ist er für die Gesamtheit. Jeder 
Zahn bewegt sich in seiner Alveole, bei Ausübung seiner Aufgabe mehr, 
als in der Ruhelage. Sein Leistungsmaximum ist vom Naturgesetz festge- 
legt. Wenn er auf die Dauer überlastet werden sollte, fällt er dem lang- 
samen Zugrundegehen anheim. Dies ist oft der Fall bei festen Brückenarten. 
Um dem vorzubeugen, müssen wir solche Brüdcenarten aufbauen, daß die 
die Brücke tragenden Zähne ihre, ihnen für sie selbst vom Naturgesetz be¬ 
stimmte Leistung ohne Nachteil besorgen könnten. Bei diesen Brückenarten 
muß deswegen das zu ersetzende Mittelstück eine Beweglichkeit besitzen, die 
dem Vorhergesagten entsprechen würde, das Mittelstück soll derart kon¬ 
struiert werden, daß die Stützzähne <und gemeint sind fortwährend scitlidie 


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78 


B. Steinberg 


untere Backenzahnersatzteile) trotz der Belastung ihre Bewegungsfreiheit bei 
Funktion, bei relativer Ruhe ihre Erholungsfreiheit beibehalten. Die partielle, 
seitliche, abschraubbare, bewegliche, untere Backenzahnbrücke soll bloß eine 
minimale Beweglichkeit in allen gewünschten Richtungen besitzen. Da das 
Mittelstück beim Kauen von allen möglichen Kraftrichtungen beeinflußt wird, 
verfiel ich auf die vielleicht nicht mehr neue Idee, die Verankerung des 
Mittelstückes beim partiellen Backenzahnersatze so herzustellen, daß es von 
den einwirkenden Kräften getroffen, den Stiitrzahn durch seine Nachgiebige 
keit in jeder Richtung verschont, es muß also an beiden Seiten seine ent- 
sprechende Beweglichkeit erhalten. Diese abnehmbare bewegliche Brücke be¬ 
steht aus drei Teilen: Aus zwei Stützpfeilern und dem Mittelstücke. An 
beiden Stützpfeilern sind an den dem Mittelstücke zugekehrten Seiten je 
eine Gelenkpfanne angebracht, in welche an beiden Enden des Mittelstückes 
entsprechend geformte Gelenksteile genau hineinragen. Doch die beiden 
Gelenke sind von wesentlichem Unterschiede. Das eine Gelenk nenne ich 
das kolbenartige Gelenk, das andere das keilförmige Gelenk. Beim kolben^ 
artigen Gelenke besitzt die Pfanne die Versenkung in Gestalt eines Zylinders, 



der 2 — 3 mm tief und am Boden konkav ist. Am korrespondierenden Ende 
des Mittelstückes wird ein Zapfen in Gestalt eines Zylinders modelliert, der 
in die Pfanne am Stützpfeiler hineinpaßt, wobei das korrespondierende Ende 
des Mittelstückes die Gelenkpfanne umfassen soll. Das andere, das keiU 
förmige Gelenk besteht auch aus zwei Teilen und einem Riegel. Der Teil, 
der an dem Stützpfeiler angebracht wird, ähnelt der Längshälfte eines abge^ 
stumpften Kegels, welcher tief ausgehöhlt und mit dem schmäleren Ende an 
den Stützpfeiler angebracht wird. In diese Vertiefung wird ein entsprechen^ 
der Keil an dem korrespondierenden Mittelstücksende so modelliert, daß das 
Ende des Mittelstückes die keilförmige, an dem Stützpfeiler angebrachte 
Pfanne ganz umfaßt. Nachher wird durch die beiden Teile dieses KeiU 
gelenkes ein partiell verschraubbarer, freiaxiger Riegel, von der bukkalen 
Seite gegen die linguale Seite zu so durchgesteckt, daß der Gewindeteil des 
Querriegels nur in der bukkalen Seite des Mittelstückes zu liegen kommt, 
und der weitere Teil des Querriegels, der sogenannte Führungsstift, den 
Keil und die linguale Seite des Mittelstückes durchquert, wobei derselbe im 
eigentlichen Keile nach Vergrößerung des Keilloches, durch welches der Füh^ 
rungsstift passiert, frei liegt. Das Herstellen der beiden Gelenke geschieht 


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Feste, abnehmbare und bewegliche Brückenarten 


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wie folgt: Das kolbenartige Gelenk besteht aus der Pfanne, die an den Stütze 
pfeiler angebracht wird, und dem Kolben, der sich an dem korrespondieren* 
den Ende des Mittelstückes befindet. Die Pfanne stellt man sich her, indem 
man ein Wachskügelchen formt, dasselbe auf einer glatten Platte auflegt und 
mit einem flachen, glatten Spatel leicht andrückt. Auf diese Weise bekommt 
man ein, an zwei Seiten leicht flachgedrücktes Kügelchen. Nun bohrt man 
an einer von diesen flachgedrückten Stellen mittels eines löffelförmigen Ex* 
kavators eine zylinderförmige, 2—3 mm tiefe, 2 mm breite Versenkung, die 
am Boden konkav ist. Dieses Kügelchen wird mit der andern abgeflachten 
Seite an den vorher leicht erwärmten Stützpfeiler angebracht. Nun wird das 
gegossen. Mit dem Guß wäre ein Teil des Kolbengelenkes zustande ge* 
bracht. Die keilförmige Pfanne wird hergestellt, indem man aus Wachs einen 
kleinen Kegel formt, das Ende abstumpft und ihn der Länge nach teilt. Jetzt 
schneidet man mit einem löffelförmigen Exkavator auf der flachen Seite des 
halbierten, abgestumpften Kegels eine passende Vertiefung aus. Die kann 
am Boden zugerundet oder eckig sein, so daß sie im Querschnitt ein U er* 



gibt. Nun wird der Stützpfeiler angewärmt und an das schmalere Ende 
der keilförmigen Pfanne in gewünschte Lage gebracht. Die keilförmige Ver* 
tiefung muß gegen die Kaufläche offenliegen. Dieser Gelenksteil wird noch 
nicht angegossen. Jetzt setzt man die beiden Stützpfeiler, der erste mit an* 
gegossener, kolbenartiger Pfanne, der zweite mit der aus Wachs hergestellten, 
an ihm klebenden, keilförmigen Pfanne auf entsprechende Stützzähne. Das 
Mittelstück wird nachher so modelliert, daß an beiden Seiten entsprechende 
kolben* resp. keilförmige Zapfen entstehen, die genau in die kolbenartige, 
resp. keilartige Pfanne hineinpassen, wobei die kolbenartige wie auch die 
keiiartige Pfanne von den Enden des Mittelstückes, den Bißverhältnissen 
gemäß, umfaßt werden. Die keilartige Pfanne kann auch die Form eines 
längs halbierten Zylinders haben, dabei werden die frei stehenden Ecken 
schräg abgestumpft. Sobald das Mittelstück modelliert wurde, wird der fertige, 
vorher erwärmte und eingeölte Querriegel, von der bukkalen Seite aus durch 
das Keilgelenk so durchgesteckt, daß er die bukkale Seite des Mittelstiickcs, 
die beiden Wände der Keilpfanne, den in ihr ruhenden Keil des Mittel* 
Stückes und die linguale Seite des Mittelstückes passiert. In der bukkalen 


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80 B. Steinberg: Feste, abnehmbare und bewegliche Brudkenarten 

Seite des Mittelstückes wird der mit Gewinde versehene Teil des Quer* 
riegels verschraubt, der glatte und viel dünnere Teil des Querriegels durch* 
bohrt, die beiden Wände der Pfanne, den sich in ihr befindenden, dem 
Mittelstückende angehörenden Teil und die linguale Seite des Mittelstuckes. 
Die bukkale Seite muß beim Wachsmodellieren so dick aufgetragen werden, 
daß in demselben der mit Gewinde versehene und dicht am Riegelkopfe an* 
gebrachte, 2—3 mm lange und 2 mm dicke Teil leicht versenkt werden 
könnte. Der partiell verschraubbare freiaxige Querriegel wird folgender* 
maßen hergestellt: 

Man nimmt ein 14 kar. 2 mm dicken Golddraht, schneidet in denselben 
ein tiefes Gewinde, darauf wird aus 18 kar. Gold ein halbrundes Köpf* 
dien aufgelötet/ somit haben wir eine Schraube. Nun verdünnt man das 
Ende der Schraube bis auf 2—3 mm vor dem Köpfchen und man bekommt 
den Querriegel. Das Schraubengewinde und der Schraubenkopf müssen aus 
hartem Gold, wie auch der bukkale Teil des Mittelstückes, in welchem das 
Köpfchen mit dem verschraubbaren Teil des Querriegels zu liegen kommt, 
verfertigt werden. Daher ist es ratsam, diese beiden Teile extra herzustellen 
und beim Modellieren im Wachsmodell in richtige Lage zu bringen. Das 
Material kann Stahlgold, Plattiniridium oder ein anderes passendes Material 
sein. Nun nimmt man die Pfeiler und das Mittelstück auseinander, jeder 
Teil wird gegossen, zugepasst, im Artikulator kontrolliert und dem Patienten 
jeder Stützpfeiler extra einzementiert, das Mittelstück eingelegt und der 
Querriegel hineingesteckt. Man kann das Mittelstück zuerst ohne Kaufläche 
modellieren und gießen und erst nachher, wenn das Ganze fertig ist, aus 
Hartwachs die Kaufläche auftragen, den Patienten damit längere Zeit alle 
möglichen Bewegungen ausführen lassen, und man bekommt die genaueste 
Kaufläche, welche dann auf das Mittelstück nachgegossen wird. Praktische 
Vorteile dieser Brückenart äußern sich darin, daß man das Mittelstück zu 
jeder Zeit herausnehmen, umarbeiten, die Gelenke nachbessern, reinigen 
kann. Die abnehmbare, bewegliche Brückenart mit dem Kolben* resp. 
Keilgelenke und dem verschraubbaren, freiaxigen Querriegel ist von großem 
praktischen Werte, besonders für den unteren Backenzahnersatz. 


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WELCHE FAKTOREN BEDINGEN DIE FORM¬ 
VERÄNDERUNGEN IN DEM ZAHNÄRZTLICHEN 
GUSSVERFAHREN? 

VON 

DR. MED. DENT. OSKAR SOLBRIG, ZAHNARZT IN BERLIN 

D ie Einführung der Druckguß-Methode in die Zahnheilkunde im Jahre 1907 
war für die Technik von epochemachender Bedeutung. Volle zwei Jahre 
vergingen mit Versuchen, die technischen Schwierigkeiten zu bemeistern, 
welche eine so bedeutende Neuerung mit sich brachte. Aber schon im Jahre 1910 
wurden in den Fachschriften Stimmen laut über Formveränderungen, die 
nicht durch fehlerhafte Technik zu erklären waren, 
sondern ihre Ursache in den physikalischen Eigen- 
schäften der verwandten Materialien hatten. 

Obwohl sich mehrere Autoren mit dieser Frage 
befaßten, so blieb doch ein im Mai 1912 von 
Dr. Price ausgesetztes Preisausschreiben bis 1914 
ohne Lösung. Wie viele andere Kollegen, so 
hatte auch er beobachtet, daß der fertige Guß in 
seinen Dimensionen vom Original insofern ab¬ 
wich, als eine Verringerung des Volumens zu 
verzeichnen war. Er hatte daher zur Aufgabe 
gestellt: erstens, für eine Molarenporzellankrone 
eine Wurzelplatte zu gießen, welche sowohl auf 
die Wurzel als auch auf die Porzellankrone über¬ 
greift. Für genaue Messungen hatte er zu diesem 
Zweck einen Apparat konstruiert, dessen Form 
aus Fig. 1 ersichtlich ist: 

Ferner sollte eine sattelförmige Füllung für einen Molaren hergestellt 
werden, welche die Kauflädie und die beiden Approximalflächen umfaßt. Um 
auch für diesen Fall eine genaue Kontrolle der Formveränderungen zu haben, 
wurde der in Fig. 2 dargestellte Apparat benutzt: 

Wie mangelhaft auch die besten Resultate ausgefallen waren, ersieht man 
sowohl aus Fig. 1 wie auch Fig. 3: 

Viertcliahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 1 6 


-- 



'!/ 


Fig. 1 

Meßapparat für gegossene 
Wurzelplatten 



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* 


.■> 













82 


Oskar Solbrig 


Alle Versuche waren weit hinter den gestellten Bedingungen zurück» 
geblieben. Trotz einwandfreier Technik hatten sich Formveränderungen ein¬ 
gestellt, die ein ideales Resultat unmöglich machten. Über das Wesen dieser 
Formveränderungen wollen wir versuchen, in dieser Arbeit etwas Klarheit 
zu gewinnen. 

Zu diesem Zwecke soll das als Modell dienende Wachs, die zu verwen¬ 
dende Einbettungsmasse und das zum Guß gebrauchte Metall einer ein¬ 
gehenden Untersuchung unterzogen werden, denn in jeder der genannten 
Substanzen treten im Laufe des Gußverfahrens Formveränderungen auf, 
die zu Fehlerquellen werden können. 

Zur leichteren Verständlichkeit alles folgenden will ich hier vorweg kurz 
die Tatsache erwähnen, daß wir beim Guß stets mit einer Kontraktion des 



Goldes zu rechnen haben, die wir jedoch entweder auszugleichen oder zu 
überwinden imstande sind. 

Wachs. Unter dem Begriff „Wadis“ verstehen wir in der Gußtechnik 
nicht Bienenwachs, sondern eine Mischung verschiedener wachsartiger Sub¬ 
stanzen, unter denen die folgenden zu nennen sind: Wachsarten, feste Fette 
des Tier- und Pflanzenreiches, feste Fettsäuren <Stearin>, Paraffin und Ceresin. 

Unter den Wachsen benutzen wir in erster Linie das Bienenwachs und 
nur in geringer Menge Walrat oder Spermaceti. Das Bienenwachs schmilzt 
zwischen 61,5—68° C, zeigt aber die Eigentümlichkeit, sich beim Erstarren 
zusammenzuziehen, eine Eigenschaft, die wir nicht genügend berücksich¬ 
tigen können, wenn es sich darum handelt, Fehlerquellen schon durch die 
Kontraktion des Wachsmodelles auszuschalten. Reines Bienenwachs ist aus 
diesem Grunde sowohl, als auch wegen seiner großen Weichheit als Modell¬ 
wachs nicht geeignet, während uns seine Geschmeidigkeit in Verbindung mit 
anderen Substanzen von großem Nutzen ist. 

















Welche Faktoren bedingen die Formveränderungen in dem Gußverfahren? 83 

Walrat hingegen ist ungeachtet seines niedrigen Schmelzpunktes von 
42—49° C sehr spröde, neigt zur Kristallisation und kann nur mit einem 
Zusatz von Wadis oder Paraffin verwendet werden. 

Unter den Pflanzenwachsen kennen wir besonders das Karnaubawachs, 
sehr spröde und hochschmelzend, 99° C <nach Prof. Schoenbeck 84 bis 
85°C.>, wird es in kleinen Zusätzen benutzt, sowohl um die Festigkeit als auch 
den Schmelzpunkt zu erhöhen. 

Auch Japanwachs <52—55° C>, ein Triglyzerid, aus dem Samen des 
Wachsbaumes gewonnen, wird den Wachsarten beigemischt, um die Klebe» 
fähigkeit herabzumindern. 

Von den tierischen Fetten wäre Talg zu erwähnen, das aber wegen seines 
niedrigen Schmelzpunktes und seines unangenehmen Geruches für unsere 
Zwecke keine Verwendung findet. 

Um so wichtiger aber ist das Stearin, welches nach dem Schmelzen nur 
ein geringes Schwinden aufweist, eine sehr glatte Oberfläche liefert, sich 
leicht mit scharfen Instrumenten bearbeiten läßt und das Ankleben voll» 
ständig verhindert. Sein Schmelzpunkt liegt bei 58,5° C. Es muß frei von 
Asche und Kalk sein, da sich sonst Rückstände beim Ausbrennen bilden 
würden. 

Der Hauptbestandteil der in den Handel kommenden, für die Gußtechnik 
bestimmten Wachse ist Paraffin. Dies wurde schon 1819 von Andreas 
Büchner aus dem Bergöl von Tegernsee isoliert. Heute dienen als 
Rohprodukte des Paraffins die Braunkohle, Schieferöle und Erdöle. Es 
ist ein Kohlenwasserstoff, entweder der Äthanreihe oder der Olefinreihe 
angehörend. Sein Schmelzpunkt ist sehr verschieden, entweder hoch» 
schmelzend, 50—70° C, oder niedrig schmelzend. Nach Hefter ist seine 
Biegefestigkeit nicht allein von seinem Schmelzpunkt abhängig, sondern 
auch von seiner Zusammensetzung. Paraffine, die aus Kohlenwasserstoffen 
von ziemlich gleichen Schmelzpunkten bestehen, erfahren in der Wärme 
eine geringere Deformation als solche, die ein Gemisch von sehr weichen 
und sehr harten Komponenten darstellen. Der Schmelzpunkt des Paraffins 
läßt sich im Einklang mit dem Raoultschen Gesetz der Gefrierpunkt» 
emiedrigung durch keinen Zusatz anderer Substanzen erhöhen, es sei 
denn, daß weiches Paraffin mit hartem, höher schmelzenden Paraffin ge» 
mischt wird. 

Nachstehende Tabelle I zeigt, daß der Schmelzpunkt von Paraffin bei 
38,89° C <102° F> sogar sinkt, wenn wir 10 bis 30°/ 0 Stearin mit dem 
höheren Schmelzpunkt von 49,78° C <121° F) beimischen. Erst nach einem 
Zusatz von 40% Stearin und darüber nähert sich der Schmelzpunkt des 
Gemisches dem Schmelzpunkte des Stearins. 

Reten, aus Harz gewonnen, Naphthalin, Azidylverbindungen aromatischer 
Basen, Montanawachs und Oxystearinsäure wurden als Härtungsmittel für 
Weichparaffin versucht, doch im allgemeinen ohne gute Erfolge, da die zu» 
gefügten Substanzen entweder auskristallisierten oder zu schichtenweiser Ab» 
sonderung neigten. 

6 * 


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Jk 















84 Oskar Solbrig 


TABELLE I (na<fi Hefter) 


38,89 3 C 
<102° F> 
Paraffin 

49,44° F | 

<121° F> 

Stearin 

Schmelzpunkt der 
Mis&ung 



• C 

3 F 

100 

0 

38,89 

102 

90 

10 

37,78 

100 

80 

20 

36,95 

98 

70 

30 

37,78 

100 

60 

40 

40,38 

104,50 

50 

50 

43,67 

110,50 

40 

60 

43,89 

111 

30 

70 

45,28 

113,50 

20 ; 

80 

47,50 

117,50 

10 | 

90 

48,33 

119 

o i 

100 

49,44 

121 


Verschiedene Harze, besonders das Dammaraharz, werden unseren Modell* 
wachsen in geringen Mengen beigemischt, um eine größere Zähigkeit und 
Festigkeit zu erreichen. 

Zum Schluß wäre noch das durch Reinigung des Erdwachses mit Schwefel* 
säure gewonnene Zeresin zu erwähnen, welches im Gegensatz zum Pa* 
raffin eine amorphe Beschaffenheit aufweist und bei einem Schmelzpunkt von 
60—80° C der Geschmeidigkeit des Bienenwachses sehr nahekommt und in 
vieler Hinsicht als guter Ersatz für letzteres gelten muß. 

Modellwachs. Wie schon erwähnt, werden diese verschiedenen Sub* 
stanzen nie einzeln, sondern in Mischungen gebraucht. Die Zusammensetzung 
der meisten für die Gußtechnik in den Handel kommenden Wachse ist zwar 
Geheimnis des Fabrikanten, aber im allgemeinen sind die Hauptbestandteile 
weißes Bienenwachs, Paraffin und Stearin mit geringen Zusätzen von Harz 
oder ähnlichen Substanzen, wie wir sie eben erwähnt haben. Das Bienen* 
wachs gibt Plastizität, Paraffin Festigkeit, und Stearin ermöglicht leichtere 
Bearbeitung mit scharfen Instrumenten. 

Die Aufgabe des Wachses ist nun, ein genaues Modell dessen wieder* 
zugeben, was wir durch den Guß in Metall herstellen wollen. Bei seiner 
Verarbeitung für diesen Zweck unterliegt es aber Form Veränderungen, die 
für uns von höchster Bedeutung sind. Alle Veränderungen, welche im Wachse 
Vorgehen von der Zeit an, wo es z. B. als Abdruck aus dem Zahn entfernt 
wird, und dem Moment, wo die Einbettungsmasse, in die es eingeschlossen 
wird, erhärtet, müssen wir deshalb einer genauen Prüfung unterziehen. 

Abgesehen von Verbiegungen oder Verzerrungen, z.B. beim Herausnehmen 
aus unter sich gehenden Kavitäten, wäre erstens seine Ausdehnung und 
Kontraktion durch Temperaturunterschiede zu nennen und zweitens seine 
Elastizität, welche sich in mannigfacher Weise äußert. 

Ausdehnung. Wird das Wachsmodell bei einer niedrigeren oder höheren 
Temperatur eingebettet, als es aus dem Munde entnommen wurde, so wird 
es dementsprechende Formveränderungen aufweisen, die in der Einbettungs* 
masse als negativ festgehalten werden. Sie sind abhängig sowohl von der Zu* 


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Welche Faktoren bedingen die Formveränderungen in dem Gußverfahren? 85 

sammensetzung des Wachses, als auch von dem Temperaturunterschied. So 
ist es unmöglich, zwei gleiche Füllungen herzustellen, es sei denn, daß sie 
bei gleicher Temperatur eingebettet werden, auch wenn alle anderen Fak- 
toren dieselben bleiben. 

Welch geringe Temperaturunterschiede genügen, um das Volumen des 
Wachses zu verändern, kann leicht in folgendem Versuch nachgeprüft werden. 
Ein Stück Wachs wird durch Einstechen eines Drahtes so beschwert, daß es 
in kaltem Wasser eben zu Boden sinkt. Erwärmt man das Wasser um we- 
nige Grade, so steigt es nach oben und schwimmt obenauf, — ein Beweis, 
daß das spezifische Gewicht im erwärmten Wachs geringer ist, folglich sein 
Volumen sich vergrößert hat. 

Wie wir aus nachstehender Tabelle II von Price ersehen, zeigen die ver¬ 
schiedenen Wachse je nach ihrer Zusammensetzung eine verschiedene Aus¬ 
dehnung: 

TABELLE II (nach W. A. Price) 

Lineare Expansion in Tausendsteln der Längeneinheit bei verschiedenen Temperaturen C". 


Temperatur 
in Celsius¬ 
graden 

Cleveland 

Dent. 

Carving 

Wadisgrön 

Consolida- 
ted Casting 
Wadis- 
schwarz 

Peds 

Gold 

Inlay 

Wachsrot 

Bird u. 
Moycr 

1 Einlagen¬ 
wachs 

S. S. White 
Model 
Inlay 
Wachs¬ 
schwarz 

i 

, Standard 
Inlay 

* Wadisgrau 

1 _ 1 

1 

1 Klewc 
! Einlage- 
I wachs 

1 _ 

Bienen¬ 

wachs 

1__ 

20 

0 

o 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

30 

4,9 

6,2 

5,8 

1 2,8 

11,6 

3,3 

2,2 

3,5 

35 

10,2 

10,7 

8,6 

7,5 

15,4 

6,4 

4.9 

4,8 

40 

11,7 

13,1 

107 

1 10,1 

17,0 

8,9 

7,6 

7,5 

45 13,0 

16,4 

14,7 

14,9 

21,1 

12,4 

12,0 

12,0 

50 

23,1 

19,7 

Krümlig 

24,8 

31,0 

22,8 

15,6 

18,0 

52 

Krümlig 

Krümlig 

27,7 " 

Krümlig 

Krümlig 

Krümlig 

20,7 

24,5 

54 

56 

57 1 
59 

59,7 ; 

35,2 

| ! 

1 

[•* .1 

27,9 


36,5 

I 

41,3 

30,5 

24,5 

Krümlig 

28,8 

28,0 

Krümlig 

32,5 


Schon bei einem Temperaturunterschied von 10° C schwankt die lineare 
Ausdehnung der verschiedenen Wachse zwischen 2,2— ll,6°/oo- Bei einem 
Unterschied von 30° C haben sich manche 31 °/oo ausgedehnt, während 
andere nur 15,6%o erreichen. Jedenfalls beobachten wir, daß alle Wachse, 
ohne Ausnahme, Expansion aufweisen bei Temperaturzunahme. 

In Tabelle III sind die Verarbeitungstemperaturen verschiedener Wachse 
angegeben. Unter Minimum verstehen wir die Temperatur, bei welcher das 
betreffende Wachs geschmeidig wird, während Maximum die höchstmögliche 
Temperatur bezeichnet, bei welcher dasselbe Wachs noch formbeständig 
bleibt, ohne zu krümeln oder zu schmelzen. Außerdem zeigt Tabelle III 
sowohl die jeweilige Ausdehnung von 20° C bis zur niedrigsten Ver¬ 
arbeitungstemperatur als auch von 20° C bis zur höchsten Verarbeitungs¬ 
temperatur. 


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• Wadis 

1 

Grenztemperaturen der 
Verarbeitung 
°C C 

Ausdehnung von 
20 ° C bis 
Minimum in °/„ 

Ausdehnung von 

20 > C bis 
Maximum in 0 9 

Standard Einlagewachs . . . 

43 

57 

1,12 

3,07 

Cleveland Dental. 

43 

53 

L20 

3,4 7 

Klewes. 

46 

59 

L30 

2,90 

S. S. White schwarz. . . . 

46 

53 

2,05 

3,50 

Kerrs. 

42 

52 

L00 

2,43 

Consolitated. 

46 

55 

1,50 

2.76 

Caulks. 

44 

54 

1/25 

2,31 

Bödedcer. 

38 

54 

0,49 

1,26 

Security.1 

44 

54 

1,05 

2,89 

Bienenwachs. 

34 

59 

0,50 

3,25 

Taggarts Grün. 

40 

54 

1,10 

2,10 

Van Horns. 

44 

54 

1,24 

2,94 

Paraffin. 

38 

49 

1,06 

1,50 

Japan Insektenwachs. . . . 

35 

42 

1,61 

1,91 

Kamauba. 

40 

50 

0,15 

1,35 

Zeresin. 

30 

45 

0,72 

1,42 

Stearin. 

40 

50 

1,00 

1,90 


Manche Wachse weisen schon von Zimmertemperatur bis zur obersten 
Arbeitsgrenze eine Ausdehnung von 3,50% auf. Kühlen wir diese Wachse 
noch mit kaltem Wasser ab, so können wir eine lineare Veränderung von 
4*— 5% erzielen. Jedenfalls dehnen sich fast alle Modellwachse in den Grenzen 
der für uns möglichen Temperatur über 2% aus, ja viele bedeutend mehr. 

Wir ersehen auch aus Tabelle III, daß die Ausdehnung der genannten 
Wachse sehr verschieden ist. Leider läßt sich aber der AusdehnungskoeffU 
zient nicht pro Wärmegrad angeben, da er nicht proportional mit der Höhe 
der Temperatur wächst. 

In Tabelle IV habe ich angegeben, wie der Ausdehnungskoeffizient sich 
steigert, je höher wir das Wachs erhitzen: 


TABELLE IV 



Von 20° C bis zur 


Von der niedrigsten bis 


niedrigsten Bearbeitungs^ 

höchsten Bearbcitungs* 

zur höchsten Bearbeitungs^ 


temperatur dehnt sich aus 
pro 0 C. 

temperatur pro 0 C. 

temperatur dehnt sich aus 
pro ° C. 


o/ 

/o 

°u 

c> 

. o 

Standard Einlagewachs . 

0,049 

0,083 

0,139 

Cleveland. 

0,052 

0,105 

0,227 

Klewes. 

0,050 

0,074 

0,123 

S. S. White Schwarz. . 

0,079 

0,106 

0,207 

Kerrs. 

0,045 

0,076 

0,143 

Consolidated .... 

0,057 

0,079 

0,140 • 

Taggarts Grün . . . 

0,055 

0,062 

0,071 

Van Horn's. 

0,052 

0,086 

0,170 

Caulks . 

0,052 

0,068 

0,106 

Security . 

0,044 

0,085 

0,184 

Bödedcer . 

0,027 

0,037 

0,048 

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Welche Faktoren bedingen die Form Veränderungen in dem Gußverfahren? 87 


Tabelle V zeigt schematisch die lineare Ausdehnung dieser verschiedenen 
Wachse im Vergleich zu Gold. Die äußerste punktierte Linie rechts in der 
Tabelle zeigt die Kontraktion des Goldes im flüssigen Zustand bis zu 20° C, 
und die starke punktierte Linie daneben zeigt die Kontraktion des Goldes vom 
Schmelzpunkt bis zu 20° C. Dies ist die Kontraktion, welche wir ver¬ 
suchen müssen» durch Ausdehnung des Wachses aufzuheben. Wenn wir die 
verschiedenen Spalten dieser Tabelle betrachten, wird es sofort klar werden, 
wieviel wir das in Frage kommende Wachs erhitzen müssen, um die nötige 
Ausdehnung zu erzielen. 


TABELLE V (Schematische Wiedergabe der Tabelle III nach Price) 


0901 


OS 

0* 


Sfr 

VC 


6fr 

SC 


frV 

Ofr 


frV 

frfr 

tc 

sc 




Gold über den Schmelzpunkt 
Gold bis zum Schmelzpunkt 
Stearin 
Cerecin 

Karnauba* Wachs 

Japan*Wachs 

Paraffin 

Bienenwachs 

Van Horns 

Taggarts grün 

Security 

Bödeckcrs 

Cauiks 

Consolidated 

Kerrs 

S. S. White Schwarz 
Klewes 
Clcveland 
Standard 


S CO CM — Q O 

° O ° O 


a Länge bei der niedrigsten Bearbeitungstemperatur 
b Länge bei der höchsten Bearbeitungstemperatur 
c Länge des Goldes beim Schmelzpunkt 
d Länge bei 20° C Zimmertemperatur) 

t 

| = Tausend Einheiten 


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88 


Oskar Solbrig 


Kennen wir also die Ausdehnung des Wachses, welches wir verarbeiten, 
so können wir leicht feststellen, bis zu welchem Grad wir das Wachs er» 
wärmen müssen, um die unvermeidliche Kontraktion des Goldes dadurch 
aufzuheben. Nehmen wir z. B. Taggarts Wachs bei Zimmertemperatur 
<20° C> und erhitzen es auf 54° C, so erhalten wir eine Ausdehnung von 
2,10°, o, welche der Kontraktion des Goldes entspricht, vorausgesetzt natür¬ 
lich, daß sich im weiteren Verfahren keine neuen Fehlerquellen einstellen, 
wie wir später sehen werden. Das S. S. White Blade hingegen würde uns 
unter denselben Umständen über l ft 0 zuviel Ausdehnung geben, es würde 
also genügen, es auf 46° C zu erwärmen. 

Versuche von Van Horn haben gezeigt, daß eine genaue Wiedergabe 
einer gegebenen Form im Gußgold dadurch möglich ist, daß durch Aus*- 
dehnung des Wachses die Kontraktion des Goldes aufgehoben wird. Dr. Price 
hat aber auch bewiesen, daß dies nur dann der Fall ist, wenn jede störende 
Elastizität im Wachs beseitigt wurde, da sonst eine Verzerrung des Gusses 
die Folge ist und dadurch eine genaue Reproduktion nicht erzielt werden kann. 

Elastizität. Was wir un¬ 
ter Elastizität des Wachses 
in seinen verschiedenen For¬ 
men verstehen, wollen wir 
weiter unten untersuchen. 

Die augenfälligste Art von 
Elastizität ist eine gewisse 
Federung, die jedes Wachs 
aufweist, und zwar bei einer 
niedrigeren Temperatur, als zu seiner Bearbeitung nötig ist, und dies in um so 
ausgesprochenerem Maße, je dünner das Wachs ist. Gewalztes Wachs kann 
bis zu einem gewissen Grad gebogen werden und findet sich wieder ganz oder 
zum Teil in seine Lage zurück. Auch das kann zu einer Fehlerquelle werden 
und zu Formveränderungen Anlaß geben. Ich erinnere z. B. an das dünne 
Plattenwachs, welches wir als Modell für Goldgußplatten verwenden. Wenn wir 
nicht die Vorsicht gebrauchen, es beim Anlegen genügend zu erwärmen, so 
geschieht es leicht, daß es sich an manchen Stellen vom Modell abhebt. Bleibt 
dies unbemerkt, so steht dann an dieser Stelle die gegossene Platte ab, ohne 
daß dafür die Kontraktion des Goldes verantwortlich gemacht werden könnte. 

Die Elastizität der Wachse ist ja bekannt und wissenschaftlich untersucht, 
aber jedermann kann sich durch folgenden Versuch leicht davon überzeugen: 

In Fig. 4 habe ich die Federung des Wachses zu veranschaulichen gesucht. 
Verschiedene Wachse wurden zu Streifen von 10 cm Länge gegossen, nur 
genügend erwärmt, um Bruch zu verhindern, um dann zu einem geschlossenen 
Ring gebogen zu werden, doch alle federten durch ihre Elastizität je nach 
ihrer Zusammensetzung mehr oder weniger auf und zeigten eine Öffnung 
von 13—23 mm. 

Eine zweite, nicht weniger wichtige Form von Elastizität ist eine gewisse 
latente Elastizität, die das Wachs beibehält, wenn es abgekühlt wird, während 


Digitized by Gck igle 



Fig. 4 

Elastizitätserschcinungen an vier verschiedenen Wachsarten 


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Welche Faktoren bedingen die Formveränderungen in dem Gußverfahren? §9 


es Zug oder Druck ausgesetzt ist. Diese Elastizität wird erst wieder frei, 
wenn das Wachs bis zu seiner höchsten Bearbeitungstemperatur erwärmt wird. 

Beim Erhärten von geschmolzenem Wachs ordnen sich die Atomkomplexe 
in normaler Weise nebeneinander an. Stören wir jedoch diesen Zustand 
z. B. durch Druck, so zwingen wir die Moleküle, sich zu nähern. Mit an- 
deren Worten: wir pressen das Wachs zusammen, verringern also sein Vo¬ 
lumen. Wird nun das Wachs unter seine niedrigste Bearbeitungstemperatur 
abgekühlt, so behält es diesen erzwungenen Zustand bei. Sobald jedoch das 
Wachs wieder auf seine höhere Bearbeitungstemperatur gebracht wird, wird 
die zurückgehaltene, die latente Elastizität frei, und das Wachs dehnt sich 
wieder aus. Man kann sich durch folgenden Versuch leicht davon über- 
zeugen: Das zu untersuchende Wachs wird erwärmt und zu einer Kugel, 
etwa haselnußgroß, geformt und zwischen zwei polierten Flächen, Glas- 
oder Metallplatten, stark zusammengepreßt und bei 20° C. mit dem Mikro- 
meter gemessen. Diese Dimension behält es bei, bis es aufseine höchste Be- 
arbeitungstemperatur erwärmt wird. Dann erst wird die latente Elastizität 
frei, und das Wachs dehnt sich wieder aus. Wird es nun wieder bei 20° C. ge- 
messen, so kann man die Formveränderung bis zu einem Hundertstel Milli- 
meter feststellen. Wie bedeutend diese sein kann, ist in fünf Versuchen in 
Tabelle VI festgelegt: 


TABELLE VI (nach eigenen Messungen) 


Wachs 

gepreßt und unter 
Minimum abgekühlt 

, aufs Maximum 
erwärmt 

Prozent der 
Ausdehnung 

Nr. 1 

2,80 mm 

3,75 mm 

33,93 

„ 2 

2,70 „ 

3,65 „ 

35,19 

„ 3 

2,10 „ 

2,65 „ 

26,19 

„ 4 

Ü 2,58 „ 

3,30 „ | 

27,91 

„ 5 

1,95 „ 

2,25 „ 

15,38 


Einen ähnlichen Vorgang beobachtet man, wenn man durch Zug die Mole¬ 
küle voneinander entfernt und durch Abkühlen des Wachses sie in diesem 
Zustande fixiert. Wird später das 
Wachs genügend erwärmt, damit 
eine molekulare Verschiebung ein- 
treten kann, so zieht sich das Wachs 
um ein Beträchtliches zusammen, 
wie man schon durch das bloße Auge 
<s. Fig. 5> feststellen kann: 

Vier verschiedene Wachse wur¬ 
den erwärmt, geknetet, zu einer 
Stange von 10 cm gezogen und zu Fig. 5 

zwei Hälften von je 5 cm geteilt. Formveränderungen verschiedener gezogener Wachsarten 
a bleibt unberührt, während b zu nadl E ™ un * aufs Maximum 

seiner höchsten Bearbeitungstemperatur erwärmt wird. Dadurch wird die 
latente Elastizität wieder frei, aber in diesem Falle zieht sich b zusammen. 



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90 


Oskar Solbrig 


Difitized by 


In welchem Maße dies geschehen ist, ist aus Tabelle VII ersichtlich. Die Messung 
gen wurden vor und nach dem Erwärmen bei 20° C ausgefuhrt. 


TABELLE VII <nach eigenen Messungen) 


Wachs 

gezogen und unter 
j Minimum abgekühlt 

aufs Maximum 

Prozent der 


erwärmt j 

Kontraktion 

Nr. 1 

50,00 mm 

48,30 mm 

3,40 

„ 2 

50,00 „ 

40,40 „ 

19,20 

„ 3 

50,80 „ 

44,65 „ 

12,11 

„ 4 

50,60 „ 

39,10 „ | 

i 21,34 



Fig. 6 

Aufbiegen rechtwinklig gebogener Wachse nach Erwärmung 


Eine Vereinigung dieser beiden Erscheinungen finden wir beim Biegen des 
Wachses bei einer Temperatur, die nur hoch genug ist, um ein Brechen zu 
verhindern. Der äußere Teil des Wadises wird gedehnt, der innere <dem 

Winkel zugekehrte) hingegen 
etwas zusammengedrückt. Audi 
hier versucht das Wachs nadi 
dem Erwärmen bis zur oberen 
Arbeitsgrenze seine frühere 
Form wieder anzunehmen. Ist 
nun Zug und Drude im Wachs 
an verschiedenen beliebigen Stel- 
len gemischt, so entsteht nach 
dem Erwärmen eine verzerrte 
unregelmäßige Form: 

Fig. 6 zeigt gegossene Stangen verschiedener Wachsarten, welche in 
einem Winkel von 90° gebogen wurden und sich nach dem Erwärmen 22 c 
bis 49° aufgebogen haben. Denselben Vorgang zeigt Fig. 7: 

Gegossene W achsstreifen 
wurden zu _ geschlossenen 
Ringen gebogen, welche in 
kaltem Wasser geschlossen 
blieben. Erst nach dem 
Erwärmen öffneten sie sich 
37—45 mm. 

In Fig. 8 wurden die 
Wachsstreifen nicht gegos¬ 
sen, sondern geknetet. Sie 
weichen von ihrer Original¬ 
form, wie sie im ersten Ring gezeigt ist, nach dem Freiwerden der latenten 
Elastizität in ganz erheblicher Weise ab. 

Wollen wir also die Ausdehnung des Wachses ausnützen, um die Kon¬ 
traktion des Goldes aufzuheben, so müssen wir sorgfältig jede latente Ela¬ 
stizität des Wachses beseitigen,- denn sonst würde trotz der genügenden Aus¬ 
dehnung des Wachses durch den Temperaturunterschied ein fehlerhaftes Re¬ 
sultat zustande kommen. 



Fig. 7 

Aufbiegen geschlossener Ringe nach Erwärmung 



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Welche Faktoren bedingen die Formveränderungen in dem Gußverfahren? 91 


Van Horn empfiehlt deshalb, gegossene Wachsmodelle in verschiedenen 
Formen vorrätig zu haben, damit für jede Kavität eine ziemlich passende 
ausgesucht werden kann, und alles unnötige Kneten und Bearbeiten des 
Wachses zu vermeiden. Andere Autoren empfehlen, das Wachs direkt in 
die Kavität einzuschmelzen. 

Diese Vorsichtsmaßregeln sind jedoch nicht durchaus erforderlich, da man 
ein einfaches Mittel hat, dem Wachs die störende latente Elastizität zu 
nehmen. Greifen wir auf Fig. 5, 6, 7 und 8 zurück, so können wir so¬ 
wohl den gebogenen Wachsstangen als auch den Wachsringen die Elastizität 
nehmen, indem wir sie bis zu ihren oberen Verarbeitungstemperaturen er¬ 
wärmen, während sie in dem erzwungenen Zustand sind. Wird darauf das 
Wachs in derselben Weise wie zuvor abgekühlt, so wird sich beim Wieder¬ 
erwärmen keine Formveränderung mehr zeigen: eine molekulare Verschie¬ 
bung hat stattgefunden, die Moleküle haben sich in normaler Weise an¬ 
geordnet, und zwar in der neuen Form, welche das Wachs bekommen hat. 
Ja, wäre es möglich, die erzwungene Form lange genug festzuhalten, so 
würde das Wachs auch bei gewöhnlicher Temperatur nach und nach seine 
latente Elastizität einbüßen, und zwar nach Price 100% in lOTagen, 90% 
in 3 Tagen, 75% in 24 Stunden, wie nachstehende Tabelle VIII zeigt: 

TABELLE VIII <nach Price) 1 


j Zeitdauer/ während welcher das Wachs in seiner erzwungenen 
Form festgehalten wurde 


Wachs f 

i- 

i : 

i v 1 Tag 

0 Ta * 24 Stdn. 

Röckbewcgunj 

2 Tage 

l de» Wachs* 

3 Tage 

, 

es in Prozent 

10 Tage 

S. s. Whitel Kebewadis . . 1 

40,0 

10,0 

6,0 

4,0 

0,0 

2 I 1 

1 18,0 

4,0 

1,5 

1,0 

0,0 

3 

28,0 

8,0 

4,0 

2,5 

0,1 

Consolidated Einlagewachs . 1 

50,0 

9,0 

6,0 

5,0 

1,0 

2 ! 

16,0 

5,0 

3,0 

2,0 

1,0 

3 

24,0 

5,0 

3,0 

1,5 

0,0 

S. S. White schwarzes Ein- 1 • 

54,0 

16,0 

11,0 

7,0 

1,3 

lagewachs.2 

| 18,0 

6,0 

3,0 

1,5 

0,0 

3 

i 20,0 

6,0 

4,5 

2,5 

1,0 

Taggarts grünes Einlage- 1 

40,0 

9,0 

5,0 

3,0 

0,0 

wachs.2 

13,0 

5,0 

3,5 

2,5 

1,0 

3 

17,0 

4,5 

3,0 

1,5 

0,0 

Caulks Einlagewachs ... 1 

| 50.0 

11,0 

7,0 

6,0 

1,8 

2 

1 17,0 

6,0 

4,0 

3,0 

2,0 

3 

. 21,0 

4,0 

3,0 

i 2,5 

1,5 


1 Biegeprobe. 2 Druckprobe. 3 Zugprobe. 


Wenden wir die eben besprochenen Beobachtungen praktisch an, so finden 
wir, daß alles überflüssige Kneten des Wachses vor dem Einbringen in die 
Kavität vermieden werden sollte, daß außerdem jeder übermäßige Drude 
durch Instrumente oder durch den Gegenbiß dem Wachs unnötige Elastizität 

1 Price, Transaction of the Sixth International Dental Congress. London 1914. 


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92 


Oskar Solbrig 


1 

einverlcibt. Da aber dem Modellwadis durch die Bearbeitung doch ein ge» 
wisser Grad Elastizität innewohnt, so soll man sie nicht dadurch festhalten, 
daß man mit einem kalten Wasserstrahl das Wachs abkühlt, sondern soll 
erst das Wachs durch Bespritzen oder Spülen mit heißem Wasser, oder auch 
durch Einführen eines heißen Instrumentes genügend erwärmen, um ihm alle 
Elastizität zu nehmen. Erst dann kann man das Wachs abkühlen, um beim 
Herausnehmen ein Verbiegen oder Verzerren zu vermeiden. Auch dies soll 
mit Bedacht geschehen aus Gründen, die wir bereits erörtert haben. Ein 
gutes Modellwachs sollte bei Bluttemperatur im Zahn genügend Festigkeit 
besitzen, um beim Entfernen seine Form beizubehalten. Mit kaltem Wasser 
sollte das Wachs also nur dann abgekühlt werden, wenn man sich die grö« 
ßere Ausdehnung des Wachses durch einen höheren Temperaturunterschied 
zunutze machen will. 

Hat man eine größere Brücke zu modellieren, so vermeide man, gekne» 
tetes Wachs zu verwenden, man schmelze vielmehr das Wadis an die Fa« 
zetten, und nachdem die ersten Wadistropfen erhärtet sind, vereinige man 

sie mit neuem Wachs und 
trage in derselben Weise 
allmählich genügend auf, 
um die gewünschte Form 
zu erlangen. In ähnlicher 
Weise wie beim Brennen 
von Porzellanfüllungen um» 
gehen wir so die Kontrak» 
tion des Materials. So vor« 

Fig. s bereitet, ist nun das Wadis« 

Aufbiegen gekneteter Wadisringe nach Erwärmung modell in einem Zustand, 

daß wir seinen Ausdeh¬ 
nungskoeffizienten zur Behebung der Kontraktion des Goldes ausnützen 
können. Dies geschieht am besten in folgender Weise: 

Will man das Wachsmodell z. B. bei 50° C einbetten, so erhitzt man 
genügend Wasser auf ca. 60°, füllt den Gipsnapf damit, so daß auch 
dieser erwärmt wird. Die Temperatur ist dann auf etwa 55° gesunken. 
Jetzt gießt man das überflüssige Wasser ab und läßt nur das nötige 
Quantum im Napf zurück. Streut man nun die Einbettungsmasse ein und 
rührt sie um, so hat jetzt der Brei etwa die Temperatur von 50° C, was 
mit dem Thermometer genau kontrolliert werden muß. Man bettet nun 
das Wachsmodell in den ebenfalls erwärmten Gußzylinder in der üblichen 
Weise ein. Nun stellt man den gefüllten Zylinder in einen Wärmeofen, 
wo die gewünschte Temperatur so lange beibehalten wird, bis die Einbettungs¬ 
masse erhärtet ist. Einige wenige Versuche werden genügen, um die Einzel¬ 
heiten dieser Technik richtig auszuführen. Jedenfalls soll die Temperatur beim 
Einbetten nicht zu hoch gewählt werden, da die Gefahr besteht, das er¬ 
wärmte Wachs zu verbiegen, es genügt, die gewünschte Temperatur im 
Wärmeofen zu erreichen. 




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Welche Faktoren bedingen die Formveränderungen in dem Gußverfahren? 93 


Schnelles Arbeiten ist natürlich Bedingung, denn die Einbettungsmasse 
muß beim Einstellen in den Wärmeofen noch weich und breiig sein, sie muß 
also vor ihrem Erhärten die nötige Temperatur erreichen. Hat man keinen 
Wärmeofen zur Verfügung, so empfiehlt Smreker, den gefüllten Guß» 
zylinder mit Cofferdam zu umgeben und solange in das erwärmte Wasser 
zu halten, bis die Einbettungsmasse erstarrt ist. Das Wachsmodell hat sich 
nun durch die angenommene Temperatur ausgedehnt, und seine vergrößerten 
Dimensionen werden in der erhärteten Einbettungsmasse im Negativ fest» 
gehalten. Es wäre also einfach, nun den Guß zu beenden, um nach Kon» 
traktion des Goldes eine Reproduktion des Wachses zu erhalten, wie es dem 
Zahne entnommen wurde. 

Doch auch die Einbettungsmasse hat ihre Tücken und zeigt Formver» 
änderungen im Laufe der Bearbeitung, die von neuem ein ideales Resultat 
in Frage stellen können. Wie und wann dieselben auftreten, wollen wir 
nun weiter betrachten. 

Einbettungsmasse. Die Einbettungsmasse ist eine Zusammensetzung 
aus einer oder mehreren feuerfesten Substanzen und Wasser und Gips als 
Bindemittel. Je nachdem die Ursachen der Formveränderungen in dem einen 
oder dem anderen der beiden Komponenten der Einbettungsmasse zu suchen 
sind, können wir dieses Kapitel geteilt betrachten. Für die Zusammen» 
Setzung kommt sowohl der Prozentsatz des Gipses, als auch die Wahl der 
anderen Substanzen in Betracht, denn durch ihr Verhalten beim Erhitzen 
werden die entsprechenden Form Veränderungen hervorgerufen. 

Feuerfeste Substanzen. Außer Sand von verschiedener Zusammen» 
Setzung hat man Talk, Kreide, Seifenstein, Tonerde, Formsand, Asbest, 
Marmorstaub, Asche, gebrannte und pulverisierte Schamotte, Bimsstein usw. 
mit mehr oder weniger Erfolg gebraucht, bis man nach und nach eingesehen 
hat, daß als Hauptbestandteil der Einbettungsmasse die Kieselsäure den 
Vorzug verdient. M. L. Ward verwirft Tonerde und Magnesia wegen ihres 
Schrumpfens. Kalk in Form der Kreide und des Marmors wird beim Er» 
hitzen kaustig, zieht Wasser an und zerfällt zu Pulver, er ist deshalb un» 
brauchbar. Asbest soll nach G. J. Lanes beim Erhitzen ein Gas absondern, 
welches einen scharfen Guß beeinträchtigt. Bimsstein schwächt die Einbet» 
tungsmasse, und feuerfester Ton ist zu unzuverlässig. 

Das Siliziumdioxyd als Quarz und Feuerstein in pulverisierter Form oder 
auch als feiner Sand erleidet bis zu einem hohen Hitzegrad, weit über den 
Schmelzpunkt des Goldes, keinerlei nachteilige Veränderungen, sie dehnen 
sich im Gegenteil etwas aus. 

Gips. Ganz anders verhak es sich mit dem Gips. Er zeigt so verschie» 
dene Formveränderungen, ja in entgegengesetzte Richtung, daß wir uns näher 
mit seinen physikalischen Eigenschaften beschäftigen müssen. Obwohl der 
Gips seit dem frühesten Altertum bekannt ist und schon zum Bau der 
Pyramiden Verwendung fand, so ist doch sein Studium heute noch nicht end» 
gültig abgeschlossen. Jedem Zahnarzt kann ich die interessanten Abhand» 
lungen über Gips in „Materialienkunde“ von Professor Schoenbeck nicht 


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94 


Oskar Solbrig 




5 crri 


genug empfehlen. Seine Herkunft, seine Chemie und besonders sein kom- 
plizierter Abbindungsprozeß mit seinen verschiedenen physikalischen Er¬ 
scheinungen sind hier eingehend behandelt. Es würde uns außerhalb des 
Rahmens unserer Arbeit führen, zu diesen hochinteressanten Fragen Stellung 
zu nehmen. Wir werden uns deshalb nur mit den Formveränderungen be¬ 
schäftigen, welche erstens durch den Abbindungsprozeß und zweitens durch 
den Einfluß der Hitze stattfinden. 

Ausdehnung des Gipses durch den Abbindungsprozeß. Am ver¬ 
breitetsten finden wir den Gips in großen Lagern als Gipsstein, ein schwefel¬ 
saures Kalzium mit zwei Molekülen Wasser von der Formel Ca SO* + 2H* O. 
Erhitzt man dieses Dihydrat auf 120—130° C, so gibt es 1 */* Mole¬ 
küle Wasser ab und geht in das Halbhydrat über, welches zum größten Teil 
in dem gebrannten Gips enthalten ist, der als Stuckgips in den Handel kommt 
und als besonders reines Produkt als Alabastergips für unsere Zwecke Ver¬ 
wendung findet. Mit Wasser angerührt, hat er die wichtige Eigenschaft, zu 
einer festen Masse zu erstarren. Diesen Abbindungsvorgang müssen wir 
uns nach Professor Schoenbeck folgendermaßen denken: „Zunächst löst 

sich das Halbhydrat auf. Diesem 
Stadium folgt das der Hydratation 
unter Wärmeabgabe. Es entsteht 
eine an Dihydrat übersättigte Lösung, 
aus der sich dasselbe in kolloider Form 
abscheidet. Aus diesem kristallisiert 
— schließlich das Dihydrat unter Volu¬ 
menvergrößerung der Masse aus." 
Diese Ausdehnung des Gipses kann 
durch folgenden Versuch leicht nachgewiesen werden: 

Fig. 9 zeigt schematisch zwei Messingwinkel, welche, auf einer Glasplatte 
liegend, sich leicht gegeneinander verschieben lassen. Sie werden so ein¬ 
gestellt, daß das Lumen 5 cm Länge und 5 cm Breite beträgt. Wird dies 
mit Gips gefüllt, so kann man nach dem Erhärten dessen Ausdehnung mit 
der Mikrometerschraube leicht abmessen. Der Gips zeigt bei: 

50% Wasser eine Ausdehnung von 0,5°/o 
60 „ „ „ „ „ 0,44 °/ 0 

100 „ „ „ „ „ 0,32%. 

Gipsmenge. Fig. 10 zeigt einen zweiten einfachen Versuch, welcher 
darin besteht, einen Messingstab von 5 cm Länge in Gips einzubetten. Nach¬ 
dem dieser erhärtet ist, bemerkt man, daß der Messingstab beweglich ist und 
an einem Ende ein Spalt sichtbar wird, der den Grad der Ausdehnung des 
Gipses anzeigt. Es könnte nun die Frage aufgeworfen werden, ob die Aus¬ 
dehnung von der Menge des Gipses abhängt. Zu diesem Zwecke ist derselbe 
Versuch mit dem vielfachen Quantum Gips wiederholt worden. Der Spalt 
bleibt jedoch derselbe, da es sich in beiden Fällen ja nur um die Ausdehnung 
im Bereiche von 5 cm handelt, welche natürlich dieselbe bleibt, ungeachtet, ob 
außerhalb dieser Messung viel oder wenig Gips gebraucht wird <s. Fig. 11>. 


Fig. 9 

Ausdehnungsnadweis des Gipses 


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Welche Faktoren bedingen die Formveränderungen in dem Gußverfahren? 95 


Fig. 10 Fig. 11 

Spalt durch Ausdehnung des Gipses, unabhängig von der Größe der 
Gipsmasse 


Dasselbe Ergebnis zeigt der folgende Versuch: Der das Messingmodell 
umgebende Gips wird zerbrochen und die Bruchstellen scharf zusammen^ 
gesetzt und mit Wachs gehalten. Jetzt wird anstelle des Messingmodelles 
Gips eingegossen. Nach seinem Erhärten werden die Bruchstellen sichtbar. 
Sie haben sich so weit 
geöffnet, wie sich der 
eingegossene Gips 
ausgedehnt hat. 

Haben wir, wie in 
Fig. 12, Gips von ver- 
schiedenenDimensio- 
nen zu messen, so be- 
stätigt sich die Tat* 
sache: je didcer die 
Gipsschicht, desto 
größer die Ausdeh- 
nung, da ja der Pro- 
zentsatz derselbe 
bleibt, a, b hat sich 
mehr ausgedehnt wie 
c, d, deshalb hat sich 
bei c der Gips vom Metall abgehoben. Im oberen Teil sieht man das Gegen¬ 
teil. e, / ist die dickere Schicht, sie liegt fest am Metall an, hat sich ausge¬ 
dehnt, und dadurch hat sich bei g der Gips vom Metall abgehoben. 

Anders würde der Versuch ausfallen, wenn an Stelle des Metalles weiches 
Wachs treten würde. Das Wachs hätte bei a und c nachgegeben, es wäre 
also eineFormveränderung erfolgt. 

Um dieseKontraktion zu umgehen, 
wäre es also nötig, an beiden 
Seiten des Wachses eine gleich¬ 
mäßige Schicht zu haben. Wir tun 
es in der Praxis, indem wir beim 
Modellieren einer oberen Platte 
doppelte Einbettungsmasse ge¬ 
brauchen und die erste Schicht in 
gleichmäßiger Dicke auftragen. 

Wir können die Ansicht von Pro¬ 
fessor Gysi nicht teilen, welcher 
annimmt, daß der Rand des Löffels 

die Ausdehnung verhindert und sich deshalb der Gips in der Mitte des 
Löffels abhebt. Wiederholte Versuche auch ohne Löffelrand bestätigen die 
Theorie von Fig. 12. 

Bei Gipsabdrücken soll deshalb der Gips so verteilt sein, daß möglichst 
eine gleich dicke Schicht vorhanden ist, damit die ungleichmäßige Ausdehnung 
keine Verzerrung des Abdruckes und dadurch des Modelles zur Folge habe. 


. -r*— 


Fig. 12 

Spaltbildung durch Ausdehnung des Gipses, abhängig 
von der Größe der Gipsmassc 


Difitized by 


Gck igle 


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96 


Osker Solbrig 


Verschiedene Mischungen. Die Ausdehnung des Gipses wird ge¬ 
steigert dadurch, daß verschiedene aufeinanderfolgende Mischungen ver¬ 
einigt werden, so daß der Kristadisationsprozeß der ersten früher beginnt 
als der der letzten, der ganze Erhärtungsprozeß sich also auf eine längere 
Zeit ausdehnt. Das gleiche Resultat erzielt man, wenn man zu einer Gips- 
misdiung nach Verlauf von 1—2 Minuten neuen Gips zufügt und das meh¬ 
rere Male wiederholt. So ergeben vier aufeinanderfolgende Mischungen, zu 
einer vereinigt, die doppelte Ausdehnung von einer normalen Mischung. 

Ferner ist der Prozentsatz von Wasser für die Ausdehnung des Gipses von 
Bedeutung. Sehr dünn angerührter Gips zeigt eine geringere Ausdehnung als 
sehr dick angerührter Gips, dessen Ausdehnung das Doppelte betragen kann. 
Weniger als 40% Wasser nach Gewicht kann man nicht verwenden, da sich 
der Gips zu einem Brei nicht mehr mischen läßt. Am geeignetsten erscheint 
ein Zusatz von 50°/« Wasser. Der höchst zulässige Prozentsatz von Wasser 
wird dadurch leicht ermittelt, daß Gips mit einem Überschuß von Wasser 
gemischt wird, dann aber ruhig stehenbleibt. Der Gips setzt sich zu Boden 
und nimmt nur das nötige Wasser, etwa 100%, auf. Durch anhaltendes 

Umrühren kann jedoch eine 
Mischung bis zu400% Wasser 
erzielt werden. Das Resultat 
aber ist ein weicher, sehr wenig 
widerstandsfähiger Gips, der 
keiner der Anforderungen ge¬ 
nügt, die wir an ihn stellen 

McRvorriditung zur Feststellung der Ausdehnung des Gipses mÜSSen. Es ist 3US diesem 

Grunde wichtig, die Ein¬ 
bettungsmasse nicht so dünn zu mischen, daß der normale Kristallisationsprozeß 
des enthaltenen Gipses gestört wird. Bei Anwendung von mehreren Schichten 
von Einbettungmassen soll die erstere weder zu trocken sein und dadurch dem 
Gips das nötige Wasser entziehen, noch soll sie so sehr angefeuchtet sein, 
daß die neue Lage von Einbettungsmasse zu sehr verdünnt wird. In beiden 
Fällen ist das Abbinden des Gipses so gestört, daß die Widerstandsfähigkeit 
der Einbettungsmasse darunter leidet und eine Formveränderung des Gusses 
die Folge sein muß. 

Zeit. Es ist für uns nicht unwichtig zu wissen, wann die Ausdehnung 
stattfindet. Dies wird durch folgenden Versuch veranschaulicht: 

Ein Zylinder von 9 cm Höhe wird mit Gips gefüllt, welcher mit kaltem 
Wasser angerührt wird. Der obere Teil des Zylinders wird in Berührung 
mit dem Gips mit einem losen Deckel verschlossen, welcher mit einem Hebel 
in Verbindung steht. Das lange Ende des beweglichen Hebels läßt seine 
Bewegung auf einer Skala ablesen. Nach Verlauf von 15 Minuten beginnt 
der Zeiger zu steigen und erreicht erst in 10 Minuten sein Maximum. Die 
Ausdehnung hat also erst nach 15 Minuten begonnen und 10 Minuten an¬ 
gehalten. Daß man auf diese Weise auch die Ausdehnung selbst mitmessen 
kann, sei nur nebenbei bemerkt. 




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Welche Faktoren bedingen die Formveränderungen in dem Gußverfahren? 97 


Ein zweiter Versuch wird mit sehr dünnem Gips gemacht. Nach 15 Mi- 
nuten beginnt die Ausdehnung, welche erst im Verlaufe von weiteren ^Mi¬ 
nuten an der Skala ihre höchste Ausdehnung zeigt. Wie schon früher er- 
wähnt, dehnt sich dünn angerührter Gips nicht so viel aus als Gips mit einem 
geringeren Prozentsatz Wasser. 

Der dritte Versuch wird unter denselben Verhältnissen vorgenommen, 
nur wird diesmal warmes Wasser und Salz gebraucht. Der Gips erhärtet 
sehr schnell, und schon nach 4 Minuten steigt der Zeiger an der Skala. Die 
Ausdehnung ist also auch im Augenblick des Erhärtens erfolgt und ist schon 
nach ganz kurzer Zeit beendigt. Eine weitere Formveränderung ist auch 
nach Verlauf von 24 Stunden nicht wahrzunehmen. 

Diese drei Versuche zeigen also, daß die Ausdehnung mit dem Moment 
der Abbindung des Gipses einsetzt und erst nach beendigter Kristallisation 
ihren Abschluß findet. 

Kraftaufwand. Die Ausdehnung des Gipses geht auch mit einem ge¬ 
wissen Kraftaufwand vor sich, der genügend stark ist, 
um unter gewissen Bedingungen das eingeschlossene Wachs 
in seiner Form zu verändern. 

Ein Metallring von 5 cm Durchmesser wird mit Gips 
gefüllt. Durch die Ausdehnung des Gipses wird eine Löt¬ 
stelle gelöst, die andere eingerissen, so daß ein Spalt von 
0,75 mm entsteht. 

Schrumpfung<Einsintern>. In diesen verschiedenen 
Versuchen haben wir also die Ausdehnung des Gipses 
als eine Begleiterscheinung des Abbindungsprozesses ken- 
nengelernt. So günstig diese Ausdehnung im ersten Augen¬ 
blick für unsere Zwecke erscheint, so wird sie jedoch voll- 
ständig zunichte gemacht durch die kolossale Schrumpfung, 
welche der Gips aufweist, wenn er der Hitze ausgesetzt wird. 

Fig. 14 zeigt ein 5 cm langes Gipsstück <a>, welches 
durch die Lötflamme erhitzt wurde und eine Kontraktion von 5 mm <10 %> 
aufweist < b >, die zum Teil auf eine chemische Zersetzung zurückzuführen ist, 
welche bei ca. 600° C eintritt. 

Ausdehnnng durch Wärme. Wir müssen noch eine dritte Formver- 
änderung des Gipses berücksichtigen, die dadurch entsteht, daß wir nicht in 
kalte, sondern meist in heiße Einbettungsmasse gießen. Je nach dem Wärme- 
grad im Augenblick des Gusses dehnt sich der geschrumpfte Gips, wie wir 
später sehen werden, wieder aus. 

°l o Gips. Alle diese verschiedenen eben betrachteten Eigenschaften des 
Gipses weist natürlich die Einbettungsmasse auf, da wir den Gips als 
Bindemittel nicht entbehren können. Es ist aber auch klar, daß die Ein¬ 
bettungsmasse im Verhältnis zu dem Prozentsatz des Gipses durch dessen 
Verhalten beeinflußt wird, und es ist deshalb wünschenswert, den Gips auf 
die möglichst niedrigste Menge zu reduzieren. Um diese zu ermitteln, ist 
es von Interesse, das Porenvolumen des Sandes festzustellen. Ist der Sand 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde. Heft 1 7 



Fig. 14 

Folge von sehr hohen 
Hitzegraden auf Gips 


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98 


Oskar Solbrig 


aus gleichgroßen Elementen zusammengesetzt, so beträgt das PorenvolulH 
nadi Flügge etwa 38%. Das Porenvolumen wird wesentlich kleiner, weH 
verschiedene Korngrößen gemischt sind, so daß die feineren Teile die Pore# 
zwischen den größeren Elementen ausfüllen. Um das Porenvolumen festzu¬ 
stellen, wiegt man den Sand von einem bekannten Volumen. Dies Gewicht, 
das wahre Gewicht, dividiert man durch das spezifische Gewicht, dadurch 
erhält man das Volumen der Steinmasse. Dies wird dann vom Gesamt¬ 
volumen abgezogen, und als Resultat erhält man das Porenvolumen. Durch 
diese Berechnung zeigt der Hohen Bokaer <Flußsand> fein gemahlen ein 
Porenvolumen von 34 %, während der grobe Sand, da er aus größeren und 
kleineren Elementen besteht, nur ein Porenvolumen von 25% aufweist. 

Der geringste zulässige Prozentsatz des Gipses würde theoretisch die 
Menge sein, welche das Porenvolumen des zu verwendenden Sandes aus¬ 
füllt. Ein geringerer Prosentsatz würde lose Sandkörner freilassen und da¬ 
durch die Festigkeit der Einbettungsmasse schädigen. Praktisch ist dies je¬ 
doch nicht durchführbar, da die Mischung eine so dicke Konsistenz annehmen 
würde, daß eine Verarbeitung unmöglich wäre. Wir brauchen vielmehr das 
doppelte Quantum Wasser, um der Einbettungsmasse eine breiige Kon¬ 
sistenz zu geben. Rechnen wir das Porenvolumen auf 100 gr Sand aus, so 
haben wir ein Porenvolumen von 20 qcm, wir nehmen also das Doppelte, 
40 gr Wasser. Fügt man 25 gr Gips zu dieser Mischung hinzu, so hat man 
ein Gemenge von 4 Teilen Sand, 1 Teil Gips, — eine Einbettungsmasse, 
die so wenig Gips enthält, daß sie eine Ausdehnung, veranlaßt durch die 
Kristallisation des Gipses, nicht mehr aufweist, während andere Einbettungs¬ 
massen um so mehr Ausdehnung zeigen, je höher der Prozentsatz des Gip¬ 
ses steigt: 

TABELLE IX 

Ausdehnung der Einbettungsmasse (nach eigenen Messungen) 





Teile 



Gips 

1 

1 

2 

3 

4 

Sand 

2 

1 

1 

1 

1 

Ausdehnung pro % 

0,10% 

0,20% 

0,34% 

0,38% 

0,40% 


Obwohl wir Einbettungsmasse mit so hohem Gipsgehalt wie 1:4 nicht 
gebrauchen, so zeigt doch Tabelle IX, daß die Formveränderungen lediglich 
vom Gips abhängig sind und sich proportional seines Prozentsatzes steigern. 

Auch die Schrumpfung der Einbettungsmasse hängt sowohl von der Natur 
als besonders von dem Prozentsatz des Gipses, wie auch von der Höhe der 
Temperatur ab <siehe Tabellen X, XI, XII, XIII, XIV). 

Tabelle XI zeigt graphisch erst die Ausdehnung, dann die Schrumpfung 
der Einbettungsmasse, nachdem das Wachs ausgebrannt ist, für die Länge 
von 5 cm. Nicht nur die Ausdehnung nimmt mit dem Prozentsatz des 
Gipses zu, sondern auch die Schrumpfung. Diese wird also nicht durch die 
erstere aufgehoben. 


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Welche Faktoren bedingen die Formveranderungen in dem Gußverfahren? 99 


TABELLE X 

Schrumpfung der Einbettungsmasse nach dem Ausbrennen des Wachses 

<nach eigenen Messungen) 


Teile Sand 

Teile Gips 

Schrumpfung in °/ 0 

III 

i | 

0,4 

ii 

I 

; o ,6 


I 

0,8 

I 

II 

0,9 

I 

III 

i U 

I 

IV 

! 1,34 


TABELLE XI TABELLE XII 

Schrumpfung der Einbettungsmasse Schrumpfung der Einbettungs- 
nach dem Ausbrennen masse durch Erhitzen 


nm. 
50 Z0 

10 


50 

49 90 

60 

,/. 70 

ii. 60 

u. 50 


//. 40 

30 


IDT;$. ns. IS. IS. IS. I S and. 
IT.G. 10. IG. HG. BIG. IV Gif*. 




1 Teil Gips, 1 Teil Sand, 1 Teil Wasser 


Tabelle XII zeigt, daß nach dem Ausbrennen des Wachses eine wesent¬ 
liche Schrumpfung nicht mehr eintritt, auch wenn die Einbettungsmasse noch 
20 Minuten der Bunsenflamme ausgesetzt wird. Gebraucht man jedoch die 
Lötflamme, so beobachtet man sofort eine erhebliche Schrumpfung. Welcher 
Hitzegrad in den verschiedenen Zeitabschnitten erreicht wird, werden wir 
später noch sehen. Smreker 1 fand bei seinen Untersuchungen von Ein- 

1 Smreker, E., Handbuch der Porzellanfullungen und Goldeinlagen. II. Teil. Ber^ 
linische Verlagsanstalt. 


7’ 


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100 


Oskar Solbrig 


1 


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bettungsmassen eine lineare Verkürzung von 0,1—0,2 mm auf einen Zen¬ 
timeter. Er benutzte zur Messung ein Mikroskop mit einem Okularmikro- 

meter und einem verschiebbaren Ob- 
jekttisch. Leider hat er die Tempera¬ 
turen, welchen die Einbettungsmassen 


- s cm 


Fig. 15 


fl 

^ ausgesetzt wurden, nicht angegeben. 
Wir haben zu unseren Untersuchungen 
die Größe von 5 cm gewählt, erstens 
um leichter und genauer zu beobachten, und zweitens, um den größten ge¬ 
bräuchlichen Dimensionen, etwa einer Goldplatte, nahe zu kommen. Die in 
Fig. 15 gezeigten Messingwinkel schützen die Masse gegen Eindruck der 
Mikrometerschraube. 


TABELLE XIII 


TABELLE XIV 


Schrumpfung der Einbettungs¬ 
masse nach dem Erhitzen 


Schrumpfung der Einbettungs- 
masse durch Erhitzen 




Bei allen Einbettungsmassen beobachtet man eine besonders starke Kon¬ 
traktion, wenn ein gewisser Hitzegrad überschritten wird, z. B. wenn die 
Masse der Lötflamme ausgesetzt wird, oder in anderen Worten die chemische 
Zersetzung des Gipses stattfindet <siehe Tabellen XII, XIII, XIV>. Um 
immer gleiche Resultate zu erzielen, ist es absolut erforderlich, stets dieselbe 



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Welche Faktoren bedingen die Formveränderungen in dem Gußverfahren? 101 


Zusammensetzung der Einbettungsmasse zu gebrauchen. Da das Volumen 
ein zu ungenaues Maß gibt, ist es deshalb unerläßlich, die einzelnen Teile, 
sowohl den Sand, als den Gips als auch das Wasser, zu wiegen. Nur so 
ist es möglich, Fehlerquellen auszuschalten. 

Schrumpfungserscheinungen: Wo? 

Man könnte zu der irrigen Annahme kommen, je mehr die Einbettungs« 
masse schrumpft, desto größer wird das Lumen <Fig. 16>. Da a kleiner 
wird, wird b größer. Das ist jedoch nicht der Fall, da auch c kleiner wird. 



Folgender Versuch beweist, daß bei Schrumpfung der Masse auch der 
lichte Raum kleiner wird. Ein Konus wird in Einbettungsmasse eingebettet 
und entfernt. Nachdem die Masse erhitzt wird, sich kontrahiert hat, geht der 
Konus nur zum Teil an seinen Platz. Der Unterschied von a—b, c—d ist 
gleich der Verkleinerung des Lumens. Man kann sich die Masse in x Kreise 
zerlegt denken, wobei jeder Kreis durch die Kontraktionen kleiner wird <Fig. 17>. 


TABELLE XV 





Temperatur nach 

1—4 Minuten 

100° 

C Dampfentwicklung 

5 

rr 

200 

rr 

6 

f' 

360 

tr 

7 

rt 

450 

tr 

8 

rt 

520 

rr 

9 

tt 

580 

rr 

10 

tt 

620 

tr 

11 

rt 

650 

tt 

12 

ft 

670 

rt 

13 

rt 

690 

rt 

14 

ff 

700 

„ Maximum 

15 

tr 

700 

tt 

16 

tr 

700 

„ Zylinder wird aus dem Ofen entfernt 

1 

Minute 

650 

„ fällt gleichmäßig 

2 Minuten 

550 

tr tr tt 

3 

tr 

450 

tt n tt 

4 

tt 

350 

tt tt tt 

5 

rr 

270 

tr 

6 

rr 

210 

rr 


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102 


Oskar Solbrig 


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Die Annahme: je dicker die Einbettungsmasse, desto größer die Schrump« 
fung, trifft nicht zu, da es sich nur um die Schrumpfung der Masse in den 
Dimensionen des lichten Raumes handelt. 

Wie wir aus Tabellen X—XIV ersehen haben, ist für die Schrumpfung 
der Einbettungsmasse nicht nur der Prozentsatz des Gipses, sondern auch 
die Temperatur von Bedeutung, und für die letztere ist auch die Dauer ihrer 
Einwirkung zu berücksichtigen. 

Ein Zylinder von 18 mm Durchmesser und 30 mm Höhe, mit feiner Ein* 
bettungsmasse gefüllt, wird nach 25 Minuten erhitzt und zeigt folgende Tem¬ 
peratur (siehe Tabelle XV). 

Ein Zylinder von 3 cm Durchmesser und 4 cm Höhe, unter gleichen 
Bedingungen erhitzt, zeigt folgende Temperatur (siehe Tabelle XVI>: 


TABELLE XVI 


Temperatur nach 


1 — 9 Minuten 

100° 

C Austritt von 

10 

tt 

250 

tr 

11 

tt 

350 

tr 

12 

tt 

415 

" 

13 

tf 

465 


14 

tr 

505 

tr 

15 

tt 

550 

tr 

16 

tt 

580 

tt 

17 

tt 

600 

tt 

18 

tt 

615 

tr 

19 


630 

ff 

20 

tt 

640 

tt 

21 

tt 

644 

tt 

22 

tt 

648 

tt 

23 

tt 

650 

tt 

24 

tt 

652 

tf 

25 

„ 

660 

tt 

26 

,, 

668 

tt 

27 

,, 

670 

„ Maximum 

28 

tt 

670 

ft 

29 

,, 

670 

tt 

30 

tt 

670 

„ Gas aus! 

31 

tt 

670 

rr 

32 

tt 

670 


33 

tt 

630 

rr 

34 

,, 

590 

tt 

35 

n 

550 


36 

tt 

500 

tt 

37 

rr 

450 


38 

tt 

410 

tr 

39 

tr 

370 

rr 

40 

tt 

330 

,, 


Wird derselbe Zylinder mit grober Einbettungsmasse gefüllt und voll* 
ständig getrocknet, so steigt die Temperatur schon nach 4 Minuten und er* 
reicht in 25 Minuten das Maximum von 743° C. 



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Welche Faktoren bedingen die Formveränderungen in dem Gußverfahren? 103 

Es ist auch von Bedeutung, die Masse nicht einseitig zu erhitzen, sie viel* 
mehr mit einer Muffel zu umgeben, so daß die Hitze gleichmäßig verteilt 
wird, da sonst Verzerrungen der Einbettungsmasse eintreten und Form* 
Veränderungen zur Folge haben würden. 

Ausschlaggebend für die Formveränderung ist noch der Temperaturgrad 
im Augenblick, wo der Guß erfolgt. Gießen wir in kalte Einbettungsmasse, 
wie dies Taggart, Ottolengui usw. empfehlen, so müssen wir für das 
Endresultat die volle Kontraktion der Einbettungsmasse in Anrechnung 
bringen, wie es Tabelle XVII zeigt. Wird dieselbe jedoch auf Rotglut, d. h. 
ca. 700 Grad erhitzt, so haben wir mit einer Ausdehnung zu rechnen, die 
der erhitzten Masse zukommt <siehe Tabelle XVII): 


TABELLE XVII 

über die Ausdehnung und Zusammenziehung der Einbettungsmassen 
(Auszug aus W. A. Prices Tabelle) 



i 




dick 



Taggarts 

Sump u. Gips 

Temperatur 

° F ! 

Taggart 

Peck 

L D. L. 

angeröhrter 

Gips 

Sump 

Masse und 
Gips zu glei» 
chen Teilen 

zu gleichen 
Teilen 


Zimmer^ 

temperatur 

+ 0,7 

+ 0,7 

+ 0,7 

+ 1,8 : 

+ 

0,9 

+ i,o 

+ 1,0 


100 

+ 1,8 

+ 0,9 

+ u 

+ 1,4 1 

+ 

1,4 

+ 1,3 

+ 1/8 


200 

+ 2,3 

+ 3,1 

+ 2,0 

+ 2,6 | 

+ 

2,9 

+ 2,5 

+ 2,4 


300 

+ 5,1 

+ 3,7 

+ 3,2 

+ 4,5 | 

+ 

4,0 

: + 3,2 

+ 3,5 






-<-V 


->- 

1 : 

-< 

30 Minuten 

400 


‘ + 4,5j 

+ 3,8 

+ 4,5 j 

+ 

4,0 

; + 3,4 1 

+ 3,4 

nach dem < 
Anrühren 


i 

1 





—>- i 

j 


500 

| + 6,2 

i + 5,1 

+ 4,11 

+ 4,3 

+ 

3,8 

: + 3,2 J 

+ 3,0 


600 

1 + 6,8 

+ 5,7 

+ 4,6 

+ 3,9 ; 

+ 

3,5 

+ 2,9 

+ 2,5 


700 

+ 7,3 

i + 6,4 | 

+ 5,2! 

+ 3,4 

+ 

2,8 

: + 2,5 

+ 1,7 


800 

+ 7,7 

1 + 6,9 1 

+ 5,5 

+ 2,6 

+ 

2,1 

+ 2,3 

+ 1,0 


900 

+ 8,3 

1 + 7,2, 

+ 6,0: 

+ 1,4 ' 

+ 

1,2 

+ 0,7 

+ 0,0 


1000 

+ 8,5 

i + 7,8 

+ 6,6 

+ 0,0 i 

+ 

0,2 

1 + 1,4 ! 

= 0,9 




i^i 

< —v, 

1 



I ! 



Totalkontraktion nach | i I i | 

dem Abkühlen I — 6 , 00 - 7 , 00 - 8,00 — 18 , 00 ! — 15,00 - 11,00 1 - 14,09 


Die Zahlen obiger Tabelle geben die Ausdehnung <+> und Zusammen* 
Ziehung <—> eines Würfels von 1 Zoll Seitenlänge in Tausendteilen eines 
Zolles an. Pfeile geben den Wendepunkt zwischen Expansion und Kon* 
traktion an. 

Van Horn schätzt den Unterschied der linearen Ausdehnung zwischen 
einem Guß im kalten oder heißen Zylinder auf 1 °/ 0 . Immerhin ist die Aus* 
dehnung der Einbettungsmasse auch unter den günstigsten Bedingungen so 
gering, daß nicht die Hälfte der Kontraktion des Goldes dadurch aufgehoben 
werden könnte. Wir müssen also noch die Ausdehnung des Wachses zu 
Hilfe nehmen, wie wir dies schon eingehend besprochen haben. 

Indirekte Methode. Noch ein Weg steht uns offen, die Kontraktion 
des Goldes auszugleichen, nämlich die indirekte Methode. Anstatt die 


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104 


Oskar Solbrig 


Wachseinlage unmittelbar im Munde herzustellen, fertigt man erst nach einem 
plastischen Abdruck ein Modell, auf welchem das zum Gusse dienende Wachs 
geformt wird. Wir setzen dies Verfahren als bekannt voraus und erinnern 
nur an die verschiedenen Substanzen, welche zur Herstellung des Modelles 
gebraucht werden, nämlich. Zement, Amalgam, Spencemetall, Melottsmetall, 
Prices künstlicher Stein und Gips. Im Rahmen unserer Arbeit interessieren 
uns besonders die beiden letztgenannten, da durch ihre Verwendung eine 
Kompensation der Kontraktion des Gußgoldes möglich ist. 

Künstlicher Stein. Der künstliche Stein von Price wird erzeugt durch 
Zusammenschmelzen von Kaolin, Kalziumhydrat und Aluminiumoxyd. Die 
Masse wird pulverisiert und mit stark gebrannten Tonscherben zu gleichen 
Teilen verrieben. Mit Orthophosphorsäure angerührt, bildet es eine zement- 
ähnliche Masse, die spontan unter sehr geringer Schrumpfung härtet. In der 
Rotglut erlangt es in 2 Minuten eine sehr große Festigkeit, die die Ent¬ 
wicklung eines hohen Druckes beim Gießen gestattet. Der künstliche Stein 
verträgt eine Temperatur von 1452° C. Beim Erhitzen auf 482° C zeigt 
die Form eine Ausdehnung von 12 Tausendsteln. Der künsdiche Stein 
unterscheidet sich also von allen anderen Modellen durch seine Feuerbe¬ 
ständigkeit und durch seine Eigenschaft, sich auszudehnen. Es wird also 
das Modell mit dem Gußwachs eingebettet, und der Guß erfolgt direkt auf 
dem Modell. Seine Widerstandskraft ist so groß, daß es der Kontraktion 
des Goldes widersteht, so daß das Gold die Form des Modelles annehmen 
muß und beibehält. 

Wir haben bereits die Ausdehnung des Gipses kennengelernt. Wollen 
wir uns dieselbe zunutze machen, so können wir mit Vorteil unser Modell 
aus Gips herstellen und auf demselben das Gußwachs modellieren. Mit 
Wasser durchtränkt, hat dies zugleich den praktischen Vorteil, daß sich das 
Wachs leicht vom Gipsmodell löst. Kronenringe, welche auf einem natür¬ 
lichen Zahn modelliert und in üblicher Weise gegossen wurden, erweisen 
sich zu klein und gehen nicht an ihren Platz. Wird jedoch dieser Zahn nach 
vorangegangenem plastischen Abdruck in Gips hergestellt und ein gleicher 
Kronenring auf diesem angefeuchteten Gipszahn modelliert und in üblicher 
Weise gegossen, so geht der Ring an seinen Platz: die Ausdehnung des 
Gipses hat die Kontraktion des Goldes kompensiert. Es ist dies eine ein¬ 
fache Methode, welche in vielen Fällen mit Vorteil angewendet werden 
kann. 

Für die wichtigen Untersuchungen zur Festlegung des Ausdehnungs¬ 
koeffizienten des Goldes von Price verweise ich auf das bekannte „Handbuch 
der Porzellanfüllungen und Goldeinlagen", II. Teil, von Ernst Smreker. 

In den Jahren 1907—1910 hat W. A. Price durch exakte Versuche den 
Ausdehnungskoeffizienten des Goldes, der bis dahin mit 0,000014 angegeben 
wurde, neu bestimmt und dafür 0,000022 ermittelt. Diese Zahl gibt uns 
an, um wieviel Bruchteile seiner Länge ein Goldstab sich ausdehnt, wenn 
er um einen Grad Celsius erwärmt wird, oder sich verkürzt, wenn er ab¬ 
gekühlt wird. 


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Weldie Faktoren bedingen die Formveränderungen in dem Gußverfahren? 105 


Price hat übrigens die schon bekannten Volumenveränderungen des 
Goldes durdi seine Versuche weiter bestätigt. Diese tritt ein, wenn das 
Gold bei 1064° *C aus dem flüssigen Zustand in den festen Zustand über- 
geht. Er wies nach, daß das Gold beim Wechsel des Aggregatzustandes 
sein Volumen um 4,93% verringert. Ein Drittel davon, also 1,64%, würde 
der lineare Betrag dieser Kontraktion sein. 

Wir dürfen uns natürlich nicht vorstellen, daß diese Volumverände¬ 
rung plötzlich vor sich geht, weil sie sich im Intervall eines Grades C voll¬ 
zieht. Die Temperatur von 1064° C bleibt durch Freiwerden von laten¬ 
ter Wärme solange erhalten, bis alles Gold in festen Zustand übergegan¬ 
gen ist. 

Nach den Ausführungen von Price hat diese Kontraktion beim Über¬ 
gang des Goldes aus dem flüssigen in den festen Zustand für uns allerdings 
mehr theoretisches als praktisches Interesse. Denn durch den Druck, unter 
dem wir gießen, pressen wir, sobald das Gold in der Form zu erstarren 
und sich zusammenzuziehen beginnt, neues Gold nach. Das kann freilich 
nur dann stattfinden, wenn das Gold im Gußkanal und im Gußtrichter nicht 
früher erstarrt als in der Form. Dieser Forderung aber werden wir gerecht,, 
indem wir mit reichlichem Überschuß an Gold gießen und den Gußkanal 
nicht zu eng wählen. Kommt es aber doch einmal vor, daß der Einfluß des 
Druckes zu früh wirkungslos wird, so äußert sich die beschriebene Volum¬ 
abnahme im Auftreten von Blasen an der Oberfläche des Gußstückes, den 
sogenannten Sauglöchern. Die Kontraktion infolge des Wechsels des Ag- 
gregatzustandes ist keine gleichmäßige Volum Veränderung, sondern zeigt sich 
in der Form von Löchern, zumeist in der Nähe des Eingusses. In der Be¬ 
seitigung der Kontraktion beim Übergang des Aggregatzustandes liegt nach 
Price der Haupteffekt des Gießens unter Druck. 

Nach Dr. Weinstein zeigt Gold und Silber legiert, auch eine Gold¬ 
palladiumlegierung, ungefähr dieselbe Kontraktion wie Feingold, während 
eine Goldkupferlegierung weniger Kontraktion aufweist wie 24 karätiges Gold. 
Der Ausdehnungskoeffizient einer Legierung von Gold und Platin ist größer 
als der von Feingold. Die Kontraktion von Gold ist 10 mal größer als die 
von Porzellan. Daher erklären sich die Schwierigkeiten, welche wir beobachten, 
wenn wir direkt auf Porzellan gießen. Es kann nur dann ohne Mißerfolge 
geschehen, wenn wir dem Golde gestatten, beim Erkalten sich frei auf dem 
Porzellan zusammenziehen zu können. Ist jedoch der Guß so gewählt, daß 
er das Porzellan umschließt, so wird dies durch die Kontraktion des Goldes 
gesprengt. Daß wir außerdem alle großen Temperaturunterschiede zwischen 
Gold und Porzellan vermeiden müssen, ist wohl selbstverständlich, da es 
sonst zu den bekannten Sprüngen im Porzellan in der Nähe der Krampons 
führen würde. Diese letztere Erscheinung hat jedoch nichts zu tun mit der 
Kontraktion des Goldes. 

Für Gußgold, welches auch für dünne Platten widerstandsfähig bleibt und 
nicht die Verfärbung aufweist wie hochprozentige Kupferlegierungen, gibt 
Dr. Weinstein folgende Formel: 


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106 


Oskar Solbrig 


Fein Göld.80,5 Teile 

/, Platinium-Rhodium.6,5 „ 

„ Palladium.2,5 „ 

„ Silber.2,5 „ 

„ Kupfer. 8,0 „ 


100,0 Teile 

<Platinum-Rhodium = 10% Rb. u. 90% PI. eignet sich besser zum Legieren.) 

Diese Legierung hat ungefähr denselben Schmelzpunkt wie eine 20 karatige 
Gold*Kupfer*Silberlegierung. 

Iridium ist für Legierungen nicht zu empfehlen, dagegen gibt Palladium 
eine gleichmäßige Legierung, erhöht den Schmelzpunkt mehr als Platin und 
ersetzt letzteres sehr vorteilhaft. Mehr als 5% sollte jedoch nicht gebraucht 
werden, da sonst eine starke Verfärbung eintritt. 

Die durch den veränderten Aggregatzustand hervorgerufene Volumver* 
ringerung des Goldes, die möglicherweise als Kristallisation zu deuten wäre, 
kann so bedeutende Dimensionen annehmen oder an so wichtigen Stellen 
eintreten, daß ein brauchbares Resultat des Gusses in Frage gestellt werden 



j 

18 Karat .. 24 Karat 

F»g. 18 

Kristaliisationsersdieinung nach dem Schmelzen von Feingold 

kann/ obwohl wir kleine trichterförmige Vertiefungen oder sog. Sauglöcher 
nachträglich mit hochkarätigem Goldlot ausfüllen können, so soll es doch 
unser Bestreben sein, auch derartige Formveränderungen nach Möglichkeit 
zu vermeiden. Dies geschieht im Prinzip dadurch, daß wir dem Golde die 
Möglichkeit nehmen, nach seinem Eindringen in die Form, wenn auch nur 
kurze Zeit, flüssig zu bleiben. Praktisch können wir das auf verschiedene 
Weise erreichen, indem wir erstens das Gold nicht überhitzen, in eine kalte 
oder abgekühlte Form gießen, wenn irgend möglich massive, dicke Gold* 
stücke vermeiden und eine voluminöse Goldeinlage aushöhlen. Alle diese 
Maßnahmen werden mit der Absicht getroffen, dem einsirömenden Gold 
sofort genügend Kalorien zu entziehen, damit es von dem flüssigen zu dem 
festen Aggregatzustand übergeht, sobald es die Wand der Gußform berührt, 
bis das nachströmende Gold die ganze Form gefüllt hat. Wenn irgend 
möglich, vermeide man Feingold zugunsten einer hohen Legierung, da be* 
kanntlich die reinen Metalle leichter zur Kristallisation neigen (siehe Fig. 18). 

Manche Autoren, auch Dr. Bakker*Utrecht, sind der Ansicht, daß 
diese Kristallisationsvertiefungen durch besonders große Gußkanäle zu ver* 
meiden sind. Andere sind jedoch der entgegengesetzten Meinung. 


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Ü dg i r alfrc m — ^ 

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Welche Faktoren bedingen die Formveränderungen in dem Gußverfahren 107 

Zum Schluß sei noch erwähnt, daß auch Rauhigkeiten an der Oberfläche 
des Gusses, meist verursacht durch Bläschen oder Risse in der Einbettungs- 
masse, eine Formveränderung Vortäuschen und zu der irrigen Annahme 
einer Volumenvergrößerung führen könnten. Durch vorsichtiges und kunst¬ 
gerechtes Einbetten kann jedoch diesem Übelstand leicht abgeholfen werden. 
Fremdkörper, wie abgesprengte Stücke von Einbettungsmasse oder Rück¬ 
stände des Wachses können Veränderungen der Gußform verursachen. 
Diese Ursachen sowohl als auch fehlerhafte Technik in der Anwendung der 
gewählten Gußmethode sind jedoch außerhalb des Bereiches dieser Arbeit, 
welche sich lediglich die Aufgabe gestellt hat, die physikalischen Eigenschaften 
der angewandten Substanzen zu untersuchen, sofern dieselben eine Form¬ 
veränderung bedingen können. 


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EINE EINFACHE METHODE, AM GRITMAN- 
ODER BONWILL*ARTIKULATOR DIE BENNET* 
SCHE TRANSVERSALBEWEGUNG ZU BERÜCK* 

SICHTIGEN 

VON 

DR. C. U. FE HR 

U nter Bennetscher Transversalbewegung oder, wie Gysi und Eichen¬ 
topf sie nennt, Einwärtsbewegung, versteht man bei den seitlichen Kau¬ 
bewegungen die Seitwärtsverschiebung der Kondylen. In einer schematischen 
Zeichnung ist das (eicht illustriert: Fig. 1 zeigt uns den Unterkiefer in der 
Aufsicht. 

Bevor Ben net 1908 seine Studien über die Bewegung des Unterkiefers 
veröffentlichte, nahm man allgemein an, daß bei den seitlichen Kaubewegungen 
der Unterkiefer sich jeweils um den Kondylus drehe, nach dessen Seite die 
Bewegung stattfand. Bennet wies an einem Individuum nach, daß bei diesen 
Seitwärtsbewegungen die Kondylen beide aus der sagittalen Richtung {a—a 
in Fig. 1> heraus nach der Seite wandern (b—b 1 in Fig. 1>. Obwohl Bennet 
ausdrücklich nicht wagte, hieraus allgemeine Schlüsse zu ziehen, so waren 
seine Ausführungen doch so überzeugend, daß spätere Autoren ohne wei¬ 
teres diese Seitwärtsverschiebungen der Kondylen allgemein annahmen und 
sie Bennetsche Transversal- oder Einwärtsbewegungen nannten. 

So wurden diese Bewegungen bei allen späteren Konstruktionen an Ar- 
tikulatoren, die den natürlichen Verhältnissen möglichst nahekommen sollten, 
berücksichtigt. 

Hierbei ergab sich noch als besondere Schwierigkeit, daß die Größe der 
Seitwärtsverschiebungen und auch der Winkel des Weges der Kondylen zur 
sagittalen Ebene verschieden angenommen wurde. Es soll hier nicht auf die 
verschiedenen Systeme der komplizierten Artikulatoren eingegangen werden. 
Es sei mir jedoch erlaubt, darauf hinzuweisen, daß ich in meiner Arbeit: Das 
Artikulationsproblem und ein neuer Artikulator bewiesen habe, daß die Kon¬ 
dylen überhaupt nicht an feste Wege und Führungen gebunden sind, sondern 
daß sie ein ganzes Bewegungsfeld haben. Die Kondylen können von ihrer 


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Eine einfache Methode, am Gritman* oder Bonwill-Artikulator usw. 


109 


Ruhelage aus frei nach allen Seiten wandern. Ich gebe jedoch zu, daß gewisse 
Bewegungen der Kondylen, sowohl beim bezahnten, als auch unbezahnten, 
mit künstlichen Zähnen versehenen, Unterkiefer nach der Stellung der 
Zähne gewohnheitsmäßig werden, und daß diese gewohnheitsmäßig aus« 
geführten Bewegungen den Ben net sehen Transversal Verschiebungen meist 
sehr ähnlich sind. 

Hier soll aber nur die Rede sein von den einfachen Artikulatoren, deren 
Bewegungen nach mittleren Werten berechnet sind: Gritman«, Bonwill-, 
Schwarze« und Gysi«Simplex«Artikulator/ neben dem leider noch immer 



viel benützten Scharnier«Artikulator ist wohl der Bonwill« und Grit« 
man«Artikulator der am häufigsten bei uns benützte. Wie können wir an 
diesen Artikulatoren die Bennetsche Transversalbewegung berücksichtigen? 

Gysi hat in seinem „Simplex" in genialer Weise die Transversalver« 
Schiebung der Kondylen dadurch ermöglicht, daß er einfach die mechanischen 
Gelenke weiter nach rückwärts verlegte. Seiner Broschüre, „das Aufstellen 
künstlicher Zähne im Dreipunkt«Artikulator Simplex" ist die Fig. 2 ent« 
nommen. 

Wir sehen in U Fig. 2 die Artikulatorgelenke. In II und III die ge« 
dachten Kondylen. Durch die rückwärtige Lage der Artikulatorgelenke ist 


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110 


C. U. Fehr 


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es bedingt, daß bei Bewegungen um U die gedachten Kondylen <// und III) 
die Bewegung a —b ausführen, und diese entspricht ungefähr der Bennetschen 
T ransversalbewegung. 

So gut aber, wie Gysi seine Artikulatorgelenke nach rück¬ 
wärts verlegen konnte, um die gewünschte Seitwärtsbewegung 
in den virtuellen Kondylen zu erhalten, so gut kann man die 
Gipsmodelle im Gritman» oder Bonwill-Artikulator weiter nach 
vorn, etwa 2—3 cm, eingipsen, als das Bonwillsche Dreieck es 
vorschreibt. Dann liegen die Verhältnisse wie in Fig. 3. 



Wir haben hier in U~-U die beiden Bonwillschen Artikulatorgelenke. 
UDU ist das Bonwillsche Dreieck. Die Zahnreihen sind 2—3 cm zu weit 
nach vorn eingegipst. Bei einer Seitwärtsbewegung mit dem unteren Gips¬ 
modell wandern die räumlich im Artikulator nicht vorhandenen Kondylen 
<zeichnerisch in II und III wieder dargestellt) von a nach b, führen also die 
Bennetsche Transversalbewegung so gut aus, wie am „Simplex". Beim 
Gritman-Artikulator ist es natürlich dasselbe. Hier haben wir noch eine 
sagittal geneigte Gelenkbahn, so daß der Gritman den „Simplex" voll¬ 
kommen ersetzt, wenn die Modelle, wie angegeben, weiter nach vom ein¬ 
gegipst werden. Beim Bon will-Artikulator müssen die Führungen der Ge¬ 
lenke nach schräg aufwärts gebogen werden, etwa im Winkel von 33° <wie 
Schwarze schon im Jahre 1900 angegeben hat). Dann aber ist auch der 



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Eine einfache Methode, am Gritinan- oder Bonwill-Artikulator usw. 


111 


Bonwill-Artikulator, von seiner geringeren Stabilität abgesehen, so weit 
vollkommen, wie eben ein auf durchschnittlicher Masse berechneter Artiku- 
lator vollkommen sein kann. Der Umstand, daß die Gelenke relativ näher 
aneinander zu liegen kommen als beim „Simplex", ist kein Nachteil, sondern 
im Gegenteil ein Vorteil. Hierdurch wird die Bennetsche Transversalver¬ 
schiebung noch größer. Siehe Fig. 4. 



S, —S 2 sind die Gelenke des „Simplex "-Artikulator, G x —G 2 die des G r i t m a n - 
Artikulator. K x und K 2 sind die beiden gedachten Kondylen. Diese be¬ 
schreiben beim Gritman die Wege a—b, nämlich Kreise um G 2 mit den Ra¬ 
dien G t —Ki und G 2 —K 2 . Beim „Simplex" werden von den Kondylen die 
Wege ab x zurückgelegt, nämlich Kreise um S 2 mit den Radien S 2 —K x = a—b x 
und S 2 —K 2 =*= fl—V Es ist leicht zu ersehen, daß die Bennetsche Trans¬ 
versalbewegung beim Gritman stärker hervortritt. Bei den Molaren hat 


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1 


112 C. U. Fehr: Eine einfache Methode, am Gritman- oder BonwilUArdkulator 

dieser Unterschied bei den beiden Artikulatoren zur Folge, daß beim Grit* 
man die Wege CD und beim „Simplex' 7 CD U für die Schneidezähne beim 
Gritman Ii t und „Simplex" Ii 2 wandern. Beim Bon will-Artikufator ist es 
natürlich dasselbe. 



ZUSAMMENFASSUNG 

Wenn man am Gritman- oder am verbesserten Bonwill-Artikulator 
die Gipsmodelle 2—3 cm weiter nach vorn eingipst, als das Bonwillsdie 
Dreieck es vorschreibt, dann wird bei Seitwärtsbewegungen eine der Ben net- 
sehen Transversalbewegung ähnliche Bewegung erzielt. Wenn an diesen Arti¬ 
kulatoren bei der Aufstellung ganzer Prothesen der Schneidezahnüberbiß in 
einem Winkel von 40° gewählt wird, dann können sie mit demselben Erfolg 
wie der GysU„Simplex"-Artikulator verwertet werden. 


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BUCHBESPRECHUNGEN 


Diagnostisdi«tlierapeutisdies Vademecum für die zahnärztliche Praxis. Von Pro- 
fessor Dr. B lessing, Leipzig. Verlag von Arthur Felix, 1921. 

Das vorliegende Buch ist infolge einer Aufforderung des Verlages entstanden, das 
Kleinmannsche Rezepttaschenbuch in neuer Bearbeitung herauszubringen. Dies Buch 
ist 1903 zum letzten Male erschienen und konnte infolge seines nicht unbedeutenden Um¬ 
fanges kaum mehr als Taschenbuch bezeichnet werden. Der verstorbene Verfasser war von 
dem Gesichtspunkte ausgegangen, stets möglichst alle Bereicherungen der zahnärztlichen 
Therapie zu berücksichtigen. Da er dabei aber eine Fülle von alten Vorschriften aus 
Mangel an entsprechender Kenntnis niemals beseitigte und nun kritiklos übernahm, 
war dies Buch nur* für wenige mit der Materie völlig Vertraute brauchbar. Das hat 
Blessing richtig empfunden und sich veranlaßt gesehen, ein „neues Buch" herauszu¬ 
geben, dessen „Grundlage an vielen Stellen dieselbe geblieben ist". „Vieles ist aus¬ 
führlicher behandelt, anderes gekürzt oder fortgelassen, auch der Stoff selbst häufig anders 
gruppiert". 

Bedauerlicherweise ist die „neue Gestalt" des Buches doch etwas mißgestaltet geblieben, 
denn die Behandlung dürfte nicht mit vollem Erfolg durchgeführt sein. Es wäre entschieden 
besser gewesen, sich überhaupt nicht an das alte Werk eines Mannes zu halten, der längst 
nicht mehr weder praktisch und noch weniger theoretisch auf der Höhe stand. Der Ver¬ 
fasser ist sein Vorbild nicht los geworden, und deshalb enthält sein Buch eine recht be¬ 
deutende Menge von Ungenauigkeiten und Fehlern, die sich unangenehm bemerkbar machen. 
Auch scheint mir die Anlehnung an das „diagnostisch-therapeutische Taschenbuch für Zahn¬ 
ärzte" des Referenten vielfach zu weitgehend zu sein, wovon sich allerdings die Neu¬ 
bearbeitung des letzteren von selbst freigemacht hat. 

Da zunächst einmal viele Rezeptvorschriften, weil unangebracht, überflüssig sind, ist die 
Zahl derselben zu groß. Die pharmazeutische Schreibweise entspricht nicht dem Brauch: 
sollten die Eigennamen klein geschrieben werden (gewöhnlich bedient man sich der großen 
Anfangsbuchstaben), so hätte das überall durchgeführt werden müssen. Einmal heißt es 
z. B. Succ. liquir. und ein anderes Mal Pulv. rad. Liqu. usw. 

Auch sind manche Fehler vorhanden, die hier nicht einzeln angeführt werden können. 
Wenn bei Adenitis „feuchtwarme" Umschläge empfohlen werden, dann als besonders 
empfehlenswert „trockene Wärme" und schließlich „feuchtwarme Breiumschläge" als „schäd¬ 
lich" bezeichnet werden, so weiß niemand etwas damit anzufangen. 

Die Verdeutschungen der lateinischen Stichworte sind oft sehr ungenau: z. B. Pulpitis, 
Erkrankung der Pulpa. — Atrophia alveolaris (praecox), Erkrankung des Zahnfortsatzes. 
— Ebenso Gingivitis, Glossitis ex foliativa u. a. Luxatio dentium ist nicht gleichbedeu¬ 
tend mit „Lockerung". 

Bei Anaesthesia Nervi trigemini sind auch Facialislähmung und Lungenlähmung abge¬ 
handelt und als Heilmittel zwei Vorschriften für Linimente gegeben, was zwecklos ist. Die 
Therapie der wahren Ankylose kann nie in Dehnung mit Keil oder Schraube bestehen. 
Die Diagnose bei Bleisaum des Zahnfleisches soll durch das Mikroskop gestellt werden. 
In meinem Taschenbuch stand auch nach welcher Richtung. Gegen Schmerzen bei Zahn¬ 
karies eine Morphium enthaltende Einlage zu machen ist widersinnig, wie auch wuchern¬ 
des Zahnfleisch vergeblich damit behandelt wird (wenn es schmerzt, ist gemeint). Bei 
Vicrteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 1 g 


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114 Buchbesprechungen 

Collaps Eau de Cologne „als Reizmittel zu geben" ist unlogisch ausgedrückt. Wenn aber 
außerdem 7 Vorschriften der verschiedensten Art gegeben werden und kurz vorher stand 
daß eigentlich keine pharmazeutischen Mittel nötig seien, so ist das ebenfalls mindestens 
unlogisch. 

Kindern bei Dentitis difficilis das Zahnfleisch mit Cocain zu bestreichen ist gefährlich. 
Wenn bei Dentilis diff. mol. III warme Umschläge angeraten werden, so muß man auch 
wissen, ob feucht oder trocken. 

Das Kapitel Ekzem ist in der Form/ wie abgehandelt, doch unmöglich. 

Erosion (keilförmige Defekte) wird man vergeblich durch interne Kafkpräparate behan¬ 
deln, deren 4 angeraten sind. Eine Speichelfistel wird die Behandlung mit Kampferöl 
(zum Einreiben) gleichgültig lassen. 

Für Hysterie ursächlich Dentitel, Pulpitiden, alte Füllungen, Alveolarpyorrhoe anzu- 
schuldigen ist ein Lapsus. 

Morphium 0,2 Aqu. dest. 10,0 ist eine bedenkliche Verordnung, selbst wenn dabei steht 
1 / 4 — Va Spritze. Dem Patient könnte die ganze Menge verabreicht werden. 

Rp. 166, bestehend aus Spir. Vini M s 0 3 und Formalin, wird nie eine Paste. .Auch 
bei Rp. 168 scheint Vaselin vergessen zu sein. Rp. 170 ist ganz unverständlich. 

Leider zeichnet sich das Buch auch sonst durch eine größere Anzahl von Druckfehlern 
aus, denn um solche handelt es sich doch wohl. 

Ein Passus wie: „Mit Pulpenpolyp behaftete Zähne müssen zumeist extrahiert werden" 
dürfte auf etwas eigenartigen Vorstellungen beruhen. 

Wenn bei Pulpengangrän steht: Entfernung der gangränösen Massen, so wäre es sicher 
gut, zu sagen, womit das zu geschehen hat. 

Das Kapitel Pyorrhoea alveolaris ist bereits veraltet und die zahlreichen dagegen ange¬ 
gebenen Mittel meistens recht überflüssig. Dasselbe gilt von den Mitteln bei Syphilis. 

Die hier gerügten Mängel sind so in die Augen springend, daß sie unbedingt in einer 
weiteren Auflage beseitigt werden müssen. Bei sehr genauer Kritik findet man aber leider 
noch mehr Dinge, die besser nicht in einem Buch stünden, das doch auch Studierende und 
junge, noch unerfahrene Zahnärzte in die Hand nehmen sollen. 

Es kann ja keinem Zweifel unterliegen, daß mehrere derartige Erscheinungen, wie die 
vorliegende, viele Ähnlichkeit miteinander haben müssen, weshalb sie auch nebeneinander 
bestehen können. Denn man wird in dem einen immer noch manches finden, was in dem 
andern nicht steht. Auch kann die Anordnung des Stoffes eine verschiedene sein, was 
auch tatsächlich durch die Neuerscheinung der Arbeit des Referenten erreicht ist. Deshalb 
mag die pathologische Reihe nach dem Alphabet manchem gefallen, aber eine recht gründ¬ 
liche Durcharbeitung des vorliegenden Buches mit völliger Ausschaltung der Anlehnung 
an ein veraltetes und eigentlich nie recht brauchbares Werk ist dringend geboten. 

Das vorliegende Vademecum enthält als Anhang eine Aufzählung der in der zahn¬ 
ärztlichen Praxis gebräuchlichen Medikamente mit kargen Verordnungsnotizen, die Maximal¬ 
dosen, eine Löslichkeitstabelle, Vorschriften für Kosmetika, Gurgelwässer und schmerz¬ 
stillende Mittel (z. T. in starker Kumulation), Vorschriften zur Lokalanästhesie (z. T. 
überflüssig) und zur Subkutaninjektion, ferner eine Tabelle zur Behandlung der Intoxi¬ 
kationen, einige andere nützliche Tabellen und am Schluß eine Anleitung zur Harnunter¬ 
suchung und zur Blutprobe. Den Beschluß macht ein Register. 

Ist auch der Inhalt, wie leider gesagt werden mußte, mit Vorsicht zu genießen, so wird 
ein kritischer Benützer des Buches doch auch seinen Nutzen daraus ziehen könen. 

Greve, Erlangen. 

Eine neue Kariestheorie. Seit die Menschheit, den Kinderschuhen rein sinnlicher 
Betrachtung der Dinge entwachsen, auf dem Wege philosophischer Spekulation sich mit 
sich selbst und der sie umgebenden, großenteils so geheimnisvollen Umwelt aus¬ 
einanderzusetzen suchte, haben sich eigentlich die großen Grundfragen menschlichen 
Erkenntnisdranges nicht wesentlich geändert. Was die Menschen vor Jahrtausenden be¬ 
wegte, das große Woher? Wohin? — die Frage nach Ursprung, Sinn und Zweck des 
kaleidoskopartig grellbunten und plötzlich wieder von tiefen unergründlichen Schatten um- 



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Buchbesprechungen 


115 


spielten Daseins, treibt und bedrückt die Denkenden unserer Zeit nickt weniger als zu den 
Zeiten Spinozas, Giordano Brunos — reizt und lockt nickt weniger als zu Gautama 
Buddhas, Khungfutses, Zoroasters oder Platos Zeiten. Nur die Mittel und Wege zur 
Beantwortung oder wenigstens Aufhellung jener Ewigkeitsfragen sind andere — ob mit 
Hilfe der modernen Naturwissenschaften bessere und sicherere, das wollen wir dahingestellt 
sein lassen. 

Heute noch, wie vor 100 Jahren, mag das Wort des weisen Weimaraners Geltung 
haben, — und sicher auf lange noch: 

Geheimnisvoll am lichten Tag, 

läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben. 

Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag, 

das zwingst du ihr nicht ab, mit Hebeln und mit Schrauben. 

Vom anfänglich magisch gefärbten und durchsetzten Mystizismus entwickelte sich die 
'Weltanschauung zwar allmählig zum theoretischen und ethischen Idealismus — diese Wand¬ 
lung bedeutet also keineswegs eine grundlegende Änderung der Denkrichtungf, sondern nur 
eine etwas klarere Methode in der Erfassung und Bewertung der Anschauungen. 

Dabei dürfen wir aber nicht etwa in den beliebten Fehler verfallen, zu betonen, wie 
herrlich weit wir es nun gebracht, denn, wie Absicht und Ziel allen Philosophierens und 
Spckulierens sich nicht änderten, so ändert die Methode der Erfassung nichts an der Tat¬ 
sache, daß wir heute vielfach auf den verschlungenen Pfaden modernster Seelen- und 
Geistesforschung doch immer nur früheren Jahrhunderten, ja Jahrtausenden geläufige Er¬ 
kenntnisse bestätigen. Mit anderen Worten, daß wir nur durch modernere Mittel das alte, 
intuitiv geahnte, oft verblüffend klar erfaßte und formulierte, in Kulten verborgene „Wissen" 
wiedererkennen und — dabei heute genau so wenig Sicherheit haben, „Tatsächliches" 
zu wissen, wie in Zeiten, in denen vielleicht eine, der heutigen Mathematik und Astrono¬ 
mie kaum unterlegene Wissenschaft ihre Ergebnisse und Schlüsse in das gewaltige, Jahr¬ 
tausende überdauernde „Buch" der Cheopspyramide eingemauert hat. 

Wie in allem Menschengeschehen, so sind auch und ganz besonders in der philoso¬ 
phischen Weltbetrachtung Wellenbewegungen wahrzunehmen, — Wellenberge höchster Er¬ 
hebung ins Übersinnliche, denen tiefdunkle, alles Menschsein mit Verschlingen bedrohende 
Täler rohmaterialistischer Auffassung folgen. 

Aktiofi und Reaktion, das gewaltige Pendelwerk aller Menschheitsgeschichte, hält die Uhr 
der Entwicklung ih stetem Gange. Und so können wir auch in unserer Zeit tiefster, 
rohester materialistischer Weltanschauung, niederschmetternder Vernichtung und Entwer¬ 
tung allen wahren Menschentums doch schon die äufsteigende, emportragende Wellen wand 
eines tief innerlichen Sehnens und Suchens beobachten. Not lehrt beten — dieses Wort, 
das nur in der Zwangsläufigkeit menschlicher Nöte die Sehnsucht der Menschenseele nach 
Erkenntnis begreift und einschätzt, mag in gewissem Grade bei der Masse den Impuls 
zur Beschäftigung mit übersinnlichen Dingen abgeben/ — die aus solchen materiellen 
Quellen entspringenden mystischen Fluten sind aber auch danach. Ihre trüben Wellen 
führen allen mystischen Unrat der Jahrtausende mit sich und bergen die Gefahr in sich, 
auch die wenigen klaren und lauteren Quellen menschlichen Erkenntnisdranges zu ver¬ 
schlammen. 

Christian Science, Astrologie, Heilmagnetismus, Suggestion, Fern- oder Hellsehen, Spiri¬ 
tismus, Sympathiemittel und -kuren, Naturphilosophie ältester und neuester Prägung und 
nicht zuletzt „weiße" und gar „schwarze Magie" mischen sich mit „ismen" aller Art zu 
einer kaum mehr im einzelnen erkennbaren Strömung, und neben helleuchtenden, auf ihrem 
Spezialgebiet unbestrittenen Vertretern der exakten Wissenschaften sehen wir Scharlatane, 
Analphabeten und allerhand dunkle Ehrenmänner in unerfreulichem, buntem Gemisch in 
diesen unsichtigen Gewässern nach Erkenntnis, — oft genug aber auch nach allerhand 
Beute angeln. 

Es ist daher immer eine etwas erregende und auf den ersten Blick erschreckende Ent¬ 
deckung, einen Nichtphilosophen und dabei anerkannten Vertreter irgendeiner Fachwissen¬ 
schaft dieses Gebiet betreten zu sehen. Aber schließlich, neben einem Wallace, Crookes, 
Schelling, Flammarion, Lombroso, Zöllner, du Prel, — auch schließlich einem Schrenk- 

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Buchbesprechungen 


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Notzing — kann auch Professor Römer Leipzig mit Ehren stehen, ganz gleichgültig, ob nun 
die von ihm vertretenen Anschauungen den wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden und 
Ergebnissen standhalten oder widersprechen. Es gibt heute noch, genau wie zu Shake¬ 
speares Zeiten, die so oft berufenen Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen unsere 
Schulweisheit sich nichts träumen läßt, daß der durch Beschäftigung mit diesen Dingen sich 
vor der schnellfertigen Aburteilung des Ignoranten Hütende, sich weiter nicht wundert, 
sondern die Tatsache annimmt und respektiert und sich dann selbst mit dem Dargelegten 
abfindet, wie er es kann und für gut findet. 

Allerdings liegen die Dinge, die den Anlaß zu dem vorstehenden kurzen Ausflug ins 
dunkle Land des Übersinnlichen bieten, insofern etwas anders, als Professor Dr. Römer- 
Leipzig in einer kleinen Schrift „Über die Zahnfcaries" mit Beziehung auf die Er¬ 
gebnisse der Geistesforschung Dr. Rudolf Steiners (Wissenschaft und Zukunft. 
Eine Schriftenreihe — herausgegeben vom Bund für anthroposophische Hochschularbeit) 
die Zahnkaries in direkte und engste Beziehung zur Geisteswissenschaft bringt. Er 
erklärt auf Grund von Angaben und Behauptungen des bekannten Anthroposophen Dr. 
Rudolf Steiner (Dörnach), eigenen Beobachtungen und Befunden wissenschaftlicher Unter¬ 
suchungen zahnärztlicher Forscher die heute bestehenden Kariestheorien für ungenügend, 
nur die eine direkt in die Augen springende Seite der Funktion der Zähne berücksich¬ 
tigend, während die Zähne angeblich eine Doppelnatur besitzen sollen. Diese zweite, 
bei der Aufstellung der bisherigen Kariestheorien nicht beachtete Natur oder zweite Auf* 
gäbe der Zähne begründet Steiner schon damit, daß die Zähne anatomisch und chemisch 
mit dem Knochensystem verwandt erscheinen, entwicklungsgeschichtlich aber aus dem Haut¬ 
system hervorgehen. Die Zähne, im Schmelz aus dem Epithel des äußeren, in Zahnbein, 
Zement und Pulpa aus dem bindegewebigen mittleren Keimblatt entwickelt, verbergen aber 
ihre Doppelnatur, lassen ihre zweite funktionelle Aufgabe nicht ins menschliche Bewußt¬ 
sein dringen, wirken aber dessenungeachtet als Saugorgane in feinster Weise „auf¬ 
bauend" an der Körpergestaltung, ja sogar an der Intelligenzentwicklung des Menschen 
mit. Fluor, das auf bauende, gestaltende, abrundende Element — dem das Magnesium 
als strahlendes, die Ossifizierung dirigierendes Element gegenübersteht — ist dem mensch¬ 
lichen Organismus unbedingt notwendig noch nach einer anderen Richtung hin. Hören 
wir, wie Römer diese zweite Aufgabe des Fluor auffaßt: 

„Der Mensch braucht aber noch aus einem zweiten Grunde kleine Quantitäten von 
Fluor. Und wozu? Hier gibt der Geistesforscher (Steiner) eine Antwort, die zunächst 
schockierend wirken kann, nämlich die, daß der Mensch, wenn er die bestimmten Fluor¬ 
mengen nicht hat, dann zu gescheit wird. Er bekommt eine Gescheitheit, die ihn fast 
vernichtet. Der Mensch wird durch die Fluorwirkung gewissermaßen auf das richtige 
Maß von Dummheit, oder wir können auch sagen, auf das richtige Maß von Intelligenz, 
wie wir sie im Leben schon einmal brauchen, damit wir Menschen sind, herabgestimmt. 
Wir brauchen Fluor in kleinen Quantitäten als fortwährendes Mittel gegen das Allzu¬ 
gescheitwerden, und frühes Schadhaftwerden der Zähne, wie es durch die Karies hervor¬ 
gerufen wird, deutet darauf hin, daß sich der Mensch gegen eine zu starke Beeinträch¬ 
tigung seiner Intelligenz, gegen ein zu starkes Dummwerden gewissermaßen unbewußt 
wehrt. Also der Mensch bekommt kariöse Zähne, damit die Fluorwirkung vermindert 
wird, damit die zu starke Fluorwirkung ihn nicht zu dumm macht'' . . . 

Professor Römer hat recht, wenn er vorbeugend vor diesem Abschnitt seiner Bro¬ 
schüre betont, das Gesagte könne schockierend wirken,* das ist gewiß der Fall. Es wäre 
nun sehr müßig zu fragen, ob man denn nicht einmal die Probe machen und „zu gescheite" 
Menschen dadurch züchten wolle, daß man ihnen alsbald sämtliche Zähne extrahiert? Noch 
müßiger wäre der Gegenschluß, daß Menschen, die ihr gesundes Gebiß bis ins hohe Alter 
behalten, also beständig dem verdummenden Einfluß des durch die Zähne unbewußt ein¬ 
gesaugten Fluors ausgesetzt sind, nach dieser Steiner-Römerschen Theorie an auf¬ 
fallender Dummheit leiden müßten. 

Die von Römer vorgetragenen Theorien und Anschauungen sind viel zu ernst, als mit 
witzelnder Schnellfertigkeit abgetan zu werden, denn im Grunde handelt es sich hier um 
eine der vorhergehend angedeuteten großen Menschheitsfragen: ist der menschliche Körper 



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117 


„Selbstzweck'' — ist er das (höchst unwahrscheinliche) Zu Fallsprodukt mechanistischer Zellan- 
Ordnung nach Zweckmäßigkeitsgründen — wobei immer wieder die Frage offen bleibt, 
welcher Art denn eine solche „Zweckmäßigkeit" sein kann — oder ist der Menschenleib 
das Produkt gestaltender, übersinnlicher „Absichten", um nicht „Wesen" sagen zu wollen ? 
Welchem Ziele streben jene, den menschlichen Organismus zu ihrem Instrument gestalten¬ 
den „Absichten" zu? — Und mit diesen Fragen erheben unzählige andere das Haupt — 
was ist denn die Ursache, diese Billionen Zellen gesetzmäßig zusammenzuhalten, nicht nur 
zur formlosen Masse, sondern zur wundervoll durchorganisierten, hochwertigsten Maschinerie 
— um ganz und gar nüchtern und sachlich zu bleiben und die von Römer-Steiner als 
selbstverständlich betrachteten Unterscheidungen zwischen materiellem Körper, Astralleib, 
Geist usw. völlig zu vermeiden!? — 

Fragen, Fragen — — ohne befriedigende Antworten. 

Jedenfalls aber kann die Römer sehe Broschüre Anspruch erheben, nicht mit einer Hand¬ 
bewegung abgetan zu werden. Es ist selbstverständlich, daß sich manches Bedenken er¬ 
heben wird, daß die Gegenfrage nicht von der Hand zu weisen ist, ob die „gestaltende 
Natur" so beschränkt in ihren Mitteln ist, daß sie nur durch Zerstörung sonst lebens¬ 
wichtiger oder wenigstens notwendiger Organe, wie es die Zähne sind, weitere uner¬ 
wünschte Wirkungen dieser Organe aufheben kann? Weshalb sind denn gerade die 
Zähne mit dieser Doppelaufgabe belastet, deren Erfüllung dann ihre Zerstörung zur Folge 
haben muß? — Kein denkender Ingenieur wird das regulierende Ventil mit einem zum Betrieb 
der Maschine notwendigen Teil so verkuppeln, daß die Funktion des Ventils nur mit der 
Ausschaltung oder gar Zerstörung des wichtigen Maschinenteils ermöglicht werden kann. 

Es mag sein wie ihm wolle,- jedenfalls fegt die Römer sehe Arbeit zum Widerspruche 
an, — da aber begründeter Widerspruch doch nicht ohne Grundlage und sachliche Denk¬ 
arbeit möglich ist, durch diese allein aber nur Fortschritte auf dem Wege zur Klarheit sich 
erzielen lassen, ist diese, zweifellos sonderbar anmutende neueste literarische Erscheinung 
auf unserem Spezialgebiet interessant und begrüßenswert. B. 

Leitfaden der Wurzelbehandlung. Von Prof. E. Feiler. (Leitfäden der Zahnheil¬ 
kunde Heft 5, 1921, Verlag H. Meusser.) 

Diesen Leitfaden hat Feiler auf den Grundlagen einer von ihm gehaltenen Vorlesung 
über Pathologie und Therapie der Weichgebilde der Zähne entstehen lassen und dabei 
versucht, die Einteilung der Wurzelhauterkrankungen nach denselben Gesichtspunkten vor¬ 
zunehmen, wie die der Pulpaerkrankungen/ er betrachtet sie also von , der Frage der ge¬ 
schlossenen oder geöffneten Pulpakammer. Die der Arbeit beigefugten vorzüglichen sche¬ 
matischen Abbildungen stammen von Dr. Franz/ auch die Röntgenogramme müssen be¬ 
sonders lobend hervorgehoben werden. 

Nach einigen kurzen anatomischen Vorbemerkungen wendet sich der Verfasser zur 
Anatomie und Physiologie der Wurzelhaut und zur Pathologie beider Weichgebilde. 

Unter den neuralgischen Zuständen auf dentaler Basis werden die Trigeminusneuralgie 
und die Beschwerden bei Pulpitis und Periodontitis erwähnt. — Die Hilfsmittel zur Unter¬ 
suchung pulpa- oder wurzelkranker Zähne sind: die Anamnese, das Verhalten der regio¬ 
nären Lymphdrüsen (Abbildg. nach Partsch), die Transparenz, die Überempfindlichkeit, 
die Perkussion, die Untersuchung mittels Induktionsstrom nach Schröder und Hesse 
und das Röntgenbild. Vorzüglich dargestellt sind die Kapitel über die Behandlung der 
erkrankten Pulpa. Feiler beginnt mit der Überkappung, läßt sodann die Devitalisation 
mittels Arsen, die Injektionsanästhesie und die Druckanästhesie folgen. — Bei der Wur¬ 
zelbehandlung nach entzündeter Pulpa erwähnt der Verfasser zuerst die Exstirpation der 
Pulpa, sodann die Amputationsmethode, die ihm nicht so sicher erscheint. — Die Behand¬ 
lung gangränöser Wurzelkanäle geschieht teils auf mechanischem, teils auf chemischem 
Wege (Tricresol-Formalin, Chlorphenol, Nelkenöl, Karbolsäure, Königswasser mit neu¬ 
tralisierendem Natr. bicarb. oder Natr. Superoxyd.). Man bedient sich auch des Sauge¬ 
verfahrens nach Dill und Alb recht oder der Elektrosterilisation näch Zierler und endlich 
der Verseifung durch Antiformin kombiniert mit Königswasser. — Die medikamentöse 
Behandlung der Wurzelhautentzündung gestaltet sich ähnlich, wenn apikale Reizungen der 


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118 Buch Besprechungen 

Wurzelhaut vorhanden sind, in denen es zu einer Infektion an der Wurzelspitze gekom- 
men ist. Die Trepanation geschieht stets in der Längsachse des Zahnes/ bukkale Tre- 
panationen sind ein Kunstfehler. — Wangen-, Kinn- und Schleimhautfisteln lassen sich 
heute medikamentös zur Ausheilung Bringen, indem man nach gründlicher Reinigung der 
Kanäle mit einer in den Kanal eingeführten Injektionsspritze 3° 0 iges Wasserstoffsuper¬ 
oxyd durch die Fistel hindurchspritzt. 

Die größten Schwierigkeiten bieten die Fälle, in denen die Pulpa nur zum Teil zerfallen 
ist. Gangränöse noch lebende Pulpareste können mit Königswasser zerstört werden. Ein¬ 
zelne, noch völlig mit lebender Pulpa angefüllte Kanäle werden mit Arsen behandelt nach¬ 
dem die gangränösen Kanäle gesäubert und durch eine antiseptische Einlage gegen die Arsen¬ 
wirkung geschützt worden sind. Im Unterkiefer zeitigt oft die Leitungsanästhesie gute 
Erfolge. — Die Wurzelfüllung muß fähig sein, den Bakterien ein Eindringen aus den 
Dentinkanälchen in den Wurzelkanal zu verwehren, wodurch erneut Infektionen entstehen 
können/ sie muß also den Kanatwänden völlig anliegen und einen festen Abschluß des 
Foramen apicale gewährleisten. Das Leerstehenlassen der Kanäle ist ein schwerer Fehler. 
Die bisherigen Methoden der Wurzelfüllung mit Watte, Zement, weichen Pasten, Gutta¬ 
perchastiften befriedigen Feiler nicht. Bessere Erfolge erzielt man mit Paraffin, massive 
Wurzelfüllung mit Thymol und der Albrechtschen Wurzclfullung (Resorzin-Formalin- 
Glyzerin)/ die besten Erfolge mit weichen Pasten kombiniert mit Guttaperchaspitzen. 
Auch Mayerhofers Perubalsam ist zu empfehlen. — Der konservierenden Wurzelbehand¬ 
lung können Grenzen gesetzt sein durch schädliche Einwirkung des Arsen, durch Be¬ 
schwerden bei der gangränösen Wurzelbehandlung und nach Wurzelfüllungen (Perforationen 
oder Resorptionsherde). — Das letzte Kapitel ist der Wurzelbehandlung der Milchzähne 
gewidmet. Vor der Anwendung des Arsen wird gewarnt/ es empfiehlt sich statt dessen 
Karbolsäure zu verwenden <24 Std.). Genügt das nicht, so führt die Drudcanästhesie zum 
Ziel. Auf die Exstirpation der Pulpa kann man alsdann verzichten. Hesse rät durch 
Röntgenaufnahmen stets festzustellen, ob der Keim des bleibenden Zahnes vorhanden ist 
oder fehlt. — Bei Wurzelhautentzündung der Milchzähne muß, wenn die Trepanation 
nicht hilft, extrahiert werden, um den bleibenden Zahn zu retten. 

Leider hat es der Verfasser unterlassen, dieser vorzüglichen Arbeit einen Schriftennach¬ 
weis anzufügen. Dr. R. Hesse, Döbeln. 

Rezeptierbuch für Zahnärzte. Von Dr. Karl-Ludwig Koneffke. 2. umgearbeitete und 
erweiterte Auflage. Berlin 1922. Berlinische Verlagsanstalt. Preis geb. M. 60.— 

Das Buch zerfällt in mehrere Teile. Im ersten Teil findet man eine Aufzählung der 
Arzneimittel nach Wirkungskreisen, was für die Paxis immer noch einen Wert hat. 

Der zweite und dritte Teil bringen die Arzneiverordnung mit einer reichen Auswahl 
von Mitteln, die aber leider nicht zum ersten Teil in Beziehung gebracht sind. Es emp¬ 
fiehlt sich, das in einer späteren Auflage nachzuholen. Die hier gegebenen Rezeptformulare 
gehen über die zahnärztliche Indikation hinaus, was als Vorteil gelten kann, solange man 
keinen Mißbrauch damit treibt, d. h. sich nicht auf unberechtigtes Gebiet begibt, sondern 
nur Belehrung daraus zieht, eventuell dem eignen Bedürfnis nachhilft. 

Nicht alle Rp.-Vorschriften sind der Zeit entsprechend. Viele können vereinfacht werden. 
Bei Morphium 0,2 g, also die doppelte Tagesdosis zu verordnen, ist sehr gefährlich, da 
ein Mißgriff schlimme Folgen haben kann. 

Im Vorwort hätte auch die benützte Literatur angegeben werden können, da man im Text 
zu viele Anklänge an bekannte Bücher findet. 

Im übrigen wird die Neuauflage sicher wie die erste viele Liebhaber finden. 

Drude, Papier und Ausstattung sind gut. Greve, Erlangen. 

Die Technik des Goldgusses und seine Anwendung zur Herstellung von Einlage¬ 
füllungen, Kronen, Brücken und Plattenersatz. Von Privatdozent Dr. C. J. Gra- 
winkel, Leiter der klinisch-technischen Abteilung an der zahnärztlichen Universitäts¬ 
klinik in Hamburg. Mit 647 Abbildungen im Text. Verlag von Hermann Meusser. 
Berlin 1921. 



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Buchbesprechun gen 


119 


In der deutschen zahnärztlichen Literatur gibt es zwar gute Darstellungen über einzelne 
Gebiete der Gußtechnik, doch hat es bisher an einem Buche gefehlt, welches sämtliche An¬ 
wendungsgebiete der Gußtechnik umfaßt. In dieser Hinsicht bedeutet das Grawinkelsche 
Buch eine wesentliche Bereicherung der zahnärztlichen Literatur. Es würde noch an Wert 
gewonnen haben, wenn der Verfasser sich nur innerhalb der Grenzen seines Themas ge¬ 
halten hätte, worin er eine anerknnnte Autorität ist, und nicht allgemein technische Fragen 
berührt hätte, welche in ihrem Zusammenhang nicht erschöpfend genug ausgefallen sind. 
Dem Verfasser schwebte wahrscheinlich die Absicht vor, bei der Darstellung der Gu߬ 
technik eine allgemeine zahnärztliche Metalltechnik mit besonderer Berücksichtigung der Gu߬ 
methode zu bringen. 

Dem Buch zugrunde liegen die Fortbildungskurve, welche Grawinkel seinerzeit im 
Deutschen Zahnärztehaus abgehalten hat. Das merkt man ihm auch in bezug auf die lehr¬ 
haft knapp gehaltene Sprache an. Was aber für den mündlichen Unterricht von Vorteil 
ist, kann bei einem Lehrbuch vielleicht ermüdend wirken. Die größtenteils kurzen, fast 
immer durch einen Absatz markierten einzelnen Sätze können den Leser eher verwirren 
als ihn durch quasi beabsichtigte Übersichtlichkeit anregen. Einzelne Hauptgedanken, die 
durch Fettdruck hervorgehoben sind, würden an Belehrungskraft nicht eingebüßt haben, 
wenn sie in magererer Form aufgetreten wären; sie können leicht die Aufmerksamkeit vom 
Gesamtinhalt ablenken. 

Grawinkel wählt als Einleitung: die Einlagefüllung, Kronen, Brücken, Platten, Technik 
des Gießens, Gold und seine Legierungen, Löten, Vergolden, Reparaturen. Diese Ein¬ 
teilung ist für Demonstrationszwecke durchaus gerechtfertigt, weil es dabei hauptsächlich 
auf das plastisch Bildhafte ankommt, ohne daß es nötig ist, auf den organischen Aufbau 
und inneren Zusammenhang innerhalb der einzelnen Kurve in erster Linie Rücksicht zu 
nehmen. Im Gegensatz dazu würde derselbe Inhalt, für ein Buch gedacht und in ein 
solches gefaßt, gewonnen haben, wenn der Verfasser von metallurgischen Erörterungen 
ausgegangen wäre, die Technik des Gießens im allgemeinen beschrieben hätte und die 
speziellen Anwendungsgebiete der Gußmethode dargestellt hätte. Dadurch wäre das Buch 
selbst wie aus einem Guß entstanden und erschienen. 

Um lehrhaft klar zu sein, unterstützt der Verfasser den Text mit einer Anzahl Ab¬ 
bildungen, welche nicht immer durch den Zeichner anschaulich genug wiedergegeben sind. 
Man sieht es den Bildern zu oft an, daß sich der Zeichner, wie Grawinkel im Vorwort 
lobend erwähnt, „in das ihm bis dahin fremde Gebiet mit andauerndem Fleiß hinein¬ 
gearbeitet hat", ohne das fachlich Wesentliche immer ins Auge zu fassen. Dadurch ist 
eine etwas zu große Zahl von Bildern entstanden, und die beabsichtigte Anschaulichkeit 
in manchen Zusammenhängen eher herabgesetzt als erhöht. 

Unter den vorhandenen Kapiteln ist das über die Technik des Gießens dem Verfasser 
am besten gelungen. Es ist leicht zu erkennen, daß er darin den Niederschlag bringt von 
jahrelangen Versuchen und Erfahrungen, welche darzustellen ihm eine besondere Freude 
zu machen scheint. Hiermit soll keineswegs der Wert der übrigen Kapitel herabgesetzt 
werden. Reiches technisches Denken und Können geht auch aus den Kapiteln hervor, mit 
deren Inhalt man sich nicht immer ganz einverstanden erklären kann. 

Da ich jahrelanger Schüler von Grawinkel in der Technik und besonders in der Gu߬ 
technik gewesen bin, so glaube ich auch berechtigt zu sein, zu konstatieren, daß Gra¬ 
winkel selbst die Schwächen seines Buches sehr wohl kennt und sehr wohl in der Lage 
ist, sie zu beseitigen, wovon die zu erwartende Neuauflage sicherlich Zeugnis ablegen 
wird. Und mit demselben Recht konstatiere ich, daß das Grawinkelsche Buch auch in 
seiner jetzigen Gestalt dem Lernenden viel technische Kenntnisse übermitteln und dem 
erfahrenen Praktiker viel Anregungen geben wird. Damit ist sein Zweck erfüllt. 

H i 11 e I s o h n, Berlin - Wilmersdorf. 

Diagnostisch-therapeutisches Taschenbuch für Zahnärzte. Von Dr. med. dent. etphil. 
H. Chr. Greve, Hof- u. prakt. Zahnarzt, ao. Prof, in Erlangen. Ein Leitfaden der 
klinischen Zahnheilkunde. 6.-8. völlig neubearbeitete Auf läge. Verlag Herrn. Meusser. 
Berlin 1922. 


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Buchbesprechungen 


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Das in allen Zahnärztekreisen bekannte Grevesche Taschenbuch hat in der vorliegende« 
Neuausgabe Anordnung des Inhalts und das äußere Gewand gewechselt. Der bisherige;; 
alphabetisch geordnete Inhalt hat sich in einen Leitfaden der klinischen Zahnheilkunde um 
gewandelt. Was es als bequemes Nachschlagewerk dadurch etwas eingebüßt har, hat e* 
als kurzgefaßtes Lehrbuch und Repetitorium gewonnen. Der Inhalt ist in zwei Hauptteik 
zerlegt/ den umfangreicheren klinischen und den kürzeren pharmakologischen Teil. Der kli¬ 
nische Teil zerfällt in: Pathologie der Zähne, paradentale Erkrankungen, Krankheiten der 
Mundhöhle, Erkrankungen des Mundbodens, Erkrankungen der Lunge, Erkrankungen der 
Speicheldrüsen, Krankheiten der Kieferknochen, Erkrankungen des Kiefergelenks, Erkran» 
kungen der Nebenhöhlen, Erkrankungen der Nerven und Erkrankungen der Lippen. Der 
pharmakologische Teil enthält eine Anleitung zur Ordination, die Maximaldosen der Arznei* 
mittel, eine Auswahl einiger zu subkutanen Injektionen gebräuchlichen Medikamente, Be¬ 
handlung der Intoxikationen, Tabellen von Pulsfrequenz, Atemfrequenz, Körpertempera* 
turen mit einer Reduktionstafel der drei Thermometer, Erscheinen der Zähne des Menschen, 
Maße und Gewichte, Tropfentabelle, Löslichkeitstabelle und ein alphabetisches Verzeichnis der 
in der Zahnheilkunde brauchbaren Mittel bezüglich ihrer Anwendung, Dosierung undForm. 

Es wäre nützlich gewesen, einem derartigen Nachschlagewerk zum Zwecke der leichteren 
Orientierung ein Inhaltsverzeichnis vorangehen zu lassen. Für etwaige Notizen sind an¬ 
statt der bisherigen eingeschossenen leeren Blätter breite Ränder gewählt, die für die Über¬ 
sichtlichkeit bequemer sind. Der Preis ist für das gediegen ausgestattete Buch als ein durch¬ 
aus bescheidener zu bezeichnen. Hillelsohn, Berlin-Wilmersdorf. 

Die Behandlung infizierter Wurzelkanäle. Von Dr. Karl Clauder, Zahnarzt, Go¬ 
thenburg, Schweden. Mit 14 Abbildungen im Text. Verlag Herrn. Meusser, Berlin 1921. 

Das Thema dieser Monographie findet sich in jedem guten Lehrbuch der konservierenden 
Zahnheilkunde mehr oder weniger umfangreich behandelt. Die vorliegende Abhandlung 
würde ihren Zweck nicht erfüllen, wenn sie sich nicht durch besondere Eigenschaften aus¬ 
zeichnen würde. Der schwedische Autor verfügt über ein gediegenes fachlich wissenschaftliches 
Rüstzeug, gute Beobachtungsgabe und logisches konsequentes Denkvermögen. 

Der in 24 Kapitel geteilte Inhalt umfaßt alle für die Diagnose und Therapie infizierter 
Wurzelkanäle in Betracht kommenden Momente. Was das Buch bei seinem Gebrauch 
etwas erschwert, das ist die uns so oft nicht geläufige Ausdrucksweise <„eine ramponierte 
Wurzel" u. a. m.), doch kann man mit Rücksicht auf die sonstige treffliche Form darüber 
hinweggehen und sich aus ihm gute Anregungen und Belehrungen holen. 

Hillelsohn, Berlin-Wilmersdorf. 

Diagnostik und Therapie der Pufpakrankheiten. Von M. Lipschitz. Verlag von 
Julius Springer, Berlin 1920. 

Verfasser hat sich der dankenswerten Aufgabe unterzogen, ein zusammenhängendes Bild 
der Pulpakrankheiten und deren Behandlung zu geben. Jedem Kapitel ist ein sorgfältig 
zusammengestellter historischer Überblick über die abgehandelte Materie vorausgeschickt. 
Auf Grund seiner langjährigen Erfahrung und der sorgfältigen Verwertung der neusten 
Forschungsergebnisse hat der Verfasser besonders für die Behandlung der verschiedenen 
Erkrankungsformen Ratschläge gegeben, die jedem Studierenden und auch älterem Praktiker 
wertvoll sein werden. Was den Ausführungen besonderen Wert verleiht, ist der Um¬ 
stand, daß ausdrücklich auf eine sorgfältige Diagnosenstellung hingewiesen wird, die allein 
eine individuelle erfolgreiche Therapie gewährleistet. Die Einteilung der Pulpakrankheiten 
fußt auf der Rom ersehen, aus dessen Atlas instruktive Abbildungen zur Erläuterung der 
Erkrankungsformen entnommen sind, ergänzt durch eigene schematische Zeichnungen. 

Die Ausstattung des Werkes ist ausgezeichnet und der Preis durchaus angemessen. 

Ed. Precht. 

Laboratoriumskunde des Zahnarztes. Von Prof. Dr. Jung. 2. erweiterte Auflage mit 
22 Abbildungen, Berlin, Berlinische Verlagsanstalt 1921. Preis geb. M. 24.— 



-— -ü ri g i na I fro-m —^ 

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Buchbesprech u n gen 


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Hin Büchlein in Taschenformat bringt auf 127 Seiten eine recht nette Zusammenstellung, 
alphabetisch geordnet, von all den Stoffen und auch wichtigsten Hilfsapparaten, die wir im 
Laboratorium benötigen. Die bequeme Form des Buches soll ermöglichen, daß der Arbei¬ 
tende die vielen praktischen Winke stets zur Hand hat. Nüchternes Aufzählen ist ver¬ 
mieden worden/ die einzelnen Absätze sind zum Teil sehr interessant, erschöpfend und 
bringen oft neue Ratschläge. Man merkt, daß ein Praktiker spricht. 

Bei der Stelle, die die Goldlegierungen abhandelt, vermisse ich den Hinweis, daß Platin 
eine große Affinität zu Silber hat und sich sehr leicht, wenn in Folienform angewendet, 
im Silber auflöst. Dadurch ist man imstande, kleine Quantitäten Platingold bei geringer 
Hitze herzustellen, indem man erst hernach der schmelzenden Silberplatinlegierung das Gold 
hinzusetzt. 

Seite 42, wo Schrauben und Gewinde besprochen werden, wäre es zeitgemäß, das Löwen¬ 
herzgewinde zu erwähnen und die veralteten Schraubendorne und Schraubenkluppen Ab¬ 
bildungen 8 und 9) wegzulassen. 

Da das Buch auch sehr preiswert ist, wird es gern gekauft werden. Rank. 

Lehrbuch und Atlas der konservierenden Zahnheilkunde. Von Dr. med. et phil. 
Gustav Preiswerk. 2. Auflage bearbeitet von Dr. Paul Preis werk, Privatdozent 
an der medizinischen Fakultät der Universität Basel. Mit 35 vielfarbigen Tafeln und 
334 Textabbildungen. VIII, 400 S. Bd. XXXVIII. Der Lehmannschen medizinischen 
Handatlanten, München 1922. Preis geb. M. 130.— 

Das in Unterricht und Praxis so schmerzlich entbehrte Lehrbuch der konservie¬ 
renden Zahnheilkunde in Atlasform von Gustav Preiswerk liegt nun in zweiter 
Auflage vor. Leider war Gustav Preis werk nicht selbst in der Lage, die neue Auflage 
zu überarbeiten, er übertrug dies seinem Bruder Paul Preis werk, der vor kurzem von 
uns gegangen ist. 

Leider sage ich/ nicht weil ich etwa seinen verstorbenen Bruder Paul weniger geschätzt 
hätte, sondern weil ich von der praktischen Tüchtigkeit von Gustav Preis werk, von seiner 
ausgedehnten Erfahrung, mit solch seltener Gewissenhaftigkeit, Bescheidenheit und Ernst 
gepaart, immer noch weitere Gaben für unseren Stand, für unsere Wissenschaft, die beide 
Gustav Preis werk in seinem begeisterungsfahigen Herzen so glühend liebt, erhofft haben, 
die er in seinem geistigen Lieblingskinde hätte für alle niederlegen können. 

Der Ernst ist es, den wir an Preiswerk, wie auch an vielen von der älteren Gene¬ 
ration verehren. Möge dieser auch in der jüngeren Generation weiterleben und möge der 
wissenschaftlich seinwollende Egoismus und Dilettantismus mehr und mehr verschwinden. 

Mit den einleitenden Worten über Gustav Preiswerk habe ich schon zum Teil sein 
Lehrbuch gekennzeichnet. 

Auf jeder Seite spricht sich die ernste, erfahrungsreiche Tüchtigkeit des 
Forschers und Praktikers aus. Er hätte es gar nicht selbst in seinem 1. Vorwort 
zu sagen brauchen, daß ihn die konservierende Zahnheilkunde mit ganz besonderer Be¬ 
friedigung erfüllte. Jede Seite spricht dies aus. So war mir auch von jeher unter seinen 
Lehrbüchern auch das vorliegende das liebste gewesen, keines spricht mit solch wahrer 
Wärme. 

Die Zahnheilkunde steht doch nicht still. Sie hat auch in den letzten Jahren an Inten¬ 
sität und Extensität zugenommen. Daß dem Paul Preiswerk, der Bearbeiter der 2. Auf¬ 
lage, nicht ganz gerecht werden konnte, sagt er selbst. 

Heute ist mehr denn je eine Nachfrage nach bewährten Lehrbüchern. Wer von den Stu¬ 
dierenden und jungen Zahnärzten vermag sich heute ein Urteil über die Unzahl von Neu¬ 
erscheinungen zu bilden? Und wer kann, wenn er genug Kritik besitzt, jedes derartige 
Buch anschaffen? So ist es verständlich, daß man nach den Werken bewährter Fachmänner 
greift. Wir haben aber nicht viel. Zu dem längst vergriffenen Miller-Dieck und dem 
lange vergriffen gewesenen, nunmehr wieder erschienenen Preiswerk kam ein anderes 
hinzu, das Lehrbuch von Walkhoff. Wer freut sich nicht darüber, wie diese beiden {un¬ 
sere Lehrbücher der konservierenden Zahnheilkunde, wenn wir von der Einführung 
Peckerts absehen wollen), das Lehrbuch Walkhoffs und der lehrbuchartige Atlas 


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122 Buchbesprechungen 

Preiswerks sich so treffliefe ergänzen, wie ich es von keinem anderen Buche wußte? Ist 
der „Walkhoff" mehr vom wissenschaftlichen-theoretischen Standpunkt geschrieben, so 
steht im „Preiswerk" mehr der praktische Gesichtspunkt im Vordergrund. 

Klar und überaus selbstverständlich geschrieben sind die einzelnen Kapitel, mit einer 
Leichtigkeit, die eben den „Preiswerk" so überaus geeignet zura Unterricht machen. 

Es ist die Praxis, die tägliche Arbeit am Operationsstuhl und im Labo¬ 
ratorium in Worte gefaßt und in Abbildungen veranschaulicht. 

Ein Inhaltsverzeichnis geht dem Ganzen voran. Das Verzeichnis der 32 farbigen Ta¬ 
feln ist als unnötig und mit Recht in Wegfall gekommen. Die Kapitel sind, was all¬ 
gemeinen Inhalt, Zahl und Reihenfolge betrifft, die gleichen geblieben. 

Das erste Kapitel bringt eine Beschreibung des Operationszimmers/ Angaben, die für 
den angehenden Zahnarzt sehr schätzenswert sind. Vielfach hört man, daß derartiges nicht 
in ein Lehrbuch hineingehöre. Es kommt aber doch einzig darauf an, was der Praktiker 
braucht. Andere Bedenken gibt es nicht. 

Ein elektrischer Sterilisierapparat <wie alle elektrischen Kochapparate) ist im Gebrauch 
viel zu teuer. 

Ein näheres, aber den praktischen Verhältnissen und wirklichen Erfordernissen entspre¬ 
chendes Eingehen auf die Sterilisation wäre unbedingt erwünscht gewesen. 

Im 2. Kapitel: Materia medica dentaria, das doch noch etwas ausgebaut werden dürfte, 
finden wir im 1. Abschnitt keine wesentliche Änderung. Die lokale, allgemein-pharmako¬ 
logische Wirkung der Medikamente sollte noch energischer betont werden. Der 2. Ab¬ 
schnitt ist durch neue Erkenntnisse bereichert. Ein Hinweis auf die Gefahren der Inhala¬ 
tionsnarkose muß gegeben werden. Der Scheibenkobalt hat sich mir außerordentlich be¬ 
währt, auch bei Erwachsenen. 

Im 3. Kapitel wird das Reinigen der Zähne besprochen. Die Arbeit Trauners hätte 
doch erwähnt werden müssen. 

Kapitel 4 bringt das Bleichen der Zähne, Kapitel 5 die Untersuchung der Zähne auf 

kariöse Stellen. Ich vermisse die Angabe der Bonvi 11 sehen Separationsmethode. 

Die Bohrmaschinen, Hand- und Winkelstück erfordern doch eine eingehendere Beschrei¬ 
bung, als das Kapitel sie bringt. Pflege der Instrumente u. a. Auf Kapitel 7: Haltung der 

Instrumente folgt das eingehend geschilderte und durch schöne instruktive Tafeln überaus 

leicht verständlich dargestellte Trockenlegen des Operationsfeldes in Kapitel 8. 

Zu Kapitel 9: Dentin- und Pulpaanästhesie ist zu bemerken, daß zur schmerzlosen Prä¬ 
paration der Kavitäten unterer Backenzähne die terminale Injektion so gut wie nie genügt, 
nur Leitungsanästhesie kann fast völlige Schmerzlosigkeit erzielen. Vor Geheimpräparaten 
zur Dentinanästhesie möchte ich in jedem Falle warnen, solange wir nicht sichere Kenntnis 
von deren Bestandteilen haben. 

In den Kapiteln 10—12 wird die Technik der Folienfüllung <Gold kohäsiv nonkohäsiv, 
Zinngold) in bekannter musterhafter Weise geschildert und durch Abbildungen von einer 
Schönheit und Freigebigkeit so anschaulich gemacht, wie ich das sonst nicht kenne. 

Mit Recht wird ganz besonders eingehend die kohäsive Methode des Goldfüllens be¬ 
sprochen. In diesen Kapiteln <11 — 12) kommt so ganz der tüchtige Praktiker zu Worte. 
Die kurzen Bemerkungen über Präparation der Kavitäten genügen aber den Anforderungen 
keineswegs. Ein Eingehen auf Black sehe Kavitätenpräparation ist dringend erwünscht. 
Dies hätte unbedingt in der 2. Auflage gebracht werden müssen. Auf 93 Seiten wird die 
Blattmetalltechnik besprochen. Also fast den vierten Teil des Buches einnehmend. Vielfach 
hört man, daß eine besondere Schulung in der Folienfullmethode nicht angebracht sei- 
Nichts irrtümlicher als eine derartige Anschauung. Ganz abgesehen davon, daß in vielen 
Fällen die kohäsive Goldfüllung die beste Dauerfüllung ist und immer bleiben wird, so 
läßt sich allein auf Grund der Folienfülltechnik die Kunst des richtigen Präparierens und 
peinlich genauen Arbeitens lernen. Eine gleich gute Wirkung der Einlagefüllung zu¬ 
schreiben zu wollen, wie das auch von Lehrern der Zahnheilkunde geschieht, ist ebenso 
irrtümlich. Wer länger im Lehrbetrieb steht, wird mir das bestätigen können. Diese Ka¬ 
pitel haben in der neuen Auflage keine besondere Änderung erfahren. Ich vermisse ein 
Eingehen auf die Walkhoffschen Arbeiten über das Goldfullen. 



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zur Behandlung aller septischen Prozesse. 

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Erwin Hager & Co., Düsseldorf 

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Buchbesprechungen 


123 


Kapitel 13: Das Füllen mit knetbaren Materialien bringt in aller Kürze die Technik der 
Amalgam*, Zement* und Guttaperchafüllungen. Ich stehe nach wie vor auf dem Stand* 
punkt, daß unter Silikatfüllungen nicht häufiger als unter anderen die Pulpa abstirbt. 

Kapitel 14 enthält die Lehre vom Porzellanfüllen und Kapitel 15 die über die Gold* 
einfagefüKung, wiederum durch die bekannten Farbtafeln unerreicht illustriert. Hier erkennt 
man ganz besonders den großen didaktischen Wert solcher Tafeln. 

Sehr wertvoll sind die Ausführungen über kombinierte Füllungen: Guttapercha — Amal* 
gam, Zinkenolpaste und Amalgam, Phosphatzement und Amalgam, Phosphatzement und 
Gold, Amalgam und Gold u. a. m. 

Die folgenden Kapitel 17 und 18 schildern eingehend die Pulpa* und Wurzelbehand* 
lungen. Wie aus den Ausführungen über das Goldfüllen schon der meisterhafte Praktiker 
ersichtlich ist, so gilt das für diesen ebenso wichtigen wie schwierigen Teil der konservie* 
renden Zahnheilkunde in gleichem Maße. Hier erkennt man so recht, mit welcher Liebe 
Gustav Preiswerk das ganze Gebiet durchforscht hat, wie er zu jeder Frage selbst 
Stellung genommen und dann erst darüber berichtet hat. Kein reines Sammeln und Zu¬ 
sammentragen! Der Dependorfschen Zusammenfassung in den Ergebnissen und der 
Walkhoffschen Bearbeitung in Scheffs Handbuch tritt diese Preis werk sehe Arbeit 
gleichwertig an die Seite. 

Die Lehre von den Wurzelhauterkrankungen hätte unbedingt ein weiteres Eingehen er¬ 
fordert. 

Den Schluß bilden kurze Erläuterungen zur Alveolarpyorrhoe, die doch eigentlich der 
chirurgischen Zahnheilkunde zugerechnet wird, und die Behandlung der Milchzähne/ auch 
dieses Kapitel ist zu knapp gehalten. 

Ich erinnere an meine Worte: Es ist die Praxis, die tägliche Arbeit am Ope¬ 
rationsstuhl und im Laboratorium in Worte gefaßt und in Abbildungen 
veranschaulicht. 

Die Neuauflage brachte kaum Änderungen, wesentlicher in den beiden ersten Kapiteln, 
soviel wie keine in den folgenden. 

Wir haben diese prächtige Arbeit Gustav Preiswerks kaum verändert vor uns. Aus¬ 
gezeichnete Beherrschung des Stoffes, klarer einfacher Stil, mit Sorgfalt ausgewählte und 
dargestellte, praktische, wirklich brauchbare Methoden durch eine große Zahl ganzer Tafeln 
und Abbildungen vorbildlich veranschaulicht. Das alles zusammen ist das Kennzeichen des 
Lehrbuches von Gustav Preiswerk. 

Daß die buchtechnische Ausstattung eine nicht zu übertreffende ist, ist 
kaum zu erwähnen, wenn man weiß, daß das Buch der Lehmannschen Atlanten¬ 
reihe angehört. Schöner, klarer, tiefschwarzer Druck und nicht zu enggedrängte Buch¬ 
staben auf gutem Papier, vorzügliche Textabbildungen und die unvergleichlichen fertigen 
Tafeln von der Meisterhand Hajeks. Kräftig in Leinenrücken gebunden für einen Preis 
von 90 Mark. Wer weiß, was wissenschaftliche (illustrierte) Werke heute kosten, 
dem klingt das kaum glaublich. Somit dürfen wir Autor und Verleger dankbar sein. 

Rebel. 

Festschrift zur Feier des 25jährigen Jubiläums des zahnärztlichen Universitäts¬ 
instituts Zürich 1896—1921. Herausgegeben von den Dozenten des zahnärztlichen 
Universitätsinstituts. (Druck der Buchdruckerei Berichthaus-Zürich 1921.) 

Ein stattlicher Band mit 210 Seiten Text, einer Fülle ausgezeichneter Reproduktionen 
und im übrigen von so vorzüglicher Ausstattung, daß den deutschen Leser wehmütige Er¬ 
innerungen an bessere Zeiten beschleichen wollen so präsentiert sich die der Züricher 
Kantonalregierung gewidmete Festschrift. Drei Mitarbeiter nur weist das Inhaltsverzeichnis des 
wissenschaftlichen Teiles auf/ aber ein jeder der drei — Stoppany, Heß und Gysi —> 
hat ein Bestes aus seinem reichen Schaffen gegeben, so daß das Ganze doch ein glänzendes 
Zeugnis dafür wird, was und wie am Züricher zahnärztlichen Institut gearbeitet wird. 

Aus Stoppanys Feder stammt auch der dem wissenschaftlichen Teil vorangehende hi¬ 
storische Überblick: „Geschichtliche Entwicklung des zahnärztlichen Instituts 
zur Feier des 25jährigen Bestandes". Männer ziehen da an unserm Auge vorüber. 


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Buchbesprechungen 


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die weit über die Grenzen ihres Vaterlandes hinaus berühmt geworden sind, so Billeter, 
P. A. und A. Koelliker, Bühl, Abegg, Machwürth/ Männer, die als Lehrer am 
Züricher Institut mit zäher Energie ein Hauptziel verfolgten: Ertüchtigung des Zahnarzt- 
liehen Standes. 1880 eine Prüfungsordnung, die 7 Semester Studium vorsteht, 1888 Ein¬ 
führung des Maturums, 1914 das Promotionsrecht im eignen Fache, das sind so einige 
Daten, die genugsam für sich selbst sprechen. Daß auch die Entwicklung des Instituts von 
solchen Männern, in deren Reihen 18% Stoppany und Gysi eintraten, aufs eifrigste 
gefördert wurde, braucht nicht eigens betont zu werden. 

„Über unmittelbaren Kieferersatz" lautet das Thema des Aufsatzes, den Stop¬ 
pany zum wissenschaftlichen Teil beigetragen hat. Der Aufsatz stellt eine Ergänzung zu 
früheren Arbeiten des Verfassers über das Kapitel Immediatprothese dar und beleuchtet 
erneut die hohe Bedeutung des Claude Martin sehen Prinzips. Stoppany weicht von 
diesem Prinzip nur insofern ab, als er statt des kompakten Ersatzkörpers mit seinem Kanal¬ 
system lediglich die Schablone, d. h. eine Hohlkehle aus Metall verwendet. In überaus ver¬ 
ständlicher Weise wird gezeigt, wie man durch einen in die Hohlkehle passenden Zinn- 
körper die definitive Prothese bequem und zuverlässig vorbereiten kann. Die ursprüng¬ 
liche Scheu, den Immediatersatz bis in die cairtas glenoidalis hinaufzuführen, hat Stop¬ 
pany ganz aufgegeben. Zur Sicherung des Erfolges darf nie versäumt werden, auf der 
gesunden Seite des Unterkiefers in irgendeiner Form eine schiefe Ebene anzubringen. 

„Die Erhaltung erkrankter Zähne speziell bei erkrankter Pulpa und er¬ 
kranktem periapikalem Gewebe" betitelt sich der Beitrag von W. Heß. Fast könnte 
man von einem kleinen Kompendium der konservierenden Zahnheilkunde reden, so gründlich 
sind in der Arbeit, die mit ihren über hundert Seiten den größten Raum in der Festschrift 
einnimmt, alle einschlägigen Kapitel herangezogen worden. Eigne ältere und jüngere Unter¬ 
suchungen sowie wertvolle Dissertationen aus dem Züricher Institut geben die wissen¬ 
schaftliche Grundlage, sachliche Kritik an andern Methoden und reiche Erfahrung geben 
das übrige. Mit einigen Punkten kann ich mich allerdings nicht ganz einverstanden er¬ 
klären, so z. B. daß von der Atrophie der Pulpa wiederholt als „von dieser Form der 
Pulpitis" gesprochen wird oder daß die fettige Degeneration der Pulpa hier eingereiht ist. 
Ferner fiel mir auf, daß bei der Diagnostik gar nicht des Verhaltens der zugehörigen 
Lymphdrüsen gedacht wurde. Von diesen Bemerkungen aber abgesehen wird jeder Prak¬ 
tiker die Arbeit von Heß mit Gewinn lesen. 

Die letzte Arbeit behandelt die „Kautschukvulkanisation" und ist von Gysi ge¬ 
schrieben. Bei einer Nachrechnung der Tabelle von Snow-Buffalo <im Dental Cosmos 1918) 
stellt Gysi verschiedene Fehler fest, die seiner Ansicht nach in der unrichtigen Anordnung 
der Versuche begründet sind. Gysi hat sich nun selbst neuerdings wieder mit der Frage 
der Kautschukausdehnung beim Vulkanisierprozeß und der Volumensabnahme des für die 
Platte verbleibenden Kautschuks beschäftigt und teilweise gemeinsam mit cand. med. dent. 
Meier-Olten) dabei neue, interessante Versuchswege eingeschlagen. Einige der prak¬ 
tischen Ergebnisse sind: Die Temperatur beim Vulkanisieren sollte 150° nicht übersteigen/ 
unrationelles Vulkanisieren erzeugt Formveränderungen,• statt Gips würde sich Spcnce- 
zement für das Modell besser eignen, weil es formbeständiger würde. 

Dem Gesamteindruck von der Festschrift nach möchte ich — von der oben erwähnten 
Ausstellung abgesehen — diese als eine glückliche Mischung von Wissenschaft und Praxis 
bezeichnen, und in diesem Sinne kann die Lektüre nur warm empfohlen werden. 

Euler, Göttingen. 



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ZEITSCHRIFTENSGHAU 

Über die Wasserstoffionenkonzentratfon der menschlichen Mundflüssigkeit. Von 
Emst Pohle und Erich Strebinger. D. Mschrft. f. Z. 1922, Nr. 10. 

Die Verfasser haben die wahre Reaktion des Speichels mit Hilfe der Gaskette an einer 
Reihe gesunder Personen bestimmt. Sie kommen zu folgenden Ergebnissen: 

1. es gibt Menschen, deren Speichelreaktion ausgesprochen sauer, und solche, bei denen 
diese alkalisch ist. 

2. Bei ein und derselben Person schwankt die Speichelreaktion stark während des Tages, 
ganz gering des Nachts. 

3. Die Schwankungen des spezifischen Gewichts scheinen mit denen der Wasserstoffionen * 
konzentration in Zusammenhang zu stehen. 

Für ihre Untersuchungen entnahmen Verfasser zwölfmal am Tage den Speichel, und 
zwar vom Moigen (nüchtern vor der Mundreinigung) bis 2 Uhr nachts. Die Untersuchung 
fand sofort nach der Speichelentnahme statt, um Veränderungen durch Stehen an der Luft 
zu vermeiden. 

Auf Grund ihrer Befunde kommen die Verfasser zum Schlüsse, daß wir bezüglich der 
Erforschung der Beziehungen zwischen Karies und Speichelreaktion noch weit vom Ziele 
entfernt sind, daß nur jahrelang in Schulzahnkliniken usw. durchgeführte Untersuchungen 
uns diesem Ziele näherbringen können. Faulhaber. 

Todesfall in Chloräthylnarkose. Von den Gerichtsärzten Dr. Courtois-Suffit und 
Dr. Bourgeois. L'Odontologie, 1921, Nr. 5. 

Über Aufforderung der Staatsanwaltschaft hatten die Verfasser die Autopsie bei einer 
jungen Dame vorzunehmen, welche bei einem Dentisten gestorben war, als dieser einen 
anderweitig frakturierten Zahn extrahieren wollte, wobei ein Doktor der gesamten Heil» 
künde nach sehr sorgfältiger Untersuchung der Patientin die Chloräthylnarkose durch» 
führte. Es wurde eine kleine Gazemaske verwendet. Nach Anwendung von „deux am- 
poules de chlorure d'ethyle" schlief die Patientin ein. Der erste Extraktionsversuch miß» 
lang. Es wurde noch eine dritte Ampulle gegeben. Die Atmung stockte, sofort wurde 
die Patientin auf den Boden gelegt und künstliche Atmung eingeleitet, Sauerstoff, Äther, 
Koffein angewendet, noch ein dritter Operateur zu Hilfe gerufen. Nach einer Stunde gab 
man die Wiederbelebungsversuche auf. Der Gatte der Patientin, welcher allen Vorberei» 
tun gen beigewohnt hatte, erhob keine Klage, da er niemand anzuklagen hatte, jedoch 
wünschte die Staatsanwaltschaft eine Aufklärung des Falles. Die Sektion ergab vollständig 
normale Verhältnisse der inneren Organe, als Todesursache wurde Herzstillstand in Chlor» 
äthylnarkose konstatiert. — Die Verfasser berichten ferner über einen andern Todesfall, 
den sie im Kriege anläßlich Behandlung einer leichten Oberarmverletzung beobachten 
konnlen. Auch hier war der Vorgang der gleiche: Anlegen der Maske, Narkose, Ent¬ 
fernen der Maske, vergeblicher Versuch des Operateurs, daher neuerliches Auflegen der 
Maske, neuerliche Narkose — Exitus. Auch andere Autoren (Malherbe und Laval, 
Haslebacher) warnen vor wiederholter Anwendung des Chloräthyls in derselben Nar¬ 
kose. Des weiteren wird über Methode und Technik dieser Narkose gesprochen — ad» 
ministration brutale und ä doses fil£es über die Anwendung von Narkosekorb, Maske 
und Gaze und schließlich die berechtigte Warnung ausgesprochen, auch die Chloräthyl» 
narkose nicht als ungefährlich anzusehen und daran zu denken, daß es keinen noch so 


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Zeitschriftenschau 


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kleinen Eingriff, keine noch so geringfügige Manipulation des Arztes gibt, die nicht unter 
Umständen die Quelle von Schwierigkeiten und Gefahren werden kann. 

Kronfeld, Wien. 

Die periapikalen Infektionen und ihre Beziehungen zum Allgemeinzustand der 
Kranken. Von P. Housset, Paris. I/Odontologie, 1921, Nr. 10, 11, 12. 

Alle unsere Bemühungen, alle unsere Untersuchungen müssen diesem Problem gewidmet 
werden, welches das Allgemeinwohl unserer Patienten betrifft. Die alte Frage wurde neuer¬ 
dings in Amerika aufgeworfen, die zahlreichen Arbeiten widersprechen sich aber in mancher 
Hinsicht. In der Societe d'Odontologie erschienen folgende einschlägige Arbeiten: Mendel 
Joseph/ Periapikale Herde und ihre Bedeutung für den Organismus, Juli 1920 und März 1921. 
Georges Villain: Modifikationen der Wurzelbehandlung, Februar 1920. Roy: Die Be¬ 
handlung infizierter Zähne, Februar und März 1921. P. Housset: Bemerkungen zur 
Frage der periapikalen Herde, März 1921. Hui in: Experimentelle Studie über einige all¬ 
gemeine Folgezustände, ausgehend von Zahninfektionen, Mai 1921. Frey und Ch. Ruppe ^ 
Schlußfolgerungen zu der Frage der periapikalen Herde, Juni 1921. Pailliottin: Ist die 
Pulpektomie eine gefährliche Operation? Juli 1921. — 

Ohne Radiographie ist diese Frage nicht zu lösen, nur sie enthüllt uns oft unerwartete 
oder vermutete Herde. Bevor man an die Behandlung einer penetrierenden Karies geht/ 
sollte man stets eine radiographische Aufnahme machen, um etwaige Komplikationen auf¬ 
zudecken und mit Rücksicht auf spätere Verantwortlichkeit ein Dokument in Händen zu 
haben. Freilich ist die Deutung der Bilder nicht immer leicht und setzt gründliche ana¬ 
tomische und pathologische Kenntnisse voraus. Nur große Übung und Erfahrung schützt 
da vor Irrtümem. Bei mehrwurzeligen Zähnen muß man oft mehrere Aufnahmen machen, 
auch müssen die Aufnahmen desselben Zahnes vor, während und nach der Behandlung 
wiederholt werden, um Fortschritte und Erfolg der letzteren überprüfen zu können. 

Verfasser zieht vier Themen in den Kreis seiner Betrachtungen: 

a) Der Zahn mit penetrierender Karies. Bei Behandlung der Pulpitis zitiert er einen Aus¬ 
spruch von Mendel-Joseph: Es ist schwieriger, einen Zahn aseptisch zu behandeln, als 
eine Blinddarmoperation zu machen. Die Pulpabehandlung ist eine delikate chirurgische 
Operation, welche streng nach den Vorschriften der Chirurgie durchgeführt werden muß. 
Ein reines Operationsfeld ermöglicht nur der Kofferdam, welcher vor der Verwendung 
sterilisiert werden soll, ebenso muß mit sterilen Instrumenten und in Gummihandschuhen 
gearbeitet werden. Ist die Pulpa abgestorben, so besteht immer auch eine periapikale In¬ 
fektion, wobei es sich um eine rarefizierende Alveolitis, um direkte Schädigung der Wurzel- 
spitze, des Wurzelzementes oder des Ligamentes handeln kann. Aus infizierten Pulpen 
hat man neben anderen Bakterien am häufigsten Streptokokken gezüchtet, welche nach 
Untersuchungen französischer Autoren weniger aktiv und weniger virulent sind als die 
Streptokokken bei Erysipel, Blattern, Scharlach usw. 

b> Die rarefizierte und infizierte Zone erscheint im Röntgenbilde zirkumskript oder diffus, 
zumeist ist dabei Apex, Zement und Ligament <i. e. Periodontium) mehr oder weniger an¬ 
gegriffen. 

c) Der infektiöse Herd und der Allgemeinzustand. In diesem Punkte widersprechen sich 
große Gruppen von Autoren. Die Möglichkeit eines Zusammenhanges ist natürlich nicht 
von der Hand zu weisen. Aber man darf aus dieser Hypothese nicht den Schluß ziehen, 
wie es manche Autoren tun, daß die Zahnheilkunde in ihren Konservierungsbestrebungen 
zu weit geht, daß jede Pulpektomie eine Infektion des Zahnes bedeutet usw. Für uns 
Zahnärzte besteht das Problem einfach darin, daß wir in allen Fällen und mit allen Mitteln 
trachten müssen, periapikale Infektionen auszuschalten, auch wenn es sich herausstellen 
sollte, daß zwischen ihnen und Allgemeinerkrankungen kein Zusammenhang besteht. Dies 
können wir auch, ohne unseren konservierenden Prinzipien untreu zu werden. Verfasser 
bespricht nun die Behandlung der Wurzelkanäle, der Seitenkanälchen und der Regio peri- 
apicalis und betont, daß nicht ein einzelnes Medikament oder eine bestimmte Methode an¬ 
gewendet werden dürfe, sondern eine Auswahl, eine Kombination von verschiedenen Ver¬ 
fahren je nach der Diagnose und den Indikationen des einzelnen Krankheitsfalles. 



Jriqi na MTom __ _ 

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Zeitschriftenschau 


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Klasse I, zirkumskripter Herd. 

Gruppe 1. 

Zirkumskripter Herd von geringer Ausdehnung, Wurzelspitze und Periodontium intakt, 
keine oder sehr geringe klinische Symptome. Prognose günstig, Behandlung durch den 
Wurzelkanal. 

Gruppe 2. 

Zirkumskripter Herd von geringer Ausdehnung, Wurzelspitze intakt, Periodontium in 
geringer Ausdehnung erkrankt. Keine oder geringe klinische Symptome. Prognose günstig, 
Behandlung durch den Wurzelkanal. 

Gruppe 3. 

Derselbe Fall, aber mit erodierter Wurzelspitze. Versuch einer Behandlung durch den 
Wurzelkanal, falls diese nicht rasch gelingt, chirurgische Behandlung. 

Klasse II, diffuser Herd. 

Gruppe 1. 

Herd ohne scharfe Konturen, mit Ausbuchtungen, von geringer Größe. Wurzelspitze 
und Periodontium intakt. Versuch einer medikamentösen Behandlung, bei Nichtgelingen 
derselben alsbald Operation. 

Gruppe 2. 

Diffuser Herd von größerer Ausdehnung, Wurzelspitze und Ligament erkrankt, deut¬ 
liche klinische Symptome. Sofortige Radikaloperation. 

Gruppe 3. 

Derselbe Fall, Periodontium bis an den Gingivalrand erkrankt. Prognose ungünstig, 
Extraktion des Zahnes. 

Gruppe 4. 

Komplikationen seitens der Nebenhöhlen. Extraktion. 

d> Gesunder Zahn mit normaler Pulpa. Soll man solche Zähne zu Zwecken der Pro¬ 
these devitalisieren ? Soll man überhaupt weniger devitalisieren ? Oder besser gesagt, „ent¬ 
nerven 4 ' (depulper), denn um eine wirkliche Devitalisation des Zahnes handelt es sich 
eigentlich nicht. Verfasser ist der Ansicht, daß man Pulpen in gesunden Zähnen nach 
Möglichkeit in Ruhe lassen soll. Demgemäß sollten auch viel weniger Kronen und Brücken 
gebaut werden, sondern mehr abnehmbare Prothesen, bei welchen die Gefahren einer oder 
mehrerer Pulpabehandlungen vermieden werden können. Er zitiert einige Aussprüche be¬ 
kannter Autoren als Stützen seines Standpunktes. Von Mendel-Joseph rührt z. B. der 
Satz her: Jedesmal wenn ich gezwungen bin, eine Pulpa abzutöten, tue ich dies wider¬ 
willig, weil man nie vor Komplikationen sicher ist und es zahlreiche Schwierigkeiten dabei 
geben kann. W. Hunter nennt Brücken „ein goldenes Mausoleum über einer Senkgrube". 
(Referent ist in mancher Hinsicht durchaus anderer Ansicht, hält sich aber gleichwohl ver¬ 
pflichtet, die interessante Arbeit deutschen Leserkreisen zugänglich zu machen). — 

Schließlich wird noch das Verhalten der Zahnärzte gegenüber den anderen Ärzten in 
der Frage der Oral-Sepsis berührt. Der Radiologe liefert uns das Bild, aber die Deutung und 
der Konnex mit dem klinischen Bild ist Sache des Zahnarztes. Ebenso müssen wir mit 
dem Internisten in Verbindung bleiben, doch ist es nicht seine Aufgabe, Erkrankungen 
am Zahnsystem zu diagnostizieren und uns Vorschriften über unser Vorgehen zu geben. 
Wenn er nach Ausschaltung aller anderen kausalen Momente die Ursache einer Erkran¬ 
kung im Zahnsystem vermutet, ist es wieder unsere Aufgabe, den infektiösen Herd auf¬ 
zusuchen und in der uns richtig erscheinenden Weise, sei es medikamentös oder chirur¬ 
gisch, sei es konservativ oder durch Extraktion zu beseitigen. Kronfeld, Wien. 

Experimentelle Studie über Allgemeinerscheinungen ausgehend von Zahninfek¬ 
tionen. Von M. Chactas-Hulin. L'Odontologie, 1922, Nr. 1. 

Zahlreiche Arbeiten bestätigen die Tatsache, daß infektiöse Herde an den Zähnen Mikro¬ 
organismen beherbergen, welche fähig sind, bei anderen Individuen die gleichen Läsionen 


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Zeitschriftenschau 


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zu setzen, wie sie der erste Krankheitsträger aufwies. Ohne experimentcUe bakteriologische 
Nachprüfung ist diese wichtige Frage nicht zu lösen. Der Verfasser berichtet über 10 Tier* 
versuche, die er in der Weise durchführte, daß er aus Wurzelkanälen von Zähnen mit 
penetrierender Karies Bakterienkulturen züchtete und letztere in kleinen, wiederholten Dosen 
den Versuchstieren injizierte. Bei den 10 Zähnen, deren Kanalinhalt in diesen Versuchen 
verwendet wurde, zeigte es sich, daß die mit den gewöhnlichen Mitteln behandelten und 
gefüllten Zähne alle möglichen Mikroorganismen, darunter in 7 Fällen Streptokokken in 
ihren Wurzelkanälen enthielten. Eine solche Streptokokkenkultur — sie stammte aus 
einem Molaris mit Karies vierten Grades von einer Patientin mit akuter Cholecystitis - 
wurde zu Injektionsversuchen bei einem Kaninchen verwendet. Bei der Autopsie zeigten 
Leber und Gallenblase des Tieres hochgradige entzündliche Veränderungen, in letzterer 
wurde derselbe Streptokokkus nachgewiesen, welcher dem Molaris der Patientin entnommen 
war. Eine andere Streptokokkenkultur rührte aus einem Zahne einer Patientin mit chro¬ 
nischer Appendicitis her. Auch hier fand sich bei der Autopsie des Versuchstieres eine 
deutliche Appendicitis, bakteriologisch wurde derselbe Streptokokkus nachgewiesen wie in 
den kariösen Zähnen und im operierten Appendix der Patientin. Außerdem zeigten sich 
bei dem Versuchstiere entzündliche Veränderungen in den Nieren. Bei einem dritten Ver¬ 
suche, die Kulturen entstammten dem Zahne einer Patientin mit akutem Gelenkrheuma¬ 
tismus, ging das Kontrollier an Erysipel und allgemeiner Septikämie zugrunde, die Au¬ 
topsie ergab keine auffallende Organveränderungen. Trotz dieser Konstatierungen kann 
man keineswegs mit voller Bestimmtheit behaupten, daß die infektiösen Herde in den 
Zähnen immer die Ursache von Allgemeinerkrankungen sind, da es bekanntlich eine große 
Anzahl von Menschen gibt, welche solche Herde im Munde haben und sonst keinerlei 
Organerkrankungen aufweisen. Jedenfalls sind aber solche bakteriologische Nachweise von 
großem Interesse und verpflichten den Zahnarzt, jeden infektiösen Herd am Zahnsystem 
zu eliminieren, sei es auf chirurgischem Wege, sei es durch sorgfältige medikamentöse 
Behandlung. KrönfeId, Wien. 


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Origir alirorru ^ 

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BEITRÄGE ZUR DENTALEN KIEFERCHIRURGIE 

1. KRITISCHE BETRACHTUNGEN ZUR RADIKAL-CHIRUR¬ 
GISCHEN BEHANDLUNG DER SOG. ALVEOLARPyORRHOE 1 

VON 

PROFESSOR DR. MED. DENT. ROBERT NEUMANN, BERLIN 

I n Heft 2 1921 dieser Zeitschrift habe ich die radikal-chirurgische Behand¬ 
lung zur Heilung der sogenannten Alveolarpyorrhoe empfohlen. Zu meinen 
folgenden Ausführungen wurde ich veranlaßt durch die vielen Anfragen 
von Kollegen, aus denen hervorgeht, daß betreffs der Operationstechnik 
Mißverständnisse bestehen, sowie durch die Stellungnahme Gottliebs zu 
meiner Operationsmethode, die er in Köln gelegentlich der Tagung des 
Vereins deutscher Zahnärzte im Rheinland und Westfalen im April 1922 
zum Ausdruck brachte. 

Gottlieb betonte in seinem Vortrage, daß er in der radikal-chirur¬ 
gischen Behandlung auf Grund seiner mikroskopischen Untersuchungen eine 
Schädigung für den Patienten deswegen sehen müsse, weil ein unnötiger 
Substanzenverlust an Knochen geschaffen würde. 

Diese wichtige Spezialfrage möchte ich an dieser Stelle kritisch beleuchten. 
Zunächst muß ich betonen, daß Gottlieb, wie aus seiner Beantwortung 
meiner im Anschluß an seinen Vortrag an ihn gerichteten Fragen, 

1. wieviel Fälle er nach meiner Methode behandelt habe, 

2. welche Schädigungen er klinisch an den nach meiner Methode behan¬ 
delten Fällen habe feststellen können, hervorgeht, überhaupt noch keinen 
Fall radikal-chirurgisch behandelt hat, noch eine solche Operation gesehen 
oder gar Gelegenheit genommen hat, sich von den Dauererfolgen, wie ich sie 
seit Jahren erziele, zu überzeugen. Es drängt sich mir daher die Frage auf, 
welche Berechtigung er hat, über eine ihm unbekannte Operationsmethode 
ohne jede klinische Erfahrung ein derartiges Urteil zu fällen und somit vor 
Anwendung dieser Methode in der Praxis zu warnen, zumal mir und vielen 
anderen Kollegen der effektive Nutzen der von mir geübten radikal- 
chirurgischen Behandlungsmethode als feststehende Tatsache bekannt ist. 

1 Vortrag gehalten mit Lichtbildern in der norwegischen zahnärztlichen Gesellschaft in 
Kristiania am 30. Juni 1922. 

Vierteljahrs&rift für Zahnheilkunde, Heft 2 9 


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130 


Robert Neumann 


Göttlich sicht nämlich die Schädigung in der Abtragung des Knochens, 
da, wie ein Anhänger seiner Theorie es kürzlich ausgedrückt hat, „der ge¬ 
sunde Knochen als ein besonders wertvolles Gut" anzusehen sei. Hier steht 
Gottliebs rein theoretischen Betrachtungen meine umfangreiche klinische 
Erfahrung diametral gegenüber. 

Mikroskopisch mögen jene Knochenteilchen, deren Entfernung ich 
fordere, d. h. Knochenbälkchen, die für den scharfen Löffel als nicht mehr 
im Zusammenhang mit dem Spongiosagerüst stehend sich zu erkennen geben, 
vielleicht in einer noch als regenerationsfähig anzusprechenden Weichteil¬ 
umgebung sich befinden. Klinisch feststellbare Tatsache ist aber, daß, 
wenn ich auf Grund obiger Überlegung solche Knochenteilchen und ihr ver¬ 
ändertes Markgewebe schonte, Rezidive ein traten. Solange daher nicht 
ein röntgenologischer Nachweis der supponierten Knochenneu¬ 
bildung an geeignetem Material erbracht wird, muß ich für meine 
praktisch klinischen Erfahrungen gegenüber rein theoretischen 
Einwendungen das Schwergewicht beanspruchen. Aber selbst, 
wenn dieser Beweis erbracht würde, so bleibt doch das von mir 
in Heft 2 geäußerte Bedenken bestehen, daß bei der von Gott¬ 
lieb geübten Behandlungsmethode, d. h. beim Arbeiten im Dun¬ 
keln jenes nach seiner Ansicht regenerationsfähige Gewebe, in 
den meisten Fällen nach unvermeidlicher Verletzung des Stra¬ 
tum periostale wahllos und rücksichtslos zerstört wird, und so¬ 
mit die Vertikalatrophie nur vertiefen und auch gesunden 
Knochen verletzen wird, d. h. Gottliebs Betrachtungen sind nur 
rein theoretischer Natur und lassen sich nicht in die Praxis 
übersetzen. 

Ferner sei nach Gottlieb die Erhaltung und Schonung des Knochens 
mit Rücksicht auf die Festigkeit des Zahnes geboten. Die klinische Beob¬ 
achtung lehrt uns aber, daß der Umfang der Alveole für die Festigkeit des 
Zahnes von nicht so großer Bedeutung ist. Ich verweise auf die diesbezüg¬ 
lichen Ausführungen in Weskis Arbeit. Außerdem dürfte durch die von 
mir stets so nachdrücklich verlangte Schienung der Zähne die Gefahr einer 
weiteren Lockerung nach Abtragung feinster Knochenspitzchen und Knochen¬ 
kanten wohl kaum in Frage kommen. 

Unbestritten behält aber die radikal-chirurgische Behandlung 
ihre Bedeutung für die Behandlung von intraalveolären Formen 
der sogenannten Alveolarpyorrhoe. Da nun aber diese unter sich 
gehenden Knochennischen häufig weder röntgenologisch noch klinisch feststellbar 
sind, so müssen sie Gottliebs Beobachtungen und seiner Behandlung ent¬ 
gangen sein, da er sie nur nadh breiter Freilegung des Krankheitsfeldes hätte 
entdecken können. Daß aber andererseits ihre Behandlung unbedingt not¬ 
wendig ist, dürfte kaum einem Zweifel unterliegen. Ein typisches Beispiel 
für meine Behauptung war der in Köln von mir in dem Fortbildungskursus, 
den ich auf Veranlassung des zahnärztlichen Komitee für Fortbildungskurse 
im Rheinlande am 22. April 1922 abhielt, operierte Fall. Es zeigte sich an 


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Beiträge zur dentalen Kieferdiirurgie 


131 


einem oberen seitlichen Schneidezahn klinisch, daß der Zahn medial, labial 
und palatinal von festem Knochen umgeben war,* auf der distalen Seite war 
eine vertikale Atrophie festzustellen. 

Nach der Aufklappung zeigte sich, 
daß von dieser distalen Nische aus 
eine unter sich gehende Knochennische 
nach palatinal sich entwickelt hatte. 

Dieser Fall zeigt jedem, der die diesbe- 
züglichen pathologisch-anatomischen 
Verhältnisse klar vor Augen hat, daß 
hinsichtlich der Therapie wohl kaum 
ein anderer Weg als die radikal- 
chirurgische Behandlung in Frage 
kommt. 

Gottlieb sagt in seiner Arbeit 
„Zur Ätiologie und Therapie der 
Alveolarpyorrhoe", österreichische 
Zeitschrift für Stomatologie, 1920, 

Heft 2, S. 81: „In manchen Fällen 
zeigen hochgradig gelockerte Zähne 
akute Erscheinungen, teils Pulpitiden, 
teils paradentale Eiterungen. 

Es sind das Zähne, die gleich zu Be¬ 
ginn der Behandlung hätten geopfert 
werden sollen." Hiergegen möchte 
ich behaupten, daß Zähne, bei denen 
sieb „paradentale Eiterungen" zeigen, nicht geopfert werden brauchen, audi 
nicht in schon fortgeschrittenerem Stadium, wenn man durch geeignete 
Behandlung den ohne Aufklappung 
sehr schwer angreifbaren Krankheits- 
herd, z. B. Fig. 1, der die Veranlassung 
zu den paradentalen Eiterungen ist, 
erreicht, energisch angreift und be- 
seitigt. Gottlieb trägt nur die taschenbilden- 
den Zahnfleischpartien ab, läßt also die 
Knochentaschen unberücksichtigt. Es ist mir 
in vielen Fällen gelungen, nach breiter Auf- 
klappung im Gewebe, das sich in Knochen- 
taschen befand, Zahnstein bzw. Konkremente 
zu finden, die bei der Entfernung der 
Konkremente von der Wurzeloberfläche in 
das Gewebe hineingesprengt worden waren. 

— Ich entferne Zahnstein soweit als möglich vor der Operation. — Was 
wird aus diesen Konkrementen, und wie wirkt deren Verbleiben im Ge- 
w'ebe? An der Hand von Präparaten, die ich von Patienten gewonnen 

9* 



Fie. 2 



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132 


Robert Neumann 


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habe, werde ich über 
diese klinisch wich¬ 
tige Frage in einer 
späteren Arbeit ein¬ 
gehend berichten. 

Was nun Gott¬ 
liebs Arsen therapie, 
die er auf Grund 
seiner mit Arsen ge¬ 
fütterten Ratten und 
seiner Theorie von 
der Stellung des Ze¬ 
ments im paradenta¬ 
len Gewebsverbande 
aufgebaut hat, be¬ 
trifft, so interessiert 
sie nur in ihrer Aus¬ 
wirkung vom Stand¬ 
punkt des Prakti¬ 
kers. Bekanntlich sieht 
Gottlieb den Kno¬ 
chenschwund als physiologisch gegeben an, der nur durch Apposition von 
sekundärem Zement aufgehalten werden könne. Da er beobachtet haben 
will, daß durch Arsengaben die Zementbildung gefördert wird, schlägt 
er eine Arsenthe¬ 
rapie vor, um auf 
dem Umweg über 
die Zementanlage- 
rung den Knochen¬ 
schwund aufzuhal¬ 
ten und damit das 
ätiologische Mo¬ 
ment für die Pyor¬ 
rhoe zu beseitigen. 

Die Praxis beweist, 
daß die Arsenthera¬ 
pie bei der Pyorrhoe 
intraalveolaris so¬ 
wie in schweren 
Fällen jeder ande¬ 
ren Form der Pyor- 
rhoeüberhaupt nicht 
den geringsten Ein¬ 
fluß hat, daß da¬ 
gegen ohne Arsen- I'ig. 3a. Linguale Seite 




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^Original frgm _ _ _ ^ 

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Beiträge zur dentalen Kieferdiirurgie 


133 


therapie radikal-chirurgisch behandelte Fälle sicher heilen. Es muß aber 
angesichts der an sich schon großen Unsicherheit, die in der ganzen 
Frage der Pyorrhoebehandlung besteht, nachdrücklichst vor derartigen 

Experimenten auf Grund rein theo- 
retischer Betrachtungen gewarnt 
werden, damit die Praktiker vor 
einer zweiten Enttäuschung, gleich 
der ihnen von Beyer bereite- 
ten, bewahrt bleiben. Soweit die 
Arsentherapie zur Hebung der 


Fig. 4 a 




Fig. 4 


Konstitution in Frage kommt, ist ihre Wirkung förderlich und bekannt. 

Ribbert sagt in seinem Lehrbuch der Allgemeinen Pathologie und der 
Pathologischen Anatomie: „Virchow führte 
ferner die pathologische Anatomie auf ihren 
wahren Wert zurtidc, indem er darlegte, daß 
sie durch Beobachtung am Krankenbett 
und durch Experiment unterstützt werden 
muß, um allseitig befriedigende Resultate zu 
liefern.'' Dieser Satz sollte auch als Leitsatz 
dienen für die hier behandelten Fragen. 

Im folgenden möchte ich noch kurz auf 
einige Anfragen aus Kollegenkreisen zurück** 
kommen und einige Aufklärungen zu geben 
versuchen. Ich trage keineswegs bei jeder ver- 
tikalen Atrophie den ganzen intraalveolären 
Knochen ab, sondern unterscheide ganz genau 
von Fall zu Fall, nach dem klinischen Be¬ 
funde nach Freilegung des Krankheitsbildes, 
wie der Knochen vorbereitet werden muß, 
wenn eine Heilung erzielt werden soll, — bei größter Schonung des Knochens. 
Ist zum Beispiel, wie in Fig. 2 und 4 angedeutet, eine vertikale Atrophie vor¬ 
handen, die sich nur labialwärts entwickelt hat, während der Knochen auf 



Fig. 5 

n bukkale papierdünne Knochcnlamelle, 
b inrraalveoläre Knodientasche, c nadi 
lingual fester Knochen 


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134 


Robert Neumann 


der lingualen Seite vollständig erhalten ist <Fig. 3a>, so nehme ich nur die 
labiale Knochenlamelle weg und bereite den Knochen, wie in Fig. 3 ange- 

deutet, vor. Hierüber wird dann die Schleimhaut 
gedeckt, so daß sich nach Heilung ein Bild ergibt, 
wie es z. B. Fig. 4 und 4a 1 zeigen. In Fig. 5 habe 
ich durch einen Schnitt die Verhältnisse dargestellt, 
wie sie sich in solchen Fällen sehr häufig nach 
breiter Freilegung des Krankheitsherdes dem Auge 
darbieten. Man sieht bei b eine deutliche Knochen¬ 
atrophie, (i ist eine dünne noch vorhandene Knochen¬ 
lamelle, bei c sicht man festen Knochen. Hier wird 
also der Knochen, wie in Fig. 3 angedeutet, ab¬ 
getragen. Ist dagegen eine vertikale Atrophie nach 
mehreren Seiten vorhanden, so daß sich gewisser¬ 
maßen nur noch eine Knochenspitze wie in Fig. 6 
zeigt, dann trage ich diese Spitze ab, um die verti¬ 
kale Atrophie in eine horizontale umzuwandeln, 
w'ie in Fig. 7 angegeben. Fig. 8 zeigt einen solchen 
operierten Fall nach der Heilung. 

Eine weitere Frage, die häufig an mich gerichtet 
worden ist, ist die, ob tatsächlich lingual und pa¬ 
latinal eine exakte Aufklappung möglich ist. Ich be¬ 
tone ausdrücklich, daß sehr wohl bei geeigneter 
Operationstechnik von einem geübten Operateur 
die Aufklappung auch lingual und palatinal in 
den meisten Fällen ausführbar ist, wenn auch zugegeben w r erden muß, daß 
sie besonders lingual einen technisch schwierigen Eingriff darstellt. Besonders 

möchte ich vor einer Zerreißung der 
Schleimhaut nach dem Mundboden zu 
dringend warnen. Die Fragen, soweit 
sie die feinere Operationstechnik und das 
kosmetische Moment bei der Behandlung 
betreffen, werde ich in einem späteren 
Heft dieser Zeitschrift an photographi¬ 
schen Aufnahmen von den von mir be¬ 
handelten Patienten eingehend beant¬ 
worten unter Berücksichtigung der im 
Dental-Cosmos April 1921 erschienenen 
Arbeiten und der darin enthaltenen 
Bilder. 1. „Surgical Treatment ofPyor- 
rhoea". By Alonzo Milton Nodine, D. 
D. S. New York und 2. Gingivo- 
ectomy. By William Ziesel, D. D. S. Philadelphia, über die ich bei Ab¬ 
haltung dieses Vortrags in Kristiania eingehend berichtet habe. 

1 Der Fall wurde mir nadi Schicnung zur Operation überwiesen. 


_ Qrigiral frcm _ ^ 

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Fig. 7 


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Beiträge zur dentalen Kieferdiirurgie 


135 


Als Injektionslösung benutze ich ausschließlich nur 2% Novokainlösung, die 
mir auch bei ausgedehnten Operationen in einer Sitzung z. B. vom mittleren 
Schneidezahn bis zum Weisheitszahn im Oberkiefer die denkbar besten 
Dienste geleistet hat. Ich glaube, daß die Injektionstechnik eine viel größere 
Beachtung verdient, als es vielfach in der Praxis üblich ist, und daß eine 
4proz. Novokainlösung in der zahnärztlichen Chirurgie bei genauester Im* 
jektionstechnik vollkommen entbehrt werden kann. Die radikal-chirurgische 
Behandlung habe ich im Alter von 24—55 Jahren ausgeführt. Bei Diabe¬ 
tikern habe ich stets den Eingriff vom Urteil des behandelnden Arztes ab¬ 
hängig gemacht. Bei leichten Fällen besteht gegen den Eingriff kein Bedenken. 
Wenn ich in Heft 2 dieser Zeitschrift schrieb, daß ich die „breite Freilegung 
des Krankheitsfeldes vom Alveolarrande bis zur Wurzelspitze fordere", so 
möchte ich ausdrücklich feststellen, daß dieser Satz natürlich nur dann seine 
Berechtigung hat, wenn z. B. eine vertikale Atrophie bis zur Wurzelspitze 
reicht. Im allgemeinen wird selbstverständlich Schleimhaut und Periost nicht 
weiter vom Knochen gelöst, als zur Übersicht des gesamten Krankheitsherdes 
notwendig ist, insbesondere bei ausgesprochener horizontaler Atrophie, d. h. 
man wird in jedem Falle individualisieren müssen. 


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DIE AKUTE ZAHNWURZELHAUTENTZÜNDUNG 
UND IHRE BEHANDLUNG 

VON 

IMM. OTTESEN 

PROFESSOR AM ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUT KRISTIANIA 

U nser Arbeitsgebiet hat sieb schon längst von der technisch-mechanischen 
Odontologie dahin entwickelt, daß sie jetzt auch Stomatologie umfaßt. Die 
moderne Behandlungsmethode bei einer Reihe von pathologischen Zuständen 
der Pulpa und des extradentalen Gewebes erfordert medizinische Kennt¬ 
nisse. Wir sollten mit der elementaren Mikrobiologie vertraut sein. Den 
Nutzen merkt man täglich in der Praxis. Physiologische, chemische und patho¬ 
logische Kenntnisse bilden einen der Grundpfeiler bei der präventiven Karies¬ 
behandlung. Die ausgedehnte Anwendung von lokalen Betäubungsmitteln 
erfordert eingehende Kenntnisse der Anatomie und Pharmakologie. Die letzt¬ 
jährigen Forschungen mit Bezug auf Infektionen septischer Foci in den 
Kiefern zwingen uns, mehr medizinisch zu denken. Wir dürfen nicht aus¬ 
schließlich die Zahnkronen untersuchen, sondern sollten auch Zysten, Abszesse, 
Gingivitis und Alveolarpyorrhöe diagnostizieren können. Das infektiöse Virus 
sowohl von Schleimhautaffektionen wie Abszessen kann sich lokalisieren und 
andere Organe infizieren, eine Infektion, die oft verhängnisvolle Folgen für 
den Patienten haben kann. 

Eine die größte Aufmerksamkeit erfordernde Zahnkrankheit ist die akute 
Wurzelhautentzündung, denn eine rationelle Behandlung kann dem Patienten 
viele Leiden und ernstliche Komplikationen ersparen. 

Wenn ich dies Thema gewählt habe, so hat dies teils seinen Grund darin, 
daß ich mich die letzten 11 Jahre etwas mit dieser Behandlung beschäftigt 
habe, und andrerseits, weil ich glaube, es könnte meine geehrten Kollegen 
interessieren, dieses Thema zu diskutieren. 

Was die Geschichte der Krankheit betrifft, so kann man mit Sicherheit 
davon ausgehen, daß sie die Menschen geplagt hat, lange bevor die Sonne 
der Zivilisation über ihren Köpfen aufgegangen ist. In Kranien aus der vor¬ 
geschichtlichen Zeit findet man über den Wurzelspitzen Kavernen, die durch 
Entzündung, die von dem Foramen apicale ausgegangen ist, entstanden 
sind. In der chinesischen medizinischen Literatur, etwa 2000 Jahre v. Chr., 


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Die akute Zahnwurzelhautentzündung und ihre Behandlung 


137 


werden die Symptome der akuten Periodontitis beschrieben. Im Altertum 
wie auch im Mittelalter zeigt es sich, daß medizinische Verfasser auf die 
Krankheit aufmerksam gewesen sind. 

Die Ätiologie der Krankheit ist in den meisten Fällen leicht festzustellen. 
Die Infektion der Wurzelhaut entsteht am häufigsten dadurch, daß Mikro* 
Organismen, Toxine und Ptomaine aus dem Wurzelkanal durch das Foramen 
dringen. Dies kann gradweise aus einem gangränösen Wurzelkanal geschehen, 
indem genügend Nahrungssubstrat in Form von Serum aus der Wurzelhaut 
durch das Foramen apicale hindurchsickert. Dadurch wird die Virulenz der 
Bakterien erhalten, und es geht ein spontanes Durchdringen der Mikro* 
Organismen durch das Foramen apicale vor sich. Gewöhnlich ist dies der 
Fall, wenn das Foramen apicale weit ist. — Die Wurzelhaut wird aber 
oftmals auch durch eine mechanische Behandlung des Wurzelkanals infiziert. 
Nervenextraktoren, Wurzelkanalerweiterer und glatte Nadeln können durch 
eine unvorsichtige Manipulation Infektionsstoffe in die Wurzelhaut bringen, 
und eine akute Perizementitis ist in der Regel die Folge. Durch ein Zu* 
stopfen eines mit gangränösen Pulpateilen gefüllten Wurzelkanals von der 
Mundhöhle ab werden in vielen Fällen die bei Pulpadekompositionen gc* 
bildeten Gasarten <H 2 S und NH 3 > das infektiöse Virus durch die Foramen 
pressen. 

Die Intensität der Infektion beruht in erster Linie auf der in der Wurzel* 
haut eingedrungenen Virulenz der Bakterien und dem Giftigkeitsgrad der 
vorhandenen Toxine und Ptomaine. Bei den am meisten bösartigen Peri* 
zementitiden habe ich durch Kultur Staphylokokken und Streptokokken ge* 
funden, und es besteht wohl kein Zweifel, daß das Vorhandensein von z. B. 
Kadaverin und Neuridin in der gangränösen Pulpa die Intensität der In* 
fektion erhöhen kann. Miller meint sogar, daß eine bösartige Infektion der 
Wurzelhaut in gleich hohem Grade von den in der Pulpa vorhandenen 
Fäulnisprodukten wie von Bakterien abhängig sein kann. 

Man kann wohl davon ausgehen, daß die Wurzelhautentzündung ähnlich 
wie bei einer Pulpitis, einer Mischinfektion zuzuschreiben ist, und daß sie 
nicht die Folge Einwirkens spezieller Bakterien ist. Die genauen auf diesem 
Gebiet vorgenommenen Untersuchungen sprechen deutlich für eine Misch* 
infektion. Man findet sowohl aerobe wie anaerobe Bakterien. Die anaer¬ 
obe Bakterienflora wird, entsprechend dem Pus von Kieferabszessen, die 
am meisten hervortretende sein. 

Der apikale Teil der Wurzelhaut kann auch auf hämotogenem Wege in* 
fiziert werden. Der Infektionsweg läßt in Fällen, wo auf einem wurzel* 
gefüllten Zahn eine Perizementitis entsteht, sich auf andere Weise nicht gut 
erklären. Es kann sich zeigen, daß Wurzel* und Kavitätsfüllungen voll* 
ständig dicht sind, so daß eine Infektion von der Mundhöhle ausgeschlossen 
sein sollte. Die Ursache der Entzündung muß demnach entweder dadurch 
erklärt werden, daß virulente Bakterien bei einer Fieberkrankheit, z. B. In* 
fluenza, durch die Blutbahnen den Weg zu einer nekrotischen Wurzelhaut 
finden können. Dies ist ein Locus minoris resistentiae, und die Bakterien 


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138 


Imm. Ottesen 


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finden hier ein Nahrungssubstrat. Oder man kann sich denken, daß in der 
nekrotischen Wurzelhaut und der apikalen Partie des Wurzelkanals sich 
Bakterien mit niedriger Virulenz befinden, und daß Infektionen dadurch ent¬ 
stehen, daß die Virulenz auf eine oder andere Weise erhöht wird. Diese 
Erklärung einer Infektion der Wurzelhaut finde ich natürlich, wo man z. B. 
beim Aufbohren eines gefüllten Wurzelkanals ein Perizementit erhält. Teils 
die mechanische Irritation und teils die Luftzufuhr kann hier die direkte 
Ursache sein, daß die vorhandenen Bakterien eine vermehrte Virulenz er¬ 
halten. 

Meistens beginnt natürlich die Entzündung in dem apikalen Teil der 
Wurzelhaut. In einzelnen Fällen habe ich jedoch konstatiert, daß die In¬ 
fektion in einer Partie der Wurzelhaut entstanden ist, die bis zu 4 mm unter¬ 
halb bzw. oberhalb des Foramen apicale liegen kann. Es hat sich bei diesen 
Fällen gezeigt, daß Verzweigungen des Kanals in der oberen Partie der 
Wurzel vorhanden waren, wenn mehrere Foramen vorhanden gewesen sind. 
In einem einzelnen Fall auf einem zweiten Prämolar im Oberkiefer, wo ich 
eine Resektion in dem akuten Stadium vornahm, zeigte es sich, daß an der 
distalen Partie 4 mm unterhalb des Apex ein sehr weites Foramen aus¬ 
mündete, durch das das Perizement infiziert worden war. 

Daß die Wurzelhaut durch die Dentinkanäle und Zement infiziert werden 
kann, muß wohl für wenig wahrscheinlich angesehen werden. Dagegen wird 
eine Infektion durch das Ligamentum circulare möglich sein, indem bei einer 
mechanischen Läsion Bakterien in das Perizement eindringen. Der Verlauf 
der Entzündung ist in diesem Fall nicht so bösartig und schmerzhaft wie 
bei einer apikalen Infektion. 

Die subjektiven und objektiven Symptome bei Pericementitis acuta api- 
calis sind so charakteristisch, daß die Diagnose leicht zu bestimmen ist. 

Es gibt drei ausgeprägte Stadien in dem Verlauf. Zuerst tritt eine Hyperämie 
ein. Diese erstreckt sich in der Regel V 2 mm die Wurzel hinunter, und gleich¬ 
zeitig schwillt die Wurzelhaut an. Der Zahn wird etwas aus der Alveole 
geschoben. Der Patient hat das Gefühl, daß er zu lang ist, und in der Regel 
äußert er Schmerzempfinden bei Druck in der Längsachse auf den Zahn. 
Gleichzeitig geht Austritt von Serum und teilweises Ablösen von Periodon- 
tium vor sich. Dies Stadium wird durch klare, scharfe Röntgenphotographien 
leicht diagnostiziert. Man sieht deutlich eine Zerdrückung des apikalen Teiles 
der infizierten Wurzel, wenn man die infizierte Wurzelhaut mit der intakten 
der nebenstehenden Zähne vergleicht. 

Wird in diesem Stadium die Entzündung nicht behoben, so wird das Zellen¬ 
gewebe der Wurzelhaut keine vitale Energie haben, der Infektion zu wider¬ 
stehen. Es entstehen zahlreiche kleine Pus foci im Perizement und dem um¬ 
liegenden spongiösen Knochen. Die Pusansammlung vermehrt sich mehr oder 
weniger schnell, und sofern durch das Foramen apicale keine Dränage zu¬ 
stande kommt, entsteht ein immer stärkerer Druck gegen die umliegenden 
Knochen wände. Die Schmerzen nehmen zu, die regionären Lymphdrüsen 
schwellen an und werden empfindlicher gegen Druck. Nicht selten folgt hier- 



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Die akute Zahnwurzelhautentzündung und ihre Behandlung 


139 


mit eine Temperaturerhöhung und schlechtes Allgemeinbefinden. Sehr oft 
lokalisiert sich die Pusansammlung um die apikale Partie der Wurzel. Man 
wird auch Fälle finden, wo die ganze Wurzelhaut infiziert wird, so daß sie 
vollständig ausgelöst wird und längs der ganzen Wurzel hinunterdrängt. 
Der Zahn löst sich und wird nur gehalten durch das Ligamentum circulare 
und das Zahnfleisch. 

Das letzte Stadium der Entzündung wird dadurch charakterisiert, daß sich 
eine Parulis bildet. Pus bahnt sich einen Weg unter dem Periost und hebt 
dies vom Knochen. Gleichzeitig entsteht ein Ödem. Dieses kann so stark 
sein, daß große Partien der Gesichtsmuskulatur anschwellen. Wir haben alle 
Fälle gesehen, wo der Patient durch die Geschwulst ganz unkenntlich wurde. 
Vor einigen Jahren wurde ich zu einem Patienten gerufen, der vier Tage mit 
den heftigsten Zahnschmerzen zu Bett gelegen hatte. Der Betreffende hatte, 
wie so manche andere geduldig das Auf- 
hören der Schmerzen abgewartet, ohne sach¬ 
kundige Hilfe kommen zu lassen. Auf beiden 
Seiten der Nase zeigte sich starke Schwel¬ 
lung. Die Konturen der Nase waren voll¬ 
ständig verschwunden und die Augen fast 
verschlossen. Die Oberlippe war ungefähr 
dreimal so dick als in normalem Zustande. 

Macht man in diesem Stadium der Entzün¬ 
dung eine Röntgenphotographie, so zeigt sich 
gewöhnlich ein stark begrenzter Hohlraum 
um die Wurzelspitze herum, indem die Spon¬ 
giosa vollständig aufgelöst ist, und daß sich 
hier eine Abszeßhöhle gebildet hat. 

Der Verlauf der akuten Wurzelentzündung kann mehr oder weniger akut 
und bösartig sein. Diese beruht auf der Virulenz der in die Wurzelhaut 
eingedrungenen Mikroben und der viralen Energie des Gewebes. Die Ent¬ 
zündung kann ohne Temperaturerhöhung verlaufen, und der Verlauf kann 
insofern gutartig sein, als nach kürzerer oder längerer Zeit sich Pus den Weg 
durdi das Periost und durch die Schleimhaut in die Mundhöhle bahnt, ohne 
ernstliche Komplikationen zu verursachen. Die Prognose wird indes nicht so 
selten schlecht, teils weil der Zahn verlorengeht und teils weil Pus aus dem 
Oberkiefer in das Antrum oder die Nasenhöhle, oder nach außen durch die 
Gesichtshaut vordringt. 

Letzteres ist im Oberkiefer ein relativ seltener Fall. In meiner eigenen 
Praxis habe ich nur zwei Fälle gehabt. Fig. 1 zeigt den einen. Dies war 
ein 5jähriger Knabe vom Lande, der nach einer vom linken Milchmolar 
ausgegangenen Periostitis an der linken Seite des Nasenrückens eine ge¬ 
waltige Schwellung bekam. Er wurde nicht rechtzeitig behandelt, und Pus 
brach etwa 5 mm unterhalb des Augenwinkels, 3 mm unterhalb des Nasen¬ 
rückens hervor. Hier bildete sich eine kraterförmige Fistelöffnung, aus der 
fortwährend Sekret abfloß. Von dem Arzt wurden wiederholt Inzisionen 



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140 


Imm. Ottescn 


vorgenommen, doch ohne Resultat. Auf der Röntgenphotographie zeigte 
sich ein diffuser Schatten über + 4. Dieser Zahn wurde extrahiert, und die 
Granulationen wurden entfernt, sowohl von innen wie von außen. Eine 
Sonde konnte von der Öffnung im Kiefer durch die Fistelöffnung nach außen 
geführt werden. Diese wurde sorgfältig gereinigt, so daß frische Wunden* 
ränder entstanden, und es wurden zwei Suturen placiert. Die Wunde granu* 
lierte gut, ohne entstellende Narben zu hinterlassen. 

Dagegen kommt es nicht selten vor, daß sich Pus entweder längs den 
Halsmuskeln hinuntersenkt oder sich den Weg bahnt durch die Haut am 
unteren Kieferrand. 

Es ist einleuchtend, daß eine akute Perizementitis sobald wie möglich in 
Behandlung kommen sollte, denn dadurch kann man Nekrose größerer oder 
kleinerer Teile des Kiefers oder anderen Komplikationen verbeugen, wie z. B. 
Senkungsabszesse, Pyämie, Antrumempyemen usw. Die Therapie kann 
eingestellt werden auf: 1. Extraktion des angegriffenen Zahns, 2 . Behandlung 
durch den Wurzelkanal, 3. Alveotomie. 

Ich will hier die zwei letztgenannten Behandlungsmethoden besprechen. Kommt 
der Patient in dem Anfangsstadium der Entzündung zu uns, und finden 
wir bei der Untersuchung Kavität mit Pulpakammer und Wurzelkanal offen, 
so kann das gangränöse Pulpagewebe mit Hilfe eines Nervenextraktors ent* 
femt werden. Ist die Pulpa noch nicht ganz aufgelöst, sondern läßt sie sich 
in toto entfernen, so kommt in der Regel Serum, Blut und in mehr vorge* 
sdhrittenem Stadium Pus aus dem Kanal hervorgequollen. Der Patient fühlt 
oftmals sofort Erleichterung und weniger Schmerzen, und in neun von zehn 
Fällen wird die Entzündung aufhören. Danach spritzt man das Pulpa* 
kavum und den Kanal gut aus mit warmem antiseptischem Mundwasser und 
trocknet sorgfältig mit steriler Watte nach, indem man vorsichtig mit der 
Nadel arbeitet, so daß diese nicht durch das Foramen apicale gestoßen wird. 
Nachdem die Absonderung vom Foramen aufgehalten ist, reinige ich den 
Kanal mit Thymolspiritus, trockne mit warmer Luft und bringe in den Kanal 
eine Mischung von Phenol, Thymol und Menthol im Verhältnis von 12, 2,7 
und 1,3. Der in diese Mischung getauchte Wattebausch darf in diesen Fällen in 
dem Kanal nicht hermetisch verschlossen werden. Man bringt nur Zunder 
oder Watte in die Kavität. Ist der Zahn nach einiger Zeit reaktionsfrei, so 
ist nichts im Wege, daß man die Einlage tauscht und die Kavität mit 
Zement oder Guttapercha deckt, um dadurch Reinfektionen von der Mund* 
höhle aus vorzubeugen. Gleichzeitig mit dieser Behandlung kann man lOproz. 
Jod oder Jodakonit in die Übergangsfalten pinseln. Hat man Gelegenheit, 
gleichzeitig ultraviolettes Licht anzuwenden, wird man oft Besserung merken 
infolge der bakteriziden Wirkung der ultravioletten Strahlen. 

Leider wird es nicht immer glücken, die Behandlung durch den Kanal vor* 
zunehmen. Dieser kann früher mit einem harten Material gefüllt sein, das 
sich schwer entfernen läßt, oder es kann ein Metallstift in dem Kanal placiert 
sein. Dieser ist stets festzementiert, da er als Halt für eine Krone, eine 
Brückenprothese oder eine Metalleinlage dient. Zu versuchen, einen solchen 


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Die akute Zahnwurzelhautentzündung und ihre Behandlung 


141 


Stift in dem akuten Stadium zu entfernen, sehe ich als Fehler an, da in der 
Regel der Zustand verschlimmert wird. Außerdem ist keine Indikation vor¬ 
handen, eine gute Brücke oder Kronenprothese zu vernichten, um zu ver¬ 
suchen, an das Foramen apicale heranzukommen. Bei dieser Behandlung 
wird man oft dazukommen, die Wurzel zu splittern oder beim Ausbohren 
der Wurzelfällung und des Stiftes eine Perforation zu bedingen. 

Aber selbst wenn der Zugang zum Wurzelkanal frei ist, können die ana¬ 
tomischen Verhältnisse in dem apikalen Teil der Wurzel derart beschaffen 
sein, daß man keine Dränage durch das Foramen erhalten kann. Es kann 
eine Krümmung der Wurzel vorhanden sein, und der Kanal ist oft so eng, 
daß es unmöglich ist, selbst die feinste Nadel hindurchzubringen. Versucht 
man durch Erweiterung des Wurzelkanals, sich nach dem Apex hinaufzu¬ 
arbeiten, so perforiert man oft die Wurzel, und es tritt eine Verschlimme¬ 
rung der Entzündung ein. 

Man hat da keinen anderen Ausweg, als entweder den Zahn zu extra¬ 
hieren, eine Alveotomie vorzunehmen oder den Patienten den weiteren Ver¬ 
lauf geduldig abwarten zu lassen, indem man ihn nach Hause schickt mit 
den guten alten Hausmitteln: „warme Breiumschläge, warme Fußbäder und 
schmerzstillende Mittel, wie Asperin usw. 77 

Ist es notwendig, den Patienten diese Qualen durchmachen zu lassen? 
Wenn eine offenbare Indikation vorhanden ist, den Zahn zu extrahieren, so 
ist es ja eine längst veraltete Theorie, daß man mit Entfernung des Zahnes 
warten soll, bis alles Pus Abfluß gefunden hat. Die Parole ist heute, die 
Ursache der Entzündung sobald wie möglich zu entfernen, um dadurch Ver¬ 
breitung der Entzündung, Nekrose größerer Knochenpartien und anderen 
ernsten Komplikationen vorzubeugen. In einem der letzten meist modernen 
deutschen Lehrbücher liest man folgendes: „Je früher, daß ein im Pulpakanal 
vorhandenes infektiöses Material aus dem Körper entfernt wird, desto 
schneller gelingt es dem Organismus, die schädliche Reizwirkung zu über¬ 
winden, desto schneller kommen die entzündlichen Prozesse zum Rückgang. 
Bleibt jedoch die Schädlichkeit mit dem Zahne im Kiefer, so wirkt sie, auch 
wenn durch eine Inzision nach außen Abfluß erzielt wird, im Inneren weiter, 
und je länger die Wirkung auf die knöcherne Umgebung des Zahnes dauert, 
desto eher ist die Möglichkeit gegeben, daß sie sich so steigert, daß der Knochen 
abstirbt und Nekrose eintritt. Deshalb gibt es nur einen einzigen sicheren und 
unter allen Verhältnissen einzuschlagenden Weg bei solcher Gefahr: „den 
Zahn mit seinem schädlichen Inhalt so rasch wie möglich zu entfernen 77 . 

Kann man aber nicht dasselbe erreichen durch eine Alveotomie in dem 
akuten Stadium, und ist das Risiko durch diesen Eingriff größer als bei einer 
Extraktion? Man erreicht durch diese Behandlung, den apikalen Teil der 
Wurzel „mit seinem schädlichen Inhalt 77 zu entfernen, ohne daß der Patient 
den Zahn zu verlieren braucht, der sehr oft von großem Wert ist, sowohl 
aus ästhetischen wie physiologischen Gründen. 

Die Angst, die man früher hatte, in dem akuten Stadium zu extrahieren, 
hat sich als unbegründet gezeigt, und ich glaube — empirisch und medizinisch 


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142 


Imm. Ottescn 


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gesehen — daß man sich ebensowenig vor einer Alveotomie bei einer Peru 
zementitis zu ängstigen braucht. 

Der Eingriff durch die äußere Knochenwand ist in folgenden Fällen in¬ 
diziert: 1. Wo eine Extraktion kontraindiziert ist. 2. Wo man ohne zu 
große Schwierigkeiten die Operation ausführen kann. Das heißt, was die 
Prämolaren, Eckzähne und Vorzähne betrifft, läßt sich sowohl im Ober- wie 
im Unterkiefer die Operation leicht ausführen. 3. Wo eine Behandlung 
durch den Wurzelkanal mißglückt. 4. Wo ein Versuch der Behandlung 
durch den Wurzelkanal aus einem oder anderem Grunde sich nicht durch¬ 
führen läßt. 5. Wo Temperatur, schlechtes Allgemeinbefinden und starke 
Schmerzen vorhanden sind. 

Kontraindiziert, meine ich, ist der Eingriff im letzten Stadium der Ent¬ 
zündung, wo sich schon ein Parulis gebildet hat und starkes ödem vorhan¬ 
den ist. Wegen der Geschwulst wird, wie leicht verständlich, die Operation 
unmöglich systematisch auszuführen sein. 

Demnächst verbietet es sich von selbst, die Alveotomie an den innersten 
Molaren auszuführen. Soll man hier eine konservierende Behandlung aus¬ 
führen, muß dies in Form einer Replantation geschehen. Außerdem ist es 
bei mehrwurzeligen Zähnen oft unmöglich zu konstatieren, von welchem 
Wurzelkanal die Infektion ausgegangen ist. 

Welche Gefahren können nun verbunden sein mit einem chirurgischen Ein¬ 
griff in dem akuten Stadium? Zu einem chirurgischen Eingriff gehören dann 
selbstverständlich sowohl Extraktion wie Alveotomie. 

Durch die mechanische Einwirkung auf das entzündete Gewebe können 
infizierte Thromben losgerissen werden, die durch die Blutbahnen eine In¬ 
fektion in edleren Organen hervorbringen können. Es entsteht eine Pyämie, 
die einen letalen Ausgang haben kann. — Nach der Extraktion, selbst wo 
diese an einer Pulpitis oder in einem chronisdien Stadium bei Periostitis vor¬ 
genommen ist, hat man in der Literatur von Fällen gelesen, wo eine Pyämie 
entstanden ist. Diese kann durch mangelhafte aseptische Behandlung ent¬ 
stehen oder dadurch, daß die Extraktionswunde nachher infiziert worden ist. 
Dies kann selbstverständlich auch bei einer Alveotomie Vorkommen, doch 
ist es nun einmal zur Regel geworden, daß dieser Eingriff unter mög¬ 
lichst strengen Vorsichtsmaßregeln ausgeführt wird, und nach der Operation 
näht man in der Regel die Wunde, so daß geringeres Risiko für eine In¬ 
fektion von der Mundhöhle aus vorhanden ist. 

Nehmen wir an, daß die größte Gefahr bei einem chirurgischen Eingriff 
in dem akuten Stadium darin besteht, daß infizierte Thromben losgerissen 
werden und in die Venen geraten, die sie zum Herzen, in die Lungen, in den 
Sinus cavernosus oder andere vitale Organe transportieren. Diese infizierte 
Embolie verursacht Abszesse, und die Situation wird ernst. Die Frage ist 
nun, ob dies Risiko größer bei einer Alveotomie als bei einer Extraktion ist. 
Ist die mechanische Einwirkung auf die infizierte Partie größer bei dem 
ersteren als bei dem letzteren Eingriff? Ich bin der Meinung, daß eine 
Alveotomie ein leichterer und weniger gewaltsamer Eingriff ist als eine Ex- 



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Die akute Zahnwurzelhautentzündung und ihre Behandlung 


143 


traktion. Vorausgesetzt ist aber, daß die Operation systematisch und voll* 
ständig aseptisch ausgeführt wird. Sorgfältige Sterilisation der Instrumente, 
der Hände und des Operationsgebietes, das die ganze Zeit freigehalten wer* 
den muß gegen Zufluß von Speichel und nicht in Berührung kommen darf 
mit nichtsterilisierten Gegenständen. Vor allem kein Schaben oder gewalt* 
sames Einstechen mit Instrumenten in die infizierten Partien! 

Nachdem die Injektion mit Novokain-Suprarenin ausgeführt ist <in den 
meisten Fällen wird die Indikation für Leitungsanästhesie gegeben sein), be* 
decke ich die Umgebung der Mundhöhle mit sterilen Servietten und lege 
den Lippenhalter an. Darauf lege ich einen 1V 2 cm langen Horizontalschnitt 
in Niveau mit der Mittelpartie der Wurzel und entferne das Periost vom 
Knochen, sowohl auf* wie abwärts 
<Fig. 2>. Dadurch erhält man eine 
gute Übersicht und kann leichter 
das Abmeißeln der die Wurzel 
deckenden Spongiosa kontrollieren. 

Ich beginne das Abschaben ein 
gutes Stück unterhalb des Apex 
und lege die Wurzel sowohl mesial 
als distal bloß. Bei dieser Arbeit 
wende ich kleine scharfe Meißel an. 

Ich setze mit dem Freilegen des 
Knochens fort, bis die Wurzel* 
spitze erreicht ist. Wenn diese frei* 
gelegt ist, wie Fig. 2 zeigt, wird 
in der Regel etwas Pus aus dem 
Abszeß hervorsickern. Die Menge 
des Pus hängt davon ab, wie weit 
die Entzündung vorgeschritten ist. 

War eine intakte Wurzelhaut vorhanden und wird der Eingriff im ersten 
Stadium der Entzündung vorgenommen, so findet man die Wurzelhaut stark 
hyperämisch und angeschwollen, ohne Pusansammlung. In mehr vorge* 
schrittenem Stadium dagegen kann der Druck des Pus so stark sein, daß es 
förmlich hervorspritzt, sobald die Eröffnung des Abszesses vorgenommen 
wird. 

Nachdem die Wurzelspitze freigelegt ist, wird diese reseziert mit einem 
scharfen Fissurbohrer und vorsichtig aus der Alveole gehoben. Es ist 
nicht notwendig, ein Ausschaben in der Spongiosa vorzunehmen. Dies wird 
ja auch nicht getan bei einer Extraktion in diesem Stadium. Ich trockne 
frisch nur etwa vorhandene Pus und Blut mit einem in 3proz. Salzwasserlösung 
getauchten sterilen Gazestreifen aus. Der Schnitt durch die Wurzel wird in 
schräger Richtung mit der niedrigsten Kante gelegt bzw. labial oder bukkal. 
Dadurch erhält man eine bessere Übersicht und einen Zugang zum Wurzel* 
kanal. Dieser wird mit einem umgekehrt=kegelförmigen Bohrer erweitert und 
sorgfältig mit Jodoform und Galvanokauter desinfiziert. Ist die Blutung nicht 



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Imm. Ottcsen 


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zu stark, so daß die Partie um die Wurzel wenn auch nur 10 Sekunden 
trocken gehalten werden kann, ziehe ich vor, mit Hilfe von Galvanokauter 
Zinn in die Kavität zu schmelzen. Die Vorteile dieser Methode sind ein* 
leuchtend. Denn der Kanal wird dadurch auf eine leichte Weise mit einem 
vollständig neutralen Metall zugedeckt, da man nach Abkühlung des Zinns 
dasselbe bis an den Kavitätsrand glattpolieren kann. Die Erfahrung hat ge* 
lehrt, daß neue Granulationsbildung von einer Zinnfüllung nicht irritiert 
wird. 

Eine derartige Wurzelbehandlung finde ich absolut geboten, da man sonsr 
eine Reinfektion erhalten kann. Hat man es mit einem Wurzelkanal zu tun, 
der mit gangränösen Massen ausgefüllt ist, kann man später ruhig die Pulpa* 
kammer und die übrige Partie des Kanals desinfizieren und füllen, ohne etwas 
durch das Foramen apicale zu stoßen. Die Füllung auf der Wurzelspitze 
bildet einen sicheren Verschluß des Wurzelkanals. 

Ist die Operation so weit vorgeschritten, wasche ich die ganze Wunde 
sorgfältig mit einer Salzwasserlösung aus und blase Jodoform*Novokain hin* 
ein. Danach legt man eine Naht auf jeder Seite der Öffnung bis zur Höhle 
und tamponiert diese ganz lose mit einem suturierten Streifen Jodoformgaze. 
Nach Verlauf von 1—2 Tagen entfernt man den Tampon, und die Heilung 
dieser Partie geht per secundam vor sich. 

Am Schluß will ich über einige der typischsten Fälle aus meiner Praxis 
referieren. 

Fall I. Der Patient, ein 40jähriger Herr, hatte eine Brücke an 5+ und 3 + 
befestigt. Auf 5 + saß eine Richmondkrone, und in 3 + war eine Goldeinlage 
mit Stift im Kanal verankert. Die Brücke war fehlerfrei gearbeitet, und im 
Röntgenbilde zeigte es sich, daß die Wurzelkanäle mit Guttapercha gefüllt 
waren, und zwar so nahe nach dem Foramen hinauf, wie man im allge* 
meinen kommen kann. Über der Wurzelspitze von 5+ zeigte sich ein 
diffuser Schatten. Die Wurzelhaut des Eckzahns war intakt. 

Der Patient wandte sich eines Vormittags nach einer schlaflosen Nacht an 
mich. Die Schmerzen waren heftig, die Brückenpfeiler bei Berührung emp* 
findlich. Etwas Röte in der Schleimhautfalte bei 5 + . Temperatur 38,6. Der 
Patient versicherte, die Schmerzen nicht länger aushalten zu können. Eine 
Extraktion vorzunehmen, war kontraindiziert, da in diesem Fall die ganze 
Brücke vernichtet worden wäre. Ich entschloß mich für eine Al veotomie. Es wurden 
2ccm von einer 2proz. Novokain*Suprarenin*Auflösung am Tuber maxillare 
und dasselbe Quantum am Foramen infraorbitale deponiert sowie etwas 
in die stramme Oberhaut des Zahnfleisches am ersten Molar und dem Eck* 
zahn. Dadurch begrenzte man die Blutung der Wundflächen etwas. Der 
Eingriff wurde wie oben beschrieben ausgeführt. Es kam Pus aus der Partie 
über der Wurzelspitze. Dieser wurde entfernt, der Wurzelkanal mit Kupfer* 
amalgam gefüllt, Sutur und Tampon. 

Der Zustand des Patienten nach der Operation war gut. Am Nachmittag 
war die Temperatur normal, und die Schmerzen waren nach dem Aufhören 
der Anästhesie minimal. Die Heilung verlief ohne Komplikationen. Nach 



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Die akute Zahnwurzelhautentzündung und ihre Behandlung 


145 


6 Jahren, sah ich den Fall wieder und fand alles normal. Eine Röntgen¬ 
photographie zeigt Neubildung von Knochen über der amputierten Wurzel. 

Fall II. Frau B. Starke perizementitische Schmerzen an 3—. Die Ent- 
Zündung hatte 24 Stunden gedauert. Vergeblicher Versuch, die Entzündung 
durch den Wurzelkanal zu beheben. Keine Schwellung. Temperatur 38. All¬ 
gemeinbefinden schlecht wegen Schlaflosigkeit und Fieber. Der Wurzel- 
kanal war geöffnet durch eine Kavität an der distalen Fläche des Zahns. In 
diesem Fall nahm ich eine gründliche Sterilisation des Kanals vor mit konzen¬ 
trierter HCl und NA 2 0 2 . Auswaschen mit 2proz. Thymolspiritus, Trocknen 
mit elektrischer Wurzelkanalnadel und Füllen mit Guttapercha. Darauf 
wurden 2 ccm Novokainlösung am Foramen mentale auf beiden Seiten inji¬ 
ziert. Nachdem die Anästhesie eingetreten war, wurden Schleimhaut und 
Periost zur Seite geklappt und die labiale Knochenwand weggemeißelt, so 
daß die Wurzel zirka 4 mm oberhalb der Wurzelspitze bloßgelegt wurde. 
Ich trug nun den Knochen ab abwärts nach dem Apex. Die Knochen¬ 
partie war hier etwas aufgetrieben durch den Druck der Pusansammlung. 
Sowie die Abszeßhöhle perforiert war, quoll Pus hervor. Die Höhle wurde 
mit in Salzwasser getauchtem sterilen Gazetampon ausgewaschen und die 
Wurzel bis zur Wurzelfüllung amputiert. Danach Sutur und Tampon wie 
beim ersten Fall beschrieben. 

Die Heilung verlief normal. Unbedeutende Anschwellung nachher und 
minimale Schmerzen, nachdem die Anästhesie aufgehört hatte. Temperatur 
und Allgemeinbefinden waren am nächsten Tage normal. 

Fall III. Perizementitis, ausgegangen von 5—, der eine sehr gut gearbeitete 
Goldkrone trug. Der Patient wandte sich eines Nachmittags an mich, nach¬ 
dem er zwei Tage so heftige Schmerzen gehabt, daß er vollständig unfähig zur 
Arbeit war. Der Zahn war sehr empfindlich gegen Druck. Keine An¬ 
schwellung in der Qbergangsfalte. Temperatur 38,5. Die Röntgenphoto¬ 
graphie zeigte einen diffusen Schatten unten um die Wurzelspitze von 5—. 
Die Wurzelfüllung reichte ganz bis zum Foramen apicale. Extraktion kon¬ 
traindiziert auf Grund des Wertes des Zahnes für die Kaufunktion. 

Es wurde eine gründliche Sterilisation der Mundhöhle vorgenommen. 3 ccm 
einer 2proz. Novokainauflösung wurde am Foramen mandibulare und 1 ccm 
in dem strammen Zahnfleisch bei 6— und 3— deponiert. Die weitere Behand¬ 
lung wie in oben beschriebenem Fall. Die Schmerzen hörten auf, nachdem die 
Lokalbetäubung wirkte, und die nachfolgenden Schmerzen waren so gering, 
daß der Patient die ganze Nacht schlafen konnte. Am Morgen war die 
Temperatur normal und das Allgemeinbefinden ausgezeichnet. Die Heilung 
der Wunde verlief normal, und eine nach etwa einem Jahr gemachte Röntgen¬ 
photographie zeigte Neubildung von Knochen um die resezierte Wurzel¬ 
spitze herum. 

Fall IV. Kapitän K. zog sich im Feldmanöver eine Perizementitis zu an 
3+. Der Zahn trug, zusammen mit 5+, eine Brücke. In 3 + war eine 
Goldeinlage mit Stift in der Zahnwurzel. Es war versucht worden, die Ent¬ 
zündung aufzuhalten mit Hilfe von Jodpinselung und Einstich in das Zahn- 

Vierteljahrssdirlft für Zahnheilkunde, Heft 2 |Q 


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146 


Imm. Ottesen 


fleisch in der Übergangsfalte. Die furchtbaren Schmerzen versuchte der Patient 
durch Aspirin zu lindern. Nach Verlauf von zwei Tagen reiste der Patient 
nach Kristiania und kam vormittags zu mir. Es war ein kräftiger Mann von 
etwa 36 Jahren. Er verzweifelte sicher nicht so leicht, doch waren die 
Schmerzen sehr heftig. Status praesens: Die gewöhnliche Empfindlichkeit bei 
Perzision in der Längenrichtung des Zahns- Keine Anschwellung in der 
Übergangsfalte. Die Schleimhaut etwas geätzt durch die Jodpinselung. Pala» 
tinal etwas Röte und Empfindlichkeit bei Drude. Ich nahm an, daß Pus 
im Begriff war, sich Weg zu bahnen unter dem palatinalen Periost. Tempera» 
tur 38,6. Allgemeinbefinden schlecht auf Grund der Schmerzen, zweier schlaf» 
loser Nächte und schlechter Appetit. Es wurde eine Röntgenphotographie 
gemacht, die einen diffusen Schatten um die Wurzel herum zeigte. Die 
Brücke saß ausgezeichnet, so daß ich eine Extraktion kontraindiziert fand, 
um dem Patienten die Brücke zu erhalten und die Kosten und Unbequem» 
lichkeiten einer Plattenprothese zu ersparen. 

Der operative Eingriff wurde auf folgende Weise vorgenommen: Ich in» 
jizierte 2ccm einer 2proz. Novokainauflösung am Foramen infraorbitale und 
dasselbe Quantum an der Fossa canina sowie 1 —2 ccm in der Schleim» 
haut palatinal. Nach Verlauf von 3 Minuten bestand vollständige Anästhe» 
sie, die Schmerzen verschwanden, und der Patient war glücklich, von den 
Schmerzen befreit zu sein, die ihn zwei Tage geplagt hatten. Er wurde voll¬ 
kommen ruhig, so daß die Alveotomie mit Leichtigkeit ausgeführt werden 
konnte.. Es wurde ein zirka 1 cm langer Einschnitt gemacht durch Schleim¬ 
haut und Periost im Niveau mit der Mittelpartie der Wurzel. Der Knochen 
wurde freigelegt und aufwärts nach der Wurzelspitze abgemeißelt. Beim 
Entblößen der Wurzelspitze kam kein Pus. Ich meißelte darauf Spongiosa 
distal und mesial weg und schnitt mit einem Fissurbohrer zirka 6 mm unter¬ 
halb dem Apex ab. Sowie der Bohrer in die Wurzel an der Gaumenseite drang, 
kam eine Menge von stinkendem Pus heraus. Die resezierte Wurzelspitze wurde 
herausgenommen und sämtliches Pus durch Ausspülen mit warmer Salz» 
wasserauflösung entfernt. Auf dem palatinalen Teil der Wurzel zeigte sich 
eine Perforation. Von dieser Perforationsöffnung war wahrscheinlich die In¬ 
fektion ausgegangen. Die Nachbehandlung wurde auf früher beschriebene 
Weise ausgeführt. Es wurde Jodoformgaze in den Abszeß gelegt, dem auch 
eine Mischung von Jodoform-Novokain eingeblasen wurde. Die Nach¬ 
schmerzen waren unbedeutend. Der Patient konnte nach der Behandlung 
mehrere Stunden ohne schmerzstillende Mittel schlafen. Die Heilung der 
Wunde verlief normal, und bis heute-zeigte sich kein Rezidiv. 

Rein medizinisch gesehen sollte nichts im Wege sein, bei akuten Wurzel¬ 
hautentzündungen operative Eingriffe zu machen. Man muß ja auch sagen, 
daß dies lange praktisch ausgeführt wurde, denn wie ich schon vorher be¬ 
merkt habe, muß eine Extraktion in dem akuten Stadium auch als ein 
chirurgischer Eingriff bezeichnet werden. Ich habe mit mehreren her¬ 
vorragenden Ärzten über diese Angelegenheit konferiert, und alle ohne 
Ausnahme haben erklärt, daß, wenn die Indikation für eine Alveotomie vor» 


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Die akute Zahnwurzelhautentzündung und ihre Behandlung 147 

handen ist, sie ebensogut in dem akuten wie in dem chronischen Stadium 
ausgefuhrt werden kann. 

Idh habe im Laufe von elf Jahren diese Behandlung ausgeführt und muß 
sagen, daß auch meine Erfahrung in derselben Richtung geht. Ich will da¬ 
her meinen Kollegen empfehlen, wenn sie im akuten Stadium Indikation für 
eine Alveotomie sehen, die Alveotomie sofort vorzunehmen, als zu warten, 
bis das chronische Stadium eingetreten ist, weil man ernstliche Komplikationen 
befurchten muß. 


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DER HEUTIGE STAND DES ARTIKULATIONS* 

PROBLEMS 

VON 

DR. LUDWIG KÖHLER, DARMSTADT, UND DR. h. c. O. RIECHEL* 
MANN, FRANKFURT A. M. 1 

E ine erschöpfende kritische Darstellung der gesamten Entwicklung und des 
heutigen Standes des Artikulationsproblems im Rahmen eines Vortrages 
ist aus den verschiedensten Gründen nicht möglich. Ein Eingehen auf die 
geschichtliche Entwicklung verbietet sich von selbst, da allein die historische 
Ableitung dieses Problems einen ganzen Vormittag füllen würde. Das Pro* 
blem im ganzen darzustellen würde einen Kursus von mindestens 8 Tage Dauer 
erfordern. Dazu kommt, daß allein die inländische Literatur einen solchen 
Umfang angenommen hat, daß nur die wenigsten sie beherrschen, wobei die 
zahlreiche Auslandsliteratur noch gar nicht mitgerechnet ist. Ich verweise nur 
auf die umfangreichen Veröffentlichungen von Gysi, in denen die Wandlungen 
dieses Problems, die allein bei diesem einen Autor sich im Laufe der letzten 
12 Jahre vollzogen haben, sich verfolgen lassen. Außerdem ist es für den 
Einzelnen, zumal für den beschäftigten Praktiker gar nicht möglich, die prak* 
tischen Versuche mit allen bekannten Systemen durchzuführen. Ich erinnere 
nur daran, daß allein Gysi bis jetzt 4—5 Artikulatoren konstruiert hat, den 
1. großen Gysi, eine Modifikation desselben, den Gysi-Simplex, den Drei* 
punkt-Artikulator Gysi-Simplex und den Gysi-Rumpel. Um Ihnen von 
der Vielseitigkeit des Problems einen kurzen Begriff zu machen, will ich noch 
einige Namen der Autoren nennen, die sich damit eingehend beschäftigt 
und besondere Artikulatoren konstruiert haben: 

Bonnwill, Schwarze, Snow, Amoedo, Eltner, Christensen, 
Andresen, Kerr, Grittman, Luce, Schröder, Rumpel, außerdem 
neuerdings Eichentopf und Fehr. Dazu ein neuer Schröder-Rumpel, 
dessen Veröffentlichung nach Mitteilung von Prof. Schröder erst gleich¬ 
zeitig mit dem 1. Band seines Handbuches erfolgen soll. Wir stehen da 
vor einem embarras de richesse, in dem sich nur die wenigsten noch aus¬ 
kennen können. Andererseits beweist dieser embarras de richesse, daß 

1 Vortrag, gehalten im Zahnärztlichen Verein zu Frankfurt a. M. anläßlich seines 
Stiftungsfestes im Mai 1921. 



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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 


149 


die Ansichten der verschiedenen Autoren in vielen Punkten noch weit aus* 
einandergehen, und daß die Entscheidung schwer fällt, ob wir eine Lösung 
der Artikulationsfrage heute schon haben, oder uns derselben erst nähern. 
Gysi hat recht, wenn er sagt, daß es noch vieler Gedankenarbeit bedarf, 
um die wunderbare ingeniöse Konstruktion des menschlichen Kauapparates 
voll begreifen zu lernen. 

Dies alles mag eine Erklärung für die Tatsache sein, daß heute noch eine 
große Zahl von Praktikern wenig dazu neigt, dem Artikulationsproblem 
eine positive Seite abzugewinnen, zumal Sie mit dem Gewohnheits* und 
Trägheitsgesetz zu rechnen haben, außerdem aber auch mit den Wider* 
ständen und der mangelhaften Ausbildung der technischen Hilfskräfte. Ande* 
rerseits wird auch entgegengehalten, daß eine Reihe von Praktikern im 
einfachen Scharnierartikulator ebenfalls gut funktionierende ganze Prothesen 
hergestellt haben. Das mag mit gewissen Einschränkungen richtig sein. Doch 
haben diese Praktiker von vornherein dafür eine besondere Begabung und 
Befähigung und haben unbewußt die richtige Lösung gefunden. Trotzdem 
wird niemand mehr den Wert des Artikulationsproblems ernstlich bestreiten 
wollen. Denn es ist doch etwas Grundverschiedenes, ob ein Vereinzelter ge* 
legentlich das Richtige findet, oder ob für die Allgemeinheit wissenschaftlich die 
Grundlage und die gültigen Gesetze gefunden und aufgestellt werden, so 
daß jeder, der nach diesen Prinzipien arbeitet, für den Patienten einwandfrei 
funktionierende Prothesen hersteilen kann. 

Wenn so die Wichtigkeit des Artikulationsproblems für ganze Prothesen 
ohne weiteres feststeht, so ist seine Bedeutung für die ganze übrige Prothetik 
nicht minder groß, vor allem auch für Brückenarbeiten. Auch hier ist die Be* 
deutung ohne weiteres einzusehen, wenn z. B. durch richtige Artikulation be* 
wußt ein exzentrisch ungünstig wirkender Druck in einen konzentrischen, 
günstigen verwandelt wird, oder wenn bei pathologischem Gebiß durch Brücken 
eine neue Bißebene geschaffen wird, durch welche die ungünstig wirkenden 
Kaudruckkomponenten ausgeschaltet werden. Ober diese Frage, die Wichtig* 
keit des Artikulationsproblems für Brückenarbeiten, wollen wir an anderer 
Stelle ausführlich berichten. 

Um nun für heute einen gangbaren Weg zu gehen, der einerseits die 
Grundfragen des Artikulationsproblems beleuchtet, andererseits aber sich 
nicht ins Uferlose des Problems verliert, haben wir uns entschlossen, nur 
Artikulatoren zu besprechen, deren Handhabung ohne komplizierte Mes* 1 
sungen funktioniert. Wir bringen daher 

1. den Artikulator von Eichentopf, 

2. den Dreipunktartikulator Simplex von Gysi und 

3. den Artikulator von Fehr. 

Wenn die Zeit reichen sollte, wird auch noch der Artikulator Gysi* 
Rumpel kurz gestreift werden. 

Die praktische Lösung des Artikulationsproblems soll es uns ermöglichen, 
die Kaubewegung des Unterkiefers möglichst genau im Artikulator wieder* 
zugeben. Wir wollen uns daher erst kurz ein Bild machen über die beim 


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150 


Ludwig Köhler und O. Riechelmann 


Kauakt vorkommenden Bewegungen des Unterkiefers, und zwar wollen wir 
zunächst dabei feststellen, in welcher Art und Weise die Zähne beim nor¬ 
malen Gebiß oder wenigstens Durchschnittsgebiß aneinander vorbeigleiten. 
Diese Art des Vorbeigleitens der Zähne, der sogenannten Artikulation beim 
normalen wie beim pathologischen Gebiß, ist u. E. bis heute noch viel zu 
wenig studiert. Wir haben längere Zeit Beobachtungen über diese Art des 
Vorbeigleitens der Zähne bei vollständigen Zahnreihen in normaler Stellung 
und bei Okklusionsanomalien angestellt. Dabei ließen wir Patienten von der 
Öffnungsstellung aus den Unterkiefer in verschiedene Stellungen, Vorbiß 
und Seitbiß, bringen und fanden dabei etwa folgendes: Die von Gysi zum 

erstenmal beschriebene Kom¬ 
pensationsfläche am 1. oder 2. 
Molaren, die bei Vor- und 
Seitbiß eine Art Dreipunkt¬ 
kontakt der Zahnreihen Fig. 1 
gewährleistet, findet sich nur 
bei wenigen Gebissen. Der so 
entstandene Dreipunktkontakt 
am natürlichen Gebiß hat von 
statischen Gesichtspunkten aus 
große Bedeutung besonders 
beim Seitbiß. 

Nach der Untersuchung von 
Zsigmondy und Gysi wer¬ 
den bei der Zerkleinerung der 
Nahrung vom Unterkiefer et¬ 
wa folgende Bahnen ausge¬ 
führt <vgl. Fig. 2, 3, 4>: Sie 
können sich leicht vorstellen, 
daß, wenn man in der Mitte 
der unteren Schneidezähne 
einen Stab anbringt, der einen der Frontebene parallelen Spiegel trägt, man 
mit Hilfe der optischen Methode die Bewegungsbahnen des Unterkiefers dar¬ 
stellen kann. Die Spitze des Stabes würde dann ungefähr die in Fig. 2 und 3 
dargestellten Kurven beschreiben, denen die in Fig. 4 dargestellten gegenseitigen 
Stellungen der Molaren entsprechen. Gysi nimmt an, daß beide Bewegungs¬ 
arten Vorkommen, Fig. 2 bei weicher Nahrung, Fig. 3 bei mehr faseriger 
Nahrung, weil die Durchtrennung der Fasern nur bei Molaren, Höcker auf 
Höckerstellung erfolgt <s. Fig. 5>. Bei näherer Betrachtung der Fig. 4 müssen 
wir folgendes in Erwägung ziehen. Die in Fig. 4, Absatz 4 dargestellten 
Verhältnisse werden Sie nur bei einem kleinen Teil normaler Gebisse vor¬ 
finden. Es ist wohl in der Mehrzahl der Fälle derart, daß nur die bukkalen 
Höcker auf der Arbeitsseite sich berühren, während der untere Zungen¬ 
höcker erst später, beinahe erst in Okklusionsstellung in Berührung tritt. 
Warum beim intakten Gebiß das einemal dieser 3 oder Mehrpunktkon- 



Fig. 1 


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_ Oxlgiralii^irL ^ 

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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 


takt vorhanden ist, und dann wieder selbst bei ausgedehnter Abrasion der 
Zähne fehlt, ist uns heute unbekannt und bedarf noch der Aufklärung. 
Es leuchtet dagegen jetzt schon ein, daß derartige Verschiedenheiten bei der 
statischen Betrachtung, d. h. der Einwirkung der Kau- ; 
kraft, eine wesentliche Rolle spielen. Bei vorhandenem 0 
Dreipunktkontakt wird, wie Fig. 4 zeigt, das auf der /I|vy / /!\ V 
Arbeitsseite schädigende Kippmoment nach außen, \\ V\ä / /[? \ w 
durch den palatinalen Höcker des Oberkiefers auf J I • \ \ \ \ 

der Balanceseite aufgefangen. I 

Die Anwendung solcher Entlastungen bei Kronen J J 

und Brückenarbeiten finden wir zum erstenmal er- Fig . 2 Fig. 3 
wähnt und abgebildet in der Arbeit von Schröder 
im Walkhoffschen Jubiläumsheft <S. 181, Fig. 17>. Schröder bildet da 
einen Fall ab, bei dem durch starke Ausbildung der Molaren-Bukkalhöcker 
die Porzellanfacetten einer Frontbrücke durch Zustankekommen eines Zwei¬ 
punktkontaktes bei Vorbiß und Seitbiß 
geschützt werden. Während wir seit* L 

her bei Herstellung kleinerer oder große- L ^ ' 

rer Brücken glaubten, durch Wieder- 7 ^/ v\ 

hersteHung der bestehenden Okklu- 

sionsebene die günstigsten Verhältnisse 1 \s / • ! \ v; 1 

zu schaffen, haben wir uns entschlossen, jfajfiijB ^ 

auch bei Brückenarbeiten, evtl, auch bei 1 Vl/H 

einzelnen Kronen, diese neuen Beobach- V y a V 

tungen anzuwenden. Die bewußte An- /n^ 

Wendung des Drei- oder Mehrpunkt- 

kontaktes bei diesen Brückenarbeiten 1 \ / • \ ^ L o 1 

ist unseres Erachtens von großer sta- ' 

tischer Bedeutung. Es ist nicht mög- 

lieh, heute näher auf dieses Problem \ \ \ \ 

einzugehen. Jedenfalls kommen dadurch 

zur Belastung und Entlastung ganz / jgmS V>—1 

neue Gesichtspunkte in Frage. I 


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152 


Ludwig Köhler und O. Riedielmann 


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Fig. 5 


wir müssen bewußt einzelne Führungsbahnen, z. B. Schneidezahnüberbiß, 
Neigung der Kompensationsflächen der Molarenhöcker, den neuen Verhält- 
nissen unter den statischen Gesichtspunkten anpassen. 

Die Stabilisation der ganzen Prothesen bedarf ja außerdem 
noch einer Einrichtung, um beim Abbiß die Loshebelung der 
Prothese zu verhindern. Die Eltnersche Gleitschiene (Brctzel- 
ebene) und ihre Modifikation nach Rumpel können auch nur 
in einem entsprechenden Artikulator ausgeführt werden. Not¬ 
wendigkeit und Wert der Gelenkartikulatoren dürfte damit zur 
Genüge begründet sein. 

Bevor man daran geht, irgendeinen Artikulator zu verwenden, 
soll man versuchen, sich die theoretischen Grundlagen zu ver- 
gegenwärtigen, die bei seiner Konstruktion zu berücksichtigen 
sind. Nur so ist es möglich, Fehlerquellen und Mißerfolge beim 
praktischen Gebrauch zu vermeiden. 

Der Unterkiefer stellt ein räumlich sehr kompliziertes Gebilde dar. Um 
uns seine Bewegungen zu vergegenwärtigen, schlagen wir einen ähnlichen Weg 
ein, wie es etwa ein Physiker tut bei Beobachtung und Messung der Pendel- 
bewegungen. An Stelle des Perpendikels und des Pendelgewichtes setzt er den 

Begriff des mathematischen Pendels und 
abstrahiert so vom materiellen, vielleicht 
recht kompliziert gebauten Teil des Auf¬ 
hängeapparates das, was die Berechnung 
stört. Das Bonnwill'sche Dreieck stellt 
eine ähnliche Vereinfachung bei der Be¬ 
trachtung des Unterkiefers dar. Die drei 
Punkte entsprechen den beiden Kondylen 
und dem Berührungspunkte der unteren 
mittleren Schneidezahnkante. Wir denken 
uns durch diese Punkte eine Ebene ge¬ 
legt und beobachten die Bewegung des 
durch sie begrenzten Dreieckes im Raume. 
So können wir nach Festlegung der Bahnen 
der Dreieckpunkte die Bewegungsbahn 
des Unterkiefers messen und die Tat¬ 
sachen festlegen, die zur Reproduktion 
dieser Bewegungen in einem Artikulator 
notwendig sind. Nach diesen Voraus¬ 
setzungen ist der Unterkiefer mit den drei 
Dreieckpunkten fest verbunden gedacht. Es 
wird also jeder Punkt des Unterkiefers eine berechenbare Bahn beschreiben. 

Um die theoretischen Erörterungen nicht endlos hinauszuziehen, beginnen 
wir mit der Betrachtung zweier Artikulatoren. Diese beruhen auf dem ein¬ 
fachsten Prinzip der Reproduktion der Kaubewegungen. Denken Sie sich, man 
brächte an den drei Dreieckpunkten eines Dreiecks Stifte an, die in einem pla- 



Fig. 6 


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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 


153 


stischen Material, z. B. Amalgam die räumlichen Bewegungsbahnen einzeichnen, 
so wäre dadurch die Möglichkeit gegeben, nach der Erhärtung des Materials 
die Bewegung genau in derselben Weise wiederzugeben. Praktisch ist dieses 
Beispiel beim Kiefer nur durchführbar, bei den Bewegungen des Vorbisses 
und den Bewegungen, die von dem Okklusionsbiß nach den Seiten aus- 
geführt werden. Es entspricht dies etwa der Phase 3—4 der Gysi sehen 
Rundbißbewegung. Aber gerade diese beiden Bewegungen bringen ja die 
Modelle des Kiefers in die Stellung, die wir zur Herstellung der Stabilisation 
der Prothese beim Aufstellen derselben benötigen. Gysi erwähnt einen 
Artikulator von Luce, der von diesem 
Gedanken ausgeht, und fügt nach Be¬ 
schreibung dieses Artikulators als 
Schlußurteil zu, daß, wenn es möglich 
sei, auf diese plastische Art die Be¬ 
wegungen der Kondylen zu registrieren, 
man auch nachträglich beliebige Ver¬ 
änderungen des Schneidezahnüberbisses 
anbringen kann ohne Fehlerquellen. 

Die erste, gut durchgearbeitete prak¬ 
tische Lösung in der gleichen Richtung 
stellt der Artikulator ven Eichen¬ 
topf dar. Fig. 6 zeigt den Artikula¬ 
tor, das Oberteil mit den 3 Stiften. In 
den 3 Näpfchen des Artikulatorunter- 
teils sollen in Amalgam die Kaukurven 
aufgezeichnet werden. Das Oberteil ist 
mit dem Unterteil verbunden durch eine 
Art Gelenkverbindung. Diese hat nur 
den Zweck, dem Oberteil eine lose Füh¬ 
rungzugeben, wenn diemitHilfeder Bi߬ 
schablone aufgenommene Bewegungs¬ 
bahn im Amalgam festgelegt werden soll. 

Ein sehr wesentlicher Punkt bei der Verwendung des Eichentopf-Arti¬ 
kulators ist die Methodik, die Eichentopf zur Registrierung der Kau¬ 
bewegungen mit Hilfe der Bißschablone ausgearbeitet hat. Bißschablonen zur 
Registrierung sind zuerst von Gysi angewandt worden, um mit Hilfe eines 
kleinen, in der Mitte der oberen Schneidezähne befindlichen federnden Stift— 
chens auf einer Schablone des Unterkiefers die Bahnen des vorderen Dreieck¬ 
punktes bei Seitbiß aufzuzeichnen. Bei richtiger Messung erhält man da¬ 
bei auf der Unterkieferschablone eine Kurve aufgezeichnet, die aus zwei 
stumpfwinklig aufeinandertreffenden Schenkeln besteht <Fig. 7>. Richtet man 
auf den Segmenten die Senkrechten, so erhält man die Lage der im Raum 
wandernden Rotationszentren, deren Verbindung die Polbahn darstellt. Wäh¬ 
rend beim alten, großen, verstellbaren Gysi-Artikulator der geometrische 
Ort für diese Zentren durch Verstellung der Wippunkte eingestellt wurde. 



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154 


Ludwig Köhler und O. Riedielmann 


hat Rumpel durch verstellbare Querrinnen auf der Schneidezahnführung 
die automatische Einstellung der momentanen Rotationszentren des vor¬ 
deren Dreieckpunktes eingeführt. 

Eichentopf hat einen neuen Weg eingeschlagen. Er verwendet 



Fig. 8 


1. zur Feststellung der Bewegungsbahn des Unterkiefers feste vulkani¬ 
sierte Basisplatten, in denen auch bereits die Klammern der fertigen Pro¬ 
these angebracht sind. 

2. tragen diese Basisplatten in der Mitte des Alveolarkammes des Ober¬ 
kiefers longitudinale und im Unterkiefer in der Gegend des 1. Molaren, 
eine transversal stehende Kautschukwand <s. Fig. 8 — 9). Diese Leisten 
werden beim Bißnehmen auf die richtige Bißhöhe gebracht und gewähren 
dadurch eine absolute Sicherheit, daß die Bißhöhe beibehalten wird. Außer¬ 
dem sorgen sie dafür, daß beim Seitbiß die einmal angenommene Trans» 


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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 


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Ludwig Köhler und O. Riedieimann 


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Änderungen vornehmen zu können. Darnach bringt man im Oberkiefer 
einen weichen Wachsmantel über die Kauflächen der Zahnreihe in Platten- 
stärke an, außerdem werden alle Zähne mit Hartwachs gut befestigt. Wenn 

_ _ Sie damit nochmals Biß nehmen 

in Schlußbißstellung, und von 
dieser Stellung aus geringe Vor- 
und Seitbißbewegungen ausfüh¬ 
ren lassen, so zeichnen die Zähne 
des Unterkiefers die Bewegungs¬ 
bahnen in den Wachsmantel ein. 
Dies gelingt aber nur gut, wenn 
Sie zwischen beide Schablonen 
schon beim 1. Zubiß eine Lage 
dünnen einvaselinierten oderein- 
talkumierten Kofferdams legen. 
Nur mit diesem Hilfsmittel ist 
es uns gelungen, den Bewegungs¬ 
biß auf diese Art und Weise ge¬ 
nau aufzunehmen. Ohne Zweifel 
hängt der Erfolg sehr viel von 
der Art des verwendeten Wachses ab. Figuren 14 und 15 zeigen eine derartig 
gewonnene räumliche Aufzeichnung der Bewegungsbahn. 

Die Schablone wird dann wieder auf die Modelle gesetzt, die Tellerchen 
werden mit plastischem Kupferamalgam gefüllt und die Stifte um 1 — 2 mm 
gehoben. Dann werden die Schrauben am Schlottergelenk und der Arti- 
kulatorkondylenachse gelöst und der Artikulator umgedreht. Durch vorsich¬ 
tiges, gleichmäßiges Entlanggleiten der unteren Zahnreihen und Querleisten 
in den vorhandenen 
Kauabdrücken des gut 
gekühlten Oberkiefer¬ 
wachsmantels werden 
die vorher ausgeführ¬ 
ten Kaubewegungen 
nachgeahmt. Dabei be¬ 
schreiben je nach dem 
Umfang der Bewegung 
die Stifte eine Bahn in 
dem weichen Amal¬ 
gam. In Okklusions- J2 

Stellung läßt man den 

Artikulator stehen bis zur Erhärtung des Amalgams. Nun hat man die Be¬ 
wegungsbahn im Amalgam festgelegt. Zwischen den im Amalgam <Fig. 16) 
aufgezeichneten Rinnen finden sich oft kleine spitze Grate, die man zweck¬ 
mäßig mit dem Finierer beseitigt. Die Schrauben der Kondylenachse und des 
Gelenkes bleiben lose, so daß beim Aufstellen der Prothese nun die Rinnen 


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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 


157 


im Amalgam die Führung bewerkstelligen. Die automatische Einstellung 
der transversalen Bißebene und das automatische Einschleifen der Zähne 
erfolgt nach den Angaben von Gysi, wie wir es dort später sehen werden. 
Bei der praktischen Anwendung der E. A. sei noch auf einige Punkte hin¬ 
gewiesen, von denen einer besonders 
leicht zu Fehlerquellen Anlaß gibt, wäh¬ 
rend die nach E. modifizierten Bißschab¬ 
lonen nur zu empfehlen sind, auch beim 
Arbeiten mit anderen Artikulatoren. 

Beim ersten Aufstellen der Prothese 
lockern sich die Schrauben an der Ge¬ 
lenkachse und den Gelenken leicht, und 
man hat dann keine Sicherheit mehr, ob 
nach der Wiederfestschraubung die Achse 
genau dieselbe Stellung innehat. Fehlen 
artikulierende Zähne, so muß der Ok- Fig. 13 

klusionsbiß erneut genommen werden. 

Diese Fehlerquelle will E. bei einer Neukonstruktion vermeiden. 



Es wäre ferner wünschenswert, wenn die Registrierstifte nicht zugespitzte, 
sondern mehr kugelige Form hätten. Eine etwas tiefere Lage des hinteren 
Registriertellers würde eine Verlängerung des Registrierstiftes und damit eine 


ausgedehntere Registrier¬ 
kurve in der Kondylen- 
achsengegend ermöglichen. 
Eine V erbesserung des Ar- 
tikulators in dem Sinne, 
daß eine Auswechselbar¬ 
keit der Registrierteile und 
Modelle möglich ist, wird 
praktisch undurchführbar 
sein. 

Eine grundsätzliche Vor¬ 
aussetzung für die An¬ 
wendung der E. A. ist 
natürlich, daß der Patient 
die zur Registrierung des 
Bewegungsbisses erforder¬ 
lichen Bewegungen willkür¬ 
lich ausführen kann. Dabei 
stößt man leider auf manche 



Schwierigkeiten, da ja die geforderten Bewegungen eigentlich keine phy¬ 
siologischen sind, trotzdem sie in der Bahnform der Endphase der nor¬ 
malen Kaubewegung beinahe völlig entsprechen. Die Reproduktion der 
Kaubewegung von orthodontischen oder fast vollbezahnten Modellen in 
E. A. wird nur möglich sein, wenn in den betreffenden Fällen ein ausge- 


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Wir wenden uns jetzt der Be¬ 
trachtung des neuen Gysi-Drei- 
punkt-Artikulators Simplex zu. 
Zur Vervollständigung des Bildes 
sollen dabei weitere theoretische 
Gesichtspunkte erörtert werden. 

Das Artikulationsproblem be¬ 
handelt die Gesetze über die 
Bewegungen des Unterkiefers, 
im Beitrag zum Artikulationsproblem: Das 
wenn wir alle Bewegungen des U K bloß 
wenn wir diese Bewegungen auch mecha- 
zwar nicht nur für einen mittleren Normal» 


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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 


159 



fall, sondern auch für jeden individuellen Spezialfall. Wir folgen dem ersten 
Teil dieses Satzes und suchen uns ein kurzes Bild zu machen über die 
theoretische Kenntnis der U /(-Bewegungen. 

Weigele teilt diese in zwei Gruppen. 

1. Solche Bewegungen, die auf Grund des anatomischen Baues, insbesondere 
der großen Inkongruenz zwischen Gelenkpfanne und -köpfchen überhaupt 
möglich sind. Weigele spricht dabei dem U an Bewegungsfreiheit 6 Grad 
zu, während Fick dafür nur 4 angibt. 

2. solche für den Kauakt wichtige Bewegungen. 

Die letzteren sind von Gysi ausführlich beschrieben. Es sind 

die verschiedene Punk¬ 
te des U K bei der Öff- Fig * 18 

nungsbewegung be¬ 
schreiben. <Fig. 17, Gysi, le probleme d articulation.) Mittels der optischen 
Methode hat Bennett die Bewegung der drei Dreieckpunkte des UK 
gewonnen. Er hat auf diese Weise nicht nur in rein seitlicher Ansicht, 
sondern auch auf horizontaler Ebene bei Seitbiß die Bahnen festgestellt, 
welche die Dreieckpunkte beschreiben. Gysi hat diese Versuche wieder¬ 
holt. Er fand dabei eine schwach S-förmige Kurve, die in drei Etappen 
aufgezeichnet ist und wo jede Etappe beinahe als gerade Linie bezeichnet 
werden kann. Errichtet man auf der ersten Etappe der Gelenkkopfbahn 
und der ersten Etappe der Kinnbahn je eine Senkrechte, so bildet der 
Schnittpunkt dieser Senkrechten natürlich das beiden Etappen gemeinsame 
Ro-zentrum. 


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Ludwig Köhler und O. Riechelmann 


Daß dieser Bennettsche Ro»punkt der richtige ist, kann man auch da» 
durch beweisen, daß man an einem Schädel in dieser Gegend einen Wider» 
stand anbringt und am Unterkiefer einen Stift <Fig. 18 aus der ob. Abhand» 
lung). Öffnet man dann die Kiefer, so kommen die Gelenkköpfe in natür» 


Altes System 
Flache Molaren 


Altes System 
Flache Molaren 

balanciert nicht & beiast nicht 


Flache Molaren 8 
Compensafionskurve 


Flache Molaren & 
Compensafionskurve. 

balanciert.aber beisst nicht 


Compensafionskurve & Höckermolaren, 
balanciert & beisst • 


Compensafionskurve & Höckermolaren. 
wie sie die Anaioform Zähne haben 


lieber Weise vor und abwärts, was sie bekanntlich sonst nicht ohne weiteres 
tun. Solange bei einer Prothesenarbeit die Bißhöhe erhalten bleibt, ist es 
gleichgültig, ob der Artikulator einen richtig liegenden Ro»punkt hat oder 
nicht. Besonders bei vollständigem Zahnersatz kann es jedoch Vorkommen, 
daß sich die Bißhöhe auch durch Unachtsamkeit verändert. In diesen Fällen 
ist es widitig, daß das Ro»zentrum im Artikulator in richtiger Höhe an» 
gebracht ist. Die Öffnungs» und Schließungsbewegung genauer zu unter» 


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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 


161 


suchen, ist für uns auch deshalb nötig, weil aus der Messung des Ro-zen- 
trums sich die Funktion und die Einstellung der longitudinalen Zahnkurve 
erkennen läßt. Sie hat nicht nur die Bedeutung einer Kompensationsebene 
für die Stabilisation der Prothese <Fig. 19 aus Gysi, der neue Drei« 


punktartikulator). Vielmehr sehen 
Sie gerade hieraus ebenso wie auch 
aus der Fig. 51, S. 62 Gysi, das 
Aufstellen einer ganzen Prothese mit 
Anatoformzähnen Gysi«Williams 
jetzige Fig. 20, daß auch ohne diese 
Kurve eine Prothese stabilisiert werden 
kann. Die longitudinale Kurve der 
Zahnreihe erhält aber noch eine andere 
Bedeutung, wenn wir die Lage des 
Ro«zentrums für die öffnungs- und 
Schließungsbewegungbetrachten. Dies 
zeigt Fig. 56 <Gysi-Williams Auf¬ 
stellen mit Anatoformzähnen), hier 

Fig. 21. 

Oberstes Bild: Achse auf der 
Kauebene. Gerade Zahnreihen geben 
senkrechten Kaudruck. 

Mittleres Bild: Achse hoch über 
der Kauebene. Starke Zahnkurve für 
senkrechten Drude auf die Molaren. 

Unterstes Bild: Achse in normaler, 
mittlerer Lage. Schwache Zahnkurve 
gibt senkrechten Drude auf die 
Molaren. 

Hieraus sind die Beziehungen zwi¬ 
schen Richtung des Kaudrudes zu der 
Bißebene zu ersehen. 

Betrachten wir die Öffnungsbe¬ 
wegung nochmals zusammenfassend, 
so sehen wir, daß bei der Öffnungs¬ 
und Schließungsbewegung eine Ro¬ 
tation des UK um eine transver¬ 
sale — y — (Weigele, Fig. I, s. 
Fig. 22) Achse stattfindet, die zur 
medianen Ebene senkrecht steht. 
Die Achse wandert dabei im Raum, 
so daß wir für jede kleinste Be¬ 
wegung in der Zeiteinheit eine 
sogen. Momentanachse annehmen 
müssen. 

Viertcfjahrssdirift für Zahnheitkunde, Heft 2 



Fig. 21 

11 


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Für die praktisch in Betracht kommende kurze Öffnungs- und Schließungs¬ 
bewegung verschiebt sich der Ro^punkt nur wenig, so daß es entgegen der 
Bennetschen Annahme doch auch an einem Artikulator möglich ist, sie me^ 
chanisch wiederzugeben. Sie sehen ferner, daß wir bei der Öffnungsbewegung 
nicht nur eine Rotation — sondern auch eine Verschiebung oder Translation 
des UK beobachten. 

Sie müssen sich das natürlich so vorstellen, daß die Zerlegung der Be¬ 
wegung in Rotationen und Translationen eine künstliche ist/ sie soll nur 



J0c rUrtter/Urf^r in <%jc o n,o metrifcßtr 

0 3 yLoorciLncctcnpunlft. 

tfiionkaLekene. 

M 133 Jl/Ledianebene. 

Fig. 22 


zeigen, welche Bewegungen überhaupt möglich sind,- zunächst ohne Rück¬ 
sicht auf ihr Vorkommen. Die Führung im Kiefergelenk müssen wir als 
derart locker auffassen, daß beim Fehlen geeigneter Führungsmomente <Zahn^ 
höckern) eine außerordentliche Bewegungsfreiheit besteht. 

Mit dieser Feststellung der Rotation und der Translation sind die räum¬ 
lich möglichen Verschiebungen in einer Ebene des Raumes erschöpft. Ver* 
Schiebungen irn wesentlichen in der Sagittalebene, Rotation in einer dazu 
senkrechten V^Achse. Wir glauben durch eine derartige Vermischung in der 
Darstellung der praktisch wichtigen und theoretisch möglichen Kaubewe- 


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Der heutige Stand des Artikulationsprobiems 


163 


gungen auch die letzteren Ihnen besser verständlich machen zu können. Ähn^ 
lieh lassen sich die Bewegungen beim Vprbiß auflösen. Es findet dabei eben^ 
falls eine Verschiebung und Rotation statt, Rotation um eine zur SagittaU 
ebene senkrechte Achse. Mit der sagittalen Verschiebung des Unterkiefers 
bei Berührung der Zähne hat sich genauer GrafSpee befaßt. Der Vortrag 
des Kollegen Richter in Leipzig zeigte, daß die vom Grafen Spee aufge^ 
deckten Beziehungen zwischen Zahnlängskurve und dem vorderen Punkte 



des Kondylus noch nicht in dem Maße der veränderten Auffassung Gysis 
Platz gemacht hat, wie dies zu wünschen wäre. Graf Spee fand, daß die 
als Kompensationskurve bezeichnete Krümmung des Zahnbogens bei seit^ 
lieber Betrachtung den Teil eines etwa von der Mitte der Augenhöhle ge^ 
zogenen Kreisbogens darstellt, der in seiner Rückwärtsverlängerung den vor^ 
deren Punkt des Kondylkopfes berührt. Er folgert aus der Existenz seines 
Kreisbogens, daß die Bewegung des Unterkiefers bei Vor^ und Rückver¬ 
schiebung mit aufeinandergepreßten Zähnen um einen Zylindermantel er^ 
folgte, dessen Achse durch den Mittelpunkt der beiden Augenhöhlen gehe 
und der durch Speeschen Kreisbogen bestimmt sei. Wir möchten uns jedoch 
der Gysischen Auffassung anschließen, daß die Speesche Kreisverschiebung 
nur bei Gebissen ohne Schneidezahnüberbiß zutrifft, ohne auf die feineren 

11 * 


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164 Ludwig Köhler und O. Riedielmann 

mechanischen Vorstellungen, die sich dabei abspielen, an dieser Stelle ein* 
zugehen. 

Das Rotationszentrum der Vorbißbewegung <RumpeI, Fig. 2, s. Fig. 23> 
würde sich nach Graf Spee in der Mitte der Augenhöhle befinden, voraus¬ 
gesetzt, daß kein Schneidezahnüberbiß vorliegt. Ist letzteres jedoch der Fall, 
so wird der Unterkiefer beim Vorbiß durch die Gaumenseite der'Schneide¬ 
zähne und der Gelenkbahn geführt. Die Senkrechten auf diesen Führungs- 



a 

® © 


e> Fig- 24 

bahnen ergeben das zugehörige Rotationszentrum bei Vorbiß <s. Rumpel, 
Fig. 5, s. Fig. 24>. 

Der neue Gysi-Dreipunkt-Artikulator geht von ähnlichen Prinzipien aus, 
wie der Eichen topf -Artikulator. Das Artikulatorobergestell Fig. 25 u. 26 
besteht aus einem Dreifuß, der mit seinen Spitzen 1, 2, 3 auf den entspre¬ 
chenden Flächen U lf U 2f (/ 3 des Artikulatorunterteils ruht. Durch Verschie¬ 
bung des Artikulatoroberteils läßt sich der Unterkiefer in verschiedene Stel¬ 
lung zum Oberkiefer bringen. Am Oberteil ist eine Stange angebracht, deren 
Ende <//, III) den geometrischen Ort für die Kondylen bildet, während 
der am vorderen Stützstift angebrachte verschiebliche Zeiger mit seiner Spitze 
den vorderen Punkt </> das Bonn will sehen Dreieckes festhält. Die Flächen (J 2 


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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 


165 


und U 3 stellen so¬ 
mit nicht Gelenkköpfe 
dar, wie beim alten 
Gysi-Simplex, son¬ 
dern sind eher mit den 
Näpfen desEi che n- 
topf-Artikulator in 
ihrerFunktion zu ver¬ 
gleichen, nur mit dem 
Unterschied, daß bei 
Gysi aus zahlreichen 
Messungen bestimm¬ 
te Mittelwerte zur 
Konstruktion dieser 
Flächen verwendet 
wurden, während sie 
bei Eichen topf von 
Fall zu Fall indivi¬ 
duell geschaffen wer¬ 
den. Die Neigung der 
Flächen U t und U 3 
beträgt zur Kauebene 
etwa 33° <Fig. 27>, 
die Neigung der so¬ 
genannten Schneide¬ 
zahnführung 40°. <Es 
folgt jetzt Kommen¬ 
tar zu Fig. 26, Seit¬ 
wärtsbewegung, und 
Fig. 28, Öffnungsbe¬ 
wegung.) Während 
die separaten Abbil¬ 
dungen <Fig. 26 und 
27> eigentlich kaum 
einer weiteren Er¬ 
klärung bedürfen, sei 
nur darauf hingewie¬ 
sen/ daß Gysi in 
Fig. 28 den Nach¬ 
weis erbringt, daß tat¬ 
sächlich der A. Unter¬ 
kiefer seineöffnungs- 
bahn beschreibt, die in 
praktisch genügender 
Genauigkeit mit der 



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166 


Ludwig Köhler und O. Riedielmann 


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Bahn übereinstimmt, wie sie bei einem Ro-zentrum für das erste Drittel der 
Öffnungsbewegung nach den Gysi*Bennettschen Untersuchungen zu finden 
ist. Man sieht, daß die Bahnen R u. r entsprechend den Ro-zentren RC u. 

rc in der praktisch in Be« 
tracht kommenden Grenze 
sich eigentlich decken. 

Beim Eichentopf* 
Artikulator entsprechen 
die aufgenommenen Be* 
wegungskurven nur dam 
der Wirklichkeit, wenn 
die Stützstifte die gleiche 
Länge behalten, d. h. wenn 
Veränderungen der Biß* 
ebene nicht vorgenommen 
werden. Ähnlich wie bei 
Eichentopf Verände» 
rung der Lage der Modelle zu den individuellen Führungsbahnen nicht vor« 
genommen werden dürfen, so muß natürlich auch bei Gysi die Einstellung 
der Modelle möglichst im richtigen Verhältnis zu den als Norm ange¬ 
nommenen Führungsflächen erfolgen. Nur wenn die Modelle zu den npt 

// u. III bezeichne* 
ten Kondylenpunkten' 
richtig eingestellt wer* 
den, stimmen die sich 
ergebenden Bahnen der 
einzelnen Zähne. Das 
Eingipsen der Modelle 
ist aus Fig. 29 ersicht¬ 
lich. Sie sehen hieraus, 
daß sich die Anwal¬ 
dung des neuen Gysi* 
Artikulators sehr ein¬ 
fach gestaltet, zumal 
sich dabei auch noch Re¬ 
gistriervorrichtungen 
zur genaueren Ein¬ 
stellung der Modelle 
anwenden lassen. Wollen wir bei Gysi am Patienten die individuellen Bahnen 
festlegen, so müssen wir statt des Drei punkte Artikulators den Artikulator 
Gysi-Rumpel verwenden, bei dem mittelst Messungen, ähnlich wieEltner, 
die Kondylenbahn und Einwärtsneigung nebst der Schablonenführung sich 
durchführen lassen. Wie sich das eigentliche Aufstellen, besonders der neuen 
Anatoformzähne Gysi*Williams gestaltet, können Sie am besten in der 
von Gysi darüber erschienenen Abhandlung, das Aufstellen künstlicher 



Fig. 28 




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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 


167 


Zähne im Dreipunktartikulator-Simplex nachlesen. Dies ausführlich zu bringen, 
würde den Rahmen unseres heutigen Vortrages überschreiten. Dagegen 
möchten wir noch einiges über die Entstehung der Anatoformzähne, besonders 
der von Gysi geschnitzten 
Molaren, Vorbringen. 

Nachdem Gysi im Jahre 
1908 seinen großen Gelenk- 
Artikulator, den sogenannten 
verstellbaren konstruiert hatte, 
versuchte er infolge richtiger 
Konsequenz seines Gedankens 
die Gesetze festzustellen, die 
zwischen der Kaurinnentiefe 
und den verschiedenen Füh¬ 
rungselementen des Unter¬ 
kiefers entstehen. Wir müssen 
zu diesem Zweck den Werde¬ 
gang kurz beschreiben. Sie 
sehen <///, Fig. 30) die Ver¬ 
suchsanordnung, die er an diesem Artikulator anbrachte, um die diesbezüg¬ 
lichen Gesetze zu begründen. Der Führungsstift im Artikulatoroberteil greift 
in eine bewegliche Rinne des Unterkiefermodelles ein und erteilt dieser die¬ 
jenige Neigung, die mit der Kondylenbahn und der Schneidezahnführung 
harmoniert. Die Ergebnisse 
dieser Messungen finden wir 
bereits in der ersten Abhand¬ 
lung, Beitrag zum Artikulations¬ 
problem 1908. Übersichtlich zu¬ 
sammengestellt hat sie Gysi in 
seiner Abhandlung über das 
Aufstellen einer ganzen Pro¬ 
these mit Anatoformzähnen. 

Fig. 31 zeigt Ihnen, welche Be¬ 
ziehungen zwischen Kaurinnen¬ 
tiefe und den verschiedenen 
Führungselementen des Arti- 
kulatorunterkiefers bestehen. 

Bild A zeigt die Tiefe der Kau¬ 
rinne bei 20 und 40° der Gelenk¬ 
bahnneigung. Die Tabelle er¬ 
gibt, daß eine solche Änderung der Gelenkbahnneigung auf die Längsrinne der 
unteren Molaren keinen Einfluß hat, wohl aber, wie Fig. 32 u. 33 III zeigen, 
einen beträchtlichen Einfluß auf die Krümmung der transversalen Kauebene. 
Bei Bild B <Fig. 31> ist die Schneidezahnführung von 20 auf 40° verändert. Der 
Einfluß auf die Längsfurchen ist sehr deutlich. Fig. C und D berücksichtigen die 



Fig. 30 



Fig. 29 


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168 


Ludwig Köhler und O. Riechelmann 



Bewegungen nach Ben nett. Auch hier ist der Einfluß deutlich ausgesprochen 
in dem Sinn, daß bei geringem Grade der Einwärtsneigung tiefe, bei aus* 



Fig. 31 


gesprochenem Grad flache Kaulängsrinnen bedingt sind. Da wir die Neigung 
der vorderen Schneidezahnführung nach unserem Ermessen bei der Auf* 



Stellung ganzer Prothesen verändern können, so ergibt sich daraus, daß wir 
es in der Hand haben, relativ flache oder anatomische Molaren zu ver* 
wenden. Die neuen von Gysi hergestellten Anatoformmolaren sind ver* 


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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 


169 


hältnismäßig jugendlichen Molaren nachgebildet und besitzen bei geringer 
Bißtiefe zahlreiche kleine Berührungsflächen. Dieser Zustand wird dadurch 
erreicht, daß die Kauflächen dieser Molaren feine, kleine, scharfe Kauleisten 


besitzen, die kreuzweise Übereinandergleiten 
<Fig. 34>. Dadurch ist eine geringere Kau** 
kraft notwendig, zur Zerkleinerung der 
Nahrung, als wenn breite Berührungsflächen 
vorlägen, wie wir sie im Abrasionsstadium 
des natürlichen Gebisses <Fig. 35,- V> vor** 
finden. Damit hat Gysi bewußt geringe 
Änderungen der natürlichen Zahnform mit 
Rücksicht auf ihre mechanische Wirkung 
durchgeführt. Über das automatische Ein** 
stellen und Einschleifen dieser Molaren 
bitten wir Sie, sich in der schon vorher er** 
wähnten Broschüre von Gysi näher zu 
unterrichten. Sie finden auch dort treffliche 
Bilder, die den ganzen Werdegang einer 
Prothese in den einzelnen Phasen illustrieren. 
Die Formen und Farben der neuen Anato* 



formzähne dürften das vollkommenste sein, 
was auf diesem Gebiete heute existiert. 


Fehr: Als 3. der Artikulatoren, die heute vorgestellt werden, kommt der 
Artikulator von Fehr in Frage <Fig. 36). Er unterscheidet sich dadurch von 
den anderen Artikulatoren, daß der vordere Stützstift, der bei ihm angebracht 
ist, nur den Zweck hat, die einmal angenommene Bißebene in ihrer Höhe 
festzuhalten. Die eigentliche Höhe der Bißebene muß auf den Modellen auf** 



Fig. 35 


gezeichnet werden und ist nicht etwa wie bei dem eben gezeigten GysU 
Artikulator durch Nasen und Zeiger am Artikulator festgelegt <Gysi** 
Blaubuch, Fig. 4>. Der Hauptunterschied besteht aber darin, daß der Arti** 
kulator ein Kiefergelenk besitzt, das bei sicherer Führung der Kondylenachse 
trotzdem ausgedehnte willkürliche Verschiebung derselben gestattet <Fig. 37>. 


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170 


Ludwig Köhler und O. Riecheimann 


Sie sehen, wie die Artikulatorkondylenachse auf einer Halbscheibe aufliegt. 
Diese Halbscheibe ist zentrisch um die ruhende Artikulatorkondylenachse dreh¬ 
bar. Auf dieser Halbscheibe kann diese Artikulatorkondylenachse nach allen 
Seiten verschoben werden. Die Verschiebung in sagittaler Richtung entspricht 
dem Vorbiß. Je nach der Drehung der Halbscheibe und Fixation in der neuen 
Stellung ändert sich die Neigung der Gelenkbahn in sagittaler Richtung. Die 
Verschiebung in transversaler Richtung entspricht der Seitwärtsbewegung des 
Unterkiefers. Die in transversaler Richtung gegeneinander federnden Me¬ 
tallteile sichern die Okklusionsstellung. Löst man die Schrauben, welche die 



Fig. 36 


Halbscheibe in ihrer Stellung festhalten, und die Federn, so ist die Artiku¬ 
latorkondylenachse vollkommen frei im Raum beweglich. Diese Achse ist an 
beiden Enden konisch abgedreht, und zwar um einen Winkel von etwa 10°. 
Diesen Neigungswinkel hat Fehr durch Messung am Patienten und an der 
Leiche festgestellt, wie später noch zu erörtern sein wird. Fehr überläßt im 
übrigen die Führung des Unterkiefers den vorhandenen natürlichen oder den 
künstlichen Zähnen der Prothese. Außerdem ist für die Öffnungsbewegung 
kein besonderes Rotationszentrum angebracht, woraus sich ergibt, daß irgend¬ 
welche Veränderungen in der Höhe der Bißebene nicht vorgenommen werden 
dürfen. Fehr hatte die Liebenswürdigkeit, mir zwecks Demonstration seines 
Artikulators die Ergebnisse seiner Forschung zur Verfügung zu stellen 
<Fig. 1 zeigt den Unterkiefer bei Vorbißbewegung). Da Kollege Fehr bei 


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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 


171 


der Beurteilung dieser Bewegung mit den soeben gehörten Ansichten über* 
einstimmt, so kann ich von weiteren Erörterungen hierüber absehen. Da* 
gegen ist bezüglich der Seitwärtsbewegung des Unterkiefers ein prinzipieller 
Unterschied zwischen den Fehrschen und den bisherigen Auffassungen fest¬ 
zustellen. Fehr hat sich zur Beobachtung der horizontalen Bewegung des 



Unterkiefers eine Registriervorrichtung hergestellt <Fig. 38>. Sie besteht aus 
zwei Blechbogen, die derart ausgeschnitten waren, daß sie genau an Fehrs 
obere und untere Zahnreihen passen. Der obere Bogen trägt fünf senkrechte, 
beiderseits offene Kanülen, in die leicht beweglich je ein Stift hineinpaßt, 
zu dessen Beschwerung an seinem . oberen Ende eine Bleikugel angebracht 
ist. Die Platten wurden mit den Ausschnitten gegen die Zahnreihen gelegt 



und so festgehalten, daß sie auch bei Bewegungen der Kiefer in horizontale 
Lage sich nicht verändern konnten. Der Unterkiefer wurde nun nach allen 
Seiten hin- und herbewegt. Dann zeichnen die in den Kondylen der oberen 
Platte losen Stifte auf der berußten unteren Platte die Bewegungen des Kiefers 
genau nach <Fig. 39>. Auf diese Weise beobachtet Fehr, daß von der Ok¬ 
klusionsstellung aus der Kiefer nach allen Seiten bewegt werden kann. Fehr 
stellt sich hier in einen Gegensatz zu Gysi, der daraus verständlich ist, daß 


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172 


Ludwig Köhler und O. Riedtelmann 


Fehr seine Messungen in einem vollbezahnten Kiefer ausführte, während 
die Gysi sehen Kurven an Bißsdiahlonen des zahnlosen Kiefers gewonnen 
wurden. Gysi erhält nach anfänglich wechselnden Kurven schließlich eine 
einheitliche Winkelkurve und erklärt diese als einzig maßgebend für die Be* 
Stimmung der Rotationszentren oder der Bewegungsbahnen des Unterkiefers. 
Das ist auch insofern unbedingt zutreffend, da die Bißschablone die Momente, 
welche die Unterkieferbewegung zustande bringen, kaum beeinflußt <MuskeU 
zug, Bänderspannung). Anders liegen die Verhältnisse bei Fehr. Hier spielt 
der Einfluß der zahlreichen Nerven des Periodontiums mit und übt in einem 
uns bis jetzt unbekannten Maß seinen Einfluß auf die mit ihm organisch 
verbundenen Bewegungselemente aus. Fehr drückt das so aus, die typische 
Bewegungsbahn muß vor allem dem Zug der Muskeln entsprechen/ in zweiter 
Linie richtet sich die Bewegungsbahn nach den Zähnen. Diese sind mit feinem 



Tastgefühl ausgestattet und finden tastend gewohnheitsmäßig die Bewegung 
heraus, bei der sie am besten die Speisen zerkleinern können, d. h. bei der 
sie mit größtmöglicher Fläche einander beschleifen. Das Kiefergelenk erlaubt 
ihnen nach Fehr jede Bewegungsrichtung. Er faßt das nochmals zusammen 
in dem Satz, die Bewegung der Muskel und Zähne sind primär, die der 
Kondylen sekundär. Fehr bringt weiter zur Stütze seiner Annahme fol* 
genden Beweis: Er hat ein haarscharfes Metallmodell seines Gebisses in 
einem Artikulator mit Schlottergelenk oder mit völlig unbehinderter Achse 
eingegipst und an Hand der Schliffflädien <ArtikuIationsfacetten> der natür* 
liehen Zähne die Bewegungen wiederholt. Dadurch glaubt er, seine mittels 
der Registriervorrichtung gewonnene Erkenntnis, die ich vorher ausführte, be= 
stätigt zu haben. Wir müssen an dieser Stelle dieser Behauptung widersprechen. 
Eine solche Wiederholung der Kaubewegung an Hand der Schliffflächen der 
natürlichen Zähne, ist an einem solchen Artikulator, auch zum Beispiel beim 
Eichentopf*Artikulator, nur dann möglich, wenn im normalen Gebiß jener 
Dreipunktkontakt besteht, über den wir schon seit längerer Zeit Beobach* 
tungen am normalen Gebiß angestellt haben. Über die seitherigen Ergeb» 


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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 


173 


nisse dieser Studien hatten wir Ihnen bei Beginn der heutigen Erörterungen 
berichtet. Wir hatten festgestellt, daß er nur in einer geringen Anzahl von 
Fällen vorhanden ist. Wir glauben daher, mit Recht sagen zu dürfen, daß 

Fehr durch diesen einmaligen Versuch nicht ge® .. 

nügend Beweismaterial für seine Behauptung 
gegeben hat. Es müßten vielmehr diese Versuche 
erneut an entsprechend ausgesuchten Fällen 
wiederholt werden. 

Durch weitere Versuche hat Fehr festgestellt, / . b 

daß sich die Kondylen bei transversalen Bewe® 
gungen ähnlich wie bei sagittalen Bewegungen in 
geneigter Bahn bewegen, und zwar beträgt die Q 
Neigung in transversaler Richtung ungefähr 10° 
zur horizontalen. Er hat diese Verhältnisse an 
der Leiche und am Lebenden studiert und will 
durch Röntgenuntersuchungen am Lebenden 
weiter diese Frage klären. Da nun Fehr einen Fig .40 

Artikulator hergestellt hat, der möglichst die von 

ihm gewonnenen Resultate, sehr loses, leicht einstellbares Gelenk, wieder® 
geben soll, so muß er auch die Neigung, die dieses Gelenk in transversaler 
Richtung besitzt, vorher durch Messungen feststellen, um sie im Artikulator 
wiederzugeben. Daher die Abdrehung der Achse um 10°. 

Wir gehen zur praktischen Einstellung der Modelle in dem Artikulator 
über. Eine Messung der Gelenkbahn ist bei Fehr nicht nötig, weil er nach 
der alten Methode des Christensenschen 
Phänomens die Neigung der Gelenkbahn 
feststellt <s. Fig. 40 und 41). Nachdem die 
Modelle mit Bißschablonen in ungefähr rieh® 
tiger Entfernung zu den Artikulatorkondyl® 
gelenken eingegipst sind,- läßt man den Pa® 
tienten mit den Schablonen vorbeißen. Fixiert 
man die beiden Schablonen in Vorbißstellung 
zueinander, so hat man damit die Lage der 
beiden Okklusionspunkte der Gelenkbahn 
festgelegt. Wenn nun, wie es beim Fehr® 
sehen Artikulator möglich ist, die Kondylen® 
achse derart gelockert werden kann, daß sich 
die Modelle leicht in die in Vorbißstellung 
gegeneinander fixierten Schablonen wieder einzwängen lassen, so kann dann 
entsprechend auch die Halbscheibe um so viel gedreht werden, daß sie in 
dieser neuen Stellung ebenfalls der Artikulatorkondylenachse anliegt. Die 
Halbscheibe gibt auf diese Weise diegeradlinige Verbindung zwischen Okklusion 
und Vorbißstellung des Kondylus an. Es würde zu weit führen, an dieser 
Stelle den von Fehr zuerst erbrachten mathematischen Beweis durchzuführen, 
daß bei Artikulatoren, bei denen die Gelenkbahn durch Vorbiß eingestellt 




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174 


Ludwig Köhler und O. Riecheimann 


wird, und deren Achse Bewegungsfreiheit nach allen Seiten hat, die Modelle 
ohne besondere Vorrichtung in ihre ungefähre Lage zur Artikulatorkondylen- 
achse eingegipst werden dürfen. Fehr weist nach, daß Fehler in der di- 
mensionellen Einstellung in der Sagittal-, Vertikalebene automatisch durch 
die Veränderung der Gelenkbahnneigung ausgeglichen werden, Fehler an der 
Horizontalebene durch veränderte Bewegung der Artikulatorkondylenachse 
aufgehoben werden. Schließlich sollen Fehler bei falscher Orientierung an der 
transversalen Vertikalebene nur noch Vioo von mm betragende Fehlergröße 
ergeben. Wir können uns über die theoretischen Anschauungen von Fehr 
und die praktischen Ergebnisse bei der Anwendung seines Artikulators kein 
abschließendes Urteil erlauben, jedenfalls sind die Ausführungen von Fehr 
sehr beachtenswert und zeigen einen wesentlichen neuen Weg, der nachgeprüft 
zu werden verdient. Sollten sich die Ergebnisse von Fehr bewahrheiten, 
so wären die Einfachheit der Handhabung und Einstellung und die leichte 
Auswechselbarkeit der Modelle ganz entschiedene Vorzüge. Der Fehr- 
Artikulator würde dann genau individuelle Resultate ergeben, und dabei nur 
geringe Fehlerquellen aufweisen, die weit hinter denen bei Messungen der 
Gelenkbahn Zurückbleiben. 

Diskussionsfrage: Lassen sich die von mir erwähnten, von Gysi ge¬ 
fundenen gesetzlichen Zusammenhänge, Zahnführungselemente des Unter¬ 
kiefers im Sinne Gysi, d. h. Zahnform und Kieferbewegung, in Einklang 
bringen mit den von Fehr vertretenen Ansichten? 

Zum Schlüsse des Vortrages wurde auf eine Anfrage von Professor 
Fritsch auf die sich in der Praxis ergebenden Vorzüge und Nachteile der 
Artikulatoren hingewiesen. Es wurde erwähnt, daß sich die Auswechsel¬ 
barkeit der Modelle an dem neuen Gysi-Dreipunkt-Artikulator dadurch 
sicherer gestalten lasse, daß man die zur Fixierung der Modelle vorhan¬ 
denen Bügel vor dem Angipsen mit Staniol umwickelt <Vorschläge von 
Riechelmann, Gotha). 

Der Eichentopfsche Artikulator hat noch verschiedene technische Mängel. 
Der unangenehmste ist der, daß die Feststellung der Artikulatorkondylen¬ 
achse mit Schwierigkeiten verknüpft ist und daß es nicht mit Sicherheit ge¬ 
lingt, wenn sich die Schrauben, die diese Achse festhalten, einmal lockern, die 
Okklusionsstellung der Artikulatorkondylenachse wiederzufinden. Eichen¬ 
topf hat mir inzwischen schriftlich mitgeteilt, daß sich dieser Umstand ver¬ 
meiden läßt, wenn man hinter der mundwärts gelegenen Schraube am Ge¬ 
lenk das Metall durchbohrt und einen Stift durchsteckt, so daß eigentlich die 
Artikulatorkondylenachse nur noch durch die auf der Artikulatorrückseite 
liegende Schraube in ihre Ruhestellung fixiert ist. Es wurde ferner betont, 
daß die Methode Eichen topf <feste Basisplatten mit den beschriebenen 
Kautschukleisten zur Feststellung des Ruhebisses) auch bei Verwendung 
von anderen Artikulatoren sehr zu empfehlen sei. Die Auswechselbar¬ 
keit der Modelle beim Eichentopf-Artikulator durchzuführen, hielt der 
Vortragende deshalb für wertlos, weil damit auch eine Auswechselung 
der Führungsnäpfe verbunden sein müsse, deren Durchführung technisch 


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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 175 

auf erhebliche Schwierigkeiten stoße und schließlich zu erneuten Fehler* 
quellen führe. 

Bezüglich des Fehr*Artikulators wurde die besonders zweckmäßige An* 
Ordnung der Auswechselbarkeit der Modelle bei diesem Artikulator erwähnt. 

Zum Schluß soll nochmals auf den Fehr* Artikulator und einige theo* 
retische Fragen eingegangen werden. Diese beziehen sich auf die scheinbar 
erhebliche Divergenz der Anschauungen, die bei der Betrachtung der Kon* 
struktion des Fehr*Artikulators und der nach Gysi konstruierten Arti* 
kulatoren sich ergeben. Da inzwischen auch die Arbeiten von Fehr und eine 
weitere Mitteilung in dieser Hinsicht von Artur Simon veröffentlicht worden 
ist, so kann auf diese Arbeiten Bezug genommen werden. Nach meinen 
praktischen Erfahrungen mit dem Fehr*Artikulator gemeinsam mit zwei 
anderen Kollegen glaube ich mich berechtigt, einigen Angaben Simons über 
den Fehr*Artikulator widersprechen zu dürfen. Zunächst seien kurz die 
Konstruktionsprinzipien zusammengestellt, von denen die neuesten Artiku* 
latoren der Gysi*Dreipunkt*Artikulator und der Gysi*Artikulator 1914 
mit der Rumpelschen Schablonenführung ausgehen. Die Festlegung des 
Zentrums für die Öffnungsbewegung bei beiden Artikulatoren ist gleich und 
soll es dem Prothetiker ermöglichen, geringe Veränderungen der Bißhöhe 
während der Arbeit am Artikulator vorzunehmen. Auch die Reproduktion 
der Seitwärtsbewegung ist bei beiden Artikulatoren im Prinzip die gleiche. 
Für diese sind keine Rotationszentren mechanisch festgelegt. Bei dem Gysi* 
Rumpel 1914 wird die Bewegungsbahn bei Seitbiß an 3 Punkten auf den 
Bißschablonen gemessen und gelangt dann durch entsprechende Einstellung 
und Neigung von Führungsflächen zur Wiedergabe. Beim Dreipunkt*Arti* 
kulator Gysi*Simplex sind diese Flächen in statistisch gefundenen Mittel* 
flächen festgelegr. Beide Artikulatoren geben also keine mechanische Fest* 
legung der Wippunkte (Kreuzungspunkt der ruhenden mit der bewegten 
Kondylenachse). Trotzdem wandern diese Wippunkte je nach der Einstellung 
der führenden Flächen immer nur in einem im Einzelfalle ungefähr festzu* 
legenden Bereich der Kondylenachse oder ihrer Verlängerung. 

Ich kann Simon nicht beipflichten, wenn er annimmt, daß der Wert sämt* 
lieber von Gysi und anderen Forschern registrierten Kurven (zur Ermitt* 
lung der Rotationszentren bei Seitwärtsbewegung) dadurch wesentlich beein* 
trächtigt wird, daß jeder Mensch außer den ihm eigentümlichen Bewegungen 
willkürlich unzählig viele andere machen könne, wie dies Fehr neuerdings 
nachgewiesen hat. Auch Gysi weist schon in seinen älteren Abhandlungen 
darauf hin, daß bei den Seitbißbewegungen eine Reihe unregelmäßig ver* 
laufender Kurven von dem registrierenden Stiftchen der Schneidezahnbahn 
aufgezeichnet werden, bevor die von ihm als typisch angenommene gewöhn* 
heitsmäßige Bewegungsbahn ausgeführt wird. Die Gysisdien Untersuchungen 
haben ohne Zweifel dargetan, daß bei zahnlosem Kiefer solche gewohnheits* 
mäßigen Bahnen und damit eine gewissermaßen typische Wanderung der 
Wippunkte bei der Seitwärtbewegung besteht. Die Untersuchungen Gysis 
unterscheiden sich im wesentlichen von den Fehrschen dadurch, daß sie mei* 


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176 


Ludwig Köhler und O. Riechei mann 


stens am zahnlosen Kiefer ausgeführt wurden, wo eine so intensive Beein¬ 
flussung der Kieferbewegung, wie sie durch die Wurzelhaut ermöglicht wird, 
nicht stattfinden kann, Fehr hat dagegen seine Untersuchungen am bezahnten 
Kiefer vorgenommen, wenn er für die jeweilige Seitwärtsbewegung ein 
Charakteristikum X annimmt, das durch die Formel X = N a gegeben ist, wo¬ 
bei N die Größe der Seitwärtsbewegung und n der Winkel der Achsen- 
neigung genannt wird. Immerhin erscheint es fraglich, ob beim zahnlosen 
Kiefer, so wie es Fehr beim bezahnten Kiefer festgestellt hat, die Größe X, 
also das Charakteristikum der Seitwärtsbewegung und damit eine anders 
gelagerte Wanderungslage des Wippunktes, willkürlich herbeigeführt werden 
kann. 

Die Messungen Gysis an der beweglichen Molarenrinne ergaben, daß 
weite Wippunktsentfernungen steile Molarenhöcker bedingen. Nach der 
Fehrschen Annahme würden umgekehrt tiefe Molarenrinnen die Lage der 
Wippunktswanderungen festlegen. Man sieht daraus, daß sich die Auf¬ 
fassungen Gysis mit Beobachtungen am Fehr-Artikulator sehr wohl in 
Einklang bringen lassen, wenn auch die theoretische Auffassung der beiden 
prinzipiell verschieden ist. Auf diese Frage noch näher einzugehen, bedarf 
erst noch weiterer Untersuchungen. Der Fehr-Artikulator steht also prin¬ 
zipiell theoretisch durchaus nicht in so scharfem Gegensatz mit den Ergeb¬ 
nissen der Forschungen Gysis über die Artikulatorprobleme. Simon hält 
den Fehrschen Artikulator nur für die Aufstellung partieller Prothesen für 
brauchbar, bei denen durch Antagonisten eine gewisse Führung des Kiefers 
gewährleistet ist, weil seiner Meinung nach ein Artikulator mit Schlotter¬ 
gelenk unpraktisch und beim Aufstellen und Einschleifen der künstlichen 
Zähne kein genügender Anhaltspunkt vorhanden sei. Dem kann ich aus 
praktischer Erfahrung nicht zustimmen, zumal wenn man den Artikulator so 
hält, wie es Gysi zum automatischen Einstellen der künstlichen Zähne an¬ 
gibt, und wenn man beim Aufstellen und Einschleifen sich der festen Basis¬ 
platten mit den Eichentopfschen Querleisten bedient. Es hat sich vielmehr 
gerade beim Aufstellen partieller Prothesen unangenehm bemerkbar gemacht,- 
daß der Stützstift in der Schneidezahngegend bei den Seitwärtsbewegungen 
seine Führung am Artikulatorunterteil verliert und das Artikulatoroberteil 
lediglich durch noch vorhandene Zähne geführt wird. Dadurch werden vom 
Techniker meistens die vorhandenen Gipszähne der Modelle aneinander ab¬ 
geschliffen. Um diesen Nachteil zu umgehen, habe ich mir unter dem Stütz¬ 
stift eine in der Sagittalebene verlaufende, verstell- und abnehmbare Rinne 
oder Näpfchen angebracht, auf denen auch bei Seitwärtsbewegung der Stütz¬ 
stift in der Schneidezahngegend geführt wird. Je nach Belieben kann man 
entsprechend diese Rinne einstellen oder in erwärmter Abdruckmasse den 
Stützstift, die durch die Gleitflächen der Zähne gegebene räumliche Führungs¬ 
bahn, ähnlich wie am Eichentopfschen Artikulator einzeidmen, so daß eine 
spätere Beschädigung der Modellzähne nicht mehr stattfindet <s. Fig. 42a, b, e>. 
Ich möchte hier auch auf einige Kleinigkeiten hinweisen, auf die bei der Hand¬ 
habung des Fehr-Artikulators besonders geachtet werden muß, Fehler, die. 


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Der heutige Stand des Artikulationsproblems 


177 


GetenKjeje* 




wie wir erfahren haben, dem Techniker öfters unterlaufen. Diese bestehen darin, 
daß 1. beim Eingipsen der Modelle in den Fehr-Artikulator, besonders bei 
zahnlosen Kiefern, die Artikulatorkondylenachse auf beiden Seiten auch 
wirklich auf ihrer Unterlage fest aufliegt, und daß 2. der durch eine Feder 
nach hinten gegen einen an der Halbscheibe befestigten Knopf gezogene 
Haken, welcher die Artikulatorkondylenachse in der Okklussionsstellung fest» 
hält, auch wirklich diese dem erwähnten Knopf fest anliegt, kurz gesagt, daß 
der Artikulatorunterkiefer nicht distalwärts verschoben ist. Solche auch nur 
geringe Ungenauigkeiten beeinträchtigen die nachträgliche Messung der Ge» 
lenkbahn durch Vorbiß sehr wesentlich. 

Bei den Vorschlägen, die Simon zur 
Konstruktion eines gebräuchlichen Arti» 
kulators macht, hält er die von Fehr 
festgestellte Neigung der Kondylen in 
der Horizontallage nicht für unbedingt 
erforderlich. Es steht das sowohl mit 
den früheren Gysi» 
sehen als auch mit den 
F e h rschen Untersuch¬ 
ungen im Gegensatz. 

Da bei der Gelenk¬ 
bahnmessung durch 
Vorbiß nur die verti¬ 
kalen Komponente der 
Kondylenbahn gemes¬ 
sen werden, wird ge¬ 
rade durch diese Ab¬ 
drehung der Artikular 
torkondylenachse, wie 
sie Fehr seinem Artikulator gegeben hat, der Fehler ausgeglichen, der durch 
die ausschließliche Messung der Gelenkbahn der vertikalen Komponente ge¬ 
geben ist. Gysi hat schon in seiner ersten Abhandlung im Beitrag zum 
Artikulatorproblem in seiner letzten Angabe über das Aufstellen der Ana- 
toformzähne in seiner ganzen Prothese auf das verschiedene Verhalten der 
yertikalen und der seitlichen Kondylenbahn hingewiesen. 

Mit unsern Ausführungen sollte der Versuch gemacht werden, durch Ein¬ 
gehen und Gegenüberstellen der den verschiedenen A. zugrunde liegenden 
Prinzipien das Verständnis derselben für den Praktiker zu erleichtern. Ge¬ 
rade durch einen solchen Vergleich wird sich schon ein Weg linden lassen, 
der uns der Lösung des AP näherbringt. Wir sind bei der Betrachtung der 
verschiedenen Konstruktionsprinzipien zu der Erkenntnis gelangt, daß in 
einer Verbindung des Fehr-Artikulators mit Eichentopfschen Registrier¬ 
näpfen, seitlich der Gelenke und am vorderen Dreieckspunkt <unter dem 
Führungsstift), ein praktischer Fortschritt zur Lösung des AP gegeben wäre. 


Ä.,A ’/U* 

fi*cA*n 





Drtlmcktt. 


Fig. 42 


VimelJahrssArift für Zahnhdfkunde, Heft 2 


12 


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AUS DEM ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUT DER DEUTSCHEN UNIVERSITÄT 

IN PRAG 

<VORSTAND PROF. Dr. H. B O E N N E C K E N> 

TEMPORÄRE PARTIELLE FAZIALISLÄHMUNG 
NACH OPERATIVEN EINGRIFFEN IN DER 

MUNDHOHLE 

VON 

DR. ANTON LOOS 

I. ASSISTENT DES INSTITUTS 

V on ätiologischen Momenten peripherer Natur kommen für die Lähmung 
des mimischen Gesichtsnerven in erster Linie Erkältungen durch Zug» 
luft in Betracht. Dabei erscheint analog vielen anderen Erkrankungen, die 
auf Erkältung zurückgeführt werden, dieser auch hier eine rein disponierende 
Rolle zuzufallen, indem durch Erkältung die natürlichen Widerstandskräfte 
des Organismus erlahmen und die einwirkenden schädigenden Noxen un¬ 
gehindert ihren deletären Einfluß geltend machen können. 

Eine weitere Form der Fazialiserkrankung ist die infektiöse Neuritis. Hier 
müssen in erster Linie die Toxine, weniger die Bakterien selbst für die Er¬ 
krankung verantwortlich gemacht werden. Schon wiederholt hat man ge¬ 
sehen, daß der Fazialis in elektiver Weise betroffen wurde und Krön, der 
sich mit dem Studium von Fazialislähmungen im Zusammenhang mit Zahn¬ 
leiden eingehender befaßt hat, sammelte 23 Fälle, bei denen es im An¬ 
schluß an eine Extraktion zu teilweiser oder vollständiger Lähmung des 
Fazialis kam, und außerdem konnte er 7 Fälle zusammenstellen, bei denen 
für die Lähmung des Fazialis anderweitige Zahnleiden die Ursache abgaben. 
Daß bei Fazialislähmungen im Anschlüsse an Extraktionen die Injektion 
von Novokain-Suprarenin nicht als auslösende Ursache beschuldigt werden 
kann, dafür bietet den Beweis die von Williger verzeichnete Tatsache, daß 
derartige Lähmungserscheinungen auch nach Narkosen und bei Extraktionen 
ohne jede Schmerzbetäubung gesehen wurden. Gerade bei den drei Fällen 
von Williams wird besonders darauf verwiesen, daß die Extraktionen 
ohne Narkose ausgeführt wurden und daß sie sehr einfach und unkom¬ 
pliziert waren. In allen diesen Fällen schloß sich die Fazialislähmung mit 
deutlicher, teils vollkommener, teils leichter Herabsetzung der elektrischen Er¬ 
regbarkeit unmittelbar an den Eingriff an. 


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Temporäre partielle Fazialislähmung nach operativen Eingriffen in der Mundhöhle 179 


In Erwägung muß auch die Annahme gezogen werden, daß in manchen 
Fällen Hysterie als ätiologisches Moment dieser Fazialislähmungen in Be- 
tracht kommen kann. Publikationen hierüber liegen von Ziehen und Mar* 
gulies vor. 

Nahehegender aber ist es, zur Erklärung des kausalen Zusammen¬ 
hanges einer Fazialislähmung mit einer vorausgegangenen Extraktion an¬ 
zunehmen, daß von der infizierten Extraktionswunde aus eine Er¬ 
krankung des Nerven durch Bakterientoxine erfolgt, womit auch für die 
bemerkenswerte Erscheinung, daß die Lähmung den Facialis der ent¬ 
gegengesetzten Seite betreffen kann, eine annehmbare Begründung gegeben 
erscheint. 

Auch Krön ist der Meinung, daß sich mit der Annahme eines infektiös* 
toxischen Ursprungs der Lähmung „am ehesten ihr Auftreten auf der kontra¬ 
lateralen Seite erklären ließe". 

Hier ist also nicht der operative Eingriff als ätiologischer Faktor zu werten, 
sondern die sich daran anschließende Infektion der Wunde trägt die Schuld 
an der Erkrankung des Fazialis. Krön nimmt eine besondere Disposition 
dieses Nerven zur Begründung des elektiven Befalfenwerdens bei Krank¬ 
heitsprozessen an den Zähnen an, und erinnert an die Erscheinung, daß bei 
den diphtheritischen Lähmungen und bei solchen durch anorganische Gifte 
gleichfalls nur bestimmte Nervengebiete heimgesucht werden. Daß der Fa¬ 
zialis in besonderem Maße für eine Infektion prädisponiert ist, geht schon 
daraus hervor, daß er in Mitleidenschaft gezogen wird auch bei Erkrankungen, 
die sich nicht in unmittelbarer Nachbarschaft abspielen. So konnte Oppen¬ 
heim eine Fazialisparese im Anschluß an eine Mastitis feststellen und in 
einem anderen Falle schloß sich die Fazialiserkrankung an einem Gelenk¬ 
rheumatismus mit Erythema multiforme an. Ferner wurde die Fazialis¬ 
lähmung auch als postinfektiöse Erkrankung im Gefolge eines Herpes be¬ 
obachtet <Ebstein zit. nach Oppenheim). 

Ein weiteres ätiologisches Moment für Erkrankungen des Facialis ist in 
einer besonderen individuellen Disposition zu suchen, die aus einer erblichen 
neuropathischen Belastung resultiert. Besteht eine solche Disposition, dann 
kann schon ein viel geringfügigerer Anlaß als eine Zahnextraktion die 
Lähmung des Fazialis zur Folge haben. So konnte Oppenheim einen 
Fall beobachten, bei dem die Facialisparalyse durch einen Schreck ausge¬ 
löst wurde. 

In allen Fällen von Fazialisparese nach Zahnextraktion wird über Schmer¬ 
zen und Schwellungen in der Umgebung der Extraktionswunde berichtet. 
Erfahrungsgemäß treten solche Komplikationen der Wundheilung meist bei 
Sekretverhaltung in der Extraktionswunde auf. Es empfiehlt sich daher 
besonders im Unterkiefer und bei größeren Kieferverletzungen 
allgemein für ein oder zwei Tage die Alveole mit hochprozen- 
tiger Jodoformgaze zu tamponieren. 

Weitere wichtige Ursachen der peripheren Fazialislähmung sind Erkran¬ 
kungen des Mittelohrs und Felsenbeins, ferner Geschwülste an der Sdhädel- 

\ 2 * 


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180 


Anton Loos 


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und Himbasis und solche der Parotis, die eine Kompression des Faziaiis- 
Stammes bewirken können. 

Lähmungen des Fazialis peripherer Natur, die nur einzelne Äste betreffen, 
sind ziemlich selten. 

So sind bei Abszeßeröffnungen in der Regio submaxillaris, ferner nach 
Extirpation der sub» und retromaxillären Lympfdrüsen Lähmungen der 
unteren Zweige des Fazialis beobachtet worden. Daß Verletzungen von 
Fazialisästen bei Frakturen des Oberkiefers eine Lähmung zur Folge haben, 
bedarf keiner Erörterung, doch sind sie äußerst selten. 

Oppenheim verzeichnet einen Fall, bei welchem eine dauernde Schädi¬ 
gung des Fazialisastes für den M. frontalis nach einem operativen Eingriff 
eintrat. 

Ich möchte nun über zwei Fälle berichten, bei denen eine vorübergehende 
Schädigung einiger Fazialisäste im Anschluß an chirurgische Eingriffe in der 
Mundhöhle zur Ausbildung kam und über einen weiteren Fall, wo wir 
ähnliche Störungen nach einer Novokain-Adrenalininjektion beobachten 
konnten. 


Fall 1 

Frau M. F., 57 Jahre alt, erschien im zahnärztlichen Institut am 10. X. 
1921 mit einer Anschwellung im rechten Oberkiefer. Die Anamnese ergab 
folgenden Tatbestand: Vor 3 Jahren bemerkte die Patientin ein langsames 
Vorwölben der rechten Wange, wobei nicht die geringste Schmerzhaftigkeit 
bestand. Der konsultierte Arzt extrahierte einige Wurzeln und die Patien¬ 
tin beobachtete, daß sich die Wunde ungefähr l / A Jahr lang nicht schloß und 
sich auf Druck eine gelbe Flüssigkeit entleerte. Schließlich verschwand aber 
diese Fistel und die Schwellung der Wange, die allmählich zurückgegangen 
war, nahm an Größe wieder zu. Der Hausarzt führte dieselbe auf eine 
Periostitis zurück und machte eine Inzision. Seit ungefähr */* Jahre wuchs 
jedoch die Anschwellung beständig, worauf von dem behandelten Arzt nach 
Punktion die Diagnose auf eine Wurzelzyste gestellt und die Patientin zur 
operativen Behandlung unserem Institut überwiesen wurde. Die Inspektion 
ergab eine halbkugelige Vörwölbung des rechten Oberkiefers, die intraorale 
Untersuchung zeigte iolgende Gebißverhältnisse: 


M s 

c n; vir 

KJ. KJ, VC KM. 

P* P, C k J, 

J. J, c P. P, 


und in der Gegend der fehlenden Molaren rechts oben eine deutlich fluk¬ 
tuierende Geschwulst. Die darüber befindliche Schleimhaut ließ keine 
krankhaften Veränderungen erkennen, palatinal war der Knochen nicht 
aufgetrieben. 

Am 13. 10. wurde die Operation nach Partsch vorgenommen. Um die 
unmittelbar unter der Schleimhaut liegende Zyste nicht zu eröffnen, führten 



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Temporäre partielle Fazialislähmung nach operativen Eingriffen in der Mundhöhle JgJ 

wir den Bogenschnitt möglichst seicht und der äußerst dünne Schleimhautlappen 
wurde mit dem Raspatorium vom Zystenbalg, durch den die Zystenflüssig¬ 
keit bläulich hindurchschimmerte, abgehoben. Nur auf dem Kamm des 
Alveolarfortsatzes traf das Skalpell auf Knochen. Bei dem Versuch, die 
Zystenwand von der Umgebung loszulösen, platzte die Zyste und die 
Zystenflüssigkeit floß ab. Der fibröse Zystenbalg wurde nun mit einer 
Kornzange gefaßt und konnte auf diese Weise ohne Schwierigkeit entfernt 
werden, wobei es nicht notwendig war, zum scharfen Löffel zu greifen. 
Audi eine Glättung der Zystenhöhle mit Bohrer oder Löffel erschien 
nicht nötig, da die Wände blank und frei von Granulationen waren. Nach 
Hineinschlagen des Schleimhautlappens wurde die Höhle mit Jodoformgaze 
austamponiert. 

Im Gefolge der Operation traten keine nennenswerten Schmerzen, jedoch 
eine beträchtliche Schwellung der Weichteile auf. Einige Tage nachher er¬ 
schien die Patientin und klagte über eine Störung in der Lippenbeweglichkeit, 
die eine Erschwerung des Sprechens verursachte. Die darauf vorgenommene 
Untersuchung ließ bei der Aufforderung, die Oberlippe zu heben, ein Zurück¬ 
bleiben der rechten Oberlippenpartie erkennen, ferner wollte der Patientin 
das Pfeifen nicht gelingen, und beim Nasenflügelheben konnte man gleich¬ 
falls ein Zurückbleiben der rechten Seite gegenüber der linken sehen. Die 
taktile Sensibilität, die Schmerz- und Temperaturempfindung zeigte sich in 
keiner Weise tangiert. 

Bei der faradischen Untersuchung wurde eine Lähmung der Pazialisäste 
für den Musculus alaris und die Wangenmuskeln der rechten Seite festge¬ 
stellt. Im Musculus alaris bestand komplette Entartungsreaktion. 

Nach 8 Wochen waren die Erscheinungen soweit zurückgegangen, daß 
die Patientin die Lippen spitzen und pfeifen konnte, auch eine Störung im 
Nasenflügelheben ließ sich nicht mehr nachweisen/ nur beim Versuch, die 
Oberlippe zu heben, blieb die rechte Oberlippenpartie noch etwas zurück. 
Nach weiteren sechs Wochen konnte in allen Funktionen ein Abweichen 
von der Norm nicht mehr konstatiert werden und die elektrische Erregbar¬ 
keit war wieder normal. 

Fall 2 

Herr G. D., 46 Jahre, suchte Ende Oktober unser Institut auf mit einer 
Geschwulst im rechten Oberkiefer, die sich nach seiner Angabe seit unge¬ 
fähr 1 Jahr allmählich und ohne Schmerzen ausgebildet hatte. Vor einigen 
Monaten wurden ihm Reste des ersten Mahlzahnes extrahiert, worauf die 
Schwellung jedoch nicht zurückgegangen war, sondern seither an Größe zu¬ 
genommen hatte. Bei der Untersuchung im Munde fanden wir eine Vor¬ 
wölbung des Vestibulum oris rechts in der Gegend des ersten und zweiten 
Molaren, die den Gaumen frei ließ. Unter der unveränderten Schleimhaut 
konnte im Bereiche der ganzen Geschwulst deutliche Fluktuation festgestellt 
werden. Wir stellten die Diagnose auf eine Zyste und schritten zur 
Operation, die in ihrem Verlaufe ganz dem vorhergehenden Falle glich. 


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182 


Anton Loos 


m 

Audi hier wurde die Zyste stumpf ohne Zuhilfenahme des Skalpells mit 
der Kornzange ausgelöst und die Höhle mit Jodoformgaze austamponiert. 
Nach der Operation stellte sich eine beträchtliche Schwellung ein, Schmerzen 
bestanden nicht. 

Durch die außergewöhnlichen Begleitumstände bei dem vorhergehenden 
Falle aufmerksam gemacht, wurde auch bei diesem Patienten, der, solange 
das Gesicht in Ruhe blieb, keine auffallenden Erscheinungen bot, der Fazialis 
eingehendst untersucht, und auch hier fanden sich analoge Störungen beim 
Naserümpfen, Lachen und Pfeifen. Diese waren aber bedeutend geringe 
fügiger als im ersten Falle und der Patient beobachtete diese Störungen 
erst, nachdem man ihn darauf aufmerksam gemacht hatte. Elektrisch be* 
stand eine motorische Schwäche in einigen Muskeln des unteren rechten 
Fazialisastes, eine Entartungsreaktion wurde nicht festgestellt. Nach etwa 
5 Wochen waren mit dem Rückgang der Entzündungserscheinungen auch 
die beschriebenen Störungen völlig geschwunden. Das Gebiß wies folgende 
Verhältnisse auf. 


p. P. C J, ), 

J. 

h C P, 

P 2 M, M, 

m 3 

p, p, C J 2 J, 

J, 

h C P, 

P. m 3 


Die Untersuchung der rechten oberen äußerlich unversehrten Prämolaren 
mit dem faradischen Strome ergab einen Ausfall der Reaktion. Die beiden 
Zähne wurden trepaniert und tote Pulpen extrahiert. Durch das exzessive 
Wachstum der Zyste waren die Pulpengefäße bei ihrem Eintritt ins Foramen 
apicale stranguliert worden, woraus die Nekrose des Pulpengewebes re* 
sultierte. 

Die gleiche Erscheinung konnte beim ersten Falle festgestellt werden, wo 
der völlig intakte Caninus bei der elektrischen Untersuchung nicht reagierte 
und seine Pulpa nach Trepanation völlig schmerzlos in geschrumpften Zu* 
stände exstirpiert werden konnte. 

Zwei Monate nach der Operation wurde bei dem zweiten Falle eine 
Kommunikation der schon sehr verkleinerten Höhle mit der Nase festgestellt. 
Da während und unmittelbar nach der Operation kein Blut aus der Nase 
abfloß, nehmen wir an, daß sich die Verbindung des Zystenraumes mit dem 
Antrum erst im Verlaufe der Heilung durch Nekrose und Abstoßung einer 
in der Ernährung gestörten, dünnen, trennenden Knochenschichte gebildet 
hat. Eine Infektion des im allgemeinen äußerst widerstandsfähigen Antrum* 
epithels ist nicht eingetreten und wie erwartet, wurde der Heilungsprozeß 
nicht weiter gestört, und im vierten Monate nach der Operation hatte sich 
unter mehrmaliger Touchierung der Fistelöflfnung mit dem Lapisstifte die 
völlige Schließung hergestellt. 

Fall 3 

Herr J. T. 27 Jahre alt wurde in der konservierenden Abteilung des In* 
stitutes behandelt und erhielt am 20. I. d. J. eine Injektion von 4°/ 0 No* 


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Temporäre partielle Fazialislähmung nadi operativen Eingriffen in der Mundhöhle 183 


vokain mit entsprechendem Adrenalinzusatz in der Gegend der Wurzel« 
spitze des 1. Prämolaren zum Zwecke der Devitalisation dieses Zahnes. 
Nach einer Viertelstunde konnte die Exstirpation der Pulpa in gänzlich 
schmerzloser Weise ausgefiihrt werden, worauf der Patient nach Füllung 
des Zahnes entlassen wurde. Beim Weggehen wollte der Patient ausspucken 
und machte die Beobachtung, daß er nicht gerade auszuspucken vermochte, 
sondern daß der Speichel nach der rechten Seite zu herausgestoßen wurde. 
Der Patient, der Mediziner ist, stellte nun selbst Versuche an, wobei ihm 
das Pfeifen nicht gelang und beim Zähnefletschen die rechte Oberlippenpartie 
zurückblieb. Ebenso war das Naserümpfen auf der rechten Seite nicht aus« 
führbar und der Mundwinkel auf der rechten Seite stand tiefer. Am Nach« 
mittag trat eine mäßige Anschwellung auf. Der Patient hatte ununterbrochen 
das Gefühl von Steifigkeit und Geschwollensein in der Oberlippe. Diese 
Beschwerden gingen nach drei Tagen allmählich zurück. Am vierten Tage 
suchte der Patient unser Institut auf, wobei folgender Befund erhoben wurde. 
Bei der Inspektion konnte immer noch eine geringe Anschwellung im rechten 
Oberkiefer beobachtet werden und bei der Untersuchung der Sensibilität 
wurde in einem beiläufig kreisförmigen Bezirk von etwa 3 cm Durchmesser 
in der rechten Oberlippengegend eine Störung sämtlicher Empfindungsquali« 
täten festgestellt. Die Störung äußerte sich in einer Herabsetzung der Sen« 
sibilität gegenüber der anderen Seite, während der Patient angab, daß noch 
am Tage vorher die Anästhesie eine vollständige war. Am selben Tage 
wurde auch eine faradische Untersuchung vorgenommen und eine geringe 
Erregbarkeit des M. alaris konstatiert, die Grenze der Sensibilitätsstörung 
entsprach dem Gebiet der Parese. Acht Tage nach der Injektion waren alle 
Erscheinungen bis auf eine nur mehr geringe motorische Schwäche im M. 
orbicularis oris geschwunden. 

Zur Erklärung dieser ziemlich seltenen Begleiterscheinungen müssen fol« 
gende Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. 

Die häufigste Ursache einer Fazialislähmung bei operativen Eingriffen in 
der Mundhöhle, insbesondere bei Extraktionen ist die Neuritis auf infektiös 
toxischer Grundlage, die aszendierenden Charakter hat. Da in unseren 
Fällen die beschriebenen Störungen lokalisiert blieben, eine Ausbreitung der 
Lähmungserscheinungen, wie sie für einen aszendierenden Prozeß charakte« 
ristisch ist, nicht beobachtet wurde, kann dieses Moment aus der Reihe der 
ätiologischen Faktoren ausgeschaltet werden. 

Eine mechanische Schädigung als Ursache der Fazialisparese liegt ebenfalls 
im Bereiche der Möglichkeit, da der Fazialisstamm für ein Trauma günstig 
liegt. So könnte bei länger dauernder Operation der Nervenstamm durch 
den Assistenten beim Wegziehen der Wange mit dem Wundhaken gedrückt 
worden sein <Williger>. 

Schuster (zit. nach Krön) hat zur Erklärung der Fazialislähmung bei 
operativen Eingriffen die Möglichkeit erwogen, daß bei länger dauerndem 
weiten Offenhalten des Mundes eine Quetschung des Nerven hinter dem 
Kieferwinkel bewirkt werden könne. Diese Annahme ist jedoch rein hypo« 


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184 


Anton Loos 


thetischer Natur/ wäre diese Ätiologie ernst zu nehmen, müßten bedeutend 
mehr Fazialislähmungen im Anschluß an zahnärztliche Operationen, bei 
denen unter Cofferdam der Mund oft eine halbe Stunde und länger maxi« 
mal weit offen gehalten werden muß, zu beobachten sein. 

Stocquart <zit. nach Krön) führt als Ursache der Facialislähmung des 
von ihm beschriebenen Falles Kompression des Nervenstammes durch eine 
geschwollene Lymphdrüse an. 

Alle diese Ursachen kommen für unsere Fälle nicht in Betracht, weil es 
sich hier ja nicht um eine Parese des ganzen Stammes sondern nur einiger 
Äste handelt. In Frage kommt vielmehr erstens eine direkte Verletzung der 
geschädigten Fazialisäste beim Auslösen der Zyste. Dieser ätiologische Faktor 
scheint uns besonders beim ersten Falle eine Rolle zu spielen, bei dem der 
fibröse Zystenbalg nach Abfließen der Zystenflüssigkeit mit der Komzange 
durch eine drehende Bewegung aus der Zystenhöhle entfernt wurde. Dabei 
können sehr leicht Facialisäste durch eine Zerrung beim Ablösen des 
Zystenbalges an der bukkalen Seite geschädigt worden sein. Für diese 
Annahme sprechen die lange Heilungsdauer und besonders die komplette 
Entartungsreaktion im Musculus alaris, beides Stigmata einer schwereren 
Läsion. 

Zweitens kann zur Erklärung der Lähmungserscheinungen eine Schädigung 
der betreffenden Fazialisäste durch den Drude des Extravasates in Betracht 
gezogen werden. Für diese Annahme spricht vor allem der Rückgang aller 
Störungen mit dem Schwinden der Entzündungserscheinungen beim zweiten 
Falle und dritten Falle. 

Während in den ersten zwei Fällen in der Sensibilität ein Abweichen von 
der Norm nicht nachgewiesen werden konnte, erschien im dritten Falle während 
der ganzen Dauer der Fazialislähmung die Schmerz- und Temperaturemp¬ 
findung und die taktile Sensibilität tangiert. 

Frankl Hochwart <zit. nach Krön) konnte ebenfalls bei drei 
Fällen von Fazialislähmung aus dentaler Ursache Sensibilitätsstörungen 
beobachten. Scheiber <zit. nach Krön) stellte bei 26 von 58 Fällen 
Hypalgesie fest, Moral berichtet über einen weiteren Fall von Facialis» 
in Verbindung mit Trigeminuslähmung und auch ich konnte vor kurzem 
einen Fall von Fazialis» und Trigeminuslähmung aus dentaler Ursache 
publizieren. 

In den Fällen von Scheiber betraf die Störung sämtliche Empfin¬ 
dungsqualitäten. Bei dem Fall 3 konnte mir der Patient, der sich ge¬ 
nau beobachtet hatte, ebenfalls über den Verlust der Empfindung für Tast-, 
Temperatur und Schmerzeindrücke referieren und gab an, daß ganz all¬ 
mählich eine Besserung zu bemerken war, indem zuerst grobe Berührungen 
und größere Temperaturunterschiede beim Essen wieder fühlbar wurden, 
bis endlich die vollständige Restitutio mit dem Rückgang der Schwellung 
eintrat. 

Die sensiblen Störungen bei Fazialisparese lassen sich aus der Anasto» 
mosierung erklären, die die Fazialiszweige im Gesicht mit den Trigeminus» 


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Temporäre partielle Fazialislähmung nach operativen Eingriffen in der Mundhöhle 185 


endigungen cingehen, wodurch den Gesiditsmuskeln zugleich sensible Fasern 
zugefuhrt werden. 

Ein Indikator für die Schwere und die Prognose der Läsion bildet die 
Entartungsreaktion. Je geringer die Herabsetzung der elektrischen Erregbar- 
keit desto günstiger sind die Aussichten bezüglich Wiederherstellung und 
Heilungsdauer. 

Für die Beurteilung der Prognose ist weiterhin neben dem Verhalten der 
elektrischen Erregbarkeit noch der Chrakter des ursächlichen Momentes von 
maßgebender Bedeutung. 

Oppenheim scheidet die Fazialiserkrankungen nach dem Verhalten der 
elektrischen Erregbarkeit in leichte, mittelschwere und schwere Fälle. Er 
spricht von leichten Formen, wenn die elektrische Erregbarkeit wieder nach 
zwei Wochen normal ist, bezeichnet als mittelschwere Paresen jene, bei 
denen eine partielle, und als schwere, bei denen eine komplette Entartungs¬ 
reaktion besteht. Nach seinen Erfahrungen ist auch bei den schweren 
Fällen nach 3—6 Monaten Heilung oder doch wesentliche Besserung zu 
erwarten. 

Von unseren Fällen muß der erste Fall mit kompletter Entartungsreaktion 
als schwer, der zweite als mittelschwer und der dritte, bei dem die voll¬ 
ständige Heilung schon nach ca. acht Tagen eingetreten war, als leicht be¬ 
zeichnet werden. 

Diaphorese und Elektrotherapie, die beiden erprobten therapeutischen Be¬ 
helfe bei Fazialislähmung wurden auch in unseren Fällen mit Erfolg an¬ 
gewendet. 

Als Besonderheit möchte ich noch erwähnen, daßWolff <zit. nach Oppen¬ 
heim) auch den Versuch gemacht hat, bei Lähmung eines Fazialisastes die 
gestörte Symmetrie durch die Durchschneidung des gleichen Astes der ande¬ 
ren Seite wiederherzustellen und damit kosmetisch befriedigende Resultate 
erzielt hat. 

Wenn ich nochmals zum Schluß die geschilderten Erscheinungen zu¬ 
sammenfasse, so stelle ich fest, daß bei den ersten zwei Fällen eine Läh¬ 
mung einiger Äste des rechten Fazialis im Anschluß an die Zystenope¬ 
ration beobachtet werden konnte, wogegen beim dritten Falle eine In¬ 
jektion in der Wurzelspitzcngegend des zu devitalisierenden Zahnes nahe¬ 
zu die gleichen Erscheinungen wie bei Fall 1 und 2 zur Folge hatte. 
Während nun nach unserer Ansicht beim ersten Falle das operative Trau¬ 
ma als ätiologisches Moment angesehen werden muß, erscheint bei den 
anderen zwei Fällen das Extravasat die Schuld an den Folgezuständen zu 
tragen. 

Die Veröffentlichung dieser äußerst seltenen Komplikation erfolgt aus dem 
Grunde, um diejenigen Herren Kollegen, die sich viel mit Wurzelspitzen¬ 
resektionen und Zystenoperationen beschäftigen, darauf aufmerksam zu 
machen, daß im Anschluß an diese Eingriffe partielle Fazialislähmungen Vor¬ 
kommen können, deren Prognose allerdings nach unseren Beobachtungen 
günstig gestellt werden kann. 


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186 Anton Loos: Temporäre partielle Fazialislähmung nach operativen Eingriffen unr. 


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LITERATUR 

Bing: Lehrbuch d. Nervenkrankheiten. II. Auflage. 

Krön: Die Gesichtsnervenlähmung in der Zahnheilkunde. Dyk. Leipzig. 

Krön: Nervenkrankheiten in ihren Beziehungen zu Zahn und Mundleiden. Dyk. Leipzig. 
Loos: Pulpentod kariesfreier Zähne. Vschrft. f. Zahnklk. 1921, Heft 4. 

Loos: Trigeminus und Fazialislähmung aus dentaler Ursache. Zeitschr. f. Stomatologie 
1922. Heft 3. 

Moral: Neuritis des Trig. und Fac. östr. V. f. Zhlk. 1918. S. 31. 

Oppenheim: Lehrbuch der Nervenkrankheiten. V. Auflage. 

Partsch: Handbuch der Zahnheilkunde. S. 490. 

Williger: Zahnärztliche Chirurgie. 



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KRITISCHER BEITRAG ZUR FRAGE; 
WELCHES IST DAS GÜNSTIGSTE KINDESALTER 
ZUR DURCHFÜHRUNG EINER KIEFERORTHO* 
PÄDISCHEN BEHANDLUNG? 

VON 

ZAHNARZT DR. TH. SCHUCHARD IN BERLIN 

U ber die Frage, wann eine kieferorthopädische Behandlung durchgeführt 
werden soll, war man stets geteilter Meinung. Während früher die vor¬ 
herrschende Meinung war, sich abwartend zu verhalten und erst nach dem 
12ten Lebensjahr zu regulieren, hat sich neuerdings die Ansicht durchgesetzt, 
daß jedes Zuwarten ein nicht wieder gutzumachender Fehler sei. Infolgedessen 
fängt man heutigen Tages im 4. Jahre an zu regulieren, und da eine Regu- 
lierung nicht vor voller Einstellung der Prämolaren als abgeschlossen gelten 
kann, dauert die Behandlung, zum mindesten aber die Beobachtung, bis zum 
12ten Lebensjahre. 

Daß das Tragen der kieferorthopädischen Apparate während so langer 
Zeit, trotz vielleicht zeitweiliger Unterbrechungen, für die Kinder Unbequem¬ 
lichkeiten mit sich bringt, dürfte evident sein. Da es sich aber nicht nur um 
Unbequemlichkeiten handelt, sondern da die Zähne selbst unter einer so 
langen Behandlung leiden und neben anderen möglichen Schäden allgemeiner 
Natur vor allem die Kaufunktion durch das Tragen der Apparate herabge¬ 
setzt wird, habe ich mir durch die Wahl meines Themas die Aufgabe gestellt, 
die Frage zu lösen, ob es nicht möglich ist, noch gute Dauererfolge zu er¬ 
zielen in einem Zeitraum, der dem frühest möglichen Abschluß einer Regu¬ 
lierung näher liegt? Der frühestmögliche Termin für den Abschluß einer Re¬ 
gulierung ist jedoch, wie ich schon erwähnte, der Tag, an dem eine volle und 
richtige Okklusion der Prämolaren erreicht wurde. 

Zum Beweis, daß die Ansichten stets geteilt waren, will ich die vorhandene 
Literatur nicht einteilen in Früh- und Spät-Regulierer, sondern einfach chrono¬ 
logisch einige Proben geben. 

Einer der ältesten Autoren, die für uns in Frage kommen, Aulus Cornelius 
Celsus war ein Anfänger des sofortigen Handelns. Er empfahl, die falsch 
durchbrechenden Zähne durch Fingerdruck richtig zu stellen. 


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188 


Th. Schuchard 



Idi wundere midi, daß dieses einfache Hilfsmittel nicht auch heute noch an¬ 
gewandt wird. Das Kind selbst kann während des Durchbruchs durch Finger¬ 
drude die richtige Einstellung der Incisivi sehr wohl beeinflussen. Es müßte 
nur der Zahnarzt die Eltern und diese wieder das Kind aufmerksam machen 
und instruieren. 

Auch Fabricius war kein Freund des Abwartens. Er schaffte den pervers 
durchbrechenden Zähnen einfach Platz mit Hilfe der Zange und der Feile. 

Die Extraktion zwecks Raumbeschaffung wird auch heute noch in be¬ 
schränktem Maße ausgeführt, da die maschinelle orthodontische Behandlung, 
wenn sie lege artis ausgeführt wird, nur für die Praxis aurea ist. 

Aber auch bei der Extraktion spielt das Alter des Patienten eine große 
Rolle. Im Milchgebiß darf überhaupt nicht extrahiert werden. Audi die blei¬ 
benden Incisivi und Eckzähne dürfen aus ästhetischen Gründen keineswegs 
einer Stellungsanomalie geopfert werden. Die ersten Molaren zieht man nur 
wenn sie stark kariös sind und dann nicht vor voller Einstellung des 12. Jahr- 
molaren. Die Prämolaren können leicht geopfert werden, aber nur wenn 
keine orthodontische Behandlung mit dem Endziel einer normalen Okklusion 
eingeleitet werden soll. Will man lege artis regulieren, so bedeutet jede Ex¬ 
traktion eine Komplikation und keine Hilfe, wenigstens nicht, wenn im rich¬ 
tigen Alter, d. h. vor dem 12. Jahre reguliert wird. 

Lecluse war der erste Warner vor dem allzufrühen Regulieren. Jedoch 
begibt er sich ins Extreme, wenn er rät, bis zum löten Lebensjahre zu warten. 
Ich stehe auf dem Standpunkt, daß das 10. — 11. Jahr das günstigste ist, da 
man dann schon definitive Resultate erzielen kann am bleibenden Gebiß, 
während andererseits die Kiefer sich gerade in der größten normalen Wachs¬ 
tumsperiode befinden. 

Bourdet kann ich nur beipflichten, wenn er rät, den I Dentitionsprozess 
zu überwachen und durch kleine Hilfen die lästigen Regulierungsmittel, wie 
Fäden, Schnüre, Platten und Reifen zu vermeiden. 

Kn eisel's Behauptung, daß durch frühzeitiges Richten die Zähne verdorben 
würden, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wenn auch heutzutage die 
Apparate einfacher und die Mundhygiene fortgeschritten ist. Immerhin zeigen 
doch die Ausführungen Boltens in der Zeitschrift für zahnärztl. Orthopädie, 
Jahrgang 1912 Heft 7, über das Thema: „Welche Faktoren behindern or¬ 
thodontische Maßnahmen während des Zahnwechsels?" daß auch heuie noch 
vor den Nachteilen der zu frühen und infolgedessen zu ausgedehnten Regu¬ 
lierungen dringend gewarnt werden muß. 

Robert Baume macht darauf aufmerksam, daß noch nicht voll entwickelte 
Zähne mit Vorsicht zu beanspruchen sind. Heute hat man allerdings das 
Röntgenbild, um sich von dem Stand der Kalzifikation zu überzeugen, 
außerdem sollen ja immer nur ganz schwache Kräfte zur Anwendung 
kommen. 

Wenn Kingsley auffordert, das Allgemeinbefinden des Patienten zu be¬ 
rücksichtigen, so ist das wohl sehr einleuchtend. Immerhin soll man den 
günstigsten Moment nicht verstreichen lassen, sondern lieber mit größter Rütk- 


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Kindesalter zur Durchführung einer kieferorthopädischen Behandlung 189 


sichtnahme und Schonung Vorgehen, was bei der Beherrschung der heutigen 
durch Angle so vereinfachten Apparatur wohl möglich ist. 

Auch der Ansicht Mac Quillen's wird jeder beipflichten, das natürliche 
Wachstum der Kiefer durch eifrigen Kausport anzuregen. 

Guilford's nennt das günstigste Alter für eine Regulierung das 13 — 18. 
Dem kann ich nicht beipflichten, da vom 12. Jahr ab der Alveolarfortsatz 
schon kompakter und die Resorptions-und Appositionskraft der Wurzelhaut 
geringer ist, als im 10. und 11. Jahr. Auch die Anwesenheit des 12. Jahr- 
Molaren erschwert die Beseitigung einzelner Anomalien beträchtlich, da sie 
eine dorsale Bewegung des I. Molaren sehr erschwert. 

Die Ansichten Angl es sind in seinem Werk gut begründet. Trotzdem 
verfalle ich nicht in den Fehler seiner Schüler, sich gegenseitig in Frührekorden 
übertrumpfen zu wollen. Ich schließe mich der Ansicht Boltens undSchreiers 
an, nur halte ich nicht, wie Schreier, das 12. —14. Lebensjahr für das 
günstigste, sondern das 10. —11. 

Auch Pfaff scheint ein Anhänger des Frühregulierens zu sein, er empfiehlt 
das Alter von 5—6 Jahren, während Herbst das 8. Jahr zu bevorzugen 
scheint. 

Zielinski ist dagegen für das 7. Jahr. Kranz wiederum warnt vor dem 
7. —11. Jahr und empfiehlt neben dem 5. und 6. das 11. —16. Lebensjahr. 

Erich Körbitz sagt, man soll mit 3 3 /.j Jahren regulieren, wenn dieser 
Zeitpunkt versäumt ist, empfiehlt er das 7te und dann das 10.—11. Jahr. 

Herber scheint lieber am bleibenden Gebiß zu regulieren. 

Davenport glaubt, daß man 75°/ 0 aller Regulierungen vermeiden kann 
durch frühzeitige prophylaktische Maßnahmen, hin und wieder verbunden mit 
etwas mechanischer Nachhilfe. 

Die Anhänger der Frühregulierung begründen ihr Eile mit der Tatsache, 
daß der jugendliche Alveolarfortsatz eine gewisse Elasticität besitzt, wodurch 
in kürzester Zeit Stellungsveränderungen der Zähne herbeigeführt werden 
können. Nachdem uns aber die Arbeit Oppenheims darüber aufgeklärt hat, 
daß eine dauernde Translokation eines oder mehrerer Zähne nur durch Re¬ 
sorption und Apposition des Alveolarfortsatzes erfolgen kann, und wir ande¬ 
rerseits wissen, daß der Alveolarfortsatz des Milchgebisses nicht identisch ist 
mit dem des bleibenden Gebisses, sehe ich keinen Grund, schon im Milch¬ 
gebiß zu regulieren. Die Resorption des Alveolarfortsatzes bei kieferortho¬ 
pädischen Maßnahmen wird durch den Druck hervorgerufen, den wir auf 
einen Zahn ausüben, und zwar mittels der Osteoklasten des Periodontiums. 
Die Apposition auf der entgegengesetzten Seite der Druckwirkung erfolgt 
durch Zug, welcher durch die Wurzelhautfasern vermittelt wird und mit 
Hilfe der Osteoblasten ausgeübt wird. Vorausgesetzt wird die Anwendung 
ganz schwacher, zarter Kräfte. Durch starke rohe Kräfte wird die Wurzel¬ 
haut durch entzündliche Erscheinungen verhindert diesen Umbau auszuführen. 
Die Wurzelhaut ist im jugendlichen Alter aktionsfähiger, aber das 10. —11. 
Jahr kann man -sehr wohl noch als jugendlich bezeichnen. Die Tatsache, daß 
Zähne sehr oft hinter oder vor den Milchzähnen durchbrechen, widerlegt 


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190 


Th. Schudiard 


die Ansicht, daß die bleibenden Zähne ohne weiteres in den Alveolen der 
Milchzähne nachrücken. Der Alveolarfortsatz und die Wurzelhaut werden, 
nach Landsberger von den Zahnsäckchen der zugehörigen Zähne ge* 
bildet, sowohl im Milchgebiß, als auch im bleibenden. Ohne Zähne kein Al# 
veolarfortsatz, das sehen wir am Kind wie am Greis, ebenso wie nach Ex* 
traktionen. Die Resorption der Milchzahnwurzeln erfolgt auch nicht einfach 
durch das Nachdrängen der bleibenden Zähne, sondern ist auf innersekretorische 
Reize zurückzuführen. Nach Entfernung des Hirnanhangs bei Hunden fand 
Aschner bedeutende Wachstumshemmung und Bestehenbleiben der Epi* 
physenfugen mit Verzögerung der Verknöcherung und der Zahnentwicklung: 
Das Milchgebiß bleibt zeitlebens bestehen, die Zähne werden nicht gewechselt 
und sitzen fest im Kiefer, so daß die definitiven Zähne hinter ihnen hervor* 
kommen <Disselhorst>. 

Also ist die Regulierung einzelner Zähne im Milchgebiß höchst zwecklos* 
da dadurch für die richtige Einstellung der bleibenden Zähne keinerlei Ga* 
rantie geboten wird. Wir müssen den Ursachen der Anomalien mehr nach¬ 
gehen, die sehr oft mit anderen Anomalien verbunden sind, und nicht blind¬ 
lings drauflos regulieren. So erklärt Danziger die Kieferverbildungen ak 
Folge von Schädeldeformitäten/ da sich aber der Schädel dem Gehirn anpas st, 
und da die embryologische Anlage des Gehirns der Knochenbildung vorauf 
gehe, so müsse auch die Kiefer-Gaumen* und Septumverbildung in letzter 
Linie auf einer Hirnanomalie beruhen. 

Bei 150 Individuen, von deren abnormen Kiefern G. Franke Gipsab¬ 
druck nahm, beobachtete er: 

6 mal Idiotie, davon 3 mal mikrozephale und 2 mal hydrocephale, 

12 mal Schwerhörigkeit und Stottern, 

1 mal eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, 

1 mal eine Lippenspalte mit überzähligem Schneidezahn, 

1 mal eine Gaumenspalte bis zur Mitte des knöchernen Gaumens, 

4 mal eine Uvula bifida, 

4 mal ein Caput obsticum, 

19 mal Kopf- und Kieferasymmetrien, 

51 mal im Oberkiefer und 34 mal im Unterkiefer ungleiche Langen der 
beiden Zahnbogenhälften, 

31 mal Septumverbiegungen, Leistenbildungen oder hereditäre Mißbildun¬ 
gen des Kiefers und der Zähne. 

Ich will nun durch diese Aufstellung nicht beweisen, daß alle mit Kiefer¬ 
anomalien behafteten Individuen einen geistigen Defekt haben müssen, im 
Gegenteil beobachtet man geistig sehr hochstehende Leute mit Prognathie 
oder Progenie behaftet, wie z. B. unseren Dichterheros Goethe. Immerhin 
regt das gleichzeitige Auftreten von Kieferdeformitäten in Verbindung mit 
Anomalien der Augen, des Gehörgangs, des Schädels und des Hirns doch 
zum Nachdenken darüber an, ob nicht ein kausaler Konnex besteht. 

Franke sagt: „Obwohl ein Gaumenhochstand oder eine Kieferenge als 
partielle Hypoplasien, wie auch eine Entwicklungshemmung des ganzen 


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Kindesalter zur Durchführung einer kieferorthopädischen Behandlung 191 

Kiefers sich durch mangelhafte Thymus» oder durch überschüssige Schilddrüsen» 
Sekretion, wie überhaupt durch irgendwelche Störungen der Innensekretion ganz 
natürlich und zwanglos deuten ließen, fehlt es doch noch an sicheren Beobach» 
tungen in dieser Beziehung. 

Den Zusammenhang der inneren sexuellen Sekretion mit der Kiefer» 
und Zahnbildung beweist er unter anderem mit den viel gracileren 
weiblichen Formen der Zähne und des Kiefers und den excessiven Zahn« 
bildungen männlicher Tiere, wie Elefant, Wildschwein usw. 

Vor allem auch müssen wir die Ursachen der Kieferdeformitäten in der 
sehr komplizierten embryologischen Entwicklung der Kiefer suchen. 

Da der Oberkiefer, der bekanntlich aus mehreren bindegewebigen Beleg» 
knochen entsteht, sehr häufig eigentümliche Formabweichungen, Spaltbildungen 
und andere Deformitäten zeigt, die dem Unterkiefer; der aus dem Medcelschen 
Knorpel hervorgeht, gänzlich fehlen, darf man sich der Ansicht nicht ver» 
schließen, daß diese differente, embryonale Anlage im ganzen Entwiddungs» 
verlauf beider eine noch lange nachwirkende Rolle spielt. 

Jedenfalls müssen wir uns hüten, die Kieferanomalien als rein lokale Er» 
scheinungen zu betrachten. Endlich müssen wir auch aufräumen mit der An« 
sicht, daß ein schmaler Oberkiefer durch Mundatmung infolge seitl. Druckes 
der Kaumuskeln hervorgerufen wird. Ja sogar trotz normaler Gaumenweite 
will man Nasenatmung erzwingen durch Dehnung des Oberkiefers möglichst 
im 4ten Lebensjahr mit Sprengung der Sutura <Schröder, Benseler, 
Landsberger). 

David, Walkhoff, Körner, Friedleben suchten die Möglichkeit einer 
Kieferverbiegung dadurch plausibler zu machen, daß sie eine Knochenerwei¬ 
chung voraussetzten, die nach Davids Meinung stets beim kindlichen Kiefer in 
Verbindung mit adenoiden Wucherungen zu konstatieren sei. 

Franke macht auf die Unlogik aufmerksam, daß man immer nur mit 
dem Seitendruck rechnet, während der direkte Kaudrudc bedeutend stärker 
ist. Es müßten also die Kiefer sehr breit gedrückt werden, wenn die Knochen¬ 
substanz die angenommene Weichheit besäße. Bei der tatsächlichen Knochen¬ 
erweichung infolge von Rachitis hat er jedenfalls eine schmale Kieferbildung 
mit dem typischen hohen Gaumen nicht beobachten können. Auch die Luft¬ 
drucktheorie von Donders widerlegt Franke experimentell. Ferner weist 
er durch Messungen an 1200 Schädeln jeden Alters nach, daß der abnorm 
hohe Gaumen durch mangelhaftes Gaumenwachstum bei gleichzeitig normalem 
Wachstum des Alveolarfortsatzes entsteht. Andererseits verursachen die 
Kaumuskeln durch seitlichen Drude nicht den schmalen Gaumen, sondern die 
Kaumuskulatur wirkt im Gegenteil wachstumsanregend auf den Knochen in 
senkrechter Richtung zum Zug. Als Beispiele führt er die Kammbildungen 
am Schädel von Hunden, Bären, Gorilla an. Auch der Schädel des Elefanten 
biete einen Beweis, wenn auch in anderer Form, indem durch gleichmäßig 
zentripetale Vergrößerung der Schädeloberfläche der nötige Raum für die 
Muskelansätze geschaffen wird. Da eine einfache Knochenhülle des relativ 
kleinen Gehimum längs zu wenig Ansatzfläche bieten würde, habe sich eine 


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192 


Th. Sduichard 


zweite äußere Gehirnkapsel gebildet, die mit der inneren Kapsel, besonders 
in der Scheitelgegend durch zahllos radiär gerichtete Septa verbunden ist 
Diese kolossale Auftreibung der Schädelfläche sei durch die gewaltige Miß» 
kulatur bedingt, welche die schweren Stoßzähne, Backenzähne und der Rössel 
erfordern. Er sagt dann: 

„Die Tatsachen drängen zu dem sicheren Schluß, daß nicht die Funktion 
der Atmung, sondern — so paradox es klingt — die Funktion der Kau* 
muskulatur die Bildung der Nasen* und aller ihrer Nebenhöhlen sehr stark 
beeinflußt. Die Kaumuskelwirkung bedeutet für die Kieferknochen dieselbe 
Belastung wie die Körperschwere und der Muskelzug beim Schenkelknochen. 
Nach denselben Gesetzen, nach denen die langen Röhrenknochen allmählich 
innen hohl werden, weil die ganze Belastung von der Peripherie aufgenommen 
wird, müssen sich auch in den Gesichtsknochen an genau bestimmten Stellen 
Hohlräume ausbilden. Diese Hohlräume des Gesichts sind aber nicht mit 
Mark, sondern wie die langen Röhrenknochen der Lauf- und Wasservögel 
mit Schleimhaut ausgekleidet und lufthaltig. Diese Analogie der Bildung der 
Knochenhöhlen wird aber erst verständlich, wenn man sich von der alten 
Drucktheorie emancipiert und sich ganz von den Gesetzen des „funktionellen" 
Knochenwachstums leiten läßt." 

Endlich hat Franke auch durch seine Messungen festgestellt, daß der 
vordere Teil des Alveolarbogens des bleibenden Gebisses hinter dem des 
Milchgebisses liegt. Die Schnittflächen der beiden Bogen liegen im Oberkiefer 
beim I. Prämolaren und im Unterkiefer beim zweiten. Es findet also eine 
Verkürzung des Bogens statt und eine Verbreiterung nur hinter dem ersten 
Molaren um 7,5 mm im Oberkiefer, um 3,1 mm im Unterkiefer. Der Ober* 
kiefer hat ein dauerndes Nahtwachstum, während ja die Medianaht im Unter* 
kiefer bald nach der Geburt verknöchert. Es findet ein Wachstum des Unter* 
kiefers also nur in dorsaler Richtung statt durch appositionelles Wachstum 
in Verbindung mit dem Zahnwechsel. Die Vergrößerung der Alveolarbogen* 
weite des Unterkiefers erfolgt durch Aufrichten der Zähne, zwecks Herstellung 
der Artikulation mit dem Oberkiefer. 

Aus all diesen Tatsachen ergibt sich, wie unlogisch es ist, im Milchgebiß 
schon große Dehnungen vorzunehmen, wie es Schröder*Benseler und 
Landsberger fordern, da im Milchgebißkiefer überhaupt kein wesentliches 
Breiten Wachstum erfolgt. Die Dehnung erfolgt am besten im 11. —12. Jahr 
mit dem glatten Bogen bei gleichzeitigem Zug auf die Prämolaren und Mo¬ 
laren, damit nur ein schwacher, wachstumsfördernder Reiz auf die Kiefemaht 
ausgeübt wird unter gleichzeitigem resorptivem Druck der Incisivi auf den 
lingualen Alveolarbogen. Viel besser ist es aber, wenn durch kräftigen Ge* 
brauch des Milchgebisses sich die gewünschte Verbreiterung von selbst einstellt. 

Die Schädeldehnung wird durch den Schulzwang herbeigeführt, während 
nichts geschieht, um die Kinder zum Kauen zu zwingen. Im Gegenteil wird 
alles so weich wie möglich gekocht und jeder funktionelle Wachstumsanreiz 
für die Kiefer den Kindern dadurch genommen. Wenn wir sehen, wie ein 
junger Hund während des Zahnwechsels alles benagt und beknappert, so 


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Kindesalter zur Durchführung einer kieferorthopädisdien Behandlung 193 


können wir das schnelle Wachstum seiner Kiefer verstehen. Den Kindern 
nimmt man alles fort, was sie in den Mund stecken, teils aus hygienischen 
Gründen, teils wegen der Gefahr des Versdiludtens. Dafür steckt man ihnen 
den Daumen in den Mund, an dem die Kinder wohl mit Wollust lutschen, 
aber nicht kauen, wegen der damit verbundenen Schmerzen. 

Durch unvernünftiges, frühzeitiges Regulieren wird den Rouxschen Ge¬ 
setzen vom funktionellen Wachstumsreiz direkt ins Gesicht geschlagen. Die 
Zähne werden hin und hergezerrt, so daß sie empfindlich werden, und da¬ 
durch wird die Kautätigkeit unwillkürlich aufs äußerste eingeschränkt. Daß 
dabei nur ein mangelhaftes Wachstum der Kiefer eintritt, geht wiederum 
aus den Forschungen G. Frankes hervor. Er hat die W. Rouxsche The¬ 
orie ergänzt, indem er beweist, daß intermittierender Druck das Knochen¬ 
wachstum anregt, stehender Drude aber Knochenschwund hervorruft. 

Wenn wir nun sehen, daß das natürliche Wachstum nicht ausreicht, ein« 
Verbreiterung des Kieferbogens herbeizuführen, so sind wir gezwungen, dem 
Wachstum des Gaumens durch Anlegung des federnden Drahtbogens die 
notwendigen Hilfen zu geben. Es bedarf dazu nur ganz schwacher Kräfte, 
die mit der Wachstumsmöglichkeit des Gaumendaches gleichen Schritt halten 
sollen. Keineswegs dürfen die Molaren nach außen gekippt werden, sondern 
müssen noch an dem zweiten Prämolaren verankert werden. Wir können 
das Kippen außerdem verhindern, wenn wir die Röhrchen des Molaren¬ 
bandes nicht an diesem direkt anlöten, sondern durch eine Strebe in der 
Höhe der Wurzeln wirken lassen. 

Das Durchbruchsalter der Prämolaren ist das 10. —11. Jahr. Über etwaige 
Verzögerungen, sowie über den Stand des Kalzifikationsprozesses gibt uns 
das Röntgenbild Aufschluß. 

Die Kalzifikation des I. Molaren und der Inzisivi ist mit dem 10. Lebens¬ 
jahr beendet. Den Prämolaren und dem Eckzahn fehlt dagegen in diesem 
Alter das letzte Viertel. Während wir demnach die I. Molaren und die 
Inzisivi in diesem Alter zur Verankerung benutzen können, müssen wir bei 
den Prämolaren und Eckzähnen Rücksicht auf ihre Unfertigkeit nehmen. 
Zähne, die bei unfertiger Entwicklung zur Verankerung benutzt werden 
über Gebühr, beschleunigen ihren Abschluß, so daß sie keine Spitze bilden, 
sondern eine Rundung als Abschluß haben. Der Wert des Zahnes wird 
dadurch stark herabgesetzt, ebenso wie die Festigkeit seiner Position und 
dadurch auch die Retentionsmöglichkeit. 

Wir sehen hieraus, daß es nicht opportun ist, vor dem 10. Jahr zu regu¬ 
lieren. Daß ich es nicht für günstig halte, nach dem 11. Jahr zu regulieren, 
habe ich schon früher begründet. 

Jeder erfahrene Orthodont kann sich nun während dieser Zeitspanne das 
günstigste halbe Jahr aussuchen. Länger braucht eine Regulierung in dieser 
Zeit nicht zu dauern, Retention nicht mit eingerechnet. 

Wenn ich nun hiermit das günstigste Alter bezeichnet habe, so möchte ich 
nun nicht so verstanden werden, daß ich es für ausgeschlossen halte, ge¬ 
legentlich früher zu regulieren. Es gibt sogar Fälle, wo man früher ein- 

Vierteljahrssebrift für Zahnheilkunde, Heft 2 |3 


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194 


Th. Schudiard 


greifen muß. So z. B. diejenigen Fälle, wo einzelne Zähne bei jedem Sturz 
des Kindes von einem Trauma bedroht sind, wie bei starken Prognathien 
mit horizontal gelagerten mittleren Inzisiven. Oder aber, wenn die oberen 
Inzisivi sich zufällig mit ihren Schneiden hinter den unteren Inzisivi verankert 
haben und somit eine Wachstumshemmung für den Oberkiefer und eine 
Wachstumsbegünstigung für den Unterkiefer besteht. 

Man kann wohl allgemein sagen, man reguliert dann vor dem 10. Jahr, 
wenn durch die falsche Funktion des Gebisses ein Kieferwachstum in faU 
scher Richtung befürchtet werden muß, das so stark ist, daß es später nicht 
wieder ausgeglichen werden kann. Diese Fälle sind aber selten. 

Im Milchgebiß arbeite ich keinesfalls mit intraoralen Verbänden. Dagegen 
bin ich für jede andere Hilfe, die prophylaktisch oder korrigierend wirkt, 
ohne den Kindern ein Zaumzeug einzulegen. Daß dies möglich ist, beweist 
z. B. schon die Tatsache, daß der Kopf des Säuglings durch geeignete Lage* 
rung zwischen harten und weichen Kissen vollständig umgeformt werden 
kann. Aus einem Langschädel kann ein Breitschädel gemacht werden, ohne 
die Kinder im geringsten zu quälen. Als Beweis hierfür können die künst* 
liehen Schädeldeformierungen einiger Indianerstämme dienen. 

Gewisse Anomalien kann man in ihrer Entstehung hindern. Den offenen 
Biß und die Prognathie im Milchgebiß durch Lutschen bekämpfe ich durch Ver* 
hinderung dieser Gewohnheit mit Hilfe der Jessenschen Drahtärmel. Wenn 
die Kinder durchaus lutschen müssen, so halte ich den sogenannten Schnuller 
noch am ungefährlichsten. Er drückt sich bis auf wenige Millimeter zusammen 
und kann nicht diese Deformierungen hervorrufen wie Daumen, Bettzipfel 
oder ähnliches. Er braucht nicht mit der Hand gehalten zu werden und fällt 
dadurch die ungünstige Hebelwirkung weg, die der Daumen hervorruft, in* 
dem er den Oberkiefer nach medial zieht und den Unterkiefer nach distal 
drückt. Im Gegensatz hierzu drückt das Plättchen des Schnullers gleichmäßig 
nach hinten, wodurch kein Schaden angerichtet wird und die Kinder zur 
Nasenatmung gezwungen werden. Vor allem aber kann man den Schnuller 
den Kindern mit spätestens zwei Jahren entziehen, was beim Daumen nicht 
der Fall ist. 

Als wesentliches Moment wird von den Anhängern der Frühregulierung 
angeführt, daß die Schädigungen der Apparate durch Karies unwesentlich 
seien, da ja die Zähne gewechselt würden. Das stimmt zwar. Aber anderer* 
seits sind die Zähne oft schon so kariös, daß ein Anlegen der Apparate sehr 
erschwert wird. 

In der Beschränkung zeigt sich der Meister. Es ist nicht so schlimm, mal 
einen Fall an einen übereifrigen Kollegen zu verlieren, als jahrelang sich mit 
dem Fall herumzuärgern. Da die Kiefer nur dorsal wachsen und der Al* 
veolarbogen des bleibenden Gebisses hinter dem des Milchgebisses steht, 
was ja auch verständlich ist aus der Rückentwicklung unserer Kiefer aus der 
früheren prognathen Form, so sehen wir wiederum, wie unnatürlich es ist, 
eine prophylaktische Dehnung für die richtige Einstellung der bleibenden 
Zähne im Milchgebiß vorzunehmen. Die Milchmolaren sind breiter als die 


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Kindcsaltcr zur Durchführung einer kieferorthopädisdien Behandlung 195 

Prämolaren, dafür sind im Oberkiefer die Inzisivi breiter, während im Unter¬ 
kiefer der 6-Jahrmolar den gewonnenen Platz für seine richtige mediale Ein- 
Stellung benutzt. 

Je mehr wir dem natürlichen Wachstum der Kiefer nachgehen, desto 
leichteres Arbeiten werden wir haben/ je gedankenloser wir arbeiten, desto 
mehr Unregelmäßigkeiten werden wir schaffen. Ein natürliches Wachstum 
der Kiefer durch kräftigen Gebrauch des Milchgebisses hervorzurufen ist ein 
Moment, worauf wir Zahnärzte die Umgebung des Kindes stets aufmerk- 
sam machen müssen. Ein künstliches Wachstum der Kiefer anzuregen ist 
nur zweckmäßig in derselben Richtung des normalen Wachstums, sonst be- 
kommen wir wohl eine Okklusion des Gebisses, aber ein Mißverhältnis 
zwischen Gebiß und Schädel, zwischen Untergesicht und Obergesicht, eine 
Disharmonie der Gesichtszüge nach Regulierungen, die wir uns bisher nicht 
richtig erklären konnten und über die die Eltern der Kinder oft klagen. In 
dieser Beziehung hat uns auch die Arbeit van Loons und Simons ge- 
fördert, da dadurch mehr die Beziehungen des Gebisses zum Gesamtschädel 
beobachtet werden können. 

Mit Hilfe der Si monschen Orbitalebene ist es uns außerdem möglich, 
den richtigen Platz für den oberen Eckzahn festzustellen. 

Dieser Zahn ist der Grundpfeiler des Gebisses und auch ausschlaggebend 
für die Gesichtszüge. Wenn wir also nicht nur orthodontisch, sondern auch 
gesichtsorthopädisch Vorgehen wollen, so müssen wir gerade auf die Ein¬ 
stellung dieses Zahnes die größte Sorgfalt legen, und das können wir zu 
keinem anderen Zeitpunkt, als im 10. —11. Jahr. Im Gegenteil kann er durch 
Dehnungen in früheren Zeitabschnitten stark verlagert werden: denn die 
Spitze des Milchzahnes ruht auf seiner fazialen Fläche, während seine Krone 
hoch oben unter der Orbita liegt. Wenn er sich auf seine ziemlich weite 
Reise begibt, dann ist die Zeit des größten Schädel- und Kieferwachstums, 
die Zeit der zweiten Streckung des Gesichts. Das ist die Zeit auf der Lauer 
zu liegen nach dem günstigsten Moment des Anfangs. Man wird natürlich 
nicht gerade vor den Sommerferien anfangen. Jeder Monat, den wir unnütz 
das Kind mit unseren Apparaten herumlaufen lassen, ist ein Kunstfehler. 
Die Regulierung soll auch möglichst nur ein halbes Jahr dauern. Eine Re¬ 
tention ist jedoch ohne eine Verzahnung der Höcker nicht möglich, also gibt 
es auch hier ein Zu früh und Zu spät innerhalb der zwei Jahre,* nicht für die 
Regulierung an sich, sondern im Interesse des Wohlbehagens des Patienten 
durch Verkürzung der Behandlung. 

Ein Kind von 10—11 Jahren hat schon ein persönliches Interesse an 
einem günstigen Resultat, es kann jedenfalls interessiert werden, auch kann 
es uns unterstützen durch selbständiges Erneuern von Gummizügen, sofor¬ 
tigem Herbeieilen, wenn etwas sich gelockert hat usw. Es findet den Weg 
schon allein, was bei einer ein- bis zweijährigen Behandlung <Regulierung 
und Retention) schließlich auch ins Gewicht fallen kann. Auch kann man es 
zur Mundpflege anhalten/ alles Dinge, die bei einem vierjährigen Kinde nicht 
in Frage kommen. Die üblichen Kinderkrankheiten. sind überstanden, die 

13 * 


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196 Th. Sdiuchard: Kindesalter zur Durchführung einer kieferorthopädischen Behandlung I 


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Gesundheit ist gefestigter und die nervösen Zustände des Pubertätsalters 
noch nicht erreicht. 

Der alten Schule hat man mit Recht den Vorwurf gemacht, daß sie zu 
lange gewartet hat. Der neuen kann ich den Vorwurf nicht ersparen, daß 
sie das „so früh wie möglich" zu sehr betont hat/ daß Frührekords auf» 
gestellt wurden, vor allen von seiten der Amerikaner, und daß von uns 
Deutschen, außer Bolten und Schreier, keiner den Mut gefunden hat, sich , 
der Gefahr auszusetzen, für unmodern gehalten zu werden. j 

Die Orthodontie ist heute Lehrfach geworden, und dadurch ist die Gefahr i 
vergrößert, daß junge Kollegen, welchen die eigene Erfahrung abgeht, durch 
allzufrühes Regulieren Schaden verursachen den Patienten, der guten Sache 
und sich selbst. 



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DIE FOURNIERKRONE 

VON 

PRIVATDOZENT DR. C. J. GRAWINKEL 

LEITER DFR TECHNISCHEN ABTEILUNG DER ZAHNÄRZTLICHEN UNIVERSITÄTSKLINIK IN 

HAMBURG 

V on den vielen Fragen, welche durch die rasche Entwickelung der Kronen» 
und Brückenarbeiten entstanden sind, ist eine der schwierigsten die: 
„Kann man die Oberkronung eines gesunden Zahnes verantworten oder 
nicht?" 

Man könnte diesen Satz auch in die Worte fassen: 

„Verliert ein gesunder Zahn durch seine Oberkronung an Wert oder 
nicht?" 

So lange sich die Vorbereitung eines gesunden Zahnes zum Zwecke seiner 
Oberkronung schmerzlos ausführen läßt, kann man von einer wesentlichen 
Schädigung desselben schon aus dem Grunde nicht sprechen, weil in diesem 
Falle die Pulpa erhalten bleibt, der Zahn also seine Verbindung mit dem 
Gesamtorganismus nicht verliert. Die Situation wird aber in dem Moment 
schwieriger, wenn bei dem Besrhleifen des Zahnes Schmerzen auftreten. Es 
treten dann zwei Möglichkeiten ein. Entweder gelingt es, trotz der Schmerzen 
das Beschleifen zu Ende zu führen, ohne die Pulpa abzutöten, oder man 
entschließt sich' sofort bei dem Auftreten der Schmerzen dazu, die Pulpa 
abzutöten und die Wurzelkanäle abzufüllen. 

Der erste Weg, der darin besteht, den Versuch zu machen, die Pulpa zu 
erhalten, ist darum sehr unsicher, weil uns die auftretenden Schmerzen ver» 
anlassen, Gegenmittel anzuwenden, z. B. durch argentum nitricum, und diese 
werden zur Folge haben, daß die Pulpa später doch zerfällt und dann 
schweren Schaden anrichtet. 

Der zweite Weg, die Pulpa sofort abzutöten, wenn beim Beschleifen des 
Zahnes Schmerzen auftreten, ist zwar entschieden der sicherere, führt aber 
zum Verlust der Pulpa und trennt den Zahn von dem Gesamtorganismus 
ab. Was dieses bedeutet, weiß jeder Praktiker. Hier liegt auch der An» 
griffspunkt für alle Gegner dieser Theorie. 

Wie man sich auch zu der zweiten Frage, der Divitalisierung stellen mag, 
das eine ist sicher, daß sie stets für den betreffenden Zahn ein Risiko be» 
deutet. Die Amerikaner haben deshalb nicht so unrecht, wenn sie sagen: 


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198 


C. ). Grawinkel 


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„Die beste Wurzelfüllung des Zahnes ist seine natürliche Pulpa, darum soll 
man jede gesunde Pulpa erhalten." 

Diese Ansicht der Amerikaner hat sie neuerdings dazu geführt, daß sie 
dann, wenn sie zu Stützpfeilern für eine feste Brüdce gesunde Zähne über* 
krönen müßten, die herausnehmbare Brücke bevorzugen. 

Aber abgesehen von dem Risiko, welches jede Wurzelbehandlung für den 
betreffenden Zahn bedeutet, hat der Zahn auch dann, wenn die Wurzel¬ 
behandlung voll gelungen ist, fraglos an Wert verloren. Auch dies ist eine 
Tatsache, welche jedem Praktiker bekannt ist und darum hier nicht weiter er¬ 
läutert werden soll. Da sich durch die Wurzelbehandlung die Elastizitäts¬ 
grenze wesentlich verschoben hat, ist auch seine Belastungsgrenze nicht mehr 
so hoch wie vordem zu bewerten. 

Wirft man nun die Frage auf, wie man alle diese sich aus der Vorberei¬ 
tung des Zahnes ergebenden Nachteile beheben kann, so muß man sich 
vorerst klar machen, in welchem Stadium der Vorbereitung der Anlaß für 
die geforderte Devitalisierung liegt. 

Betrachtet man z. B. einen Längsschnitt durch einen Molaren und zieht 
eine Verbindungslinie zwischen den beiden höchstliegenden Punkten, der 



Fig. 1 Fig. 2 Fig. 3 Fig. 4 


Pulpahörner <Fig. 1> so verläuft diese Linie nur wenige Millimeter von 
der tiefsten Fissurenlinie entfernt. Da es nun aber bei der Vorbereitung 
des Zahnes für eine Krone nötig ist, daß der Zahn um mindestens so viel 
gekürzt wird, als die Dicke des Goldüberzuges beträgt, so nähert sich die 
Schliffgrenze ,,c“ bedenklich den Pulpenhörnern. In diesem Punkte liegt die 
größte Gefahr für die Schmerzbildung, und zwar ist die Gefahr um so größer, 
je schärfer der Zahn konturiert ist. 

Selbstverständlich birgt auch das seitliche Beschleifen der Zahnkrone die 
Gefahr der Schmerzbildung in sich, doch liegen dem Bau der Pulpenkammer 
entsprechend die Verhältnisse hier bedeutend günstiger. 

Von diesen Erwägungen ausgehend hat in allerneuester Zeit der ameri¬ 
kanische Kollege Prof. Brekhus in Minneapolis eine neue Kronenart aus* 
gearbeitet, welcher er den Namen „Fournierkrone" gegeben hat. 

Unter einem Fournier versteht der Tischler einen aufgeleimten, dünnen 
Holzüberzug, welcher den Zweck hat, Material zu sparen. Will er z. B. 
einen eichenen Tisch anfertigen, so würde dieser dann, wenn er aus massiven 
Eichenbrettern hergestellt würde, nicht nur viel zu schwer werden, sondern 
das harte Eichenholz würde bald Risse bekommen und sich verziehen. 
Außerdem würde der massive Eichentisch auch viel zu teuer werden. Aus 
diesem Grunde verfertigt der Tischler den Tisch aus einem leichten Nutz* 


Gck igle 


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Die Fournierkrone 


199 


holz, z. B. Kiefernholz, und überzieht die sichtbaren Teile desselben mit 
dünnen, ca. 1 — 2mm starken Eichenbrettern, welche auf das Kiefernholz auf- 
geleimt werden. 

Diesem Vorgang entsprechend hat Brekhus seine Krone eine Fournier- 
kröne genannt, weil sie gewissermaßen einen fournierartigen Überzug über 
den Zahn darstellt. 

Während man bisher die Kürzung des Zahnes in der Weise vornahm, 
daß man die Kaufläche soweit horizontal plan abschliff, bis zwischen Zahn- 
stumpf und Antagonist ein Zwischenraum entstanden war, welcher mindestens 
so groß war, als der Kronendeckel stark werden sollte <Fig. 2>, beschleift 
Brekhus den Zahn parallel zur Oberfläche <Fig. 3>. 

Da er auf diese Weise die gefährliche Nähe der Pulphörner vermeidet, 
treten nur in besonders ungünstig gelegnen Fällen Schmerzen beim Be- 
schleifen auf. 

Da Brekhus von der Voraussetzung ausgeht, daß man die bukkale bezw. 
linguale Seite eines Zahnes aus ästhetischen 
Gründen unter keinen Umständen mit Gold 
bedecken darf, so hat er das Fournier- 
System mit der Halbkrone in Verbindung 
gebracht. Dies hat den Vorteil, daß man 
dadurch jeden Zahn als Brückenpfeiler ver- 
wenden kann, ohne Gefahr zu laufen, die 
abtöten zu müssen und ohne einen 
ästhetischen Kunstfehler zu begehen. Die 
Form der Halbkrone macht es natürlich zur 
Bedingung, daß für eine ausreichende Reten- Fig. s 

tion Sorge getragen wird. 

Da aber der Pulpa wegen eine Stiftverankerung nicht in Frage kommen 
kann, so wählte Brekhus eine seitliche Rillenverankerung, welche der bei 
der Carmichaelkrone ähnelt. 

Während aber bei der Carmichaelkrone die Rillenführung parallel zur 
Längsachse des Zahnes verläuft, legt Brekhus die Rille parallel zu der 
oberen Hälfte der bukkalen bezw. labialen Fläche des Zahnes an. 

Auf die Vorteile dieser Verankerung werden wir später noch zu sprechen 
kommen. 

Auch die Form der Rille ist bei der Fournierkrone eine andere, als bei 
der Carmichaelkrone. Statt der Halbkreisform findet eine breite prismatische 
Einsenkung Anwendung, deren Vorteil ist, daß sie nicht so tief wie die Halb- 
kreisrille eingelagert ist, wodurch ebenfalls die gefährliche Annäherung an 
die Pulpa vermieden wird. 

Die verschiedenen Formen und Herstellungsarten der Fournierkrone sind 
folgende: 

1. Die Fournierkrone für Schneidezähne und Eckzähne. 

Die Vorbereitung eines Schneide- oder Eckzahnes zur Aufnahme einer 
Fournierkrone beginnt damit, daß man auf der lingualen Seite des Zahnes 





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200 


C. J. Grawinkel 



Fig 8 


in nächster Nähe der Kaukante eine spitzwinklige keilförmige Nute einschleift, 
deren Seitenflächen zu einander einen Winkel von etwa 30° bilden <Fig. 4} 
und diese Nute auf der mesialen und distalen Seite des Zahnes bis zur 

Zahnfleischgrenze in der Weise weiter- 
führt, daß sie parallel zu seiner labialen 
Fig. 6 Fig. 7 Fläche verläuft (Fig. 5). 

Wie bereits erwähnt, unterscheidet sich 
die Nute von der einen Halbkreis bildenden Rille der Carmichaelkrone 
(Fig. 6> erstens dadurch, daß sie keilförmig ist (Fig. 7), und zweitens dadurch, 
daß sie nicht wie bei der Carmichaelkrone parallel zur Längsachse des Zahnes 
(Fig. 8a>, sondern parallel zur labialen Fläche des Zahnes verläuft (Fig. 8 b). 

Der Vorteil dieser Nutenführung zeigt sich besonders dann, wenn die be- 
treffende Fournierkrone einen Brückenpfeiler bildet, da das Einsetzen der 
Kronen von der lingualen Seite sehr einfach ist. 

Brekhus macht die Belastungsrichtung geltend und betont 
außerdem die durch diese Nutenführung erzielte erhöhte Reten¬ 
tion. Bemerkt sei noch, daß die Nute an der Zahnfleischgrenze 
nicht scharfkantig abschneidet, sondern allmählich verläuft. Diese 
Anordnung ist besonders für das spätere Abdrucknehmen wichtig, 
da hierdurch das durch scharfkantig abschneidende Rillen hervor¬ 
gerufene Verziehen des Wachses vermieden wird. 

Nach Fertigstellung der Nute wird der von ihr lingual liegende 
Teil des Zahnes parallel zu seiner Oberfläche bis zur Zahn¬ 
fleischgrenze gleichförmig beschliffen, bis er an allen Teilen um so viel ver¬ 
jüngt ist, als der spätere fournierartige Goldüberzug stark werden soll. 

Während dieses Beschleifen bei einem Schneidezahn in der in Fig. 5 
wiedergegebenen Weise geschieht, gibt Brekhus für Eckzähne einen prisma¬ 
tischen Schliff an, welcher besonders bei breiten Eckzähnen den Vorzug hat, 

den Goldüberzug zu verstärken (Fig. 9>. 

Hervorgehoben sei noch die Abschrägung 
der Nute gegen die vordere Seite des Zahnes, 
weil dadurch einmal ein exakter Anschluß des 
Goldes an den Zahn erreicht, und zweitens 
das Sichtbarwerden des Goldes beim Sprechen 
vermieden wird. 

2. Bei Prämolaren und Molaren beginnt 
die Vorbereitung des Zahnes für eine Four¬ 
nierkrone damit, daß man auf der mesialen 
und distalen Seite je eine stumpfwinklige Nute 
einschleift, welche wegen der Nähe der Pulpa 
nicht zu tief angelegt werden soll. Auch hier stößt die Abschrägung der 
Nute direkt an die bukkale Seite des Zahnes (Fig. 10 und 11) und sichert 
der Krone die oben angeführten Vorteile. 

Nach Fertigstellung der beiden Nuten wird die linguale und orale Fläche 
wie beschrieben um so viel gleichmäßig abgeschliffen,, als der Goldüberzug 



Fig. 9 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MfNNESOTA 


Die Fournierkrone 


201 


stark werden soll. Bei dem Beschleifen der Kaufläche ist es aus den bei der 
Vorbereitung des Eckzahnes angeführten Gründen ratsam, wieder die pris¬ 
matische Schleifart zu wählen, d. h. einzelne Flächen zu schleifen, welche in 
scharfen Kanten aneinander stoßen <Fig. 12>. 

Als letzte Möglichkeit sei noch der Fall er- 
wähnt, daß man statt einer Fournier-Halbkrone 
eine Vollkrone herstellen will <Fig. 13>. In diesem 
Falle fällt die mesiale und distale Retentionsnute 
fort, und der Zahn wird nur auf der oralen 
Fläche sowie auf allen Seitenflächen gleichmäßig 
abgeschliffen, bis er so viel verjüngt ist, als der Goldüberzug stark werden 
soll, bzw. die nötige parallele Vorbereitung des Zahnstumpfes aufweist. 

Die Vorbereitung einer Fournier-Vollkrone unterscheidet sich von einer 
gewöhnlichen Vollkrone <Fig. 14) also 
nur dadurch, daß der Zahn nicht flach, 
sondern parallel zu seiner Kaufläche ab- 
geschliffen ist <Fig. 15). 

Die Herstellung des Gußmodelles er- 
folgt am besten nach der indirekten 
Methode. Der Grund hierfür liegt ein- 
mal darin, daß die Herstellung eines 
dünnen Wachsüberzuges im Munde nicht 
leicht ist, und daß zweitens die Schrump- 
fung des Gusses die Folge hätte, daß 
die nach einem in der gewöhnlichen 
Weise direkt im Munde hergestellten Wachsmodell gefertigte Krone nicht 
auf den Zahnstumpf passen würde. Das nachträgliche Beschleifen der einzelnen 
Flächen würde aber unter allen Umständen einen Mißerfolg herbeiführen. 

Der richtige Arbeitsgang besteht darin, daß man von dem fertig prä¬ 
parierten Zahn mit Kerrscher Masse 
einen Abdruck nimmt und nach diesem 
aus Amalgam ein Modell herstellt. 

Da es sich nun bei der jetzt folgen¬ 
den technischen Herstellung der Krone 
um einen aus einem Stück gegossenen 
Körper handelt, so ist es zur Ver¬ 
meidung der mühseligen Nacharbeit 
ratsam, vor der Modellierung folgende 
Vorbereitung zu treffen: 

Man pinselt das ganze Modell mit 
einem guten Klebstoff, z. B. Wasser¬ 
glas, ein und überzieht es dann mit einer Schicht möglichst dünnem Stanniol¬ 
papier. Ist der Klebstoff hart geworden, so wird die Oberfläche des Stanniols 
mit einem glatten Instrument noch einmal glatt gestrichen. Hierdurch erhält 
man ein tadelloses Modell mit glatter Oberfläche, welches um die Stärke 



Fi g- 13 



Fig. 12 



Fig. 10 Fig. 11 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



202 


C. J. Grawinkel: Die Foumierkrone 


des Stanniols an Umfang zugenommen hat, Nach dieser Vorbereitung ölt 
man das Stanniol leicht ein und überzieht es dann mit einer Wachsplatte von 
gewünschter Stärke. 

Die auf diese Weise hergestellten Kronen passen nach dem Guß sofort 
ohne jede Nacharbeit auf den Zahn. 

Vergleicht man die Foumierkrone mit der ähnlich konstruierten Car¬ 
michael kröne, so hat sie gegen die letztere den entschiedenen Vorzug, daß 
sie sich dadurch, daß die Nuten parallel zur labialen Fläche des Zahnes an¬ 
gelegt sind, viel leichter einsetzen läßt. Dieser Vorteil kommt besonders 



n 

Fig. 15 


dann zur Geltung, wenn es sich um Brücken handelt, welche als Stützpfeiler 
zwei oder mehrere Fournierkronen besitzen. Ein Klemmen, wie es bei der 
Verwendung von Carmichaelkronen üblich ist, tritt nicht ein, da sich eine 
Brücke von der lingualen Seite aus leicht auf die Zähne schieben läßt. 

Auch bei etwas divergierenden oder konvergierenden Stützpfeilern er¬ 
leichtert diese Methode die Vorbereitungsarbeiten sehr. 

Als letztes sei noch auf ein geeignetes Material hingewiesen. Da es sich 
bei Fournierkronen einmal um einen verhältnismäßig dünnen Guß handelt, 
zweitens aber die Beanspruchung auf Zug besonders dann sehr hoch ist, 
wenn die Krone gleichzeitig als Brückenpfeiler dienen soll, so verwendet man 
am besten ein möglichst hartes hochkarätiges Gold, wie z. B. die Roach- 
sehe Legierung: 900 Teile Gold, 50 Teile Silber, 50 Teile Kupfer. 

Will man Gold eines niedrigen Karates verwenden, so eignet sich folgende 
18karätige Legierung: 750 Teile Gold, 100 Teile Silber, 150 Teile Kupfer. 

Außerdem sind natürlich alle Legierungen mit 10—15°/ 0 Platin-Iridium 
Zusatz <2° 0 > empfehlenswert. 


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ÜBER DIE RELATIVE MUNDIMMUNITÄT UND DIE 
„MUNDHÖHLENSEPSIS" 

MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DES GRANULATIONS¬ 
GEWEBES IN DER ZAHNALVEOLE UND ÜBER DIE BEDEUTUNG 
DES LETZTEREN FÜR DIE PATHOGENESE DER SOGENANNTEN 

ALVEOLARPyORRHOE 

VON 

ZAHNARZT KARL LOEFFLER IN BEUTHEN O/S. 

N achdem man 200 Jahre lang von den Mikroorganismen der menschlichen 
Mundhöhle, den Animalculis, wie sie ihr Entdecker Leeuwenhoek 
im Jahre 1683 nannte, eine verworrene und sonderbare Auffassung hatte, 
besitzen wir seit etwa 2 1 /* Dezennien dank den grundlegenden Untere 
suchuilgen Millers und einer Anzahl späterer Forscher von den meisten den* 
selben genaue Kenntnisse bezüglich ihres Charakters und ihrer Bedeutung. 
Wir wissen, daß in der Eingangspforte zu den Luft* und Verdauungswegen, 
um einen Vergleich von Rose zu gebrauchen, sich gelegentlich wie auf dem 
Nährboden einer offen daliegenden Petrischale alle möglichen Bakterien einmal 
ansiedeln können. Es ist bekannt, daß sie von außen aus der atmosphä¬ 
rischen Luft mit Stäubchen und Tröpfchen, durch Hände, Speisen und Ge¬ 
räte vermittelt und sowohl aus dem eigenen Körper, aus den Respirations¬ 
organen und dem Verdauungstraktus, dahin verschleppt als auch durch di¬ 
rekten Kontakt mit anderen Menschen unmittelbar übertragen werden können. 
Von dieser bei fast allen Individuen gleichen Bakterienflora, die nach Miller 1 
wenigstens 1 1 / 2 Milliarden Keime von über 100 verschiedenen Arten enthält 
und z. B. für 1 mm 3 des von der Oberfläche der Zunge abgekratzten Ma¬ 
terials selbst unter physiologischen Verhältnissen nach Pane und D'Agathe 2 
3—4000 solcher Keime liefert, steht aber auch fest, daß sie sich in jedem 
Munde außer aus harmlosen Saprophyten auch aus Vertretern von solchen 
Bakterien zusammensetzt, die als gefährliche Infektionserreger gelten. Beinahe 
konstant kommen vor Strepto-, Staphylo- und Pneumokokken, fusiforme 
Bazillen, verschiedenartige Spirochäten, Leptothricheen und Hefepilze. Zeit¬ 
weise finden sich auch Tuberkel-, Influenza-, Diphtherie*, Typhus- und Koli- 
hazillen, Meningokokken und Aktinomyzeten. Es ist auch stereotype An¬ 
schauung, daß dieses Heer von Bakterien nicht ungünstige Existenzbedin¬ 
gungen in der Mundhöhle findet, daß diese vielmehr einen idealen Brutofen 


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204 


Karl Loeffler 


und das denkbar „herrlichste Eldorado" für jede Art von Kleinwesen dar¬ 
stelle. Nun wissen wir heute allerdings, daß entgegen früherer Annahme 
die bloße Anwesenheit pathogener Keime noch nidht genügt, um auch eine 
klinisch zum Ausdruck kommende Infektion zu erzeugen, aber auch unter 
dieser Einschränkung ist es eigentlich gegen alle Logik und Theorie, daß im 
Munde die entsprechenden Krankheitserscheinungen nicht oder wenigstens 
nicht in dem sonst gewohnten Maße auftreten, vielmehr die gewissermaßen 
historisch erwiesene und durch die tägliche Praxis sich immer wieder be¬ 
stätigende Tatsache einer relativ großen Immunität imponiert. Wir betrachten 
sogar dieses Phänomen beinahe als etwas so Selbstverständliches, daß wir 
uns wundern, wenn Ausnahmen davon eintreten. Dadurch erklärt es sich 
auch, daß die neuerdings wiederum vertretene These von der Gefährdung 
und Bedrohung des Gesamtorganismus durch die gleichen Bakterien auf dem 
Wege der Verursachung von sekundären Infektionsherden in anderen Körper¬ 
gebieten uns so überraschend und von vornherein ganz unbegreiflich erscheint. 

Bekanntlich handelt es sich dabei nicht um jene direkte Weiterleitung 
akuter oraler und dentigener entzündlicher Prozesse, die per continuitatem 
oder durch Metastase allgemeine oder auf bestimmte Organe sich erstreckende 
Sepsis zur Folge haben. Solche Zusammenhänge, so selten sie glücklicher¬ 
weise sich auch verwirklichen, lagen trotz aller Immunitätserscheinungen nach 
pathologischen Begriffen immer im Bereiche der Möglichkeit. Auch sind nicht 
jene Lungenleiden gemeint, die durch Aspiration von im Munde infizierter 
Atmungsluft erzeugt werden können, oder jene Störungen des Verdauungs¬ 
chemismus, die durch Verschlucken von Eiterungs-, Fäulnis- und Bakterien- 
stoffwechselprodukten verursacht werden, wie sie besonders v. Kaczoro wski 3 
schon im Jahre 1885 kasuistisch nachgewiesen und durch Sanierung der Mund¬ 
höhle beseitigt hat. Um jene orale Sepsis vielmehr handelt es sich, welche 
in der Hauptsache von solchen Eiterkokken ausgehen soll, die im Zahn- und 
Kiefergebiet unter Umständen ein ganz latentes Dasein führen, sich voll¬ 
ständig inaktiv und ohnmächtig verhalten, ohne also für die Patienten sub¬ 
jektive Empfindungen, noch für den Zahnarzt objektiv feststellbare Symptome 
zu machen. Besonders die grünwachsenden Streptokokken, die be¬ 
kanntlich als eine weniger virulente Art gelten, sollen dabei in Betracht kom¬ 
men. Je nach dem Medium, in das sie gelangen, sollen sie morphologische 
und biologische Veränderungen erleiden <Fischer) 4 . Es wird ihnen eine ge¬ 
wisse Affinität zu bestimmten Organgeweben, bzw. den einzelnen Organen 
ein gewisser Bakterientropismus zugeschrieben derart, daß die einzelnen Or¬ 
gane immer nur von Streptokokken eines bestimmten Virulenzgrades befallen 
werden. So wollen die Amerikaner herausgefunden haben, daß die am we¬ 
nigsten virulenten Arten immer nur Blinddarmentzündung, die etwas mehr 
virulenten nur Magengeschwüre, solche eines nächst höheren Virulenzgrades 
regelmäßig Gallenblasenentzündung usw. machen <H. Allaeys) 5 . Auch Ge¬ 
lenkrheumatismus, Endokarditis, Nierenentzündungen, ja alle sonstigen auf 
infektiöser Basis beruhenden Organerkrankungen sollen ausnahmslos durch 
diese Streptokokken verursacht sein, so daß sie alle die gleiche Erscheinung 


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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis 


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nur an anderem Ort wären. Ihre verschiedenen klinischen Bilder wären nur 
bedingt durch die verschiedene Intensität der Schädigung und durch die phy» 
siologischen Besonderheiten der betreffenden Organe <F i s c h e r>. Diese Strepto» 
kokken sollen nun auf dem Wege der Blut» und Lymphbahnen aus den ln» 
fektionsdepots im Mund ähnlich wie aus Furunkeln und sonstigen „irgendwo" 
versteckten Eiterherden gelegentlich in das Innere des Körpers gelangen und 
dann jeweils in den betreffenden Geweben die spezifischen pathologischen Ver» 
änderungen verursachen. Wenn auch solche Krankheiten akut auftreten können, 
so soll es sich doch in der Hauptsache um schleichende Formen handeln, die 
ohne Fieber und ohne Leukozytose verlaufen und in jeder Hinsicht nur gering» 
fugige Erscheinungen mit meist ambulatorischen Symptomen machen. Solche 
Menschen „haben Tage, wo sie sich akut krank fühlen, wo sie Mißbehagen 
oder auch Schmerzen empfinden,- sie schleppen sich Wochen, Monate und Jahre 
damit herum, sind niemals sehr krank, aber auch nie ganz gesund. Oft sind sie 
anämisch, häufig nervös, oft hypochondrisch. Auf diese Art können sie die 
ihnen zugeteilte Zahl von Tagen erleben, obgleich ziemlich häufig eine plötz» 
lieh auftretende Magenblutung, ein Gallenblasenleiden, eine Appendizitis, 
Endokarditis oder eine Nierenkolik ihrem Leben ein Ende setzen" Rischer)“. 
Auf solche Art würden also Zahn» und Mundkrankheiten den größten Teil 
der Menschen in bisher ungeahntem Maße mit Siechtum und frühzeitigem 
Tod bedrohen. Diese inneren Organleiden wären ja nur verschiedene Lokali» 
sationen und Formen des im Munde und besonders an den Zähnen sich 
so häufig abspielenden chronischen Infektionsvorganges. 

Den neuerlichen Anstoß, daß diese Anschauung wieder aktuell geworden 
ist, gaben bekanntlich die Amerikaner. Wenn aber die Zukunft zeigen sollte, 
daß die Priorität des Hinweises auf die Möglichkeit eines solchen kausalen 
Zusammenhanges zwischen Mundsepsis und sekundären Infektionen in an¬ 
deren Körperteilen ein Verdienst bedeutet, so gebührt dieses keineswegs 
ihnen. Sie folgten nur der Stimme des englischen Internisten Hunter 7 , der 
schon im Oktober 1910 mit Nachdruck ein solches Abhängigkeitsverhältnis 
betonte. Aber auch er war nicht der erste, der diese Theorie inaugurierte. 
Schon im Jahre 1885 brachte der Deutsche Kaczorowski 8 Störungen der 
allgemeinen Gesundheit mit septischen Zuständen der Mundhöhle in Ver¬ 
bindung. Er beobachtete z. B., daß bei einer 50jährigen Dame eine schon 
seit längerer Zeit bestehende Kardialgie nur durch gründliche Beeinflussung 
einer leichten Ulzeration des Zahnfleisches in einigen Tagen schwand und 
sofort wiederkehrte, wenn auch nur 1 Tag die Desinfektion der Mundhöhle 
unterblieb, welche Abhängigkeit er 7 Jahre lang feststellen konnte. 

Durch systematische Beobachtungen und Untersuchungen glaubte dann 
auch der Dresdener Professor Dr. Päßler^ die Spuren solcher Zusammen¬ 
hänge entdeckt zu haben. Bereits im April 1909 sprach er sich auf dem 
26. Kongreß für innere Medizin in positivem Sinne dafür aus. Er führte 
sekundäre Erscheinungen, z. B. septische Erkrankungen aller Art im engeren 
Sinne, polyarthritische Affektionen, entzündliche Veränderungen jeden Grades 
an den Nieren, schleichende Herzerkrankungen und mannigfache leichtere 


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Karl Loeffler 


Störungen des Allgemeinbefindens auf Infektion durch Streptokokken von 
vorwiegend geringerer Virulenz zurück und hob hervor, daß außer den chro* 
nischen Tonsillitiden überaus häufig die Zähne, selbst „scheinbar tadellos ge* 
füllte", als Quelle solcher kryptogenetischer Sepsis in Betracht gezogen werden 
müßten. Die kausale Erkrankungsform könne dabei ohne jedes oder fast 
ohne jedes subjektive Symptom bestehen. Er berichtet über eine Anzahl von 
Fällen, in denen eine lokale Therapie im Munde zum Teil ein promptes Ver* 
schwinden zur Folge hatte, und riet, in bedrohlichen Fällen radikal vorzu* 
gehen, d. h. verdächtige Zähne zu extrahieren, selbst auf die Gefahr hin, 
daß der eine oder andere unschuldig geopfert würde. Eine konservierende 
Behandlung der Zähne überhaupt schließt er jedoch nicht aus. Auf Grund 
seiner Erfahrungen während des Krieges erscheint es ihm 10 dann im Jahre 1915 
als erwiesen, daß eine selbst monatelang durchgeführte symptomatische Be* 
handlung solcher Erkrankungen meist nur eine vorübergehende Besse* 
rung, die vollständige Beseitigung des Infektionsdepots im Munde in einer 
großen Zahl von Fällen jedoch verhältnismäßig rasch vollständige Heilung 
herbeiführt. 

Auch auf dem 5. internationalen zahnärztlichen Kongreß zu Berlin im 
August 1909 sprach der Budapester Zahnarzt Dr. Landgraf 11 über die 
Zähne als Ursache kryptogenetischer Sepsis und stellte es als wahrschein* 
ich hin, daß die Zähne eine ätiologische Rolle für viele, bisher als kryp* 
togen bezeichnete septische Allgemein* und Lokalerkrankungen spielen, 
worauf man sowohl in der Gesamtmedizin wie in der Zahnheilkunde mehr 
achten müsse. 

Hunter führte auch die Genese der perniziösen Anämie auf Infektion 
zurück und bezeichnete die orale Sepsis auch als Vorläufer und Begleiter der 
bei dieser Erkrankung auftretenden Veränderungen an der Zunge und an 
der Magen* und Darmschleimhaut. Matthes 12 beschäftigte sich mit diesen 
Hu nt ersehen Beobachtungen und Anschauungen auf dem 30. Kongreß für 
innere Medizin im Jahre 1913 und hob hervor, daß manches von der infek* 
tiösen Begründung zutreffend sein dürfte, die Bedeutung der Streptokokken 
jedoch bezeichnete er als irrig. 

Die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit, daß „hinter abliegenden Erkran* 
kungen sich primäre Zahn* und Kieferkrankheiten verbergen können", hat 
auch Loos 13 schon 1915 betont. 

Soweit aus der mir zugänglichen Literatur ersichtlich ist, wurden dann alle 
diese Anregungen und Hinweise bei uns in Deutschland und scheinbar in 
ganz Europa nicht weiter beachtet. Offenbar ließ der Eindruck des Immu* 
nitätsphänomens an den Mundgeweben, „die geschlossene Wucht immer 
wiederkehrender gleichartiger Erfahrungen" bei dem sichtbaren und kon* 
trollierbaren, in der Regel negativen Ausgange einer immer gegebenen In* 
fektionseinwirkung im Munde und an den Kiefern die Mahnrufe jener For* 
scher zunächst mehr nach der theoretischen als nach der praktischen Seite hin 
als beachtenswert erscheinen. Man ging gewissermaßen darüber zur Tages* 
Ordnung über. 


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Ober die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 


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Andere Konsequenzen zogen die Amerikaner. Sie blieben nicht bei der 
theoretischen Erkenntnis stehen, sondern übertrugen diese auf die Praxis. 
Sie machten die Probe auf das Exempel. Und darin gebührt ihnen die 
Priorität. 

Bei allen nur erdenkbaren, auf infektiöser Basis beruhenden und vermuteten 
Allgemein- und Organerkrankungen sehen sie, wenn keine andere Ursache 
eruierbar ist, in den Zähnen tatsächlich die Quelle der Infektion, sobald sie 
tot sind, chronische Entzündungen an der Wurzelhaut oder röntgenologisch 
feststellbare Granulome unterhalten. Und aus dieser Theorie ziehen sie wie 
aus einer wissenschaftlich gesicherten und gefestigten Tatsache tief einschnei¬ 
dende praktische Konsequenzen. Sie stellen die neue Lehre auf, daß jeder 
tote Zahn in jedem Falle ein infizierter Sequester sei und trotz 
unserer heutigen Behandlungsart bleibe, und daß man daher keine 
pulpitischen Zähne mehr töten und keine toten oder pyorrhoeisch 
erkrankten konservierend behandeln dürfe. Zwecks Verhütung und 
Heilung der in Betracht kommenden Krankheiten müßten derartig affizierte 
Zähne vielmehr, zumal wenn bei einer nach dem Hartzei Ischen Gesetz 
<H. Allaeys) 5 vorzunehmenden Prüfung das Blut einen zu geringen Hämo¬ 
globin- und Leukozytengehalt aufweist, ohne Rücksicht auf Zahl und Gattung 
unbarmherzig ausgezogen werden. Ein lebender und gesunder Mensch 
ohne Zähne sei mehr wert als ein kranker oder toter mit solchen. Zwecks 
sicherer Beseitigung der Infektionsherde auch am Knochen geht man nach 
Schilderung von Hol fei der 11 in der Mayo-Klinik in Rochester bei Extraktion 
der Zähne sogar so radikal vor, daß die ganze „vordere" <gemeint ist wohl 
äußere) Alveolenwand abgemeißelt wird. 

Die neue Anschauung fand unter den amerikanischen Zahnärzten beson¬ 
ders deshalb sehr viele Anhänger, weil auch namhafte Vertreter der internen 
Medizin, der Chirurgie und Psychiatrie sie sidi zu eigen machten. Ja, die 
Zahnärzte mußten sogar unter dem Drucke der von diesen gelenkten öffent¬ 
lichen Meinung unter Vermeidung evtl, gerichtlicher Verfolgung, wie Gysi 15 
berichtet, danach praktisch handeln. Dementsprechend ertönt denn auch der 
Alarm bezüglich dieser dentalen Herdinfektion nicht nur aus der zahnärzt¬ 
lichen, sondern auch aus der medizinischen Literatur in Amerika. Wir hören 
dort Stimmen wie von Dr. O. T. Osborne 16 <yale College): „Die Zahn¬ 
heilkunde ist durch die neue Entdeckung zum höchsten Rang erhoben worden 
in bezug auf allgemeine Krankheitsvorbeugung, und jeder einzelne Zahnarzt 
muß sich entscheiden, ob er dieser neuen Erkenntnis gemäß handeln will 
oder nicht." „Die Entscheidung eines Zahnarztes bedeutet für seine Pa¬ 
tienten entweder ein langes Leben oder ein baldiges Grab." 

Wir stehen somit vor einem Faktum, das eine vollständige Umwandlung 
unseres zahnärztlichen Denkens und Behandelns bedeutet. Gewissermaßen 
wie bisher Blinde läßt man uns sehen, daß unsere bisherige Konservierung 
der Zähne statt der von einer ärztlichen Tätigkeit postulierten Hilfe eine 
lebensgefährliche Schädigung darstellt. Es ist daher nicht zu verwundern, 
daß die ganze zahnärztliche Welt in Europa sich gegenüber dieser neuen 


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Karl Loeffler 


Lehre wie aus einem Dämmerzustand aufgerüttelt vorkam, und andererseits 
die allgemeine Medizin vielfach glaubte, daß das mysteriöse Dunkel der Ge* 
nese so mancher inneren Erkrankung einen hoffnungsvollen Lichtstrahl er* 
halten habe. Wiederholt ist es mir vorgekommen, daß Patienten, besonders 
solche mit Rheumatismus und chronischen Herz- und Nierenleiden, auf ärzt- 
liehen Rat von mir verlangten, ihnen die toten Zähne zu entfernen, selbst 
solche, die zum Teil ein Vierteljahrhundert ohne jegliches krankhaftes Symptom 
genau so wie lebende Zähne wertvolle Dienste geleistet hatten. Unter dem 
ersten Eindruck der alarmierenden Hinweise habe ich es auch einigemal getan, 
eine Beeinflussung der betreffenden Leiden ist jedoch in keinem 
Falle eingetreten, soweit ich Gelegenheit hatte, festzustellen. Bei einer 
solchen Sachlage ist es nicht zu verwundern, daß der zahnärztliche Praktiker 
in eine Art von Gewissensnöte kommt und sehnsuchtsvoll nach Wahrheit und 
Klarheit ausschaut, um für seine Tätigkeit gewissermaßen wieder festen Boden 
unter die Füße zu bekommen. Theoretisch sowohl wie praktisch ist es daher 
von dringender Wichtigkeit, diese Anschauung auf ihre Berechtigung und 
Stichhaltigkeit zu prüfen. Sie ist trotz der von Päßler, Hunter und anderen 
kasuistisch schon jahrelang vorgebrachten Tatsachen und der von den Ame* 
rikanern und Engländern versuchten Begründung, auch ungeachtet der von 
den Wiener Internisten Antonius und Czepa 17 gemachten klinischen Be- 
obachtungen sowie der sonst in anderen Ländern und auch bei uns erfolgten 
Studien immernoch eine auf unbewiesenen Hypothesen aufgebaute 
Theorie. Auf keinen Fall trifft es zu, daß wir, wie Fischer meint, eine 
auf wissenschaftlichen Argumenten beruhende geschlossene Beweiskette haben. 

Wenn auch namhafte Autoren es als erwiesen ansehen, daß hämoly- 
tische Streptokokken sich in den weniger virulenten Viridanstypus umwan- 
dein <R. Schnitzerund F. Munter 18 , Morgenroth 19 ), so wird die amc* 
rikanische These doch keineswegs allgemein anerkannt, daß die Erreger sämt¬ 
licher herangezogener Organerkrankungen ein universeller Streptokokkus sind, 
der sich nur auf Grund der durch lokale Verhältnisse bedingten Akkomo¬ 
dation spezifisch differenziert. Außerdem aber ist bei einer großen Zahl von 
Organerkrankungen, deren Entstehung die Amerikaner auf eine auch von 
den Zähnen ausgehende septische Metastase zurückfuhren, die infektiöse 
Natur nicht nur nicht erwiesen, sondern sogar zweifellos nicht bestehend, 
worauf ganz kürzlich auch Mönckeberg 20 hingewiesen hat. Abgesehen 
aber davon begegnet die Begründung der Theorie, wie sie z. B. E. C. Ro- 
senow 21 , Hartzell und Henrici 22 durch das Tierexperiment versuchten, 
den stärksten Zweifeln. Diese Forscher haben bekanntlich aus kranken 
menschlichen Gelenken, Blinddärmen und Gallenblasen, sowie auch aus 
Magen- und Darmgeschwüren Eiter gewonnen und Tieren injiziert. Sie 
ließen sich dabei nicht etwa leiten von der Absicht, die Pathogenität der so 
gewonnenen Erreger beim Tier im allgemeinen zu prüfen, sondern sie 
wollten erforschen, ob diese Erreger an den gleichen Lokalisationen beim 
Tier ebenfalls die spezifischen Erkrankungen hervorrufen. Und angeblich ist 
ihnen dies — gelungen. Ja, sie wollen beim Tier die gleichen körperlichen 


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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 


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Störungen auch durch Injektion des aus infizierten Zähnen gewonnenen Ma¬ 
terials hervorgerufen <Fischer) und unter Verwendung von Streptokokken 
aus einem apikalen Abszeß sogar Pulpaerkrankung verursacht haben <Guthrie 
Mc. Connel) 2 *. 

Solche Versuche sind jedoch von anderer Seite noch nicht mit Erfolg nach*- 
geprüft und bestätigt worden. Und selbst wenn dies geschehen wäre, so 
könnten sie meines Erachtens doch nicht als beweiskräftig angesehen werden. 
Da die genannten menschlichen Organe und besonders die Endorgane, wie 
schon Weiser 24 betonte, längst als ausgesprochene Prädilektionsstellen jeder 
Art von Sepsis bekannt sind, so braucht an sich gar nicht bezweifelt zu 
werden, daß von einem oralen Sepsisherd gelegentlich auch in ihnen sich 
manifestierende sekundäre Erscheinungen ausgehen könnten. Audi damit, 
daß es sich bestätigen sollte, daß durch Injektion von menschlichem Pyorrhoe- 
und Granulomeiter beim Tier z. B. endokarditische Affektionen experimentell 
hervorgerufen werden können, wie solche Kuczynski 25 und F. Munter 18 
bei Mäusen nach 8—10 Tage lang hintereinander wiederholten Einsprit¬ 
zungen von grünwadisenden Kokken beobachtet haben, wäre noch lange 
nicht der Zusammenhang zwischen Zahninfektion und den auf natürliche 
Weise entstehenden sekundären Erkrankungen beim Menschen bewiesen. Es 
wäre höchstens durch Analogie der Schluß möglich, daß die oralen oder den- 
tigenen Streptokokken beim Menschen ebenfalls Endokarditis erzeugen könn¬ 
ten. Ein strikter Beweis wäre auch damit noch nicht erbracht. So wichtig 
und geradezu souverän das Tierexperiment als Beweismittel sonst auch ist, 
hier werden seine Resultate kaum in der üblichen Weise auf den Menschen 
übertragen werden können. Es wäre dies meines Erachtens selbst dann nicht 
angängig, wenn beim Tier die betreffenden Erreger an die gleiche Kiefer¬ 
stelle gebracht würden, von der sie dem Menschen entnommen sind, und zwar 
gerade deshalb nicht, weil die menschlichen Mund- und Kieferpartien ein 
exquisites Immunitätsgebiet darstellen, das wir beim Tier nicht gleichartig oder 
gleichwertig und erst recht nicht bei jedem Tier ohne weiteres voraussetzen 
dürfen. Unter den dieser Immunität zugrunde liegenden Faktoren sind, wie 
wir sehen werden, besonders auch solche von großer Bedeutung, welche durch 
mechanische Isolierung nicht nur eine lokale Unwirksamkeit der Erreger be¬ 
dingen, sondern auch dafür angesprochen werden können, deren weiteres Ein¬ 
dringen in den Gesamtkörper mindestens erheblich zu erschweren. Werden 
also solche aus dem Zahn- und Kiefergebiet gewonnene Streptokokken dem 
Tier z. B. intraperitoneal injiziert, so sind sie plötzlich der immunen Zone 
entrückt, können sich leichter erholen und zahlreicher und kräftiger an einer 
der bekannten Prädilektionsstellen sich ansiedeln, als di?s denen möglich ist, 
die sich selbst unter pathologischen Verhältnissen dem menschlichen Immun- 
bezirk entwinden müssen, dessen Einflüsse ja nicht gleichzeitig und an der 
gleichen Grenze aufzuhören brauchen. Und würden sie beim Tier z. B. auch 
am Fundus einer leeren Zahnalveole injiziert, so fehlte doch jeder Anhalt 
für die Korrelationen der Wirkung, weil wir keine Kenntnis über eine ähn¬ 
liche Immunität im tierischen Mundbereich oder deren Ausdehnung besitzen. 

Vierteljahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 2 14 


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Karl Loeffler 


Dann können wir beim Tierexperiment auch nicht jene besonderen Bedin¬ 
gungen abpassen, künstlich hersteilen oder zugrunde legen, welche den Zahn« 
und Kieferstreptokokken gelegentlich den Übergang in den Gesamtkörper 
ermöglichen sollen. Es wird also in jeder Hinsicht das Auswirken der Immun« 
kräfte ausgeschaltet. 

Wie Schottmüller * 6 betont, entwickelt sich außerdem eine Sepsis über¬ 
haupt nur dann, wenn größere Gefäßstämme von der Infektion befallen 
werden, und können Streptokokken eines Sepsisherdes dauernd oder perio¬ 
disch nur dann in den Blutkreislauf gelangen und Krankheitserscheinungen 
machen, wenn eine freie Verbindung mit der Blutbahn besteht. Es ist dem¬ 
nach ein Unterschied, ob eine als Sepsisherd betrachtete Infektionsstelle in 
schwach vaskuliertem Gebiete liegt, oder ob man ihr infektiöses Material an 
einer blutreichen Stelle, womöglich direkt in ein größeres Gefäß hinein inji¬ 
ziert. Außerdem gelten auch hier die Bedenken, die Lubarsch 27 hinsichtlich 
der Geschwulstbildung gegen die Anwendung der beim Tierversuch ge¬ 
machten Erfahrungen in der menschlichen Pathologie geltend macht, daß näm¬ 
lich die schädigenden Stoffe in ähnlicher Konzentration wie bei dem Versuch 
beim Menschen kaum einwirken. 

Wenn ferner die Folgen oraler Sepsis in der Hauptsache leichte, gering¬ 
fügige Infektionen sind, die die Menschen nicht einmal als krank erscheinen 
lassen, wie will man beim Tier das Eintreten solcher geringgradiger patho¬ 
logischer Wirkung feststellen, wenn diese so schwach ist, daß einerseits das 
Befinden des Versuchstieres so wenig beeinträchtigt wird, daß aus dessen 
Verhalten Anhaltspunkte für die eingetretene Lokalisation der sekundären 
Infektion nicht zu gewinnen, und andererseits auch histologische Verände¬ 
rungen, die einen Verdacht bestätigen könnten, nicht nachweisbar sind! 

Die Wirkung, die nach Injektion von Streptokokken, gewonnen aus einem 
Herd im menschlichen Kiefer, beim Tier auftritt, wird daher kaum so ge¬ 
deutet werden können, daß sie auch gelte, wenn die Erreger von selbst ihren 
Ausmarsch vom Kiefer aus genommen hätten. Der <Versudis«> Organismus 
„ist ein armseliger Gegenspieler der Wirklichkeit, weil die Fülle des feststell¬ 
bar Tatsächlichen ihm nicht in diesem Umfange lebt und wirkt, weil er selbst 
sie nicht handelnd erleben kann, sie nicht in seinen körperlichen Reaktionen 
in ihrer Differenziertheit auszudrücken vermag" <Kuczynski> 28 . 

Werden wir nach alledem vom Tierexperiment eine endgültige Klärung 
in unserer Frage kaum erwarten können, so scheinen eher die Feststellungen 
entscheidend zu sein, die aus dem klinischen Erleben natürlich entstandener 
pathologischer Erscheinungen zu gewinnen sind. Doch besteht auch dabei 
immer die Gefahr, daß zufällige, unabhängige, klinische Koinzidenzen zur 
Konstruktion falscher kausaler Zusammenhänge führen. 

Und selbst wenn die Möglichkeit bestände, auf diesen Wegen die Zu¬ 
sammenhänge zu ergründen, so erfordert doch die Wichtigkeit des Problems, 
seine Lösung auf andere Arten, durch Bearbeitung mit allen Methoden zu 
versuchen. Und einen Fingerzeig nach einer anderen Richtung hin, aus der 
vielleicht etwas Licht in das Dunkel der Zusammenhänge kommen könnte. 


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Ober die relative Mundimmunität und die „Mundhöhfensepsis" 211 

gibt uns die unwillkürliche Empfindung, daß die in Rede stehenden Erschei¬ 
nungen im Hinblick auf die große Immunität der Mundgewebe mindestens 
als paradox erscheinen. Diesem Gefühl sollen wir nachgehen. Es geht nicht 
an, in sorgloser Weise einfach aprioristisch anzunehmen, daß die dieser 
Immunität zugrunde liegenden Faktoren ebenfalls jene sekundären Erschei¬ 
nungen ausschließen. Vielmehr müssen wir gerade darin einen Anreiz sehen, 
das Problem unter dem Gesichtswinkel dieser Mundimmunität anzugehen. 

Wenn wir also die Immunitätserscheinungen der Mundgewebe zum Aus¬ 
gang der Prüfung nehmen wollen, so erscheint es mir vor allem nötig, das 
Wesen dieser Immunität allseitig zu analysieren. 

Zwecks begrifflicher und klinischer Analyse ist es nicht überflüssig, sich 
noch einmal zu vergegenwärtigen, was wir unter der relativen Immunität der 
Mundgebilde zu verstehen haben. Bekanntlich sagt nicht nur die eigene Er¬ 
fahrung, es wird auch in der Literatur, dem Spiegelbild der allgemeinen Er¬ 
fahrung, immer wieder unterstrichen, daß an den Weichteilen des Mundes 
sowohl wie auch an den Kieferknochen infektiöse Erkrankungen allgemein 
und besonders pyogene im Verhältnis zu der üppigen Bakterienflora nicht 
nur selten Vorkommen, sondern daß sie auch, was besonders wiederum bei 
den chirurgischen Infektionen auffällt, in der Regel so verlaufen, daß der 
Gesamtorganismus nicht in dem Maße bedroht wird, wie dies an anderen 
Körperteilen der Fall ist. Wunden aller Art und jeden Umfanges, selbst 
wenn sie unter den unhygienischsten Mundverhältnissen entstehen oder unter 
Außerachtlassung der elementarsten antiseptischen Kautelen gesetzt werden, 
heilen gut,- ja, sie zeigen eine viel bessere Heiltendenz als solche an anderen 
Körperstellen. Durch die neueren Untersuchungen <B a u m g a r t n e r 29 , Fleisch- 
mann 30 > Hilgers 31 ) wird glaubhaft bewiesen, daß die parasitäre Wirkung 
bei der Entstehung der Zahnkaries auf Streptokokken zurückzuführen ist. 
Wenn es sich dabei auch in der Hauptsache um die kurze, im Sinne der 
Sepsiserzeugung nicht pathogene Form handelt, so konnte letzterer Autor bei 
einer größeren Reihe von Zähnen doch auch solche Streptokokken isolieren, die 
morphologisch und kulturell dem Typus des Streptokokkus pyogenes nahe¬ 
stehen oder wahrscheinlich mit ihm identisch sind. Er stellt ferner fest, daß 
bei fortschreitender Zahnkaries auch die eigentlich entzündungserregenden 
Streptokokken eine Rolle spielen. Neben vielen anderen Infektionsmöglich¬ 
keiten möchte ich nur darauf hinweisen, daß z. B. die Nachbarzähne von 
frischen Extraktionswunden oft gleich vorbereitend ausgebohrt werden, wobei 
der Bohrschmutz unvermeidlich in die Wunde kommt, und daß auch dadurch 
eine Beeinträchtigung des Heilverlaufes nicht beobachtet wird. Selbst Kiefer¬ 
verletzungen, bei denen ausgedehnte Teile des Knochens beinahe nur noch 
einen „Knochenmus" mit mehr oder weniger großen Periostfetzen darstellen, 
machen von der guten Heilung keine Ausnahme <Bimstein) 32 . Bei den im 
Anschluß an die Pathologie der Zähne sich ergebenden Entzündungen er¬ 
schöpft sich das Infektionsgilt gewöhnlich in lokalen zirkumskripten Prozessen, 
so daß schwerere Komplikationen und letale Ausgänge recht selten sind. Es 
ist weder möglich noch nötig, dieses „abnorme" Verhalten der Mundgewebe 

14 * 


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Karl Loeffler 


gegenüber den sonst gefürchteten und für die Gewebe an anderen Körper¬ 
stellen recht gefährlichen Eitererregern durch die vielen Zeugnisse der Lite¬ 
ratur besonders zu belegen. Der Praktiker überzeugt sich ja davon tagtäglich 
von neuem, und sogar beim Laien gilt ein glatter Heilverlauf von Wunden 
im Munde infolge von Tradition und Erfahrung beinahe als etwas Selbstver¬ 
ständliches. Zum großen Teil beruht ja darauf auch die geringschätzige Be¬ 
urteilung der Zahnheilkunde sowohl seitens der Gesamtmedizin, als auch 
des Publikums und andererseits aber auch die oft weitgehende Sorglosigkeit 
der Zahnärzte bezüglich der Antisepsis und Asepsis. Die Tatsache, daß auch 
stärkere Eiterungen an den Weichteilen des Mundes und an den Kiefern 
in der Regel ohne weitere Folgen bleiben, muß aber noch als um so auf¬ 
fallender bezeichnet werden, als die anatomischen Verhältnisse und Bezie¬ 
hungen eher das Gegenteil erwarten ließen. Es sei nur daran erinnert, daß 
an sich jede Entzündung in der Mund- und Kieferregion über die allge¬ 
meinen Gefahren jeder Entzündung hinaus eigentlich noch ihre eigenen Ge¬ 
fahren in sich schließt, weil die Ausbreitung ihrer Metastasen in Anbetracht 
der Anordnung und Verlaufsrichtung der Venen ganz besonders gut nach 
der Orbita und von hier aus in die Schädelhöhle ermöglicht wird, worauf 
erst neuerdings wieder Sicher 33 in einer Besprechung von lebensbedro- 
hendeh Zuständen und Komplikationen in der Zahnheilkunde aufmerksam 
gemacht hat. 

Überhaupt gibt es am ganzen menschlichen Körper kein Ana¬ 
logon für die Tatsache, daß die einen Teil der Schutzdecke des 
Mundepithels darstellenden Zähne — der Schmelz ist ja bekanntlich 
nur genetisch verändertes Epithel — mit gangränöser Wurzel gewisser¬ 
maßen einem Trichter gleich die Infektionsstoffe ständig in die 
inneren Gewebe leiten können. Es gibt meines Wissens auch kein 
anatomisches Korrelat an der Haut oder Schleimhaut, bei dem 
eine irgendwie entstandene Epithellücke und die dadurch ge¬ 
gebene Infektionsmöglichkeit der umliegenden Gewebe dauernd 
bleibt, wie es am Foramen eines jeden toten Zahnes bzw. einer jeden 
gangränösen Zahnwurzel der Fall ist, oder bei dem bei einer Epithel¬ 
lücke dem einen Wundrand nicht ein anderer gegenübersteht, 
wie es der Fall ist, wenn bei marginalen Entzündungen des Zahnfleisches 
der Epithelansatz am Zahn beschädigt wird. Mag es sonst sein, wo es will, 
überall am Körper sind sämtliche Gewebe, die einen Epithelverlust 
begrenzen, regenerationsfähig und helfen durch ihre reaktive Tätig¬ 
keit an der Heilung und damit an der Schließung der Epithellüdce mit. 
Am Zahn aber findet bei beschädigtem Epithelansatz das orale Epithel¬ 
ende, solange der Zahn existiert, niemals mehr ein reaktionsfähiges 
epitheliales Ende zur Vereinigung. An noch nicht ganz durchgebrochenen 
Kronen verhält sich die epitheliale Kutikula passiv und bei ganz durchgebro¬ 
chenen Zähnen findet das Mundepithelende, solange die Wurzelhaut gesund 
erhalten ist, am Zement zwar immer wieder eine bindegewebige Ver¬ 
wachsung, in allen jenen Fällen aber, in denen das Zement seine binde- 


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Ober die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis'' 213 

gewebige Matrix verloren hat, isf überhaupt jede organische Verbindung 
zwischen Epithel und Zahn unmöglich. Statt einer Restitutio ad integrum 
resultiert daher in diesen Fällen peridental und bei toten Zähnen periapikal 
nur ein pathologisches Flickwerk. Hier die Wurzelgranulome und dort die 
mit Epithel überzogene Granulationswurzelhaut. Die Prüfung, ob und in* 
wieweit beide einen einer Restitutio ad integrum entsprechenden Schutz dar* 
stellen, wird die Hauptaufgabe der nachherigen Untersuchungen sein. 

Der dauernde epithellose Zustand am Foramen eines toten 
Zahnes wird aber noch durch weitere, am ganzen Körper bei* 
spiellose Verhältnisse kompliziert. Ist es nämlich sonstwo durch 
irgendeine Noxe zu einer lokalen Nekrose gekommen, so können die ab* 
gestorbenen Gewebsteile durch die Umgebung abgestoßen oder resorbiert 
werden. Eine nekrotisch gewordene Zahnpulpa aber kann auf keine Weise 
auf natürlichem Wege eliminiert werden, da den ihre Zerfallsmassen ein* 
schließenden Wänden jegliche dazu nötige Reaktionsfähigkeit abgeht. Am 
Fundus der Alveole eines toten Zahnes bekommt daher das bindegewebige 
apikale Periodont nicht nur niemals mehr einen Epithelüberzug, sondern es 
bleibt, abgesehen davon, daß ständig von außen neue Schädlichkeiten ein* 
wirken können, dauernd mit dem Detritus einer zersetzten Pulpa im Kontakt, 
welche in viel höherem Maße als die eigentliche Mundhöhle einen Tummel* 
platz ganz besonders von Streptokokken darstellt (Mayrhofer) 34 . 

Auf Grund solcher Tatsachen und Umstände können wir also analysieren: 
Die Mundgewebe erkranken selten, obwohl der Determinationsfaktor, die 
Erreger, so gut wie immer, und einer der obligatesten Realisationsfaktoren, 
Verletzungen und Wunden, ungewöhnlich oft gegeben sind. Entstehende 
Eiterungen haben trotz günstig präformierter Wege wenig Neigung, sich 
per continuitatem auszubreiten oder ihre Giftstoffe durch Metastase dem 
Gesamtkörper zuzuführen. 

Immunbiologisch bedeutet das, daß die Wirkung der hier abwehrenden 
Kräfte stärker ist als die der angreifenden Erreger und daß unter den Schutz* 
faktoren besonders solche eine große Rolle spieleh, welche eine örtliche 
Beschränkung der pyogenen Prozesse bewirken. Demgegenüber ist es mit 
Bezug auf jene sekundären Infektionen, deren Verursachung speziell den 
Streptokokken zugeschrieben wird, weniger von Bedeutung, daß die anderen 
im Munde vorkommenden pathogenen Erreger ebenfalls mehr oder weniger 
durch die gleichen Abwehrkräfte an der Entfaltung ihrer verderblichen Wir* 
kung gehindert werden, daß z. B. die primäre Tuberkulose im Munde zu 
den Seltenheiten gehört (Partsch 35 , Preiswerk 30 , Spitzer 37 ) und der 
Diphtheriebazillus nur „unter durch irgendeinen Zufall gegebenen ungün* 
stigen Verhältnissen" Krankheitserscheinungen verursacht <Levinstein> 38 . 

Vollständig gefeit sind aber auch die Mundgewebe, wie aus den gemachten 
Einschränkungen hervorgeht, gegen keine Bakterienart, wir sprechen daher 
auch nur von einer relativen Immunität. 

In diesem Sinne aber ist sie eine generelle (gattungsmäßige), nicht eine 
individuelle Erscheinung. 


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Karl Loeffler 


Wie die Erfahrung zeigt, ist sie auch bei den einzelnen Menschen schon 
von Geburt an vorhanden und wenig graduell verschieden. 

Können wir nun gegenüber diesem tatsächlich ungewöhnlichen Phänomen 
der lokalen Schutzwirkung auch annehmen, daß die gleichen Kräfte auf die 
Erreger so einwirken, daß sie auch jene sekundären Infektionen nicht ver¬ 
ursachen können? Um entsprechende Beziehungen herauszuiinden, erscheint 
es angezeigt, zunächst auch von diesen sekundären Infektionen ein begrifflich 
klares Bild zu gewinnen. 

Um aus der Relativität der Mundimmunität keine falsche Vorstellung von 
ihnen aufkommen zu lassen, soll vor allem noch einmal betont werden, daß 
nicht jene Ausnahmefälle, in denen der feindliche Angriff im Munde doch 
siegreich bleibt und zu mehr oder weniger akuten Prozessen führt, als ihre 
Quelle betrachtet werden, sondern daß für ihre Entstehung gerade das In¬ 
krafttreten der örtlichen Immunisierung, die erfolgte Virulenzschwächung am 
Orte des primären Angriffes, also das latente Vegetieren der Erreger zur 
Voraussetzung gemacht werden. Der Umstand, daß die Mundgebilde immun 
bleiben, bedeutet also in bezug auf Sekundärinfektionen an sich nicht auch 
die Abwendung der Gefahr vom Gesamtorganismus. Er repräsentiert somit 
nicht immer einen endgültigen Verniditungs-, sondern oft nur einen Schein- und 
Teilsieg, durch den nur erreicht wird, daß die Erreger lokal nicht imstande 
sind, jene sinnfälligen, wahrnehmbaren, geweblichen Zustandsveränderungen 
zu machen, die wir im praktischen Leben als den Ausdrude von Krankheit 
kennen. Die Immunität bestände also nur im klinischen Bild, nicht aber bak¬ 
teriologisch im Sinne vollständiger Heilung. Sie wäre vielmehr nur eine be¬ 
dingte, eine unter dem Einfluß der örtlichen Hemmungsmomente lokal be¬ 
schränkte, die aufhören könnte, wenn das Gift den örtlichen Abwehrein¬ 
flüssen, der Wucht der gesamten oder der Wirkung einzelner ihrer wich¬ 
tigsten Schwächungsbedingungen entzogen ist, z. B. wenn seine Aussaat in 
andere Körperteile möglich wird. Die von solchen Erregerstoffen dort ver¬ 
ursachten schleichenden Krankheiten fallen also als Folgezustände unter den 
Begriff dieser sekundären Infektionen. 

Es wäre also ihr Zustandekommen immunbiologisch so zu erklären, daß 
von den Kräften, die die pathogenen Erregerstoffe in der Mundregion ohn¬ 
mächtig und unwirksam machen, gelegentlich die eine oder andere versagt, 
die Erreger daselbst zwar weiter avirulent bleiben, aber doch eine etwas 
größere Aktivität erlangen, die besonders nach der Seite hin zur Geltung 
kommt, daß sie sich aus ihrer örtlichen Beschränkung frei machen und irgend 
anderswo sich ansiedeln können, wo sie früher oder später sekundäre Er¬ 
scheinungen hervorrufen. 

Um solche Zusammenhänge durchschauen und zur Prüfung der „neuen 
Lehre" verwerten zu können, wäre es jedoch vor allem nötig, daß wir eine 
genaue und vollständige Analyse auch der kausalen Faktoren der Mund¬ 
immunität und Kenntnis ihres Wirkungsmechanismus besäßen. Doch hier 
stoßen wir auf Schwierigkeiten. Wir betreten da zwecks Orientierung die 
Seite des Gebietes, die selbst trotz wiederholter Vorstöße zur Erforschung 


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Ober die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 


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immer noch nicht erschlossen ist. Zum großen Teil liegt dies daran, daß es 
der Forschung im allgemeinen noch nicht gelungen ist, die Schleier ganz zu 
lüften, die die immunbiologischen Geheimnisse decken. Unsere Erkenntnisse 
„ergeben immer wieder nur unüberblickbare Reihen von Teilbildern". „Es 
ist unmöglich, aus diesen tatsächlich vorhandenen, aber für uns unfaßbaren 
Einheiten, Stück für Stück und Nummer für Nummer dieser individuell 
schwankenden Abwehrleitung in allen Einzelheiten zu erkennen." Was hier 
v. Hajek 39 im allgemeinen sagt, gilt um so mehr von der Mundimmunität, 
als ihr spezielles Studium in den letzten Jahren sehr vernachlässigt wurde. 
Wohl wußten wir sie im obigen als Erscheinung zu deuten, wohl wissen 
wir auch, daß sie das Resultat der Wirkung eines umfangreichen Komplexes 
von Faktoren ist, von denen wir eine Anzahl in großen Umrissen kennen, aber 
wir sind nicht in der Lage, eine genaue kausale Analyse von ihr zu geben 
derart, daß die Art der Wirkung der einzelnen Faktoren klar erfaßt und 
jedem dieser Faktoren das wirkliche Maß der Abwehrleistung zugeteilt 
werden könnte. Seit den Untersuchungen von Miller 40 , Michel 41 , Gott* 
lieb und Sicher 42 ist die Lösung des Rätsels der Immunität in der Mund* 
höhle so gut wie nicht mehr gefördert worden. Die zahnärztliche Forschung 
erstreckte sich mehr und mehr auf die speziellere Immunität der Zähne gegen 
Karies. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen können jedoch nicht ohne 
weiteres auf die Immunität der Mundgewebe übertragen werden/ denn es 
wird meines Erachtens immer Trugschlüsse geben, wenn man beide Arten 
von Immunität auf die gleichen Ursachen zurückführen will. Ist doch die Ka* 
ries der Zähne, wenn auch die Mikroorganismen mitwirken, in erster Linie 
ein chemischer Prozeß, während es sich bei den Geweben um biologische 
Vorgänge handelt. Im Interesse der Erhaltung des Gesamtorganismus sind 
die Zähne ferner trotz ihrer Wichtigkeit immerhin untergeordnete Organe, 
und die zur Verteidigung des Organismus angewandten Mittel brauchen 
daher nicht immer auch für die Erhaltung der Zähne in gleicherweise zweck* 
mäßig zu sein. 

So wünschenswert es daher im allgemeinen auch wäre, daß dieses Problem 
in seiner ganzen Gewaltigkeit neuerdings wieder aufgerollt und belichtet 
würde, so unmöglich ist dies im Rahmen dieser Arbeit. Und da die Tat* 
Sache gegeben ist, daß Bakterien aus putriden und gangränösen Wurzel* 
kanälen vordringend in Granulomen beherbergt werden können, und solche 
sich auch in pyorrhoeischen Taschen finden, diese beiden Lokalisationen aber, 
welche nach der in Rede stehenden Theorie hauptsächlich als Quelle der se* 
kundären Infektionen angesehen werden, innerhalb der äußeren Linie der 
menschlichen Festung liegen, so können auch von vornherein alle jene Immu* 
nisierungskomponenten unberücksichtigt bleiben, von denen wir annehmen, 
daß sie die Virulenz der Mikroben schwächen und deren Ansiedlung, Wachs* 
tum und Vermehrung außerhalb der epithelialen Mundschutzdecke erschweren 
oder verhindern. Ich nenne z. B. die anatomischen Vorzüge der Schleimhaut, 
die durch die mechanische und chemische Wirkung des Speichels und des 
Mundschleimes, durch den Selbstreinigungsprozeß der Mundhöhle und die 


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216 Karl Loefflcr 

hohen Temperaturen der Speisen und Getränke, durch den Antagonismus 
zwischen den autochthonen und pathogenen fremden Bakterien für letztere 
geschaffenen ungünstigen Existenzbedingungen und die damit verbundene 
Virluenzschwächung, die Funktion der Speichelkörperchen in ihrer Eigene 
schaft als lebende und absterbende Leukozyten, sowie die aus den Tonsillen 
und dem gesamten adenoiden Gewebe der Mundschleimhaut nach Fleisch* 
mann 43 stattfindende Einschwemmung reduzierender Substanzen. 

Von Bedeutung für unsere Untersuchung sind also mehr jene an dem 
Zustandekommen der Mundimmunität beteiligten Faktoren, welchen wir die 
Fähigkeit zuschreiben können, imGewebeselbstdie Erreger unschädlich oder 
unwirksam zu machen, z. B. die antibakterielle Kraft des Blutes und der 
Lymphe, die Phagozytose, die Widerstände der Lymphdrüsen, die esophy- 
laktischen Einflüsse der Schleimhaut und damit die der zellulären Reizlosig¬ 
keit zugrunde liegenden Momente und endlich die in der Zahnalveole patho¬ 
logisch entstandenen Schutzeinrichtungen, die Granulome und Granulationen. 
Aber auch dieser Komplex ist noch so gewaltig, daß seine Bearbeitung die 
Zeit, Arbeit und Kenntnisse vieler benötigt. 

Ich werde midi daher im folgenden nur mit den beiden letzteren befassen 
und glaube trotzdem, auch bei dieser Beschränkung etwas zur besseren Er¬ 
kenntnis der in Rede stehenden Probleme beitragen zu können. Spielt doch 
meines Erachtens gerade das Granulationsgewebe in der Zahnalveole in den 
Beziehungen zwischen der reichen Bakterienflora des Mundes und der Immuni¬ 
tät seiner Gewebe, sowie in der Frage der sekundären Infektionen infolge 
von „Mundhöhlensepsis" eine so wichtige Rolle, daß ich glaube, durch die 
Erforschung seiner Genese, seines Wesens und seiner Wirkung nicht nur 
die Erkenntnis jener dunklen Zusammenhänge fördern, sondern auch den 
richtigen Schlüssel liefern zu können zum Verständnis jener mit seinem Auf¬ 
treten verbundenen pathologischen Vorgänge in der Alveole, die wir bisher 
unter dem Begriff Alveolarpyorrhoe zusammenfaßten. Bevor ich aber näher 
auf diesen speziellen Teil eingehe, ist es angezeigt, hier eine allgemeine Be¬ 
merkung einzuflechten. 

Auf keinem zahnärztlichen Gebiete gibt es bekanntlich noch so viele un¬ 
gelöste Probleme und eine solche Diskrepanz der Auffassungen, wie gerade 
bezüglich der in der Zahnalveole sich abspielenden pathologischen Vorgänge. 
Ich sehe den Grund davon allgemein und besonders davon, daß z. B. das 
Rätsel der sogenannten Alveolarpyorrhoe trotz unablässiger und zahlreicher 
Versuche bisher nicht befriedigend gelöst werden konnte, in dem Mangel 
einer großen allgemeinen Betrachtungsbasis, von der aus die Zusammen¬ 
hänge des allgemeinen pathologischen Geschehens mit dem speziellen gerade 
in der Zahnalveole erschaut und erfaßt werden konnten. So beachtete man 
bisher zu wenig die Bedeutung der Epithelkontinuität und die Folgen ihrer 
Unterbrechung . Es ist daher hier der Ort, zunächst ganz allgemein auf diese 
Momente einzugehen. 

Das Epithel der äußeren Haut und der Schleimhäute der nach 
außen offenen Körperhöhlen hat in erster Linie die Aufgabe, die 


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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis' 


217 


inneren Gewebe zu bedecken und zu schützen, während es neben 
anderem als die physiologische Bestimmung des Bindegewebes 
bezeichnet werden kann, bei Eintritt einer Epithellücke interi¬ 
mistisch bis zur Herstellung des Epithelersatzes den Schutz zu 
übernehmen <Borst 62>. 

Erleidet die schützende epithelialeOberflächenbedeckung eine 
mit einer Lücke verbundene Beschädigung, — ob eine solche z. B. 
durch eine Beinamputation, durch eine Kratzwunde, durch einen Insekten- 
stkh oder durch irgendeine endogene Ursache zustande kommt, ist hier ganz 
gleich — so bilden eben die Zellen des Gefäßbindegewebeappara¬ 
tes einen interimistischenErsatzabschlußund-Schutzderepithel- 
beraubten Teile. Bei oberflächlichen, mit den Epithelenden in Berührung 
bleibenden Substanzverlusten entstehen flächenhaft geformte, von einem 
Epithelende bis zum anderen reichende bindegewebige Zellansammlungen 
und -Gruppierungen <Granulationen>. Dringt aber eine die Epithellücke 
selbst verursachende Noxe, z. B. ein Geschoß, oder eine andere Noxe, z. B. 
ein infektiöses Agens, durch eine bereits vorhandene Lücke tiefer in das 
Gewebe, so daß die Stelle ihrer Reizwirkung nirgends mehr mit dem Epithel 
in Verbindung steht, so erfolgt die Mobilisation der Gefäßbindegewebszellen 
sowohl wie vorhin an der epithelbegrenzten Eingangspforte, als auch an der 
tiefer gelegenen Reizstelle, und zwar hier ringsherum um diese. Es kommt 
zur allseitigen zellulären Umlagerung, die je nach der Art und der Dauer¬ 
wirkung des Reizmomentes nur locker organisiert und vorübergehend ist, 
wie z. B. bei entzündlichen Infiltrationszonen und Abszeßmembranen, oder 
fester gefügt und auch nach eventueller Schließung der Epithellücke dauernd, 
wie z. B. bei Fremdkörperabkapselungen und bei den verschiedenartigen in¬ 
fektiösen Granulomen. 

Was wir gewöhnlich Granulationen nennen, ist also nur eine 
bestimmte, typische Gruppierung und Formation der mobili¬ 
sierten Zellelemente. Im Grunde genommen sind entzündliche 
Infiltrationen, pyogene Membranen bei Geschwüren und Ab¬ 
szess en,osteophy tisch e Verdickungen, Dem arkations wälle, Ober¬ 
flächen- <Wund->Granulationen und fibröse Abkapselungen Pro¬ 
dukte der gleichen Reaktion, der gleichen Zellen. Sie sind nur ver¬ 
schieden ermöglicht, benötigt und entwickelt durch die Verschiedenheit der 
Art, der Stärke, der Dauer und der Tiefenwirkung der Noxe. Man kann 
auch sagen, jede Infektion ist nichts anderes als eine Folge des Epitheldurch¬ 
bruches durch Bakterien, und je nachdem die Eindringlinge durch mobili¬ 
siertes Bindegewebe <für die rein durch ihre Toxine wirkenden Infektionen 
liegen die Verhältnisse allerdings anders) lokal festgehalten werden oder sich 
im Körper verbreiten können, entsteht Herdinfektion oder Generalisation der 
Infektion. Eine lokale Entzündung kann in diesem Zusammenhang als ein 
Zeichen lokaler Beschränkung einer Schädigung aufgefaßt werden, und ein 
lokaler, infolge von lokaler Entzündung eintretender Zelltod, z. B. beim 
zirkumskripten Abszeß, evtl, als Verhütung des allgemeinen Todes. Hoch- 


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Karl Loeffler 


gradigc Noxen, z. B. starke bakterielle Virulenz, machen wegen ihrer regres¬ 
siven Störungen die Bindegewebsreaktion überhaupt nicht oder erst in der 
Nachbarschaft möglich. In Form von Granulationen kommt diese Reaktion 
bekanntlich, gewissermaßen physiologisch, bei normalem Wundverlauf oder 
aber allgemein in Beantwortung einer chronischen, mehr proliferativ anregen¬ 
den Reizung vor. Die Bildungsnotwendigkeit, die Funktionsdauer und der 
Umfang der Granulationen hängt also davon ab, ob die Reparation des 
Epithels ungehindert alsbald vor sich gehen kann, wie es bei aseptischem 
Verlauf von Wunden und nach Ablauf akuter, mit lokaler Gewebsnekrose 
verbundenen Entzündungen nach gänzlichem Sistieren der ursächlichen Noxe 
geschehen kann. 

Wird nun durch Verzögerung oder Unmöglichwerden des 
Epithelisierungsprozesses oder durch die lange Zeit weiter- 
dauernde Wirkung der tiefer eingedrungenen Noxe die Abwehr¬ 
funktion von größeren Teilen des Gefäßbindegewebeapparates 
in Anspruch genommen, so kann es unter Umständen zum Ver¬ 
lust der normalen histologischen Struktur eines ganzen Organes 
kommen, besonders wenn dieses wenig umfangreich ist, und dar¬ 
aus eine Störung oder sogar der Verlust der Organfunktion resul¬ 
tieren. 

Nur die Erkenntnis dieser großen Gesetze öffnet uns den Weg zum Ver¬ 
ständnis des Wesens, der Genese und der Wirkung des apikalen und para¬ 
dentalen Granulationsgewebes und zur Enträtselung dessen, was wir unter 
dem unklaren Begriff „Alveolarpyorrhoe" bisher verstanden. Ist letztere 
doch, um es gleich zu betonen, die schönste Illustrierung für die lokalen 
Folgen des Ausfalles der Funktion eines Organes, weil ihr Bindegewebe 
chronisch in den Dienst der Abwehr treten muß. Auch die Granulome 
und die paradentalen Granulationen sind typische Beispiele für, Ober« 
flächengranulationen und für innere Abkapselungen, wie jetzt weiter ausge¬ 
führt werden soll. 

Befassen wir uns also zunächst mit den Granulomen. Für ihre Genese 
ist, wie aus dem allgemein Gesagten hervorgeht, ein abgeschwächter, chro¬ 
nischer Reiz Bedingung. Der Schmerz einer Pulpitis ist nicht nur ein grau¬ 
samer Peiniger, er bedeutet auch ein warnendes Signal angesichts der Gefahr 
eines Durchbruchs der Infektion durch die Front am Foramen, wo die 
Pulpa als sicherste Wächterin zu erliegen droht. Wird dieser Ruf vom 
Menschen nicht verstanden oder nicht beachtet, um durch zahnärztliche Hilfe 
die Gefahr beseitigen zu lassen, so dringen über kurz oder lang die Bak¬ 
terien über die Pulpaleiche in die innere Linie ein. Es besteht eben dann, 
wie wir gesehen haben, am Wurzelloch des toten Zahnes eine dauernd 
bleibende Epithellücke, deren Folgen für den Gesamtkörper je nach der 
Menge der eindringenden Erreger und dem Grade ihrer Virulenz verschieden 
ist. Für stark virulente Gifte gibt es kein Aufhalten. Sie erzeugen im Kiefer 
stürmisch verlaufende Entzündungen. Wenn auch ihre Abläufe in der Regel 
nur wegen der mehr oder weniger großen Schmerzen quälend und lästig für 


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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 219 

die betreffenden Mensdien sind, und sich in der Hauptsache nur zirkumskripte 
Abszesse bilden, die dank einer Anzahl günstiger anatomischer Eigentüm* 
lichkeiten am Kiefer die Entzündungsprodukte rasch an einer äußeren Ober* 
fläche entleeren und damit den Selbstreinigungsprozeß des infizierten Ge* 
webes bewirken können, so bilden doch sie auch den Ausgangspunkt der 
seltenen beklagenswerten, letalen Ausnahmefälle. 

Glücklicherweise gehen jedoch die kranken Pulpen, man kann wohl sagen, 
in 95% der Fälle nicht durch akute, sondern durch, chronische Entzün* 
düng zugrunde. Die Pulpa selbst kämpft meist durch Errichtung von De* 
markationswällen um ihr Leben und weicht nur sukzessive zurück. In vielen 
Fällen finden wir ihre Reste noch im letzten Drittel oder ganz am Foramen 
am Leben, isoliert von ihrem übrigen, bereits nekrotisch gewordenen Körper. 
Jahrelang oft verschließt sie so das Foramen mit ihrem, wenn auch pathologisch 
veränderten, aber immerhin noch genügend vitale Energie zeigenden Ge* 
webe. Bei der Vorbereitung von Wurzelkanälen für Stiftzähne und son* 
stiger Behandlung scheinbar schon längst total gangränöser Wurzeln stoßen 
wir oft zu unserer freudigen Überraschung auf solche noch lebende Pulpa* 
reste, obgleich die oberen 2 / 3 des Kanals tatsächlich schon längst mit jauchiger 
Masse angefüllt sind. Diesen scheinbar vom Thema ablenkenden Hin* 
weis erachte ich deshalb nicht als überflüssig, weil ich gerade darin eine 
Erklärung sehe für die Möglichkeit der häufigen Entstehung der Granulome 
überhaupt. 

Während die Reste der Pulpa auch bei so starker Verstümmelung die 
Wurzelspitze abdichten, werden die putriden oder gangränösen Massen in 
dem nach dem Munde offenen Kanal durch Aufnahme von Speichel und 
anderen Flüssigkeiten verdünnt und ausgeschwemmt, welchem Umstand wohl 
auch eine Schwächung ihrer Virulenz zugeschtjeben werden kann. „Sie pflegen 
dann", sagt Partsch 44 , „unschädlich zu sein für die tieferen, die Zahn* 
wurzelspitze mit ihrem Wurzelloch umgebenden Gewebe." So wird es also 
ermöglicht, daß nach dem Zugrundegehen auch des letzten Restes des Pulpa* 
stumpfes die eintretende Infektion sich mehr schleichend allmählich entwickelt 
und das betroffene Bindegewebe der Wurzelhaut Zeit und Möglichkeit ge* 
winnt, durch seine reaktive Tätigkeit den weiteren Schutz zu übernehmen. 
Das gleiche tritt ein, wenn akut einsetzende Infektionen der Wurzelhaut 
chronischen Charakter annehmen oder durch zahnärztliche Behandlung ku* 
piert werden, aber ein abgeschwächter Infektreiz zurückbleibt, was auch nach 
sachgemäßer Durchführung möglich ist. Die Bindegewebszellen und die evtl, 
seit Fertigbildung des Zahnes zwischen ihnen schlummernden Epithelzellen 
werden dann aktiv. Es entsteht durch diese Zellen unter Mitwirkung der 
Leukozyten und Gefäßendothelien ein Granulationswall, der die infizierte 
Wurzelspitze vom gefährdeten Knochen kappenartig abschließt. Und die so 
entstehenden runden oder oblongen, Stecknadel* bis bohnengroßen Gebilde 
sind eben, wenn sie ganz solide und lumenlos bleiben, die Granulome <rein 
bindegewebig oder auch epithelhaltig), und wenn sich innen ein mit Epithel 
austapezierter Hohlraum entwickelt, die Zahnwurzelzysten. 


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In demselben Maße, in dem die periapikale Haube des Periodontiums auf 
den chronischen Reiz hin wuchert, bewirkt das entstehende Granulations- 
gewebe eine Resorption der die Spitze umgebenden Alveole und mehr oder 
weniger auch der Wurzelspitze selbst. Hört der Reiz auf oder wird er noch 
mehr abgeschwächt, so verdichtet sich mehr und mehr die äußere Schicht des 
Granuloms zu einer fibrösen Kapsel, der nach Dependorf 45 nach und nach 
auch elastische Fasern beigemengt werden. Die typisch rund-ovalen Granu¬ 
lome erhalten dann eine allseits scharfe Begrenzung durch die fibröse Mem¬ 
bran, welche der ebenfalls scharf begrenzten und evtl, auch reaktiv ver¬ 
dichteten <Pordes> 48 Spongiosa anliegt. Hält jedoch der Infektionsreiz an 
oder setzt er wieder stärker ein, so kann die allseitig glatte Abkapselung 
verhindert oder durchbrochen werden. Die Granulationen wachsen dann von 
der vom Reiz getroffenen Stelle weiter, und zwar in der Richtung des 
geringsten Widerstandes. So kann das Granulom auf der einen Seite ab¬ 
gekapselt ruhen, daselbst eine dichte „Knochensklerosebegrenzung" bekommen, 
nach der anderen Seite jedoch da und dort feine, fingerförmige Fortsätze in 
die kleinen Lücken zwischen den Spongiosabälkchen hineinsenden, wodurch 
mehr unregelmäßige, zackige und langgestreckte Formen entstehen. Das Granu¬ 
lom wächst also arrodierend „Punkt für Punkt" im Gegensatz zur Zyste, 
die flächenhaft unter zunehmendem Innendruck als „Ganzes" wächst, durch 
Abdrängung und Druckusur <Pordes> 46 , welcher Unterschied bekanntlich in 
der glatten oder unebenen Knochenwand zum Ausdruck und diagnostisch 
zur Verwendung kommt. Wie aus den Granulomen die Zysten sich ent¬ 
wickeln, interessiert hier nicht. 

Entgegen der allgemeinen Annahme also, der wohl hauptsächlich die Dar¬ 
stellung von Partsch 17 zugrunde liegt, daß eine allseitige Abkapselung in 
jedem Falle eintrete, bzw. daß ^ie primär einem weiteren Fortschreiten der 
Granulationen vorangehe, vertrete ich auf Grund meines Studiums von 
vielen Hunderten von Granulomen die Ansicht, daß jene glatte, derbe Ab¬ 
kapselung von vornherein nur in etwa 10% der Fälle eintritt. Ich kann 
nicht mit Partsch einig gehen, daß erst eintretende Degenerationen zur 
Folge haben, daß das Granulom sich nicht „weiter abkapselt", sondern ich 
glaube, daß die Bildung jenes allseitig glatten und typisch geformten Balges 
überhaupt jeweils davon abhängt, daß der unterhalb eines gewissen Schwellen¬ 
wertes einwirkende Reiz, wie er ja für einen chronischen Verlauf Bedingung 
ist, sich zunächst nicht nur nicht verstärkt, sondern zeitweise noch mehr zu¬ 
rückgeht. Hält er aber dauernd gleichmäßig an oder nimmt er noch zu, so gibt es 
keine einheitliche, glattlinig ausgebaute Kapselfront, sondern die Granulationen 
werden dem Schützengraben-System ähnlich nach Bedürfnis da und dort weiter 
rückwärts verlegt, so daß es nicht zu dem stabilen Kapselbau kommt. Den 
gleichen Standpunkt vertritt wohl auch Proell 47 , wenn er sagt: „Die .Iso¬ 
lierung 1 des Granuloms ist ein Zeichen für einen abgelaufenen — man kö*’ r “' 
sagen, rückbildenden Prozeß." Diese Feststellung ist für die Bedeutung cL. 
Granulome als Schutzfaktoren von Wichtigkeit. Denn wenn in diesem Sinne 
das Nichtsistieren oder Wiedereinsetzen des die Granulombildung veran- 


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Ober die relative Mundimmuniiät und die „Mundhöhlensepsis 


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lassenden Reizes zu den fibrös nicht abgegrenzten, fortschreitenden Granu» 
lomgranulationen Veranlassung gibt und dies in der großen Mehrzahl der 
Fälle eintritt, so könnte man die Granulome allgemein nur dann als gene¬ 
rellen Faktor sowohl für das Zustandekommen der kieferlokalen Immunität 
als auch als Schutz gegen jene sekundären Infektionen betrachten, wenn beide 
Arten ihrer Abschlußform gegen das Weiterdringen des Infektionsgiftes 
Sicherheit bjeten. 

Erörterungen darüber finden sich in der Literatur so gut wie nicht. Man 
besdiäftigte sich bisher mit den Granulomen im Vergleich zu ihrer vielseitigen 
Bedeutung überhaupt eigentlich recht wenig. Wohl sind ihnen von verschie¬ 
denen Seiten seit Jahren immer wieder histologische Studien gewidmet, aber 
weniger um ihrer selbst willen, als im Zusammenhang mit der Frage nach 
der Pathogenese der Wurzelzysten, weil über die Herkunft des Epithels 
lange Zeit keine einheitliche Auffassung herrschte und über die Ursache der 
Lumenbildung auch heute noch gestritten wird. 

Wir besitzen überhaupt erst seit etwa 2 Jahrzehnten eine pathologisch¬ 
anatomische Wertung dieser früheren „Eitersacke". Es bleibt das unver¬ 
gängliche Verdienst von Part sch, uns die Erkenntnis vermittelt zu haben, 
daß sie einen „dichten Schlammfang um das Wurzelloch" darstellen, auf 
welches die mannigfaltigsten Schädlichkeiten von der Mundhöhle aus wirken 
können, ohne daß die Umgebung in weitere Mitleidenschaft gezogen wird. 
Die Charakterisierung als gute Isolation für die tieferen Gewebe und als 
Schlammfang deutet darauf h'n, daß wir ihre Wirkung in der Hauptsache 
in einer mechanischen Absperrung der Bakterien und, falls solche in sie ein¬ 
gedrungen sind, in deren Einkerkerung zu sehen haben. Wir haben die 
Granulome also zu jenen geweblichen Abkapselungen der Parasiten zu 
rechnen, die bei dem Zustandekommen aller ruhenden Infektionen die 
bedeutendste Rolle spielen, indem durch sie „die biologischen Wechselbe¬ 
ziehungen zwischen Wirt und Parasit im wesentlichen aufgehoben werden" 
<Melchior> 48 . Dabei ist allerdings zu bemerken, daß zwischen den son¬ 
stigen, einen latenten Mikrobismus bedingenden Abkapselungen im Körper 
<z. B. von Eiterherden, körperfremdem und infektiösem Material in Kriegs¬ 
wunden) und den Wurzelgranulomen zum Nachteil der letzteren doch in¬ 
sofern ein Unterschied besteht, als erstere gewöhnlich vollständig innerhalb 
von vitalen Weichteilen erfolgen und nur die augenblicklich vorhandenen 
Keime eingesargt werden, während bei den Granulomen die tote Wurzel¬ 
spitze einen Teil der Kapsel darstellt. Und da die Verbindung zwischen 
Granulom und Foramen apikale gewöhnlich bestehen bleibt <Dependorf), 
so mündet diese Bakterientrichterspitze jeweils auch in das Granulom¬ 
gewebe hinein. Dadurch kommen immer wieder neue Keime hinzu, und die 
vorhandenen können auch immer wieder Nahrung aus dem Wurzelkanal 
erhalten, während die sonstwo abgekapselten leicht aus Mangel an Nähr- 
’zrial absterben können <Reinhardt> 49 . Daher haben die Wurzelgranu» 
.oihe als Schutzeinrichtungen eine viel schwerere Aufgabe zu erfüllen als 
andere Abkapselungen. 


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222 


Karl Loefffer 


Daß nun die fibröse Kapsel bei den ringsum geschlossenen Granulomen 
in unversehrtem Zustande für die Bakterien als undurchgängig gelten kann, 
dafür spricht der Umstand, daß der äußere, feste Granulombalg histologisch 
einem Narbengewebe gleichzustellen ist, dem z. B. Reinhardt eine „Steri¬ 
lisierung" des umgebenden Gewebes zusdireibt, nachdem er nachgewiesen 
hat, daß Bakterien es nicht durchdringen können. 

Neben der mechanischen Schutzkomponente können wir aber auch an¬ 
nehmen, daß zelluläre Einflüsse zur Geltung kommen. Nach Partsch 50 
konzentrieren sich im Granulationsgewebe die Leukozyten ganz besonders 
umdasForamen herum. Wir können daher damit rechnen, daß mindestens ein 
Teil der eindringenden Bakterien ihrer phagozytären Tätigkeit zum Opfer 
fällt. 

Trotz aller Schwankungen im Vorkommen der verschiedenen Zellarten 
im Gewebsbilde der Granulome fand ferner Rumpel 51 doch in allen Schnitten 
auffallend viele, in Haufen zusammenliegende und auch diffus zerstreute Plasma¬ 
zellen, so daß sie das ganze Bild zu beherrschen schienen. Auch Depen- 
dorf 45 fielen solche immer „in enormer Anzahl" auf, und er betrachtet sie 
als Schutzbildner des Körpers gegen die Einwirkungen eines infizierten 
Wurzelkanals. Er schreibt ihnen nämlich eine ähnliche Bedeutung als Kampf¬ 
und Abwehrzellen zu wie den Leukozyten. Diese Annahme erscheint um 
so wahrscheinlicher, als Kuczynski 5 * bei der Maus den Nachweis geführt 
hat, daß die örtlich erfolgreiche Abwehrleistung gegen die Streptokokken am 
Endokard auf die Bildung von „ausgesprochenen plasmazellulären Polster¬ 
bildungen" zurückzuführen ist, und Königer 53 ähnliches auch für menschliche 
Verhältnisse gezeigt hat. Kuczynski weist auch darauf hin, daß bei Ent¬ 
zündungen des Eileiters die Plasmazellenansammlungen histologisch eine große 
Rolle spielen, „wo der Körper die Bekämpfung eingedrungener Keime, seien 
es nun Gonokokken <Schridde> oder Streptokokken <Miller>, erfolgreich 
durchführt." Da Fano 54 will sogar in den Plasmazellen allgemein den 
„morphologischen Ausdrude eines organischen Verteidigungsprozesses" sehen. 
Die auffallend starke Anhäufung von Leukozyten und Plasmazellen in den 
Granulomen läßt daher darauf schließen, daß bei der daselbst erfolgenden 
Abwehr neben den mechanischen Momenten auch zelluläre von Bedeutung 
sind. Da Rumpel die Plasmazellen am zahlreichsten in der derbfaserigen 
Umhüllungsmembran fand, während die Leukozyten nach Partsch beson¬ 
ders das Foramen umlagern, so könnte man sogar vermuten, daß erstere 
vorwiegend in der äußeren Kapsel und letztere mehr um das Foramen 
herum als Schutz wirken. Durch das Zusammenwirken der beiden Momente, 
des mechanischen und des zellulären, könnten wir uns also den Schutz der 
allseitig abgekapselren Granulome so denken, daß die vordringenden Bak¬ 
terien durch die Zelltätigkeit quantitativ verringert und der Rest mechanisch 
an dem weiteren Vordringen über das Granulom hinaus verhindert und 
dadurch unschädlich gemacht würde. Dem entspräche als Resultat, was 
Dependorf 45 schreibt: „Die in das Granulationsgewebe gelangten Bak¬ 
terien werden beseitigt oder in Schach gehalten." 


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Ober die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis' 


223 


Wie steht es aber mit den nidit vollständig abgekapselten Granulomen, 
deren Keimgewebe mehr oder weniger direkt in die Spongiosa hineinreicht? 
Mag bei ihnen das mechanische Moment geringer sein, so können wir bei 
ihnen einen besseren Stoffwechselverkehr mit den umgebenden Geweben 
und damit eine größere Möglichkeit bakterizider Einflüsse des Blutes und 
der Gewebssäfte annehmen. Ihre Wirkung auf die Bakterien können wir 
daher in Analogie setzen zu der der Wundgranulationen. Partsch 41 weist 
zur Illustrierung der Wirkung dieser Granulomgranulationen auf die enorme 
Widerstandskraft der Granulationen der Unterschenkelgeschwüre hin, die 
jahrzehntelang die mannigfaltigsten chemischen und bakteriellen Einwirkungen 
vertragen, ohne dem Besitzer weiterleitende Störungen zu verursachen. 

Die vieltausendfältig durch die Praxis und Beobachtungen des täglichen 
Lebens bestätigte Tatsache, daß Wundgranulationen einen bedeutsamen 
Schutz gegen das Eindringen von Infektionsstoffen — mit Ausnahme des 
Diphtheriebazillus — bilden, hat übrigens auch Afanassieff 55 experimentell 
nachgewiesen. Er kommt zu folgender Schlußfolgerung: 

1. Durch unbeschädigtes Granulationsgewebe findet keine allgemeine In¬ 
fektion des tierischen Organismus durch pathogene Bakterien statt, und die 
auf solche Weise infizierten Tiere gehen nicht zugrunde. 

2. die auf Granulationsgewebe gebrachten Bakterien dringen in die inneren 
Organe nicht ein. 

Das gleiche ersehen wir auch aus dem Versuch, den, wie Schede 50 mit¬ 
teilt, von Stubenrauch zu machen pflegte, indem er Baumwollfäden in der 
ungesäuberten Hand drehte und auf eine Granulationsfläche legte, ohne da¬ 
durch irgendwie den Heilungsverlauf zu stören. Melchior und Rosen¬ 
thal 57 nennen das Keimgewebe eine für die Bakterien „unüberwindliche 
Schranke" und stellen den Wundgranulationen auch die reaktiv entzünd¬ 
lichen Granulationen gleich. „Wir haben es mit Granulationsgewebe nicht 
nur zu tun bei den frei zutage tretenden Wunden, sondern auch unter der 
geschlossenen Körperdecke sehen wir ein gleiches Gewebe auftreten, wo es 
sich darum handelt, totes Gewebe zu demarkieren und bakteriell entzünd¬ 
liche Prozesse abzudämmen. Klinische Erfahrung spricht dafür, daß auch für 
diese Form des Granulationsgewebes die gleichen Gesetze gelten wie für 
die Granulationsschicht der Wunden und Fistelgänge." Daß beide Arten 
von Granulationen in dieser Hinsicht sich gleich verhalten, ist auch deshalb 
anzunehmen, weil beide histologisch „übereinstimmen und dieselbe Quelle 
haben hier wie dort." (Schmaus) 58 . 

Nach dem bisherigen Stande unseres Wissens und unter Zugrundelegung 
der praktischen Beobachtungen konnten wir also mit Recht annehmen, daß 
nicht nur die fest umkapselten Granulome, sondern auch die kapsellosen 
Granulomteile und -formen als für die Bakterien undurchlässig zu betrachten 
sind. Und konsequenterweise durften wir auch erwarten, daß die im An¬ 
schluß an einen irgendwie verursachten Zerfall der Granulome sich fort¬ 
setzenden und den Knochen durchbohrenden Granulationen (Fistelgangaus¬ 
kleidungen) den weiteren Schutz gegen das Eindringen der chronisch infek- 


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224 


Karl Loeffler 


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tiösen Sekrete übernehmen*. Wir konnten uns vorstellen, daß letztere dem 
chronischen Eiter den Weg in die Umgebung versperren, ihn gewissermaßen 
unter Polizeiaufsicht nehmen, indem sie sich ständig vor ihm neu bilden, ihn 
ohne Gefährdung des Organismus an irgendeine zu erreichende Oberfläche 
führen, wo sie ihn in Form einer Fistel zur Ausladung bringen. Daß ihnen 
dabei mehr oder weniger ausgedehnte Teile des Knochens zum Opfer fallen 
und gelegentlich auch eine Stelle der äußeren Haut zum Durchbruch benutzt 
wird, wäre nur als ein kleineres Übel und als Verursachung eines Schön» 
heitsfehlers zu betrachten im Vergleich zu ihrer Mitwirkung an dem Zu» 
standekommen der Mundimmunität und ihrer Abwehr des größeren Übels, 
der Gesamtinfektion. 

Allerdings mußte man sich auch bei dieser Auflassung schon immer sagen, 
daß dieser pathologisch entstandene Schutz kein unbedingter sein kann. Ar» 
beitet die Natur mit ihren physiologischen Mitteln oft schon unvollkommen, 
so wird dies um so mehr bezüglich der pathologischen zu erwarten sein, 
lind erst recht müssen nun die klinischen Beobachtungen, wie sie auch bei 
uns unter anderen Pässler und die Wiener Internisten Antonius und 
Czepa gemacht haben, und die ex juvantibus zu ziehenden Folgerungen 
Veranlassung geben, diese Beurteilung des Wertes des Granulomschutzes 
einer Prüfung zu unterziehen. Vor allem werden wir dabei zu erwägen 
haben, ob wir in den Granulomen weniger einen lebenslänglichen Kerker 
und ein endgültiges Grab für die Bakterien zu erblicken haben als solche 
Depots, in denen sie eine gewisse Zeit lang sozusagen zu einem Winterschlaf 
gezwungen werden können, aus denen sie aber unter Umständen Regene¬ 
ration des Granulomgewebes und irgendwie verursachte Schwächung des 
allgemeinen Körperwiderstandes) sich wieder frei zu machen und von neuem 
gefährlich zu werden vermögen. Die Tatsache der besprochenen Mund¬ 
immunität würde an sich dem nicht widersprechen, denn sie besteht ja auch 
in den Fällen, wo es nicht zur Granulombildung kommt, aber das Ergebnis 
einer Prüfung des Granulomschutzes kann uns anderseits in die Lage ver¬ 
setzen, über die Berechtigung der von den Amerikanern propagierten Auf¬ 
fassung zu urteilen. 

Eine geeignete Grundlage zur Beurteilung dürfte wohl am besten durch 
bakteriologische Untersuchungen der Granulome zu gewinnen sein. Solche 
sind jedoch bis jetzt meines Wissens noch von keiner Seite gemacht oder 
wenigstens nicht veröffentlicht worden. Darüber muß man sich um so mehr 
wundern, als die Granulome in der Praxis sowohl therapeutisch (Wurzel- 
spitzenresektion) und diagnostisch (röntgenologisch) schon lange im Mittel¬ 
punkte des zahnärztlichen Interesses standen und die „neue Lehre" doch 
direkt dazu herausforderte. 


* Die bei der Kieferaktinomykose beim Menschen auftretenden Granulationen bewirken 
bekanntlich in ähnlicher Weise, daß diese Krankheit in der typisch lokal umschriebenen 
Form wie eine chronische Periodontitis verläuft. Die derben Verbindungsstränge von 
einem Herd zu einem anderen oder zu den Fisteln der äußeren Haut sind nichts anderes 
als Granulationshindernisse für eine diffuse Ausbreitung des Prozesses. 



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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 


225 


Bevor icb meine zu diesem Zwecke gemachten Untersuchungen anführe, 
erscheint es mir zweckmäßig, zunächst auf die Granulationen der „Alveolar* 
pyorrhoe" einzugehen, denn ihre Besprechung gerade in diesem Zusammen¬ 
hang ist geeignet, die Bedeutung dieser Granulationen für die Mund¬ 
immunität und ihre Beziehungen zu den in Rede stehenden sekundären In¬ 
fektionen zu klären und außerdem die Genese der Pyorrhoe selbst verständ¬ 
licher zu machen, als wenn sie als Erscheinung für sich betrachtet werden. 

Bekanntlich werden von den Amerikanern auch die pyorrhoeischen Taschen 
des Zahnfleisches beschuldigt, Material für sekundäre Infektionen abzugeben. 
Demgegenüber ist es nicht so geläufig, den Granulationen der 
Pyorrhoe eine ähnliche isolierende Bedeutung zuzuschreiben 
wie den Granulomen. 

Da man die Beobachtung macht, daß die Alveolarpyorrhoe einen lokal 
begrenzten Prozeß darstellt, so gut wie niemals die zugehörigen Lymph- 
drüsen in Mitleidenschaft zieht und die mit Eiter gefüllten Alveolen nach 
Entfernung der Zähne rasch und glatt wie nach jeder anderen Zahnextraktion 
ausheilen, so glaubt man vielfach, dies den ursächlichen Faktoren der Mund¬ 
immunität ganz allgemein verdanken zu müssen, ohne sich mit dem dabei wir¬ 
kenden Schutzmechanismus näher zu befassen. 

In der gewaltig angeschwollenen Literatur über die Alveolarpyorrhoe, in 
der Blessing 59 350 verschiedene Ansichten über die Ätiologie dieser Krank¬ 
heit vertreten fand, beurteilt man die Granulationen durchweg als neben¬ 
sächlich und im allgemeinen nur unter dem Gesichtswinkel, daß es sich bei 
der Alveolarpyorrhoe um eine primäre Erkrankung der Zähne handle, weil 
man sich mehr und mehr überzeugen mußte, daß alle Versuche, pyorrhoeische 
Zähne zu erhalten, fruchtlos sind, wenn nicht die radikale Entfernung der 
Granulationen zur Voraussetzung gemacht wird. Würden wir aber die 
„Alveolarpyorrhoe" nicht immer mit Augen ansehen, die in erster Linie den 
Blick auf die Zähne richten, würden wir die ersten Ursachen, die zu dem 
mit Alveolarpyorrhoe bezeichneten klinischen Bilde führen, in Verbindung 
bringen mit den Gefahren, die möglicherweise für den Gesamtorganismus 
erwachsen könnten, so wären wir sicher schon längst zu einer anderen und 
einheitlicheren Auflassung von dieser „Alveolarpyorrhoe" gekommen*. 

Wie die äußere Haut und die Schleimhaut jeder anderen, mit der Luft in 
Verbindung stehenden Körperhöhle eine wirksame Barriere gegen das Ein¬ 
dringen von Krankheitserregern darstellen, so bildet auch die Schleimhaut 
des Mundes einen wesentlichen Schutz für die Mundgewebe und einen 

• Wie mir durch mündliche Mitteilung nachträglich bekannt wurde, hat sich Herr Pro¬ 
fessor Loos in seinen Vorträgen zu Köln, Hamburg und Kassel, die bei Abschluß meiner 
Arbeit leider noch nicht im Drude Vorlagen, über Genese und Wesen der Alveolar¬ 
pyorrhoe ähnlich ausgesprochen, wie ich hier und im folgenden ausführe. Es gingen also 
seit einiger Zeit gerade vom Frankfurter Institut Wellen aus, die ebenfalls in die Rich¬ 
tung meiner Auffassung liefen. Ich stelle dies um so lieber hier fest, als ich auf der 
vorjährigen Tagung der Süddeutschen-Schweizerischen Zahnärzte zu Baden-Baden für 
diese meine, in einer Diskussionsbemerkung zum Ausdruck gebrachten Gedanken kein 
Verständnis fand. 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 2 15 


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226 


Karl Loeffler 


Faktor bei dem Zustandekommen der Mundimmunität. Die Wirksamkeit 
dieser Schutzdecke hängt naturgemäß von ihrer Unversehrtheit ab, und letz- 
tere wiederum wird um so besser erhalten bleiben, je solider und einheit- 
lieber die Bauart ist. Nun stellt zwar auch die Schleimhaut eines bezahnten 
Mundes einschließlich der Zähne an sich eine genetisch homogene Einheit 
dar, da ja der Schmelz nur verändertes Epithel ist und die Kutikula eines 
jeden Zahnes an der Oberfläche ebenfalls eine Hornschicht besitzt, in die 
normalerweise die Hornschicht des anschließenden Gingivaepithels direkt 
übergeht. Die Epitheldecke geht daher eigentlich ohne Unterbrechung auch 
über die Zähne hinweg, wie dies in der Gottliebschen* 50 Abbildung Nr. 21, 
die ich als Fig. 1 wiedergebe, schematisch dargestellt ist. 

Praktisch genom¬ 
men aber erleidet die 
Schleimhaut durch 
das Einfügen der 
Zähne eine Schwä¬ 
chung im Vergleich 
zu ihrer nicht unter¬ 
brochenen Kontinui¬ 
tät an einer nichtbe- 
zahnten Stelle oder 
in einem ganz zahn¬ 
losen Munde. Denn 
einmal ist der kutikulare 
Kopf der Verbindungs¬ 
brücke, die durch den 
Übergang der mundepi¬ 
thelialen Hornschicht in die kutikulare entsteht, meistens schwach und unge¬ 
nügend ausgebaut, weil das Schmelzoberhäutchen in Wirklichkeit gewöhnlich 
mangelhaft oder.gar nicht verhornt ist <Gottlieb> 60 . Und dann entstehen an 
den Übergangsstellen Einkerbungen, Buchten und Taschen, die zahlreiche loca 
minoris resistentiae bedingen. Die Überbrückungsstelle wird daher leichter 
beschädigt, verletzt und durchbrochen als irgendein anderer Punkt der Schleim¬ 
haut, wo keine Zähne sind. Deshalb kann es nicht auffällig erscheinen, daß 
alle Typen von Stomatitiden, angefangen von der einfachsten Gingivitis bis 
zur gangräneszierenden Stomatitis bei Skorbut — mit Ausnahme der Aph¬ 
then — in der Regel zuerst an den bezahnten Stellen des Mundes auftreten 
und daselbst am längsten und am hartnäckigsten bestehen bleiben, daß aber 
bei älteren, zahnlos gewordenen Leuten und bei Kindern, bei denen die 
Zähne noch nicht durchgebrochen sind, derartige Erscheinungen ausbleiben. 

Noch ungünstiger aber wirkt die Anwesenheit der Zähne durch einen 
anderen Umstand. Tritt an der Schleimhautoberfläche sonst eine 
Verletzung des Epithels und damit eine Durchbrechung der 
Kontinuität ein, so erfolgt die Schließung der Gefahrenstelle 
vollständig und der frühere Zustand kann immer wieder her- 



Fig. i 


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Original lYom 

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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 227 

gestellt werden, weil alleTeile, die dieLücke begrenzen, reaktiv 
und regenerativ mithelfen. Das darunterliegende Bindegewebe liefert sein 
Zellenmaterial an jeder Stelle zur Reparation des Defektes, seine Granu* 
lationen bauen allseitig vordringend das Loch zu, und die getrennten 
Epithelenden können konzentrisch vorgehend ohne Hindernis sich nähern, 
bis sie sich vereinigt haben <Fig. 2>. 

Eine so reparierte Stelle unterscheidet sich in ihrer Schutzwirkung in nichts 
von der ursprünglichen. 

Anders ist es, wie auch bei der schon betrachteten toten Wurzelspitze, 
bei einer Beschädigung oder Unterbrechung der Epitheldecke an der Über* 
gangsstelle zu den Zähnen. Hier vermögen die bindegewebigen Granu* 
lationen des Zahnfleisches und der Wurzelhaut in Verbindung mit dem 
zahnwärts wuchernden Epithel nicht mehr den ursprünglichen Zustand her* 
zustellen. Ist die Unterbrechungsstelle an der Kutikula, so ist letztere in 
jedem Falle inaktiv und restitutionsunfähig, und ist sie an der Schmelz* 
zementgrenze oder an einer tiefer 
gelegenen Stelle der mit Zement 
bedeckten Wurzel, so beteiligt sich 
zwar die bindegewebige Matrix 
des Zementes, das Periodontium, 
an der Wiederherstellung einer, 
wenn auch nicht epithelialen, so 
doch bindegewebig*narbigen Ver* 
bindung zwischen Epithel und 
Wurzel, solange dieses Periodon* 
tium selbst physiologisch unver* 
ändert und vital ungeschwächt ist. 

Werden die Bindegewebszellen desselben und besonders die dem Zement 
anliegenden pathologisch verändert, so verliert es selbst seinen dichten Kon* 
takt mit dem Zement, wie nachher genauer ausgeführt wird, und damit 
seine Fähigkeit, als Vermittlerin einer wenigstens bindegewebigen Ver* 
bindung zwischen Zahn und Mundepithel zu fungieren. Zwischen periodont* 
losem Zement und Epithel ist überhaupt jeglicher organischer Zusammen* 
hang für immer unmöglich. Es bleibt also auch bei den marginal paradental* 
wärts fortschreitenden entzündlichen Veränderungen der Wurzelhaut und erst 
recht bei dem vollständigen Untergang der letzteren eine dauernde Epithel* 
lücke wie am Foramen eines toten Zahnes. Der Zahn wirkt daher geradezu 
als Fremdkörper, und die angrenzenden regenerationsfähigen Gewebe müssen 
unter Umgehung dieses ihres inaktiven Nachbars, so gut es geht, die Kon* 
tinuität allein wiederherstellen. Den ursprünglichen Zustand wie an zahn* 
loser Stelle werden sie erst dann bewirken können, wenn diese Umgehung 
vollständig ist, d. h. wenn die aktiven Gewebe den Zahn abgegraben und 
eliminiert haben <Fig. 3>. 

In dem durch diese anatomischen Verhältnisse für Epithel und Binde* 
gewebe sich ergebenden Zwang, ihre Schutz* und Reparationstätigkeit nur 

15 * 


Epithel 



Epithellückc 
Fi g. 2 


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228 


Karl Loeffler 


nach bestimmten Seiten hin zu entfalten, liegen nun die Bedingungen für 
das Zustandekommen auch der pathologischen Erscheinungen, die wir AU 
veolarpyorrhoe nennen. Sie geben auch die Erklärung dafür, daß diese 
Krankheit nur an bezähmen Stellen auftritt und mit der Beseitigung der 
Zähne auf immer vollständig verschwindet. 

Auf den Limbus und die Zahnfleischtasche wirken bei verschiedenen Men* 
sehen verschiedenartige, verschieden starke und verschieden lang dauernde 
Reize ein. Zuerst und am stärksten werden von ihnen getroffen das Zahn* 
fleisch und das Periodontium. Der Unterschied ihrer Wirkung zeigt sich in 
der verschiedenen Beeinflussung der — um den Virchowschen Ausdruck 
zu gebrauchen — Aktivität der Zellen. Je nachdem diese Reizung intensiv 
einsetzt, kurz dauert und über ein gewisses Maß hinaus stark wirksam ist 



a physiolog. Wurzelhaut oooao Granulationswurzelhaut und Granulationen e» Epithel 

Fig. 3 


oder aber allmählich beginnt, längere Zeit anhält und nicht über eine mehr 
trophische Stärke hinausgeht, kommt es zu einer akuten oder chronischen 
Entzündung der betreffenden Gewebe. Dabei ist es ganz gleichgültig, wie 
der alte und neuerdings wieder stärker gewordene Streit entschieden wird, 
ob der entsprechende entzündliche Prozeß direkt, gewissermaßen passiv, durch 
die Reize entsteht, ob es also eigentliche „Entzündungsreize" gibt, oder ob 
die Reize primär Gewebsschädigungen <Mikronekrosen> verursachen, und die 
Entzündung erst eine sekundäre „nützliche und zweckmäßige Reaktion, die 
zur Heilung führt", <Klinkert) r>1 darstellt. Letztere bekanntlich von Wei* 
gert und Neumann stammende Auffassung findet in neuerer Zeit immer 
mehr Anerkennung, z. B. von Borst, Lubarsch, Marchand, Aschoff 
und Bier. Ich lege hier keine bestimmte Art des Mechanismus der ent* 
zündfichen Vorgänge zugrunde, zumal die teleologische Betrachtungs* 
weise nur als eine „Arbeitshypothese" gelten kann, sondern fasse Begriffe, 
wie „entzündliche Reize" in dem in der Praxis allgemein gebräuchlichen 
Sinne auf. 


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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 


229 


Wichtiger als eine solche Differenzierung erscheinen mir für uns die sich 
gerade bei den Entzündungsprozessen am Zahnfleischrand scharf ausprägen» 
den Unterschiede im Verlauf und Ausgang zwischen den akut auftretenden 
Gingivitiden und Stomatitiden einerseits und den chronischen andererseits. 

Endet die erstere Gruppe wegen der ihr zugrunde liegenden, plötzlich 
stark auftretenden und demnach regressive Ernährungsstörungen und Zell¬ 
nekrose bedingenden Reize in der Regel mehr mit vorübergehenden 
größeren oder kleineren Substanzverlusten, so ist letztere Art wegen der 
mehr nutritiv wirkenden Reize in ausgesprochener Weise durch progressive 
Ernährungsstörungen charakterisiert, die sich durch dauernde hyperpla¬ 
stische Prozesse äußern. 

Von besonderer Bedeutung aber werden diese Unterschiede in bezug 
auf ihre Folgen für den Zahn, wenn akute oder chronische Pro¬ 
zesse auf den Periodontalraum übergreifen. Erleidet auch die 
Wurzelhaut im Anschluß an akute Prozesse ebenfalls einen Substänzverlust, 
so ist dieser doch nur oberflächlich oder nur auf einen geringen 
Teil der Wurzelhaut beschränkt, ihre ganzen übrigen, hinter 
demselben liegenden Teile bleiben sowohl strukturell als auch 
funktionell physiologisch unverändert und damit auch das an¬ 
liegende Zement vital, so daß nach Ablauf des Prozesses das 
nachrückende Mundepithel sich mit diesem wieder durch einen 
organisch-narbigen Abschluß verbinden kann. Und gerade das 
ist bei chronisch verlaufenden Prozessen bei der Wurzelhaut 
nicht möglich, weil die andauernde Inanspruchnahme ihrer Abwehrfunk¬ 
tion, d. h. die immer weiter apikalwärts fortschreitende granulomatöse Meta¬ 
plasie zwar ihre biologische Abwehrkraft erhöht, aber im gleichen Tempo 
eine Minderung oder völlige Ausschaltung ihrer Organfunktion 
zur Folge hat. 

Um einen richtigen Einblick in diese Zusammenhänge zu bekommen, ist 
es angezeigt, die physiologischen und pathologischen Beziehungen zwischen 
Periodontium und Zement ganz allgemein kurz zu rekapitulieren. Das 
Periodontium hat bekanntlich nicht nur den Zahn mit dem Kiefer zu ver¬ 
binden, wozu es durch die radiär angeordneten, sich kreuzend verflechtenden 
und als Sharpeysche Fasern sowohl in den Knochen als auch in das Zement 
hinein verlaufenden Faserbündel <Fig. 4) befähigt ist, sondern es ist auch 
die Matrix des Zementes. Durch die meines Erachtens zu wenig beachte¬ 
ten Untersuchungen von Shmamine 78 wissen wir, daß das Periodontium den 
mit dem letzteren Begriff verbundenen ernährenden, schützenden, neubilden¬ 
den und reparatorischen Einfluß auf das Zement nur so lange hat, als es 
mit seinen „typisch schmalspindelförmig geformten" Bindegewebszellen mit 
dem Zement im Kontakt steht. Werden diese Bindegewebszellen infolge 
von pathologischen Einflüssen durch Rund» und Riesenzellen ersetzt, so 
wirkt diese Nachbarschaft im Gegenteil schädigend, zerstörend, arrodierend 
und resorbierend auf das Zement. Während also eine die Bindegewebs¬ 
zellen nur nutritiv beeinflussende Reizung zur Erhaltung und Stärkung des 


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Karl Loeffler 


normalen Zementes oder höchstens zur Bildung von sekundärem Zement 
führt, geht bei solchen chronischen Reizungen, die mehr oder weniger zum 
Ersatz der Bindegewebszellen durch Rundzellen führen, die zementbildende, 
^ernährende und ^schützende Eigenschaft des Periodontiums und damit 
die biologische Kraft des Zementes verloren. Zu chronischen Reizungen 



Fig. 4 <aus Angle: Okklussionsanomalien) 


mit nutritivem Effekt rechne ich z. B. jene mechanischen Einwirkungen, die 
die Krone des Zahnes oder die Wurzeloberfläche treffen und als Druck auf 
das Periodontium weitergeleitet werden, ferner die Pulpitis chronica und bis 
zu einem gewissen Grade auch die Periodontitis chronica ex apice, nicht je^ 
doch die ex margine. Während nämlich die genannten mechanischen Reize 
und die chronische Pulpitis im allgemeinen wohl immer nur den Stoffwechsel 
der periodontalen Bindegewebszellen anregen und die Periodontitis chronica 
ex apice gewöhnlich nur die Bindegewebszellen um die Wurzelspitze herum 




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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 231 

durch Rundzellen verdrängt, die kronenwärts vom Granulom liegenden aber 
ebenfalls nutritiv reizt, führen chronische, ex margine die Wurzelhaut tref¬ 
fende Reize nach und nach in der Regel zur vollständigen Änderung von 
deren histologischer Struktur, so daß ihr bindegewebiger Charakter und da¬ 
mit auch jene zementbildende und -erhaltende Funktion verloren geht. 
So kommt es denn da, wo das Zement mit nutritiv gereizten Bindegewebs¬ 
zellen in Berührung bleibt, z. B. kronenwärts von Granulomen, zur Steige¬ 
rung der Zementbildungsfähigkeit und u. U. zur Anlagerung von sekun¬ 
därem Zement, während Resorption an den harten Zahnsubstanzen dort 
erfolgt, wo diese mit Granulationen in Verbindung bleiben, z. B. an der 
vom Granulom umhüllten Wurzelspitze*. Weder sekundäres Zement noch 
Resorption dagegen beobachten wir dort, wo der Zahn dem destruktiven 
Einfluß der Rundzellen entzogen ist, an der vollständig entblößten, durch 
eine Epithelwand von den Granulationen isolierten Wurzeloberfläche pyor- 
rhoeisdher Zähne. Verkrustung der Wurzel mit Zahnstein setzt 
daher wohl immer eine gegenüberliegende Epithelfläche voraus. 

Auf Grund dieser Darlegungen sind die Gesamtfolgen, welche sich bei 
Beschränkung oder beim Verlust der Organfunktion der Wurzelhaut ein¬ 
stellen, klar ersichtlich. Der Verlust der Bindegewebsfasern bedeutet für 
den Zahn den Verlust seines Halteapparates, die Unterbrechung der Faser¬ 
stränge bedingt Spaltbildung zwischen der Granulationswurzelhaut und der 
Wurzel, die Entblößung des Zementes von den Bindegewebszellen die 
Herabsetzung bzw. den Verlust von dessen Vitalität, so daß das nach¬ 
wuchernde, die neue Oberfläche bedeckende Mundepithel am Zement keinen 
organischen Anschluß finden kann und daher ebenfalls immer tiefer dringen 
muß, bis es vitales Zement findet. 

Und dieser Unterschied in der Inanspruchnahme und Beeinflussung des 
Bindegewebes bei akuten und chronischen Entzündungen zeigt sich deshalb 
in besonders markanter Weise an den Übergangsstellen vom Mundepithel 
zum Zahn, weil hier, wie wir gesehen haben, die beschädigte oder zer¬ 
störte Epithelverbindung schwerer wiederherzustellen ist als an irgend¬ 
einer anderen Körperstelle oder vielfach gar nicht mehr möglich ist, und 
daher die abwehrende Funktion der bindegewebigen Teile ganz besonders 
beansprucht wird. Außerdem aber treten bei.der Wurzelhaut auch die Fol¬ 
gen des Verlustes der fibrösen Struktur viel sinnfälliger hervor als anderswo. 
Während an anderen Körperstellen nach Aufhören der schädigenden Ein¬ 
wirkungen das Granulationsgewebe wieder in faseriges Bindegewebe zurück¬ 
verwandelt und die gestörte Funktion wiederhergestellt werden kann, ist 
letzteres in der Zahnalveole nicht mehr möglich. Denn selbst wenn wieder 
ein bindegewebiger Umbau der Granulationswurzelhaut eingetreten wäre, 
könnte sie niemals wieder eine Verbindung mit dem Zahn bekommen, weil 

# Die Annahme Römers, daß diese Resorption an der Granulomwurrefspitze immer 
durdi einen primär vorangegangenen akuten apikalen Prozeß erfolgt sei, ist also zum 
mindesten nicht unbedingt nötig. Diese Vorgänge erklären andererseits auch die Resorp¬ 
tionen an retinierten Zähnen, die bekanntlich auch von Granulationen umgeben sind. 


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Karl Loeffler 


sich einerseits inzwischen das isolierende Epithel dazwischen geschoben hat 
und dann das einmal der bindegewebigen Matrix verlustig gewesene Zement 
verödet und für eine vitale Wiederanknüpfung dauernd unfähig bleibt. 

Das Epithel folgt also den Granulationen überallhin in die Zahnalveole 
hinein. Es wird dabei die sekretfrei gewordenen Granulationsoberflächen 
überwuchern, entzündete Inseln umgehen, so daß wir eine epithelisierte, even¬ 
tuell von einzelnen geschwürigen Stellen unterbrochene Taschenwand haben, 
zwischen der und dem toten Zement sich die Sekrete sammeln. 

Aus den bisherigen Ausführungen geht also hervor, daß der Zustand, 
den wir Alveolarpyorrhoe zu nennen gewohnt sind, niemals direkt im An¬ 
schluß an eine akute Entzündung entstehen kann, daß vielmehr immer ein 
chronischer Reiz seine Genese bedingt. 

Wenn wir am Limbus des Zahnfleisches und in der Zahnfleischtasche die 
einzelnen Stadien sowohl der akuten als auch der chronischen Entzündungen 
verfolgen, so sehen wir, daß mit Ablauf der ersteren das Epithel ungehindert 
jede zunächst durch Bindegewebe reparierte Stelle, wo ein Substanzverlust 
eingetreten war, wieder überziehen kann und damit die epitheliale Tätigkeit 
aufhört, daß bei chronischen Entzündungen aber die immer neu entstehenden 
Granulationen auch die epitheliale Mitarbeit immer wieder anregen und ver¬ 
längern. 

Nach einer akuten Stomatitis, die auch in der Tasche Gewebsnekrose 
verursacht hat, kann die Deckaufgabe des Epithels eine zweifache sein, je 
nachdem seine Kontinuität nur am Limbus bzw. in der Tasche verloren ge¬ 
gangen oder auch sein dentaler Brückenkopf zerstört ist. Nehmen wir z. B. 
an, es sei durch eine Stomatitis ulcerosa sowohl bei einem noch nicht ganz 
durchgebrochenen Zahn <Fig. 5, Tafel I>, als auch bei einem ganz durchge¬ 
brochenen <Fig. 9, Tafel I> das Gewebe a b der Nekrose anheimgefallen, so 
daß in beiden Fällen das Ende a des Mundepithels und das Ende b des 
Taschenepithels erhalten sind. Unschwer können hier diese beiden Epithel¬ 
enden über das granulierende Bindegewebe des Zahnfleisches hinwegwuchernd 
sich wieder verbinden und dadurch eine Restitutio ad integrum vollenden. 
Mit dem Aufhören des die akute Entzündung verursachenden Reizes liegt 
weder für das Bindegewebe noch für das Epithel eine Veranlassung zu 
weiterer Wucherung vor. Der Prozeß ist beendigt. 

Und wenn auch die Ansatzstelle des Epithels beim nicht ganz durch- 
gebrochenen Zahn an der Kutikula <Fig. 6, Tafel J> und beim durchge¬ 
brochenen an der Schmelzzementgrenze bzw. am Periodontium <Fig. 10,Tafel I> 
mitzerstört ist, so findet das gingivale Epithelende zwar kein zweites ihm 
entgegenwucherndes Epithel an der Krone oder an der Wurzel, aber trotz¬ 
dem entstehen auch hier keine Zustände, die zur Entwickelung von 
Alveolarpyorrhoe führen könnten. Nach Ablauf der akuten, mit 
Epithelverlust verbundenen Entzündung kann das Mundepithel seinerseits 
allein die ganze Lücke überwuchern und überbrücken und sich sowohl mit 
dem Rest der noch organisch verbundenen und daher noch vitalen Kutikula 
<Fig. 6, Tafel I bei d) bzw. mit der zunächst liegenden unversehrten Stelle 


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Karl Loeffler 


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des Periodontiums <Fig. 11, Tafel I bei /> wieder verbinden. Und damit ist 
der Prozeß auch hier erledigt. Denn da mit dem Wegfallen der ursächlichen 
Noxe kein Grund zu einer weiteren Metaplasie der bindegewebigen Struk* 
tur in Granulationsgewebe mehr vorliegt, so bleiben sowohl die Vitalität 
und die Regenerationsfähigkeit des Zementes als auch die fibröse Verbindung 
des Periodontiums mit ihm erhalten. Und, um die wichtige Tatsache zu wieder» 
holen und nochmal zu betonen, — das Epithel dringt nun in dem nor« 
malen, fibrös gebliebenen Periodontium auch nicht weiter in die 
Tiefe, weil ja auch keine zu epithelisierende Oberfläche ent» 
standen ist. Es kommt vielmehr am normal erhaltenen Periodont 
oder, besser gesagt, am vitalen Zement zur narbigen Verwachsung 
mit dem Epithel, und die anschließenden, unversehrten Ligamenta der Wur« 
zelhaut garantieren weiterhin in jedem Fall einen endgültigen, scharf be¬ 
grenzten, dichten Abschluß am Zahn wie vorher. Das Epithel wuchert 
eben nur über das der Verbindung mit dem Zement verlustig ge¬ 
wordene, zellig infiltrierte Periodontium, macht aber Halt, so¬ 
bald es auf eine histologisch unveränderte und physiologisch 
funktionierende Wurzelhaut stößt. Daß Gottlieb und Fleisch¬ 
mann 6 ? dieses Epithel niemals mit dem periodontfreien Zement verwachsen 
fanden, ist nach alledem ganz natürlich. 

Diese aus meinen bisherigen Darlegungen sich ergebenden Zusammen¬ 
hänge sind eben bis jetzt zu wenig erkannt und beachtet worden, aber ich 
finde die Tatsache selbst durch die Feststellungen von Gottlieb 84 und die 
röntgenologisch anatomischen Studien von Weski 65 bestätigt. Letzterer hat 
sie wiederholt, z. B. bei Kiefer 32, S. 47 und bei Kiefer 98, S. 53 unter¬ 
strichen, ohne auf die inneren Zusammenhänge der Erscheinung einzugehen *. 

Bei noch nicht ganz durchgebrochenen Zähnen wird also infolge einer 
akuten Entzündung nur die Stelle, an der augenblicklich das Epithel noch 
mit der Kutikula organisch verbunden ist, evtl, der Schmelzzementgrenze 
etwas näher gerückt <Fig. 7 e, Tafel I>. Und bei schon durchgebrochenen 
Zähnen kann zwar die Bildung einer pathologisch vertieften Zahnfleisch» 
tasche resultieren, wenn neben der Ansatzstelle des Epithels am Boden der 
physiologischen Tasche auch der anliegende Teil der Wurzelhaut zerstört ist. 
Aber der so eintretende Zustand bleibt stationär, eine weitere 
Taschenbildung findet mit Wegfall der Noxe nicht statt <Fig. 11/). 

Nimmt aber eine akute Entzündung chronischen Charakter an oder 
wirken von vornherein weniger intensive Reize längere Zeit anhaltend, so 
dauert auch die reaktive Tätigkeit des gingivalen und periodontalen Gefä߬ 
bindegewebeapparates an. Bei noch nicht ganz durchgebrochenen Zähnen 

• Audi nadi dem bei der Korrektur mir vorliegenden Referat in der „Deutschen Zahnarzt« 
liehen Wochenschrift" über einen von Gottlieb am 23. April 1922 im Verein Deutscher 
Zahnärzte in Rheinland und Westfalen über die Biologie des Zementes gehaltenen Vortrag 
und über die anschließende Diskussionsbemerkung von Weski gehen beide nicht auf den 
Kernpunkt der Sache ein. Beide sind sich nahe am Ausgang zum Ziel, aber sie finden die 
richtige Türe nicht. 



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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 


235 


rückt daher der dentale Epithelansatz sukzessive immer näher an die 
Schmelzzementgrenze <Fig. 7e,e u Tafel I), so daß derartige Zähne den 
Boden der physiologischen Zahnfleischtasche frühzeitiger an der Schmelz* 
zementgrenze haben, als es normalerweise der Fall gewesen wäre. Das 
hätte nun, wenn mit diesem Zeitpunkt die entzündliche Einwirkung auf* 
hören würde, weiter nichts zu bedeuten. Wenn sie aber anhält, so 
werden diese Zähne frühzeitiger den Folgen ausgesetzt, die 
das Übergreifen der Entzündung auf den Periodontalraum mit 
sich bringt. 

Da die Zahnsubstanz sich passiv verhält, so können die reaktiven Prozesse 
sich nur paradental apikalwärts entwickeln, lind das klinische Bild, unter 
dem dies vor sich geht, ist eben die sogenannte Alveolarpyorrhoe. Obgleich 
ihre Genese in den wesentlichsten Punkten schon angedeutet ist, soll sie doch 
nochmal kurz im Zusammenhang besprochen werden. 

Unter der dauernden Einwirkung eines chronischen Reizes werden nach 
und nach auch Teile der Wurzelhaut rundzellig infiltriert und damit deren 
ligamentöse Textur immer mehr in ein lockeres, zell* und gefäßreiches Granu* 
lationsgewebe umgebaut. Damit wird zwar die biologische Abwehrkraft des 
Periodontiums vergrößert, aber zugleich verliert dieses die funktionelle Fähig* 
keit, eine feste, organische Verbindung zwischen Zahn und Alveole herzu* 
stellen. Mit der regressiven Metaplasie der fibrösen Befestigungsstränge ver* 
liert das Periodont diesen seinen ligamentösen Zusammenhang mit dem 
Zahn und mehr oder weniger auch mit der Alveole. Zugleich aber verliert 
damit auch das Zement seine bindegewebige Matrix und damit jede Rege* 
nerationsfähigkeit und auch für den Knochen wird das biologische Gleich* 
gewicht, * da ja das Periodontium zugleich dessen alveoläres Periost ist, ge* 
stört. Wie wir nachher sehen werden, wachsen aber die Granulationen 
in die Markräume des Knochens hinein, und es entsteht solcherart eine 
andere, gewissermaßen eine mechanische — reparatorisdie — Veranke* 
rung zwischen Granulationen und Knochen, während dies durch ein ähn* 
liches Eindringen in das solide Zementgewebe schon wegen der Epitheli* 
sierung nicht möglich ist. Es entsteht also ein Spalt zwischen Zahn und 
Granulationen. Und diese Spaltbildung bedingt zugleich auch eine neue 
Oberfläche. Das Epithel wuchert daher in dem gleichen Maße, in dem diese 
Bildung der pathologischen Tasche erfolgt, in die Tiefe, um die Granulationen 
zu bedecken und die Tasche in jedem Stadium der Vertiefung zu einer 
epithelisierten Seitenbucht der Mundhöhle zu machen, wie es die physio* 
logische Tasche auch war. <Fig. 11, 12, 13, 14, Tafel I>. Die jeweilige Tiefe 
der Tasche hängt davon ab, wie stark und bis wie weit die Metaplasie der 
Wurzelhaut schon erfolgt ist. Die so gelöste Verbindung zwischen Zement und 
Knochen kann auch nicht in der Art wiederhergestellt werden, wie es z. B. 
bei einer ins Bindegewebe implantierten Knochen* oder Dentinfläche <Elfen* 
bein> durch die vom Bindegewebe <Periost und Knochenmark) ausgehende 
Anlagerung von Knochen der Fall ist <Gottlieb> 66 / denn die Zellen der 
Granulationswurzelhaut haben eben die der fibrösen Vorgängerin zu* 


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Karl Loeffler 


kommende Fähigkeit, Knochen, d. h. sekundäres Zement („Zahnkitt", wie 
Gott lieb es nennt) zu bilden, verloren. 

Der gleiche Prozeß kann sich nun entsprechend den verschiedenen An¬ 
griffspunkten der marginalen Insulte in verschiedenem Maße auf mehreren 
paradentalen Sektoren apikalwärts entwickeln, und es resultiert als letzte 
Konsequenz dieser Entwickelung die Abstoßung des fremdkörperlichen 
Zahnes. Damit tritt die Möglichkeit ein, daß die auf verschiedenen Seiten in 
die Tiefe gewachsenen Epithelzapfen oder -bänder unter sich und mit dem 
Mundepithel am Alveolarrand sich wieder allseitig vereinigen können und 
die vor dem Erscheinen des Zahnes bestandene epitheliale Schutzdecke wieder 
ununterbrochen hergestellt werden kann <Fig. 3>. 

Das Wesen der ganzen hier etwas schematisch skizzierten Vor¬ 
gänge charakterisiert sich also als ein im periodontalen Sub¬ 
strat erfolgendes In-die-Tiefe-Dringen einer chronischen Mund- 
krankheit. Die Möglichkeit des Beginnes dieses Prozesses scheint daher mit 
dem Zeitpunkt gegeben zu sein, in dem der Zahn so weit durchgebrochen 

ist, daß der Boden der Tasche 
an der Schmelzzementgrenze sich 
befindet und das Periodontium 
schädlichen Einwirkungen von 
oben her ausgesetzt ist. Es ist 
vielleicht kein Zufall, daß die 
durchschnittliche Verlaufslinie des 
Kieferschwundes bei den einzel¬ 
nen pyorrhoeischen Zähnen, wie 
sie Pordes 42 angibt, ungefähr 
mit der Zeit ihres Durchbruches 
übereinstimmt <Fig. 15). Für die Alveolarpyorrhoe hat Talbot 67 in seiner 
„Interstitialgingivitis" vielleicht eine richtige Bezeichnung gefunden, obwohl 
er damit keineswegs eine auf das Periodontium ausgedehnte Gingivitis, sondern 
wie andere Autoren eine auf Konstitutionskrankheiten zurückzuführende 
Krankheit sui generis bezeichnen wollte. Periodontitis chronica marginalis (nicht 
purulenta nach Römer) im Gegensatz zu einer Periodontitis chronica apikalis 
der Granulome würde wohl auch treffend dieses pathologische Bild kenn¬ 
zeichnen. 

Alles andere, was wir bisher unter dem Begriff „Alveolarpyorrhoe" ver¬ 
standen, gehört nicht zum Wesen dieser Erkrankung. Besonders ist 
auch nicht ein bakterieller Reiz wesentlich, weder ein allgemeiner (Seitz 68 ), 
noch der spezifische von Spießbazillen und Spirochäten <Kolle 69 , Beyer 70 , 
Zilz 71 u. a.), geschweige denn ausschließlich kausal <z. B. Adloff 7 ^. Das 
bakterielle Moment spielt nur eine in seiner Art abweichende 
Rolle wie jedes andere Agens auch. Es kann aber nur mit Unter¬ 
stützung anderer Momente wirken, d. h. nur dann, wenn die Bakterien in dem 
sonst immunen Terrain jene Bedingungen finden, die zur Steigerung ihrer 
Virulenz und Angriffsfähigkeit führen, wenn sich also das Verhältnis zwischen 



Fig. 15 <aus Pordes) 


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Ober die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis“ 237 

ihrer Angriffskraft und der Abwehrkraft der Taschengewebe zu ihren Gun- 
sten verschiebt. Der Eintritt seiner Wirksamkeit bedingt allerdings wohl die 
stärkste Mobilisation der Abwehr in Form der Granulationsbildung. Sind 
die Gewebe im physiologisdien Gleichgewicht, so werden wir — das ist ja 
der Ausdruck der Mundimmunität — trotz massenhafter Bakterien und trotz 
pathologisch vertiefter Tasche keine Eiterung haben. Ist aber die Wider¬ 
standskraft der Gewebe aus irgendeinem inneren oder äußeren Grunde ge¬ 
schwächt oder tritt eine solche Schwächung im Laufe der Entwickelung ein, 
so kann das Symptom der Eiterung von vornherein vorhanden sein bzw. 
dazu kommen. 

Allgemein kausal kann man sagen: Alles, was die den Zahn umgebenden 
Gewebe aus ihrem physiologischen Gleichgewicht bringt, d. h. alles, was sie 
mechanisch, chemisch, thermisch oder bakteriell chronisch exogen 
reizt <Lokalisten> oder durch endogene Einflüsse, wozu auch die neuerdings 
von Adloff 72 betonten anatomischen, phylogenetisch bedingten Sonderheiten 
zu rechnen sind <Konstitutionalisten>, schwächt und damit eine lokale Noxe 
begünstigt, erzeugt und unterhält, kann zu deren pathologischen Veränderung, 
zur Taschenbildung und evtl, auch zur Eiterung fuhren. Die Bezeichnung „Al¬ 
veolarpyorrhoe" ist keineswegs ein das Wesen der Krankheit charakte¬ 
risierender Name. Die „Pyorrhoe 7 ' ist nur ein, allerdings häufiges Stadium in 
der Entwickelung. Der Grad und die Dauer der Noxen und die verschieden 
abgestufte Gewebsschwächung sind auch bestimmend, ob wir bald die ver- 
schiedengradigen Irritationsformen von Gingivitis haben, die ja auch nicht infek¬ 
tiöser Natur zu sein brauchen, oder ob es zu den verschiedenen schweren 
Stomatitiden kommt, bei denen die Bakterien <die gleichen Spießbazillen und 
Spirochäten) eine Rolle spielen. Wie nun noch niemand diese Stomatitiden, 
weil sie sich in der Hauptsache im marginalen Bereiche des Zahnes abspielen, 
als Krankheitsformen der Zähne aufgefaßt und bezeichnet hat, so vertrete 
auch ich die These, daß auch die sogenannte Alveolarpyorrhoe nichts anderes 
ist als in paradentaler Richtung ausgedehnte Mundkrankheiten jeder Art, nicht 
bloß solcher, die auf Bakterienbasis beruhen, wie Seitz 68 meint. 

Da nun die Zusammenhänge der endogen gewebsschwächenden Einflüsse, 
bei denen vielleicht auch endokrine Momente eine Rolle spielen, noch dunkel 
sind* — daß sie bestehen, zeigt sich bei Diabetes, Gicht, Schwangerschaft 
und Intoxikationen, wiez. B. mit Quecksilber, Phosphor und Blei <Günther 74 , 
Althaus 75 ) — und zwischen den verschiedenen Abstufungen dieser endogen 
bedingten Einflüsse und der äußeren Noxen unzählige Kombinationen mög¬ 
lich sind, die wir nicht durchschauen können, so erklärt es sich, daß wir noch 
kein Schema finden konnten, in das die einzelnen „Pyorrhoefälle" in kausaler 
Hinsicht eingereiht werden konnten, vielmehr es sich zeigte, daß jede Gesetz¬ 
mäßigkeit fehlt. Bezeichnen wir z. B. nur einige der exogenen Momente mit 

# Ith mödite bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß die normale Abnutzung des 
Periodontes und erst recht seine übermäßige Beanspruchung im Sinne von Karolyis Theorie 
mehr gewürdigt werden müßten, wie eine solche Abnützung neuerdings Rost™ auch 
als bedeutungsvoll für die Genese chronischer Entzündungen des Kniegelenkes bezeichnet hat. 


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a, b, c und d und einige endogene mit x, y und z, und nehmen wir noch an, 
daß die Reihenfolge dieser Buchstaben zugleich Abstufungen in der Stärke 
der Noxen bedeute, so sind schon sehr viele Kombinationen möglich, wie 
z. B. a, d, z, y, b, x, c, a, y, d, a, x, c, er, y, d, z, a, y, b, d, c, c, y, 
a, d, z, b usw. 

Da man das bisher zu wenig beachtet hat, vielmehr einzelnen, besonders 
sinnfälligen Momenten, wie Zahnstein, Überlastung der Zähne, Bakterien, 
Gicht oder Ernährungsstörungen ausschließliche Kausalität zuschreiben wollte, 
so erklären sich die Vielheit und die Widersprüche der Erklärungsversuche, die 
niemals für alle Fälle zutreffend sein konnten und immer wieder neue Rätsel 
stellten, weil es immer wieder Ausnahmen von der Regel gab. 

Wie also die Eiterung nur ein Symptom ist, das keineswegs mit jeder 
in die Tiefe dringenden Entzündung verbunden, noch auch durch das 
Bestehen einer vertieften Tasche bedingt sein muß, so ist sie auch nicht die 
nächste Ursache der Lockerung der Zähne. Es muß immer wieder be¬ 
tont werden, daß es sich hier nicht um einen „infektiösen eiterigen Prozeß, 
der eine Einschmelzung der den Zahn umgebenden Gewebe zur Folge hat", 
handelt, wie unter anderen auch Römer 70 und Sachs 77 meinen. Die Lok- 
kerung der Zähne ist, abgesehen von dem im Anschluß an andere 
pathologische Vorgänge eintretenden Zerfall des Periodontiums, 
vielmehr eine Folge der zu Defensivzwecken erfolgenden Meta¬ 
plasie des letzteren, vermöge deren es eben seine physiologische Organ¬ 
funktion, den Zahn festzuhalten, nicht mehr ausüben kann und auch niemals 
mehr dazu befähigt wird. Jede mit dem Verlust der Vitalität des Zementes 
verbundene Lockerung ist irreparabel. Es kann hier erwähnt werden, daß 
das Mundepithel bei der Überkleidung der Taschenwand noch unterstützt 
wird durch die in jeder Wurzelhaut versprengt liegenden Reste der 
Hertwigschen Epithelscheide, zumal dieselben meist bei netzartiger An¬ 
ordnung zeitlebens mit dem Mundepithel in Verbindung bleiben <Sieg- 
mund 79 ) oder, wenn sie in einzelnen Inseln zerstreut liegen, durch zyto- 
tropische Momente zum Entgegenwuchern mobilisiert werden können. 

Doch auch aus der gemeinsamen Wirkung dieser Umstände würde noch 
nicht jene typische, weitgehende Lockerung resultieren, wenn nicht gleich¬ 
zeitig auch der knöcherne Haltefaktor ausgeschaltet würde. Sowohl 
die zelligen Elemente der in Granulationsgewebe verwandelten Wurzelhaut 
als auch ihre stark vermehrten und erweiterten Blutgefäße mit ihren ge¬ 
wucherten Kapillaren dringen genau so wie bei den Granulomen in das 
Knochenmark der Alveolen hinein, wie es auf Bild Nr. 16 bei Fleischmann 
und Gottlieb 03 deutlich zu sehen ist. Dadurch wird das Knochen¬ 
mark ebenfalls in Granulationsgewebe umgebaut <Weski, Kiefer 
116). Und einerlei, ob dies nun durch eine sowohl in dentifugaler als 
auch aus retrokortikaler Richtung wirkende lakunäre Resorption <Weski> 
geschieht oder ob auf dem Wege von Halisteresis <Römer> oder von 
Trypsis oder Osteolysis <Fleischmann und Gottlieb), in jedem Falle 
kommt es zur Auflösung auch der Knochenbälkchen und damit zur Ver- 



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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 


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breiterung des Periodontalraumes, was für den Zahn soviel bedeutet, als 
wenn einem Baum von einer oder mehreren Seiten die Erde abgegraben 
wird. Dabei wird der Alveolarfortsatz in seinen marginalen Partien diesem 
Prozeß um so leichter zum Opfer fallen, als diese Randpartien nach voll¬ 
endetem Wachstum die Regenerationsfähigkeit verloren haben (Baume 07 , 
Römer™> und erst recht, wenn, wie Gottlieb 80 annimmt, der ganze Al¬ 
veolarknochen nach Durchbruch der Zähne überhaupt seine physiologische 
Aulgabe erfüllt hat. 

Der ganze Vorgang spricht also dafür, daß der Knochenschwund nicht 
primär ist, wie Greve 81 , Fleischmann und Gottlieb 63 annehmen, und 
daß andererseits die von Weski gekennzeichnete vertikale Ausbreitung 
des Prozesses sekundär dadurch zustande kommt, daß einzelne stärkere 
Epithelnesterstark seitlich sich entwickeln. Wenn Bail 82 die Folgeerscheinungen 
einer „Maßnahme, welche der Organismus zur Abwehr (der Infektion) in 
Gang bringen und in einer solchen Weise steigern kann, daß die Steigerung 
selbst als Krankheit empfunden wird und abnorme Zustände hervorruft", 
als „aktive Krankheiten" bezeichnet, so könnte man auch die Lockerung der 
Zähne bei Alveolarpyorrhoe als solche auffassen, da sie eben durch eine 
im Dienste der Abwehr eintretende Funktionsunfähigkeit der Wurzelhaut 
verursacht ist. 

Das Tempo und der Umfang der Granulations- bzw. Taschenbildung ist 
bedingt durch die Verschiedenheit der Intensität und der Dauer der schä¬ 
digenden Einwirkung, und eine wesentliche Rolle spielt dabei auch die bio¬ 
logische Qualität der in Betracht kommenden Gewebe, die wiederum von 
der jeweiligen Konstitution im allgemeinen und der Funktion einzelner Or¬ 
gane (Herz, Nieren) abhängt. Dabei braucht eine gewisse Immunität gegen 
Zahnkaries mit dem Ausdruck einer guten Konstitution und Gewebswider- 
standsfähigkeit nicht identisch oder, besser gesagt, nicht mehr identisch zu 
sein/ denn eine solche kann z. Z. der Zahnentwicklung wohl bestanden 
haben. Die bekannte und auch von Weski an verschiedenen Kiefern nach¬ 
gewiesene Tatsache, daß die „Normotonie" der Gewebe auf den klinischen 
Verlauf der Alveolarpyorrhoe von großem Einfluß ist, besagt doch nichts 
anderes, als daß die Schnelligkeit des Entstehens von Granulationen und ihr 
Umfang von der biologischen Qualität der hinter ihnen gelegenen Gewebe 
abhängt. Andererseits erscheint die Tatsache, daß die „Alveolarpyorrhoe" 
tote Zähne weniger befällt als lebende, vielleicht auch unter diesem Gesichts¬ 
winkel erklärlich, weil bei ersteren das für die Pulpa bestimmte Blut der 
Wurzelhaut zugeführt und dadurch deren vitale Kraft erhöht wird. 

Während wir also die Eiterung nur als ein allerdings häufiges Stadium 
in der Entwickelung der Alveolarpyorrhoe und als ein Symptom in ihrem 
Gesamtbild erkannt haben und andererseits die Lockerung der Zähne nur als 
eine notwendige Folge erscheint, gehören die Granulationen untrennbar 
zu ihrem Wesen, aber nicht wie Port und Euler 101 sagen, als Sym¬ 
ptom, sondern als wesentliche, durch die Reizmomente bedingte, primäre 
Ursache. Ohne Granulationen kommt es nie zu den in Rede 


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stehenden pathologischen Veränderungen im Periodontafraum, 
wie es ohne sie am Wurzelapex auch keine Granulome gibt. Die 
Bilder vonFleischmann und Gottlieb, die einen Knochenschwund „weitab 
vom Entzündungsherd" und „von ihm durch gesundes Gewebe getrennt" 
zeigen, und ebenso die Fig. 11 und 12 von Weski, die das gleiche dartun 
sollen, können auf Täuschung beruhen, indem der zur resorbierten Knochen» 
stelle gehörige Entzündungsherd nicht horizontal, gewissermaßen lotrecht, in 
dieTiefe drang, sondern schräg, wie wir bei ausgezogenen Wurzeln an dem 
Verlauf der Entzündungszone im Periodont oft gut makroskopisch sehen 
können. Wenn daher, wie in Fig. 16 schematisch dargestellt ist, ein marginaler 
Reiz a in der Richtungc vorgedrungen ist, so wird er natürlich in einem Schnitt b c 
nicht getroffen werden, es kann also horizontal über c sehr wohl alles in 
Ordnung sein. 

Die Granulationen sind also primär. Und damit sind zugleich auch die 
Wege und Grenzen jeglicher Therapie gegeben. Der besprochene Zusammen» 
hang gibt auch hier den besten Maßstab ab zur Beurteilung des Wertes und 
der Zweckmäßigkeit der anzu wendenden therapeutischen Mittel. 
et' Im Gegensatz zu der Ätiologie schenkte man seit einiger Zeit 
wenigstens in der Therapie den Granulationen eine größere 
Aufmerksamkeit. Aber wegen der Unkenntnis ihrer richtigen 
Bedeutung blieben doch die therapeutischen Maßnahmen mehr 
ein Tappen im Dunkeln, wo es weder einen klaren Einblick 
noch einen sicheren Ausblick gab. Das Kratzen, Brennen und 
Schaben an den Granulationen mußte daher meines Erachtens 
eher eine Verschlimmerung des Zustandes zur Folge haben, 
während uns die richtige Erkenntnis von ihrem Wesen den 
Weg zu einer Therapie ebnet, durch die wir die Bakterien¬ 
schlupfwinkel vernichten oder wenigstens auf das physiologische Maß be¬ 
schränken und damit auch die Quelle vernichten können, aus der die sekun¬ 
dären Infektionen abgeleitet werden. Es wird daher wohl nicht als uner¬ 
laubte Abschweifung vom Thema erscheinen, wenn ich auch zur Therapie 
der „Alveolarpyorrhoe" eine kurze Bemerkung anfüge. 

Da der Eiter nur ein manchmaliges und zeitweiliges Symptom ist, kann 
seine Bekämpfung allein niemals zu einer Heilung führen. Es kann durch 
sie zwar dieses Symptom vorübergehend beeinflußt, aber nicht dauernd be¬ 
seitigt werden, wie z. B. die Anwendung von Salvarsan zeigt. Die An¬ 
wendung stark wirkender Antiseptika kann aber außerdem das Fortschreiten 
des Prozesses wegen Schädigung der Gewebszellen sogar noch fördern. Eine 
kausale Therapie ist nur teilweise möglich, z. B. durch lokale Beseiti¬ 
gung alles dessen, was exogen reizt und schwächt, da wir nicht alle ursächlichen 
Faktoren und besonders die endogenen weder generell, geschweige denn im 
einzelnen Falle kennen. Aus dem gleichen Grunde können wir auch 
nicht durchgreifend prophylaktisch handeln. Wo mechanische Ein¬ 
flüsse die Hauptrolle spielen oder spielen würden, wird ihre Beseitigung manch¬ 
mal etwas Erfolg zeitigen oder Erscheinungen verhüten, in anderen Fällen 



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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis 


241 


wird dadurch nichts erreicht. Die Kasuistik beweist es. Wir können auch 
die für den Zahn entstandenen Folgen des Prozesses nicht be¬ 
seitigen, da wir die abgegrabenen Gewebe nicht ersetzen können und auch 
der Zahn nicht dazu beitragen kann, soweit seine freigewordene Wurzel- 
Oberfläche tot und reaktionslos geworden ist. Durch keine Therapie, und erst 
recht nicht durch die heute allein in Betracht kommende chirurgische, kann also 
eine Restitutio ad integrum hergestellt werden mit Bezug auf den Zahn und 
die ihn umgebenden Gewebe. Möglich ist es aber in bezug auf die Be- 
seitigung der durch dieTasche entstehenden Infektionsgefahr. 

Der Alveolarfortsatz hat die physiologische Aufgabe, dem Zahn Lager 
und Halt zu geben. Wenn nun die anatomischen Verhältnisse es bedingen, 
daß die Wurzelhaut bei vorwiegender Ausübung der Abwehrfunktion Ver- 
anlassung gibt, daß der Zahn vom Kiefer durch 
eine unüberbrückbare Schlucht auf immer getrennt 
wird, so daß der getrennte Knochenteil für die 
genannte physiologische Aufgabe nicht mehr in 
Betracht kommt, vielmehr dadurch, daß er auch 
das Fortbestehen einer ihrerseits neue Gefahren 
und Prädisposition für Infektion schaffenden Tasche 
bedingt und deren Tiefe bestimmt, die ursprüng¬ 
liche Abwehraufgabe kompliziert und erschwert, 
so sind die getrennten Knochenpartien nicht nur 
nutzlos, sondern sogar schädlich und müssen da¬ 
her entfernt werden. Dann werden die siedecken¬ 
den Granulationen überflüssig und können eben¬ 
falls verschwinden. Wichtig in erster Linie 
ist daher die Entfernung des gelösten 
Knochens zwecks Beseitigung der patho¬ 
logischen Tasche. Die Beseitigung der Gra¬ 
nulationen ist erst in zweiter Linie wichtig und mehr aus prophylaktischen 
Gründen, um dem Epithel den Anreiz zum weiteren Wuchern in die Tiefe 
zu nehmen. Und in diesem Sinne ist es um so besser, je radikaler sie dann 
entfernt werden. 

Endgültig und rasch kommt der Prozeß nur dann zum Sistieren, wenn 
die Granulationen vollständig bis auf das normale, unversehrte Periodont, 
also bis zur normal erhalten gebliebenen Verbindung zwischen Zahn und 
Kiefer abgetragen werden, wie es Widmann 83 im Gegensatz zu Neu¬ 
mann 84 fordert, und der hinter ihnen gelegene Knochen ebenso oder doch 
nur mit einem etwas höher verbleibenden Niveau. Dann kann das Mund¬ 
epithel wieder mit der gesunden, das Zement mit dem Knochen organisch 
verbindenden und lebenskräftig erhaltenden Wurzelhaut verwachsen und 
einen taschenlosen Übergang herstellen, wie etwa nach Ablauf einer akuten 
Entzündung <vgl. Fig. 11). Wie die schematische Figur 17 zeigt, ist dann 
die Wurzel mit einem noch mehr oder weniger langen Teil von normalem 
Periodont c d festgehalten, vom gesunden Knochen C D umscheidet, und das 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 2 |5 



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242 


Karl Loeffler 


Epithel t d und e c wächst nicht über d bzw. über c hinaus, da es ja dort 
gesundes, normales Periodontgewebe vorfindet. Es werden also abge» 
schlossene Verhältnisse geschaffen, wie sie bei der Atrophia alveolaris praecox 
entstehen, welch letztere übrigens auch nur eine nach Schwinden der Ur» 
Sachen zum Stillstand gekommene eiterlose Periodontitis marginalis zu sein 
scheint. 

Jede andere Behandlung zeitigt nur einen vorübergehenden und 
scheinbaren Erfolg. Daß das auch von dem bloßen Auskratzen oder Aus» 
brennen der Granulationen gilt, zeigt ebenfalls Fig. 17. Werden sie z. B. nur 
von a—b beseitigt, — wie, ist gleichgültig — ohne daß dies auch von b—d gelingt, 
so wird für den Zahn gar nichts erreicht. Die Tasche bei bd bleibt nach wie 
vor bestehen, und von a bis b wird sie nur um etwas breiter, aber nicht kürzer. 
Das Epithel a verbindet sich wieder mit dem Epithel bei b, und der alte Zu» 
stand ist nach kurzer Zeit wiederhergestellt. Mit der Entfernung der Gra» 
nulationen ab beraubt man höchstens den Kiefer des durch sie dargestellten 
Schutzes gegen Infektion <siehe später), was vielleicht nur deshalb ohne 
Folgen bleibt, weil es mit Auskratzen und Ausbrennen gewöhnlich nicht ge» 
lingt, die ganze, auch in den Knochen hineinreichende Schicht der Granu¬ 
lationen zu vernichten. Aber auch dann, wenn letztere von a bis c, also bis 
zur normalen Wurzelhaut zum Verschwinden gebracht werden können, wird 
ebenfalls nicht mehr als eine kleine Verbreiterung der Tasche gewonnen. Das 
neu sich bildende Innenepithel der Tasche macht dann zwar bei c Halt, und 
eine weitere Vertiefung der Tasche tritt zunächt nicht ein, aber die alte 
Tasche mit ihren Nachteilen bleibt. Es müssen daher in erster Linie die 
Knochenteile A B abgetragen werden, worauf die Granulationen überflüssig 
geworden sind und ebenfalls verschwinden können, ja müssen, damit das 
nachrückende Epithel bei c und d nur normales Periodontgewebe findet. Nur 
dann tritt der obengenannte, taschenlose Zustand mit dichtem, lebendem Ab¬ 
schluß zwischen Epithel, Periodont und Zement mit dem Niveau ed—ce ein. 
Ohne eine solche chirurgische Behandlung wäre es im gesamt- 
körperlichen Interesse besser, lockere Zähne zu entfernen oder 
die Natur wenigstens bei ihrer mit Selbstschutzmitteln begon¬ 
nenen Eliminierung nicht zu hindern, was aber geschieht, wenn wir 
ihr solche Zähne mit Schienen und Bandagen aufzwingen. Daß das letztere, 
vor Einführung der chirurgischen Behandlung geübte Verfahren solange 
Anerkennung gefunden hatte, ist eben nur dadurch zu erklären, daß man 
von der Bedeutung der Granulationen keine richtige Vorstellung hatte und 
damit das Wesen der Alveolarpyorrhoe wie oben erwähnt, mehr 
in einer Erkrankung der Zähne sah als in den Folgen einerNot- 
wehr der Natur gegen die Zähne, d. h. gegen die aus ihrer Ein¬ 
fügung in die Mundepitheldecke sich ergebenden Gefahren. 

Und doch mußte der Umstand, daß es bei den mit Eiterbildung verbundenen 
Fällen zum Eiter„fluß" nach außen kommt, daß der Eiter nicht stagniert und 
nicht penetriert und somit der Organismus offensichtlich gegen die Infektion und 
ihre Produkte einen Schutz findet, die Vermutung nahe legen, daß ein solcher 


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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 

durch die mit Epithel überkleideten Granulationen zustande kommt. Aller¬ 
dings schrieb schon 1911 Fleischmann 85 : „Es ist keine Frage, daß das 
Granulationsgewebe, das bei der Pyorrhoe die Zahnfleischtaschen allent¬ 
halben gegen die Tiefe abschließt, die Ursache dieser besonderen Verhält¬ 
nisse ist, daß es seiner Funktion als „Schutzwall" für die tieferen Partien 
in hervorragender Weise gerecht wird und ein Weiterschreiten des Prozesses 
verhindert." „Wenige Tage nach dem Ausfall oder der Entfernung des lok- 
keren Zahnes ist eine feste, solide Narbe da, und nichts deutet mehr darauf 
hin, daß vor kurzer Zeit noch ein beinah unaufhaltsam fortschreitender Zer¬ 
störungsprozeß vorhanden war." Abgesehen von den anderen, der Mund¬ 
immunität zugrunde liegenden Faktoren mußte diese Erscheinung hier doch 
darauf hin weisen, daß eben die Infektion trotz jahrelanger Vorlagerung und 
Umlagerung von Eiter und Eitererregern nicht in den Knochen hineindringt, 
daß der Infektionsherd auch nicht innerhalb der Granulationen 
liegt, sondern daß der eiterige Prozeß sich an ihrer Oberfläche 
und im Taschenlumen abspielt, daß also der Eiter auch nicht durch 
den Granulationswall hindurchgelassen, sondern durch die Tasche nach der 
Mundhöhle abgedrängt wird. 

Wenn dem nun tatsächlich so sein soll, so müssen also andererseits die 
Granulationen immer hinter den Infektionserregern liegen und auch hinter den 
Infektionsprodukten eine undurchdringliche Abwehrfront darstellen. Kampf¬ 
bilder sind zwar im allgemeinen in der Pathologie nicht angebracht, weil es 
fraglich ist, ob sie biologisch ebenfalls zutreffen, aber hier ist der Vergleich 
der Zahnfleischtaschen und der ganzen Zahnalveole mit einem Kriegsschau¬ 
platz, auf dem die Natur einen ständigen Abwehrkampf gegen die verschie¬ 
densten Noxen zu bestehen hat, geradezu herausfordernd. Die reaktive Ent¬ 
zündung wäre ihr Verteidigungsmittel und Granulationen ihre Verteidigungs¬ 
anlagen. Die Eiterung bedeutete dabei einen Lokalsieg eines infektiösen An¬ 
griffes, der auf diesem sonst immunen Terrain dadurch möglich wird, daß 
die vitale Energie der Gewebezellen durch anderweitige exogene und endo¬ 
gene Einflüsse herabgesetzt und diese günstig für den bakteriellen Angriff 
vorbereitet werden. Der Eiter„fluß" aus der Tasche aber wäre ein Zeichen, 
daß die Natur diese kleine lokale Schlappe überwindet und daraus nicht 
eine Gefahr für den Gesamtorganismus werden läßt. Der Eiter und das 
infektiöse Material würden eben dann durch die Granulationen 
am Eindringen in die tieferen Gewebe verhindert und nach 
außen zur Entleerung gebracht. Wenn dadurch, daß dabei die Wur¬ 
zelhaut ihre physiologische Bedeutung als Haltefaktor verliert, die Zähne 
durch Lockerung gefährdet werden, so wäre das wiederum nur ein kleineres 
Übel. Die Resorption der Alveolen bei Alveolarpyorrhoe und die durch 
Granulome und durch sonstige im Gefolge von chronischer Periodontitis 
auftretende Wucherungen verursachte Resorptionshöhlen und «gänge wären 
also ursächlich und in der Wirkung das gleiche. Die Eiterung aus der pyor- 
rhoeischen Tasche bedeutete die Ableitung der Gefahr vom Gesamtkörper 
und wäre gleichzustellen den Eitertropfen am Fistelmaul, verschieden wäre 

16 * 


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244 


Karl Loeffler 


nur die Lokalisation. Im Bilde des Körperschutzes und derlmmuni* 
tät können sie demnach wie die Wurzelgranulome aufgefaßt 
werden als der Ausdruck der Selbsthilfe des Organismus und 
sind in diesem Sinne auch gegenüber den sekundären Infektionen 
als wirksam zu betrachten. 

Und doch ist eine solche Auffassung von der Schutzwirkung der Pyorrhoe* 
granulationen, wie schon erwähnt, in der Zahnheilkunde bisher nicht geläufig, 
während sie von den Granulomen seit ihrer von Part sch inaugurierten ana¬ 
tomisch-pathologischen Betrachtung in der Literatur ziemlich allgemein an* 
genommen ist. Die Vertreter der amerikanischen Theorie verneinen sie be- 
kanntlich und konstruieren daher auch für die pathologischen Zahnfleisch* 
taschen die sekundären Gefahren der Sepsis oral. Hartzell 86 sieht diese 
sogar als ganz beträchtlich an, da bei ausgebreiteter Pyorrhoe die Geschwürs* 
'flächen sämtlicher Taschen ein Areal von ca. 4 Quadratzoll einnehmen sollen. 
Aber auch die Feststellungen Römers 76 , daß die Granulationen „von pyo- 
genen Elementen durchsetzt" seien und daß der Eiter produziert werde von 
Bakterien, welche das Granulationsgewebe massenhaft enthalte, sprachen 
wenig für die Annahme eines solchen Schutzes, wenigstens wenn man sie, 
wie es bisher wohl allgemein geschah, so verstand, daß die Bakterien auch 
in den tieferen, in den Knochen hineinragenden Schichten der Granulationen 
sich befinden und demnach die ganze Masse der Granulationen die Quelle 
des Eiters sei. Dann wären eben die Granulationen kein Wall mit Abwehr* 
fähigkeit und -Wirkung, und sie würden sich von anderen Gewebsarten durch 
einen besonderen Infektionsschutz keineswegs unterscheiden. Das wäre eben nur 
der Fall, wenn sie die Erreger auf ihrer Oberfläche zurückhalten und suk¬ 
zessive immer nur diese durch infektiöse Einwirkung in Zerfall gerät, der 
Eiter also immer nur von der Taschenwand sezemiert wird, während da¬ 
gegen die tieferen Schichten der Granulationen, die sich immer mehr in den 
Knochen einbohren, bakterien* und eiterfrei sind und bleiben und entspre¬ 
chend dem von der Oberfläche aus fortschreitenden Zerfall sich immer wieder 
neue Lagen nach innen bilden. Mindestens also waren die Römerschen Fest¬ 
stellungen keineswegs eindeutig, aber trotzdem kehren sie in fast sämtlichen 
Arbeiten über die „Alveolarpyorrhoe" bis in die neueste Zeit beinahe wört¬ 
lich wieder, ohne daß die betreffenden Autoren irgendeine Einschränkung 
machten oder eine klare Interpretation versuchten. Erst in den letzten 
zwei Jahren haben drei Forscher durch eigene Untersuchungen präzisere Fest¬ 
stellungen gemacht, die um so beachtenswerter sind, als sie übereinstimmend 
tatsächlich innerhalb der Granulationsmassen keine Bakterien gefunden haben. 
So hat Hille 87 bei seinen bakteriologischen Untersuchungen die Erreger 
nicht innerhalb des Granulationsgewebes selbst, sondern nur seiner Oberfläche 
angelagert gesehen. Gottlieb 61 konnte Mikroorganismen „ausschließlich an 
der Oberfläche nekrotischer Partien", „nie" (unterstrichen vom Autor) im leben¬ 
den Gewebe feststeflen und Weski 65 kommt zu dem Resultat, daß der Eiter 
nicht dem granulierenden Periodontalgewebe als Ganzem, sondern nur kleinen, 
bloßliegenden, epithelentkleideten Stellen seiner Oberfläche entstammt. 


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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 245 

Diese Befunde werden durdi meine eigenen Untersuchungen bestätigt, die 
ich nun darlegen will, um hinterher auf die bezüglich der Granulome einzu- 
gehen. Ich habe dieselben im Hygienischen Institut zu Beuthen O./S. von 
Oktober 1921 bis Juli 1922 vorgenommen, indem mir der Direktor desselben, 
Herr Geheimrat Prof. Dr. von Lingelsheim in entgegenkommendster Weise 
dazu die Erlaubnis gab. Dafür und überhaupt für das große Interesse, das er 
sowie auch Herr Professor Dr. Jacobitz stets meiner Arbeit entgegenbrachte, 
für den vielfachen technischen Rat und die Kontrolle meiner Versuche durch 
letzteren spreche ich auch an dieser Stelle den beiden Herren meinen auf» 
richtigen und herzlichen Dank aus. Ebenso danke ich den Knappschaftszahn- 
ärzten, Herrn Dr. med. Jakobi und Herrn Schreiter für Lieferung der 
meisten Granulome. 

Da einwandsfrei beweisend nur Material vom Lebenden ist, habe ich nur 
solches verwandt. Bei der geschilderten radikalen chirurgischen Behandlung 
erhält man ja Granulationen in verschiedenem Umfang, und es steht auch 
nichts im Wege, nach Extraktion pyorrhoeischer Zähne Alveolenteile mit 
Zahnfleisch und Granulationen abzutragen, da diese Partien doch der Re- 
Sorption anheimfallen. Bei den beiden von mir untersuchten Fällen war es 
mir allerdings nicht möglich, die Patienten zu überreden, sich der chirurgischen 
Behandlung zu unterziehen. Beide hatten schon etwa zehn Jahre typische 
Pyorrhoe und bereits etliche Zähne dadurch verloren. Sie waren schon von 
verschiedenen Zahnärzten nach allen Methoden behandelt. Bei Herrn G. 
wurden außerdem vor drei Jahren von einem Breslauer Arzt intravenös 
einige Salvarsaneinspritzungen gemacht. Alles war ohne Erfolg. Herr G. 
ist übrigens notorischer Bluter. Gelegentlich einer früheren Zahnextraktion 
wäre er beinahe verblutet. Trotzdem konnte ich ihn sowie auch Herrn J. dazu 
bewegen, wenigstens an einem Zahn zunächst chirurgisch vorzugehen, indem 
ich nicht verhehlte, daß ich für die abzutragenden Granulationen für wissen*» 
schaftliche Zwecke großes Interesse habe. Ich schnitt also bei 3] bzw. bei [1 
labial bis auf den Grund der Tasche das Zahnfleisch, den noch vorhandenen 
Knochen und die Granulationen in einem Stück heraus, löste die Knochen¬ 
teilchen los, um das Entkalken zu vermeiden, und machte davon Schnitte. 
Gehärtet wurde in Formalin, eingebettet in Paraffin und gefärbt mit Häma- 
toxilinalaun und Eosin-Hämatoxylin. Bei keinem der vielen Schnitte konnte 
ich innerhalb des Granulationsgewebes irgendwelche Bakterien nachweisen, 
wohl aber fand auch ich solche der Taschen wand oberflächlich angelagert. 
Daß nun in dem eiterigen Sekret pyorrhoeischer Taschen auch Streptokokken 
gefunden wurden, z. B. von Miller 1 , Galippe 88 , Rygge 89 , Carmlt-Jo- 
nes 90 , Blessing 91 und Berten*, ist an sich nicht überraschend, da ja diese 
Taschen, wie wir gesehen haben, nur eine pathologische Erweiterung des 
Mundhöhlenraumes darstellen, zu dessen regelmäßigsten Bewohnern be- 

• In vier von mir untersuchten Fällen fand ich in einem ausschließlich fusiforme Ba- 
zillen und Spirochäten, in zwei anderen waren solche auch mit grampositiven kleinen Stäb¬ 
chen und mit Fäden und im vierten Fall außerdem auch mit kurzen Streptokokken ver¬ 
mischt. 


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Karl Loeff er 


kanntfich die Streptokokken gehören. Zangenmeister 92 fand sie im Munde 
in 62% der Fälle. 

Mit einer Gefahr, daß die Pyorrhoesekrete Veranlassung zu sekundären 
Infektionen geben, dürfte jedoch nach den erfolgten Darlegungen kaum zu 
rechnen sein. 

Ich komme nun zu den bakteriologischen Untersuchungen der Granulome. 
Mein Hauptaugenmerk galt natürlich auch hier wieder den Streptokokken. 
Und wenn man außer der eben betonten Tatsache, daß dieselben bei den 
meisten Menschen sich beständig im Munde finden, noch bedenkt, daß nach 
den neueren Forschungen sowohl die Karies des Schmelzes als auch des Den¬ 
tins durch Streptokokken verursacht ist <Kantorowicz 93 , Baumgartner 29 , 
Fleischmann 30 , Hilgers 31 , Sperling 94 ), und man sich vergegenwärtigt, 
daß diese Kettenkokken auch bei den verschiedensten Erkrankungen der 
Pulpa eine dominierende Rolle spielen <Sieberth 95 , Goadby 96 , Mayr¬ 
hofer 34 , Sommer 98 ), ja daß Kelsey" sie sogar in gesunden Pulpen nach¬ 
gewiesen hat, und man endlich in Betracht zieht, daß die meisten von den 
Zähnen ausgehenden Folgeerkrankungen wiederum durch Pulpitis und Perio¬ 
dontitis vermittelt werden und der Abszeßeiter ebenfalls Streptokokken ent¬ 
hält <Idmann 100 >, so erscheint von vornherein die Annahme, daß auch in 
den Granulomen sich solche vorfinden, logisch beinahe zwingend und berech¬ 
tigt zu sein. Kantorowicz 13 ist allerdings der Ansicht, daß die Mund- 
und Zahnstreptokokken eine so geringe Invasionskraft besäßen, daß sie 
„selten über die Pulpa hinausdringen und dies nur unter besonders für sie 
günstigen Bedingungen tun". Meist ende ihr Marsch am Foramen apikale. 
Eine nähere Begründung für diese Auffassung gibt dieser Autor allerdings 
nicht, und auf persönliche Anfrage teilt er mir mit, daß er das lediglich aus 
der Erfahrungstatsache schließe, daß die Hunderttausende von Pulpitiden 
doch nur selten von Periodontiden gefolgt werden. 

Wie schon eingangs erwähnt wurde, existieren bis jetzt keine eingehen¬ 
deren bakteriologischen Untersuchungen über die Granulome, wenigstens 
konnte ich in der Literatur nirgends etwas finden. Nur Partsch 35 bemerkt 
kurz, daß, da die Granulome ein Schlammfang sind für alles Material, das sich 
vom Munde aus im Wurzelkanal sammelt, es nicht wundemehmen dürfe, 
wenn sich zwischen der Granulationsfläche und dem Wurzelloch neben fei¬ 
neren Resten des Speisenmaterials „auch eine große Zahl der verschiedensten 
Bakterien vorfindet, namentlich gern Sproß- und Hefepilze". Und an einer 
anderen Stelle 44 sagt er: „Massenhaft sind im <Granulom-)Gewebe einge¬ 
bettete Hefepilze, mannigfaltige Mikroorganismen, auch lediglich als Fremd¬ 
körper wirkende Gebilde botanischer oder anderer Art zu treffen, kein Wunder, 
daß gelegentlich auch eitererregende Mikroorganismen sich im Granulations¬ 
gewebe ansiedeln." 

Um nun zunächst einmal ganz allgemein festzustellen, ob und in welchem 
Umfange tatsächlich Streptokokken in den Granulomen sich finden, machte 
ich von zehn Granulomen ohne Wahl, also sowohl von solchen, die reak¬ 
tionslos im Kiefer saßen, als auch von solchen, die wegen Schmerzen extra- 


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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 


247 


hiert wurden, Objektträgerpräparate, indem idi sie ohne jede Vorbereitung 
zerschnitt, das Innere teils mit Platinöse auskratzte, teils zerquetschte und 
dünn auf dem Objektträger zerrieb. Gefärbt wurden die Präparate nach 
Gram. Ihre mikroskopische Prüfung ergab Bakterien verschiedenster Art, meist 
dünne kurze, aber auch dicke Stäbchen, viel Diplokokken, aber auffallend selten 
und wenig Streptokokken auch bei den entzündeten Granulomen. Wenn ich 
mir nun auch sagte, daß die Diplokokken auch als eine Streptokokkenform 
aufgefaßt werden können, so war ich durch das Fehlen von Streptokokken 
in besonders stark entzündet gewesenen Granulomen doch überrascht, wes* 
halb ich von zwei solchen, die bei der Objektträgerprüfung für Streptokokken 
negativ waren, Kulturversuche in Ascites*BouiIlon und auf Agarplatten 
machte, wobei beide neben dem Befund von Einzelkokken und Diplokokken 
auch ein reichliches Wachstum von Streptokokken mit kurzer Ketten form er* 
gaben. Damit war erwiesen, daß die direkte Untersuchung auf dem Objekt* 
träger nicht genügt. Ich verwandte daher ausschließlich die kulturelle Unter* 
suchung. Es wurden unterschiedslos elf Granulome, die unter sterilen Kau* 
telen am Foramen von der Wurzel abgeschnitten wurden, in Ascites*Bouillon 
gebracht. Nach drei Tagen ergab die Prüfung des Ausstriches auf dem Ob* 
jektträger (Färbung nach Gram) für sechs Fälle tatsächlich den Nachweis von 
Streptokokken, es waren wiederum in der Hauptsache Diplokokken und kurze 
Ketten bis zu sechs oder acht Gliedern. Daraus ergab sich zunächst, daß die 
Ansicht von Kantorowicz, daß die Streptokokken des Wurzelkanals am 
Foramen apikale Halt machen, leider nicht begründet ist. Für meine Aufgabe 
war jedoch damit noch nichts gewonnen. Sie erforderte zunächst die Fest* 
Stellung, ob einerseits ein Unterschied des Streptokokkengehaltes in den reak* 
tionslos gewesenen, mit unversehrter Kapsel versehenen und den schmerz* 
haft gewesenen Granulomen besteht und ob andererseits ein Unterschied in 
der Lokalisation der Streptokokken zu erkennen ist, d. h., ob sie mehr in der 
Nähe des Foramens oder im Zentrum des Granuloms oder auf der äußeren 
Oberfläche der Kapselmembran sich befinden. Ich benutzte dazu sowohl das 
Kulturverfahren in Ascites*Bouillon und auf Agarplatten als auch die Schnitt* 
Untersuchung. Während nun letztere Art bezüglich Feststellung der Lage 
der Streptokokken keine besondere Schwierigkeit machte, galt es für das 
Kulturverfahren erst eine Methode ausfindig zu machen, die es ermöglicht, 
einwandfrei sagen zu können, daß die gewachsenen Keime auch tatsächlich 
nur aus dem Inneren des Granuloms oder von seiner äußeren Oberfläche 
stammen. Legt man nämlich z. B. ein am Foramen abgeschnittenes Granulom 
in Bouillon, so kann ein Wachstum sowohl von der Schnittfläche als auch 
von der äußeren Oberfläche stammen. Legt man aber die ganze Wurzel mit 
dem Granulom hinein, so können die wachsenden Keime auch von der perio* 
dontalen bzw. oralen Wurzeloberfläche oder aus dem Wurzelkanal stammen/ 
und zerschneidet man ohne weiteres ein Granulom, um zu erfahren, ob sein 
Inneres Bakterien enthält, so kann ein Wachstum auch von seiner Oberfläche 
ausgehen. Es mußte also die Vernichtung aller Keime mit Ausnahme der 
an der zu untersuchenden Lokalisation befindlichen zur Bedingung gemacht 


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248 


Karl Loeffler 


und zugleich dafür Sorge getragen werden, daß dabei die letztem nicht eben¬ 
falls getötet oder vital geschwächt wurden. Am nächsten lag nun der Ge¬ 
danke, die Granulome mit oder ohne Wurzel in ein Desinfiziens zu legen 
oder die für den betreffenden Fall auszuschaltenden Teile sonst irgendwie 
mit einem solchen keimfrei zu machen. Damit wäre jedoch die Gefahr ver¬ 
bunden, daß einmal die Wirkung eines solchen Desinfiziens sowohl durch 
Kapillarattraktion als auch durch Diffusion sämtliche Teile beeinflußte und 
von dem anhaftenden Rest des Desinfiziens dann auch das Nährmedium ge¬ 
schädigt würde. Als einzig brauchbare Methode erkannte ich daher das Ab¬ 
brennen, und zwar unter Verwendung des dazu von mir konstruierten Appa¬ 
rates <Fig. 18). Derselbe ist gewissermaßen eine Modifikation der früher ge¬ 
bräuchlich gewesenen Dochtscheren. Ich stellte ihn her aus einem etwa halb¬ 
kreissegmentförmigen Blech A, an das ich einen metallenen Mundspiegelgriff 
anlötete. An der Sehnenseite des Segmentes ist an der Unterfläche des 
Bleches ein Metallkästchen derart angebracht, daß nur die Hälfte seines nach 
oben offenen Lumens von dem Blech A bedeckt ist. An dieses Blech ist nun 
bei B ein zweites ähnlich geformtes Blech C durch eine Nietung befestigt, so 

s daß es, um den Nietstift be¬ 

weglich, über die freistehende 
Hälfte des Kästchens hin- 
weggeschoben werden kann. 
Bei a ist in dem Blech A ein 
seichter und bei b in dem 
Blech C ein tieferer halb¬ 
mondförmiger Hinschnitt. In diesen wird nun die Granulomwurzel direkt am 
Foramen eingeklemmt, so daß das Granulom unten in das Kästchen hinein¬ 
ragt und die Wurzel oberhalb der geschlossenen Blechteile steht, die mit einer 
Klemme (Büronadel) fixiert werden. In dieser Situation kann nun die Wurzel 
direkt in die Flamme gehalten und gründlich abgebrannt werden, wobei sie 
auch noch mit Brennspiritus benetzt werden kann, wenn der Apparat so 
gehalten wird, daß das Kästchen nach oben steht, um ein etwaiges Einlaufen 
des Spiritus zu verhüten. 

Bevor jedoch nun zu den eigentlichen Versuchen geschritten wurde, galt 
es erst nachzuweisen, daß einerseits ein solches Abbrennen zum Keimfrei¬ 
machen des ganzen freistehenden Wurzelteiles und andererseits der Kästchen¬ 
schutz zur Verhütung einer Schädigung des Granulomgewebes und der in 
ihm oder an ihm sitzenden Streptokokken genügt. Zum ersteren Zwecke wurden 
vierzehn Zähne bzw. Wurzeln mit verschiedenen Granulomen in der geschil¬ 
derten Art mit dem Apparat vorbehandelt, dann jeweils das Granulom an 
der Klemmstelle abgeschnitten, die Kavität bzw. das orale Ende der Wurzel 
und die etwas ausgebohrte Wurzelspitze mit Zement verschlossen, die Wurzel 
nochmals kurz durch die Flamme gezogen und in Ascites-Bouillon nach dem 
Brutschränke gebracht. Zehn von diesen Wurzeln blieben steril, und nur bei 
vieren entstand Wachstum, und zwar fanden sich in drei Fällen große, dicke, 
sporenbildende Stäbchen, die jedenfalls durch Verunreinigung beim Zement- 



Fig. 18 


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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis". 


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versdiluß hineinkamen, und nur in einem Fall wuchsen Kokken, aber keine 
Streptokokken. Damit war eigentlich schon bewiesen, daß ein solches Ab- 
brennen genügt, aber es wurde dies außerdem auch noch bestätigt durch 
einen Gegenversuch mit sechs Wurzeln, die ohne jede Vorbehandlung direkt 
nach der Extraktion in Ascites-Bouillon gelegt und bebrütet wurden. Bei 
allen sechs wuchsen kurze Streptokokken, und zwar bei zweien ausschließlich 
und bei vieren außerdem auch grampositive und -»negative Einzelkokken und 
gramnegative Stäbchen. Es wurde außerdem eine Wurzel mit Granulom, 
die in einer Kultur von Kokken und Stäbchen gelegen hatte, ebenso be- 
handelt und die vom Granulom getrennte Wurzel erzeugte in Ascites-Bouillon 
ebenfalls kein Wachstum. 

Daß aber durch dieses Abbrennen nun nicht auch das Granulom selbst 
beeinflußt werde, war von vornherein wahrscheinlich, da ja die Zahnsub¬ 
stanz ein recht schlechter Wärmeleiter ist. Kann man doch einen Zahn, an 
der Wurzelspitze mit den Fingern gefaßt, ganz gut so lange z. B. in eine 
Spiritusflamme halten, bis die Krone zu verkohlen beginnt, ohne daß der 
gehaltene Wurzelteil dabei merklich heiß würde. Trotzdem sollte es durch 
einen Versuch bestätigt werden. Es wurden zu diesem Zwecke sechs Wur¬ 
zeln mit vereiterten Granulomen in dem Apparat unter kräftiger Benetzung 
mit Spiritus abgebrannt, worauf sich zeigte, daß das äußere Aussehen der 
im Blechkästchen geschützten Granulome zunächst unverändert erhalten war. 
Diese würden dann mit aseptischer Schere abgeschnitten und in Ascites- 
Bouillonröhrchen nach dem Brutschränke gebracht. Bei sämtlichen erfolgte 
nach zwei Tagen Wachstum, und zwar bei fünf auch von Streptokokken. 

Somit war also erwiesen, daß die Abbrennmethode den zu stellenden Be¬ 
dingungen genügt und daher als Grundlage für die eigentlichen Versuche 
verwendet werden konnte. Ihnen lag nun folgender Leitgedanke zugrunde. 
Daß Streptokokken innerhalb von Granulomen und auch auf deren äußeren 
Kapselfläche Vorkommen, haben die bisherigen, mehr orientierenden Unter¬ 
suchungen genügend gezeigt. Wenn nun ein Granulom dem Körper als Schutz 
gegen dieselben dienen soll, so muß es irgendwie verhindern, daß die von ihm 
eingeschlossenen Keime an die äußere Oberfläche durchdringen. Je nachdem 
daher ein Streptokokkenbefund auf letzterer negativ oder positiv ist, wird 
auch die Schutzwirkung als im Kiefer vorhanden oder nicht bzw. nicht mehr 
vorhanden gewesen zu bezeichnen sein. Und sie wird um so sicherer sein, 
je weniger peripher die Keime innerhalb des Granuloms vorgedrungen sind, 
und somit am größten sein, wenn sie erst gar nicht in die eigentliche Gra¬ 
nulommasse selbst gelangt, sondern gleich in der Foramengegend festgehalten 
sind. Wenn sich nun zeigen sollte, daß solche Unterschiede mit einer gewissen 
Regelmäßigkeit mit einer bestimmten äußeren Abschlußform (ringsum solide 
gekapselt) der Granulome, ferner mit einem bestimmten Gewebszustand (ent¬ 
zündet oder nicht entzündet) oder mit dem Verhalten der Granulome im 
Kiefer (schmerzhaft oder reaktionslos) zusammenfallen, so müßten sich daraus 
auch Schlüsse zur Beurteilung des Schutzes der einzelnen Formen ziehen 
lassen. 


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Karl Loeffler 


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In diesem Sinne untersuchte ich nun zunächst die äußere Oberfläche von 
fünfzehn Granulomen auf Streptokokken. Durch sorgfältige Prüfung wurden 
dazu nur solche ausgewählt, die eine rings geschlossene Kapsel aufwiesen 
und bei der Extraktion in keiner Weise verletzt, losgerissen oder mit Mund' 
sekreten in Berührung gekommen waren. Auch wurden nur Granulome von 
einwurzeligen Zähnen verwendet, weil eine zweite Wurzelspitze die Unter« 
suchung hätte komplizieren und das Ergebnis unklar machen können. 

Die Granulom tragenden Zähne bzw. Wurzeln wurden nach der Extrak¬ 
tion bis zur Verarbeitung einzeln in sterilen Gläschen aufbewahrt, dann mit 
Hilfe des Apparates in der geschilderten Weise nach kräftiger Benetzung 
mit Spiritus direkt über der Gasflamme abgebrannt und, nachdem die Kronen« 
kavität bzw. der Wurzelkanal unter aseptischen Kautelen mit schnellhär* 
tendem Zement verschlossen war*, durch öffnen des Apparates in mit 
Ascites-Bouillon gefüllte Reagenzgläschen fallen gelassen. Der Übersichtlich« 
keit wegen füge ich die Protokollvermerke an. 


Lfd. 

Nr. 

1 

2 

3 

Arr, Abschluß» und 
gewebliche Zustandsform 
der Granulome 

Verhalten der 
Granulome 
im Kiefer 
vor der 
Extraktion 

Vorbehandlung 
und Kultur- 
verfahren 

i 

| Wachstum 

Verhalten 
der Strepto¬ 
kokken auf 
Blutagar 

kleinerbsengroßes 
Granulom von -f 1 
ringsum gekapselt, 
keine Spur von Ent¬ 
zündung. 

reaktions¬ 

los. 

nach 3 ständi¬ 
gem Aufbe¬ 
wahren in ste¬ 
rilem Glas be¬ 
handelt wie 
oben ange¬ 
geben. 
Ascites- 
Bouillon. 

nach 2, 4, 6, 10, 14 
Tagen keinerlei 
Wachstum. 


hanfkorngroßes, gut 
abgekapseltes Granu¬ 
lom B + mit unver¬ 
sehrter Membran, 
aber Entzündungs¬ 
herd durchscheinend. 

leichtes 

Un¬ 

behagen. 

nach 10 stän¬ 
diger Auf¬ 
bewahrung 
wie oben. 
Ascites- 
Bouillon. 

die ersten 3 Tage kein 
Wachstum, nach 4 
Tagen beinahe aus¬ 
schließlich Strepto¬ 
kokken mit kurzen 
Gliedern. 

winzige 
Kolonien 
und ver¬ 
grünend 

längliches, keine 
! pathologischen Ver¬ 
änderungen auf¬ 
weisendes Granulom, 
blaß aussehend. 

reaktions¬ 

los. 

1 

nach 2 Stunden 
wie vorher. 
Ascites- 
Bouillon. 

i 

14 Tage ohne jedes 
Wachstum, nachher 
Trübung und Zerfall 
des Gewebes mit 
kurzen Streptokokken. 

ver¬ 

grünend. 

4 

hanfkomgroßes, fest 

geringe 

sofort 

nach 2 Tagen kein 

ver¬ 


umkapseltes, an einer 

Schmerzen. 

wie vorher. 

Wachstum, nach 4 

grünend. 


Stelle gerötet aus¬ 


Ascites- 

Tagen Streptokokken 



sehendes 

1 

Bouillon. 

in Diploform und bis 



Granulom 2 +. 

I 


8 Glieder. 



• Ein auf reiner Glasplatte mit reinem Spatel angerührtes Zeraentkügelchen erwies sich 
beim Kulturversuch in Ascites-Bouillon als steril. 


Gck igle 


__ Original fföm __ _ 

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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 


251 


Lfd. 

Nr. 

Art, Abschluß* und 
gewebliche Zustandsfonn 
der Granulome 

j 

Verhalten der 
Granulome 
im Kiefer 
vor der 
Extraktion 

Vorbehandlung 
und Kultur- 
verfahren 

Wachstum 

Verhalten 
der Strepto¬ 
kokken auf 
Blutagar 

5 

hanf körn großes, all¬ 
seitig abgekapseltes 
Granulom von + 6 , 
keinerlei Ent¬ 
zündungsspur. 

reaktions¬ 

los. 

sofort 
wie vorher. 
Ascites- 
Bouillon. 

nach 2, 4, 6, 10, 14 
Tagen kein Wachs¬ 
tum. Späteres Ver¬ 
halten nicht verfolgt. 


6 

längliches, hanfkom- 
großes, solide gekap¬ 
seltes Granulom von 
s + blaß aussehend. 

reaktions- 

los. 

nach 

6 Stunden wie 
vorher. 
Ascites- 
Bouillon. 

nach 2,4,6,10,14 Ta¬ 
gen keinerlei Wachs¬ 
tum, später Trübung 
und Zerfall mit Strep¬ 
tokokken und gram¬ 
negative Stäbchen. 

ver¬ 

grünend. 

7 

erbsengroßes, blaß 
aussehendes Granu¬ 
lom von 3 -b mit 
glatter Kapsel. 

reaktions¬ 

los. 

nach 

8 Stunden wie 
vorher. 
Ascites- 
Bouillon. 

nach 2 Tagen wei߬ 
liche Flockenbildung 
an der Oberfläche : 
Gram -f sporen¬ 
bildende Stäbchen 
(jedenfalls nachträg¬ 
lich verunreinigt). 


8 

hanf komgroßes, rings 
gekapseltes Granu¬ 
lom, aber entzündet 
aussehende Stelle. 

schmerz¬ 

haft. 

nach 

5 Stunden wie 
oben. 
Ascites- 
Bouillon. 

nach 2 Tagen kein 
Wachstum, nach 3 
Tagen wenige Strep¬ 
tokokken von kurzer 
Form. 

ver¬ 

grünend. 

9 

kleinerbsengroßes, 
blasses Granulom von 
4 + mit dichter Kapsel. 

reaktions¬ 

los. 

nach 

1 Stunde wie 
vorher. 
Ascites- 
Bouillon. 

nach 2 und 3 Tagen 
keinerlei Wachstum, 
am 4. Tage Strepto¬ 
kokken (Diploform 
und kurze Ketten) ~ 
Cementverschluß am 
Kanaleingang war ge¬ 
lockert. 


10 

großstedtnadel kopf¬ 
großes, glattrandiges 
Granulom von 2 -f 
ohne Entzündungs¬ 
spuren. 

reaktions¬ 

los. 

nach 

6 Stunden wie 
vorher. 
Ascites- 
Bouillon. 

nach 2, 4, 6, 10, 14 
Tagen kein Wachs¬ 
tum, später Zerfall 
des Gewebes und 
Streptokokken. 


11 

hanfkorngroßes, 
blasses Granulom mit 
glattem Abschluß 
von 8 +. 

reaktions¬ 

los. 

j 

sofort 
wie oben. 
Ascites- 
Bouillon. 

nach 2 Tagen gram¬ 
negative Stäbchen und 
Einzelkokken, keine 
Streptokokken. 


12 1 

1 

kleinerbsengroßes 
Granulom von + 8 mit 
scheinbar intakter 
Kapsel. 

leicht 

schmerz¬ 

haft. 

sofort 
wie vorher. 
Ascites- 
Bouillon. 

nach 1 und 2 Tagen 
kein Wachstum> am 
3. Tage kurze Strepto¬ 
kokken u. vereinzelte 
grampositive Kokken. 

ver¬ 

grünend. 


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252 


Karl Loeffler 


Lfd. 

Nr. 

Art, Abschluß- und j 

gewebliche Zusrandsform j 
der Granulome 

! 

Verhaltender 
Granulome 
im Kiefer 
vor der 
Extraktion 

Vorbehandlung 
und Kultur- 
verfahren 

Wachstum 

Verhalten 
der Strepto¬ 
kokken auf 
Blutagar 

13 

i 

hanfkomgroßes, 
glattes Granulom mit 
geröteter Stelle. 

j schmerz- 
| haft. 

nach 2 Stunden 
wie vorher. 
Ascites- 
Bouillon. 

nach 2 Tagen beinah 
Reinkultur von kurzen 
Streptokokken und 
Diploform. 

ver¬ 

grünend. 

1 

14 

erbsengroßes läng¬ 
liches Granulom, 
scheinbar unverletzte 
Kapselwände, aber 
gerötet. 

sehr 

schmerz¬ 

haft. 

2 Stunden 
wie oben. 
Ascit es- 
Bouillon. 

1 

nach 2 Tagen Strepto¬ 
kokken, Gram -f 
Kokken und Gram — 
Stäbchen. 

^ ver- 

I grünend. 

15 

Stecknadel kopfgroßes 
Granulom mit un¬ 
versehrter Membran, 
aber flächenhaft ge¬ 
rötet. 

! schmerz- 1 
haft. 1 

sofort 
wie oben. 
Ascites- 
Bouillon. 

i 

i 

die beiden ersten Tage 
kein Wachstum, nach 

3 Tagen ausschlie߬ 
lich kurze Strepto¬ 
kokken. 



Bei diesen fünfzehn, mit ringsum geschlossener und äußerlich unversehrter 
Kapsel versehenen Granulomen erwies sich also die äußere Oberfläche von 
Nr. 1, 3, 5, 6 und 10 während der ersten vierzehn Tage als vollständig 
keimfrei. Das gleiche kann wohl auch von Nr. 7 angenommen werden,, 
denn die sporenbildenden Stäbchen kamen jedenfalls erst durch nachträgliche 
Verunreinigung hinein, und ebenso von Nr. 9, wo die Streptokokken jeden® 
falls nach Lockerung des Zementverschlusses aus dem Wurzelkanal stammten. 
Streptokokken fanden sich auch nicht bei Nr. 11. Es fällt nun zunächst auf, 
daß dies zugleich auch reaktionslos gewesene Granulome sind. Das ist um 
so bemerkenswerter, als die Nrn. 2, 4, 8, 12, 13, 14, 15, die ein Wachstum 
von Streptokokken lieferten, andererseits die gleichen sind, die wegen Schmerzen 
zur Extraktion Veranlassung gegeben hatten. Dieser Befund scheint mir für 
die Beurteilung unserer Frage von größter Bedeutung zu sein. Soweit nämlich 
die verhältnismäßig kleine Zahl der untersuchten Fälle einen Schluß zuläßt, 
könnte man daraus folgern, daß die äußere Oberfläche von solchen 
Granulomen, die von einer festen, unversehrten Kapsel rings 
umschlossen sind und sich im Kiefer ruhig verhalten, keim® bzw. 
streptokokkenfrei ist und solange bleibt, als nicht eine Schmerzen 
verursachende Entzündung eintritt. Man könnte das so erklären, daß 
etwaige im Inneren der Granulome sich entwickelnde Entzündungen keine 
Schmerzen machen, solange ihre Exsudate gering sind und wenig Drude auf 
das zudem nach allen Seiten ausdehnungsfähige Granulomgewebe ausüben 
und auch wieder resorbiert werden können, daß aber Schmerzen entstehen, 
wenn die Exsudate reichlicher werden und an einer oder der anderen, evtl, 
durch die von innen vordringende Entzündung veränderten Stelle der Kapsel¬ 
wand hindurchdringen, so daß es zur Sekretansammlung zwischen Granulom 
und dem starren Knochen kommt. Diese Schmerzen sind aber bekanntlich 


Gck igle 


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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 


253 


hier nie von jener Heftigkeit, die für die akuten Wurzelhautentzündungen 
typisch und bekanntlich dadurch bedingt sind, daß die entzündlichen Sekrete 
sich zwischen zwei starren Wänden ansammeln. 

Wenn nun aber bei den reaktionslos im Kiefer sitzenden Granulomen 
sich an der Oberfläche keine Streptokokken befinden, so können von hier 
aus auch keine durch Metastase nach dem übrigen Körper verschleppt werden, 
und wir könnten für diese Granulomart die Gefahr der Verursachung 
sekundärer Infektionen verneinen, falls man nicht an die noch weniger 
wahrscheinliche Möglichkeit der Verschleppung von Streptokokken aus ihrem 
Inneren auf dem physiologischen Wege der Lymphbahn denken sollte. Und 
wenn nur für schmerzhafte Granulome eine solche Gefahr als bestehend 
anzunehmen ist, so wäre damit jedem Menschen, der tote Zähne im Munde 
hat, in dem auftretenden Schmerz ein deutliches Signal gegeben, wann Gefahr 
für den Gesamtkörper im Anzug ist. Er hätte dann die Wahl, sich einer 
solchen auszusetzen oder durch zahnärztliche Hilfe die schmerzenden Zähne 
entfernen oder etwa durch Wurzelspitzenresektion konservierend unschädlich 
machen zu lassen. Sollten sich also meine Befunde bestätigen und die daraus 
gezogenen Schlüsse rechtfertigen lassen, so brauchte man nicht nach dem ame* 
rikanischen Rezepte die Gesamtheit der toten oder zu tötenden Zähne der 
Zange zu opfern. 

Der Umstand, daß ein Wachstum von Streptokokken langsam, gewöhnlich 
erst nach dem dritten Tage eintrat und Blutagarplatten durch deren winzige 
Kulturen vergrünt wurden, zeigt aber auch, daß wir es bei den Granulom- 
Streptokokken tatsächlich mit der weniger virulenten Viridansform zu tun 
haben. 

Die Versuche ergaben aber noch einen anderen wichtigen Befund. Von 
den ohne Wachstum gebliebenen Granulomen wurden Nr. 3, 6 und 10 in 
der noch nach vierzehn Tagen sterilen Ascites-Bouillon weiter auf bewahrt. 
Ungefähr in der dritten Woche zeigte sich Trübung der letzteren und Zerfall 
des Granulomgewebes, und eine erneute Ausstrichuntersuchung ergab nun¬ 
mehr auch Streptokokken. Das läßt darauf schließen, daß es nach dieser Zeit 
in dem Granulomgewebe durch die Diffusion der Bouillonflüssigkeit allmählich 
zu einer zellulären Auflockerung und Durchlässigkeit gekommen ist, so daß die 
durch das Granulom in Schranken gehaltenen Keime nach und nach die Kapsel 
durchwachsen und nach außen gelangen konnten. Es will mir scheinen, daß 
wir hierin eine gewisse Analogie sehen können zu einer im Kiefer unter Um¬ 
ständen eintretenden Degeneration des Granulomgewebes, infolge deren es 
seine Schutzkraft verlieren und das Erscheinen der Bakterien auf der äußeren 
Kapseloberfläche möglich werden kann, welchem Stadium ja die Granulome 
Nr. 2, 4, 8, 12 und 15 entsprechen. Es erscheint das um so wahrschein¬ 
licher, als ein solcher nachträglicher Zerfall und Streptokokkenbefund bei den 
auch innen als steril erkannten Granulomen nicht beobachtet wurde. Die 
diesbezüglichen Untersuchungen, die ich gleich besprechen will, basierten auf 
folgender Überlegung. Solange bei einem Granulom keine Streptokokken 
auf der äußeren Oberfläche sich befinden, kann offenbar von hier aus auch 


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TH 


254 Karl Loeffler 

keine Infektionsgefahr für den Gesamtkörper ausgehen, ebenso folgerichtig 
aber ist dann auch anzunehmen, daß entweder in seinem Inneren auch keine 
Streptokokken sind oder daß, falls welche vorhanden sind, sie durch die 
fibröse Kapsel nicht durchgelassen worden sind. Um hier einen Einblick zu 
bekommen, wählte ich wiederum reaktionslos gewesene, mit sichtlich unver¬ 
sehrter Kapsel versehene Granulome aus, deren Untersuchung zunächst 
wiederum durch das Kulturverfahren erfolgte. Sie wurden aseptisch am Fo» 
ramen abgeschnitten. Dadurch entstand jedoch eine neue Oberfläche, welche 
wegen des bekannten Kontaktes mit dem Foramen auf jeden Fall als bak¬ 
terienhaltig verdächtigt werden mußte. Es galt daher sowohl die Abschnitt¬ 
fläche einwandfrei zu sterilisieren und auch etwaige, nachträglich an die Ober¬ 
fläche gekommene Keime zu vernichten, jedoch so, daß dabei nicht auch die 
im Inneren befindlichen vernichtet oder für ein Wachstum unfähig gemacht 
wurden. Auch hierzu verwandte ich die Abbrennmethode. Die abgeschnit¬ 
tenen Granulome kamen zu dem Zweck in ein kleines Glasschälchen, dessen 
Boden nur soviel Alkohol enthielt, daß das Granulom allseitig benetzt wurde, 
und darin wurden sie sofort abgebrannt. Daß der Zweck damit auch hier 
erreicht wurde, zeigt die Tatsache, daß ein solches Granulom sich in Ascites- 
Bouillon als steril erwies, obgleich ein vorher von der Schnittfläche gemachtes 
Objektträgerpräparat einen Streptokokkenbefund ergeben hatte. Und daß 
andererseits durch das Abbrennen nicht auch die im Gewebe befindlichen 
Keime geschädigt oder gar vernichtet wurden, war von vornherein weniger 
zu befürchten, da einmal der Alkohol in der kurzen Zeit der Benetzung nur 
wenig in das Gewebe eindringen konnte und der etwa diffundierte durch 
das sofortige Abbrennen restlos unwirksam gemacht wurde, und dann es sich 
auch zeigte, daß ein so probeweise abgebranntes und aufgeschnittenes Gra¬ 
nulom innen ganz unverändert fleischig frisch aussah. Trotzdem hielt ich es 
für angezeigt, mich auch davon durch einen besonderen Versuch zu über¬ 
zeugen. Um mit Gewißheit ein streptokokkenhaltiges Granulom zu erhalten, 
habe ich ein solches künstlich infiziert. Seine Wurzel wurde kurz oberhalb 
des Kapselansatzes mit einem feinen Fissurenbohrer abgetrennt und der 
Wurzelkanal der Spitze derart erweitert, daß er für eine Injektionsnadel 
passierbar wurde. Dann spritzte ich durch das Foramen hindurch eine Strepto¬ 
kokkenkultur in das Gewebe und schnitt das Granulom ab. Ein vor dem 
Abbrennen von der Schnittfläche gemachter Abstrich war kulturell positiv, 
ein solcher nach dem Abbrennen negativ und der dann folgende Kulturversuch 
von dem abgebrannten aufgeschnittenen Granulom positiv. Damit war 
wiederum die Brauchbarkeit der Methode erwiesen und eine Unterlage für 
die Versuche gegeben. 

Nach der genannten Vorbereitung wurde also eine Anzahl entsprechen¬ 
der Granulome zerschnitten und in Ascites-Bouillon nach dem Brutschränke 
gebracht. 


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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 


255 


Nr. 

Art und Zustand 
des Granuloms 

Vorbehandlung und 
Kulturvcrsuch 

Wachstum innerhalb 
14 Tagen 

Zustand des 
Gewebes und 
Wachstum nach 

3 Wochen 

50 a 
u. b 

kleinerbsengroßes 
ganz geschlossenes 
Granulom von 6 4- 
ganz reaktiorislos 
undkeineSpurvon 
Entzündung. 

4 Stunden nach Extraktion 
im Schälchen abgebrannt, 
durch Transversalschnitt in 2 
Hälften zerlegt, wovon jede 
gesondert in Ascitesbouillon 
nach dem Brutschränke ver¬ 
bracht wurde. 

nach 2, 4, 8, 14 
Tagen überhaupt 
kein Wachstum. 

Gewebe 
unverändert 
Bouillon steril. 

50c 

hanfkorngroßes 
Granulom von 8 4- 
wie oben. 

3 Stunden nach Extraktion 
wie oben abgebrannt, in 
mehrere Teile zerschnitten, die 
sämtlich in 1 Reagenzglas in 
Ascitesbouillon zur 
Bebrütung kamen. 

nach 2 Tagen kein 
Wachstum, nach 

3 Tagen kurze 
Streptokokken. 

Gewebszerfall 
und dicker 
Bodensatz. 

50d 

hanfkorngroßes 
Granulom von 1 + 
wie oben. 

6 Stunden nach Extraktion 
wie vorher. 

nad) 2, 4, 8/ 14 
Tagen kein 
Wachstum. 

nicht weiter 
verfolgt. 

50 e 

kleinerbsengroßes 
Granulom von + 2 
wie oben. 

2 Stunden nach Extraktion 
wie vorher. 

nach 2, 4, 8, 14 
Tagen kein 
Wachstum. 

Gewebe 
unverändert 
Bouillon steril. 

50 

erbsengroßes 
Granulom von 4 -f 
wie oben. 

7 Stunden wie vorher. 

nach 2, 4, 8, 14 
Tagen kein 
Wachstum. 

nicht weiter 
beobachtet. 

50g 

i 

etwa hanfkorn¬ 
großes Granulom 
von -f- 1 wie oben. 

6 Stunden nach Extraktion 
erst die Wurzel durch direktes 
Halten über die Flamme ab¬ 
gebrannt, dann Granulom mit { 
Wurzel im Schälchen abge¬ 
brannt und zum Schluß abge¬ 
schnitten, so daß die Schnitt¬ 
fläche nicht sterilisiert wurde. 
Das zerschnittene Granulom 
in Ascitesbouillon bebrütet. 

nach 2 Tagen kein 
Wachstum, nach 

4 Tagen beinahe 
Reinkultur von 
Streptokokken. 

formlos in 
dickem Boden¬ 
satz einge¬ 
bettet. 

50 h 

halberbsengroßes 
Granulom von -f 4 
wie oben. 

sofort nach Extraktion wie 
bei 50 g. 

nach 1 Tag kein 
Wachstum, nach 3 
Tagen massenhaft 
Streptokokken 
vonkurzenKetten. 

formlos in 
dickem Boden¬ 
satz. 

50 i 

längliches klein- 
erbsengroßes 
Granulom von -f * 
wie oben. 

sofort nach Extraktion abge¬ 
schnitten und im Schälchen 
abgebrannt. Dann zer¬ 
schnitten, zerquetscht und in 
ein mit erstarrendem Ascites¬ 
agar gefülltes Reagenzglas 

nach 2, 4, 8, 14 
Tagen kein 
Wachstum, also 
weder aerob noch 
anaerob. 

1 


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256 


Karl Loeffler 


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Art und Zustand 

Vorbehandlung und 

Wachstum innerhalb 

Zustand des 
Gewebes und 

des Granuloms 

Kulturversuch 

14 Tagen 

Wachstum nach 

i 


3 Wochen. 


verbracht, so daß ein Teil der 
i Granulommasse am Boden 
; desselben, der andere an der 
Oberfläche des Agars sich 
lagerte. 

NB. Vor dem Abbrennen 
. wurde von der Trenn fläche 
| ein Abstrichpräparat ge- 
macht und auf dem Objekt« 
träger untersucht. 


50 k 

hanfkomgroßes 

9 Stunden nach Extraktion 

nach 2, 4, 8, 14 

Gewebe 


Granulom von -f 1 

wie bei 50 c. 

Tagen kein 

unverändert 


wie oben. 


Wachstum. 

Bouillon steril. 


vereinzelte 
Streptokokken in i 
kurzen Ketten. 


Nach dieser Versuchsreihe erwiesen sich also unter neun reaktionslos ge« 
wesenen, dicht abgekapselten Granulomen sechs als ebenfalls in ihrem Inneren 
streptokokkenfrei, und nur bei drei <Nr. 50 c, 50 g, 50 A) entstand ein Wachs« 
tum. Nun sind das gerade jene Fälle, bei denen die Trennfläche selbst durch Ab« 
brennen nicht steril gemacht war, es kann deshalb sehr wohl auch bei ihnen die 
eigentliche Masse des Granuloms keimfrei gewesen sein, und die Strepto¬ 
kokken konnten von der dem Foramen nahegelegenen Trennfläche stammen. 
Das ist sogar um so wahrscheinlicher, als bei Nr. 50 i ein Abstrich der Trenn¬ 
fläche vor dem Abbrennen einen Streptokokkenbefund ergab, während nach 
dem Abbrennen das zerschnittene Gewebe weder aerob noch anoerob Strepto¬ 
kokken wachsen ließ. Im ganzen spricht also diese Versuchsreihe dafür, daß 
bei reaktionslosen, rings geschlossenen Granulomen auch inner¬ 
halb des Gewebes keine Streptokokken sich befinden oder die 
Keime in der Umgebung des Foramens zurückgehalten werden. 
Wo sie aber, wie in Nr. 50c und evtl, auch in 50 g und 50 h, sich im Ge¬ 
webe um das Foramen herum oder innerhalb der Granulommasse 
auf halten, können wir annehmen, daß die fibröse Kapsel, solange sie nicht 
durch eine mit Schmerzen verbundene Entzündung verändert wird, für sie un¬ 
durchlässig ist. Und der Umstand, daß die sterilen Granulome auch nach 
längerer Zeit ihre gewebliche Form behielten <50 a und b, 50 e, 50 Ä>, während 
die infizierten in Zerfall gerieten, bestätigt offenbar meine bei der vorigen 
Reihe ausgesprochene Vermutung, daß der dort beobachtete nachträgliche 
Zerfall und Streptokokkenbefund bei solchen Granulomen, deren Oberfläche 
sich als keimfrei erwiesen hatte, dadurch zustande kam, daß die am Foramen 
lagernden oder in ihrer Hauptmasse eingeschlossenen Keime allmählich infolge 
Auflockerung des Gewebes vor- und die Kapselwand durchdringen konnten. 

Mit diesen Ergebnissen der Kulturversuche stimmen nun auch die der 
Schnittuntersuchungen überein, welche ebenfalls wieder von reaktionslos 



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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 


257 


gewesenen, mit fester Kapsel umschlossenen Granulomen gemacht wurden. Ge* 
härtet wurden sie mit Formol und Alkohol, eingebettet in Paraffin, und zwar 
mit der Wurzel, um sie besser in der gewünschten Richtung lagern zu können 
und beim Schneiden eine bessere Orientierung zu haben. Die Färbung erfolgte 
wiederum mit Eosinhämatoxylin. Die Schnittfuhrung war transversal, so daß 
bei jedem Schnitt sowohl die äußere Oberfläche der Kapsel und der ganze 
Breitendurchschnitt des Granuloms geprüft als auch festgestellt werden konnte, 
in welcher Entfernung vom Foramen sich etwaige Keime auf hielten. Bei keinem 
der fünf derartig untersuchten Granulome ließen sich jedoch Kokken überhaupt 
weder außen auf der Kapselfront noch in der bindegewebigen Hülle oder im 
Granulationsgewebe feststellen. Deutlich zu unterscheiden aber war das letz* 
tere von der ersteren durch das wirre Durcheinander der Zellen im Gegen* 
satz zu der reihenmäßigen Anordnung derselben in der fibrösen äußeren Schicht. 
Mit diesen meinen negativen Befunden stimmt auch das Ergebnis überein, 
das mir vom Pathologischen Institut der Universität Breslau über ein der* 
artiges dorthin gesandtes Granulom mitgeteilt wurde. „Trotz Anwendung 
verschiedener Färbungen gelang es nicht, Kokken irgendwo im Gewebe auf* 
zufinden." 

Erfolgt nun ein durch Schmerzen sich bemerkbar machendes Durchtreten 
von Bakterien durch die Granulomwand, so kann dies zu einem akuten 
Prozeß führen, der so verläuft wie die direkt entstehenden akuten Prozesse. 
In den meisten Fällen aber wird wohl auch dieser Infektionsreiz wiederum 
durch weitere Granulationswälle beantwortet und überwunden werden 
können. Es wird sich eben aus dem ringsgekapselten Granulom die andere 
Form entwickeln, bei der sich an der Reizungsstelle immer wieder neue Wälle 
von Granulationen vorlagern, die auch geringere Sekrete im Schach halten, 
bis sie dieselben mittels eines durch den Knochen gebohrten Fistelganges an 
eine äußere Oberfläche führen. 

Die Beantwortung der Frage nun, ob Streptokokken von dem hier in Be* 
tracht kommenden Viridanstypus, falls sie doch unter Umständen diese Granu* 
lationswälle durchbrechen und ins Blut kommen sollten, eine Gefährdung des 
Organismus durch sekundäre Infektionen verursachen können, wird erst mög* 
lieh sein nach endgültiger Entscheidung darüber, ob und inwieweit der durch 
einen primären Herd bedingte Zustand einer Bakteriämie immer auch eine 
sekundäre Erkrankung anderer Organe zur Folge hat. Daß darüber noch 
keineswegs einheitliche Auffassung herrscht, zeigte die Diskussion bei der 
diesjährigen 46. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zu 
Berlin. Während Lexer 102 z. B. es für erwiesen hält, daß die aus einem Bak* 
terienherd einmal ins Blut gekommenen Bakterien sich darin sowohl durch 
weiteres Zuströmen als auch aktiv vermehren, bezweifelt Schottmüller 102 das 
letztere. Er hält daran fest, daß subjektive oder objektive Krankheitserschei* 
nungen nur dann ausgelöst werden, wenn die von einem primären Herd ein* 
geschwemmten Bakterien konstant oder periodisch von der gleichen Quelle 
aus immer wieder von neuem einwandern. Ihm genügt also ein Befund von 
Bakterien im Blut noch nicht als Ktiterium für Sepsis, da die Keime durch 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 2 yj 


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258 


Karl Loeffler 


die bakteriziden Kräfte des Blutes vernichtet werden können, was um so 
leichter möglich ist, je weniger zahlreich und je abgeschwächter sie sind. Daß 
eine Bakteriämie unter Umständen überhaupt keine Bedeutung für irgend» 
eine Pathogenese zu haben braucht, davon habe ich mich selbst überzeugt. 
Ich hatte Gelegenheit, im Blutbilde zweier Puerperae Streptokokken zu sehen, 
ohne daß Puerperalfieber entstand, noch sonstwie eine Krankheit vorhanden 
war oder auftrat. Nun ist von verschiedenen Seiten, z. B. von E. Weil 10 *, 
nachgewiesen worden, daß der Streptokokkus viridans eine ganz besonders 
geringe Widerstandskraft besitzt, weshalb ihn Jungmann 101 sogar als eine 
„Etappe auf dem Wege der Vernichtung" bezeichnet. Salus 105 hat auch 
festgestellt, daß eingeimpfte Viridanskeime abgetötet werden, und zwar nicht 
nur im Patientenblut, sondern auch im normalen Menschen» und Kaninchen» 
blute, so daß von verschiedenen Seiten geraten wird, zu ihren Kulturen nur 
verdünntes Blut zu nehmen. Und wenn außerdem Kuczynski 106 durch Ver» 
suche gezeigt hat, daß diese Bakterizidie bei den an Sepsis lenta Kranken be» 
sonders groß ist, so müßte dies bei Personen, deren infizierte Zähne nach ameri» 
kanischer Auffassung ständig Streptokokken an den Körper abgeben, auch der 
Fall sein. Alles dieses berechtigt zu der Annahme, daß der Körper sich gegen 
die etwa aus den Granulomen und Granulationen vordringenden Viridans» 
Streptokokken ebenso mit Erfolg immunisatorisch behauptet, wie Schott» 
müller* 6 es bei den von ihm beobachteten Fällen von Endokarditis lenta be» 
richtet. Er beobachtete nicht ein einziges Mal auf embolistischem Wege die 
Erkrankung anderer Organe, obgleich der Streptokokkus viridans sogar in 
„größerer Anzahl" das Blutgefäßsystem durchkreiste. Ja wir können das um 
so mehr annehmen, als wir den aus dem Mundgebiet stammenden Strepto¬ 
kokken, die ja unter dem Einfluß der der Mundimmunität zugrunde liegen¬ 
den Faktoren gestanden haben, eine noch viel geringere Widerstandskraft 
zuschreiben können. Nach alledem können wir sagen, daß die Amerikaner 
die von den Zähnen möglicherweise ausgehende Infektionsgefahr stark über¬ 
trieben haben und daß die von ihnen propagierte, auf eine radikale Zahn¬ 
ausrottung hinauslaufende Praxis, abgesehen davon, daß wir noch andere 
therapeutische Mittel haben, als ungerechtfertigt anzusehen ist. 

Das Ergebnis meiner gesamten Ausführungen kann also, wie folgt, zu¬ 
sammengefasst werden: 

Das Granulationsgewebe in der Zahnalveole — die Wurzelgranulome 
und die paradentalen Granulationen ~ bildet nicht nur ein wichtiges kausales 
Moment für die relative Immunität der Mundgewebe, sondern es liefert auch 
geeignetes Material zur Prüfung der angeblich durch „Mundhöhlensepsis" 
verursachten sekundären Infektionsgefahren und außerdem den richtigen 
Schlüssel zum Verständnis der mit seinem paradentalen Auftreten in Ver¬ 
bindung stehenden „Alveolarpyorrhoe". Den Grund, weshalb man diese 
Zusammenhänge bisher zu wenig oder gar nicht erkannte, sehe ich darin, 
daß man bei ihrem Studium nicht von einer großen, auch die analogen Vor¬ 
gänge am übrigen Körper umfassenden Betrachtungsbasis ausging. Eine 
solche sehe ich in der Bedeutung der epithelialen Oberflächenkontinuität und 


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Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 259 

in den Folgen ihrer Unterbrechung. Ich betone dabei besonders zwei große 
allgemeine Gesetze. 

1. Das Oberflächenepithel hat hauptsächlich die physiologische Aufgabe, die 
inneren Gewebe zu bedecken und zu schützen, und der Gefäßbindegewebeapparat 
unter anderem die Bestimmung, nach Eintritt einer irgendwie gearteten Unter¬ 
brechung dieser Epithelkontinuität bis zur Herstellung des Epithelersatzes und 
gegen die eingedrungene Noxe, sofern diese durch ihren Einfluß die binde¬ 
gewebige Reaktion nicht überhaupt unmöglich macht, den Schutz zu über¬ 
nehmen. Im Munde fällt diese epitheliale Aufgabe dem Zahnschmelz als 
Abschnitt der Epitheldedte in gleicher Weise zu wie dem Schleimhautepithel. 
Er kann sie jedoch, obwohl genetisch gleich, reparatorisch nicht erfüllen, weil 
er die erforderlichen biologischen Kräfte verloren hat. Das Mundepithel muß 
daher allein in Aktion treten, und zwar unter Umgehung des inaktiven Zahnes. 
Die Mobilisation des Bindegewebes erfolgt auf dem Wege einer verschieden- 
gradigen Metaplasie in Keimgewebe. Das Granulationsgewebe ist nur eine 
bestimmte Gruppierung und Formation der mobilisierten Zellelemente des 
Bindegewebes. Durch Einfügung des Zahnes in die Mundschleimhaut werden 
physiologische Verhältnisse bedingt, für die es am ganzen Körper keine Ana¬ 
logie gibt, und deshalb kennen wir auch zu dem sich entwickelnden patho¬ 
logischen Bilde <Alveolarpyorrhoe> kein sein Erkennen unterstützendes patho¬ 
logisches Korrelat. 

Als reaktionsfähiges Substrat kommt in der Zahnalveole nur die Wurzel¬ 
haut in Betracht. Ihre apikalen und paradentalen Granulationen 
sind Produkte der bindegewebigen Schutz- und Abwehrreak¬ 
tion an der durch eine tote Wurzelspitze repräsentierten dauern¬ 
den Epithellücke bzw. an der chronisch gereizten Ansatzstelle 
des Mundepithels am Zahn. Sie sind nur typische Beispiele 
von Oberflächengranulationen und von Abkapselungen, unter¬ 
scheiden sich also nach Genese, Wesen und Wirkung weder unter 
sich noch von den sonstigen bindegewebigen Reaktionsformen 
Entzündlichen Infiltrationen, Wundgranulationen, Demarkationswällen, osteo» 
phytischen Verdickungen usw>. 

2. Normalerweise ist die Inanspruchnahme des Bindegewebes beschränkt so¬ 
wohl zeitlich als auch bezüglich des Umfanges seiner Beteiligung. Wird sie 
aber durch Verzögerung oder durch Unmöglichwerden des Epithelisierungs¬ 
prozesses bzw. der Ausschaltung der tiefer wirkenden Noxe gewissermaßen 
pathologisch verlängert, und wird damit die granulomatöse Metaplasie auf grö¬ 
ßere Teile des Gefäßbindegewebeapparates eines Organes ausgedehnt, so kann 
es zum Verlust der normalen spezifischen histologischen Struktur dieses 
ganzen Organes kommen, besonders wenn es von geringem Umfang ist, und 
daraus eine Störung oder der Verlust der Organfunktion resultieren. Dafür 
bildet die „Alveolarpyorrhoe" das charakteristischste Prototyp. Sie ist in 
ihrem Wesen die Folge des Ausfalls der Organfunktion <ligamen- 
töser Halteapparat und Matrix des Zementes und des alveolären Knochens) 
der Wurzelhaut, verursacht durch die dauernde Inanspruchnahme ihrer 

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Karl Loeffler 


Abwehrfunktion gegen chronische, in die Tiefe dringende Irritationen oder 
Entzündungen der dem Zahnhals anliegenden Weichgewebe. Sie ist also keine 
primäre Zahnkrankheit, sondern sie ist als ein im periodontalen Substrat 
erfolgendes In-die-Tiefe-Dringen einer chronischen Mundkrankheit zu be¬ 
zeichnen. Sie entsteht nicht im Anschluß an akute und nur im An¬ 
schluß an paradentale Prozesse, und zwar letzteres deshalb, weil die 
Epithellücke am toten Apex unter anderem nicht von vitalen Oberflächen¬ 
epithelenden begrenzt ist. Und sie muß sich paradcntal apikalwärts ent¬ 
wickeln p weil nur ein reaktionsfähiges Epithelende , das orale, vorhanden 
und außerdem diesem durch die anatomischen Verhältnisse nur ein Weg , der 
in die Alveole hinein , gewiesen ist. 

Alles andere, auch der Eiter, gehört nicht zu ihrem Wesen, besonders ist 
sie auch nicht ausschließlich bakteriell bedingt. 

Die Bedeutung des gesamten Granulationsgewebes in der Zahnalveole liegt 
also in dem Schulz des Organismus gegen die aus einer chronisch oder dauernd 
bestehenden Unterbrechung der Epithelkontinuität sich ergebenden < Infeklions -) 
Gefahren. 

Da dieser Schutz paradental bis jetzt kaum erkannt oder nicht genügend 
betont und apikal neuerdings besonders auf Grund der amerikanischen 
Theorie der „Sepsis oral" nicht nur stark bezweifelt und bestritten worden 
ist, sondern die Granulome sogar als HauptqueHe für sekundäre Infektionen 
hingestellt werden, so galten seiner Prüfung meine bakteriologischen Unter¬ 
suchungen, als deren wichtigstes Ergebnis ich folgendes feststelle: 

1. Die paradentalen Granulationen sind nicht, wie man bis vor kurzem 
allgemein annahm, bis in die Markräume der Alveolen hinein mit „pyogenen 
Elementen durchsetzt", sondern die Bakterien sind nur ihrer Oberfläche 
angelagert. Diese Granulationen sind als für Bakterien undurchlässig zu 
betrachten, und damit ist ihre Mithilfe an dem Zustandekommen der Mund¬ 
immunität und ihr Schutz gegen sekundäre Infektionen erwiesen. 

Zu diesen Untersuchungen verwandte ich ausschließlich Schnittpräparate, 
die ich von Pyorrhoegranulationen angefertigt hatte. 

2. Durch allseitig gekapselte Granulome werden, solange sie sich reaktionslos 
im Kiefer verhalten, die Bakterien — die von mir gefundenen Streptokokken 
gehören ausnahmslos dem Viridanstypus an — in Schranken gehalten. Der 
Eintritt der Durchlässigkeit des Granulomgewebes erfolgt nicht symptomlos, 
sondern wird durch Schmerzen signalisiert. Reaktionslos sich verhaltende, 
granulomtragende Zähne können daher als ungefährlich angesehen werden. 

3. Auch nach erfolgtem Durchdringen von Streptokokken durch die Kapsel¬ 
wand und bei den von vornherein nicht allseitig gekapselten Granulomen 
überhaupt, zu welchen die ersteren, falls es nicht zu einem akuten Prozeß 
kommt, sich dann entwickeln, ist eine Gefahr für den Organismus nicht wahr¬ 
scheinlich. Das ganze Wesen der Granulationsvorgänge spricht dafür, daß 
dieser Infektionsreiz dann immer wieder durch die vor ihm neu entstehenden 
Granulationen <die oft langgestreckten Granulationsgebilde, die schließlich die 
Fistelgangauskleidungen darstellen) beantwortet und in der gleichen Art wie 


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Ober die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis“ 


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paradental überwunden wird. Außerdem trifft die an anderen Körperteilen 
erwiesene Tatsache, daß die Viridansstreptokokken ganz besonders leicht der 
Bakterizidie des Blutes erliegen, sicher erst recht für die hier in Betracht kom- 
inenden zu, weil sie aus der Immunitätszone des Mundes stammen und 
unter dem Einfluß der der Immunität zugrunde liegenden Faktoren als ganz 
besonders wenig widerstandsfähig geworden anzusehen sind. 

Für die Praxis ergibt sich daraus, daß die von den Amerikanern propa¬ 
gierte radikale Zahnausrottung nicht begründet ist. 

Die Untersuchung der Granulome wurde kulturell und an Schnitten ge¬ 
macht, letztere bestätigten die Ergebnisse der ersteren. Zum Kulturverfahren 
wurde eine Abbrennmethode verwandt, durch die es mit Hilfe eines beson¬ 
ders dazu konstruierten Apparates gelang, die Keime sicher — die verschie¬ 
densten Probeversuche bewiesen es — an der jeweils nicht zu untersuchenden 
Lokalisation auszuschalten, ohne die an der zu untersuchenden Stelle eben¬ 
falls zu vernichten oder für ein Kulturwachstum auch nur ungünstig zu be¬ 
einflussen. 


LITERATURVERZEICHNIS 

1. Miller: Die Mikroorganismen der Mundhöhle, Leipzig 1892. Verlag Georg Thieme. 

2. Pane und D'Agathe: il Policlinico 1912 vom 10. März, referiert in Münch. Med. 
Wochenschrift 1912, S. 1061. 

3. von Kaczorowski: Der ätiologische Zusammenhang zwischen Entzündung des 
Zahnfleisches und anderweitiger Erkrankungen. Deutsche Med. Wochenschrift 1885, 
Nr. 33, 34 und 35. 

4. M. Fischer (Cincinnati): Infektionen der Mundhöhle und Allgemeinerkrankungen. 
Deutsche Ausgabe von M. Handowsky, Dresden 1921. Verlag von TheodorSteinkopfF. 

5. H. Allaeys: De l'infection focale buccale et de ses influences eloignees. Revue 
Beige de Stomatologie 1921, Heft 4 und 5. 

6. siehe 4, Seite 14. 

7. William Hunter: An andress on the Röle of Sepsis and Antisepsis in Medicine. 
The Lancet January 14, 1911. 

8. siehe 3. 

9. Paßler: Über Beziehungen septischer Krankheitszustände zu chronischen Infektionen 
der Mundhöhle. 26. Kongreß fär innere Medizin 1909, S. 321. 

10. Päßler: Die chronischen Infektionen im Bereiche der Mundhöhle und der Krieg, 
insbesondere ihre Bedeutung für die Wehrfähigkeit und für die Beurteilung von Renten¬ 
ansprüchen. Therapie der Gegenwart 1915, Heft 10 und 11. 

11. Landgraf: Über Zähne als Ursache kryptogenetischer Sepsis. Internat. Zahnärzte- 
Kongreß Berlin 1909. Bd. II, S. 217. 

12. Matthes: 30. Kongreß für innere Medizin 1913. 

13. Loos: Miiitärzahnpflege. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde 1915, Heft 5. 

14. Ho'lfelder: Ärztliche Reiseeindrüdce aus den Vereinigten Staaten von Nord¬ 
amerika. Klinische Wochenschrift 1922, Nr. 11. 

15. Gysi: Die Zahnkaries, deren Vorbeugung und die Folgen ihrer Vernachlässigung. 
Schweizerische Vierteljahrschrift für Zahnheilkunde 1921, Heft 1. 

16. O. T. Osborne zitiert nach Gysi <15>. 

17. E. Antonius und A. Czepa: Über die Bedeutung infektiöser Prozesse an den 
Zahnwurzeln für die Entstehung innerer Krankheiten. Wiener Archiv für innere Medi¬ 
zin II. Bd. 1921. 


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Karl Loeffler 


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18. R. Schnitzer und F. Munter: Ober Zustandsänderungen der Streptokokken im 
Tierkörper. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. 93, 1921, S. 16 und 
Bd. 94, S. 107 (Literatur). 

19. Morgenroth: Berliner Mikrobiologische Gesellschaft, Sitzung vom 8. März 1922. 
Referat in der klinischen Wochenschrift 1922, Nr. 15. 

20. Mönckeberg: Infektionen der Mundhöhle und Allgemeinerkrankungen. Deutsche 
Zahnärztl. Wochenschrift 1922, Nr. 26. 

21. E. C. Rosenow: zitiert nach Fischer (4) und nach Allaeys <5>. 

22. Hartzell und Henrici: zitiert nach Allaeys <5> und Weiser (24). 

23. Guthrie Mc. Connel: Herdinfektionen und Gewebsspeziflrät. The Journal of 
the National Dental Association 1920. Bd. VII, Heft 9. Referat in Zahnärztl. Rund' 
schau 1921, Nr. 7. 

24. R. Weiser: Welche Rolle spielen kranke Zähne als Eingangspforte für die Erreger von 
allgemeinen Erkrankungen des Körpers. Zeitschrift für Stomatologie 1921, Heft 12. 

25. Kuczynski: Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. Bd. 92, 1921. 

26. Schottmüller: Ober den angeblichen Zusammenhang zwischen Infektionen der 
Zähne und Allgemeinerkrankungen. Deutsche Med. Wochenschrift 1922, Nr. 6. 

27. Lubarsch: Der heutige Stand der Geschwulstforschung. Klin. Wochenschrift 1922, S. 1083. 

28. Kuczynski: Vergleichende Untersuchungen über die Pathologie der Abwehr¬ 
leistungen. Virchows Archiv, Bd. 234, Heft 2/3, S. 300. 

29. Baumgartner: Die Zahnkaries — eine Streptomykose. Wiener kl. Wochenschrift 
1913, Nr. 5. 

30. L. Fleisch mann: Zur Pathogenese der Zahnkaries. Zeitschrift für Stomatologie 
1921, Heft 3. 

31. Hilgers: Die Streptokokken der Zahnkaries. Deutsche Monatschrift für Zahnheil- 
kunde 1921, Heft 12. 

32. Bimstein: Die zahnärztlich-orthopädische Behandlung der Kiefer verletzten. Deutsche 
Zahnheilkunde in Vorträgen. Heft 39, S. 3. 

33. Sicher: 'Lebensbedrohende Komplikationen und Zufälle in der Zahnheilkunde und 
deren Therapie. Zeitschrift für Stomatologie 1921, Heft 2. 

34. Mayrhofer: Prinzipien einer rationellen Therapie der Pulpagangrän. Jena 1909 
Erg. Heft 1910. 

35. Partsch: Die chirurgischen Krankheiten der Mundhöhle, der Zähne und Kiefer 
1917, S. 442. 

36. Preiswerk: Zahnheilkunde, München 1903. Lehmanns Handatlanten. 

37. Spitzer: Zur Klinik und Therapie der Sch leimhaut tuberkulöse. Österreich.-Ungar. 
Vierteljahrschrift für Zahnheilkunde 1916. Heft 3—4, S. 260. 

38. Levinstein: Diphtherie im Anschluß an Tonsillotomie,- Archiv für Laryngologic 
1909, Bd. 22. 

39. von Hajek: Immunbiologie — Disposition und Konstitutionsforschung — Tuber¬ 
kulose 1921. Berlin, Julius Springer. 

40. Miller: Die Immunität der Mundhöhle gegenüber parasitären Einflüssert. Deutsche 
Monatschrift für Zahnheilkunde 1903, Heft 1. 

41. Michel: Die Mundflüssigkeit und ihr Einfluß auf die in der Mundhöhle ablaufen¬ 
den pathologischen Vorgänge. Deutsche Zahnheilkunde in Vortiägen, 1909, Heft 10. 

42. Gottlieb und Sicher: Ober die Rolle des Speichels bei der Heilung von Wun* 
den in der Mundhöhle. Österreich.-Ungar. Vierteljahrschrift für Zahnheilkunde 1903, 
Heft 4, S. 460. 

43. O. Fleischmann: Die physiologische Bedeutung des adenoiden Gewebes. Deutsche 
Med. Wochenschrift 1921, Nr. 32. 

44. Partsch: Die chronische Wurzelhautentzündung. Deutsche Zahnheilkunde in Vor¬ 
trägen, Heft 6. 

45. Dependorf: Zur Pathogenese der Zahnwurzelzysten. Deutsche Monatschrift für 
Zahnheilkunde 1912, Heft 11. 

46. Pordes: Die Periodontitis im Röntgenbilde. Zeitschrift für Stomatologie 1921, Heft 4 


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Ober die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlensepsis" 263 

47. ProeiI: Mikroskopie der Granulome und Zysten. Deutsche Monatschrift für Zahn« 
heilkunde 1921. 

48. Melchior: Zur Lehre von der ruhenden Infektion mit besonderer Berücksichtigung der 
Kriegschirurgie. Sammlung klinischer Vorträge von Volkmann, Chirurgie Nr. 207/208. 

49. Reinhardt: Über Latenz von Bakterien bei Kriegsverwundungen. Münchner Med. 
Wochenschrift 1916, Nr. 36. 

50. Partsch siehe 31, S. 151. 

51. Rumpel: Histopathologische Studien über ZahngRnulome. Internat, zahnärztl. 
Kongreß Berlin 1909, Bd. 1. 

52. Kuczynski siehe 28. 

53. Königer: Arbeiten aus dem Leipziger Pathologischen Institut 1903, Heft 2. 

54. Da Fano zitiert nach Kuczynski <28>. 

55. Afanassieff: Ober die Bedeutung des Granulationsgewebes bei der Infektion von 
Wunden. Zieglers Beiträge zur pathol. Anatomie, Bd. 22, S. 11. 

56. Schede: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 1915, S. 617. 

57. Melchior und Rosenthal: Berliner Klinische Wochenschrift 1920, Nr. 13. 

58. Sch mauß: Pathologische Anatomie. 9. Auflage 1910, S. 140. 

59. B(essing: Pyorrhoea alveolaris. Pfaffsche Sammlung von Vorträgen aus dem Ge« 

. biete der Zahnheilkunde, Leipzig 1911, Heft 5 und 6. 

60. Gott lieb: Ätiologie und Prophylaxe der Zahnkaries. Zeitschrift für Stomatologie 
1921, Heft 3. 

61. Klinkert: Entzündung, allergische Immunität und Anaphylaxie. Klinische Wochen¬ 
schrift 1922, Nr. 14. 

62. Borst: Zieglers Beiträge zur pathol. Anatomie, Bd. 63. 

63. Gott lieb und Fleischmann: Beiträge zur Histologie und Pathologie der AU 
veolarpyorrhoe. Zeitschrift für Stomatologie 1920, Heft 2. 

64. Gottlieb: Alveolarpyorrhoe, Tijdschrift voor Tandhelkunde 1921, Heft 6. 

65. Weski: Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferchirurgie. 
Vierteljahrschrift für Zahnheilkunde 1921, Heft 1. 

66. Gott lieb: Histologische Untersuchungen einer geheilten Zahnftaktur. Zeitschrift 
für Stomatologie 1922, Heft 5. 

67. Tal bot: Interstitialgingivitis or so called Pyorrhoea alveolaris, Toledo 1913. 

68. Seitz: Die Bakteriologie der Alveolarpyorrhoe. Deutsche Monatschrift für Zahn¬ 
heilkunde 1921, Heft 2. 

69. Kolle: Spirochätenbefunde und Salvarsan bei Alveolarpyorrhoe. Mcdiz. Klinik 
1917, Nr. 3. 

70. Beyer: Die Alveolarpyorrhoe als lokale Spirochätose der Mundhöhle 1919. Verlag 
Georg Thieme. 

71. Zilz: Ober die lokale Salvarsanbehandlung mit besonderer Berücksichtigung der 
Spirochätenerkrankungen im Bereiche der Mundhöhle. Münchner Mediz. Wochenschrift 
1912, Nr. 1. 

72. Adloff: Betrachtungen zu den Arbeiten Fleischmanns und Gottliebs über 
die Ätiologie der Alveolarpyorrhoe. Vierteljahrschrift für Zahnheilkunde 1922, 
Heft 2. 

73. Rost: Chronische Entzündungen des Kniegelenkes nach Verletzungen. Klinische 
Wochenschrift 1922, Nr. 16. S. 774. 

74. Günther:* Die Erkrankungen des Zahnfleisches und der Wurzelhaut. Diss. Frank¬ 
furt 1922. 

75. Althaus: Erkrankungen des Zahnfleisches und der Papille. Diss. Frankfurt 1920. 

76. Römer: Periodontitis und Periostitis alveolaris in Scheffs Handbuch 1909, Bd. II, 
S. 642. 

77. Sachs: Über die Ätiologie und Therapie der Pyorrhoea alveolaris. Deutsche Zahn¬ 
heilkunde in Vorträgen, Heft 17, S. 18. 

78. Shmamine: Das sekundäre Zement. Deutsche Zahnheilkunde in Vorträgen. 
Heft 13. 


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264 Karl Loeffler: Über die relative Mundimmunität und die „Mundhöhlen sepsis" 


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79. Siegmund: Das Epithel in Zahnwurzetgranulomen und verwandten Neubildungen. 
Medizinische wissenschaftl. Gesellschaft der Universität Köln. Sitzung vom 13. Jan. 1922. 
Ref. Kl. Wochenschrift 1922 Nr. 13, S. 658. 

80. Gott lieb: Zur Ätiologie und Therapie der Alveolarpyorrhoe. Zeitschrift für Stoma* 
tologie 1920, Heft 2. 

81. Greve: Alveolarpyorrhoe. Jahreskurse für ärztliche Fortbildung 1919. 

82. Bail: Problem der bakteriellen Infektion 1911. 

83. Widmann (Stockholm) zitiert nach Neumann 84. 

84. Neumann: Die radikal-chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe. Vierteljahrs¬ 
schrift für Zahnheilkunde 1922, Heft 2. 

85. L. Fleisch mann: Ober Komplikationen der Alveolarpyorrhoe. Österreich.-Un- 
gar. Vierteljahrschrift für Zahnheilkunde 1911, Heft 7. 

86. Hartzell zitiert nach Landgraf <11>. 

87. Hille: Zur Kenntnis der Alveolarpyorrhoe. Deutsche Monatschrift für Zahnheil¬ 
kunde 1921, Heft 10. 

88. Galippe \ 

89. Rygge > zitiert nach Blessing <91>. 

90. Carmlt-Jones J 

91. Blessing: Zur Bakteriologie und antibakteriellen Therapie der Pyorrhoea alveolaris. 
Pfaffsche Sammlung von Vorträgen aus dem Gebiete der Zahnheilkunde, Heft 6. 
Blessing: Beitrag zur Ätiologie der Alveolarpyorrhoe. Deutsche Monatschrift für 
Zahnheilkunde 1917, Heft 1. 

92. Zangenmeister: Ober die Verbreitung der Streptokokken im Hinblick auf ihre 
hämolytischen Eigenschaften. Münch. Medizinische Wochenschrift 1910, Nr. 24, S. 1270. 

93. Kantorowicz: Bakteriologische und histologische Studien über die Karies des Den¬ 
tins. Deutsche Zahnheilkunde in Vorträgen, Heft 21. 

94. Sperling: Der Streptokokkus lacticus (Kruse) in seiner Beziehung zur Zahn¬ 
karies. Deutsche Monatschrift für Zahnheilkunde 1922, Heft 5. 

95. Sieberth: Die Mikroorganismen der kranken Zahnpulpa. Inaug. Diss. Erlangen 1900. 

96. Goadby zitiert nach Sommer (98). 

97. Baume: Atrophia alveolaris praecox und Pyorrhoea alveolaris. Scheffs Hand¬ 
buch, 2. Auflage. 

98. Sommer: Beiträge zur Bakteriologie der infizierten, nekrotischen Pulpa mit Berück¬ 
sichtigung der anaeroben Bakterien bei Gangrän. Deutsche Monatschrift für Zahn¬ 
heilkunde 1915, Heft 7. 

99. Kelsey: Bakteriologie der Zahnpulpa. Revue trimestrielle Suisse d'Odontologie 
.1920, Nr. 3. 

100. Idmann zitiert nach Blessing (91). 

101. Port und Euler: Lehrbuch der Zahnheilkunde. 

102. Lexer 1 46. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zu Ber- 

Schottmüller J lin, 19 -22. IV. 1922. Deutsche Mcdiz. Wochenschrift 1922 Nr. 22. 

103. E. Weil: Ober das Verhalten der Streptokokken im strömenden Blute bei Kanin¬ 
chen. Zeitschrift für Hygiene, Bd. 68, S. 363. 

104. Jungmann: Klinik und Pathogenese der Streptokokken-Endokarditis. Deutsche 
Mediz. Wochenschrift 1921, Nr. 18. 

105. Salus: Streptokokkus viridans bei Endokarditis lenta (benigna). Mediz. Klinik 
1920, S. 1007. 

106. Kuczynski: Untersuchung über die Ernährung, Rassenbildung und Immunität 
bei Streptokokken in ihren Zusammenhängen. Kl. Wochenschrift 1922, Nr. 28. 



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BUCHBESPRECHUNGEN 


Untersuchungen über das Empfindungsvermögen des Dentins. Von Dr. Hans 
Türkheim in Hamburg. Mit 2 Figuren im Text. Ergebnisse der gesamten Zahn- 
heilkunde <V. Jahrg., Heft 3/4. 

Es soll die Aufgabe der Publikation sein, zunächst zwei Fragen zu beantworten: „Wie 
verhält sich das Dentin gegenüber äußeren Reizen, und welche Organe im Dentin sind als 
Empfindungsträger anzusehen." Daß man sich bisher mehr damit beschäftigt hat, die 
außerordentliche Empfindlichkeit bei jeder Art der Zahnbehandlung herabzusetzen, mag 
sich einmal durch die praktischen Bedürfnisse der Zahnheilkunde erklären lassen. Auf der 
anderen Seite sind aber bisher die geführten Untersuchungen durchaus noch nicht erschöpfend 
gewesen. Faßt man nun die letzten Beobachtungen zusammen, so ergibt sich die bemer¬ 
kenswerte Tatsache, daß Reize, die an anderen Stellen des Organismus nur Empfindungen 
erzeugen, vom Dentin als Schmerz empfunden werden. Das Dentin reagiert auf äußere 
Reize mit Schmerz. Die Schmerzpunkte in der äußeren Haut und in der Cornea, die nur 
Schmerzpunkte fuhrt, sind die freien Nervenendigungen. Also sind die Empfindungsträger 
im Dentin ebenfalls Nerven, denn das Protoplasma allein nimmt nur in den Sinnesorganen 
Reize auf und leitet sie weiter. Der Autor bespricht einen Zustand, der auch in der Praxis 
eine wesentliche Rolle spielen kann, und zwar das hyperästhetische Dentin an freiliegenden 
Zahnhälsen, keilförmigen Defekten oder sonstigen Stellen, wo nach Entfernung der Schmelz¬ 
oder Zementdecke das Zahnbein längere Zeit freiliegt und gereizt wird. Die Entstehung 
des Reizzustandes kann uns* leicht veranschaulicht werden, wenn wir uns nur vorstellen, 
daß nach der Entfernung des Deckgewebes die überall im Mund zahlreich vorhandenen 
Bakterien in die freiliegenden Zahnbeinkanälchen einwandern. Zu einer Karies braucht es 
nicht immer zu kommen, da die Voraussetzung fehlt, nämlich eine Höhle, in der sich un¬ 
gestört Säure bilden kann. Denn diese Partien des Zahnes sind der mechanischen Reini¬ 
gung durch die Bürste zugängig, und außerdem werden nicht so oft Speisereste hinein¬ 
gepreßt wie in eine zentrale Höhle. Auf jeden Fall entwickelt sich der kariöse Prozeß im 
Zahnhals außerordentlich langsam. Ihm kann eine monate- oder gar jahrelange Hyper* 
ästhesie vorangehen. Das bisher gebräuchlichste Mittel — neben der Füllung —, diese 
Empfindlichkeit herabzusetzen, war das Argent. nitric., mit dem der Zahnhals geätzt wurde. 
Aber durch die nachher einsetzende schwarze Verfärbung konnte sich dies Mittel nicht viel 
Freunde erwerben. Zu empfehlen ist daher eine andere Methode, die Good eingeführt 
hat, die Sachs beschreibt und die T. selbst seit bald 6 Jahren mit oft verblüffendem Er¬ 
folge anwendet: „eine heißgesättigte Lösung von Natriumbikarbonat in Glyzerin", welches 
etwa 6°/o des Salzes aufnimmt, wird filtriert und abgekühlt. Man legt den empfindlichen 
Zahnhals möglichst trocken, zuletzt mit warmer Luft, taucht ein Stückchen Wundschwamm 
oder Watte in die Natriumbikarbonatglyzerinlösung und legt dieses auf die empfindliche 
Stelle, evtl, mit leisem Druck. Im ersten Augenblick ist die Empfindlichkeit nicht allzu¬ 
groß, sie steigert sich innerhalb einer Minute bis zur Schmerzhaftigkeit, um dann wieder 
nachzulassen. Nach einer weiteren Minute entfernt man die Watte bzw. Schwamm und 
läßt nun den Patienten mit Wasser nachspülen. Die Oberfläche des Zahnes, die sich da¬ 
durch nicht im geringsten färbt, ist auf diese Weise gewissermaßen imprägniert und bleibt 
viele Wochen, ja selbst Monate völlig unempfindlich gegen alle äußeren Einflüsse. Es 


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266 Buchbesprechungen 

haben sich als Hauptgesichtspunkte bei der Erforschung über das Empfindungsvermögen 
des Dentins ergeben: 

1. Das Dentin reagiert auf Reize, die im übrigen Organismus eine Empfindung Hervor¬ 
rufen, mit Schmerz. 

2. Da als Schmerzpunkte nach dem augenblicklichen Stande der Forschung die freien 
Nervenendigungen angesehen werden, erscheint der Analogieschluß berechtigt, daß auch im 
Dentin Nerven nachweisbar sein müssen. 

3. Die Hypothese wird bestätigt durch die Forschungsergebnisse von Fritsch und 
Dependorf, die unabhängig voneinander Nerven im Dentin nachweisen konnten. 

4. Dadurch wird Walkhoffs Theorie der Protoplasmafortsätze als Empfindungsträger 
unhaltbar, zumal sie auch sonst wichtiger Stützen entbehrt, denn das Protoplasma nimmt 
allein und unmittelbar nur in den Sinnesorganen Reize auf. 

5. Die eigenartige, aufs höchste gesteigerte und mit nichts zu vergleichende Schmerz¬ 
empfindung im Zahnbein erklärt sich durch die Anhäufung von 15— 30000 Schmerzpunkten 
auf 1 qmm Dentin gegenüber 1—2 auf der äußeren Haut. 

6. Normales, physiologisches Dentin reagiert im großen und ganzen nicht auf „süß", 
wohl aber kann man diese Empfindlichkeit bei hyperästhetischem Zahnbein beobachten, 
doch scheint die Temperatur hierbei unter Umständen eine besonders wirksame Rolle zu 
spielen. 

7. Man kann dem Zahnbein eine spezifische Energie und zwar für den Schmerzsinn zu¬ 
schreiben. Zilz, Wien. 

Die Strahlenbehandlung der Aktinomykoae, zugleich einige Bemerkungen über 
die Strahlenbehandlung der Trich. prof. Von Dr. Jul. Stein kämm, Essen. Aus 
dem Institut für Strahlentherapie der Städtischen Krankenanstalten in Essen (Prof. 
Dr. Bering). „Strahlentherapie", Bd. XII. (1921.) 

Der Autor beschreibt 3 Krankengeschichten. Im 1. Fall bestand sehr starke Schwellung 
der ganzen linken Gesichtshälfte, fast steinharte Filtritationen über dem linken Jochbein, 
dem Unterkiefer, dem Unterkiefergelenk bis daumenbreit über eine Verbindungslinie, welche 
von den Augenbrauen bis zum oberen Ohrenrand gezogen wird. Die Schwellung reicht 
unten bis etwa über die Mittellinie des Halses und des Unterkiefers hinaus. In der Nähe 
des linken äußeren Augenwinkels befindet sich eine erbsengroße, 2 cm tiefe Öffnung, aus 
welcher sich dickflüssiger Eiter entleert. An verschiedenen Stellen kleinere Inzisionen. Mi¬ 
kroskopisch im Eiter Aktinomyzesdrüsen. Behandlung: 10. Juni 1916. Bestrahlung der 
linken Wange, des Kinns, des Halses von vom: 3 mm-Aluminiumfilter, Je 18 X, drei 
Einstellungen. 10. Oktober geheilt entlassen. 

Der 2. Fall wies sehr starke Schwellung der ganzen linken Gesichtshälfte. Obere Grenze 
das Gebiet des Musculus temporalis, nach hinten begrenzt mit dem Rand des Stemoklei- 
domastoideus, an diesem herunterziehend bis zur Mitte des Halses, das Kinn mit ein¬ 
begriffen. Ober- und Unterlippe sind stark geschwollen, der Mund kann nur wenige mm 
weit geöffnet werden. Die Lider des linken Auges sind geschwollen, lassen nur einen 
schmalen Spalt zurück. Aus mehreren Fisteln unterhalb des Jochbeins (worunter sich meh¬ 
rere Operationswunden befinden) wird reichlich gelber Eiter entleert, welcher mit grün¬ 
lichen Körnchen vermischt ist. Mikroskopisch zahlreiche Myzelfäden. 26. Oktober. Be¬ 
strahlung: linke Wange, fünf Einstellungen, 4 mm-Aluminiumfilter, je 20 X. Starke Lokal¬ 
reaktion, welche einige Tage anhält. Ende April. Pat. wird geheilt aus der Behandlung 
entlassen. 

Beim 3. Fall besteht seit November 1919 zunehmende Schwellung der linken Wange,- 
darauf Extraktion des dritten Molarzahnes/ geringe vorübergehende Besserung. Dann aber 
nimmt die Schwellung immer mehr zu. Es werden größere Dosen Jodkali ohne jede Ein¬ 
wirkung gegeben. Diagnose: Aktinomykose. Die ganze linke Wange sehr stark ge¬ 
schwollen, vom Auge bis zum Ohr sich hinziehend, nach unten fast bis eine Hand breit 
unter den Unterkieferwinkel. Die Schwellung ist bretthart, gegen die Unterlage unbeweg¬ 
lich. Eine tiefe und breite Operationswunde zieht sich zwei Qjuerfinger breit unterhalb 
des linken Ohres ansetzend bis zum Kieferwinkel. Aus der Wunde reichliches Sekret, 


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267 


welches Aktinomyzes enthält. Die Öffnung des Mundes ist knapp 1 cm möglich. 14. Fe¬ 
bruar. Bestrahlung: 20 X, 4 mm-Aluminiumfilter. Linke Gesichtshälfte, eine Einstellung. 
20. Mai. Die linke Wange ist noch unwesentlich geschwollen gegen rechts. Auf dem 
linken Unterkieferwinkel ist die Haut noch etwas diffus geschwollen. Die Narbe, welche 
schon 8 Tage nach der ersten Bestrahlung deutliche Heilungstendenz zeigte, ist geschlossen, 
glatt und nicht auf der Unterlage verwachsen. 

Zusammenfassung: Die vor der Bestrahlung eingeleitete Behandlung in allen drei Fällen 
versagt/ trotz Jodkali, Salvarsan und operativen Eingriffen war ein Fortschreiten des Pro¬ 
zesses nicht zu verhindern. Nach der ersten Röntgenbestrahlung kam es zu einer ty¬ 
pischen Lokalreaktion, und nach wiederholter Bestrahlung trat restlose Heilung ein. Die 
brettharte Schwellung nahm ab, die Wunden und Fisteln schlossen sich, und unter Hinter¬ 
lassung einer ganz geringen Verdickung kam die Aktinomykose zur Ausheilung. Zur 
Röntgentherapie eignet sich eine Strahlenqualität von B.-W. 6. Die Dosen können frak¬ 
tioniert oder als Volldosen gegeben werden. Zilz, Wien. 

Konservierende Zahnheilkunde. Von G. V. Black, Professor und Direktor der zahn¬ 
ärztlichen Abteilung der Northwestern University in Chicago. Autorisierte deutsche 
Übersetzung von Dr. Hans Pichler in Wien. Mit 187 Abbildungen auf Tafeln. Ma- 
nuldruck 1922. Verlag von Hermann Meusser. 2 Bände in Leinen. 

Die seit einigen Jahren vergriffen gewesene „Konservierende Zahnheilkunde" von 
G. V. Black liegt in unveränderter, auf photomechanischem Weg hergestellter Gestalt 
wieder vor. Daß diese neue Auflage dringend erwünscht und notwendig war, ist vielen 
bekannt. Wie oft wurde ich ab Lehrer schon von Studierenden danach gefragt, da ich 
auf dieses Werk ganz besonders im Unterricht hin weise und es dringend empfehle, aber 
mit der Einschränkung, daß der junge Studierende erst die nötigen Grundlagen im leben¬ 
digen Unterricht <den ich nach Black sehen Prinzipien durchführe) sich anzueignen hat 
und dann erst nach dem Black greifen soll. 

Für das Niveau unserer konservierenden Zahnheilkunde ist es kein schlechtes Zeichen, 
daß nach 6 Jahren des ersten Erscheinens allgemeiner auch aus der Praxis heraus das 
Buch gewünscht wird. 

Danach ziehen doch die Lehren Blacks — ich habe es immer gehofft — nun auch 
bei uns im deutschen Reiche <was in Österreich dank Pichler und Bum schon länger 
der Fall war) immer weitere Kreise, ja auch die Schulen berücksichtigen mehr und mehr 
den Gedankenkreis Blacks, wie wir uns durch einen Blick in die neueren Lehrbücher 
überzeugen können. 

Dazu aber geholfen zu haben, ist das große Verdienst des Vermittlers und Übersetzers 
des Blackschen Werkes, Hans Pichler, ihm gebührt unser reichster Dank: wie er die 
deutschen Zahnärzte mit diesem einzigartigen Werke der amerikanischen Zahnheilkunde 
vertraut gemacht hat, so war er mit unter den ersten und ist einer der wenigen, die den 
Blackschen Ideen schon vor Jahren die Schule geöffnet hat. Wenn wir also des vor etwa 
7 Jahren hochbetagt nach einem ungewöhnlich arbeits- und erfolgreichen Leben von uns 
geschiedenen G. V. Black gedenken, so schließen wir auch Hans Pichler mit ein. 

Was soll über den Inhalt noch gesagt werden? Der Name und die Ideen des Autors 
sind theoretisch so bekannt, wie man nur wünschen könnte, sie würden ebenso oft in der 
Praxis durchgeführt. 

Wir stimmen dem Übersetzer bei, wenn er im Vorwort zur zweiten Auflage schreibt: 
„Ich halte Blacks Lehren für den wichtigsten Fortschritt, den die Zahnheilkunde seit 
langer Zeit gemacht hat." Dies bleibt unbestritten. Wer sich mit den Blackschen An¬ 
schauungen vertraut gemacht, wird immer wieder von deren Richtigkeit überrascht sein. 
Aber man muß sich auch mit Liebe in diese klaren, scharf hingesetzten Sätze hinein¬ 
arbeiten, sich mit den Dingen wirklich beschäftigen, dann wird man die Wahrheit der 
Ideen bestätigt finden und immer wieder gerne zu dem Werke zurückgreifen. 

Ich weiß von manchen Kollegen, die, wie sie mir sagten, erst seit ihrer Arbeit nach 
Black mit Liebe und geistigem Interesse in ihrer Praxis tätig sind. 


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Und auch darin hat der Übersetzer recht: das Wort des unveränderten Budies hat 
keineswegs für die Praxis etwas eingebüßt. Wohl ist durch die Arbeit der letzten sechs 
Jahre so manche Anschauung der theoretischen Zahnheilkunde anders geworden, ist 
manches Neue hinzugekommen <Kariestheorie, Speicheltheorie, Amalgamforschung), aber 
den Ideen von Black tut das keineswegs Abbruch. In einer Neuauflage wird das ja 
wohl, wenn die Muße dazu gegeben wird, nachgeholt werden müssen/ so hoffe ich auch 
aus der langen und reichen Erfahrung Hans Pichlers einiges dann zu lesen. 

Den Wert des Buches sehe ich aber nicht allein in den Prinzipien der Kavitäten* 
präparation, des Konturenfiüllungsaufbaues, sondern ebenso in den Ausführungen über 
den Bau der Instrumente, Führung von Instrumenten, der Finger; der Hand und über die 
Körperhaltung überhaupt. Wie unübertrefflich wird doch das CofFerdamanlegen mit allen 
Griffen und Kniffen geschildert. Das ist alles höchste Kunst. Man betrachte einmal viele 
unserer deutschen Black*Instrumente und die Angaben und photographischen Abbildungen 
im Werk. Was könnten unsere Fabrikanten daraus lernen, wenn sie in richtiger Weise 
darauf aufmerksam gemacht würden. <Den kleinen Blackschen Satz verfertigt August 
Hahn-Berlin auf meine Veranlassung in ausgezeichneter Weise.) 

Nur auf etwas möchte ich hier hinweisen aus der Fülle des Nützlichen. Black rückt 
bekanntlich die Handinstrumente zur Bearbeitung der Zahnhöhlen wieder mit allem Recht 
in den Vordergrund. Wie wenige von uns beherzigen dies! Wenn alle übrigen wüßten, 
wie man damit Zeit, Material <Bohrer!> bei sonst nicht zu erreichender Qualität der Aus¬ 
führung sparen und — nicht zu vergessen! — dem empfindlichen Patienten Schmerzen 
ersparen könnte. — Damit aber genug. Möge jeder Zahnarzt im Black blättern: es ist 
praktische Zahnheilkunde in Worten. 

Ich glaube mit Pichler sagen zu dürfen, daß keiner moderne konservierende Zahn¬ 
heilkunde <was die Behandlung der harten Zahnsubstanzen anlangt) treibt, der an den 
Ideen Blacks vorübergeht. 

Wer sich aber diese zu eigen gemacht hat, der wird Black und seinem meister¬ 
haften Übersetzer Dank geben wie wenigen anderen Autoren. 

Daß das Papier und die Reproduktion sehr zeitgemäß sind, ist leider nur zu begreif¬ 
lich, wenn wir hören, daß auf jedem Exemplar ein Dollarhonorar liegt, auf das die 
Erben von Black nicht zu verzichten glauben dürfen. Bedenken wir das, so 
müssen wir dem Verleger um so dankbarer sein, die Neuauflage dennoch ermöglicht zu 
haben. Re bei. 


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ZEITSCHRIFTENSCHAU 


Histologische Untersuchung einer geheilten Zahnfraktur. Von Dr. B. Gottlieb, 
Wien. Ein weiterer Beitrag zur Biologie der Zähne. <Mit 11 Figuren, darunter eine 
farbige, auf Tafeln I —VII.) Zeitschrift für Stomatologie, Jahrgang XX, 1922, Heft 5. 

Gottlieb faßt seine Forschungsergebnisse wie folgt zusammen: 

1. Nach einer traumatischen Kontinuitätstrennung des Pulpastranges <Nerven und Ge¬ 
fäße) gehen die spezifischen Gewebselemente der Pulpa zugrunde, und es kann zu einer 
Einwucherung von periodontalem Bindegewebe in den Pulpakanal kommen, das die Kanal¬ 
wände wie eine Plantationsfläche behandelt, an ihnen Knochenzemente ablagert und im 
Kanallumen Knochenbälkchen bildet, die mit den wandständigen Partien in unmittelbarer 
Verbindung stehen können. 

2. Das Verhalten eines Knochen- oder Dentinplantates in einem Bindegewebslager 
hängt vom Zustand des Bindegewebes sowohl wie von dem des Plantates ab. Pulpa und 
submuköses Bindegewebe sind in der Regel nicht imstande, auf das Plantat neuen Knochen 
abzulagem. Wo dies doch der Fall ist, handelt es sich um eine Ausnahme (Metaplasie). 
Am geeignetsten ist Bindegewebe des Periosts- und Knochenmarks. Verschiedene Partien 
desselben Knochen- oder Elfenbeinstückchens können auf periostales Bindegewebe ver¬ 
schieden wirken. Der eine Teil kann eine Fremdkörperwirkung ausüben, die zur Bildung von 
Osteoklasten und zu lakunärer Resorption führt, eine benachbarte Partie kann einen Reiz 
im Sinne der Bildung von Osteoblasten und Knochenablagerungen ausüben, wieder andere 
Teile können sich indifferent zum umliegenden Bindegewebe verhalten. 

3. In Epithelgewebe inplantierte kalkhaltige Fremdkörper üben einen adäquaten Reiz 

auf die anliegenden Epithelzellen aus im Sinne der Verhornung. Vorzügliche Abbildungen 
sind der Arbeit beigegeben. Dozent Dr. Julian Zilz. 

Über Prothesen gewichte. Von Dr. Carl Geißler. (Aus der Klinik und Poliklinik 
für Mund- und Zahnkrankheiten der Universität Rostock. Direktor: Prof. Dr. Moral). 
Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1922, Heft 18. 15. September. 

Der Autor faßt seine Ergebnisse wie folgt zusammen: Prothesen aus schwarzem Kaut¬ 
schuk sind leichter als solche aus rotem Kautschuk, daher ist für obere Prothesen schwarzer 
Kautschuk vorzuziehen, da man sie möglichst leicht herstellt, um dfe Adhäsionsfähigkeit 
möglichst wenig zu beeinträchtigen. Bei unteren Prothesen ist es umgekehrt, da man bei 
ihnen das Eigengewicht zur Festlagerung auf dem Kiefer mit heranzieht. Nach letzterem 
Prinzip mit schwerer Randolfbasis versehene Unterstücke haben bei geringerem Volumen 
als solche aus Kautschuk ein weit höheres Gewicht, stellen also eine sehr gute Kom¬ 
bination dar. Randolf hat daher bei seinem höheren spezifischen Gewicht und seinen 
sonstigen Vorzügen das aus gleichen Gründen früher benutzte Zinn vollständig verdrängt. 

Die zum Zwecke größerer Bruchfestigkeit aus Kautschuk mit Metalleinlagen hergestellten 
oberen Prothesen, ebenso solche aus Aluminium, die wegen der geringen physikalischen 
und chemischen Widerstandsfähigkeit des Metalls sehr dick hergcstellt werden müssen, 
haben weit höhere Zahlen als solche aus Kautschuk, zumal im Gewicht, stellen also schon 
größere Ansprüche an die Adhäsionsfähigkeit der Platten. Die höchsten Ansprüche in 
dieser Beziehung stellen obere Prothesen aus Gold. Wenn sie auch demgegenüber ein 


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Z eitschriftenschau 


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sehr geringes Volumen aufweisen, so ist die Schwere doch ein Umstand, der sie nicht 
gerade sehr gut geeignet erscheinen läßt. Dagegen sind untere Prothesen aus Gold allen 
anderen vorzuziehen, da sie bei geringstem Volumen die größten Gewichte haben. Ein 
Material, das fast alle gewünschten Vorzüge aufweist, ist der nichtrostende Stahl. Obere 
Prothesen aus Stahl sind nur um ein geringes schwerer als solche aus Kautschuk und 
haben dabei das geringste Volumen/ Unterstücke haben ebenfalls geringstes Volumen und 
ein höheres Gewicht als solche aus Kautschuk. Obere Prothesen aus Kautschuk mit 
Metalleinlage und solche aus Aluminium sind durch die Einführung des Stahls überflüssig 
geworden, weil die durch sic beabsichtigte größere Bruchfestigkeit der Stahl in weit höherem 
Maße besitzt. Lediglich wo man größeres Gewicht bei ganzen unteren Prothesen haben 
will, muß man wegen der Schwierigkeiten des Stahlgusses auf ein anderes Material zurück' 
greifen, etwa Randolf oder Gold. Dozent Dr. julian Zilz. 

Bericht über die Preglsche Jodlösung. Von Dr. Artur Hauer, Wien. Zeitschrift für 
Stomatologie. XX. lahrgang 1922, 3. Heft. 

Die Lösung enthält 0,035 bis 0,04 freies Jod, Na-Ionen, Jodione, Hypojodit und Jo- 
dationen mit äußerst verwickelter chemischer Gleichgewichtsherstellung, wobei der osmotische 
Druck und die Gegenwirkungen denen der Gewebe« und Körperflüssigkeiten nahe kommen. 
Selbst die schwachen, durch Bakterien entstehenden organischen Säuren bewirken Abspah 
tung von freiem Jod und dadurch Selbstmord der Spaltpilze. Die Lösung ist steril, darf 
nicht aufgekocht werden, verliert die goldgelbe Farbe bei Offenstehen unter Einbuße von 
Wirksamkeit. Schutz vor Tageslicht, genügt bei raschem Verbrauch, sonst sind die Korke 
zu paraffinieren. 

Für die Zahnheilkunde kommen in Betracht: 

I. Verwendung der P. L. bei entzündlichen Schleimhautprozessen. 

II. Durchspritzung von Fistelzähnen, Injektion bei leichten apikalen Reizungen und 
in Knochenhöhlen <Higmorshöhle). 

III. Desinfektion der Hände <Handschuhersatz), Nähmaterial, Transplantate (körper¬ 
warm) des Operationsfeldes vor, während und nach der Operation. Drainagen: 
Jodoformdocht, getränkt mit P. L. 

IV. Injektionen bei Plantationen und Regulierungen. Die Lösung verhindert die Bil¬ 
dung von resorbierenden Granulationsgeweben, bewirkt die Entstehung eines 
zellenarmen Narbengewebes oder die Metaplasie des periostalen Bindegewebes in 
Knochengewebe. 

V. Intravenöse Injektionen bei lebensgefährlichen Phlegmonen, meist überlegen dem 
Electralgol, Collargol und Dispargen. Dozent Dr. Julian Zilz. 

Sensibilitätsstörungen im Ausbreitungsgebiet des Nervus mentalis. Von Dr. Anton 
Loos, I. Assistent. (Aus dem Zahnärztlichen Institut der deutschen Universität in 
Prag. Vorstand: Prof. Dr. Boennecken. Zeitschrift für Stomatologie. XX. Jahr¬ 
gang 1922, 1. Heft. 

Der Autor faßt die bei Sensibilitätsstörungen im Ausbreitungsgebiete des Nervus men¬ 
talis in Frage kommenden ätiologischen Momente wie folgt zusammen: 

1. Verletzungen des Nerven bei Operationen in der Gegend der Prämolaren und 
Canini (Wurzelspitzenresektionen, Aufmeiselung, Zystenoperationen). 

2. Zerreißung des Nerven bei Extraktion von Molaren. 

3. Schädigung bei Ausführung der Leitungsanästhesie am Foramen mandibulare (Dauer¬ 
anästhesie). 

4. Schädigung durch Arsen. 

5. Hysterie. 

6. Zerreißung, Zerrung, Quetschung des Nerven bei Fraktur des Unterkiefers. 

7. Neuritis infektiös-toxischer Natur bei Eiterprozessen in der Umgebung des Foramen 
mentale. 

8. Kompression bei Geschwulstbildung in der Gegend des Foramen mentale. 

Dozent Dr. Julian Zilz. 



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Zeitschriftenschau 


271 


Klinische Untersuchungen des Gebisses bei Tuberfcuioseerkrankungen. Von Dr. 
med. dent. Carl Rosenthaf, Frankfurt a. Main. Zeitschrift für Stomatologie. 
XX. Jahrgang 1922, 1. Heft. 

Auf Grund der in dieser Arbeit erwähnten literarischen Angaben sowie seiner ein¬ 
gehenden klinischen Beobachtungen neigt der Autor zu der Annahme, daß eine allgemeine 
Tuberkuloseerkrankung auf das Gebiß in spezifischer Weise keinen Einfluß ausübt. Die 
verschiedensten Anomalien und Krankheiten der Zähne, die R. feststellen konnte, kommen 
oft genug bei sonst völlig gesunden Menschen oder solchen vor, die an einer anderen 
Allgemeinerkrankung leiden, mit anderen Worten: „Für Tuberkulose pathognomonische 
Stigmata am Gebiß gibt es nicht." 

Im einzelnen faßt der Autor die Schlüsse wie folgt zusammen: 

1. Für Tuberkulose pathognomonische Stigmata am Gebiß gibt es nicht. 

2. Eine Tuberkuloseerkrankung stört die Dentition in ihrem zeitlichen Ablauf an¬ 
scheinend wenig oder gar nicht, dagegen sind Stellung sanomalien häufiger als in der 
Norm, wobei das Verhältnis der einzelnen Anomalien untereinander das gleiche ist 
wie in der Norm. 

3. Bei Tuberkulose sind Schmelzhypoplasien häufiger als in der Norm. <17,8 °/ 0 gegen 
4 bis 13 °/ 0 in der Norm), wobei hier nicht entschieden werden soll, ob das tuber¬ 
kulöse Virus die Regulatoren des Kalkstoffwechsefs direkt beeinflußt, oder ob die 
Tuberkulose und die Kalkstoffwechselstörung koordiniert als Folgen primärer Schä¬ 
digungen anzusehen sind. Dagegen ist es nicht wahrscheinlich, daß die Tuberkel¬ 
bazillen am Zahnkeim selbst Schmelzhypoplasien verursachen. 

4. Die Prozentzahl für die absolute Häufigkeit der Zahnkaries — in der Norm oft 
praktisch 100 % — wird durch eine Tuberkuloseerkrankung nicht erhöht, jedoch 
nimmt im allgemeinen die Schwere der Karies mit der Schwere des Tuberkulose¬ 
befundes zu. 

5. Die sogenannte zirkuläre Karies <als Folge einer Tuberkulose nach Neumann oder 
einer Rachitis nach Feiler) scheint, wenn es überhaupt eine solche gibt, zur Zeit 
der zweiten Dentition jedenfalls nicht aufzutreten. 

6. Der von Möller beobachtete rote oder blaurote Zahnfleischsaum hat für eine Tuber¬ 
kulose weder diagnostisch noch prognostisch größere Bedeutung. 

Dozent Dr. Julian Zilz. 

Intraorale Veränderungen bei Anaemia progressive perniciosa. Von Gustav 
Grünig, prakt. Zahnarzt, Aarau. Schweizerische Vierteljahrsschrift für Zahnheil¬ 
kunde. Band XXXI. 1921, Nr. 1. Vol. XXXI. 

Eine bei Zahnärzten noch fast unbekannte Erkrankung, die Veränderungen in der 
Mundhöhle aufweist und die den Patienten nicht selten zuerst m dessen Sprechstunde 
führt, ist die perniziöse Anämie. Wenn dieselbe bis heute noch so wenig bekannt ist. 
so ist die Ursache darin zu suchen, daß die perniziöse Anämie bisher in den ersten 
Stadien meist nicht erkannt worden ist utid erst die neueren Arbeiten, besonders die der 
letzten zehn Jahre, das Erkennen der Krankheit in Frühstadien ermöglicht haben. Zweck 
der vorliegenden Arbeit ist nun, den Zahnarzt auf die Mundveränderungen, speziell bei 
Papillitis bei perniziöser Anämie aufmerksam zu machen. Jeder Zahnarzt kann in den 
Fall kommen, einen von perniziöser Anämie befallenen Patienten der Zungenbeschwerden 
wegen in Behandlung zu bekommen. Bis vor wepigen Jahren hat man die perniziöse 
Anämie immer erst dann festgestellt, wenn das Vollbild vorhanden war. In den letzten 
Jahren hat man aber gelernt, sie viel früher zu erkennen. Die Blutveränderungen sind 
so überaus typisch, daß man mit einiger Qbung das Leiden auch diagnostizieren kann, wenn 
eine Anämie schlechterdings noch nicht vorhanden ist. Die Anregung zur Blutuntersuchung 
gibt aber in allen Fällen eine Zungen Veränderung, bald Glossitis. bald Papillitis genannt, 
die als Frühsymptom eine außerordentlich große Rolle spielt. Die Papillitis ist schon seit 
längerer Zeit als Begleiterscheinung der periziösen Anämie bekannt. Bei 43 Fällen dieser 
Krankheit, die Autor beobachtete, war sie 32mal vorhanden oder in 78°/ 0 der Fälle. 


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272 Zcitsdiriftenschau 

17mal stellte sie das Frühsymptom dar. Eine gute kolorierte Abbildung ergänzt die Mit^ 
teilungen des Autors. Dozent Dr. Julian Zilz. 

Zur Frage der schädigenden Wirkung der Metalle auf Bakterien. Von Hugc 
Staub, Zahnarzt aus Oerlikon. Schweizerische Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 
Band XXXI. 1921 - Nr. 1. Vol. XXXI. 

An Hand von experimentellen Versuchen soll in der vorliegenden, von Herrn Prof 
Dr. Silberschmidt angeregten Arbeit die Wirksamkeit einiger besonders auserwählrer 
Metalle auf Bakterien näher geprüft werden. Die vorliegenden Versuche verfolgen den 
Zweck, die für den Zahnarzt auch praktisch wichtige Frage aufzuklären, ob und inwie- 
fern die Metalle direkt oder indirekt (oligodynamisch) auf Mikroorganismen wirken. Denn 
abgesehen davon, daß es möglich wäre, die Bestandteile der Amalgame in erster Linie 
nach ihrer bakteriziden Wirkung zu bestimmen — die Formbeständigkeit ist hier vorerst 
weit wichtiger — so möchte Autor nicht unterlassen, auf den Vorteil der Kupfer® gegen¬ 
über den immerhin noch wirksamen Silber-Zinn-Amalgamen im bakteriziden Sinne auf¬ 
merksam zu machen. Wo aber die Wahl freiliegt, ein geeignetes Material für Kiefer¬ 
schienen und Regulierungsapparate zu bezeichnen, so wird uns weniger schwer fallen, 
Silber, Kupfer oder diese Metalle enthaltende Legierungen zu berücksichtigen, um so eher 
als diese Apparate an und für sich schon für eine gute Mundhygiene, wie sie in derartiger 
Fällen meist notwendig ist, wenig beitragen. Gute Resultate werden, nach diesen Vcr- 
suchen in vitro zu schließen, Silber und Kupfer in feiner Verteilung als Bestandteile vor 
Wurzelpasten mit konstanter bakterizider Wirkung zum Abschluß von Amputations- 
Stümpfen und zur Füllung von Wurzelkanälen ergeben Der kosmetisch ungünstigen Ver¬ 
färbung bei Frontzähnen wegen würde ihr Indikationsbereich in den von außen wenigei 
sichtbaren Prämolaren und Molaren liegen. 

Die Versuche haben in Bestätigung von Untersuchungen anderer Autoren ergeben, dal 
die geprüften Metalle direkt, sei es auf festem Nährboden, oder auch in Bouillon, eine 
deutliche Entwicklungshemmung und keimtötende Wirkung auszuüben imstande sind 
Diese Wirkung hängt ab sowohl vom Metall als von der Bakterienart/ so ist z. B. die 
Wirkung des Silberbleches in diesen Versuchen gegenüber Bact. coli deutlicher gewesei 
als gegen Bact. pyocyaneum. 

Aufgefallen ist dem Autor der Unterschied zwischen Kupfer und Silber. Das Silber 
das direkt auf Gelatine- und Agarplatten eine deutliche Entwicklungshemmung ausübt 
war kaum imstande, dem Wasser bakterizide Eigenschaft zu übertragen, während um¬ 
gekehrt dies beim Kupfer deutlich zum Vorschein kam. Diese verschiedene Wirkung 
beruht darauf, daß Kupfer in den Nährlösungen in Lösung übergeht, während dies füi 
Silber nicht oder nur unwesentlich der Fall ist. Die sog. oligodynamische Wirkung is 
eine chemische und keine physikalische/ dies geht auch daraus hervor, daß in reinen 
Wasser die bakterizide Wirkung des Silbers geringer ist als in physiologischer NaCl 
Lösung, wo die Spaltung des Silbers leichter erfolgte. 

Staub faßt seine Schlußfolgerungen wie folgt zusammen: 

1. Von den geprüften Metallen haben Quecksilber, Silber und Kupfer auf Gelatine 
und auf Agarplatten eine deutliche entwicklungshemmende Wirkung gezeigt, welche bc 
Zinn und Gold nicht zum Vorschein kam. 

Diese Wirkung ist allerdings nicht so deutlich, auch in den Bouillonkulturen zum Vor 
schein gekommen. Wasser, das mit den erwähnten Metallen in Berührung blieb, ha 
ebenfalls eine bakterizide Wirkung erlangt,- diese war am stärksten mit Kupfer und Qucck 
silber, schwächer mit Silber. 

3. Eine Sensibilisierung von Glasgefäßen, die lange Zeit <30 Tage) mit Wasser un< 
einem der drei Metalle im Brutschrank aufbewahrt wurde, konnte nachsewiesen werdci 
mit Kupfer und Quecksilber, weniger mit Silber. Die Wirkung läßt sich nicht im Sinn 
von Saxl als Sensibilisierung des Glases deuten/ man ist eher geneigt anzunehmen, dal 
es sich nicht um eine physikalische, sondern um eine chemische Wirkung handelt, beding 
durch geringe Mengen Metall oder Metallsalze, die sich in den Nährmedien oder an dei 
Glaswänden befinden. Dozent Dr. Julian Zilz. 



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AUS DEM PATH.-ANAT. INSTITUT DER WIENER UNIVERSITÄT 

DIE PARADENTALPyORRHOE DER 
RATTENMOLAREN 

VON 

B. GOTTLIEB, WIEN 


E iner Mitteilung J. Erdheims verdanke ich die Kenntnis der Tatsache, 
daß die Ratten sehr häufig ihre Mahlzähne durch Lockerung und Aus¬ 
fall verlieren. Teils ad hoc, teils im Anschluß an Untersuchungen aus anderen 
Gesichtspunkten habe ich im Laufe der letzten Jahre ungefähr 200 Ratten¬ 
kiefer in Serien unter dem Mikroskop untersucht und möchte nun an der 
Hand von Bildern diese Erkrankung schildern. Der Einblick in die Ent¬ 
stehungsursache dieser Krankheitsform hat nicht nur rein naturwissenschaft¬ 
liches Interesse, sondern verhilft auch zum besseren Verständnis der ähn¬ 
lichen Erkrankungsform beim Menschen. Wir wollen uns vorerst die wich¬ 
tigsten Daten über das Gebiß der Ratte in die Erinnerung zurückrufen. 

Das Gebiß der Ratte besteht in jeder Kieferhälfte aus einem Nagezahn 
und drei Mahlzähnen, so daß die Rattenkiefer zusammen vier Nagezähne 
und zwölf Mahlzähne tragen. Der Nagezahn ist in der sagittalen Ebene 
gegen die Mundhöhle konkav gebogen. Er besitzt an der konvexen Seite 
einen Schmelzüberzug, während an der konkaven Seite das periodontale 
Bindegewebe dem Dentin durch Vermittelung einer Zementoidschicht anliegt. 
Der Nagezahn besitzt lebenslänglich ein „offenes Foramen apicale", an dem 
immerfort neue Zahnteile gebildet werden, während peripherwärts immer 
weitere Zahnpartien aus der Alveole ausgestoßen und in der Regel in gleichem 
Maße an der Schneidekante abgenützt werden. Es behält so jeder Nagezahn 
einer ausgewachsenen Ratte normalerweise fortwährend eine gleichbleibende 
Länge. Paradentäre Erkrankungen kommen an den Nagezähnen nur sehr 
selten vor. Der lebenslänglich währende, ziemlich rasch vor sich gehende Durch¬ 
bruch stellt einen nicht zu unterschätzenden Schutz gegen Erkrankungen der 
Art, wie sie im vorstehenden an den Molaren beschrieben werden sollen, dar. 

Die Molaren der Ratte sind gleich gebaut wie die der Menschen. Sie 
besitzen eine mit Schmelz bedeckte Krone — Fig. 1 S — <der Schmelz geht 
bei der Entkalkung verloren) und eine mit Zement überzogene Wurzel 

Viertefjahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 3 ] g 


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274 B. Gottlieb 

<Fig. 1 C und C —Q. Das Dentinwachstum der Wurzel ist begrenzt <„ge- 
schlossenes Foramen apicale"), während das Zement noch lange weiter 
wächst <Fig. 2 C und C— K >, so daß es bei der ausgewachsenen Ratte einen 
beträchtlichen Teil der Wurzellänge ausmacht. Die drei Molaren sitzen dicht 
hintereinander mit Kontaktpunkten und Interdentalpapillen, genau so wie die 
Zähne im menschlichen Gebiß. 

Zur histologischen Untersuchung eignen sich die Molaren des Oberkiefers 
besser als die des Unterkiefers, da der untere Nagezahn knapp unter den 



Molaren im Bogen nach hinten verläuft und eine Isolierung der Molaren er¬ 
schwert. Die hier beschriebenen Molaren sind alle dem Oberkiefer entnommen- 
Bevor wir auf die Genese der Veränderungen, die zum Ausfall der 
Rattenmolaren führen, eingehen, müssen wir uns noch über die Frage¬ 
stellung klar werden. In früheren Arbeiten über diese Erkrankung beim 
Menschen ist gezeigt worden, daß die zwei Komponenten, die den Ausfall 
eines Zahnes bedingen, nämlich die Tiefenwucherung des Epithels dem 
Zement entlang und der Schwund des Alveolarknochens vom Grade der 
Vitalität des Zementes beherrscht werden. Das Absterben des Zementes 
kann aus äußeren oder inneren Ursachen erfolgen. Zu den inneren Ur¬ 
sachen werden toxische Wirkungen akuter oder chronischer Natur und 
Wirkungen unbekannter Herkunft gezählt. Diese Form wird als primäres 


Go igle 


Original fror?]__ 

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Die Paradentalpyorrhoe der Rattenmolaren 


275 


Absterben des Zementes bezeichnet. Zu den äußeren Ursachen gehören 
unter anderem die Schädigungen, die die Entzündungen des Zahnfleisches 
oder des periapikalen Gewebes verursachen. Diese Schädigungen können 
Zement und Alveolarknochen gleichzeitig treffen. Als Beispiel hierfür sei der 
Alveolarschwund im Anschluß an periapikale und paradentale Entzündungs^ 
prozesse angeführt. 



fx 9 z - 


Wir wollen nun sehen, welcher Art die Ursache für den frühzeitigen 
Verlust der Rattenmolaren ist. 

Fig. 1 stellt einen bucco^lingualen Schnitt durch einen oberen Molaren 
einer jungen Ratte dar. Die Wurzeln sind noch nicht fertig gebildet, die 
Foramina apicalia <F0> weiter als in ausgewachsenen Zähnen. Das Dentin 
der Wurzel ist noch in Bildung begriffen <D—O, der Zementüberzug zart 
<0 und gegen die Wurzelspitze noch nicht verkalkt <C—C>. Die Alveole 
befindet sich in regem Umbau, was aus den allenthalben vorhandenen 

18 * 


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276 


B. Gottlieb 


Osteoidsäumen < K —C> zu ersehen ist. Die Krone ist noch nicht ganz durchs 
gebrochen. In der Strecke T—b sind die Epithelzellen, die das Schmelzober- 
häutchen < SOII > zu bilden bestimmt sind, vom äußeren Schmelzepithel noch 
nicht geschieden. Bei T ist der Boden der Tasche. — Wir können sagen, 
daß in diesem Bilde der Zustand eines normalen, noch nicht ganz fertig ge- 
bildeten Zahnes vorliegt. 



<7 < 4 Ü 

ncj-o. r 


Fig. 3 stellt einen Schnitt <bucco-linguaI> durch den an diesen Zahn an¬ 
schließenden Interdentalraum dar. Bei D ist die die Wurzel kolbig über¬ 
ragende Krone getroffen. Im Interdentalraum sehen wir eine Reihe von 
Haaren (F x — F j> stecken, die von Detritus umgeben sind. Bei i finden w r ir 
einen Abszeß und mitten in dem Abszeß als seine Ursache ein Haar <F>. 
Das gleiche ist bei F 2 der Fall. 

Während also in Fig. 1 bukkal und lingual gesunde epitheliale Verhält¬ 
nisse vorliegen, ist approximal das Epithel durch das Steckenbleiben von 
Haaren im Zahnfleisch geschädigt, und wir sehen als Folge davon Ent- 


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Die Paradentalpyorrhoe der Rattenmolaren 


277 


zünaungen mit Abszeßbildungen entstehen. Es hat sich nun erst darum ge^ 
handelt, festzustellen, woher diese Haare stammen und welche von ihnen 
die Schädigung vorzüglich verursachen: Es fanden sich nämlich sowohl Hafer^ 



Fi£. 3 a 


wie Tierhaare im Detritus der Taschen vor. Die Haferhaare stammen 
vom Haferkorn, das unter der Zellulosehülle an dem spitzen Ende ein 
Haarbüschel trägt. Die Haferhaare sind kurz, bestehen aus einer Membran, 
die einen leeren Hohlraum umschließt <Fig. 5, FH}. Die tierischen Haare 
sind lang und unverkennbar durch die Querstriche im Inneren, die von den 
Markzellen herrühren <Fig. 4 und 6 F}. Diese Haare stammen vom eigenen 
Fell oder von dem der Nachbarn, die durch das Zupfen mit den Nage^ 
zähnen oder durch Vermengung der ausgefallenen Haare mit dem Futter 
in die Mundhöhle kommen und dort im Zahnfleisch stechen bleiben. Da 
die tierischen Haare, infolge der dachziegelartigen Lagerung der Kutikula- 



4 - T 

zellen <Fig. 3a>‘ an ihrer Oberfläche Zacken haben wie die Fiederdien 
eines Pfeiles, können die Haare nur sdiwer wieder heraus, wenn sie einmal 
in der Richtung der Zacken in das Gewebe eingedrungen sind. Die Wider» 
häkdien hindern sie an jeder Rückwärtsbewegung. In der Regel sind diese 
Haare Träger von Mikroorganismen, die Mikroorganismen können aber 
auch in den durch das Haar gesetzten Gewebsdefekt hineinwuchern und 

1 Rattenhaar nach Hoffmann-Kolisko: Gerichtliche Medizin. 


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278 


B. Gottlieb 


erhöhen die schon durch das Vorhandensein des Fremdkörpers im Gewebe 
verursachte Schädigung und die ihr folgende Entzündung. 

Daß den tierischen Haaren die Hauptschuld an diesen Entzündungen zu¬ 
kommt, sehen wir in Fig. 4. Dieses Tier wurde seit der Geburt haferfrei 
gefüttert und in jungem Zustande getötet. Wir sehen im Approximalraum 
tierische Haare <F>, das ganze, dieser Gegend entsprechende Epithel auf¬ 
gelockert, und so wie das darunter liegende Bindegewebe mit Eiterzellen 



(Ei) durchsetzt. Soweit ferner im zur Verfügung stehenden Material Haare 
überhaupt im Gewebe steckend angetroffen wurden, konnten sie als tierische 
Haare agnosziert werden. Es sind also die tierischen Haare allein schon 
imstande, die in Frage stehenden Veränderungen hervorzurufen. 

Wir können zwar nicht nach der anderen Seite die Wirkung der tierischen 
Haare ausschalten, wir können aber die Wirkung des Hafers steigern, indem 
wir Ratten nur mit Hafer füttern. Bei solchen Tieren geht der Zahnausfall 
viel rascher vor sich, so daß wir uns so überzeugen können, daß die Hafer¬ 
komponente ebenfalls eine Rolle spielt. Wir sehen in Fig. 7 den Eingang 
zum Interdentalraum einer solchen Haferratte. Der Raum ist mit Haaren (F) 


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Die Paradentalpyorrhoe der Rattenmolaren 


279 



vollgepfropft. In Fig. 8 sehen wir bei / und II entsprechende makroskopische 
Bilder von Haferratten. Bei Ib ist der dritte Molar intra vitam ausgefallen, 
die Alveole ist mit Detritus und Haaren vollgepfropft, ebenso die Taschen 
um die noch stehenden Zähne. Bei a ist der Interdentalraum vollgepfropft, 
und die Zähne sind auseinandergerückt. 


% «• r 

In Fig. 8 II war der mittlere Zahn so locker, daß er mit der Pinzette 
leicht herausgehoben werden konnte, und es ist nun bei e die leere Alveole 
zu sehen. Die noch stehenden zwei Zähne waren ebenfalls locker. Wir 
sehen bei d—d einen Kranz von Haaren und Detritus in den Taschen. 

Das spitze Haferkorn scheint also vielfach Verletzungen im Gewebe zu 
erzeugen, die liegenbleibenden Haferhaare eine Entzündung zu unterhalten 
und das Verfilzen und Eindringen von Körperhaaren und sonstigem Detri¬ 
tus zu begünstigen. Inwiefern hierbei auch die einseitige Ernährung <Vitamin- 


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280 


B. Gottlieb 



frage) zur Beschleunigung dieses Prozesses beiträgt, ist bisher nicht untere 
sucht worden. 

Es fragt sich nun, ob die ganze Schuld an dieser Erkrankung bloß der 
Wirkung der Haare zuzuschreiben ist oder ob auch Mängel im Gewebe 
von Haus aus mit eine Rolle spielen. In Frage kommt 1. die schützende 
epitheliale Decke und 2. die Vitalität des Zementes. 

Schon die buchtige Beschaffenheit der Interdentalräume und der Taschen 
überhaupt ist als prädisponierendes Moment für das Steckenbleiben von Fremde 

körpern anzusehen. Da- 
zu kommt die mangel¬ 
hafte Beschaffenheit der 
epithelialen Decke an 
den in Betracht kommen¬ 
den Stellen. Das Epi¬ 
thel der Mundhöhle hat 
an seiner Oberfläche eine 
Hornschichte, die einen 
vorzüglichen Schutz 
gegen Verletzungen des 
Epithels darstellt <Fig. 1, 
3,4,5,6 //>. Am Boden 
der Tasche, wo sich das 
Epithel für die Bildung 
des SOH vom äußeren 
Schmelzepithel loslöst, 
ist ein Punctum minoris 
resistentiae, da nach 
jedesmaligem Loslösen 
einer Partie diese Stelle 
erst von neuem ver¬ 
hornen muß. In dieser 
Zwischenzeit bleibt sie 
ungeschützt. In den In¬ 
terdentalräumen findet 
sich überhaupt keine 

Hornschicht. Es fehlt hier offenbar an geschützter Stelle der chronische äußere 
Reiz zu ihrer Bildung. So sehen wir in Fig. 4 die Entzündung sich gerade 
an der Partie zwischen T — T x abspielen, die dem Interdentalraum entspricht 
und keine Hornschicht trägt, während die anschließenden Partien des Mund¬ 
epithels eine solche tragen < H >. Die Grenze zwischen diesen zwei Epithel¬ 
arten ist bei T — T x scharf ausgeprägt. Ähnliche Verhältnisse finden sich in 
Fig. 3. In Fig. 6 ist bei E die horngedeckte Epithelpartie zu sehen, bei E { 
das hornlose Epithel des Interdentalraumes. D ist der Anschnitt des an¬ 
schließenden Zahnes. Das Haar F u das hier bis an den Knochen reicht, ist 
genau an der Grenze zwischen beiden Epithelarten eingedrungen. Wir sehen 


Fi 3 .7. 


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Die Paradentalpyorrhoe der Rattenmolaren 


281 


also, daß eine lokale Prädisposition von seiten des Epithels vor= 
handen ist, die das Eindringen von Fremdkörpern erleichtert. — 

Anders verhält es sich mit der Vitalität des Zementes. Wir wissen 
von den Untersuchungen an menschlichen Zähnen her, daß das Wuchern des 
Epithels dem Zement entlang für uns ein Zeichen geschwundener Vitalität dieser 
Zementpartien ist. Wenn eine Zementpartie abstirbt, wird sie als Fremd¬ 
körper ausgestoßen, in- a 

dem das Epithel dar- 1 

über wuchert. Einen 

analogen Vorgang , 

sehen wir in Fig. 5. . 

Am Boden der Tasche ^ | u > 

T sind einige Haare <F> IT ■ • ^ 

ins Gewebe eingedrun¬ 
gen. Um diese Fremd¬ 
körper zu entfernen, 
wuchert das Epithel 
den Haaren entlang, 
bis es sie ganz um¬ 
wuchert und sich so dp 

wieder ihrer entledigt 1 

hat. Das gleiche sehen \ 

wir in Fig. 6. Das bei / 

F x eingedrungeneHaar ' ^ ,/\ 

ist zu beiden Seiten 
schon von Epithel ein- 

gescheidet und bei F . 2 ; 1L 

ist nicht mehr das Haar 
selbst getroffen — das 
Haar liegt hier im 
Nachbarschnitt— son¬ 
dern nur die epitheliale 
Scheide. Wir sehen 

ferner in Fig. 9 das d 

Bild von einem mensch- O. -f 

liehen Zahn. <Dieses 

Präparat zeichnet sich durch eine partielle Zementaplasie aus, die relativ 
selten zu finden ist. Die Wurzel beginnt bei C u wo nur ein kleines Stück¬ 
chen Zement gebildet ist, darunter folgt eine Dentinpartie ohne Zement¬ 
überzug, der erst bei C wieder anfängt. Der Spalt bei Sp ist artefiziell. 
Das Epithel E~E { ist in vivo von T —b dem Zahn fest angelegen. 
Auffallend ist, daß der Spalt Sp zwischen Epithel und Dentin beider¬ 
seits glattwandig ist, während C i entsprechend eine Ausfransung am 
Epithel vorhanden ist. Es scheint, daß das Epithel mit dem Zement in 
irgendeiner Weise organisch verbunden ist, während es dem Dentin bloß 


> 

. i 


f ‘3 * 1 


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282 


B. Gottlieb 



anliegt) 1 . Hier ist das 
Epithel E über den 
offenbar abgestorbe- 
nen Zementbezirk 
C—b gewuchert, ge¬ 
nau so wie es den 
Haaren <F> entlang 
in den Fig. 5 und 6 
gewuchert ist, um sie 
als Fremdkörper aus- 
zustoßen. Hi ngegen 
ist in Fig. 5 das Epi¬ 
thel dem Zement ent¬ 
lang nur bis b { ge¬ 
wuchert, während die 
Zementpartie b k —b, 
sich noch in lebender 
Verbindung mit dem 
anschließenden Bin¬ 
degewebe befindet. 
Wohl ist aber anzu¬ 
nehmen, daß das Ab¬ 
sterben dieser Partie 
infolge der durch die 
Haare gesetzten 
Schädigung ebenfalls 
bald erfolgt wäre und 
die Tasche sich bis b t 
erstreckt hätte, wenn 
das Tier noch einige 
Zeit am Leben ge¬ 
blieben wäre. Dies 
können wir aus den 
Vorgängen an der 
anderen Seite dieses 
Zahnes ersehen. Hier 
ist das Epithel schon 
bei b A , und die Ze¬ 
mentpartie b . A —& 4 ist 
bereits ausgestoßen. 
Unterhalb des Epi-' 
thelansatzes ist das 


Bindegewebe entzündlich infiltriert und die Schädigung für das Zement ist an 
der lakunären Resorption bei C k zu sehen. Diese lakunäre Resorption ist jeden- 


1 Nicht durch die Cuticula, hier ist keine gebildet! 


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Die Paradentalpyorrhoe der Rattenmolaren 


283 


falls nicht ganz neuen Datums, da keine Riesenzellen mehr angetroffen wurden. 
Die lakunäre Resorption hat offenbar zu einer Zeit stattgefunden, da das 
Epithel diese Partie noch nicht erreicht hatte. Dies scheint knapp ante mortem 
geschehen zu sein und es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß, wie ich dies 
auch an menschlichen Präparaten gesehen habe, auch hier das Epithel sehr 
bald über den Boden der Lakuncn gewuchert wäre. Gleich darunter sehen 
wir neue Zementablagerung bei C—K, das deutlichste Zeichen dafür, daß die 



Fiy. 10. 


Vitalität des Zementes hier auf der Höhe ist. Ob die Zementneubildung an 
dieser Stelle ebenfalls auf das Konto des hier schon abgeschwächten Reizes 
von der Entzündungsstelle her zu setzen ist, läßt sich nicht entscheiden. Ich 
halte die Annahme für wahrscheinlich, daß solche von außen einwirkende 
Reize eine bestehende Tendenz zur Zementneubildung unterstützen. Es 
kehren nämlich solche Befunde auffallend häufig wieder. Ein Analogon hierzu 
finden wir in den Zementhyperplasien in der Nähe periapikalerEntzündungs^ 


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Original frorn 

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284 


B. Gottlieb 


prozesse. Die dem Herd unmittelbar anliegenden Zementpartien sterben ab, 
die anschließenden Partien zeigen eine auffallend vermehrte Zementneubifdung, 
die vielfach die gefährdete Stellung der Wurzel auf lange hinaus rettet. Hirn* 
gegen können wir ein primäres Absterben des Zementes bei C i schwer an¬ 
nehmen mit Rücksicht auf die rege Zementneubildung im unmittelbar an¬ 
schließenden Zementbezirk. 

Ähnlich instruktiv wie Fig. 5 ist die Mikrophotographie in Fig. 10. Auf 
beiden Seiten ist Zement bloßgelegt <bis b und ft,). Auf der linken Seite 
steckt ein Haar (FF,) in der Tasche (mehrere weitere Haare und Detritus 
sind links davon in der Epithelausbuchtung zu sehen) und reicht durch das 
Epithel in das Bindegewebe. Das Bindegewebe der Umgebung ist entzünd¬ 
lich infiltriert. Der Epithelansatz am Zement befindet sich noch bei b . Es 
ist anzunehmen, daß das Haar nach einiger Zeit vom Epithel ganz um¬ 
wuchert und ausgestoßen worden wäre wie in Fig. 5. Auch die anschließende 
Zementpartie wäre wohl der Schädigung erlegen und der Epithelansatz wäre 
in das Niveau von F, verlegt worden. Die Tasche T auf der rechten Seite 
dürfte durch ähnliche Vorgänge verursacht worden sein. Es fehlt auch hier 
die für den primären Zementtod typische Tiefen Wucherung des Epithels 
<Fig. 9>. Die aufgehellte Partie an der Spitze des Wurzelanschnittes unter¬ 
halb ft x entspricht einem Vorstadium der Zementanbildung wie C —K in 
Fig. 5. Nur sind diese in der Mikrophotographie nicht so deutlich wieder¬ 
gegeben wie in der Zeichnung. 

Es spricht also alles dafür, daß der Ausfall der Rattenmolaren durch 
gehäufte paradentäre Entzündungen verursacht wird, die als 
Folge von eindringenden Fremdkörpern (Haaren) anzusehen sind 
und keineswegs durch ein primäres Nachlassen der Vitalität des 
Zementes. 

Vielmehr sind die Rattenmolaren mit einem besonders reaktionsfähigen 
Zement ausgestattet. Trotz der relativ kurzen Lebensdauer der Ratte 
(durchschnittlich 2 bis 3 Jahre) finden wir immer große Zementanschwellungen 
an den Wurzelspitzen und sehr häufig Zementpartien mit Zeichen von 
Zementneubildung (Fig. 2). Es entsteht nun die Frage, wie der Platz für 
die Zementanbildung an der Wurzelspitze zustande kommt. Es gibt nur 
zwei Möglichkeiten hierfür. Entweder schwindet nach Fertigstellung der 
Wurzel der Knochen am Boden der Alveole oder der Zahn steigt aus 
der Alveole heraus. Speziell bei der Ratte sprechen topographische Ver¬ 
hältnisse gegen die erste Möglichkeit. Im Oberkiefer trennt den Alveolen¬ 
boden nur eine dünne Knochenspange von der Kieferhöhle, im Unterkiefer 
gilt dasselbe für das gegenseitige Verhältnis von Molarenalveole zur Nage¬ 
zahnalveole. Viel wahrscheinlicher scheint mir, daß der Vorgang sich folgen¬ 
dermaßen abspielt. Die Bißhöhe wird durch die Nagezähne konstant er¬ 
halten. In gleichem Maße, in dem sich die Molarenzähne abnutzen, steigen 
sie aus der Alveole heraus. Der so verbreiterte Periodontalraum wird durch 
Zementneubildung wieder zur Norm zurückgeführt, die Länge des in der 
Alveole steckenden Zahnteiles wird so trotz fortschreitenden Durchbruches 


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Die Paradentalpyorrhoe der Rattenmolarcn 


285 


auf konstanter Höhe erhalten und mit ihr die Funktionstüchtigkeit des Zahnes. 
Daß eine solche phylogenetisch hochgezüchtete Zementbildungsfähigkeit stellen^ 
weise zu starker Verschmälerung des Periodontalraumes führen kann, wie 
dies bei jugendlichen Ratten beobachtet werden kann, ist klar. Ich habe aber 
noch nie ein Bild gesehen, das die Annahme rechtfertigen könnte, daß die 
Zementhyperplasie den Knochen zum Schwund bringt, um sich an dessen 



Stelle zur Weiterentwicklung Platz zu schaffen. Wir müssen also die Pyorrhoe 
der Ratte analog der Einteilung beim Menschen als Pyorrhoe mit marginaler 
Atrophie des Alveolarfortsatzes <Schmutzpyorrhoe> bezeichnen. Wir finden 
dementsprechend auch nie eine auffallende Disharmonie zwischen dem tiefsten 
Punkt des Epithelansatzes und dem Alveolarrand, wie wir es bei den Fällen 
mit diffuser Atrophie beim Menschen zu sehen bekommen. Der Alveolarrand 
befindet sich immer in einem nur in engen Grenzen schwankenden Abstand 
vom Epithel. 


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286 


B. Göttlich 


Es mögen hier einige Erwägungen zur Therapie der Paradentalpyorrhoe 
Platz finden. Während wir die Eiterung in jedem Falle durch Abtragen der 
eiternden Zahnfleischpartien mit entsprechender Nachbehandlung beheben 
können, besitzen wir noch kein sicheres Mittel zur Hebung der Vitalität 
des Zementes, abgesehen von den Stimulantien interner Natur <Arsen> 1 . 
Wir müssen uns bemühen, die auf histologischem Wege gewonnenen Kennt» 
nisse nutzbringend zu verwerten. 

Wir begegnen immer wieder der Tatsache, daß von außen her ein» 
wirkende Schädigungen von Zementpartien in den anschließenden Nach» 
barabschnitten hyperplastische Vorgänge auslösen, die sich uns als repara- 
torische Maßnahmen darbieten <periapikale Prozesse, Schmelztropfen, auf¬ 
gelöste Epithelnester, durch Fremdkörper verursachte paradentale Schä¬ 
digungen u. a.>. Wenn wir uns diese Tatsachen zur Richtschnur nehmen, so 
werden wir künstlich entsprechend dosierte akute Reize setzen müssen, wenn 
wir eine Hyperplasie des Zementes anstreben. Wir können dies apikal 
machen <Pulpaextraktion> und marginal. Letzteres besorgen wir durch das 
Abtragen des Zahnfleisches, das ja immerhin einen akuten Reiz auf die be¬ 
nachbarten Zementpartien darstellt. Durch das Aufbürsten der Taschen bei 
kräftigem Putzen mit harten Zahnbürsten in der Vertikalen und anschließen¬ 
der Massage können wir diesen Reiz täglich wiederholen. Es sei jedoch be¬ 
tont, daß eine Wirkung nur dann eintreten kann, wenn sowohl Wurzel¬ 
oberfläche wie Bindegewebszellen entsprechend disponiert sind. 

Und nun sollen noch einige Bilder von der Erkrankung in ultimis gezeigt 
werden. Fig. 11 stammt von einer jungen Ratte, bei der die Erkrankung 
trotz der Jugend so weit fortgeschritten war, daß manche Zähne schon völlig 
ausgestoßen waren. Die Pulpakammer (PK) war noch groß, ihr Boden dünn, 
allenthalben Zeichen von Dentinwachstum. Die vielen Globuli (Gl) zeugen 
von Rachitis <bei der Ratte sehr häufig, siehe auch in Fig- 3 das dicke Zemen- 
toid C — K >. Das Epithel E ist unter dem Zahn bereits vollkommen ge¬ 
schlossen. Der Zahn ist also ganz ausgestoßen. Manchmal kommt es in 
fortgeschrittenen Stadien zu weitgehenden Entzündungen mit Sequester¬ 
bildungen in den anliegenden Knochenpartien <Osteomyelitis>. 

Daß der Zahnausfall auch bei bereits vollkommen durchgefiihrter Los¬ 
trennung nicht glatt vor sich gehen muß, sehen wir in Fig. 12. Dieser Zahn 
war bereits wie der in Fig. 11 vollkommen ausgestoßen und ist verlagert 
worden. Die Krone K liegt in der Schleimhauthöhlung, der letzten An¬ 
deutung einer Alveole, und die Wurzelspitze ragt in die Mundhöhle. Wir 
dürfen nicht vergessen, daß das Tier sich nicht helfen kann und mehr auf den 
Zufall angewiesen ist, ob der ausgestoßene Zahn aus der Mundhöhle hinaus¬ 
kommt oder drinnen bleibt, oder eventuell verschluckt oder aspiriert wird. 
Ferner sehen wir in Fig. 13 bei A den Rest einer Alveole in Zuheilung be¬ 
griffen. Es besteht nur noch eine Einbuchtung der Schleimhaut. 

1 Das natürlich nur auf die Bindcgewebszcllen wirken kann und nicht auf die Qualität 
der Wurzel oberflache. 


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- -Original fram- 4 - 

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Die Paradentalpyorrhoe der Rattenmolaren 


287 


Besondere Aufmerksamkeit sei auf die Knochenpartien K <bukkal> und 
K x <palatinal> in Fig. 11 gelenkt. Diese Knochenpartien sind nicht Alveolar¬ 
knochen und schwinden dementsprechend auch nie nach Ausfall des Zahnes. 
An der bukkalen Seite setzen sich Muskelbündel an (M in Fig. 6>, und die 
palatinale gehört zum Gaumengerüst. Soweit diese Knochenteile durch die 
im Anschluß an die Vorgänge beim Zahnausfall sich abspielende Entzündung 



Fig.lZ. 


geschädigt wurden, regenerieren sie sich nach erfolgtem Zahnausfall <neu- 
gebildeter Knochen bei K—C in Fig. 11>. Abgesehen davon, muß auch aus 
funktionellen Gründen hier ein Umbau stattfinden. Der durch den Zahn¬ 
ausfall entstehende Hohlraum bedeutet eine Schwäche im Rücken der nicht 
alveolären Knochenteile. Es wird also von den funktionell vom Zahn un¬ 
abhängigen Knochenpartien ein Umbau ausgehen, der den neuen zahnlosen 
Verhältnissen sich anpaßt. 

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf die Auffassung Weskis, betreffend 
die Atrophie des Alveolarfortsatzes, eingehen. Weski beschreibt die vertikale 


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288 


B. Gottlieb 



Atrophie des Alveolarfortsatzes, bringt hierfür auf Tafel XLIX (Vierteljahrs¬ 
schrift für Zahnheilk. 1921, H. 1> in Fig. 6 eine schematische Darstellung und 
eine Reihe von histologischen Befunden und Röntgenbildern, die beweisen, 
daß dieses Bild tatsächlich zu Recht besteht. Überblichen wir jedoch diese 
Befunde, so finden wir eine Gesetzmäßigkeit wiederkehren, die in Über¬ 
einstimmung mit dem bei Fig. 11 besprochenen Befunde steht und einen klaren 
Einblick in die biologischen Verhältnisse dieser Form der Alveolaratrophie 

^oder an 

4^,der 

»»1.^ pSt Kj&s Muskelansatz) dient. In 

v beiden Fällen kann der 

Ül oberhalb des Niveaus 

desTasdienbodens sidi 

$ mit noch stehendem 
JkHB wPs ^Hr r\ Nachbarzahn gehört 

jp* derandieTaschegren- 

J ’ zende Knochen zur Al¬ 

veole des Nachbar¬ 
zahnes. Aber auch in denjenigen Fällen, wo der Nachbarzahn extrahiert 
ist, kann approximal das Bild der Vertikalatrophie bestehen bleiben, wenn 
der auf dem Boden des extrahierten Zahnes umgebaute Knochen aus funk¬ 
tionellen Gründen nicht bis zum Niveau der Wurzelspitze geschwunden ist. 
Da nun letzteres bei einzeln extrahierten Zähnen nur selten vorkommt, wird 
jede Randatrophie an den der Lücke zugekehrten Approximalflächen der 
Nachbarzähne eine Vertikalatrophie im Sinne Weskis darstellen. 

Die Gesetze, die den LImbau des Knochens nach Zahnextraktionen be¬ 
herrschen, sind noch zu wenig studiert. Wir wissen z. B., daß der „Alveolar¬ 
knochen" der unteren Molaren bukkal und lingual sich durch eine besondere 
Mächtigkeit auszeichnet. Tatsächlich handelt es sich hier aber nicht um 
Alveolarknochen im eigentlichen Sinne. Nur die dem Zahn zugekehrte 


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Die Paradentalpyorrhoe der Rattenmolaren 


289 


Knochenlamelle ist funktionell vom Zahn abhängig, während der restliche 
Knochen den an ihm ansetzenden Muskeln dient <hier Mm. buccinatorius 
und mylohyoideus) <Fig. 14). Wenn nun ein unterer Molar extrahiert wird, 
wiez. B. im Falle Tafel II, Fig. 1—2 der oben zitierten Arbeit Weskis, so 
wird wohl die innere Lamelle der Zahnzelle, der eigentliche Alveolarknochen 
vorerst schwinden, die äußeren Partien aber vermöge ihrer Funktion als 
Muskelansätze erhalten bleiben. In dem durch die Extraktion entstandenen 
Hohlraum wird sich mit der Zeit ein Umbau vollziehen, der den neuen Ver¬ 
hältnissen entspricht, wobei es zu Knochenaufbau im Fundus der leeren 
Alveole etwa bis zur Hälfte der Tiefe kommen wird, entsprechend den Be¬ 
dürfnissen der in der Umgebung dieses Gebietes auf den Knochen einwir¬ 
kenden Kräfte <Muskelansätze und stehengebliebene Zähne). Tritt in diesem 
Falle eine Randatrophie eines be¬ 
nachbarten Zahnes ein, so wird 
sie uns als Vertikalatrophie im¬ 
ponieren. An der distalen Fläche 
der unteren Weisheitszähne z. B. 
wird nie eine Horizontalatrophie 
zu finden sein, weil an den alve¬ 
olären Knochen sich der Knochen 
des aufsteigenden Kieferastes an¬ 
schließt, der ja unter allen Um¬ 
ständen bestehen bleibt. An den 
labialen Flächen der Frontzähne 
hingegen wird man nie eine Ver¬ 
tikalatrophie beobachten können. 

Hier ist der alveoläre Knochen 
mit keinem Knochen anderer 
Funktion vergesellschaftet. Wenn 
da der alveoläre Knochen schwindet, so bedeutet das den Schwund des ge¬ 
samten in Betracht kommenden Knochens. 

Es besitzt die Bezeichnung vertikale und horizontale Atrophie als Unter¬ 
abteilungen der Randatrophie für Zwecke klinischer oder röntgenologischer 
Verständigung wohl eine Berechtigung, als kardinalem Einteilungsprinzip 
fehlt ihm jede erforderliche Qualität. 

Ich bin bei der Aufstellung meiner Einteilung von der Beobachtung aus¬ 
gegangen, daß die Lockerung des Zahnes bekanntermaßen die wichtigste Tat¬ 
sache darstellt. Die Lockerung kann zwei pathologisch-anatomische Grund¬ 
lagen haben. Entweder bleibt die Periodontalbreite die gleiche, und die Höhe 
des Alveolarfortsatzes ist durch Schwund vom Alveolarrand her verkürzt 
<Randatrophie), oder die Alveolarhöhe bleibt vorerst die gleiche und die 
Periodontalbreite ist in größerer oder geringerer Ausdehnung vergrößert 
<diffuse Atrophie). Wohl gibt es Kombinationen dieser zwei Möglichkeiten, 
eine dritte Möglichkeit gibt es aber nicht. Sind zwei Zähne mit verschieden 
hohen Alveolarfortsätzen gleich fest, so muß der Zahn mit dem kürzeren 

Viertcljahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 3 19 



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290 


B. Göttlich 


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Alveolarfortsatz ceteris paribus einen schmäleren Periodontalraum haben als 
der Vergleichszahn. Sind jedoch zwei Zähne mit gleich hohem Alveolarfort¬ 
satz verschieden fest, so hat der festere einen schmäleren Periodontalraum. 

In der Höhe des Alveolarfortsatzes drückt sich die Größe der Haftfläche 
des Zahnes aus, in der Breite des Periodontalraumes der Vitalitätsgrad 
dieser Haftfläche. Je kleiner die Haftfläche, desto höher muß ihre Vitalität 
sein, damit die Festigkeit die gleiche bleiben soll. Wir sehen an einer „um¬ 
gelegten Wurzel" oft eine äußerst kleine Haftfläche, sogar die Wurzelspitze 
ragt schon in die Mundhöhle. Voll Vertrauen auf die aus dieser Erschei¬ 
nung erschlossenen Lockerung wollen wir mit der gewöhnlichen Pinzette die 
Wurzel entfernen und sind erstaunt, daß wir doch zur Zange greifen müssen. 
Die Haftfläche ist hier wohl auf ein Minimum verkleinert, aber auch 
die Periodontalbreite ist auf ein Minimum reduziert. Es besteht nämlich 
eine Verwachsung zwischen Zahn und Knochen, und dies bedeutet, daß die 
Periodontalbreite gleich Null ist. Die Größe der Haftfläche und die Höhe 
ihrer Vitalität sind zur Festigkeit eines Zahnes gerade proportioniert. Der 
Grad der Vitalität der Haftfläche ist zur Breite des Periodon talraumes ver¬ 
kehrt proportioniert. Ich glaube, daß diese Gesichtspunkte das Wesen der 
Sache richtig charakterisieren. 

Ich habe im Titel dieser Arbeit den Ausdruck Paradentalpyorrhoe ge¬ 
braucht. Alle beteiligten Kreise ohne Rücksicht auf sonstige Meinungs¬ 
differenzen sind sich darüber einig, daß die Bezeichnung Alveolarpyorrhoe 
nicht nur keine Berechtigung hat, sondern eine Hauptschuld an der großen 
Begriffsverwirrung trägt, da sie immer wieder den Eindruck erwecken muß 
und es auch nur zu oft tut, daß die Eiterung aus dem Alveolarknochen 
erfolgt. Wunschheim hat für den akuten Abszeß an dieser Stelle die 
treffende Bezeichnung paradental geprägt. Weski hat für alle dem Zahn 
zugehörenden Gebilde die passende Bezeichnung Paradentium vorgeschlagen, 
und es dürfte wohl zweckmäßig sein, für den chronischen Eiterfluß aus den 
Taschen die Bezeichnung Paradentalpyorrhoe zu gebrauchen. 

Herrn Professor Erdheim danke ich auch an dieser Stelle für die vielfache 
Unterstützung mit Rat und Tat. 



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Die Paradentalpyorrhoe der Rattenmolaren 


291 


ERKLÄRUNG DER ABBILDUNGEN 

Fig. 1, 3, 4, 5, 6, 9 und 11 sind Zeichnungen. 

Fig. 2, 7, 10, 12 und 13 sind Mikrophotogramme. 


S = Schmelz (leerer Raum/ der Schmelz 
geht beim Entkalken verloren, und man kann 
seine äußere Grenze nur durch den Verlauf 
des SOH bestimmen). 

SOH = Schmelzoberhäutchen. 

ME = Mundepithel. 

E = Epithel. 

T = Boden der Tasche. 

H — Hornschicht. 

D = Dentin. 

C ~= Zement. 

K — Knochen. 


D —C = Dentinoid. 

C—C = Zementoid. 

K—C = Osteoid. 
p = Periodont. 

Gl = Globuli. 
i — Infiltrat. 

F = tierische Haare. 

FH = Haferhaare. 
b = Epithelansatz. 

M. b. = Musculus buccinatorius. 
M. myh. ?= Musculus mylohyoideus. 


Nach der Drucklegung dieser Arbeit sind mir von Neu mann und Weski Angriffe gegen 
mich zur Kenntnis gekommen, auf die ich hier kurz eingehen will. 

Neumann (Vierteljahrsschrift) verlangt neuerdings Rechenschaft über meine Äußerung 
in Köln, daß die radikal*chirurgische Methode eine Schädigung darstelle. Wie sehr meine 
wissenschaftlichen Grunde gerechtfertigt sind, ist früher bewiesen worden, als ich es hoffen 
konnte. In Nr. 1 des D. C. 1923 ist in einer Arbeit aus der Universität in California nach* 
gewiesen, daß nach Herstellung hygienischer Verhältnisse der Abbau am Alveolarrand sistiert 
und in Anbau übergeht. Praktisch bin ich mit dem Abtragen des Zahnfleisches bis zum 
Boden der Tasche bisher so zufrieden gewesen, daß ich noch nie das Bedürfnis nach einer 
anderen Methode hatte. Daß ich infolgedessen jeden radikaleren Eingriff für eine Schädi¬ 
gung halten muß, ist klar, und ebenso klar ist, daß ich bei dieser Sachlage keine Veran* 
lassung habe, die radikaUchirurgische Methode auszuprobieren. 

Weski hat in der Rundschau den Inhalt seines Vortrages in Leipzig wiedergegeben, die 
Stelle, auf die sich meine Bemerkung in der Diskussion über eine Annäherung bezog, aus* 
gelassen und zum Schluß verwundert gefragt, worin denn die Annäherung bestehe. Aus dem 
Protokoll wird jeder den Sachverhalt ersehen können. Es handelt sich um seine Behaup* 
tung eines „Plasmatodes der dem Zement und Knochen anliegenden Bindegewebszellen". 

Was ferner seine Behauptung anlangt, daß die von ihm angefochtenen Knochenschwund* 
formen in meiner gemeinsamen Arbeit mit Fleischmann einen bedeutenden Teil der 
Basis meiner Theorie darstelle, entspricht dies nicht den Tatsachen. Für diese Theorie ist 
es ganz belanglos, in welcher Form der Knochenschwund erfolgt und ob in drei Präparaien 
mehr oder weniger ein Knochenschwund nachgewiesen erscheint. 

Eine sachliche Polemik über diese wie über alle anderen strittigen Fragen muß so lange 
aufgeschoben werden, bis die Arbeit Weskis einen Abschluß erfahren hat und seine An* 
schauungen feststehen. Wir werden dann sehen, wie weit Weski mit dem „hydraulischen 
Druck" der „inneren Reibung", der bei der Entspannung der Fasern freiwerdenden Energie 
und ähnlichem „positiven Tatsachenmaterial und anerkannten physiologischen Vorstellungen" 
kommen wird. 


19 ' 


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BEITRAG ZUR BEHANDLUNG DER TRAUMATL 
SCHEN PERFORATIONEN 

VON 

PROF. DR. HERMANN SCHRÖDER, BERLIN 

D ie traumatischen Perforationen der Wurzel sind meist infolge unge* 
schickter Führung des Bohrers, insbesondere des noch immer gebrauch* 
liehen, an sich unzweckmäßigen Wurzelkanalbohrers, verursacht. 

Die Lage der Perforation an der Wurzel kann eine sehr verschiedene sein, 
hängt aber von dem Lagerungsverhältnis der Krone zur Wurzel in ge* 
wissem Sinne ab insofern, als der Richtungsunterschied zwischen Wurzel und 
Krone Veranlassung zu falscher Bohrerfuhrung wird. So finden wir bei* 
spielsweise die Perforation bei mittleren Schneidezähnen sehr häufig auf der 
labialen Seite, während beim seitlichen Schneidezahn und beim Eckzahn die 
Perforation oft medial, mehr oder weniger weit von der Wurzelspitze ent* 
fernt, gelagert ist. Bei Prämolaren, insbesondere bei oberen, werden sehr 
leicht die approximalen Flächen perforiert infolge der relativen Schmalheit 
der Wurzel. Bei Molaren ist die Perforation an der Bifurkationsstelle nicht 
selten und die Folge falscher Bohrerführung bei den Versuchen, die Wurzel* 
kanäle am Grunde der Pulpakammer freizulegen. 

Die Folgen einer solchen Perforation können in einer mehr oder minder 
akuten, durch Infektion bedingten Entzündung der Wurzelhaut, die mit einer 
Abszedierung enden kann, bestehen, oder der Fall verläuft von vornherein 
chronisch. Das umgebende Gewebe reagiert auf die durch die Perforation 
geschaffenen Reize mit der Bildung von Granulationsgewebe, gegenüber der 
Perforationsstclle oder um diese herum. Eine mäßige, dem Patienten kaum 
auffallende, nicht besonders deutliche Lockerung der Wurzel ist die regel* 
mäßige Folge. Auch sind derartige Zähne auf Druck empfindlicher als die 
gesunden Nachbarzähne und weisen nicht mehr die Tragkraft der nor* 
malen auf. 

Die Therapie hat — ganz allgemein gesagt — darin zu bestehen, daß die 
mit dem Wurzelkanal bestehende Verbindung unter möglichster Ausgleichung 
des Substanzverlustes an der Oberfläche aufgehoben wird. Die zu diesem 
Zwecke angewandten und empfohlenen Methoden zielen darauf hinaus, vom 
Wurzelkanal aus die Perforation mit plastischen, auch mit festen Materialien 


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Beitrag zur Behandlung der traumatischen Perforationen 


293 


abzuschließen. Man empfahl und versuchte beispielsweise die perforierte 
Stelle vom Kanal aus mit Zement, Guttapercha, Zinnfolie, Platinfolie, Gold¬ 
folie, Silberdraht und anderen Mitteln abzuschließen. 

Die Wahl des Materials erscheint ziemlich belanglos, wenn man bedenkt, 
daß es eine technische Unmöglichkeit ist, die Perforationsöffnung bezw. den 
Perforationskanal vom Pulpakanal aus nach außen hin so abzudichten, daß 
auch der Substanzverlust an der Wurzeloberfläche ausgeglichen wird. In ver¬ 
alteten Fällen spricht auch das Vorhandensein eines mehr oder minder großen 
Granuloms an der Perforationsstelle gegen ein solches Vorgehen. 

Es muß also nach einer 
neuen Methode gesucht 
werden. Der Gedanke, 
die Perforation freizulegen 
und vom Kanal aus oder 
von außen her einen dich¬ 
ten Abschluß zu erreichen, 
liegt nahe. Dieser Vor¬ 
schlag erscheint in all den 
Fällen durchführbar, in 
denen die Perforations¬ 
stelle von außen über¬ 
sichtlich freigelegt werden 
kann, dann also, wenn die 
Perforation labial, mesial 
oder distal liegt. Lingual 
gelegenen Perforationen 
ist allerdings auf diesem 
Wege schwer beizukom¬ 
men, und hier ist ein an¬ 
derer Weg einzuschlagen, auf den ich am Schlüsse dieser Ausführungen 
zu sprechen komme. 

Liegt die Perforation in der Nähe der Wurzelspitze, so empfiehlt es sich, 
nach Freilegung derselben den Wurzelkanal mit plastischen, hart werdenden, 
antiseptischen Zementen zu füllen und diese durch einen nachgeführten Elfen¬ 
beinstift gleichmäßig zu verteilen, so daß der Kanal bis zur Wurzelspitze 
sicher abgefüllt ist. Dann trennt man die Wurzelspitze unmittelbar unter dem 
Perforationskanal ab (vgl. Fig. 1>. 

Diese Behandlungsmethode erscheint dann nicht mehr angezeigt, wenn die 
Perforation in so großem Abstande von der Wurzelspitze liegt, daß die 
Festigkeit des Zahnes durch das Abtragen des über der Perforation liegenden 
Wurzelteiles gefährdet wird. Man sollte überhaupt beim Abtragen der 
Wurzelspitzen nicht zu weit gehen, da sich das statische Verhältnis der Krone 
zur Wurzellänge, besonders den sagittalen und transversalen Kaudruckkompo¬ 
nenten gegenüber zu ungünstig gestaltet und eine Stellungsänderung und 
Lockerung des Zahnes zur Folge haben kann. Auch ist die Tragfähigkeit 





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294 


Hermann Schröder 


solcher Zähne so gering, daß sie als Brückenpfeiler nur mit Vorsicht ausge¬ 
nutzt und vielfach überhaupt nicht mehr in Betracht kommen können. 

In solchen Fällen empfiehlt es sich vielmehr, die Wurzel in ihrem vollen 
Umfange zu erhalten und die Perforation von außen abzudichten. Hierfür 
scheinen mir nun die üblichen Füllungsmaterialien, auch das Amalgam, wie 
überhaupt alle Metallegierungen, wenig geeignet, da die letzteren, wie meine 
vor Jahren durchgeführten und veröffentlichten Implantationsversuche un¬ 
zweifelhaft ergeben haben, vom Knochen stets als Fremdkörper empfunden 
werden und dementsprechend regressive Prozesse, Nekrosen, Granulations¬ 
bildungen usw. auslösen, jedenfalls ermöglichen sie keine Regeneration des 
Knochens und werden günstigstenfalls nur bindegewebig abgeschlossen. 

Hier kommt vielmehr ein dem Knochen verwandtes Material in Frage, 

vor allem das Elfenbein, von dem wir wissen, 
daß es organisationsfähig ist und keine stö¬ 
renden Reizerscheinungen im Knochen ver¬ 
ursacht. Die Perforationsöffnung, oder besser 
gesagt, der Perforationskanal, soll nach Ab¬ 
füllung des Wurzelkanals mit einem ent¬ 
sprechend starken Elfenbeinkonus oder Elfen¬ 
beinzylinder abgedichtet werden. DieTedinik 
wird so durchgeführt, daß man mit Hilfe eines 
schwach konisch zulaufenden oder zylindri¬ 
schen Bohrers, dessen Umfang etwas größer 
ist als das Lumen des Perforationskanals, 
diesen gleichmäßig erweitert, um dann einen 
der Bohrergröße genau entsprechenden Elfen¬ 
beinkonus unter gleichzeitiger Verwendung 
plastischen, schnell härtenden Zements in den 
Kanal hineinzutreiben. Das vorstehende Ende 
wird vorsichtig mit einem feinen Fissurenbohrer abgetragen <vgl. Fig. 2>. 
Dann wird die Schleimhaut — und zwar, wenn möglich, mit dem darunter 
liegenden Periost — über die freigelegte Wurzel gelegt und vernäht. 

Es steht fest, daß das über die abgedichtete Perforationsöffnung gelagerte 
Periost eine ossifizierende Tätigkeit entwickelt, was bei der Abfüllung mit 
einem Metall nicht der Fall wäre 1 . 

Liegt die Perforationsöffnung medial oder distal so weit nach rückwärts, 
daß von außen her eine gleichmäßige Erweiterung des Kanals nicht gut mög¬ 
lich ist, so kann man vom nicht gefüllten Wurzelkanal aus in vielen Fällen 
mit einem entsprechend starken Elfenbeinstift, der bekanntlich sehr elastisch 
ist, unter Anwendung von plastischem, hart werdendem Zement abdichten. 
Nach Erhärtung des Zements entfernt man den Uberschuß mit Hilfe eines 
Fissurenbohrers. 


1 Vgl. Schröder, Über Replantation und Transplantation. Korrespondenzblatt f. Zahn' 
ärzte u. Deutsche Monatsschrift 1917, Heft 10. 



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Beitrag zur Behandlung der traumatischen Perforationen 


295 


Unregelmäßige flächenhafte Perforationen sind auf diese Weise nicht 
zu behandeln. Hier ist ein neuer Weg einzuschlagen. Nach Abfüllung 
des Wurzelkanals wird die Perforationsstelle wie in allen übrigen Fällen 
übersichtlich freigelegt, kastenförmig ausgebohrt und sodann mit einer pla¬ 
stischen, aus den anorganischen Bestandteilen des Knochens bestehenden 
Plombe 1 abgefüllt, nach deren Erhärtung der Schleimhautperiostlappen <auf 
die Erhaltung des Periosts ist Gewicht zu legen!) darüber gelegt und ver¬ 
näht wird. 

Diese Methoden sind ohne Schwierigkeiten durchzuführen und ergeben ein¬ 
wandfreie und gute Resultate, sie ermöglichen vor allem eine völlige Regene¬ 
ration des defekten Knochens an der Stelle der Perforation. Auch im Bereiche 
der Seitenzähne können sie angewandt werden, vor allem bei den interradi- 
kulären Perforationen, die von außen her, von 
der Bifurkationsstelle aus, zu erreichen und 
zu übersehen sind <vgl. Fig. 3 u. 3a>. 

Man geht in solchen Fällen folgendermaßen 
vor: Zu beiden Seiten des Zahnes wird durch 
zwei vertikale Schnitte das Zahnfleisch in der 
Breite des betreffenden Zahnes abgelöst, so 
daß der Alveolarrand freiliegt und mit ihm 
die Bifurkationsstelle. In veralteten Fällen liegt 
das die Perforation umgebende Granulations¬ 
gewebe nach Abhebung des Zahnfleisches von 
vornherein frei und kann mit einem kleinen 
scharfen Löffel abgetragen werden, so daß 
die Perforationsöffnung gut übersichtlich wird. 

In frischen Fällen wird es notwendig sein, den 
freien knöchernen Alveolarsaum zwischen bei¬ 
den Wurzeln keilförmig auszuschneiden und so die Perforationsöffnung freizu¬ 
legen. Sodann wird nach Durchführung der Wurzelbehandlung durch einen 
kegelförmigen Bohrer, dessen Umfang etwas größer ist als das Lumen der 
Perforation, diese gleichmäßig erweitert und mit einem der Bohrergröße 
entsprechenden Elfenbeinkonus abgedichtet. Der zwischen den Wurzeln zum 
Vorschein kommende Elfenbeinkegel wird nun in der Pulpahöhle mit pla¬ 
stisch sehr schnell erhärtendem Zement abgedeckt <vgl. Fig. 3a> und nach 
Erhärtung desselben zwischen den Wurzeln abgetragen. Dann wird die 
Schleimhaut darüber vernäht. 

In keinem der so behandelten Fälle war ein Mißerfolg zu verzeichnen. 

Nicht durchführbar ist die eben beschriebene Methode, wenn die Perfo¬ 
ration an einer schwer zugänglichen Stelle, zum Beispiel an der lingualen 
Fläche der Wurzeln liegt. Dann habe ich die Replantation mit möglichster 
Erhaltung des Wurzelperiosts durchgeführt. 


1 Siche Schröder, Eine neue Knochenplombe. Korrespondenzblatt f. Zahnärzte, 
Bd. XXXXIII, Heft I. 



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296 Hermann Schröder: Beitrag zur Behandlung der traumatischen Perforationen 


Der Zahn wird unter Novocain extrahiert und sofort in eine 1 %o ige Vu* 
zinlösung von ca. 37 Grad gelegt, sodann zwecks Durchführung der Wurzel* 
Behandlung mit vuzingetränktem Gazeläppchen gefaßt und die Perforations* 
Öffnung an ihm auf die oben beschriebene Art mit Elfenbein abgedichtet. 
Sodann wird der Zahn so schnell wie möglich in die Alveole gesetzt und 
durch Achterligatur oder durch besondere Fixationsapparate an Ort und 
Stelle gehalten. 

Die Anwendung von Vuzin und solchen Lösungen <Morgensterns 
Chininderivate), die stark antiseptisch wirken, ohne die Vitalität des Gewebes 
zu gefährden, hat die Aussichten für die Replantation sehr viel günstiger ge* 
staltet. Für die schnelle Einheilung und für den längeren Bestand des Zahnes 
ist natürlich die Erhaltung des Periosts eine Vorbedingung. 


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AUS DER KONSERVIERENDEN ABTEILUNG DER ZAHNÄRZTLICHEN 
UNIVERSITÄTS-POLIKLINIK ZU ERLANGEN 

LEITER: PROFESSOR DR. GREVE 

DIE VERÄSTELUNG DES APIKALEN WURZEL^ 
KANALS NEBST FOLGERUNGEN, DIE SICH 
DARAUS ERGEBEN 

VON 

DR. DJERASSI, ZAHNARZT IN SOFIA (BULGARIEN) 

E inführung. Die Wichtigkeit der Klärung und Beantwortung der in 
der Überschrift genannten Aufgabe hat besonders in den letzten Jahren 
eine große Bedeutung gewonnen. Eine Reihe von ausführlichen Arbeiten 
aus den letzten Jahren behandeln diese Frage. In der Tat ist die genaue 
Kenntnis der topographisch -anatomischen Verhältnisse der Wurzelspitze 
menschlicher Zähne für den Zahnarzt deshalb von besonderer Wichtigkeit, 
weil gerade dies ein Gebiet ist, mit dem derselbe sich täglich zu beschäftigen 
hat. Sowohl für die konservierende Behandlung wurzelkranker Zähne, als 
auch für die chirurgische sind diese Kenntnisse von besonderem Wert. Wie 
weit mitunter das Fehlen genauer Kenntnisse solcher Fragen führen kann, 
sehen wir daraus, daß die Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigt 
haben, sich in zwei Lager geteilt haben. Die einen, die Anhänger der Ampu¬ 
tationsmethode entzündeter Pulpen, ziehen ihre Schlüsse aus den Befunden 
ihrer Arbeiten, daß nämlich eine Verästelung an der Wurzelspitze regelmäßig 
zu finden sei. Die anderen, die Anhänger der Exstirpations-Methode, emp¬ 
fehlen regelmäßig die Entfernung der Pulpen aus wurzelkranken Zähnen, 
weil sie die Verästelung der Wurzelspitze nur als Ausnahme ansehen. Die 
verschiedenen Befunde sind, wie im Laufe dieser Arbeit gezeigt werden soll, 
auf die verschiedenen Methoden zurückzufuhren, die die Autoren bei ihren 
Untersuchungen angewandt haben. 

In den letzten Jahren hat die Frage der allgemeinen Infektion, ausgehend 
von wurzelkranken Zähnen, großes Aufsehen erregt. Der amerikanische 
Physiologe Martin H. Fischer hat nämlich die Behauptung aufgestellt und 
zu beweisen versucht, daß jeder wurzelkranke Zahn, wenn er auch behandelt 
war, die Aufspeicherungsstätte für eine Bakterieninfektion des Organismus 


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298 


Djerassi 


ist. Er stellte den kühnen Satz auf, daß die Behandlung solcher Zähne nicht 
nur aussichtslos sei, sondern schädlich, sogar gefährlich für das Leben des 
Patienten. Es wurde darüber viel in der zahnärztlichen Literatur und auf 
zahnärztlichen Versammlungen diskutiert, ohne daß man dabei zu einem ab* 
schließenden Urteil gekommen wäre. Soviel aber war doch klar, daß die An* 
gaben Fischers mindestens übertrieben waren. Man darf aber wohl den 
neutralen Ergebnissen des Bonner Pathologen Mönckeberg unbedingt zu* 
stimmen, der erst in allerneuester Zeit <D. Z. W. 1922 Nr. 26> sich dahin 
ausspricht, daß gelegentlich durch wurzelkranke Zähne „schubweise und in 
Intervallen Bakterien in den Körper hineingelangen, die aber nicht oder nur 
wenig im Blute sich zu vermehren imstande sind, daß dagegen eine Verall* 
gemeinerung der Thesen Fischers auf alle Infektionen, bei denen die Keime 
durch die Zähne ins Blut gelangen, abzulehnen, und gänzlich von der Hand 
zu weisen die Auffassung ist, daß eine Anzahl zweifellos nicht infektiöser 
Krankheiten durch Infektionen von der Mundhöhle her zustande kommen/' 

Wenn nun auch die Verästelungen des Pulpenkanals am Apex dentis in 
gewisser, man könnte sagen, indirekter Beziehung zu einigen Allgemein* 
infektionen stehen können, da sie eine exakte Wurzelbehandlung erschweren, 
so ist doch die Fischersche Arbeit in keiner Weise geeignet, die Frage nadi 
den Verästelungen zu entscheiden. 

Das will aber auch die vorliegende Arbeit noch nicht, weil das untersuchte 
Material im Verhältnis zu anderen Arbeiten zu gering ist. 

Der verfolgte Zweck ist vielmehr der, auf Grund neuer Untersuchungen 
zur Klärung und besseren Kenntnis der Dinge beizutragen. 

Die großen Arbeiten, die letzthin entstanden sind, verfügen über ein großes 
Untersuchungsmaterial, das mit viel Mühe und Schwierigkeit bearbeitet worden 
ist. M eine Ergebnisse fußen auf der experimentellen Nachprüfung der wichtigsten 
bis jetzt bekannten Methoden der vorliegenden Arbeiten. Dabei wird ein 
Anspruch auf statistische Grundlagen nicht erhoben, sondern es ist Wert darauf 
gelegt worden, durch verschiedene Methoden Erkenntnisse und Tatsachen zu 
sammeln, die uns die gewünschte Aufklärung nach der besagten Richtung ge* 
währen können. 

Geschichte. Zunächst sei ein geschichtlicher Überblick über die Autoren, 
die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, und deren Arbeiten gegeben. 

Wir finden die ersten Angaben über die Anatomie der Wurzelkanäle bei 
Carabelli in seinem Lehrbuch, erschienen im Jahre 1844. In dem vortreff* 
liehen Werke Mühlreiters „Anatomie der Zähne" <1891) ist die Behänd* 
lung der Frage über die Verhältnisse der Wurzelkanäle nicht unterlassen 
worden. Das Korrespondenzblatt für Zahnärzte 1896 enthält die Über* 
setzung der Arbeit Couliaux', der die gleichen Angaben über die Verhält* 
nisse der Wurzelkanäle macht, wie sie uns schon früher Carabelli gegeben 
hat. Als erste wichtige Arbeit, in der dieses Gebiet genau untersucht und 
beschrieben ist, kann diejenige von Preiswerk: „Herstellung von Korrosions* 
Präparaten der Wurzelkanäle mit leichtflüssigem Metall" gelten. Diese 
Arbeit ist im Jahre 1901 erschienen. Preis werk behauptet darin, daß die 


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Die Verästelung des apikalen Wurzelkanals nebst Folgerungen 


299 


'Wurzelkanäle sehr oft einen komplizierten Bau aufweisen, was er durch 
seine Korrosionspräparate zu beweisen sucht. Im Jahre 1903 zeigt uns W. D. 
Miller in seinem Lehrbuch der konservierenden Zahnheilkunde an der Hand 
von einigen Zahnschliffen verschiedene Variabilitäten in Form und Verlauf 
der Wurzelkanäle. Die G. Fischersche Arbeit, erschienen 1907, zeigt uns 
an der Hand von Korrosionspräparaten, die von Zelluloid angefertigt worden 
sind <das Material stammt aus menschlichen und tierischen Zähnen), eben¬ 
falls Verästelungen der Pulpenkanalswurzelspitze. 1909 fertigte Loos Schliffe 
von Zähnen an, doch berücksichtigten dieselben nur die Anatomie der Pulpen¬ 
kammer / für die Verhältnisse der Wurzelspitze sind dieselben leider nicht zu 
verwerten. Adloff wollte 1913 den Wert der verschiedenen Wurzelfüllungen 
feststellen und bediente sich dazu der Spalteholzschen Methode der Auf¬ 
hellung von undurchsichtigen Präparaten. Nebenbei beachtete er auch den 
Verlauf und die Form der Wurzelkanäle. Er konnte die von den anderen 
Autoren gefundenen feineren Gebilde der Wurzelspitze nicht feststellen. 
Diese Aufhellungsmethode wurde ferner auch von Fasoli und Arlotta 
angewandt. Die Moralsche Arbeit <1914) fußt auf der von Krause emp¬ 
fohlenen Methode zur Herstellung von Präparaten mit chinesischer Tusche 
und nachheriger Aufhellung des Gewebes, wodurch die Verhältnisse der 
Wurzelkanäle zu ersehen sind. Das Wichtigste, was Moral dabei fand, ist 
der 4. Wurzelkanal bei den oberen Molaren, und zwar bei 65% der Fälle. 
Eine große Erleichterung bei der Herstellung von Korrosionspräparaten 
führte Heß <1917) durch die Verwendung eines Ausgusses mit Kautschuk 
ein. Heß konnte die Fischerschen Angaben der Verästelungen bestätigen. 
Die letzte Arbeit auf diesem Gebiete rührt von Türkheim her <1922). Die¬ 
selbe besteht darin, aus lebenden Zähnen durch Abspülen des organischen 
Gerüstes des Dentins die Pulpa in toto herauszubekommen, und zwar nach 
einer gewissen Vorbehandlung. Türkheim bestätigt ebenfalls die Verästelung 
der Wurzelspitze. Zuletzt seien noch kurz erwähnt die Arbeiten von Feiler 
<1911) und Rottenbiller <1918), die eine Verästelung der Wurzelspitze nur 
ausnahmsweise zugestehen. Über diese Arbeiten wird später ausführlicher 
berichtet werden. 

Entwicklungsgeschichte. Besonders wichtig scheint mir die entwick¬ 
lungsgeschichtliche Betrachtung der Frage der Ramifikation der Wurzelspitze 
zu sein. Wir wissen, daß die Bildung der Wurzel des Zahnes erst vor sich 
geht, wenn die Krone desselben nahezu fertig ist. In diesem Stadium der 
Entwicklung ist das Gewebe am Wurzelende noch in einem embryonalen 
Zustande. Erst nach dem Durchbruch der Krone bildet sich die Wurzelspitze 
ziemlich spät aus. Beim Durchbruch des Zahnes ist die Verkalkung noch 
nicht so weit vorgeschritten, daß man von einem Foramen apicale sprechen 
kann, sondern wir finden hier einen noch vollkommen offenen Übergang 
in die Kronenpulpa. In der weiteren Entwicklung stellt die jung gebildete 
Wurzelspitze zuerst ein weites geräumiges Foramen dar, welches an seinem 
äußersten Teil ausschließlich aus Zement gebildet ist. Durch Anbau wird das 
Foramen langsam verengt. Die Verengerung findet so statt, daß von außen 


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300 


Djerassi 


her Zement reidilich angelagert wird, im Innern der Wurzel aber mehr und 
mehr Dentin gebildet wird, das ebenso von innen her an der Wurzelwand] 
angelagert wird. Das Lumen der Wurzelspitze wird auf diese Weise mehri 
und mehr verengt, bis nur noch soviel Raum übrigbleibt, wie die eintreten** 
den Nerven und Gefäße beanspruchen. Wir finden daher bei der Behänd*, 
lung pulpakranker Zähne jugendlicher Individuen recht breite Foramina api*i 
calia, weshalb unsererseits bei der Behandlung solcher Zähne die größte 
Vorsicht geboten ist, besonders bei Arsen-Einlagen. Gewöhnlich läuft die 
Verengerung des jungen Wurzelkanals in ein einziges Foramen apicale aus, 
ausnahmsweise finden wir zwei und mehrere Foramina. Tritt nun der Fall 
ein, daß es um die Zeit, wo das Foramen apicale noch nicht vollständig auf¬ 
gebaut ist, durch äußere Einflüsse zum Zerfall der Pulpa kommt, dann 
schließt sich das Foramen apicale nicht mehr vollständig zu. Werden einmal 
solche Zähne später extrahiert, so zeigen sie uns ein ähnliches Bild wie das¬ 
jenige einer stark resorbierten Wurzelspitze. Für die spätere Beurteilung 
mancher Befunde an der Wurzelspitze ist die Tatsache festzustellen, daß, 
wie schon oben erwähnt, die äußerste Wurzelspitze ausschließlich aus Zement 
gebaut ist. Bei der Betrachtung der Entwicklung der Zahn-, speziell der 
Wurzelpulpa finden wir, daß das Grundgewebe derselben eine besondere 
Art von Bindegewebe ist. Die Pulpa ist reich an Nerven und Blutgefäßen. 
Das Vorhandensein von Lymphgefäßen wird noch bestritten. Durch das 
Foramen apicale dringen ein oder mehrere Blutgefäße in die Pulpa ein als 
Arteriae dentales, die gegen die Oberfläche des Dentins in zahlreichen 
Kapillarschlingen sich ausbreiten und da in feinwandige Venen übergehen. 
Für gewöhnlich treten durch das Foramen apicale ebenso drei bis vier Nerven- 
stämme ein, die sich sofort weiter verzweigen und in die Nervenfibrillennetze 
des Dentins übergehn. Aus diesen entwicklungsgeschichtlichen Tatsachen ge¬ 
winnen wir nicht die von Fischer vertretene und von Heß bestätigte Ansicht, 
nämlich daß durch junggebildete Dentinbälkchen der Pulpastrang sich in kanal- 
artige Ausläufer teilt. Diese Ansicht Fischers ist von verschiedenen Seiten 
übernommen worden. 

Wetzel nimmt dieselbe ohne weiteres an und sagt, daß in praktischer 
Beziehung dieser Befund Fischers von besonderer Tragweite sei, indem 
wir bei Entfernung der Nerven pulpakranker Zähne auf große Schwierig¬ 
keiten stoßen und die vollständige Entfernung uns niemals gelingen könne. In 
seinem neu erschienenen Lehrbuch der konservierenden Zahnheilkunde erwähnt 
Walkhoff bei der Besprechung der Pulpaverhältnisse im Zahne, daß man 
gelegentlich mikroskopische Abzweigungen von der Wurzelpulpa feststellen 
könne, welche Verbindungen der Pulpa mit der Wurzelhaut bildeten, die ein 
reines Pulpagewebe enthielten. Noch weiter in der Nähe der Wurzelspitze 
seien gelegentlich mehr als ein Dutzend solcher Verästelungen der Pulpa zu 
sehen, oder sogar in halber Höhe der Wurzelpulpa direkt horizontal laufende 
starke Pulpenabzweigungen, die auch Blutgefäße enthalten könnten, die eine 
Verbindung zwischen den Gefäßen der Pulpa und des Periodontium bildeten. 
Ich erwähne diese Befunde gerade hier, um zu zeigen, daß bei der normalen 


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Die Verästelung des apikalen Wurzelkanals nebst Folgerungen 301 

•-Zahn- bezw. Zahnwurzelentwicklung alle diese Befunde nicht zu finden sind. 
rSie sind deshalb auf Anomalien und entwicklungsgeschichtliche Störungen 
tzurückzuführen. 

Makroskopische und mikroskopische Anatomie. Nach diesen 
•-entwicklungsgeschichtlichen Betrachtungen komme ich zu der mikroskopischen 
:und makroskopischen Anatomie der Wurzelspitze. Um genaue Kenntnisse 
zu erlangen, habe ich folgende Wege eingeschlagen: 

1. Herstellung von Korrosionspräparaten 

2. Herstellung von Schliffen 

3. Einfache Schnitte in verschiedener Richtung durch Zähne 

4. Abspülung des organischen Gerüstes des Dentins aus den Zähnen 
<Verfahren von Türkheim) 

5. Herstellung von Serienschnitten 

6. Röntgenbilder 

7. Diapositive 

8. Stereoskopische Röntgenogramme. 

Preiswerksche Methode. Zur Herstellung von Korrosionspräparaten 
sind verschiedene Methoden angegeben. Die erste ist diejenige von Preise 
werk. Diesem Autor gebührt auch die Ehre, uns als erster neue Wege 
zum Studium der Wurzelverhältnisse gezeigt zu haben. Seine Methode ist 
folgende: Nach Mazeration der Zähne werden dieselben mit Sodalösung 
von 40° Wärme durchgespritzt und langsam in heißer Luft getrocknet. Die 
Wurzel wird lose mit Fließpapier umklebt, um das Eindringen des Gipses 
in das Foramen apicale zu verhindern. Hierauf wird der Zahn eingegipst 
und auf jeden Zahn ein hoher Kartontrichter mit Leim aufgeklebt. Nach 
langem sorgfältigem Vorwärmen im Sand* oder Wasserbad wird dieTempe* 
ratur so gesteigert, daß ein in das Gefäß hineingelegtes Stückchen Wood* 
mctall zu schmelzen anfängt. Nun wird reichlich Woodmetall in die Hohl* 
trichter gegossen, um einen genügenden Druck zu bekommen/ das Durch* 
fließen wird unterstützt durch sanftes Aufklopfen der Objekte auf die Unter* 
läge. Nach Abkühlen wird der Gipsblock entfernt und der metallene Ein* 
gußpfropf weggesägt. Wenn es sich nun zeigt, daß zwischen Fließpapier und 
Wurzel Metall geflossen ist, so kann man auf günstige Resultate rechnen. 
Dann kommen die Zähne in ca. 20%iger Kalilauge in den Brutofen. Nach 
einiger Zeit kann man die metallenen Kerne leicht herausschälen. Danach 
wird getrocknet und mit Kanadabalsam gefirnißt. Dieser Methode haften 
aber viele Nachteile an. Die Herstellung der Präparate gibt oft, wie Versuche 
zeigen, die von anderer Seite gemacht worden sind, unvollständig ausge* 
gossene Objekte. So sehen wir z. B. in Scheffs Lehrbuch der Zahnheilkunde 
S. 59 die Abbildung von Zuckerkandl eines Ausgußpräparates eines oberen 
Molaren wiedergegeben, die, wie auch selbst Preiswerk sagt, mit den 
seinigen verglichen, recht kurze Kanalausgüsse zeigt, dagegen von Verästelung 
keine Spur. Die Ungenauigkeit des Verfahrens geht auch daraus hervor, daß 
nicht selten Sprünge im Dentin, die beim Erhitzen der Zähne und Hinein* 
fließen des erhitzten Metalles entstehen, nicht im Ausguß erscheinen. 


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302 


Djerassi 


Ich füge hier zwei Abbildungen bei <a und b>, die aus der Preis werksdien 
Arbeit stammen und uns eine Verästelung nicht nur an der Wurzelspitze der 
Zähne zeigen, sondern auch Verzweigungen der Pulpa auf verschiedener Höhe, 
sowie ein reichliches Maschenwerk. Hier sowohl als auch bei den anderen 
Methoden zur Herstellung von Korrosionspräparaten kommt stets die Tat¬ 
sache in Betracht, daß die Zähne vorher mazeriert werden müssen. Wie be¬ 
kannt ist, geht bei der Mazeration der größte Teil der bindegewebigen Sub¬ 
stanz im Dentin und Zement verloren,- infolgedessen müssen auch die da¬ 
durch entstehenden mikroskopischen Hohlräume nicht als Verzweigungen des 
Pulpenkanals angesehen werden, sondern als Abklatsch dieser verlorenen 
Bindegewebselemente. 

FischerscheMethode. Die zweite Methode ist diejenige von G. F i s c h er 
Sie wird uns folgendermaßen beschrieben: Nach Mazeration der Zähne 

werden dieselben bei Zimmer¬ 
temperatur einen Tag lang ge¬ 
trocknet, gelangen dann für 24 
Stunden in Alkohol, und auf 
weitere 24 Stunden in Aceton 
purum, dann auf abermals 24 
Stunden in Acetonzelluloidlö¬ 
sung, und schließlich werden die 
Präparate injiziert mit einer Lö¬ 
sung, die aus 8 Teilen Aceton 
und einem Volumteil feinge¬ 
schnittener farbloser Zelluloid¬ 
stückchen besteht. Die Zähne 
werden dann mit stark verdünn¬ 
ter Acetonlösung übergossen. Drei Tage bleiben sie in Gläschen verkorkt ver¬ 
schlossen <man nimmt für jeden Zahn ein besonderes Gläschen), um die Ver¬ 
dunstung des Acetons zu vermeiden. Von hier ab werden die Gläschen nur 
mit Watte verschlossen. Infolgedessen verdunstet das Aceton, und die Lösung 
dickt ein. Nach 24 Stunden ist das Lösungsmittel stark verflüchtigt, man gießt 
dann täglich neue dünne Lösung nach, die von neuem eindicken soll. Nach 
14—21 Tagen werden die Zähne infolge der Verdichtung undurchsichtig. Das 
Gläschen wird zertrümmert, und man bekommt den Zelluloidkern samt Zahn. 
Der letztere wird vorsichtig aus diesem Kern herausgeschält und dann in 
50°/ o iger Salzsäurelösung mazeriert <im Brutofen bei 25° 10—14 Tage),- das 
Korrosionspräparat wird 24 Stunden im Wasser gewaschen und dann an der 
Luft getrocknet. Jetzt ist erst das Präparat fertig. Aus diesem ganzen Verfahren 
ist leicht ersichtlich, daß dasselbe nicht nur sehr kompliziert ist, sondern durch 
die lange Vorbereitung und Mazeration auch leicht Kunstprodukte entstehen 
können. Für die Beurteilung der Präparate nach solcher Vorbehandlung ver¬ 
weise ich zunächst auf die von Adloff über die Fisch ersehen Korrosions¬ 
präparate gemachte Äußerung in seiner Arbeit. ,,Amputation oder Exstir¬ 
pation der Pulpa" D. M. Z. 1915 S. 23 . . . „ich erinnere weiter an die von 



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Die Verästelung des apikalen Wurzelkanals nebst Folgerungen 


303 


Preiswerk und Fischer durch ihre Korrosionspräparate festgestellten Ver¬ 
zweigungen und Verästelungen der Pulpa, die noch besser nach der von mir 
zuerst angewandten Methode an durchsichtig gemachten Zähnen in situ 
dargestellt werden können. Und wenn ich auch die von Fischer mehrfach 
abgebildeten sogenannten verästelten Foramina bisher nicht habe bestätigen 
können, — Fischer hat in seinen Arbeiten leider vieles entdeckt und ab¬ 
gebildet, was einer Nachprüfung nicht standgehalten hat —, so genügen doch 
die vorliegenden Tatsachen durchaus, um die vollständige Entfernung der 
Pulpa in sehr vielen Fällen als unmöglich bezeichnen zu können". 

Heßsche Methode. Ein verbessertes Verfahren zur Herstellung von 
Korrosionspräparaten ist dasjenige von Heß. Da mir dieses Verfahren ein¬ 
facher erschien und weniger gewebsschädigend (selbstredend sind auch hier 
Kunstprodukte, die durch Mazeration entstehen, nicht ganz zu umgehen), so 
wählte ich dieses Verfahren zur Herstellung von Korrosions¬ 
präparaten zwecks Nachprüfung. Dasselbe verläuft so: Die 
extrahierten Zähne werden angebohrt und die Pulpahöhlen 
freigelegt, ohne jedoch in die Pulpakanäle einzudringen. Dann 
werden die Zähne in ein Gefäß mit Brunnenwasser gebracht 
und 3*—4 Monate im Thermostaten bei 30° R gehalten, bis 
die Kanäle mit warmer 40 % iger Sodalösung von der Pulpa¬ 
kammer aus durchgespritzt werden können. Aus der Soda¬ 
lösung kommen die Zähne 24 Stunden in fließendes Wasser, 
dann in absoluten Alkohol und werden hierauf während 
24 Stunden bei Zimmertemperatur getrocknet. Nach der 
Mazeration werden die Präparate in Gips eingebettet. Nach 
Heß werden die Zähne mit Fließpapier bis zur Schmelz¬ 
grenze umwickelt und so der ganze Zahn in einer gewöhn¬ 
lichen gut schließenden Küvette in Gips eingebettet und zwar 
so, daß der Gips den Zahn bis zur Pulpahöhle deckt. Dies 
Vorgehen war ich gezwungen etwas abzuändern, da ich durch das Einbetten 
mit Fließpapier eine große Anzahl von Präparaten aus dem Grunde verlor, 
weil sie nicht stabil genug in Gips eingebettet saßen und beim Stopfen mit 
Kautschuk bei jedem Drude nachgaben und so unvollständig gestopfte Präparate 
zum Vorschein kamen. Deshalb zementierte ich von der Wurzelspitze aus nach 
krönenwärts die Wurzel vorsichtig mit einer dünnen Schicht Zement, wodurch 
ich Objekte erhielt, die ich fest in Gips einbetten konnte. Nun folgte weiter 
das Verfahren nach Heß. Nach dem Erstarren des Gipses wird die Küvette 
geöffnet und die Wurzelkanäle und Pulpakammern der Zähne werden so gut 
wie möglich mit gewöhnlichem rotem Kautschuk ausgestopft. Über die Pulpa¬ 
kammer hinaus läßt man einen ziemlichen Überschuß von Kautschuk gehen 
und legt, um das Ankleben desselben am Gegenmodell zu verhindern, ein 
Leinwandstück dazwischen. Nun wird die Küvette geöffnet, in warmes 
Wasser gebracht, dann ca. 20 Minuten gekocht und nachher unter ganz all¬ 
mählich zunehmendem Druck unter der Presse geschlossen. Ist der Kautschuk 
in die Wurzelkanäle resp. Pulpahöhle eingedrungen, so wird nochmals ein 



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304 Djerassi 

Überschuß von Kautschuk über jede Pulpahöhle gelegt und nochmals unter 
langsam zunehmendem Druck geschlossen. Die Küvette wird nun einige 
Stunden unter der Presse gehalten und abgekühlt und dann während einer 
Stunde bei 7 Atmosphären Drude vulkanisiert. Nach Abkühlung der Küvette 
werden die Zähne sofort mit Vorsicht aus dem Gips entfernt. Nach Ab¬ 
spülung derselben im Wasser werden sie in 50%iger chemisch reiner Salz¬ 
säure aufgelöst, was bei 20—25° im Thermostaten geschieht und in einigen 
Stunden vollendet ist. Nach Abspülung in fließendem Wasser wird das 
Präparat auf einer Gipsunterlage aufgestellt. Die Korrosionspräparate, die 
ich auf diese Weise bekam, haben folgendes Ergebnis gezeigt: Zähne, die 
keine eitrigen entzündlichen Prozesse durchgemacht haben, zeigen seltener Rami- 
fikationen als solche, die vorher irgendeinen Entzündungsprozeß des die 
Wurzelspitze umgebenden Gewebes durchgemacht hatten. Zum Vergleich 
führe ich hier die Bilder einer Anzahl von Korrosionspräparaten vor, die ich 
anfertigte, und stelle im Gegensatz dazu je eine Abbildung von Präparaten 
nach Heß und Fischer daneben. 

Fig. 1 ist das Bild des Korrosionsausgusses eines Prämolaren. 0er Zahn 
hatte an der Wurzelspitze ein Granulom, welches bei der Extraktion mit 
herauskam. Sofort nach der Extraktion entfernte ich das Granulom und 
untersuchte die Wurzelspitze unter schwacher Lupenvergrößerung. Es zeigte 
sich dabei die Wurzelspitze entblößt vom Periost und deutliche Rauhigkeiten 
derselben. An dem Korrosionspräparat sehen wir, wie die Photographie er¬ 
kennen läßt, eine sehr schöne Wurzelspitzenverästelung, dann eine Gabelung 
einer Wurzelpulpa, die mit einer Brücke in der Mitte die beiden Pulpen¬ 
stränge verbindet. Das nebenstehende Bild von Heß zeigt uns ebenso eine 
Verästelung und großes Maschen werk des Pulpenkörpers. Dagegen zeigt das 
Fisch ersehe Bild uns einen dicken Strang ohne jegliche Differenzierungen. 
Dieser Zahn gehörte einem jugendlichen Individuum an/ beide letzteren, die 
Heßsche wie auch die Fi sch ersehen Kopien, stammen so wie mein Bild 
vom zweiten oberen Prämolaren. 

Das Bild Fig. 2 ist die Photographie eines oberen linken Molaren. Der 
Zahn war wegen einer Pulpitis totalis extrahiert. An dem Korrosions¬ 
präparate sehen wir an dem bukkomedialen Pulpenstrang eine Verdickung 
desselben, an der Wurzelspitze aller drei Pulpenstränge keine Besonderheiten. 
Der palatinale Wurzelstrang hat kronenwärts eine geschlossene Abzweigung. 
Dagegen zeigt das Heßsche Bild ein Maschen werk des distobukkalen Pulpen¬ 
stranges, die anderen beiden Wurzeln verlaufen glatt. Das Fis eher sehe 
Bild zeigt uns keine Besonderheiten. 

Fig. 3 ist der Pulpenausguß von der Wurzel eines Caninus inferior. Der 
Zahn wurde zwedes Ersatzes und wegen einer Pulpitis partialis extrahiert. 
An der Photographie sehen wir keine Veränderungen des Pulpenausgusses. 
Dagegen die nebenstehende Abbildung von Heß zeigt uns an dem Wurzel¬ 
spitzenende eine inselartige Verdickung der Pulpa, umgeben von einem Kreis¬ 
gebilde. Das Fi sch ersehe Bild zeigt nur eine Verdickung des Wurzelspitzen¬ 
stranges. 


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Vierteljahrsschrift für Zahnheükunde 1922, 3. 


Verlag von Hermann Meusser, Berlin 


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Djerassi, Die Verästelung des apikalen Wurze^kanals 


Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1922, 3 


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Die Verästelung des apikalen Wurzelkanals nebst Folgerungen 


305 


Fig. 4 ist der Ausguß eines unteren lateralen Incisivus. Das Bild zeigt uns, 
außer einer gewissen Verdickung des Pulpenstranges in mittlerer Höhe, keine 
Besonderheiten. Der Zahn wurde wegen beginnender Pyorrhoea alveolaris 
extrahiert. Das danebenstehende Bild nach Heß zeigt uns wieder an der 
Wurzefspitze eine merkwürdige horizontale Pulpenstrangknickung, außerdem 
nach kronenwärts zu eine Teilung des Pulpenstrangs unter Bildung einer 
eingeschlossenen Insel/ das Fisch ersehe Bild dagegen eine Verbiegung des 
apikalen Pulpenstranges ohne sonstige Besonderheiten. 

Fig. 5: Korrosionspräparat eines oberen Weisheitszahnes. An der Photo^ 
graphie sehen wir alle möglichen Gebilde: an der distalen Wurzel feine Ver^ 
zweigungen, an der palatinalen Wurzel ebenso feine Verzweigungen. Wir 
wissen aus dem äußeren Bau dieses Zahnes, wie verschieden seine äußerliche 
Struktur sein kann. Es ist dementsprechend nicht verwunderlich, wenn wir 
auch im Verlaufe des Pulpenstranges entsprechend größere Differenzierungen 
finden. Das Heßsche Bild sowie dasjenige von Fischer zeigen ebenso ver= 
schiedene Verzweigungen in verschiedenen Höhen der Pulpenstränge. Der 
Zahn wurde wegen Periodontitis acuta extrahiert. 

Fig. 6: Ausguß eines oberen Eckzahnes. Extrahiert wegen Periodontitis 
acuta und zwecks Zahnersatzes. Wir sehen hier nur zwei bauchförmige Aus^ 
buchtungen des Pulpenstranges in verschiedenen Höhen der Pulpa, die WurzeU 
spitze jedoch ist ganz glatt. Das nebenstehende Bild von Heß zeigt ebenfalls 
keine Besonderheiten. Fischer gibt in seinen Abbildungen von Korrosions^ 
Präparaten keine von oberen Eckzähnen. 

Die Fig. 7 ist der Pulpenausguß eines oberen Incisivus medialis. Obzwar 
der Zahn wegen eines Abszesses extrahiert worden ist, finden wir keine 
Differenzierungen und keine Verzweigungen der Pulpa. Das Heßsche Bild 
zeigt uns einen gut ausgebildeten Pulpenausläufer, der knopfartig endet, da^ 
gegen das Fischersche Bild eine knopfartige Verdickung noch vor der 
Wurzelspitze. 

In der Fig. 8 sehen wir den schön verteilten Pulpenstrang eines unteren 
Molaren, aber keine Ramifikation, dagegen zeigt das Heßsche Bild wieder 
inselartige Gebilde, sowie knopfartige Verdickungen, auch eine kleine RamU 
fikation der distalen Wurzel. Das Fischersche Bild zeigt eine Teilung an 
der medialen Wurzel und leichte Differenzierung der Wurzelspitze. Der 
Zahn wurde wegen Alveolarpyorrhoe extrahiert. 

Als letztes Bild gebe ich Fig. 9. Es ist dies das Korrosionspräparat von 
einem oberen ersten Prämolaren. Wir finden außer einer leichten Zerklüftung 
an der Wurzelspitze keine sonstigen Besonderheiten, nur in der Mitte des 
Stranges noch ein inselartiges Gebilde. Das Fischersche Bild zeigt uns eine 
deutliche Verästelung, das Heßsche Bild drei aufeinanderliegende Inseln, die 
von zwei Pulpenseitensträngen gebildet werden, die durch drei Brücken mit¬ 
einander verbunden sind. Der Zahn wurde extrahiert wegen tiefer Fraktur, die 
beim Kauen entstanden war. Aus der vergleichenden Nebeneinanderstellung 
der Präparate von Heß, Fischer und der eigenen stelle ich fest, daß alle 
verschieden aussehen, obgleich sie nach demselben Verfahren gefertigt sind, 

Vierteljahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 3 20 


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306 


Djerassi 


Daraus bekommt man den Eindruck, als ob alle gewonnenen Präparate Zu* 
fallsbilder sind. Vergleichen wir weiter dieselben mit denjenigen, die uns Preis* 
werk zeigt, so sehen wir aus den Abbildungen a und b wieder ein anderes 
Bild. Abbildung b zeigt uns eine regelmäßige Segmentbildung des Pulpen* 
Stranges, so wie es uns ein schematisches Bild zeigen würde. Wir können des* 
halb vorläufig mit Vorsicht die Behauptung aufstellen, daß es nicht nur von 
dem Zustande der Wurzelspitze abhängt, was wir für Gebilde bekommen, son* 
dern auch von der ganzen Art und Weise, wie die Zähne zwecks Herstellung 
der Präparate vorbehandelt werden. Ich habe im ganzen 100 Zähne unter¬ 
sucht von denen ungefähr die Hälfte infolge unrichtiger Vorbehandlung ver¬ 
loren gingen bzw. manche unvollständige Ausgüsse gaben. Bei meinen Nach* 
Untersuchungen ging ich von dem Gedanken aus, daß sich an einem kleinen 
Material ebenso alles finden müsse, was auch an einem größeren Material 
zu finden ist, was auch Türkheim behauptet. Er sagt: ,,. . . Was sich an 
10 Zähnen findet, wird sich auch an 100 nachweisen lassen/ und wenn man 
den Zufall als eine naturwissenschaftliche Tatsache betrachtet, ist es doch im 
höchsten Grade unwahrscheinlich, daß gerade die Präparate, die aus einer 
sehr großen Zahl wahllos herausgegriffen sind, die Ausnahme darstellen 
sollen." Diese Ansicht Türkheims erwähne ich deshalb, weil er kürzlich 
eine Arbeit aus dem Fischerschen Institut herausgegeben hat, die uns 
zeigen soll, wie wir Pulpenpräparate aus Zähnen bekommen können. Die 
Zähne, die ich zu meinen Nachuntersuchungen benutzte, gehören allen 
Gattungen an und stammen nur von älteren Individuen über 20 Jahre alt. 
Die Zähne jugendlicher Individuen kommen deshalb nicht in Betracht, weil 
Fischer und Heß diese sogenannten Differenzierungen der Wurzelspitze 
allein den Zähnen älterer Individuen als eigen ansehen, während diejenigen 
von jugendlichen Individuen noch breit angelegte Wurzelkanäle besitzen. Nur 
ein einziges Präparat von einem unteren Milchmolaren fertigte ich an. Bild 22 
zeigt uns die Verhältnisse desselben. Als Untersuchungsmaterial waren ab¬ 
sichtlich nicht nur solche Zähne gewählt, die noch eine unzerstörte Pulpa 
hatten, sondern zur Hälfte solche, die krankhafte Prozesse der Wurzelspitze 
durchgemacht hatten. Die von mir gewonnenen Präparate sind nicht imstande 
uns zu überzeugen, daß sie einen genauen Abklatsch der Wurzelkanäle und 
Wurzelspitze geben. Durch die Vorbehandlung entstehen viele Kunstgebilde, 
und wir bekommen folglich ähnliche Bilder, wie wir sie von Zähnen ge¬ 
winnen, die eine Wurzelspitzeneiterung durchgemacht haben. Es ist besonders 
wichtig, die destruktiven Prozesse, die an der Wurzelspitze stattfinden, zu 
studieren, um den wahren Wert der Korrosionspräparate zu verstehen. Ich 
führe daher hier die Ergebnisse von Baumgartners histologischen Präparaten 
von eitrig erkrankten Zähnen an, die uns manche Erklärung geben können. 

Baumgartners Untersuchungen lauten: „Von einem oberen zweiten 
Mahlzahn wurde eine palatinal durchgebrochene Fistelerkrankung unter¬ 
halten. Die histologische Untersuchung der in Serienquerschnitten zerlegten 
Wurzeln zeigte folgendes: Die palatinale und mediobukkale Wurzel waren 
zu einer Platte vereinigt. In der Nähe des Foramen apicale ist bei der 


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Die Verästelung des apikalen Wurzelkanais nebst Folgerungen 307 

palatinalen Wurzel das Zement in konzentrisch angeordneten Schollen ver- 
ändert. Die Pulpa nimmt keine Kernfärbung an und zeigt keine Details,- 
ebenso verhält sich die Pulpa der bukkalen Wurzel. Ein Schnitt weiter unten 
zeigt uns die Einmündung einer Pulpaverästelung in der palatinalen Wurzel- 
pulpa, welche selbst abnorm exzentrisch in der Wurzel liegt. Hier ist auch 
die dünne Wurzel wand gänzlich zerstört. Die erste seitliche Abzweigung der 
Wurzelpulpa der Gaumenwurzel war hier der Weg der Infektion. In einem 
weiter unten geführten Schnitte sehen wir die zuerst erwähnte Pulpaab- 
zweigung von der bukkalen Wurzel ausgehend. Alle Pulpastümpfe sind 
nekrotisch. Das gesamte Gebilde im Bereiche des zuletzt geführten Schnittes 
zeigt eine lakunäre Destruktion, das Zement ist hy per plastisch. „Die Wurzel- 
wand weist Arrosionen auf", sagt Baumgartner und fährt dann weiter 
fort: „Ein oberer zweiter Prämolar mit Fistel. Die Pulpa teilt sich in der Nähe 
der Spitze in sieben Ästchen, von denen eines kronenwärts verläuft. An allen 
Ausmündungsstellen zeigt sich das Perizement chronisch entzündet, an den 
letzten Abzweigungen am wenigsten, an den ersten war der Zahn an der 
Außenseite durch Eiter stark arrodiert. Die überall vorhandenen Pülpa- 
Stümpfe waren nekrotisch. Das umliegende Zement bzw. Dentin war schollig 
destruiert. Unterhalb der ersten Abzweigung waren wandständige Dentikel 
mit zentralem Kanal. Das Zement war in ziemlicher Entfernung von den 
einzelnen Foramina apicalia hyperplastisch." Diese Ausführungen Baum- 
gartners zeigen uns ohne weiteres, wie ungeheuer groß die Veränderungen 
der Wurzelspitzen unter dem Ein wirken von eitrigen Prozessen sind. Am 
meisten finden wir die Veränderungen in dem Bereiche des Zementes. Das 
Perizement geht gewöhnlich nach solchen Prozessen zugrunde. Ich erwähnte 
oben die Teilung der Pulpa in mehrere Ästchen. Die Erklärung dieses Bildes 
ist nicht schwer, sobald man die arrodierende Wirkung des Eiters berücksichtigt. 
Er ist es, der hier die scheinbaren Verästelungen der Pulpa schafft, indem er 
die Wurzelspitze arrodierend bis zu einer gewissen Weite in verschiedene 
Teile zerlegt. Ähnliche Bilder, wie wir sie durch Eiter-Arrosionen zu sehen be- 
kommen, können wir auch nach Behandlung der Zähne mit Antiformin erhalten, 
wie uns Feiler gezeigt hat. In dem gleichen Sinne ist auch eine Äußerung 
Baumgartners aufzufassen, der am Schluß seiner schon erwähnten Arbeit 
sagt, daß die Pulpastümpfe, die in Zähnen nach Behandlung derselben drinnen 
bleiben, ob groß oder klein, keine Regenerationsfähigkeit und Vernarbungs¬ 
tendenz besäßen und deshalb eine große Infektionsmöglichkeit böten, woraus 
sich die Forderung nach völliger Befreiung des Pulpenkanals von allen Pulpen¬ 
resten ergäbe. In derselben Arbeit finden wir dann weiter die Äußerung, daß 
der Eiter durch seine Arrosionskraft im Zement und weiter im Dentin 
künstliche Foramina apicalia, ja sogar Verbindungen und Brücken durch seitliche 
Kanäle mit dem Hauptkanal schaffen, und starke Hyperplasie des Zementes 
verursachen könne. Ich glaube nun, daß wir noch weiter gehen und einen 
anderen Schluß ziehen dürfen. Das Zement ist zunächst nur das Umhüllungs¬ 
organ des Wurzeldentins. Finden wir aber Verästelungen an der Wurzel- 
spitze,. so sind sie zum Teil als Folge krankhafter Prozesse, zum Teil als 

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308 


Djerassi 


Entwiddungsstörungen, zum Teil als Kunstprodukte, die bei der Herstellung 
von Korrosionspräparaten durch die Mazeration und andere Prozesse ent* 
standen sind, aufzufassen, aber nur zum kleinsten Teil als wirklich vor* 
handene Verzweigungen. Sehen wir nun den makroskopischen Bau der 
Zähne an, so finden wir in einem nicht geringen Prozentsatz ziemlich große 
Unregelmäßigkeiten im äußeren Bau der Zähne. Wir sehen da Drehungen, 
Knickungen, Verbiegungen u. a. Das Lumen der Wurzel solcher Zähne 
zeigt uns ein Bild, das konform der äußeren Gestalt der Wurzel ist, also 
recht unregelmäßig. Wir finden diesen Unregelmäßigkeiten entsprechend im 
Wurzelkanal: Einschnürungen, Kanalverschlüsse durch Kalkablagerungen, 
ferner Zähne mit wandständigen Dentikeln oder Zähne, die obliterierte 
Wurzelkanäle haben, Zähne, die eine radix bifida haben oder sonstige kalkige 
Degenerationen der Pulpa zeigen. Solche Zähne geben uns bei Herstellung 
von Korrosionspräparaten natürlich außerordentlich komplizierte Bilder. 

Feilersche Versuche: Zur weiteren Erläuterung der von uns be* 
handelten Frage füge ich noch die Feilerschen Untersuchungen hinzu, die 
uns feigen, wie auch durch Einwirkung von Medikamenten künstliche Arro* 
sionen an der Wurzelspitze entstehen können. Wir haben schon oben aus 
den Untersuchungen Baumgartners gesehen, daß die Pulpa der Erwachsenen 
unter gewissen Umständen manchmal in drei bis fünf und mehr Stränge 
verästelt erscheint. Fischer verallgemeinert diesen Befund Baumgartners 
und überträgt denselben auf Grund seiner Untersuchungen mit den Korro* 
sionspräparaten auf alle Zähne. Als Typ der Verästelung der Wurzelspitze 
gibt uns Fischer nur ein schematisches Bild, um ungefähr die Verästelungs* 
Verhältnisse zu zeigen, nämlich aus dem Hauptpulpenstrang sehen wir hier 
radiär auslaufende Pulpenstränge, die alle für sich in ein besonderes Foramen 
apicale ausmünden — ein Bild ohne Bedeutung. 

Feiler bediente sich bei seinen Untersuchungen des Antiformins, wobei 
er folgendermaßen vorging: Zuerst wird der zu untersuchende Zahn durch 
Abschleifen mit der Papierscheibe vom Periodontium befreit. Untersucht man 
einen solchen Zahn bei zwanzigfacher Vergrößerung, so sieht man an seiner 
Wurzelspitze gewöhnlich ein, seltner zwei ganz regelmäßige Löcher, die als 
Foramina apicalia anzusehen sind. Wenn man nun den so behandelten Zahn 
in Antiforminlösung legt, so löst dieselbe alle organischen Substanzen auf, und 
wir sehen dann den ganzen Zahn nach kurzer Zeit vom Periodontium b?- 
freit. Unter der Lupe sehen wir wieder ein oder zwei Foramina apicalia. 
Abb. 10. Nach längerer Einwirkung aber sehen wir unter der Lupe eine all* 
mähliche Arrosion der Zahnsubstanz stattfinden. Die Gegend des Foramen 
apicale erscheint zerklüfteter und bietet nach kurzer Zeit Bilder, die den 
Fischerschen entsprechen. Die Arrosionen sind bei verschiedenen Zähnen 
verschieden weit. Diesen Vorgang zeigen z. B. Zähne, die 24 Stunden in 
Antiformin gelegen haben, außerordentlich gut. Aus den kleineren Löchern 
entstehen durch Konfluieren derselben mitunter recht große kraterförmige 
Öffnungen. Das Bild 11 zeigt uns deutlich diese Verhältnisse. Schleift man 
nun mit der Sandpapierscheibe immer mehr von der Oberfläche der Wurzel* 


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Die Verästelung des apikalen Wurzelkanals nebst Folgerungen 309 

spitze nach dem Wurzelkanal zu ab, so sieht man, daß von einer Kom- 
munikation mit dem Hauptkanal nicht die Rede sein kann, sondern diese 
Arrosionen, die Fischer für Durchtrittsstellen der Pulpa ansieht, ver- 
schwinden dicht unter der äußeren Schicht, sie sind also völlig oberflächlich 
der kompakten Dentinmasse angelagert und haben keine Verbindung mit 
dem Hauptkanale. Das beobachtete Auftreten von wirklichen Verbindungen 
mit dem Hauptkanal und mehrfachen Löchern an der Wurzelspitze aber läßt 
sich in folgender Weise erklären. Wenn eine Flüssigkeit von außen her an der 
Wurzelspitze wirkt, und gleichzeitig vom Innern des Kanales dieselbe Flüssig¬ 
keit wirkt, so kann es Vorkommen, daß durch das Zusammenfließen dieser 
Arrosionen eine Verbindung der Außenfläche mit dem Hauptkanale zu¬ 
stande kommt und so eine scheinbare Verästelung vortäuscht. Feiler machte 
auch die Beobachtung, daß Zähne mit starker Hyperzementose die Zer¬ 
klüftung an der Wurzeloberfläche viel stärker zeigen, als jugendliche Zähne, 
die nur eine dünne Schicht Zement haben. Das entspricht auch der An¬ 
nahme von Heß und Fischer, da jugendliche Zähne weniger Veräste¬ 
lungen zeigen. Diese Angaben Feilers über Behandlung der Zähne mit 
Hypochlorit kann ich im großen und ganzen bestätigen. Ich gewann ähnliche 
Bilder wie die obenstehenden. Feiler fand ferner eine Zweiteilung des 
Hauptkanals an der Wurzelspitze nur in seltenen Fällen,- in einer anderen 
Anzahl von Fällen wirklicher Teilung der Pulpa in zwei, in ganz seltenen 
Fällen in drei Äste, und zwar am Foramen apicale oder oberhalb desselben. 
Ich kann das Vorkommen von zwei Foramina apicalia ebenfalls bestätigen. 
Unter allen Zähnen, die ich untersuchte — 300 — fand ich nur zwei solche 
Fälle und nur einen Fall von Teilung der Pulpa. Die Fi sch ersehen An¬ 
gaben über die regelmäßige Verzweigung der Pulpa an der Wurzelspitze 
haben leider ohne weitere Nachprüfungen in vielen Lehrbüchern der Anatomie 
und der Zahnheilkunde Platz gefunden. Die Abbildung von Fischer <D. 
Mon. f. Z., 1912, S. 93, Abb. 30) wird als Beispiel vielfach wiedergegeben 
und stellt die Wurzelspitzen eines oberen Molaren dar. Diese Zerklüftung, 
die uns hier die Wurzelspitzen zeigen, ist lediglich durch das Mazerations¬ 
verfahren zu erklären, dem der Zahn vor Anfertigung des Präparates unter¬ 
worfen wurde. Wir haben gesehen, daß ähnliche Bilder nach dem Verfahren 
von Feiler bei Behandlung der Zähne mit Antiformin entstehen können. 
Außerdem dürfen wir den Umstand nicht aus dem Auge lassen, daß bei 
der Herstellung von Korrosionspräparaten auch mit dem Vorkommen von 
Luftblasen, Fremdkörpern, sowie auch mit Pulpenresten zu rechnen ist. 
Das Vorkommen dieser Gebilde im Wurzelkanal trägt dann dazu bei, 
daß wir Korrosionspräparate mit allen möglichen Differenzierungen be¬ 
kommen. Solche Gebilde sind dann durchaus nicht der Abklatsch des nor¬ 
malen Baues der Wurzelspitze. Rechnen wir dazu noch alle pathologischen 
Vorgänge, die ebenso Veränderungen an der Wurzelspitze schaffen, so 
dürfen wir uns gar nicht wundern, wenn wir an Korrosionspräparaten, 
Schliffen oder Schnitten gewisse Differenzierungen der Wurzelspitze sehen. 
Wollen wir diese Methode in ihrem Wert als Untersuchungsmittel zur Er- 


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310 


Djerassi 


klärung der Verhältnisse an der Wurzelspitze beurteilen, so müssen wir die 
Dienste, die sie uns geleistet hat, zwar anerkennen, sie selbst ist aber nicht 
imstande, genaue Bilder der untersuchten Objekte zu geben. Unter diesen 
Umständen war ich genötigt, nach anderen Wegen zu fahnden, um die wirk* 
liehen Verhältnisse der Wurzelspitze zu ermitteln. Als solche betrachte ich 
die Methode der Anfertigung von Zahnschliffen. Dieses Verfahren ist be- 
sonders schwierig. 

Zahnschliffe, Röntgenbilder, Diapositive. Zur Untersuchung 
kamen 65 Zähne, von denen 55 Längsschliffe und 10 Querschliffe angefertigt 
wurden. Die Zähne wurden vorher geröntgt. Ich gebe hier die Abbildungen 
von einer kleinen Anzahl derselben, um zu zeigen, daß sie makroskopisch 
keine sichtbaren Verästelungen an der Wurzelspitze zeigen. Wir sehen überall 
die Wurzelkanäle glatt an der Wurzelspitze im Foramen apicale endigen. 
Ich untersuchte auch die mir aus der Erlanger Zahnpoliklinik zur Verfügung 
stehenden Röntgenbilder, 680 Stück, und fand bei keinem Bilde irgendeine 
makroskopische Verästelung oder irgendeine Differenzierung im Verlaufe 
des Wurzelkanals. Daraus kann man wohl den berechtigten Schluß ziehen, 
daß diese Verästelungen im Zahne, falls sie Vorkommen, höchstens mikro- 
skopisch sein können. Merkwürdigerweise behauptet Fischer in seinem 
Werk „Bau und Entwicklung der Mundhöhle des Menschen" S. 101 ff. fol- 
gendes: „Um die korrosionsanatomischen Befunde weiter zu stützen, habe 
ich eine große Anzahl von Wurzelkanälen im Röntgenbild fixiert. Auch hier 
findet sich die reiche Verästelungstendenz bestimmter Wurzelkanäle bestä¬ 
tigt." Leider kann ich diesen Befund Fischers nicht bestätigen. Mit großer 
Sorgfalt studierte ich auch die Bilder, die er im obengenannten Werk ab¬ 
gebildet hat, sehe aber dort auch keine Verästelung. Ich fertigte von un¬ 
gefähr 50 Zähnen eine Diapositivplatte, die ich mittels Projektionsapparates 
an einer weißen Tafel erscheinen ließ. Hier erst machte sich eine Andeutung 
einer abnorm gebauten Struktur eines Backzahnes, in Fig. 12 abgebildet, be¬ 
merkbar. In der Tat zeigt dieser Zahn an dem angefertigten Schliff auch 
unter dem Mikroskop betrachtet, Verzweigungen der Wurzelspitze. Ich halte 
es für nicht unwichtig, die Herstellung der Zahnschliffe hier kurz zu be* 
schreiben. Der zu schleifende Zahn wird zuerst der Länge nach mit der 
Laubsäge halbiert. Dann wird die eingeschnittene Fläche an einer rotierenden 
Metallplatte, die mit Karborundumpulver bestreut ist, flach geschliffen. Hat 
man die Mitte des Zahnes erreicht, besonders diejenige der Wurzelspitze, 
so haben wir eine Fläche fertig geschliffen. Wir polieren dann diese Fläche 
an der Metallscheibe durch ganz feines Schmirgelpulver. Nachdem die Fläche 
von allen Pulverpartikelchen befreit ist, was durch Abwaschen der Fläche 
mit Xylol, Alkohol oder Äther geschieht, wird der Zahn an einem Objekt¬ 
träger fixiert. Nun beginnt das Schleifen der anderen Seite des Zahnes. Das 
Fixieren des Zahnes am Objektträger geschieht am besten mit Kololith, einem 
Mittel, welches Kanadabalsam ersetzt, da es vollständig durchsichtig ist. Ko¬ 
lolith ist eine starre Masse, die in Tuben käuflich zu haben ist. Um dieselbe 
auf den Objektträger zu bringen, muß man sie durch Erwärmen halbflüssig 


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Die Verästelung des apikalen Wurzelkanals nebst Folgerungen 311 

machen. Ist nun die Sache so weit fertig, dann beginnt man mit dem 
Schleifen der anderen Seite. Das geschieht wieder in der oben beschriebenen 
Weise. Das Schleifen ist hier besonders schwierig, da es unter Leitung des 
Objektträgers geschieht. Wesentlich ist auch, darauf zu achten, daß nicht im 
letzten Augenblidc der Schliff lädiert wird, was sehr leicht Vorkommen kann. 
Hat man die gewünschte Didce erreicht <0,1—0,2 mm>, so bringt man über 
den Schliff ein Deckgläschen, welches mit Kololith in der üblichen Weise 
fixiert wird. Der Zahnschliff wird vor dem Fixieren mit dem Deckgläschen 
natürlich vorher mit Schmirgel poliert und mit Xylol abgewaschen. Nun läßt 
man die Präparate gut trocknen, damit der Schliff oder das Deckgläschen 
sich nicht heben. Aus der ganzen Reihe Schliffe, die ich bekommen habe, 
führe ich zur Erläuterung meiner Befunde folgendes an: Fig. 13 zeigt 
uns den mikroskopischen Befund der Wurzelspitze eines oberen, mittleren 
Inzisivus. Wir entnehmen aus demselben, daß das Bild gerade die Regel der 
Verhältnisse der Wurzelspitze aufweist. Der Wurzelkanal läuft in ein For- 
amen apicale aus. Weder an der Spitze, noch weniger im Verlaufe des Ka- 
nales sehen wir irgendeine Differenzierung. Das guterhaltene Periodontium 
zeigt normalen Bau, das Zement umhüllt in regulärer Weise das Dentin, 
welches ebenso normal gebaut erscheint. Dieses Bild wiederholt sich in den 
meisten von mir angefertigten Schliffen. Der Zahn wurde zwecks Anfertigung 
einer Prothese extrahiert, er war intakt. Diesem Bilde, welches wir nach den 
Befunden, die ich bekommen habe, als die Regel ansehen können, füge ich 
zur weiteren Erläuterung folgende Bilder hinzu. Fig. 14 ist die Mikrophoto- 
graphie eines oberen Eckzahnes. Wir sehen an diesem Bilde bis zu einer be- 
stimmten Grenze den Wurzelkanal ohne jegliche Differenzierungen verlaufen. 
An der äußersten Wurzelspitze jedoch, die äußerlich uns noch Zementbau 
zeigt, sehen wir eine deutliche.Verästelung in drei Pulpenausläufern. Das 
Dentingewebe ist dabei durchaus nicht beteiligt. Der Zahn wurde wegen 
Alveolarpyorrhoe extrahiert. Es folgt weiter Fig. 15, die Mikrophotographie 
eines zweiten unteren Molaren rechts, und zwar der distalen Wurzel des¬ 
selben. Wir sehen hier wieder im Gebiete des Zementes der Wurzelspitze 
außer dem regulären Ausläufer der Wurzel in ein Foramen apicale daneben 
noch einen Kanal von dem Hauptkanal sich abzweigen, der eine einzige seit¬ 
liche Verästelung zeigt. Der Kanal scheint mit demselben Gewebe gefüllt zu 
sein, wie dasjenige des Hauptkanals. Der Zahn wurde wegen Pulpitis totalis 
extrahiert. Die nun weiter folgende Mikrophotographie 16 ist das Bild eines 
unteren Weisheitszahnes. Wir sehen hier deutlich, wie wir es auch an dem 
vorhergehenden Bilde sahen, wieder von dem Hauptkanal eine seitliche Ein¬ 
buchtung in das Zementgebiet der Wurzelspitze eindringen. Dieselbe endigt 
aber blind auf der Oberfläche der Wurzel 1 . Dieser Zahn wurde wegen Pe¬ 
riodontitis chronica extrahiert. Nun folgt ein interessantes Bild, Nr. 17: Die 
Mikrophotographie eines unteren zweiten Prämolaren. Wir finden hier den 
Wurzelkanal bis zu einer gewissen Länge glatt auslaufend. Von da an aber 


1 Das Dentin ist hier ebensowenig beteiligt wie bei den vorigen Präparaten. 


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zeigen sich zwei wichtige Gebilde: Eine vollständige Verkalkung des noch 
angedeuteten normalen Apex, worauf die Anordnung der Dentinkanälchen 
hinweist und zweitens kurz vor dem Ende des Wurzelkanallumens einen 
gut ausgebildeten seitlichen Kanal, der wunderschön das Dentin sowie das 
Zement bis auf das Periodontium durchbohrt. Der Kanal scheint mit Pulpa¬ 
resten gefüllt zu sein. Der Zahn wurde wegen eines Abszesses extrahiert. 
Ich mache auf die besondere Tatsache aufmerksam, daß ich außer den Diffe¬ 
renzierungen der Wurzelspitze bis jetzt noch in keinem meiner Präparate 
solche des Wurzelkanallumens beobachten konnte. Als letztes mikrophoto¬ 
graphisches Bild gebe ich die Fig. 18, den Querschnitt durch die Wurzel 
eines oberen zweiten Prämolaren. Das Foramen apicale scheint uns hier in 
ein einheitliches Loch auszumünden, ohne jegliche Andeutung von Anasto- 
mosen mit etwa vorhandenen seitlichen Foramina apicalia oder sonstigen 
Verbindungen zu anderen Kanälen. Der Zahn wurde extrahiert wegen Perio¬ 
dontitis acuta. 

Ich will nun kurz die Befunde zusammenfassen, die ich von den angefer¬ 
tigten Schliffen bekommen habe. Außer den obenbeschriebenen vier Fällen 
von Differenzierungen der Wurzelspitze habe ich noch zwei Schliffe mit 
solchen bekommen. Selbst bei genauester mikroskopischer Untersuchung der 
Objekte war nichts anderes festzusteifen, vor allem aber nicht die so viel er¬ 
wähnten Maschengebilde auf allen Höhen im Wurzellumen. Da wir nun 
ohne weiteres diese Methode als die schonendste bei Herstellung von Prä¬ 
paraten anerkennen müssen, denn sie läßt keine destruktiven Prozesse des 
Zahngewebes vorangehen, so stellen die mikroskopischen Bilder die natür¬ 
liche Wiedergabe der Verhältnisse der Wurzelspitze sowie des Wurzel¬ 
lumens dar. Der einzige Einwand, der erhoben werden kann, ist der, daß 
wir vielleicht bisweilen nicht die Mitte des Wurzellumens treffen, und daß 
wir keine Serienpräparate bekommen. Um diesen Nachteil zu ergänzen, habe 
ich nun auch noch Serienschnitte angefertigt. Bevor ich aber zur Besprechung 
derselben übergehe, will ich noch die Ergebnisse besprechen, die ich durch 
die Sektionen von Zähnen und Abspülungen von Pulpen aus denselben, 
nach Türkheim, erhalten habe. 

Zahnsektionen: Die Sektion der Zähne wird einfach durch Spalten der 
Pulpenkammer und der Wurzel vorgenommen. Diese Untersuchungsmethode 
hat nur einen gewissen Wert, wenn wir lediglich die makroskopischen Ver¬ 
hältnisse des Wurzellumens in Betracht ziehen wollen. Zur Untersuchung 
kamen über 100 Zähne, die ich in der Weise gespalten habe, daß ich zuerst 
die Pulpenkammer mit der Resektionszange spaltete und dann erst jede 
Wurzel für sich,* bei einer gewissen Übung bekommt man ganz gut regel¬ 
mäßig gespaltene Objekte. Ich untersuchte die Wurzelverhältnisse bei schwacher 
Lupenvergrößerung und fand, daß bei allen Zähnen das Wurzelkanallumen 
stets dem äußeren Bau des Zahnes konform ist. In manchen Fällen finden 
wir an verschiedenen Stellen des Wurzelkanales Stenosen desselben, doch 
sind dieselben meistens für eine Nervnadel noch gut passierbar. Bei ge¬ 
drehten oder gekrümmten Wurzeln schlängelt sich der Wurzelkanal genau 


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Die Verästelung des apikalen Wurzelkanals nebst Folgerungen 313 

so wie der Verlauf der Wurzel ist. Das Lumen solcher Zahnwurzeln ist für 
gewöhnlich sehr verengt. In einzelnen Fällen fand ich auch eine vollständige 
Atresie der Wurzelspitze, die sicher durch Kalkablagerung entstanden war. 
Therapeutisch sind durch unsere Methoden diese Teile, wenn sie noch Pulpen-* 
reste enthalten, dann nicht mehr zugänglich. Ich versuchte an verschiedenen 
Zähnen, die solche Verengerung hatten, durch Einwirken von Königswasser 
und Hypochlorit eine Erweiterung des Wurzelkanallumens zu erreichen, je- 
doch erwies sich das leider als ganz unmöglich. Durch die starke Verbiegung 
und Verknickung mancher Kanäle war es unmöglich, die Kalkablagerungen 
wegzuschaffen. Bei den Fällen, wo die Stenose an der Übergangsstelle zwi- 
sehen Pulpenkammer und dem Eingang zum Wurzelkanal lag, erweiterte ich 
dieselbe und versuchte diese durch Ausbohren zu überwinden, stieß dabei 
aber auch auf Schwierigkeiten, die im Munde sich noch schwerer beseitigen 
lassen. Nach allen diesen Versuchen kam ich zu der Überzeugung, daß wir 
oft im Munde bei der Behandlung wurzelkranker Zähne mit Schwierigkeiten 
zu rechnen haben, die uns die völlige Entfernung der Pulpa aus den Zähnen 
illusorisch machen, ein Befund, der ja jedem Praktiker aus Erfahrung bekannt 
ist. Die Tatsache, daß die Weisheitszähne, die bukkalen Wurzeln der oberen 
Molaren, die medialen Wurzeln der unteren Molaren und die Wurzeln der 
Prämolaren am meisten Schwierigkeiten bei der Wurzelbehandlung machen, 
kann ich somit nur bestätigen. Auch die unteren Frontzähne machen uns 
Schwierigkeiten durch das enge Lumen derselben. 

Als Resultat dieser Befunde möchte ich betonen, daß wir trotz der Tat- 
Sache, daß wir mit solchen Verhältnissen zu rechnen haben, nicht berechtigt 
sind, bei der Behandlung pulpenkranker Zähne die Amputationsmethode 
wahllos anzuwenden, sondern wir müssen stets die Exstirpationsmethode 
auszuführen suchen, denn wir haben aus der Baumgartnerschen Arbeit 
gesehen, daß die amputierte Pulpa keine Regenerations- und Vernarbungs- 
tendenz besitzt und stets eine Infektionsgefahr darbietet. Näher auf diesen 
Punkt einzugehen, ist hier nicht der Platz. 

Methode Türkheim. Abspülen des organischen Gerüstes des 
Dentins. Es folgt nun die Methode Türkheim. Er beschreibt seine Me- 
thode so: „Die Art, wie ich die Pulpa darstelle, hat den ganz besonderen 
Vorzug, daß Kunstprodukte ausgeschlossen sind. Ich stelle die natürliche 
Pulpa frei präpariert dar, und zwar einfach dadurch, daß ich auf den Zahn 
im Thermostaten zunächst 10%, dann 15%ige Salpetersäure für einige Tage 
einwirken lasse. Dadurch wird neben der Entkalkung auch das organische 
Gerüst des Dentins aufgelöst und läßt sich dann vorsichtig durch einen ganz 
feinen Wasserstrahl von der Pulpa abspülen, die in ihrer ganzen Ursprünge 
liehen Form erhalten bleibt/ 7 Ich verfuhr genau nach der Türkheimschen 
Methode und stellte Versuche an 50 Zähnen an. Leider konnte ich nach Ab- 
spülen des Gerüstes die Pulpa nicht so leicht in ihrer ursprünglichen Form 
erhalten. Die Pulpa blieb fest im Zahn sitzen und ließ sich nur mit Gewalt 
herausholen. Man sieht dann an solchen Pulpen unter zwanzigfacher mikro¬ 
skopischer Vergrößerung in der Tat Gebilde, die eine Verästelung dar- 













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Djerassi 


stellen können, doch das sind Kunstprodukte, die beim Herausnehmen der 
Pulpa durdi Abreißen entstehen. Diese Methode kann meiner Ansicht nach 
von allen bis jetzt bekannten am wenigsten Anspruch auf wissenschaftlichen 
Wert machen. Die erhaltenen Objekte sind ganz grobe Kunstprodukte, und 
wenn Türkheim behauptet, daß diese Methode mit erstaunlicher Deutlich¬ 
keit die Verhältnisse der Wurzelspitze erkennen läßt, so kann ich dies am 
wenigsten bestätigen. Außer den obengenannten Mängeln darf man nicht 
außer acht lassen, daß, wie Türkheim selbst sagt, durch die Einwirkung 
k der Säure nicht nur eine Entkalkung, sondern auch eine Auflösung des 
Dentingerüstes stattfindet. Diese Tatsache allein gibt uns schon Anlaß daran 
zu zweifeln, daß die gewonnenen Objekte die ursprüngliche Form der Pulpa 
darstellen. Als Untersuchungsmaterial bei dieser Methode kommen nur 
Zähne mit lebender Pulpa in Betracht,- wäre überhaupt ein solches Verfahren 
zu gebrauchen, um daraus richtige Schlüsse über Pulpaverhältnisse und deren 
Ramifikation an der Wurzelspitze zu ziehen, so wäre das nach meiner Meinung 
eher aus den Präparaten zu beurteilen, die wir bei der direkten Exstirpation 
bekommen. Ich erwähne hier die Beobachtung Greves, der über 25 Jahre 
die Pulpenexstirpationsmethode ausgeübt hat, ohne dabei unter zahlreichen 
Prüfungen einmal an den exstirpierten Pulpen einen akzessorischen Ast oder 
sonstige Differenzierungen beobachtet zu haben. Es muß zugegeben werden, 
daß die feinen Äste abreißen können. Aber nach den Abbildungen der¬ 
jenigen Autoren, die jene fraglichen Verästelungen gesehen haben wollen, 
müssen auch recht dicke Verästelungen Vorkommen, von denen man nicht 
annehmen kann, daß sie bei der Exstirpation abreißen. An der Hand meiner 
eigenen praktischen 15jährigen Tätigkeit, sowie nach den mikroskopischen 
Untersuchungen frisch extrahierter Pulpen zu urteilen, kann ich Greves 
Beobachtung durchaus bestätigen. Zwecks Untersuchung habe ich die frisch 
extrahierten Pulpen in 10°/ o iger Formalinlösung fixiert und frei auf den 
Objektträger gebracht. Die zwanzigfache Vergrößerung zeigt keine Differen¬ 
zierung,- die seitlichen Umrandungen der Pulpa, wie auch des Pulpenkörpers, 
wiesen nur glatte Flächen auf und keine Äste. Nur an der Rißstelle be¬ 
merkte ich kleine Unebenheiten. So liegen die Verhältnisse jedenfalls bei nor¬ 
malen Pulpen. Selbstredend wissen wir auch über Fälle zu berichten, wobei 
es uns nicht gelingt, die Pulpa in toto zu exstirpieren. Dieser Umstand ist 
jedoch darauf zurückzuführen, daß bei diesen Fällen mit abnormen Um¬ 
ständen zu rechnen ist, die aber die Ausnahme und nicht die Regel bilden. 

Als letzte Methode bei der Untersuchung der Verhältnisse an der Wurzel¬ 
spitze habe ich das Anfertigen von Schnittpräparaten herangezogen. Da bei 
derselben die Zähne entkalkt werden müssen, so dürfen wir auch hier mit 
dem Auftreten von Kunstprodukten rechnen. Das Verfahren, welches ich 
dabei gebraucht habe, ist folgendes: Die Zähne wurden vor der Entkalkung 
acht Tage lang in Formollösung fixiert. Das Fixieren hat den Zweck, die 
Quellung, die durch das Entkalken entsteht, besonders die der kollagenen 
Gewebe zu verhindern. Das Entkalken selbst, wobei die kohlensauren und 
phosphorsauren Salze aufgelöst werden, hat den Zweck, die Gewebe schnitt- 


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Die Verästelung des apikalen Wurzelkanals nebst Folgerungen 


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fähig zu machen. Durch die benützten Säuren werden die Gewebe an- 
gegriffen und deren Struktur geschädigt. Die Entkalkungsfliissigkeit dringt 
schwer in die kalkhaltigen Gewebe ein, weshalb man reichlich Entkalkungs- 
flüssigkeit benutzt und dieselbe sehr häufig wechseln muß. Von Zeit zu Zeit 
müssen die Präparate hin- und herbewegt werden. Je nach der Größe der- 
selben habe ich sie in einer Zeit von 8 — 20 Tagen entkalkt bekommen. 
Als Entkalkungsflüssigkeit nahm ich Salpetersäure 7,5 auf 100 Teile Wasser 
gelöst, um eine 5%ige zu bekommen, da die käufliche Salpetersäure beim 
spezifischen Gewicht von 1,414 nur 68 °/ 0 enthält. Zuerst wird die Lösung alle 
Tage gewechselt, später jeden zweiten Tag. Um feststellen zu können, ob 
die Zähne entkalkt sind, versucht man, mit einer Stedcnadel an der Ober- 
fläche des Zahnes einzustechen. Sind sie weich, so sind sie zum Schneiden 
fertig. Um die Quellung der kollagenen Gewebe zu vermeiden, werden die 
Zähne auf 24 Stunden in Kalialaunlösung gebracht, nach weiteren 24 Stunden 
zwecks Entwässerung in fließendes Wasser. Die Entwässerung muß nun 
noch in allmählich verstärktem Alkohol vollendet werden. Um starke Schrump- 
fung zu vermeiden, habe ich die Objekte zunächst 12 Stunden in 50%igen 
Alkohol, dann ebenso auf 12 Stunden in 70°/ 0 igen, 85%igen, 95%igen 
und schließlich auf 24 Stunden in absoluten Alkohol gebracht. Jetzt sind die 
Zähne zum Einbetten fertig. Vorher habe ich die Objekte zwei Tage lang 
in einer Mischung von Äther-Alkohol gehalten, um das Durchdringen mit 
Zelloidin zu erleichtern. Von da kamen die Präparate in eine dünne, dann 
in eine dicke Lösung von Zelloidin-Äther-Alkohol. Die Herstellung von 
Zelloidinlösung geschieht so: Die Zelloidinplatte wird in kleine Stücke zer- 
schnitten und in einer offenen Schale gelassen, damit sie vollständig trocknet. 
40 g Zelloidin werden in 250 g absolutem Alkohol aufgelöst. Die Zelloidin- 
Stückchen quellen 1—2 Tage stark auf, worauf man 250 g Äther zusetzt. 
Nach 2 Tagen folgt die völlige Lösung. Das ist dickes Zelloidin. Das dünne 
Zelloidin wird hergestellt, indem man die Hälfte des dicken mit 500 g AL 
koholäther verdünnt. Die Präparate kommen zuerst in die dünne Zelloidin- 
lösung, worin ich sie 3 Wochen habe liegen lassen. Ebenso lange Zeit lagen 
sie in dickem Zelloidin. Ist die Zelloidinmasse hart geworden, so werden die 
einzelnen Objekte herausgeschnitten und zur weiteren Härtung in 80°/ 0 igen 
Alkohol gebracht, und zwar ungefähr 12 Stunden. Von da werden die Prä¬ 
parate auf Holzklötze geklebt. Damit sich die Präparate beim Schneiden 
später nicht heben, muß man auf folgendes achten : zuerst ist die Unterseite 
des Zelloidinblockes mit Fließpapier vom Alkohol zu befreien und dieselbe 
Seite mit Äther-Alkohol einige Minuten in einem Schälchen zu befeuchten, 
wodurch das Zelloidin oberflächlich aufweicht. Nun wird der Zelloidinblock 
auf einem gerieften Holzklotz, der mit dickem Zelloidin bedeckt ist, gebracht. 
Nach einigen Minuten trocknet die Sache an der Luft. Danach kommen die 
Präparate auf eine Stunde in Alkohol und sind schnittbereit. Die Schnitte, 
die ich gewonnen habe, wurden mit Hämatoxilin-Eosin gefärbt. Da ich auf 
recht viel Schwierigkeiten bei der Herstellung der Schnitte gestoßen bin, so 
glaubte ich besonders auf die wichtigsten Momente bei der Beschreibung des 


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316 Djerassi 

Verfahrens hinweisen zu sollen. Ich fertigte nun Schnitte von 50 Zähnen an. 
Zu meinem Erstaunen fand ich darunter höchstens die Hälfte, die Besonder^ 
heiten zeigten. Ich kann hier natürlich nur eine Auswahl von Präparaten vor^ 
führen. Fig. 19 ist die Mikrophotographie der distalen Wurzel eines unteren 
Molaren. Wir sehen auf dem Bild einen vollständigen Verschluß der WurzeU 
spitze durch Kalkablagerung. Die folgenden Schnitte der Serie zeigen eben^ 
falls diese Unzugänglichkeit der Wurzelspitze. Sonst entdeckte ich keine Be^ 
Sonderheiten, denn die zerfetzten Pulpenreste sind wahrscheinlich auf die Wir^ 
kung der Säuren zurückzuführen. Der Zahn wurde wegen Periodontitis 
acuta extrahiert. Fig. 20: Die Wurzelspitze eines oberen ersten Prämolaren. 
Der Zahn hatte nur eine gut ausgebildete Wurzel, wie wir selten an dieser 
Gattung Zähne zu finden gewohnt sind. Die Wurzelspitze läuft breit aus. 
An der Ausmündungsstelle der Wurzelspitze sitzt frei in der Pulpa ein 
Dentikel. Der Zahn wurde wegen Pulpitis totalis extrahiert. Sonstige Be^ 
Sonderheiten sind nicht nachzuweisen/ ebenso keine Verästelungen. Die Pulpa 
ist in ein großes Maschenwerk umgewandelt, was als Folge der Entkalkung 
anzusehen ist. An der linken Wand des Bildes täuscht uns eine umgeschla^ 
gene Falte des abgehobenen Wurzelspitzen^Pulpengewebes einen seitlichen 
Kanalausläufer vor. Tatsächlich ist alles normal. Nun folgt Fig. 21: Es 
stellt uns die Wurzelspitzenverhältnisse eines oberen Weisheitszahnes dar. 
Die Wurzelspitze ist gut ausgebildet. Wir sehen auf dem Bilde keine Diffe^ 
renzierungen im Dentin oder Zement. Die Pulpa ist recht zerklüftet und 
läuft nach dem Apex zu in einzelnen Strängen aus. Der Zahn wurde wegen 
Periodontitis acuta extrahiert. Um einen Vergleich der Verhältnisse der blei¬ 
benden Zähne mit denjenigen der Milchzähne anzustellen, bringe ich hier 
das Bild eines unteren zweiten Molaren, und zwar der distalen Wurzel. Die 
Wurzelspitze ist noch sehr breit. Der Nervstrang geht vom Zahn aus in die 
periodontale Umgebung mit zwei gut geteilten Strängen über <Fig. 22). Wäre 
dies eine wirkliche Teilung der Pulpa am Apex, so wäre das ein Beweis gegen 
die Fischer^Heßsche Behauptung, nämlich, daß es keine Differenzierungen 
an der Wurzelspitze der Milchzähne gibt. Der Zahn wurde wegen Pulpitis 
totalis extrahiert. Fig. 23 ist der Querschnitt der medio^bukkalen Wurzel 
eines oberen Molaren. Der Wurzelkanal ist in viele Ausläufer geteilt. Wir 
sehen hier ein ähnliches Bild wie Fig. Nr. 10, welches von Feiler stammt, 
nach Antiforminbehandlung der Wurzelspitzen. Hier ist also analog der 
Kunstbildung durch Antiformin pathologische <sekundäre> Bildung durch Eiter 
anzunehmen. Der Zahn wurde wegen Parulis extrahiert. Die zwei unten^ 
stehenden Bilder sollen uns ähnliche Verhältnisse zeigen. Fig. 24 ist die 
Mikrophotographie eines unteren Molaren mit schön ausgebildetem seitlichem 
Apex, ein ähnliches Bild, wie uns Fig. 17 an einem Schliffpräparat zeigt. Die 
Figur auf Taf. IV ist eine Kopie nach Heß <Fig. 25>. Wir sehen hier eben^ 
falls akzessorische Wurzelspitzenkanäle, die nach innen zu wurzelaufwärts 
gute Kanallumina zeigen. Der Zahn der Fig. 24 wurde wegen Periodontitis 
chronica extrahiert. Die schönste Figur ist Fig. 26. Hier sehen wir an der 
Wurzelspitzenregion eines oberen zweiten Prämolaren zuerst eine starke 


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Die Verästelung des apikalen Wurzelkanals nebst Folgerungen 317 

Kalkablagerung, die eine Stenose der Wurzel verursacht hat, dann einen 
Haufen freistehender Dentikel und noch mehr wandständige. Wir sehen aus 
dieser Figur, daß die pathologischen Vorgänge der Wurzelspitze nicht sehr 
selten sind. Würde man ein Korrosionspräparat von einem solchen Zahn 
machen, so würde man allerlei phantastische Bilder bekommen. Vergleichen 
wir diese Präparate mit den Schliffpräparaten, so sehen wir die Verhältnisse 
sich wiederholen, wie wir sie dort auch gesehen haben. Nur kommen sie 
öfters vor, weil die Objekte entkalkt wurden. Ich kann deshalb die Behaupt 
tung von Heß, daß unter 50 Präparaten 48 Differenzierungen Vorkommen 
sollen, mit meinen eigenen Befunden widerlegen, höchstens die Hälfte zeigen 
Abweichungen, die andere Hälfte ist normal. 

Als weitere Untersuchungsmethode wurde diejenige, die uns die Her^ 
Stellung von stereoskopischen Röntgenbildern ermöglicht, herangezogen. Durch 
die Untersuchungen mit dem zu diesem Zwecke von Hasselwander kon^ 
struierten Apparat werden Feinheiten zutage gefördert, die auf anderem 
Wege nicht zum Vorscheine kommen. Es liegt selbstverständlich der Ge= 
danke nahe, diese Methode auch auf die Verhältnisse des Wurzelspitzen^ 
kanals anzuwenden. Dieselbe besteht darin, von einem und demselben Ob^ 
jekt zwei stereoskopische Röntgenogramme zu gewinnen, wobei die Verschieb 
bung der Röntgenröhren der Pupillendistanz des Beobachters entspricht. Nach 
Fertigstellen der Platten werden diese in den obenerwähnten, von HasseU 
wander dazu konstruierten Apparat gebracht, wodurch man von dem 
Objekt alsdann ein räumliches Bild vor sich hat. Bei meinen Untersuchungen 
wurden auf der Röntgenplatte 54 Zähne fixiert und nach Herstellung der 
Platten auf dem stereoskopischen Apparat untersucht. Da nun PulpenhohU 
räume, Wurzelkanäle und Inhalt derselben auf diesem Wege auf dem Bilde 
plastisch erscheinen, ist die Genauigkeit unabweisbar: Es wurde an keinem 
Zahne eine wirkliche Verästelung der Wurzelspitze festgestellt. An drei der 
untersuchten Zähne schien die Struktur der Wurzelspitze etwas unklar, so 
daß an eine Verästelung gedacht werden konnte. Um darüber Klärung zu 
erlangen, wurden von diesen drei Zähnen Schliffe zwecks mikroskopischer 
Untersuchung hergestellt. Nur an einem dieser Schliffe, und zwar an dem¬ 
jenigen, der von einem oberen Weisheitszahn herrührte, war anstatt einer 
sukzessiven Verengerung des Wurzelkanallumens eine am letzten Ende der 
Wurzel sich ausbreitende Ausmündung bemerkbar. Dieselbe konnte jedoch 
nicht als Verästelung angesprochen werden. Danach hat auch diese Methode 
für das untersuchte Material den Beweis erbracht, daß in der Regel die 
Wurzelkanäle am Apex glatt auslaufen. Dieselben Befunde werden, wie es 
scheint, auch von amerikanischer Seite bestätigt,* wie aus der Arbeit von Carl 
Grove in DentaUCosmos 1921 Nr. 10 hervorgeht. 

PHYSIOLOGIE DER ZAHNPULPA 

Ich habe bis jetzt versucht, über die anatomischen Verhältnisse der WurzeL 
spitze klar zu werden. Um aber ein sicheres LIrteil über die Pulpa und die 


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Zahnwurzeln zu bekommen, ist es nötig, auch noch auf die Physiologie! 
etwas einzugehen. Eine der wichtigsten Funktionen, die die Pulpa zu erJ 
füllen hat, ist die Bildung des Zahnbeins. Die neuen Schichten Dentin gehen! 
aus der Pulpa hervor und lagern sich eine auf die andere. Wenn bei diesem' 
Vorgänge keine Hemmungen eintreten, so geht der physiologische Vorgang 
gewöhnlich normal vor sich. Ist das aber nicht der Fall, so sehen wir als 
Folgen u. a. die Bildung von schwammartigem durchlöchertem Dentin, es 
entstehen die Interglobularräume, wobei die normale Bildung der Kalksalze 
unterbleibt. Mitunter kommt es vor, daß zwischen Dentin und Odonto- 
blastenschicht sich eine schlechtverkalkte Schicht vorfindet, oder neben dem 
normalen Verkalkungsprozeß an einzelnen Stellen durch äußere Reize ent- 
weder eine vermehrte Bildung von Zahnbein sich einstellt oder die Ab- 
lagerung der Dentinschichten unregelmäßig geschieht. Das ist das sogenannte 
Reizdentin. Die Bildung des Dentins geht bekanntlich so lange vor sich, als 
die Pulpa lebt. Und da ständig bis dahin auch Grundsubstanz gebildet wird 
und sich Kalksalze ablagern, so müssen sich die Dentinkanäle auch verengen, i 
Auf diesen Umstand ist die Tatsache zurückzuführen, daß wir im höheren 
Alter kompakteres Zahnbeingewebe als im jugendlichen finden. Wie wir aus 
der Anatomie gesehen haben, sind Pulpa und Pulpahöhle dem Zahne kon¬ 
form. Wir haben ebenso früher erwähnt, daß bei der Bildung der Wurzel das 
Ende derselben zuerst sehr breit ist, und daß sich erst später aus diesem das 
Foramen apicale bildet. Wir haben ferner gesehen, daß durch gewisse Reize 
sich verschiedenartige Kalkkonkremente bilden können, die wir als Odonthele 
bezeichnen. Es sind das Gebilde, die mitunter die Wurzelkanäle ganz un¬ 
durchgängig machen. Bei der Besprechung der Anfertigung von Korrosions¬ 
präparaten haben wir betont, daß solche Zähne Präparate geben, die nicht 
mehr als normale Gebilde zu betrachten sind. 

Vergleichende Anatomie: Vergleichend-anatomisch ist nicht viel über 
die Verhältnisse am Foramen apicale zu eruieren. Die Befunde, die Fischer 
an Zähnen von Hunden, Katzen, Rindern, Schafen, Kaninchen und Meer¬ 
schweinchen gemacht haben will, deutet Rottenbiller im negativen Sinne. 
Rottenbiller sagt, daß an der Abbildung, die Fischer von einem Schneide¬ 
zahn eines Hundes gibt, weder Verästelungen noch Vielfachheit der Fora- 
mina apicalia zu sehen sind. Fischer meint dagegen, daß er an Präparaten, 
die er von Rinderzähnen bekommen hat, sowohl Kronen- als auch Wurzel- 
pulparamifikatiorien feststellen konnte. Rottenbiller weist mit Recht darauf 
hin, daß eigentlich zur Aufklärung dieser Frage Versuche an anthropoiden 
Affen sowie an einigen Menschenrassen angestellt werden müßten. Er wirft 
dann weiter die Frage auf: Sind die Ramifikationen nur Sonderheiten mensch¬ 
licher Zähne, und, wenn ja, auf welcher phylogenetischen Stufe setzen die 
ersten Spuren derselben ein? Wenn phylogenetisch negativ, dann wären sie 
als Neuerwerb anzusehen, und es wäre zu untersuchen, ob sie nur den 
menschlichen Zähnen zukommen. Weiter wäre dann nach demselben Autor 
die Frage zu beantworten, ob die Verästelungen exogener Natur sind, also 
auf Ernährungsursachen, oder endogener Natur und somit auf ontogenetische 


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Die Verästelung des apikalen Wurzelkanals nebst Folgerungen 


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Verhältnisse zurückzuführen sind. Die Frage, ob die Ramifikationen als 
3.1 Rassenunterschiede anzusehen sind, können wir mit Heß verneinend beant- 
n Ä rWorten. Heß glaubt sich zu diesem Schlüsse berechtigt wegen der überein- 
cfo stimmenden Befunde von Fisch er ^Deutschland, Preiswerk-Heß-Schweiz 
07 ? und Erasquin-Italien. 

t: Pathologie: Nachdem wir gesehen haben, daß die Ramifikationen an 

li; der Wurzelspitze menschlicher Zähne nach keiner Richtung hin als normale 
ki Vorkommnisse anzusehen sind, sondern stets nur die Ausnahme bilden, so 
or bleibt uns nur die eine plausible Erklärung übrig, daß es sich dabei stets um 
|V Abnormitäten handelt. Dieselben entstehen nach meiner Ansicht durch Hem- 
r mungsvorgänge während der Entwicklung, durch Spaltung von Keimen usw. 
ij Es resultieren dann als Folge Teilungen der Wurzelkanäle und Bildung von 
01 akzessorischen Wurzeln. Andere Erscheinungen sind als direkt pathologisch 
, zu bezeichnen. Durch krankhafte Ablagerungen von Kalk entstehen verschie- 
v dene Maschenwerke, durch zu starke Dentinanlagerung Dentikelbildung, Ver- 
r Schluß der Wurzelspitze, Stenosen usw. Zur Veränderung des Bildes der 
v Wurzelspitze tragen auch alle jene krankhaften Prozesse bei, die sich von 
5 außen her an der Wurzelspitze abspielen. Wir sehen oft nach chronischen 
periodontitischen Prozessen starke Veränderungen des Zenientes, Arrosionen 
an demselben oder Hyperplasien verschiedenen Grades. Eitrige Prozesse, 
die jahrelang an solcher Spitze arrodierend wirken, bringen uns Gebilde zur 
Schau, die dann an Korrosionspräparaten nicht nur eine Verzweigung zeigen, 
sondern vollständig ausgebildete Verbindungen der äußeren Wurzelfläche des 
Zahnes mit dem Wurzelkanal. Hyperzementosen finden wir an derselben 
wegen der schwächeren Kompaktheit, und viel mehr Zerklüftungen, als es 
der Fall ist, wenn das Dentingewebe unter einem chronischen Reiz zu leiden 
hat. Dieser Unterschied erklärt sich aus der Verschiedenheit des organischen 
Inhalts des einen und anderen Gewebes. Die Bildung von zwei, seltener von 
drei Ästchen aus der Pulpa ist ebenfalls als pathologisch zu betrachten. Wir 
haben an der Fig. 14 das Vorhandensein eines gut ausgebildeten akzesso- 
rischen Kanals gesehen, der nach der Seite zu ausmündet. Solche Bilder sind 
auch von Feiler u. a. beobachtet worden. Für die weiteren Veränderungen 
des äußeren und inneren Bildes der Wurzelspitze kommen noch pathologische 
Vorgänge in Betracht, die als Folge von Einwanderungen von Wurzelhaut^ 
zellen und Zementgewebe in das Wurzelpulpengewebe durch das Foramen 
apicale anzusehen sind. Dieser Vorgang findet bei Atrophie der Pulpa statt, 
bei chronischen Entzündungen derselben, bei Nekrobiose, bei Mumifikation 
des Gewebes von Pulpenresten. Ja man könnte sogar versucht sein, da¬ 
bei auch an metaplastische Vorgänge zu denken, da dieselben in besonde¬ 
rem Maße zur Aufklärung der mannigfaltigsten Vorgänge und Anomalien 
an der Wurzelspitze beitragen könnten. Der Begriff der Metaplasie ist viel¬ 
fach verschieden gebraucht worden. Legen wir deshalb erst einmal im An¬ 
schluß an die Autorität von M. Borst <Aschhoff: Allgemeine Pathologie) 
fest, was man darunter zu verstehen hat und wie gewisse Zellveränderungs¬ 
vorgänge zu beurteilen sind. 


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320 Djerassi 

Nur wenn ein Gewebe in morphologischer und funktioneller Hinsicht das 
Wesen eines anderen Gewebes annimmt, spricht man von echter Metaplasie. 
Hierfür kommen nur Deckepithel und Stützsubstanzen in Betracht. Die Um- 
Wandlung embryon alen Gewebes bezeichnet man nicht alsMetaplasie, sondern 
nur pathologische Metamorphosen an ausgebildeten Geweben sind Metaplasie. 
Borst meint aber, daß man hier besser von Umdifferenzierung spreche. 

Häufig liegt aber gar keine Umwandlung des Gewebscharakters vor, son¬ 
dern lediglich eine durch äußere Einflüsse hervorgerufene Formveränderung, 
nicht eine strukturelle und funktioneile Veränderung der Zellen. Hier handelt 
es sich um Pseudometaplasie, die man nach Borst besser als Akkommodation 
bezeichnet. 

Auch wenn ein Gewebe durch ein anderes verdrängt und substituiert 
wird, kann man nicht von Metaplasie sprechen. 

Metaplasie kann schließlich vorgetäuscht werden, wenn durch lokale Stö¬ 
rung Zellen in ein benachbartes Zellgebiet abirren. 

Es liegt nun durchaus im Bereiche der Möglichkeit, daß gewisse Unregel¬ 
mäßigkeiten in der Anordnung der Gewebe um und an der Wurzelspitze in 
das Gebiet der histologischen Akkomodation bzw. der Zellaberration ge¬ 
hören, wogegen Metaplasie wohl nicht in Frage kommt. 

Nach allen bisherigen Betrachtungen haben wir gesehen, daß von einer 
regelmäßigen Verästelung der Wurzelspitze nicht die Rede sein kann, son¬ 
dern daß deren Vorkommen als Ausnahme anzusehen ist, denn weder ent- 
widdungsgeschichtlich noch anatomisch läßt sich das Vorkommen der Ver¬ 
ästelung als Regel nachweisen. Wir haben versucht, auf verschiedenen ex¬ 
perimentellen Wegen zu einem Schlußresultat zu gelangen. Die Methode der 
Herstellung von Korrosionspräparaten überzeugt uns, daß sie wegen der 
Unsicherheit in der genauen Wiedergabe der Wurzelkanallumina nicht im¬ 
stande ist, Verästelungen und Differenzierungen der Wurzelpulpa und des 
Wurzelkanals richtig zu zeigen. Wir haben gesehen, daß die verschiedenen 
Modifikationen dieser Methode andere Resultate geben als z. B. die Preis- 
werkschen Präparate verglichen mit den Fischerschen, den Heßschen oder 
den meinigen. Es ist zwar eine gewisse Ähnlichkeit da, trotzdem sich große 
Unterschiede untereinander zeigen. Wir haben ferner gesehen, daß im all¬ 
gemeinen die Wurzelkanalhohlräume der Zähne der äußeren Form des 
Zahnes konform sind. Preiswerk, Fischer und Heß schließen aus ihren 
Befunden auf feine Verzweigungen im apikalen Bezirk, Querbrücken, insel¬ 
artige Aussparungen sowie Markkanäle in verschiedenen Höhen der Wur¬ 
zeln. Die Annahme dieser Forscher, daß in jugendlichen Zähnen keine Diffe¬ 
renzierungen zu finden sind, muß besonders betont werden. Damit wird auch 
von dieser Seite als Tatsache angenommen, daß entwicklungsgeschichtlich keine 
Anlage für diese Gebilde gegeben ist. Wir wissen dann weiter, daß Heß 
und Preis werk diese Differenzierungen als rein anatomisch-physiologische 
Entwicklungsprodukte ansehen, während andererseits Fischer zugibt, daß 
auch pathologische Prozesse im Spiele sein können. Nicht einmal hier sehen 
wir eine einheitliche Auffassung. Ihren Befunden entsprechend haben diese 


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Die Verästelung des apikalen Wurzelkanals nebst Folgerungen 321 

Autoren statistisch festzustellen versucht, in welchem Prozentsatz bei den 
verschiedenen Zahngattungen diese Differenzierungen Vorkommen. Fischer 
gibt folgendes an: Sämtliche Schneide^ und Eckzähne besitzen im allgemeinen 
einfache, wenig verästelte Kanäle. Nur die Pulpen unterer Incisivi haben die 
Tendenz sich im ersten Drittel des Kanals zu teilen und zwar in 53,3%. Dieser 
Befund Fischers über diese Differenzierungen der unteren Incisivi ist darauf 
zurückzuführen, daß diese Zähne infolge des abgeplatteten Baues der Wurzel 
bei der Herstellung von Korrosionspräparaten leichter Kunstprodukte geben 
können, als die anderen Zahnarten. Die ersten oberen Prämolaren zeigen 
Verästelungen in 58%, die zweiten in 40%, dagegen die ersten und zweiten 
unteren Prämolaren in 35%. Die oberen und unteren ersten und zweiten 
Molaren zeigen Verästelungen in 80%, die dritten oberen Molaren in 94%. 
Dieser hohe Prozentsatz der oberen dritten Molaren wundert uns nicht. 
Wissen wir doch, daß diese Zahngattung eine außerordentliche Mannigfaltige 
keit in der Formbildung zeigt, dementsprechend entstehen auch hier leichter 
Kunstgebilde bei den Korrosionspräparaten. Man sollte eigentlich annehmen, 
daß es aus den Schnittpräparaten am besten möglich sei, die Verhältnisse der 
Wurzelspitze zu studieren. In der Tat ist es aber anders. Durch die Ent^ 
kalkung entstehen hier Gebilde, die den wirklichen anatomischen Verhält¬ 
nissen nicht mehr entsprechen. Feiler macht uns sehr richtig darauf auf¬ 
merksam, daß es sich dort, wo wir in einzelnen Schnitten scheinbar Veräste¬ 
lungen sehen, oft um Knickungen und Biegungen im Verlauf des WurzeU 
kanals handelt oder um Faltenbildungen, die durch Dentinneubildungen 
hervorgerufen werden. An solchen Präparaten hat er jedenfalls häufig die 
Verästelungen gefunden. Das Verfahren von Türkheim scheint überhaupt 
keinen wissenschaftlichen Wert beanspruchen zu dürfen, denn die Methode 
ist durchaus unexakt, da sie uns Kunstgebilde liefert. Es bleibt uns noch die 
Herstellung von Schliffen als die maßgebendste Methode. Bei der Besprechung 
dieses Verfahrens haben wir gesehen, daß in den Schliffpräparaten Gebilde 
nachzuweisen sind, die von der Norm abweichen. Da dieselben nur aus^ 
nahmsweise Vorkommen, und zwar meistens im Zement, seltener im Dentin, 
so sind wir berechtigt, sie als Anomalien und pathologische Erscheinungen 
anzusehen, wie oben bereits auseinandergesetzt worden ist. Sie sind teils als 
Resorptionslakunen aufzufassen, die auf pathologische Vorgänge zurück^ 
zuführen sind, teils kann es sich auch um Ablagerungen von sekundärem 
Dentin handeln, wodurch es im Pulpastrang zur Bildung einer Brücke kommt, 
oder um Zellakkommodationen. Die radiographischen Untersuchungen, sowie 
die Sektionen der Zähne können nur als Hilfsmittel der oben erwähnten 
Methoden angesehen werden. Sie sind selbst nicht imstande, näheres über 
diese Verhältnisse zu bringen. Haben wir nun kennengelernt, was alle zur 
Lösung unserer Aufgabe vorgenommenen Untersuchungen uns zutage ge^ 
fördert haben, so müssen wir mit Rottenbiller folgendes annchmen: „Ent^ 
weder sind die Verzweigungen makroskopisch, dann müßte man sie ohne 
weiteres sehen, oder sie sind mikroskopisch, dann müßte man sie stets oder 
jedenfalls in der Mehrzahl der Fälle an Schliffen nachweisen können. Da 

Vierteljahrsschrift für Zahnheiikunde, Heft 3 21 


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322 


Djerassi 


man sie aber nur ausnahmsweise findet, so sind es Raritäten, mit denen man 
zu rechnen hat, wie auch sonst mit Irregularitäten wie z. B. mit gekrümmten 
Wurzeln, Mannigfaltigkeit der Wurzelbildung oberer Weisheitszähne, Vor- 
kommen eines vierten Kanals am oberen ersten Molaren usw." 

Betrachten wir nun die praktischen Folgerungen, die sich aus den theore¬ 
tischen Befunden ergeben, so muß man ohne weiteres zugeben, daß die in Rede 
stehenden Irregularitäten eine regelrechte Wurzelbehandlung sehr erschweren, 
ja in manchen Fällen zur Unmöglichkeit machen. Diese Schwierigkeiten stellen 
sich aber nicht deshalb ein, weil eine Verästelung der Wurzelspitze regelmäßig 
da ist, sondern nur, weil wir mit gelegentlichen Anomalien einfach zu rechnen 
haben. Es gibt wohl kaum ein Organ im menschlichen Körper, daß so zu 
Anomalien neigt, wie die Zähne. Die Ursache hierfür ist einerseits in dem 
komplizierten Bau derselben an sich zu suchen, andererseits darin, daß Stö¬ 
rungen der letzteren <z. B. durch Anomalien der inneren Sekretion) auch 
nach Fertigbildung der einzelnen Schichten keinen Ausgleich mehr gestatten. 
Auch darauf sei hingewiesen, daß in einem sehr engen Raum eine Menge 
von verschiedenen Geweben aufeinanderstoßen. Über den Inhalt der Veräste¬ 
lungen der Wurzelspitze sind wir nicht genau unterrichtet. Man darf aber 
annehmen, daß in denselben Pulpagewebe vorhanden ist. Dasselbe läßt sich 
aber durch Auflösungsmittel beseitigen, was nach weiter oben gemachten Aus¬ 
einandersetzungen das Ziel jeder Wurzelbehandlung sein muß. Als die geeig¬ 
netsten Mittel dazu stehen uns Königswasser und Hypochlorit zur Verfügung, 
auf deren speziellen Gebrauch hier nicht weiter eingegangen werden kann. 

Auf jeden Fall aber haben diese Mittel sich als brauchbar erwiesen, wo¬ 
durch die Befürchtung, daß größere Mengen infektionsfähigen Materials im 
Wurzelkanal liegenbleiben könnten, auf ein Minimum eingeschränkt ist. Da 
wir selbst bei scheinbar gelungener Pulpenexstirpation mit der Möglichkeit 
winziger Reste zu rechnen haben, so muß allerdings für die Dauerdesinfektion 
derselben gesorgt werden. Aber auch das liegt durchaus im Bereiche unserer 
Möglichkeit. Je mehr organische Stoffe aber im Pulpenkanal liegenbleiben, 
desto schwieriger ist deren Dauerdesinfektion, was besonders von bereits zer¬ 
fallenen oder putriden Massen gilt. 

Es kann nun auch nach meinen Untersuchungen nicht geleugnet werden, 
daß in gewissen Wurzelkanälen Stenosen und Atresien, sowie Verästelungen 
Vorkommen. Die Behandlung derselben muß selbstredend versucht werden, 
und es gelingt auch vielfach, mit flüssigen Mitteln zum Ziele zu kommen, 
wobei sehr viel auf die individuelle Geschicklichkeit und Ausdauer des be¬ 
handelnden Zahnarztes ankommt. Bleibt aber trotz aller Mühe der Erfolg 
aus, dann haben wir es eben mit Verhältnissen zu tun, wie sie auch sonst 
in der Medizin Vorkommen, die ärztliche Kunst ist am Ende. 

Am Ende meiner Arbeit angelangt, bin ich zu besonderem Dank Herrn 
Prof. Dr. Greve für seine anregenden Gespräche verpflichtet, sowie für die 
große Mühe, die er bei der stilistischen Korrektur der Arbeit gehabt hat. 
Herrn Prof. Dr. Hasselwander danke ich für die liebenswürdige Über¬ 
lassung der Anfertigung der Röntgenaufnahmen im anatomischen Institut. 


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Die Verästelung des apikalen Wurzelkanals nebst Folgerungen 323 

Herrn Prof. Dr. Heim für die gütige Anweisung bei der Herstellung der 
Mikrophotographien und Überlassung seines Apparates zu diesem Zwecke. 
Herrn Dr. Schneller und Herrn Dr. Schaudig für die Anweisungen bei 
der Herstellung der Serienschnitte. 

LITERATURVERZEICHNIS 

Sch eff: Handbuch der Zahnheilk. Bd. 1, Zuckerkand! u. v. Ebner. 

Walkhoff: Die normale Histologie menschlicher Zähne, einschließlich der mikroskopischen 

Technik. 

G. Fischer: Bau und Entwicklung der Mundhöhle des Menschen. 

G. Wetzel: Anatomie für Zahnärzte. 

Preiswerk: Österr.-Ung. V. f. Z., 1901. 

W. Lange: Histol. Technik für Zahnärzte. 

M. Fi scher: Infektionen der Mundhöhle und Allgemeinerkrankungen. 

Sommer: Deutsche zahnärztl. Wochenschr. 36, 1921. 

Morgenstern: Die Zahnbeinbildung unter dem Einfluß funktioneller Reize. 1896. 

Röse: Über Entwicklung der Zähne des Menschen, Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. 38, 1891. 
Preiswerk: Lehrbuch der Zahnheilkunde 1908. 

Miller, W. D.: Lehrbuch der konservierenden Zahnheilkunde. 

Miller, W. D.: Die Mikroorganismen der Mundhöhle. 

Baumgartner: Wurzelbehandlung und Wurzelfüllung, österr.-ung. Vierteljahrsschr. 1909. 
Feiler: Leitfaden der Wurzelbehandlung 1921. 

Heß: Schweizerische Vierteljahrsschr. Bd. 27, 1917. 

Carabelli: Systematisches Lehrbuch der Zahnheilkunde 1844, Wien. 

Mühlreiter: Anatomie des menschlichen Gebisses, Leipzig 1891. 

Coulliaux: Anatomie, Physiologie, Pathologie der Zahnpulpa des Menschen. 1896. 
Greve: Paradentale Erkrankungen, Deutsche Zahnheilkunde 1920. 

Rohr er: Der Stoffwechsel im Dentin, Hamburg 1921. 

Loos: Die Topographie der Pulpahöhle, österr.-ung. Vierteljahrsschr. d. Zahnheilkde. 1909. 
Adloff: Über das Durchsichtigmachcn von Zähnen und unsere Wurzelfüllungsmethoden, 

D. M. Sehr. f. Zhlk. 1913. 

Moral: Über Pulpenausgüsse, D. M. Sehr. f. Zhlk. 1914. 

G. Fischer: Über die feinere Anatomie der Wurzelkanäle menschlicher Zähne, D. M. 

Sehr. d. Zhlk. 1909 oder 1911. 

Rottenbiller: Zur Frage der Wurzelkanalramifikationen, österr.-ung. Vierteljahrsschr. 

f. Zhlk. 1918. 

Heß: Zur Frage der Wurzelramifikationen, österr.-ung. Vierteljahrsschr. f. Zhlk. 1919. 
Rottenbiller: Zur Frage der Wurzelramifikationen, österr.-ung. Vierteljahrsschr. der 

Zhlk. 1919. 

Bönnekken: Zur Therapie der Pulpakrankheiten. D. M. Sehr, der Zhlk. 1912. 

Feiler: Korrosionspräparate und Wurzelbehandlung, D. M. Sehr. f. Zhlk. 1912. 
Mayerhoffer: Prinzipien einer rationellen Therapie der Pulpagangrän und ihre häufigsten 

Folgerungen. 1909. 

Port-Euler: Lehrbuch der Zahnheilkunde 1920. 

Ahrens: Entwicklung der menschlichen Zähne. Sonderabdruck aus den anatomischen Heften, 

Heft 145. 

Rauber-Kopsch, Lehrbuch der Anatomie, Leipzig 1916. 

R. Hertwig: Über vergleichende Anatomie der Zähne, österr.-ung. Vierteljahrsschr. 1896. 
Türkheim: Untersuchungen über Wurzelbehandlung, D. M. Sehr. f. Zhlk. 1922. 

Borst: in Aschoffs Allgemeiner Pathologie, Jena 1909. 

Mönckeberg-Bonn: Infektionen der Mundhöhle und allgemeine Erkrankungen. D. M. 

Sehr. f. Zhlk. 1922. 

Wal ko ff: Lehrbuch der konservierenden Zahnheilkunde 1921. 

21 * 












DAS SCHICKSAL DER ZAHNE NACH WURZEL* 
SPITZENRESEKTION 1 

VON 

DR. PAUL ROSENSTEIN, BRESLAU 


U ber die Dauererfolge der Wurzelspitzenresektion fehlt es bisher an syste¬ 
matischen Nachuntersuchungen. Soweit Angaben über die Erfolge ge¬ 
macht werden — Williger z. B. spricht von 80—90% Erfolgen bei dieser 
Operation — beruhen sie auf Schätzung/ einzelne Fälle sind durch Jahre 
verfolgt worden, so berichtet Hart zell über einen noch nach 15 Jahren 
beobaditeten Erfolg, ich konnte 1912 von einer Patientin berichten, die 
1895 von Part sch operiert worden war. Die klinische Beobachtung allein 
konnte aber auf die Dauer nicht als beweiskräftig gelten/ denn bei der 
oft langen Latenz chronisch granulierender Wurzelhauterkrankungen kann 
vielleicht ein Rezidiv bereits im Entstehen sein, wenn wir klinisch noch einen 
sicheren Erfolg festzustellen berechtigt sind. So mußte das Röntgenverfahren 
zu Hilfe genommen werden, um das Schicksal der Zähne nach Wurzelspitzen¬ 
resektion verfolgen zu können. Robert Neumann hat einen Fall veröffent¬ 
licht, der 4 V 2 Jahre nach der Operation völlige Knochenregeneration auf¬ 
weist. Arthur Black behauptet, daß zwar in der ersten Zeit nach der Ope¬ 
ration sich der Knochen neu bildet, daß aber 5—10 Jahre nach dem Eingriff 
im Röntgenbilde eine Zerstörung dieses neugebildeten Knochens festzu¬ 
stellen sei. 

Bereits im Jahre 1912, als in der Diskussion zu meinem Vortrage „Be¬ 
merkungen zur Wurzelspitzenresektion", auf den ich noch mehrfach zurück¬ 
kommen muß, der Vorwurf erhoben wurde, die Breslauer Schule berichte 
immer nur von frisch operierten Fällen, nie von Dauerresultaten, begann ich 
systematisch Nachuntersuchungen an Patienten, die in der Poliklinik für Zahn- 
und Mundkrankheiten des Zahnärztlichen Institutes operiert worden waren, 
vorzunehmen, und habe in letzter Zeit auf Veranlassung von Herrn Ge¬ 
heimrat Part sch, dem ich auch an dieser Stelle für die Überlassung des 
Materials ergebenst danke, diese Untersuchungen fortgesetzt. Leider war die 
Zahl der Patienten, die aufzufinden waren, — ich ging bis zu spätestens im 

1 Nach einem Vortrag in der Sektion Zahnheilkunde der Schics. Gesellsch. f. Vater!. 
Kultur. 


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Das Schicksal der Zähne nach Wurzelspitzenresektion 


325 


Jahre 1913 operierten Fällen zurück — außerordentlich gering,* aber auch die 
wenigen Fälle, zu denen einige Beobachtungen aus eigener Praxis treten, 
dürften geeignet sein, über die Dauererfolge der Wurzelspitzenresektion und 
über die Ursachen etwaiger Mißerfolge wichtige Aufschlüsse zu geben. 

Wenn wir den Ursachen der Mißerfolge einer Wurzelspitzenresektion 
nachgehen, so können wir zwei Gruppen von Fehlerquellen unterscheiden/ 
entweder liegt der Fehler in der Indikationsstellung, oder Mängel der Tech- 
nik sind die Ursache des Mißlingens der Operation. Wer die Indikation zur 
chirurgischen Behandlung sehr weit faßt, noch operativ an Zähne herangeht, 
bei denen die Möglichkeit einer Heilung von vornherein außerordentlich 
gering erscheint, wird natürlich mehr Mißerfolge erleben, als derjenige, der 
die Anzeige zum chirurgischen Vorgehen stärker einschränkt. So scheinen 
mir die Mißerfolge, über die Hamburger 1911 mit anerkennenswerter 
Offenheit berichtet hat, zum Teil ihren Grund in einer zu weit gefaßten In¬ 
dikation zu haben. Fast völlige Einschmelzung der knöchernen Alveole, 
gleichzeitig bestehende Alveolarpyorrhoe, die bereits zu erheblicher Locke¬ 
rung des Zahnes geführt hat, schließen einen Erfolg aus. „So ist der Erfolg 
bei gleichzeitig an Alveolarpyorrhoe erkrankten Zähnen zweifelhaft und 
höchstens bei gleichzeitiger eingehender Behandlung dieser Affektion zu er¬ 
zielen V' 

Von größerer Bedeutung ist die zweite Gruppe. „Mißerfolge der chirur¬ 
gischen Therapie sind bei unzureichender Technik selbstverständlich 1 /' Euler, 
der die Gründe des Mißlingens der chirurgischen Wurzelbehandlung ein¬ 
gehend untersucht hat, ist ebenfalls zu dem Schluß gekommen, daß „die etwa 
vorkommenden Mißerfolge fast ausschließlich auf eine unzureichende Technik 
zurückzufuhren sind". 

Wenn Torger die „um ein Bedeutendes herabgesetzte Lebensdauer" wurzelspitzen¬ 
resezierter Zähne betont, so erscheint uns eine Diskussion hierüber zwecklos, da die, von 
ihm geübte Operation mit der von Part sch angegebenen Methode wenig gemein hat. 
Torger verzichtet nämlich immer noch auf die breite Freilegung des Operationsgebietes, 
also auf den fast wichtigsten Teil des ganzen Eingriffes. 

Hierher gehören zunächst zwei Fälle meiner Beobachtung, in denen die 
Wurzelspitze zwar angebohrt, aber nicht entfernt wurde. Der erste Fall ist 
bereits 1912 von mir beschrieben worden <Fig. 1>. Die Wurzelspitze war 
seitlich angebohrt, aber nicht entfernt, dauernde Eiterung aus einer Fistel 
war die Folge. Die lege artis ausgeführte Operation brachte dauernde Hei¬ 
lung. In dem zweiten Falle war vor zehn Jahren eine Wurzelspitzenresektion 
an [1 vorgenommen worden. Bereits nach einem Jahre zeigten sich wieder 
Beschwerden, die sich von Zeit zu Zeit wiederholten. Mehrfach nötigte 
Abszeßbildung zu Inzisionen. Das Röntgenbild <Fig. 2> zeigte einen Herd 
und einen feinen Querstrich durch das Wurzelende. Die Aufklappung er¬ 
wies, daß an dieser Stelle nur der labiale Teil des Wurzelendes entfernt 
und der palatinale Teil stehen geblieben war. Wahrscheinlich war die Ent¬ 
fernung des Apex mit dem Meißel versucht worden, wobei nur die vordere 

1 Rosenstein: D. M. f. Z. 1912. 


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326 


Paul Rosenstein 


Hälfte absprang. Sorgfältige Blutstillung und übersichtliches Freilegen des 
Operationsfeldes müssen solche Mißerfolge leicht vermeiden lassen. 

Daß in Mitleidenschaft gezogene Nachbarzähne bei der chirurgischen 
Wurzelbehandlung vernachlässigt werden, ist der zweite Punkt, den Euler 
als Grund eines Mißerfolges erwähnt. Aber auch nach der Operation muß 
man den bis dahin gesunden Nachbarzähnen Beachtung schenken. In Fig. 3 
sehen wir ein der Fig. 1 sehr ähnliches Bild, das aber auf ganz andere lir^ 
Sachen zurückzuführen ist. Hier ist bei der Wurzelspitzenresektion an der 
Eckzahn seitlich angebohrt worden, allerdings ohne irgend welche nachweis^ 
bare Schädigungen zu verursachen. (Mehrere Jahre später zeigte die Pulpa 
bei Behandlung des Zahnes völlig normales Verhalten 1 ). 

Bemerkenswert ist hierbei die Toleranz des Periodontium gegenüber dem zweifellos 
starken mechanischen Insult. Offenbar ist es in diesem Falle zu einer raschen Vernarbung 
des Defektes gekommen. Denn von irgend welchen Reizerscheinungen an diesem Zahne 
war der Patientin nichts erinnerlich. Der Defekt der Wurzel ist nach dem Röntgenbilde 
durch Bildung neuen Knochens ausgefüllt. 

In diesem Falle hätte ein geringes weiteres Vordringen des Bohrers genügt, 
um eine Verletzung der Pulpa zu bewirken. Eine derartige Ursache liegt 
vielleicht auch einer anderen Beobachtung zugrunde: nach Ausräumung von 
Herden über beiden mittleren Schneidezähnen, von denen sich der eine bis 
nahe an den seitlichen Schneidezahn erstreckte, konnte ich wenige Tage nach 
der Operation durch Untersuchung mit dem Induktionsstrom feststellen, daß 
der seitliche Schneidezahn nicht reagierte. Trepanation förderte eine äußerlich 
noch unveränderte, aber völlig empfindungslose Pulpa zutage. Entweder 
war bei der Ausräumung des 'Herdes der Zusammenhang der Pulpa am 
Foramen apicale unterbrochen worden oder die Pulpa durch Anbohren der 
Wurzel in der oben erwähnten V'eise geschädigt worden. Solche Vorkomm^ 
nisse können leicht übersehen werden und Folgen zeitigen, die zunächst als 
Mißerfolge der chirurgischen Wurzelbehandlung gedeutet werden. 

Immer wieder findet man in der Literatur Hinweise, daß bei der Operation 
die Resektion der Wurzelspitze wenn möglich vermieden werden sollte, um 
die Festigkeit des Zahnes nicht zu beeinträchtigen. Gewiß ist es richtig, daß 
der wichtigste Teil der Operation die restlose Entfernung des Granulations^ 
herdes ist und daß die Wurzelspitze als solche in einer Anzahl von Fällen 
erhalten werden könnte. Aber ganz abgesehen davon, daß doch nunmehr 
an tausenden von operierten Zähnen erwiesen ist, daß die Entfernung des 
Wurzelendes, sofern der entfernte Teil im richtigen Verhältnis zur WurzeL 
länge steht, die Festigkeit des Zahnes nicht beeinträchtigt, liegt in der Scho^ 
nung der Wurzelspitze oft eine große Gefahr. Immer und immer wieder 
sehen wir bei der Freilegung eines Herdes, daß dieser sich hinter der WürzeL 
spitze weiter nach innen, d. h. palatinal bezw. lingual erstreckt, und daß die 
restlose Entfernung des Granulationsgewebes in solchen Fällen nur unter 
Opferung der Wurzelspitze möglich ist. Und hierin liegt eine wichtige IndU 

1 Die Wurzelfüllung nach Abätzung und Exstirpation der Pulpa wurde mehrere Jahre 
nach dem Eingriff wegen sekundärer Karies vorgenommen. 



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Das Schicksal der Zähne nach Wurzelspitzenresektion 327 

kation für die Abtragung des Wurzelendes. Zu weit gehende Rücksicht auf 
die Erhaltung der Wurzelspitze führt zu Mißerfolgen, bedingt durch Zurück- 
lassung proliferationsfähigen Granulationsgewebes. 

Von verschiedenen Seiten <Euler, Faulhaber, Sebba, Rosenstein u. a.) 
ist darauf hingewiesen worden, daß die Wurzelfüllung einen integrierenden 
Bestandteil der für den Erfolg entscheidenden Operationstechnik bildet. 
Meine Nachuntersuchungen bestätigen dies durchaus und zeigen die Berechn 
tigung des Wortes Faulhabers: „Je besser die Wurzelfüllung, um so 
weniger Rezidive nach Wurzelspitzenresektion." 

Nach diesen Vorbemerkungen über die Hauptursachen des Mißerfolges 
der Wurzelspitzenresektion gehe ich zur Besprechung des von mir nach- 
untersuchten Materials über. Die Zahl der absoluten Mißerfolge, d. h. der 
Fälle, die trotz Resektion der Wurzelspitze der Zange verfielen, ist gering. 
Über einen Mißerfolg infolge von Hyperzementose habe ich bereits früher be- 
richtet. In einem Falle war nach Mitteilung der Patientin Lockerung, die aber 
auch die anderen Zähne betraf, die Ursache des Verlustes, in einem Falle 
ging der Zahn durch Karies verloren. Ein 1904 operierter Patient hatte 
1912 den Zahn, der inzwischen mit einem Stiftzahn versehen worden war, 
noch im Munde, allerdings in stark gelockertem Zustande. Das Röntgenbild 
zeigte, daß der Stift die Wurzel seitlich perforierte,* die Lockerung des Zahnes 
hatte also mit dem Eingriff an sich nichts zu tun. Ein 1920 von mir rese¬ 
zierter oberer Eckzahn <BrückenpfeiIer> wurde von anderer Seite nach einigen 
Monaten entfernt, da sich wieder eine Fistel gebildet hatte. Bei der Ope¬ 
ration hatte ich den Versuch gemacht, das Wurzelende gegen die Wunde 
mit Zement abzuschließen. Offenbar war dieser Versuch mißglückt, und das 
gab Veranlassung zu dem Mißerfolge. Wir kommen auf diese Frage noch 
später zurück. — 

Ich komme nun zu den Fällen, die ich mindestens neun Jahre nach der Ope¬ 
ration im Munde des Patienten vorfand und röntgenologisch kontrollieren 
konnte. Zwei Fälle, in denen die Heilung klinisch nach neun Jahren fest¬ 
gestellt, die aber nicht röntgenologisch kontrolliert werden konnten, seien hier 
nur erwähnt,- klinische Heilung nach sieben und neun Jahren wurde in je 
einem Falle vom Patienten schriftlich mitgeteilt. Ist die Zahl der nachunter¬ 
suchten Patienten auch leider klein, so ergeben die einzelnen Fälle doch m. E. 
für die Beurteilung des Erfolges der Wurzelspitzenresektion wichtige An¬ 
haltspunkte: 

Fall 1. Frl. St., der erste von Geheimrat Partsch 1895 operierte Fall. 
Der Operationsbericht lautet: „Nach Inzision im vestibulum oris wird mit 
Trepan die äußere Alveolarwand <soweit sie noch vorhanden war) und die 
Wurzelspitze von "2] trepaniert." 1912 stand der Zahn noch vollständig 
funktionstüchtig im Kiefer. Das Röntgenbild <Fig. 4) zeigte, daß die Wurzel¬ 
füllung den Wurzelkanal kaum zur Hälfte ausfüllt,• um die Wurzelspitze ein 
runder Schatten. Damals erschien es nicht klar, ob es sich hier um ein Rezidiv 
handelt oder ob die Heilung ohne Bildung neuen Knochens erfolgt war. 
1920, also 25 Jahre nach der Operation, zeigte sich nun, daß eine Fistel ent- 


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Paul Rosenstein 


standen war, von der die Patientin allerdings nidits wußte. Das Röntgenbild 
<Fig. 5> zeigt wiederum den Schatten, der sich inzwischen zweifellos ver- 
größert hat. 

Wir sehen also, daß es in diesem Falle, in dem die Wurzelfüllung nicht 
den zu stellenden Anforderungen genügte, zu einem Rezidiv gekommen ist. 
Trotzdem dürfte es uns schwer fallen, in einem Falle, in dem ein sonst der 
Zange verfallener Zahn mehr als 25 Jahre funktionstüchtig erhalten wurde, 
von einem „Mißerfolge" zu sprechen, wenn auch eine restitutio ad integrum 
nicht für die Dauer erreicht werden konnte. 

Fall 2. Frl. S. Operation an |1 1910 wegen das Foramen apicale per- 
forierender Guttaperchaspitze <Fig. 6>. Nach der Operation dauernd be* 
stehende Beschwerden schwanden erst nach Entfernung der den Kanal nicht 
aus füllenden Wurzelfüllung und erneuter exakter Wurzelbehandlung und 
-fullung ein Jahr nach der Operation. Seitdem völlige Heilung, die 1921 
auch röntgenologisch festgestellt werden konnte <Fig. 7>. 

Fall 3. Frl. R. 1910 Wurzelspitzenresektion an _4| wegen eines nicht 
großen, aber durch Wurzelbehandlung nicht zur RuhFkommenden Granu¬ 
lationsherdes. Völlige Heilung, 1921 auch röntgenologisch festgestellt <Fig. 8>. 

Fall 4. Krankenschwester P. 1911. Auf [2 trägt Pat. einen Stiftzahn, der 
ohne vorherige Wurzelbehandlung aufgesetzt worden ist. Seitdem* besteht 
eine Fistel. Das Röntgenbild <Fig. 9> zeigt einen umfangreichen Herd, der 
sich besonders nach dem mittleren Schneidezahn zu erstreckt. 1921 steht der 
Zahn fest und beschwerdefrei im Kiefer. Röntgenologisch ist die völlige Aus¬ 
heilung des Herdes festzustellen <Fig. 10>. 

Fall 5. Herr K. Hier handelt es sich um den oben erwähnten Patienten 
mit der zunächst unvollständigen Wurzelspitzenresektion <Fig. 1>. Seit 1911 
Heilung, die nach 11 Jahren auch röntgenologisch festgestellt wurde. Der 
Zahn trägt seit einigen Jahren eine Krone. 

Fall 6. Frau H. 1912 Wurzelspitzenresektion an |4 wegen Zahnfleisch¬ 
fistel. Fig. 11 zeigt den, Zustand 2 x / 2 Monate nach der Operation. Nach¬ 
untersuchung 1921: Die Krone des Zahnes ist durch Karies verlorenge¬ 
gangen, der Herd völlig knöchern ausgeheilt <Fig. 12>. 

Diese Zusammenstellung, die später auf Grund größeren Materials hoffent¬ 
lich wird erweitert werden können, lehrt vor allem zweierlei: 1. die Heilung 
der chirurgisch behandelten chronisch granulierenden Periodontitis erfolgt durch 
Knochenneubildung/ die knöcherne Heilung ist auch nach zehn und mehr 
Jahren röntgenologisch festzustellen. 2. Mißerfolge sind in erster Reihe be¬ 
dingt durch mangelhafte Wurzelfullung. 

Es ist nicht meine Absicht, die Frage des Zeitpunktes der Wurzelfüllung 
hier ausführlich zu erörtern. Ich stehe trotz Frey, Goldmann u. a. im 
Prinzip auf demselben Standpunkt wie 1912: die Methode der Wahl ist die 
Wurzelfüllung vor der Operation. Außer in wenigen Fällen, solchen, in 
denen eine ungewöhnlich starke Sekretion besteht oder der Wurzelkanal 
nicht durchgängig zu machen ist, ist dieses Ziel zu verwirklichen. In solchen 
Ausnahmefällen muß die Wurzelfüllung intra operationem ausgeführt werden,- 


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Rosenstein, Das Schicksal der Zähne nach Wurzelspitzenresektion 



Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1922, 3. Verlag\on Hermann Mcusser, Berlin 


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Das Schicksal der Zähne nach Wurzelspitzenresektion 


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diese Methode ist aber, wie Mayrhofer treffend ausführt, „als Notbehelf 
zu betrachten". Abgesehen von solchen Zähnen, deren Wurzeln vor kurzer 
Zeit einwandfrei gefüllt worden sind, ist die Wurzelfüllung vor der Ope® 
ration zu erneuern. Ich gebe Frey in seinem Mißtrauen älteren Wurzel® 
füllungen gegenüber vollkommen recht, gehe aber noch weiter als er. Denn 
während Frey den Zahn, „dessen Wurzelfüllung radiographisch sich als 
vollkommen einwandfrei erweist und die einen hermetischen Abschluß des 
Kanales voraussetzen läßt", reseziert, ohne die Wurzelfüllung zu entfernen, 
haben mich Erfahrungen der jüngsten Zeit gelehrt, daß auch röntgenologisch 
ganz einwandfrei erscheinende Wurzelfüllungen kontrolliert und nach Des® 
infektion des Kanales erneuert werden müssen. Pasten füllungen sind für 
Resektionsfälle ganz ungeeignet,- ob Paraffin und Albrechtsche Füllung 
sich bewähren, ist anscheinend noch nicht genügend erprobt. Das sicherste 
Füllmaterial für der Wurzelspitzenresektion zu unterwerfende Zähne ist die 
feste Wurzelfüllung mit Guttaperchastiften. Die Benutzung von Elfenbein¬ 
stiften, mit denen mir eigene Erfahrungen nicht zur Verfügung stehen, leistet 
anscheinend die gleichen Dienste. 

Eine Sonderbesprechung beanspruchen Stiftzahn — und Brückenträger, bei 
denen eine chirurgische Behandlung sich als notwendig erweist. Hier eine 
Wurzelbehandlung vorzunehmen, bedeutet in vielen Fällen eine Zerstörung 
des Ersatzes. Gerade in der heutigen Zeit ist äußerste Schonung größerer 
Brückenarbeiten für viele Patienten ein dringendes Erfordernis, da die Er* 
neuerung derartiger Arbeiten für sie aus materiellen Gründen unmöglich ist. 
In solchen Fällen hat man bereits früher vielfach eine Abfüllung der Wurzel 
von der Wunde aus vorgenommen, eine „retrograde Wurzelfüllung", wie 
es von Hippel nennt. Als Füllmaterial wird von den meisten Amalgam 
verwendet/ aber auch Gold, Zement, Guttapercha <Rhein>, Paraffin ist ver® 
wendet worden. Prinzipiell in jedem Falle verschließen Adloff, Sebba und 
Goldmann die Wurzel von der Wunde aus mit Amalgam. Auch Lyons 
hält einen Abschluß der Resektionsfläche immer für erforderlich und über® 
zieht sie mit einer frischen Silberammoniumoxydlösung nach Howe, wobei 
sich eine Silberschicht bildet. 

Das Indikationsgebiet des „Wund®Wurzelabschlusses", wie Goldmann 
das Verfahren nennt, stellen in der Hauptsache, wie erwähnt, Stiftzahn® 
und Brückenträger dar, zweitens Zähne, deren Wurzelkanal nicht durch¬ 
gängig ist, drittens Zähne mit nicht ausdentifizierter Wurzel, bei denen also 
eine sichere Wurzelfüllung vom Zahne aus nicht zu erreichen ist. 

Als ein Beispiel für diese dritte Gruppe führe ich einen Fall an, den ich 
der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Hübner (Breslau) verdanke. 

Elfriede K. schlug sich im Alter von neun Jahren beim Spielen die halbe 
Krone von JJ ab, so daß Kauterisation der Pulpa notwendig wurde- Es 
kam zu einer Infektion des Kanalinhaltes und zu einer eitrigen Wurzelhaut® 
entzündung. Nach einhalbjähriger vergeblicher Wurzelbehandlung trat sie im 
Juli 1910 in Behandlung von Dr. Hüb ner. Fig. 13 zeigt das weite Foramen 
apicale des nicht ausdentifizierten Zahnes. Nach Füllung der Wurzel mit 


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Paul Rosenstein 


Jodoform-Paraffin wurde am 11. 7. 1910 von Geheimrat Partsch die 
Wurzelspitzenresektion vorgenommen und während der Operation von 
Dr. Hübner das apikale Wurzelende mit Amalgam verschlossen. Fig. 14 
zeigt den Befund im Januar 1913: völlige Ausheilung. Von November 1913 
bis Juni 1914 wurde eine orthodontische Behandlung durchgeführt, bei ge- 
bührender Vorsicht w r urde eine Lockerung des Zahnes vermieden, und der 
Zahn vertrug die notwendigen Maßnahmen wie die anderen Zähne. 

Williger und Neumann gehen bei der Amalgamfüllung des Wurzel- 
endes so vor, daß sie das Wurzelende nach labial abschrägen und dann das 
Kanalende mit Winkelstückbohrern erweitern. Von Hippel und Gold¬ 
mann schneiden mit einem feinen Bohrer die Wurzel an der Vorderseite 
vom Wurzelende an soweit erforderlich auf. Bezüglich weiterer Einzelheiten 
der technischen Ausführung verweise ich auf die Arbeiten der genannten 
Autoren. Letzteres Verfahren erscheint mir nach meinen eigenen geringen 
Erfahrungen mit der ersteren Methode in vielen Fällen zweckmäßiger. Be¬ 
sonders bei nach palatinal geneigten Wurzeln bereitet die Präparation der 
Resektionsfläche zur Aufnahme der Amalgamfüllung erhebliche technische 
Schwierigkeiten, die durch Hippels Methode wohl leichter zu überwinden 
sind. Goldmann hat sein Verfahren an allen Zähnen mit Ausnahme der 
unteren Molaren erprobt. Aber auch dieser Autor, dessen Ausführungen 
über den „Wundwurzelabschluß" ernste Beachtung verdienen, gibt zu, daß 
er „in dem Wundwurzelabschluß mit Amalgam keine unbedingt ideale 
Lösung" sieht, wie auch von anderer Seite die Unsicherheit dieser Methode 
hervorgehoben wird. Zur Erläuterung mag ein Fall hier Erwähnung finden, 
den ich ebenfalls der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Hübner verdanke. 

Frau Sch. wurde im August 1919 wegen einer von _2] ausgehenden Zyste 
nach der alten Partschschen Methode operiert. Da der Zahn Stiftzahn¬ 
träger war, wurde die Wurzel von der Wunde aus mit Amalgam gefüllt. 
Im Mai 1922 stellte sich die Pat. mit einer Schwellung über_2J wieder vor. 
Am 14. 6. Aufklappung und Auslöffelung eines großen Granulationsherdes. 
Es zeigte sich als Ursache des Granulationsherdes „1. eine bräunlich arro- 
dierte Längspartie an der Seite des_3J, die erweicht ist, und 2. ein Defekt 
unterhalb des Amalgamverschlusses an der distalen Seite der Wurzel von 
2||" <Fig. 15>. Beide Stellen wurden nach Präparation mit Amalgam gefüllt. 

Es ist wohl wahrscheinlich, daß die nicht zureichende Füllung des Wurzel¬ 
endes von 21 die Ursache der erneuten Erkrankung war. Die Stelle an 3| 
machte den”Eindruck, „als wenn sie von einem längerdauernden Eiterungs¬ 
prozeß herrühre", demnach also sekundär entstanden sei. Der Fall beweist, 
daß Williger im Recht ist, wenn er bezüglich der Amalgamfüllung des 
apikalen Wurzelendes erklärt: „Mißerfolge sind nicht auszuschließen". 

Nach der Operation überläßt Gold mann die Wunde der Heilung per 
granulationem,- Williger und von Hippel vernähen auch bei retrograder 
Wurzelfüllung die Wunde. Früher pflegte ich in den Fällen, in denen ich 
während der Operation Wurzelbehandlung vornehmen mußte, die Wunde 
nur durch mehrere Nähte an den Enden zu verkleinern und die Mitte der 


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Das Schicksal der Zähne nach Wurzelspitzenresektion 


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Wunde durch ein kleines Jodoformgazestückchen für zwei Tage offen zu 
halten <nicht etwa die Höhle zu tamponieren!),- jedoch hat mich die Er- 
fahrung der letzten Zeit in zwei Fällen, in denen ich resezierte Wurzeln 
von der Wunde mit Amalgam füllte, gelehrt, daß trotz dieser Komplizierung 
der Operation die prima intentio nicht gestört-wurde. Also ist auch in diesen 
Fällen die Naht der Wunde dringend anzuraten. 

Zusammenfassend ist also zu sagen: die Frage des Wund-Wurzelab- 
Schlusses ist noch nicht der endgültigen Lösung zugeführt. Eine prinzipielle 
Versorgung des Wurzelendes mit Amalgam oder einem anderen Füll¬ 
material erscheint nicht notwendig, da exakte Wurzelfüllung mit Guttapercha¬ 
spitzen Dauerresultate verbürgt. Ist eine solche Füllung nicht durchführbar 
<s. oben), so ist vorläufig die retrograde Wurzelfüllung mit Amalgam zu 
versuchen. 


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AUS DER KIEFERSTATION DER I. CHIRURGISCHEN UNIVERSITÄTS¬ 
KLINIK HOFRAT PROF. DR. A. EISELSBERG, WIEN 

LEITER: PROF. DR. H. PICHLER 

ZWEI FÄLLE VON SCHIEFEM BISS INFOLGE 
CHRONISCH DEFORMIERENDER ARTHRITIS 

VON 

ASSISTENT DR. OTTO HOFER 1 

D ie Arthritis des Kiefergelenkes ist eine nicht allzuhäufige Erkrankung, 
jedenfalls selten im Vergleich zu den Affektionen det; übrigen Gelenke. 
Wir beobachten eine eitrige Arthritis nach Allgemeininfektionen als mono** 
artikuläre Metastase nach Typhus, Scarlatina, Masern oder Gonorrhöe und 
es kommt in den schwersten Fällen zur dauernden Verödung des Gelenkes, 
zur knöchernen Ankylose. Leichtere Grade solcher Arthritiden, meist sero- 
fibrinöser Natur, beobachten wir auch im Anschluß an Angina oder als 
Polyarthritis rheumatica. Dabei ist die Funktion oft kaum merklich einge¬ 
schränkt, lediglich die Schmerzen und die Krepitation bei den Gelenkbe¬ 
wegungen lassen uns auf die Erkrankung schließen. Röntgenologisch können 
wir die Diagnose in den akuten Fällen fast niemals stellen. Von den chro¬ 
nischen Entzündungen setzt die Arthritis deformans weitgehende Ver¬ 
änderungen. Es spielen sich bei diesem Prozesse athrophische Vorgänge 
und Proliferation nebeneinander ab. Nach Aschoff beginnt die Knorpelzer¬ 
störung an den Punkten des größten Druckes und führt zur Freilegung des 
Knochens. Dieser sklerosiert dann und wird durch die Gelenkbewegungen 
abgeschliffen und poliert. Neben der Zerstörung der Gelenkfläche setzt die 
Neubildung vom Rande aus ein, in Form von Randekchondrosen, buckligen 
Auswüchsen des Knorpelrandes und Randexostosen periostalen Ursprungs. 

Im folgenden seien zwei Fälle einer chronisch deformierenden Arthritis 
mitgeteilt. Die subjektiven Symptome und die funktionelle Störung, soweit 
sie das Gelenk selbst betreffen, waren höchst geringfügig. Die äußere Ent¬ 
stellung, die durch die geänderte Gelenkfunktion entstanden war, ver- 
anlaßte die Patienten hauptsächlich, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. 
Die Kaufunktion war wohl infolge der Asymmetrie der Zahnreihen eine 

1 Derzeit an der chirurgischen Klinik Geheimrat Lexer, Freiburg im Breisgau. 



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Zwei Fälle von schiefem Biß infolge chronisch deformierender Arthritis 333 



Fig. 1 


hochgradig gestörte. Beide Fälle wurden auf der Kieferstation beobachtet. 
Den ersten Fall verdanke ich der Übermittlung durch Dr. Schwabe, den 
zweiten Fall habe ich selbst beobachtet und operativ behandelt. 

Patient A. B. ist ein 34 jähriger kräftiger Mann aus Galizien. Die Vor- 
geschichte enthält nichts Bemerkenswertes. Vor 9 Jahren traten leichte Schmer- 
zen in der linken Gesichtshälfte auf, zu denen sich 
Störungen in der Funktion des linken Kiefergelenkes 
gesellten. Der Patient verspürte ein Knarren beim 
Öffnen und Schließen des Mundes. Die Öffnungs- 
bewegung war auch zeitenweise eingeschränkt. All- 
mählich schwanden diese Beschwerden von selbst 
bis auf leichte Gesichtsschmerzen der linken Seite,- 
doch trat an ihre Stelle eine immer deutlicher wer- 
dende Störung des Kauvermögens. Seit ungefähr 
einem Jahre wurde der Mann von seiner Um^ 
gebung auf eine zunehmende Asymmetrie des Ge- 
siebtes aufmerksam gemacht, indem sich das Kinn 
immer mehr nach rechts verschob. Der Mann be- 
gab sich jetzt auf unsere Klinik, um sich Rat zu holen. 

Bei der Untersuchung besteht eine ausgeprägte Verschiebung der unteren 
Zahnreihe nach rechts <Fig. 1> in dem Ausmaß, daß die Mittellinie des 
Unterkiefers um 14 mm gegen die des Oberkiefers verschoben ist,- der rechte 
obere Schneidezahn beißt auf den linken unteren Eckzahn. Auf den ersten 
Blick scheint die linke Unterkieferhälfte im ganzen viel größer zu sein als 
die rechte, doch verschwindet beim Öffnen des 
Mundes sowohl die Abweichung nach rechts, als 
auch die Asymmetrie. 

In der linken Kiefergelenkgegend ist ein ver- 
größerter Processus condyloideus zu tasten, der 
bei Bewegungen mitgeht und etwas weniger 
weiter vorne steht, als der rechte noch hinter der 
Eminentia articularis. Die Röntgenaufnahmen 
zeigen rechts normale Verhältnisse, links ein be¬ 
deutend vergrößertes Kiefergelenkköpfchen, das 
etwas nach vorne abgewichen ist <Fig. 2>. Gips¬ 
modelle, die von den Zahnreihen des Ober¬ 
und Unterkiefers des Patienten hergestellt wurden, 

lassen sich zueinander in normale Okklusion bringen, ein Zeichen, daß die 
Bißverhältnisse früher normale waren <Fig. 3 und 4>. 

Die dem Patienten vorgeschlagene Resektion des linken Gelenkköpfchens 
wurde von diesem abgelehnt. Die richtige Einstellung der Zahnreihen nach 
der Operation sollte durch vorher angefertigte Gleitschienen gewährleistet 
werden. Der Patient konnte sich aber nicht zu der Operation entschließen. 

Der zweite Fall bietet fast genau dieselbe Anamnese und betrifft den 
41 jährigen Patienten R. T. Die ersten Symptome der Erkrankung traten 



Fig. 2 


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Otto Hofer 


im Jahre 1917 auf. Der Mann bemerkte, daß der Unterkiefer sich zeitweise 
nach rechts verschiebe. Erst ein Jahr später traten leichte Schmerzen in der 
linken Wange auf. Das Öffnen des Mundes war manchmal etwas behin- 
dert, es dauerten jedoch diese Beschwerden immer nur ein bis zwei Tage. 
Im Mai 1921, als die Abweichung des Kiefers schon einen höheren Grad 
erreicht hatte, wandte sich der Patient an die chirurgische Klinik nach Graz. 

Die Operation wurde damals aufge- 
schoben und zu Beginn dieses Jahres 
fuhr der Patient nach Wien an unsere 
Klinik. Die äußere Entstellung des Ge- 
siebtes hatte in den letzten Monaten an 
Intensität noch stark zugenommen. 

Als ich den Patienten untersuchte, fiel 
vor allem die starke Gesichtsasymmetrie 
auf, hervorgerufen durch die Abweichung 
des Kinnes nach der rechten Seite. Die 
Zahnreihen waren hochgradig asymme¬ 
trisch, so zwar, daß der Unterkiefer 
maximal nach rechts verschoben war. <Fig. 5>. Bei offenem Munde war 
die Gesichtsasymmetrie wesentlich geringer. Die Öffnung und Schließung des 
Mundes war ohne Schwierigkeiten durchführbar, bei geöffnetem Mund 
die Distanz der oberen und unteren Schneidezähne ca. 3,3 cm. Bei der 
Gelenkspalpation erhob ich einen interessanten Befund. Das Kiefergelenk 
stellt normalerweise ein Scharniergelenk mit wandernder Achse dar. Das 
Vorgleiten des Köpfchens auf das Tuberculum articulare konnte man auf 
der rechten gesunden Seite deutlich verfolgen. Links führte das Kieferköpf¬ 
chen eine einfache Scharnierbewegung durch. 
Die Röntgenaufnahme dieses Gelenkes zeigte 
deutlich die Veränderung in demselben <Fig. 6>. 
Die Gelenkfläche ist quer gesehen S-förmig 
gebogen, so zwar, daß der dorsalste Anteil 
eine deutliche arthritische Zacke aufweist. Die¬ 
selbe hatte sich an der hinteren Seite des 
Köpfchens immer größer ausgebildet und da¬ 
durch dieses aus der Pfanne nach vorne ge¬ 
trieben. Beim offenen Munde, wo auch der 
rechte LInterkieferast nach vorne gleitet, besteht 
daher keine Asymetrie. Während aber der ge¬ 
sunde Gelenkkopf beim Schließen des Mundes 
zurück in die Fossa glenoidalis gleitet, konnte auf der linken Seite infolge 
der arthritischen Zacke das Gelenksköpfchen in diese Ruhestellung nicht ge¬ 
langen und blieb vorne liegen: daher die starke Verschiebung des Llnter- 
kiefers nach der gesunden Seite bei geschlossenen Kiefern. Fast den gleichen 
Vorgang finden wir auch bei der Luxatio anterior sinistra des Kiefergelenkes, 
wo auch die starke Abweichung vorhanden ist. Nur ist in diesen Fällen die 



Fig. 4 



Fig.3 


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Zwei Fälle von schiefem Biß infolge chronisch deformierender Arthritis 335 


Verlagerung durch das Hinüberrutschen des Gelenkkopfes über die Eminentia 
articularis hervorgerufen und wenigstens bei der akuten Luxation die Ge¬ 
lenkbewegung aufgehoben. Nach diesen Fest¬ 
stellungen blieb als Therapie nur die Operation 
übrig, die ich am 3. II. 1922 in Äthernarkose 
vorgenommen habe. Als Schnittführung wählte 
ich den von Professor Pichler zur Freilegung 
des Kiefergelenkes oder des Schläfemuskels stets 
bevorzugten Vertikalsdmitt knapp vor dem 
Ohr, der gleich durch das Periost des Jochbogens 
dringt. Wenn er durch bloßes Vorziehen des 
vorderen Wundrandes keinen ausreichenden 
Zugang bietet, wird er bis zur oberen Grenze des Schläfemuskels und nötigen¬ 
falls längs dieser nach vorne etwa bis zur Haargrenze verlängert. Dann 
lassen sich alle Weichteile über dem Jochbogen und der Fascia temporalis 
bis zum äußeren Augenwinkel als breiter Lappen ablösen und nach vorne 
klappen, und das Kiefergelenk, die Incisura semi- 
lunaris und der Kronenfortsatz werden frei zu¬ 
gänglich. Der Lappen enthält den oberen Parotispol 
mit den Verzweigungen des Nervus facialis. Eine 
Fazialisdurchschneidung ist dabei unmöglich. Eine 
vorübergehende Schädigung durch Zerrung ist in 
einzelnen Fällen vorgekommen, in denen durch 
Unterlassung der oberen bogenförmigen Verlänge¬ 
rung der Zugang zu eng war. 

Nach Anlegen dieses ungefähr 6 cm langen Schnittes wurde der Joch¬ 
bogen freigelegt. Der Gelenkkopf ließ sich in seiner Lage leicht durch Pal¬ 
pation von der Wunde aus bei passiven Unterkieferbewegungen feststellen. 
Bei der Autopsie fand ich einen stark im Längen- 
und Breitendurchmesser vergrößerter Gelenkkopf, 
der weit vorne fast in Luxationsstellung außerhalb 
der Gelenkpfanne lag. Ich fand ferner die breite 
arthritische Zacke, die sich gegen die Fossa gle- 
noidalis anstemmte. Nach Entfernung derselben 
konnte das Kieferköpfchen noch immer nicht in 
die richtige Stellung gebracht werden, und erst 
durch Modellierung des Gelenkkopfes und der 
Pfanne mit dem Meißel gelang es, eine Grad¬ 
stellung des Kinnes und eine annähernd nor¬ 
male Zahnstellung zu erreichen. In den Gelenk¬ 
spalt wurde ein Muskelbündel vom Musculus 
temporalis heruntergeklappt und eingepflanzt, die 
Wunde durch Naht geschlossen, vor dem Ohr an tiefster Stelle ein Glas¬ 
drain eingeführt. Die Asymmetrie des Gesichtes war sofort behoben <Fig. 7 ), 
eine genaue Zahnstellung jedoch nicht sofort zu erreichen. Auch die Gips- 



Fig.7 




Fig. 5 


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Otto Hofer: Zwei Fälle vom schiefem Biß 


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modelle der Zahnreihen, die vor der Operation hergestellt waren, zeigen, daß 
ein exaktes Zusammenpassen auch nach Reposition nicht herstellbar ist. In- 
folge der langen Dauer der Erkrankung dürften die einzelnen Zähne ihre 
ursprüngliche Stellung allmählich geändert haben, weshalb die exakte 
Okklusion nicht herstellbar war. Durch Abschleifen der störenden Zahm* 




flächen im Bereiche der Prämolaren gelang es jedoch, eine recht gute Zahn¬ 
okklusion zu erzielen <Fig. 8>. Die Nachbehandlung war infolge einer auf¬ 
getretenen Eiterung etwas protrahiert, trotz¬ 
dem das funktionelle und kosmetische End¬ 
resultat einwandfrei. 

Von einem analogen subakut verlaufenden Fall 
erfuhr Professor Pichler durch persönliche Mitteilung 
des jüngst verstorbenen Primararztes Dr. E. Bam¬ 
berg e r: Eine gonorrhoische Arthritis des einen Kiefer- 
gelenkes äußert sich neben Schmerzen und mäßig be¬ 
hinderter Öffnung in einer Abweichung der Unter¬ 
kiefermitte bei geschlossener Zahnreihe nach der 
gesunden Seite, also in einer Schwellung oder Ab¬ 
lagerung zwischen dem hinteren Teil des Köpfchens 
und der hinteren Fläche der Pfanne. Viel häufiger sehen wir bei Einschränkung der Be¬ 
weglichkeit aus verschiedenen Ursachen, daß das normale Vorrüdcen des Köpfchens bei 
der Öffnung des Mundes mehr oder weniger gehemmt ist, so daß beim öffnen des Mundes 
eine Abweichung des Kinnes nach der kranken Seite eintritt, so wie das auch bei der 
Trigeminuslähmung der Fall ist <vgl. Bleichsteiner Arch. f. kl. Chirurgie 1921). 


Fig. 


Von Eiseisberg hat im Archiv für klinische Chirurgie 1905 zwei fast 
genau gleiche Fälle veröffentlicht, in denen er durch die Resektion des er¬ 
krankten Gelenkköpfchens ein gleich gutes Resultat erzielte. Auch in diesen 
Fällen war die Asymmetrie des Gesichtes und die Verschiebung der Zahn¬ 
reihen durch Arthritis deformans entstanden. Wir sehen also hier ein zwar 


seltenes, aber anscheinend typisches Krankheitsbild. In allen Fällen bezieht 
sich die arthritische Ablagerung auf den dorsalen Anteil des Processus con- 
dyloideus. Die Folge davon ist die Gesichtsasymmetrie durch Verschieben des 
Kinnes nach der gesunden Seite, die beim Öffnen der Kiefer verschwindet. 


LITERATURVERZEICHNIS 


Aschoff: Pathol. Anatomie. 

Bleichsteiner: Arch. f. klin. Chirurgie 1921. 
v. Eiseisberg: Arch. f. klin. Chirurgie 1905. 


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BEITRÄGE ZUM KAPITEL DER ZAHNZySTEN 

VON 

PRIVATDOZENT DR. HAUENSTEIN 

I. ASSISTENT DER CHIRURGISCHEN ABTEILUNG DES ZAHNÄRZTLICHEN UNIVERSITÄTS¬ 
INSTITUTS ERLANGEN <DIREKTOR PROF. DR. REIN MÖLLER) 

W ie in jedem medizinischen Spezialgebiet, so gibt es auch in der Mund' 
Chirurgie eine Reihe von Erkrankungen, die durch ihr gehäuftes Auf- 
treten das Interesse der Fachwelt in einem besonderen Maße in Anspruch 
nehmen und die deshalb auch in der Literatur ganz besonders eingehende 
Berücksichtigung gefunden haben. Theoretische Überlegungen, sorgfältige 
wissenschaftliche Untersuchungen und überaus zahlreiche praktische Erfah' 
rungen haben zusammengeholfen, um uns eine mehr oder minder einheitliche 
Anschauung über das Wesen der Erkrankung, ihre Ausbreitung und den 
Verlauf sowie über die zweckentsprechendsten therapeutischen Maßnahmen 
zu vermitteln. Wohl eine der bekanntesten Kiefererkrankungen, die gerade 
für uns Zahnärzte wegen ihres gehäuften Auftretens von jeher im Mittel' 
punkt unseres Interesses gestanden hat, ist die Zahnzyste, und die zahl' 
reichen Arbeiten über diese Erkrankung beweisen schon die Wichtigkeit, die 
die Zysten für unser Sondergebiet haben. 

Wenn nun auch in Bezug auf die Einteilung, die Theorien der Entstehung 
und des Wachstums, die Symptomatologie und die therapeutischen Maß' 
nahmen nach den klassischen Arbeiten von Magitot, Witzei, Partsch, 
Römer und anderen kaum noch grundlegende neuere Gesichtspunkte ge* 
bracht werden können, so scheint mir das Kapitel doch wichtig genug, die 
untereinander auch wieder in manchen Punkten abweichenden Ansichten der 
genannten Autoren kritisch zu würdigen. Eine nützliche Bereicherung unserer 
Literatur über Zahnzysten verspreche ich mir insbesondere aber davon, daß 
wir unter Ausnützung unseres klinischen Materials, nachdem durch die oben- 
erwähnten Arbeiten unsere Kenntnis über die Zysten und die zweckmäßige 
Therapie in großzügiger Weise festgelegt ist, gewisse besonders gelagerte 
Fälle uns vor Augen führen, die in Bezug auf Deutung und vielleicht auch 
Therapie manche Schwierigkeiten in sich schließen, kurz die durch irgendeine 
Besonderheit es verdienen, etwas näher beschrieben zu werden. Wenn ich im 
Folgenden einige derartige Fälle aus unserem reichhaltigen Material heraus« 
greife und sie kritisch würdige, so hoffe ich damit gerade auch das Interesse 
des Kollegen in der Praxis draußen erwecken zu können. 

VierteljahrssArift für ZahnheHkunde, Heft 3 22 


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338 


Haucnstein 


Seit Magi tot haben wir uns daran gewöhnt, bei den Zahnzysten die 
follikulären von den radikulären zu unterscheiden. Um zunächst von den 
radikulären Zysten zu sprechen, so wissen wir heute, daß sie ihre Ent¬ 
stehung epithelialen Elementen verdanken, die aus der Zahnentwicklung 
stammen. Die erste Anlage der Zähne beginnt schon zu Anfang des zweiten 
Fötalmonats durch Verdickung des Epithels der Kieferränder. Das Ektoderm 
senkt sich mit zwei Falten in das mesodermale Gewebe des Kiefers hinein,* 
dabei wird die äußere Falte zur Lippenfurchenleiste, die andere schräg nach 
innen vordringende stellt die Zahnleiste vor. Von ihr aus entwickeln sich 
nun eine Reihe kolbiger Verdickungen, die die mesodermalen bindegewebs- 
haltigen Papillen zum Teil umwachsen und so die ersten Anlagen der Zahn¬ 
keime darstellen. Diese epithelialen Knospen differenzieren sich dann zu einem 
äußeren und inneren Schmelzepithel, das die Schmelzpulpa einschließt. Der 
Übergang vom äußeren zum inneren Schmelzepithel heißt Epithelscheide. 
Diese wuchert allmählich immer mehr in die Tiefe und erhält so formative 
Bedeutung für die Anlage der Wurzel. Später bei Bildung des Wurzel¬ 
zementes wird nun die in die Tiefe gewucherte Epithelschicht durch Ein¬ 
wachsen bindegewebiger Elemente aus der Nachbarschaft in ihrer Kontinui¬ 
tät durchbrochen, ein Teil der Epithelzellen geht wohl zugrunde, der Rest 
gruppiert sich in traubenartigen Nestern um die Wurzel und Wurzelspitze 
herum. Wir haben vor uns die sogenannten Malassezschen Epithelreste. 
Die Bedeutung dieses in die Tiefe gewucherten Epithels erscheint mit der 
Veranlagung der Wurzel erschöpft und sie ruhen ohne funktionelle Be¬ 
deutung in das umgebende Bindegewebe eingebettet in unmittelbarer Nähe 
der Wurzelspitze. Die Sache ändert sich aber, sobald in dieser Gegend ent¬ 
zündliche Veränderungen sich einstellen. Dies kann durch irgendein Trauma, 
durch kontinuierliche Reize wie Überlastung usw., durch Entzündungen des 
Periodontiums, wie sie durch alle möglichen Erkrankungen der Pulpa, speziell 
durch Fortleitung der Infektion veranlaßt werden können, erfolgen. Es kommt 
dann zunächst in der Gegend der Wurzelspitze zu einer Hyperämie und 
dann zu einer Periodontitis. Gegen das weiter vordringende schädigende 
Agens kann sich nun das umgebende Bindegewebe durch die ihm inne¬ 
wohnende physiologische Widerstandsfähigkeit schützen, speziell bei chro¬ 
nischen Reizen durch Bildung von Granulationsgewebe. Dieses Gewebe ist 
einzig und allein eine Schutzmaßnahme des Körpers, das ein diffuses weiteres 
Vordringen verhindern soll. Ein Nachlassen der vitalen Energie der Zellen 
bedingt ein Weiterschreiten des Prozesses. Je nachdem nun die vorhin er¬ 
wähnten Epithelnester mit in die granulomatöse Wucherung einbezogen sind 
oder nicht, können wir vor uns haben: erstens ein einfaches Granulom oder 
zweitens ein Epithelgranulom (Römer). Aus diesem letzteren aber kann 
sich dann eine Zyste entwickeln, und Julius Witzei betrachtet ja die Zyste 
als ein fortgeschrittenes Granulom. Die Granulomwand besteht aus derb- 
faserigem Bindegewebe, während wir innen Wucherungen von zelligen 
Elementen (Rundzellen) vor uns haben,* außerdem beobachten wir massen¬ 
hafte Neubildung und eine Erweiterung von Blutgefäßen. Wenn die Rund- 


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Beiträge zum Kapitel der Zahnzysten 339 

zellen verfetten und degenerieren, so wird das Gewebe, das an sich grau- 
rot ist, mehr gelblich <Römer>. 

Während bis hierher die meisten Autoren, abgesehen von einer vor längerer 
Zeit erschienenen Veröffentlichung, auf die ich später noch zu sprechen komme, 
ziemlich einig sind, gehen die Ansichten in Bezug auf Entstehung und Wachse 
tum einer Zyste erheblich auseinander. Partsch setzt das Vorhandensein 
einer epithelialen Schicht nach der Zahnwurzel zu voraus. Zwischen dieser 
Schicht und der Wurzel ist ein feiner Spaltraum gegeben, der mit Flüssig- 
keit gefüllt ist. Infolge der oben geschilderten entzündlichen Veränderungen 
setzt nun eine fettige Degeneration und mucinöse Erweichung des Binde¬ 
gewebes der Epithelglocken ein,- dieses Bindegewebe wird also verflüssigt und 
liefert den Zysteninhalt. Das Epithel der glockenartigen Gebilde aber breitet 
sich in dünner Schicht über der Zystenwand aus. Durch das Wachstum 
werden immer neue Epithelglocken in Mitleidenschaft gezogen und auf die 
geschilderte Weise umgewandelt. Partsch hat auch nie in der Flüssigkeit 
verfallene Epithelien gesehen. Gegen die Ansicht von Partsch möchte ich 
anführen, daß die Voraussetzung eines mit Flüssigkeit ausgefüllten Spalt¬ 
raumes an der Wurzelspitze doch etwas sehr Hypothetisches ist und daß 
derselbe meines Wissens von anderen Autoren primär und ohne vorherige 
pathologische Veränderungen nicht nachgewiesen werden konnte,* außerdem 
fragt es sich, ob wir einen solchen vorhandenen Spaltraum nicht bereits als 
Zyste ansprechen müssen, so daß also mit den Ausführungen von Partsch 
nicht das Entstehen, sondern nur das Wachstum einer Zyste erklärt wäre. 
Andererseits spricht auch dagegen, daß wir nicht allzu selten Zysten be¬ 
obachten können, die seitlich stehen und keine Kommunikation mit dem Wurzel¬ 
kanal haben. Auch könnte das Entstehen von Zysten nach traumatischen 
Reizen, die also durch die Hyperämie bedingt sind, nicht leicht auf diese 
Weise erklärt werden. 

Eine andere Erklärung über Entstehung und Wachstum der Zysten bringt 
Römer. In die entzündliche Wucherung in der Umgebung der Wurzelspitze 
werden auch die Malassezsehen Epithelreste mit einbezogen. Es kommt 
also auch zu einer Wucherung der Epithelzellen. Die am weitesten vom Blut¬ 
strom entfernt liegenden Zellen können nicht mehr genügend ernährt werden, 
sie degenerieren und zerfallen. Römer unterscheidet eine solche Degeneration 
1. ohne Zell Vergrößerung: es kommt zum körnigen Detritus 2. unter Auf¬ 
quellung: es kommt zu hydropischer Degenerationsnekrose. Diese letztere ist 
weitaus die häufigste. Der Zellinhalt sieht ganz hell aus, und wir meinen Pflan¬ 
zenzellen vor uns zu sehen <Rö m e r>. Später verlieren die Zellen ihre Membran 
und verschwinden. Das Wachstum der Zyste ist bedingt durch Bakterien, die 
in der Zyste vorhanden sind. Römer fand lange und kurze Stäbchen, dickere 
und dünnere Bakterien, kleinere und größere Kokkenformen. Durch den bak¬ 
teriellen Reiz wird bewirkt: 1. der Austritt seröser Flüssigkeit aus den erweiter¬ 
ten Kapillaren/ 2. Auswanderung von Leukozyten,* 3. fortgesetzte Nekrose 
von Epithelzellen. Diese Ansicht von Römer scheint mir der Wahrheit am 
nächsten zu kommen und dürfte heute wohl am meisten Anhänger zählen. 

22 * 


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Hauenstein 


Auf eine sehr einfache Art erklärt sich J. Witzei das Wachstum der 
Zysten, indem er eine fortgesetzte Sekretion des Zysteninhaltes annimmt. 
Dagegen spricht aber, daß wir hier Deckepithel vor uns haben und daß 
Deckepithelien, worauf schon Römer hin weist, nach unseren heutigen Kennt¬ 
nissen sekretorische Funktionen nicht ausüben können. 

Eine andere Theorie hat Grawitz über die Entstehung der Zysten auf¬ 
gestellt. Nach ihm fuhrt eine Periodontitis an der Wurzelspitze zu einer 
Knötchenbildung <Granulom>, das durch sein Wachstum zu einer rarefizierenden 
Ostitis führt. Dieses Granulom kann nun zentral eine eitrige Einschmelzung 
erleiden/ wir haben dann einen apikalen Abszeß vor uns. Der Abszeß kann 
nun entweder durch Resorption des Eiters ausheilen oder er bahnt sich einen 
Weg nach der Oberfläche durch die Mundschleimhaut, d. h. es kommt zur 
Fistelbildung. Durch den Fistelgang hindurch wuchert nun das Schleimhaut¬ 
epithel des Mundes in die Abszeßhöhle und kleidet diese aus, nachdem der 
Eiter sich entleert hat. Heilt dann der Fistelgang aus, so entsteht die herme¬ 
tisch abgeschlossene radikuläre Zyste. Diese Theorie sucht Grawitz an 
Hand von Präparaten zu erhärten. Allein Partsch weist ihm nach, daß es 
sich dabei gar nicht um Zysten handelte, sondern um Knochendefekte, die 
durch eine chronische Periodontitis entstanden sind, denn am umgebenden 
Knochen sind deutlich periostale Auflagerungen zu erkennen, die wir ja bei 
einer Druckatrophie, wie sie bei Zysten vorhanden, nie finden. Außerdem 
zeigen die Präparate unregelmäßige Ausnagungen, während sich die Zysten 
immer durch die Glätte ihrer Wandung auszeichnen. Freilich kann nicht ohne 
weiteres geleugnet werden, daß bisweilen auch einmal auf die Art, wie sie 
Grawitz schildert, unter besonderen Verhältnissen eine Zyste entstehen 
kann. Auch Reinmöller gibt diese Möglichkeit zu. Aber dies dürften wohl 
immer nur Ausnahmefälle sein. 

Nun kommen auch radikuläre Zysten zur Beobachtung, wo keinerlei Ent¬ 
zündungsherd, auch kein Trauma vorliegt, und es ist mit Recht die Frage 
aufgeworfen worden, woher es denn in solchen Fällen komme, daß eine 
Zystenbildung vor sich geht. Diesbezüglich wäre die Möglichkeit zu erwägen, 
ob nicht das plötzliche Lebendigwerden der Mallassezsdien Epithelreste 
auf Reize zurückzuführen sei, die während der Pubertätszeit, dieser ge¬ 
waltigen Umwälzung im Gesamtorganismus, auftreten <Reinmöller>. 

Was den Inhalt der Zysten betrifft, so handelt es sich meist um ein dünn¬ 
flüssiges, durchsichtiges, bernsteingelbes Serum, das massenhaft Rundzellen 
enthält/ außerdem sind rote Blutkörperchen, Fetttröpfchen, Plattenepithelien 
und Cholestearinkristalle nachzuweisen <Römer>. Durch Zerreißung eines 
Blutgefäßes kann der Inhalt dann auch kaffeebraun werden, oder er kann durch 
hinzutretende Infektion vereitern. Dem Auftreten nach kommen die Zysten 
mehr im Oberkiefer als im Unterkiefer vor und häufiger an den Frontzähnen 
als den Molaren. Auffallend ist, daß gewisse Personen besonders gerne zur 
Zystenbildung neigen. Sowie eine Zahnerkrankung einmal die Wurzelhaut 
in Mitleidenschaft gezogen hat, beginnen auch schon zystöse Veränderungen 
in der Umgebung der Wurzel, so daß man direkt von einer zystösen Ver- 


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Beiträge zum Kapitel der Zahnzysten 


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anlagung gewisser Individuen reden kann. Idi erinnere midi einer ganzen 
Reihe von Fällen, die wegen Zysten an mehreren Zähnen operiert werden 
mußten, und mehrerer Fälle, bei denen zunächst eine Zyste operiert wurde. 
Nach längerer Zeit erkrankte ein anderer Zahn, und später konnte auch hier 
infolge einer allmählich eintretenden Auftreibung durch das Röntgenbild eine 
Zyste nachgewiesen werden. 

Charakteristisch für die Zysten ist ihr langsames, aber stetiges Wachstum, 
das vollkommen schmerzlos verläuft. Allmählich zeigt sich dann eine runde 
knochenharte Vorwölbung, die darüberliegenden Weich teile sind unverändert 
und leicht verschieblich. Durch das fortgesetzte Wachstum kann der über» 
lagernde Knochen später papierdünn werden, und es kann das sogenannte 
Dupuytren sehe Pergamentknittern bei leichtem Druck auf die Geschwulst 
nachgewiesen werden. Allein dies ist etwas derart Seltenes, besonders heut* 
zutage wo die meisten Zysten viel früher erkannt und behandelt werden, 
daß ich mich bei den vielen Zysten, die wir immer wieder zu sehen be* 
kommen, nur an einige wenige Fälle erinnern kann, bei denen dieses Symptom 
nachgewiesen werden konnte. Häufiger läßt sich eine oft kreisrunde Stelle 
nachweisen, die sich prall elastisch anfühlt, ohne knöcherne Resistenz. Es 
handelt sich um eine Knochenlücke, die durch die wachsende Zyste entstanden 
ist. Wichtig ist, daß wir am Knochen niemals periostale Auflagerungen oder 
sonstige entzündliche Veränderungen nachweisen können. Wir haben es mit 
einer reinen Druckatrophie des Knochens zu tun, wie wir dieselbe auch zu 
sehen gewohnt sind bei einem hydrozephalischen Kopfskelett oder am Ster* 
num und der Wirbelsäule bei Aortenaneurismen. Das Wachstum der Zyste 
geschieht stets in der Richtung des geringsten Widerstandes. Daher erleben 
wir es im Oberkiefer sehr häufig, daß die Zyste teilweise oder ganz den 
Platz der Oberkieferhöhle einnimmt. Dabei ist es aber bemerkenswert, daß 
Durchbrüche in das Antrum etwas äußerst Seltenes sind, daß vielmehr die 
Kieferhöhlenschleimhaut immer mehr und mehr von der wachsenden Zyste 
vor sich her nach oben oder seitlich verschoben wird, bis allmählich die An* 
trumschleimhaut wie ein leerer Sack zusammengefaltet ist. Auch gegen die 
Nasenhöhle zu kann eine Zyste wachsen, den ganzen Nasenboden vor* 
wölben und die Atmung behindern. Beim seitlichen oberen Inzisivus wächst 
die Zyste häufig nach dem harten Gaumen zu und kommt auch hier oft zum 
Durchbruch. Dies hängt mit der Lage und Gestalt der Wurzelspitze dieses 
Zahnes zusammen. Seine Wurzelspitze ist ja meist distal und besonders 
palatinal stärker abgekrümmt, und so ist eben auch palatinalwärts die Richtung 
des geringsten Widerstandes. Meist werden die Patienten erst durch die zu* 
nehmende Entstellung, die die wachsende Zyste erzeugt, auf ihr Leiden 
aufmerksam. Anders ist dies bei vereiterten Zysten. Hier hat der Patient 
bald über Druckgefühl und Spannung der betreffenden Gesichtsgegend zu 
klagen, auch die Weichteile können anschwellen und entzündliche Ver* 
änderungen zeigen. Bald stellt sich auch Drüsenschwellung ein. Schüttei* 
froste und septische Allgemeinerscheinungen können das Bild recht ernsthaft 
gestalten. 


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Haucnstcin 


Ein wesentliches diagnostisches Hilfsmittel liefert uns das Röntgenbild. 
Zum Unterschied von dem Granulom haben wir hier meist einen intern* 
siveren Schatten und scharfe Begrenzung. Auch ein Adamantinom gibt ahn** 
liehe Bilder, doch kommt dies wegen seiner Seltenheit kaum in Frage. Häufig 
sieht man das entblößte Wurzelende in die Zyste hineinragen. Oft aller* 
dings ist auch schon der Zahn entfernt worden, ohne daß die Zyste selbst 
weiter in Behandlung genommen wurde. Es ist aber ganz klar, daß damit 
die Zyste nicht zur Ausheilung gebracht werden kann. Deshalb ist in ver* 
dächtigen Fällen — mag es sich nun um eine kleine Zyste oder um ein Granu* 
lom handeln — besonders wenn ein Röntgenapparat nicht zur Verfügung 
steht, immer zu empfehlen, nach der Extraktion die Alveole gründlich zu unter* 
suchen, dann wird man wohl häufig pathologische Veränderungen im Grund 
der Alveole feststellen können. Gar manchmal kommt es in der Praxis auch 
vor, daß bei dem Versuch der Extraktion einer tiefzerstörten Wurzel die* 
selbe plötzlich nach oben zu in eine Höhle verschwindet. Je nach der Lage 
des Zahnes muß man natürlich zunächst im Oberkiefer an das Antrum 
denken. Recht häufig ist es aber auch so, daß oberhalb des Apex eine Zyste 
vorhanden ist, in die dann die Wurzel hineinluxiert wurde. Ich selbst erinnere 
mich eines Falles, bei dem ich nur durch ein besonderes Moment auf den Ge* 
danken gekommen bin, daß eine Zyste vorliegen könnte. Frau S. kam wegen 
eines kariösen Caninus zu mir in Behandlung. Eine Auftreibung oder sonstige 
Veränderung war nicht wahrzunehmen. Bei der vorzunehmenden Wurzel* 
behandlung fiel auf, daß die Nervnadel auffallend tief eingeführt werden 
konnte, länger als die Wurzel voraussichtlich war. Eine Röntgenaufnahme 
zeigte denn auch, daß es sich um eine Zyste handelte, die oberhalb des Apex 
saß und bereits zu einer geringen Resorption am Apex geführt hatte. Es 
ist einleuchtend, daß in solchen und überhaupt in allen Fällen, in denen der 
Zahn noch zu erhalten ist, möglichst konservativ vorgegangen werden soll. 
Die Wurzelspitze ist nach Eröffnung der Zyste so weit abzutragen, daß sie 
möglichst nicht mehr in den Zystenhohlraum vorspringt. Wenn sie natürlich 
schon so weit gegen den Zahnhals zu im Wachstum vorgedrungen ist, daß 
nach der Resektion der Zahn doch keinen genügenden Halt hätte, so ist die 
Extraktion meines Erachtens indiziert. 

Ich habe oben erwähnt, daß die Zysten immer in Richtung des geringsten 
Widerstandes wachsen. Dies kann manchmal zu einer abnormen Sachlage 
fuhren. Wenn nämlich die labiale und palatinale Cortikalis gut entwickelt 
sind, so dehnt sich die wechselnde Zyste oft erst nach einer Seite zu aus, 
weil die Spongiosa geringeren Widerstand bietet. Die Folge davon ist, daß 
dann die Zyste erst hier zu größerer Ausbildung kommt, es wird also der 
Nachbarzahn direkt umwachsen, und es zeigt sich später auch hier die stärkste 
Vortreibung. Man ist dann leicht geneigt anzunehmen, daß von dem ge* 
sunden Nachbarzahn die Erkrankung ausgehe. Dies würde zwar für die 
Operation nicht allzu viel zu bedeuten haben, wenn nicht manchmal nach 
der Eröffnung die enge Verbindungsstelle, die zum kranken Zahn fuhrt, 
übersehen und so die eigentliche Ursache der Erkrankung nicht beseitigt 


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Beitrage zum Kapitel der Zahnzysten 343 

würde. Auch wird in solchen Fällen häufig die Resektion eines nur teilweise 
umwachsenen Zahnes gemacht, die vollkommen überflüssig ist. 

Was die Zysten wand selbst betrifft, so haben wir meist ein glattes, hie 
und da vorspringendes schleimhautähnliches Gebilde vor uns, das sich kaum 
von der Mundschleimhaut unterscheidet. Die Epithelschicht ist oft stark mit 
Rundzellen durchsetzt. Häufig ziehen Epithelstränge in die Tiefe, die dem 
Ganzen ein Aussehen geben, als wenn wir ein Papillom vor uns hätten. 

In Bezug auf die therapeutischen Maßnahmen kann ich mich kurz fassen, 
da in diesem Punkte Meinungsverschiedenheiten kaum existieren. Es ist klar, 
daß bei dem Wesen der Zyste eine einfache Ausspülung, wie sie heute 
immer noch in Unkenntnis der Verhältnisse gemacht wird, ebensowenig zum 
Ziele führt, wie eine Ausätzung der Zysteninnenwand. Andererseits sind 
verstümmelnde Operationen der Kiefer, wie sie früher öfters geübt wurden, 
auch bei schweren Fällen zu vermeiden. Bei kleinen Zysten kann man nach 
Eröffnung den ganzen Zystenbalg in toto ausschälen und dann vernähen. 
Die Höhle füllt sich mit Blut, das koaguliert und dann bindegewebig organi- 
siert wird, um später durch Knochengewebe ersetzt zu werden. Will man 
wegen einer eventuellen Infektion vorsichtig sein, so kann man einen Tag lang 
auch einen ganz kleinen, dünnen Jodoformgazestreifen durch die sonst ver¬ 
nähte Inzisionswunde bis in die Höhle legen. Bei allen anderen Fällen wird 
wohl heute allgemein die klassische Methode der Operation angewandt, wie 
sie Partsch uns 1892 gezeigt hat. In Lokalanästhesie wird nach einem 
Bogenschnitt der Schleimhautperiostlappen zurückgeklappt, der überlagernde 
Alveolarknochen und die vordere Zystenwand abgetragen. Die Öffnung 
wird so lange tamponiert, bis Mundschleimhautepithel und Zystenepithel mit¬ 
einander verwachsen sind. Dadurch wird die Zyste zu einer Nebenbucht 
der Mundhöhle gemacht, die allmählich wieder verödet. In neuester Zeit 
wurde für besonders gelagerte Zysten von rhinologischer Seite eine Operation 
angegeben, die ich nicht befürworten möchte. Zysten, die im Bereiche des 
Antrums gelegen waren, wurden durch das Antrum hindurch eröffnet und 
so die Zyste zn einer Nebenbucht des Antrums gemacht. Ich kann nicht 
einsehen, warum das Antrum hier in Mitleidenschaft gezogen werden soll, 
zumal wir hier durchaus nicht wissen können, ob wir nicht gerade dadurch 
schwere Antrumerkrankungen erst erzeugen können. Zudem ist bei den 
glänzenden Erfolgen, die wir bei allen nach der Partsch sehen Methode 
operierten Zysten aufweisen können, gar kein Grund vorhanden, diese be¬ 
währte Methode zu verlassen. 

Es erübrigt nun noch, einiges über die follikulären Zysten nachzutragen. 
Hier handelt es sich um Zysten, die vom Zahnfollikel ausgehen und ver¬ 
ursacht sind durch Entwicklungsstörungen einer normalen oder überschüssigen 
Zahnanlage. Sie sind schon aus diesem Grunde etwas viel Selteneres als 
die radikulären Zahnzysten. Interessant ist es, den Entwicklungsstörungen 
und ihren Ursachen etwas nachzugehen. Der einfachste Grad der Abweichung 
vom Normalen sind die Stellungsanomalien der Zähne, die im bleibenden 
Gebiß viel häufiger sind als im Milchgebiß, da ein zu früher Verlust der 


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344 


Hauenstein 


Milchzähne oder ein Zurückbleiben des Kieferwachstums nicht den nötigen 
Raum für normale Einstellung schafft. Auch konstitutionelle Erkrankungen 
und üble Angewohnheiten wie Daumenlutschen führen zu solchen Anomalien. 
Der nächst höhere Grad ist die Heterotopie. Sternfeld versteht darunter 
die Entwicklung eines Zahnes an einer ungewöhnlichen Stelle des Körpers 
und greift hier wieder die Heterotopie par genese heraus, die nach ihm eine 
Zahnentwicklung darstellt, an einer nicht mehr zur Kieferregion gehörigen 
Körperstelle. Diese bedeutenden Verlagerungen führt er auf wenn auch noch 
so geringfügige, aber schon in der frühesten Entwicklung einsetzende Ver¬ 
schiebungen der Keimanlage zurück. Auf diese Weise kann das Vorkommen 
✓von Zähnen in der Nase, am Gaumen, Flügelfortsatz, Vomer, Orbita, An¬ 
trum usw. erklärt werden. Sowohl durch eine derartige Heterotopie als durch 
einfachen Raummangel, der wieder durch die oben bereits erwähnten Mo¬ 
mente bedingt ist, kann es aber auch zu einer vollkommenen Retention des 
Zahnes kommen. Besonders häufig aber werden überzählig veranlagte Zähne 
in Retention gehalten. Es handelt sich hier meist um Zapfenzähne. Manch¬ 
mal brechen auch solche überzähligen Zähne durch, und dafür bleibt ein nor¬ 
maler Zahn in Retention. Diese Entstehung von überzähligen Zähnen wird 
wieder auf die verschiedenste Weise erklärt. Adloff denkt sie sich aus seit¬ 
lichen Ausbuchtungen der Schmelzleiste entstanden. Dependorf glaubt sie 
aus Faltungen der Zahnleiste, wie sie durch mechanische Einflüsse während 
der Embryonalzeit sich bilden können, hervorgegangen. Auf alle Fälle 
scheinen sowohl bei der Bildung von überzähligen Zähnen wie bei Ver¬ 
lagerungen entwicklungsgeschichtliche Störungen eine bedeutende Rolle zu 
spielen und diese Störungen selbst können oft genug wieder auf konstitutio¬ 
nelle Erkrankungen zurückgeführt werden. Auch Kieferdeformitäten, die nach 
Kranz häufig auf innersekretorische Störungen bezogen werden müssen, 
oder Geschwülste können zu einer Retention des Zahnes führen. 

Solche retinierten Zähne oder auch Zahnrudimente sind aber der Aus¬ 
gangspunkt der follikulären Zahnzysten. Sie können nicht nur am Alveolar¬ 
fortsatz, sondern auch an den Kieferkörpern und -Fortsätzen, am Kieferast, 
in der Oberkieferhöhle, der Orbita usw. auftreten. Es handelt sich dabei 
immer um eine zystische Entartung des Follikelsackes. Wodurch dieselbe 
hervorgerufen wird und insbesondere wodurch das Wachstum der Zyste be¬ 
dingt ist, ist heute noch nicht genügend aufgeklärt. Der fibröse Balg der Zyste 
trägt innen höheres Zylinderepithel, das dem Schmelzepithel sehr ähnlich ist. 
Der Inhalt ist der gleiche wie bei den radikulären Zysten, nur daß hier häufig 
noch die Krone eines retinierten Zahnes ins Lumen hineinragt oder plättchen- 
förmige zahnähnliche Gebilde vorhanden sind. Die Entwicklung geht hier 
noch langsamer vor sich wie bei den radikulären Zysten. Aufmerksam auf 
ihr Leiden werden die Patienten meist erst durch die langsam aber stetig 
sich vergrößernde halbkugelige Vortreibung. Die Diagnose ist für den Zahn¬ 
arzt oft durch das Fehlen des betreffenden Zahnes im Gebiß erleichtert. 
Häufig hat sich auch durch den Druck des retinierten Zahnes auf die Wurzel 
eines Nachbarzahnes eine Stellungsänderung für diesen ergeben. Sicheren 


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Beiträge zum Kapitel der Zahnzysten 


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Aufschluß über das bestehende Leiden gibt das Röntgenbild, das uns eine 
scharf umgrenzte runde Aufhellung und in diese hineinragend den retinierten 
Zahn zeigt. Auch eine meist leicht auszuführende Punktion kann uns Klar- 
heit geben über das vorliegende Leiden. Charakteristisch sind die zahlreichen 
in der Flüssigkeit suspendierten fettglänzenden Cholestearinkristalle. In 
therapeutischer Hinsicht gilt alles bereits von den radikulären Zysten Ge- 
sagte. Selbstverständlich sind die retinierten Zähne oder Zahnrudimente als 
die eigentlichen Urheber der Erkrankung zu entfernen, eine Aufgabe, die 
unter Umständen erhebliche Anforderungen an die Geschicklichkeit und das 
Können des Operateurs stellt. 

Im Anschluß hieran möchte ich nun einige besonders gelagerte Fälle von Zahn¬ 
zysten beschreiben, die nach mehrfacher Richtung hin von Interesse sein dürften. 

Frau S. sucht unsere Klinik auf wegen einer starken Auftreibung der 
linken Gesichtshälfte. Vor vier Jahren habe sie 
erstmalig eine Verdickung neben dem linken 
Nasenflügel bemerkt. Im Munde sei eine Vor¬ 
wölbung zuerst bukkal, später palatinal deutlich 
geworden. Vor zwei Jahren habe sie ein Arzt 
anderwärts behandelt und sie auch auf die Ge¬ 
schwulst aufmerksam gemacht, die er von einem 
Zahngeschwür herleitete. Allmählich sei die Ge¬ 
schwulst zu ihrem jetzigen Umfang angewachsen, 
ohne Schmerzen zu verursachen. Die Zähne im 
Bereich der Vortreibung hätten sich gelockert und 
seien ausgefallen. Befund: Das Gesicht ist asym¬ 
metrisch infolge starker Vorwölbung der linken 
Wange. Die obere Grenze der Geschwulst 
überragt den Infraorbitalrand, seitlich liegt sie in einer Linie vom lateralen 
Augenwinkel zum Kieferwinkel/ der linke Mundwinkel ist nach abwärts 
verschoben,* medial reicht die Geschwulst fast bis zum Nasenrücken und er¬ 
reicht auch fast dessen Höhe. Der untere knorpelige Teil der Nase ist nach 
der Seite verschoben, die Nasolabialfalte verstrichen. Die bedeckenden Weich¬ 
teile sind normal und gut verschieblich. Bei stärkerem Zutasten läßt sich die 
sonst knochenharte Auftreibung unter knisterndem Geräusch federnd ein- 
drücken. Auf der Höhe der Geschwulst ist in fast Markstückgröße kein knöcher¬ 
ner Widerstand nachzuweisen, wohl aber deutlich Fluktuation. Die Palpation 
ist schmerzlos. Im Munde stehen links im Oberkiefer nur noch der zweite 
Prämolar und der Weisheitszahn. Die Geschwulst erstreckt sich über den 
ganzen linken Oberkiefer bis über die Medianlinie hinaus. Am Gaumen reicht 
sie nach rückwärts nahe bis an die Grenze des harten und weichen Gaumens. 
Auch palatinal ist auf der Höhe der Geschwulst in Pfennigstüdegröße kein 
knöcherner Widerstand zu spüren, wohl aber Fluktuation nachzuweisen. Der 
zweite Prämolar ist gelockert und leicht gekippt, so daß die Wurzel distal ver¬ 
drängt ist,* außerdem hat der Zahn eine Drehung um seine Achse erfahren 
derart, daß der bukkale Höcker distal steht <Fig. 1 u. 2>. 



Fig. 1 


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346 Hauenstein 

Bei diesem Befund konnte sofort eine Zyste diagnostiziert werden. Nach 
Extraktion von Weisheitszahn und Prämolaren, der ausgedehnte Resorptions¬ 
erscheinungen entsprechend seiner Lage schräg über die Wurzel gehend zeigte, 
wurde in Lokalanästhesie sofort die Operation nach der Partsch sehen 
Methode vorgenommen. Nach der Eröffnung entleerte sich in reichen Mengen 
eine schokoladebraune, geruchlose, an Cholestearinkristallen reiche Flüssig¬ 
keit, außerdem reichlich Detritusmassen. Die nun gut zu übersehende Höhle 
nimmt nicht nur den ganzen Raum der Oberkieferhöhle ein, sondern zeigt 
auch noch tiefe Ausbuchtungen weit nach rückwärts, dann gegen das Jochbein 
hin und besonders deutlich abgesetzt eine solche gegen den inneren Augen¬ 
winkel und die Nasenwurzel zu, ohne daß jedoch anscheinend der Tränen¬ 
nasenkanal obliteriert war, was man nach der Sachlage hätte vermuten können. 
Um die Heilung zu beschleunigen, wurden mit einigen Nähten die Ränder 
der Mundschleimhaut mit denen des Zystenbalges vereinigt und dann nach 
Spülung lodeer tamponiert. 

Die mikroskopische Untersuchung der exzidierten Stücke und des Zysten¬ 
inhaltes ergab folgendes: Unter der Schleim¬ 
haut starke entzündliche Infiltration und 
Fibroblastenwucherung in Nachbarschaft der 
Gefäße. In großen Gewebsräumen sind 
Kalkmassen abgelagert, in deren Umgebung 
eine starke reaktive Bindegewebsneubildung 
stattfmdet. Die Zystenwand besteht aus 
Bindegewebe mit ebenfalls entzündlicher In¬ 
filtration in der Gefäßnachbarschaft und 
stellenweiser Kalkeinlagerung/ sie enthält 
außerdem ziemlich kompakte Knochenla¬ 
mellen mit osteoidem Saum. Zum Zysten¬ 
inhalt hin findet sich eine mehrschichtige Epithellage, die allerdings nicht überall 
erhalten ist. Der Zysteninhalt besteht aus Detritus, roten Blutkörperchen und 
im Zusammenhang mit der des Epithels beraubten Zystenwand organisato¬ 
risch vordringendem Bindegewebe. In den strukturlosen Massen, die in einem 
netzartig geronnenen Gerüste liegen, finden sich zahlreiche Spalträume, welche 
als Ausfallslücken von Cholestearinkristallen aufzufassen sind. Dort, wo 
Granulationsgewebe vorgedrungen ist, sind die Kristalle von einem Saume 
phagozytärer Elemente, teils auch Riesenzellen umgeben. 

An diesem Fall ist zunächst das viele Jahre lange Wachstum der Zyste 
hervorzuheben, ohne daß die geringsten Schmerzen auftraten. Vor allem 
aber dürfte der Fall durch die ungeheure Ausdehnung, die die Zyste ge¬ 
nommen, bemerkenswert sein. Sie nahm nicht nur den ganzen Oberkiefer 
halbseitig ein, so daß nach allen Richtungen nur noch ganz dünne Knochen¬ 
wände vorhanden waren, sondern wölbte auch noch den Margo infraor- 
bitalis vor, verdrängte die Nase und erstreckte sich auch noch weit über die 
Mittellinie hinaus auf die Gegenseite. Trotz der ungeheuren Ausdehnung 
ist die Zyste nicht in die Kieferhöhle durchgebrochen, sondern hat dieselbe nur 



Fig. 2 


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Beiträge zum Kapitel der Zahnzysten 


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vollkommen verdrängt. Das Dupuytrensche Pergamentknittern, das wir in 
unserer Klinik nur selten nachweisen konnten, ist in diesem Falle vorhanden. 
Interessant ist auch die Verdrängung, Kippung und Drehung, die der noch 
vorhandene zweite Prämolar durch die wachsende Zyste erfahren hat, ebenso 
die ausgedehnten Resorptionen an der Wurzel dieses Zahnes. Trotz der vor^ 
hergegangenen Blutungen in die Zyste hinein, auf die wir mit Sicherheit aus 
der schokoladebraunen Färbung des Zysteninhaltes schließen können, ist keine 
Infektion erfolgt. Was den mikroskopischen Befund betrifft, so ist die ent¬ 
zündliche Infiltration und Fibroblastenwucherung durch den chronischen Reiz 
zu erklären, den die wachsende Zyste verursachte. Die Kalkmassen in den 
Gewebsräumen zeigen uns, daß wir es mit einem alten Prozeß zu tun haben. 
Sie sind als Niederschläge aufzufassen, die durch die Resorption bedingt sind. 
Der osteoide Saum an den Knochenlamellen ist wohl als ein Zeichen des 
Abbaues aufzufassen, während ich das netzartige Gerüst, das in den Struktur^ 
losen Massen nachgewiesen ist, auf Eisweißgerinnung zurückführen möchte. 

Ein weiterer in manchen Punkten ähnlicher, in vieler Hinsicht aber sehr 
verschiedener Fall sei hier kurz skizziert. Frau 
V. hatte schon vor 17 oder 18 Jahren starke Zahn^ 
schmerzen am rechten oberen zweiten Prämolaren. 

Die rechte Gesichtshälfte war vollständig bis zum 
Auge verschwollen. Nachdem Schmerzen und 
Schwellung zurückgegangen waren, hatte Patientin 
das Gefühl, als ob der Kiefer bei dem Prämolaren 
hoch oben dicker sei als links. Im August vorigen 
Jahres merkte die Patientin über dem Zahn ein Ge^ 
schwür, aus dem sich viel Eiter und Blut entleerte, Fig. 3 

und ließ deshalb den Zahn im September entfernen. 

Patientin gibt nun an, tagsüber nichts mehr an Eiterfluß gemerkt zu haben, 
wohl aber hatte sie, wenn sie nachts aufwachte, einen süßlichen Geschmack 
im Mund und gelbe Flüssigkeit auf dem Kissen. Im Februar suchte sie 
einen Zahnarzt auf, der die noch bestehende Öffnung erweitern wollte, um 
ein Röhrchen einzusetzen. Er verordnete Spülungen mit Caliumpermanganat 
und Salzwasser. Befund: Anstelle des früher entfernten zweiten Prämolaren 
ist eine ganz kleine Öffnung vorhanden, durch die sich eine Sonde hoch 
nach oben einführen läßt. Das Röntgenbild zeigt einen größeren Hohlraum, 
der die Gegend der Kieferhöhle einnimmt. Beim Versuch bei zugehaltener 
Nase Luft ausschnauben zu lassen, streicht dieselbe nicht unter dem typischen 
zischenden Geräusch durch die Öffnung. Knochenauftreibungen oder sonstige 
Veränderungen am Kiefer oder den bekleidenden Weichteilen sind nicht wahr^ 
nehmbar. Beim Einführen der Sonde in die Öffnung entleert sich nur wenig 
etwas trübe, sonst aber gelbliche, seröse Flüssigkeit <Fig. 3>. 

Es war bei diesem in mancher Beziehung gegensätzlichen Befund nicht 
ohne weiteres eine exakte Diagnose zu stellen. Während das Fehlen einer 
Knochenauftreibung sowie die Lage des Hohlraumes dafür sprachen, daß 
wir hier ein eröffnetes Antrum vor uns hatten, war andererseits keine Kommis 



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Hauenstein 


nikation des Hohlraums mit der Nase vorhanden. Nun wissen wir allere 
dings, daß, wenn auch selten, so doch manchmal das Antrum durch ein vertikal 
gestelltes Septum in zwei vollkommen getrennte Hälften zerteilt sein kann 
und daß dann natürlich die eine laterale Hälfte nicht mit der Nasenhöhle in 
Verbindung steht. Doch konnte es sich auch um eine Zyste handeln, die 
eben ihre Wachstumsrichtung nach der Seite des geringsten Widerstandes 
hatte, und das war die Kieferhöhle. So kam es dann zu keiner Auftreibung 
der bukkalen Wand, sondern zu einer Verdrängung des Antrums. Da in 
jedem Fall eine breitere Eröffnung des Hohlraums angezeigt erschien, so 
war aber für das therapeutische Vorgehen diese Frage zunächst ohne Belang. 
In Lokalanästhesie wurde die Öffnung genügend erweitert, bis wir den ganzen 
Hohlraum gut überschauen konnten. Nun zeigte es sich, daß wir es mit einer 
Zyste zu tun hatten: Ein großer rundlicher Hohlraum mit glatten Wänden, 
der überall mit Zystenepithel bedeckt war. Granulationswucherungen, wie 
sie bei einer so lange bestehenden Eröffnung des Antrums mit ständiger 
Sekretion zweifellos sich gebildet hätten, waren nirgends 
nachzuweisen. Auch enthielt die noch Testierende Flüssig¬ 
keit Cholestearinkristalle. 

Äußerst interessant in mehrfacher Hinsicht dürfte folgen¬ 
der Fall sein: Das Kind R., 12 Jahre alt, wird in unsere 
| Klinik gebracht, da es zwischen oberem, linken, mittleren 
Schneidezahn und oberem, linken Eckzahn eine Lücke in 
der Zahnreihe hat und die Mutter wissen möchte, ob 
diese Lücke nicht durch eine Regulierung beseitigt werden 
^ könnte. Alle bleibenden Zähne mit Ausnahme des zweiten 
Fig. 4 oberen linken Inzisivus und der Weisheitszähne waren 

vorhanden, und wir vermuteten deshalb eine Retention 
dieses Schneidezahnes. Eine Auftreibung oder sonstige pathologische Ver¬ 
änderung in der fraglichen Gegend konnte kaum nachgewiesen werden. Die 
vorgenommene Röntgenaufnahme ergab nun folgendes Bild: ein vollkommen 
normal ausgebildeter seitlicher Schneidezahn war in der Weise retiniert, daß 
die Zahnachse um ca. 15 Grad von der Vertikalen abgewichen so lag, daß die 
am Nasenboden angrenzende Wurzel distalwärts, die Krone gegen die Wurzel 
des mittleren Schneidezahnes gerichtet war. Um die Zahnkrone herum zeigte 
sich durch einen scharf abgegrenzten runden Schatten eine beginnende zystöse 
Entartung an. Von unten, also vom Kieferrand her, ragte mit seiner Krone 
nach oben und der Wurzel nach unten ein Milchzahn in die Zyste hinein, 
so daß anscheinend Milchzahn und retinierter Schneidezahn im Lumen der 
Zyste in Artikulation standen. Der Milchzahn erschien um 180 Grad um 
seine Achse gedreht <Fig. 4 u. 5>. 

In Lokalanästhesie wurde nun aufgeklappt und der retinierte Milchzahn 
freigelegt und entfernt. Er stand tatsächlich in einer Achsendrehung von 
180 Grad im Kiefer, doch handelte es sich um eine Mißbildung, die offen¬ 
bar dem Milchgebiß angehörte. Nach der Extraktion zeigte es sich nämlich, 
daß wir einen Zwillingszahn — dies war im Röntgenogramm nicht deutlich 


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Beiträge zum Kapitel der Zahnzysten 


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— vor uns hatten, der in seinen Wurzelpartien fest verwachsen war, während 
die Kronen durch einen engen Spalt getrennt, doch eng aneinander gelagert 
waren. Jeder einzelne Teil für sich hatte die Gestalt eines kleinen Zapfen^ 
zahnes. Die Krone des retinierten seitlichen Schneidezahnes lag palatinal und 
etwas unterhalb der beiden Kronenhöckerchen in einer kleinen Ausbuchtung. 
Nachdem der Zwillingszahn entfernt war, konnte man die Krone des retU 
nierten seitlichen Inzisivus bequem in dem zystös erweiterten und eröffneten 
Follikelsack liegen sehen. Es wurde soweit die Öffnung erweitert, bis zu 
erwarten war, daß der retinierte Zahn sich bequem entwickeln konnte. 

Der Fall ist für unser Thema zunächst dadurch interessant, als wir hier 
gerade ein follikuläre Zyste in ihrem Anfangsstadium vor uns hatten. Die 
zystose Entartung wurde ausgelöst durch die Retention des Zahnes, die 
wieder veranlaßt war durch den vorhandenen Zwilfingszahn. Dieser lag 
direkt in der Durchbruchsrichtung des bleibenden Zahnes und bildete für 
diesen vor allem durch seine perverse Lagerung ein unüberwindliches Hindere 
nis zu seiner Entwicklung. Der Reiz, der infolge des Andrängens des seit^ 
liehen Inzisivus gegen den Zwillingszahn ausgelöst wurde, erzeugte wohl 
zunächst eine entzündliche Hyperämie und führte dann zur 
zystösen Entartung des Follikelsackes. Sekundär wurde dann 
auch der Zwillingszahn mit seinen Kronenpartien von der sich 
ausdehnenden Zyste umwachsen. 

Bisher wurde von mir das vorhandene Gebilde, das extra^ 
hiert wurde, ohne weiteres als Zwillingszahn angesprochen, 
weil ich eben diese Deutung für die wahrscheinlichste halte. 

Es kann aber im vorliegenden Fall wohl kaum der sichere Nach- Fi s* 5 
weis geführt werden, ob es sich nicht unter Umständen um 
eine Verschmelzung zweier normaler Milchzahnkeime gehandelt haben könnte 
und daß dann die Zapfenform eben durch diese Verschmelzung erst hervor^ 
gerufen worden wäre. Denn wir bezeichnen als Dentes confusi die Ver^ 
Schmelzung zweier normaler Zahnkeime, die dann zu einer Zeit vor sich 
geht, in welcher die Keime noch aus weichem Gewebe sind, und als Dentes 
geminati oder Zwillingszähne die Vereinigung eines normalen und über-» 
zähligen oder zweier überzähliger Zahnkeime zur gleichen Zeit. Ob nun das 
extrahierte Doppelgebilde aus normalen Zahnkeimen oder zum einen Teil 
aus normalen und zum anderen aus einem überzähligen oder zu beiden 
Teilen aus überzähligen Zahnkeimen stammt, läßt sich ohne Kenntnis des 
Milchgebisses nicht ohne weiteres feststellen, wenn auch die Wahrscheinlich^ 
keit, daß wir es mit einem echten Zwillingszahn zu tun haben, schon aus 
der Form des Gebisses geschlossen werden darf. 

Interessant ist hier auch die Frage, wie es zu der perversen Einstellung 
dieses Zwillingszahnes kam. Wir wissen, daß es im Milchgebiß viel weniger 
zu Stellungsanomalien kommt als im bleibenden. Das hat seinen Grund 
darin, daß dort viel weniger Faktoren mitzuwirken haben, um die Zähne 
normal einzustellen. Beim bleibenden Gebiß üben ihren ungünstigen Einfluß 
auf die Einstellung der Raummangel, konstitutionelle Erkrankungen, üble 



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350 


Hauenstein 


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Angewohnheiten, zu früher Verlust der Milch- und der bleibenden Zähne 
aus. Beim Milchgebiß kommen hauptsächlich nur Störungen während des 
intrauterinen Lebens in Frage. Wenn wir annehmen, daß es sich in unserem 
Fall um ein Gebilde handelt, das überzähligen Keimanlagen seine Entstehung 
verdankt, so ist die Retention wenigstens zunächst schon damit zu erklären, 
daß eben in der Milchzahnreihe kein genügender Raum für die Einstellung 
gegeben war. Andererseits müssen wir uns auch erinnern, wie solche über- 
zählige Zähne entstehen. Ich habe schon oben erwähnt, daß Adloff sie sich 
aus seitlichen Ausbuchtungen der Schmelzleiste, Dependorf aus Faltungen 
der Zahnleiste, die durch mechanische Einflüsse während der Embryonalzeit 
entstehen können, erklärt. In beiden Fällen ist aber damit eine wenn auch 
minimale Verschiebung des Zahnkeimes während der Entwicklung des Fötus 
gegeben. Dies kann zu einer Verlagerung des Zahnes Anlaß sein, aber auch 
zu einer Inversion des Zahnkeimes. Und in unserem Falle halte ich eine 
solche Umstülpung, die zu einer Drehung des Zahnkeimes in seiner Achse 
um 180 Grad führte und veranlaßt war durch eine 
falsche Lagerung des Zahnkeimes während der fötalen 
Entwicklung, für die einleuchtendste Erklärung. 

Zum Schluß noch folgender Fall: Fräulein St. ist 
seit über 9 Wochen anderwärts in zahnärztlicher Be- 
handlung. Es wurde vom Gaumen ausgehend eine 
Vorwölbung wahrgenommen, auf deren Höhe sich 
nach heftigen Schmerzen aus einer Fistel Eiter ent- 
leerte. Darauf wurde gaumenwärts inzidiert und öfters 
I tamponiert, ohne daß sich eine Besserung zeigte, im 
Fi g . 6 Gegenteil nahm der jauchige Geschmack in letzter 

Zeit noch zu. Die Patientin suchte nun unsere Klinik 
auf, und es zeigte sich an der linken Gaumenhälfte ungefähr in der Mitte 
ein etwa hanfkorngroßer Defekt. Bei der Palpation fühlt man unter dem 
Defekt und den umgebenden Weichteilen eine über markstückgroße Knochen- 
lücke durch. Die Gegend der linken fossa canina, insbesondere gegen den 
linken Nasenflügel zu, ist stark vorgewölbt, doch fühlt sich die ganze Gegend 
hart an. Der Eckzahn links oben fehlt. Der linke obere seitliche Schneide- 
zahn, der durch die enge Zahnstellung etwas um seine Achse gedreht 
steht, trägt eine mediale Silikatfüllung und ist stärker gelockert. Der mitt¬ 
lere, linke, obere Inzisivus wurde von dem behandelnden Zahnarzt tre¬ 
paniert und ist mit Fletscher verschlossen. Starker foetor ex ore. Es wird 
sofort eine follikuläre Zyste ausgehend vom retinierten linken Caninus ver¬ 
mutet, die wohl durch die Infektion vom gefüllten seitlichen linken Schneide¬ 
zahn aus vereiterte und zum Durchbruch gaumenwärts führte. Die sofort 
gemachte Röntgenaufnahme zeigt tatsächlich den retinierten Eckzahn, der 
mit seiner Krone in eine große Zyste hineinragt. In der Gegend der Wurzel- 
spitze vom linken seitlichen Schneidezahn ist eine etwas stärkere Aufhellung, 
die auf krankhafte, von der Wurzelspitze ausgehende Prozesse schließen 
läßt. Die Wurzelspitze selbst zeigt Resorptionserscheinungen <Fig. 6>. 



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Beiträge zum Kapitel der Zahnzysten 


351 


In Lokalanästhesie wird nach der Extraktion des linken seitlichen Inzisivus 
die Zyste nach der Partschsehen Methode breit eröffnet. Im Hohlraum 
findet sich ein in Eiter getränkter Jodoformgazestreifen. Die Zystenwand ist 
teilweise mazeriert. Der in das Cavum hineinragende Eckzahn wird entfernt, 
die Zystenwand wegen der Verjauchung in toto exstirpiert. Die Wurzel des 
linken, mittleren Schneidezahnes ist in ihrem lateralen Teil von der Zyste 
umwachsen, doch wird dieser Zahn zu erhalten gesucht. Der Weichteillappen 
wird in das Cavum hineintamponiert, so daß er der oberen Zystenknodien* 
wand auf liegt. Auf diese Weise wird eine raschere Heilung der Höhle er* 
hofft. Es hat sich um eine weit nach rückwärts reichende gut taubeneigroße 
follikuläre Zyste gehandelt, die ihren Ursprung genommen hat von dem 
retinierten linken oberen Caninus. Die Kieferhöhle war in ziemlicher Aus* 
dehnung seitlich verdrängt. Die Ursache zur Vereiterung der Zyste gab der 
linke seitliche Inzisivus ab. Ich stelle mir den Hergang so vor: Wie uns neben 
anderen gerade durch Wustrows neuere Arbeit gezeigt wurde, wird beim 
Legen von Silikatfüllungen die in der Flüssigkeit enthaltene Phosphorsäure 
nur zum Teil gebunden. Je dünner der Silikatbrei angerührt wird, um so mehr 
und um so länger läßt sich freie Phosphorsäure nachweisen. Diese freie Säure 
übt einen deletären Einfluß aus auf die lebende Zahnpulpa. Die Pulpa stirbt 
unter Säurewirkung ab, wird infiziert und verjaucht. In unserem Falle hat 
sich, dieser Prozeß am linken zweiten Schneidezahn vollzogen. Der Infektions* 
prozeß drang dann durch die Bakterienfortwanderung gegen die benachbart 
liegende Zyste vor und bewirkte eine Vereiterung des Zysteninhaltes. An* 
schließend kam es dann zu einem Durchbruch der Zyste gaumenwärts. 

Zum Schlüsse möchte ich noch einige wenige Worte über die in unserer 
Klinik angewandte Therapie der Zahnzysten und ihre Erfolge sagen. Wir 
operieren alle Zysten nach der von Pa rtsch angegebenen Methode, indem 
wir die Zyste zu einer Nebenbucht der Mundhöhle machen, d. h. nach Er* 
Öffnung und Abtragung der ganzen fazialen Wand so lange tamponieren, 
bis sich Mundepithel und Zystenepithel vereinigt haben. Bei kleinen Zysten 
oder in besonders gelagerten Fällen wird, wie es Partsch angegeben, der 
Zystenbalg in toto entfernt und primär vernäht. Zähne, deren Wurzel ins 
Lumen der Zyste hineinragen, werden nach vorhergehender Wurzelbehand* 
lung soweit reseziert, bis sie mit dem Zystenboden abschließen. Zähne, die 
nur seitlich an die Zyste angrenzen oder teilweise umwachsen sind, werden 
tunlichst erhalten. Die Verkleinerung der Höhle erfolgt in der ersten Zeit 
verblüffend rasch, dann allerdings dauert es oft geraume Zeit, bis sich die 
Mulde wieder ganz abgeflacht hat. Das hat aber für den Patienten weiter 
keinen Nachteil. Wir haben mit den eben erwähnten Methoden der Be* 
handlung derart gute Resultate erzielt, daß wir keine Veranlassung haben, 
dieselben zugunsten neuerer noch nicht bewährter Vorschläge, wie ich sie 
in der Abhandlung gestreift habe, aufzugeben. 


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DIE WAHL DES FÜLLUNGSMATERIALS 

VON 

PROF. DR. E. FEILER.FRANKFURT A. M. 

(NACH EINEM BEIM 25JAHRIGEN STIFTUNGSFEST DES ZENTRAL. 
VEREINS DEUTSCHER ZAHNÄRZTE FÜR DIE PROVINZ HESSEN. 
NASSAU GEHALTENEN VORTRAG. KASSEL, 10. JUNI 1922> 

M eine Damen und Herren! In dem Vierteljahrhundert, das seit der Grün. 

düng Ihres Vereins vergangen ist, haben sich so weittragende Verände¬ 
rungen auf dem Gebiete der konservierenden Zahnheilkunde vollzogen, daß 
es wohl berechtigt erscheint, wieder einmal von neuem die Grundlagen, auf 
denen unsere Tätigkeit beruht, zu untersuchen und festzustellen. 

Denn einerseits sind die Füllmaterialien und die Füllmethoden in diesem 
Zeitraum von Grund aus erneuert worden, andererseits hat sich der Kreis 
des zahnärztlichen Arbeitsfeldes seitdem völlig verschoben. 

Was für Füllmaterialien standen denn damals zu Gebote? Lediglich das 
Foliengold, die Amalgame und das Phosphatzement. Ihre Verwendung war 
stets auf nur ein Material beschränkt/ die Kombinierung der Materialien war 
trotz der Vorschläge von W. Sachs nur eine seltene. Die Porzellanfüllungen 
standen noch völlig in ihrem Anfang. Es war wohl das Jahr, in dem nach 
den vielen mühseligen Versuchen von Herbst, W. Sachs, Moeser u. a. 
Jenkins zum erstenmal über seine neue Methode berichtete. Heute können 
wir wohl mit berechtigtem Stolz auf die Veränderungen und Fortschritte 
dieses Zeitraumes hinweisen. Hat er uns doch außer vielem, was, im Augen, 
blick ein Fortschritt, wiederum durch Besseres verdrängt wurde, neben der 
Ausbreitung der gebrannten Porzellanfüllung auch die Silikatfüllung als Er- 
satz für das wenig zahnähnliche Phosphatzement gebracht/ liegen doch in ihm 
die Fortschritte und Errungenschaften, die durch Ollendorf mit dem Guß. 
verfahren erzielt wurden/ haben wir doch schon Ansätze zu einer noch ein- 
fächeren Verwendung des Porzellans in Gestalt des Porzellangusses. 

Das Arbeitsfeld aber hat sich in die Tiefe und Weite gestreckt einerseits 
durch die Möglichkeit, die Behandlung pulpa- und wurzelkranker Zähne zu. 
verlässig und exakt in einer bestimmten Zahl von Sitzungen durchzuführen 
und andererseits durch eine völlige Veränderung der Wünsche und Bedürf. 
nisse und auch der Zahl der zahnärztlichen Patienten. Während damals eine 
wirkliche Konservierung und Sanierung der Zähne zu den Seltenheiten ge. 


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Die Wahl des Füllungsmaterials 


353 


hörte, nimmt heute dank der Ausbreitung der allgemeinen Krankenversicherung 
und der Schulzahnpflege das ganze Volk an den Vorteilen einer dauernden 
Konservierung der Zähne teil/ oder vielmehr es sollte nach dem heutigen 
Stand unserer Wissenschaft und Technik daran teilnehmen. Leider aber 
scheitert dies Verlangen vielfach an der Tatsache, daß die Kassen, die fast 
ausschließlich über die zu bewilligenden Kosten und daher auch über die ein« 
zuschlagenden Wege zu entscheiden haben, für die Konservierung der Zähne 
nicht die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Dieser, man muß sagen, 
kurzsichtige Standpunkt rächt sich später infolge der großen Mehrkosten, die 
für den Ersatz der einmal verlorengegangenen Zähne aufzubringen sind. Es 
steht zu hoffen, daß mit der Ausbreitung der systematischen Schulzahnpflege 
auch auf diesem Gebiete die bisherigen noch nicht ausreichenden Erfolge sich 
allmählich vergrößern. 

Häufig kommt es vor, daß ältere Kandidaten, wenn sie aus den Ferien, 
aus einer vorzeitigen Vertretung eines Zahnarztes ihres Heimatortes zurück« 
kehren, mit der Frage an mich herantreten: „Wozu lernen wir Einlage* und 
Hämmerfüllung? In der Praxis kommt man ja douh nur zu plastischen Fül* 
lungen, zu Amalgam* und Silikatfüllungen/ denn die Kasse bezahlt ja nicht 
mehr." Es mag wohl unter den Praktikern vielfach derselbe fatalistische Ge* 
danke obwalten. Die Kasse bezahlt nicht mehr, die wenigen Privatpatienten 
können es noch weniger, also ergibt sich die Regel, Mahlzähne werden mit 
Amalgam gefüllt, Frontzähne mit Zementen, alles weitere ist vom Übel. Ich 
bin der Meinung, daß dies ein schlechter und unhaltbarer Standpunkt ist. 
Wir müssen im Gegenteil durch die Güte und Zuverlässigkeit unserer Lei* 
stungen und durch Gewöhnung und Belehrung des Publikums allmählich 
dazu kommen, daß die Kasse ihren Angehörigen das als zweckmäßig und 
zuverlässig Erkannte bewilligt, und dadurch erst wird ein wirklicher Nutzen 
für die große Masse der Zahnkranken geschaffen werden. Das wird im Verein 
mit einer frühzeitig genug betriebenen Zahnpflege in der Jugend die so not* 
wendige Anerkennung der konservierenden Zahnheilkunde bringen, die sich 
bei dem dadurch erzielten Rückgang der notwendigen technischen Leistungen 
allmählich auch in einer höheren Wertung der konservierenden Tätigkeit durch 
die Kassen aussprechen wird. Dies scheint mir das Ziel, das Praxis und 
Theorie vereinen muß, und von diesem Gesichtspunkt aus will ich versuchen, 
die Wahl des Füllungsmaterials zu erläutern. 

Unbedingte Notwendigkeit ist, daß auch da, wo die Mittel zur Konservie¬ 
rung vorhanden sind, in der heutigen Zeit die Wahl des Füllungsmaterials in 
vielen Fällen vpn sozialen Momenten abhängig gemacht werden muß, und 
es ist Sorge zu tragen, daß die Leistungsfähigkeit des Patienten in einem ge¬ 
wissen Verhältnis zur aufgewendeten Mühe, zur aufgewendeten Zeit und 
zu den aufgewendeten Kosten stehe. Es wäre verfehlt, heutzutage und be¬ 
sonders in Deutschland eine langwierige und kostspielige Arbeit vorzunehmen, 
die für die Gesundheit des Patienten nur einen geringen Nutzen, z. B. kos¬ 
metischer Natur, verspricht. Dagegen darf man nicht verkennen, daß das 
eigene Zahnmaterial des Patienten immer kostbarer bleiben wird, als alles 

Vierte fjahrsschri ft für Zahn Heilkunde, Heft 3 23 


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354 E. Feiler 

zum Ersatz verwandte Material und daß der Nutzen, den eine für lange 
Zeit oder dauernd haltbare Arbeit unter Erhaltung der noch vorhandenen 
Zahnsubstanz für den Patienten bringt, derart groß ist, daß augenblickliche 
Aufwendungen an Zeit und Mühe dadurch gerechtfertigt werden. Es muß 
also die Sicherheit, die noch gesunde Zahnsubstanz und damit den Zahn 
und das gesamte Gebiß in seinem Zusammenhang dauernd zu erhalten, in 
den Vordergrund gerückt werden. 

Daneben ist Sorge zu tragen, daß in jedem einzelnen Fall die Zwecke 
mäßigkcit der Behandlung im richtigen Verhältnis zu den wirtschaftlichen Er^ 
fordernissen des Patienten steht. Infolgedessen ist auch die von seiten des 
Patienten aufzuwendende Zeit bei der Wahl des Füllungsmaterials aus- 
giebig zu berücksichtigen. Man muß von vornherein die Sitzungen berechnen, 
die für eine sachgemäße und einwandfreie Arbeit erforderlich sind, und die 
Arbeit so genau einteilen, daß sie mit der mindest möglichen Zahl von Wegen 
für den Patienten erreicht wird. Dagegen darf andererseits, um nur ein Bei- 
spiel zu nennen, niemals auf die Separation der Zähne verzichtet werden, 
um dadurch eine Sitzung zu sparen: denn hierdurch würde der Kontaktpunkt 
und der zuverlässige zervikale Randschluß in Frage gestellt und die zukünf- 
tigen Schädlichkeiten, die Reizung der Papille und die sekundäre Karies 
würden den augenblicklichen Nutzen wesentlich übersteigen. 

Bei der Wahl des Füllungsmaterials muß noch ein häufig übersehener Ge- 
danke in den Vordergrund treten. Die Forderungen, die wir an eine 
Füllung stellen, können von einem Material allein nicht erfüllt 
werden. Der Grund hierfür liegt darin, daß von einer Füllung alle Eigen¬ 
schaften gleichzeitig verlangt werden müssen, die die einzelnen Schichten des | 
Zahnes besitzen, die Härte des Schmelzes, die Elastizität des Zahnbeins, die 
Reizlosigkeit für die Zahnpulpa. 

Bekanntermaßen besitzt das eine Material die eine, das andere Material 
die andere dieser Eigenschaften, und da wir bei jeder Zahnfüllung sämtliche 
Sorten von Eigenschaften brauchen, so ist dies nur dadurch zu erreichen, 
daß wir in jedem Falle mehrere Materialien verwenden und niemals nur 
mit einem Material auszukommen trachten, daß wir also regelmäßig die ge¬ 
eignetsten Materialien zu einer zweckmäßigen Füllung kombinieren. Die 
Erklärung für den außerordentlichen Nutzen aller Sorten Einlagefüllungen 
scheint mir darin zu liegen, daß hier stets das dem Zahnbein ähnlichste Ma¬ 
terial, das Phosphatzement, als Zwischenglied eingeschoben wird, und der 
Erfolg der doublierten Amalgamfüllungen, die den Einlagefüllungen ja am 
nächsten stehen, beruht auf demselben Grunde. Grunderfordernis also ist 
erstens einmal die Kombination verschiedener Materialien. 

Von den augenblicklich zur Verfügung stehenden Füllmethoden kommen 
daher neben den Goldhämmerfüllungen die Metalleinlagefüllungen, die dou¬ 
blierten Amalgamfüllungen, die Porzellaneinlagefüllungen und die Silikat¬ 
füllungen für unsere heutige Besprechung am wesentlichsten in Betracht. 

Was die GoldhämmerfüHungen anbelangt, so sind auch diese, da sie 
von uns nach dem Vorschlag von W. Sachs stets als noncohäsiv-cohäsivc 



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Die Wahl des Füllungsmaterials 


355 


Füllungen angefertigt werden, als Kombinationsfüllungen anzusprechen. Sie 
gewährleisten den sichersten Abschluß an die Zahnwände, eine völlige Lln^ 
Schädlichkeit für die harten- Zahnsubstanzen — bei naheliegender Pulpa 
ist eine Schutzschicht aus Zementnelkenöl unterzulegen — aber sie haben 
keine zahnähnliche Farbe, und ihre Verarbeitung ist zweifellos mühsam. 
Infolgedessen dürfen sie nur in unsichtbaren Höhlen und dort hergc^ 
stellt werden, wo ihre Anfertigung nicht zu große Opfer an Zeit erfordert, 
d. h. nur in nicht zu großen Höhlen. Sie sind das Idealmaterial für alle von 
palatinal zu eröffnenden, approximalen Kavitäten erwachsener Frontzähne 
und für die nicht sichtbaren Zahnhalskavitäten der Frontzähne und kleinen 
Backenzähne. 

An allen sichtbaren Stellen der Frontzähne, d. h. an den Labialflächen 
und an den von labial her zu eröffnenden Approximalflächen, sowie bei allen 
Kavitäten jugendlicher Frontzähne, ist die Goldhämmerfüllung nicht wün^ 
sehenswert. Hier ist es die gebrannte Porzellan füllung, die zweifellos die 
besten, zuverlässigsten und zufriedenstellendsten Resultate ergibt. Ihr völlig 
zahnähnliches Aussehen, ihre, bei einiger Übung und zwedemäßiger Höhlen^ 
präparation leichte und für den Patienten schonende Herstellung sollte ihre 
viel häufigere Anwendung bedingen,- die Silikatzemente hingegen ergeben 
keinen vollgültigen Ersatz für die gebrannte Porzellanfüllung. Denn zwei 
Mängel vor allem haften ihnen an. Der eine ist ihr nach einigen Jahren un^ 
scheinbares Aussehen, der andere die zweifellose Schädigung der Pulpa, die 
sich immer häufiger nach kürzerer oder längerer Zeit bemerkbar macht. Je 
länger die Beobachtung der Silikatzemente dauert, desto mehr erkennt man, 
daß ein zuverlässiger Schutz gegen die Schädigung der Pulpa bisher nicht ge^ 
funden ist und daß stets eine Gefahr für das Leben der Pulpa bei Anwen¬ 
dung der Silikatzemente besteht. Die unangenehmen Zufälle, die diese mit 
sich bringen, führen allmählich dazu, daß man von der Verwendung von 
Silikatzementen bei lebender Pulpa trotz aller Schutzmaßnahmen abraten 
muß. Die Silikatzemente sind meiner Ansicht nacfi zuverlässig nur an^ 
zuwenden bei tiefen Zerstörungen an den Frontzähnen, nach vorangegan¬ 
gener Wurzelbehandlung, um den betreffenden Zahn noch für einige Jahre 
vor dem Kronenersatz schützen zu wollen. Bei jugendlichen Zähnen, mit 
ihren noch weiten Dentinkanälchen, ist ihre Anwendung völlig ungeeignet. 

Größere Zerstörungen der Frontzähne und der Verlust von Kanten und 
Ecken ist zweckmäßig, soweit nicht bereits ein technischer Ersatz unum¬ 
gänglich ist, durch eine Kombination von Metalleinlagefüllung mit Porzellan^ 
einlagefüllung zu ersetzen. Diese allerdings zeitraubende und mühselige Arbeit 
gibt bei einiger Übung ganz hervorragende kosmetische und kaufunktionelle 
Resultate. Sonst werden Metalleinlagefüllungen in Frontzähnen im allge^ 
meinen selten indiziert sein. Amalgamfüllungen dürfen mir in ganz seltenen 
Fällen angewendet werden, nämlich dann, wenn eine Approximalkavität 
durch eine Prothese dauernden Reibungen und Schädlichkeiten ausgesetzt ist 
und der schon stark gelockerte oder in der Wurzel freigelegte Zahn ein 
kostspieligeres Füllmaterial nicht mehr rechtfertigt. 

23 * 


C 


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356 


E. Feiler 


Bei allen Kavitäten der Mahlzähne dagegen spielen diese beiden Füll- 
methoden eine wesentliche Rolle. Hier scheint bei zweckmäßiger Präparation 
und bei zuverlässiger Eröffnung und Vorbereitung der Höhle die Anwen¬ 
dung von Metalleinlagefüllungen denen der plastischen Materialien er¬ 
heblich vorzuziehen. Denn bei aller Anerkennung der guten Eigenschaften 
der Amalgame ist doch im großen und ganzen ihre Volumenbeständigkeit 
und ihre Adaptationsfähigkeit nicht ganz zuverlässig. Häufig sehen wir se¬ 
kundäre Karies bei Amalgamfüllungen auftreten/ häufig auch Paradental- 
reizungen durch überstehende Amalgamränder, die erst allmählich durch das 
Fließen des Amalgams trotz sorgfältiger Bearbeitung aufgetreten sind. An¬ 
dererseits bietet die Metallgußfüllung diese Schädigung niemals, und dies 
rechtfertigt ihre wenn auch langwierigere Anwendung. Was das Material 
anbelangt, so haben wir schon vor dem Krieg, auf Veranlassung von 
W. Bruck, an der konservierenden Abteilung in Breslau neben dem natürlich 
besten 20- oder 22 kar. Gold, der Materialersparnis wegen, Feinsilber ver¬ 
wendet. Das Feinsilber steht mit den wichtigsten in Betracht kommenden 
Eigenschaften gerade in der Mitte zwischen Gold und Amalgam. Es ist 
etwas härter als Gold, besitzt aber dafür eine größere Zähigkeit/ es ist 
weicher und weniger spröde als ein erhärtetes Amalgam, weist sicher keine 
Volumenveränderung, weder positiv noch negativ, auf und hat nicht die 
dem Amalgam anhaftende Eigenschaft des Fließens unter Druck. 

Wir benutzen es bei unserem poliklinischen Material seit mehreren Jahren 
in ausgedehntem Maße und können es als sehr brauchbares Füllungsmaterial 
für Einlagefüllungen empfehlen. Der einzige Nachteil ist eine häufig auf¬ 
tretende Schwarzfärbung der Füllungsoberfläche durch Oxydation des Silbers. 
Der Zahn selbst verfärbt sich niemals. — Mit der Wittschen Silberzinn¬ 
legierung haben wir nicht so gute Resultate aufzuweisen, weil der Guß häufig 
mißglückt ist und das Material sich viel spröder erwies als Feinsilber. — 
Randolf-Metall, das ebenfalls für Einlagefüllungen brauchbar wäre, ist 
wegen seiner elektrolytischen Eigenschaften in Mundhöhlen, die irgendwelche 
Goldpräparate aufweisen, nicht zu gebrauchen und scheidet daher aus der 
Reihe der empfehlenswerten Materialien aus/ denn es ist immer damit zu 
rechnen, daß einmal ein Zahn verlorengeht und durch eine Goldkrone oder 
eine mit Gold befestigte Porzellankrone ersetzt werden muß. 

Die Metalleinlagefüllung gewährleistet sicheren Randschluß, dauernde Vo¬ 
lumenbeständigkeit und die Möglichkeit des so unumgänglich notwendigen 
Konturaufbaues. Ihre Verarbeitung ist bei zweckmäßiger Arbeitseinteilung 
für den Patienten nicht zeitraubender als die der Amalgame,* denn auch die 
Amalgamfüllung muß, wenn sie berechtigten Ansprüchen genügen soll, in 
einer zweiten Sitzung poliert werden, während bei der Metalleinlagefüllung 
in der zweiten Sitzung die Politur gleich nach dem Erhärten des Zementes 
stattfindet. Ist durch Zusammenrücken der Zähne eine Separation notwendig 
geworden, so läßt sich diese bei der Amalgamfüllung nur durch mindestens 
eine neue Sitzung erzielen, da die maschinelle Separation gerade bei Amalgam¬ 
füllungen wegen des nachträglichen Zusammendrückens des noch weichen Ma- 


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~ Ürigiral frcm 

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Die Wahl des Füllungsmaterials 


357 


terials nicht zu empfehlen ist. Bei der Metalleinlagefüllung hingegen genügt 
es, das Separiermaterial — Mastix watte oder Guttapercha nach der Vor¬ 
bereitung der Höhle bzw. nach der Abdrucknahme einzulegen ,• bis zum Ein** 
setzen der Füllung ist dann eine genügend starke Separation vorhanden, und 
der Kontaktpunkt läßt sich leicht erreichen, indem man auf die ursprüngliche 
Füllung in der Gegend des Kontaktpunktes ein Stückchen 0,2 mm dickes 
Blech auflötet urtd das Ganze verschleift. Dadurch ist die Erzielung eines 
genügenden Konturaufbaues gesichert und die nachträgliche Reizung der Pa¬ 
pille ausgeschlossen, und ebenso sind Verfärbungen und Schädigungen des 
Zahnbeins durch Eindringen des Materials in die Dentinkanälchen bei ihrer 
Verwendung nicht zu befürchten. Auf einen häufig vorkommenden Fall, bei 
dem die Metalleinlagefüllung mir unersetzlich erscheint, sei noch hingewiesen. 
Oft geht sowohl bei Bikuspidaten wie bei Molaren die Zerstörung so vor 
sich, daß nach der Vorbereitung der Höhle nur mehr die schwachen bukkalen 
und palatinalen Wände stehenbleiben. Bei der Verwendung der Metallein- 
lagefullung kann man einen derartigen Zahn dauernd erhalten, wenn man 
die noch vorhandenen Wände so weit fortschleift, daß sie außer Artikulation 
gesetzt werden, und das Metall darüber baut, so daß es als feste Kante 
einen dauernden Schutz für die Wände bietet. Bei Verwendung von Amal¬ 
gam ist dies nicht möglich, weil es zu spröde ist und sich nicht in so dünner 
Schicht verarbeiten läßt. Daher muß man die schwachen Seitenwände in Arti¬ 
kulation lassen und früher oder später kommt es zu einem Längsbruch einer 
Wand, die häufig so tief reicht, daß der noch verbleibende Wurzelrest auch 
für eine Krone nicht mehr ausreicht. Die Metalleinlagefüllung ist daher indi¬ 
ziert bei allen approximalen und bukkalen Kavitäten der Mahlzähne und 
beim Verlust großer Teile der Zahnkrone/ sie scheint geeignet, in vielen 
Fällen das Amalgam zu verdrängen und durch diese bessere Methode er¬ 
setzen zu lassen. 

Wenn wir so die edleren Füllmethoden, die einen größeren Aufwand an 
Zeit und Mühe verlangen, auch für die allgemeine und die Kassenpraxis in 
den Vordergrund rücken und ihnen ihre berechtigte Stellung auch hier zu 
sichern trachten, so dürfen wir doch nicht übersehen, daß für die plastischen 
Füllungen noch ein weites Arbeitsfeld stets übrig bleiben wird. Denn der 
vermehrte Arbeitsaufwand hat nur da Sinn und Zweck, wo ernstlich der 
Wille zur Sanierung und Erhaltung des Gebisses besteht. Er wäre ver¬ 
fehlt bei allen denjenigen Patienten, die aus Indolenz, aus Gleichgültig¬ 
keit, aus Angst und wie die Gründe alle heißen mögen, den Zahnarzt 
nur aufsuchen, wenn es gar nicht mehr anders geht, wenn akute Schmer¬ 
zen, akute Entzündungen, der Zusammenbruch oder die Lockerung eines 
Zahnes es unumgänglich notwendig machen. Wo man sieht/ daß aller gute 
Rat zwecklos ist, daß mangelnde Zahnpflege jede Mühe zuschanden werden 
läßt, wird man natürlich keine doch nutzlose Mehrarbeit leisten, sondern sie 
lieber denen zugute kommen lassen, die sie zu schätzen wissen. Hier aber 
glaube ich, daß sich große und befriedigende Arbeitsmöglichkeiten gerade in 
der Kassenpraxis und ebenso auch in der Schulzahntätigkeit bieten. 


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358 


E. Feiler 


Um zu beweisen, daß sich auch in der heutigen Zeit und auch im poli- 
klinischen Betrieb bzw. in der Kassenpraxis durch Erziehung der Patienten 
gute Resultate in bezug auf die Veredelung unserer Methoden erzielen lassen, 
will ich einige Zahlen aus der Abteilung für konservierende Zahnheilkunde 
des Zahnärztlichen Universitätsinstitutes zu Frankfurt a. M. mitteilen. <Ta- 
belle I.) 


TABELLE I 


Univ.-Inst. : 

f 1 

Jahrg.: 

Zahl d 1 
Fllg.: 

Plast. 
Fllg. : 

Edel- 
| Füg.: 

Porz.- 
Fllg.: 

Goldg.- 

Fllg.: 

1 

Goldh.- 

Fllg.: 

Silberg.- 

Fllg.: 

Verhältnis 
der plasr. rar 
Edel-Fllg. 
in %: 

Frankfurt a. M. 

1916 

1800 

1700 

, 109 

19 

- 

90 

_ 

93: 5 


1919 

2500 

2100 

400 

72 

166 

169 

— 

84: 16 


1920 

3200 

: 2600 

1 615 

170 

199 

97 

149 

80:20 


| 1921 

4200 

3400 

! 750 

97 

1 212 

195 

244 

79:21 


Während also die Gesamtzahl der gelegten Füllungen sich in der Berichts- 
zeit von 1800 jährlich auf 4200 jährlich also um das 2V 2 fache gesteigert 
hat, beträgt die Zunahme bei den plastischen Füllungen das Doppelte, bei 
den edleren Füllungsmethoden das 772 fache. Das Verhältnis der plastischen 
Füllungen zu den edleren Füllungen hat sich demnach bei uns innerhalb we-- 
niger Jahre und zwar hauptsächlich durch Erziehung der Patienten trotz der 
jetzt wesentlich ins Gewicht fallenden Mehrkosten von 95 : 5 bis 79 : 21 steigern 
lassen. Vergleicht man die Zahlen mit denen, die aus der Vorkriegszeit von 
anderen deutschen Universitäts-Instituten veröffentlicht wurden, die aus 
Tabelle II ersichtlich sind, so sieht man daraus, daß unsere Prozentzahlen 


TABELLE II 


Univ.-Inst.: 

Jahrg.: 

Zahl d. 
Fllg.: 

Plast. 
Fllg.: 

Edcl- 
Fllg. : 

Porz.- 
Fllg.: 

Goldh.-' 

Fllg.: 

Goldg.- 
* Fllg.: 

Zinng.- 

Fllg.: 

Verhältnis 
der plast. zur 
Edel-Fllg. 
in %: 

Straftburg 

09/10 

2484 

2187 

324 

17 

307 

— 

— 

85: 15 

Jena 

07/08 

836 

740 

96 

4 

92 


— 

84: 16 

Halle a. S. 

01 

685 

447 

• 138 

9 

122 


7 

75:25 

Breslau 

01/02 

1626 

1144 

482 

39 

412 

— 

31 

72:28 

Pennsylvania 


13000 

5268 

7715 

359 

5909 

677 

777 

40:60 


wesentlich besser sind als die aus Straßburg und Jena, und daß sie die 
von Halle und Breslau bereits nahezu erreichen. Interessant ist ein Ver¬ 
gleich mit den Zahlen, die von dem Zahnärztlichen Universitätsinstitut Penn¬ 
sylvania durch Walkhoff veröffentlicht wurden. Diese stellen sich mit einem 
Verhältnis von 40:60 ja wesentlich anders als irgendwelche deutsche Zahlen. 
Dies hängt, wie Walkhoff bereits feststellt, im wesentlichen zusammen mit 


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Die Wahl des Füllungsmaterials 


359 


der Frage der genügenden oder ungenügenden Assistenz, die für Unterrichts^ 
zwecke verfügbar ist/ aber es ist kein Zweifel, daß der Student, der auf der 
Universität wesentlich mit edlem Material Füllungen angefertigt hat, auch 
später in der Praxis diese Materialien mehr und mehr bevorzugen wird. Wir 
dürfen nicht verkennen, daß die gesamte zahnärztliche Hilfe in Amerika, was 
die Versorgung der großen Masse der Bevölkerung betrifft, mit zuverlässig 
geren und besseren, allerdings im Augenblick auch erheblich kostspieligeren 
Methoden arbeitet als in Deutschland. Wenn wir erkannt haben, daß dies 
ein erstrebenswertes Ziel ist und daß die augenblicklichen Mehrkosten für 
die Zukunft eine Verminderung der im ganzen aufzuwendenden Kosten be^ 
deuten, so müssen wir versuchen, dieses Ziel auch in unserem Wirkungskreis 
zu verfolgen und durchzusetzen. Nur dauernde Kleinarbeit kann hier ein 
gutes Endresultat, vielleicht erst in längerer Zeit, erreichen. Hieran mitzu^ 
arbeiten und zur Mitarbeit hieran aufzufordern, war der Zweck meiner Aus^ 
führungen. 


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L 

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-W3- 



AUS DEM ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUT DER UNIVERSITÄT BRESLAU 

DIREKTOR: GEHEIMRAT PROFESSOR DR. PARTS CH 

EINE RÖNTGENOLOGISCHE PRÜFUNG DER 
KONSERVIERENDEN BEHANDLUNG DER 
CHRONISCHEN PERIODONTITIS 

VON 

DR. HUGO BRASCH 

ARZT UND ZAHNARZT, ASSISTENT AM ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUT DER UNIV. BRESLAU 

D ie konservierende Behandlung der Wurzelhautentzündung will im Gegen^ 
satz zur radikalen Methode, bei der der Zahn geopfert wird, die Kranke 
heit unter „Konservierung" des Zahnes heilen. 

Seit Partsch 1 den pathologisch anatomischen Befund der chronischen 
Periodontitis genau umschrieben und darauf aufbauend eine Methode an~ 
gegeben hat, ihrer unter Erhaltung des Zahnes in geeigneten Fällen durch 
chirurgische Maßnahmen Herr zu werden, ist immer wieder die Frage auf* 
geworfen worden, ob und wann die chirurgische oder die medikamentöse 
Therapie zur Behandlung dieser Krankheit besser am Platze sei. Schon 
Partsch hatte in seinen obenerwähnten Arbeiten betpnt, daß die blutige 
Methode keineswegs die allein zum Ziele führende sei, sondern daß die 
medikamentöse Behandlung häufig, auch bei Bestehen einer Fistel noch im^ 
stände ist, den Zahn zur Ausheilung zu bringen. Hauptmeyer 2 hat in 
seiner, mit dem Biberpreis ausgezeichneten, Arbeit sehr anschaulich solche 
Fälle in Röntgenbildern geschildert. 

Wir wollen uns nun die Frage vorlegen, wie weit es möglich ist, im Rönt¬ 
genbilde zu erkennen, welche der beiden Behandlungsarten am Platze ist, ob 
eine Wurzelbehandlung genügt oder ob der Herd ausgeräumt werden muß. 
Wollen wir eine röntgenologische Differenzierung der Periodontitiserkran* 

1 Partsch, Ober Wurzelresektion D. M. f. Z. 1899, Die chronische Periodontitis und 
ihre Folgezustände, ö. Z. f. St. 04. — Die Aufklappung der Schleimhautbededcung d. 
Kiefer D. M. f. Z. 05. — Ober chronische Periodontitis Nordisk Tandia kare Tidskrift 
1906 — Die chronische Wurzelhautentzündung Heft 6 d. Dtsch. Z. i. V. herausgegeben 
von Witzei. — Handbuch der Zahnheilkunde Band I, herausgegeben von Partsch, 
Bruhn, Kantorowicz. 

2 Hauptmeyer, Zur medikamentösen Therapie der chronischen Wurzelhautentzün¬ 
dung, mit besonderer Berücksichtigung der Rtg.-Befunde vor und nach der Behandlung 
D. M. f. Z. 1912. 


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Eine röntgenologische Prüfung der konservierenden Behandlung 361 

kungen versuchen, so ist dazu als Voraussetzung selbstverständlich, daß auch 
pathologisch-anatomisch Verschiedenheiten bestehen. 

Wir müssen also zunächst einmal nachforschen, ob wir Veränderungen 
finden, die nur chirurgisch heilbar erscheinen, gegenüber solchen, die durch 
medikamentöse Beeinflussung rückbildungsfähig erscheinen. 

Nach Partsch kann man die Wurzelhautentzündung einteilen in 1. akute, 

2. chronische, 3. chronische mit akutem Nachschub. Die akute trifft nach P. 
eine unveränderte Wurzelhaut,- die Pulpenkammer ist geschlossen, es kommt 
infolge der Entzündungserscheinungen zu einer Drucksteigerung und dem- 
entsprechend zu klinischen Erscheinungen. Die pathologischen Erscheinungen 
entsprechen dem Bilde akuter Entzündungen. Die Exsudation aus den Ge¬ 
fäßen steht im Vordergründe, aber auch andere Kardinalsymptome wie die 
FunktiolaesaRubor, Dolor fehlen nicht. Im Röntgenbilde sehen wir häufig gar 
keine Besonderheiten, gelegentlich eine Verbreiterung der periodontalen Linie, 
als Zeichen der im Bereich dieses Gewebes stattfindenden Schwellung. Eine 
Gewebsdegeneration und Proliferation findet nur im geringen Umfange statt, 
und dementsprechend sind im allgemeinen die Erscheinungen leicht rückbil- 
dungsfähig und medikamentös gut beeinflußbar. 

Bei der chronischen Periodontitis haben wir es im Gegensatz dazu mit 
einer — bei offenem Pulpenraum — langsam verlaufenden Irritation der 
periapikalen Gewebe zu tun, die erhebliche Zerstörungen zur Folge haben 
und von Granulationsbildungen begleitet sein kann. Die Gewebsteile, die 
diesen Schädigungen ausgesetzt sind, sind 1. das Periodontium, 2. der Zahn, 

3. der Kiefer. Der Verlauf der Erscheinungen entspricht dem gewohnten 
Verlauf der Entzündungen, wie sie z. B. Ziegler 1 beschreibt. Die konge¬ 
stive Hyperämie im Anfang bleibt aus und es entsteht alsbald — die für 
die Entzündung charakteristische Zirkulationsstörung —: die Verlangsamung 
des Blutstromes im erweiterten Strombett und die durch Alteration der 
Gefäßwände bedingte pathologische Exsudation aus den Gefäßen. Es 
findet zunächst eine Durchfeuchtung des Gewebes statt,- dann kommt es zu 
einer produktiven Zelltätigkeit, die Veränderungen in der Alveole nach sich 
zieht,- zur Bildung von Granulationsgewebe. Durch faserige Umbildung 
können sich daraus kleine bindegewebige Anhänge an der Zahnwurzel ent¬ 
wickeln. <Tumeures fibreuses Magitot.) 

Bei der Wurzelhautentzündung mit akutem Nachschub verändert sich das 
Bild dadurch, daß etappenweise — unter starken klinischen Erscheinungen — 
der Prozeß weitergeht und das Granulationsgewebe schließlich den Knochen, 
die Schleimhaut oder gar die äußere Haut zu durchbrechen vermag,- aber 
auch ohne Durchbruch kann es im Kiefer selbst zu gröberen Zerstörungen 
und zur Entstehung einer Höhle kommen. 

Was die medikamentöse Heilbarkeit betrifft,- so sind dafür bei der chro¬ 
nischen Entzündung nach Hauptmeyer <s. o.) eine Reihe von Gesichts¬ 
punkten maßgebend. Er hat zur Wurzelfüllung Chlorphenolzementpaste be¬ 
nutzt und schiebt ihr infolge ihres chemotaktischen Einflusses auf die Leu- 

1 Ziegler: Allg. Pathologie, Jena 1905. 


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362 


Hugo Brasch 


kozyten eine austrocknende und bakterizide Wirkung zu. Die Leukozyten 
brächten durch Phagozytose und, durch bei ihrem Zerfall freiwerdende, Fer- 
mente Heilung zuwege. Nach hinreichender Säuberung der Knochenhöhle 
durchwüchsen die Granulationen die Höhle, und nach Ablauf von Monaten 
würde das Granulationsgewebe durch Knochen ersetzt. 

Wir haben hier, ohne Chlorphenol, mit Schwefelsäure-Natronbi.-Trikresol 
Formalinbehandlung und Thioform-Creolin-Guttaperchafülfung der Wurzel- 
kanäle gleiche Resultate erzielt. Demgemäß möchte ich weniger dem Chlor¬ 
phenol als der bei jeder Entzündung vorhandenen pathologischen Exsudation 
aus den Gefäßen die Anwesenheit zahlreicher Leukozyten zuschreiben. 

Es bleiben aber immer noch die Fragen zu beantworten: wie kann es 
das eine Mal durch Phagozytose zu einer Reinigung der Knochenhöhle von 
Granulationen und dann zu einer Durchwachsung derselben Höhle mit neuen 
Granulationen kommen, während im anderen Falle nur die gewaltsame 
Entfernung mit dem scharfen Löffel die Heilung ermöglicht? Weshalb müssen 
überhaupt die Granulationen entfernt werden, da zur Heilung neue Granu¬ 
lationen nötig sind? 

Das Granulationsgewebe ist nach Ziegler <s. u.> ein durch Zell- 
proliferation entstandenes, von Leukozyten und Lymphozyten durchsetztes 
Keimgewebe. Seine Zellen bestehen demgemäß aus: 1. gewucherten Ge¬ 
webszellen, 2. polynukleären Leukozyten, 3. mononukleären Leuko- und 
Lymphozyten. 

Die gewucherten Zellen sind meist Fibroblasten, das heißt also Binde¬ 
gewebszellen, welche auch wieder Bindegewebe produzieren, doch können 
Abkömmlinge auch von anderen Geweben, wie u. a. dem Periost Osteo¬ 
blasten), in dem Keimgewebe enthalten sein. Das Zahnbeingewebe dagegen 
ist bekanntlich nicht regenerationsfähig. Im weiteren Verlauf können die Fibro¬ 
blasten Bindegewebsfibrillen bilden. 

Die polynukleären Leukocyten sind dagegen nicht umbildungsfähig, sie 
können aber entweder durch Phagozytose etwa vorhandene Bakterien un¬ 
schädlich machen oder gleichsam kampflos zugrunde gehen und schließlich als 
Eiterkörperchen abgestoßen werden, sei es an die Körperoberfläche, sei es 
in einem sich bildenden Abszeß. 

Die Lymphozyten und mononukleären Leukozyten können sowohl an der 
Phagozytose teilnehmen, als auch, unter Veränderung ihrer Form, die Struktur 
verschiedener Gewebszellen annehmen und dauernde Bestandteile des Körpers 
bleiben <als epithefoide Zellen, als bindegewebsähnliche spindliche, besonders 
aber als vielkernige Riesenzellen). Zu einem großen Teil aber gehen auch 
sie zugrunde und w r erden abgestoßen. 

Dieses eben geschilderte Granulationsgewebe ist imstande, ebenso einen 
Thrombus, der sich bei der Läsion des Gewebes zunächst gebildet hatte, als 
auch nekrotisches Gewebe, das nicht sequestriert und nach außen abgestoßen 
wurde, zu substituieren und ein gefäßreiches Bindegewebe an seine Stelle 
zu setzen, hinter Obliteration zahlreicher Gefäße und Kontraktion des Ge¬ 
webes kann sich daraus ein straffes Narbengewebe entwickeln. 


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Eine röntgenologische Prüfung der konservierenden Behandlung 


363 


Bis zu einem gewissen Grade besteht die Möglichkeit, das verlorenge¬ 
gangene Gewebe wieder zu ersetzen, d. h. die Regenerarionsfähigkeit. So 
kann, z. B. zwischen den, wie oben erwähnt im Keimgewebe möglicher-^ 
weise enthaltenen Osteoblasten eine homogene oder faserig dichte Grund¬ 
substanz erscheinen, mit Kalksalzen imprägniert werden, und damit zu 
Knochen werden. 

All das, was hier von Granulationsgewebe gesagt wurde, trifft auf die 
akute Entzündung zu, die chronische Entzündung schafft andere Verhältnisse. 
Eine Entzündung wird chronisch dadurch, daß die rasche Heilung verhindert 
wird: durch zu große Gewebsdefekte, nicht abstoßbare Sequester, durch 
dauernde schädliche äußere Einwirkungen, durch Ernährungsstörungen in dem 
betroffenen Körperteil, durch chronische Intoxikationen und durch Infektionen. 
Durch die chronische Entzündung bedingt, entsteht die chronische Granu¬ 
lation, die fungöse Granulation, Caro luxurians oder auch Granulom 
genannt. Für sie ist es typisch, daß sie längere Zeit als solche bestehen 
bleibt und nicht in Bindegewebe umgewandelt wird. 

Wie sind diese Darlegungen nun auf die Verhältnisse am Zahn anwend¬ 
bar? Nun, es scheint wohl klar, daß die Granulationen, die in langsamem 
Wachstum erst den Knochen destruiert und eine Höhle in ihm gebildet 
haben durchaus ungeeignet sind, diesen Knochen wieder aufzubauen. Es 
gibt eben verschiedene Arten von Granulationen: 1. die gesunde Granulation, 
die einen Heilungsvorgang darstellt und durch Bildung von Bindegewebe 
zur Narbenbildung oder auch gelegentlich durch Regeneration zur Restitutio 
ad integrum führt. 2. die chronische Granulation, die sich gleichsam Selbst¬ 
zweck geworden ist und ein Heilungshindernis darstellt. 

Für die Therapie ergeben sich aus diesen Betrachtungen folgende leitende 
Gesichtspunkte: gesunde Granulationen kann man anregen, vor allem aber soll 
man alles, was der normalen Heilung schaden kann, von ihnen fernhalten, 
so weit das möglich ist. Dafür kommt in unserem Falle, am Zahn, in der 
Hauptsache die Infektion vom Wurzelkanal aus in Frage. Da es auch bei 
gesunden Granulationen zur Bildung und Abstoßung von Eiterkörper¬ 
chen kommt, ist auch eine Fistelbildung möglich und, gemäß dem Ge¬ 
sagten, absolut kein Gegengrund, eine Ausheilung ohne Operation rein 
medikamentös zu erreichen. Bei geeigneter Wurzelbehandlung und Fül¬ 
lung werden wir mit einem sicheren Erfolg rechnen können. 

Handelt es sldi um chronische Granulationen, so erscheint es fraglich, ob wir 
nach Beseitigung der sie verursachenden chronischen Entzündung durch ge¬ 
eignete Wurzelbehandlung usw. ihre Umbildung in gesunde Granulationen 
ohne weiteres erwarten dürfen. In manchen Fällen sind zweifellos keine 
Heilungsaussichten vorhanden, wenn wir das Granulom nicht entfernen und 
dadurch neuen, gesunden Granulationen das Feld freimachen, nämlich dann, 
wenn am Knochen oder Zahn schon gröbere Zerstörungen durch die chroni¬ 
schen Granulationen stattgefunden haben. 

Besteht nun die Möglichkeit, solche chronischen Granulationen von ge¬ 
sunden zu unterscheiden, ohne sie zu sehen? 


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364 


Hugo Brasch 


Als erster Anhaltspunkt gilt die klinische Beobachtung. Bei der Anamnese 
sind langewährende Erkrankungen mit mehreren akuten Nachschüben suspekt 
bezügl. der Granulombildung. Ferner müßte auch das Rtg. wertvolle Hin- 
weise geben können, durch Darstellung gröberer Veränderungen am Knochen 
oder Zahn. Am Knochen läßt sich vielleicht die Höhlenbildung röntgeno- 
logisch darstellen, und am Zahn müßten Veränderungen an der Wurzel- 
spitze oder im Kanal, die auf die Bildung von Granulomen oder die Un- 
möglichkeit der Anwendung der medikamentösen Therapie schließen lassen, 
im Rtg. sichtbar werden. Daß es auch am Zahn zu ganz erheblichen Ver- 
änderungen kommen kann, sehen wir auf den beiden ersten Bildern <Fig. 1 
und 2>, die dem Partsch sehen Handbuch d. Z. entnommen sind. 

Auf den Abbildungen sehen wir zwei Wurzeln, die so erheblich durch Gra¬ 
nulationen angenagt sind, daß sie fast Milchzahnwurzeln ähneln, die in Re¬ 
sorption befindlich sind. Sind die Wurzeln erst einmal so deformiert, so 
bildet ihre zackige Oberfläche an sich schon ein Hindernis für die Heilung 
und einen weiteren Anreiz zur Bildung chronischer Granulationen. Doch 
damit ist es noch nicht genug. Die so deformierte Wurzel kann an ihren 
zackigen Enden, worauf schon Partsch <s. o.> hin wies, Zahnsteinansatz er¬ 
halten, falls eine Kommunikation mit dem Munde besteht, sei es durch eine 
Fistel, sei es durch die offene Pulpakammer. Die Figuren 3, 4, 5 zeigen 
solche Fälle von sogenanntem Eiterstein. Bei 3 handelt es sich nur um ein 
kleines Klümpchen an der Wurzelspitze, während 4 und 5 geradezu groteske 
Verunstaltungen an der Wurzel aufweisen. 

Bevor wir im folgenden an Hand von Röntgenbildern und Krankenge¬ 
schichten das eben Gesagte nachprüfen, möchte ich noch die Frage der Aus¬ 
lührung der Therapie besprechen. Hier im Institut wird, wie erwähnt, medi¬ 
kamentös mit Schwefelsäure oder Königswasser Natronbicarbonicum und 
Trikresolformalin behandelt und mit Thioformkreolin Paste und Guttapercha¬ 
spitze gefüllt, doch lassen sich dieselben Erfolge m. E. auch mit anderen 
Methoden der Wurzelbehandlung und Füllung erzielen. Die Hauptsache ist 
zweifellos eine möglichst exakte Füllung nach möglichster Sterilisation. Die 
Durchspritzungsmethoden durch Fisteln sind umständlich und im Erfolg un¬ 
sicher. Ob wir eine Verödung des Caro luxurians damit erreichen, ist un¬ 
sicher, und ich halte die Methode besonders deshalb für nicht empfehlenswert, 
weil wir in der Wurzelspitzenresektion nach Partsch einen ganz sicheren 
Weg haben, auf dem wir der Granulome Herr werden können. Deshalb 
erscheinen mir auch Modifikationen, wie z. B. der Vorschlag von Masur 1 , 
eine H 2 S0 4 -Behandlung nach Glätten der Wurzelspitze mit dem Bohrer 
vorzunehmen, als unzulänglich und daher abzulehnen. Auf chirurgischem 
Gebiete möchte ich also die hier geübte Methode der breiten Aufklappung, 
Freilegung des Herdes und Auskratzung mit nachfolgender Naht, als die 
einzig empfehlenswerte hinstellen. 

Nun zu den Fällen: Zunächst werden wir eine Reihe von Bildern sehen, 
die eine Aufhellung aufweisen, aber die Knochenzeichnung, wenn auch ver- 

1 Masur, Beitrag zur Behandlung des chronischen Alveolarabszesses. Korr. f. Z. 1903. 


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Eine röntgenologische Prüfung der konservierenden Behandlung 


365 


wischt, doch noch erkennen lassen. Hier handelt es sich mehr um eine Durchs 
feuchtung, und demgemäß kommen wir auch mit medikamentöser Therapie 
zum Ziel. Im Gegensatz dazu sehen wir bei den nicht heilbaren Granulomen 
sehr intensive Aufhellung und keine Knochenzeichnung. Schließlich können 
wir auch die obenerwähnten Heilungshindernisse im Rtg. beobachten. 

Bei Figur 6 und 7, die die oberen Schneidezähne der 23 Jahre alten Pat. 
Marie H. darstellen, können wir nebeneinander verschiedene Stadien der 
Ausheilung beobachten. Es w'aren hier die Zähne von anderer Seite zwar 
mit Kronen^ und Goldfüllungen versehen worden, eine sachgemäße WurzeL 
behandlung und Füllung aber hatten sie nicht erhalten. Als sie durch Fisteln und 
Schmerzen beim Essen der Pat. allmählich immer mehr Beschwerden machten, 
suchte diese unsere Hilfe auf. Hier wurde festgestellt, daß sämtliche Zähne 
Fisteln hatten und perkussionsempfindlich waren. Das Rtg. <Fig. 6> zeigte an 
sämtlichen Wurzeln Aufhellungen, die zwar sehr umfangreich waren, die 
Knochenzeichnung aber noch erkennen ließen. Die Zähne wurden trepaniert, 
die Wurzeln behandelt und gefüllt. Die sechs Wochen später aufgenommene 
Rtg. Fig. 7 zeigt links eine starke Verkleinerung des Herdes, rechts beson^ 
ders bei 21 noch eine größere Aufhellung und eine Verbreiterung der perio^ 
dontalenLinie, so daß wir annehmen müssen, daß hier die Aufsaugung der 
Durchfeuchtung noch nicht vollendet ist. 

Auch beim zweiten Falk Bertha B. 605/19 <Fig. 8 und 9>, sind es mehrere 
Zähne, die befallen und behandelt sind, und die wir auf dem zweiten Bild 
<Fig. 9> in verschiedenen Heilungsstadien sehen. Es handelte sich um eine alte 
chronische Periodontitis, die öfter Schmerzen beim Kauen gemacht hatte und 
besonders infolge einer bestehenden Fistel sehr unangenehm empfunden wurde. 
Das bei Beginn der Behandlung aufgenommene Rtg. <Fig. 8> zeigt bei |"3 
eine deutlichere halbmondförmige Aufhellung, an der Wurzelspitze von 
|T und [2 eine distal in die Tiefe gehende geringe Aufhellung, die die perio^ 
dontale Linie verwischt. An den Zähnen sind keine Besonderheiten. Klinisch 
war die Behandlung nach 14 Tagen erfolgreich zu Ende geführt,-Wurzelkanal 
und Zahn wurden, da die Pat. beschwerdefrei, der Zahn reaktionslos und der 
Kanal geruchlos blieb, gefüllt. Auf dem nach löMonaten aufgenommenen Rtg.- 
Kontrollbild <Fig. 9> sehen wir, daß bei dem kleinen Schneidezahn die AuF 
hellung geschwunden ist und gleichmäßig gezeichneten Knochenbälkchen Platz 
gemacht hat. Hier ist die Heilung also vollendet, während beim Edczahn eine 
geringe Verbreiterung der periodontalen Linie darauf schließen läßt, daß die 
letzten Spuren der Durchfeuchtung noch zu tilgen sind. 

Auch auf den folgenden Bildern sehen wir, daß die anatomische Heilung mit 
der klinischen nicht immer Schritt hält, sondern recht lange Zeit in Anspruch 
nehmen kann. Es handelt sich um eine chronische Periodontitis, bei der es 
schon zu einer Schwellung des Gesichts und Fistelbildung gekommen war 
und die der Pat. <Stud. Max Sch.) deshalb beseitigt haben wollte. Auf dem 
Rtg. <Fig. 10) sehen wir am Knochen keine gröbere Veränderung, sondern 
nur eine Auf hellung im unteren Wurzeldrittel, die die periodontale Linie zum 
Verschwinden gebracht hat. Am Zahn sind keine Besonderheiten. In fünf 


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Sitzungen wurde klinisch Heilung erzielt und Zahn und Wurzel abge 
Die zehn Monate später angefertigte Kontrollaufnahme <Fig. 11) zeigt einen 
auch anatomisch weit fortgeschrittenen Heilungsvorgang, die Knochenbälkchen 
sind bis dicht an den Zahn herangerüdct, allerdings noch nicht sehr deutlich 
erkennbar. 

Bei dem Postbeamten L. 1670/20 bestand im rechten Oberkiefer am ersten 
Mahlzahn eine chronische Periodontitis, die in fünf Sitzungen zur Ausheilung 
gebracht werden konnte. Das erste Bild zeigt — unmittelbar nach der Be- 
handlung aufgenommen worden — an der mesialen Wurzel eine ausgedehnte, 
nach mesial sich erstredcende Aufhellung, die nicht sehr intensiv ist. Die ein 
Jahr später aufgenommene Kontrollaufnahme läßt sehr schön die vollendete 
Heilung auch anatomisch erkennen, indem wir statt der Aufhellung jetzt 
überall normale Knochenbälkchen sehen. 

Bei Fräulein Erna R. 1905/19 handelte es sich um eine dironische Perio- 
dontitis am linken unteren ersten Prämolar. Auf Fig. 14 ist die sehr um¬ 
fangreiche, aber gar nicht intensive Aufhellung deutlich abgrenzbar. Fig. 15, 
die drei Jahre später aufgenommen ist, zeigt, daß die Aufhellung völlig ver- 
schwunden ist. Klinisch war schon nach vier Sitzungen Erfolg erzielt worden. 

Auch der jetzt folgende Fall war günstig für die medikamentöse Behand¬ 
lung. Es handelt sich bei der Pat. stud. phil. S. S. um den linken unteren 
6er, der ihr seit Monaten allmählich immer stärker werdende Schmerzen 
beim Essen bereitete. Die Untersuchung ergab geringen Kronen-, stärkeren 
apikalen Drudeschmerz an dem kariösen Zahn, der keine Fistel hatte. Auf dem 
Rtg. <Fig. 16> sehen wir an der mesialen Wurzel eine größere Aufhellung, sowie 
eine Verbreiterung der periodontalen Linie. Die übliche medikamentöse Be¬ 
handlung führte rasch zum Ziel. Nach viermonatlicher Beobachtung, in der 
der Zahn dauernd schmerzfrei und gebrauchsfähig war, wurde eine zweite 
Aufnahme gemacht. Hier sehen wir die Aufhellung vollkommen verschwun¬ 
den und auch die Verbreiterung nur noch leise angedeutet. 

Bei dem Studenten W. handelt es sich um eine von dem überkronten linken 
oberen 4er ausgehende chronische Periodontitis, deren anatomischen Be¬ 
fund Fig. 18 zeigt: Eine runde, ziemlich scharf begrenzte Aufhellung unter 
der Wurzelspitze. Sie ist nicht intensiv und nicht gleichmäßig, die periodon- 
tale Linie an der Spitze zackig und breit, sonst überall glatt und schmal, an 
der Wurzel sind Besonderheiten nicht wahrnehmbar. 

Die Wurzelbehandlung führte nach fünf Behandlungen zum Ziel: die sub¬ 
jektiven Beschwerden waren behoben, die Sekretion hörte auf, und der Kanal 
konnte gefüllt werden. Die Reaktionslosigkeit hat angehalten. Das einhalb Jahr 
später aufgenommene Rtg. <Fig. 19> zeigt statt der Aufhellung überall nor¬ 
males Knochengewebe, also auch anatomisch eine Heilung. 

Die nun folgende Abbildung <20> zeigt die Rtg. der Pat. Liesbeth K., die 
im Jahre 1913 wegen einer chronischen Periodontitis mit Fistelbildung erfolg¬ 
reich medikamentös behandelt wurde. Es hat sich seither kein Rezidiv und 
keinerlei Beschwerde eingestellt. Wir sehen eine das untere Ende der Wur¬ 
zelspitze umfassende Aufhellung, die die Knochenstruktur noch erkennen 


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Eine röntgenologische Prüfung der konservierenden Behandlung 


367 


läßt, ihre Abgrenzung ist unscharf, ihre Ausdehnung nicht unbedeutend. Die 
periodontale Linie ist an der Wurzelspitze nicht mehr erkenntlich, an Wurzel 
und Kanal finden sich' keinerlei Besonderheiten. 

Die nach sieben Jahren aufgenommene Kontrollaufnahme zeigt eine völlige 
restitutio ad integrum. 

Bei der Pat. Magdalene H. handelte es sich um einen linken oberen Zer, 
der eine Fistel hatte und, was die Pat. besonders störte, verfärbt war. Zu 
Schwellungen war es, trotzdem die Fistel schon angeblich sehr lange bestand, 
nie gekommen. Die Rrg. <Fig. 22) zeigt eine sehr große Aufhellung von 
mäßiger Intensität, die sich besonders nach distal erstreckt. Die Wurzel ist 
nur zur Hälfte gefüllt. Die, nach Entfernung der Füllung, begonnene Wur¬ 
zelbehandlung, die hier wegen der Bleichung mit einer Wasserstoffsuper- 
oxydbehandlung kombiniert wurde, führte nach acht Sitzungen zum Ziel: 
Verschwinden der Fistel, Aufhellung und Reaktionslosigkeit des Zahnes. 
Eine nach vier Tagen auftretende Drudcschmerzhaftigkeit unterhalb des linken 
Nasenflügels verschwand nach drei Monaten wieder, nach sechs Monaten 
waren klinisch keinerlei pathologische Symptome mehr am Zahn oder Kiefer 
feststellbar. Die nach dieser Zeit gemachte Rtg. <Fig. 23> zeigt ein fast voll- 
kommenes Verschwinden der Aufhellung, eine glatte periodontale Linie,* an 
der Wurzelspitze ist unter dem Foramen apicale ein schwarzer Punkt sichte 
bar, der von einem helleren kleinen Hofe umgeben ist. Es handelt sich offen¬ 
bar um etwas Paste, die bei der Wurzelfüllung durchgepreßt wurde und 
die Ursache der bereits abgelaufenen geringen Beschwerden gebildet hat. 
Für die Heilung dürfen wir diesen Befund als irrelevant bezeichnen. 

Auch bei der Pat. Ida H. 766/21 waren es hauptsächlich kosmetische Ge¬ 
sichtspunkte, die sie veranlaßten, eine Behandlung ihres [2 vornehmen zu 
lassen. Die Untersuchung ergab geringen Kronen- und etwas mehr apikalen 
Druckschmerz, sowie eine Fistel und Veränderung des Perkussionsschalles. 
Die Röntgenaufnahme <Nr. 24> zeigt eine ziemlich große, das untere Wurzel¬ 
drittel umfassende Aufhellung, die deutliche Spuren der Knochenzeichnung 
aber noch erkennen läßt. Die periodontale Linie ist in ihrem Bereich un¬ 
kenntlich. Nach vier Wochen war die Pat. geheilt und ist es in einjähriger 
Beobachtung geblieben. Die dann aufgenommene Rtg. <Fig. 25) zeigt, daß 
die Knochenzeichnung bei dem 2er, der bei dem 1er vollkommen gleicht,* 
von einer Aufhellung ist nichts mehr zu sehen, die periodontale Linie ist 
deutlich. 

Der nächste Fall, Frl. Helene Sch., kam im Januar 22 zur Behandlung. Es 
handelte sich hier um die beiden mittleren oberen Schneidezähne, welche 
durch Schmerzen beim Essen und gelegentliche Schwellungen der Patientin 
seit einem Jahr dauernd Beschwerden machten. Die vor Beginn- der Behand¬ 
lung aufgenommene Rtg. <Fig. 26) zeigt beide Wurzeln ungefüllt und an 
ihrer Spitze eine nicht scharfbegrenzte Aufhellung von geringer Größe und 
Intensität. Nach fünf Wurzelbehandlungen konnte die Wurzelfüllung vor¬ 
genommen werden. Klinisch blieb die Patientin in dreimonatiger Beobachtung 
beschwerdefrei/ das zweite Rtg. <Fig. 27> hat folgenden Befund: 


L 


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368 Hugo Brasch 

Der linke, größere Herd ist vollkommen verschwunden, rechts ist 
Wurzelfüllung verwendete Paste durch das Foramen apicale gedrungen, 
dort ist auch noch eine, wenn auch geringe, Aufhellung wahrnehmbar. Die 
Zeichnung des Periodontiums, die vorher <Fig. 26> an der Spitze des linken 
lers verwischt war, ist jetzt wieder klar und deutlich. 

Wir kommen nunmehr zu einer Reihe von Fällen, in denen die medika* 
mentöse Behandlung nicht zum Ziele führte. 

Bei der Pat. Marie G. war anamnestisch eine große Anzahl akuter Nach-* 
schübe festzustellen. Die angeblich seit Jahren versuchte medikamentöse Be* 
handlung habe die Pat. weder von der Zahnfistel noch von den Schmerzen, 
noch von der Wiederkehr akuter Nachschübe befreien können. Klinisch wurde 
geringe Veränderung des Klopfschalles, Perkussionsempfindlichkeit und api* 
kaler Druckschmerz festgestellt. Der Kanal war gut zugänglich, eine Son* 
dierung erzeugte Stichschmerz. Das Rtg. <Fig. 28> zeigt eine intensive Auf* 
hellung von größerem Umfang an der distalen Wurzelspitze mit Verwischung 
der periodontalen Zeichnung. Die Operation förderte ein die Wurzelspitze 
umfassendes Granulom zutage. 

Im Vergleich mit den anderen Bildern von geheilten Fällen ist bei 
diesem Rtg. zu bemerken, daß sowohl eine intensive, als auch eine um* 
fangreiche Aufhellung vorhanden ist und diese beiden ungünstigen Merk* 
male, zu denen sich die suspekte anamnestische Angabe zahlreicher akuter 
Nachschübe gesellt, ließen die durch die Operation bestätigte Diagnose: 
medikamentös nicht mehr beeinflußbares Granulom bereits vorher ver* 
werten. 

Die Pat. Käte F. 1367/20 nahm zahnärztliche Hilfe in Anspruch wegen 
dreier Fisteln im Unterkiefer. Sie gibt an, daß sich vor ca. zwei Jahren 1112 
plötzlich gelockert hätten und gleichzeitig eine Entzündung und Schwellung 
des Zahnfleisches eingetreten sei. Sie habe sich in Behandlung eines Arztes 
begeben, der Jod gepinselt habe. In 14 Tagen sei nach Abklingen der Ent¬ 
zündung und Schwellung Heilung eingetreten. Im Oktober v. J. wäre ein 
schmerzhaftes Rezidiv eingetreten, worauf Pat. das Institut aufsuchte. Bei 
der Aufnahme 19. X. wurde <außer S tomat itis ulcerosa) durch elektrische 
Untersuchung ein negatives Resultat bei 1112 festgestellt. Die Zähne wurden 
trepaniert, die Wurzelbehandlung vermochte aber keinen Erfolg zu erzielen. 
Das Rtg. <Fig. 29) zeigte einen großen, alle drei Wurzelspitzen umfassenden 
Herd. Nach Füllung der Wurzelkanäle wurde die Aufklappung vorgenommen 
<22. XI. 20). In der Gegend von [2 quoll aus dem Knochen in Breite eines 
Hanfkornes aus der Tiefe Granulationsmasse. Die Öffnüng wurde mit dem 
Fräser erweitert und auf diese Weise eine bis 2,5 cm breite, mit Granu lations* 
masse angefüllte Höhle freigelegt, in die Wurzelspitzen von |1, 2 hinein* 
ragen. Wurzelspitze und Höhle werden gut ausgefräst. Desinfektion mit Jod* 
dämpfen, Naht. 29. XI.: Entfernung der Nähte, Airol. 15. XII. Kontroll* 
aufnahme: Diese ist nicht nur wegen der erfreulichen Verkleinerung des 
Herdes interessant, sondern weil sie zeigt, wie sich gesunde Granulationen 
im Rtg. ausnehmen. 



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Eine röntgenologische Prüfung der konservierenden Behandlung 


369 


Bei der Pat. Marie K., Abb. 31, waren auch eine Reihe akuter Nachschübe 
anamnestisch zu verzeichnen/ auf dem Rtg. ließ die zackig arrodierte Wurzel- 
spitze das Vorhandensein eines Granuloms als Ursache der medikamentös 
nicht geheilten chronischen Periodontitis vermuten. Die Operation zeigte einen 
bis zum kleinen Schneidezahn reichenden Herd und eine von Periodont ent- 
blößte zackige Wurzelspitze am großen Schneidezahn. 

In den nächsten drei Fällen wurde die operative Nachuntersuchung nicht 
vorgenommen, doch reden die Rtg. auch allein eine deutliche Sprache. 

Die Figuren 32, 33 betreffen die beiden kleinen Schneidezähne des Stu¬ 
denten P. Sch. Er gab an, schon seit geraumer Zeit einen geringen Druck¬ 
schmerz und Fisteln bemerkt zu haben,- auch Gesichtsschwellungen seien 
aufgetreten. 

Die nach Trepanation der Zähne eingeleitete Wurzelbehandlung ver¬ 
mochte keine Heilung zu erzielen. Das Rtg. klärte den Mißerfolg auf, indem 
es bei [2 einen Herd zeigte, der zu einer zackigen Rarefikation der Wurzel¬ 
spitze geführt hatte,- 2] hatte gleichfalls eine recht intensive Aufhellung und 
eine konkave Zuspitzung der Wurzelspitze, die wohl auch als pathologisch 
zu betrachten ist. 

Das Rtg. der Pat. Marie Caroline G. <Nr. 34> zeigt eine Deformation der 
Wurzelspitze an beiden Seiten, die an die erste Figur <Fig. 1> erinnert, und 
eine Aufhellung, die mehr als die Hälfte der Wurzel umfaßt. Außerdem wird 
die Behandlung des Kanals durch eine, sein Lumen verlegende Nervnadel¬ 
spitze unmöglich gemacht. 

Die Pat. Anna F. wurde wegen eines akuten Nachschubes bei T] aus der 
med. Klinik dem z. I. überwiesen. Eine medikamentöse Ausheilung des 
schuldigen Zahnes war nicht zu erreichen, sondern es blieb nach Ablauf der 
akuten Erscheinungen eine Fistel sowie starke Schmerzhaftigkeit des Zahnes 
bei Einlagen zurück. Das Rtg. <Fig. 35> zeigte eine ebenso intensive wie 
ausgedehnte Aufhellung. Die vorgeschlagene Operation konnte wegen Über¬ 
führung der Patientin in eine auswärtige Lungenheilanstalt hier nicht aus¬ 
geführt werden. 

Es kann nicht unerwähnt bleiben, daß auch Zysten, Osteomyelitis und 
Alveolarpyorrhoe Erscheinungen machen können, die den der chronischen 
Periodontitis ähneln. Darum will ich von diesen drei Erkrankungen noch je 
ein typisches Rtg. zeigen, das wesentlich zur richtigen Diagnose beitrug. 

Da es zu weit führen würde, den ganzen differentialdiagnostischen Sym- 
ptomenkomplex hier auseinanderzusetzen, begnüge ich mich mit der rönt¬ 
genologischen Prüfung der Frage. 

Die Patientin Gertrud W. 135/22 kam wegen einer länger als 1 1 / 2 Jahr 
bestehenden Fistel über JJ zur Behandlung. Gesichtsschwellungen gibt 
sie an, zweimal gehabt zu haben, außerdem habe sie häufig ein dumpfes 
schmerzhaftes Druckgefühl bei T"|. Pergamentknittern und Vorwölbung 
waren klinisch nicht nachweisbar, so daß hier das Rtg. <Fig. 36> über¬ 
raschend aufklärend wirkte. Es zeigte nämlich eine sehr große, runde, 
scharf abgegrenzte Aufhellung, in die 2] hineinragt und durch überliegende 

Viertel jahrssdiri ft für Zahnheilkunde, Heft 3 74 


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370 Hugo Brasch 

Knochenspangen in ein oberes und unteres Segment geteilt wird. Die Größe 
der Aufhellung, ihre scharfe Abgrenzung und runde Form ließen eine 
radikuläre Zyste von 2| ausgehend vermuten, und die Operation bestätigte 
die Diagnose. 

Der Pat. Alwin Z. wurde im Mai 1919 überwiesen wegen einer Fistel und 
Wurzelhautentzündung, die angeblich unter sehr starken klinischen Erschei¬ 
nungen, — Fieber, Schwellung, Rötung, Schmerzhaftigkeit — an dem ganz 
intakten 2] vor 14 Tagen aufgetreten sei. Der Befund bei der Aufnahme 
ergab starke Schwellung und Rötung der Kinnpartie, sowie Lockerung 
und Schmerzhaftigkeit der reckten unteren Schneidezähne, zwei Fisteln. Das 
Röntgenbild zeigt einen sehr großen dreieckigen Herd, der die Wurzeln der 
beiden rechten Schneidezähne umfaßt und von erheblicher Ausdehnung ist. 
Nach sechs Wochen wurde ein Sequester angestoßen, der in seiner Form 
genau der Aufhellung entsprach und sich als Teil der vorderen Unterkiefer* 
alveole erwies. Es hatte sich demgemäß um eine Osteomyelitis gehandelt. 
Hier sind die klinischen Symptome — der akute Beginn mit stürmischen Er* 
scheinungen, die Lockerung und Bildung mehrerer Fisteln an den ganz in* 
takten Zähnen — ebenso charakteristisch wie das Rtg., das die auffallend 
große gleichmäßige, zackige Aufhellung zeigt. 

Bei der Pat. Hedwig V. war, als sie wegen heftiger Schmerzen im Unter* 
kiefer zahnärztliche Hilfe aufsuchte, zuerst an eine Periodontitis gedacht 
worden, und später, da ein akuter Beginn mit heftigen Schmerzen und ge* 
ringer Schwellung anamnestisch angegeben wurde, an die sich eine Lockerung 
der unteren Schneidezähne angeschlossen hätte, wurde sogar eine Osteo* 
myelitis diagnostiziert. 

Bei der Aufnahme zeigten T[ und 2}eine tiefe Zahnfleischtasche, aus der sich 
bei Druck reichliches Sekret entleerte, starke Lockerung und Schmerzhaftig* 
keit bei Kronen* und apikalem Druck. 

Das Rtg. (Nr. 38) zeigt: Schwund der Alveole, period. Linie und Knochen* 
Struktur dagegen unverändert. Also handelte es sich um Alveolarpyorrhoe. 
Durch die entsprechende Therapie wurde der Fall rasch geheilt. 

Wir sind nunmehr am Schluß der Kasuistik angelangt und wollen jetzt 
die eingangs gestellten Fragen an ihrer Hand beantworten. 

Da können wir zunächst feststellen, daß der akute Nachschub in der 
Anamnese der medikamentös nicht beeinflußbaren Fälle kaum fehlt, im Gegen* 
satz zu den durch Wurzelbehandlung usw. geheilten Fällen. 

Es unterliegt daher wohl kaum einem Zweifel, daß akute Nachschübe für 
das Vorhandensein von Granulomen sprechen. 

Nun zum Vergleich der Röntgenbilder übergehend, können wir weitere 
wertvolle Feststellungen machen: Die Größe und Intensität der Aufhellung 
geht proportional mit der Bildung des Granuloms. Je mehr an Stelle des 
normalen Knochens Granulationsgewebe tritt, desto größere Veränderungen 
zeigt der Röntgenschatten bezüglich der Struktur des Gewebes. Die perio* 
dontale Linie, die normalerweise die Zahnwurzel als feinen hellen Strich 
umschließt, zeigt die ersten Veränderungen. Sie wird undeutlich, breit und 


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Eine röntgenologische Prüfung der konservierenden Behandlung 


371 


verliert sich schließlich ganz. Die Knochenstruktur ist zunächst etwas heller, 
aber noch immer deutlich gezeichnet. Das läßt sich an den Bildern am Über¬ 
gang des normalen in das veränderte Gewebe deutlich erkennen. Dann er¬ 
scheinen später die Lücken in der Zeichnung des Knochengewebes größer. 
Das ist wohl so zu erklären, daß eine Durchfeuchtung und Entkalkung des 
Gewebes stattfindet. Hier ist die Grenze dann schwierig zu ziehen, zwischen 
der verhältnismäßig leicht reparablen Entkalkung und der Annagung des 
Knochens durch die Granulationen. Die Durchfeuchtung kann große Partien 
des Knochens erfassen <M. H. Nr. 22>, die Höhlenbildung auf kleinere Teile 
sich beschränken <M. G. Nr. 28, M. K. Nr. 31>. Der Unterschied liegt 
hauptsächlich in der verschiedenen Zeichnung des Knochens, dessen Bälk- 
eben bei M. G. <Fig. 28) kaum noch kenntlich sind, während Nr. 22 deutliche 
Struktur zeigt. 

Auch die röntgenologische Betrachtung des Zahnes ergibt wertvolle Hin¬ 
weise: 

Verschiedene Arten der Verunstaltung an der Wurzel haben wir gesehen 
<M. K. Fig. 31, P. Sch. Fig. 32, 33, M. C. G. Fig. 34). Die Verlegung 
des Kanals ist auch bemerkenswert <J. H. Fig. 25, M. C. G. Fig. 34), weil 
sie evtl, auch eine Kontraindikation für die medikamentöse Behandlung 
bilden kann. , 

Mithin können wir die obengestellten Fragen dahin beantworten, daß wir, 
abgesehen von der klinischen Beobachtung, auf das Vorhandensein eines 
Granulationsherdes schließen können, wenn wir auf dem Rtg. eine beson¬ 
ders tiefe oder ausgedehnte Aufhellung sehen oder wenn Arrosionen an 
der Wurzel zu beobachten sind. 

Betrachten wir nunmehr den Heilungsvorgang, so sehen wir, daß der 
klinischen Symptomlosigkeit keineswegs immer eine röntgenologische ent¬ 
spricht. Das ist entweder das erste Stadium der Heilung oder ein dauernder 
Zustand. Wenn wir nämlich auch durch die Behandlung, die Säuberung 
und Füllung des Wurzelkanals den von dort stammenden Teil der Rei¬ 
zungen, die zur Bildung von Granulationen geführt hatten, beseitigt haben, 
so ist es doch möglich, daß noch außerdem eine Quelle von Irritationen, die 
der Organismus zwar durch Abkapselung in Schach halten, aber nicht sogleich 
beseitigen kann, bestehen geblieben ist. Hierbei kann es sich sowohl um 
mechanische oder chemische Läsionen des Gewebes handeln — wie ein 
kleines Quantum durch das Foramen apicale getretener Füllungspaste, wie 
auch um zurückgebliebene, wenig virulente Bakterien. 

Klinisch machen die Abwehrmaßnahmen des Organismus so wenig Er¬ 
scheinungen, daß wir den Fall als „geheilt" betrachten, und nur eine gewisse 
Veränderung des Klopfschalles oder eine ganz geringe apikale Druckschmerz- 
haftigkeit deuten darauf hin, daß in der Alveole des betreffenden Zahnes 
noch nicht alle pathologischen Zustände beseitigt sind. Vergleichen lassen sich 
damit vielleicht jene Bilder von Abkapselungen und Vernarbungen, die der 
pathologische Anatom an den Lungen von Steinarbeitern findet, oder an den 
Lungen von Leuten, die, vielleicht kaum bemerkt, vor langer Zeit einmal eine 

24* 


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372 


Hugo Brasch 


kleine tuberkulöse Infektion hatten, die ausheilte und ihnen bis an ihr Lebens- 
ende nie wieder Beschwerden gemacht hat. Praktisch können demgemäß auch 
an den Zähnen solche Fälle als „Heilungen" bezeichnet werden. 

Wir wollen nunmehr die verschiedenen Stadien der Heilung röntgenolo- 
gisch vergleichen. Vollkommene Heilung, soweit diese auf den Rtg. feststell¬ 
bar ist, finden wir bei B. B. Fig. 9 am |T nach 16 Monaten, — bei E. R. 
Fig. 15 am |4 nach drei Jahren — bei S. Sch. Fig. 17 am [(> nach 4 Mona¬ 
ten — bei W. Fig. 19 am |_4 nach J / s Jahr — bei L. K. Fig. 21 [2 nach 
sieben Jahren. 

D. h. es ist nach vier Monaten bei S. Sch. ein restitutio ad integrum be¬ 
reits möglich. Das ist doch wohl nur so zu erklären, daß es noch nicht zur 
Zerstörung des Knochens gekommen war und die auf dem Bilde <Fig. 16> 
dargestellten Veränderungen leicht reparabler Natur waren. Die Granu¬ 
lationen sind noch nicht umfangreich gewesen und haben nur eine Entkalkung 
der benachbarten Gewebsteile bewirkt. 

Vergleichen wir hiermit die Fig. 30 K. F., die die Heilung einer Gra¬ 
nulationshöhle darstellt, so sehen wir, daß die Knochenzeichnung ver¬ 
waschen ist und stellenweise gänzlich fehlt. Es entspricht dieser Befund den 
Fällen unvollendeter Heilung bei 9 <J5>, 11 , 23, 25. 

Es handelt sich also um ein vernarbungsfähiges Granulationsgewebe, das 
solche dünne Schatten macht. 

Die nach drei und sieben Jahren gemachten Aufnahmen von Fig. 15 und 
21 zeigen, daß wir durch Wurzelbehandlung allein Dauerheilungen zu er¬ 
zielen vermögen. Wenn man sich vergegenwärtigt, welche Skepsis manche 
amerikanische Autoren <Fischer 1 > in der Frage der Infektiosität pulpaloser 
Zähne haben, erscheint auch dieser Befund sehr beachtenswert. 

Ob und inwieweit durch Kalkablagerung in jedem einzelnen Falle eine 
Verknöcherung eintritt, erscheint weniger wichtig, weil auch ohne diesen 
Prozeß das Narbengewebe selbst in funktioneller Beziehung, da es sich 
ja nur um kleine Defekte des Knochens handelt, nicht minderwertig ist. 

Fassen wir das Ergebnis der röntgenologischen Prüfung zusammen, so 
kommen wir zu folgenden Resultaten: 

1. Die Frage, ob wir eine chronische Periodontitis chirurgisch oder medi¬ 
kamentös konservierend behandeln sollen, wird hauptsächlich durch die 
klinische Beobachtung beantwortet werden können. Bei der Anamnese 
sprechen gegen die medikamentöse Heilungsmöglichkeit das Auftreten aku¬ 
ter Nachschübe, am Röntgenbild ein großer intensiver Schatten und aus 
der Konfiguration der Wurzel oder des Kanals sich ergebende Hemm¬ 
nisse. 

2. Die Heilung erfolgt durch Vernarbungen oder Knochenbildung. Dem 
klinisch beobachteten Rückgang .der Symptome <Fistel, Gangrängeruch, 
Schmerz usw.) folgt die, röntgenologisch zu kontrollierende,- pathologisch¬ 
anatomische Ausheilung erst langsam nach. 

1 Fischer, Martin: Infektionen der Mundhöhle und Allgemeinerkrankungen, übersetzt 
von Handowsky/ Dresden, bei Th. Steinkopf, 1921. 


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__ OriginaUrom _ 

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Eine röntgenologische Prüfung der konservierenden Behandlung 373 

Das Material zu der vorliegenden Arbeit entstammt der Poliklinik für 
Zahn^ und Mundkrankheiten, der Füllabteilung, der Privatpraxis von Herrn 
Hilfslehrer Dr. R. Neumann, sowie eigenen Beobachtungen. 

Für seine Überlassung danke ich auch an dieser Stelle Herrn Geheimrat 
Partsch, Herrn Professor Bruck sowie Herrn Hilfslehrer Dr. R. Neumann 
bestens. Ferner möchte ich nicht verfehlen, Herrn Geheimrat Partsch für 
die Anregung, Beratung und Durchsicht dieser Arbeit hier nochmals meinen 
ergebenen Dank abzustatten. 


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DIE AUSSCHALTUNG DER SCHÄDLICHEN KAU¬ 
DRUCKKOMPONENTEN BEI DER KONSTRUKTION 
DER ZAHNÄRZTLICHEN PROTHESE 

VON 

DR. C. RUMPEL, BERLIN 

V on sämtlichen Disziplinen der Zahnheilkunde ist es gerade die in Deutsch- 
land lange Zeit vielfach für minderwertig angesehene Technik, die sich 
in neuster Zeit am stärksten zur Wissenschaft entwickelt hat. Gibt es doch 
wohl kaum eine naturwissenschaftliche Disziplin, die die zahnärztliche Technik 
nicht als Hilfswissenschaft heranzuziehen gezwungen war. Ganz besondere 
Bedeutung für die zahnärztliche Prothese hat die Physik erlangt, weil wir 
eingesehen haben, daß unsere Prothesen genau so wie andere technische Kon- 
struktionen den Gesetzen der Statik und Dynamik unterworfen sind und daß 
sie nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn sie in ihren Konstruktionen diesen 
Gesetzen Rechnung tragen. Seit ich auf dem internationalen zahnärztlichen 
Kongreß im Jahre 1909 und dann in meiner Arbeit „Allgemeine Gesichts** 
punkte bei der Konstruktion zahnärztlicher Prothesen" <Österr.-ung. Viertel- 
jahrschr. 1912) wohl als einer der ersten auf diese Punkte hingewiesen habe, 
sind eine ganze Reihe wertvoller Arbeiten auf diesem Gebiete erschienen. 
Ich brauche nur zu erinnern an die Namen Schröder, Richelmann, Wu- 
strow und andere mehr. Wenn auch Richelmann und Wustrow, allzu 
mathematisch geworden, vielfach über das Ziel hinausgeschossen sind, so 
haben sie doch wieder für weitere Untersuchungen den Anstoß gegeben. Um 
nun gleich zu meinem eigentlichen Thema, der Ausschaltung der schädlichen 
Kaudruckkomponenten bei der zahnärztlichen Prothese, zu kommen, so will 
ich gleich vorweg bemerken, daß ich mein Thema, um im Rahmen eines Vor** 
trags zu bleiben, bedeutend einschränken muß. Ich will also alle jene Korn** 
ponenten, deren schädliche Wirkung dadurch zustande kommt, daß infolge 
falscher Prothesenkonstruktion an und für sich vermeidbare schädliche Hebel¬ 
wirkungen ausgelöst werden, von unsern Betrachtungen ausgeschlossen lassen. 
Es ist ja ohne weiteres klar und bedarf keiner großen mathematischen Über** 
legung, daß man das Mittelstück zwischen zwei Stützpfeilern nicht bogen** 
förmig, sondern möglichst gerade gestalten muß, um keine unnötigen Hebel- 
kippbewegungen auf die Prothese und somit auch auf die Stützpfeiler auszu¬ 
lösen, oder, daß man keine einseitig gestützten festsitzenden Prothesen machen 


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Die Ausschaltung der schädlichen Kaudruckkomponenten 


375 


darf, wenn auf das Mittelstück oder, wie man wohl besser sagt, den angehängten 
Prothesenteil der Kaudruck wirkt und Kipp- und Drehmomente auslöst. 

Unsere heutigen Betrachtungen sollen sich daher lediglich auf die Aus- 
Schaltungsmöglichkeiten solcher schädlicher Kaudruckkomponenten beschränken, 
die nicht durch die fehlerhafte Konstruktion der Prothese erst geschaffen 
werden, sondern im Wesen unserer Prothesen selbst begründet liegen. Als 
allgemein bekannt darf ich wohl voraussetzen, daß schädlich alle jene Kom- 
ponenten des Kaudruckes sind, welche die Zahnachse in einem mehr oder 
weniger spitzen bis rechten Winkel treffen, also vor allem die horizontalen 
Kaudruckkomponenten, daneben natürlich auch die vertikalen zur Zahnachse 
parallelen Kräfte, sobald sie derartig anwachsen, daß sie nicht mehr als phy- 
siologischer Reiz, sondern als traumatischer Schock wirken. 

Die horizontalen Kaudruckkomponenten sind also stets schädlich, und zwar ist 
ihre Schädlichkeit proportional ihrer Intensität und Dauer. Die vertikalen Kompo- 
nenten der Kaukraft sind dagegen nur bedingt schädlich, wenn ihre Größe ein be- 
stimmtes, individuell verschiedenes, nicht näher bestimmbares Maß überschreitet. 

Wustrow hat zwar versucht, dieses Maß rechnerisch zu bestimmen und 
Tabellen aufgestellt, aus denen man ersehen soll, ob für eine bestimmte An- 
zahl Zähne noch die Möglichkeit besteht, einen festsitzenden Ersatz anzu¬ 
fertigen, ohne die zulässige Belastungsgrenze zu überschreiten. Ich halte diesen 
Versuch Wustrows für mißglückt. Wustrow hat vor allem die Stellung 
und Verteilung der einzelnen Zähne im Kiefer zu wenig berücksichtigt und 
dann vor allem den Fehler begangen, daß er die funktionelle Beanspruchung 
der Schneidezähne mit denen der Backenzähne qualitativ gleichsetzte. Dies darf 
man auf keinen Fall tun, wenn man nicht zu Trugschlüssen kommen will. 

Die Backenzähne und Frontzähne sind bezüglich des Auffangungsvermögens 
der vertikalen und horizontalen Kaukomponenten verschieden befähigt. Wäh¬ 
rend die Backenzähne, insbesondere die Molaren, infolge ihrer divergenten drei 
Wurzeln, die wie Streben wirken, auch horizontale Kaudruckkomponenten 
ohne traumatischen Schock ertragen können und müssen, sind die sechs Fronte 
zähne hierzu nicht befähigt. Letztere können dagegen einem sehr großen ver- 
tikalen Druck leicht und lange Zeit Widerstand leisten. 

Wir können dies ja täglich bei Patienten mit Kopfbiß beobachten. Aus 
dieser Tatsache können wir viel lernen, und ich habe bereits Vorjahren daraus 
die Regel abgeleitet, daß eine Prothese zwischen Zähnen gleicher Kauqualität 
den schädlichen Kaudrudekomponenten weit weniger ausgesetzt ist als eine 
gleich große Prothese zwischen Zähnen ungleicher Kauqualität. So ist z. B. 
eine Prothese zwischen zweitem Molaren und Eckzahn eine Prothese zwischen 
Zähnen ungleicher Kauqualität und daher bedeutend weniger widerstandsfähig 
als eine Prothese zwischen dritten Molaren und ersten Prämolaren, Stützzähnen 
gleicher Kauqualität, obgleich diese Stützzähne an und für sich weniger wider- 
standsfähig sind als Eckzahn und zweiter Molar. 

Der Eckzahn mit seiner starken Wurzel ist wegen der geringen Wand- 
stärke seiner Alveole physiologisch nur zum Auffangen eines zu seiner 
Wurzelachse parallelen Druckes befähigt, wie es beim Ergreifen und Ab- 


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376 


C. Rumpel 


beißen von Nahrungsmitteln geschieht. Hierbei kann der Eckzahn einen ganz 
gewaltigen Drude aushalten. Hieraus ergibt sich für die Praxis die Nutz* 
anwendung, daß, wenn man in einem Gebiß mit stark gestörtem Artikula* 
tionsgleidigewicht den vertikalen Drude durch Kopfbiß von Edczahn gegen 
Edezahn auffangen kann, alle übrigen Zähne und Prothesen als stark entlastet 
angesehen werden dürfen. So unempfindlich der Edczahn gegenüber vertikalem 
Drude ist, um so empfindlicher ist er gegen horizontalen Drude. Bei einer 
Prothese zwischen zweitem Molar und Edezahn hat das Mittelstüde eine ganz 
beträchtliche Menge horizontaler Kaudrudekomponenten auszuhalten, und in* 
direkt natürlich auch der Edezahn. Dieser wird daher entgegen seiner physio* 
logischen Bestimmung von der Prothese in mehr oder weniger traumatischer 
Weise belastet und infolgedessen vorzeitig gelockert. Ist er aber einmal ge* 
(odeert und macht Pendelbewegungen, wenn anfangs auch noch so kleine, so 
ist ein Circulus vitiosus eröffnet, der fortzeugend Böses muß gebären. In* 
folge der kleinen Pendelbewegungen des gelockerten Edezahnes wird auf den 
festen zweiten Molaren ein Drehmoment ausgeübt, das infolge des langen 
Kraftarmes so stark wird, daß der widerstandsfähige Molar ebenfalls ge* 
lockert wird. Die Lockerung des Molaren bedingt aber wieder größere Lodce* 
rung des Edezahnes und die größere Lockerung des Edezahnes wieder größere 
Lockerung des Molaren usw. bis zum Ausfall der Stützzähne. Soll also eine 
solche Prothese auf die Dauer halten, so müssen wir versuchen, die Wirkung 
der horizontalen Kaudrudckomponenten auf den Edezahn auszuschalten. Ich 
habe hierfür wohl als erster das Mittel der Versteifung empfohlen,- Richel* 
mann empfiehlt den Entlastungsbügel,- und neuerdings die Amerikaner ein 
mit den Stützpfeilern gelenkig verbundenes Mittelstück, das vor dem Kriege 
bereits auch von Trost hier empfohlen wurde. Allerdings ist Trost hierbei 
weniger von dem Gesichtspunkte der Entlastung ausgegangen als vielmehr 
von dem Gesichtspunkte, daß jedem Zahn im normalen Gebiß eine gewisse 
physiologische Eigenbewegung zukommt, die nötig sein soll, um einen gewissen 
formativen Reiz auszulösen. Ich komme hierauf weiterhin noch zu sprechen. 

Wir wollen diese drei Wege zum Ausschalten oder Kompensation der 
horizontalen Kaukomponenten nun einmal nebeneinander auf ihre Wirkung 
untersuchen. 

1. Beginnen wir, da jeder Vater sein Kind am liebsten hat, mit der Ver* 
Steifung. Unter Versteifung versteht man die Schaffung eines Widerlagers 
in der Richtung der zu kompensierenden Kraft. Um also die auf den Eck* 
zahn wirksamen schädlichen horizontalen Kaudrudckomponenten auszuschalten, 
müssen wir ihn in horizontaler Ebene, in der Kauebene versteifen. Da wir 
nun aber die einzelnen Kraftrichtungen der sehr mannigfaltigen horizontalen 
Komponenten nicht kennen und auch nicht feststellen können und doch alle 
möglichen horizontalen Komponenten ausgeschaltet werden sollen, so müssen 
wir summarisch verfahren und den Edczahn in der Kauebene in zwei auf* 
einander senkrechten Richtungen versteifen. Aus praktischen Gründen wählen 
wir die sagittale und transversale Richtung. In sagittaler Richtung ist der Eck* 
zahn in dem von uns gewählten Beispiel bereits durch seine starre Verbindung 


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Die Ausschaltung der schädlichen Kaudruchkomponenten 


377 


mit dem Molaren durch das Prothesenmittelstück versteift. Es bleibt also nur 
noch übrig, die weitere Versteifung in transversaler Richtung zu bewirken. 

Hierzu stehen uns praktisch zwei Wege zur Verfügung. Entweder wir 
verbinden den Eckzahn durch einen starren Transversalbügel mit einem 
Zahn oder einer Prothese der andern Kieferseite, oder wir dehnen die Pro- 
these bis zu dem medial vom Eckzahn stehenden lateralen oder mesialen 
Schneidezahn aus. Ich würde nach meinem Geschmack im allgemeinen die letztere 
Form wählen, weil diese Konstruktion sich am besten der Anatomie des Ge- 
bisses anpaßt und von dem Patienten am wenigsten störend empfunden wird. 

2. Richelmann müßte nach seiner Theorie einen Entlastungsbügel an- 
bringen, der in dem Punkt des Mittelstückes angreifen müßte, in welchem die 
Gegenresultante den horizontalen Kaudruckkomponenten das Gleichgewicht 
hält, also etwa in der Gegend des ersten Molaren. Praktisch ist aber eine 
solche von Richelmann angestrebte Entlastung nicht ausführbar. Ich will 
Ihnen dies an einem einfachen Beispiel klarmachen. 

Denken Sie sich einen Balken, und auf diesen Balken wirken in bestimmten 
Abständen verschieden starke, aber ihrer Größe nach bekannte Kräfte, so 
läßt sich ein Punkt finden, der so beschaffen ist, daß, wenn in demselben eine 
bestimmte Gegenkraft angreift, der Balken seine Ruhelage nicht verändert, 
d. h. die Kräfte kompensieren sich oder werden nach dem Ausgangspunkt 
der resultierenden Gegenkraft verlegt. Der Bügel, der dies bewirkt, heißt 
daher mit Recht nach Richelmann Entlastungsbügel. Nehmen wir nun 
einmal mit Richelmann an, es sei möglich, die verschiedenen horizontalen 
Kaudruckkomponenten nach Größe und Angriffspunkt zu bestimmen und so 
den richtigen Angriffspunkt der Gegenkraft zu finden, so wird doch das 
ganze System umgeworfen, sobald der Bissen etwas mehr nach vorn oder 
etwas mehr nach hinten zu liegen kommt. 

Die ganze von Richelmann bezweckte Entlastung kommt im günstigsten 
Fall einmal per Zufall für einen Moment zustande. Praktisch erreicht also 
Richelmann nichs anderes als ich. Sein Entlastungsbügel ist nichts anderes 
als ein ungewollter Versteifungsbügel. Ich bin aus diesem theoretischen Grunde 
von je ein Gegner der Richelmann sehen Entlastungstheorie gewesen. Wir 
unterscheiden uns aber auch nach unserem rein praktischen Resultat. Denn 
während ich meine Versteifung in Verfolg meiner Theorie am Eckzahn am* 
bringe, müßte Richelmann nach seiner Theorie den Entlastungsbügel in 
der Gegend des ersten Molaren angreifen lassen. Ich komme also nach meiner 
Theorie mit einer einfacheren Konstruktion aus als Richelmann. 

3. Um die Entlastung des Eckzahnes und gleichzeitig auch die des Mo- 
laren nach amerikanischer Methode zu bewirken, müßte das Mittelstück mit 
seinen Stützpfeilern gelenkig verbunden werden, z. B. so, daß man das Mittel- 
Stück um eine horizontale sagittale Achse frei schwingen läßt, während man 
seine Basis mit flügelartigen Fortsätzen versieht, die den Druck der hori¬ 
zontalen Komponenten auf den Alveolarfortsatz übertragen. Diese Kon¬ 
struktion wäre theoretisch einwandfrei und würde die Stützpfeiler tatsächlich 
vollständig gegenüber den horizontalen Komponenten entlasten. Das Mittel- 


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378 


C. Rumpel 


stück müßte aber wegen der flügelartigen Fortsätze, die täglicher Reinigung 
bedürfen, abnehmbar konstruiert werden, eine Aufgabe, die technisch in der 
Praxis nicht leicht zu lösen sein dürfte. Abgesehen hiervon würde aber bei 
der hemmungslosen Ausschlagsmöglichkeit des Mittelstückes der Alveolar* 
fortsatz mit seinem Weichteiltegment durch den andauernden Anprall der 
Flügelfortsätze sehr bald ulzerös erkranken. Würde die Ausschlagsmöglichkeit 
aber gebremst, indem man dem Mittelstück nur einen ganz kleinen Dreh* 
winkel zur Verfügung stellt, so findet wieder keine Entlastung der Stütze 
zähne statt, da diese im Moment des Anschlages von den horizontalen Korn* 
ponenten getroffen würden, allerdings gemindert um so viel, als durch die 
Zusammenpressung des Alveolartegments an horizontaler Kaukraft ver* 
braucht worden ist. Abgesehen hiervon müßten derartige Gelenkverbin* 
düngen, um dem Kauakt auf die Dauer widerstehen zu können, sehr kom* 
pakt gehalten sein, dadurch würde aber wieder die vom hygienischen und 
kosmetischen Standpunkt geforderte Herstellung der Prothese in möglichst 
kompendiöser Form unmöglich. Wenn nun auch, wie mir versichert wurde, 
derartige Prothesen in Amerika jahrelang mit gutem Erfolg getragen wurden, 
so bin ich doch der Meinung, daß dann diese Prothesen derartig gering be* 
lastet waren, daß eine besondere Entlastung überhaupt nicht nötig war. 

Hierzu kommt noch eins. Die praktische Erfahrung hat mir gezeigt, daß 
fast jede noch so stramme Verzapfung und Verschraubung auf die Dauer 
schlotternd wird, so daß ich heute Verzapfungen und Verschraubungen nach 
Möglichkeit vermeide. 

Wie stark muß sich aber dann eine von vornherein gelenkig konstruierte 
Verbindung erst abnutzen, selbst dann, wenn eine durch Platinzusatz härtere 
Goldlegierung verwandt würde, als die bei uns übliche. Aus diesem Grunde 
ist es auch falsch, den Versteifungsbügel abschraubbar zu konstruieren. 

Bevor ich nun auf die von mir geübte Ausschaltung der schädlichen Kom* 
ponenten durch Versteifung zurückkomme, möchte ich noch die Wieder* 
herstellung der physiologischen Beweglichkeit des einzelnen Zahnes oder der 
alveolären Artikulation nach Goddon besprechen. 

Es ist als richtig vorauszusetzen, daß die Verbindung des einzelnen Zahnes 
mit seiner Alveole als eine gelenkige aufgefaßt werden kann. Ist dies voraus* 
gesetzt, so darf weiter gefolgert werden, daß diese gelenkige Beweglichkeit 
auch betätigt werden muß, wenn sie nicht atrophisch erkranken soll. Sie muß 
betätigt werden, um gewisse, zur Erhaltung der Funktion nötige, formative 
Reize auszulösen. Nun wissen wir aber aus den Erfahrungen der täglichen 
Praxis, daß gerade bei vollständig erhaltenen Gebissen, also trotz voll* 
kommen erhaltener physiologischer Beweglichkeit der einzelnen Zähne, solche 
Zähne infolge Schädigung der Gelenkfunktion aus uns noch unbekannten 
Ursachen locker und lockerer werden können, bis sie durch eine starre Schiene 
wieder befestigt werden und so geschient, also miteinander versteift, noch 
jahrelang fest und funktionstüchtig bleiben. 

Warum sollen wir aus diesen unbestrittenen Tatsachen nicht für unsere 
Prothesenkonstruktion lernen? Wir sehen, daß unter gewissen Bedingungen 


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Die Ausschaltung der schädlichen Kaudrudckomponenten 


379 


die gelenkige Verbindung des Zahnes mit seiner Alveole nicht stark genug 
ist, den Kaudruckkomponenten standzuhalten und einer künstlichen Untere 
Stützung in Form einer Schiene, also einer Versteifung, bedarf. Auch bei 
einem durch Zahnverlust in gestörtem Artikulationsgleichgewichtszustand be* 
findlichen Gebiß müssen wir die Widerstandskraft der gelenkigen Ver* 
bindung des Zahnes mit seiner Alveole als herabgesetzt annehmen. Wir 
unterstützen also bei unsern Prothesen mit der starren Versteifung von vorn* 
herein sozusagen prophylaktisch das als geschwächt anzusehende Zahn* 
gelenk, sodaß es auch der stärkeren Belastung infolge des Prothesendruckes 
auf die Dauer Widerstand leisten kann. 

Ein formativer Reiz durch den Kaudruck findet auch bei diesen starr ver* 
steiften Prothesen auf die Wurzelhaut der Stützzähne statt, nur mit dem 
Unterschied, daß er nicht den einzelnen Zahn direkt trifft, sondern die Ge* 
samtzahl der Stützzähne gleichzeitig. Dies ist aber kein Nachteil, sondern nur 
ein Vorteil, denn durch die gleichzeitige Übertragung des Reizes auf die Ge* 
samtheit der Stützzähne, wird der Reiz so herabgemindert, daß er im all* 
gemeinen niemals als traumatischer Schock, sondern nur als physiologischer 
formativer Reiz in Erscheinung treten kann. 

Nach dem wir gesehen haben, daß die Einwände, die gegen die Ver* 
Steifung vorgebracht werden, sich als nicht stichhaltig erwiesen haben, und 
daß die Versteifung das einfachste und sicherste Mittel zur Aushaltung aller 
schädlichen horizontalen Komponenten ist, wollen wir diese noch etwas näher 
betrachten. 

Durch die Versteifung eines Zahnes in zwei aufeinander senkrecht stehen* 
den Richtungen in der Kauebene sind wir in der Lage, die Gesamtheit der 
horizontalen Komponenten auszuhalten. Als die praktisch brauchbarsten 
Richtungen haben wir die sagittale und transversale Richtung erkannt. 

Bei Backenzahnbrücken fällt die sagittale Versteifung und bei Frontzahn* 
brücken die transversale Versteifung mit dem Mittelstück zusammen. Bei 
einer Prothese, die sich über Backen* und Frontzähne gleichzeitig erstreckt, 
sind also beide Versteifungen bereits in der Konstruktur der Prothese ent* 
halten, ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Wir sehen also, daß wir eine 
Versteifung sehr leicht herstellen können, wenn wir unsere Prothesen nach 
medial oder distal ausdehnen. Diese Art der Versteifung ist diejenige, die 
sich der Anatomie des Gebisses am besten einfügt, und daher aus hygienischen 
und kosmetischen Gründen am wenigsten auf Schwierigkeiten stößt. Nicht für 
alle Fälle aber werden wir mit dieser rechtwinkligen Versteifung allein aus* 
kommen, denn z. B. eine Prothese von Weisheitszahn zu Weisheitszahn ist 
bereits derart ausgedehnt, daß sie in sich nicht mehr als starr angesehen werden 
darf, wenn sie nicht derart ungewöhnlich massiv hergestellt wird, daß sie plump 
und schwerfällig wirkt. In solchen Fällen tritt der transversale Versteifungsbügel 
zwischen den beiden Weisheitszähnen in seine Rechte, wenn die geringe Anzahl 
der Stützpfeile oder ihre ungünstige Verteilung im Kiefer, oder die bereits ein* 
getretene Lockerung eines oder mehrerer Stützpfeiler die normale Starrheit der 
Prothese unter diesen Umständen als ungenügend erscheinen läßt. Diese ring* 


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380 


C. Rumpel 


förmige, von mir zirkuläre Versteifung genannt, ist der stärkste Grad der Ver* 
Steifung, den wir bei unsern Prothesenkonstruktionen zur Anwendung bringen 
können. Wir können mit dieser Versteifung bis zu einem gewissen Grad auch 
vertikale Komponenten und schädliche Hebelwirkungen kompensieren. Lastet 
auf einer derartigen Prothese ein einseitiger vertikaler Drude, und geben die 
davon zunächst betroffenen Stützzähne etwas nach, indem sie tiefer in die 
Alveole hineingepreßt werden, so können sie dies nur, wenn auch die Stütz« 
zähne der anderen Seite im Knochen eine geringe Kippung erleiden, wodurch 
aber eine Entlastung der direkt belasteten Seite entsteht. 

Diese allgemeinen Gesichtspunkte, wobei ich mich absichtlich aller mathe¬ 
matisch-statischer Formeln enthalten habe, da diese wegen des gänzlich un« 
bekannten und unbestimmbaren biologischen Faktors niemals praktisch mathe« 
matisch verwendbare Resultate liefern können, sind hauptsächlich für fest« 
sitzende Prothesen abgeleitet, gelten natürlich aber auch für abnehmbare und. 
kombinierte Prothesen, allerdings unter gewissen Einschränkungen. 

Für abnehmbare Prothesen, die in keinerlei Verbindung mehr mit natür« 
liehen Zähnen oder Wurzeln stehen, ist die Ausschaltung der horizontalen, 
die Prothese abkippenden Kaukomponenten durch Versteifung nicht möglich. 
In diesen Fällen läßt sich nur eine Herabminderung derselben durch möglichst 
genaues Einartikulieren der Bißflächen, nach den von Gysi aufgestellten 
Regeln bewirken. 

Bei Kombinationen von abnehmbaren und festsitzenden Prothesen muß es 
unser hauptsächlichstes Bestreben sein, zu verhindern, daß die auf die ab« 
nehmbare Prothese wirkenden schädlichen Komponenten nach Möglichkeit 
nicht auf die festsitzenden Stützpfeiler mit übertragen werden. Dies geschieht: 

1. durch möglichst starre und doch leichte Ausbildung der abnehmbaren 
Prothese 

2. durch geeignete gelenkige Verbindung zwischen abnehmbaren und fest* 
sitzenden Prothesenteilen oder gestützter und stützender Prothese. 

Eine abnehmbare Plattenprothese, einerlei ob für Ober* oder Unterkiefer, 
die früher, als noch das rein Handwerksmäßige in der Zahntechnik maß* 
gebend war, in transversaler Richtung möglichst elastisch konstruiert wurde, 
mußte in Beziehung auf Entlastung natürlich ihren Zweck verfehlen, denn je 
stärker die elastische Nachgiebigkeit in transversaler Richtung ausgebildet 
war, um so stärker war auch das schädliche Drehmoment unter der Ein¬ 
wirkung der horizontalen Kaudruckkomponenten auf den Stützzahn. 

Um solche Prothesen starr und doch leicht zu bauen, löte ich bei Gold¬ 
platten in der Gegend des ersten Molaren oder zweiten Prämolaren einen 
transversalen Versteifungsbügel auf. Bei Kautschukplatten modelliere ich ent¬ 
sprechend dem Versteifungsbügel eine Verstärkung an. Hierdurch werden zu¬ 
nächst mal diejenigen schädlichen Komponenten, die in der Elastizität der 
Prothese begründet sind, ausgeschaltet. Die weitere Ausschaltung der noch 
auf die jetzt in sich starre abnehmbare Prothese wirkenden horizontalen Kräfte 
muß, so weit sie nicht vom Alveolarfortsatz aufgefangen werden, durch ge¬ 
eignete Gelenkverbindung bewirkt werden. 


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Die Ausschaltung der schädlichen Kaudruckkomponenten 


381 


Der günstigste Angriffspunkt für eine derartige Gelenkverbindung liegt 
natürlich dicht oberhalb des Alveolarfortsatzes. Wir müssen hierbei den Stütz¬ 
zahn als doppelarmigen Hebel auffassen, dessen Hypomochlion der Einfachheit 
halber dicht unter dem Rande der Alveole liegend angenommen werden soll. Je 
kürzer also der Arm ist, an dem die schädlichen Hebelwirkungen angreifen, um 
so leichter kann der im Knochen steckende Wurzelarm Widerstand leisten. 

Ich schneide also, um bei Zähnen mit toter Pulpa eine möglichst einfache 
und zweckentsprechende Gelenkverbindung zu bekommen, die Krone 2 mm 
oberhalb des Zahnfleisches ab und versehe sie mit einer zylindrischen Wurzel¬ 
kappe, die mit einem Wurzelstift verbunden wird. Um diese Wurzelkappe 
lege ich eine Klammer, die genau mit dem Niveau der Wurzelkappe ab¬ 
schneidet. Auf die Klammer kommt ein diese und die Wurzelkappe bededcen- 
der Deckel, der aber nur mit dreiviertel des Klammerumfanges verlötet wird. 
Auf dem Klammerdeckel wird eine künstliche Krone angebracht. Diese 
Klammerbefestigung läßt ein Drehmoment auf die stützende Wurzel nicht 
zu, gibt der Prothese einen festen Halt und überträgt gleichzeitig den auf 
der Prothese liegenden vertikalen Druck auf die stützende Wurzel. In meiner 
Praxis haben sich solche Befestigungen selbst bei gelockerten Wurzeln jahre¬ 
lang, jedenfalls länger als fünf Jahre bewährt, während bei den gewöhnlichen 
Prothesen ein Klammerzahn nach meinen Erfahrungen gewöhnlich nach zwei¬ 
jähriger Belastung vollständig gelockert ist. 

Ist die Pulpa in dem Stützzahn am Leben und will man sie erhalten, so 
bringt man oberhalb des Zahnfleischrandes einen kleinen Zapfen an, auf 
welchem die Prothese mit der Klammer reitet. Der Zapfen muß aber dann 
in dem Klammeraussdmitt in horizontaler Richtung einen gewissen Spielraum 
haben. Ist die lebende Stützkrone kurz, so kann man auch in eine Aus¬ 
sparung der Kaufläche derselben einen mit der Klammer verbundenen 
Zapfen <lnlay> eingreifen lassen. Eine erschöpfende Darstellung der tech¬ 
nischen Lösungsmöglichkeit dieser Frage soll hier ja nicht gegeben werden. 
Ich muß nur betonen, daß sie mit möglichst einfachen Mitteln angestrebt 
werden soll, und daß fertige Klammerbefestigungen mit Federn, Geschieben 
usw. wie sie in Amerika aufkommen, zu verwerfen sind. 

Glauben wir die schädlichen Hebel-, Dreh- und Kippmomente mit 
unsern gelenkigen Klammerbefestigungen allein nicht genügend ausschalten 
zu können, so können wir in weiser Voraussicht die Stützzähne unterein¬ 
ander oder mit benachbarten Zähnen versteifen. Ich habe derartige Beispiele 
in meiner Arbeit: „Befestigung lockerer Zähne zur Gewinnung von Stütz¬ 
punkten für abnehmbare Prothesen" <Deutsche zahnärztliche Wochenschrift, 
Jahrgang XIV, 1911 Nr. 44) beschrieben. 

Zum Schlüsse möchte ich einen sehr lehrreichen Fall, der mir von einem 
ausländischen Kollegen zur Konsultation überwiesen worden ist, besprechen. 

Es stehen im Oberkiefer links T_ _LJ 

im Oberkiefer rechts 11 2 3 4 7 

im Unterkiefer links 7 5 4 3 2 11 

im Unterkiefer rechts 11 2 3 4 


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382 C. Rumpel: Die Ausschaltung der schädlichen Kaudrudekomponenten 


Es handelt sich um die Frage, kann der betreffende Patient im Ober* und 
Unterkiefer eine festsitzende Prothese tragen oder nicht. 

Gewünscht wird festsitzende Prothese im Ober* und Unterkiefer. 

Meine Antwort lautet: Im Oberkiefer festsitzende Prothese von 7 | zu | 7 
möglich, wenn im Unterkiefer abnehmbare Bügelprothese getragen wircT 
Wird im Unterkiefer links dagegen feste Prothese getragen, ist im Oberkiefer 
nur Plattenprothese erlaubt. 

Begründung: Zur Ausführung der Kaufunktion genügt eine vollbezahnte 
Gebißhälfte. Diese läßt sich rechtsseitig herstellen durch festsitzende Prothese 
von | 1 2 3 4 5 6 7. Diese ist, zumal im Unterkiefer nur eine abnehmbare 
Prothese gegenbeißt, mehr als ausreichend befestigt, und kann daher sehr gut 
in Verbindung mit 1_| zum Mittragen der linksseitigen festsitzenden Ober* 
kieferprothese von 7 6 5 4 3 3 1 1 herangezogen werden. Die verderbliche Hebel* 
Wirkung auf die Stützpfeiler der linksseitigen Prothese durch die hier nicht 
vermeidbare stark bogenförmige Gestaltung des Mittelstückes wird para* 
lysiert durch den langen Gegenhebel, der in der Fortsetzung respektive in 
der starren Verbindung mit der rechtsseitigen Brücke in Erscheinung tritt, und 
der ausreichend ist, wenn wir die linksseitige bogenförmige Brücke nicht be¬ 
lasten. Dies geschieht, wenn wir sie durch entsprechende Gestaltung, d. h. 
durch Nichtausbildung von Kauflächen von der Artikulation und der Kau* 
funktion ausschalten. Aus diesem Grunde dürfen wir auch im linken Unter¬ 
kiefer keine festsitzende Prothese anbringen, sondern müssen die daselbst 
stehenden Pfeiler mit einem Steg verbinden, um so ein kräftiges Wieder* 
lager für die am rechtsseitigen Schenkel der Bügelprothese wirksamen hori* 
zontalen Kaukräfte zu schaffen. 

Die Schaffung einer linksseitigen festsitzenden Unterkieferprothese mit 
einer Plattenprothese im Oberkiefer ist für die Wiederherstellung der Funk* 
tion und die Dauerhaltung des Testierenden Gebisses nicht nur weniger 
günstig, sondern direkt schädlich. 

Die Plattenprothese des Oberkiefers würde nur einseitig belastet. Da nun bei 
jedem Druck das Tegment des Alveolarfortsatzes nachgeben muß, so macht die 
ganze Prothese während des Kauaktes ständig kleine Schaukelbewegungen, die 
sich durch die unbedingt notwendige Klammerbefestigung an den rechtsseitigen 
Zähnen |4 und 7 auf diese überträgt und sie auf die Dauer zugrunde richtet. 

Da die linksseitige Oberkiefer*Brücke nur als Kulisse ästhetischen Zwecken 
dienen soll, ist es zweckmäßig, sie nicht allzu kräftig zu bauen. Dadurch ver¬ 
mindert sich natürlich ihre Starrheit, und sie wird bei ihrer großen Ausdehnung 
elastische Durchbiegungen zulassen, die sich in schädlicher Weise auf den letzten 
einsamen rechtsseitigen hintern Stützpfeiler übertragen können. Um diesem 
Übel vorzubeugen, dürfte es ratsam scheinen, diesen Pfeiler durch einen 
Transversalbügel mit der linken Prothesenhälfte zu versteifen. 

Ich habe dieses Beispiel gewählt, um zu zeigen, wie ich mir einen modernen 
klinisch*technischen Unterricht denke, und um einen weiteren kleinen Beweis 
für die Richtigkeit meines zu Anfang dieser Abhandlung ausgeführten Ge* 
dankens zu bringen. 


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BEDÜRFEN WIR IN DER ZAHNHEILKUNDE 
HISTORISCHEN UNTERRICHTS? 

VON 

DR. MED. ET PHIL. FRITZ LEJEUNE 

ARZT UND ZAHNARZT, 

PRIVATDOZENT FÜR GESCHICHTE DER MEDIZIN AN DER UNIVERSITÄT GREIFSWALD 

I n allen Fakultäten mit Ausnahme der medizinischen werden sowohl in den 
betreffenden Doktorexamina, wie auch in den Staatsprüfungen erhebliche 
Kenntnisse über die Historik des betreffenden Faches gefordert. Ich erinnere 
nur an die historischen Studien, die der Jurist während seines Lehrganges 
betreiben und beim Examen nachweisen muß, ferner an die uns selbstver¬ 
ständlich erscheinenden fachgeschichtlichen Kenntnisse, die nun einmal zum 
Rüstzeug des Theologen gehören,- weit darüber hinaus geht die philosophische 
Fakultät in ihren einzelnen Sonderzweigen. Die Betonung des Historischen 
wird hier sogar in jedem Einzelfach besonders unterstrichen, bildet doch z. B. 
die Geschichte der Philosophie und der Pädagogik ein anerkanntes Lehr- und 
Prüfungsfach. Nicht viel anders ist es in den rein philologischen Fächern, 
wo ja die historische Grammatik und vor allen Dingen die Entwickelungs- 
geschichte der in Frage stehenden Literatur eine hervorragend wichtige Rolle 
spielen. 

Wie steht es nun in der medizinischen Fakultät und bei ihrer Tochter, der 
Zahnheilkunde? 

An verhältnismäßig wenig deutschen Universitäten wird über Geschichte 
der Medizin gelesen. Zentrum der gesamten Medizinhistorik ist nach wie 
vor Leipzig, wo augenblicklich das einzige Ordinariat in Deutschland für 
Geschichte der Medizin besteht, dessen Inhaber, Geheimrat Sudhoff, mit 
Recht als das verdiente Oberhaupt der deutschen Medizinhistoriker an- 
gesprochen werden darf. Weitere Brennpunkte sind in Deutschland Frei- 
bürg <Diepgen> und Würzburg <Sticker>, wo es Extraordinariate gibt. 
An einer verhältnismäßig geringen Zahl anderer Universitäten begnügt man 
sich bestenfalls mit Lehraufträgen. Die große Mehrzahl der deutschen Uni¬ 
versitäten entbehrt jedoch gänzlich medizinhistorischer Vorlesungen,- so sogar 
recht bedeutende, wie München, Königsberg, Köln. 

Was nun gar die Geschichte der Zahnheilkunde angeht, so liegen hier die 
Verhältnisse noch ganz erheblich schlechter. Zwar ist von Sudhoff diesem 


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384 


Fritz Lejeune 


Gebiet dankenswerte Aufmerksamkeit entgegengebracht worden, sowohl 
was die Bearbeitung historischer Stoffe in Dissertationen angehr, als beson* 
ders in bezug auf die Schöpfung eines äußerst reichhaltigen, dabei aber eng* 
gefaßten Lehrbuches der Geschichte der Zahnarznei. Leider ist aber bis heute 
Sudhoff auf diesem Gebiet so ziemlich allein geblieben. 

Werfen wir nun zunächst die Frage auf, ob für den Arzt und Zahnarzt 
historische Kenntnisse seines Faches erwünscht oder gar notwendig sind. Zur 
Beantwortung steht uns zunächst der Analogieschluß mit den übrigen Fakul* 
täten zur Verfügung. Wenn der Jurist, der Theologe und der Philosoph 
über die Entstehung ihres Faches und die Schicksale und die Wandlungen 
ihrer Wissenschaft im Laufe der Jahrhunderte orientiert sein sollen, und 
wenn diese Kenntnisse bei ihnen zur selbstverständlichen Ausbildung ge* 
fordert werden, so kann man in der Tat kaum eine Erklärung dafür finden, 
warum der Mediziner und der Studierende der Zahnheilkunde nicht auch 
ebensogut den Werdegang ihrer von ihnen erwählten Gebiete kennen sollen. 
Ist es nicht geradezu beschämend, daß ein Kandidat das medizinische Staats* 
examen bestehen kann, ohne über die großen, erschütternden Schicksale seines 
Faches einige Kenntnisse nachzuweisen, daß er Männer wie Paracelsus, Servet, 
Lister oder Semmelweis zumeist als unbekannte Größen führen darf? Und 
ist es im späteren Leben nicht ebenso beschämend, wenn unter Umständen 
der Philosoph und der Theologe besser über diese Männer unterrichtet sind, 
als er, den es in erster Linie anginge, der Arzt? 

Ebenso liegt es für den Zahnarzt. Was weiß der Durchschnitt unserer 
Zahnärzte von der Entwickelung, dem Kampf und dem Sieg ihrer Vor* 
gänger? Wo wird dem Studierenden der Zahnheilkunde nachdrückliche Ge* 
legenheit gegeben, sich einen Einblick zu verschaffen in die langsame, aber 
stetige Entwickelung der Zahnarznei? Wo wird ihm vor Augen geführt, wie 
seine Kunst sich aus den Niederungen des Barbiertums und der Kurpfuscherei 
kämpfend loslösen mußte, um zur ungeahnten Höhe einer selbständigen 
Wissenschaft emporzusteigen? Und wo endlich werden ihm die Namen 
jener Großen überliefert, die als Führer im Kampfe gegen tausend Schwierig* 
keiten in vorderster Linie gestanden haben? Wenn ihm wirklich bei der einen 
oder anderen Gelegenheit Männer wie Pare, Fauchard und andere genannt 
werden, so kann dies höchstens ganz beiläufig geschehen und ohne Zu* 
sammenhang mit dem großen Ganzen. Geistiges Besitztum können diese 
Dinge nur in einem planmäßig gestalteten Sonderunterricht werden, der kurz 
sein kann, aber gründlich sein muß. 

Darüber hinaus hat der historische Unterricht den Vorteil, daß er der 
Selbstüberhebung des Augenblicks entgegenwirkt und die Ehrfurcht vor dem 
Gewesenen fördert, daß er dem üblichen leichtfertigen Belächeln der Alten 
entgegentritt und manchem Brausekopf zeigt, was vor uns unsere Väter 
unter weit schwierigeren Bedingungen und mit weit primitiveren Mitteln in 
zäher Ausdauer erreicht haben. Daneben fördert die historische Betrachtung 
ein gesundes Nationalgefühl im Sinne des Erkennens, daß das deutsche Volk 
der Welt eine sehr beträchtliche Zahl von Männern geschenkt hat, die über 


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Bedürfen wir in der Zahnheilkunde historischen Unterrichts 


385 


ihre Volksgemeinschaft hinaus der gesamten Kultur und der Wissenschaft 
als Allgemeingut der Menschheit zu Förderern geworden sind. Schon allein 
diese Tatsache rechtfertigt den Ruf nach historischer Schulung von Arzt und 
Zahnarzt,- und schließlich ganz abgesehen von all dem, kann der moderne 
Mensch Erhebung und Erholung von den Plagen des Alltags finden, wenn 
er sich mit Verständnis und Liebe in das Denken und Arbeiten unserer Weg¬ 
bereiter vertieft, auf deren Schultern wir letzten Endes stehen, und deren 
Erfahrungen es uns nur ermöglichten, heute da zu sein, wo wir sind. 

Die Forderung nach Einführung einer planvollen historischen Ausbildung 
in der medizinischen Fakultät und in der Zahnheilkunde entbehrt also nicht 
der Berechtigung. Wie nun aber kann man praktisch an die Lösung der 
Frage herangehen, und vor allem, finden derartige Bestreben auf seiten der 
Studierenden Anklang? 

Zur Beantwortung des letzteren möchte ich kurz aus eigener Erfahrung 
ein paar Worte sagen: Ich lese ein eigenes Kolleg über die Geschichte der 
Zahnheilkunde und kann mit Befriedigung feststellen, daß gerade diese Vor^ 
lesung sich des größten Zulaufes erfreut. Daraus erhellt ohne weiteres, daß 
bei den jungen Kollegen kein Mangel an Interesse für die Historik ihres 
Faches besteht, und daß sie, vielleicht zum Teil unbewußt, das Bedürfnis 
haben, sich über seine Vergangenheit unterrichten zu lassen. 

Was nun die Form und Ordnung des zahnärztlich historischen Unterrichts 
angeht, möchte ich folgende Vorschläge machen: Selbstverständlich muß der 
bekannten Überlastung des Zahnarzneistudierenden Rechnunggetragen werden ,• 
aber man sollte meinen, bei vernünftiger Einteilung des Gesamtstoffes könnte 
auch der Überlastetste eine Stunde in der Woche für ein so wichtiges Thema 
erübrigen. Es müßte also der Unterricht so gestaltet werden, daß man im 
Semester mit einer Vorlesung in der Woche auskommt und dabei das Ziel 
erreicht, einen guten Überblick über das ganze Gebiet zu geben. Dabei ist 
selbstverständlich zu berücksichtigen, daß letzter Linie die Zahnarznei nur 
ein Spezialgebiet der Medizin darstellt, und daß Dinge, die für beide von 
größter Bedeutung sind, nicht vergessen werden. Ich denke dabei z. B. an die 
unbedingt notwendige Schilderung der Entdeckung des kleinen und des 
großen Blutkreislaufes durch Se'rvet und Harwcy, sowie an das Auftreten 
der großen, den Dogmatismus zerschlagenden Reformatoren, wie Hohen-* 
heims, Vesals und anderer. Ebenso ergeben sich naturgemäß mannig-^ 
fachste, unbedingt erwähnenswerte Beziehungen zur Chirurgie und ärztlichen 
Standesgeschichte. Was die Entwickelung der konservierenden Zahnheilkunde 
und die Prothesenkunde angeht, so sind dies gerade Gebiete, die in ver* 
hältnismäßig kurzer Zeit, aber unter hellster Beleuchtung abgehandelt werden 
können. Ein trodeener, rein theoretischer Vortrag ist auf jeden Fall zu ver¬ 
meiden, und der historische Unterricht muß durch die Individualität des 
Lehrers und mit Berücksichtigung der Eigenschaften der Hörer so eingerichtet 
werden, daß er weit weniger als Belehrung und Zwang empfunden wird, 
denn als eine gewisse Erholung und Ausspannung von den so vielseitigen, 
rein praktischen Betätigungen der Studierenden. Mit einigem Verständnis 

Vierteljahrssdirift för Zahnheilkunde, Heft 3 25 


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386 Fritz Lejeune: Bedürfen wir in der Zahnheilkunde historischen Unterrichts 


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wird dies stets gelingen. Ein besonders geeignetes Hilfsmittel, den Unterricht 
angenehm, leicht verständlich und abwechselungsreich zu gestalten, ist die 
Verwendung von Projektionsbildern, die außerdem in erster Linie geeignet 
sind, als Gedächtnisstützen für die Hörer zu wirken. Daneben versäume man 
nicht, im Auditorium so weit wie möglich Originalwerke der einzelnen 
Autoren herumreichen zu lassen. Außerdem kann man besonders Interessierte 
mit der Lektüre dieses oder jenes Werkes betrauen und sie darüber refie- 
rieren lassen, was sicher die Selbständigkeit und die Freude am Thema er« 
höht. Dies alles sind Hilfsmittel, deren ich mich reichlich bediene, und von 
denen ich den Eindruck habe, daß sie den Unterricht beleben und anziehend 
machen. Erübrigt man noch außerdem Zeit, eine kleine, kurzgedrängte (Iber* 
sicht über die Bücherkunde und möglicherweise über Handschriften- und 
Druckkunde zu geben, so gibt man den Hörem außerdem noch etwas mit, 
das auf das Gebiet der Allgemeinbildung fällt und niemals schwer zu tragen 
sein wird. 

Gerade in den letzten Jahren zeigt unser Volk einen bemerkenswerten 
Hang zu geschichtlicher Betrachtung — woran vielleicht das Elend der Nach¬ 
kriegszeit Schuld hat — vielleicht, um sich im Unglück vergangener Tage 
des Glücks zu erinnern. Diesem Zug müssen auch wir Folge leisten, und ich 
glaube, in die Bewegung sollte man auch jene hineinzuziehen versuchen, die 
noch unberührt abseits stehen. Am zweckdienlichsten wäre wohl, wenn diesen 
Bestrebungen von seiten der zuständigen Behörde tatkräftige Unterstützung 
zuteil würde. Wie wir sicher glauben und hoffen, wird man der Forderung 
nach obligatorischer Einführung des historischen Unterrichts für die Voll¬ 
mediziner baldigst nachkommen. So wäre es denn an der Zeit, daß auch 
namhafte Autoritäten auf dem Gebiete der Zahnheilkunde ihre Stimme er¬ 
höben und für die Einführung eines, wenn auch beschränkten, obligatorischen 
Unterrichtes in der Geschichte der Zahnarznei einträten. Wenn auch die Ge¬ 
schichte der Medizin und Zahnarznei vorläufig noch keine Aussicht haben, 
zu Prüfungsfächern erklärt zu werden, so wäre wenigstens die Schaffung 
eines Pflichtkollegs für beide Fächer ein höchst wünschenswertes Zugeständnis. 
Warnen sollte man aber ernstlich davor, Medizin und Zahnheilkunde hierbei 
in einen Topf zu werfen, denn dann leiden beide. Auch kann man den Stu¬ 
dierenden der Zahnheilkunde nicht zumuten, ein historisches Kolleg über die 
gesamte Medizin, das übrigens unbedingt mindestens zweistündig sein muß, 
zu hören. Dazu fehlt es ihnen erstens an Zeit, und zweitens geht dann in 
der Menge des Vorzubringenden das spezifisch Zahnarzneiliche verloren oder 
kommt jedenfalls nicht mit der nötigen Nachhaltigkeit zur Behandlung. 

Ich schließe meine Zeilen mit dem Wunsche, dazu beizutragen, daß be¬ 
rufene Männer sich mit der Frage der Einführung historischen Unterrichtes 
für das Fach der Zahnheilkunde befassen und nach Erkennung der Not¬ 
wendigkeit des Ausbaues nach dieser Richtung dafür eintreten, daß diesem 
erkannten Bedürfnis zweckmäßig entsprochen wird. 


Gck igle 


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BUCHBESPRECHUNGEN 


Grundzüge einer systematischen Diagnostik der Gebißanomalien nebst Dar- 
bietung einer neuen Einteilung auf Grund der gnathostatisdien Unter- 
sudiungsmethoden. Von Dr. Paul Simon, Berlin, Leiter der orthodontischen 
Abteilung des Zahnarzt!. Univ.-Instituts in Berlin. Ein Handbuch für Forschung 
und Praxis. 305 Seiten mit 178 Abbildungen. 1922. Verlag von Hermann Meusser, 
Berlin. 

In seinem Werke geht Simon in drei Abschnitten auf die orthodontische Diagnostik 
ein und gibt eine neue Einteilung der Gebißanomalien. 

Der erste Teil behandelt ausführlich die bisher gegebenen Einteilungen der Gebi߬ 
anomalien und unterzieht dieselben einer Kritik hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit in der 
Praxis und hinsichtlich des Einteilungsprinzips. 

Im zweiten Teil gibt er einen Überblick über die Untersuchungsmethoden, die in der 
Orthodontie Anwendung finden. In diesem Abschnitt wäre es vielleicht angebracht, erst 
die andern Untersuchungsmethoden zu bringen und dann auf die eigenen einzugehen nach 
vorangehender Kritik der fremden Untersuchungsmethoden. 

Im theoretischen Teil sucht Simon nachzuweisen, daß die Untersuchung des Gebisses 
nach drei Ebenen notwendig ist- Nach ihm sind die Medianebene und die Frankfurter 
Horizontalebene auch für Messungen im Gebiß geeignet, nicht nur für Schädelmessungen. 
Als Transversalebene wählt Simon eine Ebene, die gelegt ist durch die tiefsten Punkte 
der beiden Infraorbitalränder. Er benützt also hierzu Punkte, die auch auf der Frankfurter 
Horizontalen liegen, und nennt diese transversale Orbitalebene. 

Im praktischen Teil beschreibt er die Apparate, die dazu notwendig sind, diese Ebenen 
und Punkte vom Lebenden auf das Arbeitsmodell zu übertragen. Er bedient sich hierzu 
des Gnathostaten, des Orbitalmeßbalkens, des Symmetrographen, des Gleitzirkels. Mit 
diesen überträgt er die einzelnen Punkte und Ebenen und führt die Messungen am 
Modell aus. Ein anthropologisches Meßinstrument, wie sie diese aufgeführten sein sollen, 
muß „sehr subtil und sehr solide durchkonstruiert sein. Es muß ein exaktes fein¬ 
mechanisches Instrument sein." 

Das kann aber nicht von seinem Gnathostaten in allen Punkten gesagt werden. Ein 
besonderer Übelstand am Gnathostaten ist das Kugelgelenk, das die Fixierung des Abdruck- 
löffels an der Metallstange bewirken soll. Einmal wird beim Feststellen der Schraube 
sehr oft der halbkreisförmige Metallbogen aus der Lage entfernt, in die man ihn glücklich 
gebracht hatte. Weiter genügt oft eine geringe Berührung oder ungünstige Haltung der 
einzelnen Teile, um deren Stellung gegeneinander im Kugelgelenk zu verändern. Das 
Kugelgelenk kann in seiner jetzigen Ausführung hier nicht als praktisch bezeichnet werden, 
da hierdurch der Wert der Messungen sehr in Frage gestellt wird. 

Zur Messung im Profil und zum Festhalten der Physiognomie reproduziert Simon den 
Gesichtsteil mit Hilfe der Photostatik. Er beschreibt ausführlich die Methode der Photo¬ 
graphie, die gute Ergebnisse liefern und auch die Vornahme von Messungen ermög¬ 
lichen soll. Simon weist auf die Nachteile der Gesichtsmaske hin, die er in der Unan¬ 
nehmlichkeit für den Patienten und weiter darin erblickt, daß durch die Gesichtsmaske 
nicht der lebendige Eindruck der Photographie wiedergegeben werden könnte. 


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388 Buchbesprechungen 

Hiergegen zählt Simon eine Reihe von Vorzügen der Photostatik auf und stellt als ein* 
zigen Nachteil derselben nur das Fehlen der orthognalen Projektion hin. Meines Erach¬ 
tens müßten aber unbedingt noch die hohen Anschaffungskosten hinzukommen, wenn auch 
Verfasser meint, die Materialkosten einer Aufnahme betrügen nur 5 Mk. und die An¬ 
schaffungskosten seien im Vergleich zu der bei anderen Reproduktionsverfahren auf¬ 
gewandten Zeit und Mühe in den Hintergrund zu stellen. Ein weiterer Nachteil sind 
die vielen Teile, die bei der Photostaten-Einrichtung gegeneinander zu verschieben sind. 
Es können da sehr leicht Ungenauigkeiten Vorkommen, durch die jede Messung wertlos 
gemacht wird. Es sei nur an den 1,75 m langen Photostatbalken aus Holz gedacht, der 
an seinem Ende das Nasenbrettchen, das Nasionvisier, die Loteinstellung und das Median¬ 
lineal trägt. Selbst bei geringstem Gew icht der zuletzt genannten Vorrichtungen ist es in 
der Natur des Materials gelegen, daß es sehr leicht zu wenn auch nur geringfügigen Form¬ 
veränderungen des Photostatbalkens kommen kann. 

Weiter ist noch an die Verschiebung des Photostatbalkens in der Schiene des Stativ¬ 
brettes, an die Verschiebung des Nasenbrettes und des Medianlineals zu denken. Selbst 
bei genauester Bearbeitung der hierzu verwandten Materialien kann doch durch Temperatur¬ 
einflüsse, Abnutzung und Schwere leicht eine fehlerhafte gegenseitige Stellung Vorkommen, 
die nur sehr schwer festgestellt werden kann. Wenn solche Fehlerquellen zu derjenigen 
der perspektivischen Verzeichnung durch die Photostatik noch dazu kommen, dürfte die 
Aufnahme für genaue Messungen nur geringen Wert besitzen. Unter den schwierigen 
wirtschaftlichen Verhältnissen von heute muß aber nochmals auf den großen Nachteil 
der kostspieligen Einrichtung hingewiesen werden. 

Nach Beschreibung des Photostatverfahrens geht Simon auf die an Gnathostatmodell 
und Photostataufnahme anwendbaren metrischen Methoden ein. Er führt Messungen mit 
Hilfe des Gleitzirkels und des Diameters aus. 

Bei der vergleichend* kritischen Beschreibung einiger anderer Untersuchungsmethoden 
dürfte die Art der Zurückweisung der Tryfusschen Methode nicht ganz unpersönlich 
sein, und die Methode von Wustrow wird zu kurz abgetan. 

Im dritten Teil gibt Simon eine neue Einteilung der Gebißanomalien. Erbetrachtet zuerst 
das normale Gebiß in kephalometrischer Hinsicht, die transversale und sagittalc Symmetrie, 
befaßt sich mit der Neigung der Zahnachsen zu den diagnostisch wichtigen Ebenen. 

Je nach dem Verhalten der Zähne und der Kiefer zu den drei gewählten Ebenen nennt 
er die Anomalien: 

Kontraktion und Distraktion zur Medianebene, 

Protraktion und Retraktion zur Ohr-Augenebene, 

Attraktion und Abstraktion zur Horizontalebene. 

Ist nur die Richtung der Zahnachsen verändert, dann nennt er die Anomalie dental, ist 
auch die Alveolpartie in Mitleidenschaft gezogen oder nur diese, dann ist sie alveolär, 
eine Anomalie der Kieferkörper bezeichnet er als maxilläre bezw. mandibuläre. 

Die Einteilung der Anomalien nach diesem System kann als klar und überzeugend 
betrachtet werden. 

Zum Schlüsse bringt Simon 12 ausgewählte Beispiele der Diagnosenstellung. Doch kann 
man sich dabei fast des Eindrucks nicht erw r ehren, daß sie als Füllmaterial dienen sollen. 

Die Ausstattung des Buches ist gut, die Sprache in doppelter Hinsicht in manchen 
Ausdrücken für ein wissenschaftliches Werk nicht unpersönlich und gewählt genug. 

Mit Recht jedoch kann Simons Werk als erstes zusammenfassendes auf dem Gebiete 
der orthodontischen Diagnostik genannt werden. Der Inhalt ist für jeden, der sich mit 
Orthodontie befaßt, lesenswert. Dr. Öhrlein - Heidelberg. 


Einführung in die Orthodontie. Von Dr. med. et phil. P. Kranz, Privatdozent in 
Frankfurt a/Main. Leitfäden der Zahnheilkunde, Heft 6. Berlin 1921. Verlag von 
Hermann Meusser. 

Verfasser hat dieses Buch als Leitfaden für das orthodontische Praktikum seiner Stu¬ 
dierenden geschrieben. Einleitend wird auf den Unterschied zwischen der alten und der 


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389 


neuen Schule hingewiesen. Nach einem Kapitel, das von der Geschichte der Orthodontie 
handelt, gibt Kranz in seinen „Anatomischen Betrachtungen' 7 einen Überblick 
über die Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Kiefer. Als wichtig für die ortho¬ 
dontischen Maßnahmen wird hervorgehoben, daß das blinde Ende der Alveolen nach 
rückwärts gebogen ist. Im folgenden Abschnitt wird der Ca mp er sehe Gesichtswinkel 
und die „Frankfurter Horizontale" beschrieben, auch werden die Rassenunterschiede der 
orthognathen und prognathen Schädel erwähnt. 

Da für die Ätiologie der Stellungsanomalien die Entwicklung der Zähne von 
großer Bedeutung ist, behandelt Kranz dies Kapitel sehr ausführlich. Auf Grund von 
Tierexperimenten kommt er zu dem Ergebnis, daß der Durchbruch der Zähne von dem 
Grade der Verkalkung abhängt. Die Resorption der Milchzahnwurzeln w'ird bei pulpa¬ 
losen Zähnen gestört/ ob der nachrückende bleibende Zahn Einfluß auf die Resorption 
hat, ist strittig. Bei frühzeitigem Verlust der Milchzähne muß der Raum bis zum Durch¬ 
bruch der bleibenden Zähne offen gehalten werden. 

Im Kapitel „Stellungsanomalien" wird die Entstehung der Gestaltung der Kiefer 
nach den Walkhoffschen Forschungen über die Trajektorien erwähnt. Nach Bluntschli 
und Winkler ist der Knochen Jugendlicher sehr reich an Spongiosa und verdichtet sich 
erst allmählich, weshalb möglichst frühzeitig mit den Regulierungen begonnen werden sollte. 
Der auf äußere Reize hin neu gebildete Knochen ist zunächst immer spongiöser Natur. 

Die Einteilung der verschiedenen Formen der Prognathie entbehrt der Klarheit. 
Kranz unterscheidet neben der physiologischen Prognathie eine Pseudoprognathie, die er 
für die häufigste hält,- ferner die totale pathologische und eine Prognathie „im Sprach¬ 
gebrauch der zahnärztlichen Orthopädie". Unter dieser versteht er Okklusionsanomalien mit 
distalem Molarenbiß. 

Sehr eingehend werden die Ursachen der Kieferanomalien behandelt. Kranz 
nimmt als wesentlichen ätiologischen Faktor Störungen im Kalkstoffw^echsel an. In Fällen 
von einseitiger Kieferlähmung hat er zuweilen Kreuzbiß festgestellt. Auch der Zusammen¬ 
hang von Geisteskrankheiten und Kiefermißbildungen wird gestreift. 

Verfasser glaubt, im allgemeinen mit einer Regulierung nicht nach dem 16. Lebensjahr 
beginnen zu sollen. Diese Grenze ist sicher zu niedrig angenommen, auch kann ich 
ebensowenig die Ansicht teilen, zwischen dem 7. und 11. Lebensjahr nicht zu regulieren. 
Als wichtigstes Ziel der Orthodontie bezeichnet Kranz mit Recht die Funktion. Mit 
Hilfe unserer Apparate üben wir einen trophischen Reiz auf den Knochen aus, der zum 
An- und Abbau der Knochenzellen führt. Durch die natürliche Kaufunktion wird dann 
die Umformung der Kiefer vollendet. 

Verfasser geht dann auf die Herstellung der Profilbilder nach Simon und der Profil¬ 
maske nach Tryfus ein und gibt dieser Methode den Vorzug. Ausführlich wird das 
Abdrucknehmen mit dem Gnathostaten nach Simon beschrieben. Es folgt die Angle¬ 
sche und neue Simonsche Einteilung/ Kranz hält wie Angle den 1. oberen Molaren 
für den Schlüssel des Gebisses. 

Bei der Aufnahme der Anamnese fehlt der Hinweis auf die Prüfung der Nasen¬ 
atmung, auf die notwendige Feststellung des Brustmaßes und des Körpergew ichtes. Sehr 
wichtig wäre es auch, nach Zahn- und Kieferanomalien in der Familie des Patienten zu 
forschen. 

Zur Konstruktion des Zahnbogens werden die Herbstschen Diagramme und die 
Pontschen Messungen herangezogen. 

In dem praktischen Teil werden kurz die schiefe Ebene und die Schraube beschrieben. 
Kranz läßt alle Apparate von den Studierenden selbst anfertigen, was als überholt 
bezeichnet werden muß, soweit Bogen und Schraubenbänder in Frage kommen. Daß selbst 
angefertigte Vollbänder hygienischer sein sollen, muß ich bezweifeln, da die Reinigung 
der Bandschraube keine Schwierigkeiten bietet. Bei dem Kapitel „Wirkung des Bogens" 
ist in Figur 76 ein Fall beschrieben, in dem nur ein seitlicher Schneidezahn innerhalb des 
Zahnbogens steht. Es dürfte wohl dem Verfasser in praxi schwer gelingen, diesen Zahn 
nach labial zu bewegen, ohne vorher durch Auseinanderdrängen der Nachbarzähne Platz 
geschaffen zu haben. Bei der Erklärung der Figur 77 muß es labial statt lingual heißen. Bei 


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Buchbesprechungen 


dem Falle auf Seite 109 ist eine Labialbewegung mittels des auf Dehnung eingestellten 
Bogens nicht möglich. Hs würde eine Rückwärtsbewegung des 1. Molaren stattfinden, die 
durch Verbindung des 1. und 2. Molaren verhindert werden könnte. Kranz dagegen 
sagt: „Übersteigt aber die durch die Summe der Wurzeln gebildete Kraft die Wider* 
standskrafit des Molaren, eventuell unterstützt durch die Wurzeln des dahinterliegenden 
zweiten Molaren, so wird umgekehrt eine Rückwärtsbewegung des Ankerzahns zustande 
kommen. 

Seite 138 muß der Hinweis auf die Figuren lauten: 122 statt 123 und 123 statt 133 

Bei der „Massage" wären noch Spülungen und Muskelübungen zu erwähnen. 

Kranz geht bei der Extraktionsfrage zu weit, wenn er sagt, daß in den meisten 
Fällen von vererbter Prognathie eine Extraktion indiziert ist. Zu unterschreiben ist, was 
er gegen das Redressement force anführt. 

Zum Schluß folgt das Kapitel über Mundhygiene und ein Nachtrag „Orthodon¬ 
tische Behandlungs-Grundsätze der „Deutschen Gesellschaft für Orthodontie". 

Das Buch kann als Einführung in die Orthodontie empfohlen werden, besonders ist 
der theoretische Teil sehr wertvoll und instruktiv. Da Verfasser das Buch durch eine 
Sammlung behandelter Fälle ergänzen will, dürften die erwähnten kritischen Bemerkungen 
Berücksichtigung finden. Greiffenhagen, Berlin. 

Lehrbuch der konservierenden Zahnheilkunde. Von Otto Walk hoff, Dr. med. 
dent. h. c., Dr. med. h. c. et phil., o. ö. Universitätsprofessor und Direktor des 
Zahnärztlichen Universitätsinstitutes in Würzburg. 2. vermehrte und verbesserte 
Auflage. Mit 233 Abbildungen, 376 Seiten. Berlin, Verlag von HermaniyJMeusser 

Schon innerhalb des 1. Jahres nach Erscheinen des Buches ergab sich die Notwendigkeit 
einer Neu-Auflage. In textlich und bildlich bereicherter Gestalt liegt nun die 2. Auflage 
vor. 

Daß so schnell nach Erscheinen eines neuen Lehrbuches eine weitere Auflage sich als 
dringend notwendig erweisr, gilt in der wissenschaftlichen Literatur immer noch als ein 
Wertmesser der Qualität und des Bedürfnisses der Zeit. 

Und in der Tat, der „Walkho ff" hat eine außerordentliche Bedeutung auf dem zahn¬ 
ärztlichen Büchermärkte mit vollem Recht erlangt. Seit Miller-Dieck vergriffen ist, was 
haben wir noch für Lehrbücher der konservierenden Zahnheilkunde? Nur den Preis werk, 
der aber prinzipiell als Atlas der konservierenden Zahnheilkunde eine etwas andere Stellung 
einnimmt. Daß wir so wenig Lehrbücher besitzen, ist ein Zeichen dafür, wie außerordentlich 
schwierig und vor allem umfangreich die Materie ist, wieviel andere Disziplinen hier 
wesentlich hereinspielen. Ich glaube, daß in dieser Beziehung die konservierende Zahn¬ 
heilkunde weitaus im Vordergründe steht, daß selbst die zahnärztliche Prothetik, wenn 
wir davon die Odontorthopädie abgrenzen, kein ähnliches Ausmaß besitzt. Das gilt auch 
für medizinische Spezialgebiete. 

Wir werden aus dem gleichen Grunde, wie ja leicht begreiflich ist, finden, daß Lehr¬ 
bücher der konservierenden Zahnheilkunde völlig verschieden in ihrer Eigenart sind, insofern 
nämlich der eine Autor mehr dies und der andere mehr jenes Teilgebiet seiner eigenen 
Wissenschaft besonders im Lehrbetrieb oder in der eigenen Forschung bevorzugt oder 
überhaupt größeres Gewicht darauf legt. 

Das Charakteristikum des vorliegenden Lehrbuches ist, wie ja von vornherein zu er¬ 
warten war: wissenschaftliche Begründung und Durchdringung des konser¬ 
vierenden Lehrgebietes. Ist das ein Kennzeichen des Walkhoffschen Lehrbuches, 
so ist dies überhaupt für unsere heutige deutsche Zahnheilkunde bezeichnend. Im 
Gegensatz zu anderen Ländern, wo entweder die praktische, manuelle Zahnheilkunde die 
Zahnheilkunde kat'exodien ist oder wo die medizinisch-theoretische Zahnheilkunde im 
Vordergründe des Lehrplanes und der Praxis steht. Wir können für uns in Anspruch 
nehmen: Wissenschaftliche und praktische Zahnheilkunde zu lehren und auszuüben. 

„Die Geschichte eines Faches ist ihre beste Lehrmeisterin." Wieviel Wahrheit liegt in 
diesem kleinen Satz, wie klar sagt er uns, auf welchem Wege wir fortzufahren haben! 


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Ist es nicht wieder so selbstverständlich, daß wir diesen Satz durch einen geschichtlichen 
Abriß belegt in dem Walk hoff als einleitendes Kapitel finden? Auch in der neuen Auf¬ 
lage werden unsere zahnärztlichen Ahnherren bildlich den Studierenden vorgeführt. Vielleicht 
gibt uns Walk hoff als bester Kenner der Geschichte in einer späteren Auflage noch 
mehr von unseren Vorgängern zu wissen. 

Ober die Berechtigung des Schlußsatzes dieses Abschnittes besteht wohl kein Zweifel. 

Mit dem auch bildlich erweiterten zweiten Abschnitt .Die paihologischen Erscheinungen 
der Zahnkaries in ihren Beziehungen zur konservierenden Zahnheilkunde 4 wird der Leser 
gleich mit der trefflichen Art des Lehrbuches bekannt. Wie klar, einfach und doch unge¬ 
mein gehaltvoll, wie leicht erkenntlich die Erfahrung des Forschers und Praktikers! Be¬ 
merkenswert ist die Stellung, die Walkhoff in der Frage der systematischen Extraktion 
einnimmt. In stark kariesanfälligen, engen Gebissen ist die Extraktion vielfach der reinen 
orthodontischen Behandlung vorzuziehen. Und gerade in den heutigen Zeiten! Wer nicht 
gerade wütender Orthodontiker ist, wird einen ähnlichen Standpunkt einnehmen. 

Es ist sehr erfreulich, daß das wertvolle 4. Kapitel .Instrumentenlehre 4 in der neuen Auflage 
auch die Arbeiten Blacks berücksichtigt, der so außerordentlichen Wert auf gute Instru¬ 
mente gelegt hat. Und mit vollem Recht! Man vergleiche einmal Original-Whitesche 
Instrumente mit manchem deutschen Fabrikat! Gerade 4er Student, der als Anfänger 
hilflos dem Heer der Instrumentenhändler gegenübersteht, muß Instrumente nicht nur 
anwenden können, sondern diese auch unterscheiden lernen. 

Eine starke, notwendige Erweiterung hat das 9. Kapitel .Die Präparation der kariösen 
Höhlen 4 erfahren. Die Prinzipien der Black sehen Kavitätenpräparation sind ihrer großen 
Bedeutung gemäß eingehender gewürdigt. Allzu wenig scheint darüber in Deutschland be¬ 
kannt zu sein. In ganz anderer Weise wird Black von der jüngeren Wiener Schule 
<Pichler u. a.) gewürdigt und geschätzt. Immer noch geht die Meinung bei uns, daß die 
Forderung „Extension for prevention" als Gesetz, als stets durchzuführende Maßnahme 
anzusehen sei. Dem ist Black 1914 selbst entgegengetreten ,• man lese einmal nach, was 
er darüber schreibt: Die zweite Auflage seines Buches ist ja, wie mir von beteiligter Seite 
mitgeteilt wurde, zur Ausgabe bereit. 

Zu dem 11. Kapitel .Blattgoldfüllungen 4 , das etwas erweitert wurde, kann kaum etwas 
gesagt werden. Alle Abschnitte, die eingehender die Methoden behandeln, sind schlechthin 
meisterhaft. M. E. sind diese Ausführungen der Höhepunkt des Werkes! Mögen auch 
die Praktiker einmal in freier Stunde darin blättern! Das ist wissenschaftliche Zahnheil¬ 
kunde. Folgen wir diesen Bahnen auch auf anderem Gebiete, so brauchen wir um die 
Zukunft der Zahnheilkunde nicht besorgt zu sein. 

Nicht nur ein Erfordernis der Zeit ist es, wenn der Studierende mit den Witze Ischen 
Konturfüllungen vertraut gemacht wird, wie es in der vorliegenden Auflage kurz geschieht. 
Wenn man darauf achtet, so wird man erstaunlich viele Kronenkapseln dem Patient und 
dem zu füllenden Zahn ersparen können. Was wird nicht alles eingekapselt! Sei die 
Hülse Gold oder Messing, um einen reizenden Fremdkörper handelt es sich allemal. 

Zu den Ausführungen über die gebrannte Porzellanfüllung ist anhangsweise das Wissens¬ 
werte über das Dal Ische Einlageverfahren angefügt. Wenn auch praktisch überlebt, so hat 
dieses Verfahren doch historisches Interesse. Vielleicht könnten in diesem Abschnitt 
„Porzellanfüllungen" einige matte Abbildungen ausgemerzt und durch bessere ersetzt 
werden. 

Durch die gleiche inhaltreiche Kürze zeichnet sich der 2. Teil des Lehrbuches aus. Im 
wesentlichen unverändert, wurden nur ab und zu kleine Ergänzungen gegeben. 

So erwähnt Walkhoff die Versuche von Prinz mit Dichloramin L, während er mit 
Recht die neuerdings vielfach angestellten Versuche, alle möglichen modernen Desinfizentien 
anstelle der alterprobten in die Therapie einzuführen, übergeht. So einfach wie diese Autoren 
sich das vorstellen, geht es denn doch nicht. Es geht nicht an, Methoden und Präparate, 
die sich seit kurzem in der Chirurgie eingeführt haben, einfach nun zur Behandlung der 
Pulpa- und Wurzelhauterkrankungen zu übernehmen. Solange wir nicht umfassende, 
positive, tiefgreifende, zahnärztliche experimentelle und klinische Beobachtungen haben, 
haben wir gar keine Veranlassung, von alten bewährten Methoden abzugehen. So dürfen 


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Buchbesprechungen 


die Versuche mit Morgenrotschen Chininderivaten (Eukupin, Vuzin) und mit Acridin¬ 
abkömmlingen (Rivanol, Tripaflavin) nur als tastende angesehen werden. 

Von den Hypokloriten {besonders Chloramin-Heyden) ist zu sagen, daß deren Ver¬ 
wendung in der Wurzelhautthcrapie von guter, unterstützender Wirkung sind. 

Die Einteilung der Pulpacrkrankungen ist die bekannte, sehr einfache, für den Praktiker 
ausgezeichnete Walkhoffsche. Immer wieder kann man in der Klinik feststellen, daß diese 
Einteilung dem praktischen Bedürfnis am besten gerecht wird. 

Bezüglich der Pulpaüberkappung bin ich noch weit skeptischer als Walkhoff. Meinen 
Erfahrungen und meinen experimentellen Versuchen nach geht die freigelegte Pulpa, ob 
gesund oder nicht gesund, schneller oder langsamer zugrunde, mögen wir eine Methodik 
anwenden, welche wir wollen. Anhänger der Überkappung mögen aber die Angabe Walk- 
hoffs in der neuen Auflage beherzigen, wonach Walkhoff zur Überkappungspaste nur 
5% Chlorphenollösung verwendet. Ich glaube, daß auch diese Konzentration noch zu 
hoch ist. Es ist gut, daß der Wust von Qberkappungsmethoden (Metall-, Papier-, Asbcst- 
käppchen) kurz abgelchnt wird. Auch das wird noch gelehrt. 

Die Pulpaamputation nach Ad. Witzei wird mit vollem Recht als Hilfsmethode bezeichnet. 
Ich halte sie nach unseren heutigen Kenntnissen für ein manchmal notwendiges Qbel. 
Wie man aus diesen Ausführungen zu der Meinung, daß Walkhoff die Amputation als 
Hauptmethode lehre, kommen kann, wie das Kronfeld-Wien getan hat, ist mir unver¬ 
ständlich. 

Auf die reizende schädliche Wirkung der Formalinpräparate wird von Walk ho ff häufig 
mit Nachdruck hingewiesen. Nach meinen Experimenten am Tier ist diese Wirkung geradezu 
das Gewebe zerstörend! Eine Ausnahme macht nur die Triopaste Gysis insofern, als 
sie weniger alterierend wirkt. Demnach wird es gut sein, endlich einmal die formalin- 
haltigen (außer Trio, s v.) Wurzelpasten aus unserer Therapie verschwinden zu lassen, da wir 
eine viel weniger reizende, wichtige Forderungen erfüllende Wurzelfüllmasse in der Walk- 
hoffschen Jodoform-Paste haben (ich nehme dabei keineswegs die Albrechtmasse aus!). 

Bei der Besprechung der Behandlung chronischer Wurzelhauterkrankungen bespricht 
Walk ho ff auch die Injektionsmethode (Chlorphenol-Kampher), die von ihm schon vor 
15 Jahren angewandt wurde. Der Anfänger muß meines Erachtens aber doch bei ge¬ 
schlossenen Prozessen sehr vorsichtig Vorgehen. Bei gefistelten Prozessen ist der Erfolg, 
wie ich midi selbst oft überzeugen konnte, vielfach ein ausgezeichneter. Das gleiche gilt 
für die Ließsche Pastenpistole, deren Indikationsgebiet ein teilweise anderes ist. 

Klar und konzentriert geschrieben, ist das Buch zu lesen ein Vergnügen. Das Papier 
ist schönes Glanzpapier, guter schwarzer Druck, die Abbildungen fast alle scharf und 
klar,- die bekannte Meussersche Ausstattung. Der Preis ist den heutigen Verhältnissen 
angemessen. Re bei. 

Grundriß der Physiologie für Studierende der Zahnheilkunde und weitere Kreise. 
Von Dr. Otto Krummacher, o. Professor an der Universität Münster i. W. Mit 
21 Abbildungen und 1 Tafel. 2. verbesserte Auflage. Leipzig 1922. Georg Thieme. 

Die Studien- und Prüfungsordnung für Zahnärzte in Deutschland bringt es mit sich, 
daß an ihre Kenntnisse der Physiologie nicht so umfangreiche Anforderungen gestellt 
werden, wie bei den Vollmedizinern. Diesem Umstand hat der Verfasser in erster Linie 
mit dem vorliegenden „Grundriß'' Rechnung getragen. Daß er damit Anklang gefunden, 
beweist die nach verhältnismäßig kurzer Zeit erforderlich gewordene Neuauflage. 

Ob es angebracht ist, das Verlangen nach physiologischem Wissen der angehenden 
Zahnärzte mit dein w eiterer Kreise auf gleiche Stufe zu stellen, ist doch etwas zweifelhaft. 
Denn was die „weiteren Kreise" interessiert, ist schwerlich identisch mit dem, was Zahn¬ 
ärzte wissen müssen, obwohl sich unstreitig in manchen Punkten ihre Bedürfnisse für die 
Praxis resp. für das Leben berühren. 

Wenn der Verfasser „ein gründliches Wissen von bescheidenem Umfang einem aus¬ 
gebreiteten Halbwissen entschieden vorzieht", so ist ihm durchaus zuzustimmen/ doch 
scheint das von ihm für Zahnärzte gebotene Wissen nicht immer „gründlich" genug. Das 
ureigenste Gebiet des Zahnarztes: die Kiefermechanik, hätte einer eingehenderen Behandlung 












Buchbesprechungen 393 

bedurft und nicht mit einem Hinweis auf andere Werke kurz abgetan werden dürfen. 
Ebenso ist der Abschnitt über Stimme und Sprache zu kurz ausgefallen. 

Obgleich in der Praxis nicht immer verwendbar, ist doch ein Quantum physiologischen 
Denkens und Wissens das Fundament für die wissenschaftliche Durchbildung des Zahn¬ 
arztes wie jedes Arztes. Ein Zuviel ist dabei ausgeschlossen, und ein Zuwenig ist von 
Schaden. In diesem Sinne an manchen Stellen abgeändert und erweitert, könnte der sonst 
brauchbare und empfehlenswerte Krummachersche Grundriß erheblich an Verwendbarkeit 
gewinnen. Hillelsohn, Berlin. 

Gesammelte Auszüge der Dissertationen an der medizinischen Fakultät Köln 
1921 <Dekanatsjahr 1920/21). Herausgegeben von Prof. Dr. Paul Frangenheim, 
Dekan. Bd. 11. Zahnärztliche Dissertationen Bonn 1922. A. Marcus 'S) E. Webers 
Verlag. 

Daß der Doktortitel der Zahnheilkunde nicht einer eitlen Titelsucht seinen Ursprung 
verdankt, sondern dem Bestreben nach anerkennenswerter und anerkannter wissenschaftlicher 
Betätigung, und welche Früchte seit der Einführung des zahnärztlichen Doktortitels ge¬ 
zeitigt sind, hat man Gelegenheit zu beurteilen, wenn man verschiedene in Fachzeitschriften 
oder Separatdrucken veröffentlichte Dissertationen gelesen hat. Infolge der ungünstigen 
Zeitumstände hat der Doktorand seine Arbeit offiziell nur in einer bestimmten Anzahl 
von gedruckten Auszügen vorzulegen, durch welche jedoch das Wesentliche der Gedanken¬ 
führung fast vollkommen verloren geht. 

Die vorliegenden Auszüge aus der Kölner medizinischen Fakultät lassen erkennen, auf 
wie hoher wissenschaftlicher Stufe die moderne Zahnheilkunde sich befindet: Themata aus 
allen Disziplinen der Zahnheilkunde selbst und aus den mit ihr in engem Konnex stehenden 
Gebieten der Medizin legen beredtes Zeugnis davon ab, welche Wissensgebiete der moderne 
Zahnarzt zu bearbeiten berufen und in der Lage ist. Ohne einzelne von den 163 Aus- 
- zügen besonders nennen zu wellen, kann man gerade bei einer derartigen Sammlung es 
besonders konstatieren, wie schade es ist, daß es nur Auszüge sind. 

Die fachwissenschaftliche Ausbeute würde eine viel größere sein, wenn die medizinischen 
Fakultäten an sämtlichen deutschen Universitäten, der Anregung der Kölner medizinischen 
Fakultät folgend, die zahnärztlichen Doktorarbeiten gesammelt veröffentlichen würden, 
allerdings nicht sämtlich im Auszuge, sondern die von der Fakultät besonders anerkannten 
vollinhaltlich. Selbst auf die Gefahr hin der Wiederholung der Themata würde durch die 
verschiedenartige Bearbeitung das Fach selbst den größten Nutzen daraus ziehen können, 
daß jedem Interessenten wesentliche geistige Erzeugnisse der Fachgenossen leicht zugänglich 
gemacht werden. Ein frommer Wunsch. Hillelsohn, Berlin. 


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ZEITSCHRIFTENSCHAU 


Das zahnärztliche Institut der Universität Bern. 

Die Anfänge des zahnärztlichen Unterrichts an der Berner Universität greifen auf das 
Jahr 1906 zurück. Von 1906 bis 1909 las Privatdozent Dr. Schürch über die Krank* 
heiten der Zähne. Seine Vorlesung erweiterte er durch Abhaltung einer zahnärztlichen 
Poliklinik. Das Bestreben Dr. Schürchs war, in Bern ein zahnärztliches Institut zu 
gründen, und Vorlesung und Poliklinik sollten die ersten Anfänge dazu sein. Im Juni 
1909 starb Dr. Schürch und mit ihm für Jahre leider auch sein Werk und seine Be* 
Strebungen. Der zahnärztliche Unterricht mit einer Vorlesung über die Krankheiten der 
Zähne wurde erst mit dem Wintersemester 1915/16 regelmäßig wieder aufgenommen. 
Der Vorlesung über die Krankheiten der Zähne schlossen sich weitere an, so eine Histo¬ 
logie-Vorlesung für diejenigen Studenten, die nach dem propädeutischen Examen die In* 
stitute von Zürich und Genf besuchten. Es wurde auch eine Vorlesung über Kiefer- 
und Gaumendefekte eingeführt. Im Wintersemester 1917/18 wurde eine zahnärztliche 
Poliklinik, die in den Räumen der chirurgischen, später der medizinischen Poliklinik statt¬ 
fand, abgehalten. Mit allen Mitteln wurde versucht, diesen zahnärztlichen Unterricht zu 
erweitern und die Gründung einer zahnärztlichen Hochschulabteilung zu erwirken. 

Die Räume, die bereits im Frühjahr 1920 vorgesehen waren, werden einer erneuten 
Besichtigung unterzogen und für den Anfang als geeignet befunden. In zwei südlichen 
Zimmern wurden sieben und fünf Stühle aufgestellt und in dem nordwestlichen Zimmer 
drei, so daß im ganzen fünfzehn Stühle für den Unterricht zur Verfügung stehen. In 
einem südlichen und zwei nördlichen Zimmern ist das Laboratorium eingerichtet, welches 
für das Wintersemester 1921/22 für zehn Studenten Platz bietet. Für das Sommer* 
semester 1922 werden weitere sechs Plätze im nördlichen Zimmer eingerichtet. Im dritten 
Zimmer sind die Gipstische, die Lot* und Vulkanisieranlage untergebracht. Ein kleines 
Wartezimmer vervollständigt die Abteilung. Die Fünfteilung des Unterrichts ist am In¬ 
stitut eingeführt, indem von der poliklinischen Abteilung der orthodontische und von der 
klinischen Abteilung der Kronen* und Brückenkurs besonders gegeben werden und einen 
eigenen Dozenten haben. Folgende Lehrer lesen ü. Z. Für die klinische Abteilung: 
Privatdozent Dr. O. Müller,- für die poliklinische Abteilung: Herr Dr. med. F. Egger,- 
für das technische Laboratorium: Herr R. Wirth,- für den Kronen* und Brückenkurs: 
Herr A. Mai Hart,- für die Orthodontie: Herr W. G übler. Der Unterricht wurde am 
15. November 1921 mit zehn Studenten begonnen. Dozent Dr. Julian Zilz. 

Uber leukämische Veränderungen in der Mundhöhle. Von Moritz Bargetzi. Zahn¬ 
arzt von Zollikon. Schweizerische Monatsschrift für Zahnheilkunde. Jänner 1922. 
Band XXXII. Nr. 1. 

Die Organe der Mundhöhle und des Rachens zeigen vielfach Veränderungen, deren 
Ursache weiter zu suchen sind als in bloß örtlichen Schädlichkeiten. Eine große Anzahl 
krankhafter Erscheinungen der Mundschleimhaut, der Zunge, der Tonsillen, des Zahn¬ 
fleisches und der Zahnreihen, bei deren Anblick der Zahnarzt und praktische Arzt oft 


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Zeitschriftenschau 


395 


vorschnell die Diagnose Stomatitis, Glossitis, Angina, Gingivitis oder Alveolarpyorrhoe 
stellt, erweisen sich später als Teilsymptome eines allgemeinen Grundleidens, dessen Natur 
sich erst durch die oralen Veränderungen manifestiert. Vor allem sind es Stoffwechsel- 
Störungen und eigentliche Blutkrankheiten, die in der Mundhöhle gerne abnorme Ver¬ 
hältnisse schaffen. Die Diabetes geht bisweilen mit hartnäckiger Trockenheit, Hyperämie 
und Schwellung der Mundschleimhaut einher. Blutungen, gangränöser Zerfall des Zahn¬ 
fleisches, Zahnausfall unter dem Bilde der Alveolarpyorrhoe beschleunigen den allgemeinen 
Kräfteverfall dieser Kranken. Auch Gichtiker besitzen starke Neigung zu solchen Affek¬ 
ttonen. Bei Blutkrankheiten, besonders sekundären und perniziösen Anämien, machen sich 
diese infektiösen Schädigungen durch Bakterien usw. weniger geltend. Hier, wie auch bei 
anderen Erkrankungen, stößt man vielmehr auf eine hämorrhagische Diathese, die sich 
meistens in Zahnfleischblutungen kundgibt. 

Hämorrhagien der Gingiva sind so typisch, daß Williger in Partschs Handbuch der 
Zahnheilkunde sich sogar für berechtigt hält, von einer Gingivitis haemorrhagica zu 
sprechen und unter diesem Sammelbegriff die Zahnfleischblutungen einer ganzen Reihe 
von Blutkrankheiten beschreibt. An diese reihen sich die Blutfleckenkrankheit, der Morbus 
maculosus Werlhofii — mit ihren beiden Untergruppen der Purpura Simplex und Pur¬ 
pura hämorrhagica. Selbst die angeborene Hämophilie, deren Pathologie doch in einer 
Veränderung der Blutzusammensetzung besteht, zeigt Formen, welche die Organe der 
Mundhöhle bevorzugen. Zwei allgemeine Erkrankungen, die Möller-Barlowsche Krank¬ 
heit und der Skorbut, werden zwar oft als Infektionskrankheiten betrachtet, nehmen aber 
sehr wahrscheinlich ihren Anfang in einer durch schlechte und einseitige Ernährung be¬ 
dingten Blutveränderung. Auch beim Skorbut beherrscht die Gingivitis hämorrhagica 
das Krankheitsbild. Die blutigen Infiltrate des Zahnfleisches zeigen starke Neigung zum 
Zerfall. 

Die Schleimhaut verwandelt sich in eine pulpöse Masse, die Geschw üre zeigen einen 
schmutzig belegten Grund und verbreiten einen aashaften Geruch. Die meisten Symptome 
der angeführten Blutkrankheiten, die Trockenheit und Blässe der Mundschleimhaut, hämor¬ 
rhagische Diathese, Auflockerung des Zahnfleisches, Geschwürbildung im Bereiche der 
ganzen Mundschleimhaut und des Rachens, gangränöser Zerfall unter oft nomaartigem 
Weitergreifen, wiederholen sich bei den akuten Formen dieser Leiden. 

Trotzdem der Arzt heutzutage über viel ausgebildetere Hilfsmittel zur Erkennung der 
Leukämie verfügt als früher, werden ihm auch heute noch Munderscheinungen ein dia¬ 
gnostisch wichtiges Symptom bleiben, vor allem für die akuten und vorgerückten chronischen 
Stadien dieser Blutkrankheit. Die Mundblutungen, die Zahnfleischschmerzen, das Wacklig¬ 
werden von Zähnen und Schluckbeschw'erden sind oft die ersten Erscheinungen, die den 
Patienten zum Arzte rreiben. 

Zum Schlüsse gibt der Autor allgemeine Richtlinien für eine therapeutische Behandlung 
der leukämischen Veränderungen der Mundhöhle. Von allen Hilfsmitteln ist jedenfalls 
der Thermokauter gerade das unglücklichste, um eine Heilung der Lllzerationen herbei¬ 
zuführen. Statt dem schon schwer geschädigten Gewebe günstigere Bedingungen zu ver¬ 
schaffen, verkohlt er es und setzt Substanzverluste. Nicht weniger gefährlich als der Thermo¬ 
kauter wirken auf dem leukämisch infiltrierten Zahnfleisch stark ätzende Desinfizientien, 
wie Phenol und der Lapisstift. Günstigere Heilungsbedingungen für die geschwürige 
Mundhöhle schaffen Spülungen mit milden desinfizierenden Lösungen von Borax, Salizyl¬ 
säure, Wasserstoffsuperoxyd und physiologische Kochsalzlösungen. 

Auf jeden Fall soll sich jeder Zahnarzt zum Grundsätze machen, Patienten, bei denen 
Leukämie diagnostiziert wurde oder die ihm nach dieser Hinsicht verdächtig erscheinen, 
nach einem möglichst schonenden Plane zu behandeln. Es wäre das beste, operative Ein¬ 
griffe ganz zu vermeiden. Wenn mehrere Extraktionen gemacht werden, schützt eine Ver¬ 
einigung der Ränder über den Alveolarfortsatz durch Nähte vor Blutungen und Nekrosen. 
Meist wird der Zahnarzt blutige Eingriffe überhaupt vermeiden können, indem er Zahn¬ 
schmerzen durch Pulpenbehandlung beseitigt, scharfe Kanten oder Wurzelreste abschleift 
oder mit Kronen überkappt. Dozent Dr. Julian Zilz. 


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396 Zeitschriftenschau 

Kautschuk-Vulkanisation. Von Prof. Dr. Alfred Gysi. Schweizerische Vierteljahrs- 
schrift für Zahnheilkunde, Band XXXI. 1921 - Nr. 2. Vol. XXXI. 

Auf Grund der Experimente muß man also folgendermaßen Vorgehen, wenn man be¬ 
absichtigt, eine Kautschukplatte zu erhalten, die vollständig genau dem Abdruck des 
Mundes entspricht: 

1. Der Abdruck muß mit Spence-Zcment-Gips ausgegossen werden, um ein unver¬ 
zogenes und hartes Modell zu bekommen, das beim Vulkanisationsprozeß nicht erweicht 
und sich nicht dehnt und dem schrumpfenden Kautschuk widersteht. 

2. Nachdem man mit dem Aufstellen der Zähne fertig ist und das Ganze schön aus¬ 
gewachst hat, muß die Außenseite des Wachses mit Stanniol überzogen werden, damit 
sich die ganze Kautschukkontraktion auf diese Stanniolseite der Platte verlegt und die 
innere Gaumenseite ihre richtige Form beibehält. Dieser Stanniolbelag ist im Grunde ge¬ 
nommen nichts Neues, denn dies hat man schon seit langem praktiziert, jedoch nur in der 
Absicht, nach der Vulkanisation ein schon nahezu fertig poliertes Kautschukstück aus der 
Muffel nehmen zu können. Gysi empfiehlt jedoch diesen Stanniolbelag speziell zu dem 
Zwecke, die Kautschukschrumpfung zu kompensieren. Natürlich wird gleichzeitig auch der 
ursprüngliche Zweck erreicht, so daß die Zeit, die man verliert, durch das Auflegen des 
Stanniols wieder eingebracht wird durch eine verkürzte Polierzeit. 

3. Nun werden der Ringkanal und die Radialkanäle eingeschnitten. Das Gaumenmodell 
darf nicht mit Wasserglas usw. geglättet werden. 

4. Der Kautschuk wird in die Muffel gestopft und gepreßt unter Zuhilfenahme einer 
zirka 150 kg starken Feder, damit durch übermäßigen Druck das Gipsmodell nicht kom¬ 
primiert werden kann oder einzelne Zähne nicht in den Einbettgips gepreßt werden. 

5. Der Kautschuk w ird vulkanisiert in starr verschraubter Muffel. Die Muffel muß über 
dem Kesselwasser sein, damit der Gips sich nicht bläht und nicht erweicht. Die Vul¬ 
kanisationstemperatur sollte 160 Grad C nicht übersteigen, oder besser nur bei 150 Grad C 
vorgenommen werden, was aber eine um 60 Minuten längere Vulkanisationszeit bean¬ 
sprucht. Dafür ist aber die Kautschukdehnung geringer und daher auch die Abkühlungs¬ 
schrumpfung gering, der Kautschuk bleibt elastischer und wird homogener, weil frei von 
mikroskopischer Porosität, da keine Schwefelw'asserstoffentwicklung staitfindet. 

6. Nach der Vulkanisation muß man langsam auf 100 Grad C abkühlen lassen und 
nachher in kaltem Wasser lange kühlen, damit die Oberflächenschrumpfung und Spannung 
gelähmt wird. 

7. Beim Polieren mit den rasch laufenden Motorbürsten muß darauf geachtet werden, 
daß die Bürsten nie trocken laufen, weil sonst die Kautschukplatte sich sofort erwärmt 
und so die Oberflächenspannung des nicht nur in der Dicke, sondern auch flächenhaft ge¬ 
schrumpften Kautschuks frei wird und die Platte verzieht. Aus demselben Grunde muß 
der Patient instruiert werden, die Platte nie in heißem Wasser zu reinigen. Die hier be¬ 
schriebene Stanniolmethode läßt sich natürlich auch an untern Prothesen verwenden, aller¬ 
dings etwas schwieriger und bei sehr dicken Stücken mit etwas weniger sicherem Erfolg. 
Das schadet nun aber auch nicht viel, weil die ganzen Zahnersatzstücke des Unterkiefers 
ja sowieso nicht eigentlich durch Adhäsion halten, sondern meist nur durch ihre eigene 
Schwiere und richtige allgemeine Form. Bei Verwendung großer Kautschukmengen kann 
aber die beträchtliche Kautschukkontraktion trotz aller Vorsichtsmaßregeln leicht einzelne 
Zähne aus ihrer richtigen Okklusionsstellung reißen. Man tut daher gut, zuerst das 
Unterstück für sich allein zu vulkanisieren, um dann im Munde des Patienten die leicht 
erwärmten Zähne des noch im Wachszustande befindlichen Oberstückes gegen die fertig 
vulkanisierten des Unterstückes beißen zu lassen, wodurch alle Stellungsveränderungen des 
letzteren kompensiert werden am Oberstück. Auch jetzt wird erst das Oberstück ein¬ 
gegipst und vulkanisiert. Auf diese Weise hat man mit dem Patienten allerdings eine 
Sitzung mehr, aber dafür braucht man viel weniger Zeit, um die Zähne im Munde richtig 
und genau einzuartikulieren. 

Gysi beschließt seine praktische sehr lehrreiche Publikation wie folgt: Nach all den 
exakten Forschungen kann nun wieder ein superkluger „alter Praktiker" die Frage auf- 
w^erfen: „Ja, warum passen aber die Kautschukplatten auch ohne Anwendung all dieser 









Zeitschriftenschau 


397 


Vorsichtsmaßregeln?'' Darauf kann ich antworten, daß man unter „passen" eben ver¬ 
schiedenes verstehen kann. Es gibt wie bei vielem anderen auch hier verschiedene Grade 
des Passens, und wer die höchsten Grade eben noch nicht kennt und sich überdies auf 
seine Kunst noch etwas einbildet, der begnügt sich selbstverständlich mit einem niedrigeren 
Grade des Passens. Ferner adaptiert sich manche unpassende Platte von selbst dadurch, 
daß die Schleimhaut, auf welcher die Platte im Munde aufruht, sich durch Wucherungen 
und Resorptionen den unpassenden Plattenstellen anschmiegt und so die zum Halten 
nötige Adhäsion automatisch erzeugt. Aber dies findet erst nach einer für den Patienten 
unangenehmen, mehr oder weniger langen Angewöhnungszeit statt, die wir dem Patienten 
durch die hier beschriebenen Vorsichtsmaßnahmen gan 2 bedeutend kürzer und erträglicher 
gestalten können. Dozent Dr. Julian Zilz. 

Veränderungen im Kiefergelenk der Neu^Caledonier und Loyalty-Insulaner und 
ihre Bedeutung für die zahnärztliche Prothese und Orthodontie. Von Dr. 

R. Schwarz, Basel. Schweizerische Monatsschrift für Zahnheilkunde August 1922, 
Band XXXII. Nr. 8. 

In der anthropologischen Sammlung von Dr. Fritz Sa rasin in Basel sind 250 Schädel 
aus Neu-Caledonien und den Loyalty-Inseln aufgestellt. Die Neu-Caledonier sind 
für die Anthropologie besonders interessant, da sie eine der bestbezahnten Rassen 
der ganzen Welt vorstellen und für zahnärztliche Studien ein dankbares Feld bieten. Um 
die vorliegenden Befunde voll und ganz erklären zu können, berücksichtigt der Autor: 

1. Das Kiefergelenk/ Fossa glenoidalis und Tuberculum articulare am Oberkiefer und 
Capitulum <Proc. condyloideus) am Unterkiefer. 

2. Die Zahnreihen, besonders die Art ihrer Artikulation und 

3. Die Kaumuskulatur und Kaubewegungen. 

Bei der Berücksichtigung der Bedeutung dieser Veränderungen für die Zahnheilkunde, 
besonders für die Orthodontie und Prothese kommt der Autor zu folgenden Schlüssen: 
In der vorliegenden Arbeit hat der Autor klargelegt, daß das Kiefergelenk ein rezentes 
Gelenk ist, d. h. das Tuberculum articulare, das embryonal nicht angelegt ist, bildet sich 
erst beim Erscheinen der Zähne. Unsere therapeutischen Maßnahmen bestehen nun bei 
Distalbiß im Vorwärtsziehen des Unterkiefers mittels extramaxillärer Gummiringe. Wenn 
wir mit dieser Behandlung früh genug einsetzen, so werden wir imstande sein, das Tuber¬ 
culum articulare der neuen Bißlage entsprechend zu formieren und diese festzuhalten. Bei 
Mesialbiß muß Vorsicht empfohlen werden, denn beim Zurückziehen des Unterkiefers ist 
unter Umständen eine Usurierung des Tympanicum nicht ausgeschlossen. Es ist zu wün¬ 
schen, daß sich die Röntgenapparate so verbessern lassen, daß sie vor Inangriffnahme 
jeder orthodontischen Behandlung über die Topographie des Kiefergelenkes genauen Auf¬ 
schluß geben können. Die Möglichkeit einer Streckung oder Verkürzung des Unterkiefer¬ 
winkels ist nach den Arbeiten von Kieffer, Sicher und Krasa unwahrscheinlich und 
bis jetzt noch nicht bewiesen worden. Auch im Hinblick auf unsere prothetischen Ar¬ 
beiten können wir schwerwiegende Schlüsse ziehen. Wir werden gut daran tun, jeweilen 
die individuellen Condylenbahnen zu messen, um so die künstlichen Zähne, mit richtiger 
Neigung der Höcker, auswählen zu können, welche seitliche Bewegungen machen können. 
Da deren Zerkleinerungskraft mindestens das Doppelte der flachen Kauflächen beträgt, so 
erzielen wir dadurch die notwendige Entlastung des Kiefergelenks. Bei den Neu-Cale- 
doniern bilden die Neubildungen im Kiefergelenk keine Hemmung der Kaufunktion, denn 
die Schliff flächen der Zähne sind glänzend, frisch und zeigen keinerlei Ansammlung von 
Zahnstein. Unsere Rasse, die ein richtiges Kauen verlernt hat, weist jedoch ganz andere 
Kieferverhältnisse auf als dieses Urvolk. Wir wissen, daß geringe statische Veränderungen 
beim Europäer die meist papierdünnen Alveolen zum Schwinden bringen können und 
dadurch die so weit verbreitete Pyorrhoe hervorrufen. Ferner ist die Knochendicke der 
Fossa glenoidalis beim Europäer so gering, daß ein Tiefertreten des Condylus nicht zur 
Hypertrophie, sondern zur Atrophie, ja selbst zur Usur führen kann. Sehr gute Ab¬ 
bildungen ergänzen die vortrefflichen Ausführungen des Autors. 

Dozent Dr. Julian Zilz. 


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398 Zcitschriftenschau 

Beitrag zur Über* und Unterzahf im menschlichen Gebiß. Von Karl Fave, prakt. 
Zahnarzt. Aus dem Zahnärztlichen Institut der Universität Zürich. Zahnärztliche 
Poliklinik. Vorstand: Prof. Dr. Stoppany. Schweizerische Monatsschrift für Zahn¬ 
heilkunde. Mai 1922. Band XXXII. Nr. 5. 

Der Autor beschäftigt sich in dieser Arbeit mit 244 Fällen, welche die Überzahl und 
Unterzahl betrafen. Erstere ist häufiger als letztere. Diese finden sich in den beiden 
Dentitionen, im zweiten Gebiß allerdings viel häufiger als im ersten. Anomalien der Zahl 
findet man im Oberkiefer häufiger als im Unterkiefer. Letztere stellt von beiden Kiefern 
das konstantere Element dar. Von den 244 Fällen verteilt sich die Überzahl und Unter» 
zahl wie folgt: Milchgebiß 18, davon Überzahlen 17, Unterzahlen 1/ von den Überzahlen 
15 im Oberkiefer, 2 im Unterkiefer. Der Fall von Unterzahl findet sich im Oberkiefer. 
Bleibendes Gebiß 226, davon Überzahlen 175, Unterzahlen 51/ von den Überzahlen im 
Oberkiefer 168, im Unterkiefer 7. Von den Unterzahlen entfallen 36 auf den Oberkiefer 
und nur 15 auf den Unterkiefer. Mit Vorliebe finden wir die Anomalien der Zahl in 
der Front, im Bereiche der Incisivi. Sowohl der zentrale als der laterale werden davon 
betroffen, letzterer häufiger. Die Lage wechselt vom Interstitium labial» und palatinal» 
wärts. Überzählige im Interstitium finden sich stets links oder rechts, nie genau in der 
Mittellinie. Die Überzahl und Unterzahl der Lateralen ist eine häufige Begleiterscheinung 
bei Lippen» und Gaumenspalten. Überzählige Zähne treten als Suplementärzähne auf 
oder in Reduktionsformen, als Düten», Zapfenzähne oder Emboli. Ebenso wie bei den 
Frontzähnen finden wir die Anomalien der Zahl bei den Prämolaren und Molaren, wenn 
auch nicht so oft. Von diesen Anomalien werden nie betroffen der Caninus und Sedis-Jahr» 
Molar. Über» und Unterzahl sind Zeichen einer physiologischen Entwicklung. Das älteste 
Stadium geht auf ein Gebiß mit 5 Incisivi, 1 Caninus, 4 Prämolaren und 4 Molaren 
zurück. Durch die allmähliche Reduktion kommen wir zum heutigen Gebiß und noch weiter 
fortschreitend zum Zukunftsstadium: 20 Zähne im bleibenden und 16 im Milchgebiß. Die 
Anadontie ist nicht ein physiologisches Stadium, sondern die Folge innerer schwerer 
Schäden. Vorzügliche Abbildungen ergänzen die lehrreiche, fleißige Arbeit des Autors. 

Dozent Dr. Julian Zilz. 

Die Verkalkungszonen bei der Dentinkaries. Von Beatrice Für rer, prakt. Zahn¬ 
ärztin in Zürich. Aus dem Zahnärztlichen Institut der Universität in Zürich, Zahn¬ 
histologisches Laboratorium. Vorstand: Prof. Dr. med. h. c. A. Gysi. Schweizerische 
Monatsschrift für Zahnheilkunde. Juli 1922. Band XXXII. Nr. 7. 

Den Gegenstand der vorliegenden Arbeit soll die Natur der transparenten Zone und 
der Zone der vitalen Reaktion bilden, die in der Literatur verschieden aufgefaßt wird 
Aus den praktischen Schlußfolgerungen der Autorin entnehmen wir folgende interessante 
Feststellung: „Als Schlußergebnis dieser Untersuchungen, das für den Kliniker wichtig ist, 
soll auch noch erwähnt werden, wie nutzlos es ist, wenn man mit Kokain oder anderen 
ähnlich wirkenden Substanzen, welche die sensiblen Nerven nur anästhesieren, aber nicht 
töten, die Sensibilität des Dentins innerhalb zehn bis zwanzig Minuten, also während der 
Patient sich im Operationsstuhl befindet, herabsetzen will, da die transparente Zone sowie 
die Zone der vitalen Reaktion absolut undurchlässig sind für solche Losungen. Falls über¬ 
haupt irgendwelche Nerven im Dentin existieren sollten <was wir bezweifeln), so wären 
dieselben in den Karieszonen sowieso verkalkt oder sonstwie zerstört, wie der Kanälchen¬ 
inhalt selbst, und daher wäre schon aus diesem Grunde eine Anästhesie der Nerven ein 
illusorisches Unterfangen. Wir können allerdings beim Exkavieren einer Kavität seitlich 
aus den Karieszonen herausgelangen, und dort herrscht dann die normale protoplasmatische 
Reizleitung der Tomesschen Fasern und damit tritt auch die Schmerzempfindung wieder 
auf. Eine Anästhesie etwaiger Nerven könnte sich also höchstens auf die Umgebung des 
Karieskegels beschränken/' 

Die Resultate der Untersuchungen faßt die Autorin wie folgt zusammen: 

1. Bet beginnender Dentinkaries finden wir zwei Verkalkungszonen, welche der kalk» 
auf lösenden Wirkung der Gärungssäuren voranlaufen: 



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Zeitschriftenschau 399 

a> Zone der Transparenz mit homogener Verkalkung der Dentinkanälchen und der 
Intertubularsubstanz. Diese Verkalkung rückt zentripetal vor, 

b) Zone der vitalen Reaktion mit körniger Verkalkung des Dentinkanälcheninhaltes. 
Diese Verkalkung bildet sich zentrifugal aus. 

2. a) Der Kalk aus der Transparenz stammt von dem durch die Gärungssäuren auf¬ 

gelösten Schmelz und Dentin. 

b) Der Kalk in der vitalen Reaktionszone wird von den Odontoblasten aus der Blut- 
Zirkulation entnommen und durch die Odontoblastenfortsätze an Ort und Stelle 
geleitet und daselbst ausgeschieden. 

3. Beide Zonen sind vollständig undurchlässig für Farben und Imprägnationsmittel. 

4. Die Blitzstäbchen im entkalkten Dentin der pilzhaltigen Zonen sind schwer lösliche 
Überbleibsel aus der Zone der Transparenz. 

Vorzügliche Abbildungen sind der Publikation beigefügt. Dozent Dr. Julian Zilz. 

Über Asepsis in der konservierenden Zahnheilkunde. Von Privat-Dozent Dr. O. 

Müller, Bern. Schweizerische Monatsschrift für Zahnheilkunde, Band XXXII. 1922. 
Heft 4. 

Die amerikanische Focal Infektion Theorie lautet: „Jeder tote Zahn ist namentlich in 
seinem apikalen Teil ein Bakteriennest, welches das umgebende apikale Gewebe infiziert 
und zur Granulombildung führt. Die Bakterien in diesen Gebilden sind eine Gefahr für 
den ganzen Körper. Eine Ausheilung ist unmöglich, deshalb müssen alle toten Zähne 
gezogen werden, und eine Wurzelbehandlung, bei der die Pulpa entfernt werden muß, ist 
ein Kunstfehler, weil am toten Zahn stets dieser Prozeß der Focal Infektion sich volU 
zieht." Müller will vorerst genauer untersuchen, was unter dem toten Zahn gemeint 
ist. Hier entdecken wir bereits einen Irrtum/ unter dem toten Zahn ist der pulpalose 
Zahn gemeint. Ein pulpaloser Zahn ist aber kein toter Zahn, wie uns die Histologie 
beweist. Wir berauben den Zahn bei der Pulpenbehandlung wohl seines ursprünglichen 
und normalen Ernährungsorganes, aber dafür hat die weise Natur eine Vorsorge getroffen, 
und wenn durch Fortfall der Pulpainfektion wohl Dentin und Schmelz vorerst stark in 
Mitleidenschaft gezogen werden, so bleibt doch die dritte Hartsubstanz des Zahnes, das 
Zement hiervon unberührt. Das Zement ist eine Bildung der Wurzelhaut und wird direkt 
auf die Dentingrundsubstanz abgelagert. Diese dritte Hartsubstanz des Zahnes wird also 
trotz Pulpaentfernung ihre Funktion voll und ganz ausüben, weil sie mit der Pulpa in 
keinem näheren Zusammenhang steht, namentlich nicht in einem genetischen. Am Zement 
des Zahnes inserieren aber die Bindegewebselemente, die den Zahn in seiner Alveole 
halten, die Sharpeyschen Fasern, und diese sind die Ursache, warum Zähne, die keine 
Pulpa haben, im Kiefer bleiben und nicht ausgestoßen werden. Sie sind eben nicht 
„tote Körper." 

Die Focal Infektion Theorie sagt ferner: „Jeder tote Zahn ist namentlich in seinem 
apikalen Teil ein Bakteriennest, welches das umgebende apikale Gewebe infiziert und zur 
Granulombildung führt." Für die Pulpagangrän ist dies zum großen Teil zutreffend, 
namentlich wenn wir an die oft unendlichen Verästelungen und Verzweigungen der Pulpa 
denken und an die vielen Nischen und Winkel in zum Teil verkalkten Kanälen. Von 
gekrümmten Wurzeln und engen, zum Teil obliterierten Kanälen ganz zu schweigen. Es 
entsteht nun die Frage, können wir die Pulpagangrän so behandeln, daß sie das peri- 
apikale Gewebe nicht mehr infizieren kann, und ist im weiteren eine konservierende 
Behandlung, in bezug auf den Zahn, des Granuloms möglich? Nach unserem heutigen 
Stande der konservierenden Zahnheilkunde müssen wir das unbedingt bejahen. Für die 
Desinfektion der Wurzelkanäle stehen uns gute Methoden zur Verfügung. Müller nennt 
hier: Triopaste und Asphalin, beide das gut dosierbare feste Formaldehyd enthaltend, das, 
wie experimentell schon oft nachgewiesen wurde, in die feinsten Verzweigungen dringt. 
Des ferneren die Silberreduktionsmethode, wobei durch das Formaldehyd metallisches Silber 
in Silbernitrat alle infizierten Partien durchdringt. Auch zur Beeinflussung von Granu¬ 
lomen, blinden Abszessen und Fisteln sind diese Medikamente zu verwenden, obschon 
sich hier ihre gute Wirkung nicht so drastisch zeigt. Es sind aber ganz einwandfreie. 


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Zeitschriftenschau 


röntgenologisch sichere Heilungen durch Knochenneubildung möglich. Auch wenn dies nicht 
gelingen sollte, so haben wir in der Wurzelspitzenresektion immer noch das ultimum 
refugium, und zwar ein sehr gutes und sicheres, namentlich dann, wenn der rein zahn- 
ärztliche Teil desselben, die Desinfektion, Behandlung und Füllung des Wurzelkanals ein¬ 
wandfrei ist. Diese ultima ratio der Wurzelspitzenresektion hat naturgemäß ihre Grenzen, 
sie wird w'ohl selten über die Prämolaren hinaus angewandt, und so ergibt sich die For¬ 
derung der Extraktion von selbst, denn die Bakterien in der Wurzelhaut und deren 
pathologischen Gebilden können eine Gefahr für den ganzen Organismus sein, das ist 
gar keine Frage. 

Dies wußten wir aber bereits vor Jahrzehnten, und unsere europäische zahnärztliche 
und ärztliche Literatur bringt hierüber genaue Berichte und Zusammenhänge. Diese Tat¬ 
sache neu zu beleben und mit zum Teil sehr anfechtbaren Statistiken, aber mit verblüffender 
Sicherheit und autoritären Schlüssen in die Fachwelt zu setzen, das war einigen Ameri¬ 
kanern und ihren blinden Anbetern Vorbehalten: Mr. Fischer, Prof, der Physiologie in 
Cincinnati, hat hierüber ein Büchlein geschrieben, und jede konservierende Behandlung der 
Zähne, soweit sie die Pulpa in Betracht zieht, jede Kronen- und Brüdcenarbeit, jede 
Pyorrhoebehandlung a limine verworfen, weil sie nur Bakterienherde schaffen und der 
Menschheit schaden. Daß amerikanische Zahnärzte mit gutem Forschernamen diese ein¬ 
seitige Therapie nicht mitmachten und daß bereits eine gegenteilige Strömung sich ab¬ 
zuzeichnen beginnt, wie der Artikel: „The Swinging Back of the Pendulum" im Dental 
Cosmos beweist, erwähnt Müller gerne. Der Autor beschäftigt sich mit der Frage: 
„Wie können wir aber eine Infektion am Foramen apicale bei nicht septischen Verhält¬ 
nissen verhüten?" Vorerst handelt es sich um das sterile Operationsfeld. Dieses können 
wir mit Hilfe des Cofferdams erreichen. Wenn er einmal angelegt ist, dann müssen die 
betreffenden Zähne, das eigentliche Operationsfeld, steril gemacht werden. Dazu brauchen 
wir sterile Instrumente, wenigstens am Gebrauchsende sterile. M. benützt deshalb nur 
einendige Instrumente. Dann müssen wir sterile größere und kleinere Wattebäuschchen 
haben und sterile Medikamente. Das hier angeführte ist nötig zu einer einfachen Kavität. 
Für die Wurzelbehandlung nach Exstirpation der Pulpa müssen wir sterile Nadeln haben, 
die mit Watte umwickelt sind. Ohne dieses gelingt es uns nicht, eine Wurzelbehandlung 
durchzuführen, von der wir mit aller Sicherheit sagen können, sie ist und bleibt steril und 
infolgedessen dauerhaft. Auf die Desinfektionskraft der Medikamente allein darf man sich 
unter keinen Umständen verlassen. 

Wenn wir auf diese Weise verfahren, wenn wir den Bakterien, die einmal Zurück¬ 
bleiben, mit aseptisch eingebrachten Desinfizien zu Leibe rücken, wenn wir durch aseptische 
Maßnahmen verhindern, daß sich noch mehr virulente Keime ansiedeln können, wenn wir 
eine gut abschließende Wurzelfüllung aseptisch einbringen, dann dürfen w'ir auch erwarten, 
daß das periapikale Gewebe in normaler Weise zur Abheilung kommt und die*- ihm auf- 
getragene Aufgabe der Ernährung des Zahnes übernehmen kann. 

Dozent Dr. Julian Zilz. 



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AUS DER KLINISCHEN ABTEILUNG DES ZAHNÄRZTLICHEN 
INSTITUTES DER UNIVERSITÄT ZÜRICH 

< VORST AND: PROF. DR. MED. W. HESS) 


EXPERIMENTELLE UND HISTOLOGISCHE 
UNTERSUCHUNGEN ZUR FRAGE DER TOTAL¬ 
EXSTIRPATION DER PULPA 

MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DES VERHALTENS DER 
PERIAPIKALEN GEWEBE ZUM WURZELKANALINHALT 

VON 

WILHELM STITZEL 

PRAKT. ZAHNARZT IN ZÜRICH (SCHWEIZ) 

GESCHICHTLICHE EINLEITUNG 

D as Gebiet der Pulpa- und Wurzelbehandlung ist gewiß das ureigenste 
der modernen Zahnheilkunde. Kein Wunder, daß der Stoff so umfang¬ 
reich ist. Der Umfang meiner Arbeit gestattet mir nur auf die Kerndaten 
der Entwicklung der Wurzelbehandlung eingehen zu können. 

Schon im Jahre 1780 empfiehlt Hunter 37 die vollständige Entfernung 
der schmerzhaften, erkrankten Pulpa. Eine weitere Verbreitung fand dieses 
Verfahren aber erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, als die 
Kauterisation der Pulpa mittels arseniger Säure zur allgemeinen Anwendung 
gelangte. Damit entstand die sogenannte Exstirpationsmethode. 

Als den eigentlichen Begründer der antiseptischen Pulpabehandlung müssen 
wir Ad. Witzei 84 ansehen, der im Jahre 1874 die Amputationsmethode 
einführte, zu einer Zeit, da die Listersehen Ideen sich allenthalben durch¬ 
zusetzen begannen. Einen glanzvollen Höhepunkt in der Entwicklung der 
Zahnheilkunde bildet Arkövys „Diagnostik der Zahnkrankheiten und der 
durch Zahnleiden bedingten Kiefererkrankungen" vom Jahre 1885 4 . 

„Wir wollen aber nicht entscheiden," um mit Dependorfzu sprechen, „ob 
die Ursache hierzu in der allgemeinen zahnärztlichen Bildung der damaligen 
Zeit <1885) zu suchen, oder ob vielmehr die Schuld dem Umstande bei¬ 
zumessen ist, daß die Arkövyschen Thesen erst zehn Jahre nach ihrer Ver¬ 
öffentlichung in den Sammelwerken und Lehrbüchern Aufnahme und Würdi¬ 
gung fanden. Es erscheint keineswegs ausgeschlossen, daß die rechtzeitige 

Viertel jahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 4 26 


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402 


Wilhelm Stitzel 


Erkenntnis ihrer praktischen und wissenschaftlichen Bedeutung vielleicht doch 
schon früher einen Weg für allgemein gültige Grundsätze in der Wurzel* 
Behandlung angebahnt hätte." 

Seit dem Jahre 1888 gaben uns dann Miller und Walkhoff die Therapie 
an die Hand, selbst der kompliziertesten Zustände von Pulpenerkrankungen Herr 
zu werden / und zwar Miller zur Lösung der bakteriologischen und W a 1 k h o ff 
der pathologisch* anatomischen und therapeutischen Fragen. Preis werk, 
Sachs, Walkhoff u. a. ergänzten alle diese Arbeiten und Methoden, und 
Römergab einwandfreie Erklärungen der pathohistologischen Zustände durch 
mikroskopische Untersuchungen. Von ganz besonderem Wert für die Praxis 
wurden die geistreichen Methoden eines Sch reier <KaIium*Natrium 1892) 70 , 
Callahan <50% Schwefelsäure 1895) <cit. n. Dependorf), Gysi <Tri* 
kresol*FormaIin 1899) 33 , und Buckley <Grundlage des Chemismus der 
Gangrän) 13 , die durch Anwendung chemisch zersetzender Mittel die Beseiti* 
gung erkrankter und zerfallener Pulpen zu erreichen suchten. Partsch 59 hat 
uns dann mit der chirurgischen Behandlung wurzelkranker Zähne die Er* 
haltung von Zähnen gezeigt, die früher unweigerlich der Zange verfielen. 
Für die weiteste Verbreitung dieser seiner Methoden und deren weiteren 
Ausbau sorgten dann seine Schüler: Luniatschek, Kunert, Williger 
und Riesenfeld. 

Die planmäßige wissenschaftliche Arbeit beginnt aber erst seit 1906 mit dem 
Studium der Anatomie, Physiologie und pathologischen Anatomie in ihrer 
näheren Beziehung zum Zahn, zur Alveole und zum Kiefer. Da sind insbe* 
sondere die Arbeiten von Partsch, Arkövy, Mayrhofer, G. Fischer, 
Preiswerk, Baumgartner, Morgenstern, Römer, Szabo, Lart* 
Schneider u. a. zu nennen, die das erste glückverheißende Licht in das 
Dunkel des empirischen Herumtastens geworfen haben. 

Eine eingehende Darstellung des damaligen Entwicklungsstadiums der 
Wurzelbehandlung hat im Jahre 1910 Dependorf in seiner umfangreichen 
Arbeit in den „Ergebnissen der gesamten Zahnheilkunde" niedergelegt 19 . 

Es fehlte aber noch an einem einheitlichen Vorgehen in der Therapie. Mit 
Hilfe von Wissenschaft und Praxis hält Dependorf es doch noch für möglich, 
„das Ziel zu erreichen, das mit Hilfe der Empirie allein niemals erreicht 
werden kann, nämlich eine allgemein anerkannte und angewandte einheitliche 
Methode der Wurzelbehandlung". 

„Das muß endlich einmal ausgesprochen werden, daß das solide Ausfüllen 
enger und gekrümmter Wurzelkanäle der Backenzähne zu den Unmöglich* 
keiten gehört." Wie ein roter Faden zieht sich dieses Bekenntnis Witzeis 
<1874) durch sämtliche Arbeiten und Diskussionen späterer Zeit, teils zu* 
stimmend, teils in ablehnender Form 84 . Damit war die große Spaltung 
zwischen Pulpaexstirpation und Pulpaamputation geschaffen. 

Erst im Jahre 1901 bringt Preiswerk durch seine Korrosionspräparate als 
erster den wissenschaftlichen Nachweis, daß die von Ad. Witzel bezeichneten 
Zahnformen durch einen bis dahin unbekannten inneren anatomischen Bau 
die restlose Exstirpation des Pulpagewebes verhinderten. Doch scheinen diese 


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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


403 


Resultate Preiswerks nicht eine allseitige Aufnahme und Anerkennung ge¬ 
funden zu haben, denn im Jahre 1908 wurden Preiswerks Forschungen 
nachgeprüft von G. Fischer. Schon 1880 hat de Sarran (cit. n/ ,: ’> be» 
merkt, daß 8 bis 10 kleine Arterien an von der Wurzelspitze entfernten 
Stellen in die Wurzel eintreten, das Zement und Zahnbein durchsetzen und 
zur Zahnpulpa gelangen. Auch Walk ho ff hat wiederholt auf die zahlreichen 
feinen Abzweigungen der Kanäle aufmerksam gemacht. Und dennoch blieben 
diese Beobachtungen fast unbemerkt. 

Wenn Preiswerk mit seinen Präparaten auf die Verzweigungen in den 
oberen Wurzelteilen hingewiesen hat, so macht Fischer auf die Auf büsche» 
lungen am Apex aufmerksam. Er dehnte das Untersuchungsmaterial weiter 
aus, modifizierte auch die Methodik durch Benutzung anderer Korrosions» 
vehikel als Metall, um bessere und feinere Resultate zu erzielen. Es schien 
Fischer besonders wissenswert, ob die von Preis werk gefundenen feinen 
Verästelungen nicht auch an anderen menschlichen und tierischen Zähnen 
normaliter angetroffen werden. Bei Hunden und Katzen fand er die Pulpa» 
höhlen bis etwa in das letzte Drittel des Wurzelkörpers ausnahmslos unver» 
ästelt, während am Foramen apicale normaliter mehr oder weniger feine 
büschelartige Kanalsysteme zwischen Pulpa» und Kieferspongiosa anzutreffen 
waren. Bei menschlichen Zähnen treten zwar die büschelförmigen Ver» 
ästelungen sporadisch auf und nicht so konstant wie bei den Karnivoren, 
aber Fischer fand sie dann stets nach dem gleichen Prinzip angeordnet. 

Fischer untersuchte ca. 700 extrahierte permanente menschliche Zähne 
aller Gattungen und aus den verschiedensten Altersperioden, teils erkrankte, 
teils gesunde Exemplare. Vergleichsweise auch Zähne junger und älterer 
Hunde, Katzen, Rinder, Schafe, Kaninchen und Meerschweinchen. Er fand 
bei all diesen mehr oder weniger Differenzierung, die er in der Hauptsache 
in drei große Formationen einteilt: 

1. einfache Äste und Zweige, Seitenfiederchen, Markkanäle im Wurzel» 
dentin / 

2. Querbrückensysteme/ 

3. inselartige Aussparungen im Gewebe. 

Diese Differenzierungsgebilde betrachtet Fischer als rein anatomische 
bzw. physiologische Entwicklungsprodukte, da er sie in äußerlich völlig un» 
Versehrten Zähnen normalerweise findet, sowohl bei Tieren als auch bei 
Menschen. 

„Überdies enden die Wurzelkanäle oft nicht einfach/' wie schon Baume 8 
richtig erkannt hat, „sondern in fast mikroskopische Kanälchen mehrfach 
geteilt." 

Als Gründe für das Zustandekommen dieser Verzweigungen gibt 
Fischer an: 


1. physiologisch»anatomisch 

Die allmähliche Verdrängung des Pulpagewebes durch Ausbreitung des 
Dentins und Zements beim Wachstumsprozeß des apikalen Wurzelgebietes. 

26 * 


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404 


Wilhelm Stitzel 


Wenn der Obliterationsprozeß nicht weiter fortschreitet, bleibt es nun bei 
der Bildung von büschelartigen Ausläufern <wie bei Karnivoren), während 
andernfalls durch fortgesetzte Verkalkung des Gewebes ein Kanal nach dem 
andern verschwindet bis auf einen oder vereinzelte Äste, durch welche die 
Ernährung der Zahnpulpa erfolgt <wie bei Herbivoren und beim Menschen). 
„Mit der fast soliden Obliteration des Wurzelkanals seniler Zähne kann die 
physiologische Wirkung die höchste Stufe ihrer Vollkommenheit erreichen 29 /' 

2. pathologisch 

Die große Neigung des Pulpagewebes zu Petrifikation nach Ablauf von 
Entzündungen. Auch andere Reize können, falls eine gewisse Stärke oder 
Dauer überschritten wird, Anlaß zu Dentinbildung (Schutzdentin oder 
Dentikel) geben. 

„Eine Grenze zwischen einer physiologischen und pathologischen Er* 
scheinung zu ziehen", scheint nach Wed 1 82 „überhaupt gewagt, weil wir 
es hier mit senilen Veränderungen eines Organs zu tun haben." Rein 
anatomisch beginnend, wird die Differenzierung der Pulpahohlräume während 
des ganzen Lebens auf physiologischem Wege fortgesetzt. Diese anatomischen 
Beweise Preiswerks und Fischers, daß eine restlose Pulpaentfernung aus 
allen Zahnwurzeln ebenso wie eine vollkommene Ausfüllung der Wurzel* 
kanäle unmöglich sei, haben nun für die therapeutischen Maßnahmen der 
zukünftigen Wurzelbehandlung eine bestimmte Richtung vorgezeichnet. Es 
bildeten sich verschiedene Gruppen von Praktikern, von denen die einen in 
keinem Falle erst die doch unsichere Exstirpation der Pulpa und die Reinigung 
der Kanäle beginnen wollen und generell amputieren, ohne den Inhalt der 
Kanäle zu tangieren, während auf der anderen Seite die extremen Anhänger 
der Exstirpation stehen, die in jedem Falle herauszuholen suchen, was sie 
erreichen. Manche, wie Feiler, wagen sogar zu behaupten, daß ihnen die 
Exstirpation bis auf wenige Ausnahmen immer gelänge 26 . Feiler muß aller* 
dings 1920 zugeben, daß die Exstirpation der Pulpa nur aussichtsreich ist, 
„wenn sich mit dem größtmöglichen Maß von Gewissenhaftigkeit eine absolute 
Zuverlässigkeit und Technik vereint 27 ." Dazwischen stehen die verschieden* 
sten Mittelparteien, die nur teilweise amputieren. 

Die Frage der Totalexstirpation war durch die Korrosionspräparate noch 
lange nicht gelöst. Niemals waren die Ansichten über die Möglichkeit der 
Totalexstirpation der Pulpa so divergierend, wie gerade um die Jahre 1911/12. 
So versichert Rhein 64 , daß er bis auf ganz seltene Ausnahmen von abnorm 
gewundenen Kanälen stets imstande sei, alles organische Gewebe aus den 
Wurzelkanälen herauszubefördern, und Feiler 27 , daß er stets in der Lage 
sei, sämtliche Pulpareste aus den Kanälen zu entfernen, und nicht mehr zu 
befürchten brauche, Gewebsteile im Kanal zurückgelassen zu haben. Dagegen 
stellt Fischer 30 fest, daß wir keinen Wurzelkanal erwachsener Zähne be* 
herrschen und daß wir die Pulpa nicht restlos zu entfernen vermögen, weil 
die im Foramen apicale befindlichen Kanalnetze stets Zurückbleiben. 
Bönnecken 11 stellt sogar den Satz auf, daß es in der ganzen Chirurgie 


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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


405 


keinen zweiten Eingriff gibt, bei dem die Anwendung des Prinzips der Ent** 
fernung des abgestorbenen Gewebes auf so große, ja unüberwindliche 
Schwierigkeiten stößt, wie bei der Operation der Exstirpation der Pulpa¬ 
reste aus menschlichen Molarzähnen. „Alle wissenschaftlichen Forschungen 
und klinischen Erfahrungen weisen darauf hin, daß alle unsere Pulpa¬ 
exstirpationen nichts anderes sind, als ,hohe Amputationen 4 ", denn er ver¬ 
mutet ganz richtig, daß wir bei jeder Pulpaexstirpation den für das spätere 
Schicksal des Zahnes wichtigsten Teil der Pulpa, die Pars apicalis, zurück- 
lassen und schließt daraus, daß es eine Pulpaexstirpation in des Wortes 
eigenster Bedeutung nicht gibt, sondern nur Pulpaamputationen, und daß 
daraus für jede Wurzelbehandlung die Forderung einer Amputationsbehand¬ 
lung resultiere mit einer Amputationspaste, die sterilisiert und mumifiziert. 

Im Jahre 1915 führt Feiler die von Fischer beobachteten Verästelungen 
am Apex auf „Kunstprodukte zurück, verursacht durch die Mazeration mit 
Antiformin, das eine Arrosion des Zementes hervorrufe". Es erscheint ihm 
zudem unsicher, „ob in den Verästelungen sich überhaupt Pulpengewebe 
findet, falls sie im Wurzelkanal statthaben". 

Eine große Rolle spielt dann für das weitere Studium der Wurzelkanal¬ 
anatomie das von Adloff im Jahre 1913 zuerst für die Zähne angewandte, 
und in der allgemeinen Anatomie von Spalteholz 76 1911 zuerst ange¬ 
wandte Auf hellungsverfahren K Moral benutzte es auch in seiner Arbeit „über 
Pulpaausgüsse" und weist nach, daß zum mindesten an seinen untersuchten 
Zähnen „kein einheitliches Foramen vorhanden ist, sondern der Kanal an 
mehreren Stellen mit dem umliegenden Gewebe in Beziehung tritt 53 ". 

Die Jahre 1908 bis 1917 müssen darum wohl als die fruchtbarsten für 
das Studium der Anatomie der Wurzelkanäle angesehen werden. Sämtliche 
in diesen Jahren entstandenen Arbeiten mit ihren Methoden sind im Jahre 
1917 von Heß 35 in einer ausgedehnten systematischen Arbeit einer gründ¬ 
lichen Nachprüfung unterzogen worden. Zur weiteren endgültigen Sicher¬ 
stellung arbeitete Heß noch eine eigene Methode aus, um eben größere 
Untersuchungen bewältigen zu können, ohne ein Brüchigwerden und Ver¬ 
lorengehen der feinsten Verästelungen befürchten zu müssen. Was die Unter¬ 
suchungen wertvoll macht, ist einmal, daß nur auf rein anatomische Ver¬ 
hältnisse Rücksicht genommen wurde, ohne die pathologischen Verände¬ 
rungen in Betracht zu ziehen, sodann, daß zum ersten Male an so großem 
Untersuchungsmaterial <es kamen ca. 2800 Zähne zur Untersuchung) der 
Einfluß des Alters auf die Entwicklung, Zahl und Form der Wurzelkanäle 
studiert wurde. Heß konnte Fischers Anschauung über die physiologischen 
Wachstumsprozesse des Dentins in ihrer Bedeutung für die Differenzierung 
der Wurzelkanäle in vollem Umfange bestätigen. Die mikroskopischen Unter¬ 
suchungen von 50 Zähnen ergaben bei 48 apikale Verästelungen. „Neben 
den bereits mikroskopisch festgestellten Verzweigungen fanden sich an den 
apikalen Bezirken eine ganze Reihe von feinsten Kanälchen, die sich oft zu 
einem ganzen System vereinigten und ein siebartiges Gitterwerk der Wurzel- 
spitze darstellten 35 ." 


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406 


Wilhelm Stitzel 


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Heß unterscheidet mehr oder weniger weitgehende Differenzierungen, die 
charakterisiert sind durch das Auftreten von 
a> Dentinscheidewänden im Innern der Kanäle/ 
b> feinen Verzweigungen im apikalen Bezirk der Wurzel/ 
c> Markkanälen, die in verschiedener Höhe der Wurzel vom Wurzel* 
kanal zum Periost ziehen. 

Die feineren apikalen Verzweigungen kommen an sämtlichen menschlichen 
Zahngattungen regelmäßig vor, in einem für jede Zahngattung verschiedenen 
Zahlenverhältnis. Sie bedingen einen netzartigen, von vielen feinsten Kanälen 
gebildeten Bau der Wurzelspitzen, besonders an den schon von Fischer 
hervorgehobenen Zähnen <u. a. mesiale Wurzeln unterer Molaren und die 
bukkalen Wurzeln oberer Molaren). Im jugendlichen Alter fehlen die Diffe^ 
renzierungsgebilde vor Schluß des Foramen apicale im allgemeinen und 
treten erst nach Schluß desselben auf. Mit zunehmendem Alter tritt durch 
mehr oder weniger regelmäßigen Dentinanbau eine Verengerung der WurzeU 
kanäle auf, die bis zur vollständigen Obliteration derselben führen kann. 

Daß es heute noch Zahnärzte gibt, die obige von Heß neuerdings be* 
wiesenen Tatsachen, wenn auch nicht negieren, so doch anzweifeln, ist mir 
nicht ganz verständlich. Die Publikationen von Erausquin in Argentinien- 
zeigten ebenfalls diese Wurzelkanalverzweigungen und Verästelungen. Ameri* 
kanische Autoren wie Callahan, Talbot, Grove, Broomell, Stein und 
Grieves konstatierten nach ihren Untersuchungen die apikalen Veräste* 
lungen an den Wurzelkanälen des menschlichen Gebisses in ungefähr dem* 
selben Prozentverhältnis wie Heß. An Milchzähnen wurden dieselben 
Verhältnisse gefunden von E. Zürcher 89 in seiner großen systematischen 
Arbeit „Zur Anatomie der Wurzelkanäle des menschlichen Milchgebisses 
und der 6-Jahr-Molaren". Eine Reihe anderer Autoren, die sich mit der 
Anatomie der Wurzelkanäle beschäftigt haben, sind zu gleichen Resultaten 
wie Heß gelangt. So Parfitt, Junghans, Davis u. a., so daß an den bis* 
herigen Resultaten festgehalten werden kann. 

„Nur ein Praktiker," um mit Walkhoff zu sprechen 81 , „der sich noch 
nie mit der feineren Anatomie der Zähne beschäftigt hat, wird heute viel* 
leicht noch behaupten, aber natürlich ebensowenig wie seine zahlreichen Vor* 
gänger beweisen, daß man restlos,jede Pulpa entfernen und ebenso die 
Wurzeln auch füllen kann." Und doch glaubt Djerassi 21 noch im Jahre 
1922 die Behauptung aufstellen zu können, die er in einer Arbeit dieser 
Zeitschrift <1922, Heft 3) veröffentlicht, „daß die Befunde kein Anlaß sein 
können, bei der Wurzelbehandlung den Versuch, alle Pulpenreste zu ent* 
fernen, nicht zu machen. Ausdauer und hinreichende Geschicklichkeit führen 
meist zum Ziel". 



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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


407 


I. EIGENE UNTERSUCHUNGEN 

Experimentelles zur Frage der Möglichkeit der Total- 
exstirpation der Pulpa 

Im Jahre 1914 stellte Möller 54 folgende drei Forderungen an einen zu 
füllenden Wurzelkanal: daß er 

1. bis zum Foramen apicale zugänglich sei, 

2. bis zum Foramen apicale sowohl der Hauptkanal, als auch die vor¬ 
handenen Verzweigungen von allen fäulnisfähigen Stoffen frei und 

3. derselbe bis zum Foramen apicale steril und trocken sei. 

Alle diese Forderungen scheitern jedoch in vielen Fällen an dem Wider¬ 
stand, den die Natur uns selbst bietet. Ein Jahr vor Möller erschien eine 
Arbeit von Lipschitz 43 . Dieser sieht die Korrosionspräparate nicht als 
sichtbaren Beweis für die Unausführbarkeit der Totalexstirpation der Pulpa 
in mehrwurzeligen Zähnen an. „Der Beweis wäre erst erbracht, wenn nach 
sorgfältiger Entfernung der Pulpen aus den Kanälen sich noch mikroskopische 
oder gar noch makroskopische Reste der Wurzelpulpen im Zahne feststellen 
ließen." Allerdings glaubt Lipschitz, daß es sich bei der Extraktion der 
Wurzelpulpen kaum um die feinen Verästelungen, Querbalken und Aus¬ 
läufer der Pulpawurzel an der Wurzelspitze handle. Diese mikroskopisch 
feinen Pulpaelemente könnten für die Güte der Prognose der Erhaltung des 
Zahnes als ganz nebensächlich angesehen werden. Um nun die Frage zu 
lösen, die Wurzelpulpa bis zur Spitze zu entfernen resp. bis zum Foramen 
zu sondieren, hat Lipschitz zwei Wege beschritten: 

1. die Feststellung durch klinische Erfahrung und 

2. die Feststellung durch Untersuchung an extrahierten Zähnen. 

Es wurden 73 Zähne im Alter von 19—70 Jahren registriert, bei denen 
Lipschitz zwecks Erhaltung des Zahnes die Wurzelkanäle gereinigt hat. 
Vertreten waren fast alle Zahngattungen. Das Resultat seiner klinischen Er¬ 
fahrung war, daß es bei 73 Zähnen nur einmal nicht möglich war, die Kanäle 
vollständig zu reinigen, in zwei Fällen schien es ihm zweifelhaft. Diese 
klinischen Resultate prüfte er dann an 93 extrahierten Zähnen nach. Auch 
diese Zähne waren über alle Altersstufen und sämtliche Zahngattungen ver¬ 
teilt, und zwar waren es 19 drei wurzelige und 74 ein- bzw. zweiwurzelige 
Zähne. In 65 Fällen <also in ca. 70%> war es möglich, die Nervnadel durch 
das Foramen apicale durchzuführen. Lipschitz faßt seine Resultate in fol¬ 
genden Schlußfolgerungen zusammen. 

1. Die Entfernung der Pulpawurzeln aus den Wurzelkanälen ist in den 
meisten Fällen <nicht in allen) vollständig durchführbar. 

2. Die Durchführbarkeit der Pulpaexstirpation hängt weder von der Zahn¬ 
gattung noch vom Alter des Individuums ab. 

3. Röntgenologische Untersuchungen haben ergeben, daß in seltenen Fällen 
<etwa 20 %> ein winziger Pulparest von 1 / 2 —3 mm im Pulpakanal zurückbleibt. 

In der Arbeit von Möller 54 sieht dieser allerdings von einer Feststellung 
durch klinische Erfahrung ab, da es ihm nicht klar ist, wie Lipschitz bei 


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408 


Wilhelm Stitzel 


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seinem Patienten feststellen konnte, wirklidi die Kanäle bis zum Foramen 
rein zu haben. Möller untersuchte 146 extrahierte Zähne im Alter von 
15—25 Jahren mit 288 Wurzelkanälen. Er fand 59 Zähne <also 40,5° '„) 
vollkommen durchgängig, während der Rest, also 87 Zähne <ca. 60°/o>, selbst 
mit Königswasser nicht passierbar war. Von den 288 Kanälen waren 132 
durchgängig <45,83 %> während 156 <54,17° 0 > nicht passierbar gemacht wer¬ 
den konnten. 

Die abweichenden Resultate sind verständlicher, wenn man sich die Resul¬ 
tate gegenüberstellt. 

TABELLE I 

Gegenüberstellung der Resultate Möllers und Lipschitz's 

nadi Möller i nach Lipsdiirz 

Dreiwurzelige Zähne. j 68 (46%) 19 <20° 

Ein- resp. zweiwurzelige Zähne . . 78 I 74 

Gesamtzahl der Zähne. 146 93 

Alter der Zähne.j 15 — 25 Jahre 19—70 Jahre 

Vollkommen durchgängig. 59 (40,5%) 1 65 <ca. 70%) 

Selbst mit Aqua regia nicht passierbar \\ 87 <ca. 60° \ 28 <ca. 30° 0 > 

Diese Ergebnisse beweisen, daß es in einer großen Anzahl von Fällen nicht 
möglich ist, selbst mit Hilfe von Aqua regia die Kanäle auch nur zu sondieren. 

Weiter prüft Möller an extrahierten Zähnen die gebräuchliche Methode 
der Pulpaexstirpation, insbesondere die Reinigung der Kanäle bei septischen 
und zerfallenen Pulpen. Die Resultate fand er an durch Sektion freigelegten 
Kanälen makroskopisch. „Selbst die Exstirpation einer frischen Pulpa in 
einem verhältnismäßig gut durchgängigen Kanal ergab, daß nach gründ- 
lieber Reinigung mit der Donaldsonnadel bei der Sektion dennoch Pulpa¬ 
fetzen im Kanal verblieben sind. Bei septisch zerfallenem Kanalinhalt war 
die Reinigung technisch noch viel schwieriger und zeigte uns mit großer 
Genauigkeit, mit welch enormer Vorsicht wir vergehen müssen, um nicht 
den septischen Inhalt anstatt aus dem Körper heraus durch das Foramen 
apicale in denselben hineinzustoßen." 

Besondere Berücksichtigung zollte Möller dem von Mayrhofer 1912 
empfohlenen Antiformin 47 . Diesem Antiformin, einer Hypochloritlösung 
<Eau de Javelle bzw. Eau de Labarraque) mit einem Zusatz von Natron¬ 
lauge <5,6% Natrium hypochlorosum und 7,5% Natrium hydroxyd) spricht 
Mayrhofer eine bedeutende Fähigkeit zu, organische Substanzen aufzu¬ 
lösen und glaubt an eine stark auf lösende Wirkung auch im Wurzelkanal. 

Allerdings schrieb schon im gleichen Jahre Schuster 73 , daß es allem An¬ 
schein nach nicht dazu berufen erscheint, umwälzend auf dem Gebiete der 
medikamentösen Wurzelbehandlung zu wirken. Seine Wirkung verneint 
denn auch Kantorowicz 38 , Zilkens 88 und Bönnecken 12 , der von ihm 
berichtet: seine auf lösende Eigenschaften kämen im Wurzelkanal weniger 
zur Geltung als im Reagenzglasversuch. 


Gck igle 


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Untersudiungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


409 


An Hand seiner Versuche kommt Möller zu den Ergebnissen, daß 

a> selbst in dem Falle, wo der Kanal gut durchgängig ist und keine Ver* 
zweigungen aufweist, in vielen Fällen trotzdem Gewebsreste an den 
Wänden verbleiben/ 

b> daß die vielen vorhandenen Verzweigungen und Nebenkanäle eine 
restlose Reinigung der Zahnwurzel ausschließen und 

c> wir vor allen Dingen im Munde nie konstatieren können, ob der Kanal 
und die Nebenkanäle wirklich frei von Rückständen sind. 

Die bisherigen Untersuchungen zur Frage der Möglichkeit der Totalex» 
stirpation waren also mehr vom praktischen Standpunkte ausgegangen, ohne 
auf histologischem Wege festzustellen, was nach den heute allgemein geübten 
Exstirpationsmethoden in den Wurzelkanälen zurückgelassen wird/ mit Aus» 
nähme von Einzeluntersuchungen, wie diejenigen von Walkhoff. Dieser 
stellte damals schon fest, daß nach der Pulpaexstirpation und Wurzelbehand» 
lung Odontoblastenzellen, Wattefasern usw. histologisch im Wurzelkanal 
nachgewiesen werden können. 

Um diese Frage der Rückstände im Wurzelkanal nach Pulpaexstirpation 
vom histologischen Standpunkte aus zu untersuchen, beschränkte ich mich 
auf die Untersuchung völlig gesunder, extrahierter Zähne, die kariesfrei waren, 
oder nur ganz kleine Schmelzkaries aufwiesen, also mit vollkommen gesunder 
Pulpa. Die Extraktion dieser gesunden Zähne geschah unter Injektions» 
anästhesie zwecks Vorbereitung der Mundhöhle zur Prothesenarbeit. 

Die Zähne wurden sofort nach Extraktion in auf Körpertemperatur ge¬ 
haltene Ringerlösung gebracht bis zu der noch am selben Tage erfolgten 
weiteren Bearbeitung. Bei der ersten Hälfte der Zähne wurden der Ringer¬ 
lösung einige Tropfen 15% Formalin zugesetzt, ohne aber einen Einfluß 
auf die Exstirpation der Pulpa beobachten zu können. Kronenschmelz und 
Dentin wurden bis nahe an die Pulpakammer mit feuchtem Schleifrad ent¬ 
fernt, die Pulpakammer mit großem Rosenbohrer geöffnet und die Kronen¬ 
pulpa entfernt. Die Kanaleingänge wurden mit entsprechenden knospen¬ 
förmigen Bohrern erweitert. So hatte ich allerdings Verhältnisse für die Zu¬ 
gängigkeit zu den Wurzelkanälen geschaffen, wie sie wohl selten im Munde 
anzutreffen sind. Wenn also eine Totalexstirpation mit nachfolgender me¬ 
chanischer und chemischer Reinigung überhaupt möglich wäre, so müßte ich 
bei dieser Phantomarbeit die besten Resultate erlangen. 

Die Exstirpation der Kanalpulpen und die anschließende Behandlung der 
Wurzelkanäle erfolgte nach folgenden drei heute allgemein üblichen Methoden, 
wobei der Zahn stets mit obenerwähnter Ringerlösung feucht gehalten wurde. 

Methode I. Mechanische Pulpaexstirpation mit Nervextraktor. Aus¬ 
spülen der Kanäle mit Wasserstoffsuperoxyd. Austrocknen mit Alkohol 
und heißer Luft. 

Methode II. Mechanische Pulpaexstirpation mit Nervextraktor. Ein¬ 
pumpen von Aqua regia. Neutralisieren mit Natrium Superoxyd. Auskratzen 
der Kanäle und Ausspülen mit Wasserstoffsuperoxyd. Austrocknen mit 
Alkohol und heißer Luft. 


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410 


Wilhelm Stitzel 


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Methode III. Mechanische Pulpaexstirpation mit Aqua regia ^Behandlung 
und Neutralisation wie Methode II. Auskratzen der Kanäle und Einpum* 
pen von Antiformin. Neutralisieren und Ausspülen mit Wasserstoffsuper^ 
oxyd. Austrocknen mit Alkohol und heißer Luft. 

Die Kanäle wurden wenn nötig mit Gates-Gliddenbohrer erweitert. 

Die so behandelten Zähne kamen für 10—'20 Tage in 15% Formalh^dann 
durch steigende Alkoholreihe und Wasser in 30% Ameisensäure zur Entkalk 
kung. Die weitere Behandlung bis zum histologischen Schneiden erfolgte nach der 
Methode, wie sie Dätwyler 18 beschrieben hat. Da jedoch die Schnittdicke nie 
konstant, meistens sogar über 30 ju blieb, wurde für die zweite Hälfte der Zähne 
eine weiter unten von mir angeführte modifizierte Methode mit Aufblocken 
der Zähne und Herstellung von Serienschnitten angewandt. Nach dieser 
Methode konnte ich mit der Schnittdicke stets zwischen 12—25 u bleiben. 

Es kamen zur Behandlung 47 extrahierte Zähne mit 81 Wurzelkanälen. 
Die Zähne waren von Patienten im Alter von 11—60 Jahren. Sie verteilten 
sich auf sämtliche Zahngattungen mit Ausnahme der unteren Molaren, von 
denen es mir unmöglich war, gesunde Exemplare zu erhalten. 

In nachfolgender Tabelle sind sämtliche nach obengenannten drei Metho* 
den behandelte Zähne nach Zahngattungen registriert, ebenso die Anzahl 
der Zähne, die nach den einzelnen Methoden behandelt wurden, und die 
entsprechende Anzahl der Wurzelkanäle. Auch kann man die klinisch fest* 
gestellte positive oder negative Durchgängigkeit des Foramen apicale der 
einzelnen Kanäle für die Sonde ersehen. 


TABELLE II 
A. Oberkiefer 


Zahngattung 


J. 



J. 

c 

J 

Pr, 


Pr a 



M, 


M, 


M, 

Methode. 

; i 

«| 

III 

I 

um 

i um 

i ii m 

i 

II 

ui 

I 

IIIII 

I 

um 

i 

um 

Anzahl der Zähne . . 

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1 

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2 3 

3 

2 1 1 

1 

1 

1 

1 

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1 

1 1 

2 

13 

Anzahl der Kanäle . . 

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1 

— 

1 

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2 3 

3 

4 2:2 

2 

2 

1 

3 

3 3 

3 

3 2 

5 

3 7 

Durchgängig .... 

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— 

1 

11 

1 2 

2 

3 2 2 

1 

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2 

1 1 

3 

1 — 


1 4 

Nicht durchgängig . . 

— 

— 

— 

— 

— — 

ii 

1 

1 — 

1 

2 

11 

1 

11 

— 

2 2 

— 

; 3 


B. Unterkiefer 


Zahngattung 


J. 


»• 


c 


Pr, 

Pr, 

M, 

M. 

M, 

Methode .... 

I 

II III 

I 

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I 

II 

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i n 

III 

i 

ii 

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i 

ii ui 

i 

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i 

ii 

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Anzahl der Zähne . 

1 

1 1 

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1 

1 

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1 

— 

— 

— 


— 

2 

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— 

— 

— 

Anzahl der Kanäle . . 

1 

1 2 

2 

1 2 

1 

1 

2 

2 1 

— 

1 

— 

— 

— 

__ 

__ 

6 


— 

— 

— 

Durchgängig . . . , 

. — 

1 1 

— 

1 2 

1 

1 

2 

2 - 

— 

— 

— 


— 

— 

— 

1 


1 

— 

— 

Nicht durchgängig . 

1 

-- 1 

2 

i 

— 

— 

— 

-H 

— 

1 

— 


— 

| — 

|— 

5 

i- 

-H 




Um meine Ergebnisse mit den bisher bekannten von Lipschitz und 
Möller veröffentlichten zu vergleichen, habe ich im nachfolgenden meine 
Resultate denen dieser beiden Autoren gegenübergestellt. 



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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


411 


TABELLE HI 


|| nadi Möller meine Resultate I na<fi Lipschitz 

Dreiwurzelige. 68 (46%) I 14 <ca. 30°,,) 19 <20° 0 > 

Ein- resp. zweiwurzelige .... 78 33 74 

Gesamtzahl der Zähne. 146 47 93 

Alter der Zähne. 15 — 25 Jahre 11—60 Jahre 19—70 Jahre 

Vollkommen durchgängig .... i 59 (40,5 %> 26 (ca. 55%) j 65 (ca. 70%) 


Selbst mit Aqua regia nicht passierbar 87 (ca. 60%) nicht oder nur 21 28 (ca. 30°,,) 

' (ca. 45 %> teilweise 

| I passierbar | 


Von 81 Kanälen der 47 behandelten Zähne waren 48 nach meiner Be- 
handlung für die Nadel am Foramen apicale durchgängig und 33 — also 
ca. 40% — nicht durchgängig. Von diesen 47 Zähnen waren 14 — also 
ca. 30% — dreiwurzelig. 


TABELLE IV 

Vergleich in bezug auf Kanäle mit den Ergebnissen Möllers 


Gesamtzahl der Zähne . 
Gesamtzahl der Kanäle . 
Vollkommen durchgängig 
Nicht durchgängig. . . 


meine Resultate 


nach Möller 


47 (im Alter v.ll—60Jahr.) 146 (im Alt. v. 15—25 Jahr.) 
81 288 


48 (ca. 60%) 152 (ca. 45,83%) 

33 (ca. 40%) : 156 (ca. 54,17%) 


Daß noch ein gewisser, allerdings unwesentlicher Unterschied vorhanden 
ist, ergibt sich aus der verschieden gehaltenen Verteilung der Zähne auf 
Zahngattungen, für meine Untersuchungen aus Tabelle II ersichtlich. 

Histologischer Befund 

Ich habe nun durch Herstellung histologischer Schnitte wie vorstehend er- 
wähnt behandelter Zähne versucht, folgende Fragen zu lösen: 

1. Was bleibt nach einer „Totalexstirpation" zurück? 

2. Welches sind die Gründe des immerhin doch hohen Prozentsatzes der 
Undurchgängigkeit? 

Um alle eventuell auftretende Kanalverzweigungen sicher verfolgen zu 
können, habe ich Serienschnitte hergestellt. Die histologische Technik ist in 
einem besonderen Kapitel genau angegeben. 

Nach den drei verschiedenen Behandlungen der Wurzelkanäle eingeteilt, 
ergab sich als histologischer Befund zusammengefaßt folgendes: 

Methode I. Mechanische Pulpaexstirpation mit Nervextraktor. Aus¬ 
spülen der Kanäle mit Wasserstoffsuperoxyd. Austrocknen mit Alkohol und 
heißer Luft. 


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412 


Wilhelm Stitzel 


Histologischer Befund 

Bei 18 Zähnen, die in Schnittserien zerlegt und mit Hämatoxylin-<Dela- 
field->Eosin gefärbt waren, wurde gefunden: 
in ca. 44°/ 0 der Zähne: interstitielle oder wandständige Dentikel, 

„ „ 33% „ „ Ramifikationen und apikale Verästelungen, 

,, „ 28% „ „ Seitenkanäle, Markkanäle oder Querkanäle, 

„ „ 11% „ „ Wattefasem, 

in allen Zähnen: Gewebsreste und Dentintrümmer teilweise bis deut- 
lieh reichlich besonders im apikalen Teil, wo das Pulpa- 
gewebe fast noch unversehrt immer vorhanden war. 

An einem Zahn war die Wurzelspitze arrodiert, und bei einem andern 
brach während der Behandlung ein Nervextraktor im Kanal ab. 

Methode II. Mechanische Pulpaexstirpation mit Nervextraktor. Ein¬ 
pumpen von Aqua regia. Neutralisieren mit Natrium Superoxyd. Auskratzen 
der Kanäle und Ausspülen mit Wasserstoffsuperoxyd. Austrocknen mit Al¬ 
kohol und heißer Luft. 

Histologischer Befund 

Bei 14 Zähnen, die in Schnittserien zerlegt und mit Hämatoxylin- <Dela- 
field->Eosin gefärbt waren, wurde gefunden: 
in ca. 36% der Zähne: interstitielle oder wandständige Dentikel, 

„ „ 43% „ „ Ramifikationen und apikale Verästelungen, 

„ „ 30% „ „ Seitenkanäle, Markkanäle oder Querkanäle, 

,/ „ 7% „ „ Wattefasern, 

in allen Zähnen: von geringen Gewebsfetzen, frei im Kanal oder am 
Dentin haftend, bis fast völlig erhaltene Pulpa in 
einem besonders stark differenzierten apikalen Ende. 

Bei zwei Zähnen war die Wurzelspitze arrodiert. 

Methode III. Mechanische Pulpaexstirpation mit Aqua regia-Behandlung 
und neutralisieren wie Methode II. Auskratzen der Kanäle und Einpumpen 
von Antiformin. Neutralisieren und Ausspülen mit Wasserstoffsuperoxyd. 
Austrocknen mit Alkohol und heißer Luft. 

Histologischer Befund 

Bei 15 Zähnen, die in Schnittserien zerlegt und mit Hämatoxylin- <DeIa- 
field->Eosin gefärbt waren, wurde gefunden: 

in einem der Zähne: interstitielle Dentikel, 

in ca. 30% „ „ Ramifikationen und apikale Verästelungen, 

„ „ 20% „ ,, Seitenkanäle, Markkanäle oder Querkanäle, 

„ ,, 00% „ „ Wattefasern, 

in allen Zähnen: Im Hauptkanal im allgemeinen freie oder am Den¬ 
tin haftende Gewebsfetzen. In den apikalen Ver¬ 
ästelungen, Seiten-, Mark- und Querkanälen stets 
dagegen meist gut erhaltenes Pulpagewebe. 


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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


413 


Bei drei Zähnen <20%) war die Wurzelspitze arrodiert. 

Bei der Exstirpation dieser Pulpen prüfte ich auch die auflösende Wir¬ 
kung des Antiformins auf dieselbe im Reagenzglas nach. Eine frische Pulpa 
brauchte zu ihrer völligen Auflösung zirka acht Tage, wobei dem anfangs 
lichenAntiformin <10 ccm> jeden zweiten Tag 5 ccm zugefügt wurden. Bis 
zuletzt also 30 ccm. Größere oder kleinere makroskopische Pulpareste wurden 
schon nach drei bzw. zwei Tagen unter gleichen Bedingungen aufgelöst. 
Einige histologische Präparate mögen die im allgemeinen auftretenden Hindere 
nisse, wie sie bereits erwähnt wurden, wiedergeben. 

PRÄPARAT 4 

29jähriger Mann: Caninus sup. sinister 13. 

Vergrößerung: 24 fach, 20 mm Zeiß-Planar. 

Schnittdicke: 23 ft. 

Färbung: Hämatoxylin^<Delafield>-Eosin. 



A = Fortsetzung des Hauptkanals. B = Dentikel. C = Nervenfasern des Pulpagewebes. D = Gewebsfetzen 

und Dentinschollen 

Exstirpationsmethode II 

Mech. Pulpaexstirpation mit Nervextraktor, Einpumpen von Aqua regia, Neutralisieren 
mit Na 2 0 2 , Auskratzen der Kanäle und Ausspülen mit H 2 0 2 , Austrocknen mit Alkohol 
und heißer Luft. 

Durchgängigkeit für die Sonde: negativ. 

Histologischer Befund 

Wegen der apikalen Krümmung ist der Hauptkanal auf diesem Schnitt nicht ganz bis 
zum Apex getroffen. Er ist aber, wie aus der Serie erkenntlich, von der Stelle A bis zur 
Ausmündung gegen das Periodont dicht mit Dentikeln und gut erhaltenem Pulpagewebe 
gefüllt. 


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414 


Wilhelm Stitzel 


PR AP AR AT 49 

48jährige Frau: Prämolar I inf. sinister |"4. 

Vergrößerung: 30fach, 20 mm Zeiß-Planar. 

Schnittdicke: 20 fi. 

Färbung: Thionin-Phosphorwolframsäure n. Shmamine modif. n. Schmorl. 



Exstirpationsmethode III 

Mech. Pulpaexstirpation mit Aqua regia-Behandlung und Neutralisieren wie Methode II, 
Auskratzen der Kanäle und Einpumpen von Antiformin, Neutralisieren und Ausspülen 
mit H 2 0 2 , Austrocknen mit Alkohol und heißer Luft. 

Durchgängigkeit für die Sonde; negativ. 

Flistologischer Befund 

Der Hauptkanal ist nur im apikalen Teil getroffen, wo er in einen Seitenast abzweigt, 
dessen Ausmündungsstelle gegen das Periost gut getroffen ist. Die Ausmündung des 
Hauptkanals ist nur noch tangential geschnitten. Leider ist das im Kanal befindliche Pulpa* 
gewebe durch Farbstoffniederschläge stark verunreinigt. 

PRÄPARAT 22 

54jähriger Mann: Caninus sup. sinister 13. 

Vergrößerung: 30fach, 20 mm Zeiß*Planar. 

Schnittdicke: 24 fi. 

Färbung: Hämatoxylin*<Delafield>*Eosin. 

Exstirpationsmethode II 

Mech. Pulpaexstirpation mit Nervextraktor, Einpumpen von Aqua regia, Neutra* 
lisieren mit Na 2 0 2 , Auskratzen der Kanäle und Ausspülen mit H 2 0 2 , Austrodcnen mit 
Alkohol und heißer Luft. 

Durchgängigkeit für die Sonde: positiv. 


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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


415 


Histologischer Befund 

Der Hauptkanal zeigt im allgemeinen wenig Gewebsreste. In dem Seitenkanal jedoch 
gut erhaltenes Pulpagewebe. An der trichterförmigen Mündungsstelle des Seitenkanals in 



A = Scitenkanal. B = Pulpa^cwcbe 


den Hauptkanal liegt nur der zum Teil losgerissene Pulpapfropf. Der Seitenkanal liegt 
etwa 3 mm vom Apex entfernt. 

PRÄPARAT 24 

54jähriger Mann: Incis. I inf. sinister |J_. 

Vergrößerung: 30fach, 20 mm Zeiß^Planar. 



A — Wattefasern. B = Foramen apicale 


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416 


Wilhelm Stitzel 


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Schnittdicke: 25 /<. 

Färbung: HämatoxyIin*<Delafield>*Eosin. 

Exstirpationsmethode II 

Mech. Pulpaexstirpation mit Nervextraktor, Einpumpen von Aqua regia. Neutra¬ 
lisieren mit Na 2 0 2 , Auskratzen der Kanäle und Ausspülen mit H 2 O s , Austrocknen mir 
Alkohol und heißer Luft. 

Durchgängigkeit für die Sonde: positiv. 

Histologischer Befund 

In dem gegen das Foramen offenen Kanal liegen überall Gewebsfetzen zerstreut. Das 
auf dem Bilde getroffene Foramen apicale weist Wattefaserknäuel mit Pulpafetzen und 
Dentintrümmern auf. Selbst bei subtilster Wurzelkanalbehandlung kann ein in diese Ge¬ 
gend gelangter Wattefaserknäuel wohl kaum entfernt werden. 

Zusammenfassung 

1. Die an Serienschnitten wurzelbehandelter extrahierter Zähne von uns 
gefundenen histologischen Tatsachen tabellarisch zusammengefaßt <die Wurzel* 
behandlung wurde nach drei heute allgemein üblichen Methoden [s. S. 409j 
durchgeführt) ergeben: 

TABELLE V 


Methoden 


Histologischer Befund 

I 

II 

m 

Interstitielle und wandständige Dentikel 

ca. 44 

ca. 36 

ca. 10 

Ramifikationen und apikale Verästelungen 

„ 33 

„ 43 

„ 30 

Seiten*, Mark* und Querkanäle .... 

„ 28 

„ 30 

„ 20 

Wattefasern. 

„ 11 

„ 7 

— 

Arrosionen. 

| 1 Zahn 

2 Zähne 

3Zähne(20°/< 


2. Im allgemeinen bewegen sich meine Ergebnisse bezüglich der Durch* 
gängigkeit des Foramen apicale nach Pulpaexstirpation und anschließender 
Wurzelkanalbehandlung zwischen denjenigen von Möller und Lipschitz 
und passen sich den dort gefundenen Prozentzahlen entsprechend an. 

3. Der Prozentsatz der Undurchgängigkeit ist bei den Untersuchungen 
obengenannter Autoren und den meinigen ein ziemlich großer. Er bewegt 
sich um die Zahl 50°/ 0 . 

4. Begründet ist diese Undurchgängigkeit durch die Ramifikationen, apikalen 
Verästelungen und Dentikelbildungen. 

5. Von diesen Hindernissen wurden offenbar die Dentikel nach der 
III. Methode <Aqua regia und Antiformin) am besten überwunden. Mit Aqua 
regia allein weniger gut. 

6. Trotz subtilster chemischer und mechanischer Säuberung bleibt in den 
apikalen Verästelungen, Seiten*, Mark* und Querkanälen stets meist gut 
erhaltenes Pulpagewebe zurück. 

7. Daß die Gefahr des Austretens der ätzenden Medikamente durch die 
Foramina apicalia groß ist, beweisen die besonders bei der III. Methode in 
großer Zahl <ca. 20%) auftretende Arrosionen der Wurzelspitze. 


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Untersudiungcn zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


417 


8. Watte ist offenbar ein für die Therapie der Wurzelkanäle unvorteil¬ 
haftes Material. Es wäre vielleicht das faserfreie Japanpapier zu empfehlen. 

II. EXPERIMENTELLE UNTERSUCHUNGEN 
ÜBER DIE 

BIOLOGISCHEN VORGÄNGE IM PERIAPIKALEN GEBIET 
NACH VERSCHIEDENEN WURZELFÜLLUNGSMETHODEN 

Ich glaube nun gezeigt zu haben, daß stets Gewebsreste im Kanal Zurück¬ 
bleiben, und zwar bei Methoden, wie sie besser wohl kaum im Munde 
durchführbar sind/ und daß sogar noch stets meist intaktes Pulpagewebe im 
apikalen Teil vorhanden ist. So stellten wir uns denn die Frage: Wie ver¬ 
hält sich dieses bei der Totalexstirpation im Kanal zurückgelassene Pulpa¬ 
gewebe gegenüber den periapikalen Geweben? 

„Einzig der Tierversuch", um mit Siegfried Meyer 48 zu sprechen, „kann 
uns der Lösung dieser Frage näher bringen." Denn daß es schwer ist, den 
anatomischen Beweis zu erbringen, daß Heilung eingetreten ist und daß man 
dazu zum Tierexperiment greifen muß, hat schon Witzei erklärt. Patienten 
dafür zu gewinnen, sich gesunde Zähne devitalisieren, um dann nach einer 
Wartefrist die Resectio apicis ausführen zu lassen, rein experimenti causa, 
ist nicht so einfach. Zudem fehlte es noch bis anhin an einer raschen, sicheren 
Resektionsmethodik, um den Apex eines Zahnes in situ, also mit umliegendem 
periapikalem Gewebe, unverletzt zu entfernen, um dann das Objekt zu 
histologischen Studien verwerten zu können. Trotzdem gelang es mir, auch 
an sechs resezierten menschlichen Wurzelspitzen Untersuchungen zu machen, 
wie wir später sehen werden. 

A. Tierexperimentelles 

Es wurden in zwei Sitzungen bei einer 6 Jahre alten Schäferhündin <ca. 
24 kg schwer) unter Vollnarkose an 16 Zähnen die Totalexstirpation unter 
verschiedenen Kautelen ausgeführt und eine entsprechende Wurzelfüllung 
gelegt/ Das Tier lebte noch 5 Monate, ohne Änderungen seiner Lebensweise 
zu zeigen, in der Obhut des Veterinär-Pathologischen Institutes <Prof. Dr. 
W. Frei), wurde am 29. Juli 1922 getötet und die Zähne mit Kiefer zur 
histologischen Untersuchung vorbereitet. 

Erstes Versuchsprotokoll vom 18. Februar 1922 

Narkose: 12 Uhr Mittags subkut. Injektion von 8 ccm Somnifen. 

2.30 ,, „ intravenöse Injektion von 4 ccm Somnifen 

<Fesselvene) 

2.45 „ „ subkut. Injektion von 0,1 Morphin. 

Nach kurzem Exzitationsstadium schlief das Tier unter regelmäßiger At¬ 
mung und Puls mit Beibehaltung der Reflexerscheinungen ca. 16 Stunden. 
Beim Erwachen zeigten sich große Schwäche und Durstgefühl. Nach 
ca. 24 ständiger Erholung war das Tier wieder im Normalzustand. 

Vierteljahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 4 27 


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418 


Wilhelm Stitzel 


Die drei Incisivi jederseits im Ober- und Unterkiefer wurden vom Foramen 
coecum aus, die Eckzähne an der palatinalen resp. lingualen Seite ca. 5 mm 
oberhalb der Gingiva bis zur Pulpa trepaniert, und die Trepanationsstelle zu 
einer zentralen Kavität auspräpariert. 

Wir wählten die Narkose mit Somnifen, weil bei einer Allgemeinnarkose 
mit Äther die Speichelsekretion außerordentlich groß ist und bei nicht ge¬ 
nügender Zufuhr des Narkotikums in den Pausen, in welchen die Operationen 
an den Zähnen ausgeführt werden können, das Tier unruhig, und ein exaktes 
aseptisches Arbeiten zur Unmöglichkeit wird. Die ganze Operation wurde 
unter möglichster Asepsis der Instrumente und des Materials ausgeführt. 
Vom Cofferdam konnten wir Abstand nehmen, da die relative Trocken¬ 
legung vollkommen gelang. Die Zähne wurden vor ihrer Trepanation immer 
mit Wasserstoffsuperoxyd desinfiziert. 

Operationsdauer: 3.15 bis 7 Uhr nachmittags. 

1. Pulpaexstirpation 

A. Nach Druckanästhesie (Kokain und Adrenalin) in Narkose. 2 1 j 1 2 
Pulpaexstirpation unter Trikresol-Formalin, mech. Auskratzen und Aus- 
waschen mit Wasserstoffsuperoxyd, Austrocknen mit Alkohol und heißer 
Luft. Chlorphenoleinlage, Zinkoxyd-Eugenol, Zementverschluß. 

B. In N arkose ohne direkte Anästhesie der Pulpa. 

a) 2 11 Pulpaexstirpation unter Trikresol-Formalin, mech. Auskratzen und 
ehern. Reinigung mit Aqua regia. Neutralisieren mit Natriumsuperoxyd. 
Auswaschen mit Wasserstoffsuperoxyd, Austrocknen mit Alkohol und 
heiße r Luft. Chlorphenoleinlage, Zinkoxyd-Eugenol, Zementverschluß. 

b> 11 2 Pulpaexstirpation unter Trikresol-Formalin, mech. Auskratzen und 
ehern. Reinigung mit Aqua regia. Neutralisieren mit Natriumsuperoxyd. 
Auswaschen mit Wasserstoffsuperoxyd. Zweite Reinigung mit Anti¬ 
formin, Neutralisieren und Auswaschen mit Wasserstoffsuperoxyd, Aus¬ 
trocknen mit Alkohol und heißer Luft. Chlorphenoleinlage, Zinkoxyd- 
Eugenol, Zementverschluß. 

Die Kanäle wurden, weil im allgemeinen sehr eng, mit Beutelrockbohrern 
erweitert. 

2. Kauterisieren mit Einlagen 

C. Arseneinlage mit acid. arsenicos. auf Phenolwatte. 

C 313 C Einlage unter Zinkoxyd-Eugenoldecke, Zementverschluß. 

D. Kobalteinlage mit ars. metall. crudum auf Chlorphenolwatte. 

C 313 C Einlage unter Zinkoxyd-Eugenoldecke, Zementverschluß. 

Zweites Versuchsprotokoll vom 25. Februar 1922 

Narkose: wie am 18. Februar (siehe erstes Protokoll). 

Operationsdauer: 3.15 bis 8 Uhr nachmittags. 

1. Nach Entfernung der Zement- und Zinkoxydverschlüsse sowie der 
Chlorphenoleinlagen wurden die Wurzelkanalbehandlungen wiederholt. Die 


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Untersuduingen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 419 


Wurzelkanäle wurden mit Alkohol und heißer Luft getrocknet und folgende 
drei Arten Wurzelfüllungen gelegt: 

a> Nach Anfeuchten des Kanals mit Trikresol-Formalin Einpumpen von 
Triopaste, Einfuhren eines Guttaperchapoints. Abdichten des Points mit 
heißem Kugelstopfer, Auswaschen der Kavität mit Alkohol. Zinkoxyd- 
Eugenoldecke, Zementverschluß, Silberamalgamfüllung. 
b> Nach Anfeuchten des Kanals mit Chloroform Einpumpen von Chloro- 
percha. Einführen eines Guttaperchapoints. Abdichten des Points mit 
heißem Kugelstopfer. Auswaschen der Kavität mit Alkohol. Zinkoxyd- 
Eugenoldecke, Zementverschluß, Silberamalgamfüllung. 
c> Nach Anfeuchten des Kanals mit Alkohol Einpumpen einer konzentrierten 
alkoholischen Thymollösung, Einführen eines Points aus Asbestwatte 
getränkt mit obiger Thymollösung. Auswaschen der Kavität mit Alkohol 
und Abdichten der Kanaleingänge mit Zinkoxyd-Eugenol, Zementver¬ 
schluß, Silberamalgamfüllung. 

Diese Wurzelfüllungen wurden wie folgt verteilt: 

111 Wurzelfüllung a <Triopaste> 1 Pulpaexstirpation vide 

21Z „ b (Chloropercha) / erstes Protokoll unter IA 

211 Wurzelfüllung a <Triopaste> 1 Pulpaexstirpation vide 

m b <Chloropercha> J erstes Protokoll unter IB 

2. Nach Entfernung der Einlagen Pulpaexstirpation und mech. und ehern. 
Reinigung der Wurzelkanäle wie im ersten Protokoll unter IBb, d. h.: mit 
Aqua regia und Antiformin. Wurzelkanalfüllung wie folgt: 


< ,p L( i v l Pulpaexstirpation wie im 

c SyrnT I ^ 1 B b 


Pulpaexstirpation wie im 
ersten Protokoll unter IBb 


a> Nach Arsenkauterisation 
C| Wurzelfüllung a <Triopaste> 

\1 
3J 

|C Pulpaamputation 
[3 zeigte eine rötlichgelbe Verfärbung. 
b> Nach Kobaltkauterisation 
|"3 Wurzelfüllung a <Triopaste> } 

T| „ b <Chloroperdia> 

[ü „ c <ThymoI> 

TJ| Pulpaamputation 

C|C waren deutlich rosa verfärbt. 

Die pulpaamputierten Zähne |C und |TThabe ich Herrn Kollegen K. Lutz 
zur histologischen Untersuchung üEerlassen. Er wird in seiner Arbeit: Histo¬ 
logische und bakteriologische’Untersuchungen über die Wirkung der Triopaste 
bei der Pulpaamputation, Schw. M. f. Z. 1923, Nr. 3, darüber berichten. 

Von sämtlichen behandelten Zähnen machten wir Röntgenaufnahmen, um 
event. periapikale V erän derungen röntgenologisch festzustellen. Der Befund 
war überall normal. Die Wurzelfüllungen gingen in keinem Falle über den 
Apex hinaus. 

27* 


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420 


Wilhelm Stitzel 


Am 29. Juli 1922 wurde der Hund getötet, dekapitiert und der Kopf 
seziert. Die Präparate wurden mittels Säge so hergestellt, daß die einzelnen 
Apices inmitten ihres Kieferknochens unberührt liegen blieben. Leider glüdete 
es in zwei Fällen nicht wegen des außerordentlichen Engstandes der Zähne, 
den Apex unverletzt zu erhalten. Zur gleichen Zeit wurden auch von einem 
gleichaltrigen Hund Vergleichspräparate von gleichnamigen, normalen, un- 
behandelten Zähnen hergestellt, um bei der nachfolgenden histologischen 
Untersuchung der wurzelbehandelten Zähne ein normales Vergleichsmaterial 
im Bezug auf Pulpa und Periodontgewebe zu haben. 

B. Untersuchungen über die Vorgänge im periakalen Gewebe 
nach Wurzelfüllung an resezierter Wurzelspitze menschlicher 

Zähne 

Im Jahre 1921 schrieb Heß 36 , daß „wir eigentlich heute noch nicht genau 
wissen, wie die zurückgelassenen Pulpareste sich gegenüber den eingeführten 
Medikamenten und gegenüber dem periapikalen Gewebe verhalten". Und 
heute, ein Jahr später, können wir uns nur vielleicht in der amerikanischen 
Literatur genauere Antwort holen. 

Als erster ist wohl Dependorf anzusehen, der schon im Jahre 1910 19 
auf die Berücksichtigung des apikalen Teiles nach Exstirpation der Pulpa bei 
der Wurzelbehandlung hinwies. Die unerwünschten Folgen bei der damals 
so einfach scheinenden Wurzelbehandlung nach Exstirpation der Pulpa be¬ 
trafen meist die granulierende Perizementitis, die Einschmelzung des Apex, 
die Lockerung der Wurzel und die akute Perizementitis. Dependorf führt 
diese Mißerfolge auf erstens „anormale Zustände am Foramen", und 
zweitens „zurückgebliebene Pulpafetzen und ihre nachträglich pathologischen 
Veränderungen" zurück. Er glaubt, daß die ersteren durch schlechte Narben¬ 
bildung am Foramen apicale entstehen, als Folge von schlechter Versorgung 
der Wurzelkanäle und falsch angewandter Wurzelfüllung, die zweite glaubt er 
als Begleitumstände der Pulpaexstirpation in ihrem ersten Auftreten nicht ver¬ 
meiden zu können, in ihren nachträglichen Veränderungen aber durch geeignete 
Maßnahmen zu verhindern. Wie Kleinsorgen 39 nimmt auch Dependorf 
für die nicht entfernbaren Pulpenreste drei Ausgangsmöglichkeiten an: 

1. es tritt ein Rückgang der bestehenden Entzündung ein und ein Über¬ 
gang in die indolente chronische Entzündung/ 

2. es tritt eine regressive Metamorphose bzw. eine Mumifikation der 
Gewebe ein,* oder 

3. es entsteht Gangrän. 

„Die Gangrän muß vermieden werden, die indolente chronische Ent¬ 
zündung kann sehr wohl hintangehalten werden, und die Mumifikation ist 
zu erzielen." 

Obwohl es nun sehr naheliegend erschien zu untersuchen, in welcher Weise 
das Gewebe an der Wurzelspitze nach durch geführter Pulpaexstirpation oder 
Wurzelbehandlung reagiert, war der erste, der eine solche Arbeit veröffent- 


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Untersudiungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


421 


lichte, Baumgartner 9 im Jahre 1909. Es wurden drei Zähne mit Fisteln 
untersucht, also nur stark pathologisches Material und dies an extrahierten 
Zähnen, wo die geweblichen Zusammenhänge zwischen zurüdcgelassenem 
Pulpagewebe und umliegendem Periodontium und Knochen nicht mehr genau 
festgestellt werden konnten. Er fand, daß „eine vollständige Entfernung der 
Pulpa bei Ausführung der Pulpaextraktion überhaupt nie gelingen dürfte. 
In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um hohe Amputation* der Wurzel» 
pulpa." Aus seinen histologischen Präparaten schließt er, daß die kurzen 
Pulpastümpfe nach „Pulpaextraktion" sich ebenso verhalten, wie die Wurzel¬ 
pulpen nach „Pulpaamputation" / die Regenerationsfähigkeit bzw. Vernarbungs- 
tendenz dieser Stümpfe ist gering oder gleich Null. 

Zur gleichen Zeit berichtet Euler 23 zum ersten Male über „einen eigen¬ 
artigen Fall von Zementneubildung im Wurzelkanal". Auch diese Unter¬ 
suchungen wurden nur an einem extrahierten, äußerlich gesunden oberen 
Incisivus gemacht. Euler nennt diese Neubildung „Inneren Zement" und 
beschreibt ihn als „harte widerstandsfähige Neubildung intensivere Färbung) 
in gesetzmäßig erscheinender Gleichförmigkeit mit reichlichen Zementkörperchen, 
deren Ausläufer vielfach ineinander übergehen. Eine durchgreifende Ab¬ 
grenzung der einzelnen Schichten fehlt jedoch wie beim äußeren Zement." 
Zur Ätiologie dieses inneren Zementes nimmt Euler die Metaplasie der 
Pulpa an, die nach Verlust der Odontoblasten sich in strafferes Bindegewebe 
umwandelt, woraus durch Metaplasie dann Zement entstehe. An eine Sub¬ 
stitution des Pulpagewebes durch periostales Gewebe infolge Wucherung des 
letzteren glaubt er nicht, weil die Kontinuität zwischen äußerem und innerem 
Zementmantel verlorengegangen und die normale äußere Zementschicht 
keine nennenswerten Neuanlagerungen aufweist. 

Im Jahre 1910 befaßt sich dann Shmamine 74 , ein Schüler Partsch's, ein¬ 
gehender mit diesem sekundären Zement, seiner Ätiologie und Klassifikation. 
Auch er untersucht stark pathologisch verändertes Material, und zwar drei 
extrahierte Zähne mit Gangrän. Seine Ergebnisse sind u. a. 

a> Das Zement wird in allen Fällen von den Bindegewebszellen des 
Periodontiums gebildet. Das Zementkörperchen ist nichts anderes als 
eine im Zementgewebe begrabene Bindegewebszelle des Periodontiums. 
b> Die Bindegewebszellen wirken auf das Hartgewebe des Zahnes oder 
des Knochens neubildend, reparierend oder schützend, während Riesen¬ 
zellen und Rundzellen auf das Gewebe zerstörend oder schädigend 
wirken. 

Im Jahre 1912 gibt Viggo Andresen 3 an, allerdings ohne dafür Belege 
zu haben, daß die Natur sich spontan gegen Infektion durch das Foramen 
apicale schützt, indem sie die infizierte Zone durch Obliteration besonders 
der feinen Kanäle an der Wurzelspitze demarkiert, bei weiteren Kanälen 
durch Granulombildung das Vordringen sistiert. 

Im Jahre 1913 schreibt Römer 67 : „Seit Jahren hatte ich den Wunsch, 
durch Tierexperimente festzustellen, welche Veränderungen im Periodontium 
und Alveolarknochen vor sich gehen, wenn die Pulpen mit Arsen behandelt 


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422 


Wilhelm Stitzel 


und nach der Kauterisation^ entwede r aus den W urzelkanälen extrahiert 
oder nach der Bönnekensehen Methode amputiert wird, ferner zu sehen, wie 
das periapikale Bindegewebe reagiert, wenn stark reizende Chemikalien in die 
Wurzelkanäle gebracht werden, wie es im allgemeinen bei der Behandlung 
gangränöser Wurzelkanäle geschieht." Die Versuche wurden auch mit Privat* 
dozent Dr. Kieffer an einem Affen Macacus gemacht. Leider war Römer 
damals noch nicht in der Lage, ein umfassendes Urteil abgeben zu können. 
Auch zeigte er meist Präparate, welche die Kunstfehler bei den betreffenden 
Operationen wie Perforationen, Verätzungen darstellten. Allerdings berichtet 
er von einem Objekt von zwei Zähnen 32| und von einem anderen Objekt 
von der medialen Wurzel eines 51 nach durchgeführter Pulpaexstirpation 
und Wurzelfüllung mit Triopaste bzw. Benzoeharz. Auffallenderweise stellt 
er im ersten Falle „keinerlei Veränderungen am periapikalen Bindegewebe,- 
die nur unvollkommen entfernte Pulpa zeigt Umwandlung in atrophisches 
Bindegewebe" fest und im zweiten Falle „keinerlei Veränderungen an der 
Wurzelspitze weder im Periodontium noch im Knochen." Das Tier soll noch 
ca. sechs Monate nach erfolgter Wurzelbehandlung gelebt haben. 

Erst um die Jahreswende 1919/20 gibt O. Müller in einem Vortrag, ge* 
halten auf der Versammlung der Schweiz. Odontologisdien Gesellschaft im 
Juni 1919 in Neuenburg, und Siegfried Meyer in seiner Dissertation, 
Zürich 1919, endlich positivere Antwort auf die schon 1910 von Dependorf 
gestellte Frage. Diese lautete: Wie verhält sich das Gewebe am Foramen 
apicale gegenüber den mumifizierten Pulpenstümpfen? 

O. Müller 55 veranlaßten die Scheffschen Befunde des Ersatzes nekro* 
tischer Pulpen von replantierten Hundezähnen durch Ablagerung von Zement* 
gewebe zusammen mit der Überlegung pathologischer Umwandlungsprozesse 
Untersuchungen an einem von ihm selbst wurzelbehandelten Zahne (Pulpa* 
amputation), den er nach 2 1 / 2 Jahren extrahierte, anzustellen. So fand er 
an mikroskopischen Schnitten „ursprüngliches Pulpengewebe oft durch Binde* 
gewebe vom Foramen apicale her zum Teil oder ganz ersetzt. Dieses Er* 
satzgewebe hat sekundäres Zement abgelagert, entweder direkt auf das 
Dentingewebe ohne vorherige Resorption oder mit vorheriger Resorption 
(Auftreten von Howschipschen Lakunen). Die Frage der Entstehung 
dieses sekundären Zementes durch Einwandern oder Metaplasie, ebenso ob 
sich dieses Zement in allen Fällen bildet, läßt Müller noch offen. 

Siegfried Meyer 48 führt an einem Kaninchenzahn nach Amputation den 
experimentellen Beweis, daß „die Pulpa durch Granulationsgewebe resor* 
biert und das Kavum durch neues Bindegewebe ausgefüllt wird, das vom 
Foramen apicale hineinwuchert und das Zement an das Dentin anlagert. 
Das Endergebnis seiner Zusammenfassung ist, daß es späteren Unter* 
suchungen Vorbehalten bleibe, an einem größeren Material den Nachweis 
zu liefern, ob nach Amputation der Pulpa das nekrotische Pulpagewebe 
durch neueinwachsendes Bindegewebe in allen Fällen ersetzt, und von diesem 
dann der Wurzelkanal und das Foramen apicale durch Zementbildung ab* 
geschlossen wird. 


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Untersudiungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


423 


Gegen Ende des Jahres 1920 greift wieder O. Müller 56 die Zement¬ 
frage auf, indem er annimmt, daß so lange sekundäres Zement abgelagert 
wird, bis der Pulpakanal kompakt ausgefüllt ist. Er vergleicht dieses innere 
Zement mit dem Resorptionszement Shmamines, das durch viel Zwischen¬ 
substanz und wenig Zellen mit nicht so vielen Zellausläufern imponiert. Die 
Befunde S. Meyers will O. Müller „auch zum Teil an Menschenzähnen 
festgestellt'' haben. 

Die im Jahre 1921 statthabende Polemik über die Ätiologie des sekun¬ 
dären Zements durch Metaplasie von Euler, Rebel und Hesse dürfte sich 
wohl auf gesunde unveränderte Pulpenstümpfe beziehen. Für die Pulpa¬ 
exstirpation als „hohe Amputation" kommt sie nicht in Betracht, da hier 
ein Einwuchern von Periodontgewebe durch die vielen Zugänge zur Pars 
apicalis der Pulpa leicht verständlich und auch bei meinen Untersuchungen 
überall gefunden wurde. Euler macht auf zwei Arten der Einwanderungen 
periodontalen Gewebes aufmerksam 24 , nämlich 

a> die Einwanderung durch vorgebildete Öffnungen: wie das Foramen 
apicale oder einen Seitenkanal/ 

b> die Einwanderung an einer beliebigen Stelle durch die äußere Zement¬ 
schicht in das Dentin unter Vermeidung der vorhandenen Öffnungen. 

Wie weit nun bis zum Jahre 1921 die Frage der Totalexstirpation und 
die Ausheilung der durch die Pulpaexstirpation entstandenen Wunde ge¬ 
diehen ist, gibt Heß in seiner außerordentlich übersichtlichen Arbeit über 
die Erhaltung erkrankter Zähne 36 in klarer deutlicher Weise kund. Ich glaube 
diese Arbeit mit gutem Gewissen zur Orientierung über unsere heutigen 
Anschauungen der Therapie an die Seite der Dependorfschen Arbeit vom 
Jahre 1910 stellen zu können. 

Zur Exstirpationsfrage äußert Heß sich wie folgt: „Die Methoden der 
Wurzelbehandlungen bei Pulpagangrän und Pulpaexstirpation berühren sich 
hier in vielen Punkten, und die Ansicht, daß es für die Methode der Pulpa¬ 
exstirpation im allgemeinen nicht notwendig sei, dieselben chemischen, mecha¬ 
nischen und äntiseptischen Methoden zur Anwendung zu bringen, ist jedenfalls 
zu verwerfen, um so mehr, als wir eigentlich heute noch nicht genau wissen, 
wie die zurückgelassenen Pulpareste sich gegenüber den eingeführten Me¬ 
dikamenten und gegenüber dem periapikalen Gewebe verhalten. Genaue patho- 
histologische Untersuchungen, zusammen mit bakteriologischen Nachprüfungen 
so behandelter Zähne, könnten auch in dieser Frage Klarheit schaffen." 

Zur Frage des Verhaltens der Pars apicalis der Pulpa und des periapi¬ 
kalen Gewebes führt Heß die Resultate Meyers an, die insofern von Be¬ 
deutung seien, als hier zum ersten Male experimentell über das Verhalten 
der nekrobiotischen Zone im Tierexperiment Aufschluß gegeben werde, und 
die Resultate Müllers, der das Auftreten des sekundären Zementes in der 
Pulpakammer nach Amputation bei den Zähnen Erwachsener erst nach Jahren 
zu konstatieren glaubt und dieses sekundäre Zement vorwiegend im apikalen 
Teil vorfindet. Nicht als sicher festgestellt betrachtet Heß, ob eine voll¬ 
ständige Ausfüllung des Wurzelkanals im Laufe der Jahre zustande kommt. 


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424 


Wilhelm Stitzel 


Meyer und Müller zeigen uns die Ätiologie dieses sekundären Zementes: 
das nekrotische Pulpagewebe wird durch Resorptionszellen aufgelöst, und an 
seiner Stelle wuchert Bindegewebe hinein und lagert das Zement ab. „Ob 
auch hie und da noch lebend erhaltene Bindegewebszellen nach Abtötung 
der Pulpa in der Gegend des Foramen apicale imstande sind, Zement* 
gewebe zu bilden, ist noch nicht als gesichert zu betrachten." Heß fordert 
zu weiteren Untersuchungen auf, an einer größeren Reihe von Fällen ex* 
perimentell nachzuweisen, ob durch die Natur ein hermetischer Abschluß 
des Foramen apicale durch Zementgewebe erreichbar sei. Damit wäre eine 
der wichtigsten Vorbedingungen, die wir an eine Wurzelfüllungsmethode 
stellen, auf natürlichem Wege erzielt. Im weiteren gibt Heß eine präzis 
aufgestellte Methode der Amputation der Pulpa wieder. Über die Dauer* 
Wirkung der von uns als Mumifikationspaste allgemein gebrauchten Triopaste 
meint er, ließe sich heute noch nichts Sicheres sagen, immerhin zeige die 
klinische Erfahrung, daß mit dieser Paste behandelte amputierte Pulpen nach 
Jahren vollständig reaktionslos bleiben. „Ob dieses Reaktionslosbleiben der 
Zähne auf die desinfizierende Dauerwirkung der Triopaste zurüdezufuhren 
ist, oder ob diese bereits besprochene sekundäre Zementbildung im Foramen 
apicale durch den Abschluß desselben eine Reizung der periapikalen Gewebe 
verhindert, muß noch durch weitere Untersuchungen festgestellt werden." 
Siehe Lutz: Schw. M. f. Z. 1923, H. 3. 

Diese Heßschen Fragen und Anregungen zur Forscherarbeit machen uns 
auf etwas aufmerksam, das bis heute leider noch sehr unberücksichtigt ge* 
blieben ist,- nämlich auf den biologischen Faktor bei der Wurzelbehandlung. 
Sollte es möglich sein, den biologischen Faktor dieser sekundären Zement* 
bildung zu finden, d. h. den Abschluß der Foramina apicalia auf natürlichem 
Wege zu erzielen, dann wird sich meines Erachtens eine neue Ära der 
Therapie der Pulpa ergeben. 

Im Jahre 1922 scheinen sich nun die Amerikaner besonders mit der Frage 
des Verhaltens des periapikalen Gewebes bei Exstirpation der Pulpa be* 
schäftigt zu haben. Aber auch sie beschränken sich immernoch auf die röntgen* 
ologischen oder histologischen Untersuchungen extrahierter menschlicher Zähne. 

Bei der Forschung: warum pulpalose Zähne nicht pathogen sind, findet 
Grove 32 , daß die Erhaltung des periapikalen Gewebes pulpaloser Zähne 
durch zwei Vorgänge erreicht wird: entweder durch die Ablagerung von 
sekundärem Zement, das nach seinen histologischen Befunden tatsächlich die 
Foramina schließt, oder durch die Verwandlung des zurückgebliebenen api* 
kalen Teiles der Pulpa in Narbengewebe. „Gewöhnlich wird angenommen, 
daß perfekt gefüllte Wurzeln periapikale Infektion verhüten. Ich kann nicht 
weiter auf das Thema eingehen, wünsche aber zu sagen, daß nach meiner 
Ansicht die Technik, die für diese Operation gewöhnlich angewendet wird, 
eher Infektion erzeugt als verhindert. Die Anzahl der Störungen, die in 
diesem Falle Vorkommen, sind zum größten Teil Folgen der Zerstörung des 
periapikalen Gewebes durch die Medikamente, welche diese Technik erheischt. 
Bei der Untersuchung von 1000 Radiographien habe ich gefunden, daß der 


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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


425 


kleinste Prozentsatz der Infektionen in solchen Wurzeln ist, die nur mäßig 
gefüllt waren/' Nach seiner Ansicht sollte man nicht gutgefüllte Wurzel® 
kanäle, welche klinisch und radiographisch frei von periapikalen Störungen 
sind, nicht wieder füllen, da die Natur schon Versorgungen gegen die Im» 
fektionsmöglichkeit des periapikalen Gewebes getroffen hat. Bei der Pulpa® 
exstirpation sollte eine geringe Menge lebenden Pulpagewebes an der gesunden 
Wurzelhaut gelassen werden, um diesen günstigen Verlauf ohne Infektion 
zu erlangen. Leider gibt Grove nicht an, unter welchen Kautelen die Pulpa® 
exstirpation erfolgte und welches Wurzelfüllungsmaterial er gebrauchte. 

Besondere Berücksichtigungen der Bedingungen und der Einflüsse, unter 
denen dieses sekundäre Zement oder „osteoide Gewebe", wie es die 
Amerikaner nennen, das Pulpagewebe ersetzt, finden wir endlich in einer 
ausführlichen Arbeit von Davis 17 . Auch er findet bei Radiographien und 
durch histologische Untersuchungen extrahierter Zähne teilweise oder<in 10%> 
vollständige Obliteration der Wurzelkanäle auf teilweise Pulpaexstirpation 
und teilweise Wurzelfüllung nach Druck® oder Injektionsanästhesie. Er gibt 
amerikanische Autoren an, die sich mit dieser Frage der Obliteration der 
Pulpakanäle beschäftigt haben, und nennt Dr. Harry S. Chase <1886), der 
dieses Verschlußgewebe als kalzifiziertes Bindegewebe ansieht. Dr. S. J. 
A. Salter <1874) nennt es osteoides Gewebe mit einzelnen bone lacunae 
<Knochenlakunen>, dem einzigen Bestandteil, den es mit dem Zement ge® 
meinsam haben soll. Hopewell Smith <1903) gibt für diese Umwandlung 
des Gewebes das Trauma an. 

Davis ist der Ansicht, daß Pulpen, die an irgendeinem Punkt zwischen 
Pulpakammerboden und Apex nach einer von ihm ausgearbeiteten aseptischen 
Methode unter Druck® oder Injektionsanästhesie amputiert wurden, lebend 
blieben und ein „reparative tissue" gebildet haben. Er will keine Pulpen 
mehr mit Arsenik devitalisiert und nur die Leitungsunterbrechungs®, Druck® 
oder allgemeine Anästhesie zu seiner „Pulpaexstirpation" angewendet wissen. 
Auch sollten die Pulpastümpfe nie in Kontakt gebracht werden mit Kaustika 
oder anderen die Gewebe zerstörenden Agentien. Die Kanalfüllung soll so 
sein, daß sie keine Anämie in den bleibenden Pulpastümpfen hervorbringe, 
d. h. also ohne den geringsten Druck auszuüben. Er empfiehlt als Wurzel® 
füllung einen Firnis mit Guttaperchapoint. In jedem Zweige der Foramina 
sollte lebendes „ Pulpagewebe Zurückbleiben. Er empfiehlt diesbezügliche 
Studien der Zell® und Gewebswandlungen während der ganzen Zeit dieser 
Umbildung, erkennt aber auch, „daß es fast unmöglich ist, Material zu diesen 
Untersuchungen zu bekommen, da die Patienten nicht ihre gesunden Zähne 
zu Untersuchungszwecken hergeben, denen sie völlig fernstehen." 

Es wäre zu wünschen, wenn die von mir im folgenden ausgebaute Re® 
Sektionsmethode die späteren Untersuchungen dieser zur Zeit akuten Fragen 
erleichtern könnte. „Denn vom Gesunden, Normalen, Gegebenen müssen 
wir zunächst ausgehen, wenn wir hoffen wollen," um mit Rebel G3 zu sprechen, 
„einst die Pathobiologie verstehen zu können." 

Die Ausführungen von Davis und Grove macht Heinemann 31 den 


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426 


Wilhelm Stitzel 


deutschen Zahnärzten bekannt und regt zu weiteren Nachprüfungen der 
Tatsachen an. Er will sogar die Davissche Methode so modifiziert wissen, 
daß nur noch Wasserstoffsuperoxyd und Alkohol bei der Pulpaexstirpation 
zu verwenden wären, und daß jede Spur dieser Mittel dann noch mit warmer 
steriler Ringerlösung zu entfernen sei. Um den Pulpenstumpf nicht durch 
differente Füllungsmaterialien zu schädigen, geht er sogar so weit, den 
Wurzelkanal leer zu lassen, da dieser ja doch durch Zement am Foramen 
apicale abgeschlossen werde. 

C. Eigene Untersuchungen 

Wie schon eingangs erwähnt, war mir keine Methodik bekannt, den Apex 
dentis inmitten des Kiefergewebes unberührt herauszuoperieren. Das brachte 
mich auf den Gedanken, den Trepan der Chirurgie für unseren Fall um* 
zuarbeiten, um aus dem Kiefer ein entsprechendes Knochenstück herausholen 
zu können, das den Apex dentis in situ enthielt. 

Methodik der Resektion 

Für das ganze Operationsverfahren gelten die chirurgischen Prinzipien. 
Die Schleimhautaufklappung erfolgt nach Partsch. Bei Besichtigung des frei* 
liegenden Knochens, unterstützt durch die Röntgenaufnahme, konnte ich mich 
leicht über die Topographie der Wurzelspitze orientieren. Ich hatte mir 
spezielle Trepanationsfräsen anfertigen lassen, auf die ich in einer späteren 
Veröffentlichung genauer eingehen werde. Je nach den Platzverhältnissen 
gebrauchte ich eine Fräse von 5 mm oder 7,5 mm Durchmesser. Mit der in 
das Bohrmaschinenhandstück eingespannten Fräse drang ich durch die äußere 
Knochen wand und konnte gut hören und fühlen, wann die Wurzelspitze 
durchgefräst war. Dann ging ich noch etwas tiefer, um auch hinter der 
Wurzelspitze noch etwas Gewebe zu erhalten. Das sich so ergebende 
Knochenpflöckchen mußte ich mit einem etwas gebogenen schmalen Schmelz* 
messer absprengen, dann konnte ich es mit der Pinzette herausheben. Hs 
wurde sofort in ein Präparatengläsdhen mit zehnprozentigem Formalin ein* 
gelegt. Die Knochenhöhle kratzte ich mit einem passenden scharfen Löffel 
nach Partsch aus. Die Knochenspähne und anderes wurden ausgespritzt mit 
3% Wasserstoffsuperoxyd und anschließender Ausspülung der Knochen* 
höhle mit Ringerlösung. Die so gesäuberte Höhle verschloß ich mit der 
Schleimhautnaht. Nach ca. 8 Tagen konnte ich durchwegs eine Heilung per 
primam intentionem feststellen. 

Da die zu resezierenden Zähne mit verschiedenen Wurzelfüllungsmaterialien 
gefüllt waren, die auf eine frische apikale Wunde vielleicht eine schädliche 
Wirkung ausüben konnten, so entschloß ich mich, einen apikalen Amalgam* 
abschluß mit Kupferamalgam anzubringen, wie er ja schon 1909 durch 
Williger empfohlen wurde. Auch andere, wie Adloff, Euler, Faul* 
haber, Goldmann und Neumann haben mit ihm gute Erfolge zu ver* 
zeichnen. Ob aber allerdings diese Wurzelstumpffüllung ihre Berechtigung 
hat, oder ob jeder Wurzelabschluß, der eventl. später als Fremdkörper 


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Untersuduingen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


427 


Granulationen und Arrosionen hervorrufen kann, zu vermeiden ist, wird 
die Zukunft zeigen, wenn ähnliche Fälle beobachtet werden, wie sie Schub 
<Bad Kreuznach) 72 veröffentlicht hat. Die neuesten Untersuchungen Eulers 
haben ergeben, daß der Abschluß mit Amalgam wohl zu den besseren 
Methoden des apikalen Wurzelverschlusses während der Operation gehört. 

Auf diese Weise kam ich in den Besitz von sechs Präparatenserien. Die 
Zähne wurden geröntgt, und auch hier konnten wir keine apikalen Ver¬ 
änderungen feststellen. In einem Falle <Präparat F> reichte die Wurzelfullung 
bis dicht an den Apex in ein etwas erweitertes Foramen apicale hinein. Die 
nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht über Alter, Geschlecht des Patienten, 
resezierten Zahn, Art der Wurzelbehandlung und Datum derselben, sowie 
der Röntgenaufnahme und der Resektionen. 

TABELLE VI 


Präp. 


Patient 


Zahn 


Wurzelbehandlung 


Datum 


Röntgen* Rescktions- 
Datum Datum 


E ; 24 J. | [2 | Nach Drudeanästhesie Pulpaexst. Chlor- 

| phenoleinl. In der zweiten Sitzung & f f 

! I Wurzelfüllung mit Triopaste und 

Guttaperchapoint.. 27. I. 20 31. V. 22 12. IX. 22 

Nach Druckanästh. wie oben . . . 1 11. IV. 21 2. VI. 22'20. X. 22 


F 

J1 


17 ). 
15 J. 


n 

li 


J 2 j 15 J. 2] 

! 

I 

W 23 J. 4] 


P 17 J. 4| 


Pulpaexstirpation nach Kobalteinlage 
<5 Tage) Trik. Form.-Einlage. In 
der 2. Sitzung Wurzelfüllung mit 
Triopaste und Guttaperchapoint. . 

Pulpaexstirpation nach Druckanästhe- 
sie, Trik. Form.-Einlage. 2. Sitzung 
Wurzelfüllung mit Triopaste und 
Guttaperchapoint. 

Pulpaexstirpation nach Kobalt-Ein¬ 
lage <7 Tage) Kanalreinig, m. Aqua 
regia Natr. sup. Waschen m. Was¬ 
serst. sup. Trocknen. In alkohol¬ 
feuchten Kanal, Einpumpen v. konz. 
alkohol. Thymollösung. 

Pulpaexstirpation nach Kobalt-Ein¬ 
lage <7 Tage) Chlorphenol-Ein¬ 
lagen. 2. Sitzung nach Aqua regia 
Natr. sup. Wasserstoff sup. Aus¬ 
trocknen. Wurzelfüllung m. Paraffin- 
Thym. nach Rumpel. 


24. III. 22 9. VI. 22 20. VII.22 


24. III. 221 9. VI. 22 27.VII.22 


1 20. IV. 22, 12. V. 22 24. X. 22 


21. VI. 22! 29. IX. 22 29. IX. 22 


III. HISTOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN 


Nachdem ich, wie ich schon eingangs erwähnt, nach der von Dätwyler 18 
im Jahre 1921 veröffentlichten Methode bezüglich Schnittdicke schlechte Er= 
fahrungen gemacht hatte, wurden die weiteren Objekte nach folgender, von 
mir etwas modifizierten Methode nach Schmorl 89 behandelt. 


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Wilhelm Stitzel 


A. Methodik 

1. Bezeichnen der Objekte. Jedes Objekt kam in ein mit weitem geschliffenen 
Glasstöpsel und mattierter Deckeloberfläche versehenes Präparatengläschen. 

Fixieren und Entkalken 

2. Fixieren. Einlegen der frischen Objekte in 10%iges Formalin <10 bis 
15 Tage) unter zwei« bis dreimaligem Formalinwechsel. 

3. Härten. Ohne Wässern einlegen in 

50"/eigen Alkohol 12 Stunden 
70 o' 74 

80% ,, „ mindestens24Stunden, auch länger. 

Darauf in fließendes Wasser 24 Stunden, um alle Fixierungsflüssigkeit zu 
entfernen, da sonst bei der Säurebehandlung Niederschläge entstehen können. 

4. Entkalken. In 30%igem Acid. formicicum pro Zahn ca. 20 ccm 
15—30 Tage bei täglichem Säurewechsel und Schütteln. 

5. Entsäuern. In fließendem Wasser 24—48 Stunden. 

6. Zweite Härtung. Durch steigende Alkoholreihe: 

50% Alkohol 12 Stunden 
70% „ 24 


80' 


i n 


mindestens 24 Stunden, evtl, länger. 


7. Entwässern. 


Einbetten in Zelloidin 

In 90%igem Alkohol 24 Stunden 

Q6°/ 24 

„ Alkohol abs. I 24 „ 

II 24 

tr rr tr 11 rr 

„ Äther Alk. <aa> 24 „ 

„ 4% Zelloidinlösung 

in Äther-Alkohol 24—48 Stunden. 

8. Zelloidineindickung und Härtung. 

Zufügung zu 4%iger Lösung von an der Luft getrockneten kleinen 
Zelloidinstüdcchen, bis die Lösung auf ca. 10% eingedickt ist. Die geöffneten 
Präparatengläschen kommen in den Exikator, der beschickt ist mit Chloro¬ 
form, konz. Schwefelsäure und geglühtem Kupfersulfat in getrennten Ge¬ 
fäßen. Die Objekte können im Gläschen in der Lage fixiert werden, wie sie 
im Zelloidinblock liegen sollen, mittels Tierleber. Diese muß dann wie das 
Objekt Fixierung, Härtung, Entsäurung usw. durchgemacht haben. 

9. Zelloidinfixierung. Nach 24 Stunden ist oberste Schicht erstarrt. Es 
wird 80% iger Alkohol darauf gegossen. Die weitere Härtung geschieht außer¬ 
halb des Exikators, bis der Block völlig milchig trüb aussieht <nach 1 bis 
2 Tagen). Der gewünschte Block wird mit dem Messer herausgeschnitten. 

10. Aufhellen. Zum Nachhärten und Aufhellen den Block in 

Glycerin pur. conc. 100,0 


80% Alkohol 


5,0 ca. 5—8 Tage 


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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


429 


11. Aufblocken. Dem Objekt entsprechende Fiberklötzchen werden kreuz¬ 
weise auf der zu beklebenden Fläche und an deren Kanten mit Einschnitten 
versehen und 24 Stunden in flüssigem Paraffin luftfrei gemacht. 

Der Objektblock wird mit einem Zelloidinkitt nach Apäthy <siehe 
Schmorl) auf dem Klötzchen fixiert, ca. 1—2 Minuten an der Luft stehen 
gelassen, dann auf 24 Stunden in 80% Alkohol und zur 

12. endgültigen Härtung in obengenannte Alkohol-Glycerinmischung 
höchstens 3—4 Wochen gebracht. Längeres Auf bewahren härtet unnötig 
das Zahngewebe. 

Schneiden 

Mit schiefgestelltem Messer. Die Schnitte werden einzeln auf numerierte 
Filtrierpapierstückchen gebracht und diese unter 80% Alkohol in Präparaten- 
gläschen aufgeschichtet. 

Herstellen von Serienschnitten 

Nach einer von mir modifizierten Methode von Obregia 57 . Die völlig 
trockenen, wasserfreien Objektträger mit Zucker-Dextrin-Alkohollösung 
<Schmorl pag. 76) sehr dünn bestreichen und 24 Stunden im Brutofen 
trocknen lassen. An einer Ecke ein Kollodiumhäutchen antrocknen lassen 
und bezeichnen. Beschicken mit den in 80% Alkohol auf bewahrten Schnitten, 
abtrocknen mit faserfreiem Filtrierpapier und rasches Übergießen einer sehr 
dünnen Kollodiumlösung. 2—3 Minuten Lufttrocknen und Einlegen in Aqua 
dest., wo sich ein die Schnitte enthaltendes Häutchen leicht loslöst, das halt¬ 
bar bezeichnet ist. 

Färben der Schnittserien 

Die besten Erfolge besonders bei meinen Serienuntersuchungen hatte auch 
ich mit der altbewährten 

Hämatoxylin-<Delafield->Eosinfärbung 
modifiziert wegen Serienfärbung. 

1. Schnittserien in Aqua dest. 24 Stunden 

2. in Hämatoxylin <Delafield) 

3 gtt auf 25 ccm Aqua dest. 

bis intensiv blau 2 mal 24 „ 

3. Differenzieren in Aqua fontana 

bis Schnitte schön preußischblau 

4. Eosinlangsamfärbung 

1,5 ccm 1% Eosin wasserl. gelb 

100,0 ccm Aqua dest. 

5. Abspülen in Aqua dest. bis violettbrauner 

allgemeiner Farbton 

6. in Alkohol 80% 

7. in Alkohol 96% 

gut abtropfen lassen 


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12-24 


24 


10-30 Min. 
5 „ 

10 „ 


Original fro-m 

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430 


Wilhelm Stitzel 


8. in Amylalkohol 2—3 mal 24 Stunden 

bis Zelloidin durchsichtig 

9. Karboloxylol 

bis Schnitte durchsichtig 1—2 „ 24 „ 

10. Ausschneiden der Schnitte 

Abtrocknen und Einbetten in säurefreien Kanadabalsam 

verdünnt mit rektif. Xylol. 

Zur Darstellung besonders der Hartsubstanzen des Zahnes habe ich auch 
die von Shmamine 74 empfohlene modif. Schmorlfärbung versucht. Es 
handelt sich nach Schmorl hier bei der Thioninfärbung nicht um eine eigene 
liehe Färbung, sondern um eine Ablagerung eines feinen Farbstoffhieder* 
Schlages, der aber nach kurzer Zeit so störend auftreten kann, daß er die 
Herstellung eines Dauerpräparates in Frage stellt. Für eine Untersuchung 
der Präparate sofort nach der Färbung eignet sich diese Methode vorzüglich. 
Jedoch für eine systematische Serienuntersuchung ist die Hämatoxylin* 
Eosinfärbung vorzuziehen, da mit dem neuerdings bezogenen Thionin, wie 
auch Schmorl in der neuesten Auflage <1922) seines Lehrbuches selbst 
zugibt, seine Methoden nicht oder nur mangelhaft gelingen. 

Die in Romeis' Taschenbuch 05 angegebene Mehrfachfärbung nach 
Dominici habe ich versucht und gefunden, daß sie für Zahnpräparate völlig 
ungeeignet ist, da keine Differenzierungen im Dentin und Zement auftreten. 

B. Beschreibung der Resultate 
1. Allgemeines 

Bei den histologischen Untersuchungen sowohl der wurzelbehandelten 
Hundezähne, als auch der wurzelbehandelten und resezierten menschlichen 
Zähne zeigten sich bei den vielen Serienschnitten gewisse allgemeine, fast 
immer vorkommende Vorgänge, die wir in nachstehendem kurz zusammen* 
fassen wollen. 

Um den Einfluß der Wurzelfüllungsmaterialien auf die periapikalen Ge* 
webe zu untersuchen, wurde, wie bereits im Kapitel II „Experimentelle 
Untersuchungen über die biologischen Vorgänge im periapikalen Gebiet 
nach verschiedenen Wurzelfüllungsmethoden" beschrieben worden ist, nach 
verschiedenen Methoden bei den Hunde-Zähnen, teils nach Devitalisieren mit 
Arsen oder Kobalt, teils unter Druckanästhesie und allgemeiner Narkose die 
Exstirpation der Pulpa vorgenommen. Die Wurzelkanäle wurden mit ver* 
schiedenen Wurzelfüllungsmaterialien gefüllt. 

Des Ferneren wurden an menschlichen Zähnen verschiedene Wurzel* 
füllungsmaterialien <Thymol und Triopaste) in die Kanäle eingefüllt und 
nach verschiedener Einwirkungsdauer durch Resektion die Wurzelspitze mit 
periapikalem Gewebe entfernt und histologisch untersucht. 

Sowohl bei den Hundezähnen als auch bei den resezierten menschlichen 
Wurzelspitzen zeigt sich die Einwirkung der Wurzelfüllungsmaterialien in 
dem Sinne, daß dieselben auf das Periodontium einen Reiz ausübten, der 


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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


431 


sich durch starke Rundzellenanhäufung in den Ausgängen der Foramina 
apicalia bemerkbar machte. Durchwegs zeigt sich die Tendenz des infiltrierten 
periodontalen Gewebes, vorerst die apikalen Kanälchen in ihren Endigungen 
im Zement durch Resorption zu erweitern und in dieselben hineinzuwachsen. 
Dieses hineinwachsende junge Bindegewebe vom Poriodontium stammend, 
führt zu lakunenartigen Erweiterungen dieser Kanälchen, sowohl in deren 
Verlauf im Zement als im Dentin. Sobald dieses Bindegewebe auf das 
devitalisierte Pulpagewebe stößt, wird dasselbe resorbiert, und an seine Stelle 
tritt ein neugebildetes Zementgewebe, das im weiteren Verlauf seiner Ab* 
lagerung teils auf resorbiertes, teils auf nicht resorbiertes Dentin, zum völligen 
Verschluß dieser Kanälchen führen kann. 

Wie schon bei der Pulpaamputation von Müller, Siegf. Meyer und 
neuerdings auch von Lutz festgestellt worden ist, wirkt der Reiz der ein* 
gefüllten Medikamente in die Wurzelkanäle vorerst entzündungserregend 
auf das Periodontium, und wenn dieser Reiz nicht eine gewisse Stärke über* 
schreitet, so kann er nutritiv wirken, und wir sehen so die jungen Binde* 
gewebszellen des Periodontiums zu neuer Tätigkeit angeregt in die präfor* 
mierten Öffnungen <Foramina apicalia) eindringen, um hier das vorhandene 
nekrotische Pulpagewebe und eventuell auch das Dentin vorerst zu resor* 
bieren und an ihren Stellen Zement abzulagern. Während wir bei der Pulpa* 
amputation den medikamentösen Reiz als abgeschwächt betrachten müssen. 
Indem derselbe durch den ganzen nekrotischen Pulpastumpf hindurchdiffun* 
dieren muß, wirkt bei der Pulpaexstirpation der medikamentöse Reiz des 
eingefaßten Wurzelfüllungsmaterials relativ sehr schnell auf das umgebende 
Gewebe ein, so daß es vorerst zu starker Leukozytenansammlung, Resorption 
von Zement und Dentin kommen kann, ohne daß eine Zementbildung un* 
mittelbar sich daran anschließen würde. In diesen Fällen bietet sich uns dann 
oft das Bild eines beginnenden Granuloms, namentlich wenn eine Infektion 
des Testierenden Pulpagewebes nicht ausgeschlossen werden kann. In andern 
Fällen, wo der Reiz weniger stark zur Auswirkung gelangt, sehen wir den 
Reparationsvorgang in dem Sinne auftreten, wie wir ihn oben bereits be¬ 
schrieben haben. 

Aus unseren Experimenten kann wohl der Schluß gezogen werden, daß 
im allgemeinen die Biologie des Zementes bei den Wurzelbehandlungs* 
methoden mehr berücksichtigt werden sollte, und zwar in dem Sinne, daß 
das periapikale Gewebe möglichst intakt gehalten wird. Jedes unnütze 
mechanische, chemische und desinfizierende Vorgehen kann der Vitalität des 
aktiven Bindegewebes im apikalen Bezirk nur schaden. 

Ob die absichtliche Zurücklassung von devitalisiertem oder absichtlich lebend 
erhaltenem Pulpagewebe im Wurzelkanal in jedem Falle zu dem bereits 
besprochenen Reparationsvorgang der sekundären inneren Zementbildung 
führt, muß noch durch weitere große Serienuntersuchungen näher klargelegt 
werden. Die Übereinstimmung der bei der Pulpaamputationsmethode und 
derjenigen bei der sog. Pulpectomie von Davis erzielten sekundären inneren 
Zementbildung mit unseren Resultaten zeigt, daß bei geeigneter Methode 


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Wilhelm Stitzel 


der Wurzelbehandlung womöglich diese innere sekundäre Zementbildung 
durch die Therapie provoziert werden kann. 

Damit würde sowohl die Pulpaamputation als auch die Pulpaexstirpations- 
methode prinzipiell auf den gleichen Boden gestellt, und es würde sich darum 
handeln, eine geeignete Methode der Wurzelbehandlung nach diesen Prin¬ 
zipien noch näher auszubauen, die für alle Zähne in Betracht fallen würde. 
Für die Fälle von infizierter Pulpa und Pulpagangrän müßten selbstredend 
andere Behandlungsmethoden in Aussicht genommen werden. 

2. Spezielles 

Um die im allgemeinen Teil bereits besprochenen Resultate unserer histo¬ 
logischen Untersuchungen noch an einigen mikrophotographischen Bildern 
festzulegen, folgen einige Reproduktionen der Vorgänge, wie wir sie in den 
experimentellen Versuchen an Hundezähnen wie auch an resezierten Wurzel- 
spitzen menschlicher Zähne feststellen konnten. 

Über die Details der histologischen Bilder geben die Legenden nähere 
Auskunft. 

a> Tierexperimentelles 

Die Schnitte stammen von den Zähnen einer sechsjährigen Schäferhündin. 
Die Sektion des Tieres erfolgte fünf Monate nach erfolgter Wurzelbehandlung. 

Die meisten Präparate wurden zuerst mit Thionin-Phosphorwolframsäure 
nach der Methode von Shmamine, modifiziert nach Schmorl, gefärbt. 
Leider traten schon nach einigen Tagen so erhebliche Farstoffniederschläge 
auf, welche die Schnitte unbrauchbar machten. Ich entfärbte die Schnitte in 
Salzsäure-Alkohol <Acid. hydrochlor. 1, 70°/ o iger Alkohol 100> ca. 2 bis 
4 Tage. Wässerte und färbte mit Hämatoxylin-<Delafield~>Eosin nach. 
Damit waren die Schnitte wieder brauchbar, jedoch nahmen die Zement¬ 
körperchen in den Zementzellen keinen Farbstoff mehr an. In solchen Prä¬ 
paraten lassen sich nur die Grenzen der Zementzellen feststellen. 

b> Resektion menschlicher wurzelbehandelter Zähne 

Von 6 Präparaten, die durch Resektion gewonnen wurden, zeigen zwei 
mit Triopaste gefüllte Zähne und J t ) nach vier Monaten noch das 
Stadium des Resorptionsprozesses mit Rundzellenanhäufung und durch 
Resorption erweitertes Foramen apicale. An einem Präparat <P> ist das 
periapikale Gewebe stark mit Rundzellen infiltriert. Der Resorptionsprozeß 
hat lakunenartig das Foramen apicale erweitert. 

Das ganze Präparat zeigt das Bild eines infektiösen Resorptionsprozesses, 
der wahrscheinlich mit einer Granulombildung endigen wird. 

Hs folgt die Einzelbeschreibung der übrigen drei Präparate. 


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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


433 


PRÄPARAT H 1h 

Vergleichshund: Incisivus II inferior dexter Y\ 
Vergrößerung: 30fach, 20 mm Zeiß-Planar. 
Schnittdicke: 23 /<. 

Färbung: Hämatoxylin-<Delafield-')Eosin. 



A = Aktive Zementschicht. B = Ruhende Zementschicht. C = Resorptionsform. D = Periodont. 

E = Fundus alveolae 

Histologischer Befund 

Der Schnitt zeigt den Hauptkanal bis zu seinem Foramen apicale im Längsschnitt. 
Einige apikale Verästelungen sind im Querschnitt getroffen. Das Periodontium erscheint 
in normaler gleichmäßiger bindegewebiger Struktur. 

Auffallend gegenüber den menschlichen Zähnen ist hier die Anordnung des sekundären 
Zementes betreffs der Verteilung der aktiven Zementschicht <A) mit zahlreichen Zement¬ 
körperchen und der lamellösen, zellärmeren Saftlücken aufweisenden, ruhenden Zement¬ 
schicht < B >. Während beim menschlichen Zahn die aktive Schicht an das periodontale Ge¬ 
webe angrenzt, liegt sie beim Hundezahn zwischen Dentin und lamellöser ruhender Schicht. 

Die Stellen (C> können wohl mit den Resorptionsformen Shmamines des sekundären 
Zementes menschlicher Zähne verglichen werden. 

PRÄPARAT H 12 

Schäferhündin: Incisivus I sup. sinister |_L 
Vergrößerung: 37,5fach, 20 mm Zeiß-Planar. 

Schnittdicke: 25 /<. 

Färbung: Thionin, entfärbt/ HämatoxyIin-<Delafield->Eosin. 

Druckanästhesie <Kokain-Adrenalin). 

Vierteljahrssdirift für Zahnheilkunde. Heft 4 28 


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434 


Wilhelm Stitzel 


Pulpaexstirpation: unter Trikresolformalin, mech. Auskratzen und Auswaschen mit 
Wasserstoffsuperoxyd, Austrocknen mit Alkohol und heißer Luft. Chlorphenoleinlage 
unter Zinkoxyd-Eugenoldecke. Zementverschluß. 

Wurzelfüllung: nach Wiederholung der Wurzelkanalbehandlung in mit Trikresol- 
formalin angefeuchteten Kanal Einpumpen von Triopaste und Einfuhren von Gutta- 
perchapoints. 



A = Rcsorptionslakunc. B = Ruhende Zementsdiidu. C = Aktive Zemcnisdiidit. D = Hauptkanal. 

E = Apikale Verästelungen 

Histologischer Befund 

Der Schnitt zeigt den Hauptkanal im Längsschnitt getroffen und teilweise die apikalen 
Verästelungen, die durch Dentin und Zement gehend zur Wurzeloberfläche gegen das 
Periodontium ziehen. Bei A sicht man das periodontale Gewebe durch das lamellöse 
äußere Zement eine Resorptionslakune bilden, die sich gegen den Hauptkanal hin weiter 
fortzusetzen im Begriffe steht. Auch an anderen Stellen, meist mit den Ausgängen der 
Foramina apicalia übereinstimmend, sind solche Resorptionslakunen zu sehen. Das Perio¬ 
dontium zeigt Leukozytenansammlungen. Das Ganze bietet das Bild eines in voller Ent¬ 
wicklung begriffenen Resorptionsprozesses. 

PRÄPARAT H 8 

Schäferhündin: Caninus infer. dexter ~c] 

Vergrößerung: 37,5fach, 20 mm Zeiß-Planar. 

Schnittdicke: 23 u. 

Färbung: Hämatoxylin-<Delafield->Eosin. 

Kauterisieren der Pulpa mit Ars. meta!. crud. (Kobalteinl.). 

Pulpaexstirpation: unter Trikresolformalin. Mechanisches Auskratzen und chemische 
Reinigung mit Aqua regia. Neutralisieren mit Natriumsuperoxyd, Auswaschen mit Wasser¬ 
stoffsuperoxyd. Zweite Reinigung mit Antiformin, Neutralisieren und Auswaschen mit 
H., Oo. Austrocknen mit Alkohol und heißer Luft. 

Wurzelfüllung: In derselben Sitzung Einpumpen von konz. alkohol. Thymollösung 
in alkoholfeuchten Kanal, Einführen eines Points aus Asbestw'atte getränkt mit obiger 
Thymollösung. 


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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


435 


Histologischer Befund 

Der Schnitt zeigt den Hauptkanal mit seiner Fortsetzung in büschelartig angeordnete 
Foramina apicalia. Im Gegensatz zum menschlichen Zahn zeigt der Hundezahn ein sehr 
weites Dentinforamen, durch das die Gefäße zur Versorgung der Pulpa eindringen und 
vom Zement bei der Bildung des Foramen apicale umwachsen werden. Dadurch lassen 
sich die zahlreichen im Zement gelagerten apikalen Verästelungen erklären. 



A = Hauptkanal mit nekrotischem Pulpastumpf. B = Apikale Verästelung mit Rundzellen gefüllt. C=Rund- 
zellen-Anhäufung an einem For. apikale. D = Lakunenartige Erweiterung des For. apikale durch Rcsorptions« 
zellen. Lokale Rundzellenanhäufung, um die aus dem Foramen apikale herausdiffundierenden Medikamente 

aufzusaugen und unschädlich zu machen 


Im Hauptkanal lagert ein nekrotischer Pulparest, der sich nur an den Wänden los¬ 
gelöst hat, aber durch die vielen apikalen Verankerungen festgehalten wird. An den Aus¬ 
mündungsstellen gegen das Periodontium sieht man überall in diesem Rundzellenanhäufung, 
welche trichterförmig die Foramina resorbieren und die apikalen Äste stark erweitern, 
Die Rundzellen sind schon weit in die apikalen Pulpaäste vorgedrungen. 


PRÄPARAT H 13 

Schäferhündin: Incisivus sup. dexter 21 
Vergrößerung: 37,5fach, 20 mm Zeiß^Planar. 

Schnittdicke: 20 u. 

Färbung: Thionin entfärbt, Hämatoxylin-<DelafieId-)Eosin. 

Druckanästhesie (Kokain-Adrenalin). 

Pulpaexstirpation: unterTrikresolformalin. Mechanisches Auswaschen und Auskratzen 
mit H 2 0 2 , Austrocknen mit Alkohol und heißer Luft, für acht Tage Chlorphenolcinlage. 

Wurzelfüllung: nach Wiederholung der Wurzelkanalbehandlung in der zweiten 
Sitzung Einpumpen von Chloropercha in den mit Chloroform angefcuchtctcn Wurzel¬ 
kanal und Einführen eines Guttaperchapoints. 


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Wilhelm Stitzel 


Histologischer Befund 

Der Schnitt zeigt den Hauptkanal mit einem Teil der apikalen Verästelungen, deren 
Foramina apicalia auf diesem Schnitt nicht getroffen sind. Man sieht, wie die apikalen 
Verzweigungen teils mit sekundärem Zement, teils mit Bindegewebe ausgefüllt sind, dessen 
Zusammenhang mit dem Periodontium aus der Serie bei starker Vergrößerung abzu¬ 
leiten ist. 



A = Hauptkanal. B — Apikale Verästelungen mit sek. Zement fast ausgefüllr. C = Eingewachsenes Binde¬ 
gewebe des Periodonts in den apika'en Verästelungen. D — Eingewachsenes Periodontgewebe. ££ = Ein- 
wachsen des sek. Zements am Foramen apikale einer apikalen Verästelung 

An welcher Stelle der Resorptionsprozeß noch tätig ist, läßt sich weniger gut erkennen, 
jedoch steht fest, daß der Reparationsprozeß schon weit in die apikalen Verästelungen 
vorgedrungen ist. 

PRÄPARAT H 1W 

Schäferhündin: Incisivus I inf. sin. |T. 

Vergrößerung: 45fach, 20 mm Zeiß-Planar. 

Schnittdicke: 20 /<. 

Färbung: Hämatoxylin-<Delafield-)Eosin. 

Ohne direkte Pulpaanästhcsie in allgemeiner Narkose. 

Pulpaexstirpation: unter Trikresolformalin. Mechanisches Auskratzen und chemisches 
Reinigen mit Aqua regia. Neutralisieren Na 2 0 2 , Auswaschen mit H a 0 2 . Zweite Rei¬ 
nigung mit Antiformin, Neutralisieren und Auswaschen mit H 2 0 2 . Austrocknen mit Al¬ 
kohol und heißer Luft. 

Wurzelfüllung: Nach Wiederholung der Wurzelkanalbehandlung in der zweiten Sit¬ 
zung in den mit Trikresolformalin angefeuchteten Kanal Einpumpen von Triopaste und 
Einführen eines Guttaperchapoints. 


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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


437 


Histologischer Befund 

In dem Präparat ist das Foramen apicale des Hauptkanals zu sehen mit erweiterter 
Mündungsstelle im lamellösen Zement, der an der Stelle A völlig resorbiert ist. Der Re¬ 
sorptionsprozeß scheint im Periodont zur Ruhe gekommen zu sein, und der Reparations- 



B 

A = Vom lamellösen Zement entblößter aktiver Zement. B = Sekundäres Zement neu abgelagert. 

C = Bindegewebe in erweiterten apikalen Verästelungen. D — Resorptionsprozeß 

prozeß ist in voller Tätigkeit mit Ablagerung von sekundärem Zement (D) und Ein¬ 
wachsen von Bindegewebe in die erweiterten apikalen Verästelungen <C>. Wo beim Ein.» 
wachsen das Bindegewebe auf nekrotisches Pulpagewebe stößt, ist der Resorptionsprozeß 
in voller Tätigkeit <£)>, dem der Reparationsprozeß unmittelbar folgt. 

PRÄPARAT E 

24jähriges Mädchen von gesunder, kräftiger Konstitution. Incisivus II sup. sinister [2. 

Vergrößerung: 37,5fach, 20 mm Zeiß-Planar. 

Schnittdicke: 12 ju. 

Färbung: Hämatoxylin-<Delafield-)Eosin. 

Wurzelbehandlung: 27. Januar 1920. 

Nach Druckanästhesie Pulpaexstirpation, Chlorphenoleinlage. In der zweiten Sitzung 
Wurzelfüllung mit Triopaste und Guttaperchapoint. 

Röntgenaufnahme: inkomplette Wurzelfüllung. 

Resektion: am 12. September 1922, also nach 2 Jahren 7 1 2 Monat. 

Histologischer Befund 

Der seitlich mündende Hauptkanal ist in seiner ganzen Länge getroffen. Das Füllungs¬ 
material reicht nicht ganz bis zum Apex. Der Kanal zeigt noch eine leere Stelle, die 
durch sekundäres Dentin <A> eingeengt erscheint, und in der noch wandständige Pulpa- 
gewebsfetzen vorhanden sind. Der Resorptionsprozeß ist zur Ruhe gekommen, und der 
Reparationsprozeß hat den Abschluß des Wurzelkanals erreicht (B), wo das vom Perio¬ 
dont hereinreichende Bindegewebe noch immer Zement ablagert. 

Die Spuren, die der Resorptionsprozeß bis weit in das Dentin hinein zur Er¬ 
weiterung des Foramen apicale hinterlassen hat, sind deutlich sichtbar in den Resorp- 


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Wilhelm Stitzcl 


tionslakunen, die zum Teil schon durch zwei und drei Lagen sekundären Zementes aus¬ 
gefüllt sind <£>). 



D 


A = Sekundäres Dentin in der leeren Stelle des Hauptkanals. B = Abschluß des Wurzelkanals durch sckun» 
däres Zement. C = Bildungsstätte für sekundäres Zement in lebenden gut vaskularisiertem Bindegewebe. 
D = Resorptionslakuneo mit 3 Lagen sek. Zementes. E = Alveole. F = Periodont. G = Foramen apikak 
mit einer von den Wandungen isoliert liegenden Zementinsel 

PRÄPARAT W 

23 jähriger Mann von gesunder, sehr kräftiger Konstitution, Prämolar sup. dexter 4| 

Vergrößerung: 30fach, 20 mm Zeiß^Planar. 

Schnittdidce: 20 ft. 

Färbung: Hämatoxylin-<Delafield-)Eosin. 

Wurzelbehandlung: am 20. April 1922. 

Pulpaexstirpation nach Kobalteinlage (sieben Tage). Kanalreinigung mit Aqua regia — 
Na 9 0 2 . Waschen mit H 2 0,. Trocknen. In alkoholfeuchten Kanal Einpumpen von konz. 
alkohol. Thymollösung. 

Röntgenaufnahme: Apexkrümmung, Wurzelfüllung röntgenologisch nicht nachweisbar. 

Resektion: am 24. Oktober 1922, also nach sechs Monaten. 

Histologischer Befund 

Das Bild zeigt die palatinale Wurzelspitze. Wegen der starken apikalen Krümmung 
ist das Foramen apicale nicht auf diesem Schnitt getroffen. Andere Schnitte zeigen deut- 


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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


439 


lieh das eingewachsene Bindegewebe und sekundäre Zement. Auch hier ist der Resorp¬ 
tionsprozeß nur noch im Kanalinnern tätig, wo das eingewachsene Bindegewebe an das 
Testierende nekrotische Pulpagewebe stößt, sehr stark vaskularisiert ist, den nekrotischen 


F 

G 


A = Nekrotischer Pulpastumpf. B = Resorptionsprozeß in voller Tätigkeit. C = Blutgefäße des Bindege» 
webes. D = Eingewachsenes Bindegewebe des Periodonts. E = Eingewachsenes sekund. Zement. 

F = Alveolarknochen. G = Periodont 

Pulpastumpf und die Dentinwand zur Erweiterung des Kanallumens resorbiert und un¬ 
mittelbar sekundäres, inneres Zement ablagert. 

Derselbe Prozeß ist auch an der labialen Wurzelspitze sichtbar. 

PRÄPARAT F 

17 jähriges Mädchen von gesunder, kräftiger Konstitution, Incisivus I sup. sinister |J_. 
Vergrößerung: 37,5fach, 20 mm Zeiß-Planar. 

Schnittdicke: 13 fi. 

Färbung: Hämatoxylin-<DeIafield-)Eosin. 

Wurzelbehandlung: 11. April 1921. 

Nach Druckanästhesie Pulpaexstirpation. Chlorphenoleinlage. In der zweiten Sitzung 
Wurzelfullung mit Triopaste und Guttaperchapoint. 

Röntgenaufnahme: Komplette Wurzelfüllung, die bis in das etwas erweiterte For- 
amen reicht. 

Resektion: 20. September 1922. 

Histologischer Befund 

Man sieht den Guttaperchastift über das Foramen apikale herausragen, das stark er» 
weitert zu beiden Seiten desselben zahlreiche lakunäre Resorptionen aufweist. 



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Der Reiz des Guttaperchastiftes hat zu einer starken Infiltration des umgebenden"Ge¬ 
webes geführt. Man sieht in diesem Bilde deutlich die bindegewebige Membranbildung, 
die den Guttaperchaspitz von seiner Umgebung abzukapseln sucht. Dieser Reparations¬ 
prozeß wird wahrscheinlich im weiteren zur Granulombildung führen. 


A = Guttaperchastift. B — Lakunäre Resorptionen. C = Bindegewebige Membranbildung. 

D Alveolarknochen 


IV. ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNG 

An 47 Zähnen im Alter von 11 —60 Jahren wurde durch histologische 
Serienschnitte festgestellt, daß die Pulpaexstirpation nach den Methoden I, 
II und III: 

I. Mech. Pulpaexstirpation mit Nervextraktor, Ausspülen der Kanäle mit 
H l , 0 2 , Austrocknen mit Alkohol und heißer Luft,- 

II. Mech. Pulpaexstirpation mit Nervextraktor, Einpumpen von Aqua regia, 
Neutralisieren mit Na 2 0 2 , Auskratzen der Kanäle und Ausspülen mitH 2 0 2 , 
Austrocknen mit Alkohol und heißer Luft,- 

III. Mech. Pulpaexstirpation mit Aqua regia^Behandlung und Neutralisation 
wie Methode II, Auskratzen der Kanäle und Einpumpen von Antiformin, 
Neutralisieren und Ausspülen mit H 2 0 2 , Austrocknen mit Alkohol und 
heißer Luft,- 

in ca. 50 % einen undurchgängigen Kanal vorfindet. 

Die Undurchgängigkeit war verursacht durch 


Interstitielle und w'andständige Dentikel 
Ramifikationen und apikale Verästelungen 
Seiten-, Mark- und Qiierkanäle 


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Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 441 

Trotz subtilster mech. und chem. Reinigung blieben in den apikalen Ver¬ 
zweigungen, Seiten-, Mark- und Querkanälen meist gut erhaltene Pulpareste 
zurück, ebenso Wattefasern. 

Eine Arrosion der Wurzelspitze durch die anorganischen Säuren und 
Medikamente war in 20 % zu konstatieren, was die Gefahr des Austretens 
der ätzenden Media bei der Ausführung dieser Operation im Munde nahelegt. 

Die Pulpaexstirpation ist also immer eine mikroskopische Amputation. 

Um über die Frage des biologischen Verhaltens der periapikalen Gewebe 
gegenüber den eingeführten Wurzelfüllungsmaterialien Aufschluß zu erhalten, 
wurden experimentelle Untersuchungen angestellt 

a> an Tierzähnen nach entsprechender vorangegangener Wurzelbehand¬ 
lung, 

b> an resezierten Wurzelspitzen mit entsprechenden gleichen Wurzelbe¬ 
handlungen. 

Die Resultate dieser Untersuchungen zeigen, daß bei der Pulpaexstirpation 
und nachfolgender Wurzelbehandlung und Wurzelfüllung das periapikale 
Gewebe sowohl bei Devitalisation der Pulpa durch Kobalt, als auch bei 
Anwendung der Druckanästhesie oder allgemeinen Narkose ein ähnliches 
Verhalten aufweist, wie dies schon für die Pulpaamputation bekannt ist. 

Die Wurzelfüllungsmaterialien üben auf das umgebende periapikale Ge¬ 
webe einen mehr oder weniger starken Reiz aus, der die Bindegewebszellen 
des Periodonts zu neuer Tätigkeit anregt. Dieses Bindegewebe wuchert in 
die Foramina apicalia ein und führt sowohl zur Resorption des devitalisierten 
Pulpagewebes, das im apikalen Bezirk zurüdcgelassen wurde, als auch des 
Dentins im Wurzelkanal. An Stelle der resorbierten Gewebe wird neues 
inneres Zement angelagert, sofern eine Infektion des Wurzelkanals vermieden 
wurde, und es kann dabei zum völligen Abschluß der Foramina apicalia 
kommen. 

Bei Infektion des Wurzelkanals und chemischen oder traumatischen Reizen 
durch die eingeführten Wurzelfüllungsmaterialien kann es zur Resorption der 
Wurzelspitze durch das umgebende Bindegewebe kommen, und der End¬ 
ausgang dieses Prozesses kann ein Granulom sein. Die innere Zementbildung 
bleibt in diesen Fällen aus. 

Die Biologie der periapikalen Gewebe, insbesondere die Biologie des 
Zementes sollte bei den Wurzelbehandlungsmethoden in Zukunft durch 
weitere Untersuchungen an einem größeren Material noch näher festgelegt 
werden. 

Am Schlüsse dieser Arbeit sei es mir gestattet, meinem verehrten Lehrer 
und Chef, Herrn Prof. Dr. W. Heß, für die Überlassung des Themas und 
für die freundliche Unterstützung bei der Arbeit meinen herzlichsten Dank 
auszusprechen. 

Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. A. Gysi für die bereitwilligste Her¬ 
stellung der Mikrophotographien. 

Für die freundliche Überlassung des Experimentierhundes und eines Ver¬ 
gleichshundes bin ich Herrn Prof. Dr. W. Frei zu herzlichem Dank verpflichtet. 


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442 


Wilhelm Stitzef 


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55. Müller, O.: Histol. u. bakt. Befunde nach Pulpaamputation. Schw. V. f. Z. 1920, H. 1 

56. Müller, O.: Beitrag zur Histolog. der amp. Pulpa. Schw. V. f. Z. 1920, H. 4. 

57. Obregia: Serienschnitte mit Photoxylin oder Zelloidin. Neurol. Zbl. 1890. 

58. Parfit: Lehrbuch der konservierenden Zahnheilkunde. London 1921. 

59. Partsch, C.: Über Wurzelresektion. D. M. f. Z. 1899, S. 348. 

60. Partsch, C.: Handbuch der Zahnheilkunde. Band 1, 1917, Wiesbaden (Bergmann). 

61. Preis werk, G.: Korrosionsanatomie der Zähne. J. Scheffs Handb. d. Z. 1902, Bd. 1, 

Seite 225. 


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444 Wilhelm Stitzel: Untersuchungen zur Frage der Totalexstirpation der Pulpa 


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62. Preiswerk, G. : Die Behandlung septischer Wurzelkanäle. D. M. f. Z., Nov. 1908. 

63. Rebel: Ober die Ausheilung der freigelegten Pulpa. D. Z., H. 55, 1922. 

64. Rhein: Scientific Treatment of root canals. Dental Cosmos 1911, N. 9, S. 299. 

65. Romeis, B.: Taschenbuch der mikroskop. Technik. 1922. München <Oldenbourg>. 

66. Römer: Atlas der pathol.-anatom. Veränderungen der Zahnpulpa. Freiburg 1909. 

67. Römer: a> Die histol. Befunde an Pulpa u. Period. bet Zahnarzt!. Operationen nach 

Arsen-Appl., die in der zahnärztl. Univ.-Polikl. zu Straßburg von Priv.- 
Doz. Dr. Kieffer an einem Affen Macacus in Narkose ausgeführt wurde, 
b) Mit spezieller Berücksichtigung der wirklichen und scheinbaren Erfolge, 
z. B. abgebrochene Nervnadel im Foramen apicale, Verätzungen des 
Periodontiums bei Wurzelbehandlung, Durchpressen von Wurzelfüllungs¬ 
pasten durch das Foramen apicale, Perforation des Bodens der Pulpa¬ 
kammer usw. D. M. f. Z. 1913, H. 7. 

68. Sachs: Das Füllen der Zähne. Wien 1891. 

69. Schmorl: Die pathologisch-histologischen Untersuchungsmethoden. 12. u. 13. Aufl. 

1922. Leipzig <Vogel>. 

70. Schreier: Ein neues auf mechanischer Zersetzung beruhendes Verfahren, den jauchigen 

Inhalt der Wurzelkanäle unschädlich zu machen, österr.-ungar. V. f. Z. 1892, S. 138. 

71. Schreier: Einige Bemerkungen zur Wurzelbehandlung mit Kaliumnatrium, österr.- 

ungar. V. f. Z. 1896, S. 209. 

72. Schub, O.: Die chirurgische Behandlung der Wurzelgranulome in der zahnärztlichen 

Praxis, zugleich ein Beitrag zur Frage der Wurzelfüllungen bei Resektionen. D. Z. Z. 
August 1922. 

73. Schuster: Pulpa- und Wurzelbehandlung. Ergehn, d. ges. Zahnheilk., H. 4, 1912. 

74. Sh m am ine: Das sekundäre Zement. D. Z. i. V., H. 13, 1910. 

75. Hopewell-Smith: Ober den Zusammenhang entzündlicher Prozesse der Zahnpulpa 

mit Ersatzdentin. Od.-Bl. 1902, S. 375. 

76. Spalteholz, W.: Ober das Durchsichtigmachen von menschlichen und tierischen Prä¬ 

paraten. Leipzig 1911. 

77. Szabo: Experimental Investigations into the Methods of root canals filling. Dental 

Cosmos 1909, S. 1458. 

78. Tal bot, E. S.: Histo-pathology of the apical dental tissue. Abnormal collateral arte- 

rial developement in the roors of teeth. Dental Cosmos September 1919, H. 9. 

79. Walkhoff: Die konservative Behandlung der Pulpa. D. M. f. Z. 1886, S. 365. 

80. Walkhoff: Chlorphenol. Od.-Bl. 1903 1904, S. 41. 

81. Walkhoff: Lehrbuch der konservierenden Zahnheilkunde 1922. <Meusser>. 

82. Wedl: Pathologie der Zähne. 2. Aufl., Leipzig 1903. (Felix). 

83. Williger: Über die Einwirkung pathologischer Reize auf die Odontoblasten mensch¬ 

licher Zähne nebst einigen Bemerkungen über die sogenannte Weil sehe Schicht. D. 
M. f. Z. 1907, H. 1. 

84. Witzei: Die praktische Behandlung exponierter und kauterisierter Pulpen. D. V. 

f. Z. 1874. 

85. Witzei: Die antiseptische Behandlung der Pulpakrankheiten des Zahnes. Berlin 1879. 

86. Witzei: Gebrauch des Jodoforms in der zahnärztlichen Praxis. D. V. f. Z. 1882. 

87. Witzei: Sublimat zur antiseptischen Behandlung der Pulpakrankheiten. Korr.-Bl. 

f. Z. 1885, S. 22. 

88. Zilkens: Diskussion. D. M. f. Z. Juli 1913. 

89. Zürcher, E.: Zur Anatomie der Wurzelkanäle des menschlichen Milchgebisses und 

der Sechsjahrmolaren. Diss. Schw. M. f. Z. 1922, Nr. 9. 



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AUS DER MARBURGER MEDIZINISCHEN UNIVERSITÄTS-POLIKLINIK 


NERVENLEIDEN UND ZAHNKRANKHEITEN 1 

VON 

PROF. EDUARD MÜLLER 

ERSTER TEIL 

D er Rahmen eines solchen Fortbildungsvortrages erlaubt es mir nur, aus 
der überraschenden Fülle wichtiger Tatsachen und anregender Fragen, 
die sich bei der Gedankeneinstellung auf die Wechselbeziehungen zwischen 
Nerven* und Zahnkrankheiten ergeben, praktisch Wichtigeres herauszu* 
schälen und vom Standpunkt des internen Mediziners und Neurologen zu 
beleuchten. Diese Beschränkung verlangt es auch, daß ich die vorwiegend 
psychiatrische Seite hier vernachlässige und die innersekretorischen Störungen, 
vor allem die hypophysären Erkrankungen <wie die Akromegalie), nur kurz 
streife. Trotz dieser engeren Umgrenzung meines Themas, auch trotz des 
bewußten Verzichtes auf fremde Kasuistik, allzu Seltenes und Nebensäch* 
liches, liegt es mir am Herzen, auch Gebiete zu betonen, auf denen die Neu* 
rologie der klärenden wissenschaftlichen Weiterarbeit des Zahnarztes dringend 
bedarf 2 . 

Offensichtlich sind die Beziehungen zwischen Neurologie und Odonto* 
logie dreifacher Art: Die nervöse Störung kann die Ursache, dann die 
Folge der Zahnerkrankung sein/ schließlich können Zahn* und Nerven* 
leiden auf dem gemeinsamen Boden einer gleichen Schädlichkeit 
erwachsen oder auch mehr zufällig zeitlich Zusammentreffen und 
sich schließlich dann wechselseitig und mannigfach beeinflussen. 
Einige Ihnen geläufige Beispiele mögen dies erläutern. Die gegenseitige 
Abhängigkeit von nervöser Störung und Zahnerkrankung zeigen die neu* 
rogenen tabischen Kieferstörungen einerseits und die von Zahnstörungen 
kommenden Neuralgien andererseits. Zu einem mehr koordinierten Verhältnis 
hingegen führt mitunter die Lues. Ich erinnere nur an die Fälle von Heredo* 

1 Vortrag, gehalten am 14. Okt. 1922 im Marburger zahnärztlichen Fortbildungskurs,- 
der zweite Abschnitt im nächsten Fortbildungskurs. 

* Hier sei auf die bedeutsamen, zusammenfassenden Arbeiten von H. Krön — auch 
als Literaturquellen — nachdrücklich hingewiesen. 


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446 


Eduard Müller 


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Syphilis des Nervensystems mit dem Zahnsymptom der Hutchinsonschen 
Trias. 

Unter den organisch*nervösen Störungen, die zu Zahn* und Mund* 
krankheiten Anlaß geben, steht die „Metalues'', vor allem ihre tabische 
Form an erster Stelle. Sie wissen, daß wir heutzutage — schon infolge der 
Spirochätenbefunde im Paralytikergehirn, mitunter auch im tabischen Rücken* 
mark — die Rückenmarksschwindsucht unter scharfer Betonung desSatzes„nu!la 
tabes sine lue" nicht mehr als einfache toxische Nachkrankheit der Syphilis auf* 
fassen dürfen. Hierin liegt die Mahnung, daß wir in künftigen Fällen tabisdier 
und paralytischer Kiefer* und Alveolenerkrankungen, die meist leichter als 

andere Osteopathien 
derUntersuchungzu* 
gänglich sind, auch 
auf die unmittelbare 
Mitwirkung des Er* 
regers im mikrosko* 
pischen Präparate — 
trotz der vorwiegend 
nervösen Pathogene* 
se dieser Knochenstö* 
rung - achten müssen. 
Damit habe ich das für 
den Zahnarzt wich* 
tigste tabische Sym* 
ptom — die Kiefer* 
Osteopathie — 
vorweggenommen, 
ausnahmsweise stellt 
sie sogar die alarmie* 
rende klinische Früh* 
erscheinung dar l : 

In allen Tabesstadien (namentlich aber in den späteren) spon* 
tane schmerzlose und meist unblutige Lösung auch scheinbar ge* 
sunder Zähne aus dem stark atrophierenden Alveolenfortsatz 
heraus, auch bei sonst normalem Zahnfleisch. Vor etwaigen FehU 
deut ungen mitdiabetischem, mitunter gleichfalls schmerzlosem Z a h n a u s* 
f a 11 sichern einige orientierende Fragen über die klassischen Zeichen der Zudcer* 
harnruhr, insbesondere nach vermehrtem Durstgefühl, nach gesteigertem Appe¬ 
tit trotz zunehmender Schwäche und trotz Abmagerung, nach Furunkulose und 
Hautjucken, nicht zuletzt gleichzeitig begleitende Alveolarpyorrhoen und die 
ausschlaggebenden Traubenzuckerbefunde im Urin. In den von vornherein 
tabesverdächtigen Fällen soll der Zahnarzt nach Sensibilitätstö* 
rungen fahnden, die sich mit dem Zahnausfall eng verknüpfen. Aus der 

1 Hier Demonstration eines Tabeskranken mit schwerer Atrophie des linken Kniegelenks 
und Osteopathie des Unterkiefers Vgl. Fig. 3. 



Gck igle 


— Original Tram. - — -r 

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Nervenleiden und Zahnkrankheiten 


447 


Vorgeschichte hören wir dann von voraneilenden sensiblen Reizer- 
scheinungen im Trigeminusgebiet als Ausdruck einer tabischen 
Wurzelneuritis desQuintus, also von neurogenen, aber nicht dentalen 
Kiefer- und Zahnschmerzen. In der Periode des schmerzlosen Zahnausfalls 
müssen Sie auf den begleitenden örtlichen Empfindungsausfall achten, aber 
nicht allein auf die Störungen der Oberflächen-, insbesondere Schmerzemp¬ 
findung an Haut und 
Schleimhaut, auch auf 
die für die Entwick¬ 
lung solcher Osteo¬ 
pathien viel wichtige¬ 
re Tiefenanästhesie, 
gerade im Bereich der 
Kiefer- und Alveo¬ 
larerkrankung. Hier 
dürfen Sie sich nicht 
mit der Feststellung 
anästhetischer Zo¬ 
nen an Gesicht und 
Mundschleimhaut, z. 

B. durch Nadelstiche, 
durch Kneifen der 
Schleimhaut u. dgl. 
begnügen,* Sie müs¬ 
sen auf den durch 
spätere tabische De¬ 
generation der spina¬ 
len Trigeminusbahn 
bedingten Empfin¬ 
dungsausfall der 
tieferenTeile, na¬ 
mentlich des Pe¬ 
riostes, z. B. bei 
stärkerem Finger¬ 
druck bei festerem Rg* 2. Schwere tabische Osteoarthopathie des linken Kniegelenks,- 

. ' ~ . rechts = Genu recurvatum <Eigenbeobalitung> 

örtlichen Perkutieren 

des Unterkiefers achten l . In der einwandsfreien Feststellung grober Störungen 
der Oberflächen- und Tiefenempfindung im 1 rigeminusgebiet liegt bei tabes- 

1 Gleichzeitig auch auf etwaigen Verlust des sog. Masseterenreflexes. — Bei diesem 
„Masseterenreflex" handelt es sich um reflektorischen Mundschluß beim Beklopfen des 
Unterkiefers <nahe beim Masseterenansalz) oder bei Perkussionshammerschlag auf den 
palpierenden Daumen, der unter gleichzeitigem leichten Festhalten des Kinns mit den übrigen 
Fingern der untersuchenden Hand auf den Unterkiefer des Patienten gelegt wird <Fig. 3>. 
Zwischen Schwere der Osteopathie und Grad der nachweisbaren Oberflächen- und Tiefen¬ 
empfindungsstörung mitunter kein Parallelismus. 



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Original frorfi 

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448 Eduard Müller 

verdächtigen Fällen schon ein örtlicher Beweis für die nervöse Pathogenese 
des Zahnlcidens. Er wird — abgesehen von der auffälligen Schmerz* 
losigkeit von Dentin und Pulpa — mitunter zwingend durch ein be* 
gleitendes tabischcs Mundschlcimhautgeschwür, ein dem altbekannten 
„Mal perforant" des Fußes entsprechendes torpides, schmerzloses, wenig 
oder gar nicht blutendes Ulcus in einer meist schon zahnfreien Alveolenhöhe, 
vielleicht schon mit Fistelbildung und mit rauhem, d. h. periostfreiem, 
mitunter abnorm beweglichem Knochen in der Tiefe. 

Bei solchen tabischen Zahnleiden sind Röntgenbilder fast unerläßlich 
Sie orientieren dann über etwaige Sequesterbildungen, über Spontan* 

frakturen am Kiefer, über den 
ausgebreiteten Schwund der 
Alveolen fortsäze und über die 
allgemeinere K ieferatrophie, 
die der senilen vergleichbar ist, aber 
sich stürmischer entwickelt und hoch-- 
gradiger wird 1 . 

Auch der Zahnarzt kann durch 
einfache diagnostische Mittel etwa* 
igen Tabesverdacht, über den Rah* 
men seines örtlichen Befundes hinaus, 
sicherstellen. Er fragt nach etw r aigen 
Blitzschmerzen, auch trügerischem 
„Rheumatismus" und „Ischias" in 
den Beinen, nach Blasenstörungen 
und Magenkrisen, er achtet auf Un* 
Sicherheit seines Patienten beim 
Gehen und Stehen, auf auffälliges 
Schwanken beim Stehen mit ge* 
schlossenen Füßen (aber nach Aus* 
Schluß der Augenkontrolle)/ er wirft den oft entscheidenden Blick auf die 
meist engen, auch entrundeten und verschieden weiten, bei Wechsel zwischen 
Beschattung und Belichtung starren Pupillen. Es ist für ihn auch nicht allzu 
schwierig, beim Beklopfen der Kniesehnen sich vom begleitenden Verlust 
der Pateliarreflexe selbst zu überzeugen. 

Wenn auch die vorwiegend neurogene Pathogenese dieser Kiefer* 
Osteopathien sich deckt mit derjenigen solcher „trophischen Störungen" 
an anderen Korperstellcn, vor allem am Beinskelett, so werden hier 
doch örtliche Besonderheiten zu wichtigen Hilfsursachen des ta* 
bischen Zahnleidens. Zunächst einmal die Traumen, die schon in den 
normalen Kieferbewegungen liegen und den meist anästhetischen und in 

1 Bei ihrer Form nach erhaltenen und kariesfreien losen Zähnen der Tabes sind weitere 
Untersuchungen über das histologische Verhalten der Zahnnerven, auch über etwaige 
Änderungen des spezifischen Gcwid tes und des Verhältnisses zw ischen organischer und 
anorganischer Substanz dringend wünschenswert. 



Fig. 3. Auslösung des Masseterenreflexes 


Gck ,gle 


Original froni ^ 

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Nervenleiden und Zahnkrankheiten 


449 


seinem physiologischen Gewebsschutz geschädigten Alveolarfortsatz ständig 
treffen, dann aber die gesteigerte Mitwirkung von Sekundärinfek^ 
tionen, die schon durch das zunehmende räumliche Mißverhältnis zwischen 
primärem und neurogenem Alveolarschwund, aber gleichzeitig erhaltener 
äußerer Form der Zähne erleichtert sind. Von zahnärztlichem Interesse ist 
auch die merkwürdige tabische Knochenbrüchigkeit, die sich zwar am 


Unteres Drittel der Zentralrundung <motorisch> 
A 


|-Körperfühlssphäre 

|-Sensibles Neuron III 



Pyramidenbahn-—- 

<zcntrales moror. Neuron) 


Sensibler Kndkern -^— 


Ramus II 


Ramus III 

Dicke sensible 
Wurzel <sensibl. 
Ganglion Neuron III> 
semilunare <Gasseri> 


.Motor. Kern in der 
Brückenhaube 


Dünne moror. Trigcminusvt urzet 
<pcripher motor. Neuron) 


^ \bsieigende sensible Trigeminus^ 
wurzel 


_Graue Substanz des Rückenmarks 


Fig. 4. Schematische Darstellung des Ursprungs und Verlaufs des N. trigeminus {modifiziert nach ViNiger) 


häufigsten durch Neigung zu wenig oder gar nicht schmerzhaften Ober¬ 
schenkelfrakturen (selbst ohne eigentliches Trauma) äußert, sich mitunter aber 
auch am tabischen Unterkiefer, z. B. bei Schlag und Stoß, bei heftigem Kau¬ 
muskelzug, bei zahnärztlichen Eingriffen zeigt. Die Hauptursache dieser 
Knochenbrüchigkeit liegt wohl weniger in einer Entkalkung des Knochens — 
(diese macht den Knochen eher biegsamer) — als in dem Schwund seiner or¬ 
ganischen Substanz. Der brüchige tabische Knochen verhält sich $cwisser- 

Vlertcljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 4 29 


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450 


Eduard Müller 


maßen wie ein geglühter. Doch ist vieles hier noch strittig, was zahnärzt¬ 
liche Forschung bei Kieferosteopathien, z. B. durch spezifische Gewichts- 
bestimmungen, mikroskopische Untersuchungen von Sequestern, auch durch 
Pulpauntersuchungen sonst scheinbar gesunder, loser Zähne bei der Tabes 
weiter klären und dadurch prinzipiellen Fragen der Neurologie nutzbar 
machen könnte. 

Zum Verständnis der Quintusbeteiligung am tabischen Krank¬ 
heitsprozeß sind einige anatomische Bemerkungen über die Tri¬ 
geminusbahn unerläßlich. Im zahnärztlichen Staatsexamen wenigstens 
enden die Kenntnisse des Kandidaten hirnabwärts gewöhnlich meist mit der 
dünnen motorischen und der dicken sensiblen Trigeminuswurzel. Wir unter¬ 
scheiden — schematisch dargestellt und kurz gesagt — bei diesem ge¬ 
mischten Nerven im motorischen Anteil 2 und im sensiblen 3 

„Neurone", d. h. anato¬ 
misch und funktionell zu¬ 
sammengehörige Gang¬ 
lienzellenkomplexe und 
davon ausgehende Neu¬ 
ritenkabel. Im motorischen 
Abschnitt also ein zen¬ 
trales und ein peripheri¬ 
sches Neuron,- das zen¬ 
trale hat sein Ursprungs¬ 
gebiet in der Hirnrinde, 
und zwar im unteren 
Drittel der Zentralwin¬ 
dung. Die dort ent¬ 
springenden Trigeminus¬ 
fasern bilden eine Leitung, 
die mit der Pyramidenbahn — gewissermaßen der Willensbahn — nach abwärts 
zieht, sich distal kreuzt und sich aufsplittert im motorischen Trigeminuskem, 
der in der Brückenhaube gelegen ist. In diesem motorischen Trigeminuskem 
liegen die Ganglienzellen des.peripherischen motorischen Neurons. Ihre Neu¬ 
riten bilden einen Faserkomplex, der aus der Brücke heraustritt und die 
Ihnen geläufige dünne motorische Trigeminuswurzel bildet. Nun zu den drei 
übereinandergeschalreten sensiblen Neuronen: Die Ganglienzellenhaufen des 
ersten liegen im Ganglion semilunare oder Gasseri. Diese Zellen haben 
unipolare Nervenfortsätze, also Neuriten, die sich in zwei Äste teilen. Der 
eine zieht gesichtswärts und bildet den sensiblen Teil des gemischten peri¬ 
pherischen Nerven,- der andere zieht hirnwärts, die dicke sensible Trigeminus¬ 
wurzel bildend, in die Brücke hinein. Dort streben sie in die Gegend des 
sensiblen Endkernes, der dem motorischen — in der Brückenhaube gelegenen 
benachbart ist. Hier teilen sich die aus dem Ganglion semilunare kommen¬ 
den Neuriten in die aufsteigende Gruppe, die an Ganglienzellenkomplexe 
des oberen sensiblen Endkernes Anschluß sucht, und in bogenförmig weit 



Fig. 5. Große Herde im verlängerten Mark bei multipler Sklerose 
des Gehirns und Rückenmarks <Olivengegend, Markscheiden tärbung) 


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Nervenleiden und Zahnkrankheiten 


451 


abwärtsziehende Fasern, die durch Brücke und verlängertes Mark bis zum 
zweiten Halssegment streben. Diese absteigende spinale Trigeminus^ 
wurzel hat innige Beziehungen zur Ganglienzellengruppe in der engbenach- 
barten Substantia gelatinosa. Dieses Kerngebiet im Bereich der absteigenden 
spinalen Trigeminuswurzel bildet gewissermaßen eine kaudalwärts — spinal- 
wärts — gerichtete Verlängerung des sensiblen Endkerns in der Brücken- 
haube. Die in dem gesamten langgestreckten sensiblen Kerngebiet des Tri- 
geminus liegenden Ganglienzellen bilden den Ursprung des zweiten sen¬ 
siblen Neurons,* ihre Neunten gelangen durch Vermittlung der Schleife 
in den Thalamus opticus, wo ein drittes sensibles Neuron beginnt und 
in der Körperfühlsphäre der Hirnrinde endigt. 

Das wesentlichste pathologisch-anatomische Merkmal des tabischen Pro¬ 
zesses ist nun eine Degeneration der gesamten Einstrahlungszone 
der Hinterwurzeln in das Rückenmark. Daran beteiligt sich mit¬ 
unter auch die Ein¬ 
strahlungszone der 
dicken sensiblen 
Quintuswurzel l . 

Es wird somit ver¬ 
ständlich, daß bei der 
Rückenmarksschwind¬ 
sucht zunächst sensible 
Reiz-, dann sensible 
Ausfallserscheinungen 
auf der pathologisch¬ 
anatomischen Grund- 6 ' Syringomyelie mit starker Hydromvelic (Eigenes Präparat) 

läge einer Degenera¬ 
tion der in die Brücke einstrahlenden Fasermassen der dicken sensiblen 
Wurzel, also einer sekundären Degeneration der absteigenden sensiblen Trige¬ 
minusbahn entstehen können. Die Hinterwurzelfasern des Rückenmarks sind 
ja sensible, nach dem Rückenmark ziehende Fortsätze der Spinalganglien¬ 
zellen. Das Analogon der Spinalganglien bildet das Ganglion Gasseri, und 
die dicke sensible Quintuswurzel entspricht demgemäß einer hinteren sensiblen 
Rückenmarkswurzel. 

Meine Herren! Nicht nur durch Degeneration nervöser Bahnen, auch 
durch den ärztlichen Behandlungsversuch gefährdet die Tabes 
Mundschleimhaut und Gebiß. Joddarreichungen können Schleim¬ 
hautschwellungen verursachen, in vielen Fällen von Alveolarpyorrhoe übrigens 
auch ein noch stärkeres Wackeln unfester Zähne. Schmierkuren setzen 
gern Stomatitiden — alles Fingerzeige dafür, daß man bei der Tabes zur 
Verhütung medikamentöser Schäden, gerade zur Vermeidung unliebsamer 
Unterbrechung dringlicher Quecksilberbehandlung, auch zur Vorbeugung von 

1 Vgl. meine Ausführungen über den Verlauf der absteigenden sensiblen Trigeminus¬ 
bahn in der Arbeit: Über ein eigenartiges, scheinbar typisches Symptomenbild bei apo^ 
plektiformer Bulbärlähmung. Deutsche Zeitschrift für Nervenheilk. Bd. XXXI. 

29* 



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452 


Eduard Müller 


Sekundärinfektionen bei drohenden oder bereits bestehenden Kieferosteo¬ 
pathien der Assanierung kranker Gebisse größere Aufmerksamkeit, als es 
meist geschieht, schenken muß. Wo es praktisch durchführbar ist, soll 
nicht nur die Voruntersuchung und Vorbehandlung, sondern 
auch die fortlaufende Mitkontrolle des Zahnarztes bei Queck- 
silberkuren angestrebt werden. Dies war meinen Tabes-Patienten schon 
öfters für die Erkennung und Frühbehandlung eben beginnender, nament¬ 
lich an schwer zugänglicher Stelle sitzender medikamentöser Stomatitis recht 
heilsam. 

Die multiple Sklerose des Gehirns und Rückenmarks beschäftigte 
auch den erfahrenen Zahnarzt nur höchst selten. Gelegentlich gibt es bei 
dieser inselförmigen Sklerose eine schon von Gerhard betonte, später von 
Oppenheim und auch von mir selbst eingehend beschriebene Verlaufs¬ 
form 1 des Leidens mit heftigen neuralgiformen Schmerzen im Krankheits¬ 
in Form trügerischer Trigeminus¬ 
neuralgien. Diegliösen, vornehmlich zur 
Faserentmarkung führenden Herde, die 
sonst mehr das eigentliche zentrale Ner¬ 
vensystem und den entwiddungsgeschicht- 
lich als Hirnteil anzusehenden Nervus 
opticus befallen, entwickeln sich mitunter 
auch in den Wurzeln der Hirn- und 
Rüdcenmarksnerven. Darin liegt wenig¬ 
stens eine der möglichen anatomischen 
Begründungen dieser begleitenden ,,Tri¬ 
geminusneuralgien". Eine Kardinaler¬ 
scheinung der multiplen Sklerose ist der sog. Intentionstremor, d. h. un¬ 
willkürliche, annähernd rhythmische Schwingungen, die im ruhenden Muskel 
fehlen und nur bei Willkürbewegungen auftreten. Dieses Zittern begleitet 
aber nicht nur Bewegungen, es tritt auch bei der einfachen statischen Fixation, 
d. h. beim willkürlichen Festhalten der Glieder in einer bestimmten Inner¬ 
vationsstellung, als sog. Ruhetremor auf. Befällt er Kopf, Gesicht und Kinn, 
so entsteht beim aufrechtstehenden oder sitzenden Kranken ein ständiger 
Tremor mitunter auch der Gesichts- und Kinnmuskulatur. Ein solches Zittern 
kann in ähnlicher Weise wie der Tremor der Schüttellähmung <Paralysis 
agitans) jede zahnärztliche Versorgung erschweren,* er schleift zudem bei langer 
Dauer die Zähne ab in einer schon früher von Bruns beschriebenen ty¬ 
pischen Weise. 

Die als Syringomyelie bezeichnete abnorme Höhlenbildung des Rücken¬ 
marks befällt als Syringobulbie mitunter auch Medulla oblongata, selbst 
Pons. Daß die meist einseitigen Spaltbildungen u. a. auch die Quintusbahn, 
namentlich ihre spinale Wurzel schädigen, ist begreiflich. Es entstehen dann 

1 Vgl. E. M.: Über einige weniger bekannte Verlaufsformen der multiplen Sklerose. 
Neurol. Zentralblatt, 1905, Nr. 13, sowie meine monographische Bearbeitung der mul¬ 
tiplen Sklerose, 1904. Gustav Fi scher, Jena. 


beginn, ausnahmsweise auch 



Fig. 7. Hinrerstrangdegencration hei forrge- 
sdiriricner Tabes <Eigcnes Präparat) 


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Nervenleiden und Zahnkrankheiten 


453 


u. a. einseitige atrophische Prozesse an Zunge und Gaumen, sowie — das 
ist für den Zahnarzt wichtiger — Parästhesien, Schmerzen und sen¬ 
sible Ausfallserscheinungen im 
Bereich desNervus trigeminus, 
meist mit Anästhesien auch an 
Mund Schleimhaut. So beobachtete 
ich einmal große schmerzlose Ge- 
schwüre der hinteren Rachenwand bei 
Syringobulbie — neurogene Ulcera, 
die vom Fernerstehenden leicht mit 
syphilitischen und lupösen verwechselt 
werden. Auch Sprachstörungen, Ano¬ 
malien der Geschmacksempfindung, 

Speichelfluß und Facialisparesen ge¬ 
hören dann zu den Begleitsymptomen, 
die dem Zahnarzt zugänglich sind. 

Sehr interessant sind die Volum- 
veränderungen der Kiefer, die 
wir bei der Akromegalie ge¬ 
nannten Form krankhaften Rie¬ 
senwuchses finden. Eine vornehm¬ 
lich vom Vorderlappen der Hypophyse 
ausgehende innersekretorische Stö¬ 
rung führt u. a. zu einer allmählichen 
Volumzunahme vornehmIid}“dtstal gelegener Knochen und Weichteile. Durch 
symmetrische Hypertrophie des Gesichtsschädels, namentlich aber durch das 
krankhafte Unterkieferwachstum kommt es 
zum Nußknackergesicht. Die Zähne, 
vor allem die unteren Schneidezähne, streben 
auseinander, und diese sonst unerklär¬ 
lichen Diastasen sind mitunter das 
klinische Frühsymptom, das auch den 
Zahnarzt auf die richtige diagnostische Fährte 
leiten kann. 

Viel seltener als diese doppelseitigen krank¬ 
haften Verbildungen des Gesichtsschädcls 
sind jene einseitigen Volumschwan¬ 
kungen des Gesichtes, die als Raritäten 
Vorkommen und Hemihypertrophia fa- 
ciei progressiva und Hemiatrophia fa- 
ciei progressiva bezeichnet werden. An 
der einseitigen Volumzunahme beteiligen sich 
zunächst Haut- und Unterhautzellgewebe einer Gesichtshälfte, später auch 
Muskeln und Knochen, namentlich aber Jochbogen und Oberkiefer. Bei dem 
neuritischen Gesichtsschwund, den ich Ihnen heute im Bilde zeigen 



Fig. 9. Akromegalie CNußknackergesidit, 
Riesenhände) Mediz. Klinik, Marburg 



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454 


Eduard Müller 


kann, kommt es zu einer merkwürdigen, aber unverkennbaren und für den. 
der es einmal gesehen hat, unvergeßlichen fortschreitenden Verkleinerung der 
ganzen Gesichtshälfte mit Beteiligung des Knochens, besonders des Ober- 
kiefers. Es handelt sich hier um ein Krankheitsbild, das mit der in ihren Grund¬ 
ursachen gleichfalls noch dunklen Sklerodermie vielleicht identisch ist. 

Daß auch epileptiforme Anfälle zum Grenzgebiet von Nerven- und 
Zahnkrankheiten werden können, möge Ihnen eine Eigenbeobachtung 
erläutern: Ein 44 Jahre alter Potator mit epileptiformen Anfällen stürzte am 
Bahnhof bewußtlos nieder. Als er wieder zu sich kam, konnte er kaum 
sprechen, auch nicht schlucken, so daß der hinzugezogene Arzt im ersten 
Augenblick mit der Möglichkeit einer akuten Bulbärlähmung rechnete. 
In der Klinik zeigte sich, daß Sprach- und Schluckstörung nicht neurogen 

und bulbär, sondern einfach mechanisch bedingt 
waren, und zwar durch eine doppelseitige 
Unterkieferluxation, die sich der Mann im 
epileptiformen Anfall — sei es durch direkte 
Gewalteinwirkung auf den Unterkiefer, sei es 
durch intensiven tonischen Muskelzug, sei es 
durch klonische Krämpfe der Kiefermuskulatur 
— zugezogen hatte. Sie sehen hier das charak¬ 
teristische Röntgenbild. 

Abgesehen von solchen Luxationen kommen 
dann, wenn der Epileptiker im Anfallsbeginn 
wie vom Blitz getroffen niederfällt oder — im 
Krampfstadium bereits liegend — mit Gesicht 
und Kinn auf harte Unterlagen schlägt, die 
verschiedenartigsten Verletzungen an 
Kiefer und Gebiß vor, auch durch unver¬ 
ständige Versuche, einen begleitenden Trismus 
zu forcieren. Zu den besonderen Unannehmlichkeiten gehört der epileptische 
Anfall beim zahnärztlichen Eingriff. Sehen Sie an der Zunge verdächtige Bi߬ 
narben, wissen oder hören Sie von früheren Anfällen, so empfiehlt sich in 
allen nicht gerade dringlichen Fällen meist die Rückverweisung 
an den Arzt zur medikamentösen verstärkten Vorbehandlung mit 
Luminal und Brom. Besonders heikel dünkt mir die Frage des Pro¬ 
thesenbaus bei Epileptikern mit ihrer traumatischen Gefährdung im Anfall 
und ihrer riesigen funktionellen Beanspruchung von Kiefer und Zunge durch das 
tonisch-klonische Krämpfen der einschlägigen Muskelgruppen. Die alte These, 
daß es ausnahmsweise auch einen „reflexepileptischen" Anfall von 
Zahnstörungen aus gibt, steht und fällt mit der allgemeinen Lehre, ob 
eine solche Reflexepilepsie überhaupt existiert. Gegen die bisher mitgeteilte 
zahnärztliche Kasuistik bin ich durchaus skeptisch. Jedenfalls muß eine solche 
dentale Reflexepilepsie mit einer Aura im erkrankten Gebiet extrem selten 
sein,* niemals habe ich sie selbst beobachtet. Natürlich darf man sich nicht 
durch zahnärztliche Scheinheilungen, die einfach durch spontane Remission 



Fig. 10. Hemiatr ophia facici progres¬ 
siva. <Mediz. Klinik, Marburg) 


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Nervenleiden und Zahnkrankheitcn 455 

der epileptischen Störung bedingt sein können, auch nicht durch hysterische 
Krämpfe täuschen lassen. 

Von den mannigfachen nervösen Störungen im Gefolge primärer Zahn¬ 
erkrankungen soll mich heute nur noch die Gesichts nervenlähmung be¬ 
schäftigen. 

Persönliche Erfahrungen vieler Zahnärzte und in der Literatur nieder¬ 
gelegte kasuistische Mitteilungen scheinen zu beweisen, daß solche Fazialis¬ 
lähmungen auch durch Zahnerkrankungen entstehen können — sei es durch 
unmittelbare Fortpflanzung toxisch-infektiöser Prozesse auf Fazialisäste, sei 
es mehr mechanisch durch Vermittlung sekundär infizierter und später den 
Fazialis komprimierender Lymphdrüsen. Namentlich der Weisheitszahn spielt 
hier eine große, mei¬ 
nes Ermessens jedoch 
weitiiberschätzteRolle. 

Ohne weiteres gebe ich 
die Möglichkeit einer 
solchen Pathogenese 
von Fazialislähmungen 
zu. Prüft man aber die 
bisherige Kasuistik mit 
der Sonde strengerer 
Kritik, so verliert sie 
fast ganz ihre Beweis¬ 
kraft. Dies gilt auch für 
die bekannten, von v. 

Frankl-Hochwarth 
mitgeteilten, übrigens 
schon von diesem 
Autor sehr vorsichtig 
ausgewerteten Fälle, 
die für einen Zusam¬ 
menhang zwischen Fazialislähmungen und Zahnkrankheiten sprechen sollen 
und zur Sammlung ähnlicher Beobachtungen angeregt haben. Jedenfalls steht 
fest, daß ich persönlich in dem recht großen Material von Fazialislähmungen, 
das ich im Laufe vieler Jahre mit einer gewissen Liebe sammeln konnte, nicht 
einen einzigen derartigen Fall von wissenschaftlicher Beweiskraft gesehen 
habe,- auch die gelegentlichen Fälle angeblichen „dentalen" Ursprungs, die 
mir von anderer Seite überwiesen wurden, haben sich als nicht stichhaltig 
gezeigt. Die .zweifellos sehr interessanten, von mir als möglich zugegebenen 
Ausnahmen von der Regel, daß die Gesichtsnervenlähmungen mit Zahn¬ 
erkrankungen in keinem engeren Zusammenhang stehen, werden in der 
Praxis leicht verallgemeinert,* so kommt es zu einer Überschätzung der Zahl 
der positiven Fälle, namentlich dann, wenn dem Untersucher andersartige 
Entstehungsmöglichkeiten der Fazialislähmung nicht geläufig sind. Das nahe¬ 
liegende, aber nach dem jetzigen Stand unserer wissenschaftlichen Kenntnisse 



Fig. 11. Doppelseitige traumatische Unterkieferluxation nach vorn im 
epileptiformen Anfall. <Medi:. Poliklinik, Marburg) 


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456 


Eduard Müller 


leider nicht zu befriedigende Bedürfnis des Patienten und des Arztes nach 
einer greifbaren Krankheitsursache nicht otogener Gesichtsnervenlähmung 
begründet naturgemäß ein eifriges Suchen nach allen irgendwie in Präge 
kommenden Schädlichkeiten und damit auch — namentlich unter dem Ein¬ 
druck einer weitverbreiteten Auffassung — nach ursächlich etwa bedeutsamen 
Zahnerkrankungen. Nach meiner Erfahrung führen dann auf falsche Fährte 
oft ,,Pseudozahnschmerzen" im Krankheitsbeginn der sog. rheumatischen 
Fazialislähmung. Diese scheinbar rheumatische Form bildet das Gros der aus 
den verschiedenartigsten Ursachen hier und da einmal entstehenden Paralysen 
des Gesichtsnerven. Bei eingehender Vorgeschichte finden Sie in frischen 
Fällen, wo das Gedächtnis noch nicht im Stich läßt, gerade bei „rheuma¬ 
tischen" oder auch sog. „Erkältungslähmungen" des Fazialisgebietes gern 
Vorläufer- und Begleiterscheinungen, die für einen infektiösen Prozeß sprechen 

oder oft auf Mitbeteiligung des Trigeminusgebiets 
hindeuten: ein schmerzhaftes Ziehen vor allem im 
Gesicht, Trigeminus- und Occipitalisdruckpunktc, 
kurzum sensible Reizerscheinungen, die mit Zahn¬ 
erkrankungen nichts zu tun haben, aber nach dem 
Gesetz der Projektion der Empfindung in die Peri¬ 
pherie distal verlegt werden und damit primäre Zahn¬ 
schmerzen Vortäuschen können. Aus der Tatsache, 
daß nach Behandlung des angeblich schuldigen Zah¬ 
nes die Fazialislähmung wieder verschwindet, dürfen 
Sic niemals mit einiger Sicherheit auf ursächliche 
Wechselbeziehungen schließen. Hier droht die be¬ 
rüchtigte Verwechselung des „propter hoc" mit dem 
„post hoc". Die sog. rheumatischen Fazialisläh¬ 
mungen bessern sich gewöhnlich durch Selbstheilung 
auch ohne örtliche Behandlung, ja trotz mancher ver¬ 
kehrten ärztlichen und zahnärztlichen Therapie. Zweifellos bedarf die bis¬ 
herige Kasuistik mit angeblichem, ausnahmsweise wohl auch tatsächlichem 
Zusammenhang zwischen Fazialislähmung und Zahnerkrankung dringend 
der Revision. 

Wenn Sie bei solchen Fazialislähmungen keine andere Schädlichkeit als 
eine dentale finden, vor allem auf der Seite der Lähmung, so beweist dies 
nicht, daß nicht uns noch ganz unbekannte Noxen mitspielen. Leider können 
wir in den meisten Fällen nukleoperipherischer Fazialislähmung, namentlich 
dann, wenn Ohrerkrankungen, Traumen, greifbare akute und chronische In¬ 
fektionskrankheiten, Lues und chemische Gifte auszuschließen sind, die ur¬ 
sächlich bedeutsame Schädlichkeit mit genügender Sicherheit überhaupt nicht 
feststellen. Damit komme ich auf die von mir neuerdings vertretenen Auf¬ 
fassungen über die „rheumatischen Fazialislähmungen" und Erkältungs¬ 
paralysen der Gesichtsnerven. Die „rheumatische" Form verdient ihre Be¬ 
zeichnung zweifellos nicht. Sie hat wenigstens mit dem Erreger des Rheu¬ 
matismus gar nichts zu tun. Bei sicher rheumatischen Erkrankungen, wie beim 



Fig. 12. Linksseitige nuclecv 

peripherische Fazialislähmung 
<Fazialisinnervation nur rechts 
möglich,- links auch Stirnast 

beteiligt) 


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Nervenleiden und Zahnkranklieiten 


457 


akuten Gelenkrheumatismus, gehören z. B. solche Fazialislähmungen zu den 
allergrößten Seltenheiten. Daß sie nicht „rheumatisch" sind, beweisen sie auch 
dadurch, daß sie im Gegensatz zu der altbekannten Neigung aller rheuma- 
rischen Infektionen nur ausnahmsweise Neigung zu Rezidiven haben. Diese 
mangelnde Neigung zur Wiederkehr widerspricht auch einer angeblichen 
Hilfsursache, die man in abnormen Engigkeiten des Fallopischen Kanals ge- 
sehen hat,- sie deutet im Gegenteil auf infektiöse Grundursachen hin, die 
eine gewisse Immunität hinterlassen. 

Warum nennt man solche Fazialislähmungen „rheumatisch"? Meist nur 
deshalb, weil man eine andere Ursache nicht weiß,- dann aber auch deshalb, 
weil wir geneigt sind, die oft übersehenen, aber außerordentlich wichtigen 
schmerzhaften Empfindungen im Krankheitsbeginn solcher Fazialislähmungen 
— sie sind bald der Ausdruck der Infektion, bald örtliche sensible Reiz- 
erscheinungen, auch neuritische Schmerzen — eben 
gern „rheumatisch" zu heißen. Gleiches gilt für 
die Erkältungsschädlichkeiten. Zweifellos sind sie 
gelegentlich bedeutsam,- das beweist jedoch noch 
lange nicht, daß das Kältetrauma die Grundur- 
sache der Fazialisparese ist. Warum sollten hier 
nicht ähnliche Wechselbeziehungen zwischen Er- 
kältung und toxisch-infektiöser Fazialislähmung 
bestehen, wie zwischen Erkältung und Infektions¬ 
krankheiten, wie Influenza, Pneumonie usw.? 

Meist läßt sich bei solchen Erkältungslähmungen 
sogar feststellen, daß es sich gar nicht um wirk¬ 
liche, sondern nur um angebliche Erkältung 
handelt. Nach dem Sprachgebrauch ist man „er¬ 
kältet", weil man Husten und Schnupfen hat, 
auch dann, wenn man von einem Kältetrauma 
gar nichts weiß oder höchstens sagt: „Ich werde mich wohl erkältet haben 1 ." 

Es ist hier nicht der Ort, auf diese noch strittigen höchst interessanten 
Fragen noch näher einzugehen. Nur noch der Hinweis, daß in vielen Fällen 
sog. rheumatischer Fazialislähmung weniger ein peripherisches Nervenleiden, 
als eine pontine Kern- und Wurzelläsion, daß also eine umschriebene Ence¬ 
phalitis und vielleicht auch Wurzelneuritis vorliegt. Eine gesicherte Tatsache 
wird in dieser Hinsicht Ihr Interesse finden. Es sind die engen Beziehungen 
mancher, m. E. sogar vieler Fälle scheinbar von „rheumatischer" Fazialis¬ 
lähmung zur epidemischen Kinderlähmung. Sie wissen, daß diese akute spe¬ 
zifische Infektionskrankheit jetzt wiederum Marburg und Umgebung schwer 
bedroht hat. Es sind wohl über 100 Fälle, die uns zu Gesicht kamen. Ab¬ 
gesehen von dem vorherrschend spinalen Typus des Leidens, d. h. abgesehen 
von der infektiösen Entstehung schlaffer Extremitäten- und Rumpflähmungen 


1 E. M.'. Epidemische Encephalitis unter dem Bilde rheumatischer Fazialislähmung. 
Deutsche med. Wochenschrift 1921. 



Fig. 13. Linksseitige Fazialisparese 
<nadi Lcvaditi'Stanesco, bulbäre 
Kinderlähmung bei experimenteller 
Affenpoliomyelitis) 


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458 


Eduard Müller: Nervenleiden und Zahnkrankheiten 


durch spinale Vorderhornläsionen, gibt es hier auch eine Bulbärform mit vor¬ 
herrschender, oder für unsere klinische Erkenntnis sogar ausschließlicher Be¬ 
teiligung von Brücke und verlängertem Mark. Durch epidemiologische, klinische, 
tierexperimentelle, serologische, auch pathologisch-anatomische Beweise ist 
eine solche Bulbärform mit vorherrschender oder ausschließlicher Fazialis- 
paralyse sichergestellt. Auch während der letzten Epidemie habe ich wiederum 
solche Fälle von bulbärer Kinderlähmung unter dem Trugbild der „rheu¬ 
matischen Fazialislähmung" gesehen. Übrigens gibt es auch Beziehungen 
solcher Fazialislähmungen zu der vom Laien gern als Hirngrippe bezeidi- 
neten epidemischen Encephalitis. Wie dem auch sei: Die Lehre von der 
Fazialislähmung bedarf in ätiologischer Hinsicht dringend der Revision, und 
dazu bedürfen wir, meine Herren, Ihrer Mitarbeit, vor allem auch der Über¬ 
weisung etwa in Ihre Beobachtung gelangender Fälle von Fazialislähmung 
zur erschöpfenden Analyse. Wir müssen uns allmählich daran gewöhnen, 
solche Fazialislähmungen nicht nur vom Gesichtswinkel dieses oder jenes 
Spezialgebiets, sondern vom Standpunkt erschöpfender Allgemeinuntersuchung, 
auch vom Standpunkt etwaiger Infektionskrankheit aus zu betrachten 1 . 

1 Vgl. mein Referat über die Frühstadien der epidemischen Kinderlähmung auf dem 
I. Internationalen Kongreß für Kinderheilkunde, Paris 1912. Monatsschrift für Kinderheil¬ 
kunde Bd. XI, Nr. 7, sowie meine Arbeit: Die Kinderlähmung in Marburg und Um¬ 
gebung. Deutsche medir. Wochenschrift 1922, Nov./ Nr. 47, S. 1569. 


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DIE MITWIRKUNG DES ZAHNARZTES BEI DER 
RADIUMBESTRAHLUNG BÖSARTIGER TUMOREN 
IN DER MUNDHÖHLE UND DEREN UMGEBUNG 

VON 

PROF. DR. ERICH BECKER, BRESLAU 

D ie gemeinsame Arbeit mit anderen Kliniken auf den Grenzgebieten zwi¬ 
schen Medizin und Zahnheilkunde hat es mit sich gebracht, daß wir 
mit den Chirurgen, den Internisten und den Rhinologen zusammen einige 
Fälle von bösartigen Tumoren behandeln konnten, deren Schilderung mir 
der Veröffentlichung wert erscheint. 

Es handelte sich um ein Karzinom des Mundbodens, ein Karzinom der 
Wange, mehrere Tumoren der Tonsille und einen Hypophysentumor. Die 
Tumoren waren teilweise operiert und wurden nachträglich einer Strahlen¬ 
behandlung unterzogen, teilweise waren es inoperable Tumoren. Die eigent¬ 
liche Behandlung wurde in den entsprechenden Kliniken durchgeführt. Un¬ 
sere Aufgabe war es lediglich, geeignete Halter für die Radiumröhrchen her¬ 
zustellen. 

Die Arbeitsteilung war natürlich auch von Einfluß auf die Art der Kon¬ 
struktion der Prothesen. Dieselben wurden, abgesehen von den Forde¬ 
rungen, welche man grundsätzlich an solche Prothesen stellen muß, und die 
später erörtert werden sollen, so gearbeitet, daß die Radiumröhrchen von 
demjenigen Arzte, welcher die Bestrahlung ausführte, jederzeit heraus¬ 
genommen und wieder eingesetzt werden konnten. Die Einzelheiten will 
ich weiter unten an der Hand der Krankengeschichten und der Bilder er¬ 
örtern. 

Es sind schon eine ganze Reihe von Veröffentlichungen erschienen, in 
denen besonders auch die Frage der Halteprothesen, welche eine mehrstündige 
Bestrahlungsdauer von Tumoren innerhalb der Mundhöhle ermöglichen sollen, 
berücksichtigt wird. In der zahnärztlichen Literatur ist wohl eine Arbeit von 
Sticker: „Fünfzehn Fälle von Mundhöhlenkrebs mit Radium günstig be¬ 
handelt" am meisten bekannt geworden. Im Gegensatz zu anderen Strahlen¬ 
therapeuten, auf deren Arbeiten ich später noch eingehen werde, ließ sich 
Sticker von zahnärztlicher Seite (Schröder, Ernst, Wiese) Haltepro¬ 
thesen anfertigen, welche es ermöglichten, ohne allzu große Belästigung des 


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460 


Hrich Becker 


Patienten die Bestrahlung stundenlang fortzusetzen. Aus den beigefügten 
Abbildungen 1 und 2, die nach einem Teile der Bilder der Stickerschen 
Originalarbeit gezeichnet wurden, ist wohl das Wesentliche der Prothesen zu 
ersehen. In allen diesen Fällen wurde der Halt für die Prothesen an noch 



y i 


vorhandenen Zähnen gefunden. Die Prothesen waren teilweise aus Kaut* 
schuk, teilweise aus Metall oder aus beiden Materialien kombiniert gearbeitet. 
Sie haben sicher ihren Zweck gut erfüllt. 

Andere Autoren haben sich bemüht, die Prothesen selbst herzustellen. Sie 
benutzten dazu Stents. Ich nenne hier Perthes, „Strahlenbehandlung bös* 
artiger Tumoren" und Schmiegelow, „Einige Beobachtungen hinsichtlich 
der Wirkung des Radiums auf inoperable maligne Neubildungen im Munde, 
Rachen und in der Nase." Auch Albanus empfiehlt im Handbuch der 

speziellen Chirurgie des 
Ohres und der oberen 
Luftwege die Verwen* 
düng von Stents. 

Gewiß hat dieses Ver* 
fahren den einen großen 
Vorzug, daß es den Be* 
handelnden vom Zahn* 
arzt unabhängig macht. 
Demgegenüber steht aber 
der Nachteil, daß die Pro* 
thesen ziemlich dick ge* 
halten werden müssen, um bei dem verhältnismäßig weichen Material die 
genügende Festigkeit zu bekommen. Auch können diese Stentsprothesen sich 
leicht verschieben, sobald der Patient den Unterkiefer bewegt, womit natürlich 
bei stundenlang dauernden Bestrahlungen immer gerechnet werden muß. 

Wieder andere suchen die Befestigung der Radiumröhrchen durch extra- 
orale Vorrichtungen zu erreichen. Von diesen führe ich die Arbeit von 
Freer: an „Hin Verfahren zur Dauereinlegung von Radium an bestimmte 



i ; -s 2 


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Mitwirkung des Zahnarztes bei der Radiumbestrahlung bösartiger Tumoren 461 


Stellen im Kehlkopf und Rachen, nebst Anweisung für den Gebrauch der 
Simpsonschen Radiumnadeln in der Rhinolaryngologie." Auch Rapp emp¬ 
fiehlt die Verwendung eines Stirnbandes zum gleichen Zweck. Die Art der 
Anwendung dürfte am besten aus der Fig. 3 zu ersehen sein, die ich Freers 
Arbeit entnommen habe. Die größere Zahl derjenigen jedoch, welche sich 
mit der Strahlentherapie befassen, hat bei der Radiumbestrahlung innerhalb 
des Mundes oder der oberen Luftwege die Mithilfe des Zahnarztes in An¬ 
spruch genommen. Dies war natürlich auch naheliegend. Gerade in den 
Zähnen findet man feststehende Stützpunkte, an denen sich geeignete Appa¬ 
rate unbeweglich anbringen lassen. Damit ist eine der Hauptbedingungen 
erfüllt, welche man für Radiumhalter fordern muß. Würden die Radium¬ 
röhrchen die Möglichkeit haben, sich während der Bestrahlung zu verschieben, 
so würden unangenehme Verbrennungen an gesunden Stellen entstehen 
können. Bei Bestrahlung von Tonsillentumoren könnten durch Bewegungen 
des Radiumkörpers störende Würgereflexe ausge¬ 
löst werden. Ferner müssen die Halteprothesen 
für Bestrahlung innerhalb der Mundhöhle so kon¬ 
struiert werden, daß sie möglichst wenig Platz in 
dem ohnehin schon engen Raume beanspruchen. 

Auch diese Forderung läßt sich bei Befestigung an 
den Zähnen leicht erfüllen. Natürlich müssen die 
Prothesen bei möglichst geringer Größe doch stabil 
genug gearbeitet werden, damit sie nicht etwa 
während der Bestrahlung zerbrechen und durch 
Herabgleiten der Radiumröhren in die Luftwege 
den Patienten in Lebensgefahr bringen. Die weite¬ 
ren Forderungen, daß sich Bleiplatten usw. in F| s- 3 

jeder gewünschten Richtung anbringen lassen, ist 

ebenfalls bei Prothesen, welche ihren Halt an den Zähnen suchen, meist leicht 
zu erfüllen. Daß die eigentlichen Radiumhalter sich leicht einsetzen und schnell 
wieder entfernen lassen, hoffe ich an den Abbildungen meiner eigenen Pro¬ 
thesen zeigen zu können. 

Als Material zur Herstellung der letztgenannten Prothesen kommen Kaut¬ 
schuk und Metall oder beides kombiniert, wie bei den von Sticker beschrie¬ 
benen Prothesen, in Frage. 

Kautschuk wurde viel bei den von Dr. M ü h I m a n n, dem Röntgenologen des 
Stettiner Krankenhauses, gebrauchten Prothesen verwandt. Ich möchte zunächst 
dessen Prothesen, die er uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, 
kurz schildern und einige kritische Bemerkungen daran anknüpfen. Diese Pro¬ 
thesen sind bereits einmal in der Greifswalder Dissertation von v. Tigerström 
veröffentlicht. Fig. 4 zeigt eine sehr stabile Kautschukprothese zur Bestrah¬ 
lung eines Tonsillentumors. Die Prothese sucht ihren Halt an den Zähnen 
des Unterkiefers. In die Tonsillengegend führt ein starker Kautschukfortsatz, 
auf dem zwei Ringe zum Tragen des Radiumröhrchens einvulkanisiert sind. 
Auf der dem Tumor gegenüberliegenden Seite ist eine stark ausgearbeitete 



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462 


Erich Becker 


hohe Aufbißvorrichtung angebracht. Wenn auch anzunehmen ist, daß die 
Prothese ihren Zweck erfüllt hat, so hat sie doch meines Erachtens einige 
Nachteile. Dadurch, daß sie ihren Stützpunkt an den Zähnen des Untere 
kiefers hat, muß das Radiumröhrchen bei Bewegungen des Unterkiefers 
sich jedesmal etwas verschieben. Wenn nun auch infolge der hohen Aufbiß* 
Vorrichtung Unterkieferbewegungen nur noch in geringem Grade möglich 
sind, so liegt darin wieder ein Nachteil, daß der Patient während der ganzen 
Dauer der Bestrahlung den Mund offen halten muß. Die Folge davon muß 
wieder eine starke Austrocknung der Mundhöhle sein, durch die der ohnehin 
schon quälende Zustand des Patienten noch weiter verschlechtert wird. Be* 
nutzt man die Oberkieferzähne zur Befestigung, so lassen sich die genannten 
Nachteile vermeiden. Auch eine Aufbißvorrichtung ist dann nicht mehr nötig, 
so daß die Gefahr der Austrocknung wegfällt. 

Fig. 5 zeigt eine Prothese Mühlmanns zur Bestrahlung eines Untere 
kiefertumors. Über mehrere Unterkieferzähne ist eine Schiene gestanzt, an 
der ein vierkantiges Röhrchen angebracht ist, in welches der eigentliche Ra* 
diumhalter hineingeschoben wurde. Auch auf diese Schiene ist eine Aufbiß* 
Vorrichtung aufgesetzt, deren Notwendigkeit mir nicht ganz klar geworden 
ist. Fig. 6 stellt eine Mühl mann sehe Prothese dar, welche die gleichzeitige 
Einlegung zweier Radiumröhrchen zur Bestrahlung eines ausgedehnten Unter* 
kiefertumors gestattet. Auch diese Prothese ist im Bereiche der Front wieder 
mit hoher Aufbißvorrichtung versehen, die allerdings auf dem Bilde nicht 
sehr deutlich sichtbar ist. 

Die Fig. 7 und 8 geben zwei Mühlmannsche Prothesen wieder, welche 
zur Bestrahlung von Tumoren im harten Gaumen gedient haben. Beide Pro* 
thesen sind kombiniert aus Metall und Kautschuk hergestellt. Beide Prothesen 
haben hohe Aufbißvorrichtungen. Abgesehen von diesen haben sie noch den 
Nachteil, daß sie bei jeder Unterkieferbewegung sich etwas verschieben. Beim 
Gebrauch der in Fig. 8 wiedergegebenen Prothese kam eine Verbrennung 
des Zungenrückens dadurch zustande, daß bei dem Gießen des an und für 
sich sehr starken Bleischutzes ein kleines Loch am Boden desselben ent* 
standen war. Derartige Verbrennungen pflegen für den Patienten sehr lästig 
zu sein, auch heilen sie sehr langsam ab. Mir selbst ist auch eine Verbrennung 
des Zungenrückens passiert bei Verwendung einer Prothese für einen Ton* 
sillentumor, wo ich den Bleischutz nicht sorgfältig genug gebogen hatte. Ich 
werde auf den Fall später noch einmal zurückkommen. 

Bei dem in Fig. 9 wiedergegebenen Falle war mir die Aufgabe gestellt, 
einen Radiumhalter herzustellen, der es ermöglichte, zur Bestrahlung eines 
weit vorgeschrittenen Mundboden*Karzinoms zwei Röhrchen gleichzeitig ein* 
zulegen. Die Bestrahlung wurde in der chirurgischen Klinik durchgeführt. 
Es stehen den Greifswalder Universitätskliniken zwei Radiumröhrchen mit 
je fünfzig Milligramm Radiumbromid zur Verfügung. Die eigentlichen Ra* 
diumröhrchen sind eingeschlossen in Silberröhrchen von 0,4 5 mm Wandstärke. 
Ich stellte nun die Prothese in der Weise her, daß ich um 715 je ein Angle* 
band legte. Beide Bänder wurden durch einen Bogen verbunden, der so zu* 


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Mitwirkung des Zahnarztes bei der Radiumbestrahlung bösartiger Tumoren 










464 


Eridi Becker 


recht gebogen wurde, daß er nicht mehr federte. An den Bogen wurden 
rechts zwei kleine, von einem unbrauchbar gewordenen Angleband abgenom¬ 
mene Röhrchen senkrecht und links unten ein Röhrchen direkt an das Angle¬ 
band parallel zum Bogen angelötet. In die angelöteten Röhrchen paßten zu¬ 
rechtgebogene Drähte hinein, an denen die eigentlichen Radiumtrager be¬ 
festigt waren. Diese Träger bestanden in Randolfringen. Über die in die 
Ringe eingefügten Radiumröhrchen wurden zurechtgebogene Bleiplatten mit 
Blumendraht festgebunden. Die Anglebänder und der Bogen wurden im 
zahnärztlichen Institut aufgesetzt. Der Patient wurde durch diesen Teil des 
Halteapparates gar nicht belästigt. In der chirurgischen Klinik wurden dann 
die fertig montierten Radiumröhrchen eingeschoben. Der Sicherheit halber 
waren die Radiumröhrchen noch an Kettchen befestigt, die zum Munde 
heraushingen. Diese Vorsicht erwies sich als unnötig. 

Der Patient hat die Bestrahlung etwa 20 Stunden hindurch ertragen. Er 
konnte sich sogar, während die Röhrchen lagen, noch leidlich verständlich 
machen. Das rechte Röhrchen lag in der Höhe der Kauflächen der Zähne. 
Das linke reichte etwa bis zum Zahnhals, da es möglichst tief in einer von 
einer früher ausgeführten Operation herrührenden Höhlung seine Wirksam¬ 
keit entfalten sollte. Eine Aufbißvorrichtung war an dem Apparat absichtlich 
nicht angebracht. Der Patient konnte die Zahnreihen während der Bestrah¬ 
lung aufeinanderbringen. 

Ein länger anhaltender Erfolg konnte bei diesem Patienten nicht mehr er¬ 
reicht werden. Der Tumor war bereits zu weit vorgeschritten. Auch machte 
sich schon ein starker allgemeiner Kräfteverfall bemerkbar. Geringeres Inter¬ 
esse kann der Fall beanspruchen, dessen Prothese in Fig. 10 dargestellt ist. 
Der Patient litt an einem ausgedehnten Karzinom der Wange, das durch 
sein infiltrierendes Wachstum bereits eine Kieferklemme 2. Grades hervor¬ 
gerufen hatte. Der Radiumhalter war an einer kleinen, aus unedlem Metall 
gestanzten Schiene befestigt, an die auch wieder zwei Röhrchen von Angle- 
bändem angelötet waren. Außer einer oberflächlichen Zerstörung des Tu¬ 
mors hatte die Bestrahlung keinen wesentlichen Erfolg. Der Patient stellte 
sich auch nach der ersten Bestrahlung nicht wieder vor. Er starb bereits etwa 
sechs Wochen danach an Metastasen. 

Wesentlich besser waren die Erfolge der Bestrahlung bei den jetzt zu 
schildernden Tonsillentumoren. Soweit die histologische Untersuchung durch¬ 
geführt w urde, handelte es sich in unseren Fällen um Sarkome. In dem 
durch Fig. 11 repräsentierten Fall mußten wir von unserem Bestreben, den 
Halt für die Prothesen an den Zähnen zu suchen, absehen. Die Patientin 
hatte nur noch wenige Zähne im Unterkiefer/ der Oberkiefer war vollkommen 
zahnlos. Ich zog es trotzdem vor, den Halt durch eine Kautschukplatte im 
Oberkiefer zu suchen, um eben Bewegungen des Radiumröhrchens beim 
Öffnen und Schließen des Mundes zu vermeiden. In die Kautschukplatte 
wurde ein Blech, auf das zwei Röhrchen aufgelötet waren, einvulkanisiert. In 
diese Röhrchen griffen zw ei Drähte hinein, welche die Radiumröhre trugen. Um 
Reibungen des Zungenrückens an dem Draht zu verhüten, wurde über den- 


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Mitwirkung des Zahnarztes bei der Radiumbestrahlung bösartiger Tumoren 465 


selben ein kleines Blechstück gelötet. Unterhalb desselben sieht man auf dem 
Bilde Nr. 11 die Randolfringe, in die das Radiumröhrdhen eingeschoben 
wurde. Der Bleischutz wurde über dem Radiumröhrchen festgebunden und 
dieser ganze Teil der Prothese dann mit einem kleinen Gummikondom wie 
üblich überzogen. Die Patientin hat mehrere Bestrahlungen von je etwa 
24stündiger Dauer mit dieser Prothese ausgehalten. Einmal, als der Blei* 
schütz nicht vorsichtig genug befestigt war, hat es, wie ich oben schon an* 
deutete, eine Verbrennung des Zungenrückens in geringer Ausdehnung ge* 
geben, welche die Patientin lange Zeit belästigt hat. 

Der Erfolg war insoforn sehr günstig, als die Patientin nach den Bestrah* 
lungen wieder ungestört essen und sprechen konnte. So weit war der Tumor 
zurückgegangen. Natürlich kann von einer Dauerheilung nicht die Rede sein. 
Die Patientin steht jetzt seit etwa einem Jahr in regelmäßiger Kontrolle. In 
den letzten Wochen macht sich wieder eine stärkere Schwellung der regio* 
nären Lymphdrüsen bemerkbar, die durch Röntgenbestrahlung von Zeit zu 
Zeit mit vorübergehendem Erfolg bekämpft wird. 

Die Figuren 12, 13 und 14 stellen Prothesen dar von solchen Tonsillen* 
tumoren, die sich mehr nach oben zu erstreckten. Der Halt konnte in allen 
drei Fällen an noch vorhandenen wenigen Zähnen mit Anglebändern ge* 
funden werden. Durch entsprechende Biegung der Drähte konnten die Ra* 
diumröhrchen dorthin gelegt werden, wo sie die größtmögliche Wirksamkeit 
entfalteten. Der Bleischutz wurde in der oben beschriebenen Weise befestigt. 
In zwei von den drei Fällen wurden beide Radiumröhrchen gleichzeitig neben* 
einander angewandt. Auch diese Kombination ertrugen die Patienten 
24 Stunden hintereinander. Sie wurden allerdings während der Dauer der 
Bestrahlung unter Morphium gehalten. 

In zwei Fällen wurde eine wesentliche Verkleinerung des Tumors und 
starke Milderung der subjektiven Beschwerden erreicht. Die dritte Patientin 
ist, nachdem die Bestrahlung etwa sechs Stunden gedauert hatte, im Coma 
nach vorhergegangenen Intoxikationserscheinungen gestorben. Die Todes* 
Ursache konnte auch durch die Sektion nicht restlos geklärt werden. Dafür, 
daß die Schuld etwa indirekt in zu intensiver Radiumwirkung gelegen hätte, 
fand sich gar kein Anhalt. Wahrscheinlich hatte die nicht sehr intelligente 
Patientin außer dem Morphium heimlich noch größere Mengen Adalin ge¬ 
nommen. Jedenfalls fand man im Nachttisch der Patientin später ein leeres 
Röhrchen von Adalintabletten. 

Besonderes Interesse dürfte der Fall, von dem die Figuren 15 und 16 
stammen, beanspruchen. Es handelte sich um ein 20 jähriges Mädchen, welches 
ein ziemlich tief herabreichendes Sarkom der rechten Tonsille hatte. Das¬ 
selbe war zum großen Teil operativ entfernt. In die Operationshöhle hinein 
wurden beide Radiumröhrchen gelegt. Zwei Anglebänder, die zusammen¬ 
gelötet waren, trugen eine kleine Blechplatte, die gegen den harten Gaumen 
heraufreichte. Auf denselben waren zwei kleine Röhrchen angelötet, in 
welche die das Radium haltenden Drähte eingehakt werden. Die Fig. 17 
zeigt die Patientin mit geöffnetem Mund nach Einführung der Radium* 

VIerteljahrssdirlft für Zahnheilkunde, Heft 4 30 


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466 


Erid) Becker 



röhrdien. Die Bestrahlung wurde jedesmal 24 Stunden lang durchgeführt,- 
die Röhrdien wurden nur zum Essen und Trinken ausgehakt. 

Der Erfolg war sehr gut/ die Operationshöhle sah nadi der Bestrahlung 
absolut sauber aus. Audi eine äußere Schwellung, die an der rechten Hais¬ 
seite nach der Operation noch bestand, ging prompt zurück. Jetzt, 1 / 1 Jahr 
nadi der letzten Bestrahlung, haben sich bisher keine Erscheinungen gezeigt, 
die für ein Rezidiv sprächen. 

Trotzdem die Prothesen durch die gleichzeitige Befestigung zweier Radium¬ 
röhrchen zum Teil recht voluminös geworden wären, konnten sie stets ein¬ 
geführt werden. Nötigenfalls ging dem ersten Einsetzen eine oberflächliche 
Anästhesierung der Schleimhaut voraus. Nur in einem gegenwärtig noch 
in Behandlung stehenden weit vorgeschrittenen Karzinom der linken Ton¬ 
sille sind wir infolge Raumenge nicht zum Ziel gekommen. In diesem Fall 
soll zunächst versucht werden, durch Röntgenbestrahlung einen Rückgang 
herbeizuführen. Danach soll, wenn irgend möglich, das Radium eingelegt 
werden. 

Den Schluß der eigenen Beobachtungen soll die Schilderung eines Hypo- 
physentumors bilden. Es handelte sich um eine etwa 35jährige Frau. Die¬ 
selbe bemerkte seit einigen Monaten eine ständige Größenzunahme ihrer 
Füße, ihrer Ober- und Unterschenkel und ihrer äußeren Genitalien. Auch 
der Umfang der Beckengegend nahm allmählich zu. Außerdem litt die Pa¬ 
tientin an Sehstörungen und starken Kopfschmerzen. Die Diagnose wurde 
auf Hypophysentumor gestellt. Sie ließ sich auch röntgenologisch sichern *. 

Die Therapie sollte in Radiumbestrahlung bestehen. Der Stützpunkt für 
den Radiumträger wurde an einem extraoral unter der Nase liegenden Stabe 
gesucht, der seinen Halt an einer Schiene fand, die aus Silber gestanzt auf 
die Oberkieferzähne aulzementiert wurde. Der Radiumträger selbst lag am 
oberen Ende eines starken Kupferdrahtes. Die Verbindung zwischen der 
aus dem Munde herausragenden Stange und der Kupferstange wurde durch 
eine auf ersterer hin und her verschiebbaren Polklemme hergestellt. Ein Kupfer¬ 
stab wurde gewählt, um den Rhinologen in die Lage zu versetzen, sich diesen 
Teil des Apparates nach Wunsch selbst leicht zurechtbiegen zu können. Um 
weitere große Bewegungsfreiheit zu ermöglichen, wurde, wie schon gesagt, 
auch die Verbindung zwischen der extraoralen kleinen Stange mit dem 
Kupferdraht beweglich gestaltet. Die Fig. 18 zeigt den Apparat montiert 
auf dem Modell. 

Als Vorbild hat mir dabei der von Klein in der Zeitschrift für Stoma¬ 
tologie veröffentlichte Apparat gedient, den ich in den Figuren 19 und 20 
wiedergebe. 

Bei der Ausführung der Bestrahlung wurde insofern von Kleins Weg 
abgewichen, als vor Ausführung der Bestrahlung die Keilbeinhöhle eröffnet 
wurde. Auf der einen Seite der Nase nahm Prof. Brünings die Muscheln 
weg und schaffte auf diese Weise die Möglichkeit eines guten Zugangs zur 

1 Ausführlich ist dieser Fall in der Greifswalder Dissertation 1922 von Otto Nörn- 
berg geschildert. 


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Mitwirkung des Zahnarztes bei der Radiumbestrahlung bösartiger Tumoren 467 






468 


Eridi Becker 


Keilbeinhöhle. Den Vorteil sah Brünings darin, daß er nun wirklich die 
Radiumstrahlen gegen die Unterflädie des Tumors wirken lassen konnte. 
Aus der in Fig. 20 wiedergegebenen Zeichnung Kleins geht deutlich hervor, 
daß bei seiner Art der Einführung des Radiums nur die Vorderfläche des 
Tumors von den Strahlen getroffen werden kann. Fig. 21 zeigt ein Röntgen* 
bild, das nach probeweiser Einführung des Radiumträgers hergestellt wurde. 
Man sieht auf diesem Bilde deutlich die vergrößerte Hypophyse und dar* 
unter die außergewöhnlich große Keilbeinhöhle. Der Radiumträger selbst 
liegt noch nicht an seiner ganz richtigen Stelle. Er wurde noch etwas gesenkt 
und weiter nach hinten eingeführt. Eine erneute Röntgenkontrollaufhahme 
zeigte den Träger in seiner richtigen Lage. Leider eignete sich die zweite 
Aufnahme nicht recht zur Reproduktion. 

Der Erfolg der mehrfach wiederholten, jedesmal 24 Stunden lang dauernden 
Bestrahlung war insofern ein guter, als eine Gewichtsabnahme von 40 Pfund 
eintrat, und die Größezunahme der unteren Extremitäten zum Stillstand 
kam. Auch die subjektiven Beschwerden gingen zurück. Bei der Bestrahlnng 
selbst hatte die Patientin jedoch stets so starke Kopfschmerzen, daß starke Mor- 
phiumdosen zur Bekämpfung derselben nötig waren. Diese Beschwerden 
wurden von dem Rhinologen als durch Prothesendruck hervorgerufen ge¬ 
deutet. Er hat deswegen bei weiteren Bestrahlungen das Radiumröhrchen 
frei in die Keilbeinhöhle eingeführt und durch Tamponade in seiner Lage zu 
halten gesucht. Da der Fall noch in Behandlung steht, ist ein abschließendes 
Urteil zur Zeit noch nicht möglich. Insbesondere kann die naheliegende Frage 
nicht beantwortet werden, ob nicht bei der letzteren Art der Einführung un¬ 
angenehme Verbrennungen nach unten zu auftreten werden, da ja die sichere 
Anbringung eines Bleischutzes nicht möglich ist. 

Der Vollständigkeit halber füge ich noch die Figuren 22 und 23 ein. Die¬ 
selben stammen ebenfalls aus der oben bereits erwähnten Arbeit von Klein. 
Der Apparat in Fig. 22 diente zur Bestrahlung eines Plattenepithelkarzinoms 
des Nasenrachenraums. Fig. 23 stellt einen Apparat dar, mit dem ein epi¬ 
thelialer Tumor der rückwärtigen Rachenwand, der bereits auf die Epiglottis 
übergegriffen hatte, bestrahlt wurde. 

Ich hoffe, durch meine Ausführungen und die Abbildungen meiner Appa¬ 
rate gezeigt zu haben, wie man derartige Radiumhalter durch Verwendung 
von Anglebändern leicht und dabei doch stabil genug und auch verhältnis¬ 
mäßig billig herstellen kann. Unangenehme Wirkungen von Sekundärstrahlen 
wurden trotz der Verwendung von Metall nicht beobachtet. 


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Mitwirkung des Zahnarztes bei der Radiumbestrahlung bösartiger Tumoren 469 


LITERATURVERZEICHNIS 

1. Albanus: Die Strahlentherapie der oberen Luftwege und des Ohres. Handbuch der 

speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen Luftwege. Herausgegeben von Katz 
und Blumenfeld. Leipzig 1921. 

2. Freer, Otto F.: Ein Verfahren zur Dauereinlegung von Radium an bestimmte Stellen 

im Kehlkopf und Radien, nebst Anweisung für den Gebrauch der Simpsonschen 
Radiumnadeln in der Rhinolaryngologie. Archiv für Laryngologie, Bd. 33. 

3. Klein, Prof. Dr. Bruno: Ober die Konstruktion von Radiumträgern für die Behänd« 

lung von Tumoren der Hypophyse sowie der oberen Luft« und Speisewege. Zeit« 
schrift für Stomatologie. Jahrg. XIX, Heft 12. Wien 1921. 

4. Perthes: Strahlenbehandlung bösartiger Tumoren. Archiv für klinische Chirurgie 1921. 

5. Rapp: Zur Strahlenbehandlung bösartiger Neubildungen. Strahlentherapie. Bd. X, 

Heft 1. 

6. Schmiegelow, Prof. E.: Einige Beobachtungen hinsichtlich der Wirkung des Radiums 

auf inoperable maligne Neubildungen im Munde, Rachen und in der Nase. Archiv 
für Laryngologie, Bd. 33. 

7. Sticker, Prof. Dr. Anton: 15 Fälle von Mundhöhlenkrebs mit Radium günstig be« 

handelt. Zahnärztliche Rundschau. XXIV. Jahrg., Nr. 27/32. 

8. Sticker: Klinische Erfolge der Radium« und Mesothoriumbestrahlung. Mit besonderer 

Berücksichtigung ihrer Dosierung und der Technik des Mundhöhlenkrebses. Strahlen« 
therapie, Bd. X, Heft 2. <Die Arbeit in der Z. R. ist eine teilweise Wiedergabe der 
Arbeit in der Strahlentherapie.) 

9. v. Tigerström, Ulrich: Halteprothesen zur Radiumbestrahlung innerhalb der Mund« 

höhle und oberen Luftwege. Inaug.«Diss. Greifswald 1922. Aus dem zahnärztlichen 
Institut der Universität Greifswald. 


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AUS DEM ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUT DER UNIVERSITÄT BONN 

(DIREKTOR: PROFESSOR DR. KANTOROWlCZ> 

GELENKLOSE ARTIKULATOREN, ARTIKULA- 
TOREN MIT SCHLOTTERGELENK ODER 
ARTIKULATOREN MIT FESTEN DREHPUNKTEN? 

<EIN BEITRAG ZUM ARTIKULATIONSPROBLEM) 

VON 

DR. WILHELM BALTERS 

ASSISTENT DER KLINIK 

D ie Entwickelung der Artikulatoren hat bekanntlich infolge der Bereiche» 
rungen der Artikulationslehre durch die Feststellungen Fehrs und 
Eichentopfs zu zwei prinzipiell neuen Arten von Artikulatoren geführt, 
einmal zu dem Artikulator mit frei nach allen Seiten beweglichem Gelenk — 
sog. Schlottergelenk — und dann zu der gelenklosen Artikulationsmaschine. 
Die erste Art fußt auf der Feststellung, daß der Condylus keine festen ein« 
deutigen Bewegungsbahnen beschreibt, sondern ein Bewegungsfeld besitzt, 
sich somit nach allen Seiten innerhalb dieses Feldes bewegen kann, der Ar« 
tikulator also auch solch freies Gelenk besitzen muß. Die zweite Art geht 
von der Erwägung aus, daß die bisherigen Methoden der Registrierung der 
Kieferbewegungen unvollkommen sind, die Bewegungsbahnen nur durch 
Aufzeichnung in plastischer Masse gewonnen, festgehalten und auf den Ar« 
tikulator übertragen werden können. Das „Artikulatorgelenk" ist darum 
überflüssig, eine einfache Maschine, die die aufgezeichneten Kaubewegungen 
wiedergibt, genügt. Beide Arten von Artikulatoren weichen somit weit von 
der früheren Form der Artikulatoren ab. Nun verlangen natürlich die 
Neuerungen für sich schon, daß man sich mit ihnen beschäftigt, dann aber 
auch die Frage: Hat uns diese Entwickelung des Artikulators den in Bezug 
auf die Güte des Ergebnisses und in Bezug auf Einfachheit, Handlichkeit 
und Haltbarkeit besten Artikulator beschert, oder zeigen uns die Erfahrungen 
mit den neuen Artikulatoren neue aussichtsreiche Wege? Der Beantwortung 
dieser Fragen sollen die nachfolgenden Erörterungen dienen. 

Zunächst einige Bemerkungen allgemeiner Art, die sich auf das Artiku* 
lationsproblem beziehen. 


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Gelenklose Artikulatoren 


471 




Das Geheimnis des Artikulationsproblems liegt letzten Endes darin, daß 
es gelingt, die Käuflichen so zu gestalten, daß die vielfachen Schließbewe¬ 
gungen bei ihrem Übergang in schleifende Bewegungen (Artikulations¬ 
bewegungen) durch die künstlichen Zahnreihen keine Hemmung erfahren, 
eine Zwangsläufigkeit, wie wir sie bei dem natürlichen Gebiß finden, also 
fortfällt. Naturgemäß wird diese Aufgabe am schwersten sein, wenn wir 
totalen Ersatz anfertigen müssen, leichter bei partiellem Ersatz, weil wir hier 
durch die Schliflflächen der Zähne eine Handhabe für die Bewegungen des 
Kiefers haben, und um so leichter, je mehr wir uns der vollen Zahnreihe 
nähern. In der Wahrung der freien Beweglichkeit des Kiefers durch geeig¬ 
nete Gestaltung der Kauflächen liegt also die Lösung des Bewegungs- 
problemes. 

Um ungestört die Bewegungen des Kiefers ausführen zu können, hätten 
wir somit eine individuelle Gestaltung der Kauflächen notwendig. Sind aber 
die Bewegungen und damit die Gestaltung der Kauflächen zum Kauakt für 
den Prothesenträger auch erforderlich? Beim 
natürlichen Gebiß ist die Artikulation nicht 
notwendig, weil die Zahnreihe sich aus einzel¬ 
nen selbständigen Gliedern zusammensetzt, 
die stark genug sind, die Kieferbewegungen 
zu hemmen und in zwangsläufige Bewegungen 
umzugestalten. Bei der trotz besten Ansaugens 
mehr oder weniger verschieblichen Prothese ist 
der Zahn ein Teilglied. Hier kann keine Be¬ 
wegung gehemmt werden, weil dabei die ganze 

Prothese in einer der Bewegung gleich- bzw. entgegengesetzten Richtung 
abgeschoben würde. Hier liegen also andere Verhältnisse vor. Hier ist 
die Artikulation zur Vermeidung von Hebelwirkungen erforderlich. Mit 
dem natürlichen Gebiß können wir — ohne eine Störung befürchten zu 
müssen — Speisen zerkleinern, indem sich die Zähne des Unterkiefers 
aus verschiedenen Richtungen und unter wechselndem Drude der nied» 
rigst möglichen Bißhöhe nähern, wodurch ein Zerschneiden, Zerreißen 
und Zerquetschen zustande kommt. Bei der Prothese ist das nicht mög¬ 
lich. Wohl können wir durch eine Schließbewegung ein Zerquetschen 
der Speisen erreichen. Auch ein Zerschneiden, nicht allein im Schneide¬ 
zahngebiet, sondern auch im Molarengebiet, wenn wir dafür Sorge 
tragen, daß die Höcker scharf ausgebildet sind und sich bei vorhande¬ 
ner Kaulängsrinne bei Seitwärtsbewegungen, bei Kauquerrinnen (Saxonia- 
Zähne von Fehr>, bei Vorschubbewegungen gegenüberstehen. Mahlbe¬ 
wegungen, die die Speisen zerreißen, können wir jedoch nicht ausführen, 
weil wegen der Verzahnung und der zwischenliegenden Speisen die 
Prothesen sich gegenseitig mitnehmen. Diese Bewegung haben wir aber 
auch weniger notwendig, einmal, weil viele unserer Nahrungsmittel so 
weich sind, daß wir sie mit der Zunge am Gaumen zerdrücken können, 
und dann, weil zähere Speisen durch die Küche so zubereitet sind. 


Fig. 1. Saxonia ' Zähne von Fehr <Z. 
Rdsd*. 1922, S. 774). Bei diesen Zähnen 
ist die Kaulängsrinne fortgefallen, es sind 
nur Querrinnen vorhanden 


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Wilhelm Balters 

daß ein vollendeter Kauakt kein Er- 
fordernis mehr ist <WaIlace>. Das 
beweist audi der Umstand, daß es viele 
Menschen gibt, die überhaupt ohne 
Zähne leben und sich trotzdem ihrer 
Z) Gesundheit erfreuen, und weiter, daß 
„auch" Stücke, die im Scharnierarti* 
kulator aufgestellt sind und nur ein 
öffnen und Schließen der Zahnreihen 
zulassen, ausreichen, und weiter, daß 
— die im Artikulator oder im Munde wirk* 
3) lidi gut eingeschliffenen Stücke zu den 
Seltenheiten gehören. Aber selbst 


_ _ wenn 

w wir auch den Kauakt mit unseren Pro* 

f bcsen nicht lehrbuchgemäß ausführen 
[ ] V ,—\ können, so müssen wir trotzdem an 

i Y I ' der Forderung festhalten, daß nur gut 

If) artikulierende Stücke dem Patienten 
I V3? \ ' übergeben werden dürfen. Denn wir 

Pk pj, zerkleinern wie gesagt nicht allein durch 

MAR/ I \y‘ direkte Schließbewegungen, sondern 

. ' ' 1 auch durch Zusammenfüh ren der Zahn* 

Fig. 2 . Die Phasen des Kauaktes. Beim natQr* reihen in seitlicher und vorgeschobener 

SS Stellung, Je nadtdem die Speise durd, 

Prothese <währcnd des Kauaktes) jedoch würde die Zunge günstig oder Ungünstig auf 

eine schleifende Bewegung die Prothesen mit fort- *2 „L *L t 4. 4 j 

bewegen. Die schleifende Bewegung wird darum d,e ^ahnrethen gebracht WUrde Und 

von den Prothesenträgern übergangen, die nächst- je nadl der Art der Speise. So ist auch 

ausgcfDhrte Phase entspricht der Phase 1 <aus V. c .. Tyr .. . t . r A .44. 

f. z. 1922 , h. 2 > für die Kautatigkeit die Artikulation 

eine Notwendigkeit, und es darf, 
V/ / wenn der Kauakt keine Störung erleiden soll, die Prothese 
durch die Bewegungen des Kiefers nicht aus ihrer Stellung 
gebracht werden, oder umgekehrt die Bewegung durch die 
Prothese eine Hemmung erfahren. Wahrung der freien Be^ 
<" weglichkeit des Kiefers, geeignete Gestaltung der Kauflächen 

, / sind also die Hauptbedingungen, die erfüllt werden müssen, 

>—um einen funktionell hochwertigen Zahnersatz zu schaffen. 

Natürlich müssen auch die Artikulatoren, in denen die 
'tT J Stücke aufgebaut und eingeschliffen werden, die Bewegungen 

1 »r 1 ausführen oder zulassen, die der Kiefer innerhalb der Arti^ 

Fig. 3 . Die obere kulationsweite ausführt. Wie weit das durch die Artikulatoren 

Zers'chneide^ de^ geschieht, wollen wir bei der Betrachtung der einzelnen Artiku* 

Speise in Höcker- latoren prüfen. Wirwollen unterscheiden die Artikulatoren mit 

lung/die untere festen Drehpunkten/ dazu gehören die Artikulatoren, wie 

derv ß° nw ^l/ Gritmann, Schwarze und Gysi Simplex mit 

f. z. 1922 , h. 2 > Durchschnittsmaß und 10 cm Condylenentfernung, der Gysi 


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Gelenklose Artikulatoren 


473 






Fig. 4. Die Vorschubbewegung erstreckt sich 
bei 1 über die ganze Condylenbahn, bei 2 nur 
Ober den vorderen Teil 


Dreipunkt mit Drehpunkten hinter den Gelenken, der Koppe-Artikulator mit 
nur 5 cm Drehpunkt»Abstand. Dann die Artikulatoren mit freiem Gelenk wie 
Fehrs erster Artikulator, und weiter die Artikulatoren ohne Gelenk wie 
Eichentopf und Fehrs zweiter Artikulator Saxonia. Bei der Kritik der 
einzelnen Artikulatoren wollen wir sowohl 
die Geeignetheit für die Anfertigung tota» 
len als auch partiellen Ersatzes prüfen. 

Bei den Artikulatoren mit festen Dreh» 
punkten <Condylenabstand 10 cm> liegt 
die Achse am Ende der Condylenschlitze. 

Die Vorschubbewegung kann sidi über 
die Länge der Condylenschlitze erstrecken. 

Die Seitwärtsbewegung wird um die Schlitzendpunkte ausgeführt, oder auch 
um einen Punkt außerhalb. Innerhalb dieser beiden Punkte nur in vorge¬ 
schobener Stellung. Eine Lateralbewegung d. h. Achsenlängsbewegung ist 
nicht möglich. Somit stellt das Artikulatorgelenk ein Kiefergelenk dar, bei 
dem die Condylen am Ende der Gelenkgrube liegen. Selbst bei Erniedrigung 
des Bisses ist hier eine Rückwärtsbewegung der Con¬ 
dylen unmöglich. Vorschubbewegung und Seitwärts¬ 
bewegung müssen von hier ihren Ausgang nehmen. 

Dennoch sind die Bewegungen des Artikulators und 
des Kauapparates verschieden. Bei den Artikulatoren 
beschränkt sich die Seitwärtsbewegung lediglich auf eine 
Drehbewegung um die Rotationszentren in den Arti- 
kulatorgelenken. Der Kiefer aber hat ein Bewegungs¬ 
feld. Er kann noch eine „Zur Seit"»Bewegung aus¬ 
führen. Seine Bewegungen sind also nicht rein gesetzmäßig immer wieder¬ 
kehrend, sondern mit Parallelverschiebungen des Kiefers kombiniert. <Was 
sich für gewöhlich an den Abschlifflächen der natürlichen Zähne kundgibt, bei 
denen immer das abgeschliffen wird, was der Bewegung hinderlich ist.) Die im 
Artikulator eingeschliffenen Bahnen können natürlich auch vom Kiefer beschrie¬ 
ben werden, und würden auch beschrieben werden, wenn die Prothesen fest¬ 
säßen, die Zähne also Führungselemente <Fehr> wären. Sie liegen aber mehr 



Fig. 5. Transversalbc- 
wegung = zur Seitbewegung 



Fig. 6. Gleichgerichtete Seitwärtsbewegung bei verschiedenen Drehpunktslagen. a Drehpunkt im ruhenden 
Condyl/ der bewegte Condyi geht nach vorn, b Drehpunkt innerhalb der Condylen. Beide Condylen be¬ 
wegen sich, der eine vor, der andere zurfidc. c Drehpunkt wieder im Condyl, icdoch im bei a bewegten. 
Hier bewegt sich der schwingende Condyl nach hinten 


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474 


Wilhelm Balters 


oder minder locker, und deshalb werden sie bei Bewegungen des Kiefers ent¬ 
weder abgehebelt, gelöst, der Kauakt also unterbrochen, oder aber — und das 
hängt von der Geschicklichkeit des Patienten ab — der Patient überschreitet den 
Rahmen des Erlaubten nicht, er gewöhnt sich an kleinste Exkursionen bei 
. o seinen Bewegungen. — Liegen nun aber die Condy- 

len bei einem Patienten im vorderen Teil der Gelenk- 



Fig. 7. Bei einem Drehpunkt 
ln a bewegt sich der Kiefer 
in Richtung b b, Geseift sich 
zu dieser Bewegung noch eine 
Zur Seit-Bewegung, Dreh» 
punkt etwa bei O, dann geht 
a nach ci t und b nach b % . Der 
Winke! der Kreistangente bei 
b mit der Condylenachse 
wird dadurch spitzer 


grübe, dann können sich auch die Condylen um ein 
Zentrum zwischen ihnen drehen, der eine Condyl also 
eine Bewegung nach rückwärts ausfuhren, während 
der andere nach vom gleitet. Gesellt sich dann hierzu 
noch eine Zur Seit-Bewegung, so stimmen die im 
Artikulator eingeschliffenen Bahnen noch weniger mit 
den wirklich ausgeführten überein. Wie Fig. 8 zeigt, 
liegen die Bahnen außerhalb des im Artikulator ein¬ 
geschliffenen Bewegungsfeldes. Der Kiefer muß sich 
mehr noch als in dem oben gezeichneten Fall an die 
Einseitigkeit der Bewegungen gewöhnen, oder darauf 
verzichten und mit einfachen öffnungs- und Schlie߬ 
bewegungen vorliebnehmen, oder „er wird nicht damit 
fertig“ und hebelt die der Bewegung lästige Prothese ab. 
Zusammenlassend können wir somit sagen, daß der Nachteil der Arti- 
kulatoren mit festen Drehpunkten der ist, daß einmal die Zur Seit-Bewegung 
und eine individuelle sagittale und frontale Einstellung außer acht gelassen 
worden ist, und weiter, daß eine Bewegung um einen 
Drehpunkt innerhalb der Condylen nicht möglich ist. 
Der Vorteil ist der der Handlichkeit und, was am 
wesentlichsten ist, der, daß man hier wirklich in der 
Lage ist, Bahnen den Drehpunkten entsprechend ein- 
zuschleifen. 

Gysi hat es nun bei seinem Dreipunkt-Artikulator 
verstanden, abgesehen von der individuellen Einstel¬ 
lung, diese Nachteile zu beheben durch Rückwärtslage¬ 
rung seiner „Artikulatorgelenke“. Wie Fig. 9 zeigt, 
führt der Condyl 2 eine mäßige Seitwärtsbewegung 
aus, während der Condyl 3 nach vorne schwingt. 
Diesen Gysischen Grundgedanken, durch Verlegen 
des Drehpunktes hinter den Condyl diesen zum Mit¬ 
schwingen zu veranlassen, hat nun Fehr letztlich auch 
auf dieBonwill-, Gritmann-, Schwarze-u. Gysi- 
Simplex-Artikulatoren übertragen. (Vierteljahrsschrift 
für Zahnheilkunde 1922 Heft l.> Er empfiehlt, die Stücke in größerer Ent¬ 
fernung von der Achse in den Artikulator einzubetten als bisher üblich. 
(Bonwillsches Dreieck.) Dann sind nicht allein die Verhältnisse gegeben wie 
beim Gysi-Dreipunkt-Artikulator, sondern, wie Fig.10 zeigt, noch günstigere. 
Die Zur Seit-Bewegung nähert sich in ihrer Richtung der Gelenkachse, weil die 



Fig. 8. ax-E-Ex ist das im 
Artikulator eingesdiliffene 
Bewegungsfeld. Liegt der 
physiologische Drehpunkt 
beispielsweise bei b, so ist 
die Bewegungsbahn des Kie- 
fers Zs— bx- Wie die Abb. 
zeigt, liegt diese Bahn außer' 
halb des Bewegungsfeldes 
des Artikulators. Mit einer 
im Artikulator aufgestellten 
Prothese kann man darum 
nicht störungslos Bewegern* 
gen ausfuhren 


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Gelenklose Artikulatoren 475 

Drehpunkte näher beieinander liegen als bei Gysi. Somit kommen diese 
Artikulatoren den wirklichen Bedürfnissen näher. 

Es bleibt nun noch ein Artikulator zu besprechen, dessen Drehpunktsent- 
femung nur 5 cm beträgt. (Koppe-Artikulator.) Er ist auf mittlere Con- 
dylenneigung eingestellt und läßt eine verschiedene Höheneinstellung zu. Wie 
Fig. 11 zeigt, imponiert er durch seine Einfachheit und Handlichkeit. Die 
Bahnen für die Seitwärtsbewegung sind bei ihm äußerst günstig, weil sie den 
Prothesen im Munde eine reine Zur Seit-Bewegung gestatten. Die Artikulator- 
gelenke liegen zwischen den Kiefer-Condylen. Da jeder Drehpunkt außer¬ 
halb der Artikulatordreh- 
punkte nur Bahnen ergibt, 
die innerhalb des einge- 
schliffenen Bewegungsfel¬ 
des liegen, ist die Beweg¬ 
lichkeit für die Kiefer eine 
denkbar günstige. Die 
Fig. 10 erläutert das. 

Allerdings fehlt diesem 
Artikulator auch die indi¬ 
viduelle Einstellmöglich¬ 
keit. Wer aber darauf 
verzichten will, und wem 
ein Artikulator mittleren 
Wertes genügt, dem ist 
dieser Artikulator als ein¬ 
facher und handlicher La- 
boratoriumsartikulator zu 
empfehlen. — Wie schon 
der Gysi Dreipunkt 
zeigte, so zeigt auch dieser 
kleine Artikulator, daß es 
nicht darauf ankommt, die 
Masse des Kiefers einzu¬ 
halten, sondern darauf, daß im Artikulator das Stüde eine Einschleifung er¬ 
hält, die die freie Beweglichkeit des Kiefers wahrt. Diese wird, wie wir 
sahen, vorteilhaft dadurch erreicht, daß das Stüde ausgesprochene Lateral¬ 
bahnen erhält. Dadurch wird das Bewegungsfeld eines Hödeers am größten, 
und damit auch die Weite der Kieferbewegungen. 

Des weiteren müssen wir unser Augenmerk auch kurz auf die Krümmung 
des Schneidezahnbogens richten. Praktisch hat bereits Eichentopf bei der 
Aufstellung seiner Stücke davon Gebrauch gemacht. Beim ersten Artikula¬ 
tionsversuch im Munde sollen die Frontzähne bei der Vorschubstellung des 
Kiefers auf Kopfbiß stehen oder wenig übereinanderliegen. Bei der Seit¬ 
wärtsbewegung sollen sie auf keinen Fall stören, eher im erweichten Wadis 
ausbiegen. Das heißt mit anderen Worten, der Bogen soll so flach sein und 



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476 


Wilhelm Balters 


der untere Bogen so weit zurückstehen, daß die Schneidezähne bei seitlichen 
Bewegungen den Kiefer nicht allein führen, wie das häufig beim natürlichen 
Gebiß der Fall ist. Das heißt aber auch nichts anderes, als daß der Bogen seinen 



sind die gedachten Condylen. Die Condylen beschreiben beim Gritmann demnach den Weg a — b, beim 
Simplex den Weg a — b l (Kreise um .S und G >. Im Molarengebiet sind diese Wege: beim Gritmana c —d 
und beim Simplex c—d l . Die Transversalbewegung ist beim Gritmann aber ausgesprochener. Der Urner' 
schied in den Bahnen im Schneidezahnbereich ist weniger hervorspringend/ immerhin zeigt sich auch hier die 
stärkere Transversalbewegung des Gritmann-Artikulators. Der Grund für diese ausgesprochenere Trans» 
Versalbewegung liegt in dem Zusammenrücken der Drehpunkte. Das zeigt sich am besten beim 
Koppe-Art ikulator, dessen Drehpunkte bei M x und Af, liegen. Bei Bewegungen um M x geht allerdings der 
gedachte Condyl zurüdt nach b 2 , die Molaren beschreiben aber eine reine Zur Seit-Bewegung c— d*. Die anderen 
Bahnen erfahren keine Veränderung, sie fallen mit c— d und i J zusammen. Werden in diesem Artikulator 
die Drehpunkte auch nach rückwärts verlegt, dann bleibt die Molarcnbahn bestehen c— d % , die Bahn auf der 

rechten Seite geht von c—d* 

Mittelpunkt oder seine Mittelpunkte in Drehpunkten innerhalb der Condylen 
hat, somit vom Schneidezahnbogen kein anderer Drehpunkt bestimmt werden 
kann, als in oder außerhalb dieser Drehpunkte (niemals innerhalb) liegen. 


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Gelenklose Artikulatoren 


477 


Beim natürlichen Gebiß muß sich meist der Drehpunkt für die Seitwärtsbewe¬ 
gung nach der Krümmung des Schneidezahnbogens richten. Die Seitwärts¬ 
bewegung des Kiefers ist somit nur eine durch diese 
Führungsflächen beschränkte. 

Werden diese Punkte beachtet, so sind die an- 
hervorgehobenen Nachteile der Artikula¬ 
toren mit festen Drehpunkten weitgehend beseitigt, 
und wir erhalten bei Benutzung dieser Artikulatoren 
einen totalen Ersatz, der für die praktischen Bedürf¬ 
nisse ausreichen dürfte. Das gilt aber nur vom totalen 
Ersatz. Beim partiellen Ersatz liegen die Verhältnisse 
anders. Hier richtet sich, wie gerade gesagt, die Kiefer- F ' 6 ' 11 ‘ K °w ,c ' Art,ku,ator 

bewegung nach den vorhandenen Zähnen. Der Artikulator muß also auch die 
Bewegungen des Kiefers aufnehmen, die von seiten der Zähne vorgezeichnet 
sind. Hier können natürlich die Artikulatoren mit ihren einseitigen Bewegungs¬ 
bahnen nicht folgen. Sie versagen. Dem Mangel haben aber die Fehr- und 





Fig. 12. Der Fehr^Artikulator (erstes Modell, aus V. f. Z. 1922, H. 2> 


% 


Eichentopf-Artikulatoren abzuhelfen gesucht mit dem „frei Gelenk"-Arti- 
kulator und der gelenklosen Artikulationsmaschine. Ob und wie weit sie 
Wandel geschafft haben, darüber mögen die folgenden Abschnitte berichten. 

Die Artikulatoren mit Schlottergelenk haben eine von der Condylen- 
stellung nach hinten erweiterte verstellbare Schlitzführung. Hier kann bei 


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478 Wilhelm Balters 

der Seitwärtsbewegung des Kiefers der sonst ruhende Condyl nach hinten 
wandern, die Achse also eine Lage einnehmen, die einer Drehung um einen 
zwischen den Condylen liegenden Drehpunkt entspricht <vgl. Koppe»Art.). 
Außerdem kann die Zur Seit»Bewegung durch eine Verschiebung der Achse 
in ihrer Längsrichtung erhalten werden, die Innenneigung vermöge der ko 
nischen Zuspitzung der Achse. — Ein Patient müßte mit einem in diesem Arth 
kulator gefertigten totalen Ersatz störungslos Bewegungen ausführen können. 
Dagegen scheint nichts einzuwenden zu sein. Praktisch liegen die Ver¬ 
hältnisse jedoch so, daß ein Einschleifen von ganzen Stücken in diesem 
Artikulator nicht möglich ist. Die Achse führt die Bewegungen aus, die ihr 
von seiten des Stückes vorgeschrieben werden, und nicht, wie es nötig ist, 

umgekehrt, daß die 
Achse die Bewegungen 
vorzeichnet, nach denen 
das Stück eingeschliffen 
wird. Da man nicht 
weiß, nach welchen 
Punkten eingeschliffen 
werden soll, hängt der 
Grad der Einschleifung 
von der Ausdauer und 
dem Optimismus des 
Einschleifenden ab. Si» 
cherlich artikulieren in 
solchen Artikulatoren 
die Abdrücke ganzer 
Gebisse, und sicher las» 
sen sich deswegen auch 
Zähne zwischen noch 
vorhandenen natür» 
liehen Zähnen einschleifen bei partiellem Ersatz, weil hier die Bahnen durch 
die Schlifflädien der Zähne festliegen. Damit ist aber nicht gesagt, daß sich 
im Artikulator ein voller Ersatz einschleifen läßt, der erst seine Bahnen durch 
den Artikulator erhalten soll. Dieser läßt wahllos alle zu. Der Artikulator 
bedarf somit noch einer Verbesserung, die die Möglichkeit schaßt, nach 
festen Punkten einzuschleifen. Das läßt sich etwa in der Weise ausführen, 
wie Gysi einst seine Wippunkte einstellte. Zwei Stifte müßten von der 
Condylenachse zu einer zur Condylenachse parallelen Achse reichen, die 
mit dem Oberteil verbunden ist. Die Stifte müßten sich in der Richtung 
der Condylenachse verschieben lassen. Sollen dann Stücke eingeschliffen 
werden, so schaltet man die Stifte ein und rückt sie nach jedesmaligem Be¬ 
schießen weiter nach innen. So hat man neben der Möglichkeit, die Stücke 
einzuschleifen, gleichzeitig die Gewißheit, alle Drehpunkte berücksichtigt 
zu haben. Daß das Einschleifen für alle diese Drehpunkte überflüssig 
ist, ist ohne weiteres klar, es bedarf nur der Einschleifung nach mittleren 



Fig. 13. Gipsokkludator nach 
Kantorowicz mit Zwischen» 
scheibe a. Bei eingelegter ZwI» 
sehen scheibe steht das Gebiß im 
Schfoßbiß. Bei entfernter Zwi» 
schenschelbe ist eine aüsdtige 
Bewegung möglich 



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Gelenklose Artikulatoren 


479 


Punkten, womit die außerhalb liegenden bereits berücksichtigt sind. Wür¬ 
den sich die in Vorschlag gebrachten Stifte zurückziehen oder zurück¬ 
schrauben lassen, dann wäre auch das Schlottergelenk gewahrt, und es 
könnte dann ein letztes Schleifen mit Carborundpulver bei freien Gelenken 
vorgenommen werden. So wie der Artikulator jetzt vorliegt, läßt er sich für 
totalen Ersatz nicht gebrauchen. Wohl aber für die Anfertigung partiellen 
Ersatzes. 

Bei partiellem Ersatz wird der Kiefer von den noch vorhandenen Zähnen 
geführt. Diesen Bewegungen entsprechend lassen sich die Zähne dann ein¬ 
schleifen. Aber dazu bedarf es eines so teuren und komplizierten Artikulators 
nicht. Ein Okkludator mit Zwischenscheibe, wie ihn Kantorowicz benutzt, 
reicht da vollkommen aus. Im Fehr-Artikulator stellt man doch auch zuerst 
im „Scharnierokkludator" auf, dann läßt man die Achse frei und schleift nach 



Flg. 14. Fehr-Artikularer nach dem -Eidientopf-Prinzip. Z. Rdsch. 1922, S. 762. Am Oberteil a wird der 
obere Abdrude, am Unterteil b auf d$m abnehmbaren Teller c der untere Abdruck befestigt, während das 
Oberteil in den Nuten d des Unterteils mit seinen drei Armen ruht. Der Artikulator stellt so gewissermaßen 
den einfachen Klapp-Artikularer dar. Wenn die Zähne in dem so fixierten Schlußbiß aufgestellt sind, kann 
man den Teller c herausnehmen und von der andern Seite in das Unterteil setzen. Setzt man nun das Ober¬ 
teil darauf, so schweben die drei Füße frei in drei Teilern, in denen sich Scheliackmasse befindet. Erwärmt 
man die Schellacknäpfe und führt mit dem Oberteil die im Mund aufgenommenen Bewegungen aus, so gewinnt 
man die gewünschte Führung im Schellack an drei Stellen bei partiellem Ersatz, bei denen noch stehende 
Zähne die Bewegungen vorschreiben, an zwei Stellen, den beiden hinteren, bei totalem Ersatz, so daß danach 
die hindernden Ecken der Zähne weggeschliffen werden können <Fehr> 


den vorhandenen Bahnen ein. Man umgibt also in Wirklichkeit das Stüde mit 
einem Apparat, den man in dem Augenblick, wo er Verwendung findet, ein¬ 
fach ausschaltet. Er ist also nur eine Behinderung bei der Arbeit. Man erreicht 
das gleiche Resultat mit dem erwähnten Gipsokkludator, indem man in dem 
Augenblick, wo man Bewegungen ausführen will, die Zwischenscheibe ent¬ 
fernt. Die Achse ist dann auch frei und hindert nicht bei der Arbeit. Durch 
Einfügen der Zwischenscheibe kann jeden Augenblick der Schlußbiß wieder 
eingestellt werden. — Für partiellen Ersatz leistet ein einfacher Gipsokkludator 
mit Zwischenscheibe pinzipiell das gleiche wie der Fehr-Artikulator und wäre 
demnach diesem vorzuziehen. 

Wir betrachten als letzte die Artikulatoren nach dem Eichentopfprinzip. Die 
Arbeitsweise mit der Gewinnung und Übertragung der Bewegungseindrücke 
setze ich als bekannt voraus. Ich wiederhole nur, daß bis zum Aufstellen des 
Stückes der Artikulator als Okkludator dient, dann der Mund der eigentliche 
Artikulator für die Zahnreihen bis zum 2. Prämolaren ist, in dem dann auch 
die Bewegungseindrücke gewonnen werden. Theoretisch scheint gegen die Art 


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Wilhelm Bakers 


des „ Aufzeichnens" und Einschleifens auf den ersten Blick nichts einzuwenden 
zu sein. Der Stift hat ja seine freie Beweglichkeit innerhalb des aufgezeichneten 
Feldes. Jedoch muß „diese Methode, die Bewegung eines Körpers aus drei 


Fig. 15 Fig. 16 

Der Eidientopf'Arrikulator <Klinikmodcll> nadi Eichentopf <D. M. f. Z. 1923, H. 1>. a Drei Tellerchen io 
Trichterform, b Drei Führungsstifte, c Drei Höhenstützen. dZwei Modellhalter, e Bogen und Okklusionsschiene 


Raumkurven zu rekonstruieren, natürlich versagen bei ungesetzmäßigen, 
schlotternden Bewegungen, wie solche für den Kauapparat angenommen 
werden müssen/' <Montag D. Z. W. 1922 Heft 47>. Wohl erhalten wir die 

_ Wegzeidien der Molaren im Wachs. 

Dies sind aber keine Bahnen. Sie 
sind das Ergebnis der Höckerbe- 
Wachs und stellen nur 


wegungen im 

eine gewellte Wachsfläche <ein Feld 
voll „Fußspuren") dar, die sich 
allerdings an dieser Stelle anlegen 
ließe, ohne die vielseitigen Kieferbe- 
wegungen zu hemmen. Sie ist aber 
keine Aufzeichnung in dem Sinne, 
daß man sie nachzeichnen könnte. 
Kantorowicz tut also richtig dar¬ 
an, wenn er vorschlägt, diese Eim 
drücke in Amalgam festzuhalten, 
oder die Wachseindrücke als Inlays 
zu verwerten, die dann in napfför¬ 
migen Zähnen ihren Halt finden, weil hier eine Kaufläche vorliegt, die bei 
den Bewegungen des Kiefers nicht stört. Falsch ist es aber, diese Eindrücke 
als Schlüssel zu verwerten, daraus wieder Zeichnungen zu gewinnen, und 
aus den neuen Zeichen beim Nachschreiben die wirklichen Kieferbewegungen 


17. Eidientopfs Univcrsalmodell 
<D. M. f. Z. 1923, H. 1> 


D ri qlcj IJ 

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Gelenklose Artikulatoren 


481 


zu erwarten. Was das Einschleifen angeht, so kommt man ebenso wie 
bei Fehr nicht zu Ende, da auf dem weiten Felde kein Anhalt für die Art 



u b 

Fig. 18. Eichentopf» Artikulator <crste Ausführung) aus V. f. Z. 1922, H. 2. a Stücke im Artikutator vor 
dem Übertragen der Wachszeichen, b Stücke im Artikulator nach dem Übertragen der Wachszeichen 


der Bewegung gegeben ist. So wie der Artikulator jetzt vorliegt, ist er 
also auch für totalen Ersatz nicht brauchbar. Auch die Arbeitsweise ist 
nicht ganz einleuchtend. Wenn nämlich schon alle Zähne außer zwei Eck* 
zähnen und vier Molaren im Munde eingeschliffen 
werden, so muß man sich doch fragen, warum nicht 
gleich auch die Eckzähne eingestellt und eingeschliffen 
werden, da sie als führende Elemente doch nicht in 
Frage kommen, weil sie nur Facetten darstellen. 

Wegen dieser Zähne etwa den Apparat in Gang 
zu setzen, würde sich nicht lohnen, und wegen der 
Molareneinschleifung diesen keineswegs fehlerfreien 
Umweg über die doppelten Einzeichnungen zu 
machen, und danach zu schleifen, erscheint über- Fig. 19. Bevregungsfeld in einem 
flüssig, wenn man dem bereits angedeuteten Vor. 

schlag von Kantorowicz folgt und die Einzeich- halb des Feldes fehlt <aus v. f. 
nung gleich in Amalgam oder Wachs vornehmen 

läßt, das die endgültige Kaufläche selbst oder als Inlay darstellt. — Für par- 
tiellen Ersatz ist der Artikulator natürlich geeignet, aber, wie gelegentlich des 
Fehrschen Artikulators schon ausgeführt, leistet da ein einfacher Gips- 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde. Heft 4 71 


ÜTgtttzed 


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Original fro-m 

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okkludator mit Zwischenscheibe den gleichen Dienst. Ich möchte ihn sogar 
vorziehen, da der Eichentopf zu unhandlich, zu groß und die Stiftführung 
in der Anordnung störend ist. Meines Erachtens wird er einfacheren Appa¬ 
raten gegenüber nur sehr schwer seinen Platz im Laboratorium behaupten. 

Als Schlußergebnis der Betrachtung stellen wir noch einmal zusammen« 
hängend fest: Bei der Anfertigung totalen Ersatzes läßt der Artikulator mit 
festen Drehpunkten ein Einschleifen von Bahnen zu/ jedoch engen diese Bahnen 
die freie Beweglichkeit des Kiefergelenkes so stark ein, daß von seiten des 
Patienten eine große Gewöhnung verlangt wird, der Ersatz also nicht als 
funktionell hochwertig bezeichnet werden kann. Die Nachteile dieser Arti* 
kulatoren werden behoben durch ein „weiter vorne Einbetten" in den Arti« 
kulator oder ein Zusammenlegen der Drehpunkte, so daß diese nur die Breite 

des Gebisses einneh-- 
men. Im ersten Fall 
behält natürlich der 
Artikulator seine große 
Form, im zweiten er« 
gibt sich für die Praxis 
ein äußerst handliches 
Modell <Koppe>. Für 
partiellen Ersatz sind 
die Artikulatoren mit 
festen Drehpunkten 
nicht geeignet, da hier« 
bei die eingebetteten 
Stücke den Schlifflächen 
der Zähne folgen müs« 
sen, es aber nicht kön« 
nen, weil den Artikulatorgelenken die freie Beweglichkeit fehlt. 

Hingegen sind die Artikulatoren mit Schlottergelenk und nach dem 
Eichentopfprinzip für partiellen Ersatz mit oralen Führungselementen ge* 
eignet, da sie allen vorgeschriebenen Bewegungen folgen können. Ein 
Gipsokkludator mit ausschaltbarem Gelenk leistet aber den gleichen Dienst 
und wäre demnach wegen seiner großen Einfachheit vorzuziehen. Bei totalem 
Ersatz waren diese Artikulatoren in ihrer jetzigen Form und Arbeitsweise 
nicht zu gebrauchen, da ein Einschleifen bewußt nicht möglich ist. Zudem ist 
dabei auch die Art der Aufzeichnung der Bewegungen nicht fehlerfrei. 

Hat uns nun die Entwicklung des Artikulators den in bezug auf die Güte 
des Ergebnisses und in bezug auf Einfachheit, Handlichkeit und Haltbarkeit 
besten Artikulator beschert? In bezug auf Einfachheit und Handlichkeit 
keineswegs, denn an Größe und Schwere und Kosten übertreffen die neueren 
Artikulatoren noch die bisherigen. In bezug auf die Güte des Ergebnisses? 
Hier mußten wir feststellen, daß diese Artikulatoren bei totalem Ersatz wegen 
ihres Schlottergelenks versagten, die älteren Modelle aber ausreichten, bei 
partiellem Ersatz aber lieferten diese Artikulatoren wegen ihres freien Ge* 



Fig. 20. Artikulator <vgl. Fig. 21 >, der außer einer Sdtamierbcwegung 
allseitige Bewegungen zuläßt 


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Gelenkfose Artikufatoren 


483 


lenkes die bisher besten Resultate, wogegen die Artikulatoren mittleren 
Wertes mit festen Drehpunkten versagten, da ihnen die Vielseitigkeit der 
Kieferbewegungen fehlte. 

Was lernen wir aus den Erfahrungen mit den neueren Artikulatoren? 
Einmal sagen sie uns, daß wir auf den betretenen Wegen nicht weiter* 
kommen. Denn wir können uns technisch keinen Apparat denken, der so» 
wohl die freie Beweglichkeit als auch die absolute Beweglichkeit des Ge¬ 
lenkes besäße. Ein anderes Mal aber zeigen sie uns neue Wege. Schon 
bei der Besprechung des Fehrsehen Artikulators mußten wir sagen, daß 
die Einschleifung einer partiellen Prothese leichter ohne als mit Artikulator 
zu erreichen war. In Wirklichkeit wurden doch die Stücke den Schliff¬ 
flächen entlang zwischen den Händen geführt. Der Artikulator war über¬ 
flüssig. Prinzipiell genügte hier eine Einrichtung, die den Kiefern bzw. 



= 0 ^ : 

=> 

= == 

=0 =0 i 

= = 

= z= 


b c d e 


Fig. 21. Die Herstellung des Artikulators. 
a gewöhnlicher Drahtartikulator, dessen unterer 
Schenkel zum rechten Winkel umgebogen ist. 
b das Mittelstadt des aufsteigenden Astes ist ent« 
fernt. c zur Sicherung der Bißhöhe ist der Anschlag 
angebracht, d Feder, die durch einen eingeschobe* 
nen Stift versteift ist. e Feder in situ. / der 
fertige Artikulator 



Stücken allseitige Bewegungen gestattete, aber auch stets den Schlußbiß ermög¬ 
lichte. Das ist das eine, was wir aus der Erfahrung mit diesen Artikulatoren 
gelernt haben. Daß die Einrichtung in Gestalt der Fehr« und Eichentopf« 
artikulatoren nicht die günstigste Lösung gefunden hat, ist einleuchtend, wenn 
wir Kantorowicz Vorschlag des Gipsokkludators mit Zwischenscheibe 
betrachten. Die Einschaltung der Zwischenscheibe ergibt sofort den Schlu߬ 
biß. Die Entfernung der Zwischenscheibe allseitige Freiheit. Doch liegt der 
Mangel dieser äußerst einfachen Lösung in der Unhandlichkeit des Gips¬ 
stückes <Schwere und Größe), von kleineren Modellen bei Kronen- und 
Brückenarbeiten abgesehen, und der Dreiteilung: Oberteil und Unterteil 
und Zwischenscheibe. Hier müßte noch eine Verbesserung werden. Und zwar 
so, daß die Einrichtung nur einen Teil umfaßt und dann sich an die Apparate 
anlehnt, die bisher an Einfachheit nicht übertroffen wurden: die Scharnierartiku- 
latoren. Würde diesen Artikulatoren die Möglichkeit gegeben sein, die Gelenke 
auf Wunsch zu lösen, ohne die Einheitlichkeit zu verlieren, so würde meines 
Erachtens der bewegliche Artikulator und die Lehre von der Artikulation 

31 * 


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484 


Wilhelm Balten 


leichter als bisher ihren Einzug in die Laboratorien halten. Nach vielen Ver¬ 
suchen glaube ich hier eine einfache Lösung gefunden zu haben. Die erste 
Lösung ist in Fig. 20 dargesteift und besteht, wie die Fig. 21 zeigt, aus emem 
gewöhnlichen Drahtartikulator und zwei Federn, die durch eingestedcte Stifte 
versteift sind. Werden die Stifte herausgezogen, so sind die Gelenke infolge 
der Federung frei. Eingeschoben ergeben sie gleich wieder den 
Drahtartikulator. Die Bißhöhe wird durch einen Anschlag im 
Gelenk gesichert. Bei ausgezogenen Federn läßt sich die Achse 
des Oberteiles aus den Lagern nehmen, wodurch das Oberteil 
vom Unterteil getrennt wird. Durch diese Einrichtung wird 
das Ausarbeiten der Wadisstücke sehr erleichtert. Die zweite 
Lösung, die ich wegen der größeren Einfachheit der ersten 
vorziehen möchte, stellen die Fig. 24, 25 und 26 dar. Wie aus 
den Figuren ersichtlich, ist der Versteifungsstift fortgelallen, 
ebenso der Anschlag im Gelenk. Die Federn, deren Windungen 
natürlich auch hier direkt übereinanderliegen, sind in den vertikalen Teil 
eingebaut. Ein Stützstift sichert die Bißhöhe. Auch hier läßt sich Ober- und 
Unterteil trennen. 

Sind Führungselemente vorhanden, so können wir vorteilhaft von diesem 
Artikulator Gebrauch machen. Sind keine vorhanden, dann läßt er sich auch 
verwenden, nur müssen wir uns eben, und das ist das zweite, was wir aus 

der Erfahrung mit 
diesen Artikulatoren 
nach dem Fehr- und 
Eichen topf prinzip 
gelernt haben, solche 
schaffen. Eichen- 
topf stellt das Unter¬ 
stück ganz auf, und 
das Oberstück bis zum 
zweiten Prämolaren, 
und korrigiert die 
Stellung nach den Be¬ 
wegungen des Kiefers 
im Munde. Er glaubt 
genügend Führung 
zu haben, wenn die 
Bahnen für die Prämolaren gezeichnet sind. Das ist jedoch nicht der Fall. 
Die Schneidezähne und Prämolaren liegen zu nahe beieinander. Hier müßte 
Eichen topf genau wie bei der Stiftanordnung Punkte wählen, die möglichst 
weit voneinander entfernt sind, also einen im Schneidezahngebiet und je einen 
am Ende der Zahnreihe. Hätte er diese drei Zahnpaare eingeschliffen, die 
sich im übrigen gut überblicken lassen, dann hätte er auf seine Wachsein¬ 
drücke verzichten können. Die Aufstellung der ganzen Prothese wäre der 
einer Teilprothese gleichgekommen. So aber baute er vom zu und ging der 



Fig. 23. Die Abbildung zeigt die allseitige Beweglichkeit der Feder bzw. 
Artikulators nach Entfernung des Stiftes 



Fig. 22. 
Anschlag zur 
Sicherung der 
Bißhöhe 


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_ Ürigiral __ 

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Gelenklose Artikulatoren 


485 


Übersicht und der guten Führung im Molarengebiet verlustig. — Über den ge- 
flaueren Arbeitsgang bei meinem Artikulator wäre besonders zu berichten. — 
Von dieser Arbeitsweise — Einstellung oraler Führungselemente — müssen 
wir auch Gebrauch machen, wenn bei partiellem Ersatz die oralen Führungs- 



Fig. 24. Artikulator nach Balters 



Fig. 25. Der gleiche Artikulator, bei dem 
Oberteil und Unterteil getrennt sind 


elemente nicht ausreichen oder ungünstig verteilt sind, etwa nur Schneidezähne 
oder nur die Backzähne der einen Seite vorhanden sind. Das sind die Fälle, die 
ihre Lösung in keinem Artikulator mit festen Drehpunkten finden, auch nicht in 
den neuen Artikulatoren, wenn wir nicht von der Einstellung oraler Führungs- 
elemente Gebrauch machen. Man ergänzt dann die vorhandenen Zähne so 
durch künstliche, daß drei auseinander^ 
liegende Führungsflächen entstehen, 
wodurch die Artikulatorbewegungen 
gegeben sind. <Doch bleiben immer 
noch Fälle übrig, die wegen starken 
Schneidezahnüberbisses keine Artiku- 
lation aufweisen, eine Lateral- und 
Seitwärtsbewegung bei Zahnkontakt 
nicht möglich ist, die Molaren also 
bei jeder Bewegung gleich getrennt 
werden. Hier genügt vollkommen die 
Aufstellung im Scharnierartikulator, 
die Lösung der Federn ist nicht not¬ 
wendig.) Fig. 26 zeigt die allseitige Beweglichkeit vermöge der 

Somit haben uns die Erfahrungen eingebauten Federn 

mit den neueren Artikulatoren doch 

weiter gebracht. Einmal ist daraus ein sehr einfacher Artikulator geworden, 
und dann ist uns die Bedeutung der oralen Führungselemente zum Be¬ 
wußtsein geworden, die uns endlich von der Abhängigkeit vom Gelenk, den 
Streit um die Meßmethoden und die Kieferbewegungen befreien. Denn von 
all den im Kiefergelenk ausführbaren Bewegungen interessieren den Prothe- 
tiker doch nur die, die innerhalb der Artikulationsweite liegen, und die sind 
allein schon durch die Form und Stellung der Führungselemente bestimmt. 



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- w*? 


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AUS DEM WISSENSCHAFTLICHEN LABORATORIUM <PRIVATDOZENT 
DR. TÜRKHEIM) DES ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUTS (PROF. DR. FISCHER) 
DER HAM BURGISCHEN UNIVERSITÄT 

DIE ERNÄHRUNG UND DIE PHYSIKALISCHE 
CHEMIE DES SCHMELZES 

VON 

H. TÜRKHEIM 

I n der Kariesforsdiung nimmt der Schmelz merkwürdigerweise eine ziem¬ 
lich nebengeordnete Stellung ein. Dabei wird übersehen, daß jede kariöse 
Zerstörung stets ihren Ursprung im Schmelz hat, daß also die Karies nicht, 
wie man früher annahm, „ein von innen nach außen fortschreitender Pro¬ 
zeß" ist. Nun ist als eine besondere Eigentümlichkeit der Karies festzu¬ 
stellen, daß nicht nur manche Zähne und manche Individuen weniger be¬ 
fallen werden, andre mehr, sondern die Affektion tritt zu bestimmten Zeiten 
im Leben des Individuums stärker auf, um dann wieder den Träger viel¬ 
leicht für immer zu verschonen. Wie soll man sich diese zeitliche Immunität 
bzw. Disposition erklären? Der einfachste Weg ist der, daß man sagt, der 
Schmelz nimmt zu bestimmten Zeiten intensiveren Anteil an den Verän¬ 
derungen des Gesamtorganismus, oder Veränderungen im Organismus be¬ 
einflussen den Schmelz zeitweise so, daß er der kariösen Schädigung leichter 
zugängig wird. Auf welche Weise kann man sich diese Veränderung und 
diese Beeinflussung erklären? Auch hier ist die Antwort sehr naheliegend: 
da der Schmelz das härteste und mineralreichste Gebilde des Körpers durch 
seinen Kalkgehalt ist, so muß eine Veränderung im Kalkstoffwechsel des 
Schmelzes den Weg für die kariöse Zerstörung ebnen helfen. Als eine Stö¬ 
rung im Kalkstoffwechsel des Körpers zieht eine ebensolche Störung im 
Schmelze nach sich, der Schmelz wird vom Blute her „entkalkt". Da man 
sich aber einen ständigen Abbau im Rahmen physiologischen Geschehens 
nicht gut ohne gleichzeitigen Anbau vorstellen kann, so sagt man eben, daß 
im Schmelzgewebe ein Stoffwechsel, also An® und Abbau stattfindet. Damit 
ordnet sich der Schmelz in den lebenden Organismus ein, er wird dauernd 
ernährt, er lebt. Die Lehre, die in diesen Sätzen ihren Ausdruck findet, ist 
der sogen. Schmelzvitalismus ,• dieses Wort ist. insofern sehr unglücklich ge¬ 
wählt, als man in der Naturphilosophie unter „Vitalismus" etwas ganz 


Gck igle 


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Die Ernährung und die physikalische Chemie des Schmelzes 


.487 


andres versteht, nämlich, daß die „lebende" Materie anderen als den chemisch* 
physikalischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist, was die Anhänger des 
Schmelzvitalismus natürlich nicht zum Ausdruck bringen wollen. 

In der naturwissenschaftlichen Forschung wird jede Lehre mit den Mitteln 
eben dieser Forschung begründet,- die Methoden dieser Forschung sind zu 
zahlreich, um namentlich aufgefuhrt werden zu können, trotz ihrer Vielseitige 
keit haben sie aber etwas Gemeinsames, nämlich die Methoden sind be- 
kannt und jederzeit nachzuprüfen. Auf Grund dieser Forschung ergeben 
sich Gesetzmäßigkeiten, aus denen sich durch logische Schlüsse oder Analogien 
eine Lehre auf baut. Wird dagegen auf Methoden verzichtet, und werden an 
die Stelle von logischen Schlüssen und Analogien persönliche Überzeugungen, 
Vermutungen oder unbeweisbare und unkontrollierbare Behauptungen ge¬ 
setzt, so wird damit der Boden naturwissenschaftlichen Forschens verlassen 
und spekuliert, oder gar Metaphysik getrieben. Geht man von diesen Über¬ 
legungen aus an die Frage der Schmelzernährung heran, so bekommt das 
ganze Problem ein anderes Gesicht. 

Die Behandlung dieses Gebietes ist durchaus nicht neu, zuletzt hat sich 
Kantorowicz mit der Ernährung des Schmelzes auseinandergesetzt, eben 
mit den Mitteln der naturwissenschaftlichen Forschung, fast gleichzeitig hat 
Walkhoff den Schmelzvitalismus widerlegt. Aber es ist so, als ob nichts 
geschehen wäre, man njmmt von diesen Veröffentlichungen keine besondere 
Notiz/ eine große Schar bekannter Autoren und namhafter Praktiker ist nach 
wie vor vom Stoffwechsel im Schmelz überzeugt. 

Die nachfolgenden Betrachtungen und Untersuchungen sind nicht allein 
der Absicht entsprungen, den Standpunkt der beiden eben benannten Unter¬ 
sucher zu erhärten, sondern es soll versucht werden, die ganze so äußerst 
wichtige Frage noch einmal einer gründlichen Kritik zu unterziehen und 
das Problem auf möglichst umfassender Grundlage zu behandeln. Nach 
dem, was bisher einleitend mitgeteilt wurde, versteht es sich von selber, 
daß ausschließlich die Mittel naturwissenschaftlicher Methodik angewendet 
werden. 

Aber um den Betrachtungen von vornherein den umfassenden Charakter 
zu geben, müssen zunächst die Anschauungen aller derjenigen Autoren mit¬ 
geteilt werden, die sich bisher mit dem Thema beschäftigt haben. 

Morgenstern hat die Frage zuerst experimentell bearbeitet und glaubt 
durch Injektion von Farblösungen intra vitam bei Tieren an der Sdimelz- 
dentingrenze eine intermediäre Schicht entdeckt zu haben, die als Lymph¬ 
system aufzufassen sei und die Saftkanäle enthalten soll. Die Bilder hat er 
durch Tangentialschliffe erhalten, sie lassen sich ganz zwanglos durch die 
histologische Struktur des Schmelzes deuten, teils sind sie als schlechtver¬ 
kalkte Schmelzbüschel aufzufassen, manche Bilder erwecken den Eindruck 
von Kunstprodukten, von Sprüngen, die bei der Behandlung der sehr dünnen 
Schliffe mit heißem Kanadabalsam entstanden sind. Es ist auf jeden Fall 
nicht einzusehen, warum dieses Lymphsystem nur auf Tangentialschliffen 
sichtbar sein soll, es müßten doch auf Längs- oder Querschliffen wenigstens 


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468 


H. Türkheim 


Andeutungen dieses Systems zu sehen sein. Dieser Versud), Saftkanäle für 
die Ernährung des Schmelzes gefunden zu haben, ist nicht beweisend. 

Auch v. Ebner zieht die Ernährung des Schmelzes in den Bereich seiner 
Untersuchungen, wenn er sich bei der Entwicklung des Schmelzes wie folgt 
äußert: „Da die Ausbildung des fertigen harten Schmelzes zum Teil in weiter 
Entfernung von den Schmefzzellen erfolgt und noch zur Zeit des Zahndurch¬ 
bruchs nicht ganz vollendet ist, erscheint die Annahme gerechtfertigt, daß die 
Kalksalze für die definitive Erhärtung des Schmelzes aus dem Zahnbein, 
und zwar wahrscheinlich durch die bis an den Schmelz und zum Teil in 
dessen Kittsubstanz eindringende Zahnkanälchen in den Schmelz gelangen.“ 
— Eine solche Beweisführung ist sehr einfach, aber doch nicht überzeugend, 
noch viel weniger logisch/ denn wodurch wird die Annahme gerechtfertigt, 
daß die Erhärtung vom Dentin aus bewerkstelligt wird? Die andere Annahme 
ist ebenso gerechtfertigt, daß die Erhärtung vom Speichel aus vor sich geht! 
Zumal diese Annahme sogar experimentell gestützt werden kann! (Picke¬ 
rill, Head.) Und angenommen, es wäre sowie v. Ebner meint, daß,,... die 
Ausbildung ... des Schmelzes... in weiter Entfernung von den Schmelzzellen 
erfolgt“ und daß dadurch weitere Kalksalze aus dem Dentin in den Schmelz 
befördert werden, dann würde ja beim fertig entwickelten Zahn die Schmelz¬ 
oberfläche benachteiligt sein, da sie wieder vom Dentin weit entfernt ist, 
oder man muß annehmen, daß die Nährstoffe nicht den ganzen Schmelz 
versorgen können/ also auch diese Deduktion ist recht wenig überzeugend. 

Audi Fischer steht auf vitalistischem Standpunkt, den er klinisch-histolo¬ 
gisch zu begründen sucht: „Wenn wir die oben bewiesene charakteristische An¬ 
ordnung der Dentinästdien und ihr Einstrahlen in je eine Prismenwandschicht 
akzeptieren, diese aber zweifellos als wenig verkalkter, mehr organischer 
Plasmabestand aufgefaßt werden muß, so genügt ihr Kontakt mit den Den¬ 
tinfasern, die an ihr endigen, um einen wenn auch dürftigen Stoffwechsel 
im Schmelz, zu erklären. Dieser Zustand kommt meines Erachtens auch der 
praktischen Erfahrung am nächsten, die tagtäglich lehrt, daß der Schmelz in 
lebenden Zähnen auch als lebensfähiges Gewebe betrachtet werden muß, 
welches mit dem Tode der Pulpa an Widerstandskraft einbüßt und dann 
bekanntlich außerordentlich brüchig wird.“ Also lediglich auf Grund der 
praktischen Erfahrung wird ein Stoffwechsel im Schmelz angenommen/ diese 
tägliche Erfahrung, daß der Schmelz devitalisierter Zähne brüchiger als der 
intakter Zähne ist, läßt sich nämlich, wenn sie tatsächlich zu recht besteht, 
was noch einer methodischen Prüfung bedürfte, zwanglos dadurch erklären, 
daß der Dentinkern in einem „toten“ Zahn schrumpft, hierdurch wird der 
Schmelz seiner soliden Grundlage beraubt und wird eben brüchig. 

Gerade auf diese letzte Frage geht Roh rer ausführlich ein und spricht 
sich trotzdem für Lebensvorgänge im Schmelz aus. Ebenso ist Andresen 
der Ansicht, daß der Schmelz „eine, wenn auch geringe Vitalität (besitzt), 
indem sein organisches Gerüst in Verbindung steht mit den «kolbenförmigen 
Fortsätzen 4 des Dentins." — Audi hier fällt eine Kritik nicht schwer. Ein¬ 
mal ist die Frage nach der „Größe“ der Vitalität müßig, es fällt nicht nur 


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Die Ernährung und die physikalische Chemie des Schmelzes 489 

schwer, sich etwas unter diesem Begriff vorzustellen, sondern wo und wie 
man diese Größe messen soll, wird auch nicht mitgeteilt. Zum andern han- 
delt es sich doch gar nicht darum, ob die „Vitalität" groß oder gering ist, 
sondern die Frage ist prinzipiell zu entscheiden, ob überhaupt Lebens- oder 
Stoffwechselvorgänge im Schmelz nachzuweisen sind. Da nun nach Ansicht 
der Vitalisten die Lebensvorgänge im Schmelz von kariesätiologischer Be¬ 
deutung sind, indem durch Stoffwechselstörungen im Organismus ebenfalls 
Störungen im Stoffwechsel des Schmelzes hervorgerufen werden, so [müßte 
man doch erwarten, im Schmelz einen immerhin „nicht unerheblichen" Stoff¬ 
wechsel -vorzufinden, die Vitalisten sprechen aber immer nur von geringen 
Lebensäußerungen! Dieser Schwierigkeiten wird man natürlich erst dann 
Herr werden, wenn man statt empirisch-spekulativer Beweise die syste¬ 
matische Methode heranzieht. Denn es klingt auch wenig überzeugend, wenn 
weiter Adloff schreibt: „Vor allen Dingen bin ich stets der Überzeugung 
gewesen, daß es im menschlichen Organismus überhaupt kein Gewebe gibt, 
das geradezu als ,tot‘ bezeichnet werden darf, daß somit auch der Schmelz 
wie jedes andere Gewebe ernährt wird und an dem Gesamtstoffwechsel bis 
zu einem gewissen Grade teilnimmt." Eine Überzeugung ist kein Beweis. 

Im Rahmen dieser Zusammenstellung darf eine Veröffentlichung von Jung 
nicht unerwähnt bleiben. Er behandelt die Frage der Kalksalztherapie. 
Knochen, Dentin und Schmelz sind der Beeinflussung durch vitale Vorgänge 
in absteigender Linie zugängig, d. h. der Schmelz am wenigsten. „Es wäre 
aber falsch, eine solche Beeinflussung gänzlich leugnen zu wollen, denn es 
spricht ja die tatsächlich vorhandene Sensibilität des intakten Schmelzes, wie 
wir sie beim Beschleifen der Zähne zur Aufnahme von Goldkronen täglich 
konstatieren können, ohne weiteres für das Bestehen vitaler Zellen, die einer 
allgemeinen Beeinflussung vom Blutkreislauf her, auch noch nach der abge¬ 
schlossenen Ausbildung, zugängig sein müssen." Oder einfacher ausgedrückt: 
Der Schmelz ist (beim Beschleifen) empfindlich, also enthält er .vitale' Zellen 
— übrigens in diesem Zusammenhang ein Pleonasmus —, also müssen diese 
vom Blutkreislauf her beeinflußbar sein! Hier sind aus einem falschen Ober¬ 
satz zwei natürlich ebenfalls falsche Prämissen gebildet, so daß die ganze 
Beweisführung als unlogisch und oberflächlich abgelehnt werden muß. Denn 
beim Beschleifen des Schmelzes, besonders wenn man ohne Absetzen und 
ohne Feuchtigkeit arbeitet, wird allerdings eine ganz empfindliche Wärme 
erzeugt, die sich dem unter dem Schmelz liegenden Dentin mitteilt und hier 
als Schmerz registriert wird, übrigens eine so elementare Feststellung, daß 
man auf ihre Erwähnung unter andern Bedingungen selbstverständlich ver¬ 
zichten kann. Die von Jung zitierten „vitalen Zellen" sind die Odonto- 
blasten mit ihren Ausläufern im Dentin, sie sind allerdings „einer allgemeinen 
Beeinflussung vom Blutkreislauf her" zugängig, nur liegen sie nicht im 
Schmelz! 

Es darf nun nicht übersehen werden, daß auch einige sehr ernsthafte Ver¬ 
suche vorliegen, Stoffwechselvorgänge im Schmelz durch exakte Forschung 
nachzuweisen. Auf Grund histologischer Beobachtungen, die ihm korrespon- 


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H. Türkheim 


dierende Verkalkungsfehler im Schmelz und Dentin gezeigt haben, schließt 
Feiler auf einen ständigen Kalksalzaustausch in diesen Geweben, und er 
hat, wahrscheinlich unbewußt, ein ganz neues Gebiet angeschnitten, wenn er 
einen Austausch von Stoffwechselprodukten nicht nur innerhalb des Zahnes, 
sondern auch zwischen Mundflüssigkeit und Schmelz für möglich hält. Auf 
diese Frage wird später noch ausführlich eingegangen werden. 

Als einziger ist bisher Gottlieb experimentell an das Problem heran¬ 
getreten, indem er Hunde mit Krapp, dem Elektivfarbstoff für Kalk, be¬ 
handelte. Da der Farbstoff sich im Schmelz nachweisen ließ, glaubt man nun 
den Nachweis für einen Stoffwechsel im Schmelz gefunden zu haben, wo 
es sich auch nur um einfache Diffusion handeln kann. 

Aus dem, was bereits kritisch über die Arbeiten der anderen Autoren 
mitgeteilt wurde, ergibt sich schon ein Teil der Gegengründe, die aber hier 
im Zusammenhang wiederholt und erweitert werden sollen. 

Beginnt man mit der Entwicklung des Schmelzes, so fallt sofort auf, daß 
bisher von keinem, der sich mit dieser Frage beschäftigt hat, ein physiolo¬ 
gischer Zusammenhang zwischen verkalkendem Dentin und verkalkendem 
Schmelz nachgewiesen wurde,* es ist auch nicht einmal der Versuch gemacht, 
diesen Nachweis zu führen. Denn der eben zitierte Satz v. Ebners „er- 
scheint die Annahme gerechtfertigt", daß nach Verlust der Schmelzzellen die 
Erhärtung des Schmelzes vom Dentin her erfolgt, enthält nicht die exakte 
Formulierung, die man von naturwissenschaftlicher Forschung verlangen 
kann, zumal für die erwähnte Erhärtung mühelos eine ganz andere Er* 
klärung gegeben werden kann, wie später gezeigt wird. — Bezüglich der 
Entwicklung des Schmelzes steht vielmehr folgendes fest: Schmelzorgan und 
dentinbildende Keimpapille sind Gebilde, die einer gänzlich verschiedenen 
Matrix entstammen, diese ist mesodermaler Abkunft, während der Schmelz 
ein Abkömmling des Ektoderms ist. Dieser Unterschied tritt bereits färbe¬ 
risch auf, was jedem Mikroskopiker hinlänglich bekannt ist. Während der 
ganzen Dauer seiner Entwicklung wird der Schmelz von der Schnielzpulpa 
her durch die Ameloblasten gebildet und daher auch ernährt,* die einzige 
Beziehung, die bisher zwischen verkalkendem Schmelz und verkalkendem Dentin 
beobachtet und beschrieben ist, das ist die Entstehung der kolbenförmigen 
Fortsätze, die Walk ho ff in seiner jüngsten Veröffentlichung mikrophoto¬ 
graphisch abbildet und ausführlich beschreibt: „Erst durch den bei der Ver¬ 
kalkung des Zahnscherbchens erzeugten Druck werden die Ameloblasten 
zur teilweisen Resorption des neugebildeten Dentins veranlaßt, bei der die 
zelligen Elemente jedoch einen gewissen Widerstand leisten und nun vom 
neugebildeten Schmelz umschlossen werden." Weitere biologische Beziehungen 
sind nicht bekannt/ der junge Schmelz erhält die Zufuhr seiner Nährstoffe 
von der Schmelzpulpa her, also aus zentripetaler Richtung, das Dentin wird 
durch die Keimpapille, also zentrifugal ernährt. An diesen beiden Tatsachen 
ist festzuhalten. Nach Abschluß der Schmelzbildung und -Verkalkung ist die 
physiologische Funktion des Schmelzorgans erloschen, es atrophiert, indem 
sich die äußeren und die inneren Schmelzzellen als Schmelzoberhäutchen auf 


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Die Ernährung und die physikalische Chemie des Schmelzes 


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den Schmelz auflegen. Sie sind also nicht mehr imstande, weiteres Schmelz« 
gewebe zu produzieren. Damit ist der Vitalismus vor eine Schwierigkeit ge« 
stellt, deren er sich bislang noch nicht bewußt wurde, wenn man nicht die 
vorhin angezogene Bemerkung v. Ebners als eine Erklärung dieser Schwie¬ 
rigkeit deuten will. Soll also der Schmelz ernährt werden, so müßte man 
sich folgerichtig vorstellen, daß von dem Zeitpunkt an, wo das schmelz¬ 
bildende Organ verödet, die Ernährungsbahn umgeschaltet wird, und zwar 
von zentripetaler in zentrifugale Richtung,- dieser Vorgang läßt sich zwar 
vorstellen, aber nicht erklären, oder man müßte eine Art Kollateralkreislauf 
konstruieren/ da sich aber die Anhänger der Ernährungslehre mit diesem 
grundlegenden Problem überhaupt noch nicht auseinandergesetzt haben, 
wollen wir ihnen getrost die Deutung überlassen/ solange aber eine logische 
Erklärung von der Gegenseite noch aussteht, müssen wir die Ernährungs¬ 
möglichkeit des ausgebildeten Schmelzes aus entwicklungsgeschichtlichen Grün¬ 
den ablehnen. 

Es war eben auf die histologischen Bilder aufmerksam gemacht, die als 
kolbenförmige Fortsätze vom Dentin in den Schmelz ziehen, ihre Entstehung 
ist entwicklungsgeschichtlich begründet. Aber es bestehen noch Zweifel über 
ihre Lage und über ihr Vorkommen. Sie linden sich am Zahnhals, wo sie 
annähernd parallel zu den Schmelzprismen verlaufen, hier liegen sie in ge¬ 
ringer Zahl/ dagegen beobachtet man sie dort am häufigsten, wo sich ein 
intensiver Kampf um den Raum bei der Verkalkung entwickelt hat, also an 
den Höckern der Prämolaren und Molaren, hier verlaufen sie nicht mehr 
parallel zu den Prismen, sondern im spitzen Winkel, und zwar sind sie 
wurzelwärts abgebogen/ an den Schneidezähnen finden sie sich in geringerer 
Zahl. Man hat sie nicht nur als Nervenendkörperchen, sondern auch als Er¬ 
nährungsbahnen angesehen, aber man hat diesen Gedanken nicht zu Ende 
gedacht. Sollen die Kolben die Ernährung vermitteln, dann müssen sie sich 
zunächst bei allen Zahngruppen mit annähernd gesetzmäßiger Gleichförmig¬ 
keit finden, sowohl ihrer Zahl wie ihrer Lage nach, dies ist aber, wie eben 
ausgeführt wurde, nicht der Fall. Am Zahnhals gehen sie in die Prismen 
über, an der Spitze sind sie abgeknickt, sie durchsetzen nicht den ganzen 
Schmelz, sondern sie endigen bereits kurz hinter der Schmelzdentingrenze, 
daher ist nicht ersichtlich, wie Nähr- und Stoffwechselprodukte auf diesem 
Wege bis an die Schmelzoberfläche Vordringen können. Und schließlich be¬ 
obachtet man, worauf Walkhoff aufmerksam gemacht hat, in unmittelbarer 
Nähe der Kolben sehr oft schlecht verkalkte Schmelzpartien/ würden die 
Kolben Ernährungsträger sein, so würden sie die Tendenz haben müssen, 
geschädigten Schmelz durch Kalkeinlagerung zu korrigieren! 

Ein ähnliches Schicksal trifft die Büschel und Lamellen im Schmelz, die 
nach der Boedekerschen Entkalkungsmethode schlecht verkalkte Prismen¬ 
bündel darstellen. Sie durchziehen den Schmelz auf Präparaten meistens 
nicht durchgängig, sie werden aber auch bis zur Oberfläche beobachtet. Vor 
allem finden sie sich weder regelmäßig an jeder Zahngruppe, noch bei den 
einzelnen Zähnen an allen Teilen des Schmelzes. Somit ist hier das gleiche 


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H. Türkhcim 


zu wiederholen wie bei den Kolben! Aber über die Büschel und Lamellen 
ist noch eine sehr wesentliche Beobachtung mitzuteilen. Man gewinnt ja die 
Schfiffpräparate des Schmelzes durch Schleifen des Zahnes auf meist maschi- 
nell betriebenen Karborundsteinen. Nach Fertigstellung wird das Präparat 
in heißem Kanadabalsam eingebettet. Durch diese Verrichtungen wird der 
sehr brüchige Schmelz oft ganz erheblich in Anspruch genommen. So haben 
wir besonders bei Qjuerschliffen gesehen, daß sich von den Büscheln aus» 
gehend Risse durch den ganzen Schmelz bis zur Oberfläche zogen, durch die 
dann Lamellen vorgetäuscht werden können. Die Lamellen an sich existieren 
selbstverständlich, wie durch die Zelloidinentkalkung nachgewiesen ist, es ist 
aber immerhin nach den eben beschriebenen Querschliflpräparaten nicht un¬ 
möglich, daß mikroskopisch nicht darstellbare präförmierte Schwächen im 
Schmelz durch die Technik des Schleifens erst bildhaft gemacht werden können. 
Damit soll auch nicht gesagt werden, daß die Lamellen in jedem Fall Kunst¬ 
produkte sind, wir hätten aber auf diese Weise zugleich auch eine Erklärung 
für die in vivo oft beobachteten Sprünge im Schmelz, die regelmäßig senk¬ 
recht vom Zahnhals zur Schneide verlaufen. Sie repräsentieren sich als schwach 
braungefärbte haardünne Striche, deren Entstehung durch eine präförmierte 
Schwäche im Schmelz gedeutet werden könnte. Steht ein solcher Sprung mit 
einer darunterliegenden inneren Hypoplasie in Verbindung, so wird Mund¬ 
flüssigkeit diese Hypoplasie diffundieren, es entsteht ein dunkler Fleck im 
Schmelz / diese Flecken wandern gelegentlich und verändern auch ihre Farbe, 
was sich durch Erschließung einer weiteren inneren Hypoplasie oder durch 
Zersetzung der diffundierten Mundflüssigkeit zwanglos erklären läßt. Man 
hat diese Erscheinung selbstverständlich auch für die Ernährung des Schmel¬ 
zes ausgenutzt, da sie uns aber noch an anderer Stelle dieser Betrachtungen 
beschäftigen wird, mögen diese Erklärungen hier genügen. 

An dritter Stelle ist die chemische Konstitution des Schmelzes als Gegen¬ 
argument gegen den Vitalismus heranzuziehen. Der Schmelz enthält etwa 
3 °/ 0 organische Substanz, die als Träger von Lebenserscheinungen angesehen 
werden kann. Denn es wäre ein naturwissenschaftliches Novum, hartem 
Kalk die Möglichkeit eines Stoffwechsels zuzusprechen. Diese organische Sub¬ 
stanz verteilt sich regellos über den ganzen Schmelz, sie findet sich in den 
Retziusstreifen, in den inneren Hypoplasien, in den Büscheln, Lamellen und 
Kolben, so daß sich das wiederholen ließe, was über diese Bildungen bereits 
mitgeteilt wurde. Und um es noch einmal auch an dieser Stelle zu wieder¬ 
holen: Wenn die eben beschriebenen Gebilde Träger von Lebensvorgängen 
sind, und wenn dem Organismus die Tendenz innewohnt, dem Locus minoris 
resistentiae Kalk zuzuführen, so dürften eben diese Gebilde bei alten Individuen 
nicht mehr vorhanden sein, sie müßten mit Kalk imprägniert sein und sich 
selber aufgehoben haben! Daß dies aber nicht der Fall ist, ist sehr leicht 
nachzuweisen! 

Ferner werden sehr oft und gern klinische Erfahrungen herangezogen, die 
aber bisher den Rahmen einfachster Empirie nicht überschritten/ bei Be¬ 
sprechung der einzelnen Autoren war bereits auf diesen Punkt hingewiesen. 


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Die Ernährung und die physikalische Chemie des Schmelzes 


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Die klinischen Erfahrungen bestehen darin, daß Schmelz „toter“ Zähne hin« 
fälliger sein soll als bei intakten Zähnen. Die Erklärung für diese — bisher 
unbewiesene — Behauptung war oben gegeben. Auch wird angeführt, daß 
die Karies in einem „toten" Zahn schnellere Fortschritte mache als in einem 
intakten. Da hierfür irgendwelche methodologische Unterlagen fehlen, er« 
scheint es müßig, sich mit dieser Hypothese weiter zu befassen/ eine Aus» 
einandersetzung mit diesem Problem müssen wir den Anhängern des Vita« 
lismus überlassen. 

Im Rahmen der klinischen Beobachtungen wird auch die sogenannte 
Schwanglrschaftskaries als Beweis für die Ernährung des Schmelzes heran« 
gezogen/ und zwar auf Grund des Gedankenganges: Man beobachtet wäh« 
rend der Gravidität eine erhöhte Kariesdisposition,• da der embryonale Or» 
ganismus sehr viel Kalk braucht, wird dieser Kalk der Mutter entzogen, und 
zwar den Knochen und den Zähnen. Diese physiologische Entkalkung geht 
über die Blutbahn, also aus dem Schmelz über das Dentin in die Pulpa und 
von da in den Kreislauf/ also wird hier Kalk abgebaut. Die klinische Be» 
obachtung deckt sich mit der im Volk ganz allgemein verbreiteten Ansicht: 
Jedes Kind kostet die Mutter einen Zahn. Vox populi, vox dei. Wir hatten 
gerade kürzlich in einer Diskussion über dieses Thema Gelegenheit die Ant¬ 
wort zu bekommen, daß an den im Volke umgehenden Ansichten immer 
etwas Wahres sei! Daß dem nicht so ist, zeigen u. a. die sogen. Dentitions¬ 
krankheiten und die Kropffrage. — Beim Heranziehen der sogen. Schwanger¬ 
schaftskaries für den Nachweis von Stoffwechselvorgängen im Schmelz han¬ 
delt es sich um einen groben Fehlschluß, wejl die Urteile, aus denen er ab¬ 
geleitet ist, falsch sind. Das erste Urteil lautet nämlich: Während der Gra¬ 
vidität besteht erhöhte Kariesdisposition. Der Arbeit von Gerson steht die 
— ihr anscheinend nicht bekannte — Arbeit von van den Bergh gegen¬ 
über, der 150 Schwangere und 150 Nulliparae untersucht hat und der ebenso 
wie Biro zu dem Ergebnis kommt, „daß Schwangerschaft nicht prädispo¬ 
nierend wirkt auf Karieszunahme''. Die tägliche klinische Beobachtung zeigt 
nämlich ebenso in sehr zahlreichen Fällen absolut keine Veränderung wäh¬ 
rend der Gravidität,- einen ganz besonders krassen Fall konnten wir gerade 
in allerjüngster Zeit beobachten, wo sich eine junge Frau im 8. Monat vor¬ 
stellte, die vor ihrer Heirat etwa 2—3 Jahre fast ununterbrochen in zahn¬ 
ärztlicher Behandlung war, und die jetzt trotz ihrer Schwangerschaft ein 
völlig einwandfreies Gebiß vorweisen konnte! Diese Frage mag in anderem 
Zusammenhang ausführlich behandelt werden, die „physiologische Entkal¬ 
kung“ während der Gravidität muß aber ganz entschieden abgelehnt wer¬ 
den. — Das zweite Urteil besagt: Die Kariesdisposition steht im umge¬ 
kehrten Verhältnis zum Kalkgehalt des Schmelzes. Diese Behauptung ist 
durch nichts bewiesen, wir wissen nichts über Zusammenhänge von Kalk¬ 
gehalt und Kariesdisposition, wenigstens nichts, was im Schmelz auf eine 
Abhängigkeit schließen könnte. Für das Dentin liegen bekanntlich Analysen 
von Black bei kariesimmunen und kariesdisponiblen Zähnen vor: „Der 
Vergleich des Kalkgehalts von Leuten, welche stark an Karies leiden, und 


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H. Türkheim 


von solchen, die dagegen immun sind, zeigt deutlich, daß hier überhaupt kein 
Unterschied besteht." Wenn auch nicht das Dentin, sondern der Schmelz für 
die Entstehung der Karies maßgebend ist, so lassen die Analysen doch den 
Analogieschluß zu, daß im Schmelz ähnliche Verhältnisse vorliegen müssen. 
Auf jeden Fall zeigt dieser kurze Hinweis, wie empirisch man bisher in der 
Kariesfrage vorgegangen ist. Also aus den beiden falschen Urteilen: wäh¬ 
rend der Schwangerschaft ist die Kariesdisposition erhöht, und die Karies 
ist bedingt durch Kalkmangel im Schmelz, wird der Fehlschluß gezogen: also 
findet ein Stoffwechsel — in diesem Falle Abbau — im Schmelze statt! Eine 
derartige Beweisführung ist als oberflächlich abzulehnen. Übrigens ist Abbau 
ohne Anbau nicht vorstellbar. 

Das was bisher über den Schmelzvitalismus mitgeteilt wurde, kann nicht 
gerade dazu beitragen, das Vertrauen in diese Lehre zu kräftigen. Daß sie 
zumeist als etwas verschwommener und durchaus nicht festumrissener Begriff 
über dem Strome zahnärztlicher Forschung schwebt, geht aus dem eben 
Gesagten zur Genüge hervor. Auch die Bedeutung des Problems steht fest. 
Es ist die vitale Frage der gesamten Zahnheilkunde. Um so größer ist die 
Notwendigkeit, das Gebäude zu stützen oder zu stürzen. Das erste ist nicht 
mehr möglich, weil die Grundlagen zu schwach oder gar falsch sind. .Die 
Lehre läßt sich nicht durch Empirie, sondern nur durch Methodik ad absur¬ 
dum führen. Wir wollen nach weisen, daß der Schmelz nicht ernährt wird, 
daß er nicht lebt, also daß er tot ist, ein Mittelding gibt es nicht, es ist nicht 
zu entscheiden, ob der Stoffwechsel mehr oder weniger gering ist, sondern 
ob überhaupt Lebensvorgänge im Schmelz nachzuweisen oder möglich sind. 
„Um das zu verstehen, müssen wir zunächst versuchen, das gemeinsam Unter¬ 
scheidende aufzufinden, durch das sich das Lebende gegen das Tote abgrenzen 
läßt, also Kriterien des Lebens zu finden" <Höber>. 

Das erste Kennzeichen des Lebens: „Das Leben ist durchweg an eine 
Substanz von bestimmter chemischer Beschaffenheit gebunden. Sie wird als 
Protoplasma bezeichnet." Über diesen Punkt haben wir uns bereits geäußert. 

Ein zweites Kriterium des Lebens ist die physikochemische Beschaffen¬ 
heit, charakterisiert durch den festflüssigen Aggregatzustand, dieser wieder ist 
bedingt durch den Gehalt an Kolloiden, die im Schmelz nicht vorhanden 
sind,- im Gegenteil, der Schmelz ist gerade das härteste, mineralreichste und 
wasserärmste Gebilde des ganzen Organismus, er erfüllt also in dieser Be¬ 
ziehung auch nicht die Anforderungen, die das „Leben" an ihn stellt. 

Das dritte Kennzeichen des Lebendigen ist unter den Begriffen: Fort¬ 
pflanzung, Wachstum und Entwicklung zusammenzufassen. Fortpflanzung 
scheidet aus, Wachstum und Entwicklung werden nur so lange beobachtet, 
als das Schmelzorgan funktioniert,- nachdem es sich als Schmelzoberhäutchen 
auf den fertig entwickelten Schmelz gelegt hat, sind Wachstum und Ent¬ 
wicklung ausgeschlossen, so daß auch diese Bedingung nicht erfüllt wird. 

Inwieweit der elementare Begriff der Beseeltheit dem physiologischen Ge¬ 
schehen unterzuordnen ist, das zu untersuchen, ist nicht Aufgabe dieser 
Zeilen/ Infusorien und Spirochäten sind beseelt, diese Frage aber in bezug 


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Die Ernährung und die physikalische Chemie des Schmelzes 


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auf den Schmelz zu prüfen, ist ebenso müßig wie zwecklos, da die Be» 
dingungen für andere Kennzeichen des Lebens im Schmelz nicht erfüllt sind. 

Das, was wir gerade für den Schmelz nachweisen, oder besser noch 
ablehnen wollen, ist vielleicht die wichtigste Eigenschaft der lebendigen Sub- 
stanz, das ist der Stoffwechsel. Jedes Lebewesen steht mit der Umwelt in 
ständigem Austausch, indem es Stoffe aufnimmt, die es zu seiner Entwick¬ 
lung verbraucht,- diesem Aufbau steht der Abbau gegenüber, der Körper 
gibt Ausscheidungen von sich. „Aber die Kontinuität der chemischen Re¬ 
aktionen genügt nicht zur Definition des Stoffwediselbegrilfs. Wenn die 
Kohlensäure der Luft ein Kalkgebirge in Jahrtausenden fortgesetzt zerfrißt, 
so ist das kein Stoffwechsel." Unter Stoffwechsel versteht man vielmehr 
neben dem ständigen An- und Abbau die Erhaltung der lebenden Substanz, 
sie verzehrt sich nicht selber, ihr Bestand bleibt erhalten, oder er vermehrt 
sich/ es finden chemische Umsetzungen statt, die wieder Wärme entwickeln, 
die Kette dieser Umsetzungen reißt während der ganzen Dauer des Lebens 
nicht ab, aus diesen Umsetzungen resultieren zum Teil wieder Reaktionen, 
die als Selbstregulation bezeichnet werden, und als solche ein wesentliches 
Kriterium des Lebens sind. Die Selbstregulation wie auch jede Reaktion 
fehlt dem Schmelz, wie man sich leicht an jedem Gebiß eines älteren Indi¬ 
viduums überzeugen kann: hier ist der Schmelz mehr oder weniger abge¬ 
schliffen, so daß bisweilen das Dentin freiliegt. Der Schmelz unterscheidet 
sich also in dieser Beziehung in nichts von einem Stein, der am Meeresufer 
durch die Brandung rundgeschliffen wird. Während man am Dentin eine 
Reizwirkung in Gestalt des Reizdentins sieht, verhält sich der Schmelz wie 
ein Stein. Über die Möglichkeiten von An- und Abbau ist in diesem Zu¬ 
sammenhänge bereits sehr viel mitgeteilt worden,- als wichtigste Erscheinung 
war uns aufgefallen, daß die Bahnen, auf denen Stoffwechselprodukte be¬ 
fördert werden könnten, im Schmelz überhaupt fehlen. Ohne Kapillaren, 
Lymphspalten und Protoplasma ist ein Stoffwechsel schlechterdings undenkbar/ 
dabei ist es natürlich nicht von Belang, ob dieser Stoffwechsel nun „dürftig" 
ist oder nicht/ aber nach der Überzeugung der Vitalisten besteht er. 

Man könnte nun auch den hier vorliegenden Untersuchungen leicht den 
Vorwurf der Oberflächlichkeit oder Einseitigkeit machen, und es wurde daher 
die zuletzt behandelte Frage einer sehr sorgfältigen Nachprüfung unter¬ 
zogen, da mit ihr die Vitalität des Schmelzes steht und fällt. Der bei diesen 
Untersuchungen leitende Gedarikengang war der, daß es möglich sein müßte, 
die Bahnen im Schmelz auch färberisch darzustellen, denn ebensogut wie Er¬ 
nährungsstoffe vom Dentin in den Schmelz intra vitam durchdringen — nach 
Ansicht der Vitalisten — ebensosehr müßten sich dann auch die Bahnen 
mit Farbstoff imprägnieren lassen. 

Es wurde daher eine größere Anzahl intakter Zähne und einige wenige 
kariöse mit verschiedenen Farblösungen behandelt, unter denen Argent. 
nitr., Methylenblau, Diamantfuchsin, ammoniakalische Silberlösung mit nach» 
heriger Reduktion in Formol am meisten benutzt wurden. Die Zähne lagen 
in diesen Lösungen bis zu drei Monaten, teils bei Zimmer-, teils bei Blut- 


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temperatur. Nach dieser Zeit wurden sie sagittal zerteilt, geschliffen, poliert, 
unter dem Binokularmikroskop betrachtet und mit dem gleichen Apparat 
<Zeiss> photographiert. Um die Durchgängigkeit des Schmelzgewebes zu 
prüfen, wurde ein Zahn im Methylenblau mit dem Kataphoreseapparat derart 
behandelt, daß im einen Fall der Schmelz, im andern das Dentin als Kathode 
wirkte. Da das Methylenblau mit dem Strom geht, sollte durch diese An- 
Ordnung versucht werden, den Farbstoff einmal direkt in den Schmelz zu 
treiben, das andere Mal den Schmelz vom Dentin her zu färben. Schließlich 
wurde noch der Tierversuch herangezogen/ Gottlieb hatte zuerst Hunde 
mit Alizarin behandelt — dem Elektivfarbstoff für Kalk — und hatte intra 
vitam den Schmelz gefärbt. Diese Versuche wurden bei weißen Mäusen mit 
immerwachsenden Schneidezähnen wiederholt. Die Ergebnisse der Färbe¬ 
versuche sind hier wiedergegeben, im Übrigen sei auf die Originalmitteilung 
verwiesen, die bereits an anderer Stelle erschienen ist. 

Als Ergebnis lassen sich die folgenden Beobachtungen zusammenstellen: 

1. Ammoniakaiische Silberlösung mit nachfolgender Reduktion in Formol 
färbt fast den ganzen Schmelz, allerdings durchaus nicht gleichmäßig und auch 
nicht so intensiv wie das Dentin, das tiefdunkelbraun, fast schwarz wird. 

2. Mit den andern Farblösungen gelingt es nicht, den Schmelz in toto zu färben. 

3. 10% Argentum nitr. färbt den Schmelz stellenweise, doch stets von der 
Oberfläche, nie vom Dentin her/ im Gegenteil, bei intensiver Färbung einer 
Schmelzpartie bis zur Dentingrenze wird das Dentin eine Strecke mitgefärbt. 

4. Diamantfuchsin dringt stellenweise eine kurze Strecke von der Ober¬ 
fläche ein, der Schmelz wird nie total gefärbt. An einzelnen Stellen gelingt 
auch die Färbung vom Zahnbein aus, gelegentlich wurde auf diese Weise 
ein Retziusstreifen angefärbt. 

5. Methylenblau färbt den Schmelz unregelmäßig diffus, mehr von der 
Oberfläche her als vom Dentin/ eine durchgängige Färbung wird auch hier 
nicht beobachtet. 

6. Die beiden kataphoretisch behandelten Zähne zeigen unregelmäßige 
Färbung: wo der Schmelz als Kathode diente, war von der Oberfläche her 
der Farbstoff etwa bis zu einem Drittel der ganzen Schmelzdicke einge¬ 
drungen, bei der Dentinkathode war der Schmelz an der Schmelzdentingrenze 
stellenweise angefärbt. 

7. Die Vitalfärbung mit Krapp (Alizarin) zeigte bei jungen Tieren und 
kurzer Darreichung des Farbstoffes nur eine Auflagerung auf dem Dentin, 
die sich abwischen lies/ bei den älteren Tieren, wo über drei Monate Alizarin 
subkutan und per os verabfolgt wurde, war das Dentin durchgängig rot ge¬ 
färbt, der Schmelz blieb braungelb. Besonders deutlich war die Erscheinung 
an den Molaren: hier schimmert das rote Dentin durch den glasklaren 
Schmelz hindurch. Durch diese Beobachtung wird Gottliebs Einwand hin¬ 
fällig, daß der Farbstoff evtl, durch die Speicheldrüsen ausgeschieden wer¬ 
den und so vielleicht der Schmelz zentripetal gefärbt werden könnte. 

Durch diese Untersuchungen ist also der Nachweis erbracht, daß keine i 
Farbstoffe vom Dentin in den Schmelz übergehen, weder in vitro noch intra I 


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Die Ernährung und die physikalische Chemie des Schmelzes 


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vitam! Man kann also mit Pickerill den Schluß ziehen: „Es besteht dem» 
nach zwischen Dentin und Schmelz keine Kommunikation, durch welche 
Flüssigkeiten, die Salze in gelöstem Zustand enthalten, aus letzterem in den 
ersteren gelangen könnten. Der zuerst gebildete Teil des Schmelzes ist undurch« 
gängig, während der zuletzt gebildete solche Flüssigkeiten durchtreten läßt." 

Nun läßt sich gegen den Gedankengang, der in den eben beschriebenen 
Untersuchungen seinen Ausdruck findet, ein nicht unerheblicher Einwand 
machen, nämlich die Frage nach dem Dispersitätsgrad der gefärbten Lösung, 
oder mit anderen Worten: liegt nicht diesen Experimenten insofern ein 
Fehler zugrunde, als doch ein Unterschied zwischen einer echten Lösung — 
Kalksalze in Körperflüssigkeit — und einem heterogenen System, einer kol= 
loiden Lösung, besteht? — Die genaue Abgrenzung der einzelnen Systeme 
ist rein empirisch, und bei den angewandten Farblösungen ließ sich der Dis¬ 
persitätsgrad nicht ermitteln. Dagegen ist Argent. nitr. eine echte Lösung, 
und hier zeigt sich besonders überzeugend, daß sich beide Substanzen, Den¬ 
tin und Schmelz färben lassen, daß aber der Farbstoff in den Schmelz nicht 
aus dem Dentin stammt, sondern von der freien Oberfläche her eingedrungen 
ist. Die kolloiden Farblösungen zeigen ein wesentlich anderes Verhalten, 
nämlich hier erweckt es den Anschein, als ob der Farbstoff an der Schmelz¬ 
oberfläche zurückgehalten würde, da in der Mehrzahl der beobachteten Fälle 
ein teilweiser Übergang vom Dentin in den Schmelz festgestellt wurde. Aus 
dieser Gegensätzlichkeit läßt sich ein außerordentlich wichtiger Schluß ziehen, 
es liegt nämlich die Vermutung nahe, daß das an der Schmelzoberfläche ge¬ 
legene Schmelzoberhäutchen die Rolle einer semipermeablen Membran 
<Pickerill) spielt! Das will sagen, das SOH läßt Kristalloide, also echte 
Lösungen durch, während Kolloide zurückgehalten werden! Warum eine 
echte Lösung — Argent. nitr. — nicht vom Dentin in den Schmelz übergeht, 
sondern warum der umgekehrte Fall beobachtet wurde, ist nicht ohne wei¬ 
teres zu beantworten. Ebensowenig läßt sich eine Antwort auf die Frage 
geben, warum die kolloide Farblösung in den Schmelz diffundiert/ vielleicht 
ist aber bereits mit dem Worte „diffundieren" die Antwort gegeben,- dieser 
Begriff sagt aus, daß zwei Körper ineinander übergehen, also in diesem 
Falle Übergang des Farbstoffes aus den Tomesschen Fortsätzen in die or¬ 
ganische Substanz des Schmelzes, übrigens ein Vorgang, der von „Leben" 
ebensoweit entfernt ist, wie die Brownsche Molekularbewegung oder die 
Liesegangschen Ringe! 

Damit sind wir in unseren Betrachtungen auf ein ganz anderes Gebiet 
hinübergeglitten, und während wir auf Grund systematischer theoretischer 
Überlegungen und praktischer Versuche dem Schmelzgewebe jegliche Mög¬ 
lichkeit von „Lebens"funktionen absprachen, ist nun sein physikalisch¬ 
chemisches Verhalten zu untersuchen, um so mehr, als auch gerade die kli¬ 
nische Beobachtung dieser Auffassung am nächsten kommt! Denn wenn wir 
Lebensvorgänge im Schmelz ablehnen, andererseits aber eine zeitliche Karies¬ 
disposition beobachten, so läßt sich diese schlechterdings nicht anders als aus 
den Beziehungen zwischen Speichel und Schmelz erklären! Auf diese Be- 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 4 32 


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H. Türkheitn 


Ziehungen ist bereits von verschiedenen Seiten hingewiesen worden/ es sei 
hier an die mannigfachen Untersuchungen über die Wasserstoffionenkonzen* 
tration des Speichels erinnert, es scheint aber nicht, als ob die Karies durch 
den sauren Speichel bedingt sei, sondern eher ist das Umgekehrte der Fall, 
was aber selbstverständlich noch zu beweisen wäre! Bekannt sind ferner die 
Experimente von Head und Pickerill, auf denen Andresen seine Re* 
mineralisationsversuche aufbaute. Besonders geistreich erscheint die Schluß* 
folgerung Pickerills, der sich mit dem Schmelzoberhäutchen als semiper* 
meabler Membran befaßt. Im Speichel ist neben Kalziumphosphat Muzin 
und Albumin vorhanden. „Nun wird das Kalziumphosphat bei Gegenwart 
von Kohlensäure im Speichel in Lösung gehalten, und diese sucht früher oder 
später zu entweichen. Bei frühzeitigem Entweichen werden die Phosphate 
gefällt und können daher nicht die Membran durchdringen/ bei nicht zu 
frühem Entweichen dringen die Phosphate in gelöstem Zustande durch, aber 
früher oder später muß die Kohlensäuse abgegeben werden, und die Phos¬ 
phate werden gefällt. Wenn nun, wie es wahrscheinlich geschieht, Spuren 
des ,Schmelzlösemittels 4 in den äußeren Schichten des Schmelzes Zurück¬ 
bleiben, muß dies in Form von Albumin, etwa Lymphe mit Kohlensäure 
sein/ allein letztere geht bald verloren, so daß die Flüssigkeit bloß aus 
Lymphe besteht. Die Phosphate werden demnach in einem eiweißhaltigen 
Medium gefällt werden und Kalkoglobulin bilden, das durch seine besondere 
Unzerstörbarkeit bekannt ist. In dieser Weise würden die winzig kleinen 
Zwischenräume im Schmelz durch eine höchst widerstandsfähige Substanz 
gefällt und geschützt werden. Der Grad, in dem dies erfolgt, hängt natürlich 
von der Beschaffenheit des Speichels ab." — Dieser Gedankengang ist durch¬ 
aus überzeugend, wenigstens hat er nichts Erzwungenes, und es ist nur be¬ 
dauerlich, daß die Untersucher, die sich Pickerill angeschlossen haben, nicht 
in dem Sinne weitergearbeitet haben/ denn während Koneffke sich in un¬ 
übersichtliche physiko-chemische Messungen des Speichels eingelassen hat, 
liegt der Fehler von Andresen darin, daß er die biologisch-pathologische 
Ursache der Karies rein mechanisch-therapeutisch zu beheben sucht. Wenn 
wirklich „der Speichel des Kulturmenschen die mineralisierende Fähigkeit 
bis zu einem gewissen Grade verloren hat", dann sollte doch danach ge¬ 
strebt werden, ihm diese Fähigkeit auf biologischem Wege wiederzugeben, 
statt den Schmelz mechanisch mit einem Pulver höchst komplizierter Zu¬ 
sammensetzung „remineralisieren" zu wollen. Ebenso unklar erscheint es auch, 
warum Andresen seine Remineralisationsversuche mit Elfenbein, statt mit 
Schmelz vorgenommen hat! Dadurch.können nicht unerhebliche Irrtümer ent¬ 
stehen, da der Schmelz weder chemisch noch histologisch mit dem Dentin 
identisch ist, außerdem ist für die Entstehung der Karies nicht das Dentin, 
sondern der Schmelz maßgebend! 

Erst durch Arbeiten aus allerjüngster Zeit bemüht man sich, das physi¬ 
kalisch-chemische Verhalten des Zahnes zu untersuchen, wobei die physi¬ 
kalische Seite im Vordergrund steht. Zuerst hat Hermann den Zahn als 
semipermeable Membran angesehen und daraufhin das Wurzeldentin ex- 


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Die Ernährung und die physikalische Chemie des Schmelzes 


499 


perimentell erforscht. Die Ergebnisse von Bauch witz sind als entschieden zu 
weitgehend allgemein abgelehnt. Adrion hat Diffusionsströme durch den 
Schmelz beobachtet, aber er ebenso wie Feibusch legen diesem Ergebnis kein 
besonderes Gewicht bei, da der Schmelz weder makroskopisch noch mikro- 
skopisch intakt ist, sondern Risse, Sprünge und sonstige Defekte hat, die be= 
reits intra vitam entstehen oder durch die Extraktion hervorgerufen werden. 
In richtiger Erkenntnis dieser Fehlerquelle wählt Radosevic zu seinen Ex* 
perimenten Rinderzähne, die er mit Meißel aus ihren Alveolen hebt,- aller¬ 
dings besteht auch hier die Möglichkeit, daß während des Lebens Sprünge 
im Schmelz auftreten, „und diese müssen bei osmotischen Untersuchungen 
auf jeden Fall vermieden werden. Ich experimentierte demnach hauptsächlich 
mit Rinderzähnen, und vom Menschen benutze ich nur solche Zähne, die 
ganz lose im Kiefer sitzen." Aber weder die so gewonnenen Rinderzähne 
noch die lose sitzenden Menschenzähne schließen die Fehlerquelle aus, die 
ja gerade vermieden werden soll. Ebenso wie seine Vorgänger beobachtet 
auch er osmotische Erscheinungen durch den Schmelz/ der Schluß, daß ganz 
intakter Schmelz durchlässig ist, erscheint nach dem eben beschriebenen Ma¬ 
terial sehr anfechtbar, und wir erweisen Radosevic gewiß keinen guten 
Dienst, wenn wir seine eigenen Ergebnisse gegen ihn auslegen. Er schreibt 
nämlich: „Es ist klar, daß man auf der Grundlage dieser Versuche, welche 
einwandfrei die osmotischen Erscheinungen und somit einen gewissen Stoff¬ 
wechsel auch im Schmelze der Zähne beweisen . . ." Einmal ist bereits eben 
gegen das bei den Versuchen verwendete Material der Ein wand erhoben, 
daß der so verwendete Schmelz unmöglich intakt sein kann, und dann ist 
die Folgerung kühn, wenn nicht gar falsch, daß osmotische Erscheinungen 
identisch mit Stoffwechsel sind? Also auch aus diesen Untersuchungen geht 
nichts hervor, was einen Stoffwechsel im Schmelz rechtfertigen könnte. Daß 
vom Dentin Lösungen in den Schmelz diffundieren können, wird ja durch¬ 
aus nicht bestritten, wir hatten ja bereits bei den Färbeversuchen auf diese 
Möglichkeit hingewiesen. Aber diese Vorgänge sind doch noch lange nicht mit 
Stoffwechsel, Ernährung oder anderen „Lebens"vorgängen zu identifizieren! 

So haben uns auch diese Untersuchungen nicht über das physikalisch¬ 
chemische Verhalten des Schmelzes zu seiner Umgebung gefördert, und wir 
müssen gestehen, daß hier völliges Neuland vorliegt. Zwar ist der Speichel 
als solcher nach allen Richtungen hin untersucht, und wir schließen uns völlig 
Kantorowicz an, der die Methoden der Forschung beanstandet, nach denen 
der Speichel auf der einen Seite „getadelt" wird, weil er das Entstehen 
der Karies begünstigt, andererseits wird „lobend" hervorgehoben, daß er 
hemmend wirkt! — Die direkten Beziehungen zwischen Speichel und Schmelz 
sind noch nicht untersucht, und es ist selbstverständlich unsere Erkenntnis 
nicht gefördert, wenn wir sagen, die Kariesdisposition sei durch einen ver¬ 
änderten Gleichgewichtszustand zwischen Speichel und Schmelz bedingt. Dies 
Wort stellt sich noch immer zur rechten Zeit ein, sofern es uns gelungen 
ist, überzeugend den klaren Begriff der physikalischen Chemie des Schmelzes 
gegenüber den unbeweisbaren vitalistischen Hypothesen festzulegen. 

32 * 


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UNIVERSALER FIXATIONSAPPARAT FÜR LOSE 

ZAHNE 

VON 

ZAHNARZT ERNST HADERUP, KOPENHAGEN 

E s hat mir stets erschienen, daß von allen Zahnleiden jenes das ent* 
mutigendste war, seine guten und gesunden Zähne durch Losewerden zu 
verlieren. Bei sonstigen Zahnleiden ist eine verhältnismäßig gute Linderung 
und Abhilfe zu linden, wogegen das Losewerden der Zähne bis zu den 
letzten Jahren fast wie ein böses Schicksal betrachtet wurde, welches sogar 
denjenigen betreffen konnte, der sein ganzes Leben alles nur mögliche zur 
Erhaltung seiner Kauwerkzeuge getan hatte. Durch die jetzt bekannten 
Operationsmethoden sind in der Therapie große Fortschritte erreicht worden, 
wogegen in Betreff der Erhaltung des Resultats mittels einer wirklich zuver* 
lässigen Befestigung keine entsprechenden Erfolge zu verzeichnen sind, 
indem die bisher benutzten Fixationsapparate wesentlich nur für Vorder» 
zähne geeignet waren, und dann nur noch, wo diese wenig luxiert waren. 
Meine Bestrebungen sind darauf hingegangen, einen Fixationsapparat her¬ 
zustellen, welcher eine universelle Verwendung findet, d. h. welcher 
sowohl für die Vorderzähne als die Backenzähne geeignet ist und keine 
Parallelität der Zähne erfordert, und welcher vollkommen zuverlässig 
sowie ergänzbar ist. 

Bevor ich zur Beschreibung dieses Apparates übergehe, möchte ich eine 
kurze geschichtliche Entwicklung vorführen, u. a. um die Mängel festzu¬ 
stellen, welche ich an den bisher gewöhnlichen Methoden gefunden habe. 

Der älteste gekannte Apparat, dessen Benutzung sich bis ganz in das 
Altertum erstreckt, und welcher noch an Schädeln in den archäologischen 
Museen zu sehen ist <z. B. Papa Giulio in Rom), trägt in der Gegenwart 
den Namen Bryans. Er besteht aus einer Kette von zusammengelöteten 
schmalen Ringen <Fig. 1). Wilhelm Herbst verbesserte diesen Apparat 
dadurch, daß er die Ringe etwas höher machte als Bryan, auch noch etwas 
weiter als notwendig für die Zähne, und aus einem verhältnismäßig weichen 
Platingold. Sie wurden dann in eine faziale, eventuell auch in eine orale 
Falte gelegt und diese flach zugedrückt, nachdem der Apparat lose um die 
Zähne gesetzt war <Fig. 2). Da die Ringe sich wegen der Weichheit des 


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Universaler Fixationsapparat für lose Zähne 


501 


Materials in verhältnismäßig kräftiger Ausführung verwenden ließen, war 
der Apparat recht stabil, und das Ausfüllen der Unebenheiten überließ 
Herbst dem Zahnstein. Der Apparat war nur für Vorderzähne geeignet. 
Dem Qbelstand, daß diese recht breiten Ringe nebst Belegungen das Zahn* 
fleisch reizte, versuchte Burchard durch Verwendung schmaler Ringe ab* 
zuhelfen, welche dicht an den Schneiderändern angebracht waren <Fig. 3>. 
Dieser Apparat ließ sich sehr genau ausführen, war aber zufolge der Schmal* 


Fig. 1-4 



3ryan. Herbst. Burchard diese h. 


heit und Dünnheit der Ringe wenig haftbar. Den Re sh sehen Apparat, 
weither aus einer fortlaufenden Fazial» und einer do. Oralschiene bestand, 
die mit Nieten durch die Zahnzwjschenräume zusammengehalten waren, 
nenne ich nur als den ersten Versuch auf die Herstellung eines von der Rieh» 
tung der Zähne, d. h. Mangel an Parallelität, unabhängigen Fixationsappa» 
rates. In dieser Verbindung darf der Sachs»Casesche Fixationsapparat 
erwähnt werden, welcher eigentlich nur der Casesche Retentionsapparat für 
regulierte Vorderzähne im Untermund ist und erst von Sachs als Fixations» 
apparat für lose Zähne verwendet wurde <Fig. 5>. Bisweilen ist er durch 
Anbringung eines ganzen Rings um die Eckzähne oder eines Stifts in ihrer 
Wurzel verstärkt worden. 


Fig.5 



(Sachs - C<zse. 


Die ganze Gruppe der erwähnten Fixationsapparate ist, wie man sieht, 
wesentlich auf der ursprünglichen Methode basiert: Anbringung einer fort» 
laufenden Kette von Ringen um die zu fixierenden Zähne. Diese Apparate 
hatten indessen alle den gemeinsamen Fehler, daß ein einzelner der ein» 
gefaßten Zähne sich leicht von seinem Ring lockerte, und zwar namentlich 
die sehr losen Zähne, welche im Laufe der Zeit ihre Befestigung im Kiefer 
ganz verloren, weil der Schneiderand gegen den Biß nicht geschützt war. 
Schon im Sachs»Caseschen Apparat, ergänzt durch eine Stiftbefestigung 
an der Wurzel, sehen wir den Anfang einer solideren Fixation, und im 
Thierschsdien Apparat <Fig. 6> ist durch kräftiges Abschleifen der Appro» 


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502 


Ernst Haderup 


ximalflächen und Schneideränder, sowie durch Auf bohren des Wurzelkanals 
eine viel kräftigere Fixation geschaffen worden, was auch bei der Car» 
michaelkrone als Fixationsapparat für lose Zähne der Fall ist- 

Bei dieser möglichst großen Stabilität der Einzelteile des Fixationsapparates 
würde man indessen bei Entfernung des ganzen Apparates großen Schwierig¬ 
keiten gegenübergestellt, falls ein einzelner Zahn — trotz der soliden Be» 


Fig. 6 



Cahier sch. Ca rmicharel . 


festigung — sich vom Apparat lockerte, oder es aus andern Gründen, wie 
Karies usw. notwendig wurde, ihn zu entfernen. Zufolge dieses und der 
technischen Schwierigkeiten <es war vor der Gußtechnik) zogen die meisten 
vor, einen Apparat mit etwas weniger komplizierten Einzelteilen zu ver» 
wenden, und hierdurch wurde dem Mamlok-Rheinschen Apparat der Weg 
gebahnt <Fig. 7>. Dieser Apparat besteht aus einer fortlaufenden Reihe von 
Lingualplatten mit Stiften in den Wurzelkanälen und ist der bisher am 
meisten benutzte Fixationsapparat. Ein Vorteil der weniger komplizierten 
Einlage war, daß der Apparat sich besser verwenden ließ, auch wenn die 
Wurzelkanäle sich nicht ganz parallel aufbohren ließen. 

Wie alle festen Brücken hat dieser Apparat jedoch den Fehler, daß er 
beim Erkranken eines einzelnen der in die Brücke eingezogenen Zähne leicht 


Fig. 7 



JMamlok Jfcheirz. 

gänzlich zerstört wird. Ich empfahl daher 1911 den Versuch, das Problem 
dadurch zu lösen, den Apparat teilweise abnehmbar herzustellen, und zwar 
dergestalt, daß in den festesten der verbundenen Zähne doppelte Einlagen 
mit Röhrchen und Stift, und in den losen Zähnen Einlagen mit Stift, in 
Evans Guttaperchazement einzementiert, angebracht wurden, indem die 
Einlagen die Schneideränder deckten <Fig. 8>. Die Erreichung dauernder 
Erfolge scheiterte indessen an der geringen Haltbarkeit des Guttapercha¬ 
zements auf die Dauer, und spätere Versuche mit einem ganz abnehmbaren 


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Universaler Fixationsapparat für lose Zähne 


503 


Pixationsapparat mit Röhrchen und Stiften in allen Zähnen schienen mir 
nicht befriedigend. Er gewährte den losen Zähnen nicht die so sehr benötigte 
Ruhe und ließ sich jedenfalls nur da verwenden, wo vollkommene Parallelität 
erreichbar war. 

1917 erschien der Elandersche Apparat <Fig. 9). Derselbe ist besonders 
gut durchdacht und in geeigneten Fällen vorzüglich zur Fixierung von Vor* 
derzähnen. Vielen Apparaten gegenüber besitzt er den großen Vorzug, daß 


Fig. 8 



_7fa de r u p, 7977. 


er die Pulpa schont und leichter zu entfernen ist als Apparate mit Stiften 
oder besonderen Versenkungen. Aber er wird leicht zerstört, falls man ihn 
aus irgend einem Grund entfernen muß, und erfordert eine verhältnismäßig 
genaue Parallelität der Zähne. Er besteht aus zusammengelöteten Kappen, 
und der besondere Schliff ist aus der Abbildung ersichtlich. Außerdem zeigt 
letztere den Schliff eines Prämolars zum Elanderschen Fixationsapparat für 
Kauzähne, welcher aus zusammengelöteten Einzelteilen besteht, die am 
besten mit Klauen zu vergleichen sind, welche um die verbundenen Zähne 


Fig. 9 



El ander 79/7. 


greifen, woran er festzementiert wird. Hierdurch kommen aber die erwähnten 
Übelstände in noch erhöhtem Grad zum Vorschein. 

Der von Willi Wolff in 1920 aufgegebene Apparat <Fig. 10> hebt die 
Notwendigkeit der Parallelität auf. Er besteht aus einer fortlaufenden Reihe 
von Lingualplatten, welche wie eine Schiene verbunden sind, die an den 
Zähnen mittels gelöteter Schrauben befestigt wird, welche jeden einzelnen 
Zahn in sagittaler Richtung oberhalb der Pulpa durchbohren. Eine kleine, 
kegelförmige Schraubenmutter an dieser Schraube (oder vielmehr Pinne mit 
Gewinde) ist in die Facialfläche des Zahns versenkt und die Außenfläche 


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504 


Ernst Haderup 


derselben nadi der Festzementierung glatt abgesdiliffen. Der Apparat ist 
redit stabil und bietet den Vorteil, daß die Pulpa geschont wird/ dafür aber 
wird er nicht kräftig genug und läßt sich unmöglich ohne große Beschädigung 
entfernen. 

Ich komme jetzt zur Beschreibung meines eigenen Apparates <Fig. 11), mit 
welchem ich seit 1916 arbeite. Er ist eine Schraubbrücke, deren Prinzip ist r 
den losen Zahn gegen eine Schiene zu ziehen, welche von den Stützzädbnen 
festgehalten wird. 

Während man bei allen bisher verwendeten Systemen <mit Ausnahme der 
abnehmbaren Röhrenstiftbrücke) genötigt war, sämtliche Zähne in die Fixie¬ 
rung einzuziehen, von denen befürchtet werden könnte, daß sie sich früher 
oder später lockern würden, weil eine Ergänzung oder Erweiterung der 
Brücke gewöhnlich eine Zerstörung des bisherigen Apparates, und teilweise 
der Zähne, mit sich führen würde, kann man bei diesem System mit der 
Fixierung eines einzelnen losen Zahns an zwei festere Nachbarzähne an¬ 
fangen, indem der Apparat sich stets ergänzen läßt, ohne daß der 

Fi*. 10 


Willi Wolf/ 1920 . 

bisherige Apparat oder die davon berührten Zähne den geringsten Schaden 
erleiden. Er gewährt eine vollkommen solide Befestigung der losen 
Zähne und läßt sich ebenso gut an Backenzähnen wie an Vorder* 
zähnen verwenden. Er erfordert keine Parallelität. In gewissen 
Fällen kann er ohne Devitalisierung der Pulpa benutzt werden <Fig. lld> 
und ist in allen Fällen in Verbindung mit Pulpa-Amputation verwendbar. 

Das Wichtigste an der Konstruktion einer jeden Brüdce, und nicht zum 
wenigsten hier, wo es sich um bereits geschwächte Zähne handelt, aber 
nichtsdestoweniger eine Forderung, gegen welche vielfach verstoßen wird, 
ist die Rücksichtnahme auf die Artikulationsbewegungen. 

Beiläufig möchte ich bemerken, daß die festen Brückenprothesen kaum so 
sehr in Mißkredit geraten wären, falls diese Forderung stets erfüllt worden sei. 

Bei gebührender Rücksichtnahme auf die genannte Forderung wird ein 
kräftiges Abschleifen oft notwendig sein, und hier — bei meinem Fixations¬ 
apparat — ferner wegen Raumersparnis, und um die Schiene genügend solid 
zu machen. 

In dem einzelnen Zahn besteht der Apparat aus folgenden Teilen: eine 
Doppeleinlage, von welcher die inwendige bzw. in der Lingual- und Kau- 




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Universaler Fixationsapparat für lose Zähne 


505 


fläche versenkt ist, und bzw. Schneiderand und Kaufläche ganz bedeckt, — 
und eine Röhrchenschraube <Fig. 11 a), die ich bei der Firma Arnold Biber 
<Pforzheim, Baden) habe anfertigen lassen, welche sie die „Haderupschraube" 
benennt. Die „Haderupschraube“ besteht aus drei Teilen: 1. ein am Boden 
geschlossenes Rohr mit inwendigem Schraubgewinde, 2. eine Schraube mit 
flachem, kegelförmigem Kopf und 3. ein den Schraubenkopf genau um* 
schließender, ebenfalls fladi=konischer Ring. Das Gewinde ist sehr niedrig, 
wodurch man erreicht, daß die Schraube kurz sein kann, ohne sich zu lockern. 
Der äußere Durchmesser des Rohrs ist in der Regel von 2—2,25 mm. Das 
Material ist Gold von 18 Karaten. 


Fig. 11 



d e 

JCaderup, 1922. 


Bei der Behandlung von Vorderzähnen ist besonders darauf zu achten, 
daß der Kanal zur Aufnahme des Rohrs nicht in der Richtung der Achse, 
sondern sich etwas nach innen neigend angebracht wird, so daß die Ober» 
fläche des Schraubenkopfes in die gleiche Ebene kommt wie die Lingual» 
fläche des Zahns. 

Die Herstellung geht in großen Zügen vor sich wie folgt: Nachdem der 
Zahn abgeschliffen und passend gehöhlt und der Kanal zur Aufnahme des 
Rohrs ausgebohrt worden ist, wird die innere Einlage — ganz dünn — in 
Wadis geformt, und das geheizte Rohr wird durch die Wachseinlage ge» 
steckt, so daß selbige am Rohr festschmilzt. Die Einlage wird mit Gold 
direkt auf das Rohr gegossen, und die Verbindung wird durch Löten ge» 
dichtet und befestigt. Biß wird genommen. Die Schraube wird an einem 
Modell geprüft, so daß sie gerade zur Artikulation paßt. Die Schraube wird 
herausgenommen, und die äußere Einlage wird am Modell in Wachs ge* 


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506 


Ernst Haderup: Universaler Fixationsapparat für lose Zähne 


formt. Nun wird die Schraube, mit dem Ring darauf, durch die Wachsein- 
läge gesteckt und eingeschraubt, während der Ring in die Wachseinlage fest- 
geschmolzen wird. Darauf wird die äußere Einlage mit dem Ring in Gold 
von 18 Karaten zusammengegossen, während die Verbindung zwischen 
Ring und Einlage mit ein wenig Schlaglot gestärkt wird. 

Die Herstellung ergibt sich indessen von selbst. Nur möchte ich die Be¬ 
deutung des kleinen konischen Rings hervorheben. Bevor ich auf diesen Ge¬ 
danken kam, benutzte ich gewöhnliche Rohrschrauben <Fig. 11 b), hatte aber 
große Schwierigkeiten mit dem genauen Guß der äußeren Einlagen, welche 
zusammen die Schiene bilden, so daß die Schraubenköpfe ganz genau 
darin paßten. Wie erwähnt, werden die Ringe jetzt in die äußere Ein¬ 
lage mit hineingegossen, wodurch die Sache ganz einfach wird. 

Man ersieht leicht, daß dieses System viele Kombinationsmöglichkeiten 
eröffnet/ die Schiene läßt sich nach Belieben verlängern, und es lassen sich 
an selbige künstliche Zähne löten, so daß der Apparat zu einer eigentlichen 
Brücke wird. Vor allem wird er aber seinen Wert als Fixation für lose 
Zähne wahr machen, und bei einer Wiederholung der von mir am Anfang 
dieses Vortrags gestellten Ansprüche an einen Fixationsapparat wird man 
beurteilen können, in wie hohem Grad es mir gelungen ist, diesen Ansprüchen 
gerecht zu werden. — 


Goöglc 


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BEITRAG ZUR FRAGE ÜBER DIE BEHANDLUNG 
DER ALVEOLARPyORRHOE 

VON 

RAGNAR BROBERG 1 

PRAKT. ZAHNARZT IN ÖREBRO, SCHWEDEN 

S eit dem Beginne meiner Praxis vor zehn Jahren habe ich der Behandlung 
der sogenannten Alveolarpyorrhoe als einer der wichtigsten Aufgaben, 
die an den praktischen Zahnarzt herantreten, meine besondere Aufmerksam* 
keit gewidmet. Greift doch diese Krankheit in den meisten Fällen ganze 
Reihen gesunder Zähne an, die oft erst nach dem Ausbruche der Alveolar¬ 
pyorrhoe zum ersten Male mit dem Exkavator in Berührung kommen. Sie 
kommt außerdem in unserer Praxis so oft vor, daß es gilt, unsere ganze 
Energie auf ihre Behandlung und — vollkommene Ausheilung zu richten, 
um dadurch den Patienten vor der sonst unumgänglichen Notwendigkeit einer 
Prothese zu bewahren. Man sieht ja täglich ganze Reihen oft kariesfreier 
Zähne von einem Weisheitszahn bis zum anderen gelockert und mit unter 
Eiterabsonderung angeschwollenem Zahnfleisch, man sieht es an alt und 
jung, es scheint kaum eine Bevorzugung einer gewissen Altersstufe zu be¬ 
stehen. — Wir brauchen eine Behandlungsmethode, die dem Weiterschreiten 
einer Alveolarpyorrhoe sicher Einhalt gebietet, und eventuell ein vorbeu¬ 
gendes Mittel. Ersteres ist erreicht, letzteres zu entdecken bleibt der Zu¬ 
kunft Vorbehalten! 

Tritt die Alveolarpyorrhoe einmal auf, so müssen wir ein therapeutisches 
Mittel besitzen, um sie vom Grunde aus, ohne mit einem früheren oder 
späteren Rückfall rechnen zu müssen, aus dem Munde zu entfernen. Leider 
liegt zum großen Teil, oder, nach einer gelungenen Behandlung, ganz und 
gar das weitere Geschick des Mundes in der Hand des Patienten/ vernach¬ 
lässigt dieser seine Mundpflege, so ist jede Behandlung vollständig erfolglos. 
Nur allzuoft hat man es mit mangelhafter Mundpflege zu tun, und nach we¬ 
nigen Jahren ist die ganze auf den Fall aufgewandte Mühe verloren. Wenn 
auch die Verantwortung den Patienten selbst trifft, so wirkt es doch ent¬ 
mutigend auf den Arzt, einen solchen Patienten wiederzusehen. 

1 Die Röntgenaufnahmen und sonstigen Lichtbilder stammen vom Verfasser und vom 
Kollegen K. Freudenthal, örebro. 


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508 


Ragnar Broberg 


Der Grund, für diese mangelhafte Mundpflege ist oft darin zu suchen, daß 
der Patient früher vollkommen gesunde Zähne hatte und daher nach seiner 
Ansicht nicht so großes Gewicht auf eine rationellere Mundpflege legen zu 
müssen glaubt, oft auch darin, daß in gewissen Fällen durch die Behandlung 
selbst die Reinhaltung des Mundes bedeutend erschwert wurde. „Ich will 
sogar behaupten, daß die Schwierigkeit, einen Patienten zu einer 
wirklich effektiven Reinhaltung des Mundes zu bringen, ebenso 
schwer wiegt wie die der Operation. Es kann nicht genug darauf 
hingewiesen werden, welche ausschlaggebende Rolle die Mund» 
hygiene für die Behandlung der Alveolarpyorrhoe spielt.“ 

Ich habe in meiner Praxis eine große Reihe von Behandlungsmethoden, an 
denen die Literatur reich ist, versucht, aber alle, bis auf eine, haben versagt 
und konnten ein Rezidiv, ein Weitergehen der Knochenresorption usw. nicht 
verhindern. Ich habe, um einige der medikamentalen Behandlungsmethoden 
zu nennen, das Einführen von Ätherschwefelsäure, Milchsäure, Fluorwasser* 
stoffsäure, ja fast aller während der letzten Jahre in der Literatur empfoh- 
lenen Medikamente versucht. Eine vorübergehende Besserung, die den 
Schein einer vollständigen Heilung erweckte, aber mit sicherem Rückfall, war 
der Erfolg aller dieser Bemühungen, die oft sehr anstrengend und zeit¬ 
raubend und daher auch wenig einbringend waren. Um noch andere Me¬ 
thoden zu nennen, habe ich teils selbst die Behandlung mit hochfrequenten 
Strömen, die das pathologische Granülationsgewebe zerstören sollen, ver¬ 
sucht, teils die Erfahrungen meiner Kollegen eingeholt/ trotz vieler Versuche 
auch hier Rückfälle. Dasselbe gilt über die Versuche, das krankhafte Gewebe 
mit Hilfe von Kauter fortzubrennen. Nachdem ich aber eine partielle Auf¬ 
klappung von Gingiva und Periost mit teilweisem Freilegen des Krankheits¬ 
herdes und Wegkratzen des pathologischen Gewebes versucht hatte, glaubte 
ich einen Schritt auf dem rechten Wege getan zu haben. Es glückte mir in 
einigen Fällen, Rezidive zu vermeiden, besonders in solchen Fällen, wo die 
Atrophie nicht zu weit vorgeschritten war und sich keine vertikalen Taschen 
gebildet hatten, sondern, nach Dr. Weskis Terminologie, eine horizontale 
Atrophie vorlag. 

Als ich später einen eigenen Röntgenapparat erhielt und dadurch in die 
Lage versetzt wurde,, die verschiedenen Verhältnisse eingehender zu stu¬ 
dieren, wurde es mir bald klar, warum ich mit den schweren vertikalen Atro¬ 
phien kein Glück hatte. Zur selben Zeit besuchte ich auch einen Kurs bei 
Prof. Neumann und Dr. Weski, und dieser Kurs hat den äußerst wert¬ 
vollen Grund für meine weiteren Arbeiten in dieser Richtung gelegt. — 
Wenn man an einem Patienten nach Neumann die breite radikale Frei¬ 
legung wenn nötig bis zu den Wurzelspitzen gemacht und aus den Taschen 
und Buchten das krankhafte Gewebe ausgekratzt hat, so fragt man sich un¬ 
willkürlich: „Wie kann man glauben, daß das vom Gingivarand aus auf 
medikamentalem Wege ausgeheilt werden kann? Wie kann man hoffen, in 
alle diese Knochenhöhlen und keilförmigen Hohlräume Medikamente ein¬ 
führen zu können, die das pathologische Gewebe zerstören?“ Nach meiner 


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Beitrag zur Frage über die Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


509 


Ansicht vollkommen unmöglich! Denn das kranke Gewebe muß ganz ent¬ 
fernt werden, um eine vollständige Heilung zu erzielen, das unterliegt wohl 
keinem Zweifel. Versucht man in vertikale Knochentaschen mit der feinsten 
Guttaperchaspitze einzudringen, so kann man sich mit einer Röntgenaufnahme 
leicht davon überzeugen, wieweit man im besten Falle kommen kann. So¬ 
weit, aber auch nicht weiter, kommt das Medikament. Ich will nur auf die 
beistehenden Figuren hinweisen, die ein sprechender Beweis für meine Ansicht 
sind. Auf dem äußeren Wege zwischen Zahn und Gingiva mittels Medika¬ 
mente oder Kauter u. dgl. eine vollständige Vernichtung des pathologischen 
Granulationsgewebes bei diesen schweren Formen von Atrophie zu erreichen, 
ist nach meiner Ansicht und sicher auch nach der Ansicht aller jener, die sich mit 
der radikalen chirurgischen Methode beschäftigt haben, vollständig undenkbar. 

Die einzige Möglichkeit in solchen Fällen ist eine breite Aufklappung mit 
vollständigem Freilegen des Granulationsgewebes und der Knochenpartien 
sowohl an der Vorder- als auch an der Rückseite und zwar, was besonders 
die Vorderseite betrifft, eventuell bis zu den Wurzelspitzen. Seit längerer 
Zeit benütze ich bei allen vertikalen und schweren horizontalen Atrophien 
diese radikalchirurgische Methode Neumanns, und sie hat mir bis jetzt das 
gehalten, was sie während des Kurses bei Prof. Neumann zu geben ver¬ 
sprach, handle es sich nun um eine Atrophie mit oder ohne Gingivitis ulce¬ 
rosa interna. In mehreren Fällen mußte ich nach Prof. Neumanns Methode 
Fixationsschienen anlegen, und ich habe in Übereinstimmung mit ihm und im 
Gegensatz zu Dr. Widman <Stockholm> gefunden, daß es vorteilhafter ist, 
diese vor der Operation anzufertigen und festzuzementieren. Ich habe beim 
Festzementieren vor der Operation von den angeblichen Unannehmlichkeiten: 
daß sie die Bewegungsfreiheit vermindere, den Einblick in das Arbeitsfeld 
erschwere usw., nichts verspürt/ im Gegenteil fand ich bei diesem Verfahren 
einen großen Vorteil darin, daß dadurch die zu operierenden Zähne stabi¬ 
lisiert werden, wodurch man sich nicht der Gefahr aussetzt, daß, besonders 
bei weitgehender Atrophie, der kleine Halt, den der Zahn noch im Knochen 
hat, durch ‘eine Klemmung mit einem Instrument u. dgl. beschädigt werde. 
Durch die festzementierte Fixationsbrücke wird der Zahn so stark gestützt, 
daß eine solche Klemmung keine Bedeutung hat. Wie Kollege östman 
behaupte auch ich, daß, je fester der Zahn in seiner Alveole sitzt, d. h. je 
weniger er einem Hin- und Herwackeln beim Essen, bei den Bewegungen 
der Zunge, ja sogar beim Sprechen ausgesetzt ist, der Heilungsprozeß, der 
dadurch mehr ungestört verläuft, um so schneller beendet wird. Ich habe sogar in 
solchen Fällen, in denen ich eine Fixationsschiene nicht für notwendig er¬ 
achtete, wenn ich an den Zähnen ein geringfügiges Wackeln bemerkte, diese 
mit einer Seidenligatur fixiert, die außerdem dem Patienten zu großem 
Nutzen gereichte, da sie teilweise die Unannehmlichkeiten der Periodontitis 
ausschaltet, die ja immer einige Tage nach der Operation folgt und die Kau¬ 
fähigkeit des Patienten sehr herabsetzt. 

Ich habe in meiner Privatpraxis bis heute eine große Anzahl solcher Ope¬ 
rationen ausgeführt und bis jetzt nur Freude an meinen Fällen gehabt/ ich 


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510 


Ragnar Broberg 


habe oftmals meinem Kollegen Freudenthal bei solchen Operationen assi¬ 
stiert und weiß,- daß auch er mit seinen Erfolgen 2 ufrieden war. Oft sind 
Patienten zu uns geschickt worden von Kollegen, die auf medikamentösem 
oder ähnlichem Wege eine Heilung vergeblich versucht hatten. Leider allzu 
oft sind diese und andere Patienten in einem sehr weit vorgeschrittenen, ge¬ 
radezu verzweifelten Stadium in unsere Radikalbehandlung gekommen. 

Ich will besonders bemerken, daß, wenn irgendwo, so gerade bei diesen 
Operationen die feinste und ins kleinste gehende Arbeitsweise erforderlich 
ist, denn eine solche Operation ist geradezu eine Filigranarbeit. Man muß 
mit kleinen scharfen Löffelchen und Meißeln, gut ausgearbeiteten und ge¬ 
pflegten Instrumenten arbeiten, um dem pathologischen Gewebe auf dessen 
verschlungenen Wegen folgen und um alles Pathologische restlos entfernen 
zu können. Dazu ist bei der äußerst genauen Arbeit auch ein hoher Grad 
von Geduld erforderlich. Doch habe ich nach meiner Ansicht gefunden, daß 
Prof. Neumann allzuviel Mühe und Geduld darauf anwendet, unter Lokal¬ 
betäubung vor der Operation die ganze Zahnsteinbelegung wegzunehmen. 
Ich glaube gefunden zu haben, daß etwaige Zahnsteinreste sehr leicht, viel 
leichter als vor der Operation, nach derselben entfernt werden können. In 
den meisten Fällen liegt ja nach der Operation ein viel größerer Teil des 
Zahnhalses frei und zugänglich, während die Arbeit vor der Operation mit 
großer Mühe verbunden ist. Ich bin sogar in der letzten Zeit so vorgegangen, 
daß ich vor der Operation nur das Gröbste der Zahnsteinbelegung entfernte, 
um dann später, wenn die Operationswunde geheilt ist, den Rest leicht und 
vollständig zu entfernen und die Zähne zu polieren, und ich habe an dieser 
zeit- und arbeitsparenden Methode bis jetzt keinen Nachteil linden können. 
Außerdem bin ich im Gegensatz zu Prof. Neumann der Ansicht, daß man 
in manchen Fällen gewisse Knochenpartien, besonders wenn es sich um 
das Abschleifen tiefer Taschen, hoher Knochenkanten u. dgl. handelt, mit 
feinem Rosenbohrer viel schneller und auf eine für den Patienten viel an¬ 
genehmere Weise entfernen kann. 

Ein schwedischer Kollege äußerte sich einmal mir gegenüber, daß ich das 
kranke Zahnfleisch nicht heile, sondern entferne. Ja, eine Gingiva, die so ver¬ 
ändert ist, wie es bei den meisten Alveolarpyorrhoen zu sein pflegt, kann 
mit größter Wahrscheinlichkeit nie geheilt werden und zu voller Gesundung 
kommen, und es scheint mir viel besser, einen unheilbaren Gingivarand zu 
verlieren und dafür einen neuen, der vollkommen gesund gebildet wird, zu 
bekommen. Auf diese Weise vermeidet man ja auch eine neuerliche Taschen¬ 
bildung, denn der neue Gingivarand schließt nach der Operation sehr stramm 
an den Zahnhals an. Der Zahnhals wird allerdings auf diese Weise so weit 
freigelegt, als es dem entfernten, krankhaft veränderten Gingivarande ent¬ 
spricht, aber man muß diesen unerwünschten ästhetischen Fehler eben mit in 
Kauf nehmen. Die Hauptsache ist doch, daß der Patient seine 
eigenen Zähne gebrauchsfähig erhält. Ich habe bemerkt, daß ich bei 
meinen ersten Operationen gewöhnlich zu wenig vom kranken Gingivarande 
entfernte und daher immer nachträglich größere Partien wegkauterisieren 


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Beitrag zur Frage über die Behandlung der Alveolarpyorrhoe 511 

mußte / was für mich zeitraubend und für den Patienten schmerzhaft war. 
Deshalb habe ich in der letzten Zeit immer etwas mehr entfernt und bin 
außerdem sehr genau damit gewesen, den neuen Gingivarand nach den 
Zähnen und Interdentalräumen zu formen. 

Was die Blutung nach der Operation betrifft, so habe ich damit nie irgend* 
welche ernstere Schwierigkeiten gehabt. In den meisten Fällen war die Blu* 
tung sehr schwach, ging von der geschnittenen Gingiva aus und konnte 
mit Hilfe eines Kauters leicht gestillt werden. Mit Nachschmerzen habe ich 
keine größeren Unannehmlichkeiten gehabt, auch Infektionskomplikationen 
sind ausgeblieben, überhaupt ist die Heilung immer glatt verlaufen. 

Nach den Operationen habe ich meine Patienten im Laufe des ersten 
Jahres von Zeit zu Zeit zu mir beschieden, um einerseits ihre Mundpflege 
und andererseits eventuell notwendige Korrektionen mit Kauter u. dgl. kon* 
statieren zu können. 

Als Abschluß will ich einige meiner Krankengeschichten, einen einfachen 
Fall ohne und einen mit Fixationsschiene, mitteilen. 


KRANKENGESCHICHTEN 

Fall I. Herr Kj., 36 Jahre. 

Anamnese: Der Patient gibt folgendes an: leb bin seit mehreren Jahren Ihr Patient 
gewesen und vor ungefähr V/ 2 Jahren bemerkten wir, daß das Zahnfleisch in den vorderen 
Partien des Unterkiefers blaurot geworden und angeschwollen war und daß die Zähne 
lang und etwas locker geworden waren. Sie versuchten da durch Einpinseln und Spülen 
die Entzündung rückgängig zu machen, was nach einiger Zeit wirklich zu gelingen schien. 
Leider aber nur scheinbar, denn nach kurzer Zeit schwoll das Zahnfleisch wieder stark an, 
und die Zähne, besonders die beiden in der Mitte, lockerten sich stark. Die Beschwerden 
beim Kauen wurden nun allmählich so groß, daß ich Abhilfe suchen muß. 

Befund: Nach Bi ld VI./ das Zah nfleisch in dem übrigens gutgepflegten Munde ist in 
der Umgebung von 3, 2 , 111 , 7 , 3 stark blaurot und geschwollen, große Zahnsteinab* 
lagerungen. Jedoch ohne bemerkenswerte Eiterabsonderung. Die Zähne im Munde grob 
und kräfti g, oh ne nenn enswerte Karies. T| und (T sehr locker und beginnende Lockerung 
von 3 , 2| und | 2 , 3. Der Patient im übrigen groß und stark, 0 Zucker, 0 Eiweiß. 

Diagnose: Atrophia paradentii marginalis mit supraalveolären Taschen bei horizon* 
taler Atrophie mit Ging, ulcerosa interna (Bild VII). 

Behandlung: Eine Schiene wurde konstruiert (siehe Bild VIII) vonT| bis fT mit Stift 
in allen Inzisiven. (Sollte nach meiner Ansicht Von TJ bis (T gereicht haben, womit aber 
der Patient nicht einverstanden war.) Radikaloperation mit breiter Freilegung nach Neu* 
mann. 

Resultat: Nach einem Monat vollkommen gesunder, kräftiger Gingivarand, die Zähne 
stark, unbeweglich, völlig gebrauchsfähig, gut poliert und geglättet und daher leichter rein* 
zuhalten. 

Fall II. Herr J., 57 Jahre. 

Anamnese: Der Patient gibt an: Ich bin vollkommen gesund, soviel ich weiß, 0 Ei* 
weiß, 0 Zucker. Solange ich zurückdenken kann, habe ich meinen Mund gut gepflegt und 
gute, kräftige Zähne gehabt. Als ich ungefähr 50 Jahre alt war, wurde das Zahnfleisch 
entzündet, rot und neigte leicht zu Blutungen. Bei Druck zeigte sich um die Zähne herum, 
besonders bei den beiden großen Vorderzähnen im Oberkiefer und bei drei Vorderzähnen 
im Unterkiefer, ein gelber Flüssigkeitsrand. Außerdem fingen der rechte große Vorderzahn 
im Oberkiefer und der zweite Vorderzahn rechts im Unterkiefer an locker zu werden. 


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512 Ragnar Broberg: Beitrag zur Frage über die Behandlung der Afveolarpyorrhoe 


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Befund: Großer kräftiger Mann, sieht gesund und kräftig aus. Mundpflege gut. Die 
Zähne fast kariesfrei. JJ und 2f| etwas lodcer, besonders JJ. Das Zahnfleisch bei d iesen 
stark geschwollen und blaurot. Kräftige Gingivitis ulcerosa interna. Dasselbe bei 111 
und fl. 

Diagnose: Atrophia paradontii marginalis partialis mit intraalveolären Taschen bei 
Vertikalatrophie mit Ging, ulcerosa interna/ oder Pyorrhoea intraalveolaris. (Siehe Bild I 
und IX.) 

Behandlung: Eine Fixationsschiene wurde nicht für notwendig erachtet, sondern bloß 
eine vorübergehende Fixatio n mit einer Seidenligatur. Radikaloperation mit breiter Frei¬ 
legung von 111 und 2, 111 nach Neumann. 

Resultat: (Siehe Bild X>. Ich habe den Patienten jetzt nach einem Jahre wiedergeschen 
und dabei konstatieren können, daß sich der Mund in tadellosem Zustand befindet. Die 
operierten Zähne sind vollkommen gebrauchsfähig, keine Spur von Rezidiv zu sehen, die 
Gingiva ist hellrot, und die Zähne sind nach eigener Aussage des Patienten fester ge¬ 
worden. 



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Vierteljahrsschrift für Zahnhcilkundc 1922, 4. 


Verlag von Hermann Meusser, Berlin. 


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EIN BEITRAG ZUR PULPAAMPUTATION 

VON 

DR. MED. DENT. KURT THIESS, NORDERNEY 

N ach eingehender Durchsicht der von Franz Peter verfaßten Arbeit „Zur 
Frage der Pulpaamputation" sah ich mich aus rein praktischen Gründen 
veranlaßt, Pulpaamputationen vorzunehmen und ihre Ergebnisse einer Prü* 
fang zu unterziehen. Die genannte Methode lief meiner damaligen Auf» 
fassung über die Behandlung der Pulpitis durchaus zuwider. 

Ich machte mir die von Peter aufgestellten Behauptungen zum Prinzip, 
die dieser Methode die Direktiven geben sollten. Der Anfang war wenig er* 
freulich. Zum Teil klagten die. Patienten nach der Amputation über pul* 
pitische Schmerzen verbunden mit leichter Periostitis. Bei wenigen (unter 
50 Fällen zwei) trat starke Periodontitis auf. In beiden Fällen schlug mir 
nach Entfernung des provisorischen Verschlusses ein starker fauliger Geruch 
entgegen, der mit Entsetzen von den Patienten wahrgenommen wurde. Ich 
mußte in allen diesen Fällen zur Pulpaextraktion schreiten, worauf das Leiden 
in kurzer Zeit behoben war. Ich betone an dieser Stelle ausdrücklich, daß 
die Amputation jedesmal mit starker Blutung einherging. Ungefähr die 
Hälfte von den beobachteten Fällen verlief so, wie es mir als wünschens* 
wert erschien, d. h. nach der Pulpaamputation war und blieb der Zahn reak* 
tionslos. Nach dreimaligen Einlagen von Tricresolformalin in einem Zeit* 
raum von zwei Wochen wurden die Zähne nach der von Peter angeführten 
Methode geschlossen. Eine Untersuchung aller dieser Zähne, die in jedem 
Fall vielleicht vier Wochen später stattfand, zeitigte dasselbe Ergebnis: voll* 
kommen reaktionslos. 

Nach diesem Resultat begann ich folgende Behauptung Peters anzu* 
zweifeln: 

„Nun noch ein Wort über die Diagnosenstellung. Die Einteilung in noch 
empfindliche und schon unempfindliche Pulpa, die ich am Anfang der Arbeit 
getroffen habe, hat sich als sehr vorteilhaft erwiesen. Schon Kronfeld hat 
diese Einteilung gestreift. Wenn aber die Pulpa empfindlich ist, ist es meines 
Erachtens nach gleich, ob die Pulpitis akut oder chronisch, total oder partiell 
ist. Wenn die Wirkung des Medikamentes in der Mumifikation besteht, 
kann jede Pulpa, welche noch nicht zerfallen ist, durch das Mittel durchtränkt 

Vierteljahrsschrift fDr Zahnheilkunde. Heft 4 33 


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514 


Kurt Thiess 



und infektionsfest gemacht werden. Bakterien, die sich bereits in den Ka- 
nälen angesiedelt haben, müssen durch die eminent antiseptisdien Mittel mit 
absoluter Sicherheit getötet werden/' Peter hat hierin zweifellos recht, wenn 
es gleichgültig wäre, ob die Bakterien in vierzehn Tagen — dann ist ja nach 
seiner Beobachtung eine vollkommene Durchtränkung der Pulpa mit dem 
Medikament eingetreten — unschädlich gemacht sind oder in kürzerer Zeit. 
Möglichst schnell müssen aber meines Erachtens die Bakterien vernichtet 
werden, wenn es sich um eine Pulpitis totalis handelt, was besagen soll, wenn 
die Infektionserreger bereits bis zum Foramen apicale vorgedrungen sind, 
um es jeden Augenblick durchwandern zu können. 

Bis dahin hatte ich Arseneinlagen 48 Stunden auf die Pulpa einwirken 
lassen, wobei man beobachtet, daß in manchen Fällen ihre Exstirpation 
schmerzlos vorgenommen werden kann, in andern nur schmerzhaft. Ich 
glaube dieser Tatsache das Obengesagte gegenüberstellen zu müssen: daß 
nämlich nach Amputation der Pulpa teilweise wieder pulpitische Schmerzen 
verbunden mit leichter Periostitis auftraten, teilweise nach der Amputation 
die Behandlung des Zahnes wünschenswert verläuft. Es ist mithin nach 
48stündiger Einwirkung des Arsens auf die Pulpa eine Nekrose der letz¬ 
teren bis zur Wurzelspitze noch nicht immer eingetreten, so daß nach Ent¬ 
fernung der mit Kokain angerührten Paste nicht nur Schmerz auftrat, sondern 
auch die Entzündungserreger, welche in diesem Falle in den Wurzelkanälen 
sein mußten, weitere Verheerungen anrichten konnten,- d. h. es war den noch 
lebensfähigen Bakterien möglich, das Foramen apicale zu durchdringen und 
in seiner Umgebung eine Entzündung hervorzurufen. Ich basiere diese Sätze 
auf die Wirkungen des Arsens. Ich erinnere an die Rolle, die das Arsen in 
der Therapie spielt. In geringen Quanten gegeben, übt es auf viele Zellen 
einen Reiz aus und regt sie so zu lebhafterer Tätigkeit an. Bei Steigerung 
der Dosis tritt jedoch ein so starker Reiz ein, daß hierdurch ein Zerfall der 
Zellen bedingt ist. Wenden wir nun diese bekannten Tatsachen auf unsern Fall 
an, so müssen wir annehmen, daß bei ungenügender Einwirkung des Arsens 
das Gegenteil des Gewünschten eintritt, daß nämlich eine bis zur Wurzel- 
spitze entzündete Pulpa nicht in allen Teilen nekrotisiert wird, sondern daß 
vielmehr u. a. auch die vorhandenen Bakterien zu lebhafter Tätigkeit an¬ 
geregt werden und das Foramen apicale durchdringen, woraus dann die 
plötzliche Periodontitis resultiert. Steigern wir dagegen die Wirkung des 
Arsens, so werden mit der Pulpa auch alle vorhandenen Mikroorganismen 
nekrotisiert. Zu diesen Annahmen sind wir berechtigt nach dem, was Abel 
über die Wirkung des Arsens auf Mikroorganismen festgestellt hat, nämlich 
daß diese schwach ist. Auf unsern Fall angewandt ergibt sich hieraus fol¬ 
gendes: die Wirkung des Arsens auf Mikroorganismen ist schwach. Appli¬ 
zieren wir nun in einen exkavierten Zahn die zur Devitalisation der Pulpa 
nötige Arsenmenge, so ist dies verhältnismäßig kleine Quantum für den 
Zahn als sehr groß zu bezeichnen, so groß nämlich, daß die Wirkung auf 
die in den feinen Wurzelkanälen befindlichen Mikroorganismen nicht mehr 
schwach ist, sondern daß tatsächlich ein Reiz auf diese ausgeübt wird. Unter- 



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Ein Beitrag zur Pulpaamputation 


515 


brechen wir diese Einwirkung nun zu Unrechter Zeit, — z. B. bei einer Pul¬ 
pitis totalis nach zwei Tagen — so werden die Mikroorganismen zu einer 
Tätigkeit angeregt, die uns durchaus unerwünscht ist,- bei genügender Ein¬ 
wirkung dagegen werden sie unschädlich gemacht. 

Es war mir bisher unmöglich, über meine Theorie Versuche anzustellen, 
werde es aber baldmöglichst nachholen. Immerhin machte ich mir diese Beob¬ 
achtungen von nun an bei der Pulpaamputation zunutze. Bei einer Pulpitis 
partialis applizierte ich Arsen auf die Dauer von zwei Tagen,. wie ich es 
auch bis dahin gewöhnt war/ bei einer Pulpitis totalis auf die Dauer von 
vier Tagen. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten. 

Bei totaler Entzündung der Pulpa geht also mit ihrer Nekrose auch die 
der Bakterien einher, was erwiesenermaßen bereits nach vier Tagen geschehen 
ist. Wie verhält sich demgegenüber das Tricresolformalin oder ähnliche Prä¬ 
parate? Wenn Peter festgestellt hat, daß deren Einwirkung für die Dauer 
von 14 Tagen nötig ist, um eine gewünschte Sanierung zu erzielen, so scheint 
mir die Durchtränkung des Gewebes sehr langsam vonstatten zu gehen, und, 
was dasselbe ist, die Vernichtung aller Mikroorganismen. Das letztere ist 
aber durchaus nicht zweckdienlich. 

Peter führt eine Äußerung Kronfelds an, daß die Pulpa unbedingt durch 
Arsen getötet werden muß, daß die Arsenapplikation eine Conditio sine qua 
non für das Gelingen der Pulpaamputation sei. Ich weiß nicht, aus welchem 
Grunde und wo Kronfeld diese Äußerung getan hat/ jedoch glaube ich 
nach allem bisher Gesagten, daß sein Standpunkt der einzig richtige ist. 

Ich habe also im Anfang meiner oben mitgeteilten Entdeckung bei Arsen¬ 
applikation genau zwischen partieller und totaler Pulpitis unterschieden. Später 
ging ich dazu über, Arseneinlagen ohne Unterschied vier Tage lang auf 
die Pulpa einwirken zu lassen. Nach Verlauf dieser Zeit nahm ich die 
Amputation vor und legte reines Formalin, dies ließ ich mit einmaliger 
Erneuerung zehn Tage wirken. Dann legte ich reines Tricresolformalin, um 
nach abermals fünf Tagen den Zahn in der von Peter geschilderten Art zu 
schließen. 

Ein Bedenken muß ich noch erwähnen: die Dauer der Einwirkung des 
Arsens. Ich befürchtete anfänglich, daß es in vielen Fällen zu arseniger Perio¬ 
stitis führen würde, was vielleicht auch nicht immer ausbleiben wird. Mir ist 
jedoch nach meiner Methode kein Mißerfolg unterlaufen. Seit drei Monaten 
nehme ich die Pulpaamputation so vor, ohne daß in der weiteren Behandlung 
eine Störung irgendwelcher Art aufgetreten ist. Wie sich jedoch die Pulpa 
und die Umgebung der Wurzelspitze nach Jahren verhalten wird, vermag 
ich heute nicht zu übersehen. Doch die Zeit wird auch das klären. 

Zusammenfassend wiederhole ich: 

1. Vor einer Pulpaamputation ist die Applikation von Arsen unbedingt 
erforderlich. 

2. Nur bei einer Einwirkung der Arsenpaste während der Dauer von 
vier Tagen ist es gleichgültig, ob wir es mit einer Pulpitis partialis oder to¬ 
talis zu tun haben. 

33* 


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516 


Kurt Thiess: Ein Beitrag zur Pulpaamputation 


3. Zur Desinfizierung und Mumifikation hat es sich als zweckmäßig er¬ 
wiesen : zweimal fünf Tage Formalin, einmal fünf Tage Tricresolformalin 
zu legen. Ob hierdurch die gewünschte Mumifikation restlos durchgefuhrt 
wird, konnte allerdings nicht festgestellt werden. 

4. Ein derartig vorbehandelter Pulpenstumpf ist mit wenig Jodoform zu 
bestäuben und mit einem mit Jodoform angerührten Brei oder Heilzement 
zu überkappen. Darauf folgt eine Lage leichtflüssigen Zementes oder ähn¬ 
lichen Materials/ und als letztes die endgültige Füllung. 


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AUS DER KLINIK FÜR MUND- UMD ZAHN KRANKHEITEN DER 
UNIVERSITÄT ROSTOCK 

<DIREKTOR: PROF. DR. MORAL) 

ÜBER EINEN TODESFALL NACH MANDIBULARIS* 

ANÄSTHESIE 

VON 

DR. MED. MATTHÄUS REINMÖLLER 

OBERARZT DER KUNIK 

N achdem durch die Einführung der lokalen Anästhesie die Allgemein** 
narkose bei zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen völlig in den Hinter¬ 
grund getreten ist, ja fast ganz ausgeschaltet wurde, verringerte sich die Zahl 
der Todesfälle, die auf das Gebiet „Zahnheilkunde" entfielen, ganz beträcht¬ 
lich, da ja die meisten in der Literatur veröffentlichten Fälle den Narkose¬ 
tod betrafen, während im Vergleich hierzu nur verhältnismäßig sehr wenige 
Todesursachen auf das Konto „lokale Anästhesie und ihre Folgen" zu 
setzen sind. 

Da nun überhaupt von allen Erkrankungen mit letalem Ausgange in der 
gesamten Medizin die bei weitem kleinste Anzahl auf das Spezialgebiet der 
Zahnheilkunde entfällt, so ist es erklärlich, daß bei einem Todesfälle im An¬ 
schluß an Zahnerkrankungen der Ursache unwillkürlich nicht nur in der Laien-, 
sondern auch in der Fachwelt immer eine ganz besondere, eine wesentlichere 
Bedeutung beigelegt wird als solchen Fällen anderer Spezialfächer, wodurch 
ein jeder Todesfall in unserem Fache seine vollste Berechtigung zur Ver¬ 
öffentlichung verdient. 

Bei allen Todesfällen, die auf das Zahnsystem Zurückzufuhren sind, haben 
wir nach Euler zwei große Gruppen zu unterscheiden. Eine direkte, bei der 
die Erkrankung ohne chirurgischen Eingriff zum Tode führte resp. durch den 
chirurgischen Eingriff der letale Ausgang nicht abgewandt werden konnte, 
und eine indirekte, bei der der chirurgische Eingriff die Vorbedingung zu 
einer sekundären Wundinfektion schaffte bzw. die Infektion selbst setzte, 
worauf der Exitus zurückgefiihrt werden mußte. Leider stellt die zweite in¬ 
direkte Gruppe die größere Prozentzahl, da im allgemeinen schon eine se- 


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518 


Matthäus Reinmöller. 


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kundäre Wundinfektion oder eine direkte instrumenteile Infektion schwerer 
erfolgreich zu bekämpfen ist und mehr dazu neigt, dem Gesamtorganismus 
gefährlich zu werden, als eine Erkrankung, der durch den chirurgischen Ein¬ 
griff sofort Einhalt geboten werden kann. 

Da es sich auch bei dem von uns beobachteten Fall um eine indirekte 
Todesursache im Sinne Eulers handelt, so sollen alle die Fälle, wie sie 
Euler, Palazzi, Riese, Fischer, Misch und die gleichen von vielen an¬ 
deren Autoren noch veröffentlichten Erkrankungen mit letalem Ausgange, 
sowie die Todesfälle, die auf unstillbare Blutungen, auf schwerere Allgemein¬ 
leiden, auf Chokwirkungen, auf Toxikosen, auf die Narkose usw. zurück¬ 
zuführen sind, hier keine Berücksichtigung linden. 

Vielmehr mögen nur einige wenige der Fälle besonders angeführt werden, 
die mit der Anästhesie und ihren Folgen oder mit einer sekundären Wund¬ 
infektion im kausalen Zusammenhänge stehen und für den vorliegenden Fall 
von besonderem Interesse sind. 

So erwähnt Euler mehrere solcher „typischen" Fälle, u. a. einen von 
Port beschriebenen Fall von einem Unteroffizier, der digital die Extrak- 
tionswunde eines Zahnes infizierte, ferner einen von Luniatschek ver¬ 
öffentlichten Fall einer sekundären Wundinfektion, ferner einen Fall, bei dem 
ein Junge mit einer Stahlfeder in einem schmerzenden Zahn herumgestochert 
und sich leicht verletzt hatte, wodurch sich an der Verletzungsstelle eine Ent¬ 
zündung entwickelte, in deren weiterem Verlaufe der Exitus eintrat. Auch 
berichtet Euler über einen Fall von Tetanus und Erysipel als sekundäre 
Wundinfektion, ferner über mehrere Fälle von Infektionen, die sich an ver¬ 
suchte und nicht vollendete Extraktionen anschlossen, so einen Fall aus dem 
„Cosmos", bei dem ein Dentist zwei Wurzeln zwecks besserer Entfernung 
mit einer Kreissäge separierte und hierbei eine Infektion an der Zunge setzte, 
worauf der Patient nach wenigen Tagen an Septikämie starb. Einen ähn¬ 
lichen Fall führt Euler von einem Fischer an, der nach einer mißlungenen 
Extraktion, um sich Erleichterung zu verschaffen, mit Seewasser spülte. Es 
folgte eine Periodontitis, an die sich Pyämie, Pneumonie, Pyothorax anschloß, 
wodurch der Patient ad exitum kam. 

Partsch berichtete über zwei Fälle von Infektionen. Es handelte sich um 
einen 35jährigen Mann, der sich wegen Pulpitis einen unteren Molaren hatte 
entfernen lassen. Nach drei Tagen traten Schmerzen und Schwellung der 
ganzen Gesichtshälfte auf, welch letztere sich bald auf die Augengegend aus¬ 
dehnte. Trotz chirurgischen Eingriffs kam der Patient unter den Erscheinungen 
einer Meningitis ad exitum. 

Auch in dem zweiten Falle handelte es sich um die Extraktion eines un¬ 
teren Molaren bei einer 18jährigen Patientin, die unter denselben Erschei¬ 
nungen einer Phlegmone des aufsteigenden Unterkieferastes und nachfol¬ 
gender Meningitis starb. 

Misch veröffentlicht zwei gleiche Fälle von Infektionen, die sich an Ex¬ 
traktionen im Oberkiefer anschlossen. In einem Falle handelte es sich um 
einen oberen Molaren, im anderen Falle um einen oberen Inzisivus. In beiden 



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Ober einen Todesfall nach Mandibularisanästhesie 519 

Fällen trat der Exitus infolge septischer Thrombose des Sinus cavernosus, 
Meningitis und allgemeiner Sepsis ein'. 

Weitere solche Fälle wurden von Riese, Colombe, Diamines Lau« 
cial und vielen anderen Autoren beschrieben, deren Veröffentlichungen alle 
uns nicht restlos zugänglich waren. 

Bei dem nun von uns beobachteten Fall handelte es sich um den 58jäh= 
rigen Telegraphensekretär P. B., dem am 8. 8. 22 ein unterer alveolar« 
pyorrhoetischer, periodontitischer Molar in Mandibularisanästhesie entfernt 
worden war. 

Nach anfänglich glattem Wundverlaufe stellten sich am 10. 8., also am 
dritten Tage nach der Extraktion, erneut Schmerzen ein mit geringer Schwel« 
lung der rechten Gesichtshälfte. Die Inspektion der Extraktionswunde ließ 
einen geringgradigen schmierigen Zerfall des Thrombus erkennen, woraufhin 
die klinische Diagnose „dolor post extractionem" oder besser „Thromben« 
infektion" geringen Grades gestellt wurde. Nach Entfernung des infizierten 
Thrombus mit dem scharfen Löffel und nach weiterer Behandlung der Wunde 
nach den allgemein chirurgischen Grundsätzen und nach Applikation trok« 
kener Wärme usw. trat Besserung des Zustandes ein, die aber nur zwei 
Tage anhielt. Am 12. 8. und namentlich am 13. 8. verschlechterte sich der 
Zustand des Patienten so, daß die Überführung von der ambulanten in die 
klinische Behandlung angeordnet werden mußte. 

Der Befund am 14. 8. war folgender: Starke Schwellung der ganzen 
rechten Gesichtshälfte, die sich derb und bretthart anfuhite. ödem des rechten 
unteren Augenlides, Schluckbeschwerden und Schwellung des weichen Gau« 
mens und des vorderen Gaumenbogens. Hier bestand keine Fluktuation, 
die Schwellung war ebenfalls derb und fest. Kieferklemme III, Tetnpe« 
ratur 38,5. 

In den folgenden Tagen änderte sich der Zustand nicht wesentlich. Es 
zeigte sich an der Schwellung des weichen Gaumens geringe Fluktuation. 
Auf eine Stichinzision an dieser Stelle entleerte sich jedoch kein Eiter, son« 
dem es quollen nur sehr spärliche Gewebsbröckel hervor. Hierauf ging die 
Schwellung etwas zurück, der Mund konnte wieder aktiv bis auf 1 cm ge« 
öffnet werden, auch trat subjektive Besserung des Allgemeinbefindens ein. 

Am 17. 8. nahm aber die Schwellung wieder sichtlich zu. Im Laufe des 
Tages stellte sich Protrusio bulbi oculi dext., sowie ödem des rechten oberen 
und des linken unteren Augenlides ein. Abends Schüttelfrost. An den beiden 
folgenden Tagen nimmt rechts die Schwellung noch mehr zu, links geht sie 
zurück. Es tritt eine starke Chemosis oculi dext. auf. Abends wieder 
Schüttelfrost. 

Am 20. 8. leichte Benommenheit. Am 21. 8. früh sehr rapide Verschlech« 
terung des Allgemeinbefindens. Es erfolgt breite Inzision in der Temporal« 

1 Ferner sei hier noch auf die vielen Fälle von Orbitalphlegmonen im Anschluß an 
Zahnerkrankungen hingewiesen, die Misch in seinem Lehrbuch der Grenzgebiete der Me¬ 
dizin und Zahnheilkunde anführt, und die hier nicht alle wiedergegeben werden können. 


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520 


Matthäus Reinmölier 



gegend rechts, worauf sich gashaltiger Eiter unter dem Temporalis entleert/ 
Gegeninzision am Kieferwinkel. Früh um 1 / i 8 Uhr erfolgt der Exitus. 

Auf Grund des vorliegenden Krankenberichtes konnte die klinische Dia« 
gnose auf Thrombose des Sinus cavernosus gestellt werden, was, wie der 
folgende Sektionsbericht zeigt, durch die Autopsie bestätigt werden konnte. 

Das Sektionsprotokoll — es war nur die Schädelsektion gestattet — er» 
gibt: Knöchernes Schädeldach und Dura convexitatis o. B. Die Sinus mit 
Ausnahme der Sinus cavemosi frei von Thromben. Die Leptotneninx an 
der Convexität diffus milchig, dabei glänzend. Die Sulci etwas verbreitert, 
reichlich seröse Flüssigkeit in den Maschen. Die Leptomeninx basalis im Be» 
reiche des Chiasma und des Pons getrübt und fibrinös belegt. Sonst am Ge* 
him kein auffallender Befund. 

Bei der Eröffnung der Sinus cavernosi quillt stinkender Eiter hervor. Auch 
die Umgebung des Stils der Hypophyse ist eitrig belegt, die Dura des Clivus 
fibrinös — beginnend eitrig. Das orbitale Fettgewebe zeigt keine Eiterung, 
der rechte Bulbus ist jedoch deutlich nach vorn gedrängt. Die Stirnhöhlen 
sind frei. 

Nach Durchmeißelung des Schläfenbeines rechts nach vorne vom Felsen* 
bein ergibt sich, daß das ganze Zellgewebe, das sich medial vom aufsteigenden 
rechten Unterkieferast befindet, bis zur Schädelbasis in eine jauchige Masse 
umgewandelt ist. Der Prozeß scheint von diesem Zellgewebe aus durch das 
Foramen lacerum hindurch auf die Umgebung des rechten Sinus cavernosus 
und auf diesen selbst übergegriffen zu haben, von dem rechten Sinus caver* 
nosus aus auf den linken. Der linke Bulbus erscheint nicht nach vorn ver» 
lagert. 

In dem entnommenen Eiter wurden Streptokokken, die aus Diplokokken 
bestanden, kulturell nachgewiesen. 

Aus der Krankengeschichte und dem Sektionsprotokoll ergibt sich ohne 
weiteres, daß der Kranke an einer Sinusthrombose und Meningitis gestorben 
ist, beides Veränderungen, die als eine im Sinne Eulers indirekte Todes* 
Ursache, als eine Infektion angesehen werden müssen. 

Da man nun in keinem solchen Falle weder auf Grund klinischer Be» 
obachtungen noch durch die Sektion völlig einwandfrei den primären Ort der 
Infektion feststellen kann, so wäre zu entscheiden, ob die Streptokokken von 
der Mundschleimhaut her infolge des Einstiches mit der Injektionskanüle in 
die Tiefe des Gewebes eingeschleppt wurden oder ob eine sekundäre Wund* 
infektion der gesetzten Extraktionswunde stattgefunden hat. Letztere Mög» 
lichkeit scheint jedoch in unserem Falle an Wahrscheinlichkeit zu verlieren. 

Denn die in den ersten Tagen nach der Extraktion aufgetretene Thromben» 
infektion war nur sehr gering und wurde erfolgreich bekämpft. In den fol¬ 
genden Tagen fanden sich keine Anzeichen mehr, die auf eine stärkere In» 
fektion an dieser Stelle hindeuteten, wie eitrig*schmieriger Wundbelag, ne» 
krotisches oder im Absterben begriffenes Gewebe, Schwellung und Druck¬ 
schmerz in nächster Umgebung der Wunde usw. Trotzdem nach Entfernung 
des infizierten Thrombus und nach der weiteren lokalen Wundbehandlung 


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I 

Original frorn 

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Über einen Todesfall nach Mandibularisanästhesie 


521 


der Extraktionsstelle anfangs eine Besserung des Befindens des Patienten 
auftrat, so sprechen doch die dann sehr bald wieder um so heftiger in Er¬ 
scheinung tretenden klinischen Symptome gegen die Annahme einer Infek¬ 
tion von der Alveole aus. Wahrscheinlich hätten sich wohl auch in diesem 
Falle die Symptome der „Angina Ludovici" mehr in den Vordergrund ge¬ 
stellt. Gerade der Umstand, daß die Schwellung der regio facialis von An¬ 
fang an so stark ausgeprägt war, und weder der Mundboden noch die Mo¬ 
larengegend unmittelbare Anzeichen einer phlegmonösen Entzündung er¬ 
kennen ließen, deutete daraufhin, daß die primäre Infektionsstelle höher am 
aufsteigenden Aste der Mandibula gelegen sein mußte, wofür nur das Spa¬ 
tium pterygo-mandibulare in Frage kam, da hier hinein ja eine Injektion er¬ 
folgt war. 

Da nun bekanntlich durch kein Mittel die Mundschleimhaut vor einer In¬ 
jektion völlig keimfrei zu machen ist und sich auch hochvirulente Bakterien, 
unter denen ja die Streptokokken den ersten Platz einnehmen, im Munde 
befinden können, so ist mit einer Verschleppung dieses pathogenen Mate¬ 
rials in die Tiefe des Gewebes bei jeder peroralen Injektion immer zu 
rechnen. Deshalb faßt auch Moral alle Fälle nach Mandibularisanästhesie, 
die mit Kieferklemme, Schwellung, Schmerzen usw. einhergehen, was man 
verhältnismäßig oft erlebt, als leichte Verschleppungsinfektionen von der 
Mundschleimhaut her auf. Ein besonders typischer Fall solcher Art wurde 
von demselben Autor näher beschrieben. Je nach, der Virulenz der Bak¬ 
terien und nach dem Nährboden, den diese bei ihrer Ansiedelung finden, 
gestalten sich dann diese Infektionen bald schwerer, bald leichter. 

Im Hinblick darauf, daß nun totes öder im Absterben begriffenes Gewebe 
den besten Nährboden für pathogene Mikroorganismen abgibt, so hat viel¬ 
leicht auch in unserem Falle ein besonders ungünstiges Moment Vorgelegen, 
das diesen Nährboden schaffte und die Weiterentwicklung der Streptokokken 
und die Ausbreitung der Phlegmone in so hohem Maße förderte. 

Bei dieser Erwägung ist nun zuerst an eine durch die eindringende In¬ 
jektionskanüle gesetzte Gefäßverletzung zu denken, die ein Hämatom in dem 
tiefen Gewebe hervorrief. In dieses „tote Gewebe" erfolgte dann primär die 
Ablagerung der Bakterien. 

Nach den Untersuchungen von Bünte-Moral, Gasser, Seidel, Fi¬ 
scher, Loos und vieler anderer Autoren wissen wir, „daß die Stelle, an 
der wir das Anästhesiedepot anlegen, sich zwischen dem Sulcus mandibu- 
laris und dem Ligamentum sphenomandibulare resp. in dem diesen Raum 
ausfüllenden lockeren Fett- und Bindegewebe, im Spatium pterygo-mandi¬ 
bulare, befindet". Dieses Spatium, in dem sich die injizierte Flüssigkeit aus¬ 
breitet, hat also im großen ganzen seine Begrenzung zwischen Mandibula, 
Ligamentum sphenomandibulare und Musculus pterygoideus internus. 

In diesem Raume ist aber die Möglichkeit einer Gefäßverletzung immer 
gegeben. Denn gerade oberhalb der Lingula gibt die Arteria alveolaris in¬ 
ferior kurz vor ihrem Eintritt in den Kanal noch die Arteria mylohyoi'dea 
ab, auch befindet sich hier der Zusammenfluß der Vena meningea media und 


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522 


Matthäus Reinmölfer 


der Vena alveolaris inferior zu der stärkeren Vena maxillaris interna, also ein 
verhältnismäßig starker Gefäßreichtum. 

Bei der Tendenz der Streptokokken, vornehmlich phlegmonös weiterzu¬ 
schreiten, wurde sehr bald das Zellgewebe des Spatium pterygomandibulare 
ergriffen. An die Periphlebitis schloß sich eine ausgedehnte Thrombophlebitis 
an. Während nun von hier aus einerseits sich das gesamte venöse Blut teils 
in die Vena facialis posterior, teils in die Vena jugularis ergießt, andererseits 
aber ausgedehnte Anastomosen mit dem Venengeflechte der Flügelmuskeln, 
dem Plexus pterygoideus, bestehen, so scheint nach den klinischen Erschei¬ 
nungen die Thrombophlebitis über diesen Plexus ihren Weg genommen zu 
haben. Von hier aus bestehen ferner zahlreiche Verbindungen zu den sich 
zum „Plexus pharyngeus" vereinigenden Venen des weichen Gaumens und 
der Tonsillen, der Venae palatinae und tonsillares. infolge Mitergriffenseins 
dieser Venen und des benachbarten Gewebes stellten sich die Schweifung am 
weichen Gaumen und die Schluckbeschwerden ein. Vielleicht war auch hieran 
noch die Vena pharyngea beteiligt, die auf der einen Seite mit dem Plexus 
pterygoideus, auf der anderen Seite mit der Vena jugularis interna in Ver¬ 
bindung steht. 

Daß aber vornehmlich die Orbitalvenen von der Thrombophlebitis er¬ 
griffen waren, kennzeichnet sich in dem Bilde des starken Lidödems, der 
Protrusio bulbi und der Chemosis. Die Verbindung des Plexus pterygoideus 
mit den Venen der Orbita wird durch die Venen der Flügelgaumengrube 
vermittelt. An die Thrombose der Orbitalvenen und somit auch der Vena 
ophthalmica schloß sich die Thrombose des Sinus cavernosus an. Bei der 
weiteren Verbindung des Plexus pterygoideus mit dem Sinus cavernosus 
durch die Venae meningeae haben wohl auch letztere zur Thrombosierung 
des Sinus direkt beigetragen. 

Infolge der weiteren topographischen Verhältnisse, daß nämlich das drei¬ 
eckige, mit interstitiellem Fett- und Bindegewebe angefullte Spatium pterygo¬ 
mandibulare nach unten zu spitz zuläuft zum Angulus und nach vom und 
lateral von den untersten Teilen des Musculus temporalis, nach unten hinten 
medialwärts durch den Musculus pterygoideus internus und nach oben z. T. 
durch den musculus pterygoideus externus begrenzt wird, und der Abschluß 
nach unten noch durch das Ligamentum sphenomandibulare verstärkt wird, 
daß also sämtliche Organe hier nach oben divergierend verlaufen und sich 
somit der dreieckige Raum namentlich nach oben hinten verbreitert, so suchte 
die Phlegmone naturgemäß von vornherein ihren Weg craniellwärts in der 
Richtung des geringsten Widerstandes, nach dem nicht mehr vom Musculus 
pterygoideus externus abgeschlossenen Teil. In dem Augenblicke des Über¬ 
greifens der Phlegmone auf die Fossa pterygopalatina trat die Schwellung in 
der Gegend des Jochbeines besonders stark hervor. Die Entzündung in der 
Flügelgaumengrube setzte sich in Richtung auf das Velum und den Gaumen 
fort und begünstigte die durch die Thrombose der Venae palatinae und ton¬ 
sillares hervorgerufene ödematöse Schwellung. Bei weiterer räumlicher Aus¬ 
dehnung der Phlegmone nach der Schädelbasis zu wurde dann der Musculus 


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Über einen Todesfall nach Mandibularisanästhesie 


523 


temporalis mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen, worauf die Tem- 
poraigegend immer heftiger anschwoll, so daß nun das gesamte Zellgewebe 
zwischen Radien, rechtem aufsteigenden Unterkieferast und Schädelgrund der 
eitrig phlegmonösen Entzündung anheimgefallen war, die ihre weitere Fort* 
Setzung durch das Foramen lacerum in die Umgebung des Sinus cavernosus 
fand. Von hier aus griff der Prozeß auf den rechten und dann auf den linken 
Sinus über, woran sich eine Meningitis anschloß, die den Exitus herbeiführte. 

Differentialdiagnostisch käme eine Orbitalphlegmone in Betracht. Hier¬ 
gegen spricht aber der Umstand, daß die Lider statt Entzündung nur eine 
starke venöse Stauung aufwiesen. Auch das ziemlich plötzliche Auftreten 
der Protrusio bulbi und das am 17. 8. in Erscheinung tretende Übergreifen 
auf die andere Seite, was bei einer Orbitalphlegmone zu den Seltenheiten 
gehört, sowie der Sektionsbefund, daß das orbitale Fettgewebe keine Eite¬ 
rung zeigte, sprechen mehr für unsere Annahme einer septischen Thrombose 
der Vena ophthalmica, fortgeleitet auf den Sinus cavernosus. 

Da der Verstorbene Angehörige hatte und diese glaubten, daß der Todes¬ 
fall auf ein Verschulden des Fachmannes zurückgeführt werden könne, so 
hatte auf eine Anzeige beim Gericht sich auch die Staatsanwaltschaft mit der 
Angelegenheit zu befassen. 

Ausschlaggebend für die Beurteilung sind folgende Punkte: 

1. Die Diagnose der bei Beginn der Behandlung vorliegenden Erkrankung/ 

2. Der Nachweis der Sterilität der zur Injektion gebrauchten Medikamente 
und Apparate,- 

3. Der Nachweis der Zweckmäßigkeit der nach Eintreten der Kompli¬ 
kation angewandten Therapie. 

Von diesen Punkten ist der zweite derjenige, auf den das Hauptgewicht 
gelegt werden muß. 

Die zur Injektion benutzte Lösung war im Betriebe selbst hergestellt und 
in einem zuverlässigen Sterilisator keimfrei gemacht worden. Daß dieser Ste¬ 
rilisator in der Tat zuverlässig arbeitete, ging daraus hervor, daß wiederholt 
die darin sterilisierten Injektionsflüssigkeiten auf ihre Keimfreiheit bakterio¬ 
logisch mit gutem Erfolge geprüft worden waren. 

Die Injektionsflüssigkeit war also sicher einwandfrei. Ein gleiches war 
auch von der Spritze und der Kanüle anzunehmen, von denen letztere frisch 
gekocht, während erstere nach ihrer einmaligen Auskochung nicht mehr mit 
infektiösem Material in Berührung gekommen war. Die obengenannten 
Punkte 1 und 3 sind so erfüllt gewesen, daß von vornherein hier ein Fehler 
nicht nachgewiesen werden konnte. 

Nachdem also erwiesen war, daß das Injektionsbesteck und die Injektions¬ 
lösung mit aller Sorgfalt vorbereitet war, mußte sich der Gutachter auf den 
Boden stellen, daß es sich um eine Verschleppung von Keimen von der 
Oberfläche der Mundschleimhaut her handelte, eine Komplikation, die sich 
auf keine Weise verhindern läßt. Denn selbst das Bestreichen der Schleim¬ 
haut mit Jod oder Thymolalkohol an der Einstichstelle bietet besonders am 
aufsteigenden Aste keine irgendwie geartete Sicherheit. 


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524 Matthäus Reinmöller: Über einen Todesfall nach Mandibularisanästh 

Infolgedessen wurde von Gerichts wegen, da ein Verschulden nicht 
genommen werden konnte, das Verfahren eingestellt. 

Dieser Fall zeigt, wie sehr das zahnärztlich-chirurgische Arbeiten dur 
pathogene Mikroorganismen beeinträchtigt werden kann und wie sehr 
uns auch hier den allgemein chirurgischen Regeln fügen müssen und da 
jede geringste Komplikation den Erfolg der besten Operation in Fr 
stellen kann. Es muß daher nochmals auf die Notwendigkeit einer zuve 
lässigen Sterilisation aller beim Operieren in der Mundhöhle gebraucht 
Dinge hingewiesen werden, damit der Fachmann sich materiell nicht schäc 
und vor sich selbst gerechtfertigt ist. 


LITERATURVERZEICHNIS 

Bflnte.Moral: „Die Leitungsanästhesie im Ober- und Unterkiefer." III. Aufl. Ve 
Meusser, Berlin. 

Euler: Corr.-Bl. f. Z. 1914. 

Fischer: „Die lokale Anästhesie in der Zahnheilkunde/' Verl. Meusser, Berlin. 
Klein: D. Z.W. 1912, S. 346. 

Luniatschek: D. Z. W. 1914. 

Misch: „Grenzgebiete der Medizin und Zahnheilkunde" II. Aufl. Verl. Vogel, Leipzig 192 
Moral: „Einführung in die Klinik der Zahn« und Mundkrankheiten/' Verl. Vo 
Leipzig 1921. 

Moral: „Über die Lage des Anästhesiedepots." Habilitationsschrift. Verl. Bergma 
Wiesbaden 1914. 

Nettei: Ar<h. f. klin. Chir. Bd. 73, Heft 3. 

Palazzi: Ref. D. M. f. Z. 1922, Heft 21. 

Partsch: D. Z. W. 1905. 

Partsch: D. Z.W. 1913. . 

Riese: Ardh. f. klin. Chir. Bd. 61. 

Ritter: Med. Klinik 1920, Nr. 30. 

Zander: D. Z.W. 1901, Nr. 39. 


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BERICHT ÜBER „DR. MEUSSERS AUTORENABENDE' 


Die Tatsache, daß die bei den Tagungen des Zentraivereins und bei den 
sonstigen wissenschaftlichen Sitzungen ermöglichte persönliche Aussprache der 
Autoren im engeren Kreise über Binzelfragen ihres Wissensgebietes zur 
Klärung strittiger Punkte stets in besonderem Maße beiträgt, legte es nahe, 
auch außerhalb derartiger Versammlungen die Zusammenkunft von wissen« 
schaftlich interessierten Herren in die Wege zu leiten. 

1. Autorenabend. Anläßlich der Anwesenheit von Herrn Prof. Römer 
in Berlin trafen sich am 7. III. 1922 die Herren Prof. Neumann, Römer, 
Schröder bei Herrn Dr. Weski zu einer mit Demonstration mikrosko¬ 
pischer Präparate verknüpften Aussprache über histologische Fragen und die 
Therapie der Alveolarpyorrhoe. 

Zum 2. Autorenabend im Juni 1922 gab Veranlassung die Absicht 
von Herrn Dr. Freund, Dresden, einem kleineren dafür interessierten Kreise 
seine Methode exakter Röntgeneinstellung für Zahnaufnahmen insbesondere 
von Röntgenstereoaufnahmen vorzuführen. Die Sitzung fand statt im In¬ 
stitut Dr. Weski. Anwesend waren die Herren: Isacson, Neumann, 
Rumpel, Schröder, Solbrig, Weski. 

Der 3. Autorenabend fand in Leipzig am 24. IX. 1922 anläßlich der 
Hundertjahrfeier der deutschen Ärzte- und Naturforscherversammlung im 
Hotel Sachsenhof statt. Unter Vorsitz von Herrn Prof. Adloff erfolgte 
eine Aussprache über strittige Fragen der Gottliebschen Arbeiten. An¬ 
wesend waren die Herren: Balters, Bonn/ Bauer, Innsbruck/ Ciesczyn« 
ski, Lemberg/Djerassi, Sofia,-Feil er, Frankfurt/Gott lieb, Wien,- Hille, 
Leipzig/ Kantorowicz, Bonn/ Lund, Kopenhagen/ Neumann, Berlin/ 
Rumpel, Berlin,- Sicher, Wien/ Türkheim, Hamburg/ Weski, Berlin. 

Am 4. Autorenabend 13. X. 1922 sprach Herr Dr. Weski in seinem 
Institut über „Hypothesen und Tatsachen in der Alveolarpyorrhoe-Forschung" 
(erschienen in der Zahnärztlichen Rundschau 1922, Nr. 46>. Anwesend 
waren die Herren: Neumann, Rumpel, Solbrig, Warnekros, Wil¬ 
liger, Willmer. Herr Prof. Neumann stellte dabei einen operierten Fall 
von Alveolarpyorrhoe vor. 

Gelegentlich des 5. Autorenabends sprach Herr Dr. Rumpel, Berlin, 
am 23. XI. 1922 in seiner Wohnung über „die Ausschaltung der schädlichen 
Kaudruckkomponenten bei der Konstruktion der zahnärztlichen Prothese" 


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526 Verhandlungen der „Deutsdien Gesellschaft für dentale Anatomie und Pathologie" 


Erschienen in der Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1922, Heft 3). An¬ 
wesend waren die Herren: Bödecker, Ehricke, Schönbeck, Simon, 
Solbrig, Warnekros, Weski. 

Zum 6. Autorenabend hatten sich am 27. 1. 1923, nachm. 5 Uhr, im 
Hörsaal der technischen Abteilung des zahnärztlichen Universitäts-Instituts 
die Herren Adloff, Becker, Euler, Hille, Neumann, Römer, 
Partsch, Schröder, Weski, Williger eingefunden. Herr Prof. Römer, 
der den Vorsitz führte, machte die Anwesenden auf die besondere Bedeutung 
dieses Autorenabends als einer die geplante Gründung der „Deutschen Ge¬ 
sellschaft für dentale Anatomie und Pathologie" einleitenden Veranstaltung 
aufmerksam und erteilte Herrn Prof. Euler das Wort zu seinem Vortrag: 

„Beiträge zur Differentialdiagnose der Alveolarpyorrhoe", 
dem außer den Genannten Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Lubarsch bei¬ 
wohnte. An der Diskussion beteiligten sich die Herren: Adloff, Hille, 
Partsch, Römer, Schröder, Weski. 

HERMANN MEUSSER 

DR. MED. DENT. h. c. 

VERHANDLUNGEN DER „DEUTSCHEN GESELL¬ 
SCHAFT FÜR DENTALE ANATOMIE UND 
PATHOLOGIE" 

BERICHT DER KONSTITUIERENDEN GESCHÄFTSSITZUNG 
am 17. I. 1923 im zahnärztlichen Institut der Universität Berlin 

Auf Grund schriftlicher Zustimmung zweier auswärtiger Herren und 
des Ergebnisses einer Abstimmung durch die Anwesenden über die An¬ 
regung vcjn Herrn Prof. Römer, die „Deutsche Gesellschaft für dentale 
Anatomie und Pathologie" zu begründen, eröffnet um 8 Uhr im Anschluß 
an Dr, Meussers 6. Autorenabend Herr Prof. Römer die konstituierende 
Geschäftssitzung. 

Auszug aus dem Protokoll: 

1. Beratung eines Statutenentwurfs. 

2. Wahl der Geschäftsleitung: 1. Vorsitzender: Prof. Römer,- 2. Vorsitzen¬ 
der: Prof. Euler/ Schriftführer: Dr. Weski/ Schatzmeister: Prof. Neu¬ 
mann/Ausschußmitglieder: Prof. Adloff, Prof. Hille, Prof. Schröder. 

3. Auf Antrag des Vorsitzenden werden die Herren Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr, Partsch, Breslau, und Hofrat Prof. Dr. Walkhoff, Würzburg, zu 
Ehrenmitgliedern der Gesellschaft ernannt. 

4. Auf Antrag des Vorsitzenden wird Herr Zahnarzt Ove Lund, Kopen« 
hagen, zum korrespondierenden Mitglied der Gesellschaft ernannt. 

Schluß der Sitzung 11.30 Uhr. 


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Verhandlungen der „Deutschen Gesellschaft für dentale Anatomie und Pathologie" 527 

SATZUNGEN DER „DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR 
DENTALE ANATOMIE UND PATHOLOGIE" 

§1 

Die „Deutsche Gesellschaft für dentale Anatomie und Pathologie" hat den 
Zweck, einen Mittelpunkt für die gesamte wissenschaftliche Arbeit auf dem 
Gebiet der dentalen Anatomie und Pathologie zu bilden,- weiter das Intern 
esse für dieses Gebiet unter der Zahnärzte- und Ärzteschaft zu fördern und 
die Einführung eines speziellen Unterrichts in der dentalen Pathologie an 
den zahnärztlichen Universitätsinstituten anzustreben. Die Gesellschaft ver- 
anstaltet mindestens einmal im Jahre eine <ordentliche> Tagung im Zu¬ 
sammenhang mit der Jahresversammlung des Zentralvereins deutscher Zahn¬ 
ärzte. Der Vorsitzende kann aus eigener Initiative oder auf Antrag eines 
Mitgliedes auch gelegentlich anderer wissenschaftlicher Veranstaltungen wei¬ 
tere (außerordentliche) Tagungen einberufen, wofern er oder der stellver¬ 
tretende Vorsitzende der Sitzung beiwohnt, das Erscheinen einer genügenden 
Mitgliederzahl sichergestellt ist und eine Universitätsstadt als Tagungsort in 
Frage kommt. Die am Tagungsort ansässigen Vertreter der Fachanatomen 
und -Pathologen sind zu den wissenschaftlichen Sitzungen der Tagung ein¬ 
zuladen. 

§2 

Die Gesellschaft besteht aus ordentlichen, korrespondierenden und Ehren¬ 
mitgliedern. 

§3 

Ordentliches Mitglied kann jeder Zahnarzt oder Arzt des deutschen Sprach¬ 
gebietes (Deutschland und die politisch getrennten Gebiete, Deutsch-Öster¬ 
reich, die Nachfolgestaaten der früheren österreichisch-ungarischen Monarchie, 
Schweiz) werden, der sein besonderes Interesse für Fragen der dentalen 
Anatomie und Pathologie bekundet. Aufhahmegesuche sind an den Schrift¬ 
führer zu richten. Über die Aufnahme entscheidet der Ausschuß. Sie gilt 
als erfolgt, sobald der Jahresbeitrag an den Schatzmeister abgeführt ist. 

§4 

Zu korrespondierenden Mitgliedern können Zahnärzte und Ärzte ernannt 
werden, welche besonderes Interesse für die Bestrebungen der Gesellschaft 
bekunden und mit ihr in Fühlung getreten sind. Zur Wahl bedarf es 4 / 5 Ma¬ 
jorität der Anwesenden. Die Ernennung erfolgt auf Antrag des Vorsitzenden. 

§5 

Zu Ehrenmitgliedern der Gesellschaft können solche Personen ernannt 
werden, welche sich um die Förderung der dentalen Anatomie und Patho¬ 
logie ein hervorragendes Verdienst erworben haben. Die Ernennung erfolgt 
auf Antrag des Vorsitzenden. Zur Wahl bedarf es einstimmigen Be¬ 
schlusses der Anwesenden. 


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1 


528 Verhandlungen der „Deutschen Gesellschaft für dentale Anatomie und Pathologie 4 

§ 6 £ 

Der jährliche Beitrag für die Mitglieder des deutschen Währungsgebiete»; 
sowie für österreichische und ungarische Mitglieder beträgt 1,50 deutsch#-. 
Mark multipliziert mit dem jeweiligen vom Schatzmeister mitzuteilendeii 
Buchhändlerindex, für die Mitglieder aus stärkervalutigen Ländern drei 
Schweizer Franken. Die Beiträge sind bis zum 1. Februar jedes Jahres zit; 
zahlen. Ein Mitglied, welches trotz Mahnung seitens des Schatzmeisters bis; 
zum 1. April im Rückstand bleibt, hat den doppelten Beitrag zu entrichten, 
der durch Nachnahme erhoben wird. Erfolgt keine Zahlung, gilt das Mit» • 
glied als ausgeschieden. Stundung kann durch den Ausschuß bewilligt werden.. 
Entsprechende Anträge sind an den Schatzmeister zu richten. 

§ 7 y 

Die korrespondierenden und Ehrenmitglieder sind von den Beiträgen enti' 
bunden. Im übrigen genießen sie die Rechte der ordentlichen Mitglieder ohnsr 
deren Pflichten. 

§8 

Als Gäste können Zahnärzte und Arzte nach vorheriger Anmeldung bei® 
Vorsitzenden durch Mitglieder eingeführt werden. Sie dürfen jedoch nur mij 
Genehmigung des Vorsitzenden Vorträge halten und sich an der Diskussic 
beteiligen. 

§9 

Die gesamte Geschäftsführung liegt in den Händen des Vorstandes un 
Ausschusses. Der Vorstand setzt sich zusammen aus dem Vorsitzenden 
dem stellvertretenden Vorsitzenden, Schriftführer und Schatzmeister. 
Ersatzfalle eines der beiden letztgenannten übernimmt der Schriftführer bz 
Schatzmeister automatisch die Geschäfte des anderen bis zur nächsten ge 
schäftlichen Sitzung. Als weiteres Mitglied des Vorstandes tritt ein am 
der nächsten ordentlichen oder außerordentlichen Tagung ansässiges Mitglic 
hinzu, wofern es nicht bereits in anderer Eigenschaft dem Vorstand angehöii^ 

§1 ° £ 

Die Wahl des Vorsitzenden wird von den Anwesenden mittels Schrift^ 

lieber Abstimmung in der Geschäftssitzung der ordentlichen JahresversammiS? 
lung vorgenommen. Die Wahl der anderen Vorstandsmitglieder erfolgt nad#* 
demselben Modus/ doch kann, wofern kein Einspruch vorliegt, die Wal® 
auch durch Akklamation erfolgen. Die Wahl erfolgt durch absolute Stimmen**’ 
mehrheit. Bei Stichwahl mit Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzendi» 
durch das Los. Der stellvertretende Vorsitzende ist stets der frühere Von*? 
sitzende. Die Amtszeit des Vorsitzenden beträgt zwei Jahre. Der Schrift¬ 
führer ist ständig. Der Kassenführer wird auf fünf Jahre gewählt. t 

5 11 £ 

Der Vorsitzende hat die Gesellschaft nach außen zu vertreten bzw. ir"' 
besonderen Fällen, wofern er persönlich behindert ist, sich durch ein Vor 


bv GoOgk 


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Verhandlungen der „Deutschen Gesellschaft für dentale Anatomie und Pathologie" 529 


Stands*, Ausschuß* oder sonstiges Mitglied vertreten zu lassen. Ihm liegt 
ferner die Vorbereitung und Leitung sowohl der wissenschaftlichen wie ge* 
schäftlichen Sitzungen und deren Einberufung ob. 

§12 

Im Falle der Unmöglichkeit mündlicher oder schriftlicher Verständigung mit 
den andern Vorstandsmitgliedern kann der Vorsitzende in eiligen Fällen 
selbständig handeln. 

§13 

Der Ausschuß besteht aus 3 Mitgliedern. Sie werden in der ordent* 
liehen Jahresversammlung für ein Jahr durch Zuruf gewählt. Der Ausschuß 
regelt seine innere Amtstätigkeit selbst. Außer den ihm statutengemäß ob* 
liegenden Funktionen hat er die ihm von der Versammlung bzw. vom Vor* 
sitzenden übertragenen Angelegenheiten besonderer Art durchzuführen. 

§14 

Statutenänderungen können nur vorgenommen werden, wenn die dies* 
bezüglichen Anträge den Mitgliedern mindestens acht Tage vor der Ge* 
schäftssitzung schriftlich mitgeteilt worden sind. 

§15 

Die Auflösung der Gesellschaft kann nur mit einer Mehrheit von 3 / 4 der 
Mitglieder in der ordentlichen Geschäftssitzung beschlossen werden. Diese 
Versammlung hat auch gleichzeitig über die Verwendung vorhandenen Ver* 
mögens und anderen Besitzes zu bestimmen. Zu den wissenschaftlichen Sit* 
zungen müssen die Aufforderungen den Mitgliedern mindestens sechs Wochen 
vorher schriftlich zugehen und in der Fachpresse zum selben Zeitpunkt und 
unter Angabe der Tagesordnung bekanntgegeben werden. 

§ 16 

Der Vorsitzende setzt die Tagesordnung fest und bestimmt die Reihen* 
folge der Vorträge und Demonstrationen. Etwaige Referatthemen werden 
in den ordentlichen oder außerordentlichen Sitzungen und im Bedarfsfälle 
vom Vorsitzenden aufgestellt. 

§17 

Im Bedarfsfälle kann von der Versammlung eine Beschränkung der Rede* 
zeit beschlossen werden. 


§18 

Die geschäftlichen Mitteilungen sowie die auf den wissenschaftlichen Sit* 
zungen gehaltenen Vorträge und Diskussionen erscheinen als „Verhandlungen 
der Deutschen Gesellschaft für dentale Anatomie und Pathologie" in der 
„Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde" <Verlag Hermann Meusser) als dem 
Publikationsorgan der Gesellschaft. 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 4 34 


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530 Verhandlungen der „Deutschen Gesellschaft für dentale Anatomie und Pathologie*' 


§ 19 


Die Manuskripte sind mindestens 14 Tage nach der Tagung dem Schrift¬ 
führer einzureichen. 


§20 

Die ordentliche geschäftliche Sitzung findet gelegentlich der ordentlichen 
Jahresversammlung statt. Dringende Angelegenheiten können, wofern die im 
§ 1 genannten Voraussetzungen für die Einberufung einer außerordentlichen 
Tagung vorliegen, in einer außerordentlichen Geschäftssitzung ihre Erledigung 
finden, doch muß die Tagesordnung derselben mindestens vier Wochen vorher 
schriftlich den Mitgliedern zugehen und in der Fachpresse bekanntgegeben sein. 

§21 

In der geschäftlichen Sitzung der ordentlichen Jahresversammlung hat der 
Vorstand und der Ausschuß einen Bericht über das abgelaufene Geschäfts« 
jahr sowie eine Kassenrechnung vorzulegen. Die Prüfung erfolgt durch zwei 
Mitglieder der Gesellschaft. Nach Erledigung etwaiger Beanstandungen wird 
dem Vorstand und dem Ausschuß Entlastung erteilt. 

§22 

Die Sitzungen werden sonst nach parlamentarischen Regeln geleitet. 

§23 

Der Schriftführer hat über jede Geschäftssitzung ein Protokoll zu führen, 
ferner in seinen Akten die öffentliche Anzeige der Tagung sowie über den 
Verlauf der wissenschaftlichen Sitzungen einen kurzen Bericht aufzunehmen. 
Zu jeder Sitzung ist eine aufzubewahrende Präsenzliste aufzulegen. 

Berlin, den 27. Januar 1923. 

RÖMER 

ADLOFF EULER 

HILLE NEUMANN 

SCHRÖDER WESKI 


MITGLIEDERVERZEICHNIS 

Ehrenmitglieder: 

1. Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Partsch, Direktor des zahnärzt* 
liehen Universitäts-Instituts Breslau, Burgfeld 17/ 2. Herr Hofrat Prof. Dr. 
Walkhoff, Direktor des zahnärztlichen Universitäts-Instituts Würzburg, 
Pleichertorstr. 32. 

Korrespondierende Mitglieder: 

Herr Zahnarzt Ove Lund, Kopenhagen, Admiralsgade 15. 


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Verhandlungen der „Deutschen Gesellschaft für dentale Anatomie und Pathologie" 531 


Ordentliche Mitglieder: 

1. Herr Prof. Dr. A dl off, Direktor des zahnärztlichen Universitäts- 
Instituts Königsberg. 2. Herr Prof. Dr. Euler, Direktor des zahnärztlichen 
Universitäts-Instituts Göttingen, Bürgerstr. 40. 3. Herr Prof. Dr. Hille, 
Leipzig, Elisenstr. 102. 4. Herr Prof. Dr, Neu mann, Berlin W. 30, 
Hohenstaufenstr. 52. 5. Herr Prof. Dr. Römer, Direktor des zahnärzt¬ 
lichen Universitäts-Instituts Leipzig, Nürnbergerstr. 57. 6. Herr Prof. Dr. 
Schröder, Berlin-Westend, Lindenallee 20. 7. Herr Dr. Weski, Berlin 
W. 50, Kurfürstendamm 230. 8. Herr Prof. Dr. Williger, Direktor des 
zahnärztlichen Universitäts-Instituts Berlin W. 30, Motzstr. 79, 9. Herr Prof. 
Dr. Zilkens, Direktor des zahnärztlichen Universitäts-Instituts Köln, 
Mohrenstr. 6. 


Mitteilungen des Schriftführers: 

Die Herren Kollegen, welche der „Deutschen Gesellschaft für dentale Anatomie und 
Pathologie" beizutreten beabsichtigen, werden gebeten, entsprechende Mitteilungen sowie 
die Gesellschaft betreffende Fragen an meine Adresse zu richten. (Freimarke för Antwort¬ 
schreiben bitte beifügen!) 

Dr. med. Oskar Weski, Berlin W. 50, Kurfürstendamm 230.. 


Mitteilungen des Schatzmeisters: 

Ich bitte die Herren Mitglieder, die ihre Beiträge noch nicht bezahlt haben, dieselben 
an meine Adresse oder auf mein Postscheckkonto Berlin 51027 (unter Angabe des Ver¬ 
wendungszweckes) einzahlen zu wollen. Der Buchhändlerindex (s. § 6 der Satzungen) be¬ 
trägt zur Zeit 3000. 

Prof. Dr. Neumann, Berlin W. 30, Hohenstaufenstr. 52. 


BERICHT DER ERSTEN WISSENSCHAFTLICHEN SITZUNG 
am 28.1. 1923 im Deutschen Zahnärztehaus, Berlin 

Auszug aus dem Protokoll: 

Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung 10.30 Uhr vorm. Anwesende Mit« 
glieder die Herren: Adloff, Euler, Hille, Lund, Neumann, Partsch, 
Römer, Schröder, Weski, Williger. Gäste: Herr Becker, Greifs« 
wald. Herr Römer macht Herrn Partsch Mitteilung von seiner Ernennung 
zum Ehrenmitglied der Gesellschaft. 

Herr Neu mann teilt mit, daß ein nicht genannt werden wollendes Mit« 
glied der Gesellschaft den Betrag von M. 50000 überwiesen hat, ferner daß 
Herr Verlagsbuchhändler Dr. Meusser eine Stiftung in Gestalt des für die 
Gesellschaft notwendigen Papier« und Druckmaterials in Aussicht gestellt 
hat. Der Vorsitzende bittet Herrn Neumann, dem betreffenden Kollegen 
den besonderen Dank der Gesellschaft für die Geldspende zu übermitteln 
und dankt Herrn Verlagsbuchhändler Dr. Meusser, der der Sitzung bei« 
wohnt,'für seine wertvolle Stiftung. 

34* 


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532 Verhandlungen der „Deutschen Gesellschaft für dentale Anatomie und 

Vortragsfolgc 

1. Herr Römer: Über die erste Entstehung des Hohlraumes in d«#“' 

Zahnwurzelzysten 1 • 

An der Diskussion beteiligen sich die Herren Adloff, Becker, Euler,:: 
Hille, Partsch, Weski, Williger. 

2. Herr Lund: Demonstration von Zementbildung im Dentin eines Milch- jj 
molaren. 

3. Herr Euler: Der Epithelansatz in neuerer Beleuchtung. Eine ver- j 
gleichend*anatomische und kritische Betrachtung 1 . 

Die Sitzung wirdum 1 Uhrunterbrochen, indem dieMitglieder einer Einladung j 
Herrn Dr. Meussers zu einem Mittagessen folgen, an das sich die Aussprache ! 
über den Vortrag des Herrn Euler anschließt. An der Diskussion beteiligen, 
sich die Herren: Adloff, Lund, Römer, Schröder, Weski, Williger. 

Schluß der Sitzung 4 Uhr. 

1 Erscheint gleichzeitig mit den Diskussionsbemerkungen in Heft 1 1923 der „Viertel*! 
jahrsschrift". 


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_ Original Irena 
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BUCHBESPRECHUNGEN 


Die standespolitischen und wirtschaftlichen Grundlagen der zahnärztlichen Praxis. 

Von Dr. J. Ließ, Lüneburg. Verlag von Hermann Meusser, Berlin, 1922. 

Die Worte ,Aus der Praxis für die Praxis 4 möchte ich der Schrift Ließ' als Geleit mit 
auf den Weg geben. Sie reiht sich würdig der bisher über dieses Gebiet erschienenen 
Literatur an. Das kann auch nicht wundem, steht doch der Verfasser seit Jahren in der 
standespolitischen und wirtschaftlichen Bewegung mit an erster Stelle und beherrscht den 
Stoff wie selten jemand. Ließ beschreibt die Entwicklung des zahnärztlichen Standes und 
der Ausbildung und weist hierbei besonders auf die allerdings nicht allzugroßen Vorrechte 
gegenüber den Nichtapprobierten hin. Bei dieser Gelegenheit macht er auch auf die Ge¬ 
fahren der Verleugnung der Standespflichten aufmerksam. Die Anfänge der Organisation 
und ihr weiterer Ausbau finden eine eingehende Besprechung und Würdigung, die unter 
den heutigen Verhältnissen von großer wirtschaftlicher Bedeutung sind. Er empfiehlt dem 
jungen Kollegen, sich sofort einem Standesverein bzw. wirtschaftlichen Verband anzuschließen, 
da ihm dieses Vorteile bringt und auch vor Abwegen bewahrt. In dem Kapitel über Be¬ 
gründung einer Praxis und Übernahme einer solchen gibt Verfasser an der Hand gericht¬ 
licher Urteile mancherlei wichtige Winke und Erläuterungen. Sehr viel Interesse dürfte 
für den jungen Kollegen auch die Abhandlung über das Verhalten gegen Berufsgenossen 
und gegen Patienten bieten. Mit Recht weist auch Ließ darauf hin, daß sich der Zahn¬ 
arzt zu wenig im öffentlichen Leben betätigt, obwohl er oft Gelegenheit dazu hat, seine 
beruflichen Kenntnisse in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Während wir früher 
keine beamteten Zahnärzte kannten, ist jetzt die Zahl derselben insbesondere an Schul- 
und Kassenkliniken schon eine beträchtliche und ihr Einkommen nach der Reichsbesoldungs- 
ordnung geregelt. Zu den wichtigsten Kapiteln möchte ich die wirtschaftlichen Bedingungen 
bei der Niederlassung und die Buchführung rechnen, die bisher zum Schaden der Kollegen 
noch viel zu wünschen übrig läßt. Hier findet der junge Kollege eine Quelle von Er¬ 
fahrungen, Ratschlägen und Richtlinien, die für den Aufbau seiner Existenz unschätzbare 
Dienste leisten. Die Ausführungen über Zahnarzt und soziale Versicherung behandeln 
die allmähliche Entwiddung zahnärztlicher Leistungen bei den Krankenkassen, die rechtliche 
Stellung der Zahnärzte zu den Kassen und die volkswirtschaftlichen Erfolge, nachgewiesen 
auf Grund der vorhandenen Statistiken. Verfasser streift auch das Gebiet der Sozialisierung 
der Zahnheilkunde und befaßt sich natürlich auch mit der Zukunft des zahnärztlichen 
Standes an der Hand der — inzwischen gescheiterten — Ausgleichsverhandlungen. Sehr 
warm tritt Ließ für eine Sozial- und Altersfürsorge für Zahnärzte ein, die noch sehr 
daniederliegt. Bei den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen ist in der Tat eine zwingende 
Notwendigkeit hierzu vorhanden, und jeder Kollege müßte zwangsweise dieser Fürsorge 
beitreten. Den Schluß des Buches bilden die Standesordnung, die Ehrengerichtsordnung 
und die Richtlinien für Vertragsabschluß mit Krankenkassen. Zur Vervollständigung dient 
noch ein brauchbares Sch lag Wörterverzeichnis. 

Soweit in dem Buch Rechtsfragen behandelt werden, nimmt Verfasser Bezug auf die 
Werke von Ritter und Meier. Meines Erachtens hätte Ließ auch die verdienstvollen 
Arbeiten von Baden und Alfred Cohn über die einschlägigen Themen erwähnen können. 
Der Inhalt des vorliegenden Buches ist teilweise schon in der vorhandenen Literatur 


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Buchbesprechungen 


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niedergelegt/ — doch ist bei der Wichtigkeit des Stoffes jede Neuerscheinung zu begrüßen; 
Von der Erkenntnis ausgehend, daß der Student während seiner Ausbildungszeit bisber 
keine Gelegenheit hatte, si<h mit dein hier behandelten Stoff vertraut zu machen, soll die 
Schrift diese Lücke ausfüllen. Sie tut es in reichem Maße, und jeder Kollege findet in ihr 
viel von Interesse und kann aus dem Born der reichen Erfahrung des Verfassers schöpfen. 
Dazu ist das Buch fließend geschrieben, besitzt also alle guten Eigenschaften eines Vade¬ 
mekum. Jonas, Breslau. 

Disquisitio physica ostenti duorum puerorum quorum unus cum deute aurco 
alter cum capite Gyganteo Vilnae in Lithvania Regni Poloniae proviocia 
spectabatur. Autore R. P. Adalberto Tylkowski. Anno domini 1673. Typis Mo- 
nasterii Olivensis, Anno 1674. 

Naturwissenschaftliche Untersuchung des wunderbaren Falles zweier Knaben, von denen 
der eine mit einem goldenen Zahne, der andere mit einem Riesenkopfe zu Wilna in Li¬ 
tauen, einer Provinz des Königreichs Polen, zu sehen war, im Jahre des Herrn 1673. Ver¬ 
faßt von dem Ehrwürdigen Vater (?) Adalbert Tylkowski. Gedruckt im Kloster Oliva 
im Jahre 1674 — so lautet der etwas abgekürzte Titel eines Buches, das Curt Proskauer 
als erstes in seiner Sammlung „Quellen und Beiträge zur Geschichte der Zahnheilkunde" 
nicht nur den Fachgenossen, sondern auch einem weiteren Leserkreise vorlegt. 

Da das Unternehmen des Herausgebers neu ist, verlohnt es sich der Mühe, etwas näher 
auf dies „Quellenbuch" und das, was damit berücksichtigt wird, einzugehen. 

Derselbe Fachmann ist uns schon bekannt durch die Herausgabe der „Kulturgeschichte 
der Zahnheilkunde in Einzeldarstellungen", von denen bereits einige erschienen sind und 
sicher viel Beifall gefunden haben dürften. 

Haben beide Sammlungen manchmal auch gemeinsame Wege zu wandeln, so liegt es 
doch ohne weiteres auf der Hand, daß sie vielleicht zum größeren Teile etwas Trennendes 
haben müssen. Während die Kulturgeschichte die Rechte, Pflichten, Gewohnheiten und 
Sitten eines Volkes schildert und deren Einfluß auf den Volkskörper und auf das, was 
mit ihm in Berührung kommt, befaßt sich die Geschichte mit den Tatsachen, die sich aus 
dieser Berührung auf Gesellschaft, Handel und Wandel, Kunst und Wissenschaft, Kriege 
und Verbindungen mit anderen Staaten und Völkern ergeben haben. 

So ist die Geschichte „nur ein Glied der einen umfassenden Kulturwissenschaft", wie 
Proskauer mit Recht auch von der Zahnheilkunde sagt. Wenn er aber gleichzeitig meint, 
daß von beiden für die eigentliche zahnärztliche Wissenschaft oder Praxis „im allgemeinen 
keine positive Förderung zu erwarten sei", so dürfte das eine zu engherzige Auffassung 
von Wissenschaft und Praxis sein. Man muß wissen, was und wie andere vor uns ge¬ 
dacht und gehandelt haben, um mit den Mitteln und Errungenschaften der jeweiligen For¬ 
schung das für die Praxis Gültige und Notwendige auswählen und anwenden zu können, 
andernfalls man sich in einem circulus vitiosus bewegen würde. Da halte ich es mit Wagner 
in Goethes Faust: der meint: 

— — — es ist ein groß Ergetzen, 

Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen. 

Zu schauen,- wie vor uns ein weiser Mann gedacht. 

Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht, 
und nicht mit Faust, dem die Zeiten der Vergangenheit ein Buch mit sieben Siegeln sind 
und der den Geist der Zeiten nur als der Gelehrten eignen Geist bezeichnet. Wir wollen 
und können aus der Geschichte lernen, und das will in Wirklichkeit auch Proskauer durch 
die Herausgabe des mit dem Titel schon genannten alten Buches selbst und wünscht, daß 
es auch andere tun. 

Dieser beabsichtigte Zweck ist nun nicht nur durch die bloße Herausgabe der alten 
Schrift, sondern viel mehr noch durch die gegebenen Erläuterungen, die etwas mehr Raum 
einnehmen, als das nachgedruckte Buch selbst, bis zu einer gewissen Grenze erreicht. Ich 
sage: bis zu einer gewissen Grenze, andere würden vielleicht sagen: vollkommen erreicht. 

Damit setzt nun bereits die Kritik an dem Gebotenen ein. Proskauer sagt selbst in 
seinen Vorbemerkungen, daß man in den Dienst des von ihm gepflegten Forschungs- 



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gebietes die allgemeine Literatur» und Geistesgeschichte, die Kunst» und spezielle Kultur» 
geschichte, die Geschichte der Physik, Medizin und selbst der Philosophie stellen müsse. 
Er fügt auch hinzu, daß diese Aufgabe ohne allen Zweifel schwierig, mühevoll und un» 
dankbar sei. 

Die Mühe und die Schwierigkeit bleiben bestehen, aber die Undankbarkeit könnte doch 
höchstens bei ganz gleichgültigen und jeglicher Wissenschaft abholden Fachgenossen gesucht 
werden. An letztere hat der Herausgeber sich natürlich nicht gewandt, und deshalb wollen 
wir andern ihm Dank wissen für seine Mühe und die Schwierigkeiten, die er sich mit 
seiner Arbeit macht. 

Da aber die Auffassung von Geschichte, Kulturgeschichte und Philosophie nicht bei allen 
Gebildeten die gleiche ist, so kann man über die Erklärungsversuche des Übersetzers natür¬ 
lich noch anderer Meinung sein, und der Referent ist es, wenigstens zum Teil. Aber darin 
liegt andererseits wiederum der große Reiz, den das Lesen des ganzen Buches gewährt. 

Sehen wir uns daher zunächst erst einmal an, was uns geboten wird. Von Paul Fuhr¬ 
mann ist Adalbert Tylkowskis, eines Jesuitenpaters <in der Übersetzung wird nicht 
recht geschickt der Ehrwürdige „Vater" T. gesagt) naturwissenschaftliche Untersuchung 
über den Wilnaer Knaben mit dem goldenen Zahn vom Jahre 1674 aus dem Lateinischen 
übersetzt und mit Anmerkungen und einer Einleitung versehen worden. Proskauer hat 
als Herausgeber nur das Vorwort dazu verfaßt. 

Außer der Beschreibung des Knaben mit dem goldenen Zahn linden wir auch noch solche 
eines anderen Knaben mit einem gewaltigen Wasserkopf, die wohlweislich nicht weggelassen 
ist, obgleich die Geschichte von dem goldenen Zahn die Hauptsache ist. 

Der Übersetzer führt un$ in seinen Erläuterungen mit großer Genauigkeit und guter Sach¬ 
kenntnis in den Geist jener Zeiten ein und entwickelt vor unseren Augen ein Stück Kulturge¬ 
schichte, wofür auch die Beschreibung des Knaben mit dem Wasserköpfe nicht fehlen durfte. 

Dabei wird auf die bekannte Geschichte des berühmten „güldenen Zahnes" eines schle¬ 
sischen Knaben vom Jahre 1593, die uns aus der anderen von Proskauer herausgegebenen 
Reihe durch W. Bruck näher bekannt geworden ist, gebührend eingegangen. Wichtig ist, 
daß der Übersetzer und Ausleger der Tylkowskischen Schrift für die Geschichte des 
goldenen Zahnes eines schlesischen Knaben neue und beachtenswerte Quellen als Ver¬ 
gleichsstoff beibringen kann. 

Es hieße dem Lesen des reizvollen Buches vorgreifen, wollte ich als Referent noch näher 
auf den Inhalt eingehen. Wenn ich sage, daß das Für und Wider der goldenen Zähne 
von 1593 und 1673 ausführlich erörtert wird, und daß wir einen Einblick in die Denk¬ 
weise jener Zeiten bekommen, so müssen wir dem Übersetzer recht geben, wenn er sagt, 
daß es sich dabei nicht um den goldenen Zahn allein handelt, sondern daß die Gedanken¬ 
gänge, die ihm selbst gekommen sind, auch anderen eine Handhabe für das Verständnis 
dieser und ähnlicher Werke geben können. Das ist gewiß, und seine Hoffnung, „daß das 
capüt giganteum von Einleitung wenigstens kein — Wasserkopf sei", w r oIlen wir nicht 
zuschanden machen, sondern im Gegenteil den dringenden Rat geben, auch ein derartiges 
Buch wie das vorliegende recht oft zur Hand zu nehmen. Nach des Tages Mühen wird 
es für die nötige Ablenkung sorgen und das Verständnis für der Praxis fernerliegende 
Dinge wecken. 

Aber einen Gedankengang möchte der Referent seinen Lesern nicht vorenthalten. Es 
hat ihn nämlich etwas befremdet, das vorliegende Buch gerade in den Quellen und Bei¬ 
trägen zur Geschichte der Zahnheilkunde veröffentlicht zu sehen. Er ist vielmehr der 
Ansicht, daß die Geschichte der goldenen Zähne eine ganz ausgesprochen kulturgeschicht¬ 
liche Bedeutung hat, die für die engere und eigentliche Geschichte der Zahnheilkunde von 
nur untergeordnetem Wert ist. Kulturgeschichtlich aber von weit größerer Bedeutung als 
der goldene Zahn des Wilnaer Knaben ist der des schlesischen Knaben. Um diesen hatte 
sich ein gewaltiges Schriftentum angehäufr, als Tylkowski seinen Fall bearbeitete. Die 
Veröffentlichung der diesbezüglichen Schrift und seine Erläuterung wäre genau genommen 
wichtiger gewesen, zumal eine alte Übersetzung aus dem Jahre 1596 (Leipzig) von Kober 
vorliegt, und ihr Inhalt ein geradezu hervorragender Spiegel des wissenschaftlichen Den¬ 
kens und Getues jener Zeit ist. 


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Buchbesprechungen 


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Vielleicht gelingt es dem Übersetzer in Gemeinschaft mit dem Herausgeber bei 
anderen Gelegenheit auf die kulturgeschichtliche Bedeutung der beiden güldenen Zähne i 
einmal näher einzugehen und dann einen viel weitergehenden Vergleich der auf sie bezij 
liehen Schriften zu ziehen, sowie auf die Geistesgeschichte der deutschen Renaissance. Da 
wäre nach Möglichkeit auch auf den „eisernen Zahn" Rücksicht zu nehmen, den der Anati 
Bartholin gesehen haben will, dessen genauerer Geschichte ich selbst noch nicht na<4 
gegangen bin. 

Das vorliegende Buch ist von dem bekannten Verlage H. Meusser glänzend ausgestatte 
Der Titel ist eine Nachbildung des alten, das Papier vorzüglich und der Druck gut. 

Der Grundpreis beträgt nur 4 Mark. H. Chr. Greve, Erlangen. 

Das sezernierende Epitheliom <die sogenannte Mischgesdiwalst) der Mandspeichel 
drüsen. Von Otto Böttner. Aus der pathologisch-anatomischen Anstalt der Stad 
Magdeburg. Inaug.-Diss. Jena 1921. 

Die Einleitung beschäftigt sich mit der Übersicht über die Theorien der Speicheldrüsen* 
epitheliome seit dem Jahre 1859. Elf Geschwülste <von 10 Personen) als Grundlage de 
Theorie der sezernierenden Speicheldrüsenepitheliome beschreibt der Autor. Bei der Er^| 
örterung der in den ersten zehn Beschreibungen niedergelegten Befunde geht der Auto 
von den klinischen Angaben aus, daß diese Geschwülste als eine zusammengehörige Grupp 
von Neubildungen zu betrachten sind, die in den Speicheldrüsen selbst gelegen sind, nid 
etwa in der Nachbarschaft der Drüse. Böttner sucht ein Urteil darüber zu gewinnen, 
das Epithel oder das Bindegewebe der Drüse oder beide den Mutterboden darstellen, 
der vorzüglichen Arbeit glaubt der Autor nachgewiesen zu haben, daß die ausführlich 
sprochenen Speicheldrüsengeschwülste auf Hyperplasie des Epithels beruhen, das durch 
kretion Zwischensubstanzen von verschiedener Art liefert und daher als ein Epithelio^ 
bezeichnet werden muß. Diese Epitheliome der Speicheldrüsen <und der Schleimdrüsen) 
ein Teil der aus ihnen hervorgehenden Karzinome fügen sich den bereits bekannten 
zernierenden Geschwülsten an. Der Autor nimmt an, daß zunächst Epithelhyperplasie i 
Sekretion nebeneinander stattfinden/ im weiteren Verlauf gewinnt offenbar bald der zeitig 
bald der nichtzeilige Teil der Geschwulst den Vorsprung/ daß große Geschwülste vo 
langem Bestände schließlich vorwiegend aus Sekret und den Umwandlungsprodukten de 
selben bestehen, dürfte die Regel sein. Die Sekretion in Speicheldrüsenepitheliomen 
nichts mit „Degeneration" zu tun/ d. h. es schließt sich nicht etwa gesetzmäßig ein 
der Epithelzellen an, so daß nur das Sekret übrig bleibt, sondern es entsteht ein Daue 
gewebe mit unversehrten Zellen, schleimiger oder knorpeliger Interzellularsubstanz <u 
den Zwischenformen zwischen beiden). Selbstverständlich kann sich Zerfall einstellen, 
handelt sich dann um eine einfache Nekrose mit Ausgang in Verflüssigung, wie sie 
jeder Geschwulst auftreten kann, zumal in einer, die, wie die Speicheldrüsengeschwülsü 
häufigen mechanischen Reizen ausgesetzt sind. Die in Rede stehenden Epitheliome geh« 
nicht von „versprengten fötalen Keimen", sondern von der fertigen Drüse aus, in der Re 
mehrere Jahrzehnte nach der Geburt. 

Diese vorzügliche Arbeit eignet sich kaum für ein erschöpfendes Referat und wird Fad 
Interessenten zum Studium wärmstens empfohlen. Dr. Zilz, Wien. 


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ZEITSCHRIFTENSCHAU 


Zur Frage der Verwendbarkeit des Formaldehyds und seiner Polymere in der 
konservierenden Zahnheilkunde. Von Richard Merz, approbierter Zahnarzt. 
Aus dem Pharmakologischen Institut zu Tübingen. Mit einem Schlußwort von Prof. 
C. Jacobj. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, 1922, Heft 15. 1. August. 

Unter den in der konservierenden Zahnheilkunde verwendeten Antisepticis nimmt der 
Formaldehyd eine besondere Stellung ein. In Form seiner 40% auch als Formalin und 
Formol bezeichnten Lösung ist er heutzutage bei der Pulpenbehandlung ein für den prak¬ 
tischen Zahnarzt außerordentlich wertvolles Mittel geworden. Versuche des Autors zeigen, 
daß sowohl die aus Paraformaldehydpulver mit Wasser erhaltenen Lösungen als auch das 
trockene Paraformaldehydpulver selbst, nach Pulpaamputationen in die Pulpahöhle ein¬ 
gebracht, bei absolut dichtem Verschluß in solcher Menge Formaldehydmoleküle in das 
Pulpengewebe abzugeben vermag, daß sie sich bereits nach drei Stunden infolge Diffusion 
mit der Morphinreaktion an der Wurzelspitze nach weisen lassen, und zwar ebenso deut¬ 
lich, wie es an den Boenneccenschen Versuchen der Fall war, bei denen die Reaktion 
aber sogar meist erst später <nadi 6—12 Stunden) eintrat. Daß unter diesen Umständen 
nicht nur die Desinfektionswirkung, sondern auch die das Pülpagewebe abtötende und zu 
dessen Koagulierung führende Wirkung in gleicher Weise zustande kommen wird, ist 
somit von vornherein wohl kaum zu bezweifeln. Auf Grund schon seit längerer Zeit 
begonnener eingehender Untersuchungen über die die Nekrose unter dem Einfluß des Formal- 
dehyds auf lebendes Gewebe herbei führenden Lebensvorgänge hat nun aber zudem Dr. 
W. Jacobj feststellen können, daß die ersten Veränderungen an den Geweben sich be¬ 
reits bei Einwirkung von 0,25% Formaldehydlösung nachweisen lassen und daß bei 
Einwirkung 2%iger Lösungen bereits nach einer Stunde Vorgänge in den Gefäßen ab¬ 
laufen, die zur Aufhebung des Blutstromes und zu so umfänglicher Thrombenbildung 
führen, daß der weitere nekrotische Prozeß unabwendbar eintreten muß. Auf Grund dieser 
Tatsachen ist aber auch nicht zu bezweifeln, daß sich bei zweckentsprechender Anwendung 
mit dem Paraformaldehyd in der konservierenden Zahnheilkunde im wesentlichen die 
gleichen Erfolge wie mit dem 40% Formol werden erzielen lassen. Für manche Zwecke 
wird sich aber sogar vermutlich, auf Grund des bei trockenen Paraformaldehydpulver sich 
erst allmählich entwickelnden Effektes, dieses als dem Formol vorzuziehen sich erweisen, 
wie dies ja auch schon seit längerer Zeit auf empirischer Grundlage von Zahnärzten ver¬ 
treten worden ist. Dozent Dr. Julian Zilz. 

Klinisch-histologische Untersuchungen über die Wirkung von Silhernitrat hei der 
Behandlung der Milchzahnkaries. Von Emil Winzenried, prakt. Zahnarzt, 
Könitz <Kt.’Bern>. Schweizerische Monatsschrift für Zahnheilkunde, November 1922. 
Band XXXII, Nr. 11. 

Die Vötversuche des Autors zeigen, daß Silbernitrat eine Eiweiß koagulierende Wir¬ 
kung besitzt. Dieselbe ist abhängig von der Konzentration des Silbernitrates und von der 
Einwirkungsdauer. 

Die Einwirkung von Silbernitrat auf Dentin zeigt sich in dem Sinne, daß entsprechend 
den obigen Vorversuchen eine Koagulation des Dentinkanälcheninhaltes erfolgt, die eben¬ 
falls von der Konzentration und der Applikationsdauer des Silbemitrates abhängig ist. 


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Zeitschriftenschau 


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Was die Frage anbetrifft, ob die Behandlung der Milchzahnkaries nach der Beschleifi 
methode und nachfolgender Silbernitratätzung die Milchzahnpulpa schädige, so ergibt 
daß je nach Häufigkeit und Applikationsdauer der Silbemitratanwendung wir verschie 
Resultate erhalten, daß aber durchschnittlich ca. 75,5% der Fälle ohne Pulpaschädig 
verliefen, dagegen in 23,9 °/ 0 Kariesrezidive auftraten. 

Die Reaktion der Milchzahnpulpa auf den durch Silbernitratätzung und Beschleifung 
geübten Reiz besteht in einer sekundären Dentinbildung nach der Applikationsstelle 
In bezug auf die praktische Verwendbarkeit der Silbernitratmethode in Schulzahnklinil 
ergibt sich, daß infolge der Schwierigkeiten der Durchführung der Methode, die in j 
Psyche des Kindes liegen, ein wesentlicher Vorteil gegenüber den gewöhnlichen Füllung 
methoden nicht besteht in dem Sinne, daß die Methode berufen wäre, die Füllun 


methoden der Milchzähne zu verdrängen. 


Zllz, WienJ 


Zur Frage der Entstehung der Lamellen und Büschel des Zahnschmelzes. Vjj 
S. Gr äff, Freiburg i. Br. Verhandlungen der Deutschen Pathologischen Geselischa 
Jena, I2. — 14. April 1922. 

In der Erörterung der Struktur des Schmelzes haben in den letzten 20 Jahren die 
mellen „oder Sprünge" sowie die Büschel „eine besondere Rolle gespielt". Ein Teil 
Autoren, welche histologisch an Schliffen untersucht haben, sehen in diesen Bildung 
Lymph- oder Emährungsbahnen und schreiben ihnen damit eine besondere funktione 
Bedeutung zu, oder sie nehmen wie Kantorowicz in der Ausbildung der Lamellen 
Büschel die Folge einer Stoffwechselstörung an. Der andere Teil der Autoren, welche 
Sprünge auf Grund makroskopischer Beobachtungen beschreiben, stellen sich auf den Stau 
punkt einer mechanischen Ursache und machen Traumen oder Temperaturschwankung 
für ihre Entstehung verantwortlich. Die Auffassung der Untersucher ist somit nur ins 
fern einheitlich, als sie den Schmelzlamellen (Sprüngen) oder Büscheln durchweg eine inttj 
vitale Bedeutung beimessen. 

Die Anordnung und der Aufbau der Lamellen und Büschel erwecken beim Autor 
vornherein den Eindruck der traumatischen Entstehung und sind in ausgedehntem Mq 
als künstliche Bildungen anzusehen, die in erster Reihe durch das Schleifen verur 
werden. 

Die Zähne wurden unter Vermeidung jedes Druckes behandelt, vorsichtig gesdmir 
und es stellte sich heraus, daß weder Sprünge noch Büschel histologisch nachweisbar war 
somit zeigte der Vergleich an Zähnen desselben Alters, daß beim Schleifen Sprünge 
Büschel auftreten, während bei vorsichtiger Behandlung hiervon nichts nachzuweisen ist 

Zilz, Wie 

Die Zahnpulpa bei AHgemeinerkrankungen. Von fYiv.-Doz. Dr. Siegfried Grä 
Aus dem Pathologischen Institut der Universität in Heidelberg (Direktor: Prof. Ernd 
Deutsche Medizinische Wochenschrift Nr. 40, 1922. 

Vom Autor in Gemeinschaft mit Zahnarzt W. Wagner angestellte Untersuchung 
gewähren einen ersten Einblick in die Möglichkeiten der klinischen Auswertung histj 
logischer Befunde an den Weichgebilden des Zahnes, vorwiegend der Pulpa, dann 
des Periodontiums. 

Bei allgemeiner Amyloidose bei Tuberkulose ist die Beteiligung der Zahnpulpa an tii 
allgemeinen Amyloidose erwiesen. 

Erwähnt sei sodann der Befund einer allgemeinen Ektasie der Pulpagefäße bei ein 
Falle seniler Demenz, welche durchaus in Einklang stand mit der Ektasid der kleinen 
größeren Arterien des ganzen Kreislaufs. 

Ein Fall rekurrierender Endokarditis mit dem anatomischen Zeichen der Sepsis (Strepl 
kokken im Herzblut) zeigte in einigen kleinen Gefäßen der Pulpa des ersten untei 
rechten Prämolaren völlige Ausfüllung des Lumens mit grampositiven Kokken, also sici 
Embolien, welche ihre intravitale Entstehung noch dadurch sicherstellen ließen, daß in ih 
Umgebung sich deutliche Zeichen des Zerfalls und einer bedeutenden Leukozytenansamij 
lung wahrnehmen ließen,- es lag somit bereits eine beginnende Abszeßbildung vor. 


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Zeitschriftenschau 


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eitriger Meningitis ist bemerkenswert eine Leukozytenstase in Gefäßen am Periodontium 
einer Wurzel und sodann in einem zweiten Zahn eine Leukozytenstase in den Gefäßen 
und eine stärkere leukozytäre Infiltration des Periodontiums vom rechten unteren Sechs* 
jahrmolarem vorwiegend in der Gegend des oberen Zahnbandes, so daß man von einer 
beginnenden (anatomischen) Periodontitis sprechen kann. Wandschädigungen, Blutungen 
oder sonstige Störungen des Kreislaufs beeinflussen die Ernährung der Pulpa und damit 
ihre Funktionsfähigkeit. Die gleiche Folge käme embolisdien Vorgängen der Pulpa zu/ 
bei bakteriellen Embolien werden wir außerdem die unmittelbaren Folgen der Anwesen* 
heit der Infektionskeime erwarten können. 

Die sichere Unterlage pathologisch*histologis<her Befunde kann wohl eine angemessenere 
Stutze klinischer Diagnostik und Therapie sein, soweit diese auf wissenschaftlich begrün* 
dete Methodik Wert legt, als trübe Hypothesen über Beziehungen sogenannter Mund* 
und Zahninfektionen zu Allgemeinerkrankungen, wie sie — frei von jeder zuständigen 
Untersuchungsmethodik — von amerikanischer Seite angeboten werden. Zilz, Wien. 

Multiple weidie Warzen der Mundschleimhaut. Von Dr. E. Stern, Hilfsassistenz* 
arzt. Dermatologische Wochenschrift. 74. Band, Nr. 12, 1922. 

Ein vom Autor beobachteter Fall von kleinen Tumoren der Mundschleimhaut ergab 
folgenden Befund: 

Die mäßig durchblutete Mundschleimhaut zeigt auf der Innenfläche der Ober* und 
Unterlippe, vereinzelt auch in beiden Mundwinkeln, zahlreiche dicht beieinanderstehende, 
weiche, kleine, kreisrunde, Stecknadel kopfgroße bis sagokomgroße Effloreszenzen, die das 
Niveau der Umgebung um etwa 1—2 mm überragen, sich in ihrer Färbung jedoch nicht 
von der übrigen Mundschleimhaut unterscheiden. Nase und Rachen zeigen außer einer 
Schwellung von 4—5 Follikeln dicht oberhalb des Kehlkopfeingangs normalen Befund. Die 
Blutuntersuchung zeigt normales Ergebnis. An den Fingern sind keine Warzen vorhanden. 
Dem histologischen Befunde nach handelte es sich um weiche Warzen von akanthoidem 
Typ. Differentialdiagnostisch kämen mikroskopisch Condylomata acuminata in Betracht. 
Die kleinen Tumoren zeigten jedoch makroskopisch absolut flachen Typus, keinerlei kegel* 
förmigen bzw. gestielten oder blumenkohlartigen Charakter trotz ihres bald zweijährigen 
Bestehens, so daß sie klinisch durchaus als weiche Warzen, nicht als Papillome anzu* 
sprechen sind. Therapeutisch konnten die Schleimhautwarzen leicht ohne erhebliche Blutung 
mit der Schere abgetragen werden. Für die Entstehung dieser Gebilde auf der Mund* 
Schleimhaut ließ sich ein klarerer Anhaltspunkt nicht finden. Es wäre immerhin denkbar, 
daß ein entzündlicher Reizzustand zur Zeit der Diphtherie vorhanden war, den man als 
auslösendes Moment zur Warzenbildung betrachten könnte. Eine Übertragung von Warzen 
an den Händen auf die Mundschleimhaut Heß sich in diesen Fällen nicht nachweisen, die 
kleinen Geschwülstchen waren isoliert auf der Mundschleimhaut aufgetreten. 

Zilz, Wien. 

Ober Beteiligung der Mundschleimhaut des Mundes und der Speiseröhre bei 
Epidermolysis bullosa hereditaria. Von Otto Steurer. Archiv für Ohren*, 
Nasen* und Kehlkopf heilkunde. Sonderabdruck aus Band 108/ Heft 1/2. 

Unter Epidermolysis bullosa hereditaria versteht man ein Krankheitsbild, welches ent* 
steht infolge der Eigentümlichkeit der Haut auf mechanische Reize, wie Druck, Stoß und 
besonders Reibung, mit der Bildung von Blasen oder fetziger Abhebung der Epidermis 
zu reagieren. Diese Veränderungen finden sich entweder auf der äußeren Haut allein oder 
gleichzeitig auch an den Schleimhäuten der Mundhöhle, des Kehlkopfes, der Speiseröhre 
und des unteren Rektums. Auch an den Schleimhäuten des Mundes allein können die 
Blasen auftreten, während die äußere Haut davon verschont bleibt. Die Erscheinungen 
treten meist gleich nach der Geburt auf, nach der Pubertät erfahren sie eine gewisse Ab* 
Schwächung und können in höherem Alter ohne vorausgehende Behandlung ausbleiben. 
Die Heredität ist dabei außer Zweifel, ohne daß jedoch bei der Vererbung eine Gesetz* 
mäßigkeit festzustellen wäre. Meist stammen die Patienten aus Familien, in denen psy¬ 
chische Anomalien und Nervenleiden gehäuft auftreten. Das Wesentliche des Leidens liegt 


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Zeitschriftenschau 


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in einer strukturellen Anomalie der Epidermis, die zwar histologisch nicht erwiesen ist, 
aber wohl darin besteht, daß die Haut ein sehr lockeres Gefüge zeigt, sei es zwischen 
Zellen der tieferen Epidermisschichten oder an der Epithel-Koriumgrenze, Was die The* 
rapie anbelangt, so stehen uns leider nach den Erfahrungen der Dermatologen keine Mittel 
zur Verfügung, durch welche eine Besserung oder Heilung der Krankheitserscheinungen 
herbeigeführt werden können. Auf Röntgenbehandlung stellte sich Verschlimmerung ein. 
An innerlichen Mitteln wurde Arsenik versucht, doch zeigte sich darnach kerne Besserung 
des Leidens. Jodpräparate wirkten sogar verschlimmernd. Der Autor versuchte gegen die 
Bläschenbildung im Mund und im Ösophagus Pinselungen mit 1 und 2 9 / 0 Höllenstein* 
lösungen, ohrie jedoch ein Ausbleiben der Bläschenbildung zu erreichen. Zilz,Wien. 

Die bakteriologischen und biologischen Grundlagen für die Verwendung von 
Eukupin in der konservierenden Zahnheilkunde. Von Alfred Rohren Deutsche 
Monatsschrift für Zahnheilkunde, Heft 19. 1. Oktober 1922. 40. Jahrg. 

Die biologische Wirkung von Eucupinum bihydrochloricum besteht darin, daß bei einer 
relativ kurzen Resorptionszeit und bei möglichst großer Schonung des anatomischen Sub* 
strates der chemotaktische Reiz eine Leukozytose auslöst, gleichzeitig aber das Gefäß* 
System vermutlich infolge der neurotropen Wirkung relativ wenig belastet wird, so daß 
dadurch eine stärkere Transsudation und die daraus resultierende übermäßige Bindegewebs* 
induration vermieden werden kann/ das günstigere Resultat wird durch die 1 %ige wässerige 
Lösung erreicht. 

Auf Grund dieses biologischen Resultates und des oben genannten bakteriologischen 
Befundes hält der Autor das Eucupinum bihydrochloricum in der konservierenden Zahn¬ 
heilkunde für eine wesentliche Bereicherung des Arznei Schatzes/ die wässerige Lösung soll 
aber eine l°/o*8 c Konzentration nicht überschreiten. 

Zusammenfassend läßt sich über das Eucupinum bihydrochloricum bezüglich seiner 
bakteriotropen Wirkung auf die Bakterien im Wurzelkanal normieren, daß es in 2°/ 0 iger 
und l%te er wässeriger Lösung etwa dem Eugenol gleichkommt/ die Verwendung von 
aseptischer Watte zur Aufnahme dieses Medikamentes in 2°/ 0 iger und l°/ 0 iger Lösung 
ist nicht unbedingt erforderlich. Zilz, Wien. 

Zur Frage der sogenannten „Diffasionsvorgänge im harten Zahngewebe". Von 
Dr. Ludwig Freibusch, Frankfurt a. M. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. 
1922, Heft 20. 15. Oktober. 

Die Frage nach der Durchlässigkeit des Dentins und des Schmelzes für gelöste, kristalloide 
und kolloidale Substanzen ist nach den neuerdings von Bauch witz veröffentlichten Ver¬ 
suchen zum Anlaß zahlreicher wissenschaftlicher Erörterungen geworden. In Anbetracht 
der großen Bedeutung dieser Befunde — ihre Richtigkeit vorausgesetzt — ist eine ex¬ 
perimentelle Nachprüfung von mehreren Seiten unbedingt erforderlich. Die Nachprüfung 
der Bauchwitzversuche ergab ein völlig anderes Resultat: ganz abgesehen davon, daß 
eine Diffusion von Bakterien und Kolloiden durch den intakten Schmelz unmöglich ist, 
kann man auch bei den Kristalloiden auf Grund der Versuche des Autors in der Regel 
nicht von einer Diffusion sprechen. Vielmehr handelt es sich, soweit ein Durchpassieren 
von Stoffen durch den Zahn nachzuweisen ist, offenbar in den meisten Fällen, wie die 
mikroskopischen Befunde <Zahnschliffe> zeigen, um eine Diffusion durch die Schmelzsprünge 
und nicht durch den Schmelz selbst. Zilz, Wien. 



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